Die Deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914-1918: Drei Studien der Wissenschaftlichen Kommission des Preußischen Kriegsministeriums und ein Kommentarband 9783110451122, 9783110448283

The new edition of the Prussian War Ministry’s macroeconomic studies enhances our understanding of the German economy du

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Die Deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914-1918: Drei Studien der Wissenschaftlichen Kommission des Preußischen Kriegsministeriums und ein Kommentarband
 9783110451122, 9783110448283

Table of contents :
Inhalt
Einführung
Abschnitt I. Die Heeresstellen zur Fertigung und Beschaffung von Waffen, Munition und zugehörigen Geräten bis zum Kriege
Kapitel 1. Die Behörden
§ 1 Die Oberbehörden: Kriegsministerium und Feldzeugmeisterei
§ 2 Die Beschaffungsstellen für Heeresgerät
Abschnitt II. Die Technik in der Heeresverwaltung bis zum Kriege
Kapitel 2. Offiziere und Beamte
§ 3 Militärtechnische Offiziers- und Beamten-Ausbildung
§ 4 Kritik der militärtechnischen Bildung
§ 5 Offiziere und Beamte bei militärtechnischen Behörden
Kapitel 3. Fertigung und Verwaltung
§ 6 Herstellungskosten in den technischen Instituten und in der Privatindustrie
§ 7 Arbeitsrichtung in den Technischen Instituten
§ 8 Militärisches Verwaltungs- und Kontrollwesen
Abschnitt III. Die vorbereitende Friedenstätigkeit
Kapitel 4. Die deutschen Friedensvorbereitungen
§ 9 Umfang der Friedensvorbereitungen
§ 10 Friedensvorräte an Waffen, Munition und Geräten
§ 11 Lagerung von Fertigungsmaterialien
§ 12 Vorbereitungen in den Staatswerkstätten
§ 13 Vorbereitungen für eine industrielle Mobilmachung
Kapitel 5. Leistungen in anderen Staaten. Deutschlands Lage
§ 14 Munitionsverbrauch im Russisch-Japanischen Kriege, Kriegsvorbereitungen in Frankreich und Großbritannien
§ 15 Deutschlands besondere Schwierigkeiten
§ 16 Zusammenfassung
Abschnitt IV. Fertigung und Beschaffung von Waffen, Munition und Geräten während des Krieges
Kapitel 6. Allgemeines
§ 17 Allgemeine Maßnahmen
Kapitel 7. Infanteriewaffen und Infanteriemunition
§ 18 Gewehre und Karabiner
§ 19 Pistolen, blanke Waffen und Infanterieschutzmittel
§ 20 Maschinengewehre
§ 21 Infanteriemunition
§ 22 Nahkampfmittel
Kapitel 8. Artilleriewaffen und Artilleriemunition
§ 23 Artilleriegerät
§ 24 Wiederherstellungs- und Instandsetzungsarbeiten
§ 25 Richtmittel und optisches Gerät
§ 26 Artilleriemunition
§ 27 Geschoßkörbe
§ 28 Munition für verbündete Staaten
§ 29 Beutemunition
§ 30 Sprengstoffe und Pulver
§ 31 Zünder und Zündhütchen
Kapitel 9. Fahrzeuge
§ 32 Fahrzeuge und Förderbahngerät
§ 33 Geschirre und Stallsachen
§ 34 Statistik der beschafften Mengen
Abschnitt V. Die militärischen Behörden und Betriebe während des Krieges
Kapitel 10. Grundfragen und Behördenorganisation
§ 35 Schwierigkeiten der Fertigung und Beschaffung
§ 36 Kriegsministerium, Feldzeugmeisterei, Kriegsamt und Wumba
§ 37 Die technische Abteilung des Wumba (W.R.)
§ 38 Die Heereslieferungen und die Bundesstaaten
Kapitel 11. Die Organisation mit technisch-kaufmännischem Einschlag
§ 39 Organisation der industriellen Fertigung
§ 40 Versorgung der Industrie mit Bauten, Material und Arbeitskräften
§ 41 Versorgung der Industrie mit Maschinen und Werkzeugen
§ 42 Beaufsichtigung der Industrie
§ 43 Konstruktive und fertigungstechnische Tätigkeit
§ 43 Beratung der Beschaffungsstellen
§ 44 Das Hindenburg-Programm
Kapitel 12. Die Technischen Institute
§ 46 Die wirtschaftlichen und technischen Verhältnisse der Institute
Abschnitt VI. Industrie und Handwerk im Kriege
Kapitel 13. Die Technik
§ 47 Entwicklungslinien der Technik
Kapitel 14. Die Industrie
§ 48 Die deutsche Industrie bei Kriegsbeginn
§ 49 Die Risikofrage bei Kriegsbeginn
§ 50 Die Umstellung zur Rüstungsindustrie
§ 51 Wirtschaftliche Entwicklung während der Kriegszeit
§ 52 Die Tätigkeit technisch-industrieller Vereine und Verbände
Kapitel 15. Preisfragen
§ 53 Ursachen der Preissteigerungen, behördliche Tätigkeit
§ 54 Verhältnisse in der Industrie
§ 55 Verfahren der Preisbestimmung
§ 56 Beispiele von Preisen
Kapitel 16. Erfahrungen der Rüstungsindustrie im Kriege
§ 57 Einleitung
§ 58 Die Behördentätigkeit
§ 59 Gewinnung von Aufträgen
§ 60 Material und Bearbeitung
Kapitel 17. Der Handel
§ 61 Der Handel auf dem Gebiet des Waffen- und Munitionswesens
Kapitel 18. Das Handwerk
§ 62 Die Organisation der Vergebung
§ 63 Umfang der Handwerkslieferungen
§ 64 Zusammenfassung
Kapitel 19. Arbeiterfragen
§ 65 Gewinnung von Arbeitskräften, ihre Arten und Leistungen
§ 66 Die Frauenarbeit
§ 67 Gesundheitliche und soziale Fragen
Abschnitt VII. Zusammenfassung
Kapitel 20. Ergebnisse und Folgerungen
§ 68 Volkswirtschaftliche Ergebnisse
§ 69 Erziehungsfragen
§ 70 Leitung und Führung öffentlicher Betriebe
Anhang

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Robert Weyrauch Waffen- und Munitionswesen

Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918

Drei Studien der Wissenschaftlichen Kommission des Preußischen Kriegsministeriums und ein Kommentarband Herausgegeben von Marcel Boldorf und Rainer Haus

Band 1

Robert Weyrauch

Waffen- und Munitionswesen

Herausgegeben von Marcel Boldorf und Rainer Haus

Dieser Band sollte 1922 ursprünglich als Band 3 der von Max Sering herausgegebenen volkswirtschaftlichen Untersuchungen der ehemaligen Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission des Preußischen Kriegsministeriums erscheinen.

ISBN 978-3-11-044828-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-045112-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-044859-7 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Michael Peschke, Berlin Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Im Herbst 1915 wurde vom damaligen stellvertretenden Kriegsminister Generalleutnant von Wandel die „Wissenschaftliche Kommission des Königl. Preußischen Kriegsministeriums“ unter meinem Vorsitz eingerichtet und ihre Aufgabe später so formuliert: Sie sollte 1. „in streng geschichtlicher Darstellung die wirtschaftlichen Maßnahmen des Kriegsministeriums während des Krieges schildern und klarstellen, aus welchen Beweggründen sie hervorgingen, welche Ergebnisse sie zeitigten, welche Änderungen sich als notwendig erwiesen,“ 2. „die volkswirtschaftlichen Voraussetzungen und Wirkungen der deutschen Heereswirtschaft untersuchen, auf dieser Grundlage zu den Maßnahmen des Kriegsministeriums kritisch Stellung nehmen und die gemachten Erfahrungen würdigen.“ Der Kommission gehörten im Anfang 3, zum Schluß des Krieges einige 20 Mitglieder an, durchweg Männer der Wissenschaft aus verschiedenen Berufen, dazu die erforderlichen wissenschaftlichen und technischen Hilfskräfte. Den Mitgliedern standen alle Mittel zur Aufheilung der kriegswirtschaftlichen Vorgänge und Zusammenhänge zur Verfügung. Ihren Untersuchungen und Darstellungen wurde die volle Unabhängigkeit zugesichert und gewährt. Unter Teilnahme von hervorragenden Sachverständigen fanden regelmäßige Sitzungen statt, in denen der vorgetragene Stoff eingehend durchgesprochen wurde. Aus diesem Grunde sind manche Gedanken als Gemeineigentum der Mitglieder anzusehen. Doch trägt jeder Verfasser allein die Verantwortung für die Darstellung des ihm zugewiesenen Gebietes. Mit dem alten Heere kam auch die Wissenschaftliche Kommission zur Auflösung. Seitdem fehlt jede Beziehung zu einer amtlichen Stelle. Die ehemaligen Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission haben ihre Arbeiten als Privatleute zu Ende geführt. Sie haben dabei die volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte, die sie von Anfang an besonders berücksichtigt hatten, ganz in den Vordergrund treten lassen. Berlin, den 1. Juli 1922.

M. Sering.

VI 

 Vorbemerkungen

Die vorliegende Arbeit versucht, eine Darstellung der gewaltigen Anstrengungen zu geben, welche Deutschlands Heeresverwaltung, Industrie und Handwerk während des Weltkriegs gemacht haben, um die Fronten mit Waffen und Munition zu versorgen. Ohne mancherlei Kritik war eine solche Darstellung naturgemäß nicht durchführbar, und manche mögen denken, es sei leicht, das unter den schwierigsten Verhältnissen Geschaffene nachträglich zu bemängeln. Aber die hier gegebene Kritik stand spätestens schon im Jahre 1917 bei sehr vielen fest, die Einblick in die Verhältnisse hatten. Auch verlangt der Zweck dieser Schrift, aus der Darstellung des Geschehenen für die Zukunft Lehren zu ziehen, eine nicht an der Oberfläche bleibende Art der Darstellung. Und schließlich glaube ich, haben uns Deutschen Bücher des Selbstlobs genug geschadet. Das Waffen- und Munitionswesen läßt sich auf rein wirtschaftlicher Grundlage kaum darstellen. Denn das Wirtschaftliche hängt hier überall aufs engste mit dem Technischen zusammen. Dem sucht meine Bearbeitung zu entsprechen. Das Quellenmaterial zur vorliegenden Arbeit war ein derartig umfangreiches, daß es hier nur der Art nach, nicht aber im einzelnen aufgezählt werden kann. Es bestand aus zusammenfassenden Darstellungen aus dem preußischen Kriegsministerium, der Feldzeugmeisterei (Fz.), dem Waffen- und Munitionsbeschaffungs-Amt („Wumba“) und dem Ingenieurkomitee, einer Menge eingehender Berichte aus zahlreichen Referaten der eben genannten Behörden, den technischen Instituten von Fz., Wumba und anderen Stellen, insgesamt etwa 32 an der Zahl. Dazu traten die Verfügungen und Akten der Behörden. Außerdem wurden mit einzelnen Stelleninhabern über 40 amtliche Besprechungen über ihre Tätigkeit auf Grund vorher abgefaßter Fragen abgehalten, nachstenographiert und die Stenogramme, soweit möglich, den Referenten usw. zur Durchsicht vorgelegt. Wissenschaftliche Arbeiten und zahlreiche Sitzungsberichte von Behörden, Vereinen und Verbänden sowie deren Jahresberichte, endlich die Durchsicht des Briefwechsels des Vereins deutscher Maschinenbau-Anstalten aus den ersten 2½ Kriegsjahren sowie die persönliche Besichtigung von gegen 40 Rüstungsfirmen in ganz Deutschland und deren systematische Befragung sowie eigene 3jährige kriegsdienstliche Tätigkeit in Berlin ergänzten und vertieften das gewonnene Bild. Schließlich wurde die erreichbare Buch-, Broschüren-, Zeitschriften- und Zeitungsliteratur des In- und Auslands in weitgehendem Maße benutzt. Bei Feststellung jeder einzelnen Nachricht oder Zahl ist mit großer Vorsicht verfahren worden. Stets wurde angestrebt, Einzelaussagen durch Befragen anderer Persönlichkeiten zu kontrollieren. Immer wieder habe ich meine Stellungnahme im Einzelnen und im Ganzen nachgeprüft. Was ich im Folgenden sage, das mußte ich sagen, wenn ich nicht meine feste Überzeugung färben wollte. Trotzdem wird die Darstellung Widerspruch erfahren, schon deswegen, weil auch die Akten und amtlichen Tätigkeitsberichte einander widersprechende Zahlen und

Vorbemerkungen 

 VII

Auffassungen über dieselben Dinge enthalten; sogar in Äußerungen aus dem preußischen Kriegsministerium habe ich sie gefunden. Dazu kommt, daß wirtschaftliche Gründe eine Kürzung des fertigen Manuskripts um ein volles Fünftel erforderten, wodurch die Gesamtdarstellung sowohl an Abrundung als an Schärfe der Begründung verloren haben mag. Die Sammlung des Materials gestattete niemals ruhige Vertiefung, wie sie dem Schilderer vergangener Dinge möglich ist. Die Ereignisse drängten sich; was heute richtig erschien, war morgen überholt. So ist aus Tausenden von Blättern diese Darstellung entstanden, ein kleiner Ausschnitt nur des durch meine Hände gegangenen Materials. Wo es möglich war, wurden zum Vergleich mit den deutschen Zuständen die während des Krieges eingegangenen Nachrichten über Einrichtungen und Vorgänge in den feindlichen Staaten herangezogen. Sie lassen vieles verständlicher erscheinen, als es dem nur auf die deutschen Zustände gerichteten Blick vorkommen würde. Abgeschlossen wurde die Arbeit im Sommer 1920. Unterstützt haben mich im Zusammentragen des Stoffes und bei sonstigen Arbeiten die Herren Dr. Buhl, Dr. Günther, Hüttendirektor Haan, Dr. ing., Dr. rer. pol. Haller, Dr. Hollenberg, Frl. Loepert, Stadtbaurat Schmid, Regierungsbaumeister Strobel und Diplomkaufmann Dr. Will. Ihnen allen sage ich auch an dieser Stelle herzlichsten Dank. Ebenso danke ich zahlreichen Offizieren, Beamten und Industriellen, die mir und meinen Mitarbeitern bereitwillig ihre Kenntnisse zur Verfügung stellten, sowie manchen Vereinen und Fachverbänden, insbesondere dem Verein deutscher Maschinenbau-Anstalten und der Hauptstelle für gemeinschaftliche Handwerkslieferungen G. m. b. H. in Berlin. Tiefer Schmerz ergreift uns, daß alle Mühe, alles Leiden, alles Sterben scheinbar umsonst gewesen sind. Aber wer weiß, was das Schicksal mit unserem Volke vorhat; jedenfalls hat uns der Krieg und sein Ausgang manche deutschen Mängel erkennen und mit neuer Kraft bekämpfen lassen. Wer aber die folgenden Blätter liest,1 der wird mit Recht staunen über die gewaltigen Kriegsleistungen der Heimat und wird, so hoffe ich, angesichts dieses heroischen Kampfes einer von allen Seiten und mit allen, auch den verwerflichsten Kampfmitteln umstellten Nation wieder glauben lernen an die Möglichkeit eines geistigen, sittlichen und wirtschaftlichen Aufstiegs unseres deutschen Volkes. R. Weyrauch.

1 Solchen Lesern, welchen es nur um einen wirtschaftlichen Überblick zu tun ist, empfehle ich, aus den ersten vier Abschnitten nur die §§ 1, 2, 13—17 zu lesen und danach an die drei letzten Abschnitte zu gehen.

VIII 

 Vorbemerkungen

Abkürzungen Fz. I.K. K. K.M. K.R.A. Wumba (W.) Wumba R. (W.R.)

= = = = = = =

Feldzeugmeisterei. Ingenieurkomitee. Kriegsamt. (Preuß.) Kriegsministerium. Kriegs-Rohstoff-Abteilung. Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt. Technische Abteilung des Wumba.

Inhalt Einführung 

 1

Entwicklung der Waffentechnik

Abschnitt I Die Heeresstellen zur Fertigung und Beschaffung von Waffen, Munition und zugehörigen Geräten bis zum Kriege   4 Kapitel 1 Die Behörden   4 § 1 Die Oberbehörden: Kriegsministerium und Feldzeugmeisterei   4 Gliederung und Einteilung

 6

§ 2 Die Beschaffungsstellen für Heeresgerät 

Abschnitt II Die Technik in der Heeresverwaltung bis zum Kriege  Kapitel 2 Offiziere und Beamte   7 § 3 Militärtechnische Offiziers- und Beamten-Ausbildung 

 7  7

Offiziere: Militärtechnische Akademie. Beamte bei den Technischen Instituten und dem Militärversuchsamt

§ 4 Kritik der militärtechnischen Bildung 

 8

Geringschätzung der technischen Spezialausbildung in der Armee

§ 5 Offiziere und Beamte bei militärtechnischen Behörden 

 9

Feldzeugmeisterei. Artillerieprüfungskommission. Gewehrprüfungskommission. Infanterie- und Artillerie-Konstruktionsbureau. Militär-Versuchsamt. Die übrigen technischen Institute. Kritik der Organisation. Fehlen einer industriellen Mobilmachung im Frieden. Beschränkung der Selbständigkeit der technischen Beamten gegenüber den Offizieren

Kapitel 3 Fertigung und Verwaltung   19 § 6 Herstellungskosten in den technischen Instituten und in der Privatindustrie   19

Unterschied zwischen der Selbstkostenberechnung bei den Technischen Instituten und in der Privatindustrie

§ 7 Arbeitsrichtung in den Technischen Instituten 

 20

§ 8 Militärisches Verwaltungs- und Kontrollwesen 

 22

Fehlen privatwirtschaftlicher Gesichtspunkte. Die Technischen Institute waren reine Zuschußbetriebe Bureaukratismus und Wirtschaftlichkeit

Abschnitt III Die vorbereitende Friedenstätigkeit   25 Kapitel 4 Die deutschen Friedensvorbereitungen   25 § 9 Umfang der Friedensvorbereitungen   25 § 10 Friedensvorräte an Waffen, Munition und Geräten 

 26

Die Vorräte waren für den Mobilmachungsbedarf nicht ausreichend

§ 11 Lagerung von Fertigungsmaterialien   31 § 12 Vorbereitungen in den Staatswerkstätten 

 32

Kriegsarbeitsprogramm. Ausbau der staatlichen Werkstätten

X 

 Inhalt

§ 13 Vorbereitungen für eine industrielle Mobilmachung 

 33

Erteilung von Friedensaufträgen an Privatfirmen. Mit der Privatindustrie abgeschlossene Mobilmachungsverträge. Eine stärkere Heranziehung der Privatindustrie für den Kriegsfall war 1914 geplant

Kapitel 5 Leistungen in anderen Staaten. Deutschlands Lage  § 14 Munitionsverbrauch im Russisch-Japanischen Kriege, Kriegsvorbereitungen in Frankreich und Großbritannien   38 § 15 Deutschlands besondere Schwierigkeiten   40

 38

Neuorganisation des Heerwesens noch nicht durchgeführt. Man rechnete mit einer kurzen Kriegsdauer. Abschluß der Mittelmächte vom Weltmarkt. Die Produktion fast der ganzen Erde stand der Entente zur Verfügung

§ 16 Zusammenfassung 

 42

Urteil über das Geleistete. Die Frage nach der Verantwortlichkeit für den allgemeinen Rüstungsmangel

Abschnitt IV Fertigung und Beschaffung von Waffen, Munition und Geräten während des Krieges   45 Kapitel 6 Allgemeines   45 § 17 Allgemeine Maßnahmen   45

Beschaffungs- und Belieferungsschwierigkeiten nach der Mobilmachung, beschleunigter Ausbau der staatlichen Werkstätten. Verkehrsschwierigkeiten. Rohstoff-, Maschinen- und Arbeiterknappheit. Mängel der Organisation

Kapitel 7 Infanteriewaffen und Infanteriemunition  § 18 Gewehre und Karabiner   50

 50

Maßnahmen zwecks Produktionssteigerung. Schwierigkeiten in der Rohmaterialbeschaffung

§ 19 Pistolen, blanke Waffen und Infanterieschutzmittel  § 20 Maschinengewehre   54

 53

Maßnahmen zur Deckung des stark anwachsenden Bedarfs

§ 21 Infanteriemunition 

 57

Ersatz der Messinghülse durch die Stahlhülse

§ 22 Nahkampfmittel 

 58

Minen- und Granatwerfer. Handgranaten. Hindernisdraht und fertige Hindernisse

Kapitel 8 Artilleriewaffen und Artilleriemunition  § 23 Artilleriegerät   60

 60

Geschützarten. Feldartilleriegerät: Steigerung der Herstellung. Neubeseelen der Rohre. Verbesserung des Beschaffungsverfahrens. Fußartilleriegerät: Steigerung der Herstellung. Geschützzubehör und Werkzeuge

§ 24 Wiederherstellungs- und Instandsetzungsarbeiten  § 25 Richtmittel und optisches Gerät   66

 65

Zweck und Aufgabe der Richtmittel. Beschaffungsmaßnahmen. Meßtrupps. Fernrohre

§ 26 Artilleriemunition 

 68

Begriffsbestimmungen S. 89. Preßgeschosse. Gußgeschosse. Erschwernisse bei der Fertigung von Gußgeschossen. Gebohrte Geschosse. Verbesserungen und Neukonstruktionen an Geschossen. Zeitweiser Rückgang der Munitionsfertigung.

 XI

Inhalt 

Fertigungsmöglichkeit von Pulver- und Sprengstoffen bildete die Grenze für die Gesamtfertigung an Munition. Munition für Sondergeschütze und Sonderzwecke. Gasmunition. Kartuschhülsen

§ 27 Geschoßkörbe 

 82

Verwendung von Ersatzstoffen bei der Herstellung

§ 28 Munition für verbündete Staaten  § 29 Beutemunition   84 § 30 Sprengstoffe und Pulver   97 § 31 Zünder und Zündhütchen   91

 83

Herstellungsschwierigkeiten infolge mehrfacher Fabrikationsumstellungen. Zündhütchen. Sprengkapseln

Kapitel 9 Fahrzeuge   95 § 32 Fahrzeuge und Förderbahngerät 

 95

Rückständigkeit der staatlichen Werkstätten. Schwierigkeiten bei der Heranziehung der Privatindustrie

§ 33 Geschirre und Stallsachen 

 97

Starke Heranziehung der Privatindustrie und des Handwerks

§ 34 Statistik der beschafften Mengen 

 98

Abschnitt V Die militärischen Behörden und Betriebe während des Krieges   101 Kapitel 10 Grundfragen und Behördenorganisation   101 § 35 Schwierigkeiten der Fertigung und Beschaffung   101

Personalmangel. Fehler der Behördenorganisation. Transportfrage bei der Munitionsherstellung

§ 36 Kriegsministerium, Feldzeugmeisterei, Kriegsamt und Wumba 

 105

Organisation der Feldzeugmeisterei. Trennung zwischen Beschaffung und Nachschub im Wumba. Das Kriegsamt

§ 37 Die technische Abteilung des Wumba (W.R.) 

 108

Die technische Zentralabteilung der Feldzeugmeisterei. Die technische Abteilung des Wumba. Das technische Hauptbureau

§ 38 Die Heereslieferungen und die Bundesstaaten 

 109

Ausgleichsstelle der Bundesstaaten. Zentralisierung der Kriegswirtschaft. Abteilung für Waffen, Feldgerät und Kriegsamtsangelegenheiten des Württembergischen Kriegsministeriums. Württembergische Kriegsbedarf- und Rohstoffstelle (Kriebero). Einrichtungen in anderen Bundesstaaten

Kapitel 11 Die Organisation mit technisch-kaufmännischem Einschlag  § 39 Organisation der industriellen Fertigung   118 Einteilung des Reichsgebiets in Interessenbezirke. Heeresparks

§ 40 Versorgung der Industrie mit Bauten, Material und Arbeitskräften   120

Normalisierungs- und Spezialisierungsbestrebungen. Die Bautenprüfstelle. Rohstoffbewirtschaftung. Referat für Eisen und Stahl beim Wumba. Kohlenbewirtschaftung. Beschaffung von Arbeitskräften

 118

XII 

 Inhalt

 123

§ 41 Versorgung der Industrie mit Maschinen und Werkzeugen 

Wumba R. als Zentralstelle für Neuanfertigung und Einfuhr. Bestandserhebung der Maschinen. Maschinenausgleichsstellen, technische Bezirksdienststellen. Preisgestaltung. Bewirtschaftung elektrischer Maschinen. Bestandserhebung der Lokomobilen

§ 42 Beaufsichtigung der Industrie 

 126

Auskünfte, Leistungsvergleiche, Materialkontrolle. Handelskontrolle und Vertragsprüfung. Die rechtliche Beaufsichtigung der Kriegsindustrie

§ 43 Konstruktive und fertigungstechnische Tätigkeit 

 129

Stand der deutschen Waffentechnik vor dem Kriege. Grundlagen der Massenfertigung. Normenausschuß der deutschen Industrie. Normung und Typung vor dem Kriege. Werkzeug- und Fabrikationsbureau

§ 43 Beratung der Beschaffungsstellen  § 44 Das Hindenburg-Programm   136

 135

Schwierigkeiten in der Durchführung des Programms. Leistungssteigerung auf Grund des Programms. Kritik des Vorgehens

Kapitel 12 Die Technischen Institute   141 § 46 Die wirtschaftlichen und technischen Verhältnisse der Institute   141

Fehlerhafte Organisation. Bedeutende Leistungen während des Krieges. Zentrale Lehrenwerkstatt bei der Geschützgießerei Spandau. Gesamturteil

Abschnitt VI Industrie und Handwerk im Kriege   146 Kapitel 13 Die Technik   146 § 47 Entwicklungslinien der Technik   146

Die Zeit bis zum Kriege. Die Kriegszeit. Die Ersatzstofftechnik. Die Mechanisierung der Rüstungsbetriebe

Kapitel 14 Die Industrie   152 § 48 Die deutsche Industrie bei Kriegsbeginn 

 152

Die aus der fehlenden industriellen Mobilmachung erwachsenen Schwierigkeiten

§ 49 Die Risikofrage bei Kriegsbeginn   155 § 50 Die Umstellung zur Rüstungsindustrie   157 § 51 Wirtschaftliche Entwicklung während der Kriegszeit 

 159

Erzeugung und Umsatz. Kreditbedarf. Erweiterungen und Neugründungen. Abschreibungen und Rückstellungen. Die Frage der Kriegsverdienste

§ 52 Die Tätigkeit technisch-industrieller Vereine und Verbände 

 170

Ihre Art und Aufgabe. Ihre wissenschaftlich-technische Betätigung. Allgemeine Auskunftstätigkeit. Material- und Maschinenbeschaffung. Arbeiter- und Angestellte, Gesetze, Verordnungen, Steuern. Ausfuhrangelegenheiten

Kapitel 15 Preisfragen   175 § 53 Ursachen der Preissteigerungen, behördliche Tätigkeit 

 175

Die Preiselemente und die preissteigernden Faktoren während des Krieges. Maßnahmen der Behörden: Vertragsprüfungsabteilung des Wumba, Preisprüfungsstellen

§ 54 Verhältnisse in der Industrie 

 178

Gegensatz zwischen verarbeitender und Schwerindustrie

 XIII

Inhalt 

§ 55 Verfahren der Preisbestimmung 

 179

Ermittlung der Selbstkosten. Berücksichtigung des Umsatzes. Weitere Vorschläge und Verfahren. Das schließlich angewandte Verfahren (Einheitspreise, Gruppenpreise, Richtpreise)

§ 56 Beispiele von Preisen   188 Kapitel 16 Erfahrungen der Rüstungsindustrie im Kriege  § 57 Einleitung   189 Individuelle Faktoren

§ 58 Die Behördentätigkeit 

 189

 191

Die Fertigungs- und Beschaffungsbehörden des Heeres und ihre Mängel. Abrechnungs- und Zahlungswesen. Abnahmewesen und Abnahmepersonal

§ 59 Gewinnung von Aufträgen 

 198

§ 60 Material und Bearbeitung 

 209

Schwierigkeiten bei der Gewinnung von Aufträgen. Umfang der Bestellungen. Unstetigkeit der Heeresaufträge. Art der Auftragserteilung, das Unterlieferantenwesen. Zwischenhandel, Vermittler und Vertreter Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Maschinen und Werkzeugen. Qualität der Bearbeitungsstähle. Firmenberatung. Materialbeschaffung und -zuweisung. Beschaffenheit der Rohmaterialien. Neubauten von Preßwerken. Belieferung mit Rohmaterial, Halbfabrikaten und Maschinen, Schwierigkeiten bei Preisvereinbarungen. Ausschußfragen. Einhaltung von Lieferfristen

Kapitel 17 Der Handel   217 § 61 Der Handel auf dem Gebiet des Waffen- und Munitionswesens  Gelegenheitsvermittler. Kettenhandel. Bedeutung des Handels für die Rüstungsindustrie

Kapitel 18 Das Handwerk   220 § 62 Die Organisation der Vergebung 

 217

 220

Zentralisierung der Vermittlung von Heeresaufträgen: Werkgenossenschaften, Lieferungsgenossenschaften, Hauptstelle für Verdingungswesen. Hauptstelle für gemeinschaftliche Handwerkslieferungen

§ 63 Umfang der Handwerkslieferungen  § 64 Zusammenfassung   225

 223

Die Bedeutung des Handwerkes für die Kriegswirtschaft

Kapitel 19 Arbeiterfragen   227 § 65 Gewinnung von Arbeitskräften, ihre Arten und Leistungen 

 227

Mangel an männlichen gelernten Arbeitern. Maßnahmen zur Gewinnung von Arbeitskräften. Einstellung von Kriegsbeschädigten, Kriegsblinden, Gefangenen

§ 66 Die Frauenarbeit 

 230

Die Brauchbarkeit der weiblichen Arbeiterinnen

§ 67 Gesundheitliche und soziale Fragen 

 232

Tägliche Arbeitszeit. Arbeitsbedingungen. Unfallverhütungs- und Wohlfahrtseinrichtungen. Lebensmittelversorgung

XIV 

 Inhalt

Abschnitt VII Zusammenfassung   235 Kapitel 20 Ergebnisse und Folgerungen  § 68 Volkswirtschaftliche Ergebnisse 

 235  235

Technisch-wissenschaftliche Fortschritte. Die Bedarfsdeckung. Organisatorische Umgestaltung in der Industrie. Faktoren der Preisbildung. Maßnahmen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität

§ 69 Erziehungsfragen 

 241

Offiziers- und Beamtenerziehung. Offiziere und Sachverständige. Offizierskorps und Technik

§ 70 Leitung und Führung öffentlicher Betriebe 

 246

Der fehlende Wettbewerb als Grund für die Unwirtschaftlichkeit öffentlicher Betriebe. Die materiellen und ideellen Voraussetzungen für die Leitung öffentlicher Betriebe

Anhang 

 249

Einführung Das bisweilen gehörte Wort: „Der Weltkrieg war ein Krieg der Technik“ ist wie fast alle derartigen Schlagworte nicht ganz zutreffend, war doch jeder Krieg ein Krieg der Technik. Gehen wir den Erscheinungen mehr auf den Grund, so könnten wir eher sagen: Der Weltkrieg war der erste Krieg, der alle Technik, Wissenschaft und Wirtschaft, sowie die gesamten geistigen Kräfte der beteiligten Völker, ihre Intelligenz, ihren Willen und ihre Nerven bis zum letzten Rest in früher unausdenkbarer Weise in Anspruch genommen hat. Von diesen Hilfsmitteln stehen Technik und Wirtschaft gewissermaßen als Endergebnis an sichtbarster Stelle. Mehr als er ahnen konnte, hat Fr. von Bernhardt recht bekommen mit seinem Satz1: „Zwei Momente sind es vor allem, die die Entwicklung (des Heereswesens) bestimmt haben: die Entstehung der europäischen Massenheere und die beispiellose Entwicklung der Technik in ihrem Einfluß auf das Heerwesen.“ Hingen doch die kriegerischen Entscheidungen und Maßnahmen dauernd von technischen Fragen und Bedingungen ab. Luftschiffe, Flugzeuge, U-Boote; nach Kaliber, Reichweite und Munitionsverbrauch früher nicht bekannte Artillerieleistungen, Maschinengewehre und Handgranaten, dazu ein während des Krieges sprunghaft entwickelter Pionierdienst haben der Kriegführung ein einzigartiges Gepräge gegeben. So manches von diesen Kampfmitteln ist erst während des Krieges entwickelt oder gar erst geschaffen worden. Hier liegt das wenig in die Augen springende Arbeitsgebiet der Wissenschaft, der wir Außerordentliches zu verdanken haben; Luftschiffe, Flugzeuge, Unterseeboote und die glänzenden Errungenschaften der Chemie. Aber weder Technik noch Wissenschaft hätten ihre Triumphe feiern können, ohne unsere hoch entwickelte deutsche Wirtschaft , unsere Organisation auf den Gebieten des Finanzwesens und Handels, des Landbaus und vor allem der Großindustrie. In der entfesselten Wut der durch die Technik zur Vervielfachung ihrer Wirkung gebändigten Elemente aber stand — der Mensch, der Mensch mit seiner körperlichen Widerstandskraft, seinem Willen, seinen Nerven. Menschliche Widerstandskraft und Willensenergie, Mut und Disziplin haben in diesem Kriege in allen Lagern Leistungen vollbracht, wie wohl nie in der Weltgeschichte zuvor. Fragen wir uns aber: Was hat die Menschen trotz der Gefahr der Verweichlichung im Wohlleben der Friedenszeit zu solchen Leistungen erzogen, so wird die Antwort doch wohl wieder der modernen Technik und Wirtschaft einen sehr wesentlichen Anteil zuschreiben müssen. Denn sie faßte systematisch alle Kräfte zum größtmöglichen Wirkungsgrade produktiver Arbeit zusammen und zog in jahrzehntelanger Anspannung des ganzen Volkes die Kräfte des Willens und des Intellekts, des Sich-

1 In Sarason: „Das Jahr 1913.“ Leipzig und Berlin 1913. S. 63.

2 

 Einführung

einordnens und Unterordnens groß, ohne welche wir niemals über vier Jahre einer Welt in Waffen hätten widerstehen können. Von den im Vorstehenden angedeuteten Hilfsmitteln und -kräften sollen uns auf den folgenden Blättern nur diejenigen beschäftigen, welche der Herstellung von Waffen, Munition und zugehörigen Geräten dienen. Unsere Darstellung will das Zusammenwirken der technischen und wirtschaftlichen Produktivkräfte zur Massenanfertigung von Waffen, Munition und Heeresgerät im Frieden und Kriege veranschaulichen. Einige waffengeschichtliche Einzelheiten werden für das folgende von Wert sein. Die Entwicklung des neuzeitlichen Infanteriegewehrs brachte die Vermehrung der Feuergeschwindigkeit, der Treffsicherheit, der Tragweite und des bestrichenen Raumes. Das Maschinengewehr verbindet mit all diesen Vorteilen die Zusammenfassung gewaltiger Schußleistungen aus einem Punkt, wodurch es für flankierende Aufstellung und größte Feuerwirkung selbst bei ganz beschränkten Raumverhältnissen namentlich im neueren Stellungskriege geradezu unersetzlich wurde. Diese Entwicklung der Waffentechnik hatte die aufgelöste Ordnung und damit die Frontverbreiterung des Infanteriekampfes mit seinem gesteigerten Munitionsverbrauch und dem dadurch erschwerten Aufmarsch und Nachschub an Truppen und Material zur Folge. Im Zusammenhang damit und mit dem Stellungskrieg stehen die ungeahnte Ausbildung der Befestigungs- und Deckungsbauten, sowie des ganzen Pionier-, Feldeisenbahn- und Feldbrückenwesens. Die Elektrotechnik und die Pyrotechnik brachten durch Scheinwerfer und andere Beleuchtungsmittel die Ausdehnung der Kampftätigkeit auf die Nachtzeit. Die Vermehrung der Deckungsmittel bedingte die außerordentlich vergrößerte Bedeutung der durchweg mit Schnellfeuergeschützen ausgestatteten Feldartillerie und der schweren Artillerie des Feldheeres. Dabei hat die Einführung der schweren Artillerie des Feldheeres eine Wirkung gehabt, welche der des Baus der Großkampfschiffe ähnelt. Sie hat die kleineren Kampfgeräte, in diesem Falle die Feldartillerie, in gewissem Sinne entwertet, weil sie den Beginn des Kampfes schon auf weitere Entfernungen ermöglicht. Sie hat aber doch auch andrerseits in Verbindung mit der Feldartillerie durch die Massenhaftigkeit des Feuers den Zeitpunkt hinausgeschoben, zu dem der Infanterieangriff mit Aussicht auf Erfolg angesetzt werden kann und dadurch zusammen mit den modernen Deckungsmitteln die Dauer der Schlachten von Tagen auf Wochen und Monate verlängert. Der Tätigkeit der Artillerie erstand ein sehr ernster und wirksamer Gegner in den Luftstreitkräften, den Flugzeugen, Lenk- und Fesselballons mit ihren Bomben und ihrer drahtlosen bzw. telephonischen Verbindung nach den leitenden Stellen, namentlich der Artillerie. Nur geschickteste Maskierung vermag heute die Artillerie vor dem Schicksal zu bewahren, von den Luftstreitkräften aufgefunden und darauf unter Feuer genommen zu werden.

Einführung 

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Zum großen Teil spielte sich diese Entwicklung erst im Kriege ab und brachte eine ungeheure Erschwerung des Aufmarsches und Nachschubes, der Übersichtlichkeit und damit der ganzen Befehlserteilung. Ihr kamen die technischen Errungenschaften des Pionierwesens, des Feldeisenbahn- und Kraftfahrwesens, der drahtlosen und Drahttelegraphie, des Fernsprechers und des Lichtsignalwesens zur Hilfe. So sehr aber alle diese technischen Mittel die Führung und Durchführung der Kriegshandlungen technisch erleichterten, so neu und erhöht waren die Anforderungen, welche die Beschleunigung, die sie in den Ablauf der Ereignisse brachten, an die Entschlußfähigkeit der Führung, an die Nerven der Führer und ihre Beherrschung des ganzen technischen Apparats stellte. So ist die ganze moderne Kriegführung, deren staunende, erschütterte Teilnehmer und Zeugen wir alle waren, ein Spiegelbild der gewaltigen technischen Fortschritte unserer Zeit. Mag man mit Recht darauf hinweisen, daß die wirksamsten technischen Kampfmittel die geeignetsten sind, einen Krieg zu verkürzen, so muß man anderseits auch zugeben, daß die im Zeitalter der Technik und Wirtschaft großgezogenen Fähigkeiten des Organisierens die ganze Kraft fast sämtlicher modernen Großstaaten in den Dienst der Kriegführung gestellt und durch Ansichziehen der letzten Mittel und Fähigkeiten den Widerstand bis zur gänzlichen Erschöpfung einzelner verlängert haben.

Abschnitt I

Die Heeresstellen zur Fertigung und Beschaffung von Waffen, Munition und zugehörigen Geräten bis zum Kriege Kapitel 1 Die Behörden § 1 Die Oberbehörden: Kriegsministerium und Feldzeugmeisterei Im Königlich Preußischen Kriegsministerium (K.M.)1 lag die Bearbeitung der die Waffen, die Munition und die zugehörigen Geräte betreffenden Angelegenheiten dem Allgemeinen Kriegsdepartement (A.D.) ob, und zwar dessen A. 2. A. 3. A. 4. A. 5. A. 6. A. 7. V. A. 7. L.

Infanterieabteilung, Kavallerieabteilung, Feldartillerieabteilung, Fußartillerieabteilung, Ingenieur- und Pionierabteilung, Verkehrsabteilung und Luftfahrtabteilung.

Seit Oktober 1913 war für Einrichtung und Verwaltung der Technischen Institute (T.I.) des Kriegsministeriums dessen ebenfalls zum Allgemeinen Kriegsdepartement gehörige Fabriken-Abteilung (93. 5) zuständig. Weitere schon im Frieden tätige Behörden waren: G.P.K.: die Gewehrprüfungskommission und A.P.K.: die Artillerieprüfungskommission,

mit der Aufgabe, alle Fragen der Konstruktion und Behandlung der Waffen, Munition und Ausrüstung zu prüfen und zu begutachten, selbständige Versuche vorzunehmen, erprobte Konstruktionen vorzulegen, die nötigen Vorschriften auszuarbeiten und für die Ausbildung von Lehrpersonal zu sorgen. Dazu kamen noch die Inspektionen der Luftschiffer- und Fliegertruppen, die Verkehrstechnische Prüfungskommission (V.P.K.) und das Ingenieurkomitee (I.K.). Die wichtigsten Behörden für Sicherstellung des Heeresbedarfs auf Grund vom Kriegsministerium gegebener Richtlinien waren die dem Allgemeinen Kriegsdeparte1 Bezüglich der Abkürzungen vgl. deren Verzeichnis am Anfang.



Die Behörden 

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ment des Kriegsministeriums unmittelbar unterstellte Feldzeugmeisterei (Fz.), mit dem ihr angegliederten Militär-Versuchsamt (Mv.) und das unter der Generalinspektion der Pioniere stehende Ingenieurkomitee (I.K.). Die für die Feldzeugmeisterei in Frage kommenden Beschaffungen konnten im Frieden leicht durch die technischen Institute (T.I.) mit besorgt werden. So ist es zu erklären, daß die Feldzeugmeisterei zu Kriegsbeginn keine ausgebildete Beschaffungsorganisation besaß. Die Feldzeugmeisterei war bis zum Kriege gegliedert in: 1. die Zentralabteilung (allgemeine Fragen, Personalien usw.) (Fz.Z.); 2. die Inspektion der technischen Institute der Infanterie (Fz.I.); 3. die Inspektion der technischen Institute der Artillerie (Fz.A.); 4. die Artillerie-Depotinspektion (Fz.D.); 5. die Train-Depotinspektion (Fz.T.); Der Fz.I. unterstanden: 1. die Gewehrfabriken Danzig, Erfurt, Spandau (Gwf.); 2. die Munitionsfabrik Spandau (Mf.Sp.); 3. das Infanterie-Konstruktionsbureau Spandau (Ikb.). Der Fz.A. unterstanden: 1. die Artilleriewerkstätten Danzig, Spandau, Straßburg i. E. und Lippstadt (Aw.); 2. die Geschoßfabriken Siegburg und Spandau (Gf.); 3. die Feuerwerkslaboratorien Siegburg und Spandau (Fl.); 4. die Pulverfabriken Spandau und Hanau (Pf.); 5. die Geschützgießerei Spandau (Gg.); 6. das Artillerie-Konstruktionsbureau Spandau (AK.). Die Technischen Institute hatten die Aufgabe, nach Anordnung ihrer vorgesetzten Behörden Streitmittel und Feldgerät zu entwerfen, anzufertigen, umzuändern, instandzusetzen und an deren Vervollkommnung mitzuwirken. Sie befriedigten auch den größten Teil des Bedarfs der Bundesstaaten. Das Personal zur Leitung der technischen Institute bestand aus Offizieren und höheren technischen Beamten. An der Spitze jedes technischen Instituts stand ein Direktor. Ihm als oberstem Leiter waren die Verwaltung und der Betrieb mit dem gesamten Militär- und Zivilpersonal unterstellt. Verwaltung und Betrieb standen nebeneinander als selbständige Glieder des Instituts. Die Verwaltung unterstand dem Verwaltungsdirektor, der Betrieb dem Betriebsdirektor oder Betriebsleiter. Der Fz.D. unterstanden: die Artillerie-Depotdirektionen Spandau, Stettin, Kassel und Darmstadt mit über 80 Artillerie-Depots und Nebenartillerie-Depots. Die Artillerie-Depotdirektionen waren die unmittelbar vorgesetzten Behörden der Artilleriedepots.

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 Die Heeresstellen zur Fertigung und Beschaffung von Waffen, Munition

Die Artillerie- und Train-Depots waren Verwaltungsbehörden mit eigener Kassenverwaltung. Sie hatten Munition zusammenzusetzen bzw. Feldgerät von Trains zu beschaffen, ferner die ihnen zugewiesenen Bestände aufzubewahren, instandzuhalten, zu ergänzen, an die Truppen abzugeben und die bei diesen außer Gebrauch tretenden Gegenstände anzunehmen. Der Fz.T. unterstanden die Train-Depotinspektionen Berlin und Kassel mit 19 Traindepots. Eine Übersicht über die besprochene Gliederung gibt die angeschlossene Tafel.

§ 2 Die Beschaffungsstellen für Heeresgerät Eine Zusammenstellung aller für die Beschaffung von Heeresgerät in Frage kommenden Stellen ergibt folgendes Bild: 1. die Feldzeugmeisterei (seit November 1916 „Waffen- und Munitions-Beschaffungsamt“), mit ihren Technischen Instituten; 2. das Ingenieurkomitee, später Pionierbeschaffungsamt; 3. die Inspektion der Eisenbahntruppen; 4. die Inspektion der Telegraphentruppen; 5. die Inspektion des Kraftfahrwesens; 6. die Gewehrprüfungskommission und 7. die Artillerieprüfungskommission, diese beiden für Versuchsmaterial und was damit zusammenhängt; 8. die Verkehrstechnische Prüfungskommission; 9. die Inspektion der Fliegertruppen (Fliegerersatzabteilung Döberitz); 10. die stellvertretenden Intendanturen; 11. die Pionier-Ersatzbataillone; 12. das Bekleidungs-Beschaffungs-Amt; 13. die Bekleidungsämter; 14. das Hauptsanitätsamt; 15. die Sanitätsdepots; 16. die Remonte-Depot-Administration; 17. die Militär-Veterinär-Akademie; 18. die Proviantämter; 19. die Materialdepots; 20. die Intendantur der militärischen Institute Berlin; 21. die übrigen Intendanturen, sowie im Kriege noch: 22. die Pionier-Heeresparks in Berlin, Köln und Mainz; 23. die Minenwerferparks. Dazu kamen noch das Reichspostamt und das Eisenbahnzentralamt.

Abschnitt II

Die Technik in der Heeresverwaltung bis zum Kriege Damit die Front Waffen und Munition in guter Beschaffenheit, genügender Menge und rechten Zeit erhalte, müssen in der Heimat drei Dinge in Ordnung sein: Fertigung, Beschaffung und Nachschub. Wenn daher seitens der Front oft über mangelhafte Beschaffenheit, ungenügende Menge und verspätete Lieferung geklagt wurde, so sind die Verhältnisse in der Heimat nachzuprüfen. In diesem Abschnitt behandle ich zunächst die Grundlagen der Fertigung: die staatliche Waffentechnik. Die Ergebnisse sind nicht immer erfreulich, um so eingehender müssen sie begründet sein. Diese Kritik mag noch heute Nutzen stiften, wo Verstaatlichung oder Vergesellschaftung von Betrieben auf zahlreichen Gebieten gefordert wird.

Kapitel 2 Offiziere und Beamte § 3 Militärtechnische Offiziers- und Beamten-Ausbildung I. Offiziere. Die technische Ausbildung der Offiziere der Armee erfolgte in der 1905 an Stelle der Vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule getretenen Militärtechnischen Akademie zu Berlin. Sie hatte die Aufgabe: 1. Offizieren aller „Waffen die Gelegenheit zur wissenschaftlichen Ausbildung im Waffen-, Ingenieur- und Verkehrswesen, sowie 2. den Offizieren der Fußartillerie, des Ingenieur- und Pionierkorps und der Verkehrstruppen die Berufsbildung zu gewähren. 3. Zugleich sollte sie eine Pflegstätte der militärtechnischen Wissenschaften sein.“ Die Anstalt unterstand einem General als Direktor. Der Lehrkörper setzte sich zusammen aus Offizieren sowie Haupt- und nebenamtlichen Zivillehrern. Die Studienpläne wurden durch den Direktor und eine besondere Kommission aufgestellt. Es bestanden Lehrabteilungen für Waffen, Ingenieurwesen und Verkehrswesen mit je vier einjährigen Lehrstufen sowie einem Lehrgang für Fußartillerie, daneben Laboratorien zur Förderung heerestechnischer Ziele. Die Ausbildung dauerte in der Regel zwei Jahre. Die vorgesehenen Teilnehmerzahlen waren sehr gering. Das Lehrziel für jeden Offizier, der die Akademie zwei Jahre oder länger besuchte, war außer dem Erwerb der Berufsbildung die Verwendung bei der Gewehroder der Artillerieprüfungskommission, der Infanterieschießschule, im Ingenieurdienst, im Ingenieurkomitee, in der Versuchsabteilung der Verkehrstruppen, im

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 Die Technik in der Heeresverwaltung bis zum Kriege

Lehrfach oder bei den Technischen Instituten. „In der 3. und 4. Lehrstufe erhielt eine kleinere Anzahl dazu bereiter Offiziere eine weitere hochschulmäßige Ausbildung.“ Unter den Lehrzielen war z. B. in der Waffenlehre angegeben, daß die Offiziere nach Ablauf der zweiten Stufe imstande sein sollten, eingeführte Waffen richtig zu beurteilen und den Fortschritten in ihrer Konstruktion zu folgen. Das Endziel war „d i e Fä h igke i t d e r Hö re r, Wa f f e n ko n s t r u k t i o nen s elbs tän d ig zu en twerf en u n d b is in s e i n z e l n e du rch z u a r b e i te n“ . Das vierte Lehrjahr war vorzugsweise der Entwurfstätigkeit gewidmet. In der Ballistik diente es vorzugsweise der selbständigen Lösung theoretischer und experimenteller Ausgaben. Die Hörer der Militärelektrotechnik sollten im letzten Jahre eingehende Kenntnis der Herstellung der hauptsächlichsten Apparate und Geräte durch Besuch der in Betracht kommenden Fabriken erreichen.

II. Maschinen- und Hütteningenieure, Chemiker und Physiker. Als Zulassungsbedingungen für Bewerber um Anwärterstellen bei den Technischen Instituten und dem Militär-Versuchsamt galten: deutsche Reifeprüfung, Alter nicht über 28 Jahre, Diplomhauptprüfung oder bei Chemikern und Physikern, Doktorgrad nach mindestens dreijährigem deutschen Hochschulstudium. Der Ablegung der zweiten Ingenieurhauptprüfung ging eine durch die Feldzeugmeisterei geregelte praktische Ausbildung in der Regel bei den Technischen Instituten und in der Dauer von zwei, evtl. drei Jahren voraus. Sie erstreckte sich bei den Ingenieuren neben Konstruktionen auf Entwürfe und Ausführung von Betriebseinrichtungen, namentlich für die Massenfabrikation, sowie auf die Betriebsleitung einschließlich der damit verbundenen zusammenhängenden Verwaltungsgeschäfte, bei Chemikern u. a. auch auf die Leitung chemisch-technischer Betriebe. Auf diese besonderen Fragen nahm auch die Prüfungsordnung für die zweite Hauptprüfung Rücksicht. Wer sie bestanden hatte, wurde, soweit angängig, in Betriebsassistentenstellen beschäftigt, um später zum Militär-Baumeister, Chemiker und -Physiker mit dreimonatiger Kündigungsfrist ernannt zu werden.

§ 4 Kritik der militärtechnischen Bildung Die allgemeinen Grundsätze für die Ausbildung an der militärtechnischen Akademie, von denen vorstehend nur die für unsere Zwecke bedeutungsvollsten wiedergegeben sind, erscheinen als im ganzen an sich zweckentsprechend, ebenso die Ausbildungsmöglichkeiten, wenn ihre Anwendung im einzelnen dauernd auf der Höhe gehalten und der richtige Gebrauch von ihnen gemacht wurde. Was aber den Erfolg der Ausbildung an der militärtechnischen Akademie aufs stärkste beeinträchtigen mußte, war die in der ganzen Armee herrschende Geringschätzung der technischen Spezialausbildung auf der „Schlosserakademie“. Sie gewährte ja auch, abgesehen von der beschränkten Möglichkeit, später zur Artillerieoder Infanterieprüfungskommission zu gelangen, wenig Aussicht für das militärische Fortkommen, und der Übertritt zu den Technischen Instituten galt in der Armee gera-



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dezu als ein Aufgeben der militärischen Karriere. Männer mit hervorragender technischer Begabung waren daher für die Armee kaum zu gewinnen, da sie in der Industrie als Ingenieure ein ganz andres Betätigungsfeld fanden. Wie wollte man da von den Hörern der Akademie, die normalerweise nicht die geringsten praktischen Kenntnisse von neuzeitlicher Fabrikationstechnik und Massenfabrikation hatten, erwarten, daß sie z. B. Waffenkonstruktionen „selbständig entwerfen und bis ins einzelne durcharbeiten“ sollten. Wie sollten sie sich „eingehende Kenntnis der Herstellung der hauptsächlichsten elektrotechnischen Apparate und Geräte“ erwerben, und zwar – durch Besuch von Fabriken? Die Aufstellung solcher Lehrzielforderungen beweist, daß die leitenden Stellen ihre Erreichung für möglich hielten. Das war das Bedenkliche: Man traute den Absolventen der militärtechnischen Akademie Kenntnisse zu, die sie nach der ganzen Sachlage überhaupt nicht besitzen konnten und baute die Organisation der Behörden, Beschäftigung und Befehlsgewalt auf diesem Irrtum auf. So konnten die Besucher der Akademie glauben, sie verständen etwas von moderner Technik, während sie in Wirklichkeit nichts erhielten als ein Halbwissen, das um so schlimmer war, als der Halbwissende sich in der Regel für einen wirklich Sachverständigen hält. Bei der Ausbildung der höheren Beamten ist als besonderer Mangel für ihre Tätigkeit in den Instituten anzusehen, daß ihnen für die zweite Hauptprüfung, außer der Ausbildungszeit in den Instituten selbst, nur die im Reichs-, Staats- oder Kommunaldienst zugebrachte Vorbereitungszeit angerechnet wurde. So wie die Verhältnisse schon seit Jahren liegen, war das keine genügende Praxis für Leute, die später neuzeitliche Massenfabrikationsbetriebe leiten sollen. Ein frischer Zug konnte unter solchen Umständen auch von technischer Seite kaum in die Institute hineinkommen. Auch die Ausbildung in wirtschaftlichen Fächern nach den Bestimmungen genügt nicht. Während der Anstellung hätte manches nachgeholt werden können, wenn man immer wieder Gelegenheit zum eindringenden Studium der Privatindustrie gegeben hätte, wenn Studienreisen eine regelmäßige, nicht nur auf die obersten Stellen beschränkte Einrichtung gewesen wären.

§ 5 Offiziere und Beamte bei militärtechnischen Behörden 1. Feldzeugmeisterei. Der Feldzeugmeisterei lag ob die „Leitung der Anfertigung, sowie die Verwaltung der Kampfmittel und des Feldgeräts bis zur Verabfolgung an die Truppen“. Sie war also eine technische und Verwaltungsbehörde. Sie trug die Verantwortung, daß die technische Leistungsfähigkeit und Organisation der ihr unterstellten Behörden und Institute stets auf voller Höhe blieb. Daß ihre Stellenbesetzung diesen technisch-organisatorischen Bedingungen vor dem Kriege nicht voll entsprach, beweist die durch Offiziere erfolgende Bearbeitung

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zahlreicher Fragen, die in der Privatindustrie durchweg und wohl mit gutem Grund nur eigentlichen Technikern überlassen zu werden pflegen: So wurden durch Offiziere, nicht durch technische Beamte folgende Dinge bearbeitet: I. In der Artillerieinspektion: Verwaltung und Verwertung der Abfälle und unbrauchbaren Gegenstände. Ausstattung der Institute mit Maschinen, Werkzeugen, Geräten, Fahrzeugen, Pferden; Fortschritte in der Technik, Versuche zur Verbesserung der Herstellungsverfahren und zum Schutz der Arbeiter. Untersuchung der Fabrikate, Fertigungs- und Abnahmevorschriften, Abnahmekommandos. Beschaffung der Werkstoffe, Halb- und Ganzfabrikate aus der Privatindustrie, Lieferungsbedingungen, Beschaffungen aus der Privatindustrie. Dienstreisen in Betriebsangelegenheiten. II. In der Infanterieinspektion: Angelegenheiten des Betriebs, Zeichnungen, Maßtafeln und Fabrikationsvorschriften. Leitung des Betriebes und der Verwaltung. Bauten, Festsetzung der Preise und Fabrikate. Festsetzung der Löhne. In der Dienstvorschrift für die Feldzeugmeisterei findet sich eine Anzahl von Bestimmungen, welche für die Erledigung technischer Angelegenheiten von besonderer Bedeutung sind. So war der Feldzeugmeister (Generalleutnant oder älterer Generalmajor mit der Disziplinar-Strafgewalt eines kommandierenden Generals) nur berechtigt zur Genehmigung zur Verausgabung fehlender Gegenstände bis zum Gesamtwerte von 1000 M, wenn die zuständige Intendantur keine Bedenken dagegen zu erheben hatte. Bei den Inspekteuren betrug die Summe nur 500 M. Wie schwer durch solch finanzielle Bindung das Arbeiten einer Behörde gemacht wurde, welche in der ganzen Heeresverwaltung vielleicht mit den größten Summen arbeitete, ist wohl einleuchtend. Solche Umstände und dazu vielleicht auch einzelne Abstriche des Reichstags am Etat der Heeresverwaltung, dürfen bei einem kritischen Urteil über den Stand der Technik in der Armee nicht vergessen werden. Jeweils am 1. August hatte der Feldzeugmeister u. a. zu berichten über „Verbesserungen und Fortschritte im Betriebe der Technischen Institute“. Daß diesem Punkt nicht in genügendem Umfange entsprochen worden ist, beweisen die grundlegenden technischen Änderungen und Neuorganisationen, die seit Kriegsbeginn geschaffen werden mußten (vgl. auch Abschnitt V). Die in der alten Feldzeugmeisterei bis zum Kriege befindliche Stelle eines höheren technischen Beamten (Betriebsdirektors II. Klasse bei der Zentralabteilung), dem unter anderem die Fortschritte der Technik zu bearbeiten oblag, hat ihren Zweck augenscheinlich nicht erfüllt. Wären in dieser Stelle durch Wahl einer hervorragenden technischen Kraft mit den nötigen Hilfsarbeitern und selbständigem und einflußreichem Wirkungskreis die in ihr liegenden Möglichkeiten ausgenutzt worden, so hätte sie sich längst zu einer zusammenfassenden Zentrale für Mitteilung, Vermittlung und Nutzbarmachung aller technischen Fortschritte und für richtiges, auch wirtschaftliches, Zusammenarbeiten der Technischen Institute entwickeln müssen.



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Dann wäre z. B. das Fabrikationsbureau Spandau schon Jahre vor dem Kriege, nicht erst Ende 1916, gegründet worden, denn man hätte dann längst schon mit der „Meisterwirtschaft“ in den Technischen Instituten aufgeräumt, hätte auch früher an die Mobilisierung der Industrie gedacht. Dann hätten bezüglich der Kraftversorgung in den Instituten niemals noch im Jahr 1917 die Worte geschrieben werden können: „Bei einer Verminderung der Erzeugungskosten von 0,05 auf 0,04 M für eine Kilowattstunde, die im Falle richtig ge t ro f f e n e r G e s a m t a n o rd n u nge n wohl möglich wäre, würde sich allein für Spandau und lediglich auf diesem einzigen Gebiete eine Ersparnis von rund 1 Mill. Mark im Jahre 1916 erzielen lassen.“ Es wären manche Beschaffungen überflüssig geworden, andere hätten sich vereinfachen oder zusammenfassen und entsprechend verbilligen lassen, wenn nicht jedes Institut auf eigene Faust, und zwar nicht einmal besonders glücklich — sondern unter zentraler Leitung nach einheitlichem Plane vorgegangen wäre. Dann hätte es sich auch vermeiden lassen, daß die Kraftanlagen der Institute in Bauart, Stromart, Spannung, Größe der Einheiten, Gesamtgröße der Anlagen usw. ein so buntscheckiges Bild darboten, wie es der Fall war. Im besonderen wäre es dann z. B. unmöglich gewesen, daß auf der einen Seite zahlreiche Elektromotoren billig verkauft und auf der anderen Seite ohne Kenntnis davon gleichartige Maschinen teuer beschafft wurden.

Ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß an diesen Zuständen der einzelne Chef, selbst in hoher Stellung persönlich nur einen manchmal kleinen Teil der Verantwortung trug. Denn die militärische Maschinerie arbeitete so starr und unerbittlich, daß der sich ihr kritisch entgegenstemmende Einzelne eher zermalmt wurde, als daß er Erfolg hatte. Selbst ein so hochstehender Geist und Charakter wie der Feldzeugmeister der ersten Kriegsjahre, Generalleutnant Franke, vermochte deshalb die ihm bekannt werdenden Mängel nur in beschränktem Umfang zu beseitigen. 2. Die Artillerieprüfungskommission. Über die Aufgaben der Artillerieprüfungskommission ist schon in Abschnitt I das Nötige gesagt worden. Hier soll an Hand ihrer Dienstvorschriften untersucht werden, in welcher Weise und von wem bei ihr technische Fragen bearbeitet wurden. Die Artillerieprüfungskommission hatte nicht nur alle Fragen der Konstruktion und Behandlung von Artilleriegerät und Munition sowie angebotene Erfindungen zu prüfen und zu begutachten, sondern auch Vervollkommnungen und Verbesserungen auf dem Gebiete des Artilleriewesens entsprechend den Fortschritten der Technik anzuregen. Außerdem sollten die Fortschritte der fremden Heere und der Privatindustrie auf artilleristischem Gebiet verfolgt werden. Neuzeitliche Feuerwaffen sind recht verwickelte Maschinen, außerdem sind die Werkstofffragen von größter Bedeutung geworden. Dazu kommen schwierige Entscheidungen bezüglich des Vorgehens und Erfolgs bei Instandsetzungsarbeiten. All diese Dinge erfordern eingehende Sachkenntnis, die sich heute nicht einmal jeder wissenschaftlich gebildete Maschineningenieur zuschreiben kann. Die Fähigkeit zu erkennen, auf welchen Gebieten technische Fortschritte, Vervollkommnungen und Verbesserungen möglich, nicht nur, wo sie bereits eingetreten sind, ist nur dem wissenschaftlich gebildeten Spezialingenieur gegeben. Die Offiziere der Artillerieprüfungskommission konnten sie nach ihrer Vorbildung nicht besitzen und die Möglich-

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keit zu systematischer umfassender Weiterbildung hatten sie nur in sehr beschränktem Umfang. Aus denselben Gründen konnten sie sich auch auf den Gebieten der Materialuntersuchung und der Wahrung der Heeresinteressen in Patent- usw. Angelegenheiten mit Spezialingenieuren nicht messen. Nach den Bestimmungen hatte der Vorstand der Kommission darauf zu achten, daß Konstruktionsverschiedenheiten des Geräts und der Munition soweit möglich vermieden wurden. Hieran hat es sehr gefehlt. Der Krieg hat bewiesen, wie so manche mögliche Vereinfachung und Vereinheitlichung auf artilleristischem Gebiet nicht durchgeführt worden war, einmal weil man da alle Rücksichten auf Massenfertigung hinter den einzigen Gesichtspunkt geringsten Gewichts setzte, andrerseits aber auch wegen des Gegensatzes zwischen Feld- und Fußartillerie innerhalb der Artillerieprüfungskommission selbst. Um nur einige Beispiele zu nennen, sei erwähnt, daß Feld- und Fußartillerie zwei verschiedene Scherenfernrohre mit verschiedener Maßeintellung eingeführt hatten. Die beiden Artillerien und die Verkehrstruppen hatten drei verschiedene Fernsprechgeräte. Selbst die Kabel der Feld- und Fußartillerie waren verschieden. Das ganze Richtverfahren der Feldartillerie soll hinter dem der Fußartillerie zurückgestanden haben. Dabei hatten Fuß- und Feldartillerieabteilung der Artillerieprüfungskommission denselben Präses und saßen in demselben Gebäude. Durchaus unzeitgemäß war die Bestimmung, daß die Feuerwerksoffiziere, d. h. aus dem Unteroffiziersstand hervorgegangene Offiziere, bei Fragen, die das Gerät und die Munition betreffen, als „technische Sachverständige“ mitwirkten. Hierzu gehört Verständnis auf Grund wissenschaftlicher Schulung. Bezüglich der Zeichnungen war nur gesagt, daß sie übersichtlich und mit den erforderlichen Erläuterungen versehen sein müßten. Die der Industrie zu Anfang des Krieges übergegebenen Zeichnungen haben aber den heutigen Anforderungen vielfach nicht entsprochen, weil sie vor allen Dingen nicht für Werkstätten mit Massenherstellung geeignet waren. Derartige Zeichnungen kann nur ein mit den Herstellungseinzelheiten genau vertrauter Ingenieur anfertigen. Die Technischen Institute der Artillerie waren zur sachlichen Mitwirkung bei Lösung der Aufgaben der Artillerieprüfungskommission verpflichtet, letztere aber war ihrerseits nicht genötigt, die Technischen Institute heranzuziehen. Es fehlte also die gemeinsame Arbeit und die Sicherheit, daß von vornherein und unter allen Umständen die Kenntnisse der technischen Institute nutzbar gemacht wurden. Dasselbe galt bezüglich der Artillerie-Konstruktionsbureaus, dem die von Privatfirmen eingereichten Entwürfe und Zeichnungen „nach Ermessen der Artillerieprüfungskommission“ zur Mitprüfung übergeben werden konnten. Hier scheint zunächst der technische Einfluß genügend gewahrt zu sein. Angeblich wurden jedoch in Wirklichkeit nur Einzelheiten zur Mitprüfung abgegeben, bei manchen Geschützen soll dies nur in wenigen Fällen, und dann so kurze Zeit vor ihrer Einführung der Fall gewesen sein, daß keine Zeit zur Durchsicht vorhanden war oder vorgeschlagene



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Änderungen mit der Entgegnung abgetan werden mußten, daß dazu neue Versuche notwendig seien, für welche aber die Zeit nicht reiche. Eine weitere Bestimmung, wonach Änderungen an eingeführtem Gerät und der Munition grundsätzlich nur dann beantragt werden durften, wenn sie zur Herstellung ausreichender Kriegsbrauchbarkeit unerläßlich waren, vereitelte von vornherein jeden Versuch einer erleichterten oder billigeren Massenanfertigung bei gleicher Kriegsbrauchbarkeit. Bezüglich der Durchführung von Versuchen, welche von den Referenten, d. h. von Offizieren, geleitet wurden, war das Eingreifen von Ingenieuren nach den Bestimmungen ausgeschlossen. Die Entscheidung der Frage, ob die Fortsetzung von Versuchen noch Nutzen versprach, war lediglich dem Offizier anheimgestellt. Diese Anordnung der Versuche lediglich auf Grund der Wünsche der Referenten hatte auch noch das Bedenken, daß die Versuche vorwiegend für Sonderzwecke gemacht wurden und Versuche, durch die allgemeine Ergebnisse hätten gezeitigt werden können, unterblieben. 3. Die Gewehrprüfungskommission. Nach der vorhergehenden Besprechung der Artillerieprüfungskommission kann ich mich bezüglich der Gewehrprüfungskommission kürzer fassen. Auch ihre Aufgaben sind in Hauptabschnitt I kurz genannt. Dazu mußte sie u. a. durch Überwachung der Literatur die Fortschritte fremder Armeen und der Privatindustrie eingehend verfolgen. Von technischen Kräften befand sich in der Gewehrprüfungskommission „ein technischer Beamter“, welcher die Waffenmeistereiwerkstätten überwachte und „bei Begutachtung von Konstruktionsvorschlägen als technischer Sachverständiger“ mitwirkte. Es handelte sich hierbei jedoch nicht um einen auf der Hochschule gebildeten Ingenieur, sondern um einen mittleren Beamten im Zahlmeisterrang. Die Referenten bearbeiteten die ihnen überwiesenen besonderen Aufträge und führten die Versuche aus, in welchen ihnen, wie im allgemeinen, möglichste Freiheit gelassen werden sollte. Der erste Feuerwerksoffizier verwaltete das Laboratorium. „Er wirkte bei Begutachtung von die Munition betreffenden Vorschlägen oder Erfindungen als technischer Sachverständiger mit.“ Die nötige Freiheit rückhaltloser Meinungsäußerungen, auch bei Abstimmungen, war durch eine besondere Bestimmung der Dienstvorschrift ausdrücklich gewährleistet. Zur Beantwortung wissenschaftlicher Fragen trat die Gewehrprüfungskommission zunächst mit dem Militärversuchsamt in Verbindung. Der Vorstand war aber ermächtigt, auch andere Fachmänner des Zivilstandes oder die Fachgelehrten der Militär-Technischen Akademie selbständig heranzuziehen. 4. Das Infanterie-Konstruktionsbureau und das Artillerie-Konstruktionsbureau. a) Das Infanterie-Konstruktionsbureau unterstand der Feldzeugmeisterei.

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Seine Aufgabe bestand im allgemeinen in der Bearbeitung konstruktiver Angelegenheiten auf dem Gebiete des Handwaffen-, Munitions- und Fahrgerätewesens, sowie des Maschinengewehrgeräts und in der Bearbeitung technischer Gutachten, der Beurteilung von Patentangelegenheiten usw. Der Direktor war außerordentliches Mitglied der Gewehrprüfungs-Kommission. Der Betriebsleiter (Konstrukteur 2. Klasse) erledigte die technischen Aufträge, stellte die Konstruktionsentwürfe, Arbeitszeichnungen, Konstruktionszeichnungen usw. auf, leitete die in seinen Geschäftsbereich fallenden Versuche und überwachte die Ausführung der Modelle, Muster- und Versuchsstücke. b) Das Artillerie-Konstruktionsbureau zählte zu den Technischen Instituten der Artillerie und unterstand der Feldzeugmeisterei. Seine Aufgaben waren bezüglich der Geschützrohre, Lafetten, Protzen, Fahrzeuge, Geschützezubehör, Geschirr- und Stallsachen dieselben wie die des Infanterie-Konstruktionsbureaus, dagegen hatte es mit der Munition nichts zu tun. Unter dem Direktor stand ein Verwaltungsdirektor und ein Chefkonstrukteur. Der Chefkonstrukteur hatte den Rang eines Betriebsdirektors I. Klasse. Er gab die Grundzüge für die Durchführung aller wichtigen konstruktiven Aufträge und verfolgte deren Ausführung. Zu wichtigen technischen Beratungen und Versuchen war er heranzuziehen. Auch die Konstrukteure I. und II. Klasse nahmen an wichtigen technischen Beratungen teil. 5. Das Militär-Versuchsamt . Das Militär-Versuchsamt war der Feldzeugmeisterei unterstellt und hatte den Zweck, durch wissenschaftliche Untersuchungen und Versuche auf chemischem, physikalischem, mechanisch-technischem Gebiet an der Vervollkommnung des Heeresgeräts mitzuwirken. Sein Arbeitsgebiet umfaßte im besonderen an chemischen Fragen: Schieß-, Spreng- und Zündmittel, Rostschutz- und Schmiermittel, an physikalischen Fragen: die innere und äußere Ballistik, an mechanisch-technischen Fragen: das Materialwesen (Metalle und Metalllegierungen). Es hatte aus eigener Veranlassung wichtige Fragen der Heeresverwaltung, soweit sie in sein Gebiet fielen, zu bearbeiten. Unmittelbare Aufträge konnten ihm erteilen das Kriegsministerium, die Feldzeugmeisterei, die Artillerieprüfungskommission und die Gewehrprüfungskommission. 6. Die übrigen Technischen Institute. Das Personal zur Leitung der Technischen Institute setzte sich zusammen aus Offizieren und höheren technischen Beamten. An der Spitze jedes Instituts stand ein Offizier als Direktor. Jedes Institut zerfiel in zwei Abteilungen, die Verwaltung und den Betrieb. Die Verwaltung leitete ein Offizier, den Betrieb ein höherer technischer Beamter. Der Direktor des Technischen Instituts hatte unter anderem zu sorgen: „für eine möglichst vollkommene rechtzeitige und wirtschaftliche Lösung aller ... zufallenden Aufgaben“ und „für eine zweckentsprechende Benutzung und gute Erhaltung der Betriebseinrichtungen und Gebäude“.



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„Er ist verpflichtet, auf Antrag des Verwaltungs- oder des Betriebsdirektors (Betriebsleiters) deren Bedenken gegen seine Entscheidungen und Anordnungen zur Kenntnis der Feldzeugmeisterei zu bringen und seinem Bericht den schriftlich begründeten Antrag beizufügen“, aber: „Der Vollzug der Entscheidungen und Anordnungen des Direktors wird dadurch nicht aufgehalten.“ Der Verwaltungsdirektor war Referent des Direktors. Zu seinem Geschäftsbereich gehörten unter anderem das Untersuchungs- und Abnahmegeschäft; der Verwaltungsdirektor war Vorsitzender der Abnahmekommission und leitete das Beschaffungs- und Rechnungswesen, die Beurteilung der Bauangelegenheiten, das chemische Verwaltungslaboratorium. Der Betriebsdirektor war ebenfalls Referent des Direktors. Er leitete den gesamten technischen Betrieb des Technischen Instituts nach der hier maßgebenden Dienstordnung und verteilte die Geschäfte auf die Betriebe, sorgte für die rechtzeitige Inangriffnahme und Vollendung der seinem Geschäftsbereich zufallenden Arbeiten, für die kriegsbrauchbare Beschaffenheit der Fabrikate und der dazu verwendeten Materialien. Von höheren technischen Beamten sind noch zu nennen: beim Artilleriekonstruktionsbureau der Chefkonstrukteur, die Konstrukteure und Betriebsleiter, beim Militär-Versuchsamt der Direktor, die Abteilungsvorstände und die wissenschaftlichen Mitglieder. Dazu kam noch eine größere Anzahl mittlerer technischer Beamten. In folgendem sollen nun eine Reihe von Punkten besprochen werden, welche für das einwandfreie und glatte Arbeiten der Technischen Institute von besonderer Bedeutung waren. a) Abnahmekommission. Für den ganzen Betrieb der technischen Institute war besonders wichtig die Tätigkeit und Stellung der Abnahmekommission. Die Abnahmen erstreckten sich: 1. auf die in der Privatindustrie hergestellten Waffen und Geräte, 2. auf die im eigenen Institut erzeugten Gegenstände, 3. auf die Rohstoffe und Fabrikate, die in den Instituten weiter verarbeitet werden sollten. Dazu hatte die Abnahmekommission Gutachten über die Brauchbarkeit der in den Beständen befindlichen Gegenstände und auf Anforderung des Direktors auch technische Gutachten abzugeben. Der Abnahmekommission gehörte der Betriebsdirektor überhaupt nicht an, hatte also persönlich keinerlei Einfluß auf ihre Tätigkeit und auf die Beurteilung der angelieferten Rohstoffe und Halbfabrikate, obwohl er derjenige war, der sie verantwortlich weiter verwenden sollte. Das Urteil über die unter seiner Leitung gefertigten Fabrikate wurde letzten Endes durch Offiziere und Zeugoffiziere gefällt. Hierbei fiel naturgemäß die Hauptarbeit den Zeugoffizieren zu. Ihnen war der höhere Beamte auf diese Weise in die Hand gegeben, wenn er die von ihm gefertigten Teile abgenommen haben wollte. Man kann ermessen, welche Stimmung hierdurch bei den höheren Beamten aufkommen konnte.

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Auch die Abnahme der in der Privatindustrie hergestellten Waffen und Geräte erfolgte unter gänzlichem Ausschluß der höheren technischen Beamten, sie waren daher nicht in der Lage, dabei Erfahrungen aus der Privatindustrie aufzunehmen. b) Chemisches Laboratorium. Nur da, wo die chemischen Laboratorien in Verwaltungslaboratorien und Betriebslaboratorien getrennt waren, unterstanden die Chemiker der Betriebslaboratorien dem Betriebsdirektor, sonst dem Verwaltungsdirektor. Selbst während des Krieges blieb die „Chemische Untersuchungsstelle“ mit der „Betriebsanalyse“ bei der Geschützgießerei Spandau der Verwaltungsabteilung unterstellt. Ähnlich scheinen die Verhältnisse bei der Pulverfabrik Plaue gewesen zu sein. c) Beschaffungen, eine Verwaltungsangelegenheit . Wie schon der Abgeordnete Erzberger 1913 in der Rüstungskommission ausgeführt hat, konnte der Betriebsdirektor, d. h. ein Beamter mit dem Rang der Räte 3. Klasse, „ohne Genehmigung der aus Offizieren bestehenden Verwaltungsabteilung notwendiges Material nicht einmal im Betrage von 50 Pfennig selbständig beschaffen“. Man mache sich dies ganz klar: Er durfte keinen Hammer, keine Zange, kein Stück Werkzeugstahl, kurz, nichts ohne Erlaubnis der Offiziere und der aus dem Unteroffizierstand hervorgegangenen praktisch ausschlaggebenden Zeugoffiziere beschaffen. Denn es „obliegt ihm nur die rechtzeitige und vollständige Anmeldung aller erforderlichen Beschaffungen“. Sache des Verwaltungsdirektors war die Beschaffung. Ja die Verwaltungsabteilung, d. h. also Offiziere und Zeugoffiziere waren sogar verantwortlich für die Notwendigkeit (!) aller Bestellungen. Sie brauchten hierbei die Ansicht der höheren Beamten weder einzuholen noch zu berücksichtigen. Waffen und Heeresgerät aus der Privatindustrie wurden ausschließlich von Offizieren und Zeugoffizieren beschafft. Eine besonders leidige Angelegenheit scheint nach Äußerungen in den Tätigkeitsberichten die Langwierigkeit der Beschaffungsanträge gewesen zu sein. d) Baufragen. Dem Verwaltungsdirektor unterstand auch die Bearbeitung der Bauangelegenheiten einschließlich der Wohnungsfürsorge. Hierfür waren ihm ein Bauoffizier mit einem Bausekretär unterstellt. e) Zu den Obliegenheiten des Verwaltungsdirektors gehört „die Bearbeitung der Mobilmachungsangelegenheiten“. Unter den Pflichten des Betriebsdirektors fehlte ein Hinweis auf die Mobilmachungsfragen und damit die formelle Verpflichtung, sich dauernd und eingehend mit der rechtzeitigen Vorbereitung der Umstellungen und Erweiterungen seines Betriebes im Kriegsfalle zu beschäftigen; es fehlte damit auch der Auftrag zum dauernden Fühlunghalten mit der Privatindustrie zur Feststellung ihrer besonderen Eignung und Leistungsfähigkeit für den Fall der Erteilung großer Kriegsaufträge. Diese sog. „industrielle Mobilmachung im Frieden“ hat bekanntlich vollständig gefehlt. Dies wäre aber wenigstens in dem tatsächlichen Umfange nicht möglich gewesen, wenn Betriebsdirektoren und Leiter, wie es eigentlich selbstverständlich sein sollte, persönlich und durch ihre Hilfskräfte jederzeit die Möglichkeit gehabt hätten, sich über die Fortschritte der Massenfabrikation und der Betriebsorga-



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nisation in der Privatindustrie auf der Höhe zu halten. Dieser Mangel wurde tatsächlich empfunden; in einem Bericht findet sich die ausdrückliche Klage, diese dauernde Fühlungnahme — eine gelegentliche Studienreise kann sie nicht ersetzen — sei dem Betriebsdirektor nicht möglich gewesen. Die höheren technischen Beamten hatten mit der eigentlichen Waffentechnik und ihrer Weiterbildung nichts zu tun, sie hatten auch keine Gelegenheit, sich theoretisch auf diesem Gebiete weiterzubilden. Sie waren von der Konstruktion, der Abnahme, der Beobachtung der Waffen im Gebrauch vollständig ausgeschlossen. Auf dem Gebiete des Maschinenbaues, der Materialkunde, der Fabrikorganisation, der Arbeiterfürsorge gab es keine Fortbildungskurse, keine Zusammenkünfte zum Austausch von Erfahrungen, keine Preisarbeiten und Reisestipendien. Im Frieden waren Dienstreisen so gut wie gänzlich ausgeschlossen. Die Instandsetz u ngswe r k s t ä t te n unterstanden ausschließlich Offizieren und mittleren Beamten. Es soll während des Krieges nicht ein höherer technischer Beamter aus den Gewehr- und Munitionsfabriken kommandiert worden sein, um seine Kenntnisse hinter der Front zu verwerten oder Felderfahrungen zu sammeln. Alle waffentechnischen, ballistischen und ähnlichen Aufgaben der Institute wurden den Offizieren und den mittleren Beamten zur Erledigung übertragen. Die Vertretung der Institute erfolgte grundsätzlich durch Offiziere, im günstigsten Falle durch einen Offizier und einen höheren Beamten. In der Rangliste des Heeres waren die höheren technischen Beamten im Gegensatz zu den höheren Militär- und Zivilbeamten nicht zu finden. Die höheren technischen Beamten hatten keine Vertretung bei den Inspektionen. Alle Eingaben wurden von Offizieren und Zeugoffizieren geprüft. Die Anträge, welche technische Organisationen im Kriegsministerium stellten, um die Lage der höheren Beamten zu bessern, waren ergebnislos. Unter solchen Verhältnissen war es nicht zu verwundern, daß unter den höheren Beamten der Technischen Institute allgemeine Verärgerung und Arbeitsmüdigkeit herrschte und man schon vor dem Kriege nur sehr schwer Diplomingenieure erhielt. Zu dieser Frage schrieb die Geschoßfabrik Spandau: ganz allgemein habe sich im Laufe des Krieges der Mangel an eingearbeiteten und erfahrenen Hütteningenieuren ergeben, zur Vergebung von Geschossen, für den Übergang zu neuen Stahlsorten, zur Unterweisung von Firmen, zu Versuchen, zur Kontrolle und Besprechung mit Fachvereinen. „Viele Privatwerke würden lieber und schnell geliefert haben, wenn ihnen die nötige und sachverständige Unterweisung während der Fabrikation zuteil geworden wäre.“ Dabei sollen z. B. bei der Artilleriewerkstatt Spandau während des Krieges überhaupt keine Offiziere tätig gewesen sein, welche die militärtechnische Akademie besucht hatten. Die ganzen vorstehenden Ausführungen beweisen schlagend, daß die Bestimmungen für die Technischen Institute durchweg den Erfolg hatten, die Stellung des Offiziers aus Kosten des höheren Beamten, das heißt des Ingenieurs, zu heben. Ich kann mir nicht denken, daß in irgendeinem andern Beruf, in irgendeiner andern Heeresverwaltung Fachleute mit akademischer Bildung zugunsten ihnen an sachlichem Wissen und Können nicht gleichkommender Personen so systematisch an der Einnahme der ihrer tatsächlichen Leistungen entsprechenden Stellung verhindert werden. Man stelle sich einmal vor, wie die Allgemeinheit es auffassen würde, wenn in die einem Heere tätigen Ärzte in ihren beruflichen Maßnahmen auf Schritt und Tritt von Offizieren kontrolliert würden und sich die Offiziere zu dieser Kontrolle der Hilfe von aus dem Unteroffizierstand hervorgegangenen Heilgehilfen bedienten. Genau so war bei uns der Zustand gegenüber den höheren technischen Beamten. Auf Schritt und Tritt war ihre Selbständigkeit beschränkt durch an technischem Können nicht ebenbürtige Offiziere, für die aus dem Unteroffizierstand hervorgegangene Hilfskräfte und Sekretäre einen Teil der Arbeit machten. So war also der „Routinier“ in Wirklichkeit die Kontrollinstanz des wissenschaftlich gebildeten Ingenieurs.

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 Die Technik in der Heeresverwaltung bis zum Kriege

Eine Organisation, bei der dem Betriebsleiter so gut wie gar keine Freiheit mehr gelassen wurde, bei der der Verwaltungsmann sogar über die No t we n d igke i t seiner Beschaffungsanträge entschied, mußte jeden tüchtigen Ingenieur mit energischem Wollen abschrecken. Eine hervorragende Kraft hält es unter solchen Verhältnissen nicht lange aus. Die Ausbildung der Offiziere in militärtechnischen Fächern konnte evtl. genügen, wenn sich ihre Tätigkeit in den technischen Instituten im wesentlichen auf Verwaltungsangelegenheiten beschränkt hätte, sie war aber durchaus ungenügend, um selbständig wichtige technische Anordnungen in einem Betriebe für Massenfabrikation zu treffen. Für die nach den Bestimmungen vorgesehenen dauernden Eingriffe der Verwaltung in rein technische, raschem Wechsel unterliegende Verhältnisse und Fragen hatten die technischen Offiziere nicht die nötige Vorbildung und auch keine Gelegenheit, sie auf Grund ihrer späteren Beschäftigung — selbst nach dem Besuch der Akademie — mehr als oberflächlich zu erwerben. Dieses oberflächliche Wissen mußte gegenüber den gründlichen Kenntnissen, die ein tüchtiger Betriebsfachmann braucht, für den verantwortungsbewußten Offizier beengend sein, niederdrückend aber für den Fachmann, dem gegenüber dieses Halbwissen zur Anwendung gebracht werden sollte. Die ungenügenden Fachkenntnisse, welche die technischen Offiziere trotz zeitweiliger Kommandierung als Betriebsleiter für die ihnen tatsächlich mitüberwiesenen rein technischen Aufgaben mitbrachten, mußten ein Überwuchern von Schematismus und Bureaukratismus zur Folge haben. Damit steht in innerem Zusammenhang der viel gerügte Mangel an Verantwortungsfreudigkeit bei allen Stellen, wo das Formale eine entscheidende Rolle spielt. Bedeutsame technische Leistungen kann man nur erwarten von arbeitsfreudigen, mit genügender Selbständigkeit schaffenden Menschen. Bei der neueren, auf allen Gebieten durchgeführten Arbeitsteilung ist es unmöglich, daß der Gebraucher eines Gegenstandes zugleich sämtliche Kenntnisse besitzt, die zu seiner Anfertigung gehören, sowenig wie der Eisenbahnbetriebsfachmann in der Lage ist, eine Lokomotive zu konstruieren, sondern nur anzugeben hat, welche Betriebsbedingungen (Adhäsionsgewicht, Zugkraft usw.) sie erfüllen muß. Das übrige hat er dem spezialistisch gebildeten Maschineningenieur zu überlassen. Ebensowenig kann der Artillerist oder Infanterist die vielfachen Kenntnisse besitzen, die zur technisch einwandfreien Herstellung eines heutigen Geschützes, Gewehrs oder Maschinengewehrs nötig sind. Sache des Offiziers wäre es daher gewesen, die taktischen Forderungen aufzustellen und die nötigen Hinweise auf die praktischen Erfahrungen zu geben, Sache der Ingenieure zu konstruieren und zu fabrizieren.

Der Krieg hat auf der ganzen Linie ein Hereinbringen des Ingenieurs in früher dem Offizier vorbehaltene Gebiete gebracht (s. u. Abschnitt V). Dies war eine natürliche Entwicklung, der nur zum Schaden der Sache entgegengearbeitet werden konnte. Ich glaube die vorstehend behandelten Mängel bei den heerestechnischen Beständen und Betrieben finden sich auch bei heutigen zivilen Ämtern. Sie entstehen aus dem Kampf der Bureaukratie der Verwaltung, gegen den Fachmann, sei er nun Wirtschaftler oder Techniker. Es wird in Zukunft bei etwaigen Staatsbetrieben ganz allgemein notwendig sein, daß die Staatsverwaltung allen technisch-wirtschaftlichen Fragen speziell bei denjenigen der Materialauswahl und der für die Massenfabrikation in Betracht kommenden konstruktiven Durchbildung mehr als manchmal bisher dauernde eingehende Fühlung mit den Sachverständigen der Wissenschaft und Industrie hält, um jederzeit im Besitz der jüngsten Fortschritte zu sein.



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Kapitel 3 Fertigung und Verwaltung § 6 Herstellungskosten in den technischen Instituten und in der Privatindustrie Nach der Dienstvorschrift für die Feldzeugmeisterei hatte der Feldzeugmeister jedes Jahr in einem Geschäftsbericht unter anderem zu geben: einen „Vergleich der Preise der technischen Institute mit denen der Privatindustrie“. Der für einen Gegenstand zu zahlende Preis setzte sich nach der Dienstordnung für die Technischen Institute (787) zusammen aus: a) Dem Materialaufwand, d. h. dem Wert der zur Herstellung verbrauchten Stoffe, abzüglich des Wertes der entstandenen Abfälle, welcher im allgemeinen nach den Einkaufs- und letzten Verkaufspreisen in Ansatz gebracht wird. b) Dem Arbeitslohne, der mit dem wirklich bezahlten Betrage eingesetzt wird. c) Dem Zuschlag zum Arbeitslohne, zur Deckung der allgemeinen Unkosten und der etwaigen besonderen Unkosten (er betrug 1903 zwischen 30 und 130% des Herstellungspreises). Ein zutreffender Vergleich zwischen den Preisen für Fabrikate der Technischen Institute und der Privatindustrie ist natürlich nur möglich, wenn die Kostenermittlung in beiden Fällen dieselbe ist. Demnach lautet die hier zu stellende Vorfrage: Aus welchen Einzelposten setzt sich bei der Privatindustrie die Ermittlung der Selbstkosten zusammen? Indem ich hier auf das in § 53 Gesagte hinweise, beschränke ich mich hier auf die Feststellung, daß der größte und entscheidende Unterschied zwischen der Selbstkostenberechnung bei den technischen Instituten und in der Privatindustrie bestehen mußte zwischen dem Begriff „allgemeine Unkosten“ der technischen Institute einerseits und der Summe der in der Privatindustrie maßgebenden „allgemeinen Betriebskosten“ und „Generalunkosten“ andererseits. In den „allgemeinen Unkosten“ der Technischen Institute fehlte Verzinsung des Anlagekapitals, Abschreibung, Tilgung von Obligationsschulden, es fehlten die oft sehr erheblichen Kosten der Reklame, der Akquisition, der Reisenden und Vertretungen, der Bücherrevisionen, des Entgelts für Abgabe von Erfindungen usw., der Zinsverluste durch ungünstige Zahlungsbedingungen, welche jede Privatfirma zu tragen hat. Der ausschlaggebende Unterschied zwischen der Selbstkostenberechnung der technischen Institute und von Privatfirmen bestand aber darin, daß die ersteren die eigentliche Vorkalkulation der Privatindustrie überhaupt nicht kannten. Es gab nur eine Nachprüfung der Preise, nicht eine Nachkalkulation. In der Privatindustrie werden die Preise in erster Linie durch die Notwendigkeit bestimmt, im Wettbewerb mit anderen Firmen Sieger zu bleiben. Die Kalkulation

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dient hier also zur Prüfung der Möglichkeit, zu den Marktpreisen zu verkaufen und weiter zur Ermittlung gegenüber der Konkurrenz etwa noch erzielbarer Ersparnisse. Sie kommt also als Vorkalkulation vor, als Nachkalkulation nach der Ausführung eines Erzeugnisses. Nach Vorstehendem ist zwischen den Gesichtspunkten, nach welchen die Technischen Institute bzw. die Privatfirmen zu ihrer Preisbestimmung kamen, ein grundsätzlicher, nicht auszugleichender Unterschied. Dazu kommt, daß die Technischen Institute nicht die vielfachen und verfeinerten Meßeinrichtungen und Metho den zur Kontrolle des Dampf- usw. Verbrauchs besaßen, wie manche große Privatfirmen. Hierauf ist schon in der Rüstungskommission 1913 hingewiesen worden. Die notwendige Folge all dieser Unterschiede ist, daß sich nicht einmal angeben läßt, um welchen Betrag sich etwa die „allgemeinen Unkosten“ der Technischen Institute unterschieden von der Summe der allgemeinen Betriebskosten plus Generalunkosten der Privatindustrie. Aus vorstehendem ergibt sich also, daß der für den Jahresbericht der Feldzeugmeisters verlangte Vergleich der Preise für Fabrikate der technischen Institute mit denen der Privatindustrie überhaupt nicht zu führen war; die in den Berichten etwa gegebenen Zahlen konnten gar nicht stimmen. In vollkommener Übereinstimmung mit vorstehendem hat die im Jahre 1913 tätig gewesene Rüstungskommission nach sehr sorgfältigen Verhandlungen festgestellt, daß zwischen der Kalkulation in der Privatindustrie und der nachträglichen Berechnung der Fabrikatkosten bei den Technischen Instituten ein grundlegender Unterschied sei, indem die sog. „Generalunkosten“ in beiden Begriffsformen ganz verschieden gerechnet werden, so daß die Kommission die Frage, wer billiger arbeite, die staatlichen Institute oder die Privatindustrie, nicht zu beantworten wagte. Die Frage ist auch gar nicht zu beantworten, da man ganz ungleiche Dinge nicht vergleichen kann. Hiernach ist die mehrfach aufgestellte Behauptung, bestimmte Dinge hätten sich in den militärischen Betrieben billiger herstellen lassen, als in privaten, nicht zu beweisen.

§ 7 Arbeitsrichtung in den Technischen Instituten Geht man den Unterschieden zwischen den Technischen Instituten und der Privatindustrie weiter nach, so findet man als ursprünglichen Gegensatz eine in beiden Fällen grundverschiedene Arbeitstendenz. Die Technischen Institute arbeiteten nicht für den Absatz und nicht gegen Wettbewerb. Kaufmännische Gesichtspunkte waren also bei ihnen zunächst nicht maßgebend. Deshalb fehlte aber auch der in jedem Privatunternehmen unerläßliche dringende Antrieb zu fortgesetzter wirtschaftlichster Ausnützung aller Möglichkeiten.



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Bei den staatlichen Werkstätten war die Kalkulation eine nach der Ausführung angestellte Berechnung der entstandenen Selbstkosten 1. zur Ermöglichung einer ungefähren Nachprüfung der Preise der Privatindustrie, 2. um die Preise auf die einzelnen Haushaltsplantitel richtig zu verteilen, 3. um bei Abgabe von Fabrikaten an nicht preußische Kontingente richtige Preise in Anrechnung bringen zu können. Nirgends hatte aber hier die Kalkulation dieselbe Bedeutung wie in der Privatindustrie, denn nirgends machten sich bei den technischen Instituten Kalkulationsfehler ohne weiteres durch entsprechende Verluste bemerkbar, wie dort. Alle diese Anreize zu billigster Arbeitsweise fehlten den Technischen Instituten. Die Ausnützung und schonende Erhaltung der Anlagen wurde nicht durch irgendein Geschäftsinteresse gefördert, sondern beruhte abgesehen von der Gewissenhaftigkeit der Beamten nur auf der Umständlichkeit, mit der die Genehmigung von Neu- und Ersatzbauten verbunden war. Die Technischen Institute unterschieden sich aber in ihrer Stellung auch wesentlich von anderen Staats- und Gemeindebetrieben. Diese werden heute — abgesehen von sozialpolitischen Gründen und Konzessionen — soweit möglich als Überschußbetriebe, d. h. als Betriebe aufgefaßt und geleitet, welche verdienen und dadurch zur Ausgleichung des gesamten Haushaltplanes beitragen sollen. Im Gegensatz hierzu waren die Technischen Institute reine Zuschußbetriebe. Sie verdienten nichts, sie konnten nicht wie andere Betriebe abgenutzte und entwertete Anlageteile aus Betriebsüberschüssen erneuern. Jede Kleinigkeit mußte langwierig genehmigt werden: einer der wichtigsten Gründe für ihre Rückständigkeit bei Kriegsbeginn. Die Form der staatlichen Rechnungslegung an Hand des Haushaltplans hat sicher dazu beigetragen, daß vielerorts die unbewußte Auffassung entstand, als genüge es, wenn irgendeine Staatsstelle nicht mehr verbrauche, als durch den Plan genehmigt sei. Infolge dieser Ansicht findet sich auch die Behauptung, der Fiskus brauche lediglich für Zwecke der Rechnungslegung keine so genaue Bestimmung der Herstellungskosten, bei ihm seien weitere Fehlergrenzen zulässig wie bei der Privatindustrie. Diese Anschauungsweise enthob staatliche und städtische Behörden der Notwendigkeit, genaue Selbstkostenberechnungen vorzunehmen, so daß es beispielsweise in Preußen nicht möglich war, „eine annähernd genaue Rechnung für die Kosten des Personen- und Güterverkehrs herzustellen“1. Die eben geschilderte Auffassung ist heute glücklicherweise im Rückgang begriffen. Trennt man nämlich die Betriebe in Überschuß- und Zuschußbetriebe, so gilt heute der Grundsatz: Überschußbetriebe bedürfen als wirtschaftliche Betriebe kaufmännischer Rechnungslegung mit ihren genauen Nachprüfungen, Zuschußbetriebe

1 Breitenbach, Abgeordnetenhaus 1910, zitiert bei Marcus, Etat und Bilanz. S. 40. Berlin 1912.

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erfordern eben wegen der Notwendigkeit von Zuschüssen sparsamstes Wirtschaften, auf Grund genauester Nachprüfung und Feststellung aller Einzelaufwendungen. Diese Anschauung ist durch unsere heutigen Finanzverhältnisse zu einer unbedingt gebietenden Forderung geworden. Man kann sich auch in Staatsbetrieben nicht mehr begnügen, mit der in den Haushaltplänen gegebenen Nachweisung der Einnahmen und Ausgaben, sondern man wird den Einzelaufbau der Ausgaben brauchen, um ein genaues Bild zu erhalten, nicht nur von den Gesamtkosten der ganzen Betriebe, sondern vor allem von den genauen Einzelaufwendungen für ihre Teile. Nur solche stete Genauigkeit der Einzeluntersuchung ermöglicht in der heutigen Zeit ausgeklügelter Wirtschaftlichkeit einen weiteren Fortschritt. Nur auf solcher Grundlage kommt man zu brauchbaren Unterlagen für die Höhe der Abschreibungen und der wichtigen Generalunkosten und damit der tatsächlichen Selbstkosten jeden Fabrikats, von denen die Wirtschaftlichkeit eines Betriebs in der Hauptsache abhängt.

§ 8 Militärisches Verwaltungs- und Kontrollwesen Daß die vorstehend gekennzeichneten Möglichkeiten, richtig durchgeführt, für jeden Staatsbetrieb von Vorteil und darum nötig waren, ist wohl einleuchtend, und manche erfahrenen Angehörigen der Armee teilten diese Überzeugung schon während des Kriegs. Aber gerade in diesen Kreisen herrschte vielfach die resignierte Anschauung: „Mögen wir auch irgendwo kaufmännische Betriebe einrichten; wenn nach dem Kriege wieder die Rechnungsräte darüber kommen, ist bald alles wieder beim alten.“ Das war es eben: in dem unendlich schwerfälligen, schreibwütigen militärischen Schreib- und Rechnungswesen liegt die schlimmste Gefahr für jeden Fortschritt in der Richtung kaufmännischer Geschäftsführung. Man muß selbst bei einer „Nachgeordneten“ Behörde Dienst getan haben — bei den Oberbehörden merkt man davon wenig oder nichts — um eine Vorstellung zu bekommen, wie es recht eigentlich die Kassen- und ähnliche Verwaltungen waren, die durch ihre Formalitäten den ganzen militärischen Fertigungs- und Beschaffungsbetrieb beherrschten. Der Druck in formeller Beziehung, der von oben kommt und maßvoll ausgeübt, durchaus berechtigt ist, verwandelt sich, je weiter er sich nach unten fortsetzt, um so mehr in ein Herumreiten auf Kleinigkeiten und Kleinlichkeiten. So kommt es, daß der Unterbeamte eine tatsächliche Macht darstellt, und, was schlimmer ist, auch das Bewußtsein dieser Macht hat. So kommt es aber auch, daß an Stelle der berechtigten sachlichen Prüfung vielfach rein formalistische Reglementierung tritt. Es wird nach außen nicht bekannt, wieviel Verbitterung und Lähmung der Arbeitsfreudigkeit durch derartige Methoden erzeugt werden. Solche starre Dienstvorschriften sind auch der geschworene Feind jeder neuen Betriebsform. Deshalb ist es auch kein Wunder, wenn geklagt wird, kaufmännische Betriebsformen arbeiteten, wo sie in der Staatsverwaltung eingeführt sind, nicht zufriedenstellend; sie gelangen eben in eine ihnen durchaus fremde Umgebung.



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Soll also in Betriebe der Staatsverwaltung ein neuzeitlicher wirtschaftlicher Geist seinen Einzug halten, so ist unerläßlich, daß das Verwaltungs- und Rechnungswesen ebenfalls von Grund aus im Sinne kaufmännischer Vorbilder umgestaltet werde. Der Außenstehende vermag sich überhaupt keine Vorstellung davon zu machen, wie insbesondere durch umständliche Genehmigungsanträge, Abrechnungsverfahren, Prüfungstermine usw., usw., sogar in reinen Beschaffungsämtern und im Kriege die Beschaffung selbst zur einfachen Nebensache, die Verwaltungstätigkeit aber auf Kosten der raschen Lieferung an die Front zur zeitraubenden Hauptsache geworden sind. Eine Einrichtung, deren Arbeitsweise wie die keiner andern Behörde die Arbeitsfreudigkeit unter den Beamten untergrub, war der Reichsrechnungshof. Seine Tätigkeit bestand nicht allein in einer berechtigten, sachlichen Nachprüfung von Ausgaben, sondern artete vielfach in kleinliche, umständliche, zum Teil schikanöse Nachforschung aus. Dieser Geist griff auch auf die unteren Stellen, z. B. die Intendanturen über. Die ganzen Mißstände besonders im militärischen Verwaltungs- und Nachprüfungswesen waren den leitenden Stellen des Heeres wohl bekannt. So äußerte sich der preußische Kriegsminister in der Reichstagsitzung vom 4. Mai 1917: Der Bureaukratismus werde gewiß an vielen Stellen mit Recht angegriffen. „Aber durch den Bureaukratismus ist doch erzielt eine ungeheure Gewissenhaftigkeit der Arbeit. Man mag das erreichen können auf kürzerem Wege, und es ist zu überlegen, wie das zu geschehen hätte. Wenn ein einziger allein die Entscheidung hat und schneller entscheidet, so ist das ein kürzerer Weg, der wird aber auch sehr häufig angegriffen werden. Es müssen also Bestimmungen da sein, die beachtet werden müssen.“ Daß der Bureaukratismus „eine ungeheure Gewissenhaftigkeit der Arbeit“ erzielt hat, ist ohne weiteres anzuerkennen. Aber das militärische Kontroll- und Rechnungswesen war mit der Zeit eine zum Selbstzweck entartete Arbeitsweise geworden. Von Wirtschaftlichkeit der Arbeit war nichts mehr zu spüren, man hatte ganz vergessen, daß allenthalben der Arbeitsaufwand dem erzielbaren Erfolg entsprechen muß. Der vorstehende Abschnitt enthält manche Kritik der Technik in der Heeresverwaltung bis zum Kriege. Trotzdem darf mit Recht man sagen: unsre Armee ist in hervorragender Bewaffnung ins Feld gezogen. Hier schon gilt dasselbe, was ich später noch öfter betonen werde. Mochten auch im System Fehler liegen, mochten die Reibungsflächen noch so groß sein: die unermüdliche Arbeitslust und Gewissenhaftigkeit aller Mitarbeiter bei den Behörden wie in der Industrie ermöglichten immer einen vergleichsweise hohen Erfolg. Auch darf man nicht den hohen Stand der Organisation und Technik in der deutschen Privatindustrie vergessen, die schon im Frieden an der Waffen- und Munitionslieferung stark, in der Artillerie durchaus führend beteiligt war und mit den Waffenabteilungen des Kriegsministeriums in enger Fühlung stand. So erklärt sich trotz aller organisatorischen Mängel bei den Behörden und in ihren Betrieben die Güte unsrer Bewaffnung bei Kriegsbeginn.

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Verhängnisvoll aber konnten die organisatorischen Mängel werden, als die von der Front geforderten Mengen fast ins Phantastische wuchsen. Dieser Umstand erzwang denn auch eine grundsätzliche neue Wertung technisch-wirtschaftlicher Fragen in der Armee wie übrigens im ganzen Volk.

Abschnitt III

Die vorbereitende Friedenstätigkeit Kapitel 4 Die deutschen Friedensvorbereitungen § 9 Umfang der Friedensvorbereitungen Die Mobilmachung einer heutigen Großmacht stellt die gewaltigste organisatorische Leistung dar, welche ein Volk zu vollbringen imstande ist, erreichen doch ihre Wirkungen mit einem und demselben Schlage alle Teile der Bevölkerung, vom Staatsoberhaupt bis zum letzten Tagelöhner, und alle Teile seiner Wirtschaft von der Eisenbahnverwaltung bis zum letzten Kramladen. Die Vorbereitungen zur Gesamtmobilmachung bedeuten eine Tätigkeit, die nie auf dem Erreichten ausruht und jede auch nur von ferne sich darbietende Möglichkeit, die Bereitschaft und Schlagfertigkeit der Armee zu verschärfen, ungesäumt prüfen und gegebenenfalls zur baldmöglichen Anwendung bringen muß. Diese Vorbereitungen müssen deshalb, was die Versorgung mit Waffen, Munition und Kriegsgerät anlangt, über die eigentlichen militärischen Maßnahmen hinaus folgende Aufgaben umfassen: 1. Die Beschaffung und Niederlegung von Waffen, Munition und sonstigem Kriegsgerät samt Reserven und den Ausbau der zugehörigen staatlichen Werkstätten und sonstigen Anlagen; 2. die rohstoff-technischen Vorbereitungen, d. h. die Sammlung und Lagerung von Rohstoffen, die Anregung zu Versuchen mit Ersatzstoffen, die Vorbereitung des Roh- und Ersatzstoffbezuges aus allen voraussichtlich neutralen Staaten, mit einem Wort die Rohstoffbewirtschaftung, dazu die Ausbildung der im Kriegsfalle eintretenden Bewirtschaftungsformen; 3. die industriellen Vorbereitungen, d. h. die Eintragung aller Industrie-, Gewerbeund Handelsfirmen in Listen nach ihrer Eignung zur Herstellung von Kriegsmaterial, die Erteilung von Friedensaufträgen zwecks Erziehung zu Kriegslieferungen, ihre technisch-wirtschaftliche Vorbereitung und die Regelung der gesamten Arbeiterfragen für den Kriegsfall. Zwischen diese Vorbereitungen und den eigentlichen Beharrungszustand des mobilen Verhältnisses schiebt sich für alle staatlichen und privaten Fertigungs-, Beschaffungs- und Nachschuborganisationen, beginnend mit dem ersten Augenblick der Mobilmachung, eine Zeitspanne des Anlaufs, in welcher die ganze Maschinerie aus ihrem normalen Friedensstillstand mit größter Beschleunigung auf die Höchs-

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tumdrehungszahl des Kriegsbetriebes gesteigert und hierbei alle bestehenden und die auftretenden neuen Hindernisse beseitigt werden müssen. Wir beginnen mit der Besprechung der getroffenen Einzelmaßnahmen.

§ 10 Friedensvorräte an Waffen, Munition und Geräten Für sämtliche planmäßig vorgesehenen Kriegsformationen waren während der Friedenszeit Vorräte (eiserne Bestände) an Werkstoffen, Geräten, Waffen und Munition gelagert worden, und zwar in einem solchen Umfang, wie man ihn jeweils für nötig hielt, um damit den ersten Schwierigkeiten bei einer Mobilmachung begegnen zu können. Eine Ausnahme machten verderbliche Gegenstände, wie Öle, Seifen, Schmieren, deren sofortige Lieferung im Mobilmachungsfall durch Verträge gesichert war. Außer den planmäßigen Beständen wurden auch eiserne Bestände für planmäßige Neuformationen in geeignet erscheinender Höhe niedergelegt. Diese Vorräte an Werkstoffen und Munition haben ihrer Menge nach durchweg bei weitem nicht ausgereicht, und zwar einmal wegen des sofort nach Kriegsausbruch einsetzenden starken Munitionsverbrauchs, sodann auch wegen des unvermutet hohen Umfanges der Neuformationen (Kriegsfreiwillige). Den Beschaffungsstellen und Depotverwaltungen erwuchsen hieraus schwer zu bewältigende Aufgaben, die durch die während der ersten Kriegswochen erschwerten Beförderungsverhältnisse, die stark eingeschränkte industrielle und Handelstätigkeit, sowie durch die anfänglich mangelhafte Organisation und geringe Erfahrung der meisten Beschaffungsstellen noch vergrößert wurden. So hat man auch in blindem Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit der Industrie bestellt, ohne daß man sich klar gemacht hätte, woher diese bei dem Fehlen einer Rohstoffbewirtschaftung die Rohstoffe herbekommen sollte. Doch lassen die Berichte durchweg erkennen, daß man sich überall rasch zu helfen suchte und oft auch zu helfen wußte. Die folgenden Zeilen geben Einzelheiten über die vorhandenen Vorräte. Infanteriegewehre. Teils bei den Truppen (in den Waffendepots), teils in den Artilleriedepots waren formationsweise die nach den Waffenetats erforderlichen Waffen für alle planmäßig vorgesehenen Kriegsformationen vorhanden. Ferner hatte man für den ersten Ersatz und etwaigen überplanmäßigen Bedarf „nicht unerhebliche“ Vorräte. Infanteriemunition. In den Beständen lagerten 800 Millionen 8-Patronen als „Kriegsmunition“ für die planmäßig vorgesehenen Kriegsformationen, ferner für die Munitionszüge und die Festungsausrüstung. Maschinengewehre. Ein eiserner Bestand war nicht vorhanden. Für 1914 waren 679 Maschinengewehre in Bestellung. Die Schätzung des Bedarfs an Maschinengewehren ist unendlich weit hinter dem tatsächlichen Bedarf zurückgeblieben. Man



Die deutschen Friedensvorbereitungen 

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hatte ihre Verwendbarkeit vielfach noch nicht erkannt1. Im preußischen Kriegsministerium hielten manche das Maschinengewehr für eine Spielerei. So kam es, daß bei Kriegsbeginn an eisernen Beständen oder Reserven von Fabrikationsteilen nichts vorhanden war. Als sich nun das Verhängnisvolle dieser Irrtümer rasch herausstellte, mußte versucht werden, das Versäumte durch schleunigste größte Aufträge und durch Umbau der in Arbeit befindlichen fremdstaatlichen Maschinengewehre nachzuholen. Mit der Mobilmachung stieg der Bedarf auch wegen zahlreicher Neuformationen ganz außerordentlich, so daß die Gerätereserven bei den Artilleriedepots in kürzester Zeit verausgabt waren. Der Frontbedarf mußte unmittelbar von den Fabriken aus gedeckt werden. Dazu kam noch derjenige der Luftschiffe und der Flugzeuge, der sich ebenfalls in unvorhergesehener Weise steigerte. Für die Feldartillerie lagerte neben dem planmäßigen Gerät eine 10%ige Gerätereserve. Sie kam jedoch für den Nachschub nicht in Betracht, weil sie bei Aufstellung neuer Reservekorps sofort verwendet werden mußte. Die Fußartillerie besaß bei Kriegsbeginn über 30 verschiedene Geschützarten bis zu 42 cm Kaliber. An Fußartilleriegerät war bereitgestellt: das Gerät für die Stäbe, Batterien und Munitionskolonnen, die Gerätenachschübe, Artillerieförderbahnen für die Werkstätten der Belagerungsartillerie und die artilleristische Armierung der Inlandund Küstenbefestigungen. Doch waren die Geräte größtenteils nicht in Händen der Truppe, sondern bei den örtlichen Artilleriedepots. Die Mobilmachungsvorbereitungen sahen die nach erfolgter Kriegserklärung einsetzende Anfertigung von 160 Fußartilleriegeschützen vor. Bei deren langer Anfertigungsdauer und dem sofortigen Verbrauch von Geschützen konnte man nach Ausbruch der Mobilmachung nicht auf die 160 Geschütze warten. Es mußten deshalb besondere Vorkehrungen zur baldigsten Deckung des weiteren Bedarfs getroffen werden. Artilleriemunition. Die Munitionsbestände waren bei Kriegsausbruch etwa so groß, daß für jedes vorhandene Geschütz der Feldartillerie und schweren Artillerie des Feldheeres rund 1000 Schuß vorhanden waren, ebenso für die Reservefußartillerie und die Festungen, während bei den älteren Geschützen der Festungen etwa 650 Schuß auf das Geschütz kamen. Bezüglich der Artilleriemunition lagen die Verhältnisse besonders schwierig. Schon der Stand der Anfertigung ließ vor dem Kriege zu wünschen übrig. Als Gründe hierfür werden die folgenden angegeben: Es waren in den letzten Jahren mehrfach Abstriche an den Forderungen für Vermehrung und Unterbringung des Verwaltungsapparats der technischen Institutswerkstätten vorgenommen, andrerseits allerdings auch Mittel zur Erweiterung der 1 So beurteilt General v. B e r n h a rd i 1912 (Deutschland und der nächste Krieg S. 212) das Maschinengewehr als eine vorwiegend defensive Waffe, die immer nur in beschränkter Zahl der Infanterie beigegeben werden und diese nichts ersetzen könne.

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Institute bereitgestellt worden. Jedoch kam das Jahr 1914 heran, bis sich langsam eine Steigerung der Leistungen bemerkbar machte. Es war deshalb schon vor dem Kriege versucht worden, hauptsächlich für Zünder und Sprengladungen Privatfirmen in erhöhtem Maße heranzuziehen, allerdings ohne großen Erfolg, weil der Industrie bei der Schwierigkeit dieser Sonderfabrikationen die Rentabilität der dazu nötigen Anlagen nicht genügte, wenn die Beschaffungen, wie es die Vorbereitung auf einen Krieg verlangte, bei zahlreichen Firmen untergebracht wurden, ohne daß man ihnen die Gewähr für jährlich wiederkehrende Aufträge geben konnte. Was die Schwierigkeiten der Sonderfabrikation betrifft, so kamen sie zum nicht geringen Teil daher, daß die Behörden noch nicht daran gewöhnt waren, den Firmen die zeichnerischen und sonstigen Fabrikationsunterlagen in der für moderne Massenfertigung damals schon allgemein in der Industrie als nötig anerkannten Form zu liefern. So war die Heeresverwaltung ganz auf die wenigen großen eingearbeiteten Waffenfabriken angewiesen, die durch bedeutenden Umsatz im Ausland Deckung für ihre kostspieligen Versuche und für die verhältnismäßig niederen Inlandspreise fanden. Diplomingenieur Frö l i ch , der Geschäftsführer des Vereins Deutscher Maschinenbau-Anstalten sagt hierüber („Der Krieg und das industrielle Wirtschaftsleben“, Berlin-Charlottenburg 1916): „Die von der Heeresverwaltung gezahlten Preise ließen nämlich in Friedenszeiten im allgemeinen nur einen sehr bescheidenen Gewinn zu, und darin findet sich auch die Erklärung für den Umstand, daß z. B. vor dem Kriege im ganzen Deutschen Reiche neben den staatlichen Geschoßfabriken sich im ganzen sieben — nach einer amtlichen Angabe acht — Privatfirmen mit der Herstellung von Artilleriegeschossen beschäftigt haben.“

Bezüglich der Munitionsbestände läßt sich folgendes feststellen: Wegen der finanziellen Lage des Reiches und bedeutender Inanspruchnahme von Mitteln für andere Gebiete der Heeresverwaltung mußten bis zum Jahre 1911 erhebliche Forderungen für die Artillerie, namentlich für Artilleriemunition zurückgestellt werden. Namentlich bei der Fußartillerie, wo Geräte und Munition aus gemeinsamen Fonds beschafft werden, reichten bei der Aufstellung neuer Formationen und der Vermehrung der Munitionskolonnen die Mittel nicht für genügende Munitionsbeschaffungen aus, so daß eine vorübergehende Verdünnung der Bestände eintrat. Andrerseits handelte es sich bei der Fußartillerie um eine geringere Anzahl von Geschützen als bei der Feldartillerie und — was besonders günstig war — in den Festungsausrüstungen war für die schwere Artillerie eine starke Munitionsreserve vorhanden. Bei der Feldartillerie war schon seit 1910 ein stärkeres Anwachsen der Munitionsbestände möglich gewesen, ungünstig war aber, daß wegen der großen Zahl der Geschütze selbst Bewilligungen von vielen Millionen nur eine geringe Munitionserhöhung auf jedes Geschütz ergaben. Eine wesentliche Besserung brachte erst die in den Jahren 1911/1913 erfolgte Neuorganisation unseres Heereswesens. Bei den plötzlichen hohen Anforderungen mußte jedoch die Verteilung der Mittel auf mehrere Jahre erfolgen. Immerhin



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wurde damals eine, wenn auch langsame, so doch erhebliche Erhöhung der Munitionsbestände ermöglicht, die aber in der kurzen Zeit bis zum Kriegsausbruch noch nicht genügende Bestände bewirken konnte. Ludendorff schreibt in seinen Kriegserinnerungen (S. 94): „Als Chef der Aufmarschabteilung im Frieden habe ich dauernd auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Friedensmunitionsbestände zu erhöhen und so zu bemessen, daß sie bis zum Einsetzen der Mobilmachungslieferungen reichten. Ich bin nicht auch nur annähernd in dem gebotenen Umfange durchgedrungen.“ Besondere Erwähnung verdient die Frage der Aushilfsmunition. Schon längere Zeit vor Kriegsausbruch war die Notwendigkeit erkannt worden, als Aushilfsmunition unter Verzicht auf einen Teil der Wirkung Graugußgeschosse für die Feldartillerie zu beschaffen. Dieser Gedanke wurde seit Oktober 1913 eingehender verfolgt, umfangreichere Versuche hatten gute Ergebnisse gezeitigt, die sich allerdings später im Feld, zum Teil wohl wegen der Massenanfertigung durch zahllose Werkstätten aller Art, nur in beschränktem Umfang bestätigt haben. Die Mobilmachungsaufträge lauteten jedoch nur auf Preßstahlgeschosse (ausgenommen bei F.-Gr. 96), die in Spandau und Siegburg aus Stahlguß hergestellt und zum Teil von Privatfirmen bearbeitet werden sollten. An Munition stand 1912 und bei Kriegsausbruch zur Verfügung: 1914 Munitionsbestände Feldartillerie2 (3762 Geschütze) Feldkanonen……….......................……. leichte Haubitzen……...................……

1912

bei Kriegsbeginn fert. Schüsse

3 173 000 422 000

3 267 000 750 000

davon Mun.-Züge

}

160

Fußartillerie3 schwere Artillerie (520 Geschütze) Schwere Feldhaubitzen ….................. Mörser…………………........................... Reservefußartillerie und Festungen (rund 2000 Geschütze) Schwere Feldhaubitzen………….....…… Mörser……………….....................……...

296 000 59 000

446 000 87 000

45 34

1 029 000 106 000

1150 000 112 000

183 55

10 cm-Kanonen…………..................…. 13 cm-Kanonen…………..................…. 15 cm-Kanonen i. S. L.…................…. Schwerste Geschütze……...................

691 000 40 000 12 000 9 000

814 000 40 000 16 000 12 000

78 61 3 17

2 Die Geschützzahlen gelten für 1914. 3 Einschließlich Sachsen und Bayern.

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 Die vorbereitende Friedenstätigkeit

Ältere Geschütze der Festungen (rund 2500 Geschütze) 9 cm-Kanonen……………..................... Schwere 12 cm-Kanonen…................ 15 cm-Ringkanonen usw................….

— — —

871 000 385 000 370 000

— — —

Fahrzeuge. Bei Kriegsbeginn sollte der Bestand für die planmäßig aufzustellenden Trainformationen vollzählig vorhanden sein, mit Ausnahme der Fuhrparkwagen samt Geschirr, welche durch Aushebung zu beschaffen waren. Nachschubbestände an Fahrzeugen und Geschirren irgendwelcher Art waren nicht vorhanden und nicht vorgesehen. Diese Maßnahme hat sich nicht bewährt. Die ausgehobenen Fahrzeuge genügten nur zum geringsten Teil, dazu waren sie naturgemäß untereinander außerordentlich verschieden, so daß ein Ersatz der Achsen, Räder, Planen usw. aus der Heimat, auch die Ausstattung der Fahrzeuge mit Reserveteilen nicht durchführbar war. Feldküchen. Ein Vorrat hieran fehlte. Bei Kriegsbeginn war nur Linien- und Reserve-Infanterie, Linien- und Reserve-Pioniere, 8 Landwehr-Infanterie-Regimenter und die Sanitätskompagnien mit Feldküchen versehen. Reserven waren nicht vorhanden. Für das Jahr 1914 waren nur 250 Feldküchen in Auftrag gegeben. Es wurden sofort bei Kriegsausbruch weitestgehende Aufträge erteilt, bis zu deren Anlieferung behelfsmäßige Kochkisten den Truppen übergeben wurden. Mit diesen waren innerhalb 4 Monaten sämtliche noch nicht mit Feldküchen versehenen Truppenteile ausgerüstet. Fernsprechgerät . Für die Infanterie fehlten Reservebestände, weil die Beschaffung des Friedensbedarfs noch nicht durchgeführt war. Erfahrungen waren noch nicht festgelegt, die Dienstvorschrift erst entworfen. Für die Artillerie war Fernsprechgerät nur in dem Umfange niedergelegt, wie es für die bereitgestellten Reserven planmäßig war. Elektrische Taschenlampen waren im Frieden nicht planmäßig und deshalb für die Mobilmachung nicht vorgesehen. Sie sollten den Truppen zur Selbstanschaffung empfohlen werden. Fahrräder. An Fahrrädern waren nur sehr geringe Mengen vorgesehen. Die Niederlegung von 500 Stück war genehmigt. Im Rechnungsjahr 1913/14 wurden 1754 Fahrräder beschafft, von denen 1624 zur Ausrüstung von 14 Radfahrkompagnien bestimmt waren. Außerdem waren 25 Klappfahrräder und 25 leichtere starre Fahrräder zu Versuchen in Bestellung gegeben. Sofort nach der Mobilmachung wurden Reserve- und Ersatzradfahrformationen aufgestellt, für die die Fahrräder bei der Privatindustrie beschafft werden mußten. Das Mißverhältnis zwischen den Vorräten und dem tatsächlichen Verbrauch ist wohl dadurch zu erklären, daß Radfahrformationen erst kurz vor dem Kriege aufgestellt worden waren und Erfahrungen über ausgedehnte Verwendung von Radfahrern nicht vorlagen.



Die deutschen Friedensvorbereitungen 

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§ 11 Lagerung von Fertigungsmaterialien Für die mit einem Mobilmachungsfall zu erwartende Produktionssteigerung der staatlichen Institute waren schon im Frieden Materialmengen niedergelegt und mit den Lieferern Vereinbarungen zur Weiterlieferung im Mobilmachungsfall getroffen worden. G ewehre. Vorräte an Waffenteilen und Halbfabrikaten waren für die ersten 3 Kriegsmonate in solchem Umfang niedergelegt, daß nach 8 Wochen eine größte Tagesleistung von insgesamt 690 Gewehren Modell 98 und (nach 4 Wochen) 300 Karabinern Modell 98 erreicht werden konnte. Die mit den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken Mauser in Oberndorf abgeschlossenen Verträge über Gewehrlieferung im Kriege vermochte die Firma zu überschreiten. Die von den Schlachtfeldern zurückkommenden Waffen sollten in 6 Waffensammelstellen und 4 Waffeninstandsetzungswerkstätten gesammelt, gereinigt und instand gesetzt werden und danach von neuem an die Truppen gelangen. Maschinengewe h re . Hierüber vgl. § 20. Infanterie Mun i t i o n . Bei Spandau lagerten hierfür 220 000 kg 8-Pulver, 18 Millionen Stück 8-Hülsen, 12 Millionen Stück 8-Geschosse und 35 Millionen Stück Zündhütchen 88 zu scharfen Patronen; ferner Ladestreifen, Verpackungsmaterial, Vorfabrikate, Rohmaterial usw. Auch die anderen Artilleriedepots hatten solche Vorräte, die nach Bedarf verteilt werden sollten. Fahrr äder. Unter den oben geschilderten Umständen ist es klar, daß an eine Niederlegung von Fahrradfabrikationsteilen u. dgl. ebensowenig gedacht worden war wie an Mobilmachungsverträge über Fahrradlieferungen. Feld- und Fuß a r t i l l e r i e ge r ä t . Fabrikationsteile lagen nicht auf Vorrat, weil Geschütze nur von Krupp, Erhardt (Rheinische Metallwarenfabrik, Düsseldorf-Derendorf) und den staatlichen Werkstätten geliefert wurden. Die laufenden Aufträge, besonders an Fußartilleriegeschützen, waren gerade von 1913 ab infolge der Neubeschaffung dieser Waffe sehr hoch, und bei der Art, wie z. B. Krupp große Aufträge an Geschützen ausführte, konnte die Heeresverwaltung damit rechnen, daß stets genügend vorgearbeitetes Material bereit lag, um den Ausfall im Felde und die Anforderungen für Neuformationen usw. rechtzeitig decken zu können. Diese Berechnung hat sich als richtig erwiesen, denn mit Geschützen ist die Fußartillerie nicht in Verlegenheit gekommen. Ar tilleriemuni t i o n . Für Artillerie und Fußartillerie waren seitens des Staates und der in Frage kommenden Privatfirmen vorgearbeitete Materialien und Geschoß- bzw. Zünderteile, wie vorgearbeitete Kerne und Böden, Führungsbänder usw., niedergelegt. Die Menge für jede Geschoßart entsprach etwa dem unter Berücksichtigung der laufenden Fabrikation erwarteten Bedarf, der notwendig war, um die für die Munitionsfabrik errechnete Höchstleistung in spätestens 4 Wochen nach der Mobilmachung erreichen und durchführen zu können. Eine Grenze ist der Höhe solcher Vorräte namentlich an fertigen Geschossen gesetzt durch die Veränderlichkeit der verwendeten Zünd- und Treibmittel. Blanke Waffen . Für die Fertigung von Seitengewehren waren Materialien und vorgearbeitete bezogene Lederscheiden für eine Arbeitsdauer von 3 Monaten gelagert. Dasselbe gilt bezüglich der Armeepistolen 08. Auch für die Lieferungen der Privatindustrie bestanden Eventualverträge. In Erfurt lagerten Einzelstücke und vorgearbeitetes Material für Arbeitsdauer von 3 Monaten. Kontrollen der M ob ilm ach u ngsvo rb ereitu nge n . Zur Prüfung über die Richtigkeit und Vollzähligkeit der bisher besprochenen Mobilmachungsvorbereitungen fanden im Frieden alljährlich örtliche Nachprüfungen der staatlichen Institute durch höhere Dienststellen statt. Bei der jährlichen Rechnungsprüfung wurden die nachgewiesenen Kriegsbestände auf Vollzähligkeit geprüft. Außerdem

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 Die vorbereitende Friedenstätigkeit

mußte z. B. die Gewehrfabrik Erfurt jährlich einmal Meldung erstatten, ob, inwieweit und aus welchen Gründen die eisernen Vorräte hätten in Anspruch genommen werden müssen. Dasselbe galt bezüglich der Vorräte an Pistolen. Über die erfolgten Sicherstellungen an Geschossen, Zündern, Sprengladungen, Sprengstoffen, Pulver, Kartuschhülsen, Geschoßkörben usw. wurden dem Kriegsministerium von der Feldzeugmeisterei jährlich Nachweisungen eingereicht.

§ 12 Vorbereitungen in den Staatswerkstätten a) Kriegsarbeitsprogramm. Schon im Frieden war festgesetzt, innerhalb welcher Zeiträume nach eingetretener Mobilmachung die einzelnen Staatswerkstätten ihre Höchstleistung zu erreichen hätten. Diese Kriegsarbeitsprogramme waren so hoch — nach den damaligen amtlichen Anschauungen — als irgend nötig angesetzt und wurden, wo es ging, immer wieder erhöht. Neu- und Erweiterungsbauten sowie zunehmende Verpflichtung der Privatindustrie ermöglichten eine Abkürzung der Anlaufzeit bis zur Erreichung der möglichen Höchstleistung. In Wirklichkeit sind die Kriegsarbeitsprogramme der Institute schon nach kürzester Zeit überholt worden. Die sofort einsetzenden ungeheuren Anforderungen machten mehr oder weniger starke Umstellungen in den Betrieben und der Fabrikation erforderlich, während die Mobilmachungsvorbereitungen im wesentlichen unter dem Gesichtspunkt aufgestellt waren, daß man während des Krieges — abgesehen von dem Nachschub an Munition — nur den entstehenden Abgang an Geräten usw. zu ersetzen haben werde. Als Beispiel für die Leistungssteigerung nach eingetretener Mobilmachung sei angeführt, daß die Tagesleistung der Munitionsfabrik Spandau bei Kriegsausbruch 550 000 scharfe 8-Patronen und 500 000 Platzpatronen betrug. Unter Fortfall letzterer Fabrikation sollte im Mobilmachungsfall bis zum 15. Mobilmachungstag die Fabrikation von scharfen 8-Patronen auf 1 300 000 erhöht werden. Zur Ausbildung eines Munitionsarbeiterstammes für die Kriegszeit setzten neben der Munitionsfabrik Spandau die Artilleriedepots jährlich abwechselnd, zur Einübung von Personal und zur Erhaltung der Betriebsfähigkeit der Maschinen usw. Infanteriemunition zusammen. Die Hülsen und Geschosse hierzu wurden in der Munitionsfabrik hergestellt. b) Ausbau der staatlichen Werkstätten. Es ist bekannt, daß es den Instituten anfangs nicht leicht wurde, den Anforderungen zu entsprechen. Der Grund war ihr nicht genügend großer und moderner Ausbau, zum Teil auch die Organisation und Art der Fabrikation. So waren die Metallbearbeitungswerkstätten der Artilleriewerkstatt Spandau schon im Frieden zu klein, so daß z. B. Preßarbeiten an die Privatindustrie vergeben werden mußten.



Die deutschen Friedensvorbereitungen 

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Der allergrößte Teil der von den Instituten wiederholt unter Vorlage eingehender Begründungen und Berechnungen gestellten Anträge auf Beschaffung von Maschinen, Erweiterungen der Anlagen, Lagerräume, konnte trotz der 1912 und 1913 bewilligten bedeutenden Summen aus Mangel an Mitteln nicht genehmigt werden, obwohl den vorgesetzten Stellen die schwierigen Verhältnisse, auch das Unzureichende der Kraft- und Arbeitsmaschinen, schon aus den alljährlichen Besichtigungen bekannt waren.

§ 13 Vorbereitungen für eine industrielle Mobilmachung 1. Friedensaufträge an Privatfirmen wurden in folgenden Fällen erteilt: a) bei Gegenständen, welche auch die Staatsinstitute fertigten, bei welchen aber die besonderen Erfahrungen und Einrichtungen der Privatindustrie (z. B. von Krupp, von Erhardt) ausgenutzt werden sollten, da sie besonders hohe Kosten verursachten; b) bei Gegenständen, welche die Heeresverwaltung im Kriegsfall der Privatindustrie überlassen sollte. Hier dienten die Friedensaufträge dazu, die Privatindustrie zur Anschaffung der nötigen Einrichtungen und zur Gewinnung der besonderen Erfahrungen instand zu setzen; c) bei Gegenständen, welche die Staatswerkstätten nicht selbst herstellten, z. B. Feldküchen. Im einzelnen ist über Friedensaufträge folgendes zu berichten: Schon seit einer Reihe von Jahren war die Heeresverwaltung bestrebt, namentlich die Geschützlieferung auf eine breitere Basis zu stellen. Aber sowohl die Institute als auch Ehrhardt blieben vielfach auf die Halbfabrikate von Krupp angewiesen. Trotzdem wurden sie mit Geschützlieferungen beauftragt. Ar tilleriemuni t i o n . Im Frieden waren 8 Privatfirmen mit Aufträgen für Geschoßlieferungen versehen. Bezüglich der Zünderherstellung berichtet die Feldzeugmeisterei im Jahre 1913: „... Die Heranziehung der Privatindustrie muß aber jetzt schon eingeleitet werden, damit sie etwa in Jahresfrist brauchbare Zünderteile liefern kann.“ Dies war für den Kriegsfall um so wichtiger, als große Mengen fertiger Zünder ihrer kurzen Lagerfähigkeit wegen nicht schon im Frieden niedergelegt werden können. Im Herbst 1913 waren bereits günstige Erfahrungen mit der Privatindustrie in der Zünderfrage gewonnen. Im selben Sinne wurden Ermittlungen für die Geschoßfabrikation angestellt. Was die Pulver- und Sp re ngs to f f l i e f e r u nge n anbelangt, so stand der für einen Krieg vorgesehenen monatlichen Höchstleistung von rund 600 t Pulver und 800 t Sprengstoff im Jahre 1913/14 gegenüber eine Friedenslieferung von 208 t Pulver und 150 t Sprengstoff. Bezüglich der Fahrzeuge wird das Fehlen eingearbeiteter Privatfirmen in den Berichten besonders hervorgehoben.

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 Die vorbereitende Friedenstätigkeit

2. Mobilmachungsverträge mit der Privatindustrie waren in großer Zahl schon im Frieden geschlossen worden. Diese Verträge waren zum Teil mit, zum Teil ohne Preisvereinbarung abgeschlossen. Das erste Verfahren hat in einzelnen Fällen, wegen der nach Kriegsausbruch eingetretenen erheblichen Preiserhöhungen, zu umfangreichem Schriftwechsel geführt. Für die G ewe h r f ab r i ka t i o n waren 2 Mobilmachungsverträge geschlossen, die nach 5 Monaten eine tägliche Lieferung von 1200 Gewehren sicherstellen. Über Ma s ch i n e nge we h re waren Mobilmachungsverträge nicht abgeschlossen. An Infa n te r i e m u n i t i o n waren für einen Mobilmachungsfall bedeutende Mengen sichergestellt. Die Lieferzeit sollte sich erstrecken vom 3. bis 6. Monat nach ausgesprochener Mobilmachung. Blanke Wa f f e n . Mit den Friedenslieferern in Suhl und Solingen waren „Eventualverträge“ ohne Preisvereinbarung zur Lieferung von Seitengewehren geschlossen. Die Fertigung konnte unmittelbar nach Bestellung beginnen. Artilleriegerät. Über Geschütze für Feld- und Fußartillerie waren Mobilmachungsverträge nicht geschlossen. Man hatte geglaubt, Krupp, die staatlichen Institute und Erhardt würden für den Kriegsbedarf ausreichen. Bald zeigte es sich, daß diese Quellen durchaus unzureichend waren.

A r t i l l e r i emunition. Für den Fall einer Mobilmachung in den Jahren 1911/12 bzw. 1914/15 waren folgende Mobilmachungslieferungen an fertigen Schüssen vertraglich sichergestellt: Munitionssicherstellungen für die in den ersten 16 Wochen Mobilmachung 1911/12

1914/15

monatl. Höchstlieferung von der 12. Woche an 1911/12

1914/15 fertige Schüsse

Feldartillerie: Feldkanonen………................…... Leichte Feldhaubitzen….............

250 000 54 000

603 000 189 0004

80 000 14 000

195 000 70 0005

Fußartillerie: Schwere Feldhaubitzen.............. Mörser…………….................…..... 10 cm-Kanonen……..............…... 13 cm-Kanonen……..............…... Schwerste Geschütze…..............

38 000 8 800 22 000 4 400 300

144 000 37 000 5 000 9 000 900

15 500 37 000 5 000 9 000 900

60 000 12 500 1 250 5 000 450

4 Einschließlich Sachsen und Bayern. 5 Einschließlich Sachsen und Bayern.



Die deutschen Friedensvorbereitungen 

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An Pulver und Sprengstoffen waren für das Mobilmachungsjahr 1914/15 sichergestellt: Pulver- und Sprengstofflieferungen im Mobilmachungsfall

Infanterie ………………..…… Feldartillerie……………….... Fußartillerie……………....... Summe:

in den ersten 16 Wochen

monatl. Höchstlieferung von der 12. Woche an

Pulver

Sprengstoff

Pulver

Sprengstoff

t 975 435 510

t — 400 1600

t 265 140 182

t — 180 630

1920

2000

587

810

Über die allgemeine Tätigkeit wird vom Feuerwerkslaboratorium Spandau berichtet: „Am Tage vor der Mobilmachung wurden die Mobilmachungslieferungsverträge in Kraft gesetzt, die bezüglichen Lieferungszettel abgesandt und die für den Mobilmachungsfall vorgeschriebenen Angebotsformulare an die Firmen versandt. Die Eingänge von Angeboten wurden gesichtet und nach Möglichkeit geprüft. Die Lieferzettel wurden dazu ausgestellt und das Material herangezogen. Jedoch stellte sich bald heraus, daß die friedensmäßige Sicherstellung der Mobilmachungsvorräte sowie der eingegangenen Mobilmachungsverpflichtungen viel zu klein waren für den anschwellenden Umfang der Kriegsaufträge.“ Fahrzeuge usw. Besonders praktisch scheinen die Mobilmachungsverträge in Lederartikeln abgeschlossen gewesen zu sein. Wenigstens berichtet hierüber die Artilleriewerkstatt Spandau Anfang 1916: „Wie bereits an anderer Stelle hervorgehoben, ruhte die Beschaffung in Lederartikeln im letzten Halbjahre beinahe ganz, infolge der vorzüglich organisierten Mobilmachungsverträge, die es — in jeder Beziehung einwandfrei eingeleitet und durchgeführt — alsbald ermöglichten, große Vorratsmengen zu beschaffen, welche den dauernd laufenden notwendigen Kriegsbedarf auf absehbare Zeit vollkommen decken.“ Eisenbahnfeldge r ä t . Die Beschaffung dieser Materialien war im Frieden gesichert. Die Verträge galten beim Unterbleiben einer Kündigung als auf ein weiteres Jahr verlängert. Den Verträgen entsprechend wurden in der ersten Kriegszeit die fehlenden Materialien beschafft und auch ohne Beanstandung geliefert. Später wurden aber bei dem immer mehr zunehmenden Umfange der Beschaffungen die Verträge nicht mehr beachtet und die Materialien da genommen, wo sie am schnellsten und billigsten zu bekommen waren. Andere Abmachungen zum Ansammeln von Vorräten sind in Friedenszeiten nicht getroffen worden, da sich Privatfirmen ohne erhebliche Entschädigung nicht dazu verstanden hätten, während der Friedensdauer unverwertbare Vorräte niederzulegen. Ebenso ist es im Verlaufe des Krieges nicht möglich gewesen, bindende Abmachungen zur Bereitstellung von Vorräten zu erlangen. Die Ersatzanforderungen überstiegen später den Bedarf der Neuformationen um das Doppelte.

Aus vorstehendem ergibt sich, daß Anlage und Durchführung der Mobilmachungsverträge sich im ganzen bewährt haben. Davon abgesehen aber ist festzustellen, daß der Umfang der Vorbereitungen den tatsächlichen Anforderungen in keiner Weise genügt hat.

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 Die vorbereitende Friedenstätigkeit

Dieser Mangel scheint sich über alle Beschaffungsgebiete erstreckt zu haben. So wurden noch 1913 nur zwei Privatfirmen als leistungsfähig für Gewehre und für Karabiner angesehen. Im selben Jahre fertigten nur 13 Firmen die Messingnäpfchen zu Patronenhülsen. Mehr heranzuziehen wurde aus Gründen gleichmäßiger Herstellung nicht für richtig erachtet. Dieselbe Befürchtung hinderte auch bei anderen Dingen im Frieden die Ausdehnung des Lieferantenkreises. Man hat sich zu spät gefragt, wie das in einem Kriege gehen sollte. Wohl wissen wir, daß die Beschaffenheit des im weiteren Verlauf des Kriegs Gefertigten den Friedensanforderungen oft bei weitem nicht entsprochen hat. Die Schuld lag größtenteils an der eingehenden Höhe der Anforderungen, und der zunehmenden Knappheit an Menschen und Materialien. Trotzdem wäre es immerhin besser gewesen, wenn schon im Frieden mehr Firmen Gelegenheit gehabt hätten, an Aufträgen die Forderungen der Heeresverwaltung kennenzulernen. Dazu wäre aber wenigstens der Anfang einer industriellen Mobilmachungsvorbereitung erforderlich gewesen. Bei der Kaiserlichen Marine bestand seit 1905 eine gedruckte Lieferantenliste. Sie enthielt 1913 z. B. allein für Walzmaterial über 20, für Stahlguß 17 und für Deckpanzermaterial 7 Firmen. An den für Preußen bestimmten Lieferungen von Feld- und Fußartilleriematerial waren während der Jahre 1905 bis 1912 246 inländische und zwei ausländische Firmen beteiligt. In diesen acht Jahren waren mit Gesamtbeträgen von über 1 Mill. Mark beteiligt für Geräte und Munition oder Geräte allein 27 Firmen, für Munition 22 Firmen. Durchschnittlich waren also nur 10% sämtlicher 236 Firmen mit Herstellung dieser teueren Gegenstände beschäftigt. — Für Bayern kamen in Frage 66 Inlands- und eine Auslandsfirma. Allerdings hat man schon im Frieden versucht, die Wirkungen gewisser monopolistischer Entwicklungen zu bekämpfen. Daß man bei genügender Kenntnis der modernen, im wesentlichen erst unter dem Chefingenieur des Wumba eingeführten Konstruktions- und Massenfertigungsverfahren weit mehr hätte erreichen können, hat der Krieg gezeigt. Auf diese Weise wäre es z. B. schon im Frieden möglich gewesen, den Lafettenbau der Feldartilleriegeschütze an weitere Lieferantenkreise zu vergeben und den eigentlichen Kanonenfabriken nur das zu belassen, was besondere Stoffeigenschaften verlangt, nämlich die Rohre. Auch eine durchgeführte Normung der Heeresfahrzeuge hätte schon im Frieden einen großen Kreis eingearbeiteter Firmen gewinnen lassen. Trotzdem mußte eine ausgedehnte Heranziehung der Privatindustrie im Frieden Schwierigkeiten bereiten: 1. wegen der für den Friedensbedarf benötigten verhältnismäßig geringen Mengen und infolgedessen 2. wegen der Kleinheit der bewilligten Summen, 3. wegen der bei kleinen Auftragsmengen den Privatfirmen entstehenden großen Kosten, die es schwer machten, die Privatindustrie zu interessieren, da sich die



Die deutschen Friedensvorbereitungen 

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Firmen auf die nicht laufenden Aufträge besonders einrichten, Maschinenanlagen beschaffen und zeitweise ungenützt stehenlassen mußten. Erst in den allerletzten Jahren vor dem Kriege hat die Heeresverwaltung die Überzeugung von der großen Bedeutung gewonnen, welche die auf breiter Grundlage erfolgende Heranziehung der Privatindustrie im Kriegsfall haben müßte6. Sie suchte deshalb Unterlagen dafür zu gewinnen, inwieweit es zwecks weiterer Steigerung der Mobilmachungsleistungen in Feldartilleriemunition sachdienlicher und volkswirtschaftlicher sei, die staatlichen Fabriken zu vergrößern oder in noch stärkerem Umfange die Privatindustrie hierfür heranzuziehen. Den Abschluß der Friedensvorbereitungen bildet eine Zuschrift des Kriegsministeriums an die Feldzeugmeisterei vom 9. Juli 1914, aus welcher nachstehende Sätze entnommen sind: „Für die Ermittlung der Mobilmachungsleistungen der staatlichen Institute und Privatindustrie bestimmt das Departement nach oben hin keine Grenze, vielmehr hat jedes Institut die mit allen Mitteln herauszuholende äußerste Leistung in jedem Munitionsgegenstande anzugeben. Desgleichen ist von der Privatindustrie die Mitteilung der höchsten Leistungen zu verlangen. Mit den ersten Angaben der Privatfabriken wird man sich vielfach nicht begnügen dürfen. Erfahrungsgemäß können bei entsprechendem Drucke die Firmen häufig mehr leisten.“ Ferner sollte untersucht werden, die Steigerungsmöglichkeit der staatlichen Institute, der bereits herangezogenen Privatbetriebe und die Möglichkeit, bisher für Munition nicht herangezogene Privatfabriken nutzbar zu machen, sowie die Frage, ob solche Betriebe im Mobilmachungsfalle zweckmäßiger als staatliche eingerichtet oder ob sie besser als Privatbetriebe weiterarbeiten würden. Dazu kam die Ermittlung von Anzahl und Art der brauchbaren Maschinen und ihrer eventuellen Umänderungen; ferner die zu erwartenden Leistungen und der Zeitpunkt ihres Eintretens in allen wichtigen Industriegebieten sowie die Klärung der Arbeiter- und Personalfragen. Schließlich wurden anbefohlen mündliche Verhandlungen mit den Firmen. „Noch im Juni und Juli 1914 erhielt die Feldzeugmeisterei Auftrag, für Erhöhung der Mobilmachungslieferung die Ermittlungen auf alle wichtigen Industriegebiete auszudehnen, zur Ausnutzung auch der nicht im Frieden liefernden, aber geeigneten Privatindustrie.“ In diesen Maßnahmen ist klar und deutlich das enthalten, was zur Einleitung einer industriellen Mobilmachung gehört. Hätte man damit ein oder zwei Jahre früher begonnen, so wären uns in dieser Beziehung unendliche Schwierigkeiten erspart geblieben.

6 Wie dies S chwar te 1913 in seiner „Technik des Kriegswesens“ S. 112 (Leipzig und Berlin) gefordert hatte.

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 Die vorbereitende Friedenstätigkeit

Kapitel 5 Leistungen in anderen Staaten. Deutschlands Lage § 14 Munitionsverbrauch im Russisch-Japanischen Kriege, Kriegsvorbereitungen in Frankreich und Großbritannien Die Erfahrungen im Russisch-Japanischen Kriege zeigten, daß der Munitionsverbrauch überraschend groß war. Auf beiden Seiten herrschte Munitionsmangel; die Maßnahmen der Führung, die Stimmung der Truppe und die Durchführung der Operationen waren dadurch stark beeinflußt. Der Krieg vom Jahre 1904/05 bildete zweifellos eine ernste Mahnung bezüglich des in einem kommenden Kriege zu erwartenden Munitionsverbrauchs7. Trotzdem haben sich unsere Mobilmachungsvorbereitungen sowohl in industrieller Hinsicht als bezüglich der Rohstoffbewirtschaftung als durchaus unzureichend erwiesen. Um jedoch zu einem gerechten Urteil über die eigenen Friedensvorbereitungen zu gelangen, müssen wir einen Blick auf die Mobilmachungsvorbereitungen in den beiden mit den besten Verwaltungen arbeitenden feindlichen Ländern, Frankreich und Großbritannien, werfen. Dabei ergibt sich nun, daß auch dort wohl niemand so bestimmt an eine sehr lange Kriegsdauer gedacht hatte, daß man hieraus bis ins einzelne die Folgerungen gezogen hätte. Ebensowenig hatte man dort den tatsächlich eingetretenen Bedarf, vor allem an Geschützen und Artilleriemunition, im entferntesten vorausgesehen. Es fehlte denn auch sowohl Frankreich wie Großbritannien ebenso an genügenden Vorräten wie an einer industriellen Mobilmachung, die alle kriegführenden Staaten nachträglich durchzuführen genötigt worden sind. Dabei war aber zwischen Frankreich und Großbritannien vor allem in der Beziehung ein grundlegender Unterschied vorhanden, als Frankreich ganz genau wußte, daß es einen Krieg mit Deutschland mit dem Aufgebot aller, auch der letzten Kampfmittel zu führen haben würde, während Großbritannien, sich auf Frankreich und Rußland verlassend, zunächst wohl mehr nur an seine Flotte, an wirtschaftliche Unterstützung und an die Aufstellung kleinerer Verbände (Expeditionskorps) gedacht haben mag. Die folgenden, auf Frankreich bezüglichen, das Gesagte beweisenden Ausführungen sind, stark gekürzt, einem Vortrag entnommen, den der Generalsekretär des Verbandes französischer Eisenhüttenleute, R. P i n o t , am 20. März 1916 in Paris8 gehalten hat. Er führte dabei unter anderem aus:

7 Vgl. S chwa r z , Der Russisch-Japanische Krieg und die Erfahrungen aus demselben (Laibach 1908), und M ilitär-Wo ch en b latt 1913, Nr. 173. 8 La guerre et la vie économique; Les Industries metallurgiques S. 195 ff., 206. F. Alcan. Paris 1916. Das Werk ist außerordentlich lesenswert.



Leistungen in anderen Staaten. Deutschlands Lage 

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„Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich erkläre, daß die vor dem Kriege gesammelten Vorräte an Kriegsmaterial und Munition sich schnell als unzureichend erwiesen. Glücklicherweise war es in Deutschland ebenso... Übrigens — erkennen wir es offen an — hatte niemand, weder in Frankreich noch in Deutschland, kein militärischer Schriftsteller noch Generalstäbler, welche die Bedingungen des künftigen Krieges studierten, einen Krieg von langer Dauer vorausgesehen. Im Gegenteil, nicht nur in militärischen Kreisen, sondern auch bei den Lenkern der großen internationalen Politik war es als Grundsatz ausgestellt, daß, wenn ein Krieg zwischen den Großmächten ausbrechen sollte, er notwendigerweise sehr kurz sein würde ... Gerade weil man an einen kurzen Krieg glaubte, an einen Krieg, der sozusagen mit den während der Friedensperiode angesammelten Vorräten geführt werden würde, hatte man nicht vorhergesehen, daß neben der militärischen Mobilisation auch die Mobilmachung der Industrie zu organisieren sei.“

Dieser Auffassung über die allgemeinen in einem Krieg zu erwartenden Verhältnisse entsprachen naturgemäß die Vorbereitungen im einzelnen. Im Anfang des Krieges besaß Frankreich bei den Armeen und im Innern des Landes: Gewehre, Modell 86..................... Karabiner……….........................…. Artilleriestutzen…........................

2 880 000 220 000 384 000

Stück „ „

Zusammen:

3 484 000

Stück Repetierwaffen.

Dieser Vorrat an Gewehren genügte für den Krieg nicht9. Besonders schwerwiegend war der Mangel an schwerer Artillerie. Schlimm stand es um die Staatswerkstätten; sie verfügten im Jahre 1913 nicht über die nötigen Maschinen, Creuzot mußte ihnen Zeichnungen, Modelle und Lafetten liefern10. England besaß bei Kriegsausbruch weniger als 800 000 Gewehre, die Hälfte davon bestand aus Gewehren mit kurzen Läufen, und eine große Anzahl wurde für die neue Munition umgearbeitet. Als die ursprüngliche Streitmacht bewaffnet war, blieb eine Reserve von 150 000 Stück übrig. Die artilleristische Vorbereitung lag so, daß Geschütze für acht Divisionen mit entsprechender Reserve für Verluste vorhanden waren. Die normalen Anforderungen waren so gering, daß zur Erhöhung der Herstellung keine besonderen Anlagen da waren; die Anlagen in der Staatsfabrik und die wenigen privaten Geschützgießereien waren nur für die normale Ausrüstung bestimmt11. Es finden sich noch eine Menge ähnlicher Presseäußerungen aus Frankreich und England. Erst die aus ihnen folgende Tatsache, daß auch in den beiden mit der geordnetsten Verwaltung ausgestatteten feindlichen Staaten die Kriegsvorbereitungen nicht genügt haben, geben das richtige Licht für die Beurteilung des in unserm Land Geleisteten oder Versäumten.

9 Nach „L’Oeuvre“ vom 16. Jan. 1917 und „Temps“ vom 15. Jan. 1917. (Derartige Zeitungsnachrichten lagen mir in der Regel in deutscher Übersetzung einer Zentralstelle vor.) 10 Nach „Echo de Paris“. 11 Nach „Daily Mail“ vom 10. Febr. 1917.

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 Die vorbereitende Friedenstätigkeit

§ 15 Deutschlands besondere Schwierigkeiten In den bisherigen Ausführungen wurde das Ungenügende der Gesamtvorbereitungen der kriegführenden Mächte, Deutschland, Frankreich und Großbritannien, dargetan. Für Deutschland im besonderen ergeben sich aber besondere grundlegende Schwierigkeiten, die zur Ermöglichung eines Urteils über das tatsächliche Geleistete festgestellt werden müssen. 1. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß sich unsere Armee bezüglich der Neuorganisation des Heereswesens in einem Übergangszustand befand und die nötigen Neuforderungen und Neuorganisationen der Kostenersparnis halber auf mehrere Jahre hatte verteilen müssen. Auf Grund der Heeresvorlagen von 1911, 1912 und 1913 wurden erst in den allerletzten Jahren vor dem Kriege Neubauten und Erweiterungen der staatlichen Werkstätten, erweiterte Verpflichtungen der Privatindustrie und damit die Niederlegung größerer Bestände möglich. 2. Der Glaube an die Unmöglichkeit einer langen Kriegsdauer war bei uns ziemlich allgemein12. Auch die Heeresverwaltung hat bis kurz vor dem Kriege so gedacht13. Eine Folge solcher Anschauung war die Unterschätzung Englands als Gegner im Landkrieg. Auch im Ausland glaubten weiteste Kreise an eine kurze Kriegsdauer, und zwar wegen der großen finanziellen Lasten eines Kriegs oder im Hinblick auf die Wirkungen der neuzeitlichen Kriegsmittel beim Zusammenprall von Massenheeren. Aus solchen Anschauungen heraus hatte man in Deutschland seitens der Behörden besorgten Fragen14 über unsere wirtschaftlich-industrielle Rüstung zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt, man hatte geglaubt, Nahrungsmittel und Rohmaterialien auch in Kriegszeiten, wenn auch mit höheren Kosten aus dem neutralen Auslande hereinbringen zu können. 3. Nun kam aber der Krieg rascher als vorausgesehen und mit ihm der zunehmende Abschluß der Mittelmächte vom Weltmarkt und die Zeit der Spar- und Ersatzstoffwirtschaft. Glücklicherweise wurde das Bedürfnis ihrer Regelung auf industriellem Gebiet schon sehr früh erkannt und durch Gründung der Kriegs-Rohstoff-Abteilung in die Wege geleitet. Wesentlich vermehrt wurden die aus dem Abschluß der Mittelmächte für das Deutsche Reich entstandenen Schwierigkeiten einmal durch die ungeheure Ausdehnung der Kriegsschauplätze im Westen und Osten (Mazedonien, Rumänien, Orient), wodurch vorher ihrer Menge nach nicht wohl vorstellbare Anforderungen entstanden; ferner durch die Mitversorgung der industriell weniger entwickelten Bundesgenossen mit Kriegsmaterial aller Art; schließlich durch die in Deutschland sofort nach 12 Vgl. sogar „Leipziger Volkszeitung“ vom 30. Mai 1913. 13 Bernhardi, Deutschland und der nächste Krieg. Stuttgart 1912 S. 149ff. 14 Vgl. Rieß e r in „Der Tag“ vom 22. und 24. Okt. 1912 u. a. mehr.



Leistungen in anderen Staaten. Deutschlands Lage 

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Kriegsausbruch beginnende Aufstellung zahlreicher nicht vorgesehener Neuformationen, namentlich auf dem Gebiete der Artillerie und der Maschinengewehre, und durch die Anforderungen, welche die Einkleidung und Ausrüstung der zahlreichen Kriegsfreiwilligen stellte. 4. Als wichtigste Erschwerung für die ausreichende Versorgung der deutschen Heere muß aber wohl die Unterstützung betrachtet werden, welche die gegnerischen Mächte aus neutralen Ländern, namentlich aus den Vereinigten Staaten, von Anfang des Krieges an erhielten. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, seien hier nur einige charakteristische Äußerungen wiedergegeben15. Im amerikanischen Senat fiel im Januar 1916 das Wort: „Die Aufrechterhaltung unseres Rechts, Waffen zu verkaufen, ist der Lebensatem zur Verlängerung des Krieges in Europa gewesen.“ Die englische Wochenschrift „Nation“ hat in ihrem 2. Oktoberheft vom Jahre 1916 über die Neutralität der Vereinigten Staaten folgendes geschrieben: „Dieses Land hat unseren Anleihen einen Geldmarkt geöffnet, wodurch es scharf mit seiner Überlieferung und selbst mit seinen Absichten zu Beginn des Krieges brach. Es hat gestattet, daß seine Industrie unseren Bedarf an Munition und sonstigen Dingen deckte und auf beide Weisen die Hilfsquellen seines Reichtums ausschließlich auf unsere Seite geworfen.“ Unter dem Titel „Frau Britannia an Herrn Sam, ein Posten, der durch Geld nicht beglichen werden kann“, schrieb die Pariser Ausgabe des „Daily Mail“ am 23. Mai 1917: „Neun Zehntel der grundlegenden Hilfsmittel zur Herstellung von Munition, nämlich die in den britischen Munitionswerkstätten gebrauchten Meßapparate, sind aus Amerika herübergekommen ... Amerika trat dem Kriege bei, als die Maschinenbauer der Vereinigten Staaten sich im Herbst 1914 mobilisierten... Abordnungen aus dem Ausland durchsuchten die Vereinigten Staaten, nicht allein nach Fabriken für Maschinenwerkzeug, sondern auch nach Werkstätten, die in solche Fabriken umgewandelt werden konnten... Sie lieferten 90% von den Lehren, Mikrometern und Meßapparaten, die in unseren Munitionswerkstätten gebraucht werden und ohne welche völlige Gleichmäßigkeit und Genauigkeit der Produktion und Mengen unmöglich ist. Unter 10 Granaten, die in britischen Munitionsfabriken hergestellt wurden, verdanken 9 Granaten diesen amerikanischen Instrumenten ihre Genauigkeit. Die belgische Regierungs-Munitionsfabrik in Frankreich, die 12 000 Arbeiter beschäftigt, ist mit Maschinenwerkzeugen versehen, von denen nahezu 90% in Amerika hergestellt wurden. Ähnlich verhält es sich mit den Maschinenwerkzeugen in unseren eigenen Munitionsfabriken. Der große amerikanische Drang nach Zivilisation erzeugte und lieferte sie, und der ‚American-Machinist‘ stellt die berechtigte Frage: ‚Was würde geschehen sein, wenn diese 90% der Maschinenwerkzeuge gefehlt hätten?‘“ Voll bestätigt wurden diese Dinge durch die Aussagen des Majors von Papen vor dem Untersuchungsausschuß der Nationalversammlung.

Zu den amerikanischen Lieferungen kamen die Unterstützungen, welche vor allem Großbritannien durch seine Kolonien erfuhr16. Wichtig war ferner die Unterstützung, welche Japan der Sache der Entente gewährte, über „Japans Anteil am Kriege“ berichtet N. Kato in „New Europe“ vom 15. Februar 1917. Er weist zunächst auf die Belagerung und Einnahme Kiautschous hin, sodann auf die wertvollen Dienste der japanischen Marine sowohl in den fernen Meeren des Ostens wie an den Küsten Südamerikas, ferner auf die Hilfe in der Muniti15 Teilweise aus Pohl : Amerikas Waffenausfuhr und Neutralität. Berlin 1917. 16 Näheres hierüber findet sich in der Schrift von J. Saxon Mills, The gathering of the clans, 1916.

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onslieferung. „Die beiden großen Arsenale der japanischen Regierung und Tausende von privaten Werken und Fabriken,“ sagt Kato, „sind Tag und Nacht mit der Herstellung von Munition aller Art beschäftigt, um die russischen Armeen im Felde zu versorgen.“ Große Mengen Gewehre und andere Gegenstände wurden im Anfang des Krieges an England geliefert. Vor dem Falle Warschaus im August 1915 hatte Japan an Rußland genug Gewehre gesandt, um nicht weniger als 750 000 Mann zu bewaffnen. Fassen wir es zusammen, so müssen wir sagen: Es war Amerika, das durch seine Lieferungen England und Frankreich die ruhige Durchführung ihrer technisch-wirtschaftlichen Umstellungen ermöglichte. Auf der ganzen Welt kam jede militärische, technische und wirtschaftliche Hilfe ausschließlich der Entente zugute. Deutschland und seine Verbündeten standen vollkommen allein.

§ 16 Zusammenfassung Die vorstehend gegebene Darstellung der wesentlichen Vorbereitungen, der politischen und wirtschaftlichen Zustände ermöglichen uns, ein Urteil über das bei uns Geleistete zu fällen. Vor allem sehen wir, daß man in Deutschland sowenig wie im Auslande zu einer zutreffenden Vorstellung über das gelangt war, was ein großer Krieg von längerer Dauer, an die man allerdings nicht glaubte, in Beziehung auf Waffen, Munition und Material erfordern würde. Sowohl die industrielle als die rohstofftechnische Vorbereitung der Mobilmachung waren durchaus unzureichend. Es fehlte uns vollständig an einer größeren Zahl hinreichend eingearbeiteter Privatfirmen. Es fehlte auch bei Kriegsbeginn an der nötigen Kenntnis der Industrie und ihrer Arbeitsbedingungen. In technisch-wirtschaftlichen Dingen kann aber genaue Fachkenntnis durch forsches Zugreifen im Bedarfsfalle nicht ersetzt werden. Es fehlte (vgl. Hauptabschnitt V) an einer Stelle, welche, auf der Höhe der jeweiligen technischen und wirtschaftlichen Entwicklung stehend, ein fachmännisches Urteil über die Industrie, ihre Einstellungs- und Lieferungsfähigkeit sowie über ihre Vorräte hätte geben können. Erst im Juni und Juli 1914 hat die Feldzeugmeisterei vom preußischen Kriegsministerium den Auftrag erhalten, die Verhältnisse der bisher nicht zu den Heereslieferungen herangezogenen Industrie zu studieren. Damals begann die klarere Erkenntnis der Gesichtspunkte, welche sich im Verlaufe des Krieges bezüglich der Heranziehung der Industrie als richtig und notwendig herausgestellt haben. Es war aber zu spät. Eine systematische Rohstoffmobilmachung entstand erst nach Kriegsbeginn. Von anderen Mängeln der Kriegsvorbereitung sind zu nennen: 1. das nach Zahl und Umfang Ungenügende der Mobilmachungsverträge; 2. das in einer gewissen Beziehung zur ungenügenden Firmenkenntnis stehende Fehlen einer Organisation des Beschaffungswesens mit all den weiter



Leistungen in anderen Staaten. Deutschlands Lage 

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wirkenden Nachteilen einer in Kriegszeiten fast aus dem Nichts ohne geeignete Sachverständige (Ingenieure, Großkaufleute, Wirtschaftler usw.) geschaffenen Organisation; 3. die schon mit der Mobilmachung erfolgte Abkommandierung wichtiger Offiziere, Beamten und Arbeiter aus den technischen Instituten; 4. der äußerst störende Mangel an geschultem, vertrauenswürdigem Abnahmepersonal; 5. das Fehlen eines rascharbeitenden Reklamationswesens für Beamte und Arbeiter, welches sich sowohl bei den staatlichen Werkstätten als in der Privatindustrie äußerst lästig bemerkbar gemacht hat. In den gegnerischen Ländern hat schon während des Krieges eine bedeutende Rolle gespielt die Frage nach den Verantwortlichen für die im Anfang des Kriegs zutage getretenen allgemeinen Rüstungsmängel. Für die restlose Entscheidung dieser Frage ist die Zeit vielleicht noch nicht gekommen. Immerhin möchte ich hier meiner auf gewissenhaftem Studium des mir zugänglich gewordenen Materials beruhenden Ansicht wie folgt Ausdruck geben: Die Unzulänglichkeit der Gesamtvorbereitung teilte das Deutsche Reich mit allen kriegführenden Staaten. Diese Unzulänglichkeit kann also, so schwerwiegend sie war, gerechterweise wohl nicht als ein Versäumnis, als eine „Schuld“ der verantwortlichen Stellen betrachtet werden17. Die in diesem Weltkrieg gestellten Anforderungen an Waffen- und Munitionsmengen, Geräte und Materialien aller Art gingen so sehr über den Rahmen des Vorstellbaren hinaus, daß sie trotz der Erfahrungen im Russisch-Japanischen Krieg keiner der kriegführenden Staaten vorgesehen hat, ja — wir können es vielleicht schon heute aussprechen — vorhersehen konnte. Auch der Umstand soll nicht verschwiegen werden, daß von militärischer Seite behauptet worden ist, die deutsche Heeresverwaltung hätte schon im Frieden manches Mehr, namentlich in den technischen Instituten, leisten können, wenn sie die von ihr angeforderten Mittel von der Volksvertretung restlos erhalten hätte. Die für die Orientierung der Volksvertretung wertvolle Tätigkeit der Rüstungskommission kam leider zu spät. Trotzdem wäre es einer Heeresverwaltung mit engerer Fühlung zur modernen Technik, Industrie und Kaufmannschaft möglich gewesen, die dargestellten Mängel und Mißstände schon früher — bald nach dem Russisch-Japanischen Krieg — zu verringern. Man überschätzte in dem Heere den moralischen Wert der Truppe gegenüber der Waffentechnik, hing zu sehr an der ruhmvollen Tradition und am Altbewährten und legte technisch-wirtschaftlichen Fragen zu geringes Gewicht bei18. Das 17 Allerdings auch nicht, wie es in Frankreich und England versucht wurde, als ein Beweis für die friedliebende Gesinnung der dortigen leitenden Stellen. 18 Vgl. Kritik des Weltkrieges von einem Generalstäbler, S. 29f. Leipzig 1920.

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Schlimmste aber war, daß der Anspruch der Heeresverwaltung, auch den schwierigsten technisch-wirtschaftlichen Fragen sachverständig gewachsen zu sein, bis zum Zusammenbruch aufrechterhalten wurde.

Abschnitt IV

Fertigung und Beschaffung von Waffen, Munition und Geräten während des Krieges Kapitel 6 Allgemeines In diesem Abschnitt beabsichtige ich in der Hauptsache eine chronologische Darstellung der wichtigsten Vorgänge auf dem Gebiet des Waffen- und Munitionswesens zu geben. Der Erklärung dieser Tatsachen dienen alle späteren Abschnitte. Sie werden u. a. zeigen, wie die ungeheure Leistungssteigerung im Kriege durch Stärkung des technisch-kaufmännischen Einflusses bei den Behörden und durch restlose Heranziehung der Industrie ermöglicht worden ist. Aber auch ohne diese späteren Abschnitte zu kennen, wird der Leser erkennen, von welch ungeheuren Leistungen eines ganz auf sich allein gestellten Volkes Abschnitt IV berichtet.

§ 17 Allgemeine Maßnahmen Die Vorbereitungen für die kriegsmäßige Beschaffung von Waffen, Munition und zugehörigen Geräten setzten ein mit dem Beginn der drohenden Kriegsgefahr. Ihre Durchführung fiel bei der raschen Aufeinanderfolge der politischen Ereignisse größtenteils schon in die erste eigentliche Kriegszeit. Es handelte sich im wesentlichen um folgende Dinge: Zunächst wurden die bereits vorhandenen oder in Anlieferung begriffenen Bestände mit größter Beschleunigung bereitgestellt. Gleichzeitig wurden die vorgesehenen Mobilmachungslieferungen vorbereitet, namentlich auf dem Gebiet der Munitionsfrage. Schon kamen auch die Anforderungen der Obersten Heeresleitung und Bestandergänzungsanträge der Armeen und Gouvernements. Daneben ergab sich aber gleich von Anfang an eine große Zahl von nach Art und Umfang vorher kaum vorauszusehenden Aufgaben. Davon seien die folgenden einzeln erwähnt: Die staatlichen Werkstätten, deren Betriebsweise durchaus nicht überall modernen Ansprüchen genügte und deren Erweiterungen im Frieden aus Mangel an Mitteln durchaus nicht immer in dem — bei der geringen Heranziehung der Privatindustrie — als nötig erkannten Umfange hatten gefördert werden können, mußten in größter Eile vergrößert werden. Gelände mußte erworben werden, Neu- und Umbauten wurden vorgenommen, neue Betriebseinrichtungen eingebaut. Neue Anschlüsse an Gas- und Elektrizitätszentralen wurden gelegt, die Zahl der Anschlußgleise ver-

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mehrt. Dazu kam die Neuaufstellung zahlreicher Kraft- und Arbeitsmaschinen und schließlich die Beschaffung von Werkzeugen und Lehren in großen Mengen. Diese staatlichen Maßnahmen wurden ergänzt durch die nunmehrige Heranziehung zahlreicher bisher nicht mit Aufträgen bedachter privater Firmen, soweit man sie kannte. Daher das anfänglich massenhafte Auftreten von Agenten, Vermittlern und Zwischenhändlern. Eine besondere stete Sorge bildete sofort nach Kriegsbeginn die möglichst rasch herbeizuführende und aufs äußerste zu treibende Produktionssteigerung in den staatlichen und privaten Werken. Bei letzteren wurde dies zum Teil ermöglicht durch Inaussichtstellen von Friedensaufträgen, Gewährung hoher Vorschüsse und Verdienste, im übrigen durch Erteilung so großer Kriegsaufträge, z. B. bei PreßstahlGranaten, daß die Auftragshöhe den Firmen die Abschreibung der hierfür nötigen Neuanlagen ermöglichte. All diese Bemühungen wären aber nutzlos gewesen ohne genügende Vorräte an Werkzeugen, Roh- und Hilfsmaterialien sowie an Halbfabrikaten. Eine von der Feldzeugmeisterei nach dem ersten Anschwellen des Bedarfs, also nach Kriegsbeginn, erlassene Verfügung, wonach sich die Institute auf zwei Jahre mit den notwendigen Roh- und Betriebsstoffen eindecken sollten, hat sich besonders gut bewährt. Mußten doch sehr bald auch der Privatindustrie Vorräte beschafft und hierzu Aus- und Einfuhrangelegenheiten geregelt sowie eine systematische Spar- und Ersatzstoff-Wirtschaft eingeleitet und durchgeführt werden, deren Mittelpunkt die Kriegs-RohstoffAbteilung des preußischen Kriegsministeriums war. Bei alledem stellte wenigstens der Wegfall der im Frieden vorgeschriebenen „langwierigen Beschaffungsanträge“ für die Technischen Institute eine ganz bedeutende Arbeitserleichterung dar. Besonders in der ersten Zeit, aber auch im weiteren Verlauf des Krieges waren unaufhörliche Verkehrsschwierigkeiten zu beseitigen, namentlich in den Grenzgebieten des Reiches. So war die Gewehrfabrik Danzig durch die während der ersten 40 Mobilmachungstage dauernde Bahnsperre und häufige spätere Streckensperre am rechtzeitigen Empfang der Materialien gehindert. Aus demselben Grunde stockte in Oberschlesien die Kohlenversorgung so, daß einzelne Werke in Posen und Schlesien ihren Betrieb vorübergehend einstellen mußten. Die Erschwernisse, die sofort nach der Kriegserklärung schon begannen, haben sich naturgemäß im weiteren Verlaufe des Krieges, zum Teil in außerordentlicher, nur durch größte Anspannung aller Beteiligten überwindbarer Weise gesteigert. Diese Erschwernisse rührten vor allem her von der immer weiter getriebenen Steigerung des Verbrauchs an Rohstoffen und Erzeugnissen, von denen einzelne nicht nur der deutschen Industrie zugute kommen sollten, sondern sowohl an die verbündeten Mächte als auch zu Ausgleichszwecken — zum Teil wohl in allzu großem Umfang (Rumänien!) — an neutrale Länder abgegeben wurden. Dies hat die Selbstversorgung

Allgemeines 

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erschwert und namentlich bezüglich der Kohle die Belastung der Eisenbahnen in hohem Maße gesteigert. Neben den Rohstoffen bereitete die Beschaffung der Werkzeuge und der Maschinen steigende Schwierigkeiten. Beide mußten natürlich durchweg voll, zum Teil übermäßig beansprucht werden. Es fehlte aber sowohl an Zeit als an Material und an Arbeitskräften zur rechtzeitigen Vornahme der nötigen Ausbesserungen. Bald standen allerdings Maschinen aus besetzten Gebieten zur Verfügung, welche — mit späterer Unterstützung der Maschinen-Ausgleichsstellen — der deutschen Industrie zugute kamen. Trotzdem stiegen die Maschinenpreise schon nach kurzer Zeit um 100% und mehr. Dazu kam als besonders wichtige und bei der massenhaften Einziehung schwierige Aufgabe die Gewinnung und Erhaltung eines wesentlich gesteigerten Stammes namentlich von Facharbeitern, für deren Befreiung vom Dienst mit der Waffe ein sehr umfangreicher umständlicher Arbeitsaufwand erforderlich wurde. An Stelle der fortdauernd zunehmenden, auf das Fehlen einer industriellen Mobilmachung zurückzuführenden Entziehung von Arbeitskräften vermochte die Industrie teilweise anfangs nur langsam und zum Teil widerstrebend neue Arbeitskräfte männlichen und weiblichen Geschlechts auszubilden und einzustellen. Mag aber auch die Entziehung von Arbeitskräften in manchen Fällen nicht in der richtigen genügend gleichmäßigen Weise vorgenommen worden sein (auch staatliche Institute beschweren sich hierüber), so ist doch zuzugeben, daß die Heeresverwaltung recht daran getan hat, frühzeitig mit energischer Einziehung zu beginnen und die Industrie rechtzeitig auf die unbedingte Notwendigkeit weitgehenden Ersatzes für eingezogene und einzuziehende Arbeitskräfte nachdrücklich hinzuweisen. Unter all diesen Umständen war es nicht zu verwundern, daß sich die Lieferfristen für viele Gegenstände immer mehr verlängerten und die Hersteller in vielen Fällen beim besten Willen nicht in der Lage waren, mit gutem Gewissen genaue Fristen anzugeben, namentlich dann, wenn von den Behörden besonders kurze Termine und, wie dies naturgemäß oft vorkam, plötzliche Umstellungen der Fabrikation verlangt wurden. Schwerer als alle diese Umstände, welche mit der Rohstoff- und Arbeiterknappheit bei langer Kriegsdauer untrennbar verknüpft sind, wog die Folgeerscheinung, daß sich die Güte der gelieferten Gegenstände im Laufe des Krieges stark verringert hat. Man war sich dessen in der Heimat wohl bewußt, vermochte dem aber angesichts des Rohstoffmangels nur in beschränktem Maße abzuhelfen. All diese Erschwernisse wurden noch gesteigert durch die Notwendigkeit, zahlreiche Neukonstruktionen, an deren Entwicklung vor dem Krieg niemand gedacht hatte, zu schaffen; zu prüfen und zur Massenherstellung vorzubereiten. Hierher gehörte hauptsächlich die vermehrte Fertigung von Gewehreinzelteilen, Maschinengewehren, Minenwerfern, allen Arten von Nahkampfmitteln, Artilleriegerät und Artilleriemunition, bei denen namentlich das Fehlen gewisser Rohstoffe außerordentlich

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 Fertigung und Beschaffung von Waffen, Munition und Geräten während des Krieges

viel Arbeit und zahlreiche Umstellungen im Fabrikationsvorgang zur Folge gehabt hat. Bei aller Anerkenntnis dieser Schwierigkeiten muß aber wenigstens im Anfang des Kriegs die industrielle Lage Deutschlands gegenüber derjenigen von Frankreich als günstig bezeichnet werden. Schon nach kurzer Zeit besaßen wir diejenigen Teile Frankreichs, welche als dessen Hauptindustriegebiete anzusehen sind. Treffend schildert dies P i n o t mit den Worten1: „Der Einfall des Feindes in die östlichen und nördlichen Bezirke und die Folgen, die für die diesseits der Schützengrabenlinie gebliebenen Fabriken aus ihrer Lage im Bereich der Heere entstanden, alle diese Ursachen waren dazu angetan, die nationale Verteidigung der Mitarbeit des mächtigsten Industriegebiets zu berauben.“

Nach den vorstehenden allgemeinen Ausführungen schildern die folgenden Zeilen die Zustände der ersten Beschaffungszeit. Es waren hauptsächlich vier Gründe, welche in der ersten Kriegszeit die Heranziehung eines großen Liefererkreises verhindert haben: 1. Die Unkenntnis der Heeresbehörden bezüglich der deutschen Industrie. 2. Der Umstand, daß im Frieden die Herstellung von Heeresgerät in der Hand nur ganz weniger Firmen gelegen hatte. 3. Der Umstand, daß es an Fabrikationsgrundlagen und Abnahmepersonal für eine größere Anzahl von Lieferern fehlte. 4. Der Glaube an eine nur kurze Kriegsdauer. Unter diesen Umständen war es nicht zu verwundern, wenn sich die Behörden zunächst an die wenigen ihnen bekannten Firmen hielten. Nun ging aber der Bedarf in allen Dingen sprungweise in die Höhe, die überlasteten Beschaffungsreferenten — die Ämter (Feldzeugmeisterei, Ingenieurkomitee) waren ja mit der Mobilmachung verkleinert worden!) — wußten sich nicht mehr zu helfen; sie kannten zum Teil wenig Firmen, verstanden zum Teil wenig von den Methoden technisch-kaufmännischen Einkaufs oder fühlten sich technisch unsicher — und sollten doch beschaffen. Da kamen als Retter in der Not zungengewandte Männer und erboten sich, alles heranzuschaffen, was und wieviel man wünsche, den Referenten alle Mühe des Firmensuchens abzunehmen und — sie garantierten für den Erfolg, wenn die Waren auch etwas teuer seien. Aber welche geringe Rolle spielte in der ersten Kriegszeit das Geld? Wer hätte da nicht zugegriffen und sich glücklich gefühlt, solch hilfsbereiten Lieferern begegnet zu sein. In dieser Form trat im Anfang der Zwischenhandel auf, und es ist ganz zweifellos, er hat damals in manchen Fällen die Beschaffungsbehörden aus schweren Verlegenheiten gerettet. Diese Methode hatte aber den großen Nachteil: sie brachte die Behörden mit der eigentlichen Industrie erst recht nicht in Fühlung. Der Referent wußte oft gar nicht, 1 Aus dem Seite 38 genannten Werk, S. 209.

Allgemeines 

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wer eine Ware hergestellt hatte, die er bezog und — wenn er vielleicht etwas bequem war, so hatte er kein Bedürfnis danach, neue leistungsfähige Lieferer kennenzulernen. Sein gewandter Lieferer machte es ihm ja so bequem und er vermochte zu beschaffen, was seine vorgesetzte Behörde verlangte. Oder aber der Referent wollte doch mit der Industrie selbst zu tun haben. Dann war diejenige für ihn am bequemsten, die in Berlin ansässig war und die ihm auf telephonischen Anruf nach 20 Minuten ihren Vertreter sandte. So blieben ihm lange Reisen zu Abnahmezwecken erspart. Die Berliner Firmen waren meist gewöhnt, mit Behörden zu arbeiten, erklärten sich wohl auch zur Übernahme größter Aufträge bereit, die sie dann allerdings zum Teil an Unterlieferanten weitervergaben. So glaubten die Referenten mit den Berliner Firmen am sichersten zu gehen und lehnten es — wenigstens mit einem Schein von Recht — zum Teil grundsätzlich ab, Versuche mit ihnen noch unbekannten Lieferern zu machen, ohne zu bedenken, daß sie sich auf diese Weise mehr oder weniger in die Hände dieser bevorzugten Firmen gaben. Dies war die Ursache für die zum Teil ganz ungerechtfertigte Bevorzugung Berliner Firmen. So haben sich z. B. schon nach kurzer Zeit nicht weniger als 16 Granatpreßwerke in und bei Berlin angesiedelt, welche in der Hauptsache von Stahlwerken in — Rheinland-Westfalen beliefert wurden! Es ist hier der Platz, noch eines Umstandes zu gedenken, der ungefähr während der zwei ersten Kriegsjahre dauernd die gleichmäßige Heranziehung der ganzen deutschen Industrie verhindert hat. Es war dies die Art, wie die Bestellungen seitens der Front bei den Heimatbehörden erfolgten. In den beiden ersten Kriegsjahren sandten die Feldbehörden, wenn sie gerade Bedarf zu haben glaubten, ihre Bestellungen in die Heimat. Es fehlte diesen Bestellern gegenüber an der nötigen Kontrolle darüber, ob die bestellten Mengen tatsächlich notwendig waren. Daß sie das in vielen Fällen nicht waren, merkten die Inlandsbehörden wohl, sie hatten aber nicht die Befugnis der Einsprache. So trafen oft solch große Bestellungen mit so kurzen Terminen in der Heimat ein, daß ihre Befriedigung ganz ausgeschlossen war, weil keine Industrie sich auf einen solch sprungweisen Wechsel der Leistung einrichten konnte. So mag es auch nicht selten vorgekommen sein, daß eine Armee, die in ihren Bestellungen zurückhaltender gewesen war als andere, zeitweise, z. B. bei einer feindlichen Offensive, in dringende Not kam, während eine in verhältnismäßiger Ruhe befindliche Nachbararmee im Überflusse lebte. Dieser letztere Übelstand wurde im Herbst 1916 dadurch beseitigt, daß die Bestellungen auf die wichtigsten und in größter Menge gebrauchten Geräte und Materialien seitens der Armeeoberkommandos beim Großen Hauptquartier beantragt werden mußten und dieses die in der Heimat verfügbaren Mengen jeweils nach seinem Ermessen verteilte. Ein Übelstand aber blieb zunächst noch bestehen, und zwar der für die industrielle Leistungsfähigkeit wichtigste: das Große Hauptquartier bestellte von Woche zu Woche, statt mindestens Monatsmengen aufzugeben. Dieses Verfahren verkannte die

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Arbeitsbedingungen der Industrie, und erst als es gefallen war, konnte die Industrie in wirtschaftlich richtiger Weise mit ihrer vollen Leistungsfähigkeit herangezogen werden. So traf diese Änderung glücklich zusammen mit der Einsetzung der Ausgleichsstelle der Bundesstaaten und mit der beginnenden Durchführung des HindenburgProgramms. Im folgenden ist versucht, über die Beschaffungstätigkeit bei einer Anzahl der weitere Kreise am meisten interessierenden Gegenstände des Waffen- und Munitionswesens Übersichten zu geben. Sehr vieles mußte dabei des beschränkten Raumes wegen wegbleiben; leider, denn die Beschaffung z. B. von Nieten, Schrauben und anderen Teilen der Geschütze, an die wenige denken mögen, war für die Armee nicht weniger wichtig und oft auch nicht leichter als die der Geschützrohre selbst. Von Frontoffizieren ist die Tätigkeit der Heimatbehörden in scharfer Weise angegriffen worden. Ich werde zeigen, wie in den großen Entscheidungen zahlreiche schwerwiegende Fehlgriffe erfolgt sind. Aber die großen Entscheidungen wurden niemals von den Heimatbehörden allein getroffen, stets wirkte die Oberste Heeresleitung entscheidend mit. Der häufige, schließlich fast dauernde Gegensatz zwischen Front- und Heimatbehörden ist eines der traurigsten Kapitel in der ganzen Tragödie dieses Krieges.

Kapitel 7 Infanteriewaffen und Infanteriemunition § 18 Gewehre und Karabiner In Preußen bestanden seit dem 15. Jahrhundert Gewehrfabriken in Suhl, Solingen und Essen. Im Jahre 1724 wurden die ersten staatlichen Werkstätten in Potsdam und Spandau errichtet, doch wurde der Betrieb Privatunternehmern übertragen. Erst zur Zeit der Einführung der Zündnadelgewehre und dann der Hinterladergewehre samt der Einheitspatrone kam 1851 die Übernahme der Gewehrfabriken in staatliche Verwaltung. Von besonderer Bedeutung war später die Einführung der Mehrlader-Magazingewehre.



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Infanteriewaffen und Infanteriemunition 

Die neuzeitliche Entwicklung der Armeegewehre ergibt sich annähernd aus der folgenden kurzen Übersicht. Gewehre

Geschoß­ gewicht

Kaliber

Geschoßgeschwin- Visierschußweite digkeit an der Mündung

g Zündnadelgewehr….…... Chassepotgewehr…….... Modell 71……….....……... Modell 88………............. Modell 98……...........……

versch. 27,5 25 14,7 10

15,4 11 11 7,9 7,9

m

m

— 430 438 620 860

— 1800 1600 2050 2000

Seit der Zeit des Zündnadelgewehrs ist somit festzustellen: Verringerung des Gesamtgewichts von Gewehr und Munition durch Verringerung des Kalibers auf die Halste, Vermehrung der Mündungsgeschwindigkeit und der Visierschußweite, Vermehrung der Feuergeschwindigkeit, Verminderung der Streuung, Streckung der Flugbahnen. Das Modell 98 weist gegenüber dem Modell 88 Verbesserungen auf hauptsächlich an der Mehrladevorrichtung, dem Visier, dem Verschluß, ferner ist der Laufmantel weggefallen. Der Karabiner 98 ist ein verkürztes Gewehr 98 mit Aufpflanzvorrichtung für das Seitengewehr und mit einer wegen seiner geringen Länge auf 1200 m verminderten größten Visierschußweite.

Armeegewehre sind fertigungstechnisch Erzeugnisse einer Massenfabrikation von hoher Arbeitsgenauigkeit. In den deutschen Staatswerkstätten nahm man beim Zusammenbau der einzelnen Teile mehr oder weniger eingehendes Nacharbeiten hin. Neuzeitliche Privatbetriebe hatten diese Arbeitsweise jedoch schon aus Gründen der Wirtschaftlichkeit lange vor dem Kriege mit allen Mitteln zu vermeiden getrachtet. Im Kriege fehlte einfach die Zeit zu umständlichem Nacharbeiten. Hier mußte trotz der Teillieferungen durch zahlreiche Firmen die Auswechselbarkeit der einzelnen Teile unbedingt gewährleistet sein. Dies war trotz der Massenfabrikation möglich bei hervorragender Arbeitsgenauigkeit, diese aber ist erreichbar durch moderne Fabrikationsunterlagen, d. h. vor allem durch richtige Zeichnungen und Toleranzen. Auf dem Wege zur Verbindung von Massenfabrikation und Präzisionsarbeit waren die Institute hinter der Privatindustrie (z. B. den Auto-, Fahrrad-, Schreibmaschinenfabriken) zurückgeblieben, man vergleiche hierzu das in Abschnitt V über das Fabrikationsbureau Gesagte. Staatliche Gewehrfabriken bestanden in Danzig, Erfurt und Spandau, sie fertigten Gewehre und Karabiner sowie auch Maschinengewehre und Pistolen. Nach Ausbruch des Krieges stellte sich sehr bald heraus, daß die Zahl der gefertigten Waffen bei weitem nicht genügte. Wie stark aber auch die Anforderungen wuchsen, zeigt die Angabe, daß die tägliche Fertigung an Gewehren in Spandau Ende des Jahres 1914 schon mehr als das Doppelte der im Frieden vorgesehenen täglichen Kriegsleistungen von 360  Stück Gewehren  98 betrug, daß Spandau im November

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 Fertigung und Beschaffung von Waffen, Munition und Geräten während des Krieges

1914 die vorgesehene Kriegsleistung auf 800 Stück täglich zu steigern hatte und daß im März 1915 die Fertigung auf täglich weitere 1000 Gewehrläufe auszudehnen war. Weitere Steigerungen wurden ermöglicht durch die Vorschläge einer seit Anfang 1915 tätigen Ingenieurkommission. So erreichte man eine Erhöhung der Fertigungsmenge auf täglich 1200 Gewehre, fast das 3½fache der ursprünglich angenommenen Kriegsleistung. Zum selben Zweck wurde im August 1915 in der Schaftwerkstatt und später auch an anderen Stellen statt der bisherigen elfstündigen Tag- und Nachtschicht mit gutem Erfolg eine dreifache Schicht von je acht Stunden eingeführt. Dadurch stieg die tägliche Leistung um bis zu 30%. Bei den im Zeitlohn beschäftigten Arbeitern kam ein Prämiensystem in Aufnahme. Trotz aller dieser Neueinrichtungen und Maßnahmen genügte die staatliche Fertigung den Anforderungen nicht. Die Heeresverwaltung suchte daher zunächst die Erweiterung bestehender und die Gründung neuer privater Firmen zu fördern. Hierzu waren wie bei den staatlichen Instituten notwendig Neu- und Umbauten, Erstellung von Kraftanlagen und Betriebseinrichtungen, große Werkzeug- und Lehrenbeschaffungen, Gleisanlagen und vor allem die Anlernung der Arbeiter. Für die baulichen Anlagen erhielten die Privatwerke zum Teil verzinsliche Vorschüsse. Es wurden ein Konsortium aus der Vereinigung dreier dortiger Gewehrfabriken in Suhl und ein Waffenwerk in Oberschönweide errichtet. Durch das sächsische Kriegsministerium wurde eine weitere Firma in Suhl zur Einrichtung einer neuen Gewehrfabrik veranlaßt. Wenn auch die Beschaffenheit der gelieferten Waffen befriedigend, „allmählich tadellos“ war, so gelang es zum Teil erst nach weitgehender staatlicher Unterstützung, die Fertigungsmenge zu steigern. Wahrscheinlich trug hierzu die damalige Fertigungsweise bei. Zur Fertigung von Gewehreinzelteilen waren Anfang 1917 36 Privatfirmen tätig. Diese Einzelteile wurden anfangs nur für die Instandsetzungsarbeiten und als Aushilfe, bei zunehmender Leistungsfähigkeit der Lieferer aber auch in steigendem Umfange zur Herstellung neuer Gewehre verwendet. Nachdem etwa bis zum Oktober 1917 erreicht war, daß sämtliche Teile unter Zugrundelegung bestimmter Urstücke und unter Einhaltung bestimmter Toleranzen auswechselbar angefertigt wurden, konnten sie auch in jeder der vorher angeführten Fabriken ohne weiteres verwendet werden. Bis man so weit war, mußten manche Erfahrungen gemacht werden. Von wichtigen Maßnahmen sei noch genannt eine Verfügung vom Oktober 1915, wonach die Gewehrfabrik Spandau den Zusammenbau der an die Privatindustrie vergebenen Einzelteile bis zu einer Tagesleistung von 500 Stück zu übernehmen hatte. Die Einzelteile liefen jedoch zunächst nicht in hinreichender Menge ein, machten auch viel Nacharbeiten erforderlich, so daß die Tagesleistung im Mai 1916 den Höchstbetrag von 200 Stück noch nicht überstieg. Nicht übergangen werden dürfen die Schwierigkeiten in der Rohmaterialbeschaffung. Solche waren ursprünglich nur für zwei Monate niedergelegt. Außerdem war ein größerer Posten Halb- und Fertigfabrikate vorhanden.



Infanteriewaffen und Infanteriemunition 

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Mit der Zeit wurde der gelieferte Stahl oft so hart, daß er sich schlecht bohren ließ. Dies hatte erhöhten Werkzeugverbrauch zur Folge, zumal auch der Werkzeugstahl an Güte abnahm. Dabei mußte der Verbrauch von Schnellschnittstahl auf das äußerste eingeschränkt werden. Bald trat Mangel an Ölen ein, die vorhandenen Öle und Ersatzmittel wurden schlechter, der Rübölersatz verursachte zum Teil eiternde Hautausschläge und Magenbeschwerden. Aus den Putztüchern wurde das Öl zurückgewonnen, Versuche mit Putztüchern aus Papier statt Baumwolle blieben ohne Erfolg. An Stelle von Nußbaumgewehrschäften traten zum Teil solche aus Buchen- und Birkenholz. So standen bald und dauernd neben der normalen Fertigung vielseitige mühsame und zeitraubende Versuche bezüglich der Ersatzstoffe als bedeutende Erschwerung des ganzen Fertigungsvorgangs. Für die Reinigung und Wiederherstellung von der Front zurückgesandter Waffen waren in Preußen sechs Waffensammelstellen vorgesehen. Außerdem wurden staatliche und private Werke damit beauftragt. Schließlich wurden noch alte deutsche und ausländische Gewehre angekauft oder auf Grund des Kriegsleistungsgesetzes eingezogen. Aus dem Ausland wurden Gewehre nicht beschafft. Zur Beurteilung des Geleisteten und der gemachten Fehler diene ein Vergleich mit den entsprechenden Zuständen bei unseren Feinden. In Frankreich lagen die Verhältnisse ganz ähnlich wie bei uns. So berichtet Pinot 2 : „Ich erinnere noch an die Herstellung der Gewehre, die erst vollkommen zu organisieren war, denn diese Arbeit war bis dahin niemals der privaten Industrie anvertraut worden. Um dies zu unternehmen, mußten die ganzen Werkzeuge geschaffen werden, und was dies heißen will, weiß nur, wer mit der Fabrikation vertraut ist.“

§ 19 Pistolen, blanke Waffen und Infanterieschutzmittel Pistolen. Bei Kriegsbeginn kamen für deren Fertigung nur ein staatliches und ein privates Werk in Betracht. Auch machte anfangs die Beschaffung der nötigen geschmiedeten Stücke größte Schwierigkeiten. Dabei mußten die Truppenteile in vorderster Linie immer mehr mit Pistolen ausgerüstet werden. Man mußte nehmen, was man bekam, und hatte auf diese Weise bald zehn verschiedene Modelle im Gebrauch. Durch die Beschaffung so großer Mengen von Pistolen haben die breitesten Schichten der thüringischen Waffenindustrie, die durch den Fortfall des Vertriebs von Jagd- und Luxuswaffen nach dem Ausland zum großen Teile stillgelegt war, reichliche Beschäftigung erhalten. Blanke Waffen. Bei den Seitengewehren war der Abgang ein so großer, daß sich die Anforderungen bald auf 3 Millionen Stück steigerten. Trotzdem stellte die Privatindustrie vom Ende 1915 ab den gesamten Bedarf her. Infolge des dauernd steigen2 Aus dem Seite 38 genannten Werk, S. 234.

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den Bedarfs war man jedoch gezwungen, nicht modellhaltige Seitengewehre zuzulassen und die Vergebung von Einzelteilen einzuführen. Bei den blanken Waffen spielten Ersatzstoffe eine große Rolle. An Stelle von Hartgummi trat Hartholz, an Stelle der Klingen Bandstahl, Kupfer und Messing wurden durch Stahl, Lederscheiden durch Stahlscheiden ersetzt. An Lanzen ergab sich ein großer Bedarf, weil die Landwehr- und Landsturmkavallerie damit nachträglich ausgestattet werden mußte. Die Bedarfsdeckung hat keine besonderen Schwierigkeiten verursacht. Auch Keulen nach englischem Vorbild wurden eingeführt. Zu den Infanterieschutzmitteln gehörten die Sandsackschartenblenden, die Schützenblenden, Infanterieschutzschilde, Panzermasken, Schießscharten, Handgranatenabwehrgitter, Stahlhelme und Infanteriepanzer. Der Infanterieschutzschild entsprang im Frühjahr 1915 dem Wunsch nach einem im Verhältnis zur Schützenblende leichteren Schild. Durch Anwendung hochwertigen Stahls mit 6—8% Nickel gelang es, trotz verminderter Materialstärke, die gleiche Schußsicherheit zu erreichen. Mit zunehmender Nickelknappheit wurde der Nickelstahl durch Spezialstahl ersetzt. Beschafft wurden im ganzen 1 182 000 Stück. Stahlhelme traten im Felde an Stelle der Lederhelme, da sie Schutz gegen Schrapnellkugeln und kleinere Granatsplitter, sowie bis 50 m Entfernung herab auch meist gegen gewöhnliche Infanteriegeschosse boten. Die ersten Stahlhelme wurden Ende August 1915 in Auftrag gegeben. Nach vielen Versuchen blieb man bei dem von Professor Schwerd, Hannover, angegebenen Modell. Die Stahlhelmfertigung wurde in größerem Umfang im Mai 1916 aufgenommen, Mitte November 1916 war die Beschaffung der bestellten 5 Millionen Stahlhelme bereits in vollem Gang. Versuche mit nickelfreiem Stahl wurden mit wechselndem Erfolg weitergeführt. Die abgelieferte Menge betrug bis Anfang 1918 an 6,3 Millionen Helme.

§ 20 Maschinengewehre Maschinengewehre sind selbsttätig ladende und feuernde Schnellfeuergewehre, ihr Erfinder der Amerikaner Maxim. Zu Beginn des Krieges vermochte das deutsche „Maxim“-Maschinengewehr in der Minute bis zu 500  Schuß abzugeben. Es besaß gegenüber der Luftkühlung des französischen Maschinengewehrs die stärker wirkende Wasserkühlung. Auf einen seiner Ladestreifen gingen 250, bei den Fliegermodellen 500 oder 100 Patronen. Die Konstruktion der Maschinengewehre hat während des Krieges große Wandlungen durchgemacht. Das ursprüngliche Maschinengewehr 08 mit Wasserkühlung wog mit Lafette 50 kg, das daraus entwickelte Maschinengewehr 08/15 (ohne Lafette) 16 kg. Daraus entstand später ein noch leichterer Typ (Maschinengewehr 08/18 mit „Luftkühlung“ für Flugzeuge. Die Hauptvorzüge der neuen vor den älteren Maschi-



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nengewehren waren schnellere Feuerbereitschaft, größere Beweglichkeit (Auflage auf leichter Gabel) und leichtes Tragen. Die Flieger brauchten zwei Modelle, und zwar zunächst starr befestigte, in der Flugrichtung zwischen den Propellerflügeln durchschießende, vom Flugzeugmotor betätigte. Dazu traten lose eingebaute Typen, mit denen gezielt und auch nach den Seiten gefeuert werden konnte. Schließlich entstand das doppelläufige, das GastMaschinengewehr. Von weiteren Konstruktionen sind zu erwähnen die Maschinenpistole, ein Mittelding zwischen Karabiner und Pistole, und das 1918 konstruierte, mit größter Durchschlagskraft versehene Tufgewehr. Dazu waren noch eine ganze Reihe anderer Konstruktionen im Gebrauch. Auch bei den Maschinengewehren spielte der Ersatz der Sparstoffe, namentlich von Messing, Rotguß, Roh- und Hartgummi, Glyzerin, durch leichter beschaffbare eine große Rolle. Für die Werkzeuge wurde bei einer Firma die ganze Produktion beschlagnahmt, sie durfte nur an die ihr aufgegebenen Stellen liefern. Bis zum Sommer 1916 erfolgte die ganze Beschaffung durch die Gewehrfabrik Spandau, dann durch die Feldzeugmeisterei. Die ungenügende Fertigung zwang aber hier bald zur Organisation neuzeitlicher Herstellung der Einzelteile durch die Privatindustrie, während die Gewehrfabrik Spandau und mehrere Privatfirmen den Zusammenbau besorgten. Die Steigerung der Maschinengewehrfertigung vom Herbst 1916 ab bildet ein mustergültiges Beispiel für die Vergebung großer schwieriger, mit Maschinenarbeit zu erledigender Massenaufträge. Es genügt hierbei nicht, mit einer Reihe sich anbietender Firmen unter Vereinbarung der Lieferzeit Verträge zu schließen, sondern man muß namentlich im Kriege ein nur vom Spezialfachmann, nicht von jedem beliebigen Ingenieur beherrschtes Verfahren einschlagen. Die Forderung der militärischen Stellen lautete lediglich auf Fertigstellung einer bestimmten täglichen Stückzahl (Hindenburg-Programm 600 Stück). Mit einer solchen Zahl allein kann die Industrie zunächst nichts anfangen. Sie muß wissen, wie groß der Gesamtauftrag ist, um kalkulieren zu können. Auch muß eine Firma mindestens ein halbes Jahr voll beschäftigt sein, damit sich die Einrichtung der Werkstätten lohnt. Die Herstellung des Schlosses erfordert lange Anlaufzeit, deshalb wurden davon mehrere hunderttausend Stück bestellt. Es fehlten aber klare Unterlagen über die seitens der Front gebrauchten Ersatzmengen. Man berechnete sie nach vereinzelten Angaben und traf danach die nötigen Vorkehrungen. Gleichzeitig wurde eine Reihe von Firmen bereist, ihre Einrichtungen besichtigt und sie befragt, ob und zu welchen Ergänzungen sie zur Erledigung der in Aussicht gestellten Aufträge bereit wären. Im ganzen wurden außer der Gewehrfabrik Erfurt 8 Firmen zusammengebracht. Nach dem Programm sollten in 4—5 Monaten die ersten Schlösser geliefert werden. Dies glückte; ein Zeichen, daß das Programm nicht überspannt war.

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Eine Firma wurde aufgefordert, sofort bestimmte Maschinen zu kaufen, weil sie später teurer werden würden. Einen solchen Ratschlag konnte natürlich nur ein Spezialfachmann erteilen. Spandau gab alle Unterlagen her und gestattete den Firmen, sich seinen Betrieb anzusehen. Meister der Firmen wurden zu kurzer Ausbildung in Spandau zugelassen, den Firmen aus den Spandauer Werkstätten Probestücke und für jeden Herstellungsgang Musterteile zur Verfügung gestellt. Ferner wurden sie bezüglich der nötigen Maschinen und bei Arbeiterreklamationen unterstützt. Zur Beschaffung der notwendigen Lehren gaben die hierfür vorgesehenen zwei Firmen einen oder mehrere Ingenieure an die Infanterie-Abteilung des Fabrikationsbureaus in Spandau ab, welches rechtzeitig bis 15. September 1916 die nötigen Lehrenzeichnungen aufstellte und den Firmen in genügender Zahl übergab. Bei der Herstellung aller Teile wurde weitestgehende Rücksicht auf die einzelnen Firmen genommen, derart, daß jede ganz nach ihrer Einrichtung und besonderen Eignung fertigte. Am besten gelang dieses System beim Schloß und den Lehren. Die Firmen lieferten Wochenberichte, so daß die zentrale Stelle stets den Stand der Arbeiten nachprüfen konnte, ohne hierzu die einzelnen Werke besuchen zu müssen. Die gesamten Lieferungen litten unter den bald eintretenden Kohlenschwierigkeiten, dann aber auch, weil das „Fabrikationsbureau Spandau“ ab und zu nicht mitkam. Durch starkes Nachhelfen, namentlich zweckmäßiges Verteilen der einzelnen Teile, wurden im Februar die ersten Maschinengewehre „zusammengestümpert“. Im Stich gelassen hat keine Firma, wenn auch einzelne enttäuschten. Später mußte auf eine Verbesserung der Erzeugung hingearbeitet werden, und zwar indem die Toleranzen zweckentsprechend geändert wurden. Hierbei wirkten die einzelnen Firmen tatkräftig mit. Sitzungen für Erfahrungsaustausch brauchten nicht anberaumt werden, da die Firmen sich durch die Tätigkeit des Fabo3 nahegekommen waren, ihr gemeinsames Interesse erkannt hatten und zusammen arbeiteten. Auch wurden sie angehalten, sich immer wieder andere Betriebe anzusehen und voneinander zu lernen. Notwendige Ergänzung der bisher angeführten organisatorischen Maßnahmen war die Materialzuweisung. Für die Beschaffung hochwertigen Schnelldrehstahls wurde ein abgekürztes Zuweisungsverfahren ausgebildet. Die sonstige Materialzuweisung erfolgte nach einem großzügigen Programm, wobei dauernd dafür gesorgt wurde, daß Teile, die dem einen Werk fehlten, während sie das andere Werk reichlich besaß, abgegeben wurden. In dieser einheitlichen Zusammenarbeit hat allerdings eines gestört, das Bestreben der Fliegertruppe, auf eigenem Wege vorzugehen. Doch konnten die dadurch entstehenden Schwierigkeiten in letzter Stunde noch gemildert werden.

3 Abkürzung für Fabrikationsbureau Spandau.



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§ 21 Infanteriemunition Die in der deutschen Armee eingeführte 8-Patrone unterschied sich von der früheren rundköpfigen Patrone  88 durch eine schlanke Spitze bei zylindrischem Bodenteil, geringeres Gewicht (10 g) und stärker wirkendes Treibmittel, welches ihr eine wesentlich rasantere Flugbahn (Mündungsgeschwindigkeit 880 gegen 680 m) verlieh. Die für die Mobilmachung festgesetzten Leistungen wurden durch den tatsächlichen Bedarf bei weitem überschritten. Auch war der Beginn der privaten Lieferungen zu spät angesetzt und es fehlte staatlichen und privaten Werken an nötigen Maschinen. Abhilfe wurde geschaffen durch Vermehrung des Maschinenparks, Errichtung einer zweiten staatlichen Munitionsfabrik in Kassel (Betriebsbeginn am 1. März 1915), Heranziehung möglichst vieler Privatfirmen und äußerste Steigerung ihrer Leistung, zum Teil unter Gewährung von Vorschüssen. Die Schwierigkeiten waren angesichts der zu fordernden Präzisionsarbeit ganz außerordentliche. Einzelne Firmen kamen trotz zeitweiser Überlassung gelernter Arbeitskräfte über Versuche nicht hinaus. Eine ganz besondere Rolle hat die Materialknappheit, besonders an Antimon, Nickel und Kupfer, Lötzinn, Seife, Ölen, Baumwollband, gespielt. So mußten die Hülsen mit der Zeit aus Stahl statt aus Messing gefertigt werden. Dies bedeutete eine vollkommene Umwälzung. Zunächst war mit größten Schwierigkeiten hochwertiges Stahlblech, wie es im Frieden überhaupt nicht vorhanden war, zu schaffen. Sodann war die Hülsenfertigung von Grund auf zu ändern, weil sich Stahlblech nicht wie Messing ziehen und behandeln läßt. Ferner zeigte sich die Rostgefahr bei Eisenhülsen als so groß, daß sie z. B. den Gebrauch von Eisenpatronen für Maschinengewehre ganz in Frage gestellt hätte, wenn es nicht gelungen wäre, sie zu beseitigen. Die Herstellung von Eisenhülsen dauert erheblich länger als die von Messinghülsen, weshalb ein Produktionsrückgang von 30—50% vorauszusehen war; er mußte durch entsprechende Neuanlagen oder Heranziehung anderer leistungsfähiger Patronenfabriken ausgeglichen werden. Dazu kam die Zurückhaltung der obersten Behörden gegenüber der Erteilung von Massenaufträgen. Trotzdem konnten im Juni 1916 schon namhafte Mengen von Stahlhülsen geliefert werden. Ein lebendiges Bild der außerordentlichen Schwierigkeiten dieser neuen Fertigungsweise gibt eine Schilderung der dazu übergegangenen Geislinger Metallwarenfabrik. Die ersten Proben mit Eisenhülsen machte die Firma im September 1915. Infolge mangelnder Elastizität des Materials ergaben sich Klemmerscheinungen, wie sie an Messinghülsen nicht beobachtet waren. Zahllose Versuche waren notwendig, denn die Hülsen müssen an verschiedenen Stellen verschiedene Härten und Wandstärken ausweisen. Nach guten Beschußergebnissen im Juni 1916 erhielt man, als eine andere Rohmaterialiensendung verarbeitet wurde, wieder ungünstige Resultate. Der Stahllieferant erklärte, anderes Material nicht liefern zu können. Später wurde die Herstellung der Eisenhülsen bis auf das Auftreten vereinzelter Längsrisse verbessert. Im März 1917 fand die Firma ein neues Verfahren, die Hülsenböden allein unter Abkühlung der übrigen Hülse zu glühen. Dazu kam leichte Einfettung der Hülsen in einer Fettlösung.

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Auch die Fertigung von Patronentraggurten und Patronenkästen übernahm die Privatindustrie. Bei den ersteren hatten die Lieferer Frauen von Kriegsteilnehmern zu beschäftigen. Zur Milderung der Arbeitslosigkeit erhielten neben Spandauer und Berliner Firmen wohltätige Vereine und Gemeindevereinigungen Aufträge. Hierfür wurden durch die Heeresstellen besondere Vorschriften zum Schutz der Arbeiterinnen erlassen. Für die Patronenkästen wurden auch Lieferungsverbände, Innungen und Handwerksmeister herangezogen, dabei aber die Weitergabe der Aufträge an Unterlieferanten verboten, widrigenfalls die Aufträge rückgängig gemacht wurden.

§ 22 Nahkampfmittel Zu den Nahkampfmitteln gehören: Minenwerfer und Granatwerfer, Minen, Wurfgranaten, Gewehrgranaten, Handgranaten, Flammenwerfer, Nebelkästen, Hindernisdraht und fertige Hindernisse. Es gibt leichte, mittlere und schwere Minenwerfer mit Reichweiten von 450— 1050 m. Der leichte Minenwerfer entstand erst während des Krieges, von den anderen Arten waren bei Kriegsbeginn nur wenige Stücke vorhanden. Da die einzige liefernde Privatfirma den großen Bedarf allein nicht decken konnte, so mußten weitere Werke herangezogen werden. Erschwert wurde die Herstellung dadurch, daß man noch nicht ganz über die Zeit der Versuche hinaus war und daß angeblich die den neuen Firmen von dem ursprünglichen Lieferer überlassenen Zeichnungen nicht einwandfrei waren. Trotzdem konnten bis Mitte 1916 etwa 20  Firmen für den Bau von Minenwerfern herangezogen werden. Weitere Schwierigkeiten entstanden durch die Verwendung von Ersatzstoffen, durch den Mangel an Füllmitteln und durch die Einziehung der Facharbeiter. Lieferungsprämien haben sich hier gut bewährt. Von Granatenwerfern wurden bis zum September 1917 rund 70  000  Stück geliefert. Dann wurde die Fertigung eingestellt. Mit Wurfgranaten waren etwa 80 Firmen beschäftigt. Im August 1917 betrug die Monatsleistung über 2 000 000 Stück, wurde jedoch vom 1. Oktober 1917 an wesentlich herabgesetzt. Von Minenarten wurden Übungs-, Spreng-, Gas-, Rauch-, Brand-, Nachrichten-, Wurf-, Nebel- und Ladungsminen hergestellt. Auch hier nahm die Zahl der Lieferer und Unterlieferer außerordentlich stark zu. Mit der Zeit wurden die Zünder der mittleren und schweren Minen vereinheitlicht. Doch war die versuchte Herstellung aus Zink ein Fehlschlag, der die Fertigung eine Zeitlang sehr gehemmt hat. — Später wurde der Zünder aus Eisen gefertigt. Handgranaten sind Nahkampfmittel für 3—40 m Entfernung. Schon im Frieden hatte man sich auf Grund eingehender Versuche mit Wurf- und Schußgranaten zur Konstruktion einer Kugelhandgranate mit Brennzünder entschieden. Der Kriegsbedarf



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entwickelte sich erst langsam, mit Eintritt des Stellungskrieges jedoch sprunghaft. Da die fabrikmäßige Herstellung von Handgranaten nicht annähernd den großen Anforderungen folgen konnte, wurden von den Pionierparks zunächst in großen Mengen behelfsmäßige Handgranaten hergestellt. Erfahrungen über die verschiedenen Typen lagen nicht vor, zudem tauchten immer neue Konstruktionen auf, die sehr verschieden beurteilt wurden. Im März 1915 war ihre an der Front benutzte Zahl auf 31 angewachsen. Deshalb wurde eine Anzahl Arten ausgeschieden und nur in einer beschränkten Zahl laufende Abschlüsse gemacht. Die Massenlieferung kam aber erst in Fluß, nachdem einige Großbetriebe die Herstellung großzügig organisiert hatten. Nach und nach waren im Ganzen 50—60 Firmen tätig. Schwierigkeiten in der Lieferung entstanden angeblich dadurch, daß die Tempergießereien und Stahlwerke durch Ringbildung die Rohmaterialien verteuerten. Auch soll infolge der starken Ausfuhr das Material verschlechtert und die Lieferung an die Armee verzögert worden sein. Als Einheitsgranaten für die gesamten Fronten blieben schließlich die Stiel- und Eierhandgranaten übrig. Für ihre Herstellung waren besondere Maßnahmen nicht erforderlich. Dagegen konnte mit der Fertigung der Zünder nicht Schritt gehalten werden; man sah sich deshalb veranlaßt, außer tatkräftiger Unterstützung bezüglich der Rohstoffe und der Facharbeiter die Produktion durch Gewährung von Extraprämien für erhöhte Lieferung zu fördern. — Bis Ende Juli 1917 waren 89 Mill. Handgranaten an die Front geschickt worden. Hindernisdraht und fertige Hindernisse brauchten in den ersten Kriegsmonaten nur die Fortifikationen, und durch diese geschah die Bedarfsdeckung auch unmittelbar nach vorhandenen Mobilmachungsverträgen oder durch Teilankäufe bei ansässigen Firmen. Vom Mai 1915 ab wurde aber der Frontbedarf derart stark, daß die vorhandenen Herstellungsmöglichkeiten teilweise nicht ausreichten. Daher wurde die Beschaffung beim Ingenieurkomitee zentralisiert, damit eine Stelle zur gleichmäßigen Regelung der Arbeiterfragen und zu einheitlicher Ausnutzung aller Lieferungsmöglichkeiten unmittelbar mit den Drahtwerken verkehren konnte. Diese Maßnahmen haben auch durch Zusammenschluß der Drahtwerke zu einer gleichmäßigen Preisbildung geführt. Die Verteilung des Drahtes bestimmte nach der jeweiligen Kriegslage der Chef des Generalstabes des Feldheeres. Fertige Hindernisse: Schnelldrahthindernisse, Stacheldrahtwalzen gelangten erst Anfang 1915 zur Einführung. Die monatlichen Lieferungen wurden entsprechend dem Bedarf der Truppen allmählich erhöht. An Stahldrahtwalzen z. B. wurden zeitweise bis zu 30 000 Stück, an Schnelldrahthindernissen 13 000 und an Stacheldrahtwalzen 130 000 Stück monatlich versandt. Die Inlandsfertigung an Walzdrähten und glatten Drähten wurde sehr ungünstig beeinflußt durch Einziehung des größten Teiles der gelernten Facharbeiter, durch Mangel an Betriebseinrichtungen und -stoffen sowie durch den beginnenden Mangel an Halbzeugen. Beeinflussung der Bedarfsdeckung durch Einfuhr war nur soweit möglich, als sie im Rahmen der allgemeinen Eisenherstellung lag (Hämatit, Manganerze usw.). Die Ausfuhr wurde aufs äußerste eingeschränkt. Weitere Steigerung wurde

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zunächst ermöglicht durch weitestgehende Inbetriebsetzung der in den besetzten Gebieten befindlichen Drahtwerke. Der wöchentliche Versand an Stacheldraht und glatten Drähten erreichte 8000  Tonnen. Die Privatindustrie hat durch Erweiterung ihrer Betriebe großes Anpassungsvermögen bewiesen und ist schnell den wachsenden Bedarfsverhältnissen nachgekommen, namentlich durch Anlernung jugendlicher und weiblicher Kräfte sowie Kriegsgefangener und älterer Arbeiter.

Kapitel 8 Artilleriewaffen und Artilleriemunition § 23 Artilleriegerät 1. Einleitung. Die preußisch-deutsche Artillerie verwandte seit 1851 ausschließlich Hinterlader. Man unterscheidet Flachbahn- und Steilfeuergeschütze. Die wichtigsten an heutige Geschütze gestellten Forderungen sind: Rasche Feuerbereitschaft, rasches Laden (Verschlußeinrichtungen), rasches Richten (Rohrrücklauf, Lafettensporn, Zielvorrichtungen für Höhen- und Seitenrichtung), Möglichkeit indirekten Schießens, Sicherungen zur Vermeidung von Unglücksfällen während des Fahrens sowie Schutz der Bedienung durch Schilde (Schildbatterie). Bei Ballonabwehrgeschützen verlangt man besonders große Beweglichkeit, Lade-, Ziel-, Feuerund Geschoßgeschwindigkeit, dafür genügen kleinere Kaliber, etwa bis zu dem der Feldgeschütze. Der Aufbau erfolgt auf Automobilen oder besonders konstruierten Räderlafetten. Feste Aufstellung besitzen die in Panzertürmen untergebrachten und die Küstengeschütze, ferner Geschütze der Marine. Die häufigst gebrauchten Geschütze der deutschen Armee waren: A. Feldartilleriegeschütze, sämtlich mit Rohrrücklauf, und zwar: 1. Feldkanonen (F. K. C—96), ein Flachbahn-Schnelladegeschütz mit 7,7 cm Kaliber für Schrapnells und Granaten. 2. Die leichten Feldhaubitzen (1. F. H. C—98) mit 10,5 cm Kaliber für Schrapnells und Granaten. B. Fußartilleriegeschütze, sämtlich mit Rohrrücklauf, und zwar: 1. Die 10 cm-Kanone 04, ein Flachbahngeschütz für Granaten mit Aufschlagzünder. Zu Beginn des Krieges wurde ein verbesserter Typ eingeführt. 2. Die 13 cm-Kanone mit Radgürtel, ein Flachbahngeschütz für Schrapnells und Langgranaten. Später aufgegeben. 3. Die 15 cm-Schwere-Feldhaubitze 02, ein Steilfeuergeschütz für Granaten (04) mit Aufschlagzünder. 4. Der 21 cm-Mörser mit bis zu 45 Grad Erhebung für schwerstes Steilfeuer und Granatenmunition. Diese Geschütze erfuhren während des Krieges zum Teil einschneidende Weiterentwicklungen. Die besonderen Schwierigkeiten in der Artilleriebewaffnung des Feldheeres liegen darin, daß auf der einen Seite die Geschützleistungen immer mehr zu erhöhen, auf der andern Seite die Beweglichkeit des Artilleriegeräts, d. h. sein Gewicht, nicht über eine gewisse bestimmte Grenze hinaus zu steigern ist. Die Vereinigung dieser beiden einander entgegengesetzten Forderungen ist nur möglich durch erstklassige ballistische Eigenschaften und vollkommene Ausnutzung erstklassigen Materials.



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Die älteren Geschützrohre wurden aus Eisen oder Bronze aus einem Stück gegossen: Vo l lrohre. Heute vereinigt man in der Regel zwei konzentrische Schichten zu sog. M a n te l ro h re n . Die äußere Schicht wird in heißem (also ausgedehntem) Zustand über die innere (abgekühlte, also eingeschrumpfte) weggezogen, „aufgeschrumpft“. Beim Erkalten pressen sich beide Schichten fest zusammen und setzen so dem beim Abfeuern nach außen gerichteten Druck der Pulvergase einen Gegendruck entgegen, wodurch die innersten, am meisten beanspruchten Schichten geschützt werden. Im übrigen werden die Massen so gewählt, daß die zulässigen Materialbeanspruchungen nirgends überschritten werden. Die sog. Mantelringrohre besitzen mehr als zwei übereinanderliegende Schichten. Neuerdings wurden für Feldkanonen wieder Vollrohre in Vorschlag gebracht. Als Geschützrohrmaterial kommen heute Bronze und Stahl, letzterer mit Beimischungen von Chrom und Nickel und mit hoher Elastizitätsgrenze in Betracht. Die Lafette dient zur Lagerung und bei fahrbaren Geschützen (bis zu 28 cm-Kalibern) als Wagen für das Geschützrohr, sowie vermittelst eines Sporns zur Aufnahme des Rückstoßes beim Schuß. Schnelles Feuer ermöglichte erst die bei uns Anfang der neunziger Jahre eingeführte Rücklaufbremse, bei welcher das Rohr nach dem Schuß auf einer Wiege zurückgleitet, während der untere Lafettenteil unverrückt bleibt. Nach dem Schuß führt ein sog. Vorholer mit Vorlaufbremse das Rohr wieder in die Feuerstellung zurück. Durch Verbindung von Lafette und Protze mittels Ring und Haken entsteht bei den kleineren Kalibern ein vierrädriges Fahrzeug. Besondere Anordnungen, z. B. Radgürtel, erfordern die schwereren Kaliber, und unter ihnen insbesondere die Haubitzen und Mörser wegen ihrer starken Höhenerhebung beim Feuern. Auch müssen die schwereren Rohre zum Zweck der Beförderung in ein besonderes Lager auf der Lafette zurückgezogen werden, um die eigentlichen Lafettenräder zu entlasten. Die Rohre der großen Kaliber, von der 21 cm-Haubitze ab, werden auf besonderem Rohrwagen gefahren. Gebirgsgeschütze müssen für die Beförderung durch Tragtiere zerlegbar eingerichtet sein. Das erste Ballonabwehrgeschütz wurde nach einer Mitteilung in der Technischen Rundschau des Berliner Tageblatts vorn 14. März 1917 schon im Deutsch-Französischen Kriege 1870/71 angewandt. Es war eine 3,7 cm-Kanone mit verhältnismäßig langem Rohr und einem kleinen Rundkeilverschluß. Es dürfte sich empfehlen, hier kurz auf die Q u a l i t ä t sf r age d e r Ro h re einzugehen, über die im Kriege Klagen laut wurden. Dabei ist zu bedenken, daß beim probemäßigen Beschuß eine Reihe von Fehlerquellen wegfallen, die beim praktischen Gebrauch unvermeidlich sind, z. B. die nicht ganz unverrückbar feste Lage des Geschützes. Ein Vergleich der Kriegsqualität mit der im Frieden erzielten ist auch darum schon nicht möglich, weil im Frieden nur ganz wenige Geschütze so ausgiebig verwendet werden wie im Kriege jedes. Daß im übrigen im Kriege mit der überhasteten Fertigung auch stellenweise eine Verschlechterung eintrat, war nur zu begreiflich und nicht zu vermeiden. Über die Bewährung des Feldgeschützes äußert sich ein Bericht der zuständigen Kriegs­ ministerialabteilung mit folgenden Worten: „Die den Friedensvorbereitungen zugrunde gelegte Ver­ wendung der beiden Artillerien hat sich im Kriege völlig geändert. Es stellte sich sehr bald heraus, daß das französische Feldgeschütz in Verbindung mit vorzüglicher taktischer Verwendung sich dem deutschen Feldgeschütz überlegen zeigte4, vor allem an Schußweite; dafür mußte die deutsche Fußartillerie zwar auf äußerster Schußweite, aber mit überlegener vernichtender Geschoßwirkung an ihre Stelle treten. Die französische Fußartillerie war der deutschen unterlegen an Zahl, Art und Gliederung. Deshalb trat der vermehrte Einsatz der Fußartillerie neben der Feldartillerie ein, und als Folge großer Munitionsaufwand, sogar gegen verdeckte Ziele. Während die Franzosen durch ihre Feldartillerie mit 4 Von Interesse ist in diesem Zusammenhang die folgende Bemerkung in der englischen Schrift von Newbold: How Europe armed for war, S. 85: „Man empfand in deutschen militärischen Kreisen schon während des Balkankrieges große Beunruhigung über den ungewöhnlichen Erfolg der französischen Feldgeschütze.“

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stärkstem Munitionseinsatz verdeckte Stellungen im Streuverfahren bekämpften, verbot sich dieser Einsatz bei der deutschen Feldartillerie infolge der geringeren Munitionsausstattung. In der viel schwerer zu ergänzenden Fußartilleriemunition ist aber dieser Einsatz tatsächlich erfolgt.“ Leider wurden die im Felde gemachten Erfahrungen über die Verwendbarkeit der Artillerien in der Heimat nicht sofort bekannt. Ein Tätigkeitsbericht enthält hierüber folgende Auskunft: „Nachrichten über die veränderte Sachlage bezüglich der Verwendung der beiden Artillerien gelangten erst Ende September und Anfang Oktober 1914 in die Heimat. Dazu kam für die Beschaffungsstellen der Mangel an zahlenmäßigen Unterlagen für den tatsächlichen Bedarf. Die Front verlangte nur: soviel als möglich.“

2. Feldartilleriegerät . Das Feldartilleriegerät wurde bis zum Kriegsbeginn nur von Krupp, Erhardt, der Geschützgießerei Spandau und Fahrzeugfabrik Eisenach (für Rohrbearbeitung) geliefert. Nach Kriegsbeginn zeigte es sich bald, daß diese vier Werke nicht imstande sein würden, allein den Kriegsbedarf zu decken. So sah man sich schon Anfang 1915 genötigt, zunächst sechs weitere Firmen heranzuziehen. Diesen lieferte die Geschützgießerei Spandau in Mäntel gezogene Seelenrohre als Halbfabrikate. Die Firmen bearbeiteten die Rohre, d. h. sie drehten sie außen auf genaue Maße ab, bohrten sie aus, schnitten die Züge ein und drehten den Ladungsraum fertig. Nur der Bochumer Verein verwendete von Anfang an für seine Rohre 98/09 eigene Halbfabrikate. Auch trug er durch eigene hervorragende Produktion dazu bei, die Knappheit an Seelenrohren zu überwinden und so Betriebsstockungen zu vermeiden. Den neu hinzugezogenen Firmen mußten naturgemäß höhere Preise bewilligt werden, als sie bisher bezahlt worden waren, da sie die ihnen fehlenden Erfahrungen erst durch kostspielige Vorversuche und größeren Ausschuß wettzumachen hatten. Nach den dienstlichen Berichten wurden die Schwierigkeiten der Bearbeitung von den Firmen anfänglich unterschätzt. Am schnellsten fanden sich die an Präzisionsarbeit gewöhnten neuzeitlich eingerichteten Maschinenfabriken in die neue Arbeit. Langsamer gelang es der hauptsächlich auf Halbfabrikate und den Bau schwerer Bergwerksmaschinen eingestellten Schwerindustrie des Westens. — Die monatliche Fertigung betrug im Frühjahr 1916 erst rund 18, im Herbst 1916 wenigstens 52 Rohre. Daß die Monopolstellung Krupps von Nachteil für die Heeresverwaltung gewesen sei, war anfangs auch im Wumba allgemeine Ansicht. Diese ist aber später wenigstens teilweise geändert worden. Denn die neuen Firmen brauchten mindestens ein Jahr, bis sie in die eigentliche Fertigung eintraten. Zu der Geringfügigkeit der anfänglichen industriellen Leistungen hat auch das in Abschnitt V und VI besprochene Fehlen nötiger Fertigungsunterlagen beigetragen. Auch durch die bisher geschilderten Maßnahmen konnte der dauernd steigende Bedarf mit der Zeit nicht mehr gedeckt werden. Die Leistungen der vorhandenen Lieferer mußten gesteigert und zahlreiche Werke herangezogen werden. Von hervorragender Bedeutung wurde mit zunehmender Kriegsdauer das Neubeseelen der Rohre: Durch die Benutzung unbrauchbar gewordene Geschützrohre werden ausgebohrt und dann der erhitzte, also ausgedehnte Mantel auf ein neues Seelenrohr aufgeschrumpft.



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Die neubeseelten Rohre stehen bezüglich der Güte hinter völlig neuen Rohren in keiner Weise zurück. Die Leistungsfähigkeit der mit Neubeseelungen betrauten Firmen konnte zeitweise nicht voll ausgenutzt werden; sie wurden dann zur Fertigung neuer Rohre herangezogen. Nach Durchführung verbesserter Beschaffungsverfahren wurde vorgegangen, wie folgt. Damit in jedem einzelnen Werk, auch schon in den Stahlwerken, eine gewisse Massenfertigung möglich war, wurde jedem Werk nur ein bestimmtes Teilfabrikat zugewiesen. Über die Halbfabrikate wurde vom Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt (Wumba) in Berlin verfügt und die Teile den Weiterbearbeitern zugeleitet. Diese hatten also nichts zu beschaffen, alle Halbfabrikate sowie kleine Teile (Schrauben usw.) wurden ihnen zugeteilt. Die einzelnen Teile liefen von ihren Fertigern her in der Geschützgießerei Spandau zusammen. Hier wurden sie satzweise vereinigt und gingen an den Fertigbearbeiter. Ebenso war für Schutzbleche und für die Verschlüsse je ein besonderer Lieferer vorhanden. Nur wurde hier das Walzmaterial nicht von der Behörde bezahlt. Aber die Preise für die Halbfabrikate waren nachgeprüft und damit auch den Verschlußlieferern die Preise vorgeschrieben: es entfiel der Zwischengewinn. Auch Firmen, die Einzelteile selbst herstellten, erhielten sie, sofern sie sie weiter verwendeten, zugewiesen. Die beschossenen Geschütze liefen im Artilleriedepot Köln zusammen, wo die Batterien aufgestellt wurden. Die erst hier nötigen Teile wurden von den Erzeugern unmittelbar nach Köln geleitet; wie überhaupt mit der Zeit der Grundsatz durchgeführt wurde, in jeder Weise an Transporten zu sparen und die Teile erst dahin zu leiten, wo sie unbedingt eingefügt werden mußten. 3. Fußartilleriegerät . Im Anfang des Krieges waren nennenswerte Bestände für Nachschub und Ersatz sowie für die Neuformationen nicht vorhanden. Um für dringliche Fälle einen gewissen Nachschub zur Hand zu haben, wurden 1. alle verfügbaren Geschütze in der Mitte des Reiches vereinigt; 2. Krupp und die Institute zu weiteren schleunigsten Lieferungen veranlaßt und die in Fertigung begriffenen Geräte herangezogen; 3. die Geschützgießerei Spandau und die Artilleriewerkstätten vergrößert, ebenso die in den Festungen befindlichen Instandsetzungswerkstätten. Die Schwierigkeiten des Nachschubs vergrößerten sich jedoch dadurch immer mehr, daß unvermutet allmählich auch die meisten älteren Geschütze aus den Festungen herangezogen wurden und auch für diese Geschütze Nachersatz notwendig wurde. Mit den schon im September 1914 einsetzenden Lieferungen aus den Friedensaufträgen des Jahres 1914 deckte man den Bedarf, bis die Lieferungen aus den Mobilmachungsbestellungen einsetzten. Die Lieferungen für die im Frühjahr eingeführten schweren Feldhaubitzen 13 begannen im August 1914. Die Fertigungsdauer von Fußartilleriegeschützen beträgt etwa 6—9 Monate und mehr, je nach der Größe der Kaliber. Auch nach dieser Zeit können monatlich nur wenige Geschütze zur Abliefe-

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rung kommen. Ihre Zahl ist abhängig von der Einrichtung der Fabriken, ihrer Versorgung mit Rohstoffen, der Gewinnung von Arbeitern und vielen anderen Dingen. Von den Fußartilleriegeschützen konnten die schwersten in Deutschland lediglich von Krupp hergestellt werden. Für die Fertigung der anderen kamen außer Krupp nur — zum geringeren Teil — die Technischen Institute und Erhardt in Betracht. Die Gründe liegen in den hohen Anforderungen an die Geschütze und in den außerordentlich teuren Fabrikationseinrichtungen bei geringer Auftragshöhe im Frieden. So erklärt sich auch das Kruppsche Monopol, dem in Österreich-Ungarn etwa das von Skoda-Pilsen, in Frankreich das von Schneider-Creuzot entsprach. Erst in den letzten Jahren war es der Heeresverwaltung geglückt, diese Monopolstellung Krupps zum Teil zu beseitigen, indem die Technischen Institute und die Firma Erhardt auf den Plan gerufen wurden. Beide vermochten jedoch nur Bruchteile der Lieferungen zu bewältigen und waren ihrerseits vielfach auf Halbfabrikate von Krupp angewiesen. Neben der staatlichen Geschützgießerei Spandau und den Artilleriewerkstätten wurden Krupp und Erhardt zu bedeutenden Erweiterungen veranlaßt und gleichzeitig weitere geeignete Privatfirmen ausfindig gemacht. Da jedoch die Herstellung von Fußartilleriegerät größere Erfahrungen voraussetzt, so erhielten die neuen Firmen Aufträge auf das leichter herzustellende Feldartilleriegerät. Man wollte dadurch die alten Lieferanten entlasten. Der Erfolg war jedoch bis zum Schluß des zweiten Kriegsjahres gering. Das Fußartilleriegerät für Bayern und Sachsen wurde mit Ausnahme der Fahrzeuge, Geschirre und kleineren Vorratssachen ebenfalls durch das preußische Kriegsministerium beschafft, da die preußischen Firmen für die übrigen Bundesstaaten keine Sonderaufträge mehr übernehmen konnten und die beiden Bundesstaaten nicht in der Lage waren, Ersatz für Abgänge an Gerät ihrer Fußartillerie im Felde zu beschaffen. Die Herstellung der Lafetten erfolgte außer durch die Artilleriewerkstatt Spandau ursprünglich durch die Geschützrohre liefernden Privatfirmen. Während des Krieges gewann auch die Privatindustrie für die Lieferung von Lafettenteilen erhöhte Bedeutung, denn die eintretenden Schwierigkeiten machten eine rechtzeitige Erledigung der Aufträge für die Artilleriewerkstätten unmöglich. Die Unterbringung der Aufträge bei anderen Firmen gelang nur nach großer Mühe, weil die vergebenden Stellen keine große Firmenkenntnis hatten. Diese neuen Firmen konnten aber erst Januar bzw. Februar 1915 in die Lieferung eintreten. Nachdem sie sich einmal eingerichtet hatten, ließen die Schwierigkeiten nach. Nur die Beschaffung von Bronze und hochwertigen Stählen verursachte Verzögerungen. Auch wegen der zunehmenden Beschaffung von Schilden konnten kurze Fristen nicht mehr eingehalten werden. Als sich die steigenden Anforderungen an Artilleriegerät im Jahre 1916 mit Hilfe der bisherigen Lieferer nicht mehr durchführen ließen, mußte die Massenfertigung



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des Feldgeschützes ins Auge gefaßt werden. Dabei zeigte sich, daß seine Einzelteile im Streben nach höchster Gewichtsersparnis („Grammschinderei“) mit der Zeit recht verwickelte Formen erhalten hatte, so daß sie zur Massenherstellung nicht geeignet waren. Außerdem waren zu viele Stahlsorten und Profile verwendet. Sie wurden auf ganz wenige zurückgeführt. Über die weiteren Ereignisse und Beschaffungen unterrichtet das später über das Hindenburg-Programm Gesagte. 4. Geschützzubehör und Werkzeuge. Auch für die Beschaffung von Geschützzubehör und Werkzeugen für Feld- und Fußartillerie wurde die Privatindustrie in weitestem Umfange herangezogen. „Die anfänglich auftretenden Schwierigkeiten in der Bearbeitung des gegenüber handelsüblichem Stahl wesentlich höhere Güteziffern ausweisenden Stahls für Geschützteile lernte die Industrie überwinden.“

§ 24 Wiederherstellungs- und Instandsetzungsarbeiten Die Wiederherstellungs- und Instandsetzungsarbeiten umfassen die Beseitigung entstandener Schäden, den Ersatz unbrauchbarer Einzelteile und schließlich als Wichtigstes die Einziehung neuer Seelen in die Geschützrohre. Letztere Arbeit konnte anfangs nur von Krupp und der Geschützgießerei Spandau ausgeführt werden, später kamen noch Erhardt und weitere Firmen hinzu. Im übrigen dienten als Hauptwerkstätten für die Westfront Krupp, für die Ostfront die Geschützgießerei und die Artilleriewerkstatt Spandau. Dazu kamen die gleich nach der Mobilmachung in den größeren Festungen eingerichteten Instandsetzungswerkstätten. Als die Kampffronten standen, wurden zur Vermeidung unnötiger Eisenbahnbeförderungen die Sammeldepots in Jüterbog und Magdeburg aufgelöst und neue in Köln, Metz und Straßburg, Küstrin, Thorn und Königsberg eingerichtet. Außerdem wurden nach den Instandsetzungswerkstätten von Köln, Metz, Straßburg, Königsberg und Thorn größere Lieferungen an Vorrats- und Gerätestücken überwiesen, um die Technischen Institute und die privaten Werke zu entlasten. Die im Felde errichteten Werkstätten haben außerordentlich viel zur Schlagfertigkeit der Armeen beigetragen. Für kleine Instandsetzungsarbeiten an Geschützen und Fahrzeugen wurden besondere Belagerungsartilleriewerkstätten auf die Armeen verteilt. Sie haben sich mit der Zeit zu großen leistungsfähigen Betrieben entwickelt, die neben den Instandsetzungsarbeiten an Artilleriegerät, Arbeiten an Maschinengewehren, Minenwerfern, ja sogar die Herstellung von Minenwerfern und von Geschossen aller Flugzeug- und Ballonabwehrgeschütze übernahmen. Da jedoch nicht jede Armee eine Belagerungsartilleriewerkstatt erhalten konnte, so wurden bei den Armeen besondere Instandsetzungswerkstätten eingerichtet

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und mit Meistern, Vorarbeitern und Werkzeugen aus der Heimat versehen, während die Arbeitskräfte von den Truppen gestellt wurden. Als sich die Kampffronten immer mehr verlängerten, wurden zur Verkürzung der Beförderungswege fahrbare Werkstätten aufgestellt. Sie bestanden aus einem Motorwagen mit Anhänger und waren mit den nötigen Dreh- und Arbeitsbänken nebst Werkzeugen ausgerüstet, so daß sie mit Hilfe der den Truppen entnommenen Handwerker unmittelbar hinter der Front kleinere Instandsetzungsarbeiten ausführen konnten.

§ 25 Richtmittel und optisches Gerät Die hierunter begriffenen Einrichtungen und Apparate sind Präzisionsarbeiten höchster Vollendung. Die Fertigungsdauer überschreitet zum Teil ein Jahr. Darum waren gerade hier große Bestellungen und Selbständigkeit der bestellenden Behörden besonders nötig. An beiden scheint es gefehlt zu haben. Auch wurde die Zusammenfassung des Beschaffungswesens erst im dritten Kriegsjahr erreicht. a) Zweck de r R i ch t m i t te l . Die Geschoßbahn weicht sowohl in senkrechter wie in wagrechter Richtung von derjenigen Geraden ab, die durch die Seelenachse des Geschützes festgelegt, die Anfangsrichtung des Geschosses bestimmt. Denn das Geschoß senkt sich während des Fluges infolge der eigenen Schwere; Luftwiderstand und Rechtsdrall lenken es nach rechts ab. Die Seelenachse und damit die Anfangsrichtung des Geschosses müssen deshalb auf einen Punkt hinweisen, der links oberhalb des Zieles liegt. Die Größe dieser Abweichung läßt sich nach den Gesetzen der Ballistik bestimmen. Im modernen Krieg müssen die Geschütze aus gedeckten Stellungen über große Entfernungen, das heißt in der Regel „indirekt“ schießen. Die Richtmittel haben nun den Zweck, sowohl den eben erwähnten Abweichungen der Geschoßbahn von der Geraden wie anderen störenden Einflüssen, wie Wind, schiefe Radstellung u. dgl., Rechnung zu tragen, sie müssen aber auch gestatten, mittels eines Hilfszieles die Schußrichtung für das indirekte Schießen festzulegen. Heute sind die Richtmittel für direktes und indirektes Schießen zu einem Instrument von großer technischer Vollendung, dem Fernrohraufsatz mit Richtkreis, vereinigt. Zum direkten Richten dient der L i b e l l e n au f s a t z m i t Ru n d b l i ck f e r n ro h r. Mit seiner Hilfe wird auch die Höhenrichtung beim indirekten Richten festgelegt und der Höhenunterschied zwischen Ziel und Standort des Geschützes berücksichtigt, der beim direkten Zielen nicht in Frage kommt. Die Seitenrichtung wird beim indirekten Schuß mittels Hilfsziel durch den Richtkreis festgelegt, der aber auch feinere Seitenkorrekturen (Berücksichtigung des Windes, Feuerverteilung) gestattet. Zu den o p t i s ch e n G e r ä te n gehört unter anderem der E n t f e r n u ngs m e s s e r, der besonders von der Fliegerabwehr und der Infanterie gebraucht wurde. Man unterscheidet zwei Modelle: Invertund Koinzidenzentfernungsmesser. Beide werden so gehandhabt, daß man zwei Bilder des zu beobachtenden Objekts zur Deckung bringt.

b) Beschaffungsmaßnahmen. Die geringen Mobilmachungsvorräte machten es sehr schwer, alle ins Feld rückenden Formationen gleichmäßig mit Richtmitteln auszurüsten, da es an Aufsatzträgern fehlte. Es wurde daher die Privatindustrie mit ihrer



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vollen Leistungsfähigkeit herangezogen und das abgenommene Material den Truppenteilen jeweils durch besondere Begleitkommandos mit der Bahn oder mit Kraftwagen zugeführt. Erst bis zum Herbst 1915 wurde es möglich, jeder Anforderung in kurzer Zeit zu entsprechen. Allmählich wurden auch die Etappen mit ausreichenden Ersatzgeräten versehen. Weitere Schwierigkeiten entstanden zeitweise infolge Ledermangels, bei der Beschaffung der nötigen Glassorten sowie des Ersatzes für Messing und Gummi. Bezüglich der Instandsetzung des optischen Geräts wurde durch Errichtung besonderer, den Etappen usw. nahe liegenden Werkstätten eine wesentliche Beschleunigung erreicht. Der Bedarf an Rundblickfernrohren war sehr hoch, da die Ausstattung der Feldkanonen und der leichten Feldhaubitzen bei Kriegsausbruch noch nicht beendet und Vorräte nicht vorhanden waren. Die gesamten Lieferungen reichten gerade aus, den Bedarf notdürftig zu decken. Anstatt normaler Richtkreise mußten teilweise Ersatzrichtkreise aus Eisen gefertigt werden. Diese erhielten die Ersatztruppenteile; die dadurch freiwerdenden Richtkreise wurden den Feldtruppen überwiesen. Leider wurden zahlreiche kostspielige Instandsetzungsarbeiten dadurch erforderlich, daß einzelne Waffenmeister entgegen der Vorschrift versuchten, selbständig Ausbesserungen an den Richtmitteln vorzunehmen. Auch den Anforderungen der Fußartillerie konnte erst allmählich genügt werden, obwohl alle überhaupt erreichbaren Firmen Aufträge erhielten. Der Bedarf wurde weiter gesteigert durch den Ausbau der Verteidigungsstellen vor den eroberten Festungen. Zur Festlegung der Entfernungen sind namentlich für weittragende Geschütze besondere Meßtrupps erforderlich. Solche mußten neu aufgestellt und mit Meßgerät ausgestattet werden. Dazu kam die Aufstellung von Schallmeßtrupps. Den Anforderungen an Planmaterial namentlich für die besetzten Gebiete konnte bei der Plötzlichkeit der Aufträge nur mit äußerster Ausnützung der Privatfirmen und nicht immer mit erwünschter Schnelligkeit genügt werden. Besonders erschwert wurden diese Beschaffungen dadurch, daß vielfach Maßstäbe und Abmessungen angefordert wurden, die im deutschen Heere nicht üblich waren. Wichtig war neben der dauernden Beaufsichtigung der Firmen die zweckmäßige Verteilung des Materials auf die einzelnen Nachschubdepots. c) Fernrohre. Der Bedarf an Doppeltfernrohren war ein ganz bedeutender. Er konnte aber befriedigt werden, da Feldstecher auch für Privatzwecke viel gebraucht werden und deshalb im Anfang große Vorräte vorhanden waren. Zur Lieferung herangezogen wurden alle dafür geeigneten deutschen Firmen. Für die größeren Entfernungen, also mehr als 8—10fache Vergrößerung, namentlich bei Flieger- und Artilleriebeobachtung, dienen die aufstellbaren sogenannten Scherenfernrohre. Ihre größte Form stellte das Mastfernrohr dar, ein teleskopartig

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ausziehbarer, auf einen Wagen montierter Mast, der am oberen Ende Auffangsprismen und das Objektiv trägt. Durch besondere Fadenkreuze im Gesichtsfeld der Fernrohre kann die Entfernung der beobachteten Geländepunkte bestimmt werden. Der Bedarf an Scherenfernrohren war sehr groß, besonders weil keine Vorräte da waren, wohl aber neue Formationen aufgestellt wurden, die sie brauchten. Dazu kam der Bedarf der Luftschiffe und Marineabteilungen sowie der verbündeten Staaten, an welche Scheren-, Halbscheren- und Handscherenfernrohre usw. geliefert wurden. Die Scherenfernrohre wurden ursprünglich nur von zwei Firmen hergestellt. Zwei weitere herangezogene Firmen konnten erst allmählich liefern, da sie die Fabrikationsschwierigkeiten unterschätzt hatten und optische Firmen unter der Einziehung geübter Arbeiter besonders schwer litten. Da die Herstellung der Scherenfernrohre viel Zeit in Anspruch nahm, so wurden schneller herzustellende Halbscheren- und Handscherenfernrohre konstruiert. Einzelne Stabsformationen erhielten bei Firmen beschlagnahmte geradsichtige Fernrohre fremdländischer Besteller.

§ 26 Artilleriemunition 1. B egriffsb e s t i m m u nge n . Die heutige Artillerie arbeitet in der Hauptsache mit Sprenggeschossen. Bei diesen unterscheidet man als Hauptteile den Zünder, die Geschoßhülle und die Sprengladung, bei Schrapnells außerdem noch die Sprengmunition. Die Zün d e r zerfallen in Aufschlagzünder und Zeitzünder. Die ersteren wirken mit oder ohne Verzögerung der Zündung dadurch, daß beim Aufschlagen des Geschosses auf das Ziel eine Nadel in den Zündsatz des Zündhütchens eindringt. Die Zeitzünder wurden ursprünglich als sog. Brennzünder ausgeführt, bei denen in einer Rinne oder einem Röhrchen ein Pulversack liegt, der mit bestimmter Geschwindigkeit abbrennt. Neuerdings sind neben dem Brennzünder die mechanischen Zeitzünder mit Uhrwerk stark in Aufnahme gekommen. Der Doppelzünder ist eine Kombination von Zeit- und Aufschlagzünder, um Blindgänger zu vermeiden. Die Geschoßhülle bestand ursprünglich nur aus Preßstahl. Gußeisen wurde vor dem Kriege nicht angewandt. Ebenso wie die Rohre erfordern also die Geschosse und ihre Bearbeitung große Mengen von Nickel, Chrom, Wolfram, Molybdän und Vanadium, da für besondere Zwecke auch Geschosse aus hochwertigen Spezialstählen hergestellt werden (z. B. Panzergranaten). Die Gr a n a te n zerfallen in Minengranaten und Sprenggranaten. Die letzteren dienen zur Bekämpfung lebender Ziele hinter Deckungen mäßigen Widerstands. Die Geschosse erhalten starke Wände und mäßige Sprengladung. Minengranaten dienen zur Zerstörung starker lebloser Ziele. Sie erhalten starke Sprengladungen. Die Sprenggranaten werden ausgeführt mit Doppelzündern, d. h. kombinierten Aufschlag- und Zeitzündern. Die Minengranaten erhalten Aufschlagzünder mit und ohne Verzögerung. Die Schrapnells mit Doppelzünder sind ihrer tiefen und breiten Wirkung wegen die Hauptwaffe gegen lebende Ziele. Eine Verbindung beider Geschoßarten wird angestrebt durch die sog. Einheitsgeschosse, von welchen die deutsche Armee eines für die leichteren Feldhaubitzen besaß.



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2. Geschosse. a) Preßgeschosse. Mit der Erklärung der drohenden Kriegsgefahr wurde in allen staatlichen Geschoßfabriken durch Erweiterung und Neubauten, besonders aber durch Aufstellung weiterer Geschoßpressen, auf baldige Erreichung der möglichen Höchstleistung hingearbeitet und dafür gesorgt, daß in der Anlieferung der Rohstoffe sowie in der Arbeitergestellung Stockungen nach Möglichkeit vermieden wurden. So ist es gelungen, die vor Beginn des Krieges festgesetzten Mobilmachungsleistungen in Preßgeschossen von Anfang an voll zu erreichen. Bei einzelnen Arten war sogar eine Überschreitung möglich. In der Privatindustrie vermehrten die acht schon im Frieden liefernden Firmen die Zahl ihrer Geschoßpressen und weitere Firmen wurden zur Fertigung der zunächst (mit Ausnahme vor F.-Gr. 96) allein vorgesehenen Preßstahlgeschosse herangezogen Dies gelang nicht ohne Schwierigkeiten. Die eingeführten Firmen verlangten zum Teil, daß ihre Lieferungen sich erhebliche Zeit über die Beendigung des Krieges hinaus erstrecken sollten, und die neu aufgeforderten Stahl-, Röhren-, Preß- und Ziehwerke hatten zunächst genügend anderweitige Aufträge. Erst vom Dezember 1914 liefen Angebote in größeren Mengen ein. Glücklicherweise begannen schon seit Oktober 1914 die ersten Lieferungen aus der eigentlichen Kriegsfertigung. Nach kurzer Zeit mußten die bei Kriegsausbruch getroffenen Beschaffungsmaßnahmen infolge der von der Feldartillerie sogleich nach Kriegsbeginn und von der Fußartillerie Ende September 1914 geforderten Mehrleistungen sehr erweitert werden. Die preußische Feldzeugmeisterei vereinbarte daher mit der bayrischen und sächsischen die gemeinsame Munitionsbeschaffung. Die großen Anforderungen vor allem an 30 und 42 cm-Munition zwangen dabei zur Zurückstellung der Herstellung anderer Arten, z. B. der 28 cm- und der Marinemunition sowie zu zeitraubenden einzelnen Betriebsumstellungen, da einige Firmen noch ältere Geschosse in Ablieferung hatten oder mit den Einrichtungen für die im Frühjahr 1914 freigegebene Massenfertigung der neuen Geschosse noch nicht fertig waren. Eine weitere Verzögerung entstand durch die Nichtbewährung der Einheitsgeschosse (bei der Feldartillerie)5, welche dazu zwang, wieder zur Fertigung von Granaten und Schrapnells überzugehen. Die Herstellung der Munition erfolgte in der Art, daß die Preßwerke die Geschosse entweder selbst fertigstellten oder sie an andere Firmen zur Bearbeitung weitergaben. In weiteren Fällen übernahm die Geschoßfabrik Spandau die Rohlinge und vergab sie ihrerseits zur Bearbeitung an Preßwerke. Die Beschaffung der Stahlblöcke aus der Privatindustrie begegnete größeren Schwierigkeiten, zumal die Güte des Materials unter der Knappheit einzelner Zusatzmittel und dem Arbeiterwechsel litt. Daher wurde in Spandau ein Martinwerk neu errichtet.

5 Man hatte sich vor dem Kriege viel von den Einheitsgeschossen versprochen; vgl. z. B. Schwarte: „Die Technik des Kriegswesens“, Leipzig und Berlin 1913.

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Nun entstanden sehr unliebsame Verzögerungen in der Lieferung dadurch, daß neue, noch ohne eigene Erfahrung dastehende Firmen ihre Angebote einfach auf Grund der ihnen von den Geschoßpressenfabriken gemachten Anstellungen machten. Die Institute erkannten bald deren Undurchführbarkeit und setzten die Liefermengen entsprechend herab, „um nicht von vornherein Unmögliches zu vereinbaren“. Im allgemeinen war Fertigung und Aufstellung von Geschoßpressen nicht unter 6—8 Monaten zu erreichen, so daß die Lieferung von brauchbaren Geschossen mit geringen Ausnahmen nicht vor 8—10  Monaten erfolgen konnte. Eine auf dieser Grundlage festgesetzte kleinste Anlaufzeit von 7 Monaten vermochten nur einzelne Firmen innezuhalten, zumal die Preßfabrikanten die Pressen nicht rechtzeitig zur Ablieferung brachten. Als Grund hierfür wurde meist Einberufung der geschulten Arbeiter angegeben. Auch die Bearbeitungsfirmen haben ihre Leistungsfähigkeit oft bei weitem überschätzt. Es vergingen mindestens 2—3  Monate, bis sie brauchbare Granaten liefern konnten. Die ersten zahlreichen Angebote von Privatfirmen liefen von Dezember 1914 ab ein. Von Februar 1915 an konnten bei Steigerungen der Anforderungen die Aufträge in wenigen Tagen verteilt sein. Als im Juni 1915 eine nochmalige sehr große Steigerung in der Herstellung von Preßgeschossen erforderlich wurde, konnte eine hinreichende Zahl von Firmen schnell veranlaßt werden, die erforderlichen Anlagen aufzustellen. Ja, es konnten nicht einmal alle sich meldenden Firmen Aufträge erhalten. Allerdings hatten sich aber auch alle möglichen Firmen gemeldet: Stahlwerke, Maschinenfabriken, Eisengießereien, Werften, Textilwerke; auch für diesen besonderen Zweck erfolgte Neugründungen. Vielfach ist Zwischenhandel versucht und ausgeübt worden. Auch Preßwerke waren hierbei beteiligt in der Weise, daß sie versuchten, rohe Geschosse für einen sehr hohen Preis an Maschinenfabriken zu verkaufen, die dann ihrerseits fertige Geschosse anboten. Dieser Zwischenhandel wurde durch die Weigerung der Behörde, Geschosse aus dritter Hand zu kaufen, unterdrückt. Bearbeitungsfirmen haben mehrfach durch Weitergabe eines Teiles ihrer Aufträge Zwischenhandel getrieben. Deshalb wurde festgesetzt, daß die Behörde zur Entziehung der Lieferung berechtigt sei, wenn ohne ihre ausdrückliche Zustimmung Unterlieferanten beschäftigt wurden. Agenten pflegten auch ohne behördlichen Auftrag Privatfirmen zur Bearbeitung von Geschossen aufzufordern. Hatten sie nun Bearbeitungsfirmen gefunden, so ließen sie sich von diesen eine Vertretung übertragen und bewarben sich dann bei den Instituten und Privatpreßwerken um Aufträge für die von ihnen vertretenen Firmen. Die Preßgeschosse erfordern gegenüber den Graugußgeschossen eine erhebliche Mehrarbeit, der Ausfall kann also manchmal recht groß werden. Die Meister arbeiteten deshalb, um Vorwürfen zu entgehen und die für brauchbare Geschosse versprochenen Prämien zu erhalten, oft mit unerlaubten Mitteln.



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So wurden öfters noch im Frühjahr 1916 unzulässige und für die Truppe sehr gefährliche Nacharbeiten und Flickereien an Geschossen entdeckt. Die Einrichtung der Werke, insbesondere die Beschaffung der Pressen für die Preßstahlgeschosse, bedeutete für die Firmen sehr große Ausgaben, auf deren rechtzeitige Abschreibung sie bedacht sein mußten. Dem suchte die Behörde durch die Höhe ihrer Aufträge zu entsprechen und vergab im allgemeinen Monatsaufträge, und zwar an Feldartilleriegeschossen für 1½  Mill. Mark, an Fußartilleriegeschossen für 2½ Mill. Mark. Deren Größe wurde so gewählt, daß sie bei Feldartilleriegeschossen auf 12, bei Fußartilleriegeschossen auf 10  Monate normale Beschäftigung ermöglichte. Diese Zeiten sollten bei einem gut geleiteten Betrieb für die Abschreibung ausreichen, wenn die Gebäude und ein Teil der Werkzeuge bereits vorhanden waren. Einzelne Firmen, deren Leistungen im Hinblick auf den Bedarf nicht zurückgewiesen werden durften, hatten für ihre Einrichtungen, Gebäude und Bearbeitungsmaschinen erheblich höhere Kosten aufzuwenden, als bei der Festsetzung der Mindestsätze vorausgesetzt worden war. Man mußte ihnen deshalb höhere Aufträge erteilen, die sich bei Einrichtungen für Fußartilleriegeschosse vielfach auf 3, in einzelnen Fällen auf 4½ Mill. Mark beliefert. Die Zahl der für die deutsche Heeresverwaltung arbeitenden Preßwerke und Pressen betrug: Monat und Jahr

August 1914…………………………. Januar 1915………………………….. August 1915…………………………. Januar 1916…………………………..

Preßwerke

Anzahl der Preßpaare für

11 36 77 84

Feldartillerie

Fußartillerie

34 71 137 168

29 78 151 156

Vom Dezember 1915 an gab die Einführung des neuen Walzstahlgeschosses Veranlassung, das Auftragsverfahren zu ändern. Die Firmen erhielten nur Aufträge, wenn durch eine Besichtigung festgestellt war, ob und zu welcher Leistung sie geeignet waren. Mußten sie noch weitere Maschinen aufstellen, so wurden diese auf jeden Fall vor Auftragserteilung besichtigt. Durch die Anpassung des Auftrages an seine Leistungsfähigkeit hatte der Lieferer kein Interesse mehr, den Auftrag weiter zu vergeben. Auch jetzt noch wurden die Aufträge von den Geschoßfabriken Siegburg, Spandau, Ingolstadt und Dresden vergeben. Jede hatte ihr besonderes geographisches Auftragsgebiet.

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Zum Vergleich des bei uns Geleisteten mit den in Fr a n k re i ch gemachten Erfahrungen dürfte der folgende Auszug aus dem Bericht von Pinot6 von Interesse sein: „Schon sehr bald nach der Kriegserklärung wurde man sich angesichts des schrecklichen Munitionsverbrauchs, den die ersten Schlachten auswiesen, darüber klar, daß man von der Industrie und den militärischen Anlagen eine ungleich größere Anstrengung verlangen mußte, als man vorher gedacht hatte. Aber der Erfolg dieser Anstrengungen wurde nicht nur dadurch eingeschränkt, daß das Personal fehlte, sondern auch, weil die Verkehrsmittel durch die Mobilisation vollständig in Anspruch genommen waren, der Post- und Telegraphendienst verzögert oder für die Militärverwaltung vorbehalten war. Alles verlangsamte den Betrieb der Fabriken oder machte ihn ganz unmöglich. Am Tage nach Charleroi schien die Lage wahrhaft kritisch. Man sah ein, daß man von der Metallund Maschinenbauindustrie eine ungeheure Anstrengung verlangen mußte, und man verlangte sie auch. ... Da die 75er Granate bis zum Beginn des Krieges ausschließlich von den staatlichen Werken hergestellt wurde, so besaßen letztere allein die besonderen hydraulischen Pressen für diese Fabrikation. Wie beträchtlich auch diese Werke in Friedenszeit erweitert sein mochten, so hatte doch die Zahl der Granaten, die sie durch Pressen anfertigen konnten, niemals eine Summe überschritten, die im Vergleich zur gegenwärtigen Fabrikation wahrhaft verschwindend wirkt. Nur die großen privaten industriellen Betriebe, wie Le Creusot, Saint-Chamond, im Verein mit einigen Fabriken, deren Mitarbeit sie sich in normalen Zeiten gesichert hatten, besaßen Pressen für die Herstellung der Granaten, die sie den fremden Mächten lieferten. Dieser Umstand erklärt es, warum die Heeresverwaltung schon Mitte August sich an diese Werke wenden konnte, um die Menge von Granaten, welche sie aus ihren eigenen Anlagen erhalten konnte, zu vermehren. ... Auf einer vom Kriegsminister am 20. September 1914 einberufenen Versammlung wurde beschlossen, daß, um die Herstellung der 7,5  cm-Granate mit der größtmöglichen Schnelligkeit zu organisieren, diese Herstellung in Gruppen nach Bezirken erfolgen sollte, in welche Frankreich eingeteilt würde. Noch am selben Tage wurden mehrere Gruppen gebildet. Die in jedem dieser Bezirke bestehenden großen Metall- und Maschinenbauinstitute übernahmen die Leitung und die Aufgabe, im Hinblick auf diese Fertigung sämtliche Industriellen ihres Bezirks zusammenzuschließen, sie heranzuholen und in die Arbeit einzuführen. Unter ihrem Antrieb und ihrer geschickten Leitung stellten die aus allen Berufen gekommenen Industriellen ihre Intelligenz und ihre Tatkraft in den Dienst der Landesverteidigung und unternahmen eine Fabrikation, mit der sie sich noch niemals abgegeben hatten und deren große Schwierigkeit ihnen fremd sein mußte.“

b) Gußgeschosse. Die in der ersten Kriegszeit bestellten Geschoßpressen konnten erst nach Monaten in Betrieb genommen werden. Die Lieferung fertiger brauchbarer Geschosse verzögerte sich dadurch noch weiter. Trotz allmählicher Besserung der Verhältnisse wäre daher, namentlich in den ersten Kriegsmonaten, ein noch viel empfindlicherer Munitionsmangel eingetreten, wenn man nicht als Aushilfe, wie es für die Feldartillerie schon im Frieden vorgesehen war, auf die Anfertigung von Gußgeschossen zurückgegriffen hätte. Diese wurden im November 1914 angefordert. Wegen der Verwendung der Fußartillerie im Stellungskrieg hatte man indessen schon im September 1914 mit den Vorarbeiten für die Verwendung von Gußgeschossen bei der Fußartillerie begonnen, und zwar für die schwere Feldhaubitze, die 10  cm-Kanone und die Mörser. Wertvoll waren 6 Vgl. das auf S. 38 angegebene Werk auf dessen S. 208—213 und 220.



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hierbei die Erfahrungen mit der vor Einführung der Preßstahlgeschosse verwendeten Granate 88. Immerhin befand sich alles noch im Zustand der Erwägung. Lieferungsund Ausführungsbestimmungen waren nicht ausgearbeitet, auch herrschten noch starke ballistische Bedenken angesichts der verschiedenen spezifischen Gewichte von Grauguß gegenüber dem Preßstahl, woraus sich Schwierigkeiten im Einschießen ergeben konnten. Der ungeahnte Munitionsaufwand der ersten Kriegswochen zwang aber dazu, in aller Eile an die Herstellung von Graugußgeschossen heranzugehen. Ende September 1914 wurde mit den Neukonstruktionen von Aushilfsgeschossen für die schwere Artillerie begonnen. Die Vorarbeiten waren Anfang Oktober 1914 abgeschlossen und ergaben Stahlguß als das am besten geeignete Material, obwohl hierin besonders die kleinen Kaliber schwierig herzustellen sind. Stahlguß war aber schnell herzustellen und erzielte trotzdem „eine einwandfreie Haltbarkeit im Rohr sowie eine verhältnismäßige zufriedenstellende Zerlegung und Wirkung“ bei der Geschoßexplosion. Die schon im Oktober 1913 begonnenen Versuche mit Gußeisengeschossen ergaben, daß dieser Stoff wohl verwendbar sei, wenn man geringere Haltbarkeit im Rohr und geringere Wirkung in Kauf nahm. Um bei beiden Materialien dieselben ballistischen Eigenschaften der Geschosse zu erhalten, müssen sie nach Form und Gewicht völlig gleich sein. Hierzu muß bei den Graugußgeschossen die Wandstärke größer, dafür aber das Sprengladungsgewicht kleiner sein. An Wirkung jedoch werden die Graugußgeschosse von den Stahlgußgeschossen bei weitem übertroffen. Die Entwicklung mußte also dorthin gehen, mit der Zeit die Graugußgeschosse durch solche aus Stahlguß zu ersetzen. Bis zur Fertigstellung der Aushilfsgeschosse sind auch verschiedene Geschoßarten der Marine verwendet worden. Zunächst wurden für die Fußartillerie Anfang Oktober bei 17  Privatfirmen 60  000 Stück und Ende Oktober, nach Ermittlung weiterer Firmen, noch 40  000 Stück 15 cm-Stahlgußgeschosse sichergestellt und die Fertigung der 21 cm- und der 10 cm-Geschosse aus demselben Material eingeleitet. Die Mitte September 1914 von der Obersten Heeresleitung auch für die Fußartillerie geforderte Herstellung von Graugußgeschossen konnte sofort in größtem Maßstab aufgenommen werden, da Konstruktion, Versuche und Beschußproben abgeschlossen, geeignete neue Firmen ermittelt waren und die bereits eingeführten Firmen noch bedeutende Mehrlieferungen übernehmen konnten. Bis zum 10. November 1914 folgten die Bestellungen auf 10 cm- und 21 cm-Geschosse. Schon nach 4, 5 Monaten war in der Graugußgeschoßfabrikation die Höchstleistung erreicht. Die deutsche Industrie hat sich unter den schwierigsten Verhältnissen der bisher unbekannten Geschoßherstellung angepaßt und den gestellten Erwartungen, wenn auch erst nach Monaten, entsprochen. Zur möglichsten Steigerung der gesamten Gußgeschoßfabrikation war es aber nötig, die Beschaffung auf breiteste Grundlage zu stellen. Im Anfang des Krieges hatte man die Lieferungen für die Feldartillerie vorzugsweise an im Zentrum Deutschlands gelegene Werke vergeben. Mitte November 1914 wurde das ganze Reich

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in vier Bezirke eingeteilt und diese von den vier Instituten in Spandau, Siegburg, Ingolstadt und Dresden systematisch bearbeitet, dabei haben Interessentenverbände und Handelskammern durch Nennung weiterer Firmen Hilfe geleistet. Besonders wertvoll war die Mitwirkung des Vereins deutscher Eisengießereien und des Vereins deutscher Maschinenbauanstalten. Die Aufträge für Gußgeschosse wurden erteilt a) an Gießereien, welche die Bearbeitung an Unterlieferanten weiter vergaben; b) an Drehereien, die sich die Rohlinge selbst beschafften, und schließlich c) an Firmen, welche die Geschosse selbst gossen und bearbeiteten. Seit dem Frühjahr 1915 wurden auch für die älteren Geschütze anfangs Grauguß-, später Stahlgußgeschosse gefertigt. Bis zum 31. Januar 1916 hatte die Geschoßfabrik Spandau rund 20 Millionen Graugußgeschosse abgenommen. Die eigentliche Anfertigung der Graugußgranaten war im September 1915 beendet. Die Abnahme der bis dahin fertiggestellten Geschosse zog sich jedoch bis zum April 1916 hin, weil einzelne Firmen über ihren Auftrag hinaus Geschosse geliefert hatten, die mit Genehmigung der Feldzeugmeisterei noch abgenommen wurden. Außerdem mußten die bis dahin nicht mit Führungsring versehenen Granaten zum Teil umringt werden. c) Erschwernisse bei der Fertigung von Gußgeschossen. Bei der überragenden Bedeutung, welche die verfügbare Geschoßmenge in diesem Kriege gewonnen hat, erscheint es geboten, auch auf die bei der Herstellung der Aushilfsgeschosse aufgetretenen Schwierigkeiten einzugehen. Zunächst standen für die Vorbereitungen in Spandau nur ein Feuerwerkshauptmann und ein Oberfeuerwerker zur Verfügung. Dazu kamen die technischen Schwierigkeiten, die beim Grauguß mit der Größe der Kaliber wachsen. Beim Formen sowohl als beim Bearbeiten werden besondere Einrichtungen und schwere Maschinen erforderlich. Zwar hatten die schon seit Oktober 1913 angestellten Versuche mit Graugußmunition für Feldartillerie gute Ergebnisse gezeitigt, trotzdem aber waren bei Kriegsbeginn weder Zeichnungen in genügender Zahl angefertigt, noch Lieferungsbedingungen und Abnahmevorschriften aufgestellt. Vor allem aber fehlten die namentlich für die Auftragsvergebung an zahlreiche Privatfirmen unerläßlichen großen Mengen von Lehren. Man mußte zu den einfachsten Hilfsmitteln greifen, bis der verhältnismäßig kleine Kreis der hierfür in Frage kommenden Privatindustrie nach langer Zeit brauchbare Lehren lieferte. Der Bedarf an Lehren war deshalb so hoch, weil die Gießereien fast ausnahmslos eine größere Anzahl von Bearbeitungswerken als Unterlieferanten heranziehen mußten. Dazu kam, daß auch die besteingerichteten Firmen ihre Werkstätten für das Formen und Bearbeiten der Gußgeschosse ergänzen und für Ersatz eingezogener Former Rüttelmaschinen beschaffen mußten. Unter 6 bis 8 Wochen konnte man diese nicht bekommen, da alle Maschinenfabriken



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mit Heeresaufträgen überhäuft waren. Darunter litt auch weiterhin die Beschaffung von Kernpressen und Abdrückvorrichtungen sowie von Drehbänken für die Geschoßverarbeitung. Dazu kam, daß die richtige Gattierung des Eisens für den Guß erst durch Versuche ermittelt werden mußte. Nur Firmen, welche nach Analyse gattieren konnten und für die jeweilige Untersuchung der Gußchargen eigene Chemiker besaßen, konnten bei ihrem Fabrikat den anfänglich sehr hohen Ausschußsatz rasch herabdrücken. Diese Schwierigkeiten mehrten sich, als man später gezwungen war, zur Streckung der Mengen auch luxemburgisches Eisen mit hohem Phosphorgehalt zu verwenden und deshalb die Roheisensorten ungeahnte Schwankungen in ihrer Zusammensetzung zeigten. Hier half nur noch das Arbeiten nach Analyse. Fast ein halbes Jahr hat es in einigen Fällen gedauert, bis brauchbare Geschosse geliefert wurden. Manche kleinere Firmen haben deshalb bei den Graugußgeschossen Geld zugesetzt. Durchschnittlich vergingen 2—3  Monate, bis die ersten Rohlinge abgeliefert werden konnten. Oft war allerdings — trotz wesentlich zurückgeschraubter Anforderungen — über 50% Ausschuß darunter. Nach 4—5 Monaten jedoch waren die meisten Werke auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit angelangt, wobei die Geschoßfabriken durch den Verein deutscher Eisengießereien und bezüglich der Bearbeitung durch den Verein deutscher Maschinenbauanstalten unterstützt wurden. Zur Bearbeitung gingen die Rohlinge meist an eine größere Zahl mit Lehren ausgerüsteter Drehereien, deren Arbeiter vorher an Probegeschossen geschult worden waren. Trotzdem gelang ein glattes Einarbeiten nur selten von Anfang an. Die Geschoßfabriken mußten erst durch fortgesetzte Belehrung und durch Überlassung geübter Arbeiter helfend einspringen. Das anfängliche Verfahren, die Aufträge zur Lieferung von Rohlingen und zur Geschoßbearbeitung getrennt an Gießereien und Maschinenfabriken zu vergeben, hat sich nicht bewährt. Es entstanden zahlreiche Weiterungen sowohl zwischen den Guß- und Bearbeitungsfirmen als zwischen diesen und der Geschoßfabrik. Die Gründe ergaben sich aus Klagen über nicht zeitgerechte Lieferung bzw. Bearbeitung der Rohlinge, namentlich aber daraus, daß eine Einigung über die Preisforderungen für bearbeitete Rohlinge mit unzulässigen Gußfehlern und für die durch falsche Bearbeitung verdorbenen Rohlinge häufig nur schwer zu erreichen war. Es war daher vorzuziehen, nur Aufträge zur Lieferung fertiger Geschosse zu erteilen. Eine weitere Schwierigkeit lag darin, daß die Massenfabrikation bei der Bearbeitung das Vorhandensein größerer Rohlingsvorräte bedingt. Es werden nämlich für die etwa 20 Arbeitsvorgänge nacheinander 6 Drehbänke gebraucht und an jeder muß, soll die Massenfertigung nicht ins Stocken geraten, ein Vorrat liegen. Für 15 cmGeschosse wurde dieser Vorrat Anfang Januar 1915 auf 70 000 Stück geschätzt. Auch das Aufbringen der Kupferbänder gelang den Privatfirmen anfangs nicht, häufig wurden lose Bänder gefunden. Die Geschoßfabriken mußten daher, um überhaupt nur vorwärtszukommen, diese Arbeit zunächst selbst ausführen und

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die Bänder auf den Kupferwerken durch besondere Kommissionen abnehmen. Dies bedingte natürlich auch zeitraubende Transporte und eine entsprechende unwirtschaftliche Belastung der Eisenbahnen. All diese Schwierigkeiten wurden noch vermehrt durch Arbeitermangel, durch (bisweilen rücksichtslose) Arbeitereinziehung und durch Stockungen in der Rohmaterialienzufuhr. Dazu kam noch der bereits angedeutete Mangel an Erfahrungen bei den meisten der neu zugezogenen Privatfirmen bezüglich des von ihnen noch nicht erprobten Gusses von Geschossen. Dies gilt selbst für die größten unter ihnen, sie waren nicht so leistungsfähig als bedeutend kleinere Werke, die schon im Frieden derartige Gußstücke herstellten und bearbeiteten. Bis Januar 1915 hatten 7 Firmen die Lieferung von insgesamt 52 000 Stück 15 cm- Geschossen zugesagt, hatten aber nur 17 000 geliefert. In manchen Fällen erklären sich solche Verzögerungen zum Teil auch daraus, daß die Frontverhältnisse unvermutet zum Übergang auf die Fertigung anderer dringender gebrauchter Geschoßarten zwangen. Bei der Vergebung und Fertigung der Stahlgußgeschosse war es ähnlich wie beim Grauguß. Nur waren hier gerade bei der Fertigung der kleinen Kaliber die größten Schwierigkeiten zu überwinden. Die großen Firmen gelangten bald zur Erzeugung eines einwandfreien Fabrikats, vor allem dank der tätigen Mitwirkung des Verbands deutscher Stahlgießereien. Andere Firmen aber, selbst solche, die im Frieden einwandfreien Stahlguß herstellten, hatten lange Zeit viel mit Ausschuß zu kämpfen. Dieser Mangel an Erfahrung, zum Teil auch nicht genügende fachliche Ausbildung von Gießarbeitern, ließ die Firmen, trotz ausdrücklicher Hinweise der Institute, die bestehenden Schwierigkeiten unterschätzen und viel zu große Aufträge übernehmen. Die Institute ihrerseits hatten weder Zeit noch Personal, um die von den Firmen angegebene Leistungsfähigkeit zu prüfen. Man sah voraus, daß die Lieferungen weit hinter den vorgesehenen Mengen zurückbleiben würden, und so verfielen die Institute auf den, allerdings die Übersicht wesentlich erschwerenden, ja vereitelnden, Ausweg, viel mehr zu vergeben, als man zunächst brauchte. Aber Aufträge in größerem Umfange, als es der eigentliche Bedarf erforderte, mußten deswegen erteilt werden, damit nicht beim etwaigen Versagen eines oder mehrerer Werke eine zu geringe Gesamtlieferung einer Geschoßart eintrat. Eine unangenehme Erfahrung war es, daß einzelne Firmen Belehrungen unzugänglich blieben. Sie versteiften sich auf ihre Sonderverfahren, und die Folge war, daß sie monatelang nur Ausschuß hatten, während selbst kleinere Firmen, die sich von den Geschoßfabriken belehren ließen, nach einiger Zeit ein brauchbares Fabrikat herzustellen vermochten. Das Schlimmste aber waren — im Hinblick auf die Truppe — die schon erwähnten unerlaubten Nacharbeiten und Flickereien, welche zur Erzielung der Sonderbelohnungen von unverantwortlichen Stellen der Firmen vorgenommen worden sind.



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Dazu kamen die an sich schon, z. B. wegen des engen Mundlochs der Geschosse, bedeutenden Schwierigkeiten der Abnahme, die anfangs zum Teil durch ungeschulte Leute erfolgen mußte. Später wurden inaktive Feuerwerker für die Abnahme herangezogen. Gleichzeitig hatten sich die Bearbeitung und die Beschaffenheit der Geschosse gegen die ersten Lieferungen der Werke bedeutend gebessert, so daß in die einzelnen Abnahmen mehr Ruhe hineinkam. Die höheren Stellen drängten, alles, „was nur irgend für die Beschleunigung der Fertigung eine Aussicht bot“, heranzuziehen. Als Folgen dieses verständlichen, wenn auch bedenklichen Eingreifens werden angegeben: Zurückbleiben hinter den erwarteten Leistungen, Vermehrung des Ausschusses und gänzlicher Mißerfolg vieler Firmen. Trotz aller Schwierigkeiten in der Fertigung haben die von der Artillerie-Prüfungskommission angestellten Massenbeschüsse ergeben, daß fehlerfrei gegossene Stücke dem im Geschützrohr auftretenden Gasdruck durchaus standhielten. Die Fehler mußten schon sehr groß sein, wenn sie einen Bruch im Rohr herbeiführen sollten. Konstruktionsänderungen sind daher bei der Aushilfsmunition nicht erforderlich gewesen. Die Ursache für die nicht ganz seltenen Rohrzerstörungen mußte daher, nachdem die Fehler beseitigt waren, in den Geschoßfüllungen und den Zündern gesucht werden. Die fr anzösischen Ve r h ä lt n i s s e b e t re f f s der Gußgeschosse ergeben sich aus folgenden Ausführungen Pinots 7 : „Die Frage der großkalibrigen Granaten stellte sich dem Kriegsminister und durch ihn der Privatindustrie als ein Problem ungewöhnlicher Schwierigkeit dar. Bei Herstellung dieser Granaten konnte nicht mehr von ähnlichen Zufallsmitteln die Rede sein wie bei der Herstellung der 75er Granate. Alle diese großkalibrigen Granaten mußten geschmiedet werden, und dazu war es nötig, das in den großen staatlichen Metallindustriebetrieben befindliche Pressen- und Schmiedematerial beträchtlich zu vermehren. Trotz des äußersten Fleißes, mit dem man an diese Dinge heranging, mußten notwendigerweise Wochen und Monate über dem Bau, der Beförderung und der Unterbringung dieser großen Geräte vergehen, und was wäre während dieser Zeit geworden, wenn es nicht gelungen wäre, eine der Kriegsmaterialerzeugung gänzlich fremde Industrie sozusagen von heute auf morgen zur Herstellung großkalibriger Granaten heranzuziehen. Nach einigen Wochen erzeugten unsere Gießereien G r a n a ten aus Gußstahl, die, ohne daß sie alle Vorzüge der stählernen Granaten in sich vereinigten, doch militärische Eigenschaften ersten Ranges besitzen. ... Damals, als man zu der Granate aus Gußstahl griff, bot diese den unschätzbaren Vorzug, daß sie es erlaubte, alle in Frankreich vorhandenen Gießereien für diese neue Fabrikation heranzuziehen und auf die Weise Werkstätten in vollen Betrieb zu setzen, die andernfalls größtenteils untätig und außerstande geblieben wären, an der nationalen Verteidigung mitzuarbeiten ... Sämtliche Gießereien West-, Ost-, Mittel- und Südfrankreichs boten ihre Mitarbeit an, neue wurden eingerichtet.“ Später haben die Franzosen auch Graugußgeschosse hergestellt, und für England empfahl I. Keith ebenfalls solche aus Spezialgußeisen („Morning-Post“, London, 18. Dez. 1916).

7 Aus dem Seite 38 angegebenem Werk S. 225—227.

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d) Gebohrte Geschosse. Um die Mitte des Jahres 1915 trat eine Firma, der sich bald vier weitere anschlossen, an die Geschoßfabrik Siegburg mit dem Vorschlag heran, zum gleichen Preise wie für Preßgeschosse Granaten aus dem vollen zu bohren. Im Januar 1916 wurden Bedingungen aufgestellt, nach welchen auch die Verwendung von Thomasstahl für gebohrte Geschosse zulässig war. Seit Anfang 1918 wurden gebohrte Geschosse nicht mehr hergestellt. Über die Tech n i k d e s G e s ch o ßb o h re n s ist folgendes zu berichten: Vorgewalzte Stahlblöcke mit dem Durchmesser der Granate werden in Stücke von entsprechender Länge geschnitten. In jedem dieser Zylinder wird auf der Drehbank ein Loch zur Aufnahme der Sprengladung gebohrt und schließlich werden die Außenflächen abgedreht. Zuerst wurde nur Siemens-Martin-Stahl verwendet, später auch Thomas-Stahl derselben Beschaffenheit, der auch ebenso hoch bezahlt wurde. In Frankreich hat man nach Pinot diese Anfertigungsweise vor allem aus dem Grunde angewandt, weil man sonst aus Mangel an Pressen nicht in der Lage gewesen wäre, die als unbedingt notwendig erachteten Munitionsmengen rechtzeitig herzustellen. Man war bei dieser Herstellungsweise in der Lage, die zahlreichen in der Maschinen- und besonders in der Automobilindustrie verfügbaren Drehbänke auszunutzen.

e) Verbesserungen und Neukonstruktionen an Geschossen. Bei der Feldartillerie hat die Verwendung von Aushilfsgeschossen ohne weiteres eine umfangreichere Ausrüstung mit Granaten ermöglicht. Dabei war man naturgemäß bestrebt, die artilleristische Wirkung durch allmähliche Rückkehr zu den älteren eingeführten Geschoßarten und durch Einführung neuer vollwertiger Stahlgranaten mit großen Sprengladungen zu steigern. So wurde im April 1915 die Massenfertigung von Aushilfsgranaten eingeschränkt. Bei der Fußartillerie wurden ebenfalls zahlreiche Verbesserungen und Neukonstruktionen durchgeführt, z. B. an der Munition für die neu eingeführten 13 cm-Kanonen. Bei den Verbesserungen handelte es sich um Erhöhung der Wirkung, namentlich gegen Luftziele durch geeignete Füllung, Erhöhung der Schußweite durch eine stählerne Geschoßhaube, die eine besonders gestreckte Form ermöglicht, schließlich um Verhinderung von Rohzerstörungen infolge Zerreißens der Geschosse im Rohr oder Rohrerhitzung. Im ganzen wurden bis Mitte 1916 etwa 60  neue Geschoßarten eingeführt. Die hierfür erforderlichen Neu- und Umkonstruktionen hat die Geschoßfabrik Spandau zusammen mit der Artillerie-Prüfungskommission bewirkt. Von den technischen Schwierigkeiten, die dabei auftraten, waren die bei Verwendung von Aushilfsgeschossen verhältnismäßig häufig auftretenden Rohrzerstörungen, abgesehen vom Materialschaden, besonders bedenklich wegen der unmittelbaren Gefährdung der Bedienung und des Sichtbarwerdens der Batterien für Flieger. Auch die Aushilfszünder mußten durch stoßsichere Zündhütchen unempfindlicher gemacht werden.



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Diese Rohrzerstörungen rührten her von ungenügender Widerstandsfähigkeit der Geschoßwände oder von zu geringem Spielraum zwischen Geschoß und Geschützrohr, wodurch letzteres stark erhitzt wurde, oder von zu hartem und sprödem Werkstoff der Geschosse. f) Zeitweiser Rückgang der Munitionsfertigung. Im vorstehenden wurde auf die außerordentlichen Schwierigkeiten hingewiesen, welche bei der Herstellung der Artilleriemunition aufgetreten sind. Angesichts der verhältnismäßigen Minderwertigkeit der Graugußgeschosse bestand die technisch-wirtschaftliche Organisationsaufgabe darin, die Gesamtfertigungen an Munition dauernd auf erreichbarer Höhe zu halten und so zu disponieren, daß die Fertigung an Graugußgeschossen erst dann und nur in dem Maße zurückging, als die Fertigung an vollwertigen Geschossen sich entwickelte. Dies war nicht leicht, denn obwohl durch die Aufnahme der Graugußgeschoßfertigung auch für die Fußartillerie die Herstellung der Stahlguß- und Preßstahlgeschosse an sich und unmittelbar nicht berührt wurde, so machte sich doch eine mittelbare Einwirkung insofern geltend, als sich wegen der Herstellbarkeit der Graugußgeschosse ohne kostspielige Einrichtungen (Preßwerke) außerordentlich zahlreiche (zum Teil selbst ganz ungeeignete) Firmen auf Graugußgeschosse warfen. Es bedurfte großer Anstrengungen der Feldzeugmeisterei, um die Fertigung vollwertiger (gepreßter oder gebohrter) Geschosse zu steigern. Das ist, wie die Statistik zeigt, in dem erforderlichen Maße nicht geglückt, denn die Gesamterzeugung an Feldartillerie- und Fußartilleriemunition weist bei der Feldartillerie von Mai 1915 bis Juli 1916, bei der Fußartillerie von Juli 1915 bis April 1916 einen namentlich bei der Feldartillerie sehr starken Rückgang auf. Als Erklärung hierfür wurde von einer Stelle des Kriegsministeriums (A 4) folgendes angegeben: Im Winter 1914/15 waren Graugußgeschosse in solcher Menge gefertigt, daß zunächst Vorrat für lange Zeit geschaffen war (dieser reichte tatsächlich bis Januar 1917). Zudem war das Graugußgeschoß minderwertig, so daß eine Steigerung in vollwertigen — gepreßten oder gebohrten — Stahlgranaten unerläßlich wurde. Diese wurde mit allen Mitteln angestrebt unter gleichzeitiger (N.B.) Einstellung der Graugußfertigung. Naturgemäß konnte die Fertigung der schwer zu bearbeitenden, neue Maschinen erfordernden vollwertigen Granaten nicht sofort dieselbe Höhe erreichen, wie sie für Grauguß im Januar bis Juli 1915 erreicht worden war.

Zu diesen Ausführungen ist ergänzend zu bemerken, daß die Graugußgranaten im Feld wenig gerne verwendet wurden. Ob der zeitweise Rückgang in der Granatfertigung militärisch zulässig war, dies zu entscheiden ist nicht Sache dieser Arbeit. Aber vom technisch-wirtschaftlichen Standpunkt aus war jedenfalls die rasche Einstellung der Graugußgeschoßproduktion von schwerwiegenden Folgen begleitet, da sie die Fabriken zu erheblichen Umstellungen nötigte, also entsprechenden industriellen Leerlauf zur Folge hatte. Die Firmen sollen damals plötzlich die Abbestellungsbefehle erhalten haben, obwohl sie flehentlich um Aufträge baten. Man hätte diesen industri-

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ellen Leerlauf vielleicht vermeiden, ihn mindestens zu geringerem Maß einschränken können, selbst angesichts der oben und im folgenden dargestellten Tatsachen. Der Rückgang oder das Zurückbleiben in der Fertigung der Geschosse hatte nämlich stets noch einen Hauptgrund in der nicht ausreichenden Pulver- und Sprengstoffertigung. Diese machte es schon Ende 1914 nötig, die Pulver- und Sprengstofffrage auf eine ganz neue Grundlage zu stellen. Die Ursache des Mangels war die zu langsame Lieferung der erforderlichen Einrichtungsgegenstände und die knappe Salpeterzufuhr. Dazu kamen Schwierigkeiten bei der Verarbeitung des giftigen Trinitroanisols, Arbeitermangel, verspätete Maschinenlieferungen, Explosionen und Rohrdetonationen infolge der nitroglyzerinhaltigen Ammonsalpetersprengstoffe, die durch andere ersetzt werden mußten. Bis Januar 1916 konnten noch nicht alle Füllstellen mit den nötigen guten Sprengstoffen versehen werden, so daß die Betriebe oft eingeschränkt, zeitweise sogar stillgelegt werden mußten. Dazu kam, daß neuerbaute Werke Zeit zur Einarbeitung brauchten. Im Januar 1915 trat Mangel an Pulver für die Feldartillerie ein, der im Frühjahr noch zunahm obwohl sich die Produktion der Pulverfabriken schon im März 1915 steigerte. Während des ganzen Krieges bildete die Fertigungsmöglichkeit von Pulver- und Sprengstoffen die Grenze für die Gesamtfertigung an Munition. Im Februar 1916 mußte die Infanterie fast vollständig hinter der Artillerie zurückstehen. Dazu kamen von Anfang an noch die großen Anforderungen auf bestimmte Geschoßarten, vor allem 30 cm- und 42 cm-Munition, welche zur Zurückstellung der Fertigung anderer Arten zwangen, z. B. der 28 cm- und der Marinemunition, sowie zu langwierigen Betriebsumstellungen, da einzelne Firmen noch ältere Geschosse zu liefern hatten. Rückblickend ist demnach bezüglich der Artilleriemunitionsfrage folgendes zu sagen: Die letzte Ursache des Mangels an Artilleriemunition lag in der Unmöglichkeit, mit der Pulver- und Sprengstoffertigung dem ungeheuer gesteigerten Bedarf zu folgen. g) Munition für Sondergeschütze und Sonderzwecke. Bei der Feldartillerie wurde es während des Krieges erforderlich, außer den ursprünglich vorgesehenen noch eine Reihe weiterer eigener Geschütze, dazu Geschütze der Verbündeten mit Munition zu versorgen. Ihre Aufzählung würde hier zu weit führen. Festungsbestände an Munition waren bereits im August 1914 für die Feldverwendung bei plötzlichem Bedarf, aber auch auf grundsätzliche Anordnung hin vereinzelt in Anspruch genommen worden. Dieses Zurückgreifen auf Festungsmunition nahm an Umfang zu mit der steigenden Einsetzung der Fußartillerie im Stellungskrieg und der dauernden feldmäßigen Verwendung einer größeren Zahl von Festungsgeschützen.



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Trotz der hohen Vergebungen im April und Juni 1915 sanken die Festungsbestände schnell. Dabei wurden im Oktober 1915 und im Januar 1916 hohe Mehrleistungen gefordert und bereitgestellt. Auch die Marine hat eine Anzahl von aus älteren Schiffen heruntergenommenen schweren Flachfeuergeschützen zur Verfügung gestellt, welche zum Ersatz anderer, unbrauchbar gewordener oder weniger geeigneter Geschütze dienten. Die Marinegeschütze wurden in Räderlafetten eingelegt und erstmalig bei der Frühjahrsoffensive im Osten und vor Ossoviecz verwandt. Da sich im Laufe des Krieges das schwere und mittlere Flachfeuer sehr bewährte, so wurden bis zum Sommer 1916 noch weitere Marinegeschütze eingestellt. Auch für die Kampfhandlungen vor Verdun wurden anfangs 1916 von der Marine schwere Geschütze überlassen. Auf weitere Sondermunition, wie Lufttorpedos, Bomben, Signal- (Leucht-) Kugeln, soll hier nicht weiter eingegangen werden. h) Gasmunition. Gasgeschosse sind im Weltkriege erstmals verwandt worden. Maßgebend für die Aufnahme der Versuche mit Gasmunition war die Absicht, unter den schweren Verhältnissen des Stellungskampfes alles dem Kriege Nutzbare und die Möglichkeit eines schnellen Erfolges Bietende zu verfolgen. Besondere Schwierigkeiten bereitete dabei die Beschaffung der Rohstoffe, welche von den Firmen aus dem freien Handel bezogen wurden. Zu diesen Schwierigkeiten kamen die Arbeiterfragen, denn es mußten auch über die Zeiten des Arbeitsstillstandes hinweg geübte Arbeiter gehalten werden, da sonst das Einarbeiten neuer Kräfte bei plötzlichen Bedarfssteigerungen zu Rückschlägen geführt hätte. Die Bewirtschaftung des Brom ging im Mai 1916 vom Ingenieurkomitee an die Kriegs-Rohstoff-Abteilung über. Kartuschhülsen. Die bald notwendige weitestgehende Heranziehung der Privatindustrie begegnete erheblichen Schwierigkeiten, da die Beschaffung und Inbetriebsetzung neuer Hülsenpressen viele Monate dauert. Eine Erleichterung der schwierigen Lage trat zunächst dadurch ein, daß man beschossene Hülsen beschleunigt in die Heimat zurückleitete und hier für schnellste Wiederherstellung Sorge trug. Sehr früh schon wurden Versuche, die Hülsen statt aus Messing aus Stahl zu fertigen, von den staatlichen und privaten Betrieben eingeleitet. Allerdings hatte man dabei mit einem gewissen passiven Widerstand der vier schon im Frieden eingearbeiteten Firmen zu kämpfen, da die Einführung der Stahlhülsen große Änderungen in den Betrieben bedingte. Auch kamen die Firmen den Anforderungen, gegenseitig ihre Erfahrungen auszutauschen, nur widerstrebend nach. Sie waren deshalb darauf angewiesen, selbst Versuche in dieser Richtung anzustellen. Dieser Umstand zusammen mit dem Mangel an brauchbaren Arbeitskräften und dem Rückgange in der Güte der Rohstoffe brachte viel Ausschuß. Gerade bei diesen schwierigen Arbeiten können durch ungeübte Arbeiter Fehler in das Material hineinkommen, die dann die Ursache zu Bodenreißern und Durchbrennungen werden.

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Wiederholt ergaben sich „entscheidende Rückschläge“. Schließlich sind aber trotzdem alle Schwierigkeiten mehr und mehr überwunden worden, so daß Stahlhülsen in großen Mengen geliefert werden konnten. Die Patronenhülsen der Feldkanonen und die Kartuschhülsen der leichten Feldhaubitzen wurden sämtlich, die der schweren Feldhaubitzen zum Teil aus Stahl hergestellt. Als Ersatzmaterialien wurden beim Laden von Kartuschen verwendet: Zeresin oder Wasserglas (anstatt Schellack, Terpentinlack oder Paraffin), Schleifen von Metallbindfaden oder Papierbindfaden (statt Gurtband), Textilose, das ist ein Gemisch aus Papier und Baumwollabfällen, reines Papiergewebe (anstatt Segeltuch für die Schutzhüllen für Zünder und Patronenüberzüge), Baumwollzeug (anstatt Seide) für Kartuschbeutel, Papierbindfaden (statt Hanffaden) usw.

§ 27 Geschoßkörbe Während im Frieden mit der Lieferung etwa 60 Korbmacherfirmen, Innungen und Verbände betraut waren, zeigte sich gleich zu Anfang des Krieges, daß diese Firmen nicht ausreichen würden. Es wurde angeordnet, die Körbe in unbegrenzter Höhe zu beschaffen. So wurden allmählich etwa 150 Holzbearbeitungswerkstätten und 500 Korbfabriken verpflichtet. Durch die großen Bestellungen konnte auch mancher wirtschaftlichen Not erfolgreich begegnet werden, insbesondere bei der Korb-, Puppen- und Spielwarenhausindustrie Sachsen-Koburgs, Sachsen-Meiningens und Bayerns, deren Erzeugnisse wegen der eingestellten Ausfuhr im feindlichen Ausland nicht mehr benötigt wurden. Die Körbe wurden ausschließlich aus Rohr gefertigt. Der Preis hierfür und auch die Lohnsätze für die Arbeiter waren niedrig. Das im Inland befindliche Rohr war aber bald aufgebraucht, und da aus dem neutralen Ausland sehr schwer etwas hereinzubringen war, so stiegen die Preise ständig und wurden durch sehr bedenkliches Geschäftsgebaren mancher Rohrhändler noch weiter künstlich in die Höhe getrieben. Doch fanden sich bald Mittel und Wege, den Wucher einzudämmen, und die Rohrhändler schließlich zu Bittenden zu machen. Zu Ersatzstoffen wurde in weitestem, vorbildlichem Umfang gegriffen. An Stelle des vorschriftsmäßigen Rohres verwendete man Peddigrohr, guten Rohrbast und Weiden, ferner gespaltenes Originalrohr, schließlich Holz, Pappe und Papierkordelgeflecht. Als neben Rohr auch die anderen Materialien knapp wurden, mußte auch hierfür Ersatz ersonnen werden. So wurden die ursprünglich aus Eschen- und Eichenholz gefertigten Geschoßkorbleisten aus Buchenholz hergestellt. An Stelle des teuren Leders trat Gurtband, an Stelle von Gummiplatten für die Munitionskorbdeckel Filzplatten, und statt Beschlagteilen aus Messing nahm man Teile aus verzinktem oder verzinntem Eisen. Statt verzinkter Drähte wurde geglühter Eisendraht, statt Hanfgurt Papier genommen. Das Filzpolster der Kartuschrahmen wurde durch Holzpolster ersetzt. Bei den Kartuschkästen fielen die Handgriffe weg. Strickhandgriffe wurden durch Grifflöcher ersetzt usw. An Stelle



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der Kartuschkörbe der schweren Feldhaubitzen und der Mörser traten seit Juni 1915 Kartuschkästen aus Holz. Schließlich nahm man zur Verpackung der Geschosse Holzwolle, Holzwollseile, Stroh- und Lattenverschläge, dann auch Wellpappe und Wellpapphülsen, alles Verpackungen, die sich gut bewährten und der Heeresverwaltung gleichzeitig viele Millionen ersparten.

§ 28 Munition für verbündete Staaten Feldartilleriemunition wurde geliefert für Österreich-Ungarn, Bulgarien und die Türkei, und zwar sowohl für eingeführte Geschütze dieser Staaten als für russische Beutegeschütze. Bezüglich der Fußartillerie wurde schon in den ersten Tagen der Mobilmachung Anträgen auf Ausfuhr und Einfuhr von Munitionsteilen nach Österreich-Ungarn Folge gegeben. Bald kamen noch Sprengstoffe hinzu. Obwohl die deutschen Sprengstoffabriken den eigenen Bedarf nicht decken konnten, wurden diese Lieferungen ermöglicht, weil die österreichisch-ungarische Heeresverwaltung es verstand, mit sehr geringen Mengen von guten Sprengstoffen auszukommen und damit andere vorhandene Sprengstoffe zu strecken. Leider waren die Schwierigkeiten für den gegenseitigen Ein- und Ausfuhrverkehr sehr groß. Den Sendungen mußten schließlich besondere Begleiter beigegeben werden! Auch die Schwierigkeiten wurden beseitigt, die sich in Österreich aus dem fast völligen Fehlen großer Sprengstoffabriken ergaben. Der österreichische Bedarf an Salpeter war zusammen mit der deutschen Salpeterfrage durch die Kriegs-Rohstoff-Abteilung geregelt worden. Die österreichischen Fabriken konnten jedoch ihren Verpflichtungen nicht nachkommen und so mußte vom Oktober 1915 an Salpeter in erheblichen Mengen an Österreich-Ungarn abgegeben werden. Dies geschah zu einem größeren Teil in fertiger Munition. Gleichzeitig wurden die österreichischen Fabriken angespornt, ihre Salpetererzeugung schnellstens zu entwickeln. Die Türkei hatte gleich zu Beginn des Krieges um Personal, Geräte und Munition gebeten. Nachdem der Weg durch Serbien frei war, konnten in der Zeit vom 30. Oktober 1915 bis 28.  November 1915 12  000  schwere Feldhaubitzenschüsse nach der Türkei gesandt werden. Im Januar 1916 erhielt die Türkei noch rund 20 000 schwere Feldhaubitzenschüsse und 9000  Netzbeutelkartuschen. Für die Fertigung anderer türkischer Munitionsarten mußten erst umfangreiche Vorarbeiten erledigt werden. Dazu gehörte auch die Lieferung von Pulver, Sprengstoffen und Zündern. Bis einschließlich Juni 1916 wurden an die Türkei für 12 cm- bis 21 cm-Kaliber insgesamt 66 710 Schuß geliefert. Die bulgarische Munition mußte mit Ausnahme von Sprenggranaten und abzuändernden Munitionsteilen neu angefertigt werden. Im ganzen wurden bis einschließlich Juni 1916 für 10—15 cm-Geschütze 135 080 Schuß nach Bulgarien geliefert.

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Außerdem wurden für Pionierzwecke abgegeben: Sprengkörper, Sprengpatronen, Bohrpatronen und Sprengkapseln. Vom Ausland eingeführt wurden: hauptsächlich Salpetersäure, etwas Würfelpulver, ferner Oleum, Pferde und Gewehre. Vom Ausland wurden dagegen verlangt Sprengstoffe, besonders Füllpulver. Bezüglich der Rohstoffe und Halbfabrikate wird berichtet, daß die Einfuhr und im besonderen das Hereinbringen auf privatem Wege im Auftrage zahlloser kleiner und größerer Firmen bedeutend gewesen sei und unserem Ersatz und Nachschub außerordentlich geholfen habe. Fertige Munitionsteile sind dagegen nur in ganz geringem Umfange hereingebracht worden.

§ 29 Beutemunition Die in Belgien, Frankreich und Rußland gemachte Beute wurde in großem Umfange für die Munitionsherstellung nutzbar gemacht. Diese Beute umfaßte Betriebseinrichtungen, Fertigfabrikate, Sprengstoffe und wichtige Rohstoffe. Schon Mitte Oktober 1914 begann das Kriegsministerium bereits die in besetztem Gebiet zum Teil versteckten und vergrabenen Bestände zu ermitteln und brauchbar zu machen. Im besetzten russischen Gebiet wurde die Geschoßfabrik Sosnowice auf Veranlassung der Heeresverwaltung durch die in örtlicher Nähe liegenden HudschinskiWerke in Gleiwitz wieder in Betrieb genommen. Gehälter, Löhne und Betriebskosten wurden von der Firma verauslagt und von der Heeresverwaltung erstattet. Auch für Wiederverwendung der Beutemunition mußte Sorge getragen werden. In Kowno und Modlin wurden besondere Artilleriebeutemunitions- und Artilleriedepots errichtet. Von rund 2000 Beutegeschützen erwiesen sich für die Fußartillerie etwa 700 Geschütze verschiedenster Art als wieder brauchbar. Zum Fertigmachen vollständiger Schüsse war russisches Pulver mit Zündung ausreichend vorhanden. Die festgestellten etwa 70 verschiedenen Geschoßarten wurden untersucht, in einer Liste vereinigt und die Verwendbarkeit der einzelnen Geschosse für die einzelnen Geschützarten festgestellt. Ladungsgewichte und Schußtafeln wurden erschossen. Zur Benutzung in den Artilleriedepots wurden Vorschriften für die Anfertigung der Kartuschen und für die Fertigmachung der Geschosse aufgestellt. Für die Truppen wurden den Schußtafeln farbige Darstellungen der Geschosse und zwei erläuternde Druckschriften herausgegeben. Die russischen Sprenggranaten für die 12 und 15 cm-Geschosse waren fast durchweg verwendungsfähig. Die Schrapnells waren zum größten Teil gebrauchsfertig; wo Zünder fehlten, konnten sie aus den vorhandenen Beständen ersetzt werden. Am 23. Dezember 1915 konnte der Obersten Heeresleitung die erste Munitionsausrüstung für eine Batterie russischer leichter Feldhaubitzen, für eine Batterie japanischer leichter Feldhaubitzen und für eine Batterie russischer 10 cm-S. K. zur Verfügung gestellt werden. Im ganzen wurden für die Zwecke der Fußartillerie bis zum Juni 1916 an Beutegeschützen wiederhergestellt 11 Arten von 3,7—10,67 cm-Kaliber und zwar 2150 Stück.



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§ 30 Sprengstoffe und Pulver A Chemische Fragen

a) Treibmittel (Pulve r) . Man unterscheidet praktisch zwischen Sprengstoffen mit rascher und Treibmitteln mit langsamer Zersetzung. Die letzteren erteilen nach der Zündung dem Geschoß seine Bewegung und werden je nach der gewünschten Verbrennungsgeschwindigkeit und Gaspressung in den verschiedensten Formen (Blättchen, Scheiben, Röhren, Streifen), Mischungen und Mahlfeinheiten hergestellt. Das beste Schwarzpulver besteht aus einer mechanischen Mischung von 78  Teilen Salpeter, 19 Teilen Kohle und 3 Teilen Schwefel, bei deren Verbrennung 43% Gase und 57% feste Rückstände entstehen. Diese Rückstandsmenge war ein schwerer Nachteil bei der Verwendung in Geschützen. Aber erst nach jahrelangen Versuchen trat an Stelle des Schwarzpulvers zunächst die wie Baumwolle aussehende, 1846 von Schonbein dargestellte Schießbaumwolle (Nitrozellulose); heute verwendet man reines und Nitroglyzerin enthaltendes Nitrozellulosepulver. Volkstümlich, wenn auch nicht ganz richtig, bezeichnet man das reine Schießpulver als „Blättchenpulver“, das Nitroglyzerinpulver als „Würfelpulver“. Die Vorteile dieser Pulversorten gegenüber dem Schwarzpulver bestehen außer in der Rauchschwachheit, d. h. dem geringeren Verbrennungsrückstand, in der größeren Wirkung, der besseren Anpassungsfähigkeit und der geringeren Empfindlichkeit. Im übrigen hat jede der beiden Pulverarten ihre eigenen Vor- und Nachteile, so daß die Einführung eines einzigen Pulvers bei den Armeen nicht in Frage kommt. Zur Herstellung der Nitrozellulose benutzte man vor dem Kriege Baumwolle, insbesondere Spinnereiabfälle, die mit einem Gemisch aus Wasser mit (1 Teil) Salpetersäure und (3 Teilen) Schwefelsäure nitriert wurden. Die Absperrung Deutschlands zwang dazu, f ü r d i e B au mwo l l e e i n e n E r s a t z zu suchen. Er wurde gefunden. Schon im Frühjahr 1916 konnte Z e l l sto f f an Stelle von Baumwolle verwandt werden. Damit war die Prophezeiung des englischen Chemikers Ramsay, daß Deutschland ohne Baumwolle verloren sei, zuschanden gemacht. b) Sprengstoffe (Füllmittel). Für Zivilzwecke braucht man langsam detonierende, für Heereszwecke rasch detonierende, brisante Sprengstoffe. Bei den Sprengstoffen unterscheidet man Nitrozellulose und Schießwolle einerseits und die neuzeitlichen Nitrokörper (Pikrinsäure, Trinitrotoluol, Ammonal usw.) andererseits. Die ersteren neigen bei der Lagerung zur Zersetzung, die letzteren nicht. c) Zündmittel dienen zur Entzündung des Sprengstoffs oder Treibmittels. Das Ausgangsprodukt ist das Quecksilber, das in der Regel mit Kaliumchlorat und Schwefelantimon sowie mit etwas Glaspulver gemischt wird. Von der ungeheuren Zunahme, welche die Sp re ngs to f f e r t igu ng während des Krieges in allen Ländern erfahren hat, geben die folgenden, dem „Temps“ vom 28. Dez. 16 entnommenen englischen Zahlen einen Begriff. Danach kamen für je eine Tonne Sprengstoff, die im September 1914 gebraucht wurde, auf den Juli 1915 350 t, auf den Juli 1916 11—12 000 t.

B Allgemeine und Beschaffungsmaßnahmen Die erste Sorge nach Kriegsausbruch war naturgemäß der Deckung des Rohstoffbedarfs gewidmet. Schon im August 1914 suchte man alle nur erreichbaren Salpeterbestände aus dem Auslande heranzuziehen und im Inland neue Salpeteranlagen zu

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schaffen8. Diese für alle Zeiten bedeutungsvolle Errungenschaft ist der deutschen Wissenschaft zu verdanken. „Ohne deutsche Chemiker“ — sagte der schwedische Chemiker Cyrén9 — „hätte kein Feldherrngenie der Welt das Land gegen den gewaltigen Druck von außen schützen können, der es von so gut wie allen Hilfsmitteln der Welt abschloß.“ Als Füllungssprengstoff war im Frieden nur Füllpulver (Trinitrotoluol) verwandt und auch für den Kriegsfall vorgesehen worden, während für Zündladungskörper, Granatfüllung (Pikrinsäure) verwandt wurde. Mit der Durchführung der zur Deckung des Trinitrotoluolbedarfs getroffenen Maßnahmen wurde die deutsche Benzolvereinigung Bochum beauftragt. In ähnlicher Weise erfolgte die Regelung der Beschaffung von Schwefelkies und anderen Stoffen. Obwohl nun die Sprengstoffabriken ihre Leistungen sofort beträchtlich gesteigert hatten, konnte doch schon im November 1914 dem steigenden Bedarf an Zündpulver und Granatfüllungen nicht mehr genügt werden. Die Ursachen für diese starken Bedarfserhöhungen lagen in dem allgemeinen Mehrverbrauch von Artilleriegeschossen, insbesondere dem starken Einsatz schwerster Artillerie, in den nicht vorhergesehenen Abgaben von Sprengstoffen für Minengranaten und Abwurfgeschossen und schließlich auch in der erheblichen Abgabe an verbündete Staaten und der beginnenden Verwendbarmachung französischer und belgischer Beutemunition. Dazu kamen noch weitere erschwerende Umstände. Sie ergaben sich besonders bei der Fertigung der Mörser- und der schwersten Sprengladungen. Einmal verzögerte sich die Einrichtung der Schmelzbetriebe und Gießereien, sodann traten Ausfälle durch Explosionen und Mangel an Füllpulver auf. Aus allen diesen Gründen wurde es erforderlich, die Pulver- und Sprengstofffragen von Grund auf neu zu regeln und noch mehr als bisher für die Sicherstellung der hierfür erforderlichen Rohstoffe und Säuren besorgt zu sein. Anfang November 1914 waren die Grundlagen für die weitere Gestaltung des Munitionsprogramms festgestellt. Wenn dabei auch die Anforderungen nach oben hin so gut wie unbegrenzt waren, so ließ sich doch nicht umgehen, bestimmte zahlenmäßige Unterlagen für den zunächst beabsichtigten Produktionsumfang zu geben, wobei man auch darauf noch Rücksicht zu nehmen hatte, daß mit einer nennenswerten Leistung neuer Werke nicht vor Ablauf von mindestens vier bis acht Monaten, je nach Art der Rohstoffe oder der Munitionsteile, zu rechnen war.

8 Darüber wird in Bd. VII eingehend berichtet. 9 „Technik und Wirtschaft“, Mai 1917, S. 248.



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Die Aufstellung der Pulverprogramme war Sache des allgemeinen Kriegsdepartements im Kriegsministerium. Eingeleitet wurde für Pulver: im Monat November 1914…………………… Dezember 1914…………………… Februar 1915…………….………… Dezember 1915…………………… Juli 1916……………………….….... September 1916………….………

ein Tonnen-Programm

erreicht

also nach Monaten

3500 — 4500 — 6000 im Mai 1916 8000 im Juni 1917 10 000 im Oktober 1917 14 000 —

— — 15 18 15 —

Das letztere Programm ist nicht erreicht worden (vergleiche Kapitel 12). Ein solches Programm umfaßte ja auch alle nötigen Neubauten an Salpetersäure-, Sprengstoff-, Pulver-, Zünder- usw. Fabriken, dazu die entsprechenden Maschinenbestellungen. Ende 1914 betrafen die Forderungen der Feldartillerie die Sicherstellung von monatlich rund 2½ Millionen Feldkanonenschüssen und einer halben Million leichter Feldhaubitzenschüsse. Die Fußartillerie verlangte monatlich 500 000 Schüsse für 10 cmKanonen, 800 000 für schwere Feldhaubitzen, 200 000 für Mörser und 160 000 für verschiedene andere Kaliber. Dazu kamen noch die Forderungen der Infanterie, der Pioniere und der Marine, die zusammengenommen im Vergleich zu der damaligen tatsächlichen Gesamtfertigung so ungeheuer waren, daß man namentlich angesichts des Mangels eigener Erfahrungen im Bau großer Salpeterwerke dieses Programm als zunächst undurchführbar erklärte. Im Verfolg der eben erwähnten Beratungen wurden zunächst große Neubauten für die Pulverfabriken in Angriff genommen. Ihre Wirkung trat im Frühjahr 1915 in Erscheinung. Obwohl die Gesamtleistungen der Pulverfabriken sich entsprechend den oben geschilderten Maßnahmen schon im März 1915 erhöhten, so bildete doch, wie schon früher betont, stets die Fertigungsmöglichkeit von Pulver und auch von guten Sprengstoffen die Grenze für die Gesamtfertigung an Munition. Denn selbst die erheblichsten Steigerungen in der Leistungsmöglichkeit der Pulver- und SprengstoffFabriken wurden begrenzt durch die nicht ausreichend vorhandenen Mengen von Salpeter und Salpetersäure, im Frühjahr 1916 auch von Schwefelsäure und Oleum. Daran änderte auch der Umstand nichts, daß die vermehrte Fertigung von künstlicher Salpetersäure wie vorgesehen im Mai 1915 begann, und damit ein Notstand durch Aufbrauch der Chilesalpetervorräte nicht mehr eintreten konnte. Die festgesetzten hohen Monatsmengen wurden im Mai 1916 mit folgenden Zahlen annähernd erreicht: 6000  t Pulver, 9500  t Füllpulver, Granatfüllung, Dinitrobenzol, Trinitroanisol und durchschnittlich 1200—1400 t Perchlorate sowie 4000—5000 t Ammonsalpeter. Innerhalb der durch die Rohstofferzeugung ermöglichten Grenzen wurde die Herstellung von Pulver und Sprengstoffen je nach den augenblicklichen Anforderungen geregelt. Bald traten die Lieferungen für die Feldartillerie, bald die für die Fußartillerie in den Vordergrund, und auch die einzelnen Kaliber mußten je nach Bedarf beson-

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ders berücksichtigt oder zurückgestellt werden. So kam es vor, daß im Februar 1916 die Pulverfertigung für die Infanterie fast vollständig zugunsten derjenigen für die Artillerie aufgehoben wurde.

C Fertigungsmaßnahmen a) Sprengstoffertigung. Da die Mobilmachungsverpflichtungen der privaten Pulverindustrie für den Kriegsbedarf nicht ausreichten, so wurden zur Erfüllung der stetig steigenden Ansprüche die Betriebe der Pulverfabrik Hanau und ihrer Sprengstofflieferanten, die Großfirmen der Anilinindustrie, mit Aufträgen bedacht und eine große Anzahl von Füllstellen für Aushilfsmunition eingerichtet. Das vor Kriegsbeginn für alle Sprenggranaten verwendete Trinitrotoluol war als Sprengstoff auch für die Aushilfsgeschosse vorgesehen, wurde jedoch seiner beschränkten Menge wegen für die Preßstahlmunition vorbehalten, weshalb für die Aushilfsmunition auf die in den Privat-Sprengstoffabriken reichlich vorhandenen Ammonsalpetersprengstoffe zurückgegriffen werden mußte. Leider waren diese Stoffe nicht gießbar, wie die früher verwendeten, sie mußten daher in die Geschosse eingestampft werden, eine umständliche Arbeit. Im Sommer 1915 traten bedeutende Erschwerungen ein. Es zeigte sich, daß die nitroglyzerinhaltigen Ammonsalpetersprengstoffe vielfach Anlaß zu Rohrdetonierern gaben. Sie mußten deshalb durch andere ersetzt werden. Später gelang es auf Grund von Versuchen der Artillerieprüfungskommission, die Verwendung der Ammonsalpeterstoffe gänzlich auszuschalten. Die Leistungen in der Sprengstoffanfertigung konnten wie erwähnt trotz all dieser Vorkehrungen nicht in demselben Maße gesteigert werden wie die Geschoßerzeugung. Die allgemein bei Übergang zum Massenbetrieb auftretenden anfänglichen Schwierigkeiten waren bei der Sprengstoffertigung naturgemäß besonders gefährlich. So ereigneten sich, als man im September 1915 aus Füllpulvermangel wieder zur Verwendung der längst bekannten Granatfüllung übergehen mußte, anfangs mehrere schwere Explosionen, während in der Folge bis Juni 1916 keine Anstände mehr aufgetreten sind. b) Pulverfertigung. Zur Pulverfertigung waren für den Kriegsfall vorgesehen die staatlichen Fabriken in Hanau, Spandau, Gnaschwitz und Ingolstadt und die privaten Werke in Rottweil, Düneberg, Reinsdorf, Troisdorf und Walsrode. Zur Befriedigung des stets steigenden Bedarfs wurden die staatlichen und privaten Fabriken erweitert, letztere unter Gewährung erheblicher Vorschüsse. Dazu kam die Neuerrichtung zweier staatlicher Fabriken, nämlich in Plane bei Brandenburg und in Dachau bei München. Die Lage der neuen Fabriken war so zu wählen, daß sie feindlichen Luftangriffen möglichst entzogen wurden.



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Die technischen Einrichtungen der Pulverfabrik Plaue wurden von einer Sachverständigenkommission als hervorragend gut und übersichtlich bezeichnet. Ihre Erzeugung ließ aus Gründen der Organisation lange Zeit sehr zu wünschen übrig.

D Füllen der Geschosse Für die gewaltigen Mengen der zu füllenden Geschosse waren die Spandauer Einrichtungen bei weitem nicht ausreichend. Eine ausgedehnte Heranziehung der Privatindustrie war deshalb von Anfang an geboten. Hierfür kamen zunächst Füllstellen bei den Geschoßdrehereien in Betracht, die teilweise sogar Fußartilleriegeschosse zu füllen bekamen. Erst im Spätsommer 1915 wurden letztere ausschließlich in den Sprengstoffabriken gefüllt. Jeder Drehereifüllstelle wurden die bearbeiteten leeren Geschosse der in nächster Nähe liegenden Bearbeitungsfirmen überwiesen. Hierdurch sollten unnötige Frachtkosten nach Möglichkeit vermieden werden. Als jedoch das Füllen der Fußartilleriegeschosse nur noch in den fast ausschließlich im Westen liegenden Sprengstoffabriken ausgeführt werden durfte, konnte der Gesichtspunkt der kleinstmöglichen Beförderungsweite nicht mehr im gleichen Umfange Berücksichtigung finden. Die Verhandlungen, Besprechungen und Belehrungen bei den Privatfüllstellen erforderten naturgemäß viel Arbeit. Obwohl einige Firmen mit der Zeit wieder ausschieden, arbeiteten im Januar 1916 für Feldartilleriegeschosse elf Füllstellen bei Geschoßdrehereien und für Fußartilleriegeschosse acht Füllstellen bei den Sprengstoffabriken. Dazu kamen noch zwei große Firmen für das Füllen von Preßgeschossen. Die 19 Füllstellen leisteten im Jahre 1916 monatlich etwa 2 Millionen Feldartillerie- und 1¼ Million Fußartilleriegeschosse. Die gefüllten Geschosse wurden bei den Drehereien anfangs von den gleichen Abnahmekommandos wie die bearbeiteten Geschosse, später von besonderen Kommandos abgenommen. Der häufige Wechsel der verwendeten Sprengstoffe machte die Aufstellung zahlreicher Füllvorschriften nötig. Auch traten manche Erschwernisse ein, so mußten z. B. über 3½ Millionen Feld- und Fußartilleriegeschosse, die mit nitroglyzerinhaltigen Ammonsalpetersprengstoffen gefüllt waren, umlaboriert werden. Erschwerend war ferner besonders nach Beginn des Krieges die Unmöglichkeit, die zum Füllen nötigen Sprengstoffmengen heranzuschaffen. Dies hatte sogar zur Folge, daß die Füllstellen ihren Betrieb zeitweise einstellen mußten. Trotzdem sind die Füllarbeiten in den Privatfüllstellen im ganzen dauernd glatt verlaufen. Im Einklang damit lauten die Erfahrungen der staatlichen Pulverfabriken über die zur Beschaffung von Rohstoffen herangezogenen Privatfirmen günstig. Im besonderen haben sich die Privatpulverfabriken außerordentlich bei der Beschaffung von Pulver bewährt, da sie in großzügiger Weise ihre Anlagen erweiterten, um den gewaltigen Anforderungen der Heeresverwaltung gerecht zu werden. Ohne Hilfe dieser Privatfabriken hätten die staatlichen Pulverfabriken allein den Bedarf niemals zu

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decken vermocht. Später aber machte die Roh- und Betriebsstoffbeschaffung doch steigende Schwierigkeiten. Die zahlreichen Pulver- und Sprengstoffabriken machten die Einrichtung einer besonderen „Zentralaufsichtsstelle“ für Sprengstoff- und Munitionsfabriken beim Stab des Kriegsamts erforderlich. Dazu kamen Überwachungsausschüsse bei den einzelnen Kriegsamtsstellen. Für die Überwachung der Betriebe kamen als Leitlinien in Betracht: 1. die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie, 2. Grundzüge, die der Reichskanzler für Nitrokörperanlagen, Geschoßfüllanlagen und für Nitrieranlagen erlassen hatte; 3. Anweisungen des preußischen Ministers für Handel und Gewerbe und anderer Landeszentralbehörden für die Genehmigung von Sprengstoffabriken. Es gab aber auch Betriebsteile, für die solche Richtlinien nicht vorhanden waren. Für diese galten besondere kurzgefaßte, nach den einzelnen Betriebsräumen getrennte Merkblätter, welche seitens der Zentralaussichtsstelle für die Arbeiter ausgegeben und in den einzelnen Räumen angeschlagen wurden. Auch eingehendere Merkblätter für die Anlage und den Betrieb von Nitrinitrotoluol- und Trinitrobenzolfabriken, Ammonpulverfabriken, Zünderfabriken und Kriegsfeuerwerkereien wurden herausgegeben. Die bei den einzelnen Explosionen usw. gemachten Wahrnehmungen wurden den in Betracht kommenden Stellen zur geeigneten Bekanntgabe an die Industrie zugeleitet. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Forderung gewidmet, daß jegliche unnötige Ansammlung von Rohmaterialien, Fertigfabrikaten, mißratenen Erzeugnissen, Zwischenerzeugnissen und Verpackungsmaterialien unbedingt zu vermeiden sei. Für jede Sprengstoff- und Munitionsfabrik wurde aus dem Betrieb eine geeignete Persönlichkeit bestellt, welche für die Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen verantwortlich war. Auch besondere G e f a h re n ko m m i s s i o n e n unter Zuziehung der Arbeiterschaften wurden gebildet.

Zum Schlusse mögen hier noch die besonderen Erfolge bezeichnet werden, welche die seitens der Wumba ausgeübte technische Beaufsichtigung der Fabriken erzielt hat. Diese stellte mit der Zeit fest, daß bei den staatlichen Fabriken der Betriebsmaterialverbrauch verhältnismäßig viel größer und die Leistung der Maschinen und Arbeiter viel kleiner war als in privaten Werken. Die Ursache war hier die Interessierung der Betriebsleiter, Aufsichtspersonen und Arbeiter an der Höhe der Leistung. Diese Interessierung erwies sich aus bureaukratischen Gründen bei den staatlichen Anlagen als nicht durchführbar. Mehr Erfolg hatte man mit der Kontrolle des Kohlenverbrauchs. In den Pulverfabriken herrschte starke Dampfverschwendung. Die kartellierten und mit ihren Preisen auf die ungünstiger arbeitenden Genossen eingestellten Fabriken fühlten keinen Zwang zur Sparsamkeit. Da aber die Pulverfabrik Ingolstadt mit ¼—1/5 der von den anderen verbrauchten Kohlen auskam, so gelang es durch persönliche Überredung, einige Firmen zu Versuchen zu bewegen, mit dem Erfolg außerordentlicher Ersparnis. Eine einzige Firma vermochte monatlich über 1000 t Kohlen zu ersparen.



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Auf andere, rein technische Fortschritte wie bei der Wiedergewinnung von Azeton, der Erzeugung von Glyzerin aus Zucker kann hier nicht näher eingegangen werden.

§ 31 Zünder und Zündhütchen Neben den schon vor dem Kriege eingeführten Zündern wurden während des Krieges eine größere Anzahl von Aushilfszündern konstruiert und verwandt, außerdem eine Reihe von Zündern neu eingeführt. Zur möglichen Steigerung der Fertigung an den schon im Frieden eingeführten Zündern wurden die Staatsfabriken in Spandau, Siegburg, Ingolstadt und Dresden beträchtlich erweitert. Dabei wurden die Betriebe so eingerichtet, daß ein Teil der Zünder von Anfang bis Ende in den eigenen Werkstätten hergestellt, ein anderer jedoch nur aus von der Privatindustrie gelieferten Einzelteilen zusammengesetzt und geladen wurde. Die Sicherstellung der Zünder bot im Verlaufe des Krieges besondere Schwierigkeiten. Die Fertigung der eingeführten Zünder eignete sich, wie eben erwähnt, wegen ihrer Schwierigkeit wenig für die Privatindustrie, der es an Erfahrungen fehlte. Daher wurde ein bereits vor dem Kriege konstruierter vereinfachter Aufschlagzünder in großem Umfange an die Privatindustrie vergeben. Für die Konstruktion dieses Zünders waren folgende Gesichtspunkte maßgebend: 1. mußte er für die Massenanfertigung größten Umfanges besonders geeignet sein; 2. mußte er der andersartigen Verwendung der schweren Artillerie im Felde entsprechen. Aus begreiflichen Gründen, namentlich wegen der ungewohnten Arbeit mit Sprengstoffen, machte es viel Schwierigkeit, die Privatindustrie zur Übernahme der Bestellungen zu bewegen. Hohe Preise mußten als Lockmittel bewilligt werden. Trotzdem dauerte es lange, bis die Firmen, die hauptsächlich der elektrotechnischen und Metallindustrie angehörten, in die Lieferung kamen. Eine große Schwierigkeit war für manche das ungewohnte Arbeiten mit der geforderten hohen Genauigkeit. Für die beiden Geschosse der Feldartillerie waren besondere Aushilfszünder konstruiert worden, deren innere Einrichtung im wesentlichen auch für den Granatzünder 14 der Fußartillerie maßgebend gewesen ist. Auch Mörser bis zum 21 cm-Mörser wurden jetzt in offener Feldschlacht benutzt. Sie mußten auch bei Verwendung von Aushilfsmunition imstande sein, Mauerwerk und feldmäßige Eindeckungen zu zerstören. Es wurde deshalb, um dem großen Bedarf an Munition für diese Geschütze zu genügen, ein vereinfachter Zünder konstruiert. Es verging aber eine längere Zeit, bis die neu herangezogenen Firmen sich in die Fertigung der Aushilfszünder eingearbeitet hatten und die Versuche mit den Neukonstruktionen zum Abschluß gelangt waren. Glücklicherweise war es inzwischen

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 Fertigung und Beschaffung von Waffen, Munition und Geräten während des Krieges

gelungen, die Lieferzeit für die schon im Frieden eingeführten Zünder erheblich abzukürzen und ältere Zünderbestände zu ergänzen, so daß ein Mangel nicht eintrat, obwohl die Firmen anfangs Aufträge ungern übernahmen. Nachdem die Massenlieferungen drei Monate nach Auftragserteilung eingesetzt hatten, schnellten sie bald so stark an, daß weiteren Leistungssteigerungen entgegengearbeitet werden mußte. Diese glückliche Entwicklung wurde aufs empfindlichste gestört durch die Fabrikationsumstellungen, welche der beginnende Mangel an Sparstoffen nötig machte. Ursprünglich hielt man Aluminium bei bestimmten Zündern für unentbehrlich; ein gleich zu Anfang des Krieges erstattetes Gutachten der Artillerieprüfungskommission zeigte jedoch die Möglichkeit, diese Zünder aus Messing herzustellen. Soweit durchführbar, mußten daher die Firmen, welche die Aushilfszünder anfertigten, zur Verwendung von Messing übergehen. Als mit der Zeit der Verbrauch von Kupfer und damit auch von Messing eingeschränkt werden mußte, schritt man zu Versuchen, die Aushilfszünder aus Eisen, Stahl oder Zink zu fertigen. Schon im Oktober 1914 konnte ein Zünder einwandfrei aus Zink hergestellt werden. Ebenso erwiesen sich verschiedene Zinklegierungen als brauchbar, von denen auf Grund von Besprechungen des Feuerwerkslaboratoriums Spandau mit sechs Berliner Großfirmen Mitte Januar 1915 drei zugelassen wurden. Jetzt wurde der Übergang von Zink für alle Aushilfszünder angeordnet und den Firmen die Durchführung dieser Bestimmung bis 1. April 1916 aufgetragen. Die Firmen machten soweit als möglich ihre Abschlüsse in Messing und Aluminium rückgängig und deckten sich mit Zink ein. Die Folge war natürlich ein starkes Anziehen der Zinkpreise. Fast alle Aushilfszünder wurden nunmehr aus Zinklegierungen hergestellt. Nun zeigten sich aber beim Beschießen einzelner Zinkzünder vereinzelt Blindgänger und andere Mißstände. Es mußte daher für diese Zünder wieder die Verwendung von Messing vorgeschrieben werden, bis neue Versuche mit Zink durchgeführt waren. Gleichzeitig wurden bei der nachgewiesenen Empfindlichkeit des Zinks durch die Artillerieprüfungskommission und das Feuerwerkslaboratorium Spandau genaue Bearbeitungs- und Abnahmevorschriften ausgearbeitet. Für einen der Zünder wurde zunächst nur noch Preßzink zugelassen, Ende April 1915 mußte aber wiederum die Verwendung von Messing und Aluminium angeordnet werden. Die neue Umstellung war mit größeren Schwierigkeiten verknüpft und verursachte gewaltige Entschädigungsansprüche der Firmen und ihrer Unterlieferanten. Die Firmen wurden bis zum Abschluß der neuen Versuche mit Zink vertröstet; die Artilleriedepots erhielten Befehl, die bereits erhaltenen Zinkzünder nicht an die Truppen zu verausgaben. Später wurde eine Zinklegierung verwendet, dann wurde Zink knapp und man griff zum Aluminium; auch dieses begann bald zu mangeln. Da aber Messing nicht freigegeben werden konnte, so mußte die Fertigung dieser Zünder ganz oder doch zum größten Teil eingestellt werden. Auch hier ergaben sich beträchtliche Schadenersatzansprüche der Firmen, obwohl ein Teil der Fabrikate später für einen anderen Zünder (K. Z. 11) Verwendung finden konnte.



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Als die Lieferungsverträge mit dem 30. Juni 1916 abliefen, und deshalb die Firmen versuchten, ihre Produktion nach Möglichkeit zu steigern, lag die Gefahr nicht einwandfreier Arbeit nahe. Da ferner bei der Abnahme naturgemäß nur ein geringer Bruchteil der Zünder untersucht werden kann, so müssen die Arbeitsverfahren unbedingt gleichmäßig und zuverlässig sein, was durch das — an sich voll berechtigte — System der Privatindustrie, das Aufsichtspersonal am Gewinne zu beteiligen, nicht gerade erleichtert wird. Es gelang jedoch, den Firmen das Verständnis für ihre verantwortliche Tätigkeit beizubringen und besondere Gefahrenquellen durch kleine Konstruktionsänderungen zu beseitigen. Mehrfach war bei den Lieferungen der Privatindustrie schlechte Beschaffenheit des Werkstoffes und fehlerhafter Guß beobachtet worden. Es wurde deshalb auf Antrag der Artillerieprüfungskommission für die Zünder eine besondere Werkstoffprüfung eingerichtet und die Untersuchungs- und Abnahmevorschriften entsprechend abgeändert, nachdem die hierfür maßgebenden Richtlinien dem Militärversuchsamt der Artillerieprüfungskommission vorgelegen hatten. Ferner wurden Lagerversuche mit Zündern und Zünderteilen aus normalen oder neuen Legierungen angestellt, um deren Verhalten gegen die Einflüsse der Atmosphäre, Wärme, Kälte, Feuchtigkeit und gegen Pulver zu beobachten. Die vielfach beobachteten Rohrzerstörungen erforderten die schärfsten Prüfungsmaßnahmen. Man konnte nicht umhin, bei der Prüfung schließlich auf die Friedensbestimmungen zurückzugreifen; denn infolge des schlechten Werkstoffs zerbrachen die Zünderkörper vielfach schon beim Zusammenbau. Die Lieferungsaufträge auf Aushilfszünder fanden zum Teil mit Beginn des Jahres 1916 ihren Abschluß. Entsprechend der Leistungssteigerung in Stahlgeschossen mußte jetzt auch die Fertigung der eingeführten Zünder (Brennzünder und schwierige Aufschlagszünder) vermehrt werden. Hierzu wurden aus der Zahl der bisher Aushilfszünder fertigenden Firmen die leistungsfähigsten ausgesucht. Einige konnten schon im Juni 1916 zur Massenanfertigung übergehen. Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, daß dauernd angestrebt wurde, die artilleristische Munition zu verbessern und vorhandene Mängel zu beseitigen. Die Bestrebungen galten z. B. einem auf große Schußweiten wirkenden Brennzünder für die schwere Feldhaubitzenmunition. Bei der Vergebung erhielten diejenigen Firmen den Vorzug, welche die Preßteile aus eigenen Kupfervorräten fertigen konnten. Dabei zeigte sich, daß noch reichlich Kupfer im freien Verkehr vorhanden war. Es hätte damals auch die doppelte Menge von Zündern untergebracht werden können. Andere Versuche (z. B. der Firma Krupp) bezogen sich auf die Verwendung von Zink bei den obengenannten Zündern, ferner auf Verwendung anderer Pulversorten, die von mehreren Stellen, z. B. von Krupp, angeregt wurden; auch erfolgte die Einführung einer Schlagprobe bei fertigen Zündern. Wegen der häufigen Rohrdetonationen wurde vor allem die Konstruktion von rohrsicheren Zündern wichtig, bei denen sich die Detonation der Sprengkapsel nicht auf die Sprengladung übertragen kann, solange sich das Geschoß noch im Rohr befindet. Anfang Februar 1916 erhielten zwölf

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 Fertigung und Beschaffung von Waffen, Munition und Geräten während des Krieges

Firmen des Interessenkreises Spandau die von der Feldzeugmeisterei genehmigten Fertigungsbedingungen. Um eine bessere Granatwirkung zu erzielen, wurde noch ein hochempfindlicher rohrsicherer Aufschlagzünder konstruiert, dazu kam als Ergebnis langjähriger Kruppscher Versuche die Einführung eines mechanischen Zeitzünders, der sich besonders beim Schießen gegen Luftziele in hohen Lagen und zur Verwendung bei Haubengeschossen eignete. Schließlich sind zu erwähnen Versuche mit einem empfindlichen schußsicheren Aushilfszünder sowie mit einem empfindlichen Aufschlagzünder, der nach Art des auf französischer Seite verwendeten Musters keine besonderen Pulversätze enthält und verhältnismäßig einfach ist. Zündhütchen. Da die Feuerwerkslaboratorien nicht in der Lage waren, Zündhütchen in den erforderlichen Mengen herzustellen, so mußte auch hier die Privatindustrie herangezogen werden, während sie im Frieden weder mit Artilleriezündhütchen noch mit Sprengkapseln beschäftigt worden war. Am 17. August 1914 wurden für Sprengkapseln fünf, für Zündhütchen zwei Firmen herangezogen. Auch in der Zündhütchenfabrikation ergaben sich verschiedene Schwierigkeiten. Bei Nachprüfungen wurde die mangelnde Stoßsicherheit des Zündhütchens nachgewiesen, und man erkannte hierin eine der Ursachen für die häufigen bei der Aushilfsmunition entstehenden Rohrkrepierer. Ende April 1915 wurde deshalb die Verwendung nicht stoßsicherer Zündhütchen für alle Zündersorten verboten und alle Zünder mit stoßsicheren Zündhütchen staatlicher Fertigung ausgerüstet. Es verging natürlich eine geraume Zeit, bis die Herstellung so abgeändert war, daß sich der genannte Nachteil mit Sicherheit vermeiden ließ. Auch lagen bei den Firmen und in den Artilleriedepots große Mengen nicht stoßsicherer Zündhütchen, die erst umgeändert werden mußten. Zur größeren Sicherheit wurde für alle Zündhütchen eine Fallprobe vorgesehen. Die Zünderfertigung begann von neuem Mitte Mai 1915. Da aber Zündhütchen zu den Schlagbolzen fehlten, so mußten wieder viele der Zünder unfertig gelagert werden. An weiteren Erschwernissen sind zu nennen: die Einberufung des größten Teils der kriegsverwendungsfähigen Arbeiter, welche dazu zwang, an vielen Stellen Frauen zu verwenden; der Mangel an Messing, Gummi, Baumwolle, welcher langwierige Versuche mit Ersatzstoffen notwendig machte, die ihrerseits Änderungen der bisherigen Herstellungsart zur Folge hatten. Sprengkapseln. Der vorauszusehende große Bedarf an Sprengkapseln besonders für die Aushilfszünder führte gleich nach Beginn der Mobilmachung bei letzteren zur Herabsetzung der Anzahl der Preßdrucke. Nur durch diese Maßnahme ist es anfangs dem Feuerwerkslaboratorium, später der Privatindustrie möglich gewesen, den gewaltigen Ansprüchen an Sprengkapseln zu entsprechen. Auch wurde es nach kurzer Zeit erforderlich, die Anzahl der für die Fertigung nötigen Vorprüfungen auf Sprengkraft und die in den Abnahmevorschriften vorgesehenen Prozentsätze herabzusetzen. Das Auftreten von Rohrkrepierern führte zur Forderung der unbedingten Transport- und Schußsicherheit und zur Konstruktion einer neuen Prüfeinrichtung (Rüttel-

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maschine), in der durch Rütteln und Fallenlassen sämtlicher Arten von Sprengkapseln das ausreichende Verdichten des Satzes festgestellt werden kann. Auf die Maßnahmen bei der Beschaffung von Schlagzündschrauben, Federn, Zünd- und Leuchtsätzen kann hier wegen Raummangel nicht näher eingegangen werden.

Kapitel 9 Fahrzeuge § 32 Fahrzeuge und Förderbahngerät Die Traindepotinspektion der Feldzeugmeisterei, welcher die Beschaffung der Fahrzeuge aller Art sowie der Geschirr- und Stahlsachen oblag, hatte in der ersten Zeit die größten Schwierigkeiten zu überwinden, schon deshalb, weil schon im August 1914 fünf und im Dezember darauf nochmals vier neue Armeekorps aufzustellen waren. Auch weiterhin mußten ständig neue Formationen ausgerüstet werden, so daß die Zahl der für Neuaufstellungen gelieferten Fahrzeuge allein rund 8000 Stück betrug. Besonderer Ausrüstungen bedurfte das Alpenkorps. Die hierfür erforderlichen Geräte waren neu zu konstruieren, z. B. Gebirgskarren, Gebirgsfeldküchen, österreichische Gebirgswagen, kleine Proviantwagen, Steigeisen, Schneeschuhe, Eispickel, Eissporen, Tragsattel und Kochkisten. Schließlich waren auch sämtliche Anforderungen an Ersatzgerät fürs Feld zu befriedigen. Dazu kam, daß die Traindepotinspektion vielfach anderen Behörden aushelfen mußte. An Fahrzeugen für besondere Zwecke kamen in Betracht: Feldküchen, Patronenwagen, Krankenwagen, Sanitätswagen für die Sanitätskompagnien und Feldlazarette, Kavallerie-Brückenwagen, Kavallerie-Fernsprechwagen, fahrbare Backöfen, Feldröntgenwagen, fahrbare Trinkwasserbereiter, Sanitätswagen für Infanterie, für Kavallerie und Veterinärzwecke, Wasserwagen, Schmiedewagen, Pferde- und Transportwagen, Beamtenwagen, Langholzwagen und Arbeitswagen aller Art. Bei dieser Sachlage wog, abgesehen von den ungenügenden Mobilmachungsvorräten, besonders schwer das gänzliche Fehlen einer Normalisierung und Vereinheitlichung der Fahrzeugarten, welche die Fertigung und den Nachschub wesentlich vereinfacht hätten. Aber auch die Einrichtung der staatlichen Werkstätten stand nicht ganz auf der Höhe. Hierüber berichtet die Artilleriewerkstatt Straßburg: „Infolge der geringen Höhe der Friedensfertigung waren manche Fahrzeugarten und Fabrikate nicht in allen Artilleriewerkstätten gefertigt worden. Es fehlten daher für einen Teil des eingeführten Materials die Einrichtungen zur Herstellung. Die Anfertigung der nötigen Einrichtungen im Kriege verbraucht Zeit und erfahrene Arbeitskräfte zum Nachteil der schnellen Erledigung der Bestellungen. Ein großer Teil der besten Arbeitskräfte, die infolge der Einziehung schon an und für sich stark abnehmen, geht so der eigentlichen Fabrikation verloren.“

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 Fertigung und Beschaffung von Waffen, Munition und Geräten während des Krieges

Ferner findet sich der Hinweis, daß ein großer Teil der entstandenen Schwierigkeiten vermieden worden wäre, wenn die des öfteren erstrebten Erweiterungen der Artilleriewerkstätten bereits im Frieden durchgeführt worden wären. Die Schwierigkeiten stellten sich hauptsächlich in den Schmieden, Gesenkmachereien und Metallbearbeitungswerkstätten ein, da die erforderlichen Einrichtungen äußerst mannigfaltig sind und ihre Benützung Kenntnisse und Erfahrungen voraussetzt. Besonders hemmend für den Fortgang der Produktion war es, daß neben eingeführten Geräten auch alte Wagen usw. wiederhergestellt und erneuert werden mußten, wofür die erforderliche Einrichtung fehlte, da die Neuherstellung dieser alten Geräte längst aufgegeben worden war. Auch Arbeitermangel machte sich vielfach unliebsam geltend. Wären die Artilleriewerkstätten rechtzeitig vergrößert worden, so hätten sich große Summen ersparen lassen, da die erforderlichen Maschinen bald im Preise bis zu 100% stiegen. Glücklicherweise hatten die Behörden mit Kriegsbeginn die Befugnis erhalten, Maschinen selbständig zu beschaffen. Ohne dieses wären die großen Leistungen unmöglich gewesen. Was die Leistungsfähigkeit der einzelnen Betriebe anbelangt, so konnten sie z. B. bei der Artilleriewerkstatt Spandau bis zum 31. Juli 1915 gesteigert werden bei: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

der der den der den der der der

Anstreicherei Sattlerei Metallbearbeitungswerkstätten Schmiede Holzbetrieben Schlosserei und Abschlägerei Seilerei Klempnerei

um „ „ „ „ „ „ „

das „ „ „ „ „ „ „

6,2fache 4,4fache 5,2fache 6,2fache 6,9fache 8,8fache 10,1fache 13,1fache

Sehr schwierig gestaltete sich die Heranziehung der Privatindustrie. Aufträge auf Herstellung von Fahrzeugen erhielten Geldschrank-, Bagger- und Aufzugfabriken, Lokomotiv- und Waggonfabriken, Karosserie-, Möbel- und allgemeine Maschinenfabriken. Dies war nur dadurch möglich, daß den Firmen teilweise Vorarbeiter überlassen und daß sie während der Fertigung laufend überwacht wurden. Dabei hatte es sich als zweckmäßig herausgestellt, die einzelnen Firmen in den ihnen übertragenen Gegenständen zu spezialisieren, während die Firmen selbst gern möglichst viele und jede Art von Aufträgen übernehmen wollten. Im Gegensatz hierzu findet sich an anderer Stelle, daß die wenigen für die Lieferung von Preßteilen in Frage kommenden Firmen im Frieden immer nur auf einzelne Teile und nicht auf ganze Sätze eines Fahrzeugs eingerichtet gewesen seien. Daher habe oft ein Fahrzeug wegen Fehlen des einen oder anderen Teiles nicht fertiggestellt werden können. Die Beschaffung ging anfangs langsam vor sich, da die Privatindustrie auf die Massenherstellung nicht eingerichtet war sowie infolge Materialmangels. Die Ver-

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wendung von Ersatzmaterialien erforderte zahlreiche Verhandlungen und verzögerte hierdurch die Herstellung, ebenso wie die Belehrung der Firmen. Zahlreiche Firmen überschätzten ihre Leistungsfähigkeit namentlich bezüglich der Beschläge, so daß fast immer die staatlichen Betriebe mit der Fertigung einspringen mußten. Es kam sogar vor, daß Teile, die von den Firmen als Gesenkschmiedearbeit geliefert werden sollten, aus Gußeisen hergestellt, also unbrauchbar waren. Große Schwierigkeiten ergaben sich auch bei der Beschaffung von Preßteilen, wenn die eingearbeiteten Firmen durch andere Aufträge stark beschäftigt waren. Ein besonderes Tätigkeitsgebiet der Privatindustrie ist die Fertigung von Radnaben gewesen. Nachdem die anfänglichen Schwierigkeiten überwunden waren, wurde sogar infolge des steigenden Wettbewerbs trotz erhöhter Werkstoffpreise ein starkes Sinken der Fertigwarenpreise erzielt. Wesentlich schwieriger wurden die Verhältnisse später infolge von Materialmangel. Als die Ölfarben knapp wurden, mußten statt ihrer ölfreie (Spiritus-) Anstriche, statt Talg Kriegstalg genommen werden. Das Öl aus Putztüchern wurde in besonderen Anstalten wiedergewonnen. Mit dem Übergang zum Stellungskrieg trat auch ein größerer Bedarf an Förderbahngerät ein. Die für Belagerungszwecke zusammengestellten Förderbahneinheiten und Kriegsvorräte wurden durch den Generalstabschef nach und nach an die Westfront gezogen und für die Ostfront die Bestände der östlichen Festungen verwendet. Durch wiederholte Neubestellungen wurde für stetige Ergänzung der obengenannten Vorräte gesorgt10.

§ 33 Geschirre und Stallsachen Zu ihrer Beschaffung mußte die Privatindustrie bis zum einzelnen Heimarbeiter in weitem Umfang herangezogen werden: Schuh-, Treibriemen-, Möbelfabriken u. a. m. waren bald zusammen mit dem eigentlichen Sattlerhandwerk beschäftigt, Geschirre herzustellen. Aber erst nach dem deutschen Kammertag in Hannover Ende Dezember 1914, wo sich die Vertreter von etwa 40 Handwerkskammern zusammenfanden (Kapitel 18), wurde auf rege allgemeine Beteiligung des Handwerks hingewirkt. Bei Kriegsbeginn war der Bedarf an Wagenplanen, Woilachs, tragbarem Schanzzeug, Futteralen, Wirtschafts-, Schmiede-, Sattler-, Stellmacher-, Schuster- und Schneidergerät, Kassen- und Aktenkasten ganz ungeheuer. Neu war auch die Beschaffung der Tragtierausrüstungen. Die Truppen in den Vogesen und Karpathen verlangten dringend Tragtiersättel, Munitionskisten, Kochkisten, Wasserträger. Die Industrie bewährte sich hier ausgezeichnet, indem sie nach den vorgelegten Zeichnungen und Mustern in kurzer Zeit brauchbare Stücke in genügender Menge lieferte. 10 Die Verwendung von Zugmaschinen für besonders schwere Batterien wird in Bd.VII, Teil „Kraftfahrwesen“, behandelt.

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 Fertigung und Beschaffung von Waffen, Munition und Geräten während des Krieges

Als die Beschaffung anfing, in geregelte Bahnen einzulenken, wurde die Beschaffung zentralisiert, die Depotinspektionen richteten eine Reihe von Beschaffungsstellen ein. Diese Zusammenfassung bewährte sich. Aus großen Beständen an Feldgerät konnten neue Formationen ohne weiteres vorschriftsmäßig ausgerüstet und alle Nachschubsanforderungen sofort gedeckt werden. So wurden, um einige Beispiele zu geben, von Kriegsausbruch bis 1. Juli 1917 beschafft: 102 000 Fahrzeuge, 20 000 Feldküchen, 250 000 Paar Geschirre, 50 Millionen Paar Hufeisen, 500 Millionen Hufnägel und 10 000 Satz Sattlergerät. Die größte Monatsausgabe für Geschirr und Stallsachen trat im März 1915 mit über 20 Mill. Mark ein. Eine Ursache dieser gewaltigen Bestellungen war die Angst vor der kommenden Lederknappheit. Im April 1916 wurde die einheitliche Regelung der gesamten Beschaffung bei der Traindepotinspektion eingerichtet. Im letzten Vierteljahr 1916 ging die gesamte Beschaffung an das Wumba über. Da bei den Geschirren schon kurze Zeit nach Beginn des Krieges die Materialien knapp wurden, führte man zunächst ein „Behelfsgeschirr  14“ ein, an dessen Stelle später für alle fahrenden Truppen das „Einheitsgeschirr 16“ trat, das durch eine Vorrichtung zur Verstellung für jede Pferdegröße verwendbar war. Hierbei wurden im größten Umfange Ersatzstoffe angewandt, so daß z. B. anstatt 21 kg Leder nur noch 2 kg nötig waren. Bei Firmen, die vollständige Sattlerfabrikate lieferten, versagten die Lieferungen oft gerade dann, wenn der Bedarf am dringendsten war. Die Firmen lieferten erst Monate nach der festgesetzten Zeit. Die Ursache der Verzögerung war der Mangel an Geschirrbeschlägen. Zur Pferdeausrüstung trat als wichtiger Gegenstand der Tragsattel. Er wurde im Frühjahr 1915 zuerst für das Alpenkorps eingeführt und verschiedentlich verbessert. Die Notwendigkeit, auch schwerere Lasten auf Tragtieren zu befördern, führte zur Einführung eines eisernen Tragsattels. Der Krupp-Tragsattel diente hauptsächlich für Fußartilleriegerät.

§ 34 Statistik der beschafften Mengen Die statistische Erfassung einer Kriegsproduktion ist an sich eine außerordentlich schwierige Aufgabe, die fast unmöglich wird, wenn eine mit den nötigen Machtvollkommenheiten und Organisationen ausgestattete Zentralstelle fehlt. Im Anfang des Kriegs hatte man zu sorgfältigen Erhebungen natürlich keine Zeit. Später suchten die einzelnen Ämter das Versäumte nachzuholen. Auf diesen Angaben beruhen die beiden folgenden Zahlentafeln sowie die beigegebenen, im Inhaltsverzeichnis genannten 13 Kurvenblätter.

Fahrzeuge 

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1915

1916

1917

Rohre…………………………….............……….. Rohre, leichte…….....……….. Rohre schwere……....……...

5021 3477 1544

4917 3252 1665

17198 12680 4518

Lafetten…………………………............……….. Lafetten, leichte………….....….. Lafetten schwere………....……

4229 3525 704

7344 5985 1359

15089 9936 5153

Minenwerfer…………………………...........….. davon schwere………..…..… davon mittlere………..……… davon leichte………....……… davon Flügel

1270 202 480 588 —

10 492 1503 2700 6289 —

30335 2384 3546 21454 2948

1 292 250 7 157 305 818 — 2 387 880 — — 513

2 576 448 21 595 497 942 16 485 3 374 151 1 632 640 — —

2 167 449 103 880 542 431 480 625 2 645 091 4 303 413 514 900 —

4 026 1 523 117½

6 576 2501½ 245

8 981 3 567 540

1 082½

1 864¾

424

985½

1 148

15½

20¼

23

45

485½

391

816

474

870

1 000 000

4 300 000

12 000 000

100 000

300 000

500 000

400 000 500 000

800 000 3 200 000

1 500 000 10 000 000



36 000 000

109 000 000

Pulver, kg………………………….......………

45 500 000

74 000 000

110 330 000

Sprengstoffe, kg………………………....….

52 964 000

113 000 000

344 000 000

Handwaffen………………………….........……. Gewehre und Kanonen……....……….. Maschinengewehre……………………… Pistolen………………………………......... Dolche…………………………….......……. Seitengewehre……………………..…….. Stahlgewehre………………………...…... Brustpanzer………………………....…….. Infanteriezüge…………………...……..… Munitionszüge…………………........……….. für Feldartillerie….…… für 10 cm-Kanonen..… für schwere Feldhaubitzen.. für Mörser…….…….…… für 13-cm Kanonen…….......… für Beute usw.…………. für Infanterie (einschl. Heimat) Minenwerfermunition für schwere Minenwerfer für mittlere ..…......… für leichte ..…......… Nahkampfmunition: Stiel- und Eierhandgranaten, Wurfgranaten…………..........

100 

 Fertigung und Beschaffung von Waffen, Munition und Geräten während des Krieges

Es wurden ferner hergestellt:………………………….......................... Personenkraftwagen………………………………..…… Krankenkraftwagen………………………………..……. Krankenanhänger…………………………………...…… Krafträder………………………………………….....……. Leichte Lastkraftwagen………………………………… Mittlere und schwere Lastkraftwagen…………………........................... Lastenhänger…………………………………………..…. Zugmaschinen………………………………………..…… Gasmunition (Schuß)………………………………..…. für Feldkanonen……………………..... für leichte Feldhaubitzen............. für 10 cm-Kanonen…………………... für schwere Feldhaubitzen….....… für Mörser……………………………….. Zusammen…………………………………………....…… Gasminen, leichte…………………………..…... Gasminen mittlere……………………….…….. Gasminen halbe, schwere…………………….....….. Wurfflaschen

1915

1916

1917

4 898 1 049 804 1 058 2 291

2 720 599 255 1 187 420

5 223 827 851 1 899 188

6 597

7 726

9 272

244 22

829 111

955 137

— — — 271 500 — 271 500 — —

100 800 481 500 — 522 000 — 1 104 300 35 200 1 500

5 819 520 3 516 000 357 500 1 095 000 475 000 10 835 520 909 300 44 700



1 200

5 200





29 900

Abschnitt V

Die militärischen Behörden und Betriebe während des Krieges Kapitel 10 Grundfragen und Behördenorganisation § 35 Schwierigkeiten der Fertigung und Beschaffung Im Verlauf des Krieges hat das frühere militärische Fertigungs- und Beschaffungswesen einen immer stärkeren technisch-kaufmännischen Einschlag erhalten. Die folgenden Zeilen sollen die Gründe wiedergeben, die zu jener Entwicklung führten und dadurch das Verständnis der späteren Ausführungen vorbereiten. Schon im bisherigen habe ich auf eine Reihe von Umständen hingewiesen, welche die Heeresversorgung im Kriege erschwert haben. Es waren: das Fehlen einer wirtschaftlichen (industriellen) Mobilmachung; der Übergangszustand, in dem sich die Armee zu Kriegsbeginn bezüglich ihrer Organisation befand; der Glaube an eine kurze Kriegsdauer; die unerwartet große Ausdehnung der Kriegsschauplätze; die Notwendigkeit einer umfassenden Spar- und Ersatzstoffwirtschaft; der unvorhergesehen große, zum Teil neuartige Munitionsverbrauch (Minen, Gasmunition) und damit die Unmöglichkeit, mit den im Frieden beschäftigten Heereslieferern auszukommen; die Schwierigkeiten der Umstellung für andere Firmen; die sich aus dem Stellungskrieg ergebenden ungeheuren Anforderungen an anderen Dingen, wie Eisen, Zement, Holz, im Verein mit oft übermäßig großen Bestellungen einzelner Frontteile.

Weder die Feldzeugmeisterei und ihre Institute noch das Ingenieurkomitee waren anfangs — nach ihrer Organisation, Stellenbesetzung und mangelnden Industriekenntnis — in der Lage, den Frontanforderungen zu folgen. Die eingearbeiteten Offiziere und z. T. auch die Beamten standen im Feld. Geeignete Sachkenner in der Heimat zu finden, war sehr schwer. Die meisten standen im Feld oder waren reklamiert, und keine Behörde kannte sie. Man war abhängig von dem „Händlerkonzern vor der Türe“, der meist unerfahrenen Beschaffungsreferenten, da die eigentlichen Referenten mit Kriegsbeginn abkommandiert worden waren. Einzelne der neuen, an sich tüchtigen Leute hatten wohl auch der Industrie gegenüber nicht ganz die erforderliche Unbeugsamkeit. Da und dort mögen auch Einzelne lieber in der Fabrik oder bei der Truppe geblieben sein, als daß sie sich in kaufmännischen oder technischen Dingen den Anordnungen von Militärs unterworfen hätten, zumal auch die Bezahlung solcher Kräfte Schwierigkeiten bereitete.

102 

 Die militärischen Behörden und Betriebe während des Krieges

Dazu fehlte es an der Organisation der Behörden und ihrer Auswirkungsmöglichkeit . Einzelne Behörden waren ursprünglich gar nicht als Beschaffungsbehörden organisiert, so das Ingenieurkomitee, das mehr eine technische Beratungsund Prüfungsstelle für Konstruktionen, Versuche und größere Festungsbauentwürfe war. Auch war es viel zu abhängig. Die ihm vorgesetzte Generalinspektion der Pioniere blieb dies im Krieg auch für das ganze Beschaffungswesen, obwohl sie nur ein überflüssiges Zwischenglied zwischen Ingenieurkomitee und Kriegsministerium darstellte. Ich habe einmal festgestellt, daß eine der täglich von einem Reichsamt an die Referenten des Ingenieurkomitees laufenden Anfragen über die Zulässigkeit der Ausfuhr von Kriegsmaterial hin und zurück 23 Stellen zu durchlaufen hatte, während meist ein Telephongespräch von einer Minute Dauer genügt hätte. Ein besonderer Nachteil war es auch, daß das Beschaffungsgebiet des Ingenieurkomitees örtlich begrenzt war durch die Verpflichtung, nur für die vorderste Linie zu beschaffen. Dadurch ergaben sich in seiner Pionierabteilung dauernd zahlreiche, die Arbeit aufhaltende Rückfragen, denn die Feldtruppen konnten sich selbstverständlich nie daran gewöhnen, daß sie denselben Gegenstand, z. B. einen Brunnen, wenn er für die vorderste Linie bestimmt war, beim Ingenieurkomitee, wenn er für eine Stelle hinter der Front bestimmt war, bei einer anderen Stelle beantragen mußten. — Das Ingenieurkomitee hätte ganz allgemein das Pionierbeschaffungsamt des Kriegsamtes sein müssen. Die Arbeitsgebiete der einzelnen Behörden waren nicht scharf genug getrennt. Dadurch entstand gegenseitige Konkurrenz zum Vorteil der Lieferer. Das Kriegsministerium gab unter Umgehung der Fertigungs- und Beschaffungsbehörden Aufträge hinaus. Der hierdurch erzielte Zeitgewinn war gering, dagegen war das Kriegsministerium über die Marktlage nicht genügend unterrichtet und hinderte die zuständigen Behörden an einem vollständigen Überblick, um so mehr, als bis 1916 die Truppen vielfach direkt bei den Firmen bestellten. Auch konnte sich die Industrie an die jeweils ihren Interessen bequemste Behörde wenden und so die eine gegen die andere ausspielen. Es fehlte während des ganzen Krieges an der nötigen Fühlungnahme zwischen den Beschaffungsstellen des Heeres und der Marine. Auch eine Zentralauskunftsstelle in Berlin fehlte bis zum Schluß. Der Geschäftsgang der Behörden war zu langsam. Es konnte Wochen dauern, bis eine Firma die Entscheidung über Reklamationen, Anträge oder Angebote, ja selbst Belegmittel zurückerhielt. Das Abnahme-, Vertrags- und Abrechnungswesen war im Anfang schwerfällig. Die Vertragsentwürfe gingen noch Anfang 1917 bei einzelnen Beschaffungsstellen durch so viele Hände, daß die Waren in der Regel längst geliefert waren, bis die liefernde Firma den Vertrag zur Unterschrift erhielt. Einzelne Beschaffungsreferenten hatten monatlich über 500  Verträge zu schließen. Sorgfältige Prüfung der Verträge war da nicht möglich. Dadurch entstand eine fortwährende Angst der Referenten vor den vielleicht erst in einer Reihe von Jahren zu erwartenden Rückfragen des Reichs-



Grundfragen und Behördenorganisation 

 103

rechnungshofs, und die Angst war ein schweres Hemmnis für den Betrieb; es sind mir Äußerungen von Offizieren bekannt, daß sie ihre Vermögen auf ihre Frauen überschreiben lassen wollten, um von späteren Forderungen frei zu werden. Im Wumba wurden diese Zustände mit der Zeit wirkungsvoll verbessert, auch bezüglich der endgültigen Abrechnung mit den Firmen. Die für die Firmen geltenden Versandbestimmungen waren bei einzelnen Beschaffungsstellen nicht in der nötigen übersichtlichen Zusammenstellung vorhanden. Die Folgen waren stets Rückfragen, falsche Adressen und Fehlleitungen der Wagen. Es fehlte noch im Oktober 1916 an einheitlichen Verfügungen über die Anwendung des Militärtarifes bei Lieferungen ins Feld. In Berlin fehlte es an zentraler Bearbeitung der die Institute betreffenden Fragen betr. Verkehrsregelung, Geleiseanschlüssen usw. Die Frage, wo und wie die Lieferungen abgenommen werden sollten, war noch Ende 1916 keineswegs für alle Gegenstände geklärt. Die Behandlung von Anträgen auf Neubauten und maschinelle Anschaffungen war bei den Instituten nicht einheitlich. Im Januar 1915/16 sollen für Hunderte von Millionen formelle Anträge überhaupt nicht gestellt, sondern die Genehmigung durch mündliches Verfahren eingeholt worden sein. Manche Institute sollen neue Anlagen für ⅓—¾ Mill. Mark in Einzelobjekte von unter 10 000 M zerlegt und dann aus eigener Befugnis bestellt haben. Auch Wumba (R.) hat es nicht vermocht, eine vollständig einheitliche Regelung durchzusetzen. So kam die finanzielle und organisatorische Seite der Bautenvergebung zu kurz, sogar im Jahr 1916/17, wo in allergrößtem Umfange gebaut werden mußte. Eine besonders wichtige Frage war die Transportfrage bei der Munitionsherstellung, und zwar wegen der großen Gewichtsmengen, um welche es sich bei der Beförderung der zur Munitionsherstellung dienenden Materialien handelte. Über diese Frage habe ich — mit Beschränkung auf die Preßgeschosse — im Dezember 1916 eine Untersuchung angestellt, deren wichtigste Ergebnisse hier wiedergegeben seien. Beim Preßstahlgeschoß geht der Weg der Fertigung vom Stahlwerk über das Preßwerk und das Bearbeitungswerk (Dreherei) zur Füllstelle und von hier aus zu den Artilleriedepots, wo die Zünder eingesetzt werden. Von hier erfolgt die Versendung zur Front1. Die Weglängen zwischen den einzelnen Fertigungsstellen hingen ursprünglich wesentlich von der Privatindustrie ab, da die Preßwerke, welche die Geschoßaufträge bekamen, ihren Stahl bezogen, woher sie wollten, und die Rohlinge zur Bearbeitung weitergaben, wohin sie wollten. Die sechs größten Transportweiten zwischen Stahlwerk und Preßwerk waren im Monat Dezember 1916:

1 Diese geschah in folgender Weise: In den Artilleriedepots werden Munitionszüge zusammengestellt. Diese stehen entweder vollständig beladen bereit oder können je nach Munitionsart in 2—10 Stunden fahrtbereit sein. Die Zahl der ständig bereitzustellenden Züge, mit der das Kriegsministerium unbedingt rechnen kann, ist festgelegt. Darüber hinaus muß aber nach Möglichkeit mehr bereitgestellt werden. Der Abruf erfolgt dann beim Kriegsministerium, welche die Zuleitung an die Front veranlaßt.

104 

1000

 Die militärischen Behörden und Betriebe während des Krieges

840

724

645

620

581 km

480

334

500 t.

310000

197 000

291 000 t/km.

Dabei betrug die Transportmenge in diesem Monat: 672

1068

206

Daraus ergab sich der Transportarbeitsaufwand zu 672 000

897 000

147 000

Bei näherer Untersuchung stellte sich die auffallende Tatsache heraus, daß allein in und bei Berlin 16  Preßwerke lagen und daß diese im wesentlichen von Stahlwerken des rheinisch-westfälischen Industriegebiets beliefert wurden. Diese Preßwerke in und bei Berlin haben sich, begünstigt durch die örtliche Nähe der Beschaffungsstellen, zum großen Teil erst während des Krieges entwickelt. Sie schickten ihre Rohlinge nach den Bearbeitungswerkstätten. Die größten hierbei zurückzulegenden Entfernungen waren 640, 500 (zurück ins Rheinland!), 390 und 256 km. Die zugehörigen Füllstellen lagen entweder bei Berlin oder im Westen. Nun konnten den einzelnen Bearbeitungsstellen bestimmte Füllstellen nicht zugewiesen werden, da — aus technischen Rücksichten und entsprechend den Anforderungen der Front, den zur Zeit angeforderten Geschoßtypen und mit Rücksicht auf die vorhandenen Vorratsmengen — ständig neu disponiert werden mußte. Die Weiterleitung von den Füllstellen nach den Artilleriedepots mußte in jedem Fall erfolgen, da hier die Zünder eingesetzt wurden; zum Teil lagen allerdings Füllstellen und Artilleriedepots beisammen. Im übrigen hing die Verteilung der Geschosse von den in den einzelnen Artilleriedepots vorhandenen Einrichtungen, von ihrer Größe und von dem Geschoßtyp ab, für den sie besonders ausgerüstet waren. Trotzdem hätten Transportwege wie die beiden folgenden vermieden werden müssen:

Stahlwerk

Preßwerk Dreherei

I. Oberhausen Berlin II. Essen

Berlin

Stettin

Füllstellen

Offenbach a) Unterlüß b) Buchen Landsberg a. W. c) Essen d) Rammennohl-Dortmund

}

Ges. Transportweg km 1340 1020 970 1280 1240

Der kürzeste Weg Oberhausen—Offenbach ist nur 290 km lang! Genauere Ermittlungen ergaben, daß monatlich etwa 1000 Waggons Stahl vom Rheinland nach Berlin liefen, wofür unter Berücksichtigung der Fahrtdauer Tag für Tag mindestens 100 Waggons belegt waren. Aus diesen und weiteren Berechnungen ergibt sich die außerordentliche Wichtigkeit, welche einer an zentraler Stelle ausgeübten laufenden Verfolgung der Beförderungswege zuzuweisen ist. Dies geschah z. B. beim Wumba seit Februar 1917 durch ein besonderes Referat. Beim Ingenieurkomitee bestand es schon früher. Anfang 1917



Grundfragen und Behördenorganisation 

 105

begann auch eine zentrale Regelung. Natürlich werden immer wieder bei Heranziehung neuer Firmen und infolge sonstiger Umstände unnötige Fahrtweiten herauskommen, die dann aber immer wieder durch entsprechende Eingriffe soweit irgend möglich zu beseitigen sind. Die übergroße Anzahl von Preß- und Bearbeitungswerken bei Berlin war ein schwerer Nachteil. Das Vorstehende zeigt, wie schwer und zahlreich die Schwierigkeiten waren, die sich im Lauf des ersten Kriegsjahres eingestellt haben. Um so mehr ist die entsagungsvolle Arbeit der Heimat anzuerkennen. Allein die Schwierigkeiten wuchsen weiter, es mußte gründlich abgeholfen werden. Möglich war dies aber nur durch eine Organisation mit technischem und kaufmännischem Einschlag.

§ 36 Kriegsministerium, Feldzeugmeisterei, Kriegsamt und Wumba Über das preußische Kriegsministerium und dessen für Waffen und Munition in Betracht kommende Abteilungen wurde in §  1 das für unsere Zwecke Nötige gesagt. Die Abteilungen des K.M. sind sich, abgesehen von inneren Erweiterungen, im wesentlichen auch während des Krieges gleichgeblieben, einige Veränderungen werden später erwähnt. Dagegen erfuhr die Feldzeugmeisterei (Fz.) als der — neben dem Ingenieurkomitee — hauptsächliche Träger der Fertigung und Beschaffung von Waffen und Munition außerordentliche und zahlreiche Erweiterungen. Wir können daher hier auch nur die wesentlichsten desselben verzeichnen. Der erste Anlaß trat sofort nach Kriegsbeginn ein: Die Technischen Institute vermochten neben ihrer ungeheuer gesteigerten Fertigungstätigkeit die ebensosehr vermehrten Beschaffungen nicht zu bewältigen. Die anfängliche Übernahme solcher Dinge durch das Kriegsministerium war ein allzu offenkundiger Notbehelf. So mußte die Feldzeugmeisterei die ganze in ihr Gebiet schlagende Beschaffung selbst in die Hand nehmen. Daß sich hierbei das ungenügende Bekanntsein mit der Industrie, das Fehlen systematischer Liefererverzeichnisse sehr unangenehm bemerkbar gemacht hat, wurde schon erwähnt. Die Feldzeugmeisterei mußte aber über ihren ursprünglichen in Abschnitt  IV geschilderten Rahmen (Plan I) hinausgreifen. So hatte sie vom 15. August 1915 an alle Fragen der Aus- und Einfuhr von Maschinen und Werkzeugen zu übernehmen. Und am 13.  März 1916 stellte die Feldzeugmeisterei selbst einen entsprechenden Antrag bezüglich der Eisen- und Stahlerzeugnisse und begründete ihn unter anderem mit dem Satz: „In letzter Zeit haben mehrere Großfirmen keine Aufträge für Heereszwecke annehmen können, weil sie große Auslandsaufträge zu lohnenden Preisen hatten.“ Auch die Organisation der Feldzeugmeisterei vermochte der täglich zunehmenden Bedeutung der technischen Fragen nicht mehr zu genügen. Daher mußte sie zur Erzielung der wirklichen Höchstleistung auf allen Gebieten ihre im Frieden geltende Einteilung nach Grundlage der einzelnen Abteilungen des Kriegsministeriums

106 

 Die militärischen Behörden und Betriebe während des Krieges

aufgeben und führte am 12. Mai 1916 eine einheitliche technische Leitung der Institute durch: die „Technische Zentralabteilung der Feldzeugmeisterei (Z. 2). An ihre Spitze trat der bisherige Referent in der Feldzeugmeisterei A, Geheimer Regierungsrat Professor Romberg. Am 30.  September 1916 erfolgte im Zusammenhang mit dem Hindenburg-Programm die Zusammenfassung der Feldzeugmeisterei mit den in ihr gegründeten Beschaffungsstellen zu dem Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt , kurz „Wumba“ genannt, das ebenso wie die Rohstoff-Abteilung dem neubegründeten Kriegsamt unterstellt wurde. Die anfängliche Organisation des Wumba gibt die graphische Darstellung Plan  II wieder. Sein Chef, Generalmajor Coupette, wurde am 31.  Oktober 1916 mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Feldzeugmeisters beauftragt. Wenige Tage später, am 14. November, trat die Verwaltungsinspektion zur Bearbeitung der allen Abteilungen des Wumba gemeinsamen Fragen ins Leben und am 21. November wurde die Stellung eines Chefingenieurs (Romberg) mit Stab geschaffen. Zwei Monate später, am 10. Dezember 1916, wurden die Offiziere und Beamten der Fabrikenabteilung des Kriegsministeriums für die fernere Dauer des Krieges zur Dienstleistung beim Wumba kommandiert. Den zuerst beabsichtigten Übergang des ganzen beim Ingenieurkomitee getätigten Beschaffungswesens an die Feldzeugmeisterei hatte man wieder fallen gelassen und im Oktober 1916 eine Abgrenzung zwischen den Tätigkeitsgebieten beider Behörden vorgenommen derart, daß Beschaffung und Verwaltung des Minenwerfergeräts und der Nahkampfmittel ebenfalls zum Wumba — zunächst in einer besonderen Inspektion — übergingen. Später wurde diese Inspektion aber wieder aufgelöst und ihre Beschaffungsreferenten den Beschaffungsstellen für Artilleriegerät angegliedert, weil die Minenwerfer als Geschütze anzusehen sind. Am 5. Juli 1917 erfolgte eine erste vereinfachende Neueinteilung des Wumba. Sie fügte die Beschaffungsabteilung (W.Pi. I) der Pionierdepotinspektion (W.Pi.) (als W.A. V) zur Inspektion der Technischen Institute der Artillerie (W.A.) und vereinigte die eigentlichen Nachschubabteilungen der Pionierdepot- (W.Pi.), der Traindepot(W.T.) und der Artilleriedepotinspektion (A.D.) (als W.D.  II, W.D.  III und W.D.  I) zu einer neuen einheitlichen Depotinspektion. Zu dieser trat neugebildet (als W.D. IV) eine Abteilung für Demobilmachungsangelegenheiten. Damit war im Wumba die übersichtliche Trennung zwischen Beschaffung und Nachschub durchgeführt und es hatte seine größte Entwicklung erreicht. Grundlegende Organisationsänderungen kamen nicht mehr, und im wesentlichen blieb sein Aufbau wie auf dem Plan III vom Dezember 1917 in der Anlage angegeben. Hinzu kam im Laufe des Jahres noch die Beschaffung für die Inspektion des Kraftfahrwesens. Die Einbeziehung der Beschaffung für die Inspektion der Telegraphentruppen war in die Wege geleitet, wurde jedoch durch das Eintreten des Waffenstillstandes verhindert. Es muß — nicht ohne Kritik — festgestellt werden, daß das Wumba außer-



Grundfragen und Behördenorganisation 

 107

dem nicht zu beschaffen hatte für die Inspektionen der Flieger und des Luftfahrwesens, für den Eisenbahnersatzpark, das Ingenieurkomitee und für das Sanitätswesen. Bezüglich der Rohstoffe verkehrte das Wumba unmittelbar mit der Kriegs-Rohstoff-Abteilung, doch hatte es volle Freiheit bei der Beschaffung in den Technischen Instituten und Privatfabriken. Diese letzteren verkehrten nur unmittelbar mit dem Wumba, dessen besondere Aufgabe die planvolle Ausnützung aller in Betracht kommenden Fertigungsstellen war. Die Preise hatte das Wumba verantwortlich festzusetzen. Der engen Verbindung mit der Industrie sollte ein besonderer Beirat dienen. Die Zahl der im Wumba angestellten Personen betrug:

Offiziere, höhere und akademische Hilfsarbeiter Sonstiges Personal Zusammen

Dezember 1916

Juni 1917

461 905

593 2551

1366

3144

Zum Vergleich damit sei angeführt, daß nach „Manchester Guardian“ vom 18. Sept. 1916 das im Juli 1915 gegründete englische Munitionsamt damals 6000  Angestellte zählte, zu welchem monatlich etwa 300 hinzukamen.

Am 1. November 1916 wurde im Zusammenhang mit dem Hindenburg-Programm das Kriegsamt errichtet über das Bd.  I dieses Werkes nähere Auskunft gibt. Dem Kriegsamt wurde neben anderen mit der Gesamtkriegführung zusammenhängenden Aufgaben auch die Leitung der Beschaffung von Waffen und Munition übertragen. Unterstellt wurden ihm die Feldzeugmeisterei mit dem Wumba, die Kriegs-Rohstoff- und die Fabriken-Abteilung sowie die Abteilung für Ein- und Ausfuhr. In England war man straffer vorgegangen. Sein Reichsverteidigungsgesetz stammte vom 28. November 1914 und gab dem Heer und der Marine freie Verfügung über sämtliche für den Heeresbedarf in Frage kommenden Erzeugnisse und die Nutznießung aller Werkstätten des Landes. Am 9. Juni 1915 hatte England sein Mu n i t i o n sge s e t z erhalten, wozu am 27.  Januar 1916 ein Na ch t r agsge s e t z getreten war. Danach unterstanden alle Behörden dem Munitionsminister, alle Kompetenzen waren beseitigt. Der Munitionsminister war berechtigt, die Maschinen aus den Fabriken zu entfernen, die Arbeiter zu verpflanzen, die Bücher der Firmen einzusehen, eine abgeänderte Arbeitsmethode vorzuschreiben. Die Kohlengruben, Eisenbahnen und Seeschiffe standen in seiner Gewalt. Den Unternehmergewinnen waren bestimmte Schranken gesetzt, die Gewerkschaftsregeln waren außer Kraft. Das Land war in elf Kreise eingeteilt, an der Spitze jedes derselben stand ein Vertreter des Munitionsministers, dazu ein technischer und ein Arbeitsinspektor. Die industriellen Verbände arbeiteten ehrenamtlich.

108 

 Die militärischen Behörden und Betriebe während des Krieges

§ 37 Die technische Abteilung des Wumba (W.R.) In der ersten Kriegszeit beschaffte noch jede Inspektion für sich. Entscheidend in allen technischen Fragen waren die Inspekteure; in besonders schwierigen oder wichtigen Fällen wandte man sich an den Feldzeugmeister. Als sich aber im April 1915 der Gewehrmangel zu einer Krise auszuwachsen drohte, wurde Professor Romberg, der seit November 1914 als Hilfsreferent für maschinentechnische Fragen angestellt war, zu Rate gezogen und übernahm die Bearbeitung der Gewehrfabrikation sowie nach und nach die gesamten technischen Aufgaben der Infanterieinspektion der Feldzeugmeisterei. Allmählich vergrößerte sich das Hilfsreferat durch technische Begutachtung, Ein- und Ausfuhrfragen, Kraftversorgung der Institute sowie Sparmetallfragen. Die trotz vielseitigen Widerstands im Mai 1916 begründete „Technische Zentralabteilung“ wurde dann tatsächlich, wenn auch nicht formell, die Seele des gesamten Fertigungs- und Beschaffungswesens für Waffen- und Munitions- und sonstige Geräte. Ihr sind zu einem sehr bedeutenden Teil die großen technisch-wirtschaftlichen Leistungen während des Krieges zu danken. Die Gründung der technischen Zentralabteilung war der entscheidende Schritt, es gab nun eine maßgebende technisch-sachverständige Stelle. Wurde ihrem Rat nicht Folge geleistet, so mußte sie nachträglich die dagegen vorgebrachten Gründe anerkennen, widrigenfalls die gegensätzliche Entscheidung aufgehoben wurde. Trotzdem wurde Rombergs Vorschlag, bei der Obersten Heeresleitung und dem Kriegsministerium neben den militärischen „technische Stabschefs“ aufzustellen, abgelehnt. In die Arbeitsweise der Zentralabteilung griff in stärkster Weise die sich in der Sommeschlacht ergebende ungeheure feindliche Materialüberlegenheit ein, die z. B. eine vollkommene Umstellung bezüglich der vorher fast aufgegebenen Erzeugung von Thomasstahlgranaten erforderlich machte. Die in dieser Zeit auftretende wilde Beschaffungstätigkeit, welche eine rechtzeitige, geregelte und ausgiebige Versorgung der Front verhinderte, brachte der Obersten Heeresleitung den Mangel einer umfassenden zentralen Beschaffungsorganisation zum Bewußtsein und sie verlangte deren sofortige Einrichtung. So wurde in aller Eile Ende September 1916 das Munitionsbeschaffungsamt (M.B.A.) gegründet, aus dem bald das Wumba hervorging. Die Hauptaufgabe seiner technischen Abteilung (Chefingenieur mit Stab) waren die folgenden: 1.

2. 3.

Versorgung der Rüstungsindustrie mit Maschinen aller Art; Einrichtung von Unterstellen hierzu in den besetzten Gebieten; Beurteilung, Beschlagnahme und Verteilung dieser Maschinen. Daneben Durchführung der Maßnahmen zur Steigerung der Herstellung an Waffen und Munition und Gerät, Entwicklung von hierzu notwendigen Neu- und Erweiterungsbauten, Unterstützung und Einwirkung auf die Fertigung in der Privatindustrie, besonders hinsichtlich wirtschaftlicher Massenfertigung. Beschaffung von Gewehren aus der Privatindustrie; Zentralisierung der Kraftversorgung (elektrischer Energie) bei den Technischen Instituten in Spandau; Sparmetallbewirtschaftung für den mittelbaren Heeresbedarf;



4. 5. 6.

Grundfragen und Behördenorganisation 

 109

Ein- und Ausfuhrfragen; Preisprüfung; Begutachtung von Firmen bezüglich Leistungsfähigkeit und Eignung vor Auftragserteilung und Übernahme der grundlegenden Arbeiten, besonders bei Einführung von Ersatzmunitionsteilen (z. B. eiserne Kartuschen und Hülsen). Technische Beratung.

Der Umfang der W.R. übertragenen Arbeiten wuchs immer weiter. So wurde ihm unter dem 21. Dezember 1916 ein technisches Hauptbureau angegliedert. Seine Hauptaufgaben waren: 1.

2. 3. 4. 5. 6.

7. 8.

Klärung sämtlicher Fragen bei der Massenherstellung von Waffen und Munition und Bearbeitung der für die Massenherstellung erforderlichen Maßnahmen; technische Unterstützung bei der Verteilung der dem Wumba von der K.R.A. zugebilligten Materialmengen auf die einzelnen Abteilungen im Einvernehmen mit den Referaten; Durchführung zweckmäßiger Arbeitsverfahren in allen Staats- und Privatbetrieben und Beratung in Massenherstellungsfragen; technische Beratung bei Verteilung der Arbeit auf die einzelnen Fabriken zur besten Ausnutzung derselben und bei der Heranziehung neuer Fabriken; Unterstützung und Beratung der Fabriken in allen Arbeiter-, Material- und Maschinenfragen; Maßnahmen zur Einhaltung und Abkürzung der Lieferfristen, zur möglichsten Steigerung der Leistungen in Zusammenarbeit mit den übrigen Stellen des Wumba, unter sachgemäßer Berücksichtigung der Dringlichkeit sowie aller Material- und Maschinenfragen; Vorschläge für geeignete Ausnutzung nicht abgenommener Lieferungen; Zweckmäßigste Gestaltung der Abnahmeverfahren in technischer Beziehung durch Schaffung geeigneter und einheitlicher Normen, Toleranzbestimmungen, Lehren usw.

Dabei hatte das technische Hauptbureau dafür Sorge zu tragen, daß alle technischen Fragen bei allen Inspektionen und Referaten nach gleichen Gesichtspunkten behandelt wurden.

Für die Bearbeitung aller Fertigungsfragen wurde das Fabrikationsbureau Spandau als Unterabteilung des Hauptbureaus ausgebaut. Für Durchführung der gegebenen technischen Richtlinien hatten die Kriegsamtsstellen sowie die mit ihnen zusammenarbeitenden Maschinenausgleichstellen des Vereins Deutscher Ingenieure zu sorgen. Damit war die Entwicklung von W.R. im wesentlichen abgeschlossen, wenn auch noch weitere Arbeitsgebiete hinzukamen, so Konstruktion und Beschaffung der Zugmaschinen (Januar 1917) und eine Bautenabteilung. Die technische Abteilung des Wumba umfaßte im August 1917 280 männliche und 240 weibliche Arbeitskräfte.

§ 38 Die Heereslieferungen und die Bundesstaaten A. Ausgleichstelle der Bundesstaaten. Im letzten Paragraphen habe ich zu schildern versucht, wie es kam, daß bei den Beschaffungen der ersten Kriegszeit vorzugsweise preußische, insbesondere Berliner Firmen herangezogen wurden. Gegen diesen Zustand erhoben sich schon frühe lebhafte Klagen in den anderen Bundes-

110 

 Die militärischen Behörden und Betriebe während des Krieges

staaten. Energisch wurde auch — namentlich von bayerischer Seite — gefordert, daß die mit Reichsmitteln zu errichtenden Werke, z. B. die der Stickstoff- und Pulvererzeugung dienenden, nicht ausschließlich in Preußen erbaut würden. Das Ergebnis dieser andauernden Bestrebungen war die am 3. November 1916 im Reichstag erfolgte Annahme entsprechender Anträge und die Schaffung der „Ausgleichstelle der Bundesstaaten für Heeres- und Marinelieferungen“ zur sachgemäßen Verteilung der Heereslieferungen auf die Bundesstaaten. Diese sollte entsprechend der prozentualen Verteilung der Gesamtbevölkerung erfolgen. Hierzu wurden bei den Zentralbeschaffungsstellen Vertretungen der Bundesstaaten (die kleineren zu Gruppen zusammengefaßt) eingerichtet, welche das Recht hatten, bei größeren Heereslieferungen Wünsche zu äußern. Bei der Verschiedenartigkeit der einzelnen Bundesstaaten mußten diese für gewisse Gegenstände Überschuß-, für andere Bedarfsgebiete sein. Die Verfügung über die notwendige Verteilung lag in den Händen der Beschaffungsstellen. Ergaben die Zusammenstellungen auffallende Bevorzugung einzelner Bundesstaaten, so sollten die beteiligten Stellen soweit irgend möglich einen Ausgleich anstreben. Die Verteilung von Neuunternehmungen auf die Bundesstaaten sollte billigem Ermessen überlassen bleiben. Irgendwelche Störungen in der Handhabung des Beschaffungswesens oder in den den Beschaffungsstellen zugewiesenen Aufgaben sollten dadurch jedoch nicht eintreten. Das Tätigkeitsgebiet der Ausgleichstelle umfaßte folgende Arbeiten: 1. Ermittlungen über die Leistungsfähigkeit der einzelnen Bundesstaaten für Heeres- und Marinelieferungen. 2. Auswahl der zur Verteilung auf die Bundesstaaten geeigneten Heeres- und Marinegegenstände. 3. Entgegennahme der Vorschläge der Beschaffungsstellen und der Bundesstaaten bezüglich der Verteilung der Lieferungen. 4. Bearbeitung der vom preußischen Kriegsministerium und der vom Reichsmarineamt überwiesenen Monatsaufstellungen über die insgesamt zu vergebenden Heeres- und Marinelieferungen. 5. Herbeiführung einer Verständigung innerhalb der Bundesstaaten und Aufstellung von Verteilungsplänen unter Berücksichtigung der Punkte 3 und 4 sowie 6. Vertretung einzelner Bundesstaaten in den das Beschaffungswesen betreffenden Fragen. Die Ausgleichstelle der Bundesstaaten bedurfte vor Beginn ihrer Arbeiten zunächst statistischer Unterlagen. Aus Württemberg z. B. wurden ihr beantwortet die Fragen: 1. In welchen Gegenständen ist das Land besonders leistungsfähig? (Art, Zahl und Größe der in Betracht kommenden Betriebe.) 2. In wie weit besteht ein besonderes Arbeitsbedürfnis? (Aufnahmefähigkeit der einzelnen Industrien.) 3. Welche Gegenstände kommen für das Handwerk in Betracht?



Grundfragen und Behördenorganisation 

 111

Bezüglich der Ausgleichstelle der Bundesstaaten ist zusammenfassend zu sagen, daß ihre Tätigkeit jedenfalls die Klagen über ganz ungenügende Beteiligung der Bundesstaaten an den Heereslieferungen zum Verstummen gebracht hat. Dagegen haben die Beschwerden über die Kriegsgesellschaften wegen übertriebener Selbstherrlichkeit bei ihren Auftragsverteilungen nie aufgehört. Auch über den finanziellen Erfolg, den die Ausgleichstelle brachte, war man wenigstens in Württemberg sehr zufrieden. Aus der Statistik der bundesstaatlichen Lieferungen von Januar bis Ende November 1917 ergaben sich zwischen dem den Auftragsmaßstab darstellenden prozentualen Anteil an der Gesamtbevölkerungsziffer und demjenigen an den tatsächlichen Lieferungen folgende Differenzen: Für

Preußen

ein

Mehr

von

7,77 %

„ „ „ „ „

Bayern Sachsen Württemberg Baden Hessen

„ „ „ „ „

Weniger Weniger Mehr Mehr Weniger

„ „ „ „ „

2,91% 1,73% 1,25% 0,36% 0,20%

Diese Zahlen erscheinen für Bayern und Sachsen etwas ungünstig. Dies kommt für Bayern zunächst wohl davon her, daß die Verteilung der Lieferungen auf Grund der Bevölkerungsziffer Bayerns wohl einen Anteil ergeben hätte, der seiner industriellen Leistungsfähigkeit nicht ganz entsprach. Es ist aber auch möglich, daß bei den Meldungen einzelne Lieferungen, insbesondere Selbstlieferungen, nicht in Anrechnung gekommen sind. B. Zentralisierung der Kriegswirtschaft . Die Klagen über zu weitgehende Zentralisierung öffentlicher Angelegenheiten in Berlin sind alt. Und doch wird jeder zugeben: Dorthin, wo die höchsten Reichsbehörden, die größten Banken und Industrievertretungen sitzen, gehört unbedingt das Behördenzentrum, die Leitung des Ganzen. Dies ermöglicht einheitliches Vorgehen, Zeitgewinn und Entlastung von Post, Telephon, Telegraph und Bahn. Es hätte aber genügt, wenn von dieser Zentrale aus die leitenden Gesichtspunkte gegeben worden wären und die Verteilung der Aufträge von Unterzentralen aus erfolgt wäre. Wogegen man sich mit Recht wehrte, das war die Arbeit am grünen Tisch, die unvermeidlich ist, wenn von einer weit entfernten Stelle aus ins Einzelne gehende Anordnungen erlassen werden, die dadurch naturgemäß zu Unbilligkeiten, Härten und Irrtümern Anlaß geben müssen. Demgegenüber hätte die Dezentralisierung speziell im Kriegsbeschaffungswesen folgende Vorteile geboten: 1. genaue Kenntnis jeder einzelnen Industrie und ihrer Leistungsfähigkeit;

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2. gerechte, jederzeit richtige Verteilung der auf das Gebiet einer Unterzentrale entfallenden Aufträge; 3. die Möglichkeit, zur Vermeidung von Härten auf Sonderwünsche einzugehen; 4. die Möglichkeit, auf Grund genauer wirtschaftsstatistischer Erfassung eines kleineren Bezirks aus ihm viel mehr herauszuholen, als dies eine weit entfernte Zentrale vermag. Der Umfang solcher Unterbezirke hängt ab von der Art und der Mannigfaltigkeit ihrer Industrialisierung. Die Größe von Württemberg ist nach den Kriegserfahrungen etwa die richtige gewesen. Daß die Verteilung der Aufträge nach Prozenten der Bevölkerung nur ein roher Notbehelf war, geht aus dem bisherigen hervor. Das volkswirtschaftlich richtige Verteilungsziel wäre gewesen: Höchste Gesamtleistung bei kleinstem Gesamtaufwand. Die Verwirklichung dieses Grundsatzes ist schwierig, da hierbei eine große Anzahl zum Teil einander widerstrebender Momente berücksichtigt werden müssen. Genannt seien: 1. Die Lage der Rohstoffgebiete (Kohle, Eisen, Holz, Steine, Zement usw.) und der landwirtschaftlichen Gebiete. 2. Die Lage der Gebiete mit großen Energiemengen (Bitterfelder Braunkohlengebiet, süddeutsche Wasserkräfte). 3. Die Lage der Erzeuger zu den Verbrauchsstellen. Es war für Deutschlands Widerstandsfähigkeit eine große Gefahr, daß seine Schwerindustrie allenthalben so nahe an den bedrohten Grenzen lag. 4. Die Forderung nach einem Kleinstmaß der erforderlichen Transportleistungen. 5. Das Verkehrsstraßennetz (Bahnen und Wasserstraßen) und seine nicht militärische Belastung durch Güter- und Personenverkehr. 6. Die prozentualen Einwohnerzahlen und Steuerleistungen. Nach diesen Gesichtspunkten wäre es richtig und möglich gewesen, einzelne geschlossene Erzeugerkreise mit allen nötigen örtlichen Behörden zu schaffen. In den folgenden Abschnitten gebe ich nun eine eingehendere Darstellung der während des Krieges in Württemberg geschaffenen Einrichtungen, und zwar weil Württemberg darin führend voranging und als ein geschlossener Bezirk von richtiger Größe als Muster für zentralisierte Beschaffung während des Krieges gelten kann. C. Abteilung für Waffen, Feldgerät und Kriegsamtsangelegenheiten des Württembergischen Kriegsministeriums (Weka). Diese Abteilung ist hervorgegangen aus der früheren Abteilung für Waffen- und Feldgerät des Württembergischen Kriegsministeriums und bestand unter Leitung eines Abteilungschefs mit Stab und drei Stabsgruppen aus 13 Gruppen, von denen Gruppe 8 die Kriegsbedarf- und Rohstoffstelle (Kriebero) seit Dezember 1917 zugleich Heeresauftragsamt, die für unsere Zwecke wichtigste war.



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Nach der Geschäftseinteilung vom 10. Februar 1918 waren von Berufsoffizieren geleitet: der Stab und sieben Gruppen, von Nicht-Berufsoffizieren: eine Stabsgruppe und sechs andere Gruppen. Unter den letzteren waren auch die drei großen wirtschaftlichen Gruppen: die Kriegsbedarf- und Rohstoffstelle mit 16  Untergruppen, die Kriegsarbeitsstelle mit 23 Untergruppen und die Landwirtschafts- und Volkswirtschaftsstelle zugleich württembergisches Kriegswirtschaftsamt mit zwölf Untergruppen. D. Württembergische Kriegsbedarf- und Rohstoffstelle zugleich Heeresauftragsamt (Kriebero). Die Kriebero stellte das Württembergische Zentralbeschaffungsamt dar, durch das alle an Württembergische Firmen zu erteilenden Aufträge hindurchgehen mußten. Ihre Vorgeschichte wie die der entsprechenden Einrichtungen in Bayern und Baden beginnt mit der am 1.  Oktober 1915 beim Ingenieurkomitee in Berlin erfolgten Kommandierung eines Württembergischen Offiziers des Beurlaubtenstandes als „Industrieoffizier für Süddeutschland“. Dieser erkannte bald, daß für eine richtige Organisation des Beschaffungswesens in den Bundesstaaten zweierlei nötig sei, nämlich der Zusammenschluß der ganzen Industrie eines Bundesstaates, nicht nur einzelner Verbände und die Vereinigung aller Beschaffungsaufträge, die in einem Bundesstaat kommen, bei einer amtlichen Stelle des betreffenden Bundesstaates. Dementsprechend wies das württembergische Kriegsministerium dem Industrieoffizier als Sitz Stuttgart an. Zur Verwirklichung der beiden genannten Forderungen wurden nun in Württemberg sämtliche für Heereslieferungen in Betracht kommenden Verbände vereinigt, wozu in der bisherigen sog. süddeutschen Verrechnungsstelle, die bayerische, württembergische und badische Industrielle umfaßte, Anläufe vorhanden waren. So entstand die Württembergische Verteilungsstelle, mit dem Zweck, für die Verteilung der Aufträge jeweils laufend Vorschläge zu machen. In der Württembergischen Verteilungsstelle waren zunächst nur die Industrie mit zehn und der Handel mit zwei Abgeordneten vertreten. Auf Drängen der Handwerker genehmigte das württembergische Kriegsministerium den Eintritt von vier Handwerksvertretern. Der Umstand, daß in der Vermittelungsstelle vier Vertreter des Handwerks und nur zwei des Handels saßen, erklärt sich erstens aus dem Vorhandensein von vier Württembergischen Handwerkskammern, zweitens daraus, daß infolge des Grundsatzes, den Handel erst dann zur Lieferung heranzuziehen, wenn ein Selbsthersteller nicht gefunden werden konnte, der Handel als Lieferer naturgemäß etwas zurücktrat. Zur amtlichen Sammlung und Nachprüfung aller nach Württemberg entfallenden Heeresaufträge wurde in der zweiten Hälfte des Januar 1916, also vor dem Kriegsamt „Die württembergische Industriestelle beim württembergischen Kriegsministerium“ gegründet. Anfang Mai 1916 wurde sie zur „Kriegsbedarf- und

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Rohstoffstelle“ des Württembergischen Kriegsministeriums erweitert und erhielt im Dezember 1917 zugleich die Benennung „Heeresauftragsamt“. Die wichtigsten Grundsätze, von welchen sich das württembergische Kriegsministerium bei der Errichtung der Kriegsbedarf- und Rohstoffstelle leiten ließ, waren nach einer amtlichen Kundgebung aus dem Sommer 1916 die folgenden: 1. Zusammenwirken von Heeresverwaltung und Regierung behufs möglichst gleichmäßiger und gerechter Verteilung der Heeresaufträge über das ganze Land. 2. Vermehrung und bessere Verteilung der nach Württemberg gelangten Bestellungen, Ausscheidung von Vermittlern. 3. Erfassung der ohne triftige Gründe Reklamierten. Die Kriegsbedarf- und Rohstoffstelle begann mit zwei Offizieren, einem Offizierstellvertreter und einem Hilfsschreiber und umfaßte am 1. Juli 1918 9 Offiziere, 13 Beamte, 12 Beamtenstellvertreter, 62 Oberfeuerwerker, Unteroffiziere und Mannschaften sowie 36 männliche und weibliche Hilfsdienstpflichtige, zusammen 132 Personen. Entsprechend waren Zahl und Umfang der Referate gewachsen. Deren wichtigste behandelten: 1. Kartothek, Statistik und Zwischenhandel, 2. Artilleriegerät, 3. Munition und Pioniergerät, 4. Holzbeschaffung und -Bewirtschaftung, 5. Heeresnäharbeiten, Bekleidung, Schuhfabrikation sowie Still- und Zusammenlegung der einschlägigen Betriebe, 6. Leder und zugehörige Rohstoffe, Gummi, Asbest, Fahrradbereifungen, Bewirtschaftung von Treibriemen usw., 7. Bewirtschaftung von Metallen (ohne Eisen und Stahl), Chemikalien, Benzolverteilung, Fette und Öle, Zement, 8. die Kohlenversorgung (Landeskohlenstelle) der gewerblichen Verbraucher mit über 10 t Monatsbedarf und der Kommunalverbände mit Hausbrand, 9. die Elektrizitäts- und Gaswirtschaft, 10. die maschinentechnischen Angelegenheiten (technische Bezirksdienststelle), 11. die Textil- und Textilersatzrohstoffe, 12. die Bautenprüfung, 13. die Bewirtschaftung von Eisen und Stahl. Über die Tätigkeit der Württembergischen Verteilungsstelle ist folgendes von Interesse: Zur Regelung von Streitfragen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit einzelner Lieferer und zur Festsetzung der Preise für Unterlieferanten konnte ein Schiedsgericht eingesetzt werden, und dieses konnte auch außenstehende Sachverständige heranziehen. Die Entscheidung über die Vorschläge der Verteilungsstelle, sowie über die Urteile des Schiedsgerichts behielt sich das Kriegsministerium in jedem Fall vor.



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Die Verteilungsstelle beschloß mit einfacher Stimmenmehrheit. Die Vertreter der Regierung und des Kriegsministeriums konnten Verwahrung gegen einen Vorschlag einlegen. Das Württembergische Verfahren bei Vergebungen umfaßte folgende Tätigkeiten: 1. Eingang der Bedarfsanmeldung seitens einer (eventuellen außerwürttembergischen) Beschaffungsstelle. 2. Ausschreibung an die auf Grund der Kartothek ermittelten in Betracht kommenden Firmen mit 6—10tägiger Frist (unter Verwendung von Vordrucken). 3. Sammlung der einlaufenden Angebote, Verwahrung unter Verschluß. 4. Öffnung der Angebote unter Aufsicht einen Tag nach Ablauf der Angebotefrist. Bearbeitung eines Verteilungsvorschlags. 5. Beschlußfassung hierüber in einer der ein- bis zweimal wöchentlich stattfindenden Sitzungen der Verteilungsstelle und Weiterleitung des Vorschlags. Dringende kleinere Vergebungen erfolgten bei einzelnen Referaten freihändig, die Verteilungsstelle erhielt dann nachträglich Kenntnis. 6. Zuschlagserteilung an die von der Verteilungsstelle vorgeschlagenen Firmen soweit die Behörde nicht anders entschied. Benachrichtigung der Firmen durch Fernsprecher, Anschreiben an nicht berücksichtigte Anbieter. 7. Vertragsaufstellung. 8. Beschaffung und Zuweisung von Rohstoffmaterialien und Halbfabrikaten an den Vertragsunternehmer im Benehmen mit den Referaten. Bearbeitung von Dringlichkeitsfragen, Beseitigung entstandener Schwierigkeiten zwischen Unternehmern und Bedarfsstellen. 9. Ergänzung der Statistik zur Fortführung der Kartei. Die vorstehend geschilderte Art der Auftragserteilung hatte zur unbedingten Voraussetzung eine dauernde ganz genaue Kenntnis der Leistungsfähigkeit und des jeweiligen Beschäftigungsgrades von Industrie, Handwerk, Handel und Heimarbeit. Diese genaue Kenntnis wurde erreicht und erhalten durch Aufstellung und Weiterführung einer dreifachen Kartothek, für Industrie-, Handwerks- und Handelsfirmen. Ihr Material wurde gewonnen auf Grund zweier kriegsindustrieller Bekanntmachungen vom 15. Mai 1916 und 19. September 1907, welche die Meldepflicht der Firmen einführten. Im Laufe der Zeit gewann nun die Rohstoffbewirtschaftung und Versorgung immer größere Bedeutung. Dieser Umstand und der Wunsch auch für die Übergangszeit geeignete Unterlagen zu haben, machte die Einführung neuer Meldezettel nötig, welche Angaben über Betriebskräfte, Brennstoffe, Gasverbrauch enthielten. Auch mußten nunmehr sämtliche Industriebetriebe einschließlich der früher ausgenommenen der Nahrungs- und Genußmittel Meldungen erstatten. Der Erfolg dieser Bestimmung wurde als ganz vorzüglich geschildert.

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Aus der Tätigkeit der Krieberoreferate. Wenn hier auf diesen Gegenstand etwas eingegangen wird, so geschieht es um die besondere Bewährung der Württembergischen Organisation zu beweisen. Die Referate zerfielen in Rohstoff-, Beschaffungs-, Verwaltungs- und technische Stellen, ohne daß diese Trennung beim einzelnen Referat durchgeführt gewesen wäre. — Die nahe örtliche Vereinigung aller Referate mit dem Kriegsministerium sowie die Einheitlichkeit der von jedem Lieferer ein für allemal anzuerkennenden Lieferungsbedingungen erleichterten den Geschäftsverkehr ganz wesentlich. Das Rückgrat aller Arbeiten der Referate war die Kartei. Sie enthielt als Namenskartei etwa 7000  Firmen mit verschiedenfarbigen Karten für Industrie-, Handwerks- und Handelsfirmen. Jede Karte enthielt eine Firma mit allen Angaben über Herstellungsgegenstände, Kraft- und Gasversorgung, Arbeitszeit, Angestellten- und Arbeiterzahl, Brennstoffverhältnisse, Statistik der erteilten Aufträge. Dazu kamen noch alle möglichen Zeichen für Stillegung, Zwischenhandel, Kohlensperrung usw. Zur Ergänzung bestand noch eine Ortskartei und ein Verzeichnis der die einzelnen Bedarfsgegenstände herstellenden Firmen. Die Kartei war von einem Spezialfachmann aufgestellt und geführt. Sie zwang in ihrer Zuverlässigkeit die Referenten in ihre Bahn, gewährte ihnen aber dafür auch volle Sicherheit in ihren Maßnahmen und eine unübertreffliche Einheitlichkeit im ganzen Beschaffungswesen. Wie günstig die Württembergische Organisation wirkte, geht aus einem der — wie alle anderen sehr offenherzigen — Referatsberichte über Beschlagnahmungen hervor. Es heißt da: „Die von Beschlagnahmungen Betroffenen lassen diese Maßnahmen mit großem Opfermut über sich ergehen; man ist überall bereit, das Erforderliche zur Verfügung zu stellen, legt aber im Kreise der Industrie auf gleichmäßige Behandlung Wert.“ Die lautgewordenen Klagen richten sich „fast ausschließlich gegen den etwas stark ausgeprägten Geschäftssinn der Kriegsmetall-A.-G.“. Von besonderer Bedeutung war die Landeskohlenstelle, obwohl das Württembergische Kriegsministerium dem Reichskohlenkommissar gegenüber keinen Einfluß auf die Zuteilung der Kohle hatte. Aber man sammelte die Wünsche, sorgte für Vorzugsanweisungen, Sonderbelieferungen und Schaffung von Reservelagern und brachte die Kohlen dahin, wo sie jeweils am nötigsten waren. Zur Verhinderung unberechtigten Kohlenbezugs liefen täglich von sämtlichen württembergischen Güterstellen und Stationen Meldungen über Brennstoffankünfte ein, Wagensendungen an unbekannte Empfänger wurden verfolgt. Die Händler hatten ihre Eingänge zu melden. So wurden die Härten der Berliner Zentralisierung nach Möglichkeit ausgeglichen und Industrie und Gewerbe über Wasser gehalten. Es scheint, als ob sich die Württembergischen Erwerbskreise im großen Ganzen rasch mit den vorstehend geschilderten Einrichtungen vertraut gemacht hätten. Leider kann man dies nicht von allen Behörden sagen. Dasselbe Streben, wie es einzelne Feldstellen zeigten, sich über die getroffenen Bestimmungen für das Beschaffungswesen hinwegzusetzen, scheinen noch im Betriebsjahr 1917/18 Berliner Beschaf-



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fungsstellen den Spezialgruppen der Kriebero gegenüber versucht zu haben. Um so wichtiger war die Tätigkeit der württembergischen Stellen. Vom 1.  Februar 1916 bis Ende Januar 1918 wurden in der Kriebero bearbeitet 2298 Aufträge für rund 909 Mill. Mark. An den Aufträgen waren beteiligt: Der Handel mit 278 Firmen und 0,73% des Geldwertes, das Handwerk mit 3184 Meistern und 0,41% des Geldwertes, die Heimarbeit mit 1 017 000 Arbeiterinnen und 6,12% des Geldwertes, die Industrie mit 1410 Betrieben und 92,74% des Geldwertes. Von Beschaffungsstellen waren beteiligt: preußische Ämter mit Württembergische Ämter mit bayerische Ämter mit verschiedene Besteller mit Zusammen:

811

Mill.

Mark

66 15 17

„ „ „

„ „ „

909

Mill.

Mark.

Nach den Eindrücken, die ich an Ort und Stelle empfing, ist die Organisation von Weka und Kriebero ein Segen für das ganze gewerbliche Leben Württembergs gewesen. E. Einrichtungen in anderen Bundesstaaten. In Bayern führte die Entwicklung dazu, beim Ministerium des Äußeren eine staatliche Vermittlungsstelle zu gründen zur Beratung bei der Verteilung der an Industrie, Handel und Handwerk Bayerns zu vergebenden Aufträge. Hierzu wurde nach dem Vorbild Württembergs die Meldepflicht der Firmen eingeführt. Diese Beratungsstelle besaß drei Organe, einen Hauptausschuß und je einen Unterausschuß für Industrie und Handel und für das Handwerk. Der Hauptausschuß hatte jeweils das Verhältnis festzulegen, in welchem die zugewiesenen Aufträge auf Industrie und Handel einerseits und auf das Handwerk andererseits zu verteilen seien. Die Unterausschüsse hatten Vorschläge zu machen für die Einzelverteilung der vom Hauptausschuß zugewiesenen Anteile und hierüber an die Hauptgeschäftsstelle zur Weiterleitung an die Heeresverwaltung Bericht zu erstatten. In Bayern waren Gebühren für staatliche Vermittlung eingeführt. Sie betrugen bei Aufträgen von 300 M bis 10 000 M 1 bis 25 M. Für Aufträge von mehr als 10 000 M wurden erhoben von der ersten Million Mark ⅓%, von der zweiten Million Mark 1/5% und von dem zwei Millionen Mark übersteigenden Wert 1/10%. Dann waren noch Nachlässe vorgesehen, und zwar für Lieferer, welche seit Bestehen der staatlichen Vermittlungsstelle innerhalb eines Jahres an Gebühren mehr als 5000 M bis 30 000 M bezahlt hatten einen Nachlaß von 20 bis 50%. Besondere Bestimmungen waren vorhanden für die Fälle, in welchen die Gebühren nicht zu erheben beziehungsweise teilweise zu erlassen waren.

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In Baden stand einer ähnlichen Regelung der Umstand hindernd im Wege, daß dort kein Kriegsministerium bestand. Es gelang aber beim Badischen Handelstag in Mannheim eine Badische Verteilungsstelle für Heereslieferungen einzurichten, die von der Ausgleichstelle der Bundesstaaten ihre Aufträge erhielt und weiter verteilte. In Sachsen vermittelte sämtliche Anordnungen des Kriegsamts das Kriegsministerium, Waffen- und Industrie-Abteilung. In Dresden und Leipzig bestanden Kriegsamtsstellen2.

Kapitel 11 Die Organisation mit technisch-kaufmännischem Einschlag § 39 Organisation der industriellen Fertigung Die weitestgehende Heranziehung der Industrie war naturgemäß bei solchen Massenwaren möglich, die auch im Frieden gebraucht worden waren. Schwieriger war sie schon bei Gegenständen geringeren oder fehlenden Friedensbedarfs. Hier kamen zunächst nur einzelne zu großzügiger Umstellung bereite Betriebe in Frage, aber doch ist es z. B. bei der Granatherstellung in Kürze gelungen, Tausende von Werken heranzuziehen. Am schwierigsten war die Gewinnung von Lieferern bei schwierigen Vorrichtungen und Geräten. Am schnellsten waren naturgemäß die in der Umgebung der Beschaffungsstellen ansässigen Firmen heranzuziehen. Aber auch sonst suchte man den anfänglichen Firmenmangel zu beseitigen. So hatte das Ingenieurkomitee im Frieden etwa 120, im April 1915 etwa 600 und im August desselben Jahres etwa 950 Lieferer. Schon im ersten Winter mußte zur Unterstützung der Pulverfabriken die Sicherstellung der Rohstoffe und Säuren erfolgen. Im November 1914 wurde zur besseren Erfassung der gesamten Metallindustrie das ganze Reich in vier große Interessenbezirke: Spandau, Siegburg, Dresden und Ingolstadt zerlegt. Auf die Maßnahmen der Bestandserhebungen, Beschlagnahmen, Dringlichkeitslisten und Höchstpreisfestsetzungen kann hier nicht näher eingegangen werden, über die Beaufsichtigung der Industrie wird in §  42 die Rede sein3. Neben der Vergrößerung der staatlichen Werke hat die Heeresverwaltung auch die von privaten Werken unterstützt, auch Neugründungen gefördert, nicht immer mit Erfolg. So muß die mit lebhafter Beihilfe des Kriegsministeriums erfolgte Gründung und Tätigkeit der Waffenwerke Oberspree als ein völliger Fehlschlag bezeichnet werden. 2 Genauere Angaben bei: Peter v. Gebhardt, Aus der Tätigkeit des Kgl. Sächs. Kriegsministeriums während des Weltkrieges in „Sachsen in großer Zeit“, Bd. II, Leipzig, 1919. 3 Bei der Durchsicht der folgenden Paragraphen empfiehlt sich ein Vergleich mit den § §  57—60, die die diesbezüglichen Erfahrungen der Industrie wiedergeben.



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Zur gleichmäßigen Heranziehung der industriellen Betriebe wurde schon im ersten Kriegswinter versucht, die bayerischen, Württembergischen und südwestdeutschen Werke durch Vermittlung der zuständigen Industrieverbände zu einer Interessengemeinschaft unter Führung des Verbandes württembergischer Industrieller zusammenzuschließen. Diese Gemeinschaft hat zwar eine schnelle und zuverlässige Munitionslieferung herbeigeführt, jedoch nicht auch für eine gleichmäßige Heranziehung der ganzen Industrie sorgen können. Dies gelang erst den staatlichen Verteilungsstellen. Auch im neutralen Ausland wurden Organisationen für industrielle Fertigung geschaffen und betrieben. Daß die Verbesserung der Lieferungs- und Vertragsbestimmungen eine stete Sorge der Behörden sein mußte, ergibt sich schon aus deren für Massenbeschaffungen nicht geeigneten Friedenseinrichtungen. Eine wertvolle Ergänzung der Beschaffungstätigkeit im Ingenieurkomitee waren die drei Heeresparks in Berlin, Mainz und Köln für Pioniergerät, Werkzeuge und Baustoffe, von denen Mainz und Köln die Leistungsfähigkeit der rheinischen Industriellen und Händler besser ausnutzen konnten als die Berliner Beschaffungszentralen. Trotz aller Maßnahmen hat Deutschland während des ganzen Krieges die straffe Erfassung der Industrie nicht erreicht, wie sie England schon bald durchgeführt hatte (vgl. den Schluß des §  36). Begründet wurde dies im Jahr 1916 mit der größeren Individualisierung der deutschen Industrie. Mir will diese Begründung nicht genügen. Die Hauptursache war wohl: wir hatten nicht die diktatorische Kriegsgesetzgebung wie England und nicht die Zeit und Ruhe zu derartigen Eingriffen, wie sie sich England, den amerikanischen Freund im Rücken, ohne Gefahr und Risiko leisten durfte. Über österreichisch -u nga r i s ch e M a ßn a h m e n berichtet eine amtliche Denkschrift vom Februar 1917, daß schon im Jahre 1916 die dortigen Walzwerke Lieferungen nur mit Genehmigung des Kriegsministeriums übernehmen durften. Durch neue Verordnungen wurde Anfang 1917 die ganze österreichische Eisenindustrie, also die Herstellung von Roheisen und Halbzeug, Stab- und Formeisen, Träger, Schienen, Schwellen, Walzdraht und Blechen, zwangsläufig in den Dienst der Heeresverwaltung gestellt. Aus Vertretern des Kriegs-, Handels-, Arbeits-, Eisenbahn- und Ackerbau-Ministeriums wurde eine „Eisenkommission“ gebildet, die die Anforderungen von Eisenmaterial auf ihre Bedeutung und Dringlichkeit zu prüfen hatte. Lieferungsverträge, die im Widerspruch zu der neuen Verordnung standen, wurden für aufgehoben erklärt. Ein gleichzeitig begründeter „K r i e gsve r b a n d d e r E i s e ng i e ß e re i e n“ bezweckte die planmäßige Verteilung von Gießereiroheisen, die Beschaffung von Auslandsrohmaterial und Altmaterial, die Lösung der hiermit zusammenhängenden Transportfragen und die Verteilung und Verwendung der Werkzeugmaschinen, soweit sie nicht bereits ausschließlich und voll für Kriegszwecke benutzt wurden. — Für Ungarn wurden entsprechende Verordnungen erlassen. In den Vereinigte n S t a a te n wurde im Jahr 1916 eine industrielle Mobilmachung mit wesentlicher Unterstützung der fünf größeren Ingenieurvereine in die Wege geleitet: 35 000 Firmen wurden statistisch erfaßt (vgl. Zeitschr. des Vereins deutscher Ingenieure 1917, S. 57, aus Engineering record vom 29. Juli 1916).

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§ 40 Versorgung der Industrie mit Bauten, Material und Arbeitskräften Verfolgen wir nun, in welcher Weise im Gebiete der Waffen- und Munitionsbeschaffung der sachverständige Einfluß die Durchführung der Beschaffung allmählich in neue Bahnen lenkte, die aus der Not der Zeit geboren zur bisherigen Übung im krassesten Gegensatz standen. Während nämlich früher die beschaffende Stelle sich damit begnügte, der ihr nach den bestehenden Bestimmungen am günstigsten erscheinenden Firma den Auftrag zu erteilen, wurde jetzt mit größtem Ernst angestrebt, daß jeder Auftrag mit geringstem volkswirtschaftlichen Aufwand erledigt werde. Diese Tätigkeit erstreckte sich nicht nur auf die Auswahl der Firmen, sondern auch auf die Durchführung der Arbeiten und schuf dazu auch alle nötigen Bedingungen. Privatfirmen sowohl wie die staatlichen Institute wurden mit den erforderlichen Bauten, Maschinen, Einrichtungen und Arbeitskräften versorgt. Die Organisation der Industrie wurde nach Möglichkeit gefördert und auch den Bestrebungen zur Normung und Spezialisierung wurde weitestgehende Förderung zuteil. a) Versorgung der Industrie mit Bauten. Man kann hier vier Perioden unterscheiden: zuerst wurden die Firmen durch Zusicherung von Aufträgen zu Neubauten veranlaßt, dann erhielten sie Zuschüsse ohne, später mit gewissen Rückzahlverpflichtungen, und schließlich beteiligte sich das Reich selbst an Neugründungen. Im November 1916 begann W.R. die staatlichen Neuanlagen zu überwachen. Es sollte in die sprunghaft auftretenden Forderungen der Institute Stetigkeit und Klarheit gebracht und Unnötiges beschränkt werden. Dazu kamen Anfang 1917 Bauten für die Pulver- und Sprengstoffindustrie sowie der übrigen Rüstungsindustrie. Man mußte mit bestimmten Fertigungsterminen rechnen können. Bei der Vergebung besonders der für das Hindenburg-Programm nötigen Bauten war die finanzielle und organisatorische Seite völlig vergessen worden. Es waren aus Unkenntnis und Zeitmangel hierbei keine einwandfreien Verträge zustande gekommen. Das Bauen auf Staatskosten wurde ohne weiteres der Industrie überlassen, ohne daß in den ersten Monaten eine Instanz zur Prüfung dieser indirekten Staatsausbauten vorhanden gewesen wäre. Der Zuschuß des Staates war verschieden: 100, 80, 60% usw. Erst im Laufe des Sommers 1917 fing man an, die finanzielle Seite zu beachten. Schon bei der Erteilung der Aufträge wäre eine fachmännische Beratung notwendig gewesen, in baulich-betrieblicher und in kaufmännisch-juristischer Beziehung. Die Bautenprüfstelle beim Kriegsamt war im wesentlichen Polizei, ihr oblag die Genehmigung aller Bauten nur vom Standpunkt einer zweckmäßigen Verteilung der Rohstoffe aus. W.R. war aber Bauherr. Die Prüfstelle hatte nur die Aufträge zu genehmigen, W.R. aber bestimmte, was gebaut werden sollte. Daß man sich anfangs überhaupt nicht um die bautechnischen Fragen gekümmert hat, war falsch. Der Staat wird in solchen Fällen immer einen Teil des Risikos übernehmen müssen, für die Überwachung ist dann aber eine Zentralstelle nötig. Die



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Überspannung des Hindenburg-Programms hat Millionen in nachher wenig ausgenutzten Bauten verschlungen. b) Die Versorgung der Industrie mit Material. Vielleicht die wichtigste aller Organisationen war die der Rohstoffbewirtschaftung. Es war ein großes Glück, daß die von Rathenau angeregte Rohstoffwirtschaft unmittelbar nach Kriegsbeginn einsetzte, denn ungemein zahlreiche und nicht selten vergebliche Versuche waren nötig, um Ersatzstoffe zu finden, ihre Beschaffenheit kennenzulernen bzw. ihre Eigenschaften so zu verändern, daß sie den gewünschten Zwecken entsprachen. Erst allmählich drang auch das Bewußtsein in alle Kreise, auch die der Front, daß man sich bescheiden und einrichten müsse, und so haben wir aus zahlreichen Erfahrungen eine große Zahl neuerer Ersatzstoffe gewonnen, von denen nicht wenige bleiben werden. Die Rohstoffbewirtschaftung umfaßte in ganz großen Zügen die Erfassung der Vorräte, die Bestimmung über die Verwendung der Rohstoffe, die Steigerung der Rohstofferzeugung, die Schaffung und Prüfung von Ersatzstoffen und die Maßnahmen zur Einschränkung des Rohstoff- und Ersatz-Verbrauches. Dabei erforderte die Notwendigkeit, auch an Neutrale im Austauschwege Rohstoffe abzugeben, eine sparsame Bewirtschaftung auch solcher Rohstoffe, die wir an sich in genügendem Maße besaßen, z. B. der Kohle. Die Folge war die Bewirtschaftung von Gas und Elektrizität. — Diese Bewirtschaftung beschränkte sich jedoch nicht auf die Rohstoffe, auch die Fertigfabrikate mußten ihr in steigendem Maße unterworfen werden. Besondere Behörden verwalteten die im Inland und besetzten Gebiet beschlagnahmten Maschinen, Apparate, Werkzeuge usw. und deren Ein- und Ausfuhr. Ein weiteres Mittel zur Sparsamkeit war die Verminderung der bei irgendwelchen Gegenständen früher üblichen Typenzahl. Diese Bewegung hat sich in vielen Industrien durchgesetzt und ist von erheblicher und bleibender Bedeutung auch für die Zukunft. Die zentrale Bewirtschaftung des gesamten, für die Industrie in Frage kommenden Materials begann Anfang 1916. Anfang 1917 (1. Februar 1917) wurde noch die intensive, einheitliche Bewirtschaftung der Sparstoffe und Halbfabrikate bezüglich ihrer Erzeugung, Beschaffung und Verteilung eingeleitet. Neben der Kriegs-Rohstoff-Abteilung (K.R.A.) sollten alle Stellen dazu beitragen, den Bedarf auf das unbedingt Notwendige zu beschränken und das nötige Material rechtzeitig in die richtigen Hände zu leiten. Dabei übernahmen die K.R.A. in Zusammenarbeit mit Syndikaten oder Verbänden die Nachprüfung der Erzeuger, die Beschaffungsstellen diejenige der Verbraucher. Diese Bewirtschaftung lief also hinaus auf die Zuteilung bestimmter Kontingente im Rahmen der Gesamterzeugung an die einzelnen Beschaffungsstellen bzw. Erzeuger durch die K.R.A. und Bewirtschaftung dieser Kontingente durch die Beschaffungsstellen bzw. Versorgungsgruppen, da nur diese in der Lage waren, für die richtige Verteilung an die Verbraucher einzustehen. Solche Aufgaben lassen sich am einfachsten und besten erfüllen, wenn möglichst der ganze Bedarf von jeder Beschaffungsstelle im Rahmen ihres Kontingents durch größere Abschlüsse sichergestellt wird. In die einzelnen Abschlüsse

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läßt die Beschaffungsstelle dann die Verbraucher (Munitions- oder Maschinenfabriken) entsprechend der Höhe der ihnen erteilten Aufträge mit allen Rechten und Pflichten eintreten, so daß sich der ganze weitere Geschäftsverkehr zwischen Erzeuger und Verbraucher abspielt, ohne die Behörde zu belasten oder ihr eine besondere Verantwortung aufzuerlegen. Durch die gemeinsamen Abschlüsse wird die Beschaffung erleichtert und eine Zersplitterung der Fertigung vermieden, vor allem aber der Behörde ermöglicht, jederzeit regelnd einzugreifen sowie für angemessene Preise und vernünftige Abschlußbedingungen zu sorgen. Im Zusammenhang mit der Rohstahlausgleichstelle der Kriegs-Rohstoff-Abteilung4 entstand Mitte Oktober 1916 beim Wumba das Referat für Eisen und Stahl. Seit März 1917 kamen Dringlichkeitslisten und -scheine auf. Die Rohstahlausgleichstelle wies den Beschaffungsbehörden bestimmte Monatskontingente zu. Innerhalb der Kontingente durften dann die Beschaffungsstellen Dringlichkeitsscheine von begrenzter Gültigkeit ausstellen. Die Werke waren verpflichtet, diese Scheine vor anderen Aufträgen zu bevorzugen. Für einzelne Dinge, vor allem auch den Bezug ganz kleiner Mengen, waren Sonderbestimmungen getroffen, ebenso für den Bezug von Gießereiroheisen. Weitere Aufgaben des obengenannten Referats für Eisen und Stahl waren: etwaige Bedarfsanträge der Industrie an Rohstoffen für die Eisen- und Stahlerzeugung bei den zuständigen Stellen zu unterstützen, ferner die Unterstützung der Firmen und der Institute beim Bezug von Eisen und Stahl. Seit Anfang 1918 besaß das Stahlreferat des Wumba noch ein besonderes Bureau, die Stahleinkaufsstelle des Wumba in Düsseldorf, dessen Vorstand durch seine engen Beziehungen zu den verschiedenen Werken jederzeit beurteilen konnte, wo noch dringende Aufträge unterzubringen waren. Ferner unterhielt das Stahlreferat mit einigen Eisengroßhandelsfirmen Lagerhaltungsverträge. Die Vorratslager, die der behördlichen Verfügung und Nachprüfung unterlagen, sollen sich gut bewährt haben. Um den Elektrizitätsfirmen Serienfabrikation zu ermöglichen, erhielten sie Sammelfreigabescheine. Das Programm dazu wurde jeweils von Wumba R. aufgestellt und überwacht. Auf diese Weise wurde eine großzügige Vorratswirtschaft organisiert und die Deckung des großen Bedarfs ermöglicht. Die bisher geschilderte Organisation der Materialbeschaffung wurde wesentlich erleichtert durch Normung der Sorten. Die Heeresverwaltung verwandte früher 72 verschiedene Eisen- und Stahlqualitäten mit allen möglichen Vorschriften und Festigkeitsziffern, während z. B. die Eisenbahn mit nur zweien auskam. Man einigte sich für das Wumba auf fünf Stahlsorten.

4 Näheres hierüber enthält Bd. IV: „Die Eisenwirtschaft im Kriege“.



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Zur einheitlichen Beschaffung der in den Bergischen und benachbarten Industriebezirken benötigten Rohmaterialien wurde am 14. März 1917 in Remscheid auf Veranlassung des Wumba das „Werkzeug- und Stahlkonto Remscheid“ gegründet. Vermehrte Sorgfalt wurde — allerdings erst nach und nach — dem Studium der Zusammenhänge in der Materialzuweisung gewidmet. So braucht man bei Transformatoren Metalle, Öle, Webstoffe und Gummi, für Zement die halbe Gewichtsmenge des Zements an Kohle. Fehlt einer dieser Stoffe, so sind auch die anderen zwecklos zugewiesen. Von besonderer Bedeutung war natürlich die Kohlenbewirtschaftung. Die Wärmewirtschaft der Institute wurde untersucht, auch bezüglich der Abdampfverwertung, bei der Pulverherstellung gelang mit der Zeit eine bedeutende Ersparnis an Brennmaterial, ebenso im Hüttenwesen durch Trocknung der Gebläseluft. Besondere Erfolge wurden erzielt bezüglich der Wiedergewinnung in der chemischen Industrie wertvoller, an sich knapp gewordener Stoffe, insbesondere Azeton, Äther und Alkohol. Die Tatsache unserer mehr als vierjährigen Rohstoffbewirtschaftung ist ein stolzes Ruhmesblatt für unsere Behörden, ebensosehr für den Geist unserer Industrie und unserer Bevölkerung. Für die Beschaffung von Arbeitskräften war Wumba R. dadurch tätig, daß es bei Reklamationen von Ingenieuren, Technikern und Meistern für die Institute und Rüstungsbetriebe Gutachten abgab, ob der Betreffende für die Aufrechterhaltung der Betriebe und ihrer Leistungen unbedingt notwendig war oder nicht. In besonderen Fällen nahm die Feldzeugmeisterei auch ohne Aufforderung Stellung zu unzweckmäßigen Einziehungen und Maßnahmen der Bezirkskommandos.

§ 41 Versorgung der Industrie mit Maschinen und Werkzeugen Brennend wurde die Frage der Maschinenbeschaffung, als im Herbst 1916 das verstärkte Rüstungsprogramm aufgestellt wurde. Denn gleichzeitig mit der Aufstellung dieses Programms und dadurch veranlaßt trat Mangel an allem ein, was für die verstärkte Maschinenerzeugung im erhöhten Maße notwendig gewesen wäre. Es fehlte an Kohle, Eisen und an Facharbeitern. Dabei stiegen die Anforderungen der Rüstungswerke auf ein Vielfaches des bisherigen Bedarfs, und zwar einmal an Maschinen normaler Bauart, die aber in größerer Menge benötigt wurden, und dann an Spezialmaschinen, die nur einige wenige aber sowieso stark beschäftigte Fabriken herstellen konnten. An Vorräten kamen in Betracht: die Bestände der besetzten Gebiete und die Vorräte des Inlands an neuen oder gebrauchten Maschinen, die in der Verfügung von Händlern waren, schließlich die Maschinen in unbeschäftigten oder nicht mit Kriegsarbeit beschäftigten Betrieben.

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Für die Neuherstellung kam in erster Linie Deutschland in Betracht, in zweiter Linie das neutrale Ausland. Zur Erfassung dieser gesamten Vorräte und zur Regelung der Neuanfertigung und der Einfuhr wurde die technische Abteilung des Wumba die Zentralstelle für das gesamte Reichsgebiet. In den besetzten Gebieten erfolgte die Beschlagnahme der Maschinen nach der Haager Landeskriegsordnung. Mit der Durchführung dieser Aufgabe wurde nach reiflicher Überlegung im Westen eine rheinische Händlerfirma beauftragt. Auf Einsprüche von Militärs und von Konkurrenten wurde später eine militärische Organisation geschaffen. Es muß aber festgestellt werden, daß sich keinerlei Hinweise für ein unsachgemäßes Vorgehen jener Firma finden lassen. Im Osten war von Anfang an eine militärische Stelle tätig. Unsere Einkaufsorganisationen im Auslande waren anfangs gegenüber den von den Engländern getroffenen Maßnahmen wenig erfolgreich. Diese hatten sehr bald besondere Gesellschaften gegründet, die zwar neutral aufgezogen waren, aber doch englische Arbeit verrichteten; eine entsprechende Organisation mußte auch bei uns geschaffen werden. Sie wurde ausschließlich dem Wumba übertragen. Im ganzen hat jedoch die Zahl der aus der Schweiz und Schweden eingeführten Maschinen nur etwa 1/30 einer einzigen Jahreserzeugung Deutschlands betragen, sie war also sehr gering. Ungleich wichtiger war demnach die Heranziehung inländischer Maschinen, insbesondere Werkzeugmaschinen. Schon im April 1915 waren die Preise der Werkzeugmaschinen auf den Hauptmärkten Berlin, Frankfurt, Köln und Chemnitz stark gestiegen. Die Händler hatten alles, was zur Herstellung von Heeresgerät nötig war, gestapelt. Die Fabriken, die Maschinen hamstern wollten, wandten sich deshalb an die Händler. Daher wurden die Lager beschlagnahmt, und es durfte nur an Firmen geliefert werden, die eine Bescheinigung vom Wumba hatten. Als man aber den Verkauf in Berlin sperrte, gingen die Händler nach Chemnitz, aber auch dort wurde bald ein Riegel vorgeschoben, indem eine Kommission eine Bestandsaufnahme im Inland vornahm. Die Maschinen wurden abgeschätzt und enteignet. Jetzt wurden aus manchen Händlern — meist durch Unterbeteiligung — „Fabrikanten“, denn diese standen noch nicht unter Aufsicht. Man mußte also auch die Fabrikanten unter Aufsicht stellen. Die erforderlichen Verfügungen wurden bei Wumba  R. ausgearbeitet und die Aufsichtsstelle für den Handel mit Werkzeugmaschinen als Reichsstelle dem Chefingenieur des Wumba unterstellt. Der Kettenhandel wurde verboten. Durch Meldepflicht der Verkäufe und Preisüberwachung wurde eine spätere Regelung der Preise vorbereitet. Dazu trat im November 1916 eine Bestandserhebung sämtlicher im Reich unbenutzt stehenden Maschinen. Die bundesstaatlichen Kriegsministerien waren in ihrem eigenen Wirkungskreis unabhängig, arbeiteten aber im Einvernehmen mit dem Wumba, so daß das Wumba über das betreffende Kriegsministerium auch Maschinen aus dem Bereich der Bundesstaaten anfordern konnte und umgekehrt. Ebenso ging es bei Beschlagnahmungen.



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Die Bestandsaufnahme bedeutete nur eine Meldepflicht, damit eine Aufsicht über Verkauf und Preise möglich wurde. Dadurch war erreicht, daß die Maschinen nicht vom Markte verschwanden, im Gegenteil, die Händler gingen der Behörde sogar an die Hand, und die Wumba R. bekam so eine gute Übersicht. Die Bestandsaufnahme hat 70—80 000 unbeschäftigte Maschinen ergeben. Aus den Bezirksvereinen des Vereins deutscher Ingenieure entwickelten sich die Maschinenausgleichstellen („Mast“). Sie hatten die Verfügung über alle Maschinen, nur nicht über die sog. Sparmaschinen, z. B. Automaten, Hinterdrehbänke, Mechanikerdrehbänke usw. Später wurden diese Stellen militärisch organisiert und erhielten den Namen: Technische Bezirksdienststellen (abgekürzt: Tebedienst). Sie kamen als Referate zu den Kriegsamtsstellen und konnten durch Zuziehungen von Sachverständigen ihre Arbeitsfähigkeit dem wechselnden Geschäftsanfall elastisch anpassen. Nur in wenigen Fällen mußte mit Beschlagnahme und Übereignung behördlich eingegriffen werden. Von der Bestandsaufnahme waren solche Werkzeugmaschinen ausgeschlossen, welche für Kriegszwecke voll und ausschließlich für länger als zwei Monate beschäftigt waren oder ihrerseits zur Erzeugung von Maschinen für Kriegszwecke dienten. Diese Maschinen konnten bei Innehaltung der gegebenen Vorschriften auch veräußert werden. Der Händler hatte aber bei den Preisen Vorsicht walten zu lassen, die Tatsache eines überteuerten Einkaufspreises gab ihm nicht die Berechtigung, diesen auf den Käufer weiterzuwälzen. Auch für den Preis gebrauchter Maschinen wurden Grenzen festgesetzt. Manche Händler hatten nämlich zur Umgehung der Vorschriften den Ausweg beschritten, daß sie sich Werkstätten einrichteten und die dort aufgestellten Maschinen nach kurzer Zeit als alte Maschinen verkauften, aber unter voller Ausnützung der inzwischen gestiegenen Marktpreise. Deshalb wurde festgesetzt, daß eine Maschine mit mehr als dreimonatiger Gebrauchszeit auf keinen Fall teurer verkauft werden dürfte als zu zwei Drittel des am Verkaufstag gültigen Nennwertes einer solchen Maschine. Für ältere Maschinen mußten genügende Abschreibungen angesetzt werden. Die Gewinnzuschläge der Händler wurden auf etwa 15% des Einkaufspreises festgesetzt. Die Grundlage für die Arbeiten der Wumba R. bildete seine umfangreiche technische Fabrikantenkartei über Leistungsfähigkeit, Fabrikationseinrichtungen, Kraftanlagen, Werkzeugmaschinen, Hebezeuge. Diese Kartei umfaßte am 1. Dezember 1917 rund 53 000 Maschinen. Im Herbst 1916 kam die Zentralisierung in der Bewirtschaftung der elektrischen Maschinen, nachdem sie schon früher beantragt, aber abgelehnt worden war. Die elektrotechnische Abteilung (ursprünglich Referat, seit 6.  Mai 1917 selbständige Abteilung) entwickelte sich aus der bei der Feldzeugmeisterei bestehenden Gruppe „Elektrizität“, einem Teile der Fabrikabteilung B  5 des Kriegsministeriums, der „Verteilungsstelle für elektrische Maschinen“ und der „Beschaffungsstelle für das Starkstromgebiet“ (früher beim Ingenieurkomitee).

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Die Aufgabe der Abteilung war: Versorgung der Front mit Starkstromgerät durch unmittelbare Beschaffung, Versorgung der Rüstungsindustrie einschließlich der Staatswerkstätten und Werften mit elektrischen Einrichtungen und Zuteilung elektrischen Geräts an alle Betriebe (einschließlich der Landwirtschaft usw.), die für die Versorgung der Front und Heimat irgendwie in Betracht kamen. Diese Aufgabe war zu lösen: durch Erfassung der Erzeugung, durch Verteilung und Bewirtschaftung aller beschlagnahmten, in der Heimat verfügbaren bzw. nicht für den Krieg beschäftigten Einrichtungen. Die Prüfung der Anforderungen aus der Industrie stützte sich auf die Begutachtung durch die zuständige technische Bezirksdienststelle bezüglich Dringlichkeit und sachlicher Berechtigung. Die Zahl der wöchentlichen Zuweisungen betrug im Juni 1917 500 Stück, im Dezember 1200 Stück. Auch für die Lokomobilen wurde im Juni 1917 eine Bestandserhebung angeordnet. Sogar die Herstellung von Einheitsmaschinen wurde ins Auge gefaßt. Der Verein deutscher Werkzeugmaschinenfabriken sammelte und bearbeitete bereitwillig das vorhandene Material, und die Firma Löwe stellte ein Bureau zur Verfügung. Es handelte sich um Spezialmaschinen, Spezial-Bohrmaschinen, Großwerkzeugmaschinen für Lafetten, Geschützrohre usw. und um Schleifmaschinen (Automaten). Auf Grund dieser Arbeiten wurden die Typen ausgewählt und die Verhandlungen über Lizenzverträge eingeleitet. Um zu verhindern, daß die gesetzlichen Bestimmungen im gesamten Maschinenhandel durch Schieberwesen, wildes An- und Verkaufen umgangen würden, wurde den technischen Bezirksdienststellen eine Zensur für alle Zeitungsanzeigen über gemeldete Maschinen übertragen. Wieweit Wumba R. seine Tätigkeit mit der Zeit auszudehnen genötigt war, beweist der Umstand, daß es im Januar 1917 auch die Versorgung der Landwirtschaft mit landwirtschaftlichen Maschinen und die Sicherung ihrer Instandsetzungsmöglichkeit übernehmen mußte. Eine brauchbare Statistik fehlte bis dahin, ebenso ein Bauprogramm der zuständigen Stellen. Durch Typung wurde versucht, die Schwierigkeiten des Materialverbrauchs und Ersatzes zu verringern.

§ 42 Beaufsichtigung der Industrie Zu der vorstehend geschilderten Heranziehung der Industrie und ihrer Versorgung mit Bauten, Material, Maschinen und Werkzeugen trat für alle Behörden die Pflicht einer umfangreichen Beaufsichtigung in allgemeinen, technischen, Beschaffungs- und Rechtsfragen. Die Beaufsichtigung begann mit dem Einholen von Auskünften über den Ruf noch nicht bekannter Firmen. Auskunfteien, Handels- und Handwerkskammern wurden — mit Vorsicht — herangezogen; wichtiger waren persönliche Besichtigungen durch die Referenten. Das Ingenieurkomitee besaß seit April 1916 eine eingehende, sorgfältig aufgestellte Firmenkartei.



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Die technische Beaufsichtigung der Industrie wurde um so wichtiger, je höher der Bedarf anschwoll. Prüfungen und Analysen waren von Anfang an gemacht worden, dazu Abnahmen auf Grund genauer Lieferungsbedingungen. Später kam hinzu die Feststellung der Eignung der Firmen für bestimmte Arbeiten und Leistungen sowie die technische Beratung über notwendige Ergänzungen der Einrichtungen. Das Ziel war die systematische Nachprüfung und Steigerung der industriellen Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit. In dieser Beziehung gingen Bestrebungen von Wumba R., Leistungsvergleiche bei einzelnen Firmen zu erhalten. Bei den Technischen Instituten waren sie nicht ganz leicht, da dort früher zuwenig einschlägige Ausschreibungen gemacht worden waren. Ein ergiebiges Arbeitsfeld war die behördliche Materialkontrolle bei den Firmen. Die Verschwendung, die hierin bei zahlreichen Firmen aller Art und Größe bis in die letzte knappste Kriegszeit hinein getrieben wurde, war zum Teil außerordentlich groß und weist auch der Friedenszeit bedeutende Aufgaben zu. Vor allem war in der Kohlenfrage sehr energisch einzugreifen. Im November 1916 schuf das Wumba eine Kohlenkontrollstelle für die Industrie, dazu kam eine Kohlenkommission zur Untersuchung der Wärmewirtschaft in den Instituten (gleichmäßige Kohlenbeschaffenheit, Abdampfverwertung). Dazu kamen die Ersparnisse an allen andern Sparstoffen, an Äther und Alkohol und die laufende Überwachung der Bestände. Zum Schluß sei noch erwähnt die Überprüfung der eingereichten Verbesserungen und „Erfindungen“. Wohl mag sie manchmal lange gedauert haben, aber wer die Verhältnisse kennt, wird den auch im Reichstag erhobenen Vorwürfen über allzu große Langsamkeit nur sehr bedingt und eingeschränkt zuzustimmen vermögen. Die Aufsichtstätigkeit der Beschaffungsreferate bezüglich guter fristmäßiger Arbeiten geschah durch unvermutete Besichtigungen der Firmen und durch die Abnahmekontrolle der Heimatbehörden und Empfangsstellen. Wichtig wurden hierbei die Anfang 1916 beim Ingenieurkomitee aufgestellten vier Industrieaufsichtsoffiziere mit den Bezirken Westdeutschland (Düsseldorf), Süddeutschland (Stuttgart), Sachsen (Leipzig), Norddeutschland (Berlin), mit der Aufgabe, die richtige Erledigung der Bestellungen in jeder denkbaren Weise zu fördern und der Zentrale über alles Wichtige laufend zu berichten. Besondere Aufmerksamkeit wurde den Unterlieferern und dem Handel, namentlich aber dem Zwischenhandel gewidmet. Mit gesetzlichen Mitteln war dem letzten recht schwer beizukommen (Reichsgesetzblatt 8. Mai 1918, S. 66). Auch fehlte es in der ersten Zeit an ausreichenden kaufmännischen Kräften. Anfang 1917 ordnete das Wumba den systematischen Besuch aller liefernden Werke an, wozu die technischen Bezirksdienststellen und die Maschinenausgleichstellen verwendet wurden. Von den Referenten nicht unterzubringende Aufträge waren in eine Zentrale in die Wumba R. zu melden, die für das Weitere sorgte. Eine starke Entwicklung hat die Vertragsprüfung durchgemacht. Sie war anfangs Sache der Beschaffungsreferenten. Diese mußten aber bei der ungeheuren Zahl der Verträge mehr und mehr davon entlastet werden. Schließlich zerfiel die

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Vertragsprüfung in einen technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Teil. Das Wumba erhielt im September 1916 eine Vertragsabteilung, Anfang 1917 neue allgemeine Vertragsbedingungen, nachdem die Friedensvorschriften längst überholt waren. Bekanntlich hat sich auch der Reichstag eingehend mit dieser Frage beschäftigt, und zwar im Anschluß an die Preisfragen. Ein umfangreiches Gebiet war die rechtliche Beaufsichtigung der Kriegsindustrie5, welche durch die zahllosen Gesetze und Verordnungen nicht immer erleichtert wurde, abgesehen von Fällen des Betrugs, der Urkundenfälschung, Fälschung von Abnahmestempelungen, sowie der Nichterfüllung von Verträgen. Wucherangelegenheiten kamen nicht selten vor, da z. B. mit den Aufträgen des Wumba ein schwunghafter Handel getrieben wurde. Auch hier wurde stets versucht, ohne Prozesse auszukommen. Auch Patentfragen mußten bei den einzelnen Behörden bearbeitet werden, z. B. bei Erfindungen, die im Zusammenhang mit Dienstobliegenheiten gemacht waren. Bei Lizenzansprüchen wurde zunächst ihre allgemeine Berechtigung geprüft, sodann welchen Wert die betreffende Erfindung hatte und was zugebilligt werden konnte. Hierbei lehnte man sich an die Grundsätze der Friedenszeit an. Auch Entschädigungsansprüche für zurückgezogene Aufträge waren vielfach zu bearbeiten. Viel Arbeit machte die Verfolgung von unerlaubten Ausbesserungen an nicht einwandfreien Geschossen. Anfang 1916 wurde davor durch Anschläge in den Fabriken gewarnt, ohne großen Erfolg, da die Sachverständigengutachten auseinandergingen. Das Wumba trat deshalb an die Firmen ohne Prozeßdrohung mit der Forderung billiger Schadenersatzleistungen heran. Meist kamen die Firmen rasch entgegen. Innerhalb 2½ Jahren sind gegen 3 Mill. Mark zurückbezahlt worden, anfangs für wohltätige Zwecke, später grundsätzlich in die Staatskasse. Ein Prozeß ist in solchen Angelegenheiten nie geführt worden. Außerordentlich erleichtert wurde schließlich die ganze, namentlich die finanzielle Aufsichtstätigkeit der Behörden, als der Industrie die Vorlegung ihrer Geschäftsbücher und Kalkulationen sowie die Auskunftspflicht auferlegt wurde, ein sehr einschneidender, aber notwendiger Beschluß. Das äußerste Mittel der Behörden war der Ausschluß einer Firma von allen Heereslieferungen, die auf die Dauer oder auf Zeit ausgesprochen wurde, und zwar wegen Unzuverlässigkeit, Bestechung, unerlaubter Abspenstigmachung von Arbeitern, Zwischenhandel und Kriegswucher. Als im Wumba diese Frage Ende 1916 systematisch zur Bearbeitung kam, mußten vielleicht 12—15, zwei Jahre später nur noch 2—3 Firmen monatlich ausgeschieden werden. Die Aufsichtstätigkeit hatte also Erfolg gehabt.

5 Vgl. die allgemeine Darstellung über die,, Rechtsgrundlagen der Kriegswirtschaft“ von Heymann („Waffen, Sprengstoffe und Munition“ vom 22. Juni 1917).



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§ 43 Konstruktive und fertigungstechnische Tätigkeit A. Die wichtigsten heutigen Anforderungen an Waffen, Munition und sonstige Heeresbedarfsgegenstände sind: 1. unbedingte Kriegsbrauchbarkeit, d. h. einfaches, sicheres einwandfreies Arbeiten auch bei stärkster Beanspruchung und wenig sorgfältiger Behandlung; 2. Konstruktionen, welche genaue und rasche Massenherstellung mit auswechselbaren Teilen und dadurch Auftragsverteilung auf einen weitesten Liefererkreis ermöglichen; 3. rasche einfache Wiederinstandsetzbarkeit durch austauschbare Teile; 4. geringes Gewicht; 5. geeignetes, auch im Krieg jederzeit ohne große Schwierigkeiten erhältliches Konstruktionsmaterial; 6. weitgehende Verwendung handelsüblicher Halbfabrikate (Normalprofile, Gewinde, Schrauben, Nieten usw.), überhaupt weitgehende Normung und Typung; 7. wenn den Punkten 1 bis 6 genügt ist, Billigkeit der Herstellung. Von den eben angeführten Forderungen waren die gesperrt gedruckten bis zum Kriegsausbruch nur zum geringen Teil anerkannt, geschweige denn verwirklicht. Die Darstellung der hierzu nötigen Tätigkeit soll uns in diesem Paragraphen beschäftigen. Der Stand der deutschen Waffentechnik war vor dem Kriege zweifellos ein sehr hoher. Durchführung und Ausführung der einzelnen Waffe genügte den schärfsten Ansprüchen. Die staatlichen Institute verfügten über ein hervorragendes Personal von Facharbeitern, die als alte Praktiker auch ohne neuzeitliche Fertigungsunterlagen imstande waren, die einzelnen ineinandergreifenden Teile der Waffen durch sorgfältigste Paßarbeit so lange zusammenzuarbeiten, bis die nötige Genauigkeit erreicht war. Als aber der ungeheure Bedarf der Kriegszeit kam, mußte die bisherige Herstellungsweise versagen. Man hatte Einzelstücke gebaut, aber nicht neuzeitliche Massenfertigung getrieben, sie auch nicht vorbereitet. Diese verlangt, daß jeder einzelne Teil von vornherein so genau maschinenfertig, also ohne nachträgliche Paßarbeit geliefert wird, daß die zusammengehörigen Teile ohne weiteres mit dem für die Passung notwendigen Spiel ineinandergreifen. Das alte Verfahren mußte erliegen, sobald die Anforderungen der Obersten Heeresleitung über ein gewisses Maß stiegen. Und das taten sie schon frühe, vor allem aber mit der Aufstellung des Hindenburg-Programms. B. Grundlagen der Massenfertigung. Die neuzeitliche Massenfertigung, welche gleichzeitig Qualitätsarbeit und Verminderung der Gestehungskosten anstrebt, beruht auf drei Grundlagen: 1. der Normung und Typung; 2. der Spezialisierung oder Sonderung;

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3. der Fertigung auf Grund ein für allemal festgelegter Arbeitsgenauigkeiten (Toleranzlehrensystem). Man versteht unter Normung die Vereinheitlichung oft gebrauchter Fertigungselemente, wie Profileisen, Rohre, Gewinde, Schrauben, Muttern, Nieten, Werkstoffe, Meßverfahren, ja selbst Organisationsformen. Man unterscheidet allgemeine und Fach- oder Sondernormen für einzelne Industrien. Beide müssen unter- und miteinander in vollkommenem Einklang stehen. Dieser Arbeit dient auch für die ganze Privatindustrie seit 1917 der vom Verein deutscher Ingenieure, von der deutschen Industrie und den in Betracht kommenden Behörden ins Leben gerufene „Normenausschuß der deutschen Industrie“, der später behandelt werden wird. Unter Typung versteht man die Beschränkung auf die für den Gebrauch unbedingt nötigen Formen und Größen (Typenreihen) ganzer Maschinen und Apparate. Ihre Voraussetzung und Folge ist die Massenfertigung. Die Typung findet heute ein sehr großes Betätigungsfeld und erstreckt sich u. a. auf Schlösser, Beschläge, Werkzeuge, Feilen (heute nur noch 30% der früheren Sorten), Maschinen aller Art, Fahrräder, Autos usw. Unter Spezialisierung oder Sonderung versteht man die Beschränkung der einzelnen Betriebe auf die Herstellung derjenigen Gegenstände, in denen sie besonders leistungsfähig sind. Wichtige Voraussetzungen hierfür sind großes Absatzgebiet, bedeutende Läger, Fähigkeit, das Risiko unvorhergesehener Bedarfswechsel tragen zu können und deshalb der Zusammenschluß der einander ergänzenden Werke zu Fertigungs- und Verkaufsgemeinschaften, d. h. also ein hochentwickeltes Verbandswesen. Für neuzeitliche Massenfertigung ist erster Grundsatz die Arbeitszerlegung: Die vorzunehmenden Verrichtungen werden in einfache Teilverrichtungen geteilt, jede einem Spezialarbeiter übertragen, der für sich oder im Zusammenwirken mit anderen nur je einen oder wenige Einzelteile, diese aber infolge der gewonnenen Übung, in großer Anzahl und Genauigkeit fertigt. Alle Einzelteile nun laufen zu der Stelle, wo der Zusammenbau der Maschine erfolgt. Sollen hierbei weitläufige lästige und zeitraubende Nacharbeiten vermieden werden, so müssen die Bearbeiter der Einzelteile imstande sein, sie mit solcher Gleichmäßigkeit und Genauigkeit herzustellen, daß sie nachher samt und sonders austauschbar sind. Man bedarf daher der Festsetzung von sog. Toleranz- oder Grenzmaßen der Arbeitsgenauigkeit , welche angeben, um welchen Betrag im Interesse des Zusammenbaus und der späteren Verwendung die Abmessungen eines Gegenstands, z. B. einer Bohrung oder einer Welle, von denjenigen der Werkstattzeichnung noch abweichen dürfen. Die Festsetzung dieser Toleranzen genannten Abweichungen setzt eingehende Beobachtungen und Messungen an im Gebrauch befindlichen Gegenständen (Maschinen, Gewehren usw.) voraus. Auf diesen Grundlagen werden besondere Meßwerkzeuge, sog. „Grenzlehren“ und „Grenzdorne“, geschaffen, die jedem Arbeiter ohne weiteres gestatten, seine Arbeit laufend genau zu prüfen, ob ihre Abmessungen innerhalb der zugelassenen oberen und unteren Grenzmaße liegen.



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Der Spielraum zwischen diesen beiden Maßen hängt ab von der Natur und Verwendung des Gegenstands, er darf nicht größer, vor allem aber nicht kleiner sein, als sachliche Rücksichten es verlangen. Beim Heeresgerät gehören z. B. hierzu die Einflüsse der wechselnden Temperatur, der Nüsse, von Verbeulungen, Verbiegungen und Verschmutzungen. Auf diesen Grundlagen bauen sich erst die Abnahmelehren und Abnahmevorschriften auf. C. Die Zustände bei Kriegsbeginn. In Deutschland hatte der Normungs- und Typungsgedanke in der Industrie seit langem festen Fuß gefaßt. So stammen die Normalprofile für Walzeisen aus den Jahren 1879/80, diejenigen für gußeiserne Wasserleitungsrohre aus dem Jahre 1881. Dagegen hatten die Normalprofile für Walzeisen in der Waffentechnik keinen Eingang gefunden: An den Lokomotiven der Eisenbahnbrigade soll fast kein normales Stück gewesen sein. An der Feldartillerielafette war an keiner Stelle ein Profileisen angewandt, obwohl das an vielen Stellen an sich selbstverständlich gewesen wäre, wenn nicht — zu einseitig — der Grundsatz möglichster Gewichtsersparnis, das „Grammschinden“, maßgebend gewesen wäre. Auch gab es eine ganze Reihe von Teilen an der Lafette, z. B. Riemenscheiben, Ösen, Muttern mit zum Teil nur ganz geringen Unterschieden, aber ohne jede Vereinheitlichung. An den Fahrzeugen waren nicht einmal die Räder austauschbar. Der industrielle Normungsund Typungsgedanke war somit in der Waffentechnik des Landheeres unbekannt. Nicht anders stand es mit der Einführung der Massenfertigung mit austauschbaren Einzelteilen nach Toleranzlehren. Zwar hatte die Gewehrfabrik Spandau schon in den achtziger Jahren eine Einrichtung nach dem Toleranzlehrensystem der amerikanischen Firma Pratt and Whitney, Hartford Conn. erhalten, das System wurde jedoch mit der Zeit durch unzweckmäßige Maßtafeln und Abnahmevorschriften praktisch außer Wirkung gesetzt. Wenn behauptet worden ist, man hätte bei den Technischen Instituten schon seit Jahrzehnten mit Lehren gearbeitet, so ist demgegenüber zu betonen, daß es sich dabei zweifellos um Normallehren und um Normalmaße von Maßtafeln, nicht aber um das moderne System der Grenzlehren gehandelt hat. Nur die letzteren lassen Massenfertigung zu. Spätere praktische Änderungswünsche des Betriebs, z. B. der Gewehrfabrik Spandau, fanden kein Entgegenkommen. Wenn man die Frage erhebt, ob in dem Fehlen der neuen Verfahren zur Massenfertigung von Waffen bei den technischen Instituten ein Versäumnis liegt, so muß die Antwort wohl lauten: „Ja“, denn die modernen Massenfertigungsverfahren waren seit längerer Zeit bekannt und in Deutschland gerade in der Waffenindustrie eingeführt6. Die Technischen Institute waren also auf dem Gebiet der neuzeitlichen Fertigung von Heeresgerät nicht führend.

6 Dieses Urteil stützt sich auf Äußerungen der Firma L. Loewe & Co., Berlin, und I. E. Re i n e cke r A. G., Chemnitz, über das bei ihnen seit 1870 bzw. seit 1893 eingeführte Grenzlehrensystem.

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Bezüglich der Herstellung austauschbarer Einzelteile ist als erster Berater der Heeresverwaltung während des Krieges Professor Schlesinger von der Technischen Hochschule, Charlottenburg, tätig gewesen, welcher der Feldzeugmeisterei im August 1915 vorschlug, die Fertigung austauschbarer Einzelteile anzustreben. Ich habe oben darauf hingewiesen, daß sich die Arbeitsgenauigkeiten nach dem Zweck eines Gegenstandes zu richten haben. Sie dürfen also nicht zu groß sein. Dem entsprach das Heerestechnische Verfahren nicht. An zahlreichen Stellen waren Anforderungen gestellt, deren Genauigkeitsgrad gänzlich zwecklos war, die Massenfertigung ausschloß und nur so entstanden sein kann, daß man sich die Genauigkeitsabweichungen, die man vorschrieb, ihrer Kleinheit wegen nicht vorstellen konnte. Diese unnötigen Forderungen bedeuteten eine ebenso unnötige Arbeitsverlangsamung und Kostenvermehrung und haben sehr viel beigetragen zu der in der Industrie herrschenden Verbitterung über unnötige Abnahmestrenge und den daraus sich ergebenden hohen Ausschuß. Es wäre aber ein Irrtum zu glauben, die Heeresverwaltung hätte überhaupt keine Toleranzen besessen. Sie waren wohl zum Teil da, litten aber an zwei schweren Mängeln: 1. Sie waren viel zu starr (Normallehren, vgl. oben) und nur für erstklassige Büchsenmacher brauchbar. 2. Es fehlte ihnen systematische Einheitlichkeit. Tatsächlich wurden die Toleranzvorschriften nirgends eingehalten, auch von den Heereslieferern nicht, sie waren aber ein um so wirksameres Abschreckungsmittel für andere Firmen. Sie verteuerten die Ausführung unnötig, konnten zum großen Teil nicht einmal mit Grammschinderei begründet werden, mußten aber allgemein zur Gleichgültigkeit gegen Toleranzvorschriften verführen. Einzelne Firmen, darunter erstklassige, weigerten sich, weiterzuarbeiten, namentlich wegen der durch die Maßtafeln gegebenen undurchführbaren, aber von sachunkundigen Beamten streng eingehaltenen Abnahmebestimmungen7. Die Firmen bestanden auf einwandfreier Festlegung der Toleranzen. Trotz alledem kann man als Ingenieur dem bei allen Heeresgeräten zur Durchführung gelangten Doppelgrundsatz größtmöglicher Leichtigkeit und Bewährung seine hohe Bewunderung nicht versagen. Die Leistung, die darin enthalte ist, enthüllt sich aber nur dem Beschauer, der die Geräte vor dem Anstrich während der Fertigung sieht. Man baute z. B. ein neues Fahrzeug so leicht, als nach den Erfahrungen möglich, dann kam es einige Stunden auf eine Rüttelmaschine, bei welcher die wichtigsten Schwächen zum Vorschein kamen. Diese wurden durch Verstärkungen der Dimensionen und durch Versteifungen beseitigt. Auf die Rüttelmaschine folgte die Hindernisbahn. Erst wenn das Gerät auch diese Prüfung bestanden hatte, begannen zunächst Versuche bei einzelnen Truppenteilen im Manöver. Zuletzt kam der Versuch auf breiter Grundlage bei mehreren Truppenteilen in der Ebene und im Gebirge. Bis zur endgültigen Einführung vergingen so Jahr und Tag und auch später noch wurden auf Grund der jährlichen Truppenberichte immer wieder sog. „Aptierungen“ vorgenommen.

7 Nach denen die Institute selbst schon im Frieden nicht mehr arbeiten konnten.



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Es ist kein Zweifel, daß dieses Verfahren ein hervorragend sorgfältiges war. Allein das genügte nicht. Zunächst durfte die Artilleriewerkstatt nicht praktisch von jedem Einfluß auf Konstruktion und Material ausgeschlossen sein, worüber ausschließlich das Artilleriekonstruktionsbureau entschied. Es durfte z. B. nicht vorkommen, daß das Artilleriekonstruktionsbureau eine Anregung der Artilleriewerkstatt ohne Angabe von Gründen ablehnte. Der Betrieb mußte in der Lage sein, alle Gedanken, die bei der Fertigung auftraten, in Versuchen weiter zu verfolgen, dann erst wäre die vorhandene technische Intelligenz voll ausgenutzt gewesen.

D. Werkzeugbureau und Fabrikationsbureau. Als es sich im Sommer 1915 darum handelte, die Leistungsfähigkeit der Gewehrfabrik Spandau zu steigern und die Schwierigkeiten zu verringern, die die Firmen mit der Abnahme von Gewehrteilen hatten, wies der hierzu aus dem Feld berufene Ingenieur Schächterle darauf hin, daß die bestehenden, vorstehend gekennzeichneten, technischen Unterlagen, zu einer neuzeitlichen Massenherstellung fehlten und daß es ohne diese unmöglich sei, die unentbehrlich gewordene Privatindustrie in gewünschtem Umfang heranzuziehen. Die Folge war die im Oktober 1915 zur Entlastung der Betriebsingenieure und Meister erfolgte Gründung eines Werkzeugbureaus bei der Gewehrfabrik Spandau, das zunächst die nötigen Unterlagen für die Fertigung und Abnahme der Gewehre und Maschinengewehre schuf. Außerdem wurden alle sonstigen für die Massenfertigung in Frage kommenden Arbeiten durchgeführt, wie Festlegung der Arbeitsgänge und das Durcharbeiten der dazu erforderlichen Werkzeuge und Vorrichtungen. Dieses Bureau wurde später mit dem Fabrikationsbureau als „Fabo“ in Zusammenhang gebracht. Im Herbst 1916 wurden durch die Aufstellung des Hindenburg-Programms die Anforderungen an die Industrie aufs äußerste gesteigert, namentlich auch bezüglich der ihr bisher neuen Geschützfertigung. Der obengenannte Ingenieur organisierte daraufhin das Fabrikationsbureau Spandau (Fabo), das am 21.  Dezember 1916 als Unterabteilung des Technischen Hauptbureaus beim Wumba  R. ins Leben trat. Es zerfiel, wie bereits erwähnt, in je einen Teil für Artillerie- und für Infanteriegerät. Es hatte vom Kriegsamt den Auftrag, sämtliche Heeresgeräte ebenso wie Munitionsteile, die vom Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt beschafft wurden, auf Massenherstellung, Materialverwendung, Möglichkeit der Vereinfachung und Vereinheitlichung zu prüfen und durchzuarbeiten. Es lag ihm ferner ob, sämtliche technischen Fragen bei der Massenherstellung von Munition und Waffen zu klären, die für diese Massenherstellung erforderlichen technischen Maßnahmen zu bearbeiten, die fertigenden Stellen in dieser Richtung zu beraten und für zweckmäßigste Gestaltung der Abnahmeverfahren in technischer Beziehung durch Schaffung geeigneter und einheitlicher Normen, Toleranzbestimmungen, Lehren usw. zu sorgen. Diese Aufgaben waren nur durch logisches Denken und systematische Arbeit zu lösen. Die Mittel zur Erfüllung dieser Aufgaben waren: 1. Herstellung zweckentsprechend ausgeführter Werkstattzeichnungen;

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2. ein sorgfältig durchgearbeitetes Toleranzsystem, durch welches die Genauigkeitsgrade aller Teile, die ineinander passen müssen, in Grenzmaßen festgelegt wurden; 3. Aufstellung eingehend durchgearbeiteter Normalien; 4. umfassende Vorbereitung aller sonstigen für die Massenfertigung in Frage kommenden Maßnahmen, wie Festlegung der Arbeitsgänge für jeden einzelnen Teil, der dazu erforderlichen Werkzeuge, Aufspannvorrichtungen, Lehren usw.; 5. Gestaltung der Abnahmevorschriften so, daß sie den Bedingungen der Massenfertigung in richtiger Weise Rechnung trugen. Was mit solchen Mitteln erreicht werden kann, zeigen die folgenden, einer Ansprache des Faboleiters (Schächterle) entnommenen Worte: „Gute Unterlagen fördern Qualität und Quantität in jeder Richtung, und es dürfte nicht zu hoch gegriffen sein, wenn wir sagen, daß im Fabrikationsbureau von 300 brauchbaren Ingenieuren solche Unterlagen geschaffen werden können, die draußen in der Industrie 30 000 Facharbeiter entbehrlich machen. Dies bloß, um eine Zahl zu nennen ...“

Die Beschaffung der nötigen Arbeitskräfte wäre für die Heeresverwaltung nicht leicht gewesen. Es war deshalb ein glücklicher Gedanke, die Industrie aufzufordern, sie solle auf tüchtige, unter den Waffen stehende Ingenieure, Techniker und Zeichner hinweisen und selbst solche auf einige Zeit zur Verfügung stellen. Mit 4 Mann begann Anfang November 1917 die Arbeit, im September 1917 arbeiteten etwa 540 Personen, darunter 300 Frauen (Pauserinnen). Man hatte nämlich zur Entlastung der arbeitenden Techniker eine Zeichenschule für Frauen mit einem streng durchgeführten Lehrgang eingerichtet. Die Erfolge sind außerordentlich günstig gewesen. Die Frauenarbeit war der guter Zeichner unbedingt ebenbürtig. Die Mannigfaltigkeit der Aufgaben machte die Bildung von Arbeitsgruppen nötig. Einzelne bearbeiteten die verschiedenen Geräte, Geschütze, Munition, Lafetten und Fahrzeuge. Dazu traten eine Normalienabteilung8, eine Materialstelle zur systematischen Bearbeitung und Vereinheitlichung der Materialvorschriften, eine Werkzeugabteilung zur Schaffung einheitlicher Werkzeuge und Einrichtungen und eine Gruppe für Bearbeitungsvorschriften zur Bildung eines einheitlichen umfassenden Toleranzsystems. Im Zusammenhang damit stand die Bearbeitung von Arbeitsgängen. Endlich wurde dem Bureau noch eine Stelle angegliedert mit der Aufgabe, die bisher bei den einzelnen Instituten verteilte Lehrenprüfung einheitlich zu gestalten und die infolgedessen bestehenden Meinungsverschiedenheiten und Unzuträglichkeiten zu beseitigen. Mit der Lehrenprüfstelle verbunden war eine Lehrenkonstruktionsgruppe und eine Lehrenwerkstatt, erstere, um eine einheitliche Gestaltung neuer Lehren, letztere, um eine rasche Instandsetzung abgenützter oder fehlerhafter Lehren herbeizuführen. 8 Sie gab die Anregung zur Gründung des Normenausschusses der deutschen Industrie.



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Die Arbeiten des Fabo A. begannen mit den Feldartillerierohren, dann ging man zu den Lafetten über. Die Schwierigkeiten waren nicht gering. Die Vereinfachungen und Vereinheitlichungen mußten ganz unfühlbar in die schon hinausgegebenen Bestellungen und die damit verbundene Fertigung hineingeschoben werden; ganz anders als in den Vereinigten Staaten mit ihrer planmäßigen technischen Mobilmachung. Man konnte also auch nichts Ganzes schaffen, mußte sich mit dem Nötigsten begnügen. Die Durchführung der Tolerierung im Fabo  A. erforderte Zeit, im Werkzeugburau hatte man schon früher damit beginnen können. Außerdem entstanden Schwierigkeiten dadurch, daß neben dem Fabo noch andere Stellen auf demselben Gebiet arbeiteten, deren Verschmelzung mit dem Fabo nicht durchgeführt wurde. Auch manche Widerstände militärischer Stellen waren zu überwinden. Zu alledem kamen noch auf allen Seiten Eigenheiten der Personen. So kam es, daß das Fabrikationsbureau nicht ganz ohne Enttäuschungen gearbeitet und sein ursprüngliches Ziel nicht voll erreicht hat. Dieses hatte bestanden in der Schaffung einer Zentralstelle für 1. Entwicklung und Vervollkommnung der Konstruktionen für Heeresgerät und Munition; 2. die Vorbereitung zu schnellstmöglichem Eintritt in die Fertigung und zu raschester Erreichung der Höchstleistung; 3. die Erreichung der beiden Ziele bei der gesamten mechanischen Industrie und unter dem geringsten Aufwand an Zeit, Menschen und Geld. In dieser Zentralstelle sollten der Taktiker mit dem Konstrukteur, dem Werkstatt- und dem Materialfachmann planmäßig zusammenarbeiten und nicht nur brauchbare, für die Massenfertigung geeignete Konstruktionen schaffen, sondern auch alle Unterlagen für Vergebung, Fertigung und Abnahme von Heeresgerät, so daß sich die Tätigkeit der Beschaffungsbehörden und Firmen auf ihr eigentliches Arbeitsgebiet hätte beschränken können. Dazu wäre allerdings eine andere Eingliederung des Fabo nötig gewesen, als sie im Kriege erreicht worden ist, es hätte den Prüfungsbehörden gleichgestellt werden müssen. Statt dessen wurde im Laufe der Zeit sogar eine gewisse Rückbildung des Fabo vorgenommen.

§ 43 Beratung der Beschaffungsstellen Das technische Hauptbureau bildete gewissermaßen das technische Rückgrat des gesamten Beschaffungswesens. Es war so gegliedert, daß den Beschaffungsstellen der Inspektionen Referate im technischen Hauptbureau parallel geschaltet waren. Diese technischen Referenten hatten also eine beratende Tätigkeit. Ihre Stellung hing wesentlich von den Persönlichkeiten ab. Bei der Beschaffung von Gewehren und Maschinengewehren z. B., die in weit ausgreifender Weise erfolgte, hatte der technische Berater volle Freiheit und Selbständigkeit bei der Beschaffung. Unbefriedigend

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 Die militärischen Behörden und Betriebe während des Krieges

blieb, daß die Wumba R. nicht in der Lage war, die den Referenten zugeteilten Ingenieure genügend zu überwachen. Zur Beratung der Beschaffungsstellen gehörte eine sorgfältige Aufzeichnung sämtlicher für die Beschaffungstätigkeit notwendigen Kenntnisse über die einzuschlagenden Wege und über die Verhältnisse der mit Aufträgen zu betrauenden Firmen und schließlich auch die Vorbereitung aller die Bewirtschaftung der Maschinen betreffenden Gesetze und Verfügungen. Weiter unterstützte das Wumba R. die Beschaffungsstellen durch den Nachweis von brauchbaren Maschinen und Einrichtungen. Auf Grund eines am 30 Juni 1917 versandten Fragebogens wurde durch die technischen Bezirksdienststellen eine Kartei bearbeitet. Für jede Fabrik bekam ein Exemplar Wumba R., ein anderes die betreffende technische Bezirksdienststelle. So konnte ohne Anfrage von jeder Firma jederzeit die Leistungsfähigkeit festgestellt werden. Diese Kartei wurde ständig ergänzt und berichtigt.

§ 44 Das Hindenburg-Programm Bis zum Anfang des Jahres 1916 war die Anfertigung von Kriegsgerät so gesteigert worden, daß die Heeresverwaltung glaubte, auf längere Zeit gesichert zu sein. Tatsächlich ging bis zum Juni 1916, also mitten im Krieg, in manchen Gegenständen die Beschäftigung der Industrie stark zurück, wodurch sie in große Unruhe geriet. Da bewies die Sommeschlacht den offensichtlichen Vorsprung unserer Gegner in der Waffen- und Munitionsfrage: Es entstand eine schwierige Lage, da die angesammelten Vorräte sehr rasch erschöpft waren und die wenige Monate früher künstlich zurückgeschraubte Industrie nicht mit einmal wieder in Vollbetrieb treten konnte. Die aus der Sommeschlacht gezogenen Folgerungen bezüglich der für die Fortsetzung des Krieges nötigen Munitionserzeugung kristallisierten sich im September 1916 zu dem „Hindenburg-Programm“, welches gegenüber der damaligen Fertigung eine außerordentliche große und rasche Steigerung vorsah. Über das Zustandekommen und die allgemeine Wirtschafts- und sozialpolitische Bedeutung dieses Programms wird an anderer Stelle näher berichtet9. In der Beiratssitzung des Wumba erhob sich Widerspruch gegen das Programm. Der dringende Vorschlag von Wumba R., vor der Durchführung des Programms eine Erhebung anzustellen, wieviel Kohle, Stahl, Kupfer, Arbeiter usw. nötig sein würden, wurde abgelehnt. Auch fehlte es deshalb im Anfang an der Aufstellung von Anlaufkurven, aus denen sich die Möglichkeiten allmählicher Leistungssteigerungen hätten nachprüfen lassen. Mit einem Schlag stand z. B. die Forderung auf täglich 600 Maschinengewehre da, während man 2 Tage vorher noch von 200 Stück Höchstleistung gesprochen hatte. Aus Mangel an Anlaufkurven, die auch den Gang der Produktion von Kohle und Erz sowie die Leistungsfähigkeit der Eisenbahnen hätten berücksichtigen müssen, hatte 9 Vgl. Bd. I.



Die Organisation mit technisch-kaufmännischem Einschlag 

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jeder einzelne Referent zu sehen, wie er sein vorgeschriebenes Ziel erreichte. Überhastung war die Folge. Dazu kam, daß wichtige Stellen recht spät gegründet wurden: das Kriegsamt am 1. November, das Technische Hauptbureau des Wumba sowie das Fabo am 21. Dezember 1916. Man hatte also auch in dieser einschneidendsten aller kriegswirtschaftlichen Maßnahmen versäumt , die großen Gesichtspunkte rechtzeitig und vollkommen zu klären, dafür aber zu schnell mit der Einzelarbeit begonnen. Die Schwierigkeiten blieben denn auch nicht aus. Ihr Anfang lag ja schon in dem wenige Monate vorher erfolgten Abbremsen der industriellen Arbeitsleistung. Wesentlich waren aber die folgenden vier Punkte: 1. die Verkehrsnot: Schon die Steigerung der Erzproduktion bedingte eine Umstellung, nämlich vor allem die Gewinnung von Erzen aus dem Siegerländergebiet (Manganerze) und aus der Gegend von Ilsede. Dies brachte den ersten Teil des großen Transportproblems. Den zweiten Teil schufen die Verfrachtungen für kriegsindustrielle Neubauten. Lokomotiven und Wagen waren überbeansprucht, der Fuhrpark nicht der gesteigerten Abnützung entsprechend vermehrt; 2. die Kohlennot: Es fehlte an Bergleuten. Die Eisenbahnen versagten. Zeitweise erhielt die Industrie nur ein Drittel der benötigten Kohlenmenge. Strommangel und Feierschichten waren die Folge; 3. die Eisennot: Die Kohlen- und Eisenbahnnot zwang Zechen und Hütten zu monatelangen Einschränkungen; 4. die Arbeiternot , da die Freigabe der nötigen Facharbeiter zum Teil verspätet erfolgte. Aus diesen vier Schwierigkeiten entstanden alle übrigen. Denn jede Steigerung der Munitionsproduktion (im weitesten Sinn) bedingt eine nicht etwa nur gleichzeitige, sondern zum Teil um Monate vorhergehende Steigerung der Produktion an Rohmaterialien und Halbfabrikaten bis zum Eisenerz und zur Kohle hinab. Zunächst fehlte Eisen zur Errichtung der zahlreichen Hochbauten, Maschinen und Werkzeuge und die Züge zum Transport der Baumaterialien. Monatelange Verzögerung im Baupro gramm war die Folge. Sie übertrugen sich natürlich auf das Fertigungsprogramm, zunächst schon im Dezember 1916 auf dessen Grundlage, die Pulver- und Sprengstofferzeugung, und wegen des anfänglichen Mangels an Werkzeugmaschinen auf alle Arten von Waffen und Munition; die Einführung von Dringlichkeitsscheinen war die Folge. Es fehlten aber auch die werkstattmäßigen Unterlagen für die Massenfertigung des Kriegsgeräts, denn das eben erst begründete Fabrikationsbureau brauchte Wochen und Monate, ehe die Unterlagen zusammengetragen waren. Dazu kamen noch die Last der Facharbeiterfreigabe, der ausnahmsweise harte Winter und die im Februar, Mai und Juni 1917 ausbrechenden Streiks. „Auch Krupp, der bisher in der Lieferung oft sogar vorausgegangen war, mußte im Frühjahr melden, daß er die Termine nicht einhalten könne“, berichtet ein Spandauer Institut.

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 Die militärischen Behörden und Betriebe während des Krieges

Als ein Glück konnte wenigstens der Umstand betrachtet werden, daß damals in den größeren Bundesstaaten eine straffe Organisation des Beschaffungswesens durchgeführt war. Eine vollständige Übersicht der mit dem Hindenburg-Programm zusammenhängenden Forderungen und Leistungen habe ich nicht gefunden. Die folgende Zusammenstellung ist aus einer größeren Zahl von Berichten zusammengetragen. Gegenstand

Einheit

Ursprüngliche Liefermenge

Anfangsforderungen des Programms

Schließliche Leistung

Maschinen­ gewehre...........… Infanterie­ munition..........…

Stück im Tag Mill. Stück im Monat

200 Höchstleistungen März 1916 214 Juli 1916 52

600



Feldartillerie­ Stück im geschütze........... Monat

Herbst 16

800

ab April 1917 2400, auf 300 zu steigern

Fußartillerie­ lafetten…

Herbst 16

130

bis Frühjahr 1917 dann ab }390 1. Okt. 1917 12 000, vom K.M. wegen der Ausfälle auf 14 000 erhöht Okt. 17

Stück im Monat

Pulver……………… Tonnen im Aug. 1914 500 Monat Mai 16 6 000

Okt. 1916 Jan. 1917

340 393

Juli 1917 März 1918 Mai 1918 Sommer 1917

272 205 250 2 000

im Juni 1917 gekürzt auf 364 Juni 1917

8 000

10 000

Angesichts der unübersteigbaren Hindernisse und unproduktiven Vorarbeiten mußte man bald erkennen, daß man nicht, wie gewünscht, im Oktober 1917 die Höchstleistung werde erreichen können. Und so änderte am 26.  Februar 1917 die Oberste Heeresleitung ihre Richtlinien für das Wumba und stellte den Grundsatz auf, es sei wichtiger, in wenigen Monaten auf die 1½fache Leistung der jetzigen Pulver- usw. Fertigung zu kommen, als im Spätjahr das Vollprogramm durchzuführen. Diese 1½fache Leistung war das 10 000-t-Programm. Es fand also eine starke Einschränkung des Programms statt. Auch hierbei soll die technische Abteilung des Wumba erst dann gehört worden sein, als das militärische Programm festlag und es schwer geworden war, Entschädigungsforderungen für entzogene Aufträge durch Ersatzaufträge (Flugzeuge, Lokomotiven, Zugmaschinen) auszugleichen. Namentlich der Kostenersatz für die begonnenen, zum Teil im Frieden unverwendbaren, sehr teuer gewordenen Neuanlagen hat ungemeine Schwierigkeiten bereitet. Das Abbremsen selbst erfolgte nicht einheitlich. Das Kriegsamt beschwerte sich später über die „Schwankungen der Forderungen“ und betonte: „Neben der ungeheuren Belastung unserer hochwertigen Industrie hat dieses Schwanken eine große Unsicherheit in ihr hervorgerufen: Entschädigungsansprüche, deren Höhe sich noch nicht übersehen lassen, sind die Folge.“



Die Organisation mit technisch-kaufmännischem Einschlag 

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Erwägt man die eben geschilderten Vorgänge, so muß man zu der Frage kommen: Wie sind eigentlich die Forderungen des Hindenburg-Programms zustande gekommen? Eine starke Erhöhung der Munitionserzeugung im weitesten Sinn war unbedingt nötig und auch durchführbar. Dagegen war die Art der Durchführung und die Wahl der Wege, die zur Höchstleistung der Wirtschaft führen sollten, völlig überhastet. Der Fehlschlag blieb nicht aus, da die notwendige gründliche Vorbereitung für die Verwirklichung des Programms fehlte. Von einer eingehenden Vorberatung und Voruntersuchung, die unbedingt vor einem ganzen Stab auserlesener Industrieller und Wirtschaftler, vor allem in Gegenwart der leitenden Ingenieure des Wumba, hätte stattfinden müssen, habe ich nichts erfahren können. Die letzteren sind sicher nicht gehört worden. Aber auch bei den Militärs scheint keine Übereinstimmung geherrscht zu haben. Der Chef des Wumba soll schon am 27. Juli 1916 erklärt haben, daß wegen der Stahlerzeugung mehr als 10 000 t monatlicher Pulverproduktion untunlich sei. Das Allgemeine Kriegsdepartement des Preußischen Kriegsministeriums hielt augenscheinlich das Pulverprogramm mit dem ihm vorhergehenden großen Bauprogramm von Anfang an für zu groß (K.M. A.D. Nr. 449/17. c. A. 5 vom 17. Februar 1917 und Nr. 4760/11 16. A. 5 vom 27. November 1916). Ging das Ministerium dann aber nicht zu weit, als es aus den 12  000  t der Obersten Heeresleitung, nach einer Seite angeblich mit deren Wissen, 14  000 machte? (K.M. Nr.  5402/2.18. A. 5 vom 26.  Februar 1918), selbst wenn diese 2000 t Differenz den Bundesgenossen zugute kommen sollten. Diese Überschreitung scheint Schule gemacht zu haben, denn immer wieder wurde mir berichtet, daß nachgeordnete Stellen sich keineswegs überall mit den von der Obersten Heeresleitung verlangten Mengen begnügt, sondern diese zu ihrer größeren Sicherheit mehr oder weniger willkürlich, zum Teil sehr stark nach oben abgerundet hätten. Ludendorff gibt in seinen Kriegserinnerungen ausdrücklich zu, daß bei der Feldartillerie zuviel gefordert worden sei: „Sobald wir es erkannten, gingen wir herunter; immerhin mußte hierdurch eine gewisse Schwankung entstehen. Die Industrie kann sich nicht von heute auf morgen umstellen.“ Die Frage, ob die deutsche Industrie das Hindenburg-Programm überhaupt hätte leisten können, dürfte wohl auf Grund des von ihr tatsächlich Geleisteten zu bejahen sein, wenn man damit zu viel früherer Zeit, systematisch aufbauend und in Ruhe begonnen hätte. So wurde in letzter Stunde ein bedeutender, jetzt unproduktiver Aufwand in Neubauten gesteckt. Es fehlte ferner, wie der Direktor eines großen rheinischen Werkes sich ausdrückte, „der technische Generalstabsfachmann“. Die technischen Stellen und die anderen Behörden wurden gar nicht oder zu spät gehört. Man wußte — sogar bei Wumba R. — nicht, was die Marine machte und verbrauchte. Man erkannte zu spät, daß, wie Ludendorff schreibt, „die nötigen Arbeitskräfte nicht aufgebracht werden konnten, ohne die Ersatzgestellung für das Heer und die Marine zu gefährden“. Aber Industrielle und Wirtschaftler hätten dies und die übrigen Grundlagen feststellen können. Es fehlte der industrielle Weitblick und die Kenntnis

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 Die militärischen Behörden und Betriebe während des Krieges

der großen wirtschaftlichen Zusammenhänge. Der rührendste Fleiß all der unteren Stellen vermochte diesen Grundfehler der oberen nicht zu beseitigen. Dieser unbemerkbaren Einzelarbeit ist es zu danken, daß das Hindenburg-Programm nicht eine heroische Geste blieb, sondern immerhin eine Tat wurde. Geleistet wurde im Jahr 1917 folgendes: Auf jeden Mann der Armee entfiel eine neue Schußwaffe und ein Seitengewehr. An Munition hierzu wurden 2340  Mill. Patronen hergestellt. Die gefertigten Stahlhelme reichten für über 40 Armeekorps. Die Minenwerfer wurden nicht nur mehr als verdreifacht, sondern darüber hinaus 18 000 Stück ins Feld geschickt. Der gesamte Artilleriebestand wurde rund einmal ersetzt, und zwar zu ⅔ mit neuen, zu ⅓ mit neubeseelten Geschützen. An Artillerie- und Nahkampfmunition (ohne Infanteriemunition) wurden rund 220 Millionen Schuß bereitgestellt. Die technische Leistungssteigerung gegenüber den Vorjahren, namentlich in Geschützrohren, beruhte auf weitestgehender Arbeitsteilung und stellte damit das gerade Gegenteil des bei der früheren Vergebung ganzer Geschütze oder ihrer Hauptteile (Rohr und Lafette) geübten Verfahrens dar. Dieses neue System umfaßte speziell bei der Geschützanfertigung 1. die konstruktive Anpassung aller Teile von Rohr und Lafette an die Massenfertigung; 2. die Festlegung von Grenzmaßen für die Werkstattausführung der Teile und die Durchbildung eines zugehörigen Lehrensystems; 3. die weitgehende Zerlegung der Fertigung in Aufträge auf Einzelteile; 4. die Heranziehung einer dieser Zerlegung angemessenen überaus großen Zahl von Firmen für die Teilfertigung; 5. die Einrichtung des Zusammenbaus der Geschütze aus den Einzelteilen in geeigneten staatlichen und privaten Betrieben. Die Durchführung der Punkte 1 und 2 ist die Aufgabe und Leistung des Fabo gewesen. Zur Durchführung der Punkte 3 bis 5 waren für Rohre rund 80, für Lafetten rund 430 Firmen notwendig, während das Kriegsministerium bei seinen einleitenden Maßnahmen nur etwa 20 Firmen herangezogen hatte. Zum Schluß möchte ich noch eingehen auf den Vorwurf, warum nicht schon in den früheren Kriegsjahren eine höhere Erzeugung veranlaßt worden sei. Das Preußische Kriegsministerium hat hierfür eine Anzahl von Gründen angegeben, von denen ich mir die folgenden zu eigen machen möchte: 1. Die frühere Oberste Heeresleitung hatte keine höheren Forderungen gestellt; 2. die Zahl der Reklamierten mußte infolge des Hindenburg-Programms von 600 000 auf 2,1 Millionen erhöht werden; 3. manche Sachen brauchten im Jahr 1916/17 nicht mehr geliefert zu werden, da sie in genügender Menge vorvorhanden waren, dadurch wurden Arbeiter und Rohstoffe für die Neuforderungen frei.



Die Technischen Institute 

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Kapitel 12 Die Technischen Institute § 46 Die wirtschaftlichen und technischen Verhältnisse der Institute Die technischen Institute waren die Werkstätten der Heeresverwaltung für Herstellung und Instandsetzung von Heeresgerät aller Art. Dazu kam im Frieden noch die Erledigung der Bestellungen bei der Privatindustrie, welche ihnen das Kriegsministerium durch „seinen Briefträger, die Feldzeugmeisterei“ überwies, nachdem es meist schon vorher mit den Firmen verhandelt hatte. Die Technischen Institute und Depots wurden früher erwähnt10. Sie waren ziemlich gleichmäßig über das Reich verteilt mit erklärlicher Betonung des industriellen Westens, aber mit einer wesentlichen Ausnahme — Spandau. Von dessen Instituten soll im folgenden vorzugsweise die Rede sein. Für Spandaus Lage kann man anführen, daß es im Mittelpunkt des preußischen Staats und nahe am Behördenzentrum gelegen war. Die übrigen örtlichen Verhältnisse sind wenig günstig. Das Gelände war mit der Zeit immer beschränkter und eingeengter geworden, so daß sich die Institute gegenseitig an der Erweiterung hinderten, der Untergrund war sehr ungünstig, das Wegenetz und die Gleisanlagen im ganzen durchaus ungenügend. Dazu die Lage fern von allen Rohstoffen (Kohle, Metalle) und in allmählich viel zu großer Nähe von Berlin. Die Institute besaßen im Frieden keine einheitliche technische Leitung. Ihre Einrichtungen waren vielmehr nach den Fonds der einzelnen Abteilungen im Kriegsministerium getrennt. Und dort scheint es dauernd an technisch-wirtschaftlichen Kräften gefehlt zu haben, sonst wäre eine derart unbefriedigende unübersichtliche und uneinheitliche Anlage, wie sie die gesamten Spandauer Institute immer mehr wurden, rechtzeitig vermieden worden. Von dem für ein einheitliches großes Werk — und das sollten doch die Technischen Institute sein — ungenügenden Wegenetz habe ich schon gesprochen. Die Gleisanlagen aber waren noch viel schlechter, die Möglichkeit des Wasserverkehrs ungenügend ausgenützt. Von einer einheitlichen Kraftversorgung war keine Rede. Noch für den 1. Januar 1916 gilt folgende Übersicht über Krafterzeugung und -verbrauch der einzelnen Spandauer Institute:

10 Siehe S. 6 ff. und die Pläne I bis III.

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 Die militärischen Behörden und Betriebe während des Krieges

Erzeugte KW Ausschlußwert KW Überschuß und Fehlbetrag Pulverfabrik………………………......…………. Feuerwerkslaboratorium…………….………. Gewehrfabrik…………….………………... Munitionsfabrik…………………………... Artillerie Werkstatt…………………….... Geschoßfabrik…………………..………… Geschützgießerei….....................… Summa

5 600 2 300 1 680 1 175 1 030 560 360

2 000 1 540 3 000 1 200 2 160 3 500 1 100

+ + — — — — —

3 600 760 1 320 25 1 130 2 940 740

12 705

14 500



1 795

Die Institute besaßen keine gemeinsame Einkaufszentrale, so mußten sie sich gegenseitig die Preise hochtreiben. Sie besaßen keine einheitliche Wasserversorgung. Es war kein Gesamtplan, keine einheitliche technisch-kaufmännische Oberleitung vorhanden, auch nicht im Kriegsministerium. Wie weit die Etatabstriche der Volksvertretung die Verantwortung an den Zuständen tragen, vermag ich nicht abzuschätzen. Bezüglich der Organisation habe ich im Abschnitt II auseinandergesetzt, daß sich der technisch-kaufmännische Einfluß nicht durchsetzen konnte. Diese Mängel sind viel gerügt worden, zuletzt vom Abgeordneten Erzberger in der Rüstungskommission des Jahres 1913 und vom Abgeordneten Weinhausen in der Reichstagssitzung vom 12. Mai 1914. Trotz der schlechten unzeitgemäßen Anlagen, trotz der verfehlten Organisation haben die Institute während des Krieges Bedeutendes geleistet. Die ganze Gewissenhaftigkeit deutscher Beamten und Offiziere gehörte dazu, denn es handelte sich ja nicht nur um die eigene Fertigung, sondern besonders in den ersten Kriegsjahren um weitgehende Anleitung und dauernde Belehrung der Industrie, dazu in den Instituten selbst um die vermehrte Ausnützung aller Räume zur Erweiterung aller Betriebe, um Aufstellung großer Neuanlagen, zahlreicher Maschinen, bis zu den größten Pressen, um Beschaffung zahlloser Apparate, Werkzeuge und Rohstoffe und um Erhaltung und Erziehung einer dauernd wachsenden Arbeiterschaft. Es betrug der Gesamtarbeiterstand bei den verschiedenen Instituten, Artillerie- und Traindepots im Mai/Juni 1914…………………………………….. August/Oktober 1914…………………….……… November/Januar 1914/15……….…………….. Februar/April 1915……………………………….. Mai/Juni 1915……………………………………..

33 859 91 338 95 827 118 655 138 003

11 Die Arbeiterverhältnisse der Institute sind in Kapitel 24 mit behandelt

Arbeiter11 „ „ „ „



Die Technischen Institute 

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Diesen Steigerungen entsprachen die zahlreichen in den Instituten während des Krieges vorgenommenen Erweiterungen. Es wurden u. a. neu geschaffen: Bei den Gewehrfabriken ein Fabrikgebäude zur Herstellung von Waffenteilen. Bei der Munitionsfabrik Spandau ein Fabrikgebäude zur Herstellung von Ladestreifen und Geschoßkernen, Wohlfahrtsgebäude, Bauten zur Herstellung der Eisenhülsen. Bei den Feuerwerkslaboratorien: Kriegsfeuergewerke, Schnellzünderschnurgebäude, Guttaperchaschnurgebäude, Betriebsgebäude für Sprengzündungen. Bei den Pulverfabriken: Zündladungsbetriebe, Schmelzhausgruppen. Bei den Geschoßfabriken: Hülsenwerkstätten, Preß- und Walzwerke, Stahlwerke, Geschoßdrehereien. Bei der Geschützgießerei: Vergütungsanlagen, ein Bohrwerk, eine Montagehalle für den Zusammenbau der Rohre, Gebäude für Fertigung von Vorholfedern. Bei den Artilleriewerkstätten: Arbeitshallen, Nutzholzhäuser, Materialniederlagen.

Diese Neuanlagen konnten zum Teil schon einige Monate nach Kriegsbeginn in Betrieb genommen werden und damit wesentlich zur Steigerung der Leistungen beitragen. An neuen Instituten wurden in Kassel eine Munitionsfabrik und in Plaue ein Feuerwerkslaboratorium und eine Pulverfabrik geschaffen. Alle diese Arbeiten erforderten natürlich ein dauerndes Eingreifen der technischen Oberinstanz bei Wumba R. Zunächst beantragten die Institute sehr viel, Neuanlagen zum Teil wohl auch in der Hoffnung, jetzt alles mögliche genehmigt zu bekommen, um es in dem bald erwarteten Frieden zu haben. Wumba R. hatte zunächst die Anträge für Neuanlagen für die technischen Institute zu begutachten. Früher war über diese ohne fachtechnische Prüfung entschieden worden, denn den technischen Referenten der Feldzeugmeisterei hatte man zu Beginn des Krieges versetzt. Ebenso waren die Mitglieder des Feuerwerks- und Zeugpersonals in die besetzten Festungen geschickt worden. Bald allerdings wurden sie soweit möglich für die Beschaffungen zurückgeholt. Von den Neubauten der Technischen Institute im Reich ist die Inbetriebnahme der Kraftanlagen in den Gewehrfabriken Erfurt und Danzig, der Munitionsfabrik Kassel und der Pulverfabrik Plaue bemerkenswert; vorgenommene Erweiterungen von Kraftwerken, Unterstationen und sonstigen Betriebseinrichtungen konnten größtenteils mit vorhandenen Maschinen aus den besetzten Gebieten versehen werden. Der Stromverbrauch in den technischen Instituten betrug: im im im im

Jahre Jahre Jahre Jahre

1914 1915 1916 1917

26,3 69,1 107,8 130,0

Millionen „ „ „

Kilowattstunden „ „ „

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 Die militärischen Behörden und Betriebe während des Krieges

Die für die Spandauer Institute vorgesehenen Reserveanschlüsse an das Kreiskraftwerk wurden erweitert, der gemischte Betrieb hat sich in Zeit der Kohlennot besonders gut bewährt. Eine Denkschrift über die Umstellung der Energieversorgung in den Spandauer Instituten brachte einschneidende Besserungsvorschläge. Zentrale Lehrenwerkstatt bei der Geschützgießerei in Spandau. Bisher hatten die einzelnen Institute sehr gut eingerichtete Lehrenwerkstätten, besonders die Feuerwerkslaboratorien. Von Wumba R. wurde nun eine Vereinigung derselben vorgeschlagen und zwar in Spandau, weil hier alle Institutarten und außerdem das Fabrikationsbureau vertreten waren. Weiter wurde man darauf aufmerksam, daß in einigen Fabriken, besonders in den staatlichen, die Leistungen der einzelnen Maschinen und der Arbeiter im Verhältnis zur Produktion auffallend klein waren. Zum Vergleich verschaffte man sich Zahlen über die Leistungen einzelner Maschinen bei der Privatindustrie, die bis zu 60% mehr herausholte. Dieser Erfolg war hauptsächlich auf die Interessierung der Arbeiter zurückzuführen. Akkordarbeit war allerdings bei der Pulverfabrikation verboten, man konnte aber den gleichen Zweck durch Gewährung von Prämien erreichen. Die staatlichen Fabriken hatten solche auch eingeführt, sie aber nicht abhängig von der Leistung gemacht. Vor allen Dingen wurde vorgeschlagen, auch die Betriebsleiter und die Aufsichtspersonen zu interessieren, und zwar nur an dem als einwandfrei abgenommenen Material, um nicht die Güte herabzudrücken. Es war aber unmöglich, dies durchzuführen. Für künftige Errichtung von Staatsbetrieben, z. B. bei der Eisenbahnverwaltung, dürften die in den Instituten geführten „Erfahrungsbücher“ von hohem Werte sein. Ein zusammenfassendes Urteil über die Technischen Institute bei Kriegsbeginn muß lauten: Sie standen nicht auf der Höhe industrieller Entwicklung. Ihre Einrichtungen waren vielfach ungenügend und veraltet, ihre Anlage nicht planmäßig genug. Sie hatten in technisch-wirtschaftlicher Beziehung nicht die nötige Ellenbogenfreiheit. Es geschah viel zu wenig für die Weiterbildung und Industriekenntnis ihrer leitenden Persönlichkeiten. Hervorragende Ingenieure waren für diese „am allerunglücklichsten organisierten Betriebe“ nicht zu gewinnen. Dies war eine der Ursachen für das Fehlen einer industriellen Mobilmachung. Die folgenden Zusammenstellungen stellen den Versuch dar, aus den verfügbaren Unterlagen die bei den Instituten und Artilleriedepotdirektionen zu verschiedenen Zeiten des Krieges beschäftigten Arbeiter festzustellen.



Die Technischen Institute 

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In den technischen Instituten und Artilleriedepots waren beschäftigt:

Juli 1914 in Prozent. Januar 1915 in Prozent Januar 1916 in Prozent. Januar 1917 in Prozent.

21 939 85,1 59 197 84,8 88 546 75,7 115 695 72,6

3 724 14,4 10 330 14,8 27 792 23,7 42 560 26,7

129 25 792 0,5 — 268 69 795 0,4 — 601 116 939 0,6 — 895 159 150 0,7 —

6 860 67,7 26 662 60,0 44 967 58,6 75 747 55,9

3 277 32,3 17 752 40,0 31 667 41,3 56 915 43,5

Zusammen

Jugendliche

Frauen

Männer

In den Artilleriedepots Zusammen

Jugendliche

Frauen

Männer

In den technischen Instituten

— 10 137 — — 6 44 420 — — 92 76 726 0,1 — 803 133 465 0,6 —

Abschnitt VI

Industrie und Handwerk im Kriege Kapitel 13 Die Technik § 47 Entwicklungslinien der Technik a) Die Zeit bis zum Kriege. Eine etwas einseitige Beurteilung der industriellen Leistungen einzig nach ihrer wirtschaftlichen Seite hatte vor dem Kriege solche Fortschritte gemacht, daß es geboten erscheint, an die Spitze der weiteren Darstellung einen kurzen Überblick der wissenschaftlich-technischen Fortschritte seit 1870 zu stellen und so beide Faktoren des industriellen Erfolgs zur Geltung zu bringen. Gerade Deutschland hat alle Ursache die wissenschaftlich-technischen Grundlagen seiner industriellen Entwicklung nicht gering zu achten, denn ihr verdankt es nach den Tagen des „billig und schlecht“ in erster Linie die Güte seiner technischen Arbeit und damit nicht nur in weitem Umfang die Besiegung und Überflügelung friedlichen Wettbewerbs, sondern auch nicht zum wenigsten sein jahrelanges Durchhalten im Weltkrieg. Diese unsere Stärke war unseren Gegnern wohl nie so zum Bewußtsein gekommen als im Kriege selbst. „Worin besteht die Macht Deutschlands?“— fragt „Le Journal“ vom 8. Februar 1917 und gibt darauf die Antwort: „In seinem hohen Grad von industrieller Zivilisation.“ Und ein anderes französisches Blatt1 schreibt angesichts der überragend gewordenen deutschen optischen Industrie: „Wenn man ohne die Praxis so gut wie nichts machen kann, so kann man ohne die Theorie überhaupt nichts anfangen.“ Unsere bisweilen etwas weltfremden Gelehrten, Theoretiker, Rechner und Experimentatoren verdienen also weder mitleidiges Lächeln noch Geringschätzung, sondern Anerkennung und weitgehende geldliche Unterstützung ihrer selbstlosen Arbeit, die eine der wichtigsten Ursachen aller industriellen Erfolge ist. Betrachten wir die wissenschaftlich-technische Entwicklung seit 1870 in ganz großen Zügen, so ist sie nicht so sehr charakterisiert durch gewaltige Entdeckungen als durch die Frucht zahlloser Einzelforschung, die Verfeinerung und Vertiefung unseres Wissens sowie durch die immer enger werdende Verknüpfung früher einander fremder Gebiete in den immer fruchtbarer werdenden sog. Grenzwissenschaften. Erreicht wurden die Erfolge außer durch theoretische Arbeit vor allem durch die Ausdehnung des Versuchs, d. h. der planmäßig vorbereiteten, die Bedingungen der Antwort genau präzisierenden Frage an die Natur. Kein Naturgesetz, keine alte 1 Revue des Sciences pures et appliquées. 15. Dezember 1916.



Die Technik 

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Erfahrungszahl blieb unberührt: alle mußten sich neue Prüfungen ihrer Richtigkeit und Gültigkeitsgrenzen gefallen lassen. Sie haben dabei sehr viel an ihrer früheren dogmatischen Bestimmtheit verloren und reizen dadurch wieder zu immer schärferer Prüfung. Immer schwerer, unmöglicher wird es heute, den naturwissenschaftlichen vom technischen Fortschritt zu trennen; die Technik ist mit dem Experiment selbst unter die Wissenschaften gegangen: Die technischen Wissenschaften sind entstanden. In den Fabriken wurde die oft fortschrittsfeindliche Meisterwirtschaft immer mehr ersetzt durch den wissenschaftlich gebildeten Betriebsingenieur und Betriebschemiker: einer der größten industriellen Fortschritte der Neuzeit. Um von der Vertiefung der technischen Wissenschaften nur wenige Beispiele zu nennen, sei erinnert an die Entwicklung der mechanischen Wärmetheorie sowie der Elastizitäts- und Festigkeitslehre und ihre Anwendungen im ganzen Dampf-, Gasund Werkzeugmaschinenbau sowie im Brücken- und Hochbauwesen. Hier ist der alte Gegensatz zwischen Theorie und Praxis tatsächlich zum Widersinn geworden: beide befruchten einander, keine kann ohne die andern bestehen. Und wollen wir von Grenzgebieten hören, so seien nur Physik und Chemie genannt: wo hört die eine auf, wo fängt die andere an? Wir haben heute keine ausschließlichen Physiker oder Chemiker mehr: Physikalische, Elektro- und Biochemiker sind an der letzteren Stelle getreten. Dieselbe Verknüpfung ursprünglich getrennter Gebiete setzt sich heute in der Technik fort, wo jede Maschine, jedes Werkzeug, jeder Bauteil sein Dasein dem Zusammenwirken der verschiedensten Wissens- und Könnenszweige verdankt. Am klarsten ist diese Entwicklung zu verfolgen in der Industrie der Rohstoffe namentlich von Eisen und Kohle. Das Thomasverfahren, 1879 von den Engländern Thomas und Gilchrist erfunden, ermöglichte der deutschen Industrie die Verwendung der mächtigen phosphorreichen deutschen Erzvorkommen und wurde so einer der wichtigsten Fortschritte der neueren Wirtschaftsgeschichte, die Grundlage für den gewaltigen Aufschwung unserer Eisenindustrie. Gleichzeitig wurde das abfallende Thomasmehl ein gesuchtes Düngemittel für die Landwirtschaft. Hier arbeiten also der Chemiker, der Maschineningenieur und der Landwirt zusammen. Ebenso ins Auge fallend ist die Verbindung mehrerer Gebiete in der Elektrotechnik. Riedler hat es anschaulich dargestellt, wie der Maschineningenieur die mehr Apparate als Maschinen darstellenden Erzeugnisse der älteren physikalisch gerichteten Elektrotechnik mit seinen tieferen Fertigungskenntnissen zur Höhe der späteren Massenerzeugnisse entwickelte. Andrerseits hat wieder die neuere Elektrotechnik mit ihren Forderungen nach raschlaufenden großen, sicheren, einfach zu wartenden Antriebsmaschinen die Entwicklung der Dampfmaschine, der Wasserturbine und der Gasmaschine bis zur heutigen Höhe verursacht. Die Wasser- und Dampfturbinen wurden durchaus im Hinblick auf den Antrieb der elektrischen Generatoren entwickelt.

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 Industrie und Handwerk im Kriege

Weniger nach außen hin sind bekannt die Fortschritte auf dem Gebiete der Materialverbesserung, wo z. B. in der chemischen Industrie dicht neben dem technischen Betrieb das wissenschaftliche Laboratorium steht und beide dauernd und unzertrennlich zusammen arbeiten. Welch ein Abstand zwischen dem, dem Hochofen entströmenden Roheisen, und den heutigen Edelstählen, die in feinst abgewogener Zusammensetzung, Kohlenstoff, Nickel, Chrom, Vanadium und Molybdän enthalten. Die seit 1900 einsetzende Entwicklung der Schnelldrehstähle war eine Forderung der auf Schnellbetrieb sich umstellenden Maschinenindustrie und hat diese wieder ihrerseits aufs stärkste beeinflußt. Eine ganze mit dem Mikroskop arbeitende Wissenschaft, die Mikrometallographie ist hier entstanden. Im Zusammenhang mit der Materialverbesserung steht die Materialvergütung durch genau temperiertes und nach der Sekundenuhr arbeitendes Erhitzen und Wieder-Abkühlen in Ölbädern. Dieses Verfahren gestattet, die einzelnen Stellen selbst kleiner Stahlstücke so hart oder so weich und zähe zu machen, wie es weitere Bearbeitung und der Gebrauch verlangen. Die Prüfung der Baustoffe, vor allem auf Zug, Druck und Verdrehung geschieht auf besonderen Maschinen, deren erste die Werdersche, schon 1852 gebaut wurde. Heute vermögen wir in solchen Maschinen Druckkräfte von 3000  t zu erzeugen. Ohne die Fortschritte in der Materialverfeinerung wäre unsere ganze Motoren-, Automobil-, Luftschiff- und Flugzeugindustrie gar nicht zu denken. Diese innige Verbindung von forschender und ausführender Technik erreicht ihre höchsten Erfolge in der Steigerung der technischen Leistung bezogen auf Größe, Gewicht und Kosten der Maschinen oder ganzer Anlagen, d. h. in der Steigerung ihres Wirkungsgrades. Es ist bekannt, wie die Entwicklung der Luftschiffe und Flugzeuge in erster Linie abhing von dem auf die geleistete Pferdekraft entfallenden Gewicht der Motoren. So betrug das Gewicht der von Zeppelin verwendeten Benzinmotoren 1894 45 kg, 1914 nur noch etwa 2,5 kg auf die Pferdestärke. Gerade auf dem Gebiet des Wirkungsgrades sind Rohstofffragen von großer Bedeutung. Wer auf der Kohle sitzt, braucht sich um den Kohlenverbrauch seines „Dampffressers“ wenig zu kümmern. Wer aber gegen den Wettbewerb kohlenreicher Länder aufkommen will, wird zu immer feinerer Ausgestaltung der Dampfmaschinen gezwungen. Mit diesem Begriff des Wettbewerbs tritt der jede technische Maßnahme bestimmende Grundsatz der Wirtschaftlichkeit besonders deutlich in die Erscheinung. Er führt zur Verbesserung des Fertigungsprozesses und des Erzeugnisses, aber auch zur Vergrößerung der Anlagen. Jahrelanges Arbeiten ist nötig bis Konkurrenzfähigkeit erreicht ist: 1880 vollendete Baeyer die Synthese des Indigo, aber erst 1897 gelang es der Badischen Anilin- und Sodafabrik ihn dem natürlichen Indigo konkurrenzfähig zu machen. Das Zementwerk Heidelberg stellte 1913 mit 500 Arbeitern die doppelte Zementmenge her, als 1903 mit 1200 Arbeitern. Die Ausbeute war also in zehn Jahren auf den Arbeiter gerechnet fast auf das fünffache



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gestiegen. Riedler berichtet, daß der Stromverbrauch der elektrischen Glühlampen nach 25jährigen Bemühungen auf 1/40 des ursprünglichen Verbrauchs gesunken war. Mit der Verbesserung und Verbilligung des Erzeugnisses steigt der Umfang seiner Benützung und die Höhe der zu seiner Herstellung aufwendbaren Kapitalien: die Großwirtschaft erobert das Feld. Namen wie Krupp und die A.E.G., wie Hapag und Lloyd, wie die preußische Eisenbahnverwaltung stehen vor dem geistigen Auge. Dasselbe Automobil, das bei uns vor dem Kriege 12 000 M kostete, stellten amerikanische, nur ein Modell fertigende Großbetriebe für 5000 M her. Sie fertigten davon täglich soviel Stück, als deutsche Firmen in einem Jahr. Immer größere Mittel stehen für Forschung und Vervollkommnung der Verfahren zu Gebot. Alle Kräfte und Stoffe der Natur bis zu früher lästigen Abfällen werden nutzbar gemacht. Gerade dieses in der landwirtschaftlichen Düngung übrigens von jeher bekannte Gebiet der Abfallverwertung ist — nicht erst im Kriege — ein besonderes Ruhmesblatt der deutschen Technik geworden. Schon früher wurden die Abfälle der Verkokung die Grundlage unserer ganzen weltbeherrschenden Teerfarbenindustrie. Die in die Luft entweichenden Gichtgase der Hochöfen treiben seit 1895 Großgasmaschinen. Im Siemens-Martin-Prozeß hat die Verwertung von Schrott eine technisch und volkswirtschaftlich hochbedeutende Stellung gewonnen. Aus dem städtischen Müll gewinnen wir neben Kunststeinen durch Leitung der Verbrennungsgase unter Kessel große Dampfmengen und selbst dem Abwasserschlamm unserer städtischen Kanalisationen sucht man das brauchbare Fett zu entziehen. — Auf diesem Gebiet lag unsere Vorbildung für die Ersatzstoffwirtschaft des Krieges. Mit den letzteren Ausführungen haben wir die Einwirkungen der Wirtschaft auf die Technik gestreift. Aber auch die Technik wirkt ihrerseits auf die Wirtschaft ein. Die häufige Notwendigkeit, gegen den Wettbewerb die technischen Einrichtungen der Werke zu erneuern, und die bedeutenden hierzu nötigen Summen lassen oft kleine Werke ausscheiden und nur noch die größten, kapitalkräftigsten übrigbleiben. So ist es gerade der technische Fortschritt, welcher das Emporkommen der Großwirtschaft fördert. Der Mensch der Neuzeit ist wie keiner vor ihm an jedem Ort in jedem Augenblick von Erzeugnissen der Technik umgeben. Nicht weniger als 47,7% der Bevölkerung waren 1907 im Bergbau, Industrie, Bauwesen, Handel und Verkehr beruflich tätig. Dieser Umstand bedingt zwei der meist bezeichnenden Merkmale heutiger technischer Erzeugnisse: die Betriebssicherheit und die Einfachheit ihrer Handhabung. Gerade auf diesem Gebiet hat die Technik während des Krieges Außerordentliches geleistet. Nur dadurch war es möglich, all die ungelernten Arbeitskräfte, Männer und Frauen, der Kriegsindustrie einzugliedern. b) Die Kriegszeit . Kampf und Krieg sind die ältesten Lehrmeister der Technik. Denn nichts spornt technische Erfindungsgaben und Organisationstalente so stark an, als der Zwang, sich des eigenen Lebens zu wehren. Und wenn der Übergang von

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der Handwerkstechnik zur industriellen Technik2 die Entwicklung vom Söldnerheer zum Volksheer brachte, so hatte im Weltkrieg die an Stelle der Paßarbeit aufs höchste gesteigerte Massenanfertigung mit austauschbaren Einzelteilen die Heranziehung der letzten — auch der ungelernten — Arbeitskräfte zur notwendigen Folge. Dazu kam unsere Abgeschlossenheit von den wichtigsten Rohstoffländern. Schon Moltke soll gesagt haben: „Man kann das Deutsche Reich ohne einen Schuß vernichten, wenn man die deutsche Landwirtschaft zum Versagen bringt.“ Aber uns fehlte mehr als die Düngemittel. So mußten die Kopfarbeiter, Ingenieure, Chemiker und Kaufleute vor die Handwerker treten. So wurde der Krieg, wie Lloyd George es ausdrückte, ein Ingenieurkrieg. Gehen wir nun zur Besprechung der während des Krieges bei der Erzeugung von Kriegsmaterial erzielten hauptsächlichsten technischen Fortschritte über3. Bei den Rohstoffen tritt uns gewissermaßen als das tägliche Brot der Kriegführung entgegen die Salpetersäure. Wäre uns kurz vor dem Kriege die neuartige Darstellung der Salpetersäure nicht geglückt, wir hätten den Krieg nach einem halben Jahr aus Mangel an Pulver und Sprengstoffen aufgeben müssen. So sagte am 19. März 1916 der Pariser Gelehrte Matignon, „daß die deutsche chemische Industrie die Mittelmächte vor einem Zusammenbruch ohnegleichen gerettet habe. Wäre der Krieg ein paar Jahre früher unter den gleichen Bedingungen ausgebrochen, so hätte er Deutschlands sicheren Zusammenbruch herbeigeführt, denn vor den neuen Erfindungen hätte Deutschland, wenn es von einer Blockade bedroht gewesen wäre, keineswegs eine solche von etwas längerer Dauer aushalten können“. Und Matignon gesteht zugleich, daß kein anderes Volk unter gleichen Bedingungen es fertiggebracht hätte, in so kurzer Zeit dem absoluten Mangel an Chilesalpeter abzuhelfen. Unsere wichtigsten Rohstoffe waren Kohle und Eisen. Schon im eigentlichen Hochofenprozeß hatten wir wichtige Fortschritte zu erzielen. So wurde durch Erhitzen der den Hochöfen zugeführten Luft eine bedeutende Kohlenersparnis erzielt. Im Oktober 1915 erreichte die deutsche Stahlerzeugung 77%, im Oktober 1917 90% der Erzeugung in den letzten Friedensmonaten. — Während 1913 der Anteil des Elektrostahls an der gesamten Stahlerzeugung noch 47% betrug, stieg er 1915 auf 57%. Die Knappheit an Zusatzmitteln (Chrom, Nickel, Vanadium, Molybdän), welche bei der Herstellung von Schnelldrehstählen nötig sind, hat zu zahlreichen Versuchen geführt, diese Zusatzmittel der Menge nach zu vermindern. Eine der bedeutendsten material-technischen Leistungen war wohl der Ersatz der Messinghülsen durch solche aus Stahl.

2 Eine geschichtliche Darstellung geben S o m b ar t und M a t s ch o ß , letzterer in der Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure 1915 S. 971. 3 Im übrigen verweise ich auf die eingehende Darstellung in S chwa r te : Die Technik im Weltkriege. Berlin 1920.



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Damit stehen wir schon mitten in der für uns lebenswichtig gewordenen auch für die Zukunft bedeutungsvollen Ersatzstofftechnik, die fast alle Rohstoffe und Fertigungsmaterialien umfaßte. In neuen Inlandwerken wurde Aluminium in großer Menge hergestellt. Soweit als möglich diente es als Ersatz von Zinn oder wie Zink als Ersatz von Kupfer. Im übrigen wurde die deutsche Kupfererzeugung aufs schärfste gesteigert, sogar verlassene Kupfergruben kamen wieder in Betrieb. Vielfach traten galvanische Überzüge an die Stelle seltener Metalle. Das viel gebrauchte Glyzerin wurde statt aus eingeführten Fetten aus der deutschen Zuckerrübe gewonnen, soweit es nicht in dem aus Steinkohle gewonnenen Trotyl einen Ersatz fand. Dazu kamen die ölfreien oder ölhaltigen Ersatzstoffe für die beim Bohren, Drehen und Fräsen verwendeten Öle sowie die Ersatzstoffe für den Betrieb von Verbrennungsmotoren. Spiritus kann heute zur Ersparnis an Kartoffeln aus Zuckermelasse und Ablaugen der Zellstoffwerke oder auf elektrolytischem Wege aus Kalziumkarbid fabrikmäßig hergestellt werden. Eine andere die grundlegenden Rohstoffe betreffende Hoffnung unserer Feinde betraf unseren Baumwollmangel. Er sollte uns die Anfertigung von Schießbaumwolle und damit wiederum von Pulver und Sprengstoffen unmöglich machen und uns nach kurzer Kriegsdauer wehrlos dem Willen unserer Gegner ausliefern. Diese Hoffnung wurde vereitelt infolge Ersetzung der Baumwolle durch Holzstoff. Neben diesen und zahlreichen anderen Fortschritten auf dem Gebiete der Rohund Betriebsstoffe ging eine fast unübersehbare Tätigkeit in der Verbesserung, Vervollkommnung und Anpassung der Verfahren, Maschinen und Apparate einher. Die Massenbeschaffungen für das Heer veranlaßten billigere und raschere Fertigungsverfahren und erzogen große Teile der Industrie zu auf ihren Gebieten vorher nicht gekannter Arbeitsgenauigkeit. Scheinbar unwesentliche Konstruktionsund Bearbeitungsänderungen, die in lebendiger Fühlung mit der Werkstatt entstanden, gestatteten oft, Herstellungskosten und -dauer auf einen Bruchteil des früher Nötigen zu verringern. So wurden Teile, statt sie aus dem Vollen zu fräsen, auf kaltem oder warmem Wege gegossen, Bronze- oder Schmiedestücke wurden durch Stahlguß ersetzt und dessen Vergütung in großem Umfang angewandt. Die Gießereitechnik machte erhebliche Fortschritte. Zweckmäßige Sonderwerkzeuge und Sondervorrichtungen wurden allgemein bekannt, ihre Anfertigung durch Verwendung billigeren Materials erleichtert. An Stelle der systemlosen Maßtoleranzen des Heeresgeräts traten gesetzmäßige Grenzlehren. Die Betriebswissenschaft gewann ungeahnte Verbreitung, der Werkstattmeister wurde dadurch von Schreibarbeit entlastet, erhielt fertige Vorrichtungen, Werkzeuge und Verteilungsanweisungen. So machte die Mechanisierung aller Rüstungsbetriebe bedeutende Fortschritte, damit aber auch der Gesamtwirkungsgrad aller Werkstätten. Kein Wunder, daß die deutsche Industrie auf schwierigsten technischen Gebieten bedeutende Erfolge zu erzielen hatte: die heute in Paris stehenden Riesengeschütze sind den Franzosen ein Beweis dafür.

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Unsere Feinde haben während des Krieges nicht aufgehört, auf die Erfolge deutscher Technik hinzuweisen. Ein neutrales Blatt: „Finanztitende“ schrieb am 19. Juni 1918, es sei England trotz aller Anstrengungen nicht geglückt, eine Industrie zu schaffen, die die deutschen Zufuhren ersetze. Und Bülow sagt in seiner „Deutschen Politik“4: „Unsere Techniker und Chemiker standen auf der Höhe unserer Generalstäbler. Der Erfindungsgeist der Industriellen wetteiferte mit der Kühnheit unserer Unterseebootleute und Luftschiffer. Materiell und geistig blickt das deutsche Volk auf die ungeheuerste Kraftentfaltung, die die Welt je gesehen hat. Die Leistung, die unser Volk seit Beginn des Weltkrieges vollbracht hat, ist nie erreicht, geschweige denn übertroffen worden.“ Groß und vielseitig waren die Kriegserfolge unserer technischen Erfindungs- und Organisationsgabe. Und es mag uns ein Trost sein für die Zukunft: Die Absperrung durch unsere Feinde hat die deutsche Technik, Industrie und Organisationskraft vielleicht noch mehr gefördert, als es seinerzeit die Napoleonische Kontinentalsperre England gegenüber vermocht hat.

Kapitel 14 Die Industrie § 48 Die deutsche Industrie bei Kriegsbeginn Die im letzten Paragraphen geschilderte technische Entwicklung war nicht denkbar ohne einen hohen Stand der heimischen Industrie, sowohl bezüglich ihrer Führer, Beamten und Arbeiter als bezüglich ihrer wirtschaftlichen Stellung. Was den deutschen Industriellen und Kaufmann auszeichnete, war vor allem der große Unternehmungsgeist, gepaart mit Disziplin, Arbeitseifer und solider Geschäftsführung. Er war es, der uns den Neid vor allem Englands zugezogen hat. Aber auch Franzosen, z. B. Cambon 5 haben sogar mitten im Kriege den Vorrang Deutschlands auf diesem Gebiet offen ausgesprochen. Aber sie wie die Engländer haben neben diesen Charaktereigenschaften ebenso stark die hervorragende deutsche technische Fachbildung aller Grade betont, von der Pflichtfortbildungsschule bis zur Hochschule, die Reichhaltigkeit und die Verbreitung des theoretischen und praktischen Unterrichts, die stete Anwendung der Wissenschaft und infolgedessen auch die Verdrängung des bloßen Empirismus und der Tradition, das Streben nach der größtmöglichen Ausbeute mittels möglichst vollkommener Arbeitsverfahren und Apparate, das dauernde Suchen nach neuen Erzeugnissen. 4 Berlin 1916. S. 176. 5 Vgl. seinen Vertrag vor der Societé des Ingenieurs civils de France in He s s e u n d G ro ßm a n n : Englands Handelskrieg und die chemische Industrie. Neue Folge. Stuttgart 1917.



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Dazu kam in Deutschland die wirtschaftliche Kraft der Industrie. Sie hatte ihren Aufschwung genommen seit dem Anfang der neunziger Jahre, seit der Schutzzollgesetzgebung und dem Aufblühen besonders auf dem Gebiete des Maschinenbaues und der Elektrotechnik. Hinzu kam die im Gegensatz zu England und Frankreich viel industriefreundlichere Haltung der deutschen Banken. Sie haben einen erheblichen Anteil an der Entwicklung zur Großindustrie, an den zahlreichen Vereinigungen zu Syndikaten und Kartellen. Allein in der Metall- und Maschinenbauindustrie bestanden deren vor dem Kriege etwa 100. Nicht zu vergessen ist auch die stete, aufklärende Tätigkeit der Presse, während die großen französischen Zeitungen es (nach Cambon) vorziehen, ihren Lesern die neuesten Tagesereignisse und Skandale mitzuteilen, anstatt Abhandlungen über wirtschaftliche Fragen zu bringen. In der deutschen Industrie konnten im Frieden neben Krupp, Ehrhard, Polte, Loewe, Mauser, den Pulver- und Sprengstoffwerken und einzelnen Werften nur wenige Firmen laufend auf größere Heeresaufträge rechnen. Diese Tatsachen waren mit eine Ursache, daß einerseits der Heeresverwaltung die Industrie nur zum kleinen Teil bekannt war und daß es andrerseits den vielen Firmen an Kenntnis des Verkehrs mit Heeresbehörden und der von ihnen gestellten Forderungen fehlte. Insbesondere war bei manchen Industriezweigen die bei der Herstellung von Waffen und Munition erforderliche Arbeitsgenauigkeit nicht erforderlich und darum auch nicht bekannt. Die ersten Augusttage 1914, welche uns unvermutet in einen Kampf gegen die ganze Welt verwickelt sahen, trafen das In- und Ausland in Unkenntnis dessen, was Kriegswirtschaft bedeutet. Die Folgen der Mobilmachung mußten bei einem so sehr auf die Weltwirtschaft eingestellten Lande wie Deutschland zunächst von stärkster Wirkung sein: Die ganze Einfuhr an Rohmaterialien, die ganze Ausfuhr an Fertigfabrikaten standen mit einem Schlage still. Die Bahnen hörten auf, Privatgüter zu befördern, selbst gewiegte Kaufleute und Industrielle verloren die Übersicht, der Bedarf flaute ab, Bestellungen wurden rückgängig gemacht, Gläubiger drängten, der Zinsfuß stieg, Zahlungsschwierigkeiten entstanden, Lieferer suchten ihre Verpflichtungen rückgängig zu machen, die Arbeiter verließen die Fabriken. Diese Zustände hatten übrigens schon in der letzten Friedenswoche eingesetzt. Die Schwierigkeiten trafen selbst gutstehende Firmen; um wieviel mehr litten solche, die vorher schon auf schwachen Füßen standen. Gegenüber diesen allgemeinen Erscheinungen des Arbeitsstillstandes spielten die im Frieden erteilten Mobilmachungsaufträge überhaupt keine Rolle, sie galten nur für wenige Firmen, und ihr Umfang war wegen des Glaubens an eine kurze Kriegsdauer viel zu gering. Was waren nun die Folgen dieses Dogmas vom kurz dauernden Krieg gegenüber der Tatsache des ausgebrochenen Krieges? Zunächst bei den Beschaffungsbehörden, an welche sich die Industriellen zu wenden hatten, der Glaube, man sei so vorbereitet, daß die bisherigen Mobilmachungsverträge genügten und man sich nicht an einen weiteren Firmenkreis zu wenden brauchte. Aber die unerwartet zahlreichen Freiwilligen verlangten Ausrüstung, Waffen und Munition und schon die ersten Kämpfe zeigten, daß der Bedarf über alles Erwarten

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hinausgehen werde. Ein neues Beschaffungswesen war aus dem Nichts zu schaffen. Die Behörden stellten hohe Anforderungen und die Industrie vermochte in ihrer Unkenntnis der Heeresbedarfsgegenstände und bei dem teilweisen Fehlen wichtiger Fertigungsunterlagen ihre eigene Leistungsfähigkeit schwer einzuschätzen. Dabei wurde es nichteingeführten, selbst bedeutenden lieferungslustigen Firmen schwer, wenn nicht unmöglich gemacht, Aufträge zu erhalten. So wurden Lieferungsangebote der Hannoverschen Maschinenbau-A.-G. („Hanomag“) bei Kriegsbeginn mit dem Bemerken abgetan, „es liege nichts vor“, auch die Mannesmann-Werke bewarben sich anfangs umsonst. Die ersten Versuche der Firma I. Voith in Heidenheim, in Berlin Aufträge zu bekommen, bezeichnete deren Betriebsdirektor als ein „trauriges Kapitel“. Als die Maschinenfabrik Eßlingen sich im September 1914 in Berlin um Aufträge bewarb, wurde ihr erklärt, „man habe genug“. Der Görlitzer Maschinenbauanstalt wurde gesagt, Görlitz sei zu weit von Berlin, dorthin könnte man keine Abnahmekommandos schicken, sie möge sich in Berlin umsehen, wo alle Aufträge untergebracht seien. Drei sächsische Großindustrielle fuhren am 14. August 1914 im Auto zum Feuerwerkslaboratorium Spandau, um Aufträge zu erhalten: „Wir warteten drei Stunden und flogen in drei Minuten hinaus, indem wir an einen Meister verwiesen wurden.“ Einer Firma wurde gesagt: „Bis Sie fabrizieren, ist der Krieg zu Ende“ ...

Die Beschaffungsstellen selbst waren nicht genügend zentralisiert und erteilten in gegenseitigem Wettbewerb ihre Aufträge, so daß einzelne Firmen viel zu viel zu tun hatten. Dem über alles Erwarten großen Heeresbedarf stand zunächst kein entsprechender Rückgang des Zivilbedarfs gegenüber. Dazu kamen von Anfang an dauernd neue Erfahrungen mit verschiedenen Kriegsgeräten und neue Kampfmittel (Handgranaten, Minenwerfer, Schlitten usw.): von vornherein war das Tempo des technischen Fortschritts ein kriegsmäßig rasches. Die erforderlichen Änderungen an den Kriegsgeräten veranlaßten dauernde Umstellungen in der Fertigung. Erschwert wurden die Aufgaben noch durch den bald beginnenden Mangel an Rohstoffen und Halbfabrikaten, hervorgerufen durch die fehlende Einfuhr, durch die sich daran knüpfende Steigerung der Preise und durch die zunehmenden Beförderungsschwierigkeiten. Selbstverständlich war auch die sofortige Einziehung gerade der jüngeren leistungsfähigsten Arbeiter eine große Erschwerung für die Industrie. Wäre schon im Frieden eine industrielle Mobilmachung eingeleitet worden, so hätten die Werke diejenigen ihrer Leute von vornherein behalten können, welche besonders leistungsfähig und unentbehrlich waren. So aber entwickelte sich das Reklamationswesen nur langsam und manche hervorragende Arbeitskraft war gefallen, ehe man sie frei bekommen konnte. Glücklicherweise haben sich Ernährungsschwierigkeiten, der Verschleiß der Maschinen und Werkzeuge und die abnehmende Beschaffenheit aller Materialien erst viel später geltend gemacht. Eine große Erleichterung fand die Industrie beim Arbeiten mit der Behörde: rasche Abschlagszahlungen. Angesichts dieser gehäuften Schwierigkeiten sind es einige Umstände, welche uns, man kann es kaum schwächer ausdrücken, damals vor dem Untergang gerettet



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haben: der dauernde Schutz unserer Grenzen, unsere chemische Wissenschaft, die rechtzeitige und zielbewußte Einrichtung unserer Kriegs-Rohstoff-Abteilung sowie der durch das siegreiche Vorrücken unserer Truppen verursachte Rückgang der französischen und die Mängel mancher englischen Industrien. Ohne diese Umstände hätten tatsächlich unsere Feinde, wie sie erwarteten, nach wenigen Monaten in Berlin gestanden.

§ 49 Die Risikofrage bei Kriegsbeginn Will man in der Frage des industriellen und kaufmännischen Risikos am Anfang des Krieges zu einem richtigen Urteil kommen, so muß man alle Erkenntnisse und Erfahrungen der langen Kriegszeit sorgfältig beiseite lassen und sich ganz in die Lage der ersten Wochen und Monate versetzen. Faßt man auf Grund des letzten Paragraphen die für die Entschließungen eines Industriellen oder Kaufmanns maßgebenden Verhältnisse zusammen, so erhält man folgendes Ergebnis: 1. Fast niemand glaubte an eine längere Kriegsdauer. 2. Mindestens die außerhalb Berlins wohnenden Industriellen wurden von den Behörden in keiner Weise ermuntert, sich umzustellen. 3. Niemand wußte, für welche Produktionsmenge er sich einstellen sollte. 4. Die ganze Wirtschaftslage war denkbar unklar. — Wie würde sie bei Kriegsende sein? Auch an den gefährdeten Standort einzelner Industrien muß man denken. Konnten nicht manche Firmen an Deutschlands West- und namentlich an seiner Südostgrenze denken: „Was hat es denn für einen Zweck, uns jetzt umzustellen. In kurzer Zeit vielleicht ist der Feind im Land.“ Tatsächlich haben z. B. im Lothringer-Luxemburger Revier große Montanwerke wegen ihrer nahen Lage am Kriegsgebiet im größten Teil des ersten Kriegsjahres stillstehen müssen und konnten erst im zweiten Jahre einen Ausgleich schaffen. Aumetz-Friede, Rombach und Deutsch-Luxemburg sind kennzeichnende Beispiele hierfür6. Man wird also zugeben müssen: es konnte keine gewagtere Lage geben als die von Industrie und Handel in jener ersten Kriegszeit. Es ist kaum verständlich, wie trotz dieser Verhältnisse noch Ende 1915 in breitester Öffentlichkeit7 das Vorliegen eines Risikos für die Industrie überhaupt geleugnet werden konnte. Richtiger sind jedenfalls die Worte des Generaldirektors Eich von den Mannesmannwerken, der mir gegenüber im Jahre 1917 die Größe des von den Werken seinerzeit eingegangenen Risikos aufs stärkste betonte und sagte: „Wenn der Krieg 6 Berliner Tageblatt vom 5. November 1916. 7 Abgeordneter Mumm in der Reichstagssitzung vom 20. Dezember 1915.

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Anfang des Jahres 1915 zu Ende gewesen wäre, so wäre die ganze Industrie zusammengebrochen. Wenn man seinerzeit ein solches Risiko den Werken zugemutet hat, so soll man jetzt nicht allgemein ihre Gewinne als unmäßig bezeichnen.“ Es ist wohl ohne weiteres verständlich, daß sich dieses Risiko, das Industrie und Handel eingingen, in nichts anderem äußern konnte, als in einer in den Verkaufspreisen steckenden Risikoprämie. Klar hat dies am 20. Dezember 1915 Graf Westarp im Reichstag ausgedrückt mit den Worten: „Man darf keineswegs annehmen, daß die Anfangspreise der Lieferanten immer übermäßig gewesen seien, denn für den Unternehmer, der seinen Betrieb vergrößerte oder einen Betrieb, der bisher ganz andere Gegenstände erzeugt hat, auf die Kriegsindustrie einstellte, lag die Frage natürlich anders, so lange er glaubte, daß es sich um einen sehr kurzen Krieg handeln würde, als wenn er mit einem langen Krieg rechnen konnte. Bei einem kurzen Krieg mußten auf die neuen Maschinen, die Vergrößerungsbauten, die hergestellt werden mußten, viel größere Abschreibungen gemacht werden und man darf nicht vergessen, daß es bei allen derartigen Einrichtungen überhaupt fraglich ist, ob sie nach dem Kriege noch nutzbar gemacht werden können.“ Gerade der offizielle Glaube an eine kurze Kriegsdauer war es, welcher die Firmen, abgesehen von den erhöhten Selbstkosten, zu höheren Verkaufspreisen zwang. Ein Zahlenbeispiel wird dies deutlich machen: Eine Firma habe eine nur für Kriegsgerät brauchbare Neuanlage (z. B. ein Granatenpreßwerk) um den Preis von 2 Mill. Mark erstellt und könne mit dieser jährlich 10 000 Stück eines bestimmten Gegenstandes fertigen. Sein Verkaufspreis V setzt sich aus zwei Posten a und b zusammen, von denen der erste, a, den Betrag der Abschreibungen, der zweite, b, die Selbstkosten, Gewinne usw. umfasse. Es sei b = 100. In diesem Fall muß der Industrielle den Wert a bei 10 000 Stück Jahreserzeugung unter Annahme einer einjährigen Erzeugung (Kriegsdauer) ansetzen mit 2 000 000 : 10 000 = 200 M. Bei 2- bzw. 3jähriger Kriegsdauer braucht er dagegen für Abschreibungen nur 100 bzw. 67 M zu rechnen.

Der von ihm gleich bei Beginn seiner Lieferungen zu fordernde Preis V beträgt also bei Annahme 1 2 3

jähriger Kriegsdauer „ „ „ „

V1 V2 V3

= = =

100 100 100

+ + +

200 100 67

= = =

300 200 167

M, „ „

Dabei sind in dieser ganz rohen Rechnung die besonderen Aufwendungen, wie Generalunkosten, noch nicht berücksichtigt.

Nach Vorstehendem dürfte wohl ein Zweifel über die Größe des industriellen Risikos zu Kriegsbeginn und über seine Folgen, die erhöhten Preise, nicht mehr möglich sein.



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§ 50 Die Umstellung zur Rüstungsindustrie Die Umstellung eines Werkes bei Kriegsbeginn bedingte zunächst die Überwindung der zahlreichen im letzten Paragraphen geschilderten äußeren Schwierigkeiten: Mangelhafte Beförderungsorganisation, Unbekanntsein mit den Anforderungen der Behörden in Werkstatt- und verwaltungstechnischer Hinsicht, mit den herzustellenden Gegenständen und anderes mehr. Im ganzen umfaßte die Umstellung: 1. Die Gewöhnung an neue Absatzverhältnisse und Abnehmer. 2. Die Beschaffung von neuen Rohstoffen und Halbfabrikaten, von neuen zum Teil sehr teuren Werkzeugen und Maschinen. 3. Annahme und Anlernen neuer (ungelernter) Arbeiter. 4. Ausbildung neuer vereinfachter auf Massenfertigung abgestellter Fertigungsverfahren. 5. Kurzfristige Herstellung großer Mengen bei häufigen Umbestellungen. 6. Hohen Genauigkeitsgrad der Arbeit. 7. Veränderte Wirtschaftlichkeit der Betriebe. 8. Zusammenfassung von Betrieben in horizontaler und vertikaler Richtung. Das Ergebnis war eine ungeheure Ausdehnung der „Rüstungsindustrie“ vom Bergwerksunternehmen bis zum letzten Nagelschmied. Sie war vor allen Dingen erleichtert durch gute Preise und rasche Bezahlung seitens der Heeresverwaltung. Denn das muß man im Auge behalten: Die Umstellungsmöglichkeit endigt an den Grenzen der Wirtschaftlichkeit und der — allerdings von der Person des einzelnen Unternehmens abhängigen — tragbaren Risikohöhe. Deshalb mußten auch zur Erzielung schnellster Lieferungen den Firmen weitgehende Zusagen gemacht, langfristige Verträge eingegangen und hohe Vorschüsse gewährt werden. Die wirtschaftliche Frage wurde hierbei zunächst zurückgestellt und jeder Preis bezahlt, wenn man sich davon eine Erhöhung der Leistung versprechen konnte. Wer es nun verstand und wagte, sich rasch umzustellen, hatte vor anderen, Vorsichtigeren oder Ängstlicheren, einen gewaltigen kaum wieder einzuholenden Vorsprung. Manche vorher notleidende Firmen sind auf diese Weise wieder zur Blüte gelangt. Am günstigsten standen in dieser Beziehung die an hochwertige Ware gewohnten Maschinenfabriken da. Eine sehr langwierige Umstellung war der spätere Übergang vom Messing zum Stahl in der Hülsenfertigung. Eine besonders r asch e Um s te l lu ng bewirkte die Firma D. C. Magirus A.-G. in Ulm a. D., welche große Mobilmachungsaufträge besaß. Sie stellte deshalb einen früheren Feuerwerksleutnant an. Die Firma besaß eine Militär- und Feuerwehrabteilung. Am dritten Mobilmachungstag schon war die gesamte Feuerwehrgeräteherstellung eingestellt und in Heeresproduktion umgewandelt. Eines der interessantesten Beispiele für vo l l ko m m e n e Um s te l lu ng ist wohl die Württembergische Metallwarenfabrik Geislingen. Sie mußte als bisherige kunstgewerbliche Firma ihren ganzen Betrieb von Grund aus umgestalten.

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Die Leiter selbst (Chemiker und Elektrotechniker) mußten alles neu lernen und erproben. Dafür aber waren sie, wie sie selbst angaben, auch in keinerlei Vorurteilen über die zweckmäßigste Art und Weise der Herstellung befangen. Die Firma besaß keine Feinmechaniker, ganz wenig Werkzeugmacher, war an Präzisionsarbeit nicht gewöhnt, mußte sich selbst eine Gießerei bauen, eine Menge von Maschinen beschaffen, eine Materialprüfungsanstalt einrichten und erreichte dabei mit der Zeit eine äußerst lebhafte Fertigung von Patronenhülsen und Infanteriemunition, wobei sie mit größter Sorgfalt zahlreiche schwierige Versuche bezüglich der Verwendung von Stahl angestellt hat.

Anderen Firmen ging es weniger gut, namentlich denjenigen, welche bis zu der amtlichen Zusammenlegung und Stillegung des Jahres 1917 sich noch nicht umgestellt hatten. Hier mußte behufs einheitlicher und planmäßiger Sicherstellung der Betriebsund Rohstoffe, der Arbeitskräfte, der Werkzeugmaschinen und maschinellen Einrichtungen die nachträgliche Umstellung auf andere Erzeugnisse im allgemeinen untersagt werden. Und die Zahl solcher Firmen war groß. Außer der Umstellung kommen noch in Betracht die Steigerung von Erzeugung und Umsatz, welche der nächste Paragraph behandelt, und die Umstellung bezüglich der Güte der Erzeugnisse. Sie war hervorgerufen durch die Qualitätsforderungen bezüglich des Heeresgeräts. Selbst bei ausgesprochenen Montanwerken ist diese Erscheinung aufgetreten. Während die Erzeugung von Thomasstahl (Durchschnittsqualität) im Jahre 1915/16 nur 633 002 t gegen 828 517 t im Jahre 1912/13 ausmachte, also um etwa 25% gefallen war, betrug die Erzeugung von Siemens-Martinstahl (Sonderqualität) in den beiden Vergleichsjahren 594 855 t gegenüber 631 067 t, hatte also den Stand normaler Jahre fast wieder erreicht. Dieses Bild ist typisch und für die gesamte deutsche Eisenindustrie, insbesondere die rheinisch-westfälische und auch die oberschlesische. Trotz der Umstellung auf Kriegsbedarf gelang es manchen, namentlich großen Werken, einen nicht unerheblichen Teil ihres Friedensgeschäftes aufrechtzuerhalten, soweit es sich um Ausfuhr handelte; nicht immer zum Vorteil des Reiches. Beim Inlandgeschäft handelte es sich im wesentlichen um mittelbare Rüstungsaufträge. So führt der Geschäftsbericht der A.E.G. für 1915/16 aus: „Das Friedensgeschäft, wenngleich durch Beschlagnahme vielfach gehindert, hat im Zusammenhange mit dem Kriegsbedarf neue Anregungen erhalten: zumal aus der Schwerindustrie liegen große Aufträge vor.“ Besonders hatte die Firma Aufträge auf größte Maschinen zu verzeichnen. Sie bemerkt hierzu: „Der Auftrag auf diese Maschinen, deren Leistungen die der größten jemals gebauten Dampfturbinen beträchtlich übertrifft, ist von besonderer Bedeutung, weil er einerseits zeigt, daß der Krieg die Fortentwicklung deutscher Industrien nicht aufgehalten hat, andrerseits die Errichtung von Kraftwerken auf eine neue Stufe stellt.“ Auch die f r a n z ö s i s ch e u n d e ngl i s ch e I n du s t r i e hatte ihre großen Schwierigkeiten zu überwinden, die erstere vor allem infolge der raschen und dauernden Besetzung des französischen industriellen Nordens. Sogar unsere Feinde litten in gewissem Umfange an Rohstoffknappheit. Sie zwang die Fr a ch t r au m n o t zur Einschränkung. Auch ihre Industrie war nicht auf Herstellung von Kriegsgerät eingearbeitet. Aber was wollten diese Schwierigkeiten besagen gegenüber denjenigen, die Deutschland vor sich sah, zumal jene von Anfang an durch den großen neutralen Bundesgenossen,



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die Vereinigten Staaten, wettgemacht wurden. „Der Krieg, den wir führen,“ schrieb R a t h e n au 8 , „hätte nicht 6 Monate lang geführt werden können, wenn nicht die deutsche Großunternehmung die Umstellungsfähigkeit erwiesen hätte, die erforderlich war, um neun Zehntel des deutschen Produktionsbetriebes aus Rüstungsindustrie zu werfen, und die Wehrmaterialienerzeugung zu verhundertfachen. Die Vorgängerin unserer Industrie, die englische, die um ein weniges in der Konzentration und Beweglichkeit zurückgeblieben ist, bedurfte eines Zeitraumes, der uns das Leben gekostet hätte, wenn wir ihn für uns hätten in Rechnung stellen müssen; nämlich zweier Jahre, und auch in diesem Zeitraum hätte die englische Industrie versagt, wenn nicht die reichere, höher konzentrierte und technisch vorgeschrittenere amerikanische ihr zur Hilfe geeilt wäre.“

Was die deutsche Industrie geleistet hat, das verdankte sie ihrer wissenschaftlichen Arbeitsweise und ihrem frischen, kühlen Unternehmungsgeist. Neben der Industrie darf die Erwähnung des Handwerks nicht fehlen. War seine Lage in den letzten Jahrzehnten infolge der zunehmenden Industrialisierung Deutschlands immer schwieriger geworden, so hatte sie sich im Anfang des Krieges noch mehr verschlimmert. Dem Handwerk fehlte es zunächst an jeder für die Übernahme von Massenaufträgen geeigneten Organisation. Nach vergeblichen Anläufen ist es gelungen, eine Organisationsform für gemeinschaftliche Handwerkslieferungen mit dem erforderlichen Kapital zu schaffen. Das letztere war nötig, da die Behörden Aufträge nicht erteilen konnten, ehe jemand die Haftung für etwaige Mängel zu übernehmen in der Lage war. (Das Nähere über das Handwerk im Kriege bringt Kapitel 18.)

§ 51 Wirtschaftliche Entwicklung während der Kriegszeit Die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Rüstungsindustrie während des Krieges darzustellen, kann nicht Sache vorliegender Arbeit sein, denn die Industrie des Waffenund Munitionswesens umfaßt nur einen Teil der gesamten Rüstungsindustrie. Dagegen soll im folgenden versucht werden, einige derjenigen wirtschaftlichen Erscheinungen kurz darzustellen, welche für die Waffen- und Munitionsindustrie von Bedeutung wurden. Das Quellenmaterial hierfür ist nicht gerade reich, weil in der verarbeitenden Industrie die Zahl der nicht zur Veröffentlichung ihrer Ergebnisse verpflichteten Firmen eine verhältnismäßig große ist. A. Erzeugung und Umsatz. Die Leistungsfähigkeit der verarbeitenden Industrie hängt zum nicht geringen Teil von derjenigen der großen Eisenwerke ab. Hierüber hat Reichert 9 unter anderem folgende Zahlen veröffentlicht: Es betrugen in den letzten Friedensjahren die „Eisenkräfte“ 8 Vom Aktienwesen, 1917, S. 40. 9 Aus Deutschlands Waffenschmiede. Berlin-Zehlendorf 1918. We y r au ch , Waffen- und Munitionswesen.

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Roheisen

Flußstahl

in der Gewinnung von England………………………………...................…… Frankreich……………………………...................…… Rußland…………………………………...................… Italien………………………………......................……

10 850 000 t 5 120 000 t 4 735 000 t 380 000 t 20 885 000 t

7 780 000 t 4 420 000 t 4 500 000 t 920 000 t 17 620 000 t

Dagegen Deutschland allein……………...........… Ferner verzeichnete Österreich-Ungarn……...... Belgien……………………………….................………

19 309 000 t 2 680 000 t 2 000 000 t

19 028 000 t 2260 000 t 2 475 000 t

Durch die baldige Eroberung von Nordfrankreich und Belgien war die Lage für uns eine verhältnismäßig günstige. Aber dazu waren auch die Ansprüche an die Fertigerzeugung ganz ungeheure. Im ganzen Krieg von 1870/71 wurden der Artillerie etwa 116 Kanonenrohre ins Feld nachgesandt. Im großen Krieg wurde diese Leistung schon in neun Tagen erreicht. An einem einzigen Großkampftage der Flandernschlachten des Jahres 1918 verbrauchten wir fast ebensoviel Granaten als im ganzen Krieg 1870/71. Mit der Erzeugungsmenge an Kriegsgerät stieg die Arbeiterzahl der Werke. Störungen in den Erzeugungen brachten an den Grenzen des Reiches die zeitweilige Gefahr der Besetzung, die hier und da auftretenden Streiks, der häufige Wagenmangel und die immer wieder nötigen Änderungen in und an den beschafften Gegenständen. Aber bezeichnend für die trotz aller Erschwernisse erreichte Produktionssteigerung im Kriege bleibt eine Stelle aus dem für 1916/17 erstatteten Geschäftsbericht der Hannoverschen Maschinenbau-A.-G., wo es bezüglich der im Januar 1917 erfolgten Ablieferung der 8000. Lokomotive heißt: „Während die Fertigstellung der ersten tausend Lokomotiven 27 Jahre ... in Anspruch nahm, wurde das achte Tausend im Kriege in 2 Jahren 11¾ Monaten gebaut.“ Dieser Produktionssteigerung entsprach natürlich der Umsatz. Dabei ist bei den Zahlenangaben allerdings auch die Steigerung der Rohstoffpreise und Löhne in Rechnung zu ziehen. So betrug bei der Hanomag der Umsatz im Jahre 1916/17 68 Mill. gegen 51 Mill. im Jahre 1915/16, d. h. 32% mehr. Es gab Pulverfabriken, wie Köln-Rottweil, deren Umsatz 1917 das Zehn- bis Zwölffache des Friedensumsatzes ausmachte. b) Kreditbedarf. Die geschlossene Wirtschaft der Kriegszeit und die rasche Bezahlung seitens der Heeresverwaltung verursachten eine Erhöhung der flüssigen Geldmittel und stärkten die industriellen Unternehmungen, die dadurch aus Bankschuldnern vielfach zu Bankgläubigern wurden. Dazu traten die in zahlreichen Fällen den Firmen vom Reich gewährten Vorschüsse für Neuanlagen. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Köln-Rottweiler Pulverfabriken lehnte in der Generalversammlung vom Jahr 1917 die Bekanntgabe der Höhe der Bankguthaben



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mit der Begründung ab, daß dann zugleich auch die Höhe der regierungsseitigen Vorschüsse bekanntgegeben werden müßten. Diese Vorschüsse seien sehr bedeutende10. Die Flüssigkeit der Geldmittel aber erleichterte Neugründungen, die bis zur Schädigung der Kriegsanleihezeichnungen vorgenommen wurden. c) Erweiterungen und Neugründungen. Betrachten wir den Begriff Neugründung zunächst, soweit sie sich als interne Angelegenheit, als Aufnahme neuer Fertigungen darstellt. In dieser Beziehung war es von besonderer Bedeutung, daß die Stahlindustrie während des Krieges bald dazu überging, ihren Rohstahl weit weniger zu verkaufen, als ihn selbst zu höherwertigen Erzeugnissen, d. h. zu Geschützrohren, Granaten, Lafetten, Stacheldraht und anderem Kriegsmaterial zu verarbeiten. Dies beweisen die Zahlen des Stahlwerksverbands, der im Jahre 1915/16 eine Verkaufsmenge von nur 3,2 Mill. Tonnen auswies, gegenüber einer Gesamtflußstahlerzeugung von 14,75 Millionen11. So erklären sich auch die trotz teilweisen behördlichen Preisdrucks erzielten günstigen Jahresabschlüsse. Die hohen für verfeinerte Produktion erzielten Preise glichen eben die niedrigeren für Roheisen und Halbzeug mehr als aus. Als Beispiel mögen die folgenden Zahlen des Bochumer Gußstahlvereins dienen:

1912/13 1913/14 1914/15 1915/16

Absatz in Tonnen

Wert in Mark

312 931 334 202 217 105 247 197

52 191 720 56 781 428 54 722 688 112 309 912

Eine große mitteldeutsche Lokomotivenfabrik bezog fast ihr ganzes Rohmaterial aus ihrem eigenen Hüttenwerk, seit Anfang 1917 sogar Geschützrohre, Schilde usw. Bei dieser Sachlage mußten die Abnehmer von Rohprodukten, vor allem die Preßwerke für Granatherstellung hinter dem Eigenverbrauch der Stahlwerke zurücktreten, und daraus erklären sich auch die vielfachen Klagen der verarbeitenden Industrie über die Stahlwerke. Hatten doch sogar die reinen Montanwerke unter den gemischten Werken zu leiden, welche sich für die weniger rentable Erzgewinnung durch die Einnahmen aus Stahl und höherwertigen Erzeugnissen Ausgleich schaffen konnten und diesen Umstand benutzten, namentlich kleine Erzgewinnungsgesellschaften zu drücken. Direktor Eich von den Mannesmannwerken sagte dem Verfasser hierüber, seine Firma halte einige derartige Betriebe über Wasser, die sonst zugrunde gingen. Die Behörde habe den gemischten Werken nachgegeben, welche die Eisenerzeugnisse dauernd verteuerten und dadurch den Ausfall, den sie an ihren eigenen Erzwerken hätten, wohl vertragen könnten, während die alleinstehenden Erzwerke zugrunde gehen müßten.

10 Berliner Tageblatt vom 2. Juni 1917. 11 Berliner Tageblatt vom 4. November 1916.

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Von diesen innerhalb eines Werkes sich vollziehenden Angliederungen bis zum Zusammenschluß mit fremden Werken war nur ein Schritt. Die Vorteile solcher Fusionen sind in die Augen springend: Ersparnis an Mitteln, Kräften, Einrichtungen und Werbetätigkeit und bessere Ausnützung derselben, Arbeitsteilung, Unabhängigkeit von Rohstoffen, Ausdehnung des eigenen Werkes durch den Erwerb verwandter Unternehmungen. Besondere Anlässe waren: der Wunsch einer Hütte, sich bestimmte Erze zu sichern (Bismarckhütte), das Bestreben, durch Vereinigung eines wegen seiner gefährdeten Grenzlage lange Zeit zum Stilliegen verdammten Unternehmens mit einem anderen blühenden die Rentabilität des ersteren zu steigern. So wurde die Übernahme einer Bergwerksgesellschaft durch ein Stahlwerk unter anderem damit begründet, deren Besitz habe sich bereits vorteilhaft bemerkbar gemacht, indem es möglich sei, die Betriebsstörungen, welche durch den Wagenmangel hervorgerufen wurden, dadurch abzumildern, daß das Transportmaterial im gegenseitigen Wechselverkehr verwendet werde. Auch die Preisbildungsfrage kann natürlich in solchen Fällen eine Rolle spielen. Das Bestreben der Stahlwerke, den Rohstahl immer mehr selbst zu Kriegsmaterial zu verarbeiten, beruhte zum großen Teil auf der Preisfrage; die hohen für verfeinerte Produktion erzielten Preise waren noch lohnender als die für Roheisen und Halbzeug. In einzelnen Fällen hat Ringbildung alle behördlichen Versuche, die Preise herabzusetzen, vereitelt. Auch die vielen Unternehmungen drohende behördliche Stillegung förderte die Verschmelzung zu größeren Unternehmungen, da man darin einen Schutz gegen derartige Maßnahmen erblickte. Die vielfach beträchtlichen Kapitalerhöhungen hängen damit zusammen. In der Zeit dieser zahlreichen Fusionen mußten naturgemäß auch deren Nachteile besonders stark zum Bewußtsein kommen. Für die beteiligten Firmen bedeutet Verschmelzung Verzicht auf eigene Handels- (Absatz-) Organisation und auf den Ruf, gesuchte Qualitätserzeugnisse zu liefern. Die Folge muß eine gewisse Verödung des Wirtschaftslebens sein und gerade in dem auf Qualitätsarbeit und Veredlungsindustrie angewiesenen Deutschland mußte die hierfür unerläßliche wirtschaftliche Freiheit durch allzustarke Zusammenfassungsbestrebungen Schaden leiden. Auch die Beschaffungsbehörden haben seit Kriegsbeginn nicht selten die für sie aus allzu groß und mächtig gewordenen Unternehmungen erwachsenden Nachteile erfahren. Abgesehen davon, bedeutete jede Neugründung angesichts der Knappheit von Rohstoffen und Arbeitskräften für die bereits bestehenden Firmen einen Entzug an diesen Dingen. Aus diesem Grund erschien im Oktober 1917 eine Bundesratsverfügung, welche für Kapitalerhöhungen und Neugründungen den Konzessionszwang einführte. Gegen diese Verfügung wie gegen die Zwangssyndizierungen des Hilfsdienstgesetzes haben sich weite Kreise gewandt und als Mindestforderung aufgestellt, daß diese Verfügungen nicht länger als unbedingt erforderlich in Kraft bleiben sollten. Besonderen Anlaß hierzu gab die Neigung einflußreicher Kreise, eine gebundene



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Wirtschaft in die Friedenszeit hinüber zu führen, da es für die Heeresverwaltung in einem etwaigen späteren Kriege am einfachsten sein müßte, nur mit einigen wenigen Syndikaten zu tun zu haben. d) Abschreibungen und Rückstellungen. Bei außerordentlich zahlreichen Jahresabschlüssen während der Kriegszeit haben die Höhen der Abschreibungen und Rückstellungen Erstaunen, ja sogar Entrüstung in weiten Kreisen, sogar der Aktionäre, erregt. Dies war nicht zu verwundern, wenn man bedenkt, daß z. B. die Bismarckhütte für 1916/17 10 Mill. auf Werksanlagen und Inventarkonto abschrieb. Beim Eisenwerk Hoesch betrugen:

aus einem Betriebsgewinn von die regulären Abschreibungen die Sonderabschreibungen und Rücklagen die Dividende

1913/14

1914/15

1915/16

1916/17

Mill. Mark

Mill. Mark

Mill. Mark

Mill. Mark

9,056 4,352 0,014 15%

5,459 4,974 – 12%

13,601 4,230 2,547 20%

27,588 4,215 12,310 24%

Über die Bedeutung eines derartig vorsichtigen Geschäftsgebarens im Frieden sagt Rathenau 12 : „Der Grundsatz, welcher es uns ermöglichte, unsere industrielle Höhe zu erreichen und die Umstellung zur Kriegswirtschaft durchzuführen, war der mäßiger Ausschüttungen und höherer Rückstellungen, und zwar innerer, nicht öffentlich ausgewiesener.“ Unendlich wichtiger noch mußte dieses Vorgehen während eines Krieges sein und es ist sicher nicht übertrieben, wenn ein Berliner Blatt im Jahre 1917 schrieb: „Nicht die Höhe der Dividende ist heute bei unseren Eisenwerken das Maßgebende für ihre Beurteilung, sondern die Höhe ihrer sichtbaren und versteckten Rücklagen, der niedrige Buchwert ihrer Anlagen“. Es scheint mir deshalb geboten, die Gründe klar darzulegen, welche die Industrie vom Anfang des Krieges an bis zu seinem Ende veranlassen mußten, hohe Abschreibungen und Rückstellungen vorzunehmen. Als erstes ist wieder zu erwähnen die vollkommene Unsicherheit über die mögliche Kriegsdauer, die Frage: wie lange wird der angespannte Geschäftsgang dauern, werden nicht auch im Falle eines glücklichen Ausgangs flaue Zeiten kommen? Zahlreiche Firmen verloren mit Kriegsausbruch die Früchte jahrelanger Auslandsarbeit, ihre Verkaufsorganisationen und Zweigstellen, ihre Außenstände und Bestellungen, ohne daß sich die Höhe der Verluste irgendwie genau angeben ließ. Für manche Firmen im Osten und Westen des Reiches spielte lange die Frage eines etwaigen feindlichen Einfalls eine nicht geringe Rolle, später kam die dauernde Fliegergefahr hinzu. Zahlreiche Firmen mußten allein für die Fertigung von Heeresgerät Millionenanlagen (z. B. Granatpreßwerke) erstellen und hierzu zum Teil teueren Grund und Boden erwer12 „Vom Aktionwesen“, Berlin 1917, S. 55.

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ben. Dabei wußten viele von ihnen, daß sie daraus im Frieden keinen oder nur geringen Nutzen ziehen würden. Die Maschinen, Werkzeuge und sonstigen Einrichtungen wurden infolge ihrer abnehmenden Qualität durch die starke Benützung, schlechte Betriebsmittel (Öl), ungeübte Arbeiter, mangelhafte Unterhaltungs- und Wiederherstellungsmöglichkeit stark heruntergewirtschaftet. Ihr Ersatz spätestens bei Kriegsende war in sichere Aussicht zu nehmen. Die Preise der Rohstoffe, der Maschinen und die Löhne waren in dauerndem Steigen begriffen. Aus all diesen Gründen hielt die Industrie normale Abschreibungssätze wie im Frieden für keinesfalls ausreichend, sondern besonders hohe Rückstellungen für nötig, um gekräftigt in die von Anfang an als schwierig vorausgesehene Übergangszeit nach dem Krieg und an den dann sicher notwendigen Neuaufbau herantreten zu können. Man wies auch auf weniger vorsichtiges Verfahren in Österreich hin, wo man bisweilen mehr nach augenblicklicher Befriedigung der Aktionäre als auf sichere Fundierung sah. So ist das große Festigungsbestreben in der deutschen Industrie ohne alle Zweifel richtig gewesen; auch die Verbände haben es unterstützt. Der Verein deutscher Maschinenbauanstalten z. B. gab im Jahre 1916 an seine Mitglieder besondere Anleitungen zu Abschreibungen auf Maschinen und maschinelle Einrichtungen hinaus. Dieses Finanzgebaren der Industrie wurde von drei Seiten mit besonderem Interesse verfolgt, von den Aktionären, von der Steuerbehörde und von der Heeresverwaltung. Die Aktionäre haben in einzelnen Fällen zum Mittel des Zusammenschlusses gegen die Thesaurierungspolitik der Aktiengesellschaft gegriffen, so bei Daimler und bei der Rheinischen Metallwaren- und Maschinenfabrik in Düsseldorf. Wir können diesen Teil der Frage hier übergehen. Die Steuerbehörden nahmen erklärlicherweise an den hohen stillen Reserven Anstoß. Rathenau schreibt bezüglich des Krieges, „daß die stillen Reserven unserer Aktien-Gesellschaften seine technische Entscheidung geliefert haben“. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang die Bemängelung eines Berliner Blattes13, daß die Industrie ihre Anlagen nicht von unabhängigen Sachverständigen neu abschätzen lasse und die Buchwerte mit den so gefundenen Werten in Einklang bringe, da die Steuerbehörden derartig aufgestellte Bilanzen weit eher anerkennen müßten, als solche mit willkürlichen Abschreibungen. — Das Vorgehen der Steuerbehörden hat nicht nur in industriellen Kreisen scharfe Bekämpfung erfahren (vgl. Jastrow in der Vossischen Zeitung vom 20. August 1915, Nr. 424). Man nannte ihr Verfahren Konfiskation, sie treffe den wirtschaftlichen Bestand statt des Umsatzes, sie schlachte die Henne, statt sich mit ihren Eiern zu begnügen. Bei aller Berechtigung vorsichtigsten Geschäftsgebarens der Industrie häuften sich mit der Zeit die Fälle, wo sich ersichtlich die Höhe der Abschreibungen zum Teil nur mehr aus einem gewissen Verlegenheitsgefühl erklären ließ, allzuhohe Dividenden auszuschütten, so wenn eine eigentliche Munitionsfabrik die im Jahr 1916 ledig13 „Acht-Uhr-Abend-Blatt“ 18. Juni 1917.



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lich für Kriegszwecke errichteten Bauten als Betriebskosten abbuchte, oder wenn in der 1916er Bilanz einer andern Rüstungsfirma nicht weniger als 37  Posten mit 1  M zu Buche standen. Solche Erscheinungen mußten die Heeresverwaltung stutzig machen, sie wiesen unmittelbar darauf hin, daß die den Firmen gezahlten Preise zu hoch waren. Die Heeresverwaltung ist dann auch nicht tatenlos geblieben. Schon im August 1916 hat das Kriegsministerium nach Erscheinen der Geschäftsberichte für 1915 die Beschaffungsstellen in einzelnen Fällen (Pulver- und Sprengstoffe) beauftragt, durch unabhängige Fachleute die Preisberechnungen nachprüfen und eine bedeutende Preisermäßigung eintreten zu lassen. Ebenso versuchte man im Mai 1916 in der Feldzeugmeisterei, den Begriff des Kriegswuchers zu bestimmen und stellte fest, welche Verträge hiernach im Falle übermäßiger Preise als nichtig anzusehen seien. e) Die Frage der Kriegsverdienste. „Kriegsgewinne überall, steigende Dividenden, märchenhafte Rücklagen, schwellende Effekten- und Bankguthabenkonten ... Wenn der Krieg nur noch einige Zeit fortdauert, so wird die ganze deutsche Industrie mit einer Mark zu Buche stehen.“ So schrieb im März 1918 ein Berliner Blatt und drückte damit in ruhigen Worten dieselben Empfindungen aus, denen weite Kreise schon seit dem Jahre 1915 in mehr oder weniger bitterer Fassung Ausdruck verliehen. Wir können an der Frage der Kriegsgewinne oder, wie wir besser sagen, Kriegsverdienste nicht vorbeigehen und zwar umsoweniger, als sie gerade auf dem Gebiet der Waffen- und Munitionsindustrie eine große Rolle gespielt haben und als die Verhältnisse heute noch meist mehr gefühls- als verstandesmäßig beurteilt werden. Die Hauptursachen der hohen in die Augen fallenden Kriegsverdienste gewisser Industrien kann man in folgenden Umständen sehen: 1. Während 1913 die deutsche Gesamtausfuhr 10,8 Milliarden betrug, gab das Reich im Jahre 1915 im Inland allein für Kriegsbedürfnisse 23,9  Milliarden aus. Diese Summe entfiel aber auf einen kleineren Teil von Industrie und Handel als die 10,8 Milliarden der früheren Ausfuhr. 2. Die über Erwarten lange Kriegsdauer gestattete mit der Zeit weitestgehende Abschreibungen. Die Haltung der Behörden ermöglichte sie durch die bereinigten Preise. 3. Die Industrie, namentlich die der Anfangserzeugnisse, ging immer mehr dazu über, ihre Erzeugnisse selbst weiter, bis zu Geschützrohren usw. zu verarbeiten, und zog so alle Gewinne bis zu demjenigen der bisherigen Fertigbearbeiter an sich selbst heran. 4. Die Beschränkung auf gegenüber dem Friedensbedarf verhältnismäßig wenige Gegenstände und die Anforderungen der Heeresverwaltung erlaubten eine einfachere gewinnbringende Massenherstellung. Der Erfolg dieser „Konjunktur“ zeigte sich denn auch im steigenden Maße in den veröffentlichten Geschäftsabschlüssen. Höchste Abschreibungen (sogar von Friedensbauten), Rückstellungen und Dividenden, Bonusverteilungen, Kapitalverwässe-

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rungen mit Gratisaktien mehrten sich und gleichzeitig der Eindruck, als vermöchten viele Werke bei aller Berechtigung innerer Festigung nicht die ungeheuren Gewinne zu verbergen. Es kam vor, daß Kriegsgewinnsteuerrücklagen als Passiva gebucht oder gar zur Verbergung des Gewinns ohne zahlenmäßige Angabe unter die Gläubiger aufgenommen wurden; erwog man dazu noch die Vertuschungsmöglichkeiten, welche aus der häufigen Gründung von Tochtergesellschaften in die Bilanzen übergingen, so darf man sich nicht wundern, daß die schon im Frieden verbreitete Unzufriedenheit mit der Bilanzierungspraxis immer weitere Ausdehnung annahm. Man sagte sich: in den Kriegsgesellschaften sitzen die Interessenten, sehen zu, wie der Hase läuft und — ziehen ihren Vorteil daraus. Man fragte sich, welches Interesse hat die Industrie daran, die Löhne nicht immer weiter steigen zu lassen, da ihr doch jeder geforderte Preis bezahlt wird! Diesen Stimmen traten andere, beschwichtigende entgegen. Man betonte vor allem das hohe Risiko, mit dem die Industrie zu rechnen habe (vgl. §  49), die Schwierigkeiten, angesichts der steigenden Materialpreise und Löhne und der fortgesetzten Änderungen an den Erzeugnissen richtig zu kalkulieren. Man wies darauf hin, daß durchaus nicht alle Zweige der Industrie große Gewinne machten, sondern zahlreiche am Erliegen seien. Man begründete die Berechtigung hoher Gewinne mit der notwendigen Rücksicht auf kommende schlechtere Zeiten. Die vorgenommenen hohen Rücklagen seien deshalb durchaus notwendig. Der Staat selbst habe ein Interesse an einer innerlich starken Industrie. Ja man drohte sogar mit der Einstellung der Erzeugung, mit dem Ausblasen der Hochöfen. Man wies auch, und zwar mit Recht darauf hin, daß der Begriff des Kriegswuchers als einer durch übermäßigen Gewinn bewirkten Schädigung der Gesamtheit weder für den Erzeuger und Händler noch für die Gerichte genügend faßbar war, was deren ungleiche Rechtsprechung beweise. Auch bedeute ein erhöhter Reingewinn noch keine unzulässige Preiserhöhung. Und schließlich brauche man, solange man keinen Produktionszwang habe, einen kräftigen Anreiz für die Industrie und dürfe sie nicht „vergrämen“. Manche von diesen Gegengründen haben ersichtlich viel Richtiges an sich, so der vom hohen anfänglichen Risiko der Industrie und von der Unsicherheit des Begriffs Kriegswucher. Andrerseits änderte die ungünstige Lage mancher Industrien nichts an der Übermäßigkeit der Verdienste anderer ihrer Teile, im Gegenteil, sie forderte geradezu deren Verminderung, sei es durch Erniedrigung der Preise oder durch Steuern. Daß die hohen Verdienste zum großen Teil auf dem außerordentlich gestiegenen Umsatz beruhten, ist ebenfalls richtig, fraglich ist nur, ob ein vermehrter Umsatz, den doch der Staat, d. h. die Gesamtheit des Volkes veranlaßte, nur dem einzelnen Industriellen zugute kommen darf. Hierüber soll in §  55 noch geredet werden. Auch die Forderung, die Industrie müsse, da kein Herstellungszwang bestehe, angereizt werden, ist an sich richtig, fraglich ist nur, ob die notwendige Stärke dieses Anreizes nicht vielfach weit überschritten wurde, ganz abgesehen von der allerdings



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in Deutschland theoretischen Frage, ob nicht dieselben Erfolge auch beim Vorhandensein eines Produktionszwangs erreicht worden wären. Im übrigen darf hier nicht übersehen werden, daß der Handel während des Krieges mit einem andern schärferen Maßstabe gemessen wurde, als die Industrie. Im Gegensatz zur Industrie und Landwirtschaft ist seine geschäftliche Tätigkeit hinsichtlich der Preisbildung ziemlich genau und klar aus seinen Büchern zu erkennen und eindeutig festzustellen, während die Nachprüfung der Preisfaktoren bei Industrie und Landwirtschaft viel größeren Schwierigkeiten begegnet. Bei diesen tritt auch die wirtschaftliche Tätigkeit, Bedeutung und Leistung der Arbeit von Fabriken und Maschinen, in der Bestellung der Felder und in der Viehzucht klar in die Erscheinung. Die Gehirntätigkeit, der Wage- und Opfermut des Kaufmanns, seine Vermittlungsfunktion zwischen Erzeuger und Verbraucher finden aber keinen sinnfälligen Ausdruck. Welches Verschulden trifft nun die Heeresverwaltung an diesen unleugbaren Mißständen und welche Vorkehrungen hat sie dagegen getroffen? Zunächst muß hier wieder auf die geringe Erfahrung der leitenden Stellen in wirtschaftlichen Fragen hingewiesen werden, die auch dem fachkundigen Beschaffungsreferenten vielfach die Arbeit erschwerte. So fragten die Prüfungsstellen bei Verschiedenheit der für gleiche Leistungen gezahlten Preise vielfach, warum nicht der niederste Preis für alle Käufer gelte. Umständlich erklärende Schriftsätze waren nötig, und der gehetzte Referent war nur zu leicht verführt, allen Anbietern denselben Preis vorzuschlagen, der dann allerdings nicht der niedrigste war. Zahlreich waren auch die Fälle, in denen Lieferern von vornherein der Preis vorgeschlagen wurde, ohne Rücksicht darauf, ob sie nicht gewillt gewesen wären, billiger zu liefern. Dazu kam die Häufung eines großen Teils der Rüstungsindustrie bei Berlin, der Stadt ohne Kohle, ohne Erze, ohne Wasserkräfte, aber mit hohen Löhnen, die bald auch nach den billigeren Plätzen hin wirkten. Blicken wir nach den entsprechenden Verhältnissen im feindlichen Ausland, so treten uns in Frankreich genau dieselben Klagen entgegen wie bei uns. Auf diese Angriffe ist der Munitionsminister Thomas in der Deputiertenkammer am 27.  Februar 1917 eingegangen und hat nach „Journal officiell“ vom 28. Februar 1917 ausgeführt, es werde allgemein der Vorwurf erhoben, die Regierung habe ungeheuerliche Preise bezahlt und es seien so plumpe Verträge gemacht worden, daß sie die Kommissionen als skandalös bezeichnet hätten. Das sei aber bei der gegenwärtigen Anzahl der in den Artilleriewerkstätten und Pulverfabriken abgeschlossenen 64 000 Verträge nicht wunder zu nehmen. Die hohen Preise, die für neue Erzeugnisse zu Anfang des Krieges bezahlt wurden, seien das sicherste Mittel gewesen, daß sehr schnell geliefert werde. Auf anderm Wege wäre man nicht zum Ziel gekommen, denn die Angst vor Verlusten würde die Kraftanstrengungen gelähmt haben. Die hohen Preise seien zu Beginn jeder Produktion das beste Mittel sie einzuführen. Sei sie dann eingerichtet, dann müsse die Staatsverwaltung, und zwar sehr schnell dazwischen treten und die Preise prüfen. Der Minister führte dann an einer Reihe von Beispielen die Herabsetzung der Preise vor. Durch eine Reihe von Maßnahmen sei es gelungen, die ungeheuerlichen Gewinne der Rüstungsindustrie zu beschneiden. Man habe sogar die zulässigen Abschreibungssätze festgesetzt.

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Günstiger lagen die Verhältnisse in England und den Ve re i n ig te n Staaten. Beide gingen sehr bald mit hohen Steuern vor, wenn auch ihre Erhebung anfangs manche Schwierigkeiten bereitete. Dazu kam in England die staatliche „Kontrolle“ der meisten Rüstungsbetriebe. Anfang 1917 waren dort 4802  Fabriken unter Staatsaufsicht. Einem dienstlichen deutschen Bericht über die englische Festsetzung der Unternehmergewinne entnehme ich folgendes: „Bei der Berechnung des Reingewinns der kontrollierten Fabriken wird vorab ein Normalgewinn festgestellt. Als solcher gilt für gewöhnlich der Durchschnitt des Reingewinns der zwei letzten Geschäftsjahre vor Ausbruch des Krieges. Besondere Verhältnisse rechtfertigen abweichende Feststellung, wobei evtl. schiedsrichterliches Verfahren in Anwendung kommt. Der diesen Normalgewinn übersteigende tatsächliche Gewinn wird in Höhe bis zu einem Fünftel des Normalgewinns für den Betriebsbesitzer freigegeben, während der darüber hinausgehende Betrag der Staatskasse zufließt. Es hat also der Eigentümer oder Besitzer einer kontrollierten Fabrik außer dem Normalgewinn, welcher mit Rücksicht auf die zwei guten dem Kriege vorangehenden Geschäftsjahre reichlich bemessen sein soll, noch 20% Überschuß.“

Als die Klagen allzu laut wurden, war es in Deutschland zu spät zu derart einschneidenden Maßnahmen. Ein diesbezüglicher Antrag wurde im Reichstag zurückgezogen. Dagegen wurden in seinem Haushaltsausschuß in den ersten Märztagen des Jahres 1918 Anträge angenommen, wonach die Geschäftsbücher und andere für die Berechnung der Preise maßgebenden Unterlagen der Firmen überwacht, bei sämtlichen zentralen Beschaffungsstellen des Heeres und der Marine Preisprüfungsstellen und dazu eine Zentralprüfungsstelle der Kriegslieferungen geschaffen wurde. Schon vorher fanden beim Wumba Preisprüfungen statt, und es konnte am 8. März 1918 im Hauptausschuß erklärt werden, das zahlenmäßige Ergebnis der Nachprüfung der Preise belaufe sich für das Arbeitsgebiet des Wumba auf eine Ersparnis von schätzungsweise 50  Mill. Mark im Monat! Die zur Prüfung der Lieferungsverträge eingesetzte Reichstagskommission sah sich allerdings vor eine Sisyphusarbeit gestellt, sie konnte von vornherein keine volle Klärung bringen. In jene Zeit fällt der allbekannte „Fall Daimler“. Betrachtet man ihn heute aus der Ferne, so bleiben als wesentlichste Steine des Anstoßes die Drohung eines Direktors mit der „Einschränkung des Betriebs“, „falls die geforderte Preisrevision nicht in aller Kürze eintrete“ und die Verweigerung der Kalkulationsunterlagen (Wrisberg). Bezüglich der Preise der Firma wurde amtlich festgestellt: „Die Preise der Daimler-Motoren sind trotz ihrer militärischen und technischen Überlegenheit noch immer 30—60% billiger als die aller Konkurrenzfabrikate.“14 Hiernach konnte angesichts des „ungeheuren Umsatzes“ der Firma wohl von einem übermäßigen, nicht aber von einem unerlaubten Gewinn gesprochen werden.

Wie schon früher bemerkt, hat die Heeresverwaltung versucht, den einreißenden Mißständen entgegenzutreten. Hier ist der Platz, zu untersuchen, ob ihre Vorkehrungen in Anbetracht der Umstände sachgemäß und energisch genug waren. Im Anfang mußte Kriegsmaterial geliefert werden, kostete es, was es wollte. Darüber gibt es keine Frage. Aber hat man nicht zu lange gewartet, ehe man an die Nachprüfung der Preise heranging und hat man dies mit der nötigen Energie getan? 14 „Berliner Tageblatt“ vom 13. März 1918.



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Schon 1915 hat der spätere Leiter von Wumba R. immer wieder auf die hohen Gewinne der Industrie hingewiesen, man teilte mir aber mit, es sei dem keine Folge gegeben worden, um die Industrie nicht zu „vergrämen“. Auch Helfferich berichtet, er habe die Parole „Geld spielt keine Rolle“ aufs schärfste bekämpfen müssen. Gewiß, die großen wirtschaftlichen Fragen waren schwer zu lösen, allzu schwer für manche in wirtschaftlichen Dingen unerfahrenen Militärs, mit denen gewiegte und zielbewußte Industrielle leichtes Spiel hatten. Daß einzelne Militärs die Gefahren der fortwährenden Preiserhöhungen klar erkannten, beweist übrigens die Denkschrift Gröners vom 12. Juli 1917. Aber er drang nicht durch. Dazu kam die Uneinigkeit in manchen, namentlich Rohstofffragen, welche zwischen der Kriegs-Rohstoff-Abteilung und dem Wumba herrschte. Warum hat man sich nicht an eine größere Körperschaft von wirtschaftlichen Sachverständigen gewandt? Sie war da. Die Wissenschaftliche Kommission des Preußischen Kriegsministeriums bestand seit 1915. Sie umfaßte eine Reihe der bedeutendsten Wirtschaftler aller Richtungen. Leicht wäre es gewesen, noch weitere Kräfte aus Handel, Industrie und Wissenschaft hinzuzuziehen. Hier war der Boden, auf dem große Fragen nach allen Seiten erörtert und geklärt werden konnten. So gut wie niemals wurde davon Gebrauch gemacht. Daß einzelne Mitglieder dieser Kommission in großen Kriegsämtern tätig waren, gab keinen Ausgleich für dieses Versäumnis. Auch der größte Eifer im kleinen — und er herrschte in allen Kriegsämtern — hilft wenig, wenn es an den Grundlagen fehlt. Welches ist nun das Schlußurteil über die Kriegsindustrie? Um es gleich zu sagen: kein einheitliches. Die Industrie hat im Kriege bei einem hohen Risiko Gewaltiges geleistet, nicht nur in Erwartung von Gewinn, sondern auch in vaterländischem Opfermut. Sie war unter allen Industrien der kriegführenden Staaten in der schwersten Lage. Sie hatte sich wie keine andere mit den unaufhörlichen Schwierigkeiten der Roh- und Ersatzstoffbewirtschaftung zu quälen. Sie hat die deutschen technischen Erfindungen der Kriegszeit in die Wirklichkeit übergeführt. Sie verdiente deshalb auch hohe Gewinne. Der Unternehmer muß verdienen. Mag man aber auch die behördlichen Maßnahmen für ungenügend halten, man muß trotzdem sagen, daß manchen Kreisen der Industrie zu bald und zu sehr das Maß verloren ging. Wer wie ich jahrelang, zuerst als Beschaffungsreferent, dann als sorgsam beobachtender und aufzeichnender Wissenschaftler die Vorgänge an der Quelle verfolgte, der konnte häufig nur zum schärfsten Urteil kommen über die Skrupellosigkeit, mit dem manche uneingedenk dessen, daß es auch für die Heimat eine Wehrpflicht gab, über alles erlaubte Maß hinaus nur Geld zu erraffen suchten. In jener Zeit liegen die Anfänge der heute alle Kreise bis zu den Arbeitern hin ergreifenden und bedrohenden materiellen Habgier. Was ich heute sage, ist keine neue Erkenntnis. Dasselbe ist schon seit den ersten Kriegsjahren mit zunehmender Schärfe von vielen erkannt und offen gesagt worden,

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und dies gerade in Blättern, denen man Handels- und Industriefeindschaft sicher nicht vorwerfen kann. So komme ich zu dem Schlußurteil: Viel Licht, aber auch viel tiefer Schatten. Trotzdem müssen wir, bei aller scharfen Verurteilung der Auswüchse am wirtschaftlichen Körper, den in weiten Kreisen Deutschlands herrschenden kleinlichen, rückständigen, neidischen und mißgünstigen Standpunkt gegenüber den Gewinnen von Handel und Industrie bekämpfen. Ihre Gewinne kommen zu einem nicht geringen Teile allen zu gute. Man vergleiche die frühere mittlere Lebenshaltung in Deutschland mit der in Österreich-Ungarn. Mit dem Schlagwort „Schlamperei“ würde man die dortigen Zustände nicht erklären. Nein: Deutschland war vor dem Kriege gegenüber Österreich-Ungarn ein reiches Land, und es verdankte dies wohl in erster Linie der wirtschaftlichen Kraft seiner Industrie, seines Handels und seiner Banken.

§ 52 Die Tätigkeit technisch-industrieller Vereine und Verbände A. Die Tätigkeit und Bedeutung technisch-industrieller Vereine und Verbände kommt im Frieden zunächst deren Mitgliedern zugute und ist deshalb weiteren Kreisen kaum bekannt; eine kriegswirtschaftliche Darstellung jedoch kann an ihnen nicht vorbeigehen. Denn diese ursprünglich im wesentlichen privatwirtschaftlichen und technisch-wissenschaftlichen Interessen dienenden Organisationen haben im Krieg ihre Aufgabe ganz wesentlich in der Richtung auf allgemeine Interessen erweitert und erhöht. Sie haben in ihrer vermittelnden Stellung zwischen Industrie und Behörden durch fortgesetzte Beratung und Unterstützung auch den letzteren und damit dem deutschen Volk große Dienste geleistet. Waren doch sie in erster Linie geeignet und berufen, das Fehlen einer technisch-wirtschaftlichen, d. h. industriellen Mobilmachung auszugleichen und die sich aus diesem Mangel und aus den fortwährenden industriellen Neuansprüchen der Kriegführung ergebenden Reibungen auf ein erträgliches Mindestmaß zurückzuführen. Es wäre eine falsche Auffassung, wollte man den industriellen Verbänden ihr Eintreten für die Interessen ihrer Mitglieder vorwerfen. Das war die Pflicht der Interessentenvertretungen, und sie lag im Interesse der Allgemeinheit, denn ohne daß wirtschaftliche Vorteile winken, läßt sich die Erzeugung nicht steigern. Das Folgende wird aber wohl zeigen, daß die industriellen Organisationen es im großen Ganzen — auch schwere Ausnahmefälle kamen vor — versucht und auch verstanden haben, die Interessen ihrer Mitglieder mit denen der Allgemeinheit zu versöhnen. Für das Gebiet des Waffen- und Munitionswesens kamen vor allem folgende Verbände in Betracht der Verein deutscher Ingenieure, der Verein deutscher Eisenhüttenleute,



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der Verein deutscher Maschinenbauanstalten mit seiner Waffen- und Munitionsberatungsstelle, der Verein deutscher Werkzeugmaschinenfabriken, der Verein deutscher Eisengießereien, der Verein deutscher Gießereifachleute. Den vorstehend genannten Vereinen ist gemeinsam die Rolle, die in ihnen die Förderung der industriellen Technik und ihrer Verfahren spielt. Namentlich die vier ersten waren deshalb, zum Teil in Arbeitsteilung tätig, zusammen mit ihren Unterverbänden von erheblicher Bedeutung. Neben und unter ihnen standen zahlreiche kleinere wichtige Verbände. Von großen allgemeinen Verbänden haben wir zu nennen: Den Kriegsausschuß der deutschen Industrie, eine lose Vereinigung des Zentralverbandes deutscher Industrieller und des Bundes der Industriellen, sowie den Hansabund für Gewerbe und Handel und Industrie E. V. mit seiner Handel, Gewerbe und Handwerk umfassenden, gemeinnützigen Arbeit („Kriegszentrale“). Auch die gewerkschaftlichen Organisationen sind hier zu nennen, deren Tätigkeit von der Obersten Heeresleitung ausdrücklich anerkannt wurde mit dem Wunsch, daß deren Arbeit ungestört fortgesetzt werde15. Dazu kommen noch die Handwerksverbände; vgl. Kap. 18). Des weiteren bestehen eine größere Anzahl von Verbänden mit statistischen, privat- und volkswirtschaftlichen, Handels-, zoll- und sozialpolitischen Aufgaben; dazu kommen noch ausgesprochene Arbeitgeberverbände, auf die einzugehen über den Rahmen der vorliegenden Aufgabe hinausgehen würde. Im ganzen genommen stellen demnach die Vereine und Verbände Organisationen mit Einzelausgaben, z. B. auf technischen Gebieten und mit allgemeinen, die Interessen zusammenfassenden Bestrebungen dar. Daß den letzteren der Ausgleich der in der Industrie tatsächlich vorhandenen unvermeidbaren Interessengegensätze auch während des Krieges nicht ganz gelingen konnte, liegt auf der Hand. Am stärksten bestanden sie auf dem Gebiete des Waffen- und Munitionswesens zwischen den Stahlwerken und der verarbeitenden Industrie. Bittere Klagen über den Stahlbund konnte man in den verarbeitenden Maschinenfabriken hören. So erklärte mir der Direktor eines großen süddeutschen Werkes, die Maschinenfabriken müßten von den Stahlwerken vertragsgemäß 3% Ausschuß mitnehmen, darunter seien aber Stücke mit so offensichtlichen Fehlern, daß sie dem liefernden Stahlwerk niemals verborgen bleiben könnten, die also mit Absicht den Ladungen mitgegeben würden, um den für die Stahlwerke zulässigen Ausschuß voll auszunutzen. B. Im folgenden wollen wir versuchen, die wichtigsten den Vereinen und Verbänden zugefallenen Tätigkeiten in aller Kürze zu schildern.

15 „Vossische Zeitung“ 14. Oktober 1917.

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1. Wissenschaftlich-technische Fragen. Wie wichtig und umfassend diese Tätigkeit schon im Frieden war, mag das Beispiel des Vereins deutscher Eisenhüttenleute dartun. Er besaß im Frieden u. a. Kommissionen für Hochöfen, Hochöfenkokerei, Stahlwerke, Walzwerke, Grobblechwalzwerke, Chemie, Riffelbildung auf Schienen und für Rechtsfragen. Im Kriege sind besonders die vier oben zuerst genannten Vereine hervorgetreten, an ihrer Spitze der Verein deutscher Ingenieure. Sie dienten sowohl den Behörden als ihren Mitgliedern als technische Berater. Sie veranlaßten Versuche, veröffentlichten Denkschriften und Merkblätter und vermittelten den Austausch der Erfahrungen der einzelnen zum Nutzen der Allgemeinheit, z. B. auf den Gebieten der Rohstoffe und ihres Ersatzes im Maschinenbau, der Elektrotechnik und beim Heeresgerät, der Werkstattechnik, z. B. bezüglich der Herstellung von Geschossen, der Ausbildung von Facharbeitern, Frauen und Jugendlichen: sie vermittelten in der „Technischen Zeitschriftenschau“ vertraulich die Erfahrungen der ausländischen Industrie. In dieses Gebiet gehört auch die Feststellung von Normalien und Typen und als Krönung all der einschlägigen Arbeiten die im Mai 1917 erfolgte Gründung des deutschen Normenausschusses, unter dessen Wirkung auch in Zukunft unsere Industrie stehen wird, ebenso wie unter derjenigen manchenorts erfolgter Arbeiten zum Zweck der Übertragung der Kriegserfahrungen auf die Friedensarbeit. 2. Allgemeine Auskunftstätigkeit . Der durch den ganzen Krieg hindurch bestehengebliebene Mangel einer Berliner behördlichen Auskunftszentrale verwies auch die zahllosen Auskunftssuchenden aus der Industrie an ihre Vereine und Verbände. Sie wurden durch diese nie abreißende, stets drängende Tätigkeit stark in Anspruch genommen. In Betracht kamen vor allem Fragen der Zuständigkeit von Behörden und Kriegsgesellschaften, des Verkehrs mit Organen der Beschaffungsbehörden, der Kriegsgesellschaften und des Hilfsdienstgesetzes, Erläuterungen zu Verordnungen, Lieferungs- und Vertragsbedingungen, sowie Auskünfte über Ein- und Aus- und Durchfuhrfragen. 3. Material- und Maschinenbeschaffung. Die hier zu leistende Arbeit war eine ungeheure, namentlich mit Rücksicht auf die von Monat zu Monat zunehmende Knappheit. Alle Spar- und Ersatzstoffe kamen hier in Frage, aber nicht nur ihre Beschaffung (Belegscheine), sondern vorher schon der Nachweis der Vorräte, die Bestandsaufnahmen, insbesondere der Sparmetalle (Edelstähle, Mangan, Ferrosilizium, Aluminium, Kupfer, Zinn, feuerfeste Steine usw.), der Schmiermittel und der Kohle, des elektrischen Stroms. Manche Verbände übten hier als Vorprüfungsstellen halbamtliche Tätigkeiten aus. Dazu kamen die Verteilung von Werkzeugen, Maschinen, insbesondere Spezialmaschinen und Treibriemen, die Verhinderung von Verschleuderungen, Ketten- und Schleichhandel. Gleichzeitig hatten die Vereine und Verbände in all diesen Fragen, so oft behördliche Neuorganisationen bevorstanden,



Die Industrie 

 173

die Ansichten und Wünsche ihrer Mitglieder einzuholen und das Material den Behörden unter eigener zusammenfassender Stellungnahme zu vermitteln. Auch die Fürsorge für einzelne notleidende Industrieen ist hier zu erwähnen. Es gelang nicht, allen Wünschen gerecht zu werden, der Schwierigkeiten waren es zu viele und immer neue kamen hinzu. Daß aber über vier Jahre lang die notwendigsten Rohstoffe der Industrie und der ganzen Bevölkerung nicht ausgingen, ist und bleibt eine bewundernswerte Leistung der Behörden und der Industrie- und Handelsorganisationen. 4. Allgemeine Beschaffungsfragen. Hier handelte es sich vor allem um Vermittlung von Aufträgen, um Feststellung von Kontingentsätzen sowie im Benehmen mit Behörden und Verbandsangehörigen um Vereinbarung einheitlicher Lieferungs-, Vertrags- und Verrechnungsbedingungen, um Richtlinien für die Preisbildung, kurz um die ganze, sich stets fortentwickelnde Organisation des Beschaffungswesens bis zu den Friedensklauseln in Lieferungsverträgen. Unaufhörliche Arbeit machten auch Wagenmangel, Gütersperren, Verbesserung der Fahrpläne des Güter- und Personenverkehrs, Fragen der Verfrachtung (Anordnung des Militärtarifs) und nicht zuletzt des Telegramm-, Brief- und Telephonverkehrs. Eine besonders heikle Sache waren die Entschädigungsforderungen aus rückgängig gemachten Bestellungen sowie allgemein die Preisbildungsfragen für Neufertigungen, Ersatzteile und Reparaturen; besonders nachdem die Industrie mit der Zeit genötigt worden war, genaue Kalkulationen vorzulegen und Einsicht in ihre Geschäftsbücher zu gewähren. Ein erfreulicher Beweis für das schließlich erzielte gute Zusammenarbeiten zwischen Behörden und Verbänden liegt in den folgenden, dem Bericht des Verbands deutscher Motor-Fahrzeugindustrieller für 1917/18 entnommenen Sätzen: „Wir können hier nur zum Ausdruck bringen, daß, nachdem nun einmal die Notwendigkeit hierfür16 gegeben war, das Zusammenarbeiten mit der Preisprüfungsstelle des Wumba und später des Reichsverwertungsamtes sich in durchaus sachlichen und reibungslosen Formen vollzog. Der dabei auf beiden Seiten notwendige Takt hat über viele Schwierigkeiten hinweggeholfen.“ 5. Arbeiter und Angestellte. Hier kamen zur Behandlung die Schwierigkeiten, die sich aus dem zunehmenden Mangel an Facharbeitern ergaben, ferner die Befürwortung wichtiger Beurlaubungs- und Zurückstellungsgesuche, die Ausbildung des Nachwuchses, die Besorgung von Lebensmitteln und Arbeitskleidung für die Arbeiter, Frauenarbeit, Werkstätten für Kriegsbeschädigte, Kriegsinvalidenfürsorge, die allgemeine Lage der Angestellten, die Arbeitskammerfrage, die Wohnungsnot und der Kleinwohnungsbau. Hierüber wird später noch mehr zu sagen sein.

16 Das heißt für Einsichtgewährung in die Kalkulation und die Geschäftsbücher.

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 Industrie und Handwerk im Kriege

6. Gesetze, Verordnungen, Steuern. Die niemals nachlassende Flut von Gesetzen und Verordnungen mit ihren teilweise sich kreuzenden Bestimmungen und ihren Strafdrohungen erschwerte dem einzelnen Industriellen in hohem Maße ihre Auslegung. Auch hier mußten die Vereine und Verbände einspringen. Bei der Durchführung des vaterländischen Hilfsdienstgesetzes betätigten sie sich dadurch, daß sie gemeinsam mit den Handelskammern und Handwerkskammern den zuständigen Stellen Vorschlagslisten für die Zusammensetzung der Zusammenlegungsausschüsse, Betriebsausschüsse, Schlichtungsausschüsse usw. unterbreiteten. Auch sonst gingen sie ihren Mitgliedern bei drohenden Zusammenlegungen und sonstigen Folgen des Gesetzes an die Hand. Dazu kam die Beratung von Behörden und Privaten in Steuerfragen (Reichskohlensteuer) und zum Teil auch die Beschaffung des deren Grundlage bildenden statistischen Materials. Eine wichtige Rolle spielte noch die Frage der Verlängerung der Patentdauer und der Vorberatung der Übergangswirtschaft. 7. Ausfuhrangelegenheiten. Die Ausfuhrkontrolle wird an einer Stelle „monströs umständlich“ genannt. Um so wichtiger und notwendiger war die Mitarbeit der Vereine und Fachverbände. Und sie war von Erfolg. Der Verein deutscher Werkzeugmaschinenfabriken z. B. schreibt in seinem Bericht für das Jahr 1916: „Für die Hersteller der Werkzeugmaschinen war es zunächst ein so ungewohnter Gedanke, Hand in Hand und gemeinsam gegen fremden Wettbewerb zu arbeiten, daß zu Anfang die Bemühungen der Geschäftsführung auf scheinbar unüberwindliche Schwierigkeiten stießen. Besonders auf dem Gebiet der Holzbearbeitungsmaschinen, welche zuerst in Angriff genommen wurden, konnten nur mit Mühe die Fabrikanten zu einem Ausfuhrverband zusammengeschlossen werden. Um so erfreulicher war der Erfolg dieses neuen Verbandes, der sich dadurch kennzeichnen läßt, daß sich bei einer 40prozentigen Erhöhung der Preise über den Friedensstand nachträglich eine weitere Erhöhung von 20% für alle Auslandsgeschäfte erreichen ließ. Nach diesem erfolgreichen Anfang wurden noch am Ende des Jahres 1916 die Vorarbeiten für die Gründung des Ausfuhrverbandes der Blechbearbeitungsmaschinenfabriken begonnen.“ 8. Drucksach e n u n d Vo rd r u cke . Hier ist ebenfalls eine bedeutende Tätigkeit entfaltet worden. So ließ der Hansabund die Verzeichnisse der wichtigsten Beschaffungsgegenstände des Heeres und der Marine auf seine Kosten drucken und verteilen, z. B. das erstere in 40 000 Stück. Von anderer Seite wurden verteilt Arbeitsanweisungen, Listen für Bestandsaufnahmen, Mustermeldescheine für den Handel mit Maschinen, Freigabescheine für Rohstoffe, Abkehrscheine und andere Drucksachen und Vordrucke aller Art.

C. Das Vorstehende dürfte — wenn auch in ganz kurzen Zügen — ein übersichtliches Bild der vielfachen, schwierigen, auch im Interesse der Allgemeinheit erfolgten Tätigkeit vieler technisch-industriellen Vereine und Fachverbände geben. Daß einzelne Verbände zum Teil mehr als berechtigt privatwirtschaftliche Interessen vor die staatlichen Notwendigkeiten gestellt haben, ist leider nicht zu leugnen. Im ganzen haben

Preisfragen 

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aber die Verbände außerordentlich viel zur Förderung des Fertigungswesens und zur Verminderung der inneren Reibungen geleistet. Dies ist auch von den Behörden und der Industrie anerkannt worden. Diese Organisationen sind unentbehrlich geworden zur Herbeiführung des unerläßlichen Vertrauensverhältnisses zwischen der Heeresverwaltung einerseits, Industrie, Gewerbe, Handwerk und Handel andrerseits.

Kapitel 15 Preisfragen § 53 Ursachen der Preissteigerungen, behördliche Tätigkeit Der Verkaufspreis einer industriellen Ware setzt sich zusammen aus: 1. dem Materialaufwand: Ankauf, Beifuhr, Lagerspesen, Nachprüfung, Lagerverzinsung und Abfall; 2. dem reinen Arbeitsaufwand: „produktive“ Löhne der an den Arbeitsstücken selbst tätigen Arbeiter; 3. den Spezialunkosten: Fabrikationseinrichtungen, Versuche, Patente, Lizenzen; 4. den direkten Betriebskosten: Energie, Geräte, Werkzeuge, Putz- und Schmiermittel, Revisionen, Unterhaltung und Ausbesserungen, Heizung, Beleuchtung, Ausschuß, nichtproduktive Löhne (diese Kosten sollen für jeden Betrieb besonders berechnet werden); 5. den allgemeinen Betriebsunkosten: Bauten, Wohnungen, Laboratorien, Beiträge, Bureaus, Gehälter, Hofarbeiter usw. (diese Kosten sollen dem Gesamtbetrieb berechnet werden); 6. den Generalunkosten: Verzinsung, Abschreibungen, Pensionen, Neuorganisationen, Mieten, Reklame, Reisen, Bureaubedarf, Gerichtskosten usw.; 7. dem Unternehmergewinn: Dieser wird in Friedenszeiten wesentlich reguliert durch die „Marktlage“, d. h. durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage im In- und Ausland. Während des Krieges wurden alle die vorgenannten Preiselemente in steigendem Maße beeinflußt, und zwar: 1. Der Materialaufwand durch die zunehmende Knappheit an Roh- und Betriebsstoffen und die ganze Ersatzstoffwirtschaft; 2. der reine Arbeitsaufwand durch die steigenden Löhne und die abnehmende Leistung der vielfach ungelernten Arbeiter, der Maschinen und Werkzeuge, sowie die abnehmende Güte der Materialien beim Zwang zu kürzesten Lieferzeiten; schließlich auch durch die vielfachen Auftrags- und Konstruktionsänderungen,

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3. 4. 5. 6.

 Industrie und Handwerk im Kriege

welche Betriebspausen hervorriefen. Den Löhnen folgten die Preise der wichtigsten Bedarfsgegenstände und diese steigerten wieder die Löhne; die Spezialunkosten durch die Notwendigkeit bedeutender Umstellungen und Neueinrichtungen (Preßwerke); die direkten Betriebskosten durch die oft nicht geeigneten, oft fehlenden Kohlen, die schlechten Schmiermittel; die allgemeinen Betriebsunkosten durch die zahlreichen Neubauten, Arbeiterbaracken, Grunderwerbungen und Fliegerschutzmaßnahmen; die Generalunkosten durch Umorganisationen, Mieten, Bureaubedarf, Fürsorge für die Familien der Einberufenen.

Da alle diese Punkte in derselben preissteigernden Richtung wirkten, so ist es kein Wunder, daß die Kriegskosten, wie das Ludendorff im Dezember 1917 feststellte, eine „ganz unnatürliche“ Steigerung auswiesen, zumal noch eine Reihe anderer erhöhender Umstände dazukamen, welche wir besonders in den Hauptabschnitten 2, 3 und 5 behandelt haben. Ich nenne hier nur die bei der Heeresverwaltung herrschende Unkenntnis der industriellen Verhältnisse, ihre bureaukratisch-schwerfällige Organisation, die ungenügenden Vorräte und Mobilmachungsverträge und die ungeheure Bedarfssteigerung schon seit den ersten Kriegstagen. Auf der andern Seite fehlte der regulierende Einfluß des Weltmarktes und immer mehr derjenige der Inlandkonkurrenz, die Heeresverwaltung mußte alles heranziehen, was nur liefern konnte: es bestand nur eine Art „Notmarkt“. Im zweiten Viertel des Jahres 1916 glaubte man mit geringeren Mengen auskommen zu können; da kam die Sommeschlacht und das Hindenburgprogramm mit seinen ungeheuren Mehrleistungen und entsprechend gesteigerten Preisen. All diese Umstände hatten die Heeresverwaltung schon im Jahr 1915 zu Eingriffen gezwungen, vor allem auf Grund des Fehlens eines Wettbewerbs, eines Marktes und der steigenden Kriegsverdienste der Industrie. Diese Eingriffe vermehrten und vertieften sich mit zunehmender Kriegsdauer. Maßnahmen der Behörden. Die Heeresverwaltung war im Anfang durchaus im Recht, wenn sie zu jedem Preis kaufte, hierdurch sowie durch Lieferungsprämien zu äußerster Leistungssteigerung kräftig anreizte und, wo nötig, die Preise auch in den Mobilmachungsverträgen erhöhte, sowie geldliche Beihilfen und Vorschüsse für Neueinrichtungen gewährte. Andrerseits wurde es bald nötig, die Grundlagen der Preise einer Nachprüfung zu unterziehen und die Macht einzelner zu stark gewordener Industrieller zu brechen. Ohne Härten konnte es dabei nicht abgehen. Im Gebiet der Feldzeugmeisterei wurden die ersten technischen Preisprüfungen, und zwar für Granaten im Frühjahr 1915 begonnen. Anfang 1916 war durch die behördliche Einwirkung in der Eisenindustrie eine vorübergehende Preisherabsetzung erreicht, die allerdings die selbst weiter verarbeitenden Stahlwerke am wenigsten treffen konnte. Ende 1916 war die technische Preisprüfung in vollem Gang; sie wies damals schon auf die Bilanzausweise hin. Zur selben Zeit erhielt Wumba

Preisfragen 

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eine Rechtsabteilung und im Frühjahr 1917 eine Vertragsprüfungsabteilung. Durch diese Organisation wurden Preise, Vorschüsse, Abschlagszahlungen, Lizenzen, Unterlieferanten, Zwischenhandel, Haftpflicht und Kündigungen erfaßt. Ob die anfänglichen Bemühungen mit der nötigen Energie und Sachkenntnis erfolgten, ist nicht sicher. Wenigstens wurde mir von verschiedenen wirtschaftlichen und technischen Seiten oft versichert, Wumba habe trotz des Widerspruchs der Ingenieure der Industrie Anfang 1915 zu hohe Preise bewilligt, um sie nicht zu vergrämen, in der Ansicht, die Industrie könne sonst Heeresaufträge ablehnen. Dasselbe bestätigte eine mitten in den Ereignissen stehende Persönlichkeit eines andern größeren Amts, mit dem Hinzufügen, durch die überhöhen Stahlpreise sei eine „Desorganisation in der Industrie“ eingetreten, die sich bis in das Jahr 1917 geltend gemacht habe. Die Lage von Wumba war übrigens nicht leicht. Auf der einen Seite stand die Industrie, die sich — namentlich die Stahl- und Preßwerke — schon Anfang 1915 vielfach weigerte, ihre Selbstkosten anzugeben. Im März 1917 verhinderte die Stahlindustrie einen Plan, wonach der Staat den Stahl selbst aufkaufte und ihn an die Bearbeiter verteilte. Sehr viel Arbeit und Ärger wäre dadurch vermieden worden. Der Widerspruch soll bis zur Drohung gegangen sein, die Hochöfen abzublasen. Auf der andern Seite standen einzelne Heeresbehörden. So glaubte man in Wumba berechtigten Grund zu Klagen über die Kriegs-Rohstoff-Abteilung zu haben, welche gegenüber der Schwerindustrie zu nachgiebig sei. Dort, nicht bei der verarbeitenden Industrie, hätten ja die energischen Bemühungen logischerweise einsetzen müssen. Eine Quelle vielfacher Unsicherheit war die anfängliche Gepflogenheit des Kriegsministeriums, direkt mit Lieferern zu verhandeln, was diese dann wieder in Streitfällen veranlaßte, die Feldzeugmeisterei zu übergehen, „da sie wußten, daß sie im Kriegsministerium einen guten Rückhalt hatten“. An einer zentralen sachverständigen Preisprüfungsstelle hat es bis ins Jahr 1918 gefehlt . Am 2 3.  Juli 1915 erfolgte die Bundesratsverordnung „gegen übermäßige Preissteigerung“ bei Gegenständen des täglichen Bedarfs, die allerdings auf unserem Gebiet nur beschränkte Anwendung zuließ. Am 23.  März 1916 wurde sie verschärft. Die Verordnung vom 12.  Juli 1917 sollte ermöglichen, Übergewinne, namentlich Wuchergewinne, zu erfassen. Am 4.  April 1918 wurde vom Kriegsministerium die allgemeine Einrichtung von Preisprüfungsstellen bei allen größeren Beschaffungsstellen befohlen. Kurz darauf folgte die Zentralpreisprüfungsstelle. Im August 1918 traten auf Einladung des Kriegsausschusses der deutschen Industrie die Verbände der mit Heeres- und Marinelieferungen beschäftigten Industrien zur Stellungnahme in Preisfragen zusammen. Es handelte sich vor allem dabei um Vermeidung von Härten und angeblichen Vertragsunsicherheiten, um die Beseitigung einseitiger nachträglicher Preisfestsetzungen durch Preisprüfungsstellen, um Ersatz von Aufträgen durch andere, sowie um die Demobilmachungsklauseln. Die Heeresverwaltung beharrte im wesentlichen auf ihrem Standpunkt, wie ich glaube, mit Recht.

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 Industrie und Handwerk im Kriege

Von der einschlägigen Tätigkeit des Reichstags war schon die Rede. Betrachtet man das bisher Gesagte, dazu die ungeheuren Schwierigkeiten der durch den großen Bedarf zahlreicher Fronten aufs äußerste gehetzten Beschaffungstätigkeit beim Fehlen einer wirtschaftlichen industriellen Mobilmachung, so wird man der Heeresverwaltung gerechte Anerkennung nicht versagen können. Zweifelhaft erscheint mir nur, ob sie von Anfang an mit genügender Energie und Sachkunde vorgegangen ist. Die Zusammendrängung der einschneidenden Maßnahmen ins Jahr 1918 spricht nicht dafür.

§ 54 Verhältnisse in der Industrie In der allerersten Kriegszeit hatte die verarbeitende, namentlich die Granatindustrie, mit den Schwierigkeiten der Umstellung zu kämpfen und dies in dem alles beherrschenden Gedanken größten Risikos. Kein Wunder, wenn bald Forderungen auf Preiserhöhungen einliefen und zu bitteren Klagen wurden, als die Behörden sogar an die Herabsetzung der Preise herantraten. Unter den Tausenden von Granatbearbeitungswerkstätten waren eben viele, deren Einrichtungen und Arbeitsweisen kaum oder nicht genügten, so daß sie bei den mancherlei Auftragsänderungen, den schlechter werdenden Rohstoffen, dem raschen Verschleiß der Maschinen und Werkzeuge, bei den steigenden Löhnen und den — manchmal allzu scharfen Abnahmebedingungen in Not gerieten. Die Behörden konnten all diese Verhältnisse nicht einzeln voll berücksichtigen, und manche Werke stellten die Granatdreherei ein. Im Herbst 1915 und Winter 1915/16 kam dazu das Abbremsen der Erzeugung, welches die Preise weiter drücken mußte. Von ihrem Standpunkt aus mit Recht wehrte sich die Industrie gegen die Einsichtnahme ihrer Bücher durch die Behörden. Aber das Staatsinteresse mußte hier vorgehen. Die größten Schwierigkeiten bereitete den verarbeitenden Werken namentlich auf dem Gebiete der Granatherstellung die Haltung der Stahlwerke, Preßwerke und Gießereien. So zahlte eine Weltfirma ihren Unterlieferanten für Bearbeitung einer bestimmten Granate 4,25 und 4,50  M, während sie selbst 8  M dafür erhielt. Der Briefwechsel des Vereins deutscher Maschinenbauanstalten wimmelt von bittersten Klagen. Als die Behörden die Preise herabzusetzen begannen, weil die Neuanlagen abgeschrieben sein konnten, machten die Rohlingslieferer Schwierigkeiten, ihrerseits die Preise zu ermäßigen, wodurch die Bearbeiter zwischen zwei Feuer kamen. Schon im Dezember 1914 suchten die Stahlgießereien den Verkauf von Rohlingen an die Bearbeitungsfirmen einzuschränken und zur Selbstbearbeitung überzugehen. Dadurch kamen viele Bearbeitungsfirmen in große Schwierigkeiten. Dauernd blieb ihre Belieferung eine schwankende. So liefen die ganzen Fragen der Preisgestaltung auf dem großen Gebiet der Granatherstellung zum großen Teil hinaus auf den Gegensatz zwischen verarbeiten-

Preisfragen 

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der und Schwerindustrie. Die Verbände der letzteren haben in der Preisfrage wenig gebessert und die der ersteren waren ihnen gegenüber zu schwach. Erst die Einführung der Dringlichkeitsscheine im Jahre 1918 schaffte namentlich den kleineren Bearbeitern eine bessere Lage. Bezeichnend für das Vorgehen mancher Rohstofflieferer sind nachstehende Sätze aus einem amtlichen Bericht. „Verteuernd wirken hauptsächlich die Lieferanten der Rohmaterialien, die sofort aufschlagen, sobald sie merken, daß ein größerer Bedarf eintritt... Das Ingenieurkomitee bezog Bohrgerät von einem Fabrikanten für 360  M das Stück. Der Fabrikant mußte die Rohre dazu von T. kaufen. In der Erwartung, daß T. selbst das Bohrgerät billiger herstellen müßte, wurde er zur Abgabe des Preises aufgefordert. Dieser Preis war um 200 M teurer. Als seinem Vertreter vorgehalten wurde, daß es doch sehr merkwürdig sei, daß er wesentlich teurer sei als einer, der erst die Rohre bei ihm kaufen muß, stellte dieser angeblich ein Versehen in der Kalkulation fest, der daraufhin abgegebene Preis war aber immer noch um 100 M teurer.“

§ 55 Verfahren der Preisbestimmung Die technischen Institute hatten im Frieden die ihnen zu erstattenden Preise für erledigte Aufträge zu ermitteln aus: 1. dem Arbeitslohn; 2. dem Wert der verbrauchten Stoffe, abzüglich des Werts etwa entstandener Abfälle; 3. einem Zuschlag zum Arbeitslohn zur Deckung der allgemeinen und etwaiger besonderer Unkosten. Wenngleich diese Berechnungsweise mit der Selbstkostenberechnung der Industrie nicht übereinstimmt, so erlaubten den Instituten ihre Erfahrungen doch, die Preise der Industrie wenigstens ungefähr zu berechnen. Hierzu wurde zu den allgemeinen Unkosten noch ein besonderer Zuschlag von wechselnder Erfahrungsgröße gemacht. Für ganz neue Dinge war allerdings diese Art der Preisfestsetzung sehr unsicher. Nach Kriegsbeginn suchten die Institute zunächst so gut als möglich auf dem bisherigen Wege weiterzugehen, aber die vollkommen anders und unter sich verschieden werdenden Produktionsverhältnisse und die überhandnehmende Arbeitsbelastung der Institute verwiesen die Preisprüfung bald an die höheren Behörden, besonders die Feldzeugmeisterei. Woher rührte die Verschiedenheit der Erzeugungsverhältnisse in der Industrie? Recht anschaulich hat dies der stellvertretende Kriegsminister v.  Wandel am 20. Dezember 1915 im Reichstage erklärt mit den Worten: „Der eine verdient an derselben Ware und zu demselben Preise erheblich mehr als der andere, weil er geschickter zu operieren versteht. Er hat seine Fabrik straffer im Zuge, hat sich mit Rohmaterial rechtzeitig und zu billigen Preisen eingedeckt. Seine Arbeitsbeschaffung macht ihm keine Schwierigkeiten, er hat kein Unglück durch Versagen von Maschinen u. dgl.“

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 Industrie und Handwerk im Kriege

Besonders wichtig ist die Tätigkeit der Werkstattingenieure, Meister und Vorarbeiter, namentlich bei ungelernten Arbeitskräften. So kam es, daß die Arbeitslöhne im allgemeinen nicht so verschieden waren wie der Verbrauch an Werkzeugen, und zwar sowohl an Preßwerkzeugen, wie vor allem an Schnittwerkzeugen zum Bearbeiten der Granaten. Von dem hierzu nötigen Schnellschnittstahl brauchten z. B. die Firmen auf eine 10 cm-I-F-H-Granate für bis zu 180 Pf., während 50 bis 60 Pf. ein guter Durchschnitt und 30 Pf. der Mindestbetrag waren. a) Ermittlung der Selbstkosten. Schon im Frieden ist die Ermittlung der auf den einzelnen Gegenstand entfallenden Selbstkosten keine einfache Sache, namentlich bei großen vielseitigen Werken und bezüglich der in §  53 unter Nr. 5 bis 6 genannten Aufwendungen. Bei diesem ist nur eine den wirklichen Verhältnissen angenäherte, also mehr oder weniger willkürliche Verteilung auf das einzelne Erzeugnis oder Stück — nach einem sog. „Selbstkostenschlüssel“ — möglich, von dem man in einzelnen Fällen ohne weiteres zugunsten einer vernünftigeren Abwägung abweichen muß. Materialaufwand, reiner Arbeitsaufwand, Spezialunkosten und direkte Betriebskosten ergeben den „Werkstattwert“. Dazu kommt der Allgemeinzuschlag in Prozenten des Werkstattwerts. Die Summe ergibt die „Stückselbstkosten“. Schlägt man hierzu Risikoprämie, Unternehmerlohn und Gewinnrate, so erhält man den „Verkaufspreis“. Dieser ist aber im Frieden vielfach von vornherein bestimmt durch die Marktlage, kann also zeitweise wenig oder keinen Gewinn enthalten. Daraus geht hervor, daß bei lange dauerndem Krieg die Friedenspreise einer beliebigen Zeit nicht ohne weiteres maßgebend sein können. Aber auch für die Selbstkosten gilt dies. Sie schwanken im Krieg noch mehr als im Frieden, und zwar sowohl in verschiedenen Werken aus bereits genannten Gründen als in einem und demselben Werk zu verschiedenen Zeiten, wegen der wechselnden Fertigungsmenge und je nach der Länge der dauernden Beschäftigung mit Heeresaufträgen, den Abschreibungen und der vorhandenen Sachkenntnis. Deshalb ist auch ihre Bestimmung erschwert. Manche Firmen wandten hierfür ganz veraltete Verfahren an, was meist zur Verminderung ihrer Preise beitrug, sehr viele hatten auch mit der Zeit kein kaufmännisches Personal mehr dafür übrig. Außerdem erschwerten die vielfachen Umstellungen der Betriebe und die anderweitige Verwendung der Werkstätten die Berechnungen, namentlich in großen vielseitigen Werken, wo zum Teil noch die Werte von Nebenerzeugnissen und Abfällen in Rechnung zu stellen sind. Wenn aber immer nur von der Schwerindustrie behauptet worden ist, ihre gemischten Betriebe könnten ihre Selbstkosten nicht ermitteln, so kann man sich gegenüber den sehr sorgfältigen Ermittlungen, die anderwärts stattfinden, des Gedankens nicht erwehren, als werde eben in der Schwerindustrie mehr aus dem Vollen gewirtschaftet als anderwärts. Jedenfalls ist auf dem Gebiet der Selbstkostenberechnung noch sehr viel zu tun17. Es kommt aber noch etwas anderes hinzu. Auf die Frage, ob die beregte [sic] Unmöglichkeit eine tatsächliche sei, erwiderte der Generaldirektor eines großen 17 Vergleiche Monatsblatt des Berliner Bezirksvereins deutscher Ingenieure vom 31. Juli 1918.

Preisfragen 

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Werks: „Sie können es wohl, aber sie wollen es nicht. Uns geht es ebenso. Wir wollen nicht unsere Karten aufdecken. Wer weiß, wem unsere Mitteilungen, Fabrikationsgeheimnisse usw. weitergegeben werden können; evtl. nicht nur den heimatlichen, sondern auch der ausländischen Konkurrenz. Wir fürchten die Folgen für die Zeit nach dem Kriege.“ Unter den besprochenen Umständen war es natürlich für die Heeresbehörden äußerst schwer, Kalkulationsunterlagen zu bekommen, vor allem im Anfang die Granatstahlpreise zu erfahren. Aber einige Firmen, z. B. die ArdeltwerkeEberswalde erkannten die Notwendigkeit der Mitteilung, und damit war der Bann gebrochen. Ebenso teilte später die A. E. G. die Kosten ihrer Stahlhülsenfertigung mit. b) Berücksichtigung des Umsatzes. Die Industrie verlangt mit allem Recht eine gute Verzinsung des gesamten in einem Unternehmen arbeitenden Kapitals (eigene plus fremde Mittel), nicht nur des Aktienkapitals. Auf der andern Seite fand man aber wenig Gegenliebe, wenn man betonte, daß im Kriege mit der Festlegung der gewünschten Gesamtverzinsung eigentlich auch der auf das Stück entfallende Gewinnzuschlag gegeben sei, daß also hierbei der Umsatz berücksichtigt werden müsse. Der Widerspruch, der in diesen beiden industriellen Forderungen liegt, wird ja nun im Frieden durch den Wettbewerb in maßvolleren Bahnen gehalten. Im Krieg aber blieb dem Staat schließlich nichts mehr übrig, als einzugreifen. Wie groß der Umsatz im Krieg werden konnte, beweist der folgende Satz aus dem Geschäftsbericht 1914/15 der Hannoverschen Maschinenbau-A.-G.: „Dieses befriedigende Ergebnis unseres Abschlusses wird lediglich dadurch bewirkt, daß wir bei Betriebsmitteln von rund 18 Mill. Mark nur ein Aktienkapital von 8 Mill. Mark zu verzinsen haben und dieses Aktienkapital im laufenden Jahre 4,5mal umsetzen“. Der Verursacher solchen Umsatzes, der auch die Generalunkosten vermindert, ist im Krieg lediglich die Gesamtheit des Volkes. Der Staat hat also das unbedingte Recht, einen Teil des durch seine Maßnahmen ermöglichten Verdienstes an sich zu nehmen, entweder indem er die Stückpreise niedriger bezahlt oder den Gewinn hoch versteuert. Am besten wird er beide Mittel anwenden. Selbstverständlich dürfen die Abzüge nicht so groß sein, daß sie den Anreiz zur Erhöhung der technischen und wirtschaftlichen Leistung vermindern. Andrerseits drückt sich diese Leistung aber auch nicht im Umsatz allein aus. Auch kann man aus dem Gesamtergebnis eines Werks den auf den Einzelauftrag entfallenden Gewinn nicht berechnen, wenn der Lieferer, wie das auch im Kriege der Fall war, von mehreren Seiten Aufträge erhält. Immerhin ist der Fall mehrfach vorgekommen, daß ein Werk fast einzig und allein für eine Beschaffungsbehörde arbeitete. In diesem Fall kann man sich durch die Berechnung ein wenigstens ungefährliches Bild von den aufs Stück zu gewährenden Gewinnzuschlägen machen.

182 

 Industrie und Handwerk im Kriege

Eine allgemeine Entwicklung ergibt folgendes Ergebnis: Es sei in einem Unternehmen K = das Aktienkapital (eingezahlt). W = m K = das gesamte werbende Kapital a = der Gestehungswert pro Stück. n = die jährlich gefertigte Stückzahl eines Erzeugnisses, also Σ (a n) = der jährliche Gestehungswert aller Erzeugnisse. x = der mittlere oder gleichbleibend gedachte Gewinnzuschlag zum Stück in Prozenten des Gestehungswerts. Dann ist zunächst der absolute Gewinnzuschlag pro Stück a x : 100 und dessen Verkaufspreis: a+

ax a = (100 + x) 100 100

Der Gesamtverkaufspreis für alle Stücke einer Art ist V=



100 + x an (1) 100

Daraus kommt für alle Stücke jeder Art

Σ V=

100+x (1a) Σ(an) 100

Damit wird der Gewinn an jedem einzelnen Erzeugnis

 100+x  x G=  -1  (2) ·na= an 100  100 

Beziehungsweise im ganzen

ΣG=

x (2.a) Σ(an) 100

Die Verzinsung des gesamten arbeitenden Kapitals ist:

z=100

ΣG xΣ(an) xΣ(an) = (3) = % mK W

mK

Ist besonders m = 1, so kommt

z'=100

ΣG x Σ(an) = % K K

Als prozentualer Gewinnzuschlag pro Stück ergibt sich aus (3)

x=

mKz Wz (4) = Σ(an) Σ(an)

Die Häufigkeit des Umsatzes ist mit 1 a

u=

Σ V 100+x Σ(an) = (5) · K 100 K

Mit dem Wert Σ (a n) aus Gleichung (5) kommt aus Gleichung 2 a

Preisfragen 

ΣG=



uK x x ·100· = uK 100 100+x 100+x

 183

(6)

Damit folgt aus (3) als Verzinsung des ganzen werbenden Kapitals: 100·x u z'= (7) · 100+x m



bzw. als hierzu nötiger Gewinnzuschlag pro Stück 100mz x= (8) 100u-mz



wobei m das Verhältnis des gesamten werbenden Kapitals zum Aktienkapital, z die Verzinsung des gesamten werbenden Kapitals und u die jährliche Umsatzhäufigkeit des Aktienkapitals bedeuten. Eine Firma mit Kap i t a lve r wä s s e r u ng könnte allerdings den durch diese Formel ausgedrückten Zuschlag nicht beanspruchen. B eispiel 1: Bei zwei Firmen sei u1 = 1, u2 = 3; m1 = 1, m2 = 2 und es sollte sein: z1 = z2 = 10, dann gibt Gleichung (8)

x1 =

1000 =11,11% 90



x2 =

2000 =7,14% 80

als die für die zehnprozentige Verzinsung des gesamten werbenden Kapitals den beiden Firmen zu gewährenden prozentualen Gewinnzuschläge am Stück. Zur Probe muß Gleichung (8) mit den Werten x1 u1 m1 und x2 u2 m2 befriedigt sein. B eispiel 2: Eine und dieselbe Firma erhalte zu wiederholten Malen Aufträge. In derselben Zeit sollen sich aber Umsatz und arbeitendes Kapital geändert haben. Welchen prozentualen Selbstkostenzuschlag wird die Firma fordern, um sich dieselbe prozentuale Verzinsung ihres werbenden Kapitals zu sichern, wie früher? Es sei:

Umsatzhäufigkeit Der Quotient aus werbendem Kapital durch Aktienkapital Gewinnzuschlag pro Stück

früher

jetzt

u1 = 1

u2 = 5

m1 = 1 x1 = 15%

m2 = 2 x2 = ?

Nach der Aufgabe ist z1 = z2, und damit gibt Gleichung (7)

100x 1 u 1 100x 2 u 2 · = (9) · 100+x 1 m1 100+x 2 m2

woraus 100m2 u 1 x 1 =100m1 u 2 x 2 -m2 u 1 x 1 x 2



184 

 Industrie und Handwerk im Kriege

und x2 =



100m2 u 1 x 1

100m1u 2 +m1u 2 x 1 -m2 u 1 x 1

Mit u1 = 1; m1 = 1; x1 = 15; u2 = 5 m2 = 2 kommt



x2 =

3000 3000 = =5,50458=5,5% 500+75-30 545

Zur Probe gibt Gleichung (7) mit u1 = 1 und m1 = 1:

x 1 =15

z1 =

1500 =13,043% 115

mit u2 = 5 und m2 = 2

z2 =

550,458·5 105,505·2

=13,043%

Zwingt auch die Wirklichkeit zu manchen die Anwendbarkeit der Rechnungsergebnisse beeinflussenden Erwägungen, so bleibt diesen doch der Wert einer Klärung über die Größe der Gewinnzuschläge. c) Weitere Vorschläge und Verfahren. Um auch den ungünstiger arbeitenden Werken, die man doch nicht entbehren konnte, einen Verdienst zu ermöglichen, wurde mehrfach der Vorschlag gemacht, den Preis zu berechnen aus „Selbstkosten plus so und soviel Prozent Zuschlag“. Dieser Vorschlag war unhaltbar, denn abgesehen von der Schwierigkeit, die Selbstkosten zu ermitteln, bietet er gar keinen Anreiz zu technisch-wirtschaftlicher Rationalisierung der Betriebe. Die billig Erzeugenden haben nichts für ihre besonderen Leistungen; je höher die Selbstkosten, desto größer wird ja der Verdienst. Die Kriegsausgaben wären also gestiegen, statt zu fallen. Wertvoller sind die beiden nächsten Vorschläge. Der erste stammt von einem „führenden Großindustriellen“. Dieser hält es für äußerst gefährlich, die Preise nach den ungünstiger arbeitenden Werken zu bemessen und schlägt folgenden Weg vor: „Man müßte die Preise nur so hoch setzen, wie sie für die im großen Ganzen günstig und rationell arbeitenden Betriebe, als die erheblich größere Mehrzahl, notwendig ist. Wenn ihre Produktion in der Menge dann unter den heutigen Verhältnissen nicht völlig genügt, dann stellt es sich für die Gesamtheit viel günstiger, den verhältnismäßig wenigen Betrieben, die aus irgendwelchen Gründen ungünstig arbeiten, Hilfe zukommen zu lassen, damit sie ihre Erzeugung voll aufrechterhalten können. Der Staat als größter Käufer aller Erzeugnisse hat von den dadurch verbilligten Preisen ungleich mehr Nutzen, als diese Hilfe kostet. Dieser Ausweg ist lange nicht so bequem, wie das so einfache Anziehen der Preisschraube, erspart aber dem Reiche und den Verbrauchern viele Millionen, vielleicht Milliarden. Wie man es macht, muß in jedem einzelnen Gewerbe besonders überlegt werden. Ich glaube daß das Problem nicht leicht, aber in den meisten Fällen mehr oder minder vollkommen lösbar ist. Zum Beispiel könnte ein Betrieb, den der Besitzer bei Feststellung gewisser Preise für eigene Rechnung nicht fortführen will (und er müßte verpflichtet sein, es rechtzeitig zu erklären, wenn er ihn nicht fortführen will) für

Preisfragen 

 185

Rechnung der Gesamtheit von ihm weiter betrieben werden. Dann muß er sich aber mit einem bestimmten bescheidenen Gewinn in seiner Eigenschaft als Betriebsleiter und mit einer noch bescheideneren Verzinsung seiner Anlage, die durch das Eingreifen des Staates erst zur Verwendung kommt, begnügen. Daneben wären Maßregeln notwendig, um zu prüfen, ob diese Betriebe für Rechnung des Staates so rationell, wie es möglich ist, geführt werden, wozu der Vergleich mit besser rentierenden Betrieben die Handhabe bietet. In anderen Fällen werden direkte Zuschüsse für gewisse Klassen von Betrieben möglich sein. Voraussetzung ist, daß der Teil der Betriebe, der so am Leben erhalten wird, einen verhältnismäßig geringen Anteil an der Erzeugung hat.“ (Berliner Tageblatt Nr. 660 vom 27. Dezember 1916.)

Ein anderer Vorschlag lautete: „Es werden zunächst einmal entweder für alle Werke gemeinsame Einheits- oder Richtpreise wie bisher festgesetzt und auch ganz oder zu einem bestimmten Teile bezahlt, oder es werden auf Grund von Vorkalkulationen abgestufte Einheitspreise für bestimmte unter ähnlichen wirtschaftlichen und technischen Bedingungen arbeitende Werksgruppen festgesetzt und die Bezahlung danach gerichtet. Am Schluß jedes Bilanzjahres oder jeder Abrechnungsperiode müssen aber von den Werken statistische Nachweise über die durchschnittliche Höhe der Selbstkosten und des Umsatzes während dieser Periode beigebracht werden, die am besten in Gemeinschaft mit einem sachverständigen, dauernd dem Unternehmen beigegebenen Vertrauensmann der auftraggebenden Behörde aufgestellt werden. Nach diesen Sätzen werden nun die Differenzen, die sich zugunsten oder zuungunsten des Staates ergeben werden, an diesen oder von diesem herausgezahlt. Die für die abgelaufene Lieferungsperiode so festgestellten statistischen Daten können für die nächste Periode als Vorkalkulation benutzt werden, so daß hierdurch wesentliche Arbeit gespart und in jeder Periode — abgesehen von der ersten — nur eine einmalige Kalkulation notwendig ist.“ (Berliner Tageblatt Nr. 148 vom 21. März 1918.)

Der erste Vorschlag tritt also für eine teilweise Militarisierung der Betriebe ein, wie sie in England bestand. Vielleicht wäre sie um jene Zeit noch durchführbar gewesen. Der zweite Vorschlag schlägt etwas Ähnliches wie die tatsächlich angewandten Verrechnungspreise vor und entspricht ebenfalls einigermaßen dem in England vielfach geübten Verfahren. Ein nicht unbedenklicher Notbehelf war das folgende Verfahren. Bestimmte Firmen, bei denen die Selbstkosten schwer zu errechnen waren (z. B. Flugzeugbau, Wickeln von Motoren), schlossen mit den militärischen Einkaufsbehörden Verträge ab, wonach sie bei Erhöhung der Löhne einen gleich hohen Zuschlag auf die Erzeugnisse aufzuschlagen berechtigt waren. Dadurch kamen die betreffenden Firmen in Vorteil: je höher die Löhne, desto größer war auch ihr Gewinn. Die Folge war sprunghaftes Steigen der Löhne in diesen Industrien, Unzufriedenheit bei andern. d) Das schließlich angewandte Verfahren. Trotz aller Schwierigkeiten sah sich die Heeresverwaltung im Hinblick auf die großen Industrieverdienste und durch die dadurch erregte Unzufriedenheit genötigt, die Preisprüfung bis ins einzelne auszubilden. Das in England vielfach geübte Verfahren, durch Nachkalkulation der Ergebnisse eines Betriebsjahrs für die Gesamtarbeit eines Unternehmers einen Gesamtgewinn festzusetzen, die auch dort nicht ohne Mißstände verlief, wurde bei uns — im Jahr

186 

 Industrie und Handwerk im Kriege

1918 — nicht mehr für durchführbar gehalten. Man blieb deshalb bei der Preisfestsetzung für den Einzelauftrag. Einheitspreise für alle Hersteller festzustellen, wurde dabei, soweit irgend möglich, vermieden. Wo sie unerläßlich waren, wie im Anfang bei der Granatbearbeitung, legte man mittlere Preise zugrunde, um die weniger wirtschaftlich arbeitenden Werke nicht zu schädigen. Aber auch dieses Verfahren brachte wenig Vorteil, es wäre besser gewesen, freie Angebote maßvoll gegeneinander auszuspielen. Gruppenpreise bildeten in manchen Fällen einen zweckmäßigen Ersatz der Einheitspreise. Die Entwicklung aber führte mehr und mehr zu den Individualpreisen. Bei besonders dringlichen Bestellungen konnte ein vorläufiger, auf 15—20% unter dem zu erwartenden liegender Verrechnungspreis festgesetzt und der endgültige Preis nach Eintritt laufender Fertigung ermittelt werden. Die Errechnung des Preises geschah im Wumba schließlich nach folgenden Gesichtspunkten 18 : In Übereinstimmung mit der Auslegung der Kriegsverordnungen und des Reichsgerichts wurde der Preis in zwei Bestandteile zerlegt, in Selbstkosten und Gewinn. Die Selbstkosten wurden in der Weise festgestellt, daß die Materialkosten einschließlich des normalen Ausschusses und die produktiven Löhne errechnet wurden und dann auf die Summe der produktiven Löhne ein prozentualer Zuschlag zur Deckung der Betriebs- und Generalunkosten gewährt wurde. Dieser Zuschlag wurde je nach dem Arbeitsanteil, nach der Höhe des Kraftverbrauchs usw. verschieden festgesetzt und schwankte zwischen 30% und 600%. Auf die so errechneten Selbstkosten wurde dann ein prozentualer Gewinnzuschlag gegeben, der Unternehmerlohn, Zinsen und Risikoprämien umfaßte. Die Zinsen wurden nicht in die Selbstkosten eingerechnet und zwar, weil sonst die Unternehmer umso günstiger im Gewinn gestellt worden wären, je höhere Selbstkosten sie hatten. Ebensowenig wie bei den Unkostenzuschlägen gab es beim Gewinnzuschlag einen Einheitssatz, im Durchschnitt schwankten die Sätze zwischen 5 und 25%, und zwar je nach dem Arbeitsanteil, der im Fertigerzeugnis lag, je nach dem Umsatz und je nach der Höhe der Selbstkosten. Bei steigenden Selbstkosten wurde bei späteren Anträgen nicht der gleiche Unkosten- und Gewinnsatz aufgeschlagen, sondern auch hier geprüft, ob die Betriebskosten im gleichen Verhältnis wie die Löhne gestiegen waren und ob sich auf die gestiegenen Gesamtselbstkosten derselbe Gewinnzuschlag rechtfertigen ließ oder nicht. Die Selbstkosten und Gewinnzuschläge wurden abgesehen von den sog. Einheitspreisen individuell berechnet, je nach den besonderen Verhältnissen eines Betriebes oder wenigstens einer Betriebsgruppe. Die Jahresergebnisse der Werke hat das Wumba nicht zur Grundlage von Preisänderungen gemacht. Denn das Wumba arbeitete vorwiegend mit Unternehmungen, deren Jahresergebnisse sich aus einer Kombination von Aufträgen von verschiedenen Bestellern — Heeres- und Zivilbehörden und Privatkreise — und auf 18 Vortrag von Dr. Meyer (Wumba) im Kriegspresseamt.

Preisfragen 

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verschiedene Fabrikate zusammensetzten. Viele Werke erstreckten ihre Erzeugung von Rohstoff, Kohle usw. bis zur verfeinerten Fertigware. Die Aufträge waren teils zu Individual-, teils zu Einheitspreisen erteilt. Da war es technisch unmöglich, aus dem Gesamtergebnis die Höhe des tatsächlichen Gewinnes auf einen einzelnen Auftrag zurückzurechnen und das Gesamtergebnis zur Begründung einer in jedem Fall willkürlichen Preisminderung auf einen Prozentsatz der gesamten Erzeugung zu verwenden. Die Heeresverwaltung konnte nichts anderes tun, als immer wieder die Stückpreise so niedrig wie möglich zu halten, die Einheitspreise möglichst zu beschränken und sie, wo Individualpreise untunlich waren, wenigstens durch Gruppenpreise zu ersetzen. Nur nach drei Richtungen hin war Wumba in der Lage, das Gesamtergebnis zur Grundlage seiner Preispolitik zu machen. Diese drei Anwendungsgebiete waren quantitativ und finanziell nicht unbedeutend. Es handelte sich um: 1. Unternehmungen, die für Wumba ausschließlich oder überwiegend arbeiteten und einige wenige Gegenstände herstellten; 2. die Übernahme von teilweiser Amortisation neuer ungewöhnlich großer Rüstungsneubauten durch den Reichsmilitärfiskus (Hindenburg-Programm); 3. die Frage der Entschädigungen für verkürzte, zurückgezogene oder umgestellte Aufträge. In diesem letzten Fall hat das Wumba der Industrie, und zwar mit Erfolg zugemutet, ihre an sich berechtigten Entschädigungsforderungen in weitestem Umfange auf ihre Gesamtgewinne anzurechnen. Die Heeresverwaltung stellte sich auf den Standpunkt, das Gesamtergebnis — auch wenn es nur teilweise aus Rüstungsarbeit entsprang — zur Deckung entstandener Verluste der Firmen an einem Einzelauftrag mit heranzuziehen. Nur in ganz verschwindend wenigen besonders gelagerten Ausnahmefällen wurde eine Entschädigung für entgangenen Gewinn gewährt. Zum Schluß teile ich als Beispiel einer nichtpreußischen Beschaffung für das Wumba im folgenden das in Württemberg geübte Verfahren mit. Wumba teilte den in Württemberg zu deckenden Bedarf und entweder Richtpreise, Höchstpreise oder festgesetzte Einheitspreise dem Württembergischen Heeresbeschaffungsamt mit, unter gleichzeitiger Zusendung von Zeichnungen usw. Einheitspreise waren nur in seltenen Fällen festgesetzt. Das Württembergische Amt führte ein beschränktes Verdingungsverfahren durch. Bestanden Richt- oder Höchstpreise, so wurden diese, falls sie nicht ausdrücklich als vertraulich bezeichnet waren, in den Ausschreiben den Württembergischen Lieferern bekanntgegeben, mit der Aufforderung, Angebote bis zu einem bestimmten Zeitpunkte einzureichen. Waren vom Wumba Einheitspreise genannt, von denen vorausgesetzt werden konnte, daß sie durch die dortige Preisprüfungsstelle festgelegt waren, so wurden diese den württembergischen Lieferern bekanntgegeben. Über das Ergebnis der Verdingung wurde unter Vorlage der Angebote der württembergischen Verteilungsstelle mündlich Bericht erstattet. Die Vertei-

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lungsstelle machte den Verteilungsvorschlag. Bei der Vergebung wurden die billigsten Angebote berücksichtigt, sofern diese für eine gute und fristgemäße Ausführung Gewähr leisteten. Gingen trotz der Bekanntgabe von Einheitspreisen Angebote ein, so wurden diese in erster Linie berücksichtigt. Im übrigen wurde die Verteilung der Aufträge bei gleichen oder annähernd gleichen Preisforderungen nach dem Arbeitsbedürfnis, der Leistungsfähigkeit und der Bedeutung der Betriebe vorgeschlagen.

§ 56 Beispiele von Preisen Es ist bei der Mehrzahl der Kriegsbedürfnisse schwer oder unmöglich, einwandfrei vergleichbare Preisangaben zu machen, und zwar aus folgenden Gründen: 1. Die Herstellungsart veränderte sich vielfach. So kostete ein Gewehr 98 in der Privatindustrie anfangs 65 M, bei der Firma Kornbusch  M, bei Zusammensetzung aus an verschiedenen Stellen gefertigten Teilen anfangs 75—80 M. 2. Die Herstellungsmaterialien mußten infolge der zunehmenden Rohstoffknappheit vielfach gewechselt, z. B. Stahlhülsen statt Messinghülsen gefertigt werden. 3. Industrielle Zusammenschlüsse beeinflußten die Preise; so trennte sich Sommer 1915 die bisherige Bromkonvention und es entstanden mehrere Interessengruppen. Die Folge war ein Preissturz. Unter diesen stark einschränkenden Vorbehalten sind die in der folgenden Zusammenstellung gegebenen rohen Mittelpreise zu betrachten. Kriegspreise in Mark 1914

1915

1916

1917

1918

Gewehr 98 65 Maschinengewehr 08 1 450 Infanteriemunition 1000 95 Stück Stahlhelme — Rauchschwaches Pulver 562 und Ammonpulver 100 kg Schwarzpulver 100 kg 109 Schwere Minenwerfer 15 700 einschl. Lizenzgebühr Vollständige Feldartillerie- 7 200 eine rohre 96 n. A. Firma Vollständige schwere 13 800 Feldhaubitzenrohre 02

65 1 450

70 1 450

80 1 650

105 1 650

115

135

153





16,40

16,15

14,10

652

727

813 bis Juli



130

190

231 bis Juli



1 7000 17 000—19 000 17 000—19 000



6 200—7 300

6 200—7 300

6 200—7 300



13 800

13 800





nur eine Firma

Bei einigen Feldartillerie-Geschossen, deren Konstruktion sich nicht geändert hat, läßt sich die Preisentwicklung seit dem Eingreifen von Wumba R. etwas genauer dar-



Erfahrungen der Rüstungsindustrie im Kriege 

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stellen. Zugrundegelegt war ein Stahlpreis von 260—300 M die Tonne frei Preßwerk. Die folgende Zusammenstellung enthält Zahlen bis Ende 1917. Geschoß

Zeit

LöhneMaterial M

Feldschrapnell 96 gepreßt (ungefüllt)

März–Dez. 16 Jan.–Juli 17 Aug.–Dez. 17 10 cm-Schrapnell 96 Juli–Dez. 16 (ungefüllt) Jan.–Juli 17 Aug.–Dez. 17 21 cm - Granate n. A. Juli–Dez. 16 gepreßt (ungefüllt) Jan.–Juli 17 Aug.–Dez. 17

%

M

%

Unkosten M

%

Gewinn M

Kohlen- Summe steuer % M M

1,80 19 2,55 26,5 4,00 41,5 1,25 13,0 — 1,93 16 3,29 28 5,04 43 1,54 13 — 1,93 — 3,29 — 5,04 — 1,54 — 0,07 3,25 16,5 6,10 31 7,80 39,5 2,55 13 — 3,13 15 6,75 32 8,67 40 2,80 13 — 3,13 — 6,75 — 8,67 — 2,80 — 0,19 13,70 13 49,50 43,5 37,30 33 12,90 11,5 — 14,25 11 52,00 40,5 45,95 35,5 16,60 13 — 14,25 — 52,00 — 45,95 — 16,60 — 1,97

9,60 11,80 11,87 19,50 21,35 21,54 113,00 126,80 128,77

Kapitel 16 Erfahrungen der Rüstungsindustrie im Kriege § 57 Einleitung Will man über die Art der Geschäftsabwicklung zwischen Beschaffungsbehörden und Rüstungsindustrie zu einem richtigen Urteil gelangen, so darf man sich nicht damit begnügen, nur die Erfahrungen der Behörden zu registrieren, sondern muß unbedingt auch die Industrie hören. Nicht als ob jede ihrer Klagen auf die Goldwage zu legen wäre, aber wo sich Klagen über eine bestimmte Erscheinung häufen, da liegt die Wahrscheinlichkeit eines typischen Falles vor, und die Prüfung der Klagen wird historische und praktische Pflicht. Auch wird es nötig, daß man alle begangenen Fehler kennt, gleichgültig, wann sie während des Krieges gemacht wurden. Allerdings ist es dabei notwendig, sich klar zu sein über die Verschiedenheiten in der Individualität des einzelnen Industriellen, sowohl hinsichtlich der kaufmännischen Begabung und Leistungsfähigkeit, wie der geistigen Veranlagung und Verfassung. Der eine Industrielle ist vielleicht ängstlicher im Versprechen ungewöhnlicher Leistungen, ist aber andererseits vielleicht zuverlässiger in ihrer Einhaltung. Er kann den mit ihm arbeitenden Behörden ein brauchbarer, wertvoller Berater sein. Der wagemutigere Industrielle denkt dagegen vielleicht weniger an die technischen Schwierigkeiten der Auftragserfüllung als an den ihm winkenden Gewinn. Er verspricht unter bestimmten Voraussetzungen, indem er bestimmt glaubt, sein Versprechen halten zu können, denkt aber vielleicht auch einmal, wenn er die Fristen nicht einhalten

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könne, dann sei dies einem anderen auch nicht möglich und da sei es schon besser, er bekomme den Auftrag und den Gewinn als ein anderer. Der eine Industrielle ist hervorragender Organisator, stellt seinen Betrieb rasch und zweckmäßig auf Kriegslieferungen um, zieht ungeahnte Leistungen heraus und hat entsprechenden Gewinn, während der andere mit denselben ursprünglichen Einrichtungen sich nicht so rasch zu entschließen vermag, die richtigen Verbindungen bei den Behörden erst spät findet, dazu vielleicht Unglück in der technischen Herstellung hat, mit Verlust arbeitet und die Behörden sitzen läßt. Diese beiden Seiten des Industriellen kommen natürlich in allen denkbaren Übergängen vor. Sie werden nach der einen oder andern Seite noch verstärkt oder abgeschwächt durch andere persönliche Eigenschaften. Der eine Industrielle ist ängstlich gegenüber behördlichen Anordnungen, der andere nicht. Dieser letztere wird z. B. Umstellungsmaßnahmen, die während einer Fertigung kommen, nur sehr allmählich und ruhig durchführen, während der erstere durch plötzliches Befolgen seinen Betrieb in Unruhe bringt und dessen Leistungsfähigkeit gefährdet. Sodann wird auch die Behandlung des Industriellen seitens der Behörden eine verschiedene sein. Bei nicht vollkommen sachverständigen Behörden wird der aufrechte, die Dinge klar beim Namen nennende Industrielle weniger erreichen, als der immer wiederkommende bittende und bettelnde Kriecher. Dieser Unterschied ist den Industriellen während des Krieges sehr wohl zum Bewußtsein gekommen. Zur Beschaffung der für das Folgende dienenden Unterlagen hat in erster Linie der Verein Deutscher Maschinenbauanstalten bereitwilligst die Durchsicht seiner Korrespondenz mit der Privatindustrie gestattet. Die darin enthaltenen Äußerungen sind natürlich vielfach nicht mehr als der — oft recht temperamentvolle — Ausdruck augenblicklicher Stimmungen. Dafür wurde aber auch nur das Typische berücksichtigt. Nur solche Mitteilungen wurden benützt, die von allgemein geachteten Firmen stammten. Des weiteren hat der Verfasser auf einigen durch ganz Deutschland ausgedehnten Studienreisen eine Anzahl großer, mittlerer und kleiner Firmen besucht und bestimmte Fragen — und zwar stets dieselben — mit ihnen besprochen. Auf diese Weise gaben sich die Leiter offener und freier als es bei der schriftlichen — meist als Belästigung empfundenen — Erledigung eines Fragebogens der Fall gewesen wäre. Andrerseits wußten die Firmen, daß ihnen die Fragen im amtlichen Auftrage gestellt wurden und daß ihr Zweck sei, bei der Klärung der Verhältnisse auch die Industrie zu Worte kommen zu lassen. Die folgenden Zeilen dürften — auch unter den veränderten politischen Verhältnissen – zur Besserung der Zusammenarbeit von Behörden und Industrien beitragen können. Bei der Durchsicht der folgenden empfiehlt es sich auch, die §§   39–44 in Abschnitt V zu beachten.



Erfahrungen der Rüstungsindustrie im Kriege 

 191

§ 58 Die Behördentätigkeit A. Die Fertigungs- und Beschaffungsbehörden des Heeres. Wenn im folgenden auf die Klagen eingegangen wird, welche seitens der Industrie gegen die Tätigkeit der Behörden erhoben wurden, so muß von vornherein im Auge behalten werden, daß ein großer Teil der Schwierigkeiten und der Mißverständnisse, welche nicht nur im Anfang des Krieges auftraten, darauf zurückzuführen sind, daß die Firmen nicht gewohnt waren, mit den Militärbehörden zu arbeiten. Wenn hier von Behörden gesprochen wird, so ist zunächst darauf hinzuweisen, daß Firmen, welche mit Marine- und Heeresbehörden zu tun hatten, einen großen Unterschied zwischen beiden machten. Eine bedeutende derartige Firma erklärte sogar, der Unterschied zwischen beiden sei „wie Tag und Nacht, und zwar in jeder Beziehung“. Bei der Marine hätten nicht so viele Behörden mitzusprechen wie beim Heer. Hier fehle es deshalb auch an Einheitlichkeit. Dazu komme der fortwährende Wechsel der einzelnen Stelleninhaber, während die Marinesachverständigen im Gegensatz dazu lauter alte erfahrene Beamte seien. Die Frage der Sachverständigkeit bei der Heeresverwaltung wurde seitens der Firmen durchweg recht kritisch erörtert. „Es war nicht möglich, dort mit normalen technischen Anschauungen Verständnis zu finden“. Die Zeichnungen waren „überaus unfertig und ungenau“19. Die mangelnde Sachverständigkeit an der entscheidenden militärischen Stelle äußerte sich naturgemäß auch in den der Industrie zur Verfügung gestellten Unterlagen. Es soll nicht geleugnet werden, daß manche Firmen auch gute Erfahrungen gemacht haben. Vielfach wurde angenehm empfunden die Erlaubnis, die staatlichen Fabriken zu besichtigen; einzelnen Mobilmachungsauftragsunterlagen, beispielsweise für Artilleriegeschosse, die in Mappen recht vollkommen angeordnet waren, wird Anerkennung zuteil. Besonders dankbar und anerkennend wird mehrfach die Tätigkeit des Fabrikationsbureaus Spandau erwähnt. Diesen Anerkennungen stehen aber auch eine ganze Reihe von Klagen über die Unterlagen im allgemeinen gegenüber. Es ist ja bekannt, daß dieselben in bezug auf ihre Brauchbarkeit für Massenfertigung anfangs viel zu wünschen übrig gelassen haben. Die zahlreichen an anderer Stelle besprochenen Umstellungen und Änderungen hatten naturgemäß auch Verzögerungen in der Überlassung der nötigen Fabrikationsunterlagen zur Folge. Im Dezember 1915 schreibt beispielsweise eine rheinische Firma, sie habe einen Auftrag von 15 000 Feldgranaten 96 im Monat erhalten, habe aber wegen verzögerter Bekanntgabe der Ausführungsbedingungen den größten Teil des Betriebes zwei Monate stillegen müssen. Bezüglich der Fahrzeuge waren natürlich die eingearbeiteten Firmen in der angenehmsten Lage, da sie ihrer eigenen Sachverständigkeit halber selbst brauchbare Vorschläge machen konnten. Immerhin klagt eine große schlesische Firma mit Recht über die viel zu zahlreichen Typen und die zu komplizierten Materialien, welche 19 Urteil des Direktors einer süddeutschen Weltfirma.

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im Fahrzeugbau Verwendung finden. Die Räder der einzelnen Wagensorten waren nicht austauschbar. Diese Klage kehrt auch sonst wieder. In der Hannoverschen Maschinenbau-A.-G. wurde mitgeteilt, bei den Lokomotiven für die Eisenbahnbrigade sei fast kein normales Stück; infolgedessen habe die Firma im Kriege fast alles selbst herstellen müssen und viel länger zur Ausführung gebraucht, als bei Verwendung normaler Teile.

Im Zusammenhang mit der vorstehenden Frage der Unterlagen steht die Kenntnis der auftraggebenden Behörde bezüglich der Gestehungskosten. Da die Technischen Institute in ihren Betrieben keine Kalkulationsbureaus hatten, so fiel ihnen naturgemäß das Kalkulieren überaus schwer. Der Generaldirektor einer rheinischen Weltfirma berichtete mir, die Berechnungen der Technischen Institute über die Einrichtungskosten zum Pressen von Granaten seien viel zu niedrig gewesen. Glücklicherweise seien aber die Angaben der Technischen Institute über die Selbstkosten der Herstellung von Geschossen um ebensoviel zu hoch gewesen. Nur dadurch sei seine Firma vor den schwersten Verlusten bewahrt geblieben. Wie schon früher erwähnt, fehlte es anfänglich an genauen Werkstattzeichnungen, Toleranzen und Lehren. Durch Zusammenarbeit von Behörden und industriellen Betrieben wurde dieser Mangel indessen abgestellt. Dabei wurde das für die künftige Friedensarbeit günstige Ergebnis erzielt, daß manche Firmen überhaupt erst dazu gebracht wurden, nach Zeichnungen genau und peinlich zu arbeiten. Das Fehlen einer schon im Frieden geschaffenen, für den Kriegsfall geeigneten, leicht ausdehnungsfähigen Organisation der zentralen Beschaffungsbehörden ist natürlich auch von der Industrie störend empfunden worden. Bei der allmählich eintretenden ungeheuren Fülle der Behörden hätte zum mindesten eine Zentralauskunftsstelle geschaffen werden müssen. Wenn während des Krieges auch oft über die zuweit gehende Zentralisierung der Kriegsbehörden geklagt worden ist, so erscheinen mir diese Klagen in solcher Allgemeinheit nicht berechtigt. Schlagwortartig möchte ich hier meine Ansicht dahin formulieren, daß im ganzen Fertigungs- und Beschaffungswesen gehören: die Legislative nach Berlin, die Exekutive in die verschiedenen Industriegebiete. Eine vollständige Dezentralisierung, wie sie Sonderbestrebungen forderten, wäre unmöglich gewesen. Haben doch sogar die Berliner Behörden nach Ansichten, die in der Industrie geäußert wurden, wegen der räumlichen Trennung der Stellen nicht genügend Zusammenhang miteinander gehabt. Nach den Erfahrungen der Industrie würde es jedenfalls vorteilhaft sein, bei aller Verästelung der Organisation eine möglichst übersichtliche Einteilung derselben anzustreben. Der Umfang und die Mannigfaltigkeit des Behördenapparats, sowie die aus dem Frieden überkommene Art der behördlichen Geschäftserledigung haben in vielen Fällen einen schleppenden Geschäftsgang zur Folge gehabt. Zum Schluß sei noch auf die sehr häufigen Klagen hingewiesen, welche sich auf die Last der zahlreichen Meldungen beziehen, die die Firmen erstatten mußten und die ihnen wegen der dazu nötigen Aufstellungen jede Woche tagelange Arbeit



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verursachten. Doch ist zu berücksichtigen, daß die öffentliche Bewirtschaftung, besonders die Beschlagnahme, Verteilung und Verarbeitung der knappen Rohstoffe regelmäßige Meldungen notwendig machte, weil sonst die Behörden den Überblick verloren hätten. Daß die Klagen sich nicht nur auf die Militärbehörden, sondern vereinzelt auch auf die Eisenbahnverwaltung bezogen, sei der Vollständigkeit halber erwähnt. Ein besonderes Kapitel der industriellen Klagen betrifft die Handhabung der Verträge seitens der Behörden. Berechtigte Wünsche beziehen sich darauf, daß mit den beschäftigten Firmen vor Ablauf eines Vertrages rechtzeitig Verhandlungen angeknüpft werden sollten, damit diese die Zeit nach Ablauf des alten Vertrages nicht nutzlos verstreichen lassen müssen, sondern sofort ihre Einrichtungen für die neue Fabrikation vorbereiten können. Noch mehr Schwierigkeiten machten die Verträge selbst, und zwar zunächst die Vertragsabschlüsse wegen der technisch-kaufmännischen Unerfahrenheit einzelner Referenten. Über die Langsamkeit der Preisfestsetzungen und Vertragsabschlüsse wurde noch im Jahre 1916 geklagt. Bitterer sind die Klagen der Industrie über die häufigen, einfach im Verfügungswege durchgesetzten Abänderungen von Verträgen. Die Industrie empfand es als unberechtigt, wenn nach dem Abschluß von Verträgen von Zeit zu Zeit kleinere oder größere Mehrleistungen einfach im Wege der Verfügung von den Firmen verlangt wurden, ohne daß sie irgendeine Vergütung dafür bekamen. „Es erfolgt gar keine Anfrage, ob die Firma zu der Abänderung, die doch eine Änderung der technischen Bedingungen des Vertrages bedeutet, bereit ist. Es wird vielmehr einfach befohlen.“ Die wechselnde Kriegslage und die Anforderungen an bestimmte Geräte und Munitionsarten zwingt bei mangelnden Rohstoffmengen naturgemäß mit der Zeit zu veränderten Dispositionen, die sich in entsprechenden Verfügungen ausdrücken. Aber die Industrie wünschte, „daß neue Verfügungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden und, wenn sie erforderlich sind, vorerst mit der Industrie und deren Vertretern durchgearbeitet werden, sonst ist ein geregelter Betrieb ausgeschlossen und die Gießereien und Bearbeitungswerke hängen ausschließlich von der Auffassung der ihnen zugeteilten Abnahmekommandos ab.“ (Aus dem Schreiben eines großen Hüttenwerks.) Nachträgliche Auftragsreduktionen erschweren naturgemäß den Werken eine geordnete Kalkulation — ebenso wie die anfangs fehlenden Zeichnungen — und schädigen ihre Verdienstmöglichkeit und Arbeitsfreudigkeit. Es lag daher im Interesse der Behörden, die für die Firmen unangenehmen Folgen solcher Auftragseinschränkungen möglichst zu beschränken. Im Sommer 1916 begannen die Behörden mit der Einführung von Demobilmachungsklauseln in die Verträge, wonach im Falle der Demobilisierung oder der völligen oder teilweisen Einstellung der Feindseligkeiten die Behörde von den Verträgen zurücktreten konnte, nur den fertigen Vorrat abnehmen, den Schaden für die Rohma-

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terialien und unfertigen Gegenstände ersetzen, aber auch die Abgabe des Materials zum Einkaufspreis und die Fertigstellung und Lieferung der unfertigen Gegenstände zu Vertragspreisen fordern konnte. Der Lieferer mußte in diesem Falle das Material und Gegenstände kostenlos für die Behörde lagern. Fassen wir die wichtigsten Punkte dieses Abschnitts zusammen, so ergeben sich nachstehende Feststellungen: 1. Der vielfach festgestellte zugunsten der Marine bestehende Unterschied in der Sachverständigkeit der Behörden. 2. Es hat sehr häufig an den für die Fertigung nötigen Unterlagen, Zeichnungen, Kalkulationsgrundlagen, Toleranzen, Lehren usw. gefehlt. 3. Auf zahlreichen Gebieten stand der Massenfertigung die Verwendung zu verschiedener Typen und zu komplizierter Bearbeitung und Materialien entgegen. 4. Der behördliche — schon im Frieden unwirtschaftliche — Geschäftsgang paßte nicht zu den Anforderungen der Kriegswirtschaft. Er hat am schädlichsten gewirkt, wo sich Vorgesetzte sklavisch an ihn hielten, um — gedeckt zu sein. 5. Die den liefernden Firmen aufzuerlegenden Meldungen müssen auf das äußerste Mindestmaß beschränkt und durch Abgabe vorher bearbeiteter Vordrucke so weit möglich vereinfacht werden. 6. Es wäre nötig gewesen, schon im Frieden die Grundsätze und Bedingungen eindeutig festzulegen, unter denen während eines Krieges in Kraft befindliche Verträge seitens der Behörden geändert oder aufgehoben werden dürfen und zwar nicht nur den Firmen zulieb, sondern aus Gründen der Produktionsmengen und des billigsten Einkaufs. 7. An Stellen mit zahlreichen Behörden wären militärische Zentralauskunftsstellen für das Publikum einzurichten gewesen. B. Abrechnungs- und Zahlungswesen. Die hierüber befragten Firmen erhielten ihre Aufträge von Wumba, vom Ingenieurkomitee, den Artilleriewerkstätten, Feuerwerkslaboratorien, den Artillerie- und Fliegerinspektionen sowie von Traindepots. Bei der Bestellung sind zunächst zu unterscheiden die Feldbestellungen und Bestellungen der Heimatbehörden. Die ersteren haben namentlich in den zwei ersten Kriegsjahren einen ungemein großen Umfang gehabt und den Heimatbehörden ihre Aufgabe sehr erschwert. Ganz junge Offiziere, zum Teil ohne irgendwie genügende Sachkenntnis, wurden trotz des allgemeinen Verbots von der Front zum Teil mit Hunderttausenden von Mark nach Deutschland geschickt, um dort einzukaufen. Einzelne Truppenführer kauften auf eigene Faust Dinge, deren Beschaffung die Heimatbehörden vorher abgelehnt hatten. Sie alle verdarben die Preise, entzogen die Waren wichtigeren Zwecken und wurden oft ganz gehörig hereingelegt. Den Firmen konnte man, solange die Heimatbehörden sie nicht voll beschäftigten, nicht zumuten, Käufer von der Front abzuweisen. Allerdings die Bezahlungen der Feldtruppen erfolgten nicht immer so rasch wie ihre Bestellungen, es waren oft Mahnungen nötig, die bei den vielfachen Truppenverschiebungen die Käufer oft nur sehr spät erreichten.



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Über die Art und Weise der Abschlagszahlungen von Heimatbehörden äußerten sich die befragten Firmen im allgemeinen befriedigt. Allerdings waren die Unterschiede sehr groß. Während Artillerie- und Traindepots alle vier Wochen zahlten, dauerte dies bei andern Behörden viel länger. Im übrigen geht das allgemeine Urteil dahin, daß das Abrechnungs- und Zahlungswesen sich nach anfänglicher Schwerfälligkeit gut , zum Teil sehr gut eingespielt habe. C. Abnahmewesen. a) Allgemeines. Aus Früherem ist bekannt, daß eine der größten Schwierigkeiten der ersten Kriegszeit in dem fast völligen Mangel an geeignetem und geschultem Abnahmepersonal bestand. Die Heeresverwaltung besaß im Frieden nur eine geringe Anzahl von Oberfeuerwerkern und Feuerwerkern, die im Kriege bei weitem nicht ausreichten, zumal in der ersten Kriegszeit sogar Abkommandierungen aus Berlin vorkamen. Deshalb war es nötig, eine große Anzahl von Hilfskräften, sowohl von Feuerwerkern als auch von Zivilisten in kürzester Zeit auszubilden und mit zu beschäftigen. Unter diesen Leuten waren natürlich manche, die ihrer Aufgabe nicht gerecht wurden. Dazu kamen große Schwierigkeiten, einwandfreie Lehren in genügender Anzahl zu erhalten. Besonders erschwerend waren oft die verlangten Abnahmegenauigkeiten, z. B., wenn „für Länge, Breite oder Stärke bei Gegenständen oder Teilen aus Metall... über 5 bis 10 mm“ eine höchste Maßabweichung von ± 0,5 mm vorgeschrieben war! Mit der Zeit gelang es aber der Heeresverwaltung zum Teil auf Grund von Beratungen mit dem Verein deutscher Maschinenbauanstalten20 und dem Verein deutscher Eisenhüttenleute die anfangs teilweise recht unschönen Zustände zu beseitigen und allmählich, wenn auch unter großen Anstrengungen, einen Stamm geschulter Abnahmeoffiziere und Mannschaften zu schaffen und die ganze Abnahmeangelegenheit in solche Bahnen zu lenken, daß sie im großen und ganzen zweifellos befriedigend gearbeitet hat. b) Das Abnahmepersonal. Es bedarf keines Beweises, daß richtige Abnahmetätigkeit hohe Ansprüche an die Arbeitskraft, die Kenntnisse, den Takt und die Unbestechlichkeit, also an die ganze Persönlichkeit des Abnehmenden stellt. Um die Frage der Bestechlichkeit von vornherein zu erledigen, muß gesagt werden, daß namentlich für das Unterpersonal infolge der gegenüber den verteuerten Lebenskosten sehr geringen Bezahlung die Versuchung, Geschenke anzunehmen, sehr stark war. Die an Ort und Stelle entscheidenden Beamten dürfen nicht zu jung und müssen von solchem Bildungsgrad sein, daß sie sich in ihrer Tätigkeit nicht von Launen leiten lassen. Andrerseits entsteht leicht eine gereizte Stimmung zwischen Abnahmebeamten und Firma, wenn die ersteren es nicht verstehen, die oft recht empfindlichen und verwöhnten Meister richtig zu behandeln. 20 Von ihm stammt eine diesbezügliche Denkschrift aus dem Jahre 1917.

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Bei aller Sorgfalt, ja Strenge der Abnahme darf sie doch nicht kleinlich und eigensinnig gehandhabt werden. Es handelt sich nicht darum, möglichst viele Fehler zu finden, sondern die Front zu versorgen. Hierüber wurde nicht selten geklagt. Die Ursache dürfte oft in mangelnder, durch Buchstabengenauigkeit der Abnehmenden ersetzter Sachkunde gelegen haben. Durch solche Art der Abnahme werden die Firmen verärgert und unlustig, weitere Aufträge zu übernehmen. Übermäßige Schärfe bei der Abnahme hatte sogar zur Folge, daß um Weihnachten 1914/15, als Mangel eintrat, früher bereits ausgeschiedene Stücke wieder abgenommen werden mußten. Gute Firmen haben schon ihrem eigenen Personal gegenüber an laxer Abnahme gar kein Interesse. Man wird auch sagen dürfen, daß die überwiegende Mehrheit der deutschen Firmen — bedenkliche Ausnahmen waren (auch bei sehr namhaften Firmen) da — es weit von sich gewiesen haben, sich durch schlechte Lieferungen auf Kosten unserer Schlagfertigkeit zu bereichern. c) Kenntnisse des Abnahmepersonals. Die Abnahmen geschahen nach gedruckten Bestimmungen der Feldzeugmeisterei bzw. der Geschoßfabriken, die ganz eingehende Beschreibungen der Art und Größe der noch zulässigen Fehler enthalten. Wenn man auch zugibt, daß die Abnahmebeamten in ihrer Tätigkeit Übung bekamen, so ist das doch natürlich nicht genügend. Ohne technisches Verständnis wird der gewissenhafte Beamte überpeinlich und klammert sich zu sehr an den Buchstaben seiner Vorschrift. Man kann sich nicht wundern, wenn die von solchen Leuten abgenommenen Granaten nachher von anderer Stelle abgelehnt werden, was mehrfach vorkam. Neben den allgemeinen technischen Kenntnissen sind Kenntnisse des Materials und der Fabrikationsverfahren, sowie genügendes Wissen über die Einzelheiten am Geschoß und deren Bedeutung sowie über die zulässigen Toleranzen und die Benützung der Lehren erforderlich. Nur Leute mit nicht ganz geringen Fachkenntnissen sind dem Abnahmegeschäft gewachsen. Die Fronterfahrung genügt hierzu noch nicht . Über die Arbeitsweise solchen tüchtigen Abnahmepersonals berichten die folgenden Worte einer mitteldeutschen Fabrik aus dem August 1917: „Das bei uns tätige Abnahmekommando der Geschoßfabrik Spandau ist zwar sehr scharf, aber durchaus sachlich, und der Kommandoführer, welcher die Geschoßfabrikation durchaus beherrscht, hat uns in sachdienlicher Weise stets unterstützt.“ — Die Maschinenfabrik Eßlingen sagt zur selben Zeit: „Die Abnahme war scharf aber vernünftig. So entsteht gegenseitiges Vertrauen. Die Firma macht wohl den Abnehmer sogar auf zweifelhafte Stücke aufmerksam.“

d) Wechsel des Personals. „Das Verhältnis zum Abnahmekommando wurde gut, sobald dieses ständig da war und Vertrauen zu unserer Fabrikation gewann“, schreibt eine große norddeutsche Firma. Leider wurde gegen diesen technisch selbstverständlichen Grundsatz sehr oft verstoßen, wie wenn es sich um gewöhnlichen Arbeitsdienst gehandelt hätte. Zu häufiger Wechsel des Personals stört die Raschheit und Zuverlässigkeit nicht nur der Kontrolle, sondern auch der Fabrikation.



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e) Die Abnahmevorschriften. In der Korrespondenz der Firmen finden sich die Klagen, daß bei den Abnahmekommandos bezüglich der Toleranzen der Mindestgewichte oft Unklarheit herrsche, daß den Kommandos die nötigen Vorschriften mit großer Verspätung zugingen, daß selbst für ein und dieselbe Granate verschiedene Vorschriften vorhanden seien. Andere Klagen behaupten, daß nach Vertragsabschluß geänderte (schärfere) Abnahmebestimmungen erlassen würden. Über mehrfache Abnahmen wird öfters geklagt. Oft wiesen die Füllstellen bereits abgenommene Geschosse zurück. Ein wesentliche Ursache übertriebener Ängstlichkeit in der Abnahme darf wohl erblickt werden in den ständigen Rundschreiben der Behörden, in welchen unter Namensnennung der betreffenden Abnahmebeamten und der Werke vorgefundene Fehler unter entsprechender Kritik bekanntgegeben werden. Dagegen wird allen Abnahmebeamten des Staates immer wieder klar zu machen sein, daß zu große Peinlichkeit in der Abnahme die Massenfabrikation zwecklos schädigt, und daß nicht mehr gefordert werden darf, als der Verwendungszweck der Gegenstände bedingt. f) Rechte der Firmen. Es ist nach dem Vorstehenden nicht zu verwundern, wenn sich gerade tüchtige und gediegene Firmen bisweilen dem Abnahmebeamten rechtlos ausgeliefert fühlten. Man wünschte deshalb Gelegenheit, „sich mit dem Vorgesetzten eines solchen Mannes aussprechen zu können, ohne daß dieser das dann sofort erfährt und die Schikanen nur noch größer werden, in dem er sich an die viel zu papiernen Vorschriften klammert“. Mehrfach liegen Klagen der Firmen vor, daß Abnahmebeamte sogar versucht haben, in der Werkstatt Befehle zu erteilen. Abnahmebeamte wollten sogar den Werkstattingenieuren das Recht bestreiten, den Abnahmeraum überhaupt zu betreten. Weitere Wünsche betreffen das Zertrümmern zurückgewiesener Geschosse. „Aus jeden Fall sollte den unteren ungenügend technisch gebildeten Beamten das Zertrümmern fertiger Geschosse verboten, oder wenigstens verlangt werden, daß sie vorher dem Kommandoführer zur Beurteilung vorgelegt werden.“ Ein großes Werk wünscht, Fabrikanten und Abnahmekommandos sollten von Fz. bzw. der Geschoßfabrik angewiesen werden, „nur im gegenseitigen Einverständnis Geschosse zu verwerfen, und bei Meinungsverschiedenheiten die betreffenden Geschosse den sachverständigen Kontrollbeamten vorzulegen“.

Angesichts der gekennzeichneten Mißstände und der Unsicherheit, in welcher die Firmen schwebten — es sind bei zweiten Untersuchungen seit mehr als 1½  Jahren abgenommene Geschosse verworfen worden — ist der öfters geäußerte Wunsch der Firmen nach Einsetzung sachverständiger neutraler Instanzen berechtigt. Aus vorstehendem ergeben sich die folgenden hauptsächlichsten Feststellungen: 1. Das Abnahmepersonal muß durchweg gut bezahlt sein. 2. Die entscheidenden Abnahmebeamten müssen technisches Verständnis und die nötige allgemeine Bildung besitzen, damit das Zusammenarbeiten mit den Firmen nicht erschwert wird.

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3. Das Abnahmepersonal muß möglichst selten wechseln und sich bei Bedarf gegenseitig aushelfen können. 4. Die Abnahmevorschriften müssen durchaus einheitlich für alle Behörden sein, sie sollen möglichst wenig geändert werden. Änderungen sind rechtzeitig bekannt zu geben und mit ihrer Einführung auf die Fabrikationsverhältnisse der einzelnen Werke Rücksicht zu nehmen. 5. Die Rechte der Abnahmebeamten und der Firmen sind genau festzulegen. In den Werkstätten haben die ersteren keine Befehle zu erteilen.

§ 59 Gewinnung von Aufträgen 1. Gewinnung der ersten Aufträge. Die vor dem Krieg erteilten Mobilmachungsaufträge waren verhältnismäßig nur gering. Man kann sich deshalb vorstellen, wie schwer es den der Heeresverwaltung nicht bekannten Firmen fallen mußte, im Anfang des Krieges Aufträge zu erhalten, zumal, wenn sie nicht in nächster Nähe von Berlin, sondern weit im Süden oder Osten des Reiches ansässig waren. Wenn der Zwischenhandel und das Unterlieferantenwesen eine so große Bedeutung gewonnen haben, so ist dies nicht zum wenigsten dem Umstand zuzuschreiben, daß die Heeresverwaltung die deutsche Industrie und ihre Leistungsfähigkeit nur sehr oberflächlich kannte. Unter diesen Umständen mußten selbst moderne Maschinenfabriken, die einwandfreies Kriegsmaterial liefern konnten und nach Überwindung der ersten Schwierigkeiten auch geliefert haben, erst mancherlei Widerstände beseitigen, bis sie Heeresaufträge erhielten. Firmen, die sich erst umstellen mußten, hatten noch wesentlich größere Schwierigkeiten. Zu den Schwierigkeiten, welche den Firmen die Umstellung an sich schon bot, kam in Deutschland — im Gegensatz zu England — noch der Umstand, daß die Firmen, selbst wenn sie sich mit Maschinen und Werkzeugen auf einen bestimmten Gegenstand eingerichtet hatten, nicht sicher waren, auch Aufträge zu erhalten und sich nicht selten lange Zeit, während deren ihre Anlagen unbenutzt dastanden, vergeblich darum bemühen mußten. Anders in England: Wenn dort eine Firma beabsichtigte, Kriegsgerät herzustellen, so hatte sie nur einen vorgedruckten Fragebogen auszufüllen und erhielt darauf Bescheid, ob und unter welchen Bedingungen sie für eine Auftragserteilung in Frage käme. Dies ergab sich in England zwanglos aus der strafferen staatlichen Organisation der Munitionsproduktion, welche durch die industrielle Not erzwungen und durch die Hilfe Amerikas erleichtert wurde, während man es bei uns leider unterließ, sie rechtzeitig durchzuführen. Aber auch bezüglich der Fertigung selbst war der deutsche Hersteller freier — und wenn man so will hilfloser — gestellt als sein englischer Konkurrent. In Deutschland stand es, schon weil wir keine wirkungsvolle Zentralstelle für technische Heeresangelegenheiten besaßen, jedem frei, wie er seine Fabrikation einrichten wollte. „In England dagegen wurde bei Zusage eines Auftrages vorgeschrieben, wie die Fabrika-



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tion zu geschehen habe. Die verschiedenen Arbeitsgänge waren genau definiert, die Art der Einstellung, die Form und die Qualität des Stahls und die Arbeitsgeschwindigkeit für jede einzelne Operation. Der Fabrikant mußte sich möglichst an die ihm gemachten Angaben halten.“ Auch in Deutschland hat man sich dieser Sachlage — allerdings unter größerer Freiheit für die Hersteller, da wir die „staatlich kontrollierten Fabriken“ nicht kannten — auf dem Wege des Erfahrungsaustauschs genähert und zwar zunächst wohl durch Vermittlung der großen industriellen Fachverbände, später durch den technischen Einfluß des Fabrikationsbureaus Spandau. Eine dritte Erschwerung für die deutschen Maschinenfabrikanten war ihre dauernde Abhängigkeit von den Werkzeugmaschinenfabriken. Die Klagen über deren Terminüberschreitungen waren bitter und viel verbreitet. Bei uns fehlte es an behördlicher Einwirkung auf die Fertigung der Werkzeugmaschinenfabriken21, anders in England. „Die englischen Werkzeugfabrikanten arbeiten nach Anordnung des Munitions-Ministeriums; dieses bestimmt, in welcher Reihenfolge die Maschinen zu liefern sind und wie ihre Ausführung sein muß. Die Werkzeugmaschine wird ebensogut kontrolliert, wie die später damit hergestellte Ware. Der Sachverständige des Munitionsministeriums entscheidet nicht nur, welche Maschinen den neu eingerichteten Kriegsbetrieben zugestellt werden müssen, sondern er gibt sogar die Anordnung der Maschinenserien, die Art ihres Betriebes, Fundamentierung usw. an22“.

2. Umfang der Bestellungen. Der bei den entscheidenden militärischen Stellen herrschende Mangel an technischen und kaufmännischen Kenntnissen, an Vertrautsein mit den Gewohnheiten und der Arbeitsweise der Industrie brachte es mit sich, daß der Umfang der Bestellungen vielfach nicht dem entsprach, was die Industrie verlangen mußte, um sich auf einen neuen Gegenstand einzustellen. Diese Tatsache, die viel beklagt wurde, rührte natürlich, abgesehen von dem angegebenen Grund, auch her von der Angst vor der Ausgabe zu großer Summen, wie sie eine Folge des parlamentarisch kontrollierten Beamtentums ist. Die Fabriken konnten auf diese Weise vielfach nur schwer, bisweilen auch gar nicht in eine richtige Produktion hineinkommen. Die Unkenntnis des industriellen Herstellungsprozesses zeigte sich auch beim Abbestellen: Man stellte die Auslauffristen oft viel zu kurz, weil man nicht wußte, daß der Weg vom Rohmaterial bis zum Fertigfabrikat Monate dauert und daß auch von der Bestellung des Rohmaterials bis zu seiner Lieferung unter Umständen Monate vergehen. Hält man diesen langen Produktionsvorgang auf einmal an, so sind alle Vor- und Zwischenstufen bis unmittelbar an das Endprodukt heran zwecklos tätig gewesen und man hat statt wirtschaftlicher Produktion eine zwecklose Material-, Arbeits-, Zeit- und Geldverschwendung. Gegen diesen Grundsatz ist viel gesündigt worden. 21 Mit Ausnahme der Schleifmaschinen und Kurbeldrehbänke. 22 Die Zitate stammen aus einem Schreiben des Militärattaches der deutschen Gesandtschaft im Haag vom 15. Februar 1917.

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Wir können also zusammenfassend sagen: a) Die einzelnen Staatsaufträge sollten so groß sein und so lange laufen, daß sich die Firmen mit Aussicht auf Erfolg auf die betreffende Fertigung umstellen können. b) Die Auslauffristen von Aufträgen sind so zu bemessen, daß keine Verschwendung in den Produktionsmaterialien eintritt. Die vorstehenden beiden Forderungen sind im stärksten Maße kriegswirtschaftlicher, nicht nur privatwirtschaftlicher Natur. Denn sie haben zum letzten Ziel die Erreichung eines größtmöglichen Wirkungsgrads der nationalen Produktion. 3. Unstetigkeit der Heeresaufträge. Von äußerster Bedeutung für den Wirkungsgrad der gesamten industriellen Leistung ist es, daß die Bestellungen der Heeresverwaltung mit möglichster Stetigkeit erfolgen, damit nicht eine heute erfolgte Bestellung morgen zurückgenommen und übermorgen in erhöhter Auflage wieder aufgenommen wird, wie dies im Weltkrieg immer wieder der Fall gewesen ist. Noch im Herbst 1917 herrschte in der Industrie namentlich angesichts der zahlreichen früheren Aufforderungen der Behörden, aus den Betrieben das Menschenmögliche herauszuholen: „Was Sie mehr liefern, wird Ihnen auch abgenommen“, große Bitterkeit über die Umbestellungen der Beschaffungsbehörden. Der Generaldirektor eines der größten westdeutschen Werke sprach sich dem Verfasser gegenüber im August 1916 eingehend darüber aus: „Umbestellungen sind heute noch an der Tagesordnung. Sie sind der häufigste Grund für die Nichteinhaltung der möglichsten Höchstproduktion. Es sei ein fortwährendes Durcheinander in Berlin, jede Behörde: Wumba, K.R.A., Flieger, Marine habe ihr eigenes Einzelprogramm der industriellen Gesamtleistung. In der Industrie sei keine Freude mehr vorhanden und dazu käme jetzt noch der Kohlenwirrwarr.“ Andere maßgebende Firmen der Rüstungsindustrie sprachen sich ähnlich aus. Die allgemein e Ein sch r än ku ng d er B estellu nge n A n fa ng 1 9 16 t r a f u . a . d i e Fa h r z e ugindustrie s e h r h a r t . Ein großes Werk teilte hierüber folgendes mit: „Im Anfang 1916 sagten alle Behörden, es gäbe keine Aufträge mehr. Die Firmen suchten händeringend nach Arbeit.“ Dieser Rückgang im Jahre 1916 war an sich nicht so schlimm, wie die Angst, daß keine Aufträge mehr kommen würden, und die Unsicherheit, die sich infolgedessen der ganzen Produktion bemächtigte. „Es war eine schwere Zeit.“ Die Firmen gingen in der Not auf viel zu niedrige Preise ein und besonders kleinere Fahrzeugfabriken standen vor dem Bankrott. Später erhöhte die Heeresverwaltung auf Antrag die Preise wieder. Wie ungleichmäßig die Beschäftigung im Fahrzeugbau war, geht auch z. B. daraus hervor, daß eine große süddeutsche Firma fakturierte (in Verhältniszahlen) in der Zeit

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Daß solche Maßnahmen bei der Industrie eine zum Teil sehr scharfe Kritik hervorrufen mußten, ist — namentlich in der erregteren Kriegszeit — nicht verwunderlich. Mehrfach wird auf mögliche Arbeiterunruhen infolge nötig werdender Massenentlassungen hingewiesen. Umbestellungen sind für den Produktionsvorgang um so schädlicher und gefährlicher, je weniger verschiedene Dinge ein von der Umbestellung betroffenes Werk herstellt und je rascher sie vorgenommen werden müssen. Werke mit vielfältiger Produktion können innerhalb der Betriebe eher einen Ausgleich schaffen als stark spezialisierte Werke. Das muß bei Umbestellungen unbedingt berücksichtigt werden. Bezüglich des zweiten Punkts ist zu beachten, daß z. B. selbst die rechtzeitige Fertigstellung einer Uhrfeder letzten Endes davon abhängt, daß Eisenerz und Kohle rechtzeitig und in genügender Menge gefördert werden, aber nicht einen Tag oder eine Woche, sondern Monate früher. Verlangt man also eine Massenfertigung an Heeresgerät, so kann diese erst beginnen, wenn die Produktion aller hierzu nötigen Rohmaterialien und Halbfabrikate bestellt, eingeleitet und auf die nötige Höhe und Güte gebracht ist. Das dauert, wie gesagt nicht Wochen, sondern Monate, unter Umständen bis zu einem Jahr und mehr, je nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Massenfabrikation und den zur Verfügung stehenden Firmen. Die richtige Beurteilung aller dieser Dinge erfordert eine hervorragende Kenntnis, ein Sicheinleben in den ganzen Produktionsvorgang. Ebenso ist es beim Abstoppen von Lieferungen in der Massenfabrikation. Es genügt zur Verminderung wirtschaftlicher Verluste nicht die Abbestellung allein bei dem das Fertigfabrikat liefernden Werk. Auch dieses muß wieder abbestellen und umdisponieren, und dieser Vorgang setzt sich bei Massenfertigungen wieder fort bis zum Erz- und Kohlenbergwerk und braucht Zeit. Denn die Kohlen und das Erz zur Erzeugung des Stahls, der heute bei einem Geschützrohr abgedreht wird, wurden vor Monaten gefördert und die heute unmittelbar vor der telegraphischen Abbestellung geförderten Materialien können nicht nutzlos beiseite gelegt werden. Bei jeder Bestellung, ihrer Steigerung oder Zurückschraubung muß also ein ungeheuer weitverzweigtes Getriebe beschleunigt oder verzögert werden und das braucht Zeit, oder aber es verursacht, wenn es überstürzt wird, schwerwiegende Reibungsverluste in der industriellen Maschinerie. Gerade darüber wurde sehr viel geklagt, daß die Behörden bei ihren Umbestellungen viel zu wenig Rücksicht darauf nahmen, wie lange ein Gegenstand in Fertigung war, so daß, wenn die Fabrikation irgendeines Artikels plötzlich sistiert wurde, manchmal viel Halbfabrikat und Rohmaterial liegen blieb; vor allem aber, daß sich auf längere Zeit eine sehr schlechte Ausnutzung der Arbeitskräfte ergab. Es ist nicht zu verwundern, daß sich die Industrie gegen die betriebsstörenden Folgen wiederholter Umbestellungen zu schützen sucht — und sie kann dies bis zu einem gewissen Grade — allerdings letzten Endes zum Schaden der Behörden. „Plötzliche Umbestellungen sind nicht so schlimm,“ sagte mir ein Fabrikleiter, „wenn man sich nur von der nervös gewordenen Behörde nicht auch nervös machen läßt. Ich

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gebe Umbestellungen nur sehr stark verzögert in meine Betriebe weiter. Die Folge nervöser Umbestellungen seitens der Berliner Behörden ist beim ruhigen Fabrikanten lediglich die, daß er sich nicht viel um die Umbestellungen kümmert. Bei den andern allerdings kommt der ganze Betrieb in Unordnung“. Faßt man das Gesagte zusammen, so ergeben sich nachstehende Folgen der zahlreichen im ganzen Krieg vorgenommenen Umbestellungen: 1. Eine Verschwendung von Rohmaterialien und Halbfabrikaten; 2. ein zeitweises Brachliegen von Arbeitskräften, Maschinen und Arbeitsräumen; 3. eine Verärgerung der Industrie; 4. ein Zurückbleiben hinter der möglichen Qualitätshöhe, weil die (ungelernten!) Arbeiter immer wieder neu angelernt werden müssen; 5. ein starker Rückgang der Leistungen gegenüber dem möglichen Maximum. Alles zusammen führt zu einer Beschränkung der industriellen Wehrkraft — insbesondere dann, wenn die Produktion erst künstlich zurückgehalten, hernach aber aufs äußerste angetrieben wird, wie das im Jahre 1916 und bei der Verkleinerung des sog. Hindenburgprogramms geschah. Will und muß man schon mit Rücksicht auf die militärische Lage, auf Verbesserungen an Konstruktionen, auf Nichtbewährung im Felde, auf Rohstoffmangel — lauter Dinge, die sich nie ganz werden vermeiden lassen — Umbestellungen vornehmen, so sind vor allem die eben aufgeführten Folgen der Umbestellungen zu beachten und Umbestellungen nur unter folgenden Bedingungen vorzunehmen: 1. Bevorstehende Um- oder Abbestellungen sind stets so lange als irgend möglich vorher anzukündigen, damit eine Auslaufzeit vorhanden ist, welche genügt, um Verschwendungen an Rohmaterialien und Halbfabrikaten, sowie Betriebsstörungen und Arbeiterentlassungen zu vermeiden. Die nötige Dauer des Auslaufvorgangs für die einzelnen Gegenstände zu bestimmen, wäre eine wichtige Aufgabe der Mobilmachungsvorbereitungen im Frieden gewesen. 2. Bei zeitweiliger Unterbrechung einzelner Produktionen ist, wenn möglich, den Firmen die mutmaßliche Dauer der Unterbrechung anzugeben; 3. Einschränkungen der Produktion sind erst in letzter Linie bei solchen Werken vorzunehmen, welche nur einen oder nur ganz wenige Gegenstände fertigen; große Werke vermögen eher Umstellungen im Innern auszugleichen. Die allgemeine Untersuchung der in Frage stehenden Verhältnisse führt zu folgenden Erwägungen: Man hat zunächst genau zu unterscheiden: a) die Umstellung von der Friedensarbeit zur Kriegsproduktion, die im Anfang eines modernen Krieges der größte Teil der Industrie naturnotwendig vornehmen muß, und b) die während des Krieges erfolgenden Umstellungen, welche durch die Umbestellungen der Behörden verursacht werden.



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Es wäre eine der Hauptaufgaben der Mobilmachungsvorbereitungen gewesen, beide Umstellungen auf ein Minimum zu reduzieren. Natürlich ist es die wichtige Aufgabe der Heimat und ihrer Behörden, der Truppe stets die kriegsbrauchbarsten Waffen zu liefern. Umbestellungen und die damit verbundenen Verluste an Material und Arbeitsaufwand werden sich also während des Krieges nie ganz vermeiden lassen, zumal die Kriegserfahrungen über alle Friedensversuche hinweg maßgebend bleiben müssen. Man muß sich aber darüber klar sein, daß nachträgliche Umbestellungen unter allen Umständen die Gesamtproduktion schädigen. Diese aber auf größtmöglicher Höhe zu halten, ist eine ebenso wichtige Forderung, als die auf Lieferung der besten Waffen. Daher ist selbst im Kriege jede Umänderung und kurzfristige Aufhebung eines einmal erteilten Auftrages nur in denjenigen Fällen entschuldbar, wo ein Gerät mitten in einer Entwicklung steht, die während des Friedens in gar keiner Weise vorausgesehen werden konnte oder wenn, was allerdings im Kriege eine hervorragende Rolle spielte, Rohstoffknappheit eintritt und die Ersatzstoffe Konstruktionsänderungen bedingen. Hat also die Heeresverwaltung an die Konstruktion und Ausbildung des Heeresgeräts nicht schon im Frieden die allerbesten Kräfte gesetzt , so muß sie sich im Kriege auf zahlreiche, aus nachträglichen Änderungen sich ergebende Störungen der Produktion gefaßt machen. Die Beurteilung, was man einer Industrie an Stärke und Schnelligkeit der Umstellung zumuten kann, steht lediglich den Spitzen der Industrie zu. Sie besitzt genügend Männer von größter Tatkraft, die selbst verstehen und gewillt sind, das Äußerste von der Industrie zu verlangen und aus ihr herauszuholen, ohne aus Unkenntnis der industriellen Produktion zum Schaden des Ganzen Unmögliches zu verlangen, welches nachher doch wieder aufgegeben werden muß, wie der Verlauf des Winters 1916/17 gezeigt hat. Das Räderwerk unserer Gesamtwirtschaft ist zu verwickelt , als daß militärische Tatkraft allein genügte, es zu meistern. Zusammenfassend komme ich zu dem Urteil: Die Zurückschraubung der Fertigung von Heeresgerät zu Anfang des Jahres 1916 und ihre äußerste Anspannung im Spätsommer desselben Jahres stellen die schwerste und gefährlichste Belastung dar, welcher die deutsche Industrie im Kriege unterworfen wurde, zumal weder das Abstoppen noch das Wiederanziehen unter genügender Rücksicht auf die Gesetze der industriellen Produktion erfolgten. Nur der ungeheuren Elastizität der deutschen Industrie ist es zu danken, wenn sie hierbei nicht über ihre Grenzen angespannt wurde. 4. Art der Auftragserteilung. Unterlieferer. Bei der anfänglichen Unkenntnis der Behörden über die deutsche Industrie ist es nicht zu verwundern, wenn vielfach Aufträge an unrichtige Firmen vergeben wurden und die Klagen hierüber während des Krieges niemals ganz verstummt sind. So sind Granatlieferungsaufträge noch in späterer Zeit (Juni 1915) an Firmen gegangen, die sie gar nicht selbst bewältigen konnten, z. B. an keramische Fabriken und kleine Bearbeitungswerkstätten. Solche Fabriken waren dann genötigt, zu Unterlieferanten zu greifen und, um nicht selbst zuzusetzen, die Unterlieferanten mit den Preisen aufs äußerste zu drücken.

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Weitere Klagen23 beziehen sich auf die verschiedene Behandlung von kleinen und großen Firmen. Man wünscht, daß die schwierigen Geschosse den dazu besser eingerichteten großen Firmen, die leichter zu bearbeitenden Geschosse den kleineren Werken in Auftrag gegeben werden. Im August 1915 schreibt eine Erfurter Maschinenfabrik über die Zurücksetzung der kleinen und mittleren Firmen: „Waren die kleinen und mittleren Firmen gut genug, die Schwierigkeiten der großen Firmen im Anfang des Krieges beseitigen zu helfen, dann sollten sie jetzt auch nicht einfach beiseite geschoben werden dürfen.“ Krupp vergebe die Bearbeitung nur an solche Firmen, die monatlich mindestens 10 000 F. H.-Geschosse 11 oder 8000 F. H.-Geschosse 05 selbst bearbeiten können. Die kleinen Firmen wollten deshalb eine Arbeitsgemeinschaft bilden, wie dies schon mehrfach geschehen war. Eine der Firmen sollte die Führung übernehmen, so daß Krupp auch nur mit einem Lieferanten zu verhandeln gehabt hätte. Dies sei aber von Krupp abgelehnt worden, da er nichts mit Unterlieferanten zu tun haben wolle.

Ein großes Hemmnis für die volle Erfassung der Industrie waren die sich bei einer und derselben Firma kreuzenden Bestellungen verschiedener Behörden. So schreibt der Verein Deutscher Maschinenbauanstalten im August 1916: „Die Geschoßfabriken suchen wieder dringend Bearbeitungswerkstätten für Walzstahlgeschosse, haben aber sehr wenige Angebote bekommen. Dieser Mangel an Bearbeitungswerkstätten erklärt sich aus den Aufträgen des Ingenieurkomitees auf Minen.“ Die Frage, ob das Unterlieferantenwesen für die Behörde von Vor- und Nachteil sei, kann nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantwortet werden. Im Gegenteil, wenn man annimmt, große tüchtige Firmen würden sich mit Kenntnis der Behörde eine Anzahl von Unterlieferanten halten, sie mit Material versehen und in geeigneter Weise beraten, so könnte dadurch die Tätigkeit einer Beschaffungsbehörde wesentlich entlastet werden und es könnten manche kleinere Firmen mitliefern, die sich gern an eine größere Firma anlehnen möchten. Das ungeregelte Auftreten von Unterlieferern ist eine Folge des Fehlens einer industriellen Mobilmachung gewesen. Die Beschaffungsstellen kannten die Leistungsfähigkeit der Firmen nicht, die Firmen selbst standen neuen Fabrikationsgebieten gegenüber; so erhielten sie vielfach zu große Aufträge und suchten durch massenhaftes und damit zum Teil wahlloses Heranziehen von Unterlieferanten ihren eigenen Mangel zu decken. Die Folgen waren nur zu oft schlechtes Material, schlechte und verspätete Arbeit, Ausfälle in den Mengen, Preisdrückereien der Kleinunternehmer und der gänzliche Mißerfolg zahlreicher Firmen. Einen besonderen Fall stellt die Heranziehung einer großen Anzahl von Unterlieferanten dar, wie sie die Rhei n isch e M etallwaren f abrik-Düsseldorf zur Ausführung ihres Minenwerfers versucht hat. Die Firma ist der Ansicht gewesen, sie hätte bei genügender Unterstützung ihres Verfahrens durch die Behörden außerordentlich wirtschaftlich (auch im Sinne der Behörden) arbeiten können. 23 Vgl. die Ausführungen auf der Hauptversammlung des Vereins deutscher Maschinenfabrikanten vom Jahr 1918, S. 132.



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Es habe sich bei ihr nicht um Heranziehung von Unterlieferanten im übeln Sinne gehandelt, sondern sie habe ihre Unterlieferanten durch Ingenieure, Meister, Revisoren und die Mitteilung ihrer eigenen Erfahrungen überhaupt erst instand gesetzt, Brauchbares zu leisten. Sie sei deswegen keineswegs als Zwischenhändler aufgetreten, denn die anderen Firmen hätten von den betreffenden Konstruktionen keine Ahnung gehabt, und man hätte viel Übelstände verhindern können, wenn man ihr freie Hand gelassen hätte.

Gegenüber diesen Behauptungen ist jedenfalls zu berücksichtigen, daß die Behörden bei einem solchen Einzelfall massenweiser Unterlieferanten mit dem Einspruch anderer Firmen zu rechnen hatten. Immerhin zeigt dieses Verfahren einen Weg, der unter gewissen Umständen sehr wohl hätte begangen werden können. Wenn sich die Behörden bezüglich der Preise, Qualität und Lieferungszeit die nötigen Sicherungen verschafften, so könnte ihnen auf solchem Wege ein großer Teil der Arbeit abgenommen werden. Auf welchen Gebieten eine derartige Tätigkeit großer Firmen denkbar ist, können nur besondere Untersuchungen lehren. Die Behandlung der Frage der Unterlieferanten ist im Laufe des Krieges keine durchaus gleichmäßige geblieben. Während man im Anfang die Fabrikate nahm, wo man sie herbekommen konnte, hat man später versucht, das Weitervergeben der Aufträge zu beschränken. Dadurch wurden natürlich solche Firmen geschädigt, die sich anfangs ohne Widerspruch der Behörden auf Teilarbeiten eingerichtet hatten. Die Ergebnisse dieses Abschnitts sind: a) Die Vergebung von Aufträgen an hierfür ungeeignete Firmen hat nicht selten ein Hochtreiben der Löhne zur Folge gehabt. b) Man hätte gut getan, die leichteren Geschoßaufträge vorzugsweise den kleineren Werken zu übergeben. c) Sehr schädlich wirkte es, wenn sich bei derselben Firma mit einander nicht vereinbarte Bestellungen verschiedener Behörden kreuzen. d) Die Frage, unter welchen Umständen und in welchem Umfang die Heranziehung von Unterlieferanten zu gestatten ist, hätte besonderer Untersuchung schon im Frieden bedurft. — 5. Zwischenhandel, Vermittler und Vertreter. Die bedenklichste Folge des Mangels einer industriellen Mobilmachung war die Entstehung des Zwischenhändlerwesens. „Selbst namhafte und angesehene Industrielle wurden, als sie ihre Werke der Heeresverwaltung zur Verfügung stellten, abgewiesen und waren, um Arbeit für ihre Werke und ihre zurückgebliebenen Arbeiter zu erhalten, gezwungen, solche von zweiter Hand oder sogar von Zwischenhändlern zu übernehmen“24. Dieses Unwesen war allgemein bekannt und wurde auch im Parlament öfters zur Sprache gebracht25. 24 Frölich, Der Krieg und das industrielle Wirtschaftsleben. Berlin-Charlottenburg 1916. S. 17. 25 Man lese die Ausführungen des Abgeordneten Grafen von We s t a r p in der Reichstagssitzung vom 19. März 1915, der Abgeordneten M a r t i n und S t re s e m a n n in der Sitzung vom 20. Dezember 1915 und des Abgeordneten Mayer in der Sitzung vom 2. November 1916 nach.

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Wie konnte nun der Zwischenhandel aufkommen und sich in dem beobachteten Umfange breitmachen? Die Heeresverwaltung kannte im wesentlichen nur die beschränkte Zahl ihrer dauernden Lieferanten und diese rekrutierten sich in der Hauptsache nicht aus dem großen Gebiet der Maschinenbauanstalten. Es fehlte an genügenden Adressenverzeichnissen zur Herstellung von Kriegsgerät geeigneter Firmen. Nun kamen unmittelbar nach Kriegsbeginn die Aufstellungen neuer Formationen und der unvermutet hohe Munitionsbedarf. Die Beschaffungsstellen waren genötigt, die Waren zu nehmen, wo sie sich ihnen nur zu bieten schienen. Denn für sachverständige Prüfung der Anbieter und Angebote fehlte es zumeist an genügend zahlreichem und sachverständigem Personal. Es ist kein Wunder, wenn hierbei der glatte skrupellose Zwischenhändler oft leichter zum Auftrag kam als der Fabrikant, der vor der Notwendigkeit stand, seinen Betrieb umzustellen, neue Maschinen zu kaufen und dem die finanzielle Bedrängnis der ersten Kriegstage noch in den Gliedern lag. In manchen Fällen ist Firmen, die direkte Aufträge nicht erhalten konnten, nichts übriggeblieben, als sich an Zwischenhändler zu wenden, die ihnen gegenüber mit ihren Berliner Beziehungen prahlten. Solche Agenten pflegten auch ohne Heeresaufträge Bearbeitungsfirmen für Geschosse zu suchen. Hatten sie solche gefunden, so ließen sie sich von ihnen eine Vertretung übertragen und gingen damit nach Berlin. Aber auch Selbsthersteller mögen zu Zwischenhändlern geworden sein. Sie hatten sich die Herstellung leichter gedacht, als sie tatsächlich war und suchten nun andere mit ihrem Auftrag oder wenigstens einem Teil desselben zu beglücken, sich aber dabei trotzdem noch Nutzen durch Weitergabe zu geringerem Preis zu sichern. Es ist vorgekommen, daß Firmen ganze Lieferungsverträge an andere Firmen verkauften. Es ist auch ein Fall bekannt, wo eine große Maschinenfabrik des Rheinlandes bei einem Auftrag auf Gewehrteile durchaus nur als Zwischenhändler tätig war, bis der Auftrag zurückgezogen wurde. Zum Teil waren die Aufträge der Behörden auch zu groß für die Leistungsfähigkeit einzelner damit beauftragter Firmen. Diese kauften dann die Teile bei anderen Firmen, zum Teil direkt durch Zwischenhändler. Noch im Juni 1915 mußte der Verein deutscher Maschinenbauanstalten feststellen: „Manche Zwischenhändler haben Aufträge auf 50  000  Stahlgußgranaten  10,5 zu vergeben, und zwar für die Dauer von acht Monaten. Es ist dies kein Einzelfall, sondern es handelt sich um eine große Anzahl von Nachrichten, die uns mit Belegen eingeschickt wurden.“ Selbst sehr geschäftsgewandte Industrielle haben von einzelnen Zwischenhändlern sich täuschen lassen. Um die Vermittlerfrage richtig zu beurteilen, müssen wir sie etwas allgemeiner besprechen. Wir wollen hier zunächst die hauptsächlichsten Nachteile darlegen, welche sich aus dem Zwischenhandel, so wie er einmal war, ergeben haben. a) Der Zwischenhändler rechnet wohl meist gar nicht auf längere Verbindung mit derselben Behörde oder Firma. Er macht heute in Zündern, morgen in geräucherten Fischen. Ihm fehlt also das Interesse an solider Ausführung des Auftrages,



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sobald er die Provision bezogen hat. Darum hat die Behörde eine sehr geringere Sicherheit, das Bestellte gut und rechtzeitig zu erhalten; oft ist ihr auch die Kontrolle hierüber erschwert. b) Dem der Behörde unbekannten Produzenten sind die staatlichen Werkstätten für Belehrung und Besprechung verschlossen: die Erziehung der Industrie wird erschwert. Das durch die Provision des Zwischenhändlers gedrückte Verdienst des Fertigers verleitet diesen nur zu leicht zu flüchtiger Arbeit. c) Der unsachverständige Zwischenhändler läßt sich auf Preisangebote ein, die die Selbstkosten nicht decken und drückt dadurch die Angebote solider Firmen. d) Ein Teil der Bezahlung entfällt nicht auf die Waren, sondern auf unnötige, weil unproduktive Tätigkeit. Alle diese nicht zu leugnenden Mängel wurden bald erkannt und es darf betont werden: soweit es die besonderen Schwierigkeiten der Heeresbeschaffung im Kriege zuließen, ist stetig an der Beseitigung der Mängel (Abstoßen der Firmen mit Preisdrückerei, der unbrauchbaren Lieferer, des Zwischenhandels und unbrauchbaren Vermittlerwesens) gearbeitet worden. Frölich sagt, diesem Unwesen sei durch unmittelbare Fühlungnahme der Heeresverwaltung mit den wirtschaftlichen Verbänden auf den meisten Gebieten ein Ende gemacht und fügt hinzu, wenn heute noch industrielle Unternehmungen auf solche Weise übervorteilt würden, könne man sie von eigener Schuld nicht ganz freisprechen. Es soll auch nicht verschwiegen werden, daß die Schwerfälligkeit des Militärbeschaffungswesens diese Arbeiten nicht immer erleichtert hat. Der Zwischenhandel hat aber — das ist zu beachten — wenigstens in den ersten Kriegsmonaten doch auch seine guten Seiten gehabt, als die meisten Beschaffungsämter noch im Werden waren und es für die Beschaffungsreferenten nur allein darauf ankam, überhaupt Waren zu beschaffen, gleichgültig wie und woher. Auch eine Abteilung des preußischen Kriegsministeriums berichtet von dem damaligen Drängen der höheren Dienststellen „überhaupt alles, was nur irgend für die Beschleunigung der Fertigung eine Aussicht bot, mit Aufträgen zu versehen“. Eine Sonderstellung nahmen die Ingenieur-Bureaus ein, die größere Aufträge, z. B. auf schwierige Zünderteile übernahmen, sie technisch durcharbeiteten und für einen größeren Kreis kleiner und kleinster Betriebe in Sonderarbeiten zerlegten, letztere auch mit Geld und Werkstoffen versahen und wenn auch mit erheblichem Nutzen für sich selbst, doch dazu beitrugen, das Heereswerk zu fördern. Auch viele Handels- und Handwerkskammern und ähnliche Organisationen boten die Übernahme von größeren Aufträgen an. Jedoch wurde, wenigstens anfangs, wenig Gebrauch davon gemacht, später, als sich die Handwerkskammern entsprechend organisierten, wurden sie dauernd herangezogen. Angesichts der geschilderten schweren, störenden Anstände war es nicht verwunderlich, daß einzelne Beschaffungsstellen, als man Zeit zur ordnungsmäßigen Organisation bekam, zu scharf vorgingen und ordnungsmäßige, sach-

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verständige Vertreter ebenso ausschlossen wie Gelegenheitsvermittler. Und ohne Vertreter oder Vermittler geht es nun einmal nicht . Das muß betont werden, angesichts des Verlangens, das auch von Referenten gestellt worden ist man wolle nur mit Firmeninhabern verhandeln. Befindet sich der Sitz einer liefernden Firma am Ort der Beschaffungsbehörde, so wird es in kleineren und mittleren Verhältnissen dem Inhaber oder Leiter in der Regel — nicht immer — möglich sein, persönlich alle Verhandlungen mit der Beschaffungsbehörde zu führen. Das entfällt schon bei größeren Betrieben und ferner in der Regel bei den nicht am Ort der Beschaffungsbehörden ansässigen Firmen. In diesen Fällen sind die Firmen genötigt, die laufenden Verhandlungen durch sachverständige Vertreter führen zu lassen, welche unter Umständen die Vertretung mehrerer Firmen derselben oder verwandter Gebiete innehaben können. Die Nichtzulassung von Vertretern hätte einfach zur Folge, und hat sie tatsächlich zeit- und teilweise auch gehabt, daß in der Hauptsache nur Berliner Firmen Aufträge erhalten könnten. Der sachkundige Vertreter hat dasselbe Interesse, gut und rasch zu liefern, wie jede solide Firma, er nützt also dem Besteller und dies besonders dann, wenn der Besteller, was bei den militärischen Beschaffungsämtern immer wieder vorkam, ein relativer Neuling auf seinem Arbeitsgebiet ist. Ein Wort noch über die wirtschaftliche Bedeutung und Auswahl der Vertreter. Anläßlich der Besichtigungsreisen wurden bei 15 für das Wumba arbeitenden Firmen Auskünfte über die Vorbildung ihrer Berliner Vertreter eingeholt. Danach bestand ein gewisses Überwiegen der technischen Vertreter, ohne daß man daraus auf ein Überwiegen bestimmter Anschauungen in der Industrie weitgehende Schlüsse ziehen dürfte. Man muß auch bedenken, daß die Industrie aus Mangel an geeigneten Leuten vielleicht nicht immer diejenige Persönlichkeit als Vertreter nach Berlin schicken konnte, die sie für die geeignetste hielt. Meine persönlichen 1½jährigen Erfahrungen als Beschaffungsreferent gehen dahin, daß es für die Behörden und damit letzten Endes auch für die Firmen um so wichtiger ist, Vertreter mit möglichst guten technischen Kenntnissen am Ort der Beschaffungsbehörde zu besitzen, je mehr es sich um die Beschaffung von Produkten handelt, bei deren Herstellung Gesichtspunkte der Konstruktion und Fertigung, besonders Massenfabrikation eine Rolle spielen, je weniger die Gegenstände einfachste, wenig veränderliche Handelsartikel sind und je mehr im Laufe des Krieges technische Änderungen notwendig werden. Es soll selbstverständlich nicht gesagt sein, daß nicht auch ein intelligenter Kaufmann seinen Mann stehen wird, aber gerade die Frage der Kalkulation, welche auf Grund technischer Änderungen vielfach an Ort und Stelle mit den Referenten erledigt werden muß, verlangt, wenn Nackenschläge vermieden werden sollen, mit der Herstellung genau vertraute Persönlichkeiten. Dasselbe galt von der Beurteilung der fachlichen Qualität der Fabrikate gegenüber etwaigen Wünschen und Ausstellungen der Behörden. Im Gegensatz hierzu dürften die nötigen einfachen praktischen kaufmännischen Erfahrungen vom Ingenieur verhältnismäßig rascher erworben werden.



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Die Untersuchung über die Frage des Zwischenhandels und der Vertretung der Firmen führt zu folgendem Ergebnis: 1. Die Tatsache, daß Zwischenhändler noch lange nach Kriegsbeginn große unberechtigte Gewinne eingestrichen haben, steht fest. 2. Daß es dazu kommen konnte, lag großenteils an der geringen Fühlung, welche die Heeresstellen im Frieden mit der Industrie hatten. 3. Die offenkundigen Nachteile des Zwischenhändlerwesens für die Allgemeinheit veranlaßten die Militärbehörde, ständig an ihrer Beseitigung zu arbeiten. 4. Man schoß aber vielfach hierbei über das Ziel hinaus, indem rechtmäßige Vertreter der Firmen gleich den gelegegentlichen Vermittlern behandelt wurden, ohne zu bedenken, daß viele Firmen auf das Zusammenarbeiten mit ihren Vertretern angewiesen sind. 5. Allerdings muß zugegeben werden, daß es in manchen Fällen schwer sein wird, Vertreter und Zwischenhändler zu unterscheiden. Deshalb ist es eine wichtige Aufgabe für die Behörden, gemeinsam mit den kaufmännischen Vertretungen diese Frage zu klären, um die Allgemeinheit zu schützen, ohne berechtigte persönliche Interessen zu schädigen. 6. Schließlich ist zu fordern, daß im Interesse der Firmen wie auch der Behörden überall, wo es sich um Aufträge zur Fertigung im Gegensatz zur Beschaffung handelsüblicher Waren handelt, die Vertretung der Firmen technisch ausreichend vorgebildeten Sachverständigen übertragen werde.

§ 60 Material und Bearbeitung 1. Maschinen und Werkzeuge. Die behördlichen Maßnahmen zur Belieferung der für die Industrie erforderlichen Maschinen und Werkzeuge sind im Hauptabschnitt 5 behandelt. Sie waren im ganzen von Erfolg begleitet, konnten aber gerade nur der dringendsten Not abhelfen. Die Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Maschinen und Werkzeugen wurden noch wesentlich erhöht durch den im Kriege weit stärkeren Verschleiß der Maschinen. Dieser rührte her: a) von der längeren Benutzung (vielfach drei Schichten, z. B. 6–2, 2–10, 10–6 Uhr); b) von der infolge der gesteigerten Massenfabrikation verstärkten Inanspruchnahme; c) von der geringeren Sachkenntnis der ungelernten Arbeitskräfte, die viel Schäden verursachten, so daß die Werkzeugmachereien weit stärker belastet waren als in normalen Zeiten. Auch der häufigere Wechsel der Arbeitskräfte war ungünstig für die Erhaltung der Maschinen; d) von der in Kriegszeiten schlechteren Unterhaltung der Maschinen. Die Arbeit drängt, es fehlt an Material und Personal zu Reparaturen, kleine Mängel, die nicht sofort beseitigt sind, werden zu großen, nicht mehr zu beseitigenden;

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e) von Mängeln der Rohmaterialien. Viel geklagt wurde z. B. über die außergewöhnliche Abnutzung der Drehbänke bei der Bearbeitung von gepreßten Stahlgeschossen. f) von Mängeln der Betriebsstoffe. Besonders die Frage der Schmiermittel und Kühlmaterialien bereitete viele Schwierigkeiten; der Ersatz für Seifenwasser war scharf und angreifend. Auch die Lagerschalen ließen zu wünschen übrig. Ein besonderes und wichtiges Kapitel ist die Qualität der Bearbeitungsstähle. In Betracht kamen gewöhnliche Werkzeugstähle und Schnelldrehstähle. An letzteren herrschte aus bekannten Gründen dauernde und große Knappheit. Sie wurden daher für die Bearbeitung von Graugußgranaten verboten und bei ihrer sonstigen Verwendung durch Aufschweißen auf gewöhnliche Stähle im Verbrauch gestreckt. Schon im Frühjahr 1915 gab die Kriegs-Rohstoff-Abteilung zusammen mit dem Verein deutscher Maschinenbauanstalten eine Anleitung zur sparsamen Verwendung der Schnelldrehstähle heraus. An Stelle der Vollstähle sollten möglichst geschweißte Stähle verwendet werden. Den Verbrauchern wurde Anweisung zum Schweißen oder der Nachweis hierzu geeigneter Firmen gegeben. Für die Abfälle wurde eine Zentralsammel- und Ankaufsstelle durch die Kriegsmetall-Aktien-Gesellschaft gegründet. Über die Härtung der Schnelldrehstähle kamen Anweisungen heraus; insbesondere wurde mit Rücksicht auf die Ölknappheit elektrische Erwärmung gegenüber der Erwärmung in Ölhärteöfen empfohlen. Gegen das erwähnte Verbot wurde vielfach die Klage erhoben, es sei undurchführbar. Der Grauguß sei so hart, daß mindestens zum Schrubben Schnelldrehstahl erforderlich sei. Bei Verwendung von Kohlenstoffstählen würde die Leistung auf ½—¼ der mit Schnelldrehstählen möglichen sinken, wenn nicht erhebliche Betriebserweiterungen vorgenommen würden, die aber angesichts der Herabsetzung der Bearbeitungspreise mit zu hohen Kosten verknüpft seien. Die folgenden Zeilen geben die Erfahrungen einiger bedeutender Firmen wieder. So berichtete das Grusonwerk im März 1915: „Bei der Verwendung von gewöhnlichen Werkzeugstählen erhöhen sich die Lohnkosten um etwa das Doppelte, da es nicht immer möglich ist, trotz der längeren Arbeitsdauer eines einzelnen Vorgangs mehr Drehbänke als bisher von einem Manne bedienen zu lassen. Auf jeden Fall wird die Gesamtleistung eines nur mit Werkzeugstahl arbeitenden Werkes ganz außerordentlich geringer sein, als bei einem Werk, in dem hauptsächlich Schnelldrehstahl verwandt wird. Die Folge davon ist natürlich eine entsprechende Erhöhung der Selbstkosten. Was den Verbrauch an Schnelldrehstählen anbetrifft, so ist er um so geringer, je mehr Spezialmaschinen verwendet werden. Auch kommt es natürlich sehr auf die Geschicklichkeit der Arbeiter an: ein geschickter Arbeiter bricht oft 4 Wochen lang keinen Stahl ab, während ein anderer an einem Tage schon 10 Stück abgebrochen hat.“ Die Gutehoffnungshütte, Oberhausen, schrieb im März 1915: „Die Arbeitsleistung des Kohlenstoffstahls steht der des Schnelldrehstahls bei Graugußbearbeitung annähernd gleich.“ Der Verbrauch an bestem Schnelldrehstahl betrage etwa 1 kg auf 100 10,5 cm-F. H.-Geschosse 05. Für die Bearbeitung der gezogenen Stahlgranaten komme nur Schnelldrehstahl bester Qualität in Betracht. Zur selben Zeit schreibt die Gasmotorenfabrik Deutz: „Bei der Verwendung gewöhnlicher Kohlenstoffstähle zur Bearbeitung der Graugußgranaten geht die Leistung der für Schnelldrehstähle eingerichteten Drehbänke



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auf etwa ein Viertel bis ein Drittel zurück. Eine teilweise Kompensation des Ausfalles könnte dadurch geschaffen werden, daß die Bänke für gleichzeitiges Arbeiten von 2 bis 3 Stählen eingerichtet würden, was bei den Schnelldrehstählen wegen mangelnder Durchzugskraft (Treibriemen) nicht möglich... Die Lohnkosten schätzen wir bei Verwendung von Kohlenstoffstählen auf das Doppelte.“ Wenn man angesichts des Vorgetragenen noch erwähnt, daß naturgemäß die im Krieg gekauften Maschinen nicht so gut sein konnten, wie die im Frieden hergestellten, und ferner oft mit verhältnismäßig geringem Nutzeffekt arbeiteten, da sie vielfach nicht in der gerade benötigten Größe erhältlich waren, so kann man sich eine Vorstellung von den Schwierigkeiten machen, mit denen die Industrie bezüglich der Maschinen und Werkzeuge zu kämpfen hatte.

Wir kommen also zu folgenden Ergebnissen: a) Trotz der umfangreichen Maßnahmen der Behörden, die Industrie mit Werkzeugmaschinen zu versehen, konnte doch nur das Allernotwendigste beschafft werden. Dies tritt umsomehr in die Erscheinung, als der Verschleiß der Maschinen im Kriege ein ganz außergewöhnlich hoher war. b) Das Verbot, Schnelldrehstahl für die Bearbeitung von Graugußgranaten zu verwenden und die Maßnahmen zur Streckung des Schnelldrehstahls hatten der Industrie manche Schwierigkeiten bereitet. 2. Beratung der Firmen. Die Schwierigkeiten, welche die Firmen, namentlich kleinere und mittlere, anfangs mit der Umstellung auf Kriegsgerät hatten, waren nicht gering. Die Gründe hierfür sind schon mehrfach erwähnt (Fehlen der Sondereinrichtung, Mangel technischer Erfahrung und technischen Personals usw.). Besonders wichtig war deshalb die beratende Tätigkeit der Verbände, z. B. der aus eigener Entschließung der Firmen entstandenen „Munitions-Beratungsstelle“ sowie der Behörden. Sie hat sich im Laufe des Krieges stark entwickelt. 3. Materialbeschaffung und Materialzuweisung. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Bewirtschaftung der Rohstoffe zu schildern, doch sollen hier einige der diesbezüglichen Erfahrungen Platz finden. Bei einer im Sommer 1917 mit einem Direktor einer großen süddeutschen Maschinenfabrik abgehaltenen Besprechung teilte dieser als Erfahrung seiner Firma bezüglich der Materialbeschaffung durch die Behörde mit, daß die Behörde „nur bei einfachen Materialien ohne Qualitätsvorschriften in der Beschaffung nachhelfen könne“. Ein süddeutsches Fahrradwerk hätte z. B. im Vertrauen auf Materialbeschaffung durch Wumba viel Geld in seine Einrichtungen für leichte Minenwerfer gesteckt, das dann, als das Material ausblieb, mehr oder weniger verloren war. Die Firma könne es tragen, dagegen sei eine benachbarte Maschinenfabrik aus ähnlichem Anlaß dem Zusammenbruch nahe. Diese Äußerungen bezüglich der Beschränkung ersprießlicher Behördentätigkeit auf einfache Materialien ohne Qualitätsvorschriften erscheinen ebenso interessant wie einleuchtend. Sie werden unterstützt durch die folgenden Ausführungen aus einem Bericht der Artilleriewerkstatt Spandau von Anfang 1916: „Die Stahlwerke lehnen die Anfertigung dünner Abmessungen und ganz starker Abmessungen möglichst ab mit der Begründung, daß ihnen nicht genug geschulte Leute zur Verfügung stehen. Außerdem dürfte die gestattete Ausfuhr die Lieferungen und Preise ungünstig beeinflussen.“

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Einen andern Punkte, die S ch ro t t f r age , berührte um dieselbe Zeit der Generaldirektor eines großen westdeutschen Werkes in einer Unterredung mit dem Verfasser. Er führte dem Sinne nach folgendes aus: „Das Rohmaterial liefert das Roheisensyndikat und die Schrott-Handels-Gesellschaft; die letztere funktioniert schlecht, es ist kein Schrott mehr da. — Infolge der behördlichen Maßnahmen kostet heute Roheisen 130—140, Schrott 95—97 M, während früher der Schrott um etwa 2 M hinter Roheisen stand. Die große Preisspannung zwischen Schrott und Roheisen hat die Behörde durchgesetzt, und die Folge ist, daß heute eine neue Eisenart auf den Markt kommt, „Sekunda-Eisen“, das nichts anderes ist als Schrott, aber, da es nicht Schrott heißt, zu 135 M gehandelt wird. Es kostete:

Stahl im Frieden……………… Stahl heute………….………….

75 180

M „

bei „

54—57 95—97

M „

Schrottpreis „

während er nach der Verhältnisrechnung sein müßte: 2,4 x 56 : 120 = 134 M. Der Einw i r ku ng d e r g ro ß e n ge m i s ch te n We r ke ist es zuzuschreiben, daß heute die Erze unter den Gestehungskosten ausgebracht werden müssen, so daß kleine Erzgewinnungsgesellschaften zugrunde gehen. Die Behörde hat den gemischten Werken nachgegeben, welche die Eisenfabrikate dauernd verteuern und dadurch den Ausfall, den sie an ihren eigenen Erzwerken haben, wohl vertragen können, während die reinen Erzwerke an die Wand gedrückt werden. Das Vorstehende bildet einen interessanten Beitrag zur Preispolitik der großen gemischten Werke der Schwerindustrie aus dem Munde eines der genauesten Kenner der Verhältnisse.“

Viele Firmen klagten über Stockungen in der Zuweisung von Eisen und Stahl und über dadurch verursachte Einschränkungen und Stillegungen des Betriebes. Gerade mittlere und kleinere Firmen hatten darunter zu leiden; große mit einem vielseitigen Betrieb konnten sich weit eher helfen, indem sie die Arbeiter von einem in den anderen Teil des Betriebs schoben. Bei der gewaltigen Arbeit, welche die Zusammenfassung der Industrie auf ein Ziel verursacht, ist es nicht zu verwundern, daß unnötige Herstellung einzelner Gegenstände nicht ausgeblieben ist. So mußte das Wumba im November 1917 nachstehende Warnung betreffend zu umfangreiche Herstellung von Halbfabrikaten erlassen: „Als ein erheblicher Mißstand hat sich ergeben, daß durch Unterlieferanten auf eigenes Risiko Halbfabrikate zu Nahkampfmitteln, z. B. kleine Zünderteile für Wurfgranaten, Beschläge und Holzstiele für Handgranaten, Kistenbeschläge usw. in großen Mengen angefertigt und gewissermaßen als Ware auf den Markt gebracht werden. Ergibt sich nun die Notwendigkeit zu Konstruktionsänderungen, so werden große Mengen von Material unverwertbar. Mitunter wird man auch die Einführung wünschenswert erscheinender Neuerungen bis zur Aufarbeitung der gefertigten Bestände hinausschieben müssen, um diese nicht ganz zu verwerfen und wirtschaftliche Nachteile nach Möglichkeit zu vermeiden. Den beauftragten Firmen wird deshalb empfohlen, sich mit solchen Einzelheiten nicht höher einzudecken, als zur Erfüllung ihres Auftrags erforderlich ist. Das gleiche gilt für Unterlieferanten. Es muß vermieden werden, daß größere Mengen angefertigt werden als fest bestellt sind. Jede Vergeudung von Werkstoffen und Arbeit schädigt die Allgemeinheit.“



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Aus Vorstehendem erhalten wir folgendes Ergebnis: a) Die behördliche Beschaffung von Rohstoffen bewährt sich um so weniger, je höhere Anforderungen in bezug auf Qualität an das betreffende Material gestellt werden müssen. b) Als besondere Mängel in der Durchführung der Bewirtschaftung werden genannt: die umfangreiche erforderliche Schreibarbeit und Stockungen in der Zuweisung. c) Gegen eine weit über den Bedarf hinausgehende Anfertigung von Halbfabrikaten mußte vielen Firmen die Einhaltung ihrer Bestellungsmengen zur ausdrücklichen Pflicht gemacht werden. 4. Beschaffenheit der Rohmaterialien. Daß bei dem Abschluß Deutschlands vom Weltmarkt die Rohmaterialbeschaffenheit Schwierigkeiten machen würde, war vorauszusehen. Wenn auch hier wie sonst die meisten Klagen von Granatenfertigern herrühren, so hat dies seinen Grund darin, daß einmal diese Fabrikation fast allen Firmen neu und unbekannt war und zweitens, daß gerade Granaten von außerordentlich vielen kleinen, zum Teil auch weniger gut eingerichteten Firmen bearbeitet wurden. Die Klagen beziehen sich zunächst auf die Ungleichmäßigkeit des Materials, welche große Schwankungen im Betriebe verursachte, auf das Fehlen des Hämatits, ohne den ein porenfreier Guß nicht möglich ist, und auf die große Härte des Stahlgusses. Viel mehr Schwierigkeiten als sie gedacht hatten, machte den Firmen das Umringen der Geschosse, zumal sie teilweise die Maschinen hierzu selbst herstellen mußten. Im November 1915 verfügt Geschoßfabrik Spandau bezüglich der Ku p f e r b ä n d e r: Bei einzelnen Firmen seien unliebsame Vorkommnisse beim Einziehen der Kupferbänder, wie z. B. Einpressen mit ungenügendem Druck, oder zu starkes Abdrehen der Ringe, wahrscheinlich um recht viel Späne zu gewinnen, beobachtet worden. Alles dies veranlaßte die Geschoßfabrik, für Ausschuß beim Einwalzen der Bänder 2% mehr zur Verfügung zu stellen. Wurden die 2% nicht verbraucht, so blieben sie Eigentum der Geschoßfabrik. Im Februar 1916 wird über ein neues Verfahren zum Einwalzen von Kupferringen an 15 cm-Granaten 12 berichtet, bei welchen an einem fertig eingewalzten und abgedrehten Kupferband 130 g Kupfer erspart werden, was bei einem Kupferpreis von 4 M pro kg eine Ersparung von 32 M bedeute. Im September 1917 schreibt der Verein Deutscher Eisenhüttenleute bezüglich der neuen Zinkbänder: „Die Beschaffenheit der Zinkbänder ist so schlecht: daß die Bänder nur sehr schwer und unter großem Ausschuß zum festen Anliegen zu bringen sind. Hierdurch ist die Leistungsfähigkeit des Umringens bei verschiedenen Firmen bis zu 60% gegenüber dem früheren Kupferumringen zurückgegangen, auch die Geschoßfabrik Spandau soll diese Schwierigkeiten noch nicht überwunden haben.“ Zur Frage der Umringung scheint mir angesichts der erwähnten Schwierigkeiten der folgende, aus dem August 1916 stammende Vorschlag des Direktors einer großen schlesischen Hütte der Erwähnung wert zu sein: „Bei der Beteiligung vieler kleiner Werkstätten ist es vor allem wünschenswert, daß diesen das Aufziehen der Kupferringe, die Bearbeitung derselben, die Abnahme und das Lackieren der Geschosse abgenommen wird; denn wenn diese Arbeiten in jeder einzelnen kleinen Werkstatt vorgenommen werden, so liegt darin eine ungeheure Arbeitsvergeudung. Zweckmäßige Einrichtungen können auf diesem Gebiet so viel leisten, daß sich solche Einrichtungen für die kleinen Werkstätten

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gar nicht lohnen. Dasselbe gilt für die Beschaffung des ausgeschraubten Geschoßkopfes, etwa für die H.-Gr. 15 A, der für jede größere Fabrik sozusagen ein Pfennigartikel ist, während die kleinen Werkstätten ihn mit erheblich größeren Kosten und Schwierigkeiten herstellen müssen.“

Zusammenfassung: a) Bezüglich der Qualität des Eisens wird geklagt über die große Ungleichmäßigkeit, über Fehlen des Hämatits und Härte des Stahlgusses. b) Das Umringen der Geschosse machte den Firmen unerwartete Schwierigkeiten. Der Vorschlag, den kleinen Werken diese Arbeiten, zumal es sich für diese gar nicht lohnt, zu nehmen, erscheint besonderer Beachtung wert. 5. Neubauten von Preßwerken. Schon im Frühjahr 1915 hatten zahlreiche Firmen scheinbar zum großen Teil auf Anregung der Feldzeugmeisterei (Fz.) beschlossen, neue Preßanlagen zu errichten. So beabsichtigten im März 1915 nach einer Angabe nicht weniger als 50 Maschinenfabriken, Preßanlagen zu bauen. Begreiflicherweise wurde in der Industrie vielfach über die allzu zahlreichen, behördlich veranlaßten Preßanlagen geklagt. Manche Preßwerke wurden ungenügend beschäftigt und zum Verkauf ausgeschrieben. Die neu erstellten Preßwerke glaubten Anlaß zur Klage zu haben, weil das Kriegsministerium Maschinenfabriken, die nicht das Risiko einer Preßanlage auf sich genommen halten, Bearbeitungsaufträge überweise. 6. Die Belieferung mit Rohmaterial, Halbfabrikaten und Maschinen. Diese Frage hat in der Industrie außerordentlich viele und sehr bittere Klagen gezeitigt. Sie richten sich meistens gegen industrielle Werke, namentlich gegen die Lieferanten der Blöcke und Rohlinge und gegen die Werkzeugmaschinenfabriken, gegen die ersteren hauptsächlich wegen wechselnder, meist ungenügender Lieferungen. Ein süddeutsches Werk teilte dem Verfasser mit, sehr lebhaft seien die Klagen über die Stahlwerke (Stahlbund), gegen welche der Verein Deutscher Maschinenbauanstalten nicht aufkommen könne. Den Stahlwerken seien die Maschinenfabriken überall unterlegen. Eine norddeutsche Firma erklärte, die Stahlwerke sorgten bezüglich des Stahls für Granaten nur für sich und schickten dem Preßwerk so viel Ausschuß, als nach den Bestimmungen überhaupt zulässig sei.26 Dabei sei es den Stahlwerken ganz gleichgültig, ob die Preßwerke Blöckchen bekommen oder nicht. Die Firma hatte seit einem Jahr wegen dauernden Materialmangels nicht einen Monat lang durchpressen können. Auch Bezugsscheine nützten nichts.

Auch die Preisvereinbarung machte Schwierigkeiten. Schon Anfang 1915 hatte der Ausschuß für Geschoßfragen im Verein deutscher Maschinenbauanstalten Bearbeitungspreise für Stahlgußgeschosse festgesetzt. Es wird aber im Juni darüber geklagt,

26 Hierüber wurde von sehr vielen Seiten geklagt.



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daß die Stahlwerke den Bearbeitungswerken für 21 cm-Geschosse statt der festgesetzten 28 M nur 20, später sogar nur 19,50 hätten bezahlen wollen. In einem Schreiben vom November 1916 heißt es: „Wir können es nicht verstehen, daß Feldzeugmeisterei nach wie vor an dem Standpunkt festhält, nur mit den Preßwerken Preise zu vereinbaren und es den Firmen überläßt, sich über die Bearbeitungspreise zu einigen. Die Preßwerke suchen diesen Preis natürlich nach Möglichkeit zu drücken. Abgesehen von der Schädigung der Bearbeitungsfirmen hat dieses Verfahren viel dazu beigetragen, daß ungenügende Ablieferungen seitens gewisser Maschinenfabriken, die den Anforderungen nicht gewachsen waren, erfolgten.“ Die Preßwerke kümmern sich nicht um die vom Verein Deutscher Maschinenbauanstalten festgesetzten Richtpreise... Die bayrische Feldzeugmeisterei sorgt dafür, daß die Bearbeitungsfirmen nicht zu kurz kommen „und wir vermögen nicht einzusehen, warum die Feldzeugmeisterei Berlin nicht ebenso vorgeht“.

Die Klagen gegen Werkzeugmaschinenfabriken behaupten in erster Linie verspätete Lieferung und maßlose Preiserhöhungen. Mit welchen Gründen manche Werkzeugmaschinenfabriken ihre Lieferungsverzögerungen erklärten, zeigt ein Schreiben der Schnellpressenfabrik Frankenthal vorn Dezember 1916, wonach eine Werkzeugmaschinenfabrik ihre Lieferungsverzögerungen damit begründet, daß ihr das Kriegsamt die Bevorzugung von direkten Aufträgen gegenüber Händleraufträgen verboten habe. Von Interesse ist der zu diesem Kapitel im August 1916 von einer großen schlesischen Hütte gemachte Vorschlag. Er lautet: „Bei der Geschoßbearbeitung hat sich im Laufe der Zeit wohl für jede Geschoßart der eine oder andere Arbeitsgang als besonders zweckmäßig und wirtschaftlich günstig herausgestellt. Dabei sind dann gewisse Sonderwerkzeuge und Sondereinrichtungen an den gewöhnlichen Drehbänken nötig, die man den kleineren Werkstätten nicht nur zur Kenntnis bringen, sondern direkt anbieten sollte. Feldzeugmeisterei könnte z. B. bestimmte Spezialfabriken mit der Herstellung derartiger Werkzeuge und Maschinen betrauen, annehmbare Preise dafür festsetzen und bei der Vergebung von Aufträgen diese Maschinen überall da vorschreiben, wo der betreffende Lieferant sich nicht in ebenso zweckmäßiger Weise zu helfen weiß. Ich denke z. B. an Einrichtungen für das Einstechen der Nuten zum Kupferring, für das Aufwalzen oder Aufpressen des Kupferrings, für das Fertigstellen des Mundlochs usw. Ganz abgesehen davon, daß eine Unmenge geistiger Arbeit dadurch vergeudet wird, daß jede einzelne Fabrik sich jetzt selber den Kopf über derartige Einrichtungen zerbrechen muß, entstehen eine ganze Reihe unzweckmäßiger Einrichtungen, die entweder die Fabrikation dauernd teuer gestalten oder bald wieder verworfen werden. Viele Werkstätten, die in normalen Zeiten sich solche Einrichtungen selber hätten herstellen können, verfügen heute nicht mehr über die notwendigen Schlosser und Werkzeugmacher, so daß ihnen der schnelle Bezug derartiger Einrichtungen von einer dritten Firma den Entschluß sehr erleichtern würde, noch vorhandene Bänke für das Geschoßdrehen bereitzustellen. Ich weiß aus eigenen Erfahrungen, daß wir bei der großen Einschränkung unseres Personals nur sehr ungern an alle Neueinrichtungen herangehen.“

Überblicken wir das Vorgetragene, so ist zuzugeben, daß sich die Preß- bzw. Bearbeitungswerke gegenüber den Stahl- bzw. Preßwerken vielfach in einer sehr üblen Lage befanden. Andererseits ist es durchaus begreiflich, daß die Stahl- bzw. Preßwerke bei Materialknappheit zuerst an sich dachten und nur das weitergaben, was sie bei Vollbetrieb nicht selbst verarbeiten konnten. Auf diese Weise entstand

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namentlich bei den reinen Bearbeitungswerken eine sehr große Ungleichmäßigkeit in der Fertigungsmenge, die eine entsprechend unwirtschaftliche Produktion zur Folge hatte. Dieser Zustand ist aber dem Staatsinteresse durchaus entgegengesetzt . Die behördliche Zuweisungsorganisation muß so arbeiten, daß der gesamte Komplex der Stahl-, Preß- und Bearbeitungswerke mit dem höchstmöglichen Wirkungsgrad arbeitet, und das ist möglich, wenn die Behörde in ähnlicher Weise vorgeht, wie sie das später bezüglich der Feldkanonenrohre getan hat, d. h. die Behörde nimmt die Blöckchen und Rohlinge restlos ab und verteilt sie nach ihrem Willen weiter, derart, daß z. B. ein Stahlwerk oder Preßwerk, auch wenn es eigene Erzeugnisse selbst preßt bzw. bearbeitet, davon nur das erhält, was ihm die Behörde zuweist. Ähnliches gilt von den Werkzeug- und Werkzeugmaschinen-Fabriken. Sie dürfen nicht frei fertigen, was und wie es ihnen paßt. Alleiniger Besteller und Abnehmer im Kriege muß die Heeresverwaltung sein und sie verteilt die Werkzeuge und Werkzeugmaschinen. Sie setzt auch Normalpreise für jede Bearbeitung fest. Auf diese Weise lösen sich alle Fragen der Preise, Liefermengen und -Fristen mit einem Mindestaufwand an Reibung. Eine ungeheure Ersparnis an nutzloser Arbeit, Geld und Ärger gegenüber dem früheren Zustand wäre die Folge. 7. Ausschußfragen. Die Urteile der Firmen über Stahlguß und Walzstahl sind besonders vorsichtig aufzunehmen, da jede Interessentengruppe geneigt ist, diejenige Ausführungsart für die allein richtige zu halten, auf die sie eingerichtet ist. Es soll deswegen sogar von einer Seite an den Reichstag herangetreten worden sein, damit auf Wumba ein Druck ausgeübt werde, nur Walzstahl zu verwenden. Auch ist zu beachten, daß diejenigen Werke, welche wenig Ausschuß hatten, keine Unterlagen geliefert haben. Ich unterlasse es deshalb, auf Einzelheiten dieser Frage bei den verschiedenen Stahlsorten einzugehen. Unangenehm wurde von den Firmen empfunden, daß sich Materialfehler erst feststellen ließen, wenn die Granaten, bzw. die Hülsen, ganz oder fast ganz fertig waren. — Eine Schwierigkeit, die allgemein bei der Ausschußfrage sich ergab, war die der Bezahlung. Man empfand es als unbillig, daß die Fabriken, die das Material lieferten, und zwar auch die staatlichen Institute, bei fehlerhaften Werkstoffen die nutzlos gewordenen Bearbeitungskosten nicht vergüteten, während von den Bearbeitungsfirmen Ersatz für infolge von Bearbeitungsfehlern verdorbene Rohlinge verlangt wurde. Auch hier hätte sich eine günstigere und gerechtere Einrichtung erzielen lassen, wenn die Behörden in ähnlicher Weise vorgingen, wie es bezüglich der Blöckchen oben auseinandergesetzt wurde. Im übrigen muß festgestellt werden, daß die Ausschußmenge bei wachsender Erfahrung der Firmen mit der Zeit abgenommen hat .



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8. Lieferfristen. Wenn man den Inhalt der vorstehenden Blätter erwägt, so wird man sich nicht darüber wundern, daß die Einhaltung der Lieferfristen während des Krieges durchaus nicht mit der Zuverlässigkeit erfolgen konnte, wie man das im Frieden im allgemeinen bei der Industrie erwarten kann. Es kamen zuviel Faktoren in Betracht, welche die Lieferungen mit und ohne Verschulden der arbeitenden Firmen verzögerten. Abgesehen davon, daß manche von ihnen zuviel und zu vielerlei übernommen hatten, daß manche nicht zweckmäßig unterrichtet waren und keine genügende Erfahrung besaßen, hatten sie vor allem zu leiden unter vielfachem Wechsel der Arbeiterschaft infolge der Einziehungen und unter der mangelhaften Schulung dieses Personals. Dazu kam die geringere Zuverlässigkeit der Lieferanten von Rohstoffen und Halbfabrikaten. Auch die gelieferten Maschinen ließen vielfach zu wünschen übrig, die Werkzeuge waren schlechter als im Frieden, dazu fehlte es an Werkzeugmachern. Hierzu kam der Kohlenmangel, das Versagen von Elektrizitätswerken, Bahnsperren, Transportschwierigkeiten aller Art und zuletzt aber nicht zum mindesten der Mangel an geeignetem Aufsichtspersonal in den Firmen. Trotzdem sind dem Verfasser von befragten Firmen auf Anfrage eine ganze Reihe von Antworten gegeben worden, die die gestellten Fristen für genügend erklärten. Daß bei anderen Firmen und bestimmten Gegenständen sowie zu bestimmten Zeiten des Krieges die Fristen sehr kurz waren und vielleicht auch sein mußten, ist wohl begreiflich.

Kapitel 17 Der Handel § 61 Der Handel auf dem Gebiet des Waffen- und Munitionswesens Während der langen Friedenszeit war die Organisation der Heeresbehörden eine auf den Friedenszustand und die parlamentarische Aufsicht abgepaßte, stark bureaukratische geworden. In diesem Zustand traf sie der Kriegsausbruch mit dem sofort eintretenden lawinenartig anschwellenden Bedarf an Kriegsmaterial aller Art. Nur mit Mühe gelang es, durch neue Bestimmungen eine raschere Erledigung der Beschaffungen zu erreichen und die aus der früheren etatmäßigen Gebundenheit herrührende Ängstlichkeit der Behörden in Erteilung großer, auf viele Monate sich erstreckender Aufträge — zum Teil allerdings nur ganz langsam — zu überwinden. Auch hier hat immer wieder der Glaube an eine kurze Kriegsdauer erschwerend gewirkt. Schon früher habe ich zu schildern versucht, in welch schwieriger Lage sich anfangs die überlasteten oft wenig fachkundigen Beschaffungsreferenten befanden und wie sie in dieser Not die Waren von jedem nehmen mußten, der sie ihnen anbot. Man glaubte ja wohl auch nicht, daß es damals Menschen geben könne, für

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die der Krieg, der andere in tiefster Seele erschütterte, nur eine verbesserte Gewinnchance bedeute. So kamen Leute ins Geschäft, die außer ihrer Skrupellosigkeit weder Branchekenntnisse, noch eine handelsgesetzliche Stellung, noch Geschäftsbücher besaßen, die Leute der „Telephongewinne“ und des „Handelskonzerns vor der Tür des Beschaffungsreferenten“. Es ist nicht zu leugnen: unter diesen Menschen befanden sich nicht wenige von hervorragender Findigkeit und Gewandtheit, und mancher Beschaffungsreferent konnte dankbar sein, solche Helfer in der ersten Zeit größter Bedrängnis zu finden. Aber die Mißstände wurden bald zu groß. Viele dieser Gelegenheitsvermittler übernahmen in ihrer Geschäftsunkenntnis viel zu große Aufträge und vermochten sie dann nicht unterzubringen, wenigstens nicht bei leistungsfähigen Firmen. Die Behörden aber hatten das Nachsehen und mit ihnen — der ehrbare Handel und die Selbsthersteller, die von den Zwischenhändlern äußerst gedrückte Preise erhielten. Daß durch solche Tätigkeit in kürzester Frist ein verwerflicher Kettenhandel entstand, liegt auf der Hand. Gekennzeichnet ist er dadurch, daß sich der Zwischenhändler nur zu eigenem Vorteil auf den Weg einer Ware zwischen Erzeuger und Verbraucher drängt, sie wenn möglich an sich reißt, um sie dem Markt zu entziehen und dadurch zu verteuern. Aber mit dem Zwischenhandel waren die Schwierigkeiten nicht erschöpft, gegen die der ehrbare Handel zu kämpfen hatte. Vielfach verlangte namentlich zu Kriegsbeginn der Hersteller Barzahlung oder suchte sich der Lieferungspflicht zu entziehen. (Andererseits verweigerte allerdings auch der Handel vielfach die Abnahme der Waren.) Außenstände wurden rücksichtslos eingetrieben. Ein weiterer den gesamten Handel aufs äußerste beeinträchtigender dauernder Mißstand lag in der vielfachen Dehnbarkeit der zahllosen Kriegsverordnungen, wie derjenigen über „Gegenstände des täglichen Bedarfs“, des „Kriegsbedarfs“, in der Unmöglichkeit, bestimmte Regeln und Vorschriften zu erhalten, und in der hieraus entspringenden Unsicherheit über das, was erlaubt oder strafbar sei. Dazu kam noch als letztes die immer weiter sich verbreitende Abnahme von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr, die Entrechtung der Besteller, bezüglich Preis, Güte und Lieferfrist der Waren, die zynische, einseitige Hervorkehrung des Liefererstandpunktes, die skrupellose Ausnützung der „Kriegskonjunktur“ zu Preisüberschreitungen, zum Kriegswucher. Die tatsächlichen schweren Mißstände begegneten sich mit einer verbreiteten falschen Auffassung von den Aufgaben des Handels, dieses unentbehrlichen Glieds in der gesamten Produktionskette. So warf man den berechtigten ehrbaren Handel in einen Topf mit einer schädlichen, weil lediglich verteuernden Art des Zwischenhandels. Wie sich übrigens bei zahlreichen Besprechungen feststellen ließ, urteilte die Rüstungsindustrie im ganzen über den Wert des Handels viel günstiger, als die Allgemeinheit und manche Behörden. Der Wert des Handels, besonders des für



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die Rüstungsindustrie vor allem in Betracht kommenden Eisenhandels bestand in folgendem: 1. Kapitalkräftige Händler vermögen Läger zu halten, die das Vielfache der wöchentlichen Leistung großer Werke darstellen. Sie sind daher bei großem plötzlichen Bedarf, wie er im Krieg immer wieder eintritt, schlechthin unersetzlich. 2. Der Händler ersetzt durch sein kombiniertes Lager vielen Verbraucherfirmen das Halten eines eigenen Lagers. Hierin liegt eine erhebliche Ersparnis für die Volkswirtschaft. 3. Kleinere Aufträge zu erledigen ist der Erzeuger, besonders im Kriege, nicht oder nur mit langer Lieferzeit gewillt. 4. Ausgefallene Abmessungen sind beim Händler viel eher und rascher zu erhalten, als beim spezialisierten Erzeuger, da der Händler von zahlreichen Erzeugern Angebote erhält. Deshalb hat er auch meist die größte Auswahl. 5. Der Händler mit seiner Sachkenntnis kann die Konjunktur ausnützen, rechtzeitig zugreifen, den Verbraucher fachgemäß beraten und bedienen. Er wird das um so mehr tun wollen, da ihm an dauernder Geschäftsverbindung liegen muß. 6. Der Bezug durch den Händler bedeutet nicht selten eine Arbeitsersparnis (bei ausgefallenen Abmessungen) und bei kleinen Posten unter Umständen sogar eine Frachtersparnis. 7. Bei zusammengesetzten Waren ist ohne Händler überhaupt nicht auszukommen, denn jeder Herstellungsvorgang verlangt eine ganze Reihe von Erzeugern, so ist sogar der Erzeuger eine Maschine mit vielen ihrer Teile Händler. 8. Der Handel vereinigt an einem Punkt kaufmännische Vertriebsabteilungen, die sich sonst in einer größeren Anzahl von Fabriken befinden müßten und zusammen mehr kosten würden als ihre Vereinigung beim Händler. 9. Größere Händler sind meist durch langjährige Verträge mit den Erzeugern gesichert und unter Umständen sogar finanziell bei jenen beteiligt, erhalten als Wiederverkäufer billigere Preise und vermögen oft — mindestens einzelne Posten — billiger zu liefern, als man sie beim Erzeuger erhalten könnte. Jedenfalls wirken sie durch die Größe ihrer Lager preisausgleichend. In besonderen Fällen kann man noch sparen, wenn man den Händler veranlaßt, die Waren ohne Berührung seines Lagerplatzes unmittelbar an den Bestimmungsort zu leiten. So entfallen die Gebühren für Ent- und Beladen der Wagen, Hin- und Wegfuhr vom Lagerplatz sowie Lagergeld. Vorstehende Sätze sind aus den tatsächlichen Kriegserfahrungen, auch den meinigen abgeleitet. Wie hätte ich als Beschaffungsreferent ohne Händler auskommen sollen, der ich z. B. an eisernen Bauartikeln zu beschaffen hatte im Februar 1916 666 t, aber schon im März 2732  t, also das Vierfache, während der Bedarf im April wieder auf 900 t sank. Namentlich ohne den sehr tüchtigen und gewandten Berliner Eisenhandel wären derartige Forderungen überhaupt nicht zu bewältigen gewesen. Ähnlich

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 Industrie und Handwerk im Kriege

urteilt auch die Industrie. Einige Äußerungen mögen als Ergebnisse von Besprechungen folgen. Eine große Munitionsfirma war 1917 der Ansicht: „Der Handel benahm sich sehr entgegenkommend und behilflich, doch wurde seine Tätigkeit immer mehr durch behördliche Vorschriften eingeschränkt, deren es zuviel, auch der Sachkenntnis ermangelnde, über den wirklichen Zweck hinaus gibt. Besonders lästig sind auch die immer wieder nach zwei Wochen erfolgenden Änderungen.“ — Eine Wagenbaufirma erklärte 1917: Die Firma arbeitet auch schon jahrelang mit denselben Händlern. Diese taten deshalb, was in ihren Kräften stand, um sie zu unterstützen. Jetzt funktioniert die Zuweisung durch Wumba natürlich besser als der Handel, da besonders die Gütersperre die Händler stört. — Eine große Lokomotivenfabrik, die die teilweise schlimmen Auswüchse des Handels scharf betonte, sagte doch: „Ohne den Handel wären wir gar nicht ausgekommen, insbesondere hätten wir das Kleinzeug (für Zünder) gar nicht beschaffen können.“ — In einer der größten süddeutschen Automobilfirmen wurde mir gesagt: „Wir brauchen sehr große Materialmengen und haben deshalb im Frieden weniger mit dem Handel als mit dem Produzenten zu tun gehabt. Jetzt brauchen wir den Handel mehr, und zwar zur Beschaffung ausgefallener Dimensionen, die der Produzent, wenn überhaupt, nur bei großem Umfange der Bestellung und nach Monaten liefert. Unsere Firma kann einzelnen verlangten Dimensionen nicht so nachgehen wie der Händler mit seinen Detailkenntnissen und seinen zahlreichen ihm von den Produzenten zugehenden Angeboten. Die Heranziehung des Handels wird aber infolge der notwendigen Lieferscheine immer schwieriger. Hinzuzufügen ist, daß der Handel in einzelnen Fällen, wo es sich um Werksvertreter handelt, einen Zeitverlust und die Möglichkeit von Irrtümern in sich schließt.“ — Eine sächsische Zünderfabrik meinte: Die Firma hat aus dem Handel sehr viel Zink, Messing und Kleinteile bezogen. Der Handel hat ihr oft aus peinlichster Verlegenheit geholfen, namentlich wenn sie von ihren eigentlichen Unterlieferern im Stich gelassen wurde, und sie dadurch davor bewahrt, Arbeiter entlassen zu müssen. Die Unterlieferanten sind eben oft kleinere Firmen, die sich ebenfalls haben umstellen müssen, und da hat nun der Handel segensreich gewirkt.“ Auch Mißstände des Handels kamen zur Sprache, insbesondere die mancherorts zutage getretene Preistreiberei der rasch zusammengetretenen Händler, gegenüber der die Erfassung der Vorräte durch die Behörden „ein wahrer Segen gewesen“ sei. Eine rheinische Firma betonte Ende September 1917, man könne „ohne Bezugschein jedes Metall von jüdischen Händlern bekommen“.

Trotz mancher Mißstände wird man zusammenfassend sagen müssen: Der ordnungsgemäße, ehrbare, fachkundige Handel hat im Krieg auf dem Gebiet des Waffen- und Munitionswesens eine volkswirtschaftliche und nur von ihm in dieser Art und Größe erfüllbare Leistung vollbracht .

Kapitel 18 Das Handwerk § 62 Die Organisation der Vergebung Die Frage, ob es dem Handwerk gelang, Heeresaufträge in größerem Maßstabe zu gewinnen, war entscheidend für sein Bestehen während des Krieges. Die Bemühungen der einzelnen Handwerker um Heeresaufträge blieben ergebnislos. Auch hier



Das Handwerk 

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verstand es im Anfange des Krieges ein Zwischenhändlertum übelster Sorte, obwohl teilweise ohne jede Fachkenntnis und ohne die geringste Ahnung von der übernommenen Arbeit, Heeresaufträge zu erlangen und die Handwerker von sich abhängig zu machen, indem sie ihnen Entlohnungen anbot, die kaum zur Bezahlung der Rohstoffe und der Arbeitskräfte reichten. Der deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag und die Handwerkskammern gingen Staat und Gemeinden um Arbeit an. Hierbei fanden sie die tatkräftige Unterstützung der meisten Stellen, auch hinsichtlich der Ausschaltung des Zwischenhandels. Das Kriegsministerium machte im November 1914 seinen Beschaffungsstellen die besondere Berücksichtigung des Handwerks bei geeigneten Arbeiten zur Pflicht, und zwar sollten die Handwerksvereinigungen unter Vermittlung des Handwerks und Gewerbekammertages mit diesen Arbeiten betraut werden. Die Handwerker selbst griffen zur Selbsthilfe. Handwerksbetriebe wurden zur Ermöglichung der Ausführung von Heereslieferungen umgestellt, z. B. fertigten Schuhmacher Patronentaschen, Mechaniker und Uhrmacher Zünderteile an. Arbeitsgemeinschaften mit den Gehilfen wurden begründet, die Tarifverträge mit den Gehilfen verlängert und erweitert. Arbeitsvermittlungs- und Berufsberatungsstellen für kriegsverletzte Handwerker wurden errichtet. Wirklich helfen konnte jedoch nur eine Neuorganisation der Vergebung: Die Vermittlung von Heeresaufträgen mußte zentralisiert werden, indem man Werkgenossenschaften, Lieferungsgenossenschaften und andere Lieferungsvereinigungen gründete. Bisher hatte es daran gefehlt. Es war dies ein Grundübel, an dem das Handwerk bisher gekrankt hatte27. Daher drängte auch die Heeresverwaltung, die schon im Frieden immer wieder auf die Gründung zuverlässiger Lieferungsgenossenschaften und Zentralgenossenschaften hingewiesen hatte, nach Kriegsbeginn im verstärkten Maße zum Zusammenschluß; denn es war ihr verwaltungstechnisch unmöglich, sich mit jedem einzelnen Handwerker in Verbindung zu setzen. Um diesen Wünschen Rechnung zu tragen, betrieben die Handwerkskammern und ihre Zentrale mit Eifer die Gründung von Lieferungsvereinigungen. Die Erfolge besiegten allmählich das Mißtrauen gegen den genossenschaftlichen Zusammenschluß, so daß Hunderte von derartigen Gemeinschaften, Genossenschaften und Verbänden entstanden. Bis diese aber genügend entwickelt waren, sprangen die Innungen und Handwerkskammern als Träger der Heeresaufträge ein. Wo bei den Kammern Verdingungsstellen bestanden, übernahmen diese die Vermittlung und Verteilung der Heeresaufträge, andere Kammern (z. B. Frankfurt a. O.) gingen sogar soweit, unter eigener Verantwortung nicht nur als Vermittler, sondern auch als Unternehmer Aufträge zu übernehmen. Die zentrale Vermittlung für das ganze Reich 27 Das Handwerk ist mit einem schweren Mangel in den Krieg gegangen, es hatte ihm an wirtschaftlicher Organisation gefehlt. (Crecelius, Protokoll des 18.  deutschen Handwerks- und Gewerbekammertages, S. 24.)

222 

 Industrie und Handwerk im Kriege

wurde ursprünglich durch die 1913 gegründete Hauptstelle für Verdingungswesen beim deutschen Handwerks- und Gewerbekammertag ausgeübt. Später traten zentrale Vermittlungsstellen der größeren Bundesstaaten an diese Stelle. Im Juni 1915 verbot der preußische Handelsminister den Handwerkskammern über die reine Vermittlungstätigkeit hinaus eigene wirtschaftliche Betätigung bei Heereslieferungen, da diese mit ihrer öffentlich-rechtlichen Stellung nicht zu vereinbaren sei. Darum wurden die schon bestehenden Verdingungsstellen in Verdingungsämter mit selbständiger Rechtspersönlichkeit, meistens in Form einer G. m. b. H. verwandelt, und in den Bezirken ohne Verdingungsstellen neue gegründet. Außerdem schlossen sich die verschiedenen Vermittlungsstellen (auch der Bundesstaaten) zu einer „Arbeitsgemeinschaft der zentralen Vergebungsstellen für das Handwerk“ zusammen. Nach langwierigen Verhandlungen kam endlich am 13. Mai 1915 die Gründung der Hauptstelle für gemeinschaftliche Handwerkslieferungen, G. m. b. H., in Berlin zustande. Die Hauptstelle arbeitete mit 56 Kammern und wirtschaftlichen Betriebseinrichtungen, die als Bezirksvermittlungsstellen für die Handwerkerinnungen, Lieferungsgenossenschaften usw. dienten. Die Verteilung der Heeresaufträge geschah so, daß die Vergebung von der Hauptstelle zunächst auf die einzelnen Kammerbezirke umgelegt und von ihnen und ihren Verdingungsämtern auf die angeschlossenen Lieferungsgemeinschaften verteilt wurde. Hierbei wurde die Eigenart der Kammerbezirke, die Größe des Auftrages, die Lieferungsart, die Beschaffung der Rohstoffe und die Vermeidung von Transportkosten berücksichtigt. Die Hauptstelle ging von vornherein von dem Standpunkt aus, daß große Leistungen des Handwerks nur dann erreicht werden könnten, wenn dort , wo die Rücksicht auf die Billigkeit eines Teilproduktes es nötig machte, auch die Industrie herangezogen werde. Dieser Grundsatz wurde später auch erfolgreich durchgeführt, z. B. bei der Übernahme eines großen Auftrages auf Minenkörbe, der vor allen Dingen den Korbflechtern Arbeit sichern sollte. Hier wurden die eisernen Gestelle an die Industrie vergeben, weil sie vom Handwerk nicht gewinnbringend hätten hergestellt werden können. Ebenso übernahm die Hauptstelle Aufträge zur Lieferung von Teil- und Zwischenprodukten für die Industrie. Neben der Vermittlung von Aufträgen übernahm die Hauptstelle später auch die Beschaffung von Rohstoffen und Halberzeugnissen für das Handwerk, indem sie auf eigene Rechnung einkaufte. Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Geschäfte suchte man durch Kreditgewährung der Dresdener Bank und Vorschußzahlungen des Wumba zu beheben. Später kaufte die Hauptstelle nur noch im Auftrage und für Rechnung der Genossenschaften und Verbände ein. Der Organisation des Handwerks in Preußen und im Reich mußte die Gewähr einer Arbeitsübertragung durch die Heeresverwaltung gegenüberstehen. Es gelang dem Handwerk, durch ein Abkommen mit der „Ausgleichstelle der Bundesstaaten“ wenigstens im Bereich des Waffen- und Munitions-Beschaffungsamtes, die Bereitstellung eines angemessenen Teiles der überhaupt zur Verteilung gelangten



Das Handwerk 

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Arbeiten zu erzielen. Dieses im September 1917 abgeschlossene Abkommen erstreckte sich auf Aufträge in Holzarbeiten (Kisten usw.), Holzfahrzeugen, Reit- und Stallsachen. Die Berechnung des handwerksmäßigen Anteils geschah auf folgende Weise: Die Ausgleichstelle der Bundesstaaten schied unter Berücksichtigung der Sondervergebung in Bayern, Sachsen und Württemberg bei Anmeldung von Bedarf in den oben genannten Gegenständen 28% des Gesamtbedarfes für das Handwerk preußischen Kontingents aus. Im Einvernehmen zwischen der betreffenden Stelle des Wumba, der Ausgleichstelle und des Handwerks erfolgte dann die Verteilung auf die einzelnen Staaten preußischen Kontingents durch die Hauptstelle.

Der für die Übernahme umfangreicher Heeresaufträge notwendige Kredit wurde dem Handwerk in erster Linie von der preußischen Zentralgenossenschaftskasse zur Verfügung gestellt, die 100 Mill. Mark für diesen Zweck bewilligte. Träger dieses Kredits wurden die von den Handwerkskammern, Innungen usw. neu gegründeten zahlreichen Kreditgenossenschaften, die bezirksweise zu Verbandsgenossenschaften zusammengefaßt wurden. Außerdem wurden von den Bundesstaaten, Provinzen, Gemeindeverbänden und von privaten Vereinen Kriegskreditbanken, Kriegshilfskassen, Darlehnskassen und ähnliche Einrichtungen geschaffen, die dem kreditbedürftigen Handwerk Mittel zur Verfügung stellten.

§ 63 Umfang der Handwerkslieferungen Die folgenden Ausführungen geben charakteristische Ausschnitte von der Tätigkeit des Handwerks im Kriege, wobei Lieferungen von Waffen, Munition und Kriegsgerät besonders berücksichtigt sind. Die Handwerker, die durch Beteiligung an Heereslieferungen Arbeit und Verdienst fanden, waren besonders Korbmacher, Tischler, Schmiede, Schlosser, Stellmacher, Wagenbauer, Sattler. Die Gegenstände, die das Handwerk im Rahmen der Heereslieferung herstellte, überschritten in ihrer bunten Mannigfaltigkeit weit den Kreis dessen, was früher das Handwerk selbst für handwerksgemäß angesehen hatte. Es zeigte sich, daß bei richtiger Organisation viele Dinge, die man der Industrie vorbehalten geglaubt hatte, auch vom Handwerk preiswert und in tadelloser Beschaffenheit gefertigt werden konnte, erwähnt seien Geschoßkörbe und Brückentrains, Zünder, Pulvertonnen, Schanzzeug, Kartuschkästen, Hindernismittel und dergleichen mehr. Die ersten beiden großen Aufträge, die das Handwerk erhielt, lauteten auf 7000 und später 3000 Proviantwagen. Dabei erwies sich die Leistungsfähigkeit des Handwerks als sehr gut. Es zeigte sich der hohe Wert richtiger handwerklicher Schulung und Vorbildung. Die Ausführung war dort am sorgfältigsten, wo sich die Meister auf Fachschulen gute, namentlich zeichnerische Kenntnisse erworben hatten. Im ganzen wurden dem Handwerk allein durch die Feldzeugmeisterei und durch Vermittlung des deutschen Handwerks- und Gewerbekammertages bis zur Begründung

224 

 Industrie und Handwerk im Kriege

der Hauptstelle für rund 37 Mill. Mark Aufträge zugewiesen. Dazu kamen die bedeutenden Vermittlungen der Handwerkskammern, welche z. B. durch die Verdingungsstelle der Handwerkskammer Berlin im Jahre 1915 über 2 Mill. Mark betrugen. Auch die Aufträge, die den Handwerkern, Innungen und Genossenschaften direkt zugeflossen sind, waren recht erheblich. So wurden vom Bekleidungsbeschaffungsamt von Februar 1915 bis Juli 1916 allein für 51,3 Mill. Mark Aufträge für Lederausrüstungen vergeben. Mit der Begründung der Hauptstelle und der fortschreitenden Organisierung des Handwerks wuchsen auch die Heeresaufträge nach Zahl und Bedeutung in hohem Maße. Die Hauptstelle bemühte sich, daran auch bisher nicht bedachte Handwerksgruppen zu beteiligen. So wurden die Feinmechaniker, Uhrmacher und Dreher in die Organisation eingezogen und in weitgehender Arbeitsteilung mit einem Auftrag auf 3  Mill. Zünder versehen. Jeder einzelne Handwerksbetrieb stellte immer nur einen Zünderteil her, diese Teile wurden in jedem Kammerbezirk gesammelt und dann in Mengen von 5000—10 000 Stück an einen Großbetrieb weitergegeben. Auf diese Weise gelang es, die Leistungsfähigkeit des Handwerks ungemein zu steigern und gleichzeitig die zünderfertigenden Großbetriebe für Munitionsherstellung freizumachen. In welchem Maße die Aufträge der Hauptstelle seit ihrer Gründung zugenommen haben, zeigt die folgende Zusammenstellung, wobei zu berücksichtigen ist, daß die Hauptstelle ihre volle Tätigkeit erst im Oktober 1916 aufgenommen hat. Mill. Mark

1916 Mill. Mark

1917 Mill. Mark

1918 Mill. Mark

zusammen

Fahrzeuge…………………...........…... Minen- und Geschoßkörbe…......… Tischlerarbeiten……………........….. Leder- und Textilwaren………......... Munition……………..................……

34,0 1,5 11,8 13,8 —

6,5 3,0 1,7 11,8 —

5,2 5,1 5,7 1,9 —

45,7 9,6 19,2 27,5 26,1

Zusammen:……...........……………...

61,1

23,0

17,9

128,1

Die Aufträge verteilten sich auf 35  preußische Kammern mit 60½  Mill. und auf 24  nichtpreußische Kammern mit 28½  Mill. Mark (ohne Munition). Die Kammer Berlin erhielt Aufträge für über 7 Mill. Mark (ohne Munition). Die Abteilung Munition hat in den Jahren 1916/1917 für fast 22 Mill. Mark Aufträge verteilt, hergestellt wurden hauptsächlich Wurfminenhüllen, Zünder, einzelne Zünderteile. Eine Zusammenstellung der Aufträge nach den einzelnen Beschaffungsstellen zeigt folgendes Bild. Es wurden bestellt bis zum 14. März 1917:



vom Kriegsamt (Wumba)…………......................... vom Ingenieurkomitee…………....................……… von der Verkehrstechnischen Prüfungskommission…………………............................................… vom Bekleidungsbeschaffungsamt Berlin und anderen Bekleidungsämtern……......................… von staatlichen Instituten……..................………… a) Spandau……………………….........................…… b) an anderen Orten ……………......................…… von der Privatindustrie……………....................……

Das Handwerk 

 225

für „ „

rund „ „

80,00 5,00 0,50

Mill. „ „

Mark „ „





0,45





„ „ „

„ „ „

1,80 0,40 12,20

„ „ „

„ „ „

Auch die Bundesstaaten haben in umfassender Weise für das Handwerk gesorgt. Die Verteilung der Lieferungen auf die Handwerksmeister war im ganzen freilich sehr verschieden. Während die meisten zufrieden waren, ihre durch den Krieg schwer erschütterte Existenz notdürftig aufrecht zu erhalten, gab es doch auch manchen Meister, der unter günstiger Ausnutzung der Konjunktur Kriegsgewinne einheimste, die denen der Industrie zum Teil wohl kaum nachgestanden haben.

§ 64 Zusammenfassung Das Handwerk hat im allgemeinen, vor allem nach den ersten Kriegsmonaten, grundsätzliches Entgegenkommen bei den Heeresbeschaffungsstellen gefunden, teilweise sogar erstaunliches Verständnis für die technischen und organisatorischen Schwierigkeiten, die der Ausführung von Großaufträgen angesichts der vielen Einzelbetriebe des Handwerks entgegenstehen. Besonders rühmend hervorgehoben wurde vom Handwerk die Tätigkeit der Traininspektion, des Ingenieurkomitees, und vor allen Dingen auch der Feldzeugmeisterei. Von letzterer sagte ein berufener Vertreter des Kleingewerbes: „Das Entgegenkommen der Feldzeugmeisterei, diktiert durch ein weitgehendes wirtschaftspolitisches Verständnis für die Bedeutung der Heeresaufträge zur Erhaltung des Handwerks im Kriege, kann nicht warm genug anerkannt werden.“ Andrerseits wurden im Lauf des Krieges auch manche Klagen gegen die Beschaffungsbehörden laut, besonders über schleppende Zahlungsweise infolge der umständlichen Nachprüfungen. So kam es, daß z. B. die Hauptstelle am 31. Dezember 1917 allein 5 Mill. Mark Forderungen an Wumba hatte, darunter unbezahlte Rechnungen vom Mai 1917. Ähnliche Klagen erhoben sich über das Ingenieurkomitee, das erst auf eine Beschwerde beim Kriegsministerium zu Abschlagszahlungen schritt. Im Gegensatz zu dem geschilderten Verständnis für die Notlage des Handwerks stand das ablehnende Verhalten der meisten Spandauer Heeresbetriebe, worüber das Handwerk bittere Klagen führte. Die Wünsche des Handwerks gegenüber den Beschaffungsstellen gingen im allgemeinen auf

226 

 Industrie und Handwerk im Kriege

1. größere Rücksichtnahme bezüglich der Art der Überschreibung von Aufträgen an die Hauptstelle; 2. bessere Vorbereitung der Aufträge nach Art der geforderten Leistungen, insbesondere wünschte man eine Zerlegung der Aufträge in einzelne Teile; 3. größere Rücksichtnahme hinsichtlich der Terminbemessung; 4. bessere Preisbemessung; 5. weitergehende Rücksichtnahme auf die Schwierigkeiten der Rohstoffbeschaffung. Das Urteil der Behörden über die Heereslieferungen des Handwerks war nach Überwindung der anfänglichen Schwierigkeiten durchaus günstig, nach Ansicht des Waffen- und Munitions-Beschaffungsamts z. B. war „das Handwerk nicht nur ein notwendiges, sondern auch ein sehr erwünschtes Glied der Kriegswirtschaft“. Zu Kriegsbeginn wurde von den Beschaffungsbehörden im allgemeinen viel über die Eigenwilligkeiten der Handwerker geklagt. Sie arbeiteten nach ihrem eigenen Kopf und konnten sich schwer an die genaue Einhaltung der militärischen Vorschriften gewöhnen. Oft führen die Berichte zu hohe Preise des Handwerks an, welche die Konkurrenz mit der Industrie unmöglich machten. Im Gegensatz hierzu lautet die Äußerung einer großen schlesischen Industriefirma dahin: „Die Firma hat eine Zeitlang, ca. 2 Monate, nach Kriegsbeginn viel Munition und Proviantwagen hergestellt, ist aber dann aus der Arbeit ausgeschieden, weil die kleinen ebenfalls herangezogenen Schreiner und Stellmacher billigere Preise stellten als eine große Fabrik dies tun kann.“ Viel Schwierigkeiten machten den Behörden die Vorurteile, Eifersüchteleien und die Kurzsichtigkeit, die sich gerade in Handwerkerkreisen bedauerlicherweise so leicht breitmachen und die zu Unzufriedenheit einzelner Handwerker über die Verteilung der ihren Handwerkskammern zugewiesenen Aufträge führten. Zu besonders schweren Konflikten zwischen Behörden und Handwerk mußte notwendigerweise das Hilfsdienstgesetz führen, das tief in die Lebensbedingungen des gewerblichen Mittelstandes eingriff. Das Handwerk verschloß sich der Notwendigkeit der mit diesem Gesetz verbundenen Betriebsstillegungen und Zusammenlegungen nicht, aber es verlangte, daß, soweit irgend möglich, Rücksicht auf die besonders schwierige Lage genommen werde, in die der Handwerker durch Betriebsstillegung kam. Dies scheint allerdings bei der Ausführung des Gesetzes durch die unteren Verwaltungsstellen nicht immer der Fall gewesen zu sein. Im großen und ganzen aber darf man sich bei der Beurteilung der Stellungnahme der staatlichen Stellen wohl den Worten anschließen, die ein Handwerksvertreter auf dem 18.  deutschen Handwerks- und Gewerbekammertag in Stuttgart im Jahre 1917 aussprach: „Wie innerlich stark und lebensfähig das Handwerk in seinen Grundfesten ist, hat sich mit aller Deutlichkeit während dieses völkermordenden Krieges erwiesen. Trotzdem es weitaus die größten finanziellen Opfer zu tragen hatte und soviel seiner Existenzen vernichtet wurden, ist es aufrecht und tätig geblieben, seine angelernte Tüchtigkeit hat sich den durch den Krieg veränderten Verhältnissen ver-

Arbeiterfragen 

 227

hältnismäßig schnell angepaßt, und was vielleicht das bedeutungsvollste ist, das Handwerk hat durch seine Kriegstätigkeit an vielen maßgebenden Stellen und bei vielen maßgebenden Persönlichkeiten die Erkenntnis erneut wachgerufen, daß zum Gesunden auch unseres Staats- und Wirtschaftslebens ein tatkräftiger, leistungsfähiger Mittelstand unentbehrlich ist.“ Das Handwerk kann im Rückblick auf seine Kriegstätigkeit mit Genugtuung sagen, daß es durch seine wirtschaftlichen Organisationen Gesamtleistungen hervorgebracht hat, die in ihrer Art denen der Industrie ebenbürtig sind.

Kapitel 19 Arbeiterfragen § 65 Gewinnung von Arbeitskräften, ihre Arten und Leistungen In der ersten Kriegszeit waren es vorherrschend die Heereswerkstätten und die eigentlichen Rüstungsfirmen, welche für ihre dauernd steigenden Lieferungen großer Arbeitermengen bedurften. Aber der erhöhte Arbeiterbedarf ließ sich zunächst leichter, als vorher angenommen, sicherstellen. Infolge verringerten Bedarfs, infolge der in den ersten Wochen des Krieges vorherrschenden Bahnbeförderungsschwierigkeiten, des Mangels an Rohstoffen, aber auch der Gefährdung der Grenzgebiete stellten viele Privatbetriebe ihre Tätigkeit ein. Dadurch wurden namentlich aus den Luxusindustrien zahlreiche Arbeitskräfte frei. Das Angebot übertraf zunächst die Nachfrage. Seit April 1915 trat dagegen dauernder Mangel an männlichen gelernten Arbeitskräften ein. Die Gewehrfabrik Spandau berichtet hierüber: „Während das Angebot von ungelernten Arbeitern und Arbeiterinnen den Bedarf übertraf, machte sich alsbald der Mangel an brauchbaren handwerksmäßig ausgebildeten Arbeitern auf dem freien Arbeitsmarkt unangenehm bemerkbar, so daß es schließlich auch erforderlich erschien, auf die kriegsverwendungsfähigen und im Heeresdienst befindlichen Handwerker zurückzugreifen. Die von der Gewehrfabrik eingereichten Anträge hatten aber leider nicht immer den gewünschten Erfolg. Nur ein verschwindend kleiner Teil der angeforderten Anzahl wurde überwiesen und entstandene Lücken notdürftig ausgefüllt. Die Zurückstellung dieser Arbeiter zur Arbeitsleistung bei der Gewehrfabrik erfolgte stets nur auf zwei bis drei Monate. Mit einer so kurzfristigen Zuteilung war dem Betriebe natürlich nicht viel geholfen, da Gefahr vorlag, die hier eben einigermaßen mit den Sonderarbeitsverhältnissen einer Gewehrfabrik vertraut gewordenen Leute in kurzem wieder zum Heeresdienst zur Verfügung stellen zu müssen.“

Wenn es dem staatlichen Werk so erging, wie mochte da manchmal die Privatindustrie zu klagen haben? Tatsächlich ist die Einziehung und Zurückstellung von Arbeitern eine der schwierigsten, allseits befriedigend überhaupt wohl nicht lösbaren Aufgaben gewesen. Das Unheil begann, als mit der Mobilmachung sogar in den Instituten die wichtigsten

228 

 Industrie und Handwerk im Kriege

Kräfte eingezogen wurden. Ersatz war aber gerade für die Institute schwer zu bekommen, da die Privatindustrie besser bezahlte. Die schwierigen Fragen der Menschenökonomie und ihre Lösung werden in Band I eingehend behandelt. Vorliegende Darstellung beschränkt sich auf die Vorgänge in der Waffen- und Munitionsindustrie. Die häufigste Klage während des ganzen Krieges war, daß die Entscheidungen in allen Einziehungsfragen viel zu lange auf sich warten ließen. Die Gewehrfabrik Spandau spricht von 2 Monaten und darüber. Das lag wohl zum Teil am Bureaubetrieb der betreffenden Heeresstellen, zum Teil auch an ungenügenden Angaben in den Anträgen der Firmen. Oft erschien die Freigabeverfügung, nachdem der betreffende Arbeiter bereits zum Truppenteil gegangen war. Dazu kam das äußerst lästige von einzelnen großen Werken geübte Wegfangen von Arbeitern. Sie hatten im Reich ihre Vermittler, die ihnen durch hohe Versprechungen gewandte Arbeiter zuführten. Was aber noch viel mehr böses Blut machte, war die Feststellung mancher Firmen, daß die ihnen weggenommenen Arbeiter nach einiger Zeit einer der großen Rüstungsfirmen zur Verfügung gestellt wurden. Auch die Arbeiter glaubten oft Anlaß zur Unzufriedenheit zu haben. So ist verständlich, daß die Klagen nie verstummt sind. Eine Besserung wurde angestrebt durch die Tätigkeit von Verbänden, z. B. des Vereins Deutscher Eisengießereien und bei den Instituten durch Einrichtung besonderer Bureaus, da die Ersatzbehörden angeblich „nicht das erforderliche Verständnis für die Bedeutung der Institute für die Aufrechterhaltung der Schlagfertigkeit der Armeen“ zeigten. Der Hauptbedarf an Arbeitern bezog sich natürlich dauernd auf Facharbeiter. Leitspindelbankdreher, Lehrenfeiler, Werkzeug- und Gesenkmacher, Maschinenschlosser, Einrichter für Massenfertigungsmaschinen und Büchsenmacher werden besonders erwähnt. Bei der Durchführung des Hindenburg-Programms erreichten die Anforderungen der Industrie eine solche Höhe, daß ihre kritische Sichtung unbedingt notwendig wurde. Es mußten die Leistungsfähigkeit der Firmen, das Arbeitsgebiet und die verschiedenen Berufe der Facharbeiter beurteilt werden. Allzu hohe Anforderungen waren zu dämpfen. Nachdem die ersten Anforderungen befriedigt waren, wurden sie geringer, und der Wechsel beschränkte sich vielfach auf Austausch der Facharbeiter zwischen den einzelnen Firmen, sowie auf die Herbeischaffung besonderer Spezialarbeiter. Schließlich erwies sich, daß die weitere Freigabe nur an Hand genauer Prüfungen erfolgen konnte. Diese übernahmen die Kriegsamtsstellen. Die Schwierigkeiten, geeignete Arbeitskräfte zu erhalten, lagen, abgesehen von dem mangelnden Angebot und dem langsamen Arbeiten der Behörden, in folgenden Umständen: Man hatte vielleicht in der Industrie nicht früh genug den Ernst der Lage begriffen und sich mit aller Energie auf die Ausbildung von Facharbeitern gelegt. Die eingeführten Nachtschichten verursachten einen sehr hohen Arbeiterbedarf. Spezialfirmen, z. B. optische, Pulver- und Sprengstoffabriken müssen ihre Arbeitskräfte mit besonderer Sorgfalt auswählen, für schwere Arbeiten z. B. in Geschützfabriken eignen sich Jugendliche, Frauen und alte Leute nicht. Schlechte Verkehrsverhält-

Arbeiterfragen 

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nisse hemmen den Arbeiterzuzug. Dazu kam für die staatlichen Institute der starke Wettbewerb der besser bezahlenden Privatindustrie. So wird begreiflich, daß wegen der großen Zahl der Ungelernten und der mangelhaften Ernährung der Wechsel der Arbeitskräfte, namentlich in anstrengenden Betrieben, ein sehr großer war. Die Geschoßfabrik Spandau berichtet folgende Zahlen: Abgang November 1916…………….. Dezember 1916…………….. Januar 1917……………..……

Zugang

männl.

weibl.

männl.

weibl.

99 75 77

18 20 21

86 118 70

36 22 33

und fügt hinzu, daß von 30  Arbeitern der Geschoßdreherei, welche aus dem Füllwerk überwiesen waren, 25 schon nach wenigen Tagen kündigten, als ihre Zurückverweisung abgelehnt wurde.

Alle möglichen Stellen wurden zur Gewinnung von Arbeitskräften herangezogen: Die Renten- und Versorgungsabteilungen der Truppenteile, die Provinzialarbeitsnachweisstellen, Kriegsarbeitszentralen, Kriegsfürsorgestellen und Bürgermeistereien. Durch Inserate wurden dauernd Arbeiter und Handwerker gesucht. Auch wurde auf jene Handwerker zurückgegriffen, die infolge ihrer Tätigkeit im Felde oder ihres Gesundheitszustandes nur garnisondienstfähig oder nur arbeitsverwendungsfähig waren. In den Instituten wurde auch solchen Arbeitern, die mindestens 4 Wochen aus dem Felde beurlaubt waren, Gelegenheit zur Arbeit gegeben. Dadurch traten allmählich außerordentlich starke Verschiebungen in der Art der Arbeiterschaft ein und diese Verschiebungen mußten mit der Zeit von erheblichem Einfluß auf ihre Leistungsfähigkeit werden. Geschulte Kräfte fehlten immer mehr, zum richtigen Anlernen fehlten Zeit und Gelegenheit. Die Ernährung, die Maschinen, Werkzeuge und Materialien wurden immer minderwertiger und die eingestellten jugendlichen Arbeiter befriedigten wenig, weit weniger als die Frauen und Mädchen, „da entweder das Verantwortlichkeitsgefühl fehlte oder ein gewisser Selbständigkeitsdrang sich herausstellte, der aber zu falschen Ergebnissen führte und dauernde Überwachung erforderlich machte“. Deshalb wurde es nötig, die Fertigungsvorgänge dem veränderten Arbeitermaterial im weitesten Umfang anzupassen. Der Herstellungsgang wurde weitgehend unterteilt und dadurch der einzelne Arbeitsgang vereinfacht . So konnten bei Massenfertigung sehr viele Dinge von Ungelernten hergestellt werden, für die man früher gelernte Arbeiter gebraucht hatte. Der gelernte Arbeiter aber wurde zum Vorarbeiter und Einrichter. Die mit verschiedenen Arten der Ausbildung Ungelernter gemachten Erfahrungen wurden gesammelt und der Industrie zugänglich gemacht. Man ist in einzelnen Firmen bis zur Einrichtung systematisch arbeitender Schulen, auch für weibliche Arbeiter gelangt.

230 

 Industrie und Handwerk im Kriege

Kriegsbeschädigte, Kriegsblinde und Gefangene. Kriegsbeschädigte wurden in der Rüstungsindustrie in steigendem Umfang verwendet. Ihre Anzahl betrug z. B. in Januar 1915 dem Feuerwerkslaboratorium Spandau…………………………........… der Gewehrfabrik Spandau………... der Gewehrfabrik Danzig………..….

Ersteinstellung — —

Ende Dezember Ende März Juli 1915 1916

Anfang 1917







600

180 —

— 369

— 508

— —

Im Feuerwerkslaboratorium konnten 120  Kriegsbeschädigte in ihrem früheren Beruf beschäftigt werden, fünf als Lehrlinge, um sie einem neuen Beruf zuzuführen. Man nahm selbstverständlich überall auf die Leiden der Beschädigten Rücksicht. Verwendet wurden sie bei sitzend ausführbaren Schlosser-, Zünder-, Aufsichts- und Revisionsarbeiten sowie als Hauswärter. Die Munitionsfabrik Spandau richtete eine besondere Lehrwerkstatt ein, es war aber schwierig, geeignetes Anlernpersonal zu bekommen. Die Erfahrungen mit den K r i e gsb e s ch ä d igte n waren durchschnittlich gut, wenn auf ihre Nervosität Rücksicht genommen wurde. Vereinzelt wird über unberechtigte Ansprüche geklagt. Sogar K r i e gsb l i n d e konnten eingestellt werden, z. B. in der Patronenfertigung und der Revision. Im Feuerwerkslaboratorium arbeiteten dreizehn Kriegsblinde bei der Untersuchung von Zünderteilen, und zwar sechs Stunden täglich. Sie schienen mit ihrer Beschäftigung zufrieden. Seit Anfang 1917 wurden auch Maschinen besonders für Bedienung durch Blinde hergestellt. Die Erfahrungen mit der Beschäftigung der Blinden mit diesen Arbeiten waren gut. Kriegsge f a nge n e wurden in der Hauptsache nur als Hilfs- und Transportarbeiter verwendet. In einzelnen Fällen waren kriegsgefangene Facharbeiter an Werkzeugmaschinen beschäftigt. Während in Oberschlesien Kriegsgefangene in ausreichender Zahl zur Verfügung standen (bei einer Hütte beispielsweise 17% der Belegschaft), wurde in Bayern über das mangelhafte Entgegenkommen in dieser Hinsicht geklagt. Auf der Gußstahlfabrik des Kabelwerkes Duisburg waren etwa 450 Kriegsgefangene tätig, das ist rund 0,46% der Belegschaft, außerdem etwa 8000  Ausländer aller Art. Im großen und ganzen war man mit den Leuten zufrieden, nur in vereinzelten Fällen zeigten sie passive Resistenz.

§ 66 Die Frauenarbeit Wenn man bedenkt, daß in der ganzen Firma Krupp vor Beginn des Krieges nicht eine einzige weibliche Angestellte tätig war, während man dort im Krieg in großen Werkstatthallen Drehbank für Drehbank von Frauen und Mädchen bedient sah, so erkennt man hieraus die Bedeutung der Frauenarbeit für die Kriegswirtschaft. Die ersten Einstellungen von Frauen begannen in der Industrie schon im Herbst 1914 und wuchsen von da an ständig, um so mehr, als das Angebot die Nachfrage dauernd überstieg. Die Verwendung der Frauen war eine außerordentlich vielseitige. Sie waren tätig bei leichten Handarbeiten, Nachprüfung von Munition, in Laboratorien, bei

Arbeiterfragen 

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Putzarbeiten, bei Anstreicher-, Seiler- und Sattlerarbeiten, an zahlreichen Stellen der Pulver- und Sprengstoffabriken, in der Munitionsherstellung, in Gießereien, in der Metallbearbeitung, an Automaten, Drehbänken, ja sogar als Schlosserinnen, Werkzeugmacherinnen und als Arbeiterinnen an Granatpressen. Im Hinblick auf die geringeren Körperkräfte der Frauen wurden, wo schwerere Stücke zu heben waren, Hebevorrichtungen und sonstige Transporterleichterungen geschaffen. Mit Rücksicht auf die Körpergröße der Frauen sah man an einzelnen Werkzeugmaschinen Trittbretter vor. Sogar in die Schwerindustrie drangen die Arbeiterinnen ein. Das Kabelwerk Duisburg berichtet hierüber: „In der Schwerindustrie ist die Verwendung der Frau naturgemäß begrenzt. Zu schwerer Feuerarbeit können Arbeiterinnen nicht herangezogen werden, sie werden daher in den Hüttenbetrieben mit leichteren Platz-, Transport- und Reinigungsarbeiten, allerdings auch als Maschinistinnen beschäftigt. Körperlich starke und gesunde Frauen kommen hierbei den Leistungen der männlichen Arbeiter beinahe gleich. In den mechanischen Betrieben ersetzen sie sowohl bei ihrer Verwendung als Hilfsarbeiterinnen als auch als angelernte Dreherinnen und Bankarbeiterinnen in größerem Umfange männliche Arbeitskräfte und reichen, wo es sich um einfache, wiederkehrende Arbeiten handelt, an die Leistungsfähigkeit der männlichen Arbeiter heran. Für die Bearbeitung von Arbeitsstücken, die ein gewisses Maß von Selbständigkeit voraussetzen und äußerste Genauigkeit beanspruchen, können Frauen mit Nutzen weniger gut verwendet werden. Die Leistungen der Frauen stehen hinter denjenigen der Männer namentlich deshalb zurück, weil ihnen einerseits die Ausdauer der männlichen Arbeiter, andererseits eine systematische Vorbildung fehlt. Die Frau ist im allgemeinen für eine Arbeit, die handliche Geschicklichkeit voraussetzt, geeigneter als zu schwerer und zu solcher, die eine scharfe und angespannte Aufmerksamkeit aus Gründen der Betriebssicherheit oder mit Rücksicht auf die gute Ausführung des einzelnen Werkstückes erfordert.“ Bezüglich der Gießereibetriebe schreibt Ab e k i ng in „Stahl und Eisen“, 1917, Heft 35, daß unter Berücksichtigung geeigneter Anlernung und Verwendung von Berufskleidung die Verwendungsmöglichkeit der weiblichen Arbeitskräfte „eine fast unbeschränkte“ sei.

Aber eine solche ausgedehnte industrielle Tätigkeit der Frau zerrüttet die Familie und ist der weiblichen Konstitution wenig entsprechend. Es wurde geklagt, daß die Frauen öfter erkrankten als die Männer und länger krank blieben. Einzelne Betriebe haben in Rücksicht auf diese Verhältnisse für Männer zwei, für Frauen drei Arbeitsschichten eingeführt, doch setzt dies einen besonders gearteten Betrieb voraus, konnte deshalb auch nicht Regel werden28. Wie hat sich die Frauenarbeit bewährt? Im allgemeinen sicher gut. Die Frauen und Mädchen eigneten sich besonders für feinere Arbeiten, sie waren z. B. bei der Munitionsnachprüfung gewissenhaft. Sie haben „überall da, wo es sich nicht um vorwiegend schwere Maschinenarbeit — wie z. B. bei den Geschoßfabriken — handelt, durchaus Befriedigendes geleistet. Die Frauentätigkeit aber vermag die Arbeitsleistung männlicher Arbeiter doch nicht voll zu ersetzen, auch wirkt das 28 Die Wohlfahrtseinrichtungen, die besonders den erwerbstätigen Frauen zugute kamen, sind im folgenden Paragraphen erwähnt.

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häufige Fernbleiben der Frauen von der Arbeit störend auf das Bestreben, die Maschinen voll auszunutzen, ihre geringen Erfahrungen in der Maschinenarbeit vermehren den Ausschuß, veranlassen Maschinendefekte und erhöhen die Zahl der Unfall- und Krankenziffern“. Im allgemeinen ist die Frau als Arbeiterin weniger leicht zu behandeln als der Mann, sie hat starke Eigenheiten: sie kündigt z. B. schon, wenn sie nicht neben ihrer Freundin arbeiten darf. Auch in den Volksstämmen ist ein Unterschied, so wurde zwischen Hannover und Düsseldorf der Westfälin durchweg der Vorzug vor der leichtblütigeren Rheinländerin gegeben. Die Arbeitslöhne sind in Bd. II behandelt.

§ 67 Gesundheitliche und soziale Fragen Daß die Länge der täglichen Arbeitszeit während des Kriegs eher zu- als abnahm, ist nicht zu verwundern. Eine der längsten Arbeitszeiten hatte wohl die Artilleriewerkstatt Spandau, wo sie zu Anfang des Krieges mit Pausen 11 bis 11½ Stunden betrug und erst nach einer Arbeitseinstellung auf 10 Stunden herabgesetzt wurde. Auch in einer großen Kasseler Firma herrschte im Herbst 1917 die 10stündige Arbeitszeit mit fast täglich einer Überstunde. In der Deutzer Gasmotorenfabrik betrug die wöchentliche Arbeitszeit 57, später 53 Stunden, entsprechend 92/3 und 85/6 Tagesstunden. Der Arbeitsschluß war um 5 Uhr Abends. Nicht selten herrschte 8stündige Arbeitszeit mit täglich drei Schichten. Nach einer Aussage im Reichstag war die Ansicht der in den Staatsbetrieben beschäftigten Leute die, „daß, wenn die Arbeitsweise richtig organisiert wäre, bei einer kürzeren Arbeitszeit, z. B. einer solchen von 8 evtl. 9 Stunden, eine höhere Leistung erzielt werden könnte“. Solche Arbeitszeiten sind angesichts der immer mangelhafter werdenden Ernährung als sehr hoch, als eine bedeutende Leistung zu betrachten. Für Frauen schuf man meist Erleichterungen durch Kürzung der Arbeitszeit, z. B. bei Erhardt, wo in einzelnen Frauenbetrieben 8 Stunden gearbeitet wurde. Auch Mannesmann führte in einzelnen Abteilungen für Frauen verkürzte Arbeitszeit ein, während im übrigen — mit Pausen — 10 Stunden gearbeitet wurde. In besonders dringenden Zeiten wurde in einzelnen Abteilungen dreimal 8 Stunden gearbeitet. Dabei sind dieser Firma Anregungen auf Änderung der Arbeitszeit aus Arbeiterkreisen nicht bekannt geworden. Leider war es in Deutschland nicht möglich, die Sonntagsarbeit in dem Umfang einzuschränken, wie dies in England geschehen ist. Die Artilleriewerkstatt Spandau z. B. hielt sie mit 6 Stunden für Männer und Frauen aufrecht. Man brauchte sie zum Teil, um die Maschinen wieder instand zu setzen. Vielfach litt die Ausnützung der Arbeitszeit unter dem Mangel an Rohmaterialien und an Werkzeugen. Über die Arbeitsbedingungen ist namentlich im Reichstag viel unter Hervorhebung der Drohung mit dem Schützengraben für nicht gefügige Arbeiter und über

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eine Verordnung der Feldzeugmeisterei vom 11.  Januar 1915 geklagt worden. Das hierbei angeführte angebliche Vorbild Englands bestand jedoch m. E. nicht zu Recht; die dortige Gesetzgebung faßte den Arbeiter nicht weniger energisch an als das Unternehmen, dem er angehörte. Bei dem gehetzten Kriegsbetrieb, der abnehmenden Qualität der Arbeiterschaft, der Maschinen, Werkzeuge und Materialien ist die Zunahme der Unfälle nicht verwunderlich. Die meisten und folgenschwersten Unfälle ereigneten sich in den Pulver- und Sprengstoffbetrieben. Zu deren Bekämpfung wurde im Kriegsamt eine Zentralaufsichtsstelle gegründet. Dazu kamen Überwachungsausschüsse bei den einzelnen Kriegsamtsstellen. Zur Belehrung aller Beteiligten dienten allgemeine und besondere Vorschriften, sowie kurzgefaßte, an die einzelnen Arbeiter ausgegebene Merkblätter. Wenn man oft die großen Industriegewinne während der Kriegszeit erwähnt, ist es auch billig, die bedeutenden Aufwendungen für Wohlfahrtszwecke nicht zu vergessen. „Man muß ein Herz behalten für die Leute trotz allem, was vorkommt“, sagte mir der Direktor eines großen Leipziger Werks, und nirgends habe ich bei den führenden Persönlichkeiten so viel Freude gesehen, als wenn sie mir ihre Wohlfahrtseinrichtungen zeigen konnten. Einzelne Industrien sind darin vorbildlich gewesen. Die braunschweigische brachte nach der Kopfzahl berechnete Wochenbeiträge auf. Die eingegangenen Summen wurden unter beratender Mitwirkung der Arbeiter verwandt. Im ganzen handelte es sich hauptsächlich um Unterstützungen und Darlehen an die Arbeiter und die Familien der Eingezogenen, ferner um Warteschulen und Walderholungsstätten für die Kinder, um Badeeinrichtungen, um Unterkunftshallen (Wohnkosten bei Erhardt 40 Pfg. täglich), sowie um Lazarettbauten. Für die Beratung der Arbeiterinnen wurden vielfach Fabrikpflegerinnen angestellt. Jenseits allen Vergleichs stehen die Kruppschen Arbeiterkolonien. Allerdings kamen die bekannten Anlagen nur langjährigen Werksangehörigen zugute. Ihr Gesamteindruck war der der Ordnung, des Friedens und der Schönheit. Wer nur die Kruppschen Werkstätten gesehen hat, der kennt einen wesentlichen Teil dieser Werke nicht. Die Lebensmittelversorgung der Arbeiterbevölkerung war angesichts der Blockade naturgemäß eine Sache von allergrößter Bedeutung. Die folgenden, von den Firmen selbst gemachten Mitteilungen geben einige Bilder des Geleisteten. Speiseanstalten und Lebensmittelabgabestellen wurden in außerordentlich vielen Werken eingerichtet. Sehr schwer war oft die Beschaffung der Nahrung. Krupp-Essen besaß bisweilen nur noch für einen Tag Lebensmittel bei einem Verbrauch von täglich 25 Waggons. Wegen dieses Mangels mußte die Gewehrfabrik Danzig von einem eigenen Küchenbetrieb absehen. Auch in Magdeburg wurde September 1917 bitter über den Mangel an Kartoffeln geklagt, der die Suppe fast wertlos für die Arbeiter mache. Besonders schlimm war es in Sachsen, dort suchte die Feldzeugmeisterei Dresden den Firmen zu helfen. Die Lincke-Hoffmann-Werke Breslau rühmten die Unterstützung der Regierung. Sie verkauften im Herbst 1917 täglich Suppe mit Fett zum halben Selbstkostenpreis, und zwar ein Liter zu fünfzehn Pfennig. Kaffee wurde vielfach unentgeltlich abgegeben und es wurden zu seiner Aufbewahrung

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Wärmeschränke in den Werkstätten aufgestellt. Die Pulverfabrik Spandau richtete im Laufe des Jahres 1916 drei Lebensmittelverkaufsstellen ein. Die dortige Geschützgießerei gab vom Juli 1916 ab Mittagessen, bestehend aus Gemüse, Kartoffeln, Fleisch oder Fisch, ab. Auch sie besaß eine Lebensmittelverkaufsstelle, ebenso die Pulverfabrik. Besonders gut eingerichtet erschien im Sommer 1917 die Speiseanstalt von Erhardt - Düsseldorf. Dort wurden täglich 20 000 Arbeiter verpflegt. Die Portion kostete 50 Pfennig und bestand am Tage meines Besuchs aus etwa vier Suppentellern Erbsbrei. Der jährliche Kartoffelverbrauch war 50 000 Zentner, täglich wurden zwei Waggons Nahrungsmittel angefahren. In einer besonderen Speisehalle konnten 500 Leute gleichzeitig speisen. Jede Speisung mußte innerhalb 30 Minuten beendet sein, dazu wurde in der Küche dreimal täglich gekocht; die Möglichkeit der Speisung in so kurzer Zeit war dadurch gegeben, daß alle Gefäße, in denen Speisen aufbewahrt wurden, doppelte Wände hatten, so daß die Speisen warm blieben. So konnte man mit dem Füllen der Eßgefäße schon morgens 9½ Uhr beginnen, obwohl das Essen erst um 12 Uhr anfing. Die Eßkarte der Arbeiter lautete lediglich auf einzelne Wochentage ohne Datumsangabe. — Die Hannöversche Maschinenbau-A.-G. schrieb im Dezember 1915, sie habe eine Kriegsküche eingerichtet, in der jede Frau und jedes Kind über sechs Jahre täglich ein volles Mittagessen, jedes Kind unter sechs Jahren ein halbes Essen (jede Portion zu 1 Liter) erhalte. Diese Kriegsküche finde lebhaftesten Zuspruch, auch seitens der verbliebenen Arbeiter, von denen zur Zeit gegen 300 gegen Entgelt dort speisen. Bis Ende November 1915 wurden rund 616 000 Mahlzeiten ausgegeben. — Bei den Mannesmann - Werken in Düsseldorf kostete ein Liter Suppe mit Fleisch 25 Pfennig. Die Gesellschaft hat in den beiden ersten Kriegsjahren 4½ Mill. Mark für Wohlfahrtszwecke aufgewandt!

Man kann nicht erwarten, daß zwischen den Auffassungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch nur in allgemeineren Fragen Übereinstimmung geherrscht habe. Dazu waren die Schwierigkeiten, ungenügende Ernährung und lange Arbeitszeiten neben allen andern Dingen zu groß. Die Aufgabe war, durch kühl sachliche Beurteilung des Möglichen und Nötigen Ausgleiche anzustreben. Man wird trotz aller Gegensätze bei richtiger Überlegung doch zu dem Urteil kommen, daß die ruhigeren Köpfe beider Lager nicht ohne Erfolg bestrebt waren, die im Interesse des Ganzen unerläßliche Arbeitsfähigkeit der Industrie zu wahren.



Ergebnisse und Folgerungen 

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Abschnitt VII

Zusammenfassung Kapitel 20 Ergebnisse und Folgerungen § 68 Volkswirtschaftliche Ergebnisse In den bisherigen Abschnitten haben wir gesehen, welch einschneidende organisatorische Maßnahmen die Beschaffung von Waffen und Munition im Gefolge gehabt hat, vor allem beim Staat selbst. Daß dies ohne mancherlei Reibungen nicht möglich war, erklärt sich schon aus dem Fehlen einer wirtschaftlich-technischen Mobilmachung. Im folgenden mögen nun zur Zeichnung eines klaren Gesamtbilds einige der Ergebnisse vorstehender Arbeit in tunlichst knapper Fassung wiedergegeben werden. Zuerst auf technisch-wirtschaftlichem, hernach auf erzieherischem Gebiet. Technisch-Wirtschaftliches. Im Kapitel 13 habe ich versucht, in großen Zügen die technische Entwicklung von 1870 an bis in den Krieg hinein zu zeichnen. Ich kann mich daher im folgenden kurz fassen. Das für die weitaus überwiegende Zahl aller Werke bezeichnendste Merkmal des Kriegs war der Zwang zu mehr oder weniger starken, im raschesten Zeitmaß unter Zurückstellung oft schwerster Risikobedenken erfolgender Betriebsumstellungen. Die deutsche Industrie hat dabei, soweit sie es noch nicht wußte, gelernt, daß bei energischem Zugriff eigentlich alles geht. Diese Umstellung war aber nicht etwa nur eine einmalige. Der häufige Wechsel in den Ansprüchen der Heeresverwaltung und die dauernd zunehmende Rohstoffknappheit haben das Umstellen zu einer Dauererscheinung des Krieges gemacht. Diese Aufrüttelung zu intensivster Mitarbeit an den neuen Forderungen ist bis in die entlegensten Orte des Reichs gedrungen und hat überall erhöhte Tatkraft angeregt. Ihr Gewinn bleibt uns. Erschwert wurde die Umstellung durch die hohen Anforderungen, welche die Behörden an die Arbeitsgenauigkeit stellen mußten. Die Gewöhnung hieran muß ein dauernder Gewinn der deutschen Industrie bleiben, schon mit Rücksicht auf den Wettbewerb mit der ausländischen, welche ja dieselben Erfahrungen gemacht hat. Auf dem Gebiete der Herstellung neuzeitlicher Fertigungsunterlagen sind das Spandauer Werkzeugbureau und Fabrikationsbureau für weite Kreise der Industrie, vor allem aber für alle staatlichen Werkstätten vorbildlich geworden. Die von der Armee geforderte genaue Arbeit aber mußte geleistet werden an immer schlechter werdenden Rohstoffen mit immer minderwertiger werdenden Werkzeugen und Maschinen und mit einem an Brauchbarkeit dauernd nachlassenden, zum Teil völlig ungelernten Arbeiterheer. So blieb nichts andres übrig, als die Arbeitsgänge

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an den Maschinen bis aufs äußerste zu unterteilen und damit zu vereinfachen und sie so für Massenfertigung durch Ungelernte geeignet zu machen. Auch hierin liegt ein zukunftsreicher Fortschritt. In Deutschland hat von jeher die wissenschaftliche Durchdringung der Technik eine besonders große Rolle gespielt, und wo sie vor dem Kriege nicht in genügendem Maße bestand, wie z. B. in den Heereswerkstätten, hat im Kriege das Meisterregiment der wissenschaftlichen Betriebsführung weichen müssen. Wir haben im Kriege nicht nur gelernt, mit ungelerntem Personal zu arbeiten, auch mit einer Mindestzahl hatten sich Industrie und Handel zu begnügen. Man muß selbst gesehen haben, wie kleinere Firmen, die im Frieden 5–8 Mann Bureaupersonal besaßen, im Kriege mit 1–2 un- oder halbgelernten Leuten durchkommen mußten. Früher war die Arbeitsfähigkeit zahlreicher Menschen wirtschaftlich ungenügend ausgenützt . Es wird eine Folge unserer Entwicklung sein, im Wirtschaftskörper solche Leute, die sich ja in allen Kreisen gleich zahlreich finden, im Interesse der Allgemeinheit zu ausgiebigerer Arbeit zu bewegen oder zu zwingen. Wir konnten vor dem Kriege aus dem Vollen schöpfen. In vielen Fällen hatte sich selbst bei Massenwaren ein Luxus in Material und Ausführung entwickelt, den kein Mensch beachtete und der aus diesem Grunde überflüssig war. Hier hat vor allem die Normung und Typung auf zahlreichen Gebieten der deutschen Industrie wertvolle Fortschritte gebracht. Der im Jahre 1917 gegründete Normenausschuß erfüllt eine hervorragende volkswirtschaftliche Aufgabe. Dazu kam die ganze Spar- und Ersatzstoffwirtschaft . Sie hat uns — über den Krieg hinausweisend — vielfache Möglichkeiten gezeigt, wie teure, seltene, aber nicht notwendige einheimische und fremde Stoffe durch billigere einheimische ersetzt werden können. Und schließlich haben manche Industrien auch als Ausfluß vermehrter wissenschaftlicher Durchdringung der Technik gelernt, daß sie früher mit ihrem Energieaufwand bei der Fertigung Raubbau getrieben haben: ich erinnere hier nur an die Verbesserungen im Kohlenverbrauch der Pulver- und Sprengstofffabriken. Diese Erkenntnisse haben Früchte getragen: Der ganze heutige Zug zur „Wärmewirtschaft“ ist auch ein „Kriegsgewinn“. So sehen wir — auch ohne Wiederholung früher gegebener Einzelheiten —, daß die industrielle Technik aus der Kriegszeit eine ganze Reihe wertvoller und weithinwirkender Anregungen und Erfahrungen hat entnehmen können. Die Bedarfsdeckung. Während des Kriegs kam im eigentlichen Waffen- und Munitionswesen die Deckung eines Bedarfs der Bevölkerung (Jagdgewehre, Revolver, Munition, Ferngläser, Sprengstoffe) so gut wie gar nicht in Frage. Die ganze Fertigung diente lediglich der deutschen Heeresverwaltung und daneben den verbündeten Staaten. Will man die Vorgänge der militärischen Bedarfsdeckung ohne Eingehen auf Einzelheiten in großen Zügen schildern, so kommt man etwa zu folgendem Bild. Bei der Munition, namentlich der der Artillerie, hing die Fertigungsmenge dauernd von der Leistungsfähigkeit der Pulver- und Sprengstoffwerke ab.



Ergebnisse und Folgerungen 

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Die erste Kriegszeit mit ihren mangelnden Vorräten, ihrer fehlenden industriellen Mobilmachung und ihren unerhört hohen Forderungen zeigt fast in allen Dingen ein äußerst starkes Zurückbleiben der Leistung hinter dem Bedarf. So herrschte schon im September und Oktober 1914 starker Mangel an Artilleriemunition. Ganz allmählich gelang es dank der rastlosen Bemühungen der Heimat die Verhältnisse zu bessern, und Anfang 1916 glaubte die Heeresverwaltung sogar die Fertigung etwas einschränken zu können. Die eingearbeitete Industrie geriet dadurch in eine schwierige Lage. Da begann am 1. Juli 1916 die Sommeschlacht und mit ihr die nie mehr ganz wettzumachende Überlegenheit unserer überzahlreichen Gegner an Waffen, Munition und Menschen. Es folgte die ungeheure Anspannung durch das Hindenburg-Programm, das sich aber, verwickelt durch das unlösbare Kohlen-, Transport- und Bautenproblem, in jenem späten Zeitpunkt als eine Überspannung der Leistungsfähigkeit unserer Industrie erwies und im Februar 1917 von der Obersten Heeresleitung eingeschränkt werden mußte. Den vereinigten Industrien der Welt vermochte die auf sich allein gestellte deutsche trotz ungeheurer Leistungen doch nicht über vier Jahre lang voll die Wage zu halten. So wird man wohl feststellen müssen: trotz glänzender Leistungen und einzelner Ausnahmen haben wir während des Kriegs nie aus dem Vollen schöpfen können; im Gegenteil hat immer wieder und zuletzt dauernd Mangel an wichtigsten Waffen- und Munitionsarten geherrscht. Die Aufgabe war zu groß für das ringsum abgeschlossene Reich. Organisatorische Umgestaltungen in der Industrie. Die Kriegsindustrie des Waffen- und Munitionswesens umfaßte eine ungeheure Zahl von Werken von der Zeche, dem Hütten- und Walzwerk bis zur kleinsten mechanischen Werkstätte, Dreherei und der Patronenkisten fertigenden Schokoladefabrik. Sie umfaßte also neben der Schwerindustrie den größten Teil der verarbeitenden mechanischen Industrie einschließlich des Handwerks. Der Wille, die letzte Kraft in den Dienst des Ganzen zu stellen und aus den Werken das Äußerste herauszuholen, war auch für die Organisationen der deutschen Industrie letzten Endes von entscheidender Bedeutung. Alle diese Unternehmungen begnügten sich nur zum geringsten Teil mit ihren Friedensleistungen. Die großen Aufträge und hohen Verdienste veranlaßten sie vielmehr zu teilweise ungeheuerlichen Erweiterungen bestehender Betriebe. Krupp, Erhardt, die Pulver- und Sprengstoffwerke sind hervortretende Beispiele hierfür. Diese Werkserweiterungen wurden ergänzt durch Angliederung gleichartiger Werke, sowie durch Neugründungen, welche die Heeresverwaltung begünstigte, bis der zunehmende Arbeitermangel Ende 1916 dazu zwang, vor weiteren die Gesamtleistungsfähigkeit der Industrie schädigenden Neugründungen behördlich zu warnen. Zu den Erweiterungen in horizontaler Richtung traten bald und in zunehmendem Maße diejenigen in vertikaler. Zechen vereinigten sich mit Hütten- und Walzwerken, Lokomotivfabriken gliederten sich Hüttenwerke an, Hüttenwerke verarbei-

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 Zusammenfassung

teten ihren Stahl selbst zu Granaten, drehten sie ab und füllten sie gar in eigenen Werkstätten. Diese Entwicklung war für die Tausende von mittleren und kleineren Maschinenfabriken und anderen Bearbeitungswerkstätten von großer schmerzlicher Bedeutung. Sie erhielten zu wenig Rohstoffe und saßen dadurch oft und lange mit ihren kaum errichteten Neuanlagen fest. Dies hatte auch bei ihnen das Streben nach Vereinigungen oder wenigstens nach Gründungen von Arbeitsgemeinschaften zur Folge. Allerdings fanden diese nicht immer die Billigung der großen Rohstoff erzeugenden Werke, welche erklärten, solche Arbeitsgemeinschaften seien nichts anderes als Vereinigungen von Unterlieferern, mit denen sie wegen der schwierigen Kontrolle nicht arbeiten könnten. Einen andern Standpunkt hat in der Minenfertigung Erhardt in Düsseldorf eingenommen. Diese Firma hat — allerdings von der Behörde ihrer Ansicht nach nicht genügend verstanden und unterstützt — versucht, einen weiten Kreis von Unter- und Teillieferern um sich zu scharen und ihnen Material, technische Anweisung und Belehrung in großem Umfang zuteil werden zu lassen. Die durch das industrielle Interesse der deutschen Bankwelt geförderte Entwicklung von Großbetrieben, Kartellen und Syndikaten hatte deren vor dem Krieg allein auf den Gebieten der Metall- und Maschinenindustrie etwa hundert entstehen lassen. Die wirtschaftliche Macht und Bedeutung solcher Zusammenballungen hat sich im Krieg namentlich bei der Schwerindustrie nicht immer als für den einzigen Auftraggeber Staat vorteilhaft erwiesen. Er hat schwere, nicht immer glückliche Kämpfe fuhren müssen und z. B. bedeutende Preissteigerungen nicht zu hindern vermocht. Als besonders auffallend muß aber gerade in diesem Zusammenhang die Tatsache verzeichnet werden, daß der Krieg gewisse monopolistische Stellungen einzelner Unternehmungen beseitigt oder wenigstens erschüttert hat. So wurde das vor dem Kriege fast uneingeschränkte Sprengstoffmonopol des Nobeltrusts beseitigt. Und ähnlich ging es mit den großen eigentlichen Rüstungsfirmen. Der Grund war in allen Fällen derselbe. Diese Großunternehmungen waren im Frieden ohne weiteres in der Lage gewesen, die Nachfrage nach ihren Erzeugnissen, dazu in hochwertiger Ware, zu befriedigen. Im Kriege änderte sich dieser Zustand. Die Anforderungen wuchsen ins Ungeheure und der Staat mußte diese Firmen zwingen, Lizenzen abzugeben. Dadurch wurden auch andere Werke, vor allem an Qualitätsarbeit gewöhnte Maschinenfabriken, mit ihren Erzeugnissen bekannt und das sich auf Sonderkenntnissen aufbauende Monopol war praktisch mehr oder weniger beseitigt. Dabei hat es sich gezeigt, daß manche der neuen in diese Fertigung eintretenden Werke überraschend schnell ebenbürtige Leistungen auszuweisen hatten, ja sogar, soweit es sich um Maschinenfabriken handelte, dank ihrer Gewöhnung an hochwertige Arbeit, zu gefährlichen Wettbewerbern einzelner in ihrer Monopolstellung zum Teil vielleicht etwas bequem gewordener Rüstungswerke zu werden vermochten. So



Ergebnisse und Folgerungen 

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ist die Durchbrechung alter Monopole ein allgemeiner Ansporn und damit volkswirtschaftlich ein bleibender Gewinn geworden. Preisentwicklung. Die hohen Preise und Verdienste der Kriegs- und Nachkriegszeit waren und sind heute noch weiten Kreisen ein Stein des Anstoßes. Wie sind sie entstanden? Bei Kriegsbeginn mußte Heeresgerät beschafft werden, koste es, was es wollte. Hohe Preise, sogar Prämien mußten als Lockmittel dienen und wurden von der die Unerfahrenheit mancher Heeresstellen rasch durchschauenden Industrie oder dem Zwischenhandel gefordert. Eine genaue Preisermittlung und Nachprüfung war den Behörden ihrer anfänglichen Organisation und Besetzung nach meist gar nicht möglich. Aber auch die Industrie mußte hohe Preise fordern. Große, ja ungeheure Summen waren in die Neueinrichtungen zu stecken. Und kein Mensch wußte, wie lange der Krieg dauern würde, an seine kurze Dauer glaubten gerade fast alle Sachverständigen. Wer würde nachher noch Heeresaufträge erhalten? Da mußte man doch für rasche Abschreibung der Neuanlagen sorgen und sich außerdem für die ungewisse Lage nach Friedensschluß durch starke Rückstellungen gebührend sichern und kräftigen. Auch der Umstand darf nicht unerwähnt bleiben, daß der zu geringe Umfang der vielfach von der Heeresverwaltung erteilten Einzelaufträge den Firmen eine billige Preisbemessung erschwert hat. In normalen Zeiten werden die Preise durch Nachfrage und Angebot, vor allem aber durch das letztere, durch den Wettbewerb der Anbieter bestimmt. Dazu kommt, daß kein Land allein steht: es besteht ein Weltmarkt. Im Krieg war das Ausland, vor allem für die Einfuhr von Waffen und Munition, so gut wie ganz verschlossen, es gab für die deutsche Industrie nur einen Abnehmer, und dieser war wegen seines ungeheuren Bedarfs in der Notlage, sich die Anbieter nicht aussuchen zu können, sondern alle bis zum letzten mit Aufträgen bedenken zu müssen. Dazu kam die steigende Knappheit an Arbeitskräften, Maschinen, Werkzeugen und Rohstoffen. So gab es weder einen preisausgleichenden Weltmarkt , noch — mit der Zeit — einen Inlandsmarkt im eigentlichen Sinn. Manche Lieferer brauchten, wie einmal jemand gesagt hat, nicht mehr zu kalkulieren, sie konnten einfach multiplizieren. Leider haben zu dieser Entwicklung die Behörden selbst beigetragen, nämlich durch den Wettbewerb, welchen die Beschaffungsstellen einander gegenseitig machten, und durch ihre Abneigung, die Preise zu drücken, um die Industrie „nicht zu verärgern“. Dieser Standpunkt war ein psychologischer Irrtum, denn auch eine etwas schwerer verdienende Industrie hätte die Fertigung mit gleichem, wenn nicht größerem Eifer betrieben. So entstanden die hohen Kriegsverdienste und die oft fast mühelosen übermäßigen Kriegsgewinne. Aber auch abgesehen von manchen schwer leidenden Industrien nahmen nicht alle hieran in gleichem Maße teil. Schon auf den unteren Stufen der munitionsindustriellen Fertigung tobte ein Kampf: die gemischten Werke sorgten

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 Zusammenfassung

auf Kosten geringer Erzpreise für hohe Eisenpreise und drückten dadurch die reinen Zechen. Am einschneidendsten aber war der Gegensatz zwischen Schwerindustrie und verarbeitender Industrie. Wir haben ihn mehrfach berührt. Die Praxis der industriellen Bilanzierung gestattet der Industrie gegenüber bei weitem nicht einen so klaren Einblick in ihre geschäftlichen Operationen und ihren Verdienst wie beim Handel. Man sah wohl die Höhe der Verdienste und der Rücklagen aller Art; aber die Behörden, nicht an industrielle Selbstkostenberechnungen gewöhnt, vermochten nur schwer und allmählich in die Karten der industriellen Kalkulation zu schauen. Immerhin haben sie schon im Jahre 1916, wenn auch vorerst nur zögernd, versucht, die Möglichkeiten übermäßiger Gewinne zu beschränken. Später ging diese Entwicklung rascher vor sich. Firmenkontrolle, Einblick in die Bücher und Kalkulationen, Verfolgung von Kriegswucher, von Zwischenhandel und unerlaubter Untervergebung, kaufmännisch-juristische Prüfung von Verträgen, Patent-, Lizenzund Entschädigungsfragen und die Entwicklung behördlicher Preisfestsetzungsverfahren haben allmählich eine erhebliche Besserung herbeigeführt, so daß z. B. das Wumba seine mit diesen Mitteln erzielten Ersparnisse im Jahr 1918 auf über 50 Mill. Mark im Monat beziffern konnte! Trotzdem sind die Kriegsverdienste in vielen Fällen groß und übergroß gewesen. Sie und die steigenden Kosten der Lebenshaltung haben die Ansprüche weitester Kreise in verhängnisvoller Weise gesteigert. Immerhin hat die ungemein wirtschaftliche Festigung der Industrie die eine günstige Folge gehabt, ihr leichter über die schweren Erschütterungen der ersten Nachkriegszeit hinwegzuhelfen. Die Arbeitsverhältnisse. Der deutsche Arbeiter, vor allem derjenige der in größeren Städten angesiedelten Industrie, genoß vor dem Kriege den Ruf großer Arbeitstüchtigkeit und Zähigkeit. Gerade diese wichtigste Grundlage wurde der fast ins Grenzenlose erweiterten Kriegsindustrie von Anfang an und in steigendem Maße entzogen. Um zu verstehen, was die Entziehung von Facharbeitern für die Industrie bedeuten kann, sei hier nur an eine der höchsten unter ihnen, die optische, erinnert. In der ersten Kriegszeit wandten sich viele der z. B. in den Luxusindustrien freigewordenen Arbeiter andern Verdienstmöglichkeiten zu, so daß in der Rüstungsindustrie, soweit sie damals schon tätig war, zunächst ein Mangel an männlichen Arbeitskräften nicht bestand. Dieser wurde erst dauernd und unheilbar etwa seit April 1915. Man hatte nicht nur keine Facharbeiter mehr, es fehlte ebenso an Ingenieuren, Kaufleuten und Technikern, an Aufsichts- und Abnahmepersonal. Die Reklamation war umständlich, zeitraubend und von dauernd abnehmendem Erfolg. Manche Werke hatten sich wohl den Ernst der Lage nicht klar genug gemacht und trotz der Warnungen der Heeresverwaltung nicht frühe genug an möglichst völligen Ersatz der Facharbeiter durch Vereinfachung der Bearbeitungsgänge und Anlernen von ungelernten Arbeitern, Frauen und Jugendlichen gedacht. Trotzdem mußten diese in steigendem Maße eingestellt werden und überwogen schließlich die männlichen Arbeiter. Die dazutretenden Kriegsbeschädigten und Kriegsgefangenen bildeten keinen vollwerti-



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gen Ersatz, die Jugendlichen noch viel weniger. Unersetzlich, wenn auch natürlich nicht überall vollwertig, war die Arbeit der Frau. Da zum völligen Anlernen dieser immer massenhafter andringenden Arbeiter weder Zeit noch Kräfte vorhanden waren, so konnte ihre Verwendung nur ermöglicht werden durch weitestgehende Unterteilung und Vereinfachung aller Arbeitsgänge und -verfahren. Eine bedeutungsvolle Erleichterung in all diesen Schwierigkeiten bot die Heranziehung des Handwerks, als es erst einmal gelungen war, dessen Zusammenschluß in einer für Erteilung von Massenaufträgen geeigneten Form durchzuführen. Die große Arbeitsbelastung aller werktätigen Kräfte zusammen mit der immer schlechter werdenden Ernährung machte es der Industrie zur Pflicht, neben Unterkunftsgelegenheiten und sonstigen Wohlfahrtseinrichtungen alles nur Denkbare für die Lebensmittelversorgung der Arbeiterheere zu tun. Hier ist dann auch — zum Teil im Kampf mit behördlichen Vorschriften — Vorbildliches geleistet worden. Aber die Kosten der Lebenshaltung stiegen immer weiter. Unterernährung, lange Arbeitszeit (wenig Sonntagsruhe), gesetzliche Maßnahmen und politische Unzufriedenheit, wohl auch Mutlosigkeit, veranlaßten schon 1917 manche Unruhen und steigende Lohnforderungen. Hier haben sich im Ausgleich der Gegensätze die Gewerkschaften manche, auch von der Obersten Heeresleitung anerkannte Verdienste erworben. Ein allerdings nur vorläufiger Abschluß der Kämpfe zwischen Arbeitgebern und -nehmern war der am 15. November 1918 geschlossene Interessenausgleich zwischen beiden Gruppen. Er bildete den Grundstein eines neuen Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

§ 69 Erziehungsfragen 1. Offizier- und Beamtenerziehung. Für die großen im Kriege begangenen kriegswirtschaftlichen Fehler macht man neben den zwingenden Verhältnissen meist „das System“ verantwortlich. Was ist „das System“? Letzten Endes doch nichts anderes als eine Form, in der sich Art und Wesen des ganzen Volkes ausprägt. Unter dem Druck unserer geographischen Lage und der harten Erfahrungen unserer Geschichte war Preußen-Deutschland zu einem Militär- und Beamtenstaat geworden, die vom Monarchen getragene Zentralgewalt gegenüber den dezentralistischen Mächten des deutschen Volkstums im Interesse der Selbstbehauptung zu großer Stärke entwickelt worden und auch nach Einführung der konstitutionellen Verfassungen stark geblieben. Ihr stand eine „leichtgefügte, dienstwillige, stark slawisch durchsetzte Unterschicht“ gegenüber, „eine im Verhältnis zu anderen deutschen Volksteilen sehr weiche und zähe Masse, die sich also formen und prägen ließ“; sie war nach Scheler (Die Ursachen des Deutschenhasses, S. 101) die Bevölkerung im führenden Staate Preußen.

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 Zusammenfassung

Das Überwiegen des militärischen Einflusses im alten Preußen-Deutschland, eine Folge der ganzen geschichtlichen Struktur des Staates und Volkes, fand eine immer neue Begründung in der Erziehungsweise des Soldaten und des Beamten. Schon in der Kompagnieschule und bei jedem einzelnen Mann hatte die Armee eine geradezu ideale Willenserziehung erreicht. Dieser Wille aber suchte sich stets in die Tat umzusetzen. Die Selbständigkeit des Handelns trat von selbst und augenblicklich ein in dem Augenblick, wo ein Vorgesetzter oder dessen Befehl nicht vorhanden war. Ganz anders bei der Zivilverwaltung. Hier herrschte dauernd die Angst, in die Zuständigkeit eines anderen einzugreifen. Man schob die Erledigung einer Sache lieber auf, wenn der zu ihrer Erledigung Bestimmte nicht anwesend war, anstatt sich zu sagen, die Sache als solche muß getan werden, gleichgültig von wem. Die Betonung der Kompetenzfrage war soweit gediehen, daß der zur Erledigung einer Angelegenheit Bestimmte es seine Untergebenen büßen ließ, wenn sie in seiner Abwesenheit selbständig oder, wie man dann sagte, eigenmächtig vorgegangen waren. Diese Erscheinung setzte sich in der ganzen Stufenleiter der Beamtenschaft nach oben hin bis in die höchsten Stellen fort und bekam von dort her immer neue Nahrung, weil die Vorstände der Behörden, in erster Linie die Minister, über jede Einzelheit ihrer Ausführung interpelliert werden können und hierzu den ganzen ihnen nachgeordneten Beamtenapparat so zwangsläufig und unselbständig erhalten müssen, daß jede irgendwie bedeutungsvolle Entscheidung möglichst erst bei ihnen getroffen wird. Eine der angenehmsten Eigenschaften deutscher Offiziere war die durch Disziplin geschaffene ruhige Geschlossenheit des ganzen Auftretens, aus welcher rasche Entschluß- und energische Tatkraft sprach. Dieser Gesinnung verdanken wir die Offensivkraft unseres Heeres. Allerdings eigene Kritik schied dabei sehr oft aus: „Was befohlen wird, das wird gemacht.“ Wer das nicht konnte, der ging. Der Offizier wurde aber nicht nur dazu erzogen, energisch zu wollen, sondern es wurde ihm auch das in militärischen Dingen unerläßliche und richtige Bewußtsein eingeimpft, das Befohlene auch zu können. Nur war leider die Folge vielfach ein auch von den Vorgesetzten geduldetes Begnügen mit dem äußerlichen Erfolg; es kam praktisch oft nicht darauf an, daß man etwas konnte, sondern daß man in einem ganz bestimmten Augenblick Glück hatte, „gut abschnitt“. Das Bewußtsein, das Befohlene auch zu können, übertrug der Offizier irrtümlicherweise auch auf nicht militärische Fragen. Er vergaß dabei, daß die meisten Dinge nicht mit forschem Zugriff zu erledigen sind, sondern auch beim Kenner und an sich schnell entschlossenen Könner reifen müssen. So meinte der Offizier nicht selten, Sachkenntnis lasse sich stets durch gesunden Menschenverstand und Energie ersetzen. „Militärs und Hofleute glauben herkömmlich, daß zur Ausfüllung diplomatischer Stellungen Fachkenntnisse und langjährige Erfahrungen völlig entbehrlich



Ergebnisse und Folgerungen 

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seien“, schreibt Graf Monts 29 ; dasselbe konnte man in der ganzen Kriegswirtschaft beobachten. Die den leitenden Beamten der Ministerien gestellten Aufgaben sind weniger einfach als die Mehrzahl der rein militärischen Aufgaben. Ihr Handeln wirkt auf lange Zeiträume. Zahlreiche Gesichtspunkte sind dauernd im Auge zu behalten, vielseitige Kritik zu gewärtigen. Die Entschlüsse müssen reifen und können, wo sie rasch erfolgen, nur jahrelanger Erfahrung entspringen. So mußten oft gerade die militärisch besten Offiziere in der Kriegswirtschaft versagen. Aber auch die Beamtenerziehung hatte ihre schweren Fehler. Zu der schon erwähnten Eifersucht bezüglich der Kompetenzen kam hinzu die etwas scholastischgelehrte Erziehung der führenden deutschen Schichten im Gegensatz zur tatkräftigen der Amerikaner und Engländer. Diese Erziehung schuf keine Willens- und Tatmenschen. Schwache Beamtencharaktere wehren sich im Bewußtsein ihrer Macht gegen andringende neue Gedanken, betrachten sich als Selbstzweck und begnügen sich mit formeller Erledigung ihrer Aufgaben. Wer alles dies erwägt, wird sich auch über die fortdauernden verhängnisvollen Gegensätze zwischen der Obersten Heeresleitung und den Reichsbehörden nicht wundern. Eines allerdings hatte der deutsche Beamte aller Grade: unverdrossene Zähigkeit, Anpassungsfähigkeit, Geduld und Treue in der Erfüllung seiner Pflichten. Diesen Eigenschaften auch bei den untersten Stellen verdanken wir die musterhafte Ordnung aller alten Behörden. Was aber dadurch nicht geschaffen wurde, das sind Charaktere an leitender Stelle. Sie wurden in der Beamtenlaufbahn mürbe gemacht, sie war der Tod der Persönlichkeit . Das war letzten Endes unser Verhängnis! Hier ist anzusetzen. Schon vor dem Krieg schrieb einmal Riedler: „Immer kommt die schwere Frage nach den fähigen Persönlichkeiten“, „nach der Auswahl der Fähigkeiten. Sinnlos ist der Ruf nach dem Militarismus als Erlöser, der ist überall außer dem eigenen Element ebenso wirkungslos wie der Bureaukratismus; die verwaltungsmäßige Routine aber wird die neuen, immer größer und schwieriger werdenden Aufgaben nicht lösen.“ 2. Offiziere und Sachverständige. Man kann nicht gleichzeitig Offizier und auf der Höhe stehender kaufmännischer oder technischer Fachmann sein. Offizier sein ist nicht nur eine Sache der Dienstzeit, sondern auch der Gesinnung. Ingenieur oder Kaufmann sein ist nicht nur eine Sache der Begabung, sondern langjähriger Ausbildung und des Einlebens in die Fragen der Technik und Wirtschaft sowie dauernder enger persönlicher Fühlung mit denselben. So darf man sich nicht wundern, daß in einer Armee von der Geschlossenheit der bisherigen deutschen Offizier und Sachverständiger während des Krieges nur schwer 29 „Unsere Diplomatie“, Berliner Tageblatt 3. Juni 1917 Nr. 278.

244 

 Zusammenfassung

an demselben Strang zu ziehen vermochten, selbst wenn beide in ihrem Fach hervorragend waren, ja vielmehr gerade dann. Die wissenschaftlich geschulten Sachverständigen waren in vielen Fällen zu weltfremd. Es fehlte ihnen an dem nötigen Einblick in die praktischen Bedürfnisse und an der Fähigkeit, so rasch sich zu entschließen und zu arbeiten, wie es die Lage nun einmal verlangte. Sie standen damit bisweilen an unmittelbarer Brauchbarkeit dem jüngsten Leutnant nach, der, unbeengt durch Einzelkenntnisse und -Bedenken, die Probleme mit beiden Händen anfaßte und schlecht und recht zu lösen versuchte. Über eine große Anzahl aus der Praxis hervorgegangener „Sachverständiger“ sind noch schwerere Klagen erhoben worden. Die geringste davon war, sie seien einseitig unterrichtete Praktiker, denen es an der nötigen Allgemeinübersicht fehle und die nicht vermöchten, sich in fremde, ihren bisherigen Gepflogenheiten entsprechende Bedürfnisse einzufühlen. Schlimmer war der Vorwurf, daß sie eben als Industrielle und Geschäftsleute die Hauptqualität des Beamten, Unbestechlichkeit des Urteils gegenüber der Möglichkeit eigenen Vorteils, vermissen ließen. Oder aber, sie fielen ins andere Extrem und seien ungefälliger und bureaukratischer als jeder Beamte. Ganz allgemein war die Auswahl von Fachleuten im Krieg eine mehr oder weniger zufällige, man kannte nur Zufallssachverständige. Über jeden aktiven Offizier wußte die Heeresverwaltung genau Bescheid und konnte ihn an den richtigen Platz stellen. Über die außermilitärische Verwendbarkeit der Angehörigen des Beurlaubtenstandes wußte man überhaupt nichts. Dazu kam die Weltfremdheit vieler Militärs. Kein Wunder, daß es überall an den passenden Sachkennern fehlte, so daß z. B. zu gleicher Zeit einmal drei Kriegsamtsstellen von — allerdings juristisch gebildeten — Konsistorialräten geleitet waren! So mußten in vielen Fällen ganz ungeeignete Leute hereinkommen und gegenseitige Enttäuschung die Folge sein. Genügte es doch, daß einer die militärischen Umgangsformen nicht beherrschte, um seine Stellung zu erschweren. Von taktvollen Ausnahmen abgesehen, entschied in der Heimat über die Behandlung eines Menschen mehr sein militärischer Rang als seine Leistungen. Und da und dort spielte auch eine gewisse Machtfrage herein, so daß man auch die sich freiwillig meldenden Männer der Praxis nicht hochkommen ließ. Bei einer meiner dienstlichen Besprechungen kam das Gespräch auf ehrenamtliche Tätigkeit. Dabei äußerte sich ein rheinischer Großindustrieller: „Für ehrenamtliche Beschäftigung sind heute tüchtige Menschen nicht mehr zu haben, da sie alle von den Militärs an die Wand gedrückt werden.“ Dabei wurde auch betont, wenn der Chef von Wumba R. noch in seiner Stellung sei, so habe man dies lediglich dem zu verdanken, daß dieser Herr dauernd bemüht sei, jegliche Reibung zu vermeiden und in einer ganzen Menge von Fällen, wo fast jeder andere die Arbeit niedergelegt hätte, bei der Arbeit geblieben sei. Die geschilderten Zustände stellen eine dauernde und nicht leicht zu nehmende Schädigung unserer Leistungsfähigkeit im Kriege dar.



Ergebnisse und Folgerungen 

 245

3. Offizierkorps und Technik. Der preußische Offizier mit seinen besten auf die Zeit der Befreiungskriege, ja Friedrichs des Großen zurückgehenden Traditionen hatte im Kriege von 1870/71 seine Aufgabe restlos erfüllt. Er hatte aber den Anschluß an die gewaltig und unaufhaltsam vorwärtsströmenden Ideen der technisch-industriellen Gegenwart versäumt. Ja, er hatte diesen Geist geradezu abgelehnt. Die technischen Offiziere waren zweiten Ranges geworden zu einer Zeit, als die deutsche Technik ersten Ranges wurde. Der maßgebende Typus des deutschen Offiziers hatte die Fühlung mit den technischen und wirtschaftlichen Kräften der neuen Zeit verloren. „Wer von uns vor dem Kriege vorwärts kommen wollte“ — sagte mir ein älterer Pioniermajor —, „der mußte den Vorgesetzten zeigen, daß er eigentlich gar kein Pionier, sondern ein richtiger Infanterist sei.“ Und der aktive Adjutant eines der größten Beschaffungsämter erklärte mir 20 Monate (!) nach Beginn des Krieges, Offizier sei nur der Generalstäbler und der eigentliche Frontoffizier; die technischen Arbeiten, die jetzt Offiziere im Inland machten, seien überhaupt keine Offizierstätigkeit . Ein Berufsingenieur fühlt sich als Ingenieur, ein Berufsoffizier als Offizier. Als was sollte sich aber ein technischer Offizier mit dem üblichen sehr bescheidenen Maß technischer Kenntnisse fühlen? War er einsichtig und ehrlich gegen sich, so fühlte er sich jedenfalls nicht als Ingenieur, und wenn er auf Generalstabsoffiziere, höhere Adjutanten und Frontoffiziere blickte, sicherlich nicht als Offizier. Wie konnte man von Offizieren das höchste Maß von Arbeitsfreude und Initiative verlangen, die sich in Stellungen befanden, welche nach der überwiegenden Auffassung der eigenen Berufsgenossen zu den weniger angesehenen des Heeres gehörten. Und doch haben sie dieses Maß geleistet! Die Bestimmungen der technischen Institute liefen immer wieder darauf hinaus, die Selbständigkeit der Ingenieure zu beschneiden und den Offizier zu dem auch in technischen Dingen allein Maßgebenden zu machen. Eine schwere Verbitterung unter den Technikern war die Folge und eine weitere Folge die, daß die technischen Institute einen tüchtigen Nachwuchs überhaupt kaum bekamen. Bei der geschilderten Auffassung konnte man auch während des Krieges eine allgemeine tiefere Kenntnis technischer Dinge und Fragen in der Armee nicht erwarten. Kaufleute an leitenden Stellen besaß die alte Armee überhaupt nicht. Und so blieb es mit ganz geringen Ausnahmen während des ganzen Krieges. Wenn der Chef des Wumba im Hauptausschuß des Reichstages (Berliner Tageblatt, 25.  April 1917) gesagt hat, das technische Element unter dem Personal überwiege, technische Fragen würden nicht von Offizieren, sondern von Technikern „bearbeitet“, so ist das wohl wörtlich richtig, aber der Nachdruck ist allein auf das Wort „bearbeitet“ zu legen. Bearbeitet und mitgewirkt haben die Techniker, Wirtschaftler und Kaufleute, entschieden haben allein die Offiziere, allen anderen war es so gut wie niemals möglich, ihre etwaige abweichende Meinung an höherer Stelle auch nur zur Kenntnis zu bringen.

246 

 Zusammenfassung

Die Zurücksetzung des Fachwissens30 in der alten Armee war wesentlich eine Machtfrage, und darin liegt eine Schuld, nicht nur des Systems, sondern der führenden Männer.

§ 70 Leitung und Führung öffentlicher Betriebe Wenn wir erkennen mußten, daß die industriellen Betriebe der Heeresverwaltung vielfach den Anforderungen nicht gewachsen waren, die man an jedes private Werk zu stellen gewöhnt ist, so erinnern wir uns dabei auch an mehrfache Klagen über den größten deutschen Betrieb, unsere Staatseisenbahnen. Dabei ist aber wohl zu beachten, daß bei den Staatseisenbahnen die höheren technischen Fachleute doch eine viel einflußreichere Stellung einnehmen als in der früheren Heeresverwaltung. Die Ursache der ungenügenden Leistungen der staatlichen Heeresindustrie kann also nicht nur daran gelegen haben, daß sich der technische Einfluß nicht genügend zur Geltung bringen konnte, vielmehr müssen noch andere Ursachen vorliegen. Am 3. und 4. Juli 1920 erschien in der Frankfurter Zeitung eine Arbeit von Reinhold Melchior: „Die Verlustwirtschaft der Reichsverkehrsbetriebe“31, in deren zweiten der Verfasser auch auf das Eisenbahnwerkstättenwesen eingeht und dabei Äußerungen von Baurat A. Martens32 anführt. Wer sie liest, könnte glauben, der Verfasser spreche von den technischen Instituten der Heeresverwaltung. Hier wie dort: ungenügende Werkstattkenntnis der Maschineningenieure, viel zu seltene Beurlaubung der höheren technischen Beamten zur Industrie, Ablehnung dringender Anträge auf sofortige Neu- und Erweiterungsbauten. Und nun die Hauptsache: „Die Eisenbahnwerke kennen keinen Wettbewerb und keinen Verkauf, und deswegen fragen sie kaum nach dem Preis ihrer Leistungen, zum mindesten nicht im täglichen Schaffen. Das ist nun ein großer Fehler. Es fehlt jedes Urteil über Teuer- oder Billigarbeiten, jedes zielbewußte Streben nach sparsamer Erzeugung auf Grund der Kalkulation, wenn auch nicht verkannt werden soll, daß Ansätze allerorten vorhanden sind, um ein Bild wenigstens von einigen Unkosten zu gewinnen.“ Dieses Ergebnis unterscheidet sich in gar nichts von demjenigen, zu welchem ich bezüglich der Heereswerkstätten gelangt bin. Nun werden uns auch die tieferen Gründe des beiderseitigen Versagens klar. Wohl sind der Mangel an kaufmännischen Kräften und die behördliche Gebundenheit der

30 Mit einziger Ausnahme des medizinischen. 31 Lehrreiche Erwiderungen hierzu von Minister Öser finden sich in Nr. 546 und 549 desselben Blattes, das Schlußwort von M e l ch i o r in Nr. 538 vom 11. August 1920. (Auch als Sonderabdruck erschienen.) 32 „Zeitung des Ver. deutscher Eisenbahnverwaltungen“ 1919 Nr. 72—74.



Ergebnisse und Folgerungen 

 247

Leiter schwere Fehler, aber sie sind doch nur Folgeerscheinungen eines tieferliegenden Mangels, des fehlenden Wettbewerbs. Solange öffentliche Betriebe den nicht haben, werden sie stets unwirtschaftlicher arbeiten als private; sobald sie ihn aber bekommen, werden sie ganz von selbst für tüchtige Fachleute und größere Freiheit der Leitung besorgt sein. Das gilt, auch wenn man daran festhält, daß öffentliche Betriebe nicht nach privatwirtschaftlichen, sondern nach gemeinwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu leiten sind. Trotzdem darf aber der Staat nicht mehr auf dem alten Standpunkt der ausschließlichen Besitzwahrung stehen bleiben. Auch bureaukratische Gewissenhaftigkeit genügt nicht mehr: öffentliche Betriebe müssen, wie Öser kurz und richtig sagt, wirtschaftlich-technisch, nicht einseitig verwaltungs-technisch geleitet sein. Den Wettbewerb aber kann man auch bei staatlichen Betrieben schaffen, wenn man die Gesamtbehörden unterteilt und die einzelnen gleichartigen Betriebe auf gleiche wirtschaftliche Grundlage stellt. Kaufmännische Buchführung, Inventur und Bilanz sind erforderlich. Einen Versuch in dieser Richtung hat schon während des Krieges die Leitung der Artilleriewerkstatt-Süd in Spandau gemacht. Bei maschinentechnischen Anlagen gehören zu einer solchen Betriebsweise noch genaue Aufnahmen des Verbrauchs an Energie (Dampf, Strom, Wasser), an Materialien aller Art, an Arbeitsstunden und an allen die Selbstkosten bedingenden Aufwendungen. Alles dies muß in allen gleichartigen Betrieben in gleicher Anordnung vorgenommen und so übersichtlich wie möglich dargestellt werden, damit alle Unterschiede rasch und klar in die Augen springen. Auf solchen Erhebungen bauen sich dann brauchbare Vergleichszahlen auf, die regelmäßig veröffentlicht werden müssen. So wird ein Wettbewerb geschaffen und die Möglichkeit der öffentlichen Kritik. Denn es mehren sich die Zeichen, daß der Staat in der jede Konkurrenz ausschließenden Übernahme technisch-wirtschaftlicher Tätigkeiten vielleicht schon zu weit gegangen ist. Wenn er dann nicht wenigstens seine eigenen Stellen zu gegenseitigen Wettbewerbern macht , so ist technische Stagnation und wirtschaftliche Unergiebigkeit die Folge. Und nun die Leitung solcher Betriebe. Die Fachangelegenheiten gehören den Fachleuten, Technikern, Kaufleuten und Juristen, vielfach in gemeinsamer Arbeit, denen möglichste, unbevormundete Selbständigkeit bis in die unteren Stellen zu gewähren ist. Nur so ist freudige Arbeit möglich. Dazu gehört aber auch die stete Erreichbarkeit des nicht mit Kleinkram zu überlastenden Leiters für jeden seiner Mitarbeiter, Ausdehnung des mündlichen Verkehrs in den Ämtern, Vermeidung vermeidbaren Wechsels in den oberen Stellen, Vermehrung der Privatdienstverträge, um tüchtige freie Kräfte gewinnen zu können, elastische Einzelorganisation nicht zu großer Behörden nach dem Muster der Privatindustrie mit dem Ziel rascher, wirtschaftlicher Arbeit sowie enge Fühlung der verwandten Ämter. Für die oberste Leitung solcher Behörden und Betriebe sind nicht „Fachleute“ erforderlich, sondern Persönlichkeiten. Abgesehen von tatsächlichen Kenntnissen, brauchen diese vor allem Unabhängigkeit des Urteils, Weitblick, die

248 

 Zusammenfassung

Fähigkeit, sich rasch in Neues einzufühlen, Kommendes vorauszuahnen, Menschenkenntnis, Charakterstärke, Unternehmungsgeist, größte Arbeitskraft und Freude am Herrschen33. Dazu erzieht keine Beamtenlaufbahn, diese Eigenschaften belegt kein Prüfungszeugnis, sie müssen angeboren und durch Selbsterziehung entwickelt sein. Um solche Leute halten zu können, muß man ihnen Freiheit des Wirkens einräumen; heute dagegen ist ein Fabrikdirektor selbständiger als jeder Minister. Wir aber haben nicht die Wahl, ob wir sentimental in vergangene Zeiten rückwärts oder energisch in die Zukunft vorwärts schauen wollen; nur großzügiges weitblickendes und sparsamstes Wirtschaften kann uns retten. Ich stehe am Schluß meiner Arbeit . Von der Unterschätzung unserer Gegner, von manchen Unterlassungen in der industriellen Vorbereitung und der wirtschaftlich-technischen Durchführung des Krieges mußte sie reden, von teilweisem Versagen der Heerestechnik, die den vollen Anschluß an das vor den Toren ihrer Werke dahinströmende industrielle Leben versäumt hatte. Mit erschütternder Wucht hat dieser Krieg immer wieder gezeigt, wie alle rastlose Mühe des Einzelnen und Kleinen für nichts ist, wenn die großen Entscheidungen unrichtig oder zu spät fallen. Ein Vergleich mit anderen Staaten war hier nur beschränkt zulässig. Die Vorbereitungen für einen Krieg mußten in Deutschland noch viel sorgfältiger und umfassender sein als anderwärts, denn man wußte, daß in dem unentrinnbar kommenden Krieg wir unter allen in der schwersten Lage sein würden. Aber der unendlich bittere Zusammenbruch kann unserem Volk zu einem Heilmittel für mancherlei Gebrechen und damit zur Grundlage eines Wiederaufstieges werden, wenn erst die heutige vorwiegend materielle Einstellung fast aller Volksschichten einer sittlicheren Lebensauffassung Platz gemacht hat. So schwer unsere jetzigen sozialen und politischen Kämpfe auf dem deutschen Leben lasten, sie werden auch unseren Gegnern nicht erspart bleiben; wir aber haben dann, so hoffen wir, das Schwerste hinter uns. Was uns — von unerhörter Übermacht überwältigt , aber nicht entehrt — aufrecht in eine ferne, bessere Zukunft schauen läßt , ist die Tatsache, daß Deutschlands Front und Heimat über vier Jahre lang unter den schwersten Verhältnissen Größtes geleistet haben, Größeres als jemals irgend ein Land. Das Bewußtsein solcher Leistungen kann uns stärken für den Wiederaufstieg, der kommen wird – trotz allem!

33 Weyr au ch : „Die Besetzung leitender Stellen“, Technik und Wirtschaft 1917, Heft 12.

 Anhang

Alfred Stellwaag Die deutsche Eisenwirtschaft während des Krieges

Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918

Drei Studien der Wissenschaftlichen Kommission des Preußischen Kriegsministeriums und ein Kommentarband Herausgegeben von Marcel Boldorf und Rainer Haus

Band 2

Alfred Stellwaag

Die deutsche Eisenwirtschaft während des Krieges

Herausgegeben von Marcel Boldorf und Rainer Haus

Dieser Band sollte 1922 ursprünglich als Band 4 der von Max Sering herausgegebenen volkswirtschaftlichen Untersuchungen der ehemaligen Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission des Preußischen Kriegsministeriums erscheinen.

ISBN 978-3-11-044828-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-045112-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-044859-7 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Michael Peschke, Berlin Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Im Herbst 1915 wurde vom damaligen stellvertretenden Kriegsminister Generalleutnant von Wandel die „Wissenschaftliche Kommission des Königl. Preußischen Kriegsministeriums“ unter meinem Vorsitz eingerichtet und ihre Aufgabe später so formuliert: Sie sollte 1. „in streng geschichtlicher Darstellung die wirtschaftlichen Maßnahmen des Kriegsministeriums während des Krieges schildern und klarstellen, aus welchen Beweggründen sie hervorgingen, welche Ergebnisse sie zeitigten, welche Änderungen sich als notwendig erwiesen,“ 2. „die volkswirtschaftlichen Voraussetzungen und Wirkungen der deutschen Heereswirtschaft untersuchen, auf dieser Grundlage zu den Maßnahmen des Kriegsministeriums kritisch Stellung nehmen und die gemachten Erfahrungen würdigen.“ Der Kommission gehörten im Anfang 3, zum Schluß des Krieges einige 20 Mitglieder an, durchweg Männer der Wissenschaft aus verschiedenen Berufen, dazu die erforderlichen wissenschaftlichen und technischen Hilfskräfte. Den Mitgliedern standen alle Mittel zur Aufhellung der kriegswirtschaftlichen Vorgänge und Zusammenhänge zur Verfügung. Ihren Untersuchungen und Darstellungen wurde die volle Unabhängigkeit zugesichert und gewährt. Unter Teilnahme von hervorragenden Sachverständigen fanden regelmäßige Sitzungen statt, in denen der vorgetragene Stoff eingehend durchgesprochen wurde. Aus diesem Grunde sind manche Gedanken als Gemeineigentum der Mitglieder anzusehen. Doch trägt jeder Verfasser allein die Verantwortung für die Darstellung des ihm zugewiesenen Gebietes. Mit dem alten Heere kam auch die Wissenschaftliche Kommission zur Auflösung. Seitdem fehlt jede Beziehung zu einer amtlichen Stelle. Die ehemaligen Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission haben ihre Arbeiten als Privatleute zu Ende geführt. Sie haben dabei die volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte, die sie von Anfang an besonders berücksichtigt hatten, ganz in den Vordergrund treten lassen. Berlin, den 1. Juli 1922.

M. Sering.

VI 

 Vorbemerkung

Dieser Band ist in der Absicht geschrieben, aus dem fast verwirrenden Bild der deutschen Volkswirtschaft im Kriege, aus dem Wust der Einzelereignisse von verschiedenster Tragweite, aus dem Widerspiel von Kritik, Gegenkritik und Verteidigung die großen Linien der Eisenwirtschaft herauszuschälen und die wechselseitige Bedingtheit aller Entwicklungen und der getroffenen Maßnahmen darzulegen. Der nur beschränkt zur Verfügung stehende Raum verbot es, auf die Schilderung episodenhafter Vorkommnisse, die manchmal an sich darstellenswert genug gewesen wären, einzugehen. Mit um so stärkerem Nachdruck habe ich diejenigen Punkte behandelt, welche für die Gestaltung der Gesamtwirtschaft im Kriege ausschlaggebend geworden sind. Dabei versuchte ich einerseits die tieferen Ursachen für manche schiefe Entwicklung aufzudecken, die oft genug auf einer bedauerlichen Verkennung der allgemeinen Lage, nie aber auf schuldhaften Versäumnissen beruhte. Auf der anderen Seite habe ich es mir aber nicht versagen können, das wirklich Erreichte und die erfolgreiche Mitarbeit der Beteiligten dort gebührend hervorzuheben, wo Gutes und Bestes geleistet worden ist. Soviel Häßliches auch im Innern während des Krieges aufwucherte, im ganzen gesehen, stellt auch die wirtschaftlich-technische Kriegführung eine Leistung dar, für die wir rühmend eintreten können. Die Darstellung fußt auf genauem Studium der Akten der in Frage kommenden Behörden und Wirtschaftsverbände. Soweit hierdurch eine einwandfreie Klärung der Sachlage nicht herbeizuführen war, wurden die aktenmäßigen Feststellungen durch persönliche Rücksprachen mit den beteiligten leitenden Persönlichkeiten ergänzt. In erster Linie durfte ich mich dabei des Interesses des nationalökonomischen Beirats der Kriegs-Rohstoff-Abteilung, Herrn Professor Dr. K. Wiedenfeld, erfreuen, der vor seinem Übertritt aus dieser Abteilung in das Auswärtige Amt die Bearbeitung der Eisenwirtschaft übernommen hatte. Seine unmittelbarem Miterleben entstammenden Fingerzeige sind an vielen Stellen für meine Darstellung richtunggebend geworden. Meinen Mitarbeitern Dr. K. Winter, Dr. El. Bernhard, Gr. Blumenthal spreche ich auch an dieser Stelle für mühevolle Kleinarbeit den ihnen gebührenden Dank aus. Würzburg, November 1919.

Dr. Stellwaag.

Inhalt Verzeichnis der Anlagen   XVIII Einleitung  Kriegswirtschaftliche Bedeutung des Eisens  Kriegsrohstoffe   1

 1

Eisen ist „der Kriegsrohstoff“ schlechthin und auf den wichtigsten Bedarfsgebieten unersetzbar. Schlagfertigkeit der Armee und Befriedigung des Eisenbedarfs sind starr miteinander verbunden. Aufmarsch der Eisenkräfte der im Krieg befindlichen Staaten

Charakter des Krieges. 

 3

Auf deutscher Seite wird der wirtschaftliche Charakter lange verkannt. Ein wirtschaftlicher Mobilmachungsplan fehlt.

 4

Wirtschaftliche Kriegsvorbereitung. 

Die Entwicklung der Eisenwirtschaft in der letzten Friedenszeit bedeutet eine außerordentlich günstige Lage für den Kriegsfall. Die sich bietenden Möglichkeiten werden aber nicht erkannt; eine Mobilisation der Eisenproduktion unterbleibt.

Kapitel I Das erste Kriegswirtschaftsjahr 1914—1915  A Der Kriegsbeginn   7 Die Mobilmachung   7

 7

Bei der Einziehung zum Heeresdienst wird auf das Fortbestehen der Wirtschaft zu wenig Wert gelegt.

Wirkungen des Kriegsausbruchs 

 8

Infolge Arbeitermangels und Transportunterbindung fällt die Produktion jäh ab. Der Produktionssturz trifft sowohl die verschiedenen Produktionsgruppen wie auch die Reviere verschieden stark. Auch die Wiedererholung weist große Verschiedenheiten auf. Der Eisenmarkt wird ebenfalls schwer in Mitleidenschaft gezogen.

Erste Organisationen 

 11

8. August 1914. Gründung der Kriegs-Rohstoff-Abteilung. 28. August 1914. Schutzverwaltung in Metz; seit 5. März 1915 Zusammenarbeit mit Kriegs-Rohstoff-Abteilung.

B Der Kriegsbedarf   13 Munitionsmangel und Graugußgranate 

 13

Mängel in der Organisation des Beschaffungswesens führen zu einer Desorganisation des Beschaffungswesens und einer Krisis in der Munitionsversorgung. Man greift auf die Graugußgranate zurück.

Wirtschaftslage 

 14

Vom Frühjahr 1915 ab erholt sich die Produktion; auf dem Markt herrscht jedoch infolge der großen latenten Vorräte noch verhältnismäßige Ruhe.

Kriegslage und Kriegseisenwirtschaft 

 16

Im Vordringen im Westen und Osten werden große Teile der nord-französischen, die gesamte belgische und polnische Eisenindustrie für die deutsche Kriegswirtschaft gewonnen. In der Durchbruchsschlacht von Gorlice führt Deutschland zum erstenmal das Prinzip des Materialkampfes zu einem durchschlagenden Erfolg. Es wird von der Entente in der Champagneschlacht aufgegriffen und in der Sommeschlacht im allergrößten Ausmaß wiederholt.

VIII 

 Inhalt

C Organisation der Industrie, allgemeine Politik der Wirtschaftsstellen  Allgemeine Maßnahmen   19

 19

Kriegsausschuß der deutschen Industrie; Abschluß eines Wirtschaftsfriedens innerhalb der Eisenindustrie.

Sonderorganisationen 

 20

Sie stehen bis Ende 1915 im Zeichen der Selbstverwaltung der Industrie (einzelne Kartelle, LuleaVerfrachtungsgemeinschaft, Oberschlesische Erzverwertungsgesellschaft und Alteisenverwertungsgesellschaft).

Wirtschaftspolitik der Behörden 

 21

Roheisenbeschaffung für Granatenherstellung steht im Vordergrund. Rückwirkung der hohen Munitions- auf die Granatstahlpreise.

D Lösung besonderer Wirtschaftsprobleme  Roheisenversorgung   24

 24

Die Heeresversorgung kann sich auf den Roheisenverband stützen; zur Kontrolle wird eine Verteilungskommission für Geschoßroheisen in Spandau und die Stelle eines Beauftragten des Kriegsministeriums beim Roheisenverband errichtet. Die Bedarfsdeckung ist auf 12 Monate hinaus gesichert.

Alteisenfrage 

 26

Erzförderung 

 28

Spekulative Verschärfung des Schrottmarktes kann durch das Dazwischentreten der Behörden ausgeglichen werden. Das Förderprogramm wird auf eine 60prozentige Beschäftigung der Eisenwerke eingestellt.

Manganversorgung 

 28

Die ausländischen Manganerze sind bereits Mitte 1915 zur Hälfte aufgebraucht. Die Ferromangangemeinschaft stellt ihre Organisation der Kriegs-Rohstoff-Abteilung und der Schutzverwaltung zur Verfügung. Es werden Spar- und Verteilungsprogramme ausgearbeitet.

Die besetzten Gebiete 

 30

Die vorhandenen Erze, Roh- und Halbfabrikate werden beschlagnahmt und mit dem Abtransport begonnen.

Ausfuhr 

 30

Die geringe Höhe des Inlandbedarfs zwingt die Eisenindustrie zur Aufsuchung des Auslandmarktes. Die Ausfuhr wird durch den Reichskommissar und die ihm unterstellten Zentralstellen für Aus- und Einfuhrbewilligung beaufsichtigt. Ausfuhrverbote dienen zur Ermöglichung der Kontrolle.

Geschoßfrage 

 32

Die Graugußgranate ist lediglich Behelfsmunition. Die Stahlgranate kann unter den veränderten Rohstoffverhältnissen nur in einer gegenüber den Friedensbestimmungen geringwertigeren Qualität hergestellt werden.

E Charakteristik des ersten Kriegswirtschaftsjahres   33 Zusammenarbeit der Behörden: Freiheitlichkeit der Eisenwirtschaft 

 33

Oberste Heeresleitung und Feldzeugmeisterei arbeiten Hand in Hand. Kriegs-Rohstoff-Abteilung hat die Aufgabe, dort einzugreifen, wo Schwierigkeiten auf dem Beschaffungswege entstehen; sie ist in ihrem Wirtschaftsprogramm durch die Arbeiterfrage gebunden. Eine zielklare Eisenbewirtschaftung ist noch nicht vorhanden.

Inhalt 

Nachteile der freien Wirtschaft 

 IX

 35

Die produktive Kraft der Eisenindustrie bleibt ungenutzt; die Produktion fließt teilweise auf Gebiete ab, für die kein kriegswirtschaftliches Interesse vorhanden ist.

Kapitel II Der Übergang zur zentralen Bewirtschaftung  A Umstellung der Eisenproduktion   37 Schwedenerz und Valuta   37

 37

Ende 1915 wird der Versuch gemacht, durch Unterbindung der Schwedenerzeinfuhr die Verteuerung des Roheisens hintanzuhalten. Das Vorhaben kommt nicht zur Ausführung, hat aber eine Erhöhung der Inlandproduktion zur Folge.

Neuregelung der Erzversorgung 

 38

Die Erzförderung auf Gruben der Schutzverwaltung wird verstärkt.

 40

Roheisenversorgung 

Das Interesse der Zentralbehörden bleibt auch jetzt noch allein auf die Roheisenversorgung gerichtet.

B Verschärfung der Deckungslage im ersten Halbjahr 1916  Entwicklung der Eisenwirtschaft seit Anfang 1916   41

 41

Die Produktion hebt sich beim Roheisen auf zwei Drittel, beim Rohstahl auf drei Viertel der Friedensleistung. Der Heeresbedarf gewinnt wesentlich an Bedeutung. Auch der Zivilbedarf wächst an. Gleichzeitig nimmt der Eisenhunger der Neutralen zu.

Der Manganbedarf 

 43

Die Manganversorgung scheint Mitte 1916 einer Katastrophe entgegenzueilen. Es wird von der Schutzverwaltung die Manganversorgungsstelle in Düsseldorf eingerichtet. Durchgreifende Umstellungen in den Manganwirtschaftsplänen ermöglichen das Durchhalten. Produktive Maßnahmen werden jedoch noch nicht ergriffen.

Die Schrottversorgung 

 45

In der Deckung des Schrottbedarfs treten anfangs 1916 wiederum Schwierigkeiten auf. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung läßt durch die Schutzverwaltung Schrott aus den besetzten Gebieten auf den Markt werfen. Die Wirkung ist jedoch nur vorübergehend. Auch Österreich hat einen erheblichen Schrottbedarf.

C Wandlungen des Kriegsbedarfs und Aufbau der zentralen Organisation  Veranlassung zur Zentralisierung der Eisenbewirtschaftung   47

 47

Die Organisation der Metallbewirtschaftung kommt zu einem gewissen Abschluß. In der Eisenwirtschaft veranlassen die Preisentwicklung, die Mangan- und Schrottfrage sowie die Regelung der Ausfuhr die Kriegs-Rohstoff-Abteilung zum Eingreifen. Die Aufzehrung der Vorräte verschärft die Deckungslage.

 48

Abzweigung der Eisensektion in der Kriegsrohstoffabteilung 

Die Eisenbewirtschaftung wird — im Gegensatz zu anderen Rohstoffen — auf Halb- und Fertigfabrikate ausgedehnt. Beim Aufbau der neuen Organisation werden die bereits bestehenden Organisationen übernommen.

Aufnahme zentralistischer Bewirtschaftungsmaßnahmen 

 49

Im Vordergrund steht das Preisproblem sowie die Regelung der Ausfuhr. Die Industrie kommt den Behörden mit einem freiwilligen Verzicht auf die Ausfuhr zuvor. Der Versuch, die Preise von den Selbstkosten aus zu regeln, scheitert. Die Eisen- und Manganerzförderung, ebenso die Roheisen- und Stahlproduktion heben sich. Jedoch werden die Grundlagen der Kriegseisenwirtschaft gleichzeitig bedenklich geschwächt. Große Mengen Eisen werden für unwichtige Zwecke verbraucht.

X 

 Inhalt

 52

Vom Somme-Programm zum Hindenburg-Programm 

Überraschend trifft die Somme-Offensive die deutsche Kriegswirtschaft. Der Eisenbedarf schnellt plötzlich in die Höhe. Der Mangel an einheitlicher Organisation hat bedenkliche Folgen. Erst der Wechsel in der Heeresleitung leitet zur großzügigen Produktionsmobilisation über. (Hindenburg-Programm.)

Die Zentralorgane für die Eisenbewirtschaftung 

 56

Die Eisenorgane werden erheblich ausgebaut. Der Eisensektion wird die Eisenzentrale und die Manganerzgesellschaft angegliedert. Für die Regelung des Beschaffungs- und Lieferungswesens wird die Rohstahlausgleichstelle und der Deutsche Stahlbund gegründet.

Exkurs a Die Organe der Zentralbewirtschaftung   59 Die Eisensektion der Kriegsrohstoffabteilung   59

Sie bildet das zentrale Fachorgan für alle Verwaltungsfragen und für die technische Wirtschaftsführung.

Das „geschäftsführende“ Kommissariat 

 60

Zur Vermeidung privater Interessenpolitik wird den Kriegsgesellschaften für Eisen und Mangan ein mit weitesten Befugnissen ausgestattetes Kommissariat vorgesetzt. Es ist der Eisensektion gleichgeordnet und in erster Linie für wirtschaftspolitische Fragen zuständig.

Die Eisenzentrale G. m. b. H. 

Statut, Beteiligungen, Aufgabenkreis.

 61

Die Manganerzgesellschaft m. b. H.  Statut, Beteiligungen, Aufgabenkreis.

 63

Arbeitsbereich von Eisenzentrale und Manganerzgesellschaft 

 66

Abgrenzung der Arbeitsgebiete. Aufgaben der Eisenzentrale: Ferrosiliziumbeschaffung, Verwertung von Nutzmaterial, Sicherung des Schrottbedarfs, Unterstützung des heimischen Bergbaus. Aufgaben der Manganerzgesellschaft: Unterstützung inländischer Grubenförderung, Nutzbarmachung der Manganerzlagerstätten im verbündeten Ausland.

Die Rohstahlausgleichstelle 

 69

Sie hat durch Vergleichung von Produktion und Bedarf und unter Berücksichtigung der Kriegslage die Wege zu suchen und anzuweisen, auf denen die ökonomisch beste Ausnutzung der eisenindustriellen Kräfte möglich ist. Von ihr geht der behördliche Verwaltungszwang aus.

Beauftragter beim Stahlbund und Roheisenverband 

 71

Beim Roheisen kann man zur Regelung des Lieferungswesens auf den Roheisenverband zurückgreifen. Für Stahl und Stahlprodukte wird der Deutsche Stahlbund ins Leben gerufen. Der letztere ist eine zwanglose Vereinigung aller in Frage kommenden Werke, Verbände und anderer Organisationen. Er soll in erster Linie eine vermittelnde Tätigkeit ausüben. Stahlbund und Roheisenverband haben an der Schaffung der Unterlagen für die Preispolitik erheblichen Anteil. Das Heeresinteresse wird durch einen Beauftragten des Kriegsministeriums vertreten.

Kapitel III Das Hindenburg-Programm  A Der neue Heeresbedarf   73 Bedarfsermittlung   73

 73

Die Feststellung des Bedarfs begegnet großen Schwierigkeiten. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung trifft jedoch mit ihren Schätzungen ungefähr das Ausmaß des tatsächlich Notwendigen.

Deckungsmöglichkeiten 

 78

Man hofft, das Hindenburg-Programm unter stärkster Ausnutzung der reichlich zur Verfügung stehenden Erze im Thomas-Verfahren erfüllen zu können. Soweit die inländische Kapazität nicht ausreicht, steht sie in dem besetzten Gebiet zur Verfügung.

Inhalt 

Arbeiterfrage 

 XI

 79

Die Durchführbarkeit hängt ausschlaggebend mit der Lösung der Arbeiterfrage zusammen. Die Selbständigkeit der stellvertretenden Generalkommandos bedeutet eine ungeheure Erschwerung für die Gestellung der erforderlichen Arbeitskräfte. Die Oberste Heeresleitung allerdings zeigt weitgehendes Entgegenkommen, doch bringt sie keine prinzipielle Veränderung. Das Hilfsdienstgesetz wird den praktischen Forderungen nicht gerecht.

 81  81

B Die Ausführung des Hindenburg-Programms  Arbeitsprogramm der Kriegsrohstoffabteilung 

Die wichtigste Aufgabe ist die Steigerung der Produktion. Die Erzförderung der Schutzverwaltung wird wesentlich vergrößert. In Metz findet eine durchgreifende Neuorganisation statt. Die Lagerstätte von Ilsede wird Gegenstand eines großzügigen Förderprogramms. Eingehend wird die Möglichkeit der Inbetriebsetzung von Eisenhütten in Belgien verfolgt. Mit größter Schärfe wird der „Friedensbedarf“ eingeschränkt. Bei der Unübersichtlichkeit des Wirtschaftsgebietes versucht man dies unter Umgehung einer Beschlagnahmung zu erreichen. Besonders scharf wird das Bauwesen kontrolliert (Bautenprüfungsstelle).

Nebenprogramme 

 87

Die Manganerzgesellschaft beginnt ihre Tätigkeit im verbündeten Ausland und schließt Produktionsverträge mit inländischen Bergwerken ab. Die Eisenzentrale finanziert die erhöhte Beschaffung von Ferrosilizium. Gleichzeitig wird eine Organisation der Schrottversorgung aufgebaut. Neben Schrott werden Späne und Gußbruch bewirtschaftet.

 90

Das Programm in der Weiterverarbeitungsstufe 

Bei der Vergebung der Heeresaufträge an die Industrie wird die Rohstofflage nicht genügend berücksichtigt. Die Programmerfüllung kommt dadurch in die größte Gefahr.

C Umwertung des Hindenburg-Programms  Absinken der Produktion   91

 91

Die ungewöhnliche Strenge und Dauer des Winters 1916/17 führt eine Transportkatastrophe herbei; Versuche, sie organisatorisch zu beheben, scheitern. Infolgedessen sinkt die Produktion, besonders die der Hochofenwerke, außerordentlich stark ab.

Der Martinstahl und die Schrottfrage 

 95

Da das Thomas-Programm zunächst nicht durchführbar ist, schreitet man dazu, die Martinstahlproduktion zu fördern, um trotz der schwierigen Produktionslage den Heeresbedarf zu decken. Die hierzu notwendige Steigerung des Schrottanfalls führt zu einer völligen Neugestaltung der Schrottwirtschaft.

Neuformulierung des Hindenburg-Programms 

 97

Angesichts der schlechten Produktionslage wird von der Erreichung bestimmter Produktionsziffern Abstand genommen. Es kommt nunmehr darauf an, die mögliche Höchstleistung zu erzielen und die Produktion nach Maßgabe der Dringlichkeit des Bedarfs auf die wichtigsten Verbrauchsgebiete aufzuteilen.

Exkurs b Die Grundlinien des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl   100 Die Bedarfsgruppierung   100 Man unterscheidet unmittelbaren und mittelbaren Kriegsbedarf sowie Friedensbedarf.

Die Beschaffung des Heeresbedarfs  102

Die Beschaffungsstellen wirtschaften innerhalb der ihnen zugewiesenen Kontingente selbständig. Eine Dringlichkeitsliste sowie ein Dringlichkeitsscheinsystem gibt den Werken den Anhalt, in welcher Reihenfolge die Bedarfserfüllung zu geschehen hat.

XII 

 Inhalt

Deckung des mittelbaren Kriegsbedarfs 

 106

Bei der Unmöglichkeit, den gesamten Eisenmarkt in seiner großen Zergliederung wirksam organisatorisch zu erfassen, wird der mittelbare Kriegsbedarf auf den freien Markt verwiesen. Eidesstattliche Erklärungen der Bezieher über die Zulässigkeit der Lieferung gemäß den Vorschriften der Rohstahlausgleichstelle wirken verbrauchsregelnd.

Die Regelung der Ausfuhr von Eisen und Stahl 

 108

Mit der Aufstellung des Hindenburg-Programms wird die Ausfuhr scharf gesenkt und es werden besondere organisatorische Maßnahmen hierzu getroffen.

Die Beschlagnahme von Eisen und Stahl 

 115

Sie wird beim Eisen lediglich für einige Verwendungszwecke ausgesprochen. Die hierbei gemachten Erfahrungen zeigen deutlich die großen Schwierigkeiten, mit denen eine solche Maßnahme in der Eisenwirtschaft verbunden ist.

Besondere Bezugsregelungen 

 121

Je nach den besonderen Verhältnissen auf dem Markt und in der Produktion einzelner Produkte wird für einzelne Bezugswege eine besondere Ordnung gewählt. So für Draht, Feinblech, Weißblech, Weicheisen u. a.

Die rechtlichen Grundlagen der Eisenbezugsregelung 

 123

Die Zwangsläufigkeit des Bezugs und der Produktionsverteilung wird bei Eisen durch ein Minimum von Verordnungen erreicht. Im allgemeinen kommt man mit freiwilligen Bindungen der Eisenindustrie aus. Die wenigen Sonderverordnungen ergehen auf Grund des Belagerungszustandgesetzes.

Kapitel IV Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918  A Die Entwicklung der Produktive   126 Die Lage der Produktion im Frühjahr 1917   126

 126

Die Transportschwierigkeiten dauern bis zum April. Dann treten Schwierigkeiten in der Arbeiterfrage ein.

Der Beharrungszustand in der Produktion 

 127

Unter Berücksichtigung der Verhältnisse in den untersten Produktionsstufen stellt die im Frühjahr 1917 erreichte Produktion schlechthin diejenige Erfüllung des Rüstungsprogramms dar, die nach der Gesamtlage vorerst erreicht werden kann.

Die Kohlenversorgung 

 130

Im August 1917 wird die Eisenproduktion entscheidend durch die Brennstoffeinschränkung zugunsten des Hausbrandes getroffen.

B Die Rohstofflage 1917  Mangan   133

 133

Durch umfassenden Ausbau der Manganwirtschaft wird im Jahre 1917 das Manganproblem gelöst.

Kalk und feuerfeste Steine 

 134

Die mangelhafte Versorgung mit Kalk und feuerfesten Steinen gefährdet die Eisenproduktion stark. Auch hier wird der Aufbau einer besonderen Organisation nötig.

Schrott 

 136

Die zunächst als Behelfsmaßnahme gedachte Schrottgewinnung muß in zunehmendem Maße herangezogen werden. Die Kampfhandlungen im Westen machen jedoch die Durchführung der ursprünglichen Rückführungspläne unmöglich.

Inhalt 

C Die Maßnahmen zur Sicherstellung des Heeresbedarfs  Die Kriegslage 1917   137

 XIII

 137

Während die Front standhält, gewinnen im Inland pazifistische und revolutionäre Ideen an Raum. Es wird schwieriger, mit schroffen Verwaltungsmaßnahmen nicht nur bei der Industrie und in der Wirtschaft, sondern auch bei den Behörden durchzudringen. Während die Flandernschlachten zum Austrag kommen, wird der Krieg im Osten und Süden zu einem vorläufigen Ende geführt. Die Oberste Heeresleitung vereinigt alle Kraft auf die Kriegsentscheidung, die notwendigerweise im Westen fallen muß.

Ausbau des Beschaffungs- und Lieferungswesens 

 140

Die unbedingte Befriedigung des Heeresbedarfs wird mehr noch als zur Zeit des HindenburgProgramms Leitgedanke für alle Maßnahmen. Schärfste Einschränkung aller weniger dringlichen Bedarfsgruppen und ständiges Anpassen der möglichen Produktionsleistung an den Frontbedarf wird notwendig. Es gelingt, die Granatstahlproduktion wesentlich zu heben.

Die Transportfrage 

 144

Die Verbandsfrage 

 146

Da es sich als unmöglich erweist, für die Massentransporte der Eisenindustrie die Wasserstraßen in wünschenswerter Weise heranzuziehen, wird das System der Pendelzüge zur Durchführung gebracht. Eine besondere Organisation für die Sicherstellung des Mindestbedarfs an Wagenraum wird durch die Eisensektion geschaffen. Man erwägt mit großem Ernst die Frage einer kartellmäßigen Zusammenschließung der gesamten Eisenindustrie. Der Gedanke läßt sich jedoch nur bruchstückweise verwirklichen.

Preispolitik 

 148

Auch die Preispolitik erscheint vom Jahre 1917 ab als eine Maßnahme zur Sicherung des Heeresbedarfs.

D Der Friedensschluß mit Rußland  Möglichkeiten   149

 149

Man verspricht sich von dem Ostfrieden eine Entspannung der Versorgungslage mit Manganerzen, hochwertigen Eisenerzen und anderen Roh- und Halbfabrikaten.

Die tatsächlichen Ergebnisse 

 149

Der vollen Ausnutzung des ukrainischen und russischen Friedens stellen sich jedoch die größten Schwierigkeiten entgegen. Die Hoffnungen zerschlagen sich, ohne irgendein nennenswertes Ergebnis gezeitigt zu haben.

Exkurs c Die Entwicklung der Eisenpreise wahrend des Krieges  A Zeitliche Übersicht über die Preisentwicklung   151 Die Bewegung der Eisenpreise   151

 151

Die Preisentwicklung von 1914—1919 vollzieht sich in vier Hauptstufen. Am Kriegsende steht der Eisenpreis durchschnittlich auf der 2—2½fachen Friedenshöhe.

Die Hauptperioden der behördlichen Preispolitik 

 160

Gegenüber den vier Stufen der Preisentwicklung lassen sich sechs Perioden behördlicher Preispolitik feststellen.

XIV 

 Inhalt

B Elemente der Preisbewegung  Preis und Selbstkosten   163

 163

Im Krieg haben die Selbstkosten einen größeren Einfluß auf die Preisbildung als im Frieden. Mit dem Hindenburg-Programm aber gewinnen die unbestimmteren wirtschaftlichen Selbstkostenanteile erheblich an Bedeutung, so daß die Höhe der Selbstkosten immer schwieriger erfaßt werden kann.

Sonderfaktoren bei der Bildung der Kriegspreise für Eisen und Stahl 

 167

Auf die Gestaltung des Eisenpreises wirken ein: Die Dringlichkeit des Kriegsbedarfs, der illegale Kettenhandel, teilweise die Konkurrenz des Auslandes, das Vorhandensein langfristiger Lieferungsverträge, das Schwinden der latenten Vorräte, die Elastizität der Preisrelationen voneinander abhängiger Produkte.

Die industrielle Preispolitik und ihre Grenzen 

 171

Während des Krieges vollzieht sich eine grundsätzliche Änderung in der industriellen Preispolitik. Sie kann sich den veränderten Verhältnissen gegenüber nicht mehr wirksam durchsetzen; behördliches Eingreifen wird notwendig.

C Möglichkeiten und Bedingtheiten autoritativer Preisregelung beim Eisen   173 Allgemeines   173

Bei der Aufnahme der Eisenpreispolitik sieht sich die Kriegs-Rohstoff-Abteilung einem Wirtschaftskörper von eigentümlicher Struktur gegenüber, der nicht entfernt bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit ausgenutzt ist. Dem Außenstehenden gelingt es nur schwer, Einblick in die tatsächlichen Wirtschaftsverhältnisse zu gewinnen. Die zweijährige stete Preisentwicklung ist für die Wirksamkeit zentraler Preisregelungen äußerst nachteilig. Der Schrottpreis.

Technisches und wirtschaftliches Prinzip 

 177

Der Versuch, rein rechnerisch aus den Selbstkosten angemessene Höchstpreise festzulegen, scheitert. Unter Berücksichtigung der Möglichkeit, Konjunkturgewinne durch eine scharfe Kriegsgewinnsteuer beseitigen zu können, wird dann versucht, die Lösung der Preisfrage auf wirtschaftlichem Wege herbeizuführen.

Richtpreis und Höchstpreis 

 180

Zunächst wird im Januar 1917 mit Hilfe des Stahlbundes eine Festlegung der gültigen und angemessenen Marktpreise durch die Herausgabe einer Richtpreisliste vorgenommen. Sie leitet über zu der Festsetzung von Höchstpreisen. Die Höchstpreisverordnung hat eine von der Norm wesentlich abweichende Form und schließt die Preisentwicklung für Eisen ab. (Granatstahlpreis.)

Granatstahlpreise   183 Prämiengewährung   186

In einigen Sonderfällen (Halbzeuglieferungen an reine Walzwerke, Staatsbahnschienenlieferung) werden Prämien ausgesetzt. Für gewisse Eisensorten (Schrauben, verzinkte Bleche und verzinktes Bandeisen) treten Preisstaffelungen ein.

Das englische System 

 189

Im Gegensatz zu Deutschland muß England erhebliche Aufwendungen zur Umgestaltung der Eisenindustrie machen. Trotzdem hierbei sehr erhebliche Summen im voraus aufgewendet werden, steigt der Eisenpreis wesentlich stärker als in Deutschland an. Im Prinzip bekennt man sich auch in England zur wirtschaftlich und nicht technisch orientierten Preispolitik.

Inhalt 

 XV

 193

D Wirkungen der Eisenpreispolitik 

Der Krieg bedeutet für die Eisenindustrie eine zweifellos günstige Konjunktur. Jedoch halten sich die Geschäftsergebnisse der Werke der Großeisenindustrie durchaus im Rahmen derjenigen der gesamten Großindustrie

Exkurs d Die Bewirtschaftung des Alt- und Abfalleisens  A Grundlagen   198

 198

Während des Friedens ruht die deutsche Versorgung durchaus auf dem Inland. Im Kriege sinkt der Entfall ab, während der Bedarf wächst.

B Organisationen in der Schrott-, Gußbruch- und Spänewirtschaft  Friedensorganisationen   200

 200

Es bestehen lediglich für den Schrott einige Organisationen.

 201

Die Späneorganisation im Kriege 

Wird von der Eisenzentrale zuerst ins Leben gerufen.

Die Schrottorganisation 

 202

Kommt als zweite Organisation Dezember 1916 und Januar 1917 zustande.

Die Gußbruchorganisation 

 204

Wird in vorläufiger Form im Frühjahr 1917 aufgebaut und im Herbst 1917 erweitert.

C Steigerung des Alteisenaufbringens  Tätigkeit der Organisationen   206 Tätigkeit der Eisenzentrale   208

 206

Die Eisenzentrale beschafft Schrott durch Vereinbarung mit dem Eisenbahnzentralamt und den außerpreußischen Eisenbahnverwaltungen, durch Organisation der Schrotteinfuhr und durch Schrotteinkauf in Belgien.

Sondermaßnahmen zur Erhöhung des Schrottaufbringens in den besetzten Gebieten   210

Hand in Hand mit der Aufnahme der Niederlegungen gehen Untersuchungen zur Entschädigung der belgischen Besitzer. Der größte Teil der greifbaren Materialien wird während der beiden ersten Kriegsjahre zurückgeführt. Im ganzen wird die deutsche Eisenwirtschaft durch die besetzten Westgebiete um etwa 3 Mill. t gestärkt. Seit 1917 tritt auch der Osten sowie Rumänien, Serbien und Italien in den Bereich der Schrottbewirtschaftung.

Die Schrottgewinnung im Inland 

 215

Vom Oktober 1917 ab werden auch im Inland schärfere Maßnahmen ergriffen (Abteilung Schrottgewinnung der Eisenzentrale). Niederlegung von 371 Gebäuden. Die Schrottsammeltätigkeit wird lebhaft verstärkt.

D Verbrauchsregelung für Alt- und Abfalleisen   217 Regionale Einteilung des Entfallgebietes   217

Es wird der Versuch gemacht, die Bedarfsdeckung nach Möglichkeit selbsttätig zu gestalten. Die Absicht wird jedoch nicht voll erreicht.

Die Ausgleichsverhandlungen 

 218

Die Unstimmigkeiten in der Versorgung werden durch Ausgleichungen im Kommissariat der Eisenzentrale behoben. Die Bedarfsdeckung ist im großen und ganzen überaus knapp. Fast zwei Drittel des gesamten Ausbringens werden vom Handel geliefert, während der Rest durch die besonderen Organisationen der Eisenzentrale beschafft wird. Bei den Spänen begnügt man sich mit einer noch allgemeineren Beschaffungsregelung. Die Gußbruchversorgung stützt sich ausschließlich auf den Roheisenverband.

XVI 

 Inhalt

Kapitel V Die Eisenwirtschaft im Sommer 1918   223 A Die Wirtschaftslage bei Beginn der Westoffensive  Produktionsverhältnisse   223

 223

Infolge der Brennstoffeinschränkungen und mangelhafter Arbeiterversorgung sinkt die Produktion bis zum Frühjahr ganz erheblich ab.

 225

Bewegung der Vorräte 

Der Rückgang in der Roheisenproduktion führt zu der Ansammlung beträchtlicher Erzvorräte. Gleichzeitig aber werden die Vorräte an Roheisen und Halbzeug wesentlich verringert.

Rohstoffversorgung 

 227

Der Martinstahl wird Träger der Bedarfsdeckung. Das Erzförderprogramm kann auch in dieser Kriegsperiode nicht zur Durchführung gelangen. Besonders brennend ist die Schrottnot. Die Manganlage dagegen scheint sich aufzubessern.

B Die Entscheidung des Weltkrieges   230 Kriegslage und Heeresversorgung   230

Trotzdem die Produktion im Sommer 1918 ganz wesentlich über die Forderungen des Hindenburg-Programms hinausgesteigert wird, leidet die Frontversorgung unter den Produktionsausfällen während der Wintermonate. Nur unter schärfster Einschnürung aller anderen Bedarfsgruppen gelingt es, die Mindestforderungen der Obersten Heeresleitung zu erfüllen. Ein scharfer Gegensatz zwischen Granatstahl und Eisenbahnbaumaterial spitzt sich zu.

Die Arbeiterfrage 

 234

Die Frontverhältnisse verlangen die Einstellung jedes waffenfähigen Mannes. Eine befriedigende Abwägung militärischer und kriegswirtschaftlicher Bedürfnisse gegeneinander wird nicht erzielt.

C Das Waffenstillstandsangebot   237 Die Rückwirkung der militärischen Lage auf die Eisenwirtschaft   237

Der Wegfall Belgiens als Schrottbasis und die Gefährdung des Minettegebietes beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit der Eisenindustrie erheblich. Die erneuten Stockungen im Transportwesen verschärfen diese Lage wesentlich. Der Zusammenbruch der Südostfront unterbindet die Manganerzzufuhren. Auch Österreichs Haltung wird bedenklich.

Die kriegswirtschaftlichen Grundlagen der nationalen Verteidigung   239

Die Versorgungslage läßt zwar für den Augenblick eine Weiterführung der Kämpfe zu. Doch muß nach kurzer Zeit mit einem um so stärkeren Zusammenbruch der Eisenwirtschaft gerechnet werden. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung nimmt den Versuch auf, die industrielle Leistungsfähigkeit unter Inkaufnahme größter Nachteile allgemeiner Art voll für die Heeresversorgung einzuspannen. Der Ausbruch der Revolution schneidet diesen Versuch ab.

Exkurs e Die Vorratswirtschaft mit Mangan  Grundlagen   242

 242

Die Manganbewirtschaftung ist eine typische Vorratswirtschaft. Die Ergänzung der Vorräte ist nur in ganz geringem Umfange möglich.

Manganerzbergbau in Deutschland 

 243

In Deutschland werden die Lagerstätten bei Gießen und bei Bingerbrück in besonderem Umfange zur Deckung der Mittelqualitäten von Ferromangan herangezogen. Außerdem wird Ilsede und das

Inhalt 

 XVII

Siegerland für die Mangandeckung verstärkt ausgenutzt. Eine Lagerstättenbeschlagnahme regt den Bergbau auf zahlreichen Kleinbetrieben an.

Manganerzbergbau in den verbündeten Ländern 

 247

In erster Linie kommt Ungarn in Betracht (Kisocz, Maczkamezoe, Jakobeny); daneben die Schlacken von Donawitz. Die Untersuchungen in Bulgarien führen zur Ausbeutung des Vorkommens von Poscharewo, die in Serbien zu keinem greifbaren Ergebnis. Von den türkischen Vorkommen gewinnt lediglich das von Heraklea besondere Bedeutung.

Umstellungen im Erzverbrauch 

 250

Sämtliche manganhaltigen Eisenerze Deutschlands werden in erster Linie für die Herstellung von Eisenmanganlegierungen vorbehalten.

Sparmaßnahmen 

 251

Weitgehend wird der Verbrauch von Mangan bei der Stahlgewinnung (insonderheit beim Granatstahl) eingeschränkt.

Ersatzmaßnahmen 

 253

Zahlreiche Versuche, andere Desoxydationsmittel anzuwenden, haben bedingten Erfolg.

Ferrosiliziumbewirtschaftung 

 254

Die Deckung des Bedarfs an hochwertigem Ferrosilizium ruht in erster Linie auf der Einfuhr. Die Eisenzentrale schließt langfristige Lieferungsverträge und gibt Vorschüsse für die Errichtung inländischer Anlagen.

Die Manganpreise   256 Die Bewirtschaftung von Braunstein 

 257

Die Braunstein verbrauchende Industrie schafft sich im Mai 1916 in der Braunsteinversorgungsgesellschaft einen Selbstverwaltungskörper. Dieser tritt im Frühjahr 1917 in engere Beziehungen zur Manganerzgesellschaft.

Kapitel VI Das Ende der Kriegseisenwirtschaft   259 Der Waffenstillstand und die Revolution   259

Der Abschluß des Waffenstillstands ist das Ende der deutschen Kriegseisenwirtschaft. Die Revolution wirft die Eisenproduktion vollends zurück.

Die Auflösung der Organisationen der Kriegseisenwirtschaft 

 261

Nach dem November 1918 verlieren die Verfügungen der Rohstahlausgleichstelle ihren Wert. Sie werden aufgehoben. Ebenso wird die Höchstpreisverfügung mit dem 31. Dezember 1918 außer Kraft gesetzt. Die Manganorganisation wird in die Friedenswirtschaft mit hinübergenommen. Eine Weiterführung der Alteisenbewirtschaftung erweist sich als undurchführbar. Die Eisenzentrale geht an das Reichsverwertungsamt über. Die übrigen Organisationen werden aufgelöst. Der Roheisenverband erweist sich weiter als starker Rückhalt für die Eisenwirtschaft. In einem neuen „Deutschen Stahlbund“ schließen sich alle Thomas- und Martinstahlwerke, sowie die Walzwerke zu einem neuen Spitzenverband zusammen.

Anhang 

 283

Verzeichnis der Anlagen Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.

Organisation der Eisenbewirtschaftung. Erzförderung und Einfuhr. Roheisen- und Rohstahlerzeugung. Durchschnittliche arbeitstägliche Leistung (Roheisen, Rohstahl, Walzwerksprodukte). Roheisenerzeugung (Sorten). Roheisenerzeugung (Bezirke). Rohstahlerzeugung (Sorten). Rohstahlerzeugung (Bezirke). Walzwerksproduktion (Sorten). Walzwerksproduktion (Bezirke). Bewegung der Eisenpreise. Rundschreiben Nr. 20 des Deutschen Stahlbundes. Verfügung der Rohstahlausgleichstelle betr. Regelung des Roheisenbezugs. Beschlagnahmeverfügung betr. Eisen und Stahl. Verordnung der Generalkommandos betr. Heeresbedarfslieferungen. Bekanntmachung betr. Erzeugung des Kriegsmaterials durch Eisen- und Stahlwerke.

Einleitung  Kriegswirtschaftliche Bedeutung des Eisens Kriegsrohstoffe Die Volkswirtschaft im Kriege hatte ihre eigene Terminologie. Man bezeichnet sie als Kriegswirtschaft, da sie vollkommen auf den Kriegszweck eingestellt wurde. Aus dem augenblicklichen Bedürfnis dieser Kriegswirtschaft heraus entstanden von Fall zu Fall neue Begriffe, die weniger theoretisch entwickelt als praktisch gegriffen waren. So umschrieb man, ohne sich kleinlich an eine eindeutige Definition zu halten, mit dem Begriff „Kriegsrohstoff“ jene Urprodukte und Halbfabrikate, die als Roh-, Nebenund Hilfsstoffe für die Kriegführung in Frage kamen, aber nur in so beschränktem Maße zur Verfügung standen, daß die Bedarfssicherung einheitlich geregelt werden mußte. Kupfer, Wolle, Leder und Kautschuk eröffneten die Reihe dieser Kriegsrohstoffe, zu denen dann im Laufe des Krieges eine fast unübersehbare Zahl von anderen Stoffen hinzutrat. Das Eisen ist — obwohl es erst verhältnismäßig spät in diese Reihe aufgenommen wurde — „der Kriegsrohstoff“ schlechthin; ohne eine eigene Eisenerzeugung ist ein Land nicht in der Lage, in voller Unabhängigkeit Krieg zu führen und — soweit nötig — die Kriegsindustrie aufzubauen. Voraussetzung hierfür aber ist die Verfügungsmöglichkeit über die erforderlichen Grundstoffe, in erster Linie das Eisenerz und den ausschlaggebenden Betriebsstoff, die Kohle. Nur die weitgehende Erfüllung dieser Grundbedingungen hat Deutschland die Möglichkeit gegeben, sich trotz der fast vollkommenen Absperrung vom Weltmarkt viele Jahre hindurch des Ansturms der ganzen Welt zu erwehren, die ihre Völker und Industrien zu seiner Niederwerfung vereinigt hatte. Die tiefgreifende Bedeutung des Eisens für die Ausrüstung und Bewaffnung des Heeres bedarf kaum besonderer Erwähnung. Vom Sohlennagel des Mannes bis zum Hufbeschlag der Pferde, vom Infanteriegeschütz bis zum 42-cm-Mörser, vom Stahlhelm über den Drahtverhau zur Panzerkuppel, von der Handfeuerwaffe bis zum 120 km weittragenden Riesengeschütz, vom Unterseeboot bis zum Schlachtkreuzer machte das Eisen überall an den wichtigsten Punkten die Wehrmacht erst kampf- und verteidigungsfähig. An fast allen diesen Stellen war bemerkenswerterweise das Eisen nicht ersetzbar. Während bei den meisten anderen Bedarfsgebieten der Kriegswirtschaft in weitgehendem Maße Ersatzwirtschaft getrieben werden konnte, war dies in der Regel beim Eisen nicht möglich. Wohl konnte man z. B. den Soldaten auch im „Kriegstuch“ ausreichend gegen die Einflüsse der Witterung schützen, wohl konnte man den Lastkraftwagen ohne Gummibereifung fahren lassen und das Leder in vielen Fällen entbehrlich machen, bei den Erfordernissen der eisernen Ausrüstung des Heeres gab es kein Ausbiegen. Schlagfertigkeit der Armee und Befriedigung des Eisenbedarfs waren starr miteinander verbunden; jedes Zurückbleiben der Bedarfserfüllung hinter den als notwendig erkannten Anforderungen der Heeresleitung machte sich unmittelbar in

2 

 Einleitung Kriegswirtschaftliche Bedeutung des Eisens

der Entwicklung der Kampfhandlung bemerkbar. Wo es an Eisen fehlte, mußte kostbares Blut im Übermaß fließen, die Erinnerung an die Sommeschlacht gibt hierfür eine traurige Bestätigung. Die wachsende Überlegenheit der Feinde gerade an Eisen hat die Kriegslage zuungunsten Deutschlands erheblich verschoben. Auch mittelbar hatte das Eisen eine hohe Bedeutung für die Kriegführung. Die Umstellung der gesamten Industrie auf die besonderen Aufgaben der Kriegswirtschaft bedingte die Herstellung zahlreicher neuer Maschinen und Apparate; gerade die Rüstungsindustrie hat mit der gewaltigen Ausweitung ihres Umfanges sehr große Mengen von Eisen in Baulichkeiten und Betriebseinrichtungen festgelegt. Von besonders hohem Werte war außerdem eine ausreichende Eisenversorgung für das gesamte Verkehrswesen, einschließlich Schiffsbau und Flugwesen, Post und Telegraphie. Der Ausbau des weitverzweigten Etappenwesens ruhte in dieser Hinsicht wesentlich auf dem Eisen. Welche Folgen der Mangel an Baumaterial, Lokomotiven und Waggons im Kriege mit sich bringt, hat der Winter 1916/17 mit seiner Transportkrisis deutlich gezeigt. Allgemein war die Leistungsfähigkeit der Inlandswirtschaft eng mit der Entwicklung der Eisenwirtschaft verknüpft. Auch auf den hier andeutungsweise umschriebenen Gebieten war es charakteristisch, daß das Eisen im allgemeinen nicht ersetzt und der augenblickliche Mangel nicht von irgendeinem anderen Überschußgebiet aus behoben werden konnte. Lediglich im Hochbauwesen war es möglich, in weitem Umfange andere Baustoffe als Eisen heranzuziehen. Diese Verhältnisse haben in ungefähr gleichem Maße bei sämtlichen kriegführenden Staaten vorgelegen. Auf beiden Seiten hat sich mit zunehmender Dauer des Krieges immer schärfer das Prinzip des „Eisenkriegs“ herausgearbeitet. Nimmt man die Roheisenproduktion des Jahres 1913 als den Maßstab für die Leistungsfähigkeit der Eisenindustrien der am Krieg beteiligten Länder, so ergibt sich, daß die Entente in Europa folgende Leistungsmöglichkeiten ins Feld stellen konnte: England.......................... Frankreich....................... Rußland.......................... Polen.............................. Belgien........................... Italien.............................

Entente:

10,7 5,1 4,3 0,4 2,5 0,4 23,4

Mill. „ „ „ „ „ Mill.

Tonnen „ „ „ „ „ Tonnen

Dagegen stützten sich die Mittelmächte auf folgende Friedenskapazitäten: Deutschland………………………… 19,3 Österreich-Ungarn……………..… 2,3 Mittelmächte: 21,6

Mill. „ Mill.

Tonnen „ Tonnen



Charakter des Krieges 

 3

Das nur geringe Übergewicht, das so auf seiten der gegen Deutschland in den Krieg getretenen europäischen Staaten lag, konnte aber in ganz beliebiger Weise durch Mitausnutzung der amerikanischen Produktionsfähigkeit von 31,5 Mill. Tonnen zuungunsten Deutschlands vergrößert werden. Von diesem Mittel hat die Entente bereits lange vor dem Eintritt der Vereinigten Staaten von Amerika in den Krieg in weitestem Umfange Gebrauch gemacht. Deutschland war also von vornherein, trotz seiner mächtigen Eisenindustrie, nicht sehr günstig gestellt, und es kam erschwerend hinzu, daß mißliche Umstände verschiedener Art eine volle Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Leistungsfähigkeit verhinderten. Es hätte demgegenüber eine entscheidende Bedeutung gehabt, wenn der französische Operationsplan gegen Lothringen gelungen und dadurch der deutschen Rüstungsindustrie weitere 8 Mill. Tonnen Roheisenproduktion verloren gegangen wären. Eine solche Entwicklung wäre unter Umständen kriegsentscheidend geworden. Sie abgewendet und geradezu in das Gegenteil gewandelt zu haben, ist der Erfolg der Schlachten bei Metz und Longwy, durch die nicht nur der feindliche Ansturm aufgehalten, sondern Deutschland in den Besitz des Beckens von Longwy und Briey gesetzt wurde, das mit seinem ungeheuren Eisenerzreichtum das Rückgrat der französischen Eisenindustrie bildete. Die Leistungsfähigkeit Frankreichs wurde damit um wenigstens 3,5 Mill. Tonnen geschwächt und die Frontlinie so weit nach Westen vorgeschoben, daß die deutsche Eisenindustrie vor Metz und Diedenhofen sowie an der Saar der unmittelbaren Einwirkung der Kampfhandlungen entrückt wurde. Das Vordringen der deutschen Heere durch Belgien und die Besetzung Polens bewirkten dann weiterhin, daß mit Ende 1914 sich die Lage für Deutschland ganz wesentlich verbesserte. Nunmehr waren den europäischen Feinden nicht weniger als 6,4 Mill. Tonnen ihrer Produktionskapazität entrissen, ein Verlust, der trotz der erzielten Produktionssteigerung in England nicht wieder ausgeglichen wurde. Entscheidender noch als dieser so geschaffene Ausgleich in den Eisenkräften war der Umstand, daß Deutschland seit Kriegsbeginn über die Erze aus dem Minettegebiet (Metz—Longwy), dem größten europäischen Erzdistrikt überhaupt, uneingeschränkt verfügen konnte und die bisher nur bedingt tragfähige Erzbasis seiner Eisenindustrie so verstärkt war, daß sie mit der breiten Kohlengrundlage ins Gleichgewicht kam. Die Grundvoraussetzung für das Durchfechten und das wirtschaftliche Durchhalten dieses Krieges war also hinsichtlich des wichtigsten Rohstoffes erfüllt.

Charakter des Krieges In Anlehnung an die Geschichte früherer Kriege wurde auf deutscher Seite auch der Weltkrieg in seinen ersten Anfängen als eine rein militärische Angelegenheit aufgefaßt und durchgeführt. Der unglückliche Ausgang der Marneschlacht aber ließ es langsam deutlich werden, daß auf der gegnerischen Seite von Anfang an Methoden einer neuen — der wirtschaftlichen — Kriegführung in Anwendung gekommen waren,

4 

 Einleitung Kriegswirtschaftliche Bedeutung des Eisens

an die man in Deutschland nicht gedacht hatte. Die von England bereits in den ersten Augusttagen 1914 durchgeführten Maßnahmen, wie die Verhängung der Blockade, die Erweiterung der Bannwarenliste, Beschlagnahme alles deutschen Eigentums u. dgl. m., andrerseits die lebhafte Interessierung amerikanischer Unternehmerkreise für den Krieg, zeigen, daß Deutschlands Hauptgegner mit aller Folgerichtigkeit von Anfang an den Weg wirtschaftlicher Erdrosselung gegangen ist, der ihn nach vier Jahren militärischer Mißerfolge doch noch zum Ziele führen sollte. Dieser wirtschaftliche Charakter des Krieges wäre zwar durch einen wirklich kriegsentscheidenden Erfolg Deutschlands in den ersten Kriegsmonaten verwischt worden, jeder halbe Erfolg oder Rückschlag, wie die Marneschlacht, mußte ihn sehr bald in die Erscheinung treten lassen. Man rechnete auf Grund des Schlieffenschen Feldzugsplanes mit der Möglichkeit einer schnellen militärischen Entscheidung des Krieges. Die Stimmen überwogen in Deutschland bei weitem, die — sei es aus Gründen der Finanz- und der Menschenökonomie oder der Kriegstechnik, sei es aus idealen Motiven — die Ansicht vertraten, daß ein moderner Krieg nur von sehr kurzer Dauer sein könne. In Verbindung mit dem unbedingten Zutrauen zu der überlegenen militärischen Schlagkraft der deutschen Armee bedeutete es dann nur eine Fortentwicklung dieses Gedankens, wenn man eine besondere wirtschaftliche Vorbereitung für überflüssig hielt. Gerade aber hinsichtlich des Eisens glaubte man sich die wenigsten Sorgen machen zu müssen, gab es doch schlechterdings kaum einen industriellen Rohstoff, der so reichlich zur Verfügung stand wie dieses. Auch der Reichstag teilte diese allgemeine Ansicht. So ist man gerade auf diesem wichtigsten und ausschlaggebenden Gebiet völlig blind für die gewaltigen Aufgaben der wirtschaftlichen Kriegführung in den Krieg hineingetreten. Die Anregung zur Bildung eines wirtschaftlichen Generalstabes blieb unbefolgt, obwohl gerade beim Eisen die oben geschilderte enge und erfolgbedingende Verknüpfung mit der militärischen Kriegführung offen hätte zutage liegen müssen.

Wirtschaftliche Kriegsvorbereitung Nichtsdestoweniger aber war die deutsche Wirtschaft fast an keinem Punkt tragfähiger und besser imstande, die ungeheure Belastung des Krieges auf sich zu nehmen, als gerade auf dem Eisengebiet. Hier hatte die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Vorkriegsjahre Bahnen eingeschlagen, deren Richtung vom friedenswirtschaftlichen Gesichtspunkte aus höchst bedenklich erschien. Die Eisenproduktion war nämlich seit 1900, in besonders starkem Ausmaß seit 1910, gewaltig angewachsen. In kaum gehemmter Entwicklung hatte sie die höchsten Produktionszahlen unter den europäischen Eisenländern erreicht, und im Tempo der Entwicklung sogar mit dem größten Eisenproduzenten der Welt — den Vereinigten Staaten von Amerika — gewetteifert. Das Anwachsen der Produktion erschien durch



Wirtschaftliche Kriegsvorbereitung 

 5

die Notwendigkeit bedingt, die gewaltigen technischen Anlagen der Eisenindustrie wirtschaftlich auszunützen, die ihrerseits wiederum gerade wegen des Zwanges, mit verhältnismäßig geringwertigen Rohstoffen zu arbeiten, auf größte Massenproduktion eingestellt sein mußten. Der Inlandbedarf war aber nicht entfernt groß genug, die Produktion der deutschen Eisenindustrie aufzunehmen, immer mehr mußte das deutsche Eisen über die Reichsgrenzen hinausdrängen, um im Ausland — selbst bei geringem Gewinn — Absatz zu finden. Ein reichliches Drittel der gesamten Produktion floß aus diesem Grunde in das Ausland ab. Diese Entwicklung hatte gerade in der letzten Vorkriegszeit zu einer ungesunden Übersättigung des Inland- wie des Auslandmarktes mit Eisen geführt: Die letzte Friedensperiode kennzeichnete sich durch einen sehr scharfen Konjunkturrückgang, der sich zunächst nur in einem auffälligen Absinken der Eisenpreise bemerkbar machte, aber über kurz oder lang eine möglicherweise gewaltsame Entspannung der Wirtschaftslage zur Folge haben mußte. Die nicht verkaufte Produktion bei den Werken und die von Händlern und Verbrauchern unter Ausnutzung der billigen Preise aufgespeicherten Eisenmengen aber wuchsen zu einer verdeckten Vorratsreserve an, die von sachverständiger Seite auf die Höhe einer ganzen Jahresproduktion geschätzt wurde. Für den Kriegsfall bot diese gespannte Situation nicht entfernt vorausgesehene Möglichkeiten. Gerade nachdem die deutsche Eisenindustrie die höchste Produktionsleistung seit ihrem Bestehen überhaupt erreicht hatte, brach der Krieg aus. In Verbindung mit der Wirtschaftslage in diesem Zeitpunkt bedeutete dies einen ungeheuren Vorteil für die Kriegswirtschaft. Die über Deutschland sofort verhängte Seesperre machte eine weitere Ausfuhr von Eisen schwierig; die gesamte hierfür belegte Produktionskapazität (mehr als ein Drittel der Gesamtleistungsfähigkeit überhaupt) wurde für andere Zwecke frei. Die latenten Vorräte, die längs des gesamten Verarbeitungsweges von Eisen in überreichlichem Maße aufgestapelt waren, bildeten, besonders als Fertig- und Halbfabrikat, einen kräftigen Puffer, der selbst sehr heftige Bedarfsstöße ohne Schwierigkeit aufnehmen konnte. Die gesamte Leistungsfähigkeit war aufs höchste ausgeweitet und auch hinsichtlich der technischen Vervollkommnung der Einrichtungen und der technisch-wirtschaftlichen Organisation der Industrie in ungewöhnlich hohem Maße durchgebildet. Selbst eine aufs klügste durchdachte wirtschaftliche Kriegsvorbereitung hätte keinen günstigeren Erfolg ausweisen können, als er sich hier als Ergebnis einer völlig freien — allerdings ungesunden — Wirtschaftsentwicklung darbot. Alles, was England unter dem Schutz amerikanischer Hilfsbereitschaft in zwei Jahren Kriegsarbeit mühsam neu schaffen mußte, was Frankreich zum größten Teil gleich nach Kriegsbeginn einbüßte, und was Rußland niemals entfernt erreichte, eine leistungsfähige, modern aufgebaute und gut organisierte Eisenindustrie, das besaßen wir in Deutschland am ersten Kriegstage, ohne es zielbewußt zu nutzen. Gewaltige Möglichkeiten boten sich durch eine tatkräftige Mobilmachung der hier vorhandenen Kräfte; und zwar zu einem Zeitpunkt, als Rohstoffe noch reichlich vorhanden und die Arbeiterfrage noch verhältnismäßig leicht zu regeln gewesen wäre. Man hat über den Nöten

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 Einleitung Kriegswirtschaftliche Bedeutung des Eisens

der Menschenbeschaffung für die Aufstellung des Heeres die Notwendigkeit verkannt, die dringend nötige Materialüberlegenheit herzustellen, bis die Sommeschlacht die Wirkungen solcher Überlegenheit offenbarte. England hatte sie mit Hilfe Amerikas in langer Vorbereitung planmäßig gewonnen. Deutschland aber ließ einen großen Vorsprung nutzlos schwinden, als es mit einer verhältnismäßig geringen Minderung des Menschenersatzes für das Heer noch möglich gewesen wäre, durch entschlossenes, zielbewußtes Handeln die Lücken der Kriegsrüstung auszugleichen. Während England und Amerika mit voller Kraft darangingen, ihre Eisen- und Rüstungsindustrie auf die Bedürfnisse des Weltkrieges umzustellen, ließ man in Deutschland das bereits in hoher Vollkommenheit vorhandene Instrument fast unbeachtet. Das große Rüstungsprogramm vom Herbst 1916 kam für Deutschlands wirtschaftliche Kriegführung zu spät. Arbeitermangel, Absatzschwierigkeiten und wirtschaftliche Nöte aller Art hatten, hervorgerufen durch die Verkennung der Aufgabe der Eisenindustrie bei allen maßgebenden Stellen, während der beiden ersten Kriegsjahre die Leistungsfähigkeit der Eisenindustrie gelähmt. Zur Erfüllung des großzügigen Entwurfes reichten die verbliebenen Kräfte nicht mehr aus. Der Vorwurf einer schuldhaften Versäumnis läßt sich allerdings aus dieser Verkennung der kriegswirtschaftlichen Probleme nicht erheben. Nur ein wahrhaft genialer Geist hätte vorausschauend die grundsätzliche Bedeutung sachgemäßer Eisenbewirtschaftung in dem Sinne hoher Zielsetzung so klar erkennen können, wie sie sich dem rückblickenden Betrachter von selbst aufdrängt. Es gab schlechterdings niemanden in Deutschland, der weitersah als bestenfalls Rathenau, der eine Sammlung und sparsame Verteilung seltener Rohstoffe empfahl und einleitete. Es gab niemanden, der eine Mobilmachung der gerade im Eisen so besonders starken produktiven Wirtschaftskräfte als vornehmstes Ziel der wirtschaftlichen Kriegführung erkannt und proklamiert hätte. Man lebte ganz allgemein bis in das Jahr 1915 hinein in dem Glauben, daß der Krieg unmöglich von langer Dauer sein könne und hielt die Verfolgung weitsichtiger Ideen für überflüssig und unfruchtbar. Als ein besonders offenkundiger Nachteil muß es aber angesehen werden, daß das Kriegsministerium seine unabhängige Stellung in allen Fragen der Kriegswirtschaft gegenüber der Obersten Heeresleitung nicht immer voll zu wahren gewußt hat und andrerseits in der Obersten Heeresleitung die Kriegswirtschaft nur unzulänglich vertreten war.

Kapitel I

Das erste Kriegswirtschaftsjahr 1914—1915 A Der Kriegsbeginn Die Mobilmachung Die Mobilmachungszeit stand unter dem Zeichen der rücksichtslosen Verwirklichung des „Volksheergedankens“. Weit über das Maß des militärischen Mobilmachungsplanes hinaus trieb hochflammende vaterländische Begeisterung die Massen zum Heeresdienst. Das militärisch bis in die letzten Einzelheiten vorbedachte Mobilmachungssystem nahm aber nur geringe Rücksicht auf das Fortbestehen des Wirtschaftslebens. So kam es, daß das reibungslose Ablaufen des ungeheuren Mobilmachungsapparates eine sehr weitgehende Lahmlegung der produktiven Kräfte der deutschen Volkswirtschaft mit sich brachte. Auch die Eisenindustrie hatte unter dieser Nebenwirkung der militärischen Mobilmachung schwer zu leiden. Nur ganz wenige Betriebe, wie Krupp, Rheinische Metallwaren- und Maschinenfabrik (Ehrhardt) u. a. und die Heereswerkstätten standen unter dem Schutze einer besonderen Anordnung, die diesen wenigen Werken den Hauptstock ihrer Arbeiterschaft zur Weiterführung der Betriebe beließ. Die Industrie in ihrer Gesamtheit aber verlor in kurzer Zeit den wertvollsten Teil ihrer Arbeiterschaft und mußte auf eine Weiteraufrechterhaltung der Produktion verzichten. Es bleibt ein großes Verdienst des stellvertretenden Generalkommandos des VII. Armeekorps in Münster, sich den gefährlichen Folgen dieser Art der Mobilmachung für die hochwichtige Industrie seines Bezirks im gegebenen Augenblick nicht verschlossen und durch vorläufige Nichteinberufung des Landsturms der Rüstungsindustrie zunächst einen gewissen Stamm altgeschulter Arbeiter erhalten zu haben. Die Folge dieses verständigen Vorgehens war, daß die niederrheinische Eisenindustrie durch den Kriegsausbruch ganz wesentlich weniger stark in ihren Produktionsverhältnissen betroffen wurde als die in anderen Revieren. Dieses Eingreifen einer militärischen Außenbehörde kann aber nur als ein Notbehelf bewertet werden. Es wäre zweckentsprechend gewesen, für eine nach Leistungsfähigkeit und Eignung bereits im Frieden ausgewählte Zahl von Unternehmungen das bei den staatlichen Betrieben verwirklichte System der Arbeiterzuweisung — natürlich weitgehend modifiziert und den Bedürfnissen der Heeresmobilisation Rechnung tragend — in Anwendung zu bringen, d. h. einen wirtschaftlichen Mobilmachungsplan neben dem militärischen aufzustellen.

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 Das erste Kriegswirtschaftsjahr 1914—1915

Wirkungen des Kriegsausbruchs Der aus der Mobilmachung entstehende Arbeitermangel und der Beginn der Operationen hatten einen jähen Absturz der Produktion zur Folge: die Roheisenerzeugung fiel von 1 561 900 t im Juli 1914 auf 586 700 t im August, d. h. um rund 62,5%. Noch stärker litten die Stahlwerke, deren Produktion von 1 644 700 t auf 567 600 t, d. h. um mehr als 65% sank (siehe die Anlagen 2—9). Der Produktionsausfall verteilte sich nicht nur ungleichmäßig auf die Hauptrohprodukte, sondern auch auf die einzelnen Industriegebiete. Das Absinken der Produktion vom Juli zum August 1914 betrug in Prozent der Juliproduktion: a) Roheisen Lothringen……………….…… Luxemburg………………...... Saargebiet……………………. Küstenwerke…………………. Siegerland……………………. Rheinland-Westfalen……… Süddeutschland und Thüringen Mitteldeutschland…………. Schlesien……………………... insgesamt

b) Flußstahl 91,0% 80,6 % 80,5% 60,0% 56,5 % 46,3% 44,8 % 44,2 % 42,6% 62,5%

Lothringen………………..…. Saargebiet………….……….. Luxemburg……………..……. Siegerland……………….….. Nordost- und Mitteldeutschland Süddeutschland…………... Schlesien………………….…. Sachsen………………….…... Rheinland-Westfalen…….. insgesamt

98,9% 96,0% 92,3% 75,7% 60,0% 57,0% 55,5% 49,6% 48,6% 65,5%

Unter den Roheisenproduktionsgebieten litt (wie Anlage 2 zeigt) Lothringen am meisten, dessen Hochofenwerke fast zur vollkommenen Betriebseinstellung gezwungen wurden. Ebenso mußten das Saargebiet und Luxemburg den produktionshemmenden Einfluß der Nähe des Operationsgebiets sehr empfindlich bemerken, während andererseits die Küstenwerke infolge der plötzlichen Unterbindung des deutschen Überseeverkehrs ebenfalls eine sehr erhebliche Erzeugungsminderung auswiesen. Verhältnismäßig am wenigsten wurden die sowohl den Operationsgebieten, wie den Hauptverkehrslinien fernliegenden Reviere wie Schlesien, Mitteldeutschland, Süddeutschland und Thüringen in Mitleidenschaft gezogen. In Rheinland-Westfalen und im Siegerland machte sich die Verfügung des Münsterschen Generalkommandos günstig bemerkbar. Die Belassung des Landsturms hat wesentlich dazu beigetragen, den Produktionssturz etwas abzubremsen. Von den Stahlrevieren hatten naturgemäß ebenfalls die im Aufmarschgebiet liegenden, nämlich Lothringen, das Saargebiet und Luxemburg, am meisten zu leiden (Anlage 4). Hier wurde durch den Kriegsausbruch die Stahlproduktion fast völlig lahmgelegt. Auch die auf der Roheisenstufe verhältnismäßig gut weggekommenen mittel- und süddeutschen Werke wurden durch die Transporterschwernisse in ihrer Leistungsfähigkeit in Stahl verhältnismäßig stärker gelähmt. Einzig und allein Rheinland-Westfalen vermochte den Schädigungen der Mobilmachung etwas zu begeg-



A Der Kriegsbeginn 

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nen. Dazu trug, abgesehen von der schonenden Behandlung bei der Arbeitereinziehung, der Umstand wesentlich bei, daß hier eine große Zahl höchst leistungsfähiger Industrien auf einen engen Raum zusammengedrängt war und zahlreiche hierdurch bedingte Eisenbahnquerverbindungen in stärkerer Weise als anderswo die Aufrechterhaltung eines gewissen Verkehrs möglich machten. So verschieden groß die Rückwirkung des Kriegsausbruchs auf die einzelnen Industriegebiete war, so verschieden war dort auch der Grad der Wiedererholung der Eisenproduktion in den ersten Kriegsmonaten. Es gelang den Hochofenwerken in Lothringen am schnellsten, den Produktionsverlust der ersten Kriegsmonate um mehr als die Hälfte wieder wett zu machen, da hier die großen Vorräte an Erz und die unmittelbare Nachbarschaft der Erzgruben eine sehr schnelle Wiederaufnahme der Arbeit erlaubten, als — besonders nach der Schlacht in Lothringen — die Frontlinie nach Westen hinausgerückt worden war. Das benachbarte Saargebiet blieb gegen Lothringen im Tempo der Wiedererholung etwas zurück. Eine im ganzen etwas kräftigere Erholung der Produktion konnten die Stahlwerke erzielen. Ganz allgemein trat auch hier wieder der günstige Umstand in die Erscheinung, daß die Konzentration der Stahlwerksbetriebe auf kohlenreiche Gegenden mitten in an sich bereits stark belegten Industrierevieren eine gewisse größere Unabhängigkeit von der Verkehrslage besitzen, als die oft an die zerstreuten Erzvorkommen oder besondere Verkehrswege gebundenen Hochöfen. Infolgedessen vollzog sich auch in einem Industrierevier wie dem an der Saar die Wiederbelebung der Stahlproduktion besonders schnell. In Rheinland-Westfalen war der Ausschlag nach der ungünstigen Seite aus den erwähnten Gründen nur gering gewesen, so daß nun auch weniger einzuholen war. Im Siegerland, in Schlesien, in Nord-, Mittel- und Ostdeutschland ging das Wiedererwachen der Stahlproduktion ungefähr im gleichen Schritt mit der Verbesserung der Roheisenversorgung vor sich. Mit örtlichen Schwankungen verursachte die stärkere Heranziehung des Siemens-Martin-Betriebs in diesen Gebieten gelegentlich eine bevorzugtere Entwicklung der Stahlproduktion gegenüber der Roheisenerzeugung. Das Königreich Sachsen und Süddeutschland erholten sich infolge ihrer großen Abhängigkeit von der Transportlage verhältnismäßig am langsamsten. Dieser Überblick über die Produktionslage nach Kriegsbeginn zeigt, daß der Kriegsausbruch nicht nur für die Eisenindustrie ganz allgemein eine schwere Beeinträchtigung ihrer Produktionsfähigkeit bedeutete, sondern daß auch folgenschwere Verschiebungen in der Leistungsfähigkeit der einzelnen Reviere eintraten. Die Bedeutung der einzelnen Industriegebiete war nunmehr von Umständen abhängig, auf die die Industrie selbst gar keinen oder doch nur sehr wenig Einfluß gewinnen konnte. Der Bedarf konnte also auch nicht mehr ohne weiteres die früher gangbaren Wege aufsuchen. Dabei war es nicht möglich, irgendeine Regel für die neuen, vielfach miteinander verknüpften Wechselbeziehungen aufzustellen. Nur die Größe der freien Kapazität und die latenten Vorräte schufen die Möglichkeit, im freien Spiel der Kräfte einen allmählichen Ausgleich abzuwarten.

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 Das erste Kriegswirtschaftsjahr 1914—1915

Nicht minder groß waren die Verschiebungen, die der Krieg auf dem Eisenmarkt verursachte. Angesichts des bedenklichen Konjunkturrückgangs, der das Jahr 1913 und die erste Hälfte des Jahres 1914 kennzeichnete, wurden in der Eisenwirtschaft die Erschütterungen, die der Kriegsausbruch mit sich brachte, sehr schwer empfunden. Nur die vertraglich für die Heeresverwaltung arbeitenden Unternehmungen konnten volle Beschäftigung finden, während die übrigen Werke nur 60—70% ihrer ohnehin scharf beschnittenen Produktion absetzen konnten. Im Stahlwerkverband kamen in den Monaten September bis November 1914 nur rund 48% der Beteiligung (entsprechend 51% des Versandes der Vergleichszeit 1913) zum Versand. Die Absatzverhältnisse wurden durch die latenten Vorräte noch wesentlich verschärft, da sich die Händler mit großen Vorräten des billigen Stahls eingedeckt hatten, und die Nachfrage, die anfänglich trotz der Heereslieferungen nur bescheiden war, ohne Schwierigkeiten decken konnten. Infolgedessen kam bei den Werken nach Erledigung der laufenden Aufträge der Absatz fast vollkommen ins Stocken, wenn es nicht gelang, Heeresaufträge irgendwelcher Art hereinzubekommen. In vielen Fällen aber behinderte obendrein die Transportnot auch die Ausführung der noch laufenden Lieferungsverträge. Der Eisenmarkt bot im einzelnen folgendes Bild. Der Roheisenmarkt stand naturgemäß unter dem Zeichen des „stillen Geschäfts“. Die Ausfuhr war verboten und der Inlandbedarf nur gering. Die großen Vorräte nahmen den Bedarf bereits in den höheren Produktionsstufen völlig auf, so daß er nur in verschwindendem Umfange bis zur Roheisenstufe durchdrang. Die Regierung gestattete auf Vorstellungen der Industrie eine beschränkte Ausfuhr, so daß wenigstens nach dem neutralen Ausland ein geringer Absatz möglich war. Erst gegen Ende des Jahres trat ein Umschwung der Verhältnisse auf dem Roheisenmarkt ein, als die Munitionsnot die Heeresverwaltung zwang, die Graugießereien in großem Umfange zur Granatenfabrikation heranzuziehen. Ganz besonders wechselvoll war die Lage des Marktes der verschiedenen Produkte aus Flußeisen und Flußstahl in den ersten Kriegsmonaten. Von den im Stahlwerksverband syndizierten Produkten (sog. A-Produkte)1 fanden Formeisen und Träger nur auf dem Gebiete des Eisenhochbaues und des Brückenbaues infolge einiger Bestellungen der Heeresverwaltung einen nicht ganz toten Markt. Ebenso traten von seiten der sich allmählich umstellenden Privatindustrie nach und nach Bestellungen an den Stahlwerksverband heran. Die breiteste wirtschaftliche Grundlage der im Stahlwerksverband zusammengeschlossenen Walzwerke, der Absatz von Eisenbahnschienen, war jedoch gerade in den bedrohlichsten Monaten am meisten geschwächt. Genau so mißlich waren die Verhältnisse bei dem weitaus wichtigsten B-Produkt2, dem Stabeisen. Hier wirkten die Wirtschaftskämpfe der Vorkriegszeit beson-

1 A-Produkte sind: Stahlhalbzeug, Eisenbahnoberbau-Material, Träger und Formeisen. 2 B-Produkte sind alle übrigen Walzwerkerzeugnisse, wie Stabeisen, Bleche, Draht, Röhren u. a. m.



A Der Kriegsbeginn 

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ders stark nach und machten eine Belebung des Stabeisenverkehrs fast unmöglich. Nach Ausbruch des Krieges ruhte sogar der Stabeisenversand mehrere Wochen lang vollkommen, da auch hier die Händler vor dem Kriege große Mengen zu billigen Preisen aufgekauft hatten und den Bedarf ohne Schwierigkeiten zu decken imstande waren. Ähnlich war es beim Grobblech, wo das Fehlen einer Verständigung der Produzenten untereinander das Eintreten geordneter Marktverhältnisse außerordentlich erschwerte. Die Grobblechpreise, die vor dem Kriege bereits auf ein ungewöhnlich tiefes Maß herabgedrückt gewesen waren, legten hierfür Beweis ab, indem auf eine kurze Preissteigerung nach Kriegsbeginn gegen Ende des Jahres 1914 ein um so stärkerer Rückgang eintrat. Am meisten wirkte der Heeresbedarf bei Feinblech und Draht belebend, wo allerdings ebenfalls zunächst die latenten Vorräte den größten Teil der Bedarfsdeckung übernahmen.

Erste Organisationen Während Kruppsche Riesengeschütze vor Lüttich eindringlich von der Leistungsfähigkeit der deutschen Rüstungsindustrie und von der Macht, die in dem deutschen Eisen lag, Zeugnis ablegten, wurde in Berlin im Preußischen Kriegsministerium die Kriegsrohstoffabteilung auf Anregung des Großindustriellen Rathenau gegründet (8. August 1914). Ihre Aufgabe sollte diese neue Behörde in der Sicherstellung derjenigen Rohstoffe sehen, deren Bedeutung für die Heeresversorgung auf der Hand lag, die aber im Inland nur in beschränkter Menge vorhanden waren. Eisen gehörte damit von vornherein nicht zu dem Wirkungskreis dieser Stelle. Von Ende 1914 ab brachten es zwar die Verhältnisse der Kriegswirtschaft mit sich, daß die Metallsektion der Kriegsrohstoffabteilung sich einzelnen Sonderfragen der Eisenwirtschaft zuwenden mußte, ohne daß sich eine breiter gefaßte „Eisenbewirtschaftung“ nach Lage der Dinge als notwendig erwiesen hätte. Für die erste Kriegszeit gewann dafür ein anderes behördliches Organ um so größere Bedeutung für die Eisenwirtschaft: Die Schutzverwaltung der franzö sischen Bergwerke und Hütten beim Chef der Zivilverwaltung des Gouvernements Metz. Die siegreiche Entscheidung der Schlacht bei Longwy hatte in der letzten Augustwoche 1914 das wertvolle Erzbecken von Longwy und Briey in deutsche Hand gebracht. Dieses bildete den französischen Anteil an dem großen Erzvorkommen, in das sich Deutschland, Frankreich und Luxemburg vor dem Kriege teilten. Das hier fündige Erz muß allerdings mit nur 30% Eisengehalt als geringwertig bezeichnet werden. Die ungeheure Größe der Lagerstättenvorräte — auf deutscher Seite 2,1 Milliarden Tonnen, auf französischer Seite 2,3 Milliarden Tonnen — und die bergmännisch einfache Gewinnung der Erze erlaubten jedoch die Einrichtung größter Massenbetriebe, wodurch die Verwertung auch des geringwertigen Rohstoffes lohnend gemacht wurde. Infolge ihres Phosphorgehalts war die Minette, wie das Erz seiner kleinkörnigen Struktur nach allgemein genannt wird, bis zur Erfindung des Thomas-

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verfahrens für die Eisen- und Stahlherstellung unbrauchbar; nach der Einführung dieses Verfahrens wurde es aber, besonders in Deutschland, geradezu die Grundlage für die machtvolle Entwicklung der Eisenindustrie. Schon 1871 war im Frieden von Frankfurt a. M. dieses Erzgebiet Gegenstand langer Verhandlungen gewesen, auf Grund deren Frankreich es gegen Zugeständnisse bei Belfort an Deutschland abtrat. Unrichtige geologische Mutmaßungen über die Grenzen des eigentlichen Erzdistrikts wurden damals zur Ursache dafür, daß nur ein Teil des gesamten Gebiets an Deutschland fiel und mehr als die Hälfte des Erzes bei Frankreich blieb. Nun kam durch die ersten Kriegsereignisse auch dieser Teil in deutschen Besitz. Die Verfügung über den Minettebergbau war aber für Deutschlands Kriegführung lebenswichtig, da ohne das lothringische Erz und ohne die hierauf aufgebaute Eisenindustrie eine Erfüllung des Eisenbedarfs für Heer und Volkswirtschaft nicht entfernt möglich gewesen wäre. Dazu bedeutete die Wegnahme des französischen Erzbesitzes für die französische Eisenindustrie einen geradezu vernichtenden Schlag, da etwa 92% der französischen Erzförderung aus diesem Gebiet stammten. Nur das Einspringen Amerikas und Englands hat die französische Rüstungsindustrie trotz dieses gewaltigen Verlustes an Rohstoffgrundlagen über den Krieg hinweg leistungsfähig erhalten. Es liegt in der Natur des Bergbaus, daß Grubenbetriebe nicht längere Zeit hindurch ohne tätige Aufsicht bleiben dürfen, da das ständig zubringende Wasser sie in solchem Fall zum „Ersaufen“ bringt und damit erhebliche Kosten und Nachteile für den späteren Grubenbetrieb nach sich zieht. Auf Anregung deutscher Industrieller wurde zur Vermeidung solchen Schadens am 28. August (bzw. 10. September) 1914 die genannte „Schutzverwaltung“ eingerichtet. Sie sollte sich in erster Linie des Weiterbetriebs der Wasserhaltung der Bergwerke annehmen und gleichzeitig eine sachkundige Beaufsichtigung der ausgedehnten Eisenhüttenanlagen durchführen. Weitergehende Aufgaben waren der Schutzverwaltung anfänglich nicht zugedacht, zeigte doch die deutsche Eisenindustrie wenig Interesse für eine Wiederinbetriebnahme der Werke. Es ist bezeichnend für die Ungeklärtheit der eisenwirtschaftlichen Verhältnisse, daß in den ersten Kriegsmonaten die Nachfrage nach Minette in Deutschland ganz wesentlich nachließ, was sich u. a. in dem nicht unbeträchtlichen Preisrückgang für dieses Erz bemerkbar machte. Man sah sich infolge der Arbeitereinziehungen vor der Unmöglichkeit, auch nur annähernd im Friedensumfange arbeiten zu können, hatte außerdem für den beschränkten Betrieb reichliche Erze auf Lager liegen und scheute das Risiko großer Erzkäufe ebenso wie die Ingangsetzung feindlicher Gruben, von der man sich für die eigene Wirtschaft keinen Vorteil versprach. Die Schutzverwaltung hat im Laufe des Krieges wesentlich an Bedeutung für die Kriegseisenwirtschaft gewonnen; auch schon im ersten Kriegsjahr fiel ihr eine besondere Rolle dadurch zu, daß sie durch direkte Fühlungnahme mit der Eisenindustrie — in Form eines industriellen Beirats — sehr bald zur Trägerin erster Organisationen wurde.



B Der Kriegsbedarf 

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Seit dem 5. März 1915 wurden engere Beziehungen zwischen der Kriegsrohstoffabteilung und der Schutzverwaltung angeknüpft und dadurch die Einheitlichkeit des Vorgehens innerhalb der Kriegswirtschaft gewährleistet.

B Der Kriegsbedarf Munitionsmangel und Graugußgranate Der Kriegsbedarf, der an die Produktion herantrat, hielt sich anfangs im allgemeinen in äußerst bescheidenen Grenzen; die Heeresverwaltung wirtschaftete in der Hauptsache aus ihren Mobilmachungsvorräten. Es war nicht nur eine scharf disponierte Mobilmachung der Rüstungsindustrie unterblieben, sondern man dachte im Grunde überhaupt nicht daran, bei der Vergebung der Aufträge auf neue Kriegslieferungen bis zu den eigentlichen Produzenten zurückzugehen. Die Reibungslosigkeit, mit der sich die Unterbringung der Aufträge trotz der geringen Einheitlichkeit im System vollzog, täuschte über die Gefahren eines solchen Vorgehens hinweg und ließ — was viel bedeutsamer war — den Gedanken an die Zweckmäßigkeit und die Bedeutung eines großzügig durchgeführten Produktionsprogramms nicht aufkommen. Man glaubte mit genügenden Munitionsvorräten rechnen zu können und verkannte, daß in der eisenwirtschaftlichen Kriegführung das Schwergewicht nicht auf eine Vorratsschaffung, sondern auf eine Produktionsmobilisation gelegt werden mußte, wenn nicht nach kurzer Zeit ein die Kriegführung aufs äußerste gefährdender Munitionsmangel eintreten sollte. Die Krisis in der Munitionsversorgung des Heeres kam mit überraschender Schnelligkeit. Schon im Oktober 1914 mußten Anweisungen an die Batterien auf schonenden Munitionsverbrauch ergehen; manches harte Urteil über die Leistungsfähigkeit der Artillerie wurde damals von denen geprägt, die den Mangel an Eisen mit ihrem Blut bezahlen mußten. Die Erkenntnis der Munitionskrisis setzte sich selbstverständlich sofort in erhöhte Anforderungen der Heeresleitung an die Beschaffungsstellen um. In weitestgehendem Maße wurden von diesen die Mobilmachungsverträge erweitert und der Versuch gemacht, auch bisher unbeteiligte Unternehmungen zur Deckung des Munitionsbedarfs heranzuziehen. Nur wenige Fabriken aber waren imstande, der dringenden Anforderung der Obersten Heeresleitung auf Steigerung oder auf Neuaufnahme der Munitionsherstellung schnell zu entsprechen. Die meisten an sich wohl leistungsfähigen Werke besaßen weder die erforderlichen Einrichtungen (Granatenpressen), noch kannten sie die Herstellungsmethoden. Außerdem fehlte die Erfahrung in der Anwendung dieser Methoden; die Facharbeiter, die gegebenenfalls schneller hätten umlernen können, waren zumeist im Felde, und mit dem neuen Arbeitermaterial war eine schmiegsame Anpassung an den Munitionsbedarf gänzlich undurchführbar. Um trotzdem die Armee auch nur einigermaßen mit der notwendigen Munition

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zu versorgen, mußte man auf das technisch einfachste Verfahren der Herstellung von Artilleriemunition zurückgreifen, welches es erlaubte, ohne besondere Neueinrichtungen an möglichst vielen Produktionsstellen zu gleicher Zeit und nach einer leicht anwendbaren Methode Geschosse in möglichst großen Mengen herzustellen: man schritt zur Verwendung von Graugußgranaten. Man mußte dabei aber beträchtliche Nachteile in Kauf nehmen. Der größte war der, daß die geringere Festigkeit des Eisengusses eine stärkere Wanddicke der Graugußgranaten gegenüber dem Stahlgeschoß verlangte, wodurch sich der zur Aufnahme der Sprengladung verfügbare Hohlraum des Geschosses verringerte und die Feuerwirkung entsprechend beeinträchtigt wurde. Die Kämpfe des Jahres 1915 sind wesentlich mit dieser Behelfsmunition geführt worden, die dem Ruf der deutschen Artillerie beim Feind wie bei der eigenen Truppe erheblich Abbruch getan hat. Wohl stellten sich dieselben Nöte auch beim Feinde ein, dort wurden sie aber durch die amerikanischen Munitionslieferungen bald behoben. Immerhin gelang es doch, die große Gefahr eines kriegsentscheidenden Munitionsmangels mit Hilfe der Graugußgranate zu umgehen. Die Graugußgranate und die Sorge um die Deckung des Roheisenbedarfs für ihre Herstellung gaben der Eisenbewirtschaftung des ersten Kriegsjahres ihre besondere Note. Es ist beachtenswert, daß während dieser ersten kriegswirtschaftlichen Periode der Bedarf an Stahl und besonders an Walzprodukten reibungslos befriedigt werden konnte. Die großen latenten Vorräte nahmen ihn neben der laufenden Produktion ohne Schwierigkeit auf. Eine Deckungsnot bestand hier um so weniger, als die Industrie bei ihrer weit über den Bedarf hinausreichenden Leistungsfähigkeit jeden Auftrag auf Heereslieferungen, der eine Ausnutzung der vorhandenen Kapazität versprach, mit Begierde aufgriff.

Wirtschaftslage Im Rahmen des Bedarfs vermochte sich die Eisenindustrie während der Wintermonate 1914/15 allmählich auf ihre Kriegsaufgaben umzustellen. In immer größerem Umfang wurden ungelernte Arbeiter und Frauen an Stelle der eingezogenen Facharbeiter beschäftigt; auch waren die Rohstoffe vom Frieden her noch in ausreichender Menge vorhanden. Die gesamte Produktion fing im Frühjahr 1915 allmählich an, sich zu erholen. Gleich bei diesem Wiederaufleben der Eisenproduktion begann die Stahlerzeugung, die gerade im Jahre 1913 zum erstenmal die Roheisengewinnung an zahlenmäßigem Umfange eingeholt hatte, der Roheisenerzeugung voranzueilen; eine Erscheinung die sich im Verlauf der Kriegszeit immer deutlicher ausgeprägt hat. Es hat dies seinen Grund in der bevorzugteren Rolle, die man der Siemens-Martin-Stahlerzeugung zuzuweisen anfing. Das Siemens-Martin-Verfahren baut sich nämlich in erster Linie auf der Verarbeitung des Alteisens zum Einschmelzen (des Schrotts) auf, das gerade auch in dieser Periode des Wiederauflebens schneller greifbar war als das Erz.



B Der Kriegsbedarf 

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Die Versorgungsbilanz für Erz verschlechterte sich durch den Krieg ganz wesentlich. Der Erzbezug aus Lothringen war für die rheinische Industrie infolge der starken Inanspruchnahme der Eisenbahnen durch militärische Transporte erschwert, und die Erzeinfuhr aus Schweden war wegen der Blockade unsicher geworden, während die übrige Erzeinfuhr aus Übersee überhaupt gänzlich ruhte. Es kamen hier hauptsächlich die wertvollen Erze aus Spanien, Rußland, Griechenland und Algier in Betracht. Insgesamt verlor Deutschland durch die Blockade mehr als zwei Drittel seiner gesamten ausländischen Erzbezüge, die 1913 zusammen 14 Mill. Tonnen Eisenerz (mit 7,7 Mill. Tonnen Eiseninhalt) betrogen hatten. Diese Einbuße war für die deutsche Eisenindustrie um so empfindlicher, als es sich hierbei fast ausschließlich um wertvolle Qualitätserze handelte, deren Wegfall nicht ohne weiteres durch eine Erhöhung der inländischen Förderung wesentlich geringwertigerer Erze ausgeglichen werden konnte. Es liegt auf der Hand, daß der gleiche Hochofen, mit geringwertigen Erzen beschickt, in der Zeiteinheit nur weniger Eisen produzieren kann, als er zu leisten vermag, wenn ihm hochwertige Erze zugeführt werden. Zur Zeit des Hindenburg-Programms wurde eine eingehende Untersuchung über die höchste Leistungsmöglichkeit der deutschen Eisenindustrie angestellt, die ergab, daß selbst bei der Inbetriebnahme sämtlicher deutscher Hochöfen wegen der eingetretenen Verschlechterung der Beschickung bestenfalls nur 80% der Friedensleistung an Roheisen erreicht werden konnte. Dem langsamen Wiederaufleben der Eisen- und Stahlproduktion ging auch ein teilweises Wiedererwachen des Eisenmarktes parallel. Hier bot sich zunächst für Roheisen eine wesentlich verstärkte Nachfrage infolge der Überleitung der Deckung des Munitionsbedarfs auf die Graugießereien. Hinzu kam, daß seit Ende 1914 eine mit der Zeit immer schärfer durchgeführte Zwangsbewirtschaftung der sog. Sparmetalle eingerichtet wurde, welche die Verbraucherkreise in zunehmendem Maße bei dem Bezug von Gegenständen, die sonst aus Kupfer, Messing u. dgl. hergestellt worden waren (z. B. auch die Friedensindustrie und die privaten Haushalte), auf Eisenguß zurückgreifen ließ. In verhältnismäßig sehr geringen Grenzen hielt sich dagegen der Bedarf von Eisen und Stahl für Bauzwecke, wie dies der Lähmung des gesamten Wirtschaftslebens durch die Kriegsereignisse entsprach. Besonders Formeisen und Stabeisen litten hierunter sehr stark, soweit nicht unmittelbarer Heeresbedarf das Überangebot teilweise an sich zog. Immerhin hat der Stahlwerkverband im November 1915 bereits wieder fünf Sechstel seines letzten Friedensversandes zum Absatz bringen können. Beim Draht und bei den Blechen blieb während des ganzen Jahres 1915 der Bedarf hinter der verringerten Produktion zurück. Beim Stabeisen, dem einwandfreiesten Indikator für den Eisenmarkt, läßt das nochmalige Absinken des Preises Ende 1915 auf eine immer noch vorhandene Übersättigung des Marktes mit Walzprodukten schließen. Der Kriegsbedarf bot hierfür noch keinen Ausgleich. Unter solchen Umständen ist es nicht zu verwundern, daß die Eisenindustrie jede Möglichkeit zur Erschließung neuer Absatzgebiete ergriff, um nicht in ihrer über die

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Nachfrage hinausschießenden Produktion von Walzprodukten zu ersticken. Weil das Inland sie nicht abnahm, wandte sich hierbei das Interesse der Industrie dem neutralen Auslande zu, das, im Frieden an deutsche Eisenlieferungen gewöhnt, bei zunehmender Lähmung des Welteisenverkehrs sehr aufnahmefähig war. Da England im Interesse der ausreichenden Versorgung der eigenen wie der französischen Kriegsindustrie die Eisenzufuhren nach den neutralen Staaten erheblich eingeschränkt hatte, wuchs bei diesen allmählich der Eisenhunger so sehr an, daß von dort eine sehr verstärkte Nachfrage mit entgegenkommenden Preisangeboten an die deutsche Eisenindustrie herantrat. Hiermit fand in dem Verhältnis von Auslandmarkt und Inlandmarkt von Eisen eine völlige Umkehrung statt. Der Außenhandel brachte nunmehr den Werken die Möglichkeit guten Absatzes und reichlicher Verdienste, während er im Frieden zumeist durch den Inlandmarkt hatte gestützt werden müssen. Diese Verschiebung trat bei den Grobblechen zuerst deutlich in die Erscheinung.

Kriegslage und Kriegseisenwirtschaft Die feste Gebundenheit der Eisenindustrie an die Rohstoffvorkommen auf der einen Seite und die starre Verbindung der Eisenbedarfsdeckung mit der Kriegführung überhaupt brachte es mit sich, daß die Kriegsereignisse mittelbar auch für die Eisenwirtschaft im Kriege von großer Bedeutung wurden. So ist bereits erwähnt, daß die Eroberung des Beckens von Longwy und Briey für Deutschland eine wesentliche Verbreiterung der Erzbasis bewirkte. Auch im weiteren Verlauf des Krieges wiederholten sich militärische Ereignisse, welche die Entwicklung der Eisenwirtschaft grundlegend beeinflußten. Ende November 1914 waren die Kampfhandlungen im Westen endgültig im Stellungskampf erstarrt, und die damals eingenommene Linie ist wesentlich und dauernd bis zum Kriegsende nicht mehr verschoben worden. Die gesamte Eisenindustrie des Hinterlandes, und zwar die ganze Industrie Belgiens und fast 80% der französischen Eisenindustrie, standen damit für die Kriegsdauer zur Verfügung der Mittelmächte. In Belgien haben die Armeen sehr bald begonnen, zur Deckung des unmittelbaren Bedarfs des Schützengrabenkriegs Eisen- und Stahlwerke wieder teilweise in Betrieb zu nehmen. Die nordfranzösischen Werke blieben dagegen außer Betrieb. Die hier und in Belgien vorhandenen Vorräte an Erzen, Qualitätseisen, Stahl und Schrott bildeten eine sehr hoch zu bewertende Unterstützung der heimischen Eisenwirtschaft. Der polnische Eisenindustriebezirk, der sich scharf an der früheren deutschrussischen Grenze gegenüber dem oberschlesischen Industriebezirk entlang zieht, wurde ebenfalls durch den Kampfverlauf seit Dezember 1914 fest in den mitteleuropäischen Wirtschaftskörper eingegliedert. Nur ganz kurze Zeit, im Oktober 1914, trat durch die Umgruppierung der verbündeten Armeen eine gewisse Gefährdung dieses Besitzes ein. Auch hier kamen wie im Westen Erzvorkommen von einigem Belang in deutsche Gewalt, während die Zerstörungen, hauptsächlich der Eisenbahn- und



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Straßenbrücken, welche die Kriegshandlungen mit sich brachten, große Mengen von Schrott greifbar machten. Beides, Erz wie Alteisen, wurde für die oberschlesische Eisenindustrie von großem Wert. Oberschlesien war im Frieden bereits weitgehend auf die Verarbeitung ausländischer (schwedischer und russischer) Erze eingestellt gewesen, da die eigenen Erzvorkommen ziemlich erschöpft waren, und fühlte deswegen die feindliche Seeblockade besonders stark. Da bot die Möglichkeit, den Verlust wenigstens teilweise aus Polen wettzumachen, eine begrüßenswerte Gelegenheit, die Betriebe im Interesse der allgemeinen Versorgung aufrechtzuerhalten. Von geradezu richtunggebender Bedeutung für die Entwicklung der Bedarfsbildung für Eisen aber waren eine Reihe von militärischen Operationen, die eine wechselseitig bedingte Fortentwicklung des Prinzips des „Materialkampfes“ bedeuteten. Am 2. Mai 1915 gelang es der deutschen XI. Armee, durch scharf massiertes Artilleriefeuer in der Linie Gorlice—Tarnow die russische Front zu durchbrechen. Dies war der wohlgelungene Auftakt zu den kriegerischen Ereignissen, die bis Ende September 1915 andauerten und mit der Besitzergreifung von Polen, Galizien und dem Baltikum endeten. Dieser Durchbruch von Gorlice verdient eine besondere Berücksichtigung bei der Betrachtung der Kriegseisenwirtschaft insofern, als hier zum ersten Male der Versuch, durch überlegenen Materialeinsatz, durch das „Trommelfeuer“, eine Entscheidung zu erzwingen, zu einem vollen Erfolge geführt wurde. Für die Entente aber war dieser Gedanke wegen der Verfügung über die Industrien und Rohstoffquellen der ganzen Welt besonders fruchtbar. Nordamerika war mit seinen großen technischen und wirtschaftlichen Hilfsmitteln, und zwar seit der Torpedierung der „Lusitania“ (7. Mai 1915) ganz offensichtlich, zu Deutschlands Gegnern übergeschwenkt und bot diesen eine nicht hoch genug einzuschätzende wirtschaftliche Rückendeckung, lange bevor es sich selbst am Kriege beteiligte. In der Verfolgung dieser Methode entfesselte Ende September 1915 die Entente einen von der Küste bis zu den Vogesen reichenden Generalangriff, der sich besonders in der Champagne zu größter Heftigkeit steigerte. Im Prinzip wurde die Taktik von Gorlice wiederholt, aber die Ausmaße waren bereits ins Große gesteigert. Nur wenige Stunden hatte die deutsche Artillerie bei Gorlice gewirkt; bei Prosnes trommelte die feindliche Artillerie schon zwei Tage, bei Perthes dreimal 24 Stunden auf den deutschen Gräben, bevor die Infanterie zum Angriff überging. Der Erfolg war für die Entente vielversprechend; an einzelnen Stellen der schwer mitgenommenen deutschen Front gelang tatsächlich ein teilweiser Durchbruch, und nur Fehler in der feindlichen Heeresführung dürften damals die deutsche Front vor dem Schicksal der russischen bewahrt haben. So brachte zwar die Champagneschlacht keinen nachhaltigen Erfolg, sie zeigte aber doch, daß eine starke Artillerieüberlegenheit, wenn sie nur genügend lange Zeit und ununterbrochen zur Geltung gebracht wurde, sehr wohl auch einen zähen Gegner zermürben konnte. Seit der Champagneschlacht hat daher die feindliche Heeresleitung systematisch zu einer Wiederholung des Durchbruchs-Versuches durch einen Masseneinsatz von Material gerüstet. Im Winter 1915/16 arbeitete die Eisenindustrie Englands und Ame-

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rikas mit höchster Anspannung an der Herstellung gewaltiger Geschütz- und Munitionsmengen, zudem wurden große Kampfhandlungen nach Möglichkeit vermieden, so daß sich hinter der feindlichen Front ein Angriffsmaterial aufhäufte, wie es die Welt bis dahin noch nicht annähernd gesehen hatte. Durch die deutsche Verdunoffensive wahrscheinlich nur zeitlich aufgehalten, brach der Sturm an der Westfront am 23. Juni 1916 los. In siebentägiger Artillerievorbereitung warf der Gegner eine Munitionsmasse auf die deutschen Stellungen, die nach menschlichem Ermessen jeden Widerstand restlos vernichten mußte. Diese Erwartung ist an dem Heldentum der deutschen Verteidiger zuschanden geworden. Die Sommeschlacht dauerte mit fast unverminderter Heftigkeit vom 1. Juli bis zum 18.November 1916, ohne daß es der Entente gelungen wäre, ihr Ziel zu erreichen. Erst nach 4½ Monaten höchstgesteigerten Verbrauchs waren die Munitionsvorräte der Entente so weit vermindert, daß sie eine Weiterführung der Zermürbungsschlacht aufgeben mußte. Die Heftigkeit der Sommeschlacht hat die damalige Oberste Heeresleitung völlig überrascht, wenn auch ihr Ausbruch nicht unerwartet kommen durfte. Man hatte es dem Gegner überlassen, die Initiative zur Materialschlacht zu ergreifen. Selbst die Champagneschlacht klärte die verantwortlichen Stellen im Großen Hauptquartier — auch der Kriegsminister befand sich dort — noch nicht darüber auf, in welcher Richtung sich mit Naturnotwendigkeit die weitere Kriegführung entwickeln mußte. Irgendwelche wirklich umgestaltende Anweisungen sind im Jahre 1915 an die Industrie nicht hinausgegangen, wenn auch natürlich der Wunsch auf Erhöhung der Munitionslieferungen immer dringender zum Ausdruck gebracht wurde. Dafür aber fraß sowohl die unaufschiebbare Offensive gegen Serbien im Spätherbst 1915 wie die unzulänglich durchgeführte österreichische Offensive gegen Italien (Mai 16) — die obendrein die gewaltige russische Entlastungsoffensive in Galizien und der Bukowina auslöste — an den ohnehin noch nicht ausreichenden Geschoßvorräten. Es dachte 1915 niemand daran, eine großzügige Erweckung der Produktion wie in England zu entwerfen. Im Gegenteil, man verlegte sich auf eine unglückselige Sparpolitik; das Jahr 1915 sah die folgenschweren Befehle, die deutsche Batterien auf sechs bis zehn Schuß am Tag rationierten, den Mann im Schützengraben ganz unverhältnismäßig schwer belasteten und ihn obendrein gegen die Schwesterwaffe und schließlich gegen die Gesamtleitung unnötig stark verbitterten. Ein schwerer Druck auf die Stimmung an der Front wurde durch das Mißverhältnis zwischen dem Einsatz von Blut und Eisen in den Kampf letzten Endes ausgelöst. Die auf allen Kriegsschauplätzen zusammengesparte Munition wurde am 25. Februar 1916 gegen Frankreichs stärkste Festung Verdun zum Einsatz gebracht. Die erzielten Anfangserfolge waren nicht groß genug, um eine Entscheidung zu bringen, und bald zeigte sich, daß die Munitionsvorräte nicht entfernt ausreichten, den Angriff mit einer der Stärke der Verteidigungsanlagen entsprechenden Schwere weiterzuführen. So lief die Verdunoffensive Mitte Juni 1916 fest. Wieder war ein Beweis dafür gegeben, daß in der Munitionsversorgung die Vorratswirtschaft nicht zum Ziele



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führen konnte, sondern allein eine großzügige Mobilisierung der Produktion eine wirklich nachhaltige und ausreichende Bedarfsbefriedigung versprach. Schon während der Verdunoffensive begannen in Deutschland Gerüchte umzulaufen, daß der Heeresbedarf im allgemeinen ausreichend gedeckt sei. Aus Auftragskürzungen, die sich aus der Umstellung der Bedarfsdeckung heraus ergaben, glaubte man einen greifbaren Beweis hierfür entnehmen zu können. Der Kriegsminister schien durch optimistische Aussprüche über die Munitionsversorgung diesen Gerüchten recht zu geben. Tatsächlich ist damals eine gewisse Entspannung in der Bedarfslage eingetreten. Weder in der Obersten Heeresleitung noch im Kriegsministerium — ganz zu schweigen von den Zivilministerien, die allmählich immer mehr ausgeschaltet worden waren — sah man die Sommeschlacht herannahen. So hatte Deutschland dem ungeheuren Materialansturm nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen; mit ganz gewaltigen Mannschaftsverlusten mußte die endlich doch erfolgreiche Abwehr des großen Angriffs teuer erkauft werden.

C Organisation der Industrie, allgemeine Politik der Wirtschaftsstellen Allgemeine Maßnahmen Die deutsche Industrie hat zu den sich aufdrängenden Problemen der Kriegswirtschaft von Anfang an Stellung genommen. Schon Mitte August 1914 fanden sich in Berlin die beiden mächtigsten und sonst sich zum Teil heftig befehdenden Industriegruppen zu gemeinsamer ersprießlicher Arbeit zum Wohle des Ganzen zusammen: Der Zentralverband deutscher Industrieller und der Bund der Industriellen riefen den Kriegsausschuß der deutschen Industrie ins Leben. Dieser sollte mithelfen, die schwierigen Verhältnisse des Arbeitsmarktes zu klären und zu bessern und gleichzeitig die wichtige Funktion einer Auftragsvermittlungsstelle für Heeresaufträge übernehmen. Ferner sollte es Aufgabe des Ausschusses sein, notleidende Zweige der Industrie zu unterstützen und den Austausch von praktischen Herstellungsverfahren zu erleichtern. Auch in der Eisenindustrie regten sich sehr bald Bestrebungen, die durch die veränderte Wirtschaftslage geweckt waren. Am 11. September 1914 fand in Essen eine Versammlung statt, an der das Kohlensyndikat, der Roheisenverband, der Stahlwerksverband, der Verein deutscher Eisengießereien, der Verein deutscher Maschinenbauanstalten, der Verein märkischer Kleinindustrie und die Schwarzblechvereinigung teilnahmen. Der bereits durch Jahre dauernde wirtschaftliche Kampf sollte begraben und die vereinigten Kräfte zur Überwindung der sich auftürmenden Schwierigkeiten eingesetzt werden. Der Sitzungsbericht sagt, „daß ein erfreuliches Einverständnis erzielt worden sei, wie bei gutem Willen und durch Entgegenkommen von beiden Seiten über die schweren Zeiten des Krieges hinwegzukommen wäre. Dabei

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müsse vor allem vom Handel verlangt werden, daß er alle ihm zugute kommenden Erleichterungen auf seine Kunden übertrage. Bei einmütigem Zusammenstehen aller Beteiligten sei die Industrie in der Lage, auch der Möglichkeit einer längeren Dauer des Deutschland aufgezwungenen Kampfes mit der festen Zuversicht entgegenzusehen, daß sie die ihr erwachsenden schweren Lasten, die sie im vaterländischen Interesse auf sich zu nehmen bereit sei, auch werde tragen können“.

Sonderorganisationen Die getroffenen Vereinbarungen bezogen sich jedoch zunächst fast ausschließlich auf die Festlegung ganz allgemeiner Richtlinien. Feste wirtschaftliche Organisationen entstanden dann im weiteren Verlaufe des Krieges aus den Bedürfnissen des Augenblicks heraus. Die Größe der durch den Krieg frei gewordenen Kapazität und der latenten Vorräte hatte die günstige Folge, daß es möglich war, die Verschiebungen in Produktion und Bedarf, welche durch die ersten Kriegsaufträge und kriegswirtschaftlichen Ereignisse hervorgerufen wurden, im freien Spiel der Kräfte auszugleichen. Es wäre höchstwahrscheinlich eine nur sehr schwer und nur unvollkommen zu lösende Aufgabe gewesen, dem Eisenverbrauch die Bahnen in ähnlich scharfer Weise aufzuzwingen, wie man dies bei den Sparmetallen von vornherein tun mußte. Eine zielbewußte Eisenbewirtschaftung hätte damals in erster Linie auf eine Erhaltung oder Wiederbelebung der Produktion und weniger auf die Verbrauchsregelung gerichtet sein müssen. Die bis Ende 1915 durchgeführten organisatorischen Maßnahmen standen durchaus im Zeichen einer Selbstorganisation und Selbstverwaltung der Industrie. Seit langer Zeit schon hatte diese versucht, den Krisen in der Wirtschaftslage durch Kartellierung zu begegnen. So sind der Roheisenverband und der Stahlwerkverband entstanden, die als festgefügte Organisationskörper in den Krieg hinübertreten konnten. Schon in den letzten Vorkriegsjahren hatte man es als zweckmäßig erachtet, diese Kartellbestrebungen über das ganze Gebiet der Eisenproduktion hin auszuweiten und dadurch besonders die starken Schwankungen auf dem Markte der sog. B-Produkte auszugleichen. Kurz vor Kriegsbeginn stand man vor der Gründung eines allumfassenden deutschen „Stahlbundes“. Die Bestrebungen konnten jedoch damals zu keinem Abschluß geführt werden. Im Frühjahr 1915 wurden die abgerissenen Fäden wieder aufgenommen, aber trotz der einen Zusammenschluß fördernden schlechten und unsicheren Wirtschaftslage kam man auch dieses Mal nicht zu dem erstrebten Ziel. Nur die Röhrenwerke, die auch im Sommer 1914 bereits nahe vor einem engeren Zusammenschluß gestanden hatten, traten im Jahre 1915 zu einer Preiskonvention zusammen. Gleichzeitig organisierte sich die Grobblechindustrie; im Januar 1915 kam es hier zu einer Festsetzung von Mindestpreisen, und am 5. Februar wurde für die Ausfuhr eine Grobblechausfuhrvereinigung und für den Inlandsmarkt eine Grobblechkonvention gegründet. Die weiteren Bestrebungen auf engeren Zusammen-



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schluß in der Grobblechindustrie erstreckten sich über das ganze Jahr 1915 weg und führten im Dezember zu einem weiteren Ausbau der Organisation, indem nunmehr die Grobblechinlandsvereinigung ins Leben trat. Der Wirkung der Grobblechausfuhrvereinigung ist es in erster Linie zu verdanken, daß auf dem Grobblechauslandsmarkt sehr bald jene bereits oben erwähnte Umkehrung der Marktverhältnisse eintrat, die die Ausfuhr von Grobblech aus einem Verlust- in ein ertragreiches Geschäft umwandelte. Von großer volkswirtschaftlicher Bedeutung waren die Bestrebungen der Eisenindustrie zur Sicherung des überseeischen Erzbezuges. Die Blockade und die dadurch hervorgerufene Erschwerung und Gefährdung der Ostseeschiffahrt legte dem einzelnen Unternehmer ein verhältnismäßig zu großes Risiko beim Erzbezug auf. Es war aber für die deutsche Eisenproduktion von größter Wichtigkeit, die schwedische Erzeinfuhr aufrechtzuerhalten. Unter dem Vorsitz des „Phönix“ bildeten darum 1915 eine größere Zahl von Werken, die besonders am schwedischen Erzbezug interessiert waren, die Lulea-Verfrachtungsgemeinschaft . Das Ziel dieser Vereinigung war, bei möglichster Ausnutzung des zur Verfügung stehenden Schiffsraums und unter Verwertung aller den einzelnen Werken offenstehenden Bezugsmöglichkeiten eine größtmögliche Menge von hochwertigem Schwedenerz nach Deutschland hereinzubringen. Eine besondere Ausgleichsstelle in Hamburg besorgte die Verteilung der einlaufenden Erzmengen an die verschiedenen Bedarfspunkte. Auch in der oberschlesischen Industrie regten sich bald Bestrebungen, eine Gemeinschaftsorganisation ins Leben zu rufen. Bei der Enge der Rohstoffbasis der oberschlesischen Eisenindustrie war es verständlich, daß sich ihr Interesse nach der Besetzung Polens in hohem Maße auf die Auswertung der dort vorhandenen Rohstoffe richtete. So wurde in Verbindung mit den Verwaltungschefs in Polen eine Erzverwertungsgesellschaft gegründet, die sich die Nutzbarmachung der auf den polnischen Eisenhütten lagernden Erze, Zuschläge u. dgl. zum Ziel nahm und die auch die Inbetriebnahme polnischer Erzgruben in ihren Interessenkreis einbezog. Im Juli 1915 wurde ferner durch den Oberschlesischen Berg- und Hüttenmännischen Verein eine Alteisenverwertungsgesellschaft gegründet, die — zunächst mit dem Sitz in Warschau — die Nutzbarmachung der polnischen Alteisenbestände und der durch Kriegshandlungen zerstörten polnischen Eisenanlagen (z. B. der Brücken) entstandenen Schrottmengen für die oberschlesische Industrie zur Aufgabe hatte.

Wirtschaftspolitik der Behörden Auf dem Gebiete der behördlichen Organisation brachte der Krieg zunächst eine wesentliche Erweiterung und Neuorientierung für das Beschaffungswesen bei der Feldzeugmeisterei. Die vom Frieden her übernommenen Mobilmachungsverträge erwiesen sich sehr bald als quantitativ unzulänglich. Es wurde nur allzuschnell offenbar, daß diese im Frieden geschlossenen Lieferungsverbindlichkeiten für eine

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vollbefriedigende Heeresversorgung nicht ausreichten. Zur Erfüllung des Bedarfs an Waffen und Munition bedurfte es einer immer stärkeren Heranziehung der gesamten Industrie, und bei den damals angebahnten Beziehungen zwischen der Heeresverwaltung und der Eisenindustrie bildeten sich allmählich die Grundlagen der Kriegswirtschaft in Eisen aus. Allerdings war es, wie schon erwähnt, aus technischen Gründen zunächst nicht möglich, die Granatenherstellung in kurzer Zeit in einer den Friedensvorschriften der Feldzeugmeisterei entsprechenden Weise auf die gesamte Industrie zu übernehmen, so daß zunächst in Gestalt der Graugießereien ein unterwertiges Zwischenglied eingeschoben werden mußte. Immerhin vergrößerte sich zusehends der Anteil der Stahlguß- wie der Preßstahlgeschosse, je nach dem Umfang, in dem die Neuanlagen bei der Industrie geschaffen wurden und die Vorschriften für die Herstellung der Stahlmunition den Kriegswirtschaftsverhältnissen entsprechend modifiziert werden konnten. Bei allem aber blieb der Rahmen, in dem damals Heeresaufträge überhaupt vergeben wurden, vom Standpunkt zielbewußter Kriegswirtschaftspolitik viel zu eng gespannt, so daß von vornherein die tatsächliche Leistungsmöglichkeit nicht entfernt aus der Industrie herausgeholt wurde. Im Verlaufe der weiteren Wirtschaftspolitik auf dem Gebiete des Eisens haben sich — ganz klar erst im Sommer 1916 — die Vorschriften des Kriegsministeriums über die Art der Vergebung der Lieferungsaufträge durch die Feldzeugmeisterei als mißlich erwiesen. Entsprechend der Unterschätzung einer ausreichenden Vorbereitung der Kriegsrohstoffwirtschaft, hatte man auch schon bei der Aufstellung der Mobilmachungsverträge fast ausschließlich mit den Lieferanten von Fertigfabrikaten abgeschlossen. Bestenfalls war man noch bis zu den Halbfabrikaten zurückgegangen, aber in den weitaus meisten Fällen überließ man die Beschaffung der zur Ausführung der Aufträge erforderlichen Rohstoffe der Vertragsgegenpartei. Hierdurch kam es, daß auch bei der Ausweitung der Lieferungsverträge der Sicherung des Eisen- und Stahlbedarfs nur untergeordneter Wert beigemessen wurde. Bei den Sparmetallen wurde sehr bald die enge Verknüpfung zwischen Auftragshöhe und Rohstoffbedarf offensichtlich, da durch die Beschlagnahmen usw. der Bezug nur gegen Nachweis des Heeresauftrags und unter Innehaltung eines bestimmten Freigabeverfahrens möglich war. Beim Eisen dagegen fehlte den Beschaffungsstellen ohne eine solche Zwangsregelung auch der Überblick und die Möglichkeit einer Kontrolle des Rohstoffbedarfs. Beim Roheisen erwies sich dann zwar bald eine gewisse Organisation der Bedarfsdeckung als notwendig; man gelangte wenigstens teilweise zu einer Klärung der Bedarfslage. Bis Anfang 1917 aber blieb die Beziehung zwischen Stahlbedarf und Auftragsmenge der Heeresverwaltung völlig ungeklärt. Solange infolge des allgemeinen Überangebots der Stahlbedarf leichthin befriedigt werden konnte, ergaben sich auch hinsichtlich der Mengendeckung keinerlei Schwierigkeiten. Das Fehlen einer die wirtschaftlichen Zusammenhänge klarlegenden kriegsgerechten Produktionsmobilisation ließ aber eine Preisentwicklung entstehen, deren weittragende Bedeutung man anfangs nicht übersah. Unter dem Druck der Verhältnisse hatten sich die Beschaffungsstellen dazu verstanden, das Heeresgerät zu nehmen, wo es ihnen



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angeboten wurde, und Preise dafür anzulegen, die zur Belebung des Angebotes sehr hoch waren. Mit großer Deutlichkeit läßt sich verfolgen, daß die Preisgestaltung der fertigen Heeresausrüstungen langsam nach rückwärts weiterwirkte. Der reichlich entlohnte Lieferer des Fertigproduktes konnte auch seinen Unterlieferern hohe Preise bewilligen, und dieses System pflanzte sich langsam bis zu den Rohstoffen hin fort, die der Tendenz zu steigenden Preisen besonders dann leicht nachgaben, wenn weder von der Seite der Behörden noch der Seite der industriellen Verbände eine Kontrolle über ihre Preisgestaltung ausgeübt wurde. Besonders deutlich wurden diese Verhältnisse bei der Munitionsversorgung. Die der Privatindustrie (außer den Eisenwerken auch Maschinenfabriken, Elektrizitätskonzernen u. a.) zugebilligten hohen Preise für die fertige Munition wirkte bald auch auf den Preis für den Granatstahl zurück, der, soweit er im ersten Kriegsjahr auf den Markt kam, bald den übrigen Eisensorten in der Preisentwicklung weit vorauseilte. Eine kriegsgerechte Produktionsmobilisation hätte solche Unregelmäßigkeiten wahrscheinlich nicht entstehen lassen. Wenn man davon absieht, daß der eingeschlagene Weg der Bedarfsbildung und -deckung objektiv unrichtig war, indem man von einer großzügigen Mobilisation der Eisenindustrie Abstand nahm, so ergab sich im übrigen, daß bis Ende des Jahres 1915 für die Rohstoffzentralstellen keine Veranlassung vorlag, in die freiheitliche Fortsetzung der in den ersten Kriegsmonaten begonnenen Kriegseisenwirtschaft einzugreifen. Die mengenmäßige Deckung des Heeresbedarfs vollzog sich beim Stahl so sehr ohne ernste Reibungen, daß die Kriegsrohstoffabteilung ihn aus der behördlichen Bewirtschaftung der Metalle herauslassen konnte. Die Eisenindustrie hatte sich allmählich, soweit es erforderlich erschien, auf die Kriegsbedürfnisse umgestellt, und der Bedarf der Zivilbevölkerung wurde unter tätiger Mitwirkung des Handels ohne Hemmungen gedeckt. Die tragfähige, durch den Gewinn des Beckens von Longwy und Briey erheblich vergrößerte Rohstoffbasis schien außerdem Befürchtungen über ein Nachlassen der Eisenkräfte Deutschlands von vornherein gegenstandslos zu machen. Auch konnte die Eisenindustrie auf unleugbare Erfolge ihrer Selbstverwaltung in den ersten Kriegsjahren hinweisen. Solange ein ganz klares wirtschaftspolitisches Ziel — wie etwa das Hindenburg-Programm — fehlte, hatte die Kriegsrohstoffabteilung deshalb keinen Anlaß, in das vielfach verzweigte Gebiet der Eisenwirtschaft durch organisatorische Maßnahmen autoritativer Art einzugreifen. Die Gefahr schien groß, daß hierdurch nur wirtschaftliche Gesetze des Eisenmarktes und der Eisenproduktion durchbrochen würden, ohne daß tatsächlich ein größerer Erfolg erzielt wurde, als er sich in der freien Entwicklung der Wirtschaft im allgemeinen reibungslos einstellte. Man begrüßte es im Gegenteil als eine sehr wesentliche Entlastung der Sparmetallwirtschaft, daß der stete Eisenmarkt imstande war, durch Ersatzprodukte den allgemeinen Konsum zu befriedigen, selbst wenn die Sparmaßnahmen für die weitgehend im täglichen Gebrauch befindlichen Metalle sehr scharf gehandhabt wurden. So ergab es sich, daß die Metallsektion der Kriegsrohstoffabteilung sich bis Anfang 1916 in ihren Maßnahmen auf einige wenige Sonderprobleme der Eisenwirtschaft beschränkte.

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D Lösung besonderer Wirtschaftsprobleme Roheisenversorgung Von besonderer Bedeutung wurde gleich von vornherein die Sicherstellung der Roheisenversorgung für die Graugießereien. Dort stellten sich im Gegensatz zu den Stahl- und Walzwerken sehr bald Deckungsschwierigkeiten ein, als die Aufträge auf Graugußgranaten herausgegeben worden waren. Der durch die Kriegsbedürfnisse modifizierte Bedarf stellte ganz ungewöhnliche Anforderungen an die Hochofenwerke, die infolge der allgemeinen Schwierigkeiten in der kritischen Zeit nicht beweglich genug waren, den plötzlichen Bedarf voll aufzunehmen. Es war nun für den Aufbau, einer wenn auch beschränkten, Organisation von besonderem Vorteil, daß das Roheisen syndikatlich erfaßt war. Der Roheisenverband verfügte über die gesamte Roheisenproduktion in Deutschland, soweit sie nicht von den gemischten Werken im eigenen Betrieb weiter verarbeitet wurde. Die scharfe Syndizierung des Roheisens begünstigte außerdem die Durchführung organisatorischer Maßnahmen, indem man die notwendig werdenden Bestimmungen lediglich auf dem Wege der Vereinbarung mit dem Verband unter Umgehung behördlicher Verfügungen, also im Einvernehmen mit der Industrie, durchsetzen konnte. Die gesamte Roheisenlage erfuhr dadurch eine Verschärfung, daß sich infolge der gesteigerten Nachfrage nach Granaten zahlreiche Werke, die sich früher nicht mit Gießereibetrieb beschäftigt hatten, plötzlich dieser gewinnversprechenden Produktion zuwandten. Es lag dies in der Richtung der von der Heeresverwaltung damals verfolgten Politik, hatte aber zur Folge, daß diese neu eingerichteten Gießereien mit ihrem Bedarf ziemlich unvermittelt an den Roheisenverband herantraten. Der war aber kaum in der Lage, den alten Gießereifirmen Roheisen in der Höhe ihres Gesamtbedarfs zuzuführen. Hierbei trat ein Problem zutage, das des öfteren in der Kriegswirtschaft große Bedeutung erlangt hat. Es wurde bei der Erörterung der Möglichkeit einer allgemeinen Produktionssteigerung wiederholt darauf hingewiesen, daß niemals entfernt alle Produktionsstätten, die (zum Teil im besetzten Gebiet) zur Verfügung standen, ausgenutzt worden seien. Man war ja auch gerade deshalb zur Granatengießerei übergegangen, weil man erwartete, daß die große Zahl der vorhandenen Produktionsstätten und die leichte Einrichtung neuer Gießereianlagen einen Erfolg der eingeschlagenen Beschaffungspolitik von vornherein verbürgen müsse. Hierbei hat man jedoch übersehen, daß ein solcher Erfolg nur dann eintreten kann, wenn es von den Rohstoffgrundlagen her gelingt, sämtliche Produktionsstätten ausreichend mit Rohmaterial zu versehen. Ist dies aber infolge der gesamten Produktionslage nicht oder nur in beschränktem Umfange möglich, so tritt — wie die Kriegswirtschaft zeigt — regelmäßig eine Senkung der Gesamtleistungsfähigkeit ein. Es gelingt nicht mehr, die leistungsfähigsten und besteingerichteten Werke voll zu beschäftigen, daneben aber tritt — zumeist auch noch in sehr dringlicher Form — ein neuer Bedarf von solchen Unternehmungen auf, die erst



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neuerdings die betreffende Produktion aufgenommen haben. Die Folge ist, daß sämtliche Unternehmungen unterbeschäftigt bleiben, daß überall Arbeiter und technische Einrichtungen unbenutzt sind, daß Rohstoffe infolge unsachgemäßer Verwertung verschwendet werden, kurz, eine Verschleuderung produktiver Kräfte eintritt. Im weiteren Kriegsverlauf war man bemüht, solche Unwirtschaftlichkeit zu vermeiden und ist, um höhere Gesamtleistungen herbeizuführen demzufolge auch vor der Stillegung wirtschaftlich schwächerer Unternehmungen nicht zurückgeschreckt. Insbesondere hat man sich mit Recht davor gehütet, stilliegende Werke in Betrieb zu nehmen, wenn man mit einem Versagen der Rohstoffversorgung rechnen mußte und eine Schädigung bereits arbeitender Werke zu befürchten war. Um die Einheitlichkeit in der Verteilung und Gesamtbewirtschaftung des Roheisens zu wahren, wurde der Roheisenverband Ende 1914 auch mit der Verteilung der in den besetzten Gebieten beschlagnahmten Roheisenmengen beauftragt. Obwohl nun zwar die unmittelbar für Granatgußzwecke erforderlichen Mengen von Roheisen im Vergleich zur Produktion verhältnismäßig gering waren, zunächst nur 50 000—75 000 t pro Monat, traten doch aus obigen Gründen mit Ende Januar 1915 erhebliche Störungen in der Bedarfsdeckung ein. Die Kriegsrohstoffabteilung wurde dadurch veranlaßt, in Verbindung mit dem Gouvernement Metz und mit dem Roheisenverband Maßnahmen zur Sicherstellung des Granatengusses einzuleiten. Inzwischen war aber die Feldzeugmeisterei selbständig zum Aufbau einer Organisation geschritten, die zur Sicherstellung ihres Granatenbedarfs dienen sollte. Im Januar wurde eine Verteilungskommission für Geschoßroheisen bei der Geschoßfabrik in Spandau eingesetzt. Zwischen der Feldzeugmeisterei und dem Roheisenverband wurde die Lieferung einer Menge von monatlich 50 000 t vereinbart, deren Verteilung auf die einzelnen Interessenten durch die Verteilungsstelle in Spandau erfolgen sollte. Trotzdem der Roheisenverband fast die Hälfte mehr als das Soll anlieferte, verstummten die Klagen der Gießereien über mangelnde Belieferung nicht, da zwischen den Granatenlieferungsverträgen und dem errechneten Roheisenbedarf keine befriedigende Abstimmung erzielt war. Dieser Mißstand wurde durch das Fehlen einer zentralen ausgleichenden Instanz für die Eisenbewirtschaftung hervorgerufen; er machte sich späterhin auch beim Stahl in äußerst bedenklicher Weise bemerkbar. Die Erhebungen, die der Roheisenverband selbst zur Feststellung des Roheisenbedarfs im März 1915 vornahm, ergaben, daß z. B. die Anforderungen auf Qualitätsroheisen für Geschoßfabrikation und für den übrigen direkten und indirekten Bedarf des Heeres, der Marine und der Eisenbahnen nicht nur die errechneten Bedarfsmengen, sondern sogar die Lieferungsmöglichkeiten weit überschritten. Selbst die aus dem Auslande angekauften Mengen, das aus den beschlagnahmten Beständen in Frankreich entnommene Material sowie eine starke Heranziehung der Werksvorräte würden nicht ausgereicht haben, die ungeheuer überspannten Anforderungen zu befriedigen. Besonders mißlich war dabei, daß die Roheisenverteilungsstelle zwar das Roheisen für die Granatenherstellung nach einheitlichen Richtlinien verteilte, daß aber der übrige Kriegsbedarf undisponiert an den Roheisenverband herantrat,

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der aus den miteinander konkurrierenden Anforderungen der Roheisenverbraucher ein Urteil über die Dringlichkeit des Bedarfs nicht gewinnen konnte. Diese Verhältnisse erforderten gebieterisch eine Klarstellung. Am 26. April 1915 errichtete die Kriegsrohstoffabteilung deswegen beim Roheisenverband die Stelle eines „Beauftragten des Kriegsministeriums beim Roheisenverband“. Dieser bestimmte nunmehr einheitlich darüber, in welcher Reihenfolge der Roheisenverband der Dringlichkeit der Aufträge entsprechend die Zuweisung von Roheisen vorzunehmen hatte. Die Dringlichkeitsreihenfolge war: 1. Roheisen für die Geschoßfabrikation nach dem Verteilungsschlüssel der Roheisenverteilungsstelle und Roheisen für Lieferungen an die Marine. 2. Roheisen für alle unmittelbaren und mittelbaren anderen Heereslieferungen. 3. Roheisen für Anlagen, welche für besondere Kriegszwecke errichtet werden mußten (z. B. Ammoniak- und Stickstoffwerke). 4. Roheisen für den Friedensbedarf. Damit war eine zentrale Leitung der Roheisenwirtschaft angebahnt, die den Aufgaben der Kriegswirtschaft in unparteiischer Weise gerecht werden sollte. Eine eingehende Untersuchung über die Tragfähigkeit der Rohstoffgrundlagen für die Roheisenversorgung vom Juli 1915 ergab ein damals als günstig angesehenes Bild. Unter Zugrundelegung der Roheisenerzeugung der Sommermonate 1915 reichten die Erze, die den Hochofenwerken für die Qualitätsroheisensorten zur Verfügung standen, etwa ein Jahr, während für das Thomasroheisen in absehbarer Zeit überhaupt kein Erzmangel zu befürchten war. Da man damals noch immer eine Kriegsdauer von weiteren zwölf Monaten nicht erwartete, so glaubte man auch, sich mit dem Ergebnis der aufgenommenen Statistik zufriedengeben zu können. Die Herstellung von synthetischem Hämatitroheisen (einem phosphorarmen Qualitätsroheisen, welches normal aus ausländischen Qualitätserzen hergestellt wird) gelang nicht in großem Maßstabe. Die Deckung des Bedarfs an diesem Material, für welches sowohl die Graugießereien wie die Stahlgießereien Interesse hatten, war besser durch direkten Bezug aus dem Ausland (Schweden und Österreich) zu befriedigen, wofür der Roheisenverband seine Organisation dem Kriegsministerium zur Verfügung stellte. Der Roheisenverband kaufte im ganzen etwa 60 000 t schwedisches Holzkohleneisen auf. Auch hier beruhigte man sich dabei, daß der Hämatitbedarf nunmehr etwa für zwölf Monate sichergestellt war.

Alteisenfrage Neben der Roheisenfrage beschäftigte bereits sehr früh die Alteisenversorgung die maßgebenden Stellen. Es handelte sich hierbei um den Schrott und den Gußbruch, von denen der erstere in erheblicher Menge vorzugsweise bei den Stahlwerken Verwendung findet, während der letztere eine wertvolle Ergänzung der Rohstoffdeckung



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der Graugießereien bildet. Alteisen beider Art entfällt sowohl im Verlauf der normalen Produktionsprozesse (Neuschrott) als auch bei den Eisenverbrauchern. So liefert z. B. die Eisenbahn, das Bauwesen, der Maschinenbau u. dgl. sehr beträchtliche Mengen von sog. Altschrott regelmäßig — teils durch Vermittlung des Handels, teils unmittelbar — an die Stahlwerke zurück. Dieser Altschrott kann in der geregelten Stahlproduktion nicht entbehrt werden und Hemmungen in der Anlieferung setzen sich sehr schnell in eine Senkung der Produktion um. In der ersten Kriegszeit scheinen Schwierigkeiten in der Bedarfsdeckung mit Schrott im allgemeinen nicht vorgekommen zu sein; nur Anfang 1915 kam es zu einer vorübergehenden Verschärfung der Deckungslage. Es ist wahrscheinlich, daß damals von spekulierenden Händlern dem Markt Schrottmengen entzogen worden sind, die in der Bedarfsdeckung empfindlich vermißt wurden. Auch Transportschwierigkeiten werden den Mangel an Alteisen verschärft haben. Man konnte aber diesem Mangel mit verhältnismäßig einfachen Mitteln begegnen, da die Reichsbehörden selbst zu den bedeutendsten Schrottlieferern gehörten. So wies der Minister der öffentlichen Arbeiten sämtliche Behörden, bei denen Schrott entfiel (Eisenbahnen u. dgl.), an, Schrott in kürzeren Fristen als bisher auf den Markt zu werfen und, soweit es möglich war, Selbstverbraucher unmittelbar zu beliefern. Auch die kaiserlichen Werften wurden entsprechend angewiesen. Von ganz besonderer Bedeutung wurde bei der Regelung der Schrottversorgung von Anfang an der Schrott aus dem besetzten Gebiet. Dort hatte die Schutzverwaltung in Metz große Schrottmengen auf den Werken der französischen und belgischen Stahlindustrie festgestellt, mit deren Nutzbarmachung sie seit Dezember 1914 von der Kriegsrohstoffabteilung beauftragt worden war. Damit war eine Möglichkeit gegeben, im Rahmen des von der Kriegsrohstoffabteilung und der Schutzverwaltung verfolgten Wirtschaftsgedankens Schrott an die wichtigsten Bedarfspunkte heranzubringen und Verschärfungen der Schrottsituation auszugleichen. Um eine möglichst zweckmäßige Verteilung zu bewirken, führte die Schutzverwaltung ihren Schrott unmittelbar den Verbrauchern zu oder wies die Händler an, den von ihr gelieferten Schrott in einer bestimmten kurzen Frist an die Verbraucher abzugeben. Für Gußbruch bediente sie sich hierbei des Roheisenverbandes als Vermittler. Für den Stahlschrott wurde eine solche Vermittlungsstelle für den Westen ins Leben gerufen: die nordwestliche Gruppe des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller gründete hierzu im Einvernehmen mit der Schutzverwaltung den Verband westdeutscher Schrottverbraucher und schuf damit die ersten Grundlagen für eine organisatorische Regelung des Schrottbezuges. Es gelang, die vorübergehende Zuspitzung in der Schrottversorgung im Sommer 1915 auszugleichen und den Schrottmangel fürs erste abzustellen. Das Schrottproblem beschäftigte die Kriegsrohstoffabteilung dann erst wieder im Anfange des Jahres 1916, als Unregelmäßigkeiten in der Preisbildung für Schrott die Preisgestaltung auf dem gesamten Eisenmarkt zu gefährden drohten. Mit dem Hindenburg-Programm gewann das Schrottproblem an Bedeutung; es wurde zu einer der ausschlaggebendsten Fragen der Kriegseisenwirtschaft, da der Bedarf auch der Menge nach nur unter den größten Schwierigkeiten und unter Inkaufnahme folgenschwerer Maßnahmen zu befriedigen war.

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Erzförderung Mitte 1915 zuckte einmal vorübergehend der Gedanke an ein großzügiges Produktionsprogramm auf. In der richtigen Erkenntnis, daß die Leistungsfähigkeit der Eisenindustrie auf die Dauer nur gesteigert und hochgehalten werden könne, wenn die Erzförderung entsprechend angespannt wurde, stellte die Schutzverwaltung für die südwestdeutschen Werke ein Förderprogramm auf. Das Ziel war eine Erhöhung der Erzproduktion um 250 000 bis 300 000 t im Monat. Außerdem hatte schon seit Februar 1915 die Schutzverwaltung angefangen, aus den französischen Gruben, die ihrer Verwaltung unterstanden, Erze zu fördern. Diese Erzförderung entsprach zunächst allerdings nur etwa dem Bedarf der deutschen Eisenhütten an kieseliger Minette und hielt sich in bescheidenen Grenzen. Trotzdem also hier im Prinzip die dringend erwünschte Steigerung der Produktion eingeleitet wurde, drang dieser Gedanke doch nicht bis zu den entscheidend maßgebenden Stellen durch. Die Aufgabe wurde auch nicht in ihrem vollen Umfang erkannt; die Fördersteigerung sollte lediglich dazu dienen, um „eine gleichmäßige Beschäftigung der westdeutschen Eisenhütten zu 60% ihrer Friedensleistung zu erreichen und sie von der Zufuhr ausländischer Erze unabhängig zu machen“. Für die Erreichung der gebotenen Fördersteigerung wurden etwa 3000 Arbeiter zur Verfügung gestellt, die teils aus den Gefangenenlagern, teils aus der Zahl der arbeitswilligen polnischen und belgischen Industriearbeiter entnommen wurden. Also auch hier kein Gedanke an eine volle Ingangsetzung der gesamten Leistungsfähigkeit der Industrie, sondern auch bei der sachverständigen Behörde ein Sichbegnügen mit der Erhaltung der stagnierenden Produktion auf dem durch die Behinderungen der Lage nun gerade einmal erreichten Stande.

Manganversorgung Mit besonderer Sorge sah die deutsche Eisenindustrie auf die geringen Vorräte an hochwertigen Manganerzen, mit denen sie die Erfordernisse der Kriegswirtschaft erfüllen sollte. Diese hochwertigen Manganerze waren im Frieden in der Hauptsache aus dem Kaukasus und aus Indien eingeführt worden. Die Einfuhrmengen hatten betragen: 1911: 1912: 1913:

420 000 t 520 000 t 680 000 t

Kaum mehr als 300 000 t waren bei Kriegsbeginn in Deutschland vorrätig und von diesen Vorräten war im Juli 1915 bereits fast die Hälfte aufgebraucht! Irgendein vollwertiger Ersatz für diese Erze konnte zunächst überhaupt nicht geschafft werden.



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Aber auch hier kam es der Kriegswirtschaft zugute, daß bereits vom Frieden her eine straffe Organisation der Industrie bestand, die der Kriegsrohstoffabteilung sowohl bei der Aufstellung der Wirtschaftspläne wie bei deren Durchführung in die Hand arbeiten konnte. Wie beim Roheisen, so bot sich auch hier in der monopolartigen Gestaltung des Marktes die Möglichkeit, wirtschaftspolitische Maßnahmen auf dem Weg der freien Vereinbarung zu erreichen und den Verordnungsweg zu vermeiden, der bei der Ungeklärtheit der Verhältnisse wenig Erfolg versprach. Im Frieden hatten nur wenige deutsche Hüttenwerke sich der Herstellung von Ferromangan gewidmet; sie bildeten unter Führung der Gute-Hoffnungshütte die Ferromangangemeinschaft . Seit Ende 1914 war die Ferromangangemeinschaft mit der Schutzverwaltung in Verbindung getreten und hatte diese über die einschlägigen Verhältnisse auf dem Laufenden gehalten. Auf Grund der gepflogenen Verhandlungen war ein Wirtschaftsplan zustande gekommen, demzufolge im ersten Halbjahr 1915 sämtlichen inländischen und Luxemburger Ferromanganverbraucher unter Berücksichtigung der dort vorhandenen Vorräte nur die Hälfte der im ersten Halbjahr 1914 bezogenen Bedarfsmengen zugeteilt wurden. Nur der Mehrbedarf für Heereslieferungen fand besondere Berücksichtigung. Außerdem aber vereinbarte die Ferromangangesellschaft mit der Schutzverwaltung eine beträchtliche Qualitätsherabsetzung für Ferromangan von Mitte 1915 ab. Die Friedensqualität (80%iges Ferromangan) wurde überhaupt nicht mehr hergestellt, sondern ein um 30% geringwertigeres Material, wodurch es möglich wurde, die vorhandenen Erzvorräte auf eine Lieferungsdauer von 14 Monaten (bis Anfang September 1916) zu strecken. Auch hinsichtlich des Preises war die Ferromangangemeinschaft Bindungen gegenüber der Schutzverwaltung eingegangen. Durch eine Beschlagnahme der hochprozentigen Manganerze und des Ferromangans in den besetzten französischen und belgischen Gebieten wurden auch diese Mengen der einheitlich geregelten Manganwirtschaft zugeführt3. Mit Nachdruck wies Mitte 1915 die Ferromangangemeinschaft auf die Notwendigkeit hin, aus dem deutschen Wirtschaftsgebiet mit möglichster Intensität Ersatz für die hochwertigen Auslandserze zu schaffen. Sie richtete das Augenmerk der Kriegsrohstoffabteilung auf die beiden einzigen größeren und ertragsfähigen Manganerzvorkommen in Deutschland, die Gießener Braunsteinwerke vormals Fernie in Gießen und die Braunsteinwerke Dr. Geier in Waldalgesheim bei Bingerbrück. Die Fördersteigerung auf diesen Gruben war wieder ausschließlich eine Arbeiterfrage und setzte die Befreiung einer Anzahl deutscher Bergleute vom Heeresdienst und die Überlassung

3 Es muß hierbei auch der verdienstlichen Tätigkeit des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute gedacht werden, durch dessen Vorarbeiten und umfangreiche Aufklärungs- und Vermittlungstätigkeit die Vorkehrungen zur Ersparung von Mangan eingeleitet und beschleunigt zur Aufnahme gebracht wurden.

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von Gefangenen voraus. Außerdem aber mußte abgewartet werden, bis die Verwendung dieser Ersatzerze sich technisch in großem Umfang eingeführt hatte. Die Einheitlichkeit des Vorgehens auf diesem Gebiete wurde dadurch gewahrt, daß die Maßnahmen der Ferromangangemeinschaft und des Roheisenverbandes unter ständiger Kontrolle der Schutzverwaltung zur Durchführung gelangten, die hierfür in Metz ein besonderes Bureau einrichtete.

Die besetzten Gebiete Mit der Eisenindustrie in den besetzten Gebieten des Westens und des Ostens waren große Vorräte an Rohstoffen und Halbfabrikaten aller Art für Deutschland verfügbar geworden. Sachverständige hatten bereits kurz nach der Besetzung bedeutende Bestände an Erz, Alteisen, Ferromangan und anderen Zuschlägen festgestellt. Das Generalgouvernement Belgien verfügte Anfang 1915 die Beschlagnahme dieser für die deutsche Eisenwirtschaft wichtigen Stoffe, deren Rücktransport durch die Schutzverwaltung oder deren Zweigstellen vorgenommen wurde. Soweit Vorräte an Fertig- und Halbfabrikaten in Betracht kamen, wurden sie zumeist zweckmäßigerweise von den Armeen in behelfsmäßig eröffneten Heeresbetrieben für den Frontverbrauch verwertet und für die heimische Eisenwirtschaft nur in ganz geringem Umfange nutzbar gemacht. Auch der Werkzeugstahl, der sich im besetzten Gebiete vorfand, trug zu seinem Teil an der Entspannung der heimischen Verforgungslage bei. Im Gebiete der polnischen Eisenindustrie lagen ähnliche Verhältnisse vor wie im Westen. Vor der Einrichtung der bereits erwähnten industriellen Organisationen der oberschlesischen Eisenindustrie lag die Verwertung der im besetzten Teil Rußlands beschlagnahmten Erzmengen durch die Kriegsrohstoffabteilung im Einvernehmen mit der Schätzungs- und Verteilungskommission bei der Zivilverwaltung des Kreises Bendzin. Ähnlich wie in Belgien wurde durch die Zivilverwaltung beim Oberbefehlshaber Ost im März eine Beschlagnahme der vorhandenen Bestände an Roheisen ausgesprochen, die dem ostdeutschen Roheisensyndikat in Beuthen im Einvernehmen mit der Verteilungskommission in Spandau zugeführt wurden. Auf Anregung der Kriegsrohstoffabtellung wurden in Anlehnung an die westlichen Verhältnisse durch die Zivilverwaltung beim Oberbefehlshaber Ost die Bewirtschaftungsmaßnahmen auf die Qualitätsroheisensorten Schrott und Gußbruch, Ferromangan u. dgl. ausgedehnt.

Ausfuhr Während des ersten Kriegswirtschaftsjahres wurde die Eisenausfuhr zu einem besonders gearteten Problem. Je weniger im ersten Kriegsjahre der Inlandmarkt voll aufnahmefähig für die langsam zunehmende Produktion war, ein um so dringenderes Erfordernis zur Erhaltung ihrer Leistungsfähigkeit wurde für die Eisenindustrie der



D Lösung besonderer Wirtschaftsprobleme 

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Absatz nach dem Ausland. Es waren nicht nur Fragen der Eisenwirtschaft, die eine Produktionssteigerung der Eisenindustrie verlangten. Die meisten deutschen Hochöfen bilden für teilweise weitreichende Versorgungsgebiete wesentliche Teile der Kraft- und Lichtwirtschaft. Ferner benötigte die Sprengstoffindustrie in steigendem Umfange die Derivate der Kohlenverkokung. Der reichlich entstehende Koks aber konnte von keiner Industrie in solchem Umfange aufgenommen werden wie von den Hochofenwerken. So schlossen sich die Notwendigkeit der Produktionssteigerung aus engeren eisenwirtschaftlichen Gründen und breiteren allgemeinwirtschaftlichen Erfordernissen, mangelnde Absatzmöglichkeit für Eisen und Stahl im Innern und Aufnahme der Eisenausfuhr nach dem neutralen Auslande zu einem Kreis zusammen, dessen Glieder sich mit Notwendigkeit gegenseitig bedingten. Es kam hinzu, daß die höchst unvollkommene Ausnutzung der technischen Anlagen der Eisenindustrie den Anteil der Generalunkosten in der Kalkulation unverhältnismäßig vergrößerte und daß die im Ausland erzielbaren Eisenpreise eine Möglichkeit boten, diesen Teil der Selbstkosten vom Inlandsabsatz weg auf das Ausland abzuwälzen. Diese Eisenausfuhr zu hohen Preisen konnte ein Absinken der Valuta hintanhalten und für die Einfuhr lebenswichtiger Gegenstände aus dem Auslande wertvolle Kredite schaffen. Je mehr gerade auf dem Gebiete des Eisens England im Laufe der Zeit auf die Deckung des Bedarfs seiner eigenen und der französischen Kriegsindustrie Bedacht nahm, desto stärkere Bedeutung gewann die deutsche Eisenausfuhr nach den neutralen Ländern im Hinblick auf die Erhaltung einer deutschfreundlichen oder wenigstens völlig neutralen Stimmung. Mit zunehmender Dauer des Krieges hat sich die deutsche Eisenausfuhr geradezu zu einer unmittelbaren Gegenleistung für die Neutralität unserer europäischen Nachbarländer entwickelt und ist dadurch zu einer bedeutsamen Stütze für die diplomatische Einwirkung auf diese Staaten geworden. Es bedeutete allerdings eine Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse, wenn man kleine Vorteile dieser Art verfolgen zu müssen glaubte, während der Feind bereits mit Anspannung aller Kräfte zum großen Materialkrieg rüstete. Die Beaufsichtigung und Regelung der Eisenausfuhr unterstand dem Reichsamt des Innern und dem von ihm ressortierenden Reichskommissar für die Ein- und Ausfuhrbewilligungen. Dieser bediente sich hierbei der Mitarbeit der Industrie, die gruppenweise Zentralstellen für Aus- und Einfuhrbewilligung bildete. Auf Antrag des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute wurde schon im November 1914 eine solche Zentralstelle für Eisen- und Stahlerzeugnisse beim Verein Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller in Berlin eingerichtet, der im Laufe der Zeit unter Anlehnung an die wirtschaftlichen Verbände eine ganze Reihe anderer folgten. So z. B. für Stabeisen, schmiedeeiserne Röhren und Walzdraht in Düsseldorf, für Roheisen und Grobbleche in Essen, für Maschinenindustrie und Gießereien in Berlin. Am Vorabend des Kriegsbeginns erließ der Reichskanzler (31. Juli 1914) ein lückenloses Ausfuhrverbot für Eisen und Stahl, wie dies bei den kriegswirtschaftlichen Verhältnissen zur Sicherung der Landesverteidigung und der Inlandsversorgung durchaus erforderlich erschien. Bald aber ergab sich die Notwendigkeit, in gewissem

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Umfange die Eisenausfuhr freizugeben, um dem dringenden Ausfuhrbedürfnis der Industrie entgegenzukommen. Dabei erforderte es allerdings das Reichsinteresse, daß eine Kontrolle über die Eisenausfuhr gewahrt blieb, wie sie auch durch die Maßnahmen des Reichskommissars für Aus- und Einfuhrbewilligung in Verbindung mit den Zentralstellen der Industrie weitgehend ausgeübt wurde. Wenn also auch am 31. August 1914 das lückenlose Ausfuhrverbot wieder größtenteils aufgehoben wurde, so mußten dann im Laufe der Zeit mit Rücksicht auf die erforderliche Kontrolle eine ganze Reihe von Einzelausfuhrverboten erlassen werden, bis schließlich Ende 1915 die Ausfuhr von Trägern, Formeisen, nicht geformtem Stabeisen und Bandeisen wiederum ganz allgemein und endlich im Januar 1916 die der gesamten Walzwerkserzeugnisse mit Ausnahme von Halbzeug und Oberbaumaterial verboten wurde, um durch die Handhabung eines geeigneten Bewilligungsverfahrens die Kontrolle über die Ausfuhr in die Hand zu bekommen. Durch die Verabredung von Kontingenten, die von den Zentralstellen verwaltet wurden, blieb die Ausfuhr — allerdings in weiten Grenzen — beschränkt. Das Schwergewicht der Kontrolltätigkeit lag auf der Verhinderung der Ausfuhr von eigentlichem Kriegsmaterial, auf der Beobachtung der Erzielung hoher Auslandspreise und auf der Kontrolle über die hierdurch vermittelten Kredite und Kompensationslieferungen. Das behördliche Ausfuhrbewilligungssystem neigte dabei gerade im Hinblick auf den letzteren Gesichtspunkt stark dem Gedanken einer Ausfuhrbegünstigung zu. Es mußte mit Notwendigkeit versagen, als die Kriegswirtschaft eine möglichste Beschränkung der Ausfuhr verlangte, wie dies seit Sommer 1916 der Fall war.

Geschoßfrage Die Verwendung der Graugußgranaten war von vornherein nur als eine Behelfsmaßnahme gedacht gewesen. Man hoffte, daß im Laufe absehbarer Zeit die Pressereien und Bearbeitungswerkstätten soweit eingerichtet sein würden, um den Munitionsbedarf entsprechend der Qualitätsanforderungen der Feldzeugmeisterei decken zu können. Es stellte sich jedoch im Sommer 1915 heraus, daß es angesichts der veränderten Rohstoffverhältnisse (insonderheit Schwedenerz- und Manganversorgung) nicht möglich war, Munition unter den außerordentlich hohen und scharf begrenzten Qualitätsansprüchen der friedensmäßigen Lieferungsverträge in großen Massen herzustellen. Insbesondere war es unmöglich, bei der gänzlich untergeordneten Bedeutung, die der saure Stahl (Bessemer- bzw. saurer Martinstahl) in der deutschen Eisenbilanz auch schon im Frieden und erst recht im Kriege hatte, die Munitionsversorgung, wie ursprünglich gefordert, auf den sauren Stahlsorten aufzubauen. Eine wirklich großzügige Munitionssteigerung konnte sich entsprechend dem Übergewicht phosphorhaltiger Erze in der deutschen Erzversorgung allein aus dem basischen Stahlverfahren entwickeln. Demzufolge wurde zwischen der Feldzeugmeisterei, den staatlichen Instituten, der Kriegsrohstoffabteilung und dem Verein deutscher



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Eisenhüttenleute am 21. Juli 1915 eine Vereinbarung getroffen, wonach neben dem sauren auch der basische Stahl (basische Martinstahl) für Geschoßzwecke zugelassen wurde. Allerdings mußten sich damals noch die staatlichen Institute für die Verarbeitung in den staatlichen Werkstätten die Lieferung von sauren Stahlblöckchen vorbehalten. Außerdem wurde eine Milderung der Qualitätsvorschriften insofern durchgesetzt, als die bisherigen starren Analysen — hinsichtlich Kohlenstoff und Mangan, nicht aber Phosphor — nur noch als anzustrebende Werte galten. Um die geforderten Mengen Granatstahl liefern zu können, hatten zwar einzelne Werke auch auf Thomasstahl zurückgegriffen. Die Feldzeugmeisterei mußte sich aber vorläufig mit dem Beschluß begnügen, daß für gegossene Granaten Thomasqualität nicht ausdrücklich ausgeschlossen war, während für gepreßte Granaten und aus dem Bollen gedrehte Granaten eine Entscheidung wegen der Zulassung überhaupt noch nicht getroffen werden konnte. Es erwies sich nämlich, daß die bis Anfang 1916 gelieferten Mengen Thomasstahl-Geschosse sehr ungleichmäßige Qualität besaßen und deshalb die Weiterverarbeitung erschwerten. Der Thomasstahl nach Friedensqualität war nicht ohne weiteres für die Granatstahlfabrikation geeignet. Der Verein Deutscher Eisenhüttenleute wies aber wiederholt mit allem Nachdruck auf die große Bedeutung des Thomasstahls als des ergiebigsten Rohstahls für die Granatenfabrikation hin und setzte es auch durch, daß nach dem ersten Fehlschlag die Heeresverwaltung im Januar 1916 die Frage von neuem aufgriff. Durch eine Sachverständigenkommission wurde den einzelnen Thomasstahlwerken nach eingehender Prüfung ihrer Anlagen von Fall zu Fall die Herstellung von Thomasgranaten freigegeben. Das Schwergewicht der Granatenherstellung ruhte aber auch im weiteren Verlauf des Krieges auf dem Martinstahl, da die Thomasproduktion nicht in der beabsichtigten Weise (Hindenburg-Programm) ausgeweitet werden konnte.

E Charakteristik des ersten Kriegswirtschaftsjahres Zusammenarbeit der Behörden: Freiheitlichkeit der Eisenwirtschaft Der zuletzt gegebene Überblick über die verschiedenen Gegenstände eisenwirtschaftlicher Betätigung während des Jahres 1915 zeigt eine Vielheit von Maßnahmen, die, zwar jeweils wichtig und dringlich, doch nicht einheitlich sind und sich nicht zu einer scharf umrissenen eisenwirtschaftlichen Politik zusammenschließen. Nachdem weder im Frieden noch nach dem Kriegsausbruch, auch nicht nach dem gelungenen Durchbruch von Gorlice und der Champagneschlacht die Notwendigkeit einer entschlossenen Produktionspolitik erkannt worden war, fehlte der behördlichen Stellung zur Eisenwirtschaft der Impuls, aus dem heraus eine geschlossene „Bewirtschaftung“ des Eisens hätte erwachsen können. Das Verhalten aller interessierten Dienststellen war hierdurch bedingt. Die Erfordernisse der militärischen Kriegführung konnte nach Lage der Dinge allein die Oberste Heeresleitung richtig einschätzen. Die Anforderun-

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gen dieser obersten Zentralstelle technisch-wirtschaftlich zu verarbeiten, sie in Form von Aufträgen an die Industrie hinausgehen zu lassen, war Aufgabe der Feldzeugmeisterei bzw. später des Waffen- und Munitionsbeschaffungsamtes. Dort war die enge Verbindung zwischen Heeresverwaltung und Wirtschaftsleben angebahnt, die der Feldzeugmeisterei die Möglichkeit gab, den Wegen der Bedarfsdeckung nachzugehen und die Schwierigkeiten festzustellen, die sich der Kriegsmaterialbeschaffung aus wirtschaftlichen Ursachen entgegenstellten. Hier war es Sache der Kriegsrohstoffabteilung, einzugreifen und die wirtschaftlichen Grundlagen der Heeresversorgung klarzulegen und so zu stärken, daß das Beschaffungswesen eine möglichst tragfähige Basis in der zweckmäßig organisierten Rohstoffwirtschaft fand. In der Kriegsrohstoffabteilung aber mußte gleichzeitig für einen Ausgleich kriegswirtschaftlicher Bedürfnisse mit den Notwendigkeiten der Volkswirtschaft Sorge getragen werden. Solange also die Oberste Heeresleitung nicht mit großzügiger Aufgabensetzung voranging, solange ferner — gerade aus diesem Grunde — in der Feldzeugmeisterei das Beschaffungswesen bei Eisen und Stahl nur auf einem Teilgebiet (Graugußgranaten) sichtliche Schwierigkeiten bot, sich aber im übrigen reibungslos abspielte, lag auch für die Kriegsrohstoffabteilung kein Anlaß dazu vor, umfassend einzugreifen. Obendrein schloß sich der Kreis der Verantwortlichkeiten auch auf der anderen Seite wieder in der Obersten Heeresleitung, weil ohne deren Zustimmung die Kriegsrohstoffabteilung ein Wirtschaftsprogramm, welches große Mengen von Arbeitskräften festlegte und diese dem Heeresdienst entzog, nicht durchführen konnte. So zeichnet sich also die Eisenwirtschaft über das erste Kriegsjahr hinaus durch das Fehlen einer straffen Eisenbewirtschaftung aus. Nur an wenigen peripherischen Punkten wurden organisatorische Maßnahmen getroffen, die gewissen Einzelerfordernissen entsprachen. So die Schutzverwaltung in Metz, die Roheisenverteilungsstelle und der Beauftragte des Kriegsministeriums beim Roheisenverband. Um so schärfer entwickelte sich in der gesamten Eisenwirtschaft das Prinzip der Freiheitlichkeit der Wirtschaftsentwicklung. Die Umstellung der Rüstungsindustrie, soweit sie auf Eisen aufgebaut war, vollzog sich im freien Spiel der Kräfte; die wenigen breiter angelegten Bewirtschaftungsmaßnahmen, wie die Einrichtung der Schutzverwaltung und die so überaus wichtige Manganversorgung, sind der Anregung der Industrie zu verdanken, die hier wie bei der Regelung des Roheisenverbrauchs auch ihre festgefügte und zuverlässige Organisation in den Dienst der Verwaltungsbehörden stellte. Bei dem Fehlen einer zielklaren Organisation hat sich dieses Prinzip der Freiheitlichkeit im ersten Kriegsjahre unbedingt bewährt. Die Produktion wuchs auf zwei Drittel der Friedensleistung wieder an, die Deckung des angeforderten Bedarfs für Heer und Flotte gelang im allgemeinen vollkommen, und es blieben noch reichliche Mengen übrig, für die die Eisen- und Stahlindustrie nur unter Schwierigkeiten Absatz fand. Zur selben Zeit wurden die meisten anderen kriegswichtigen Rohstoffwirtschaften, besonders die Schwesterindustrie, die Metallindustrie, schon durch die vorratspolitisch gerichtete Wirtschaftspolitik der Kriegsrohstoffabteilung in einem scharfen Zwangskurs gehalten. Nicht ohne Berechtigung durfte demgegenüber die



E Charakteristik des ersten Kriegswirtschaftsjahres 

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Eisenindustrie darauf hinweisen, daß sie imstande gewesen war, ohne behördlichen Zwang den Anforderungen des Heeresbedarfs gerecht zu werden. Dieses Bewußtsein mußte natürlicherweise wesentlich dazu beitragen, daß die Behörde (Feldzeugmeisterei und Kriegsrohstoffabteilung) auf Widerstand stieß, als sie im weiteren Verlauf des Krieges zu wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen auch bei Eisen schreiten zu müssen glaubte. Aus der freien und hinsichtlich des Mengenproblems erfolgreichen Entwicklung der Eisenwirtschaft in den ersten Kriegsjahren entstand die Plattform, auf der allein die Heeresverwaltung sich mit der Eisenindustrie verständigen konnte. Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, daß gerade z. B. bei den Metallen der schnelle und durchgreifende Erfolg der Kriegsrohstoffabteilung sofort nach Kriegsbeginn vorzugsweise darauf zurückzuführen ist, daß die Metallindustrie keine Gelegenheit gehabt hatte, sich langsam in die neuen Formen der Kriegswirtschaft hineinzufühlen. Sie hat deswegen der Monopolisierung des Metallhandels in der Kriegsmetall-Aktiengesellschaft nur aus einer offenbaren Verkennung der Bedeutung dieses Schrittes heraus so leichthin zugestimmt. Die große Freiheit, welche die Eisenindustrie bis Mitte 1916 genoß, entzog von vornherein jeder Überraschungspolitik den Boden.

Nachteile der freien Wirtschaft So ließ also die Kriegsrohstoffabteilung ganz bewußt das Eisen aus der Zahl der von ihr bewirtschafteten Rohstoffe heraus. Sie konnte im Gegenteil die Freiheit des Eisenmarktes als eine Erleichterung und Stützung der scharf durchgeführten Metallbewirtschaftung ansehen. Die nachteiligen Folgen des Fehlens einer zielklaren Wirtschaftspolitik blieben aber auch hier nicht aus. Am bedenklichsten war es, daß die geringe Nachfrage im Inland das Eisen auf den Auslandsmarkt abdrängte. Während England rüstete und sich durch das Schicksal der Neutralen in der Verfolgung seines Rüstungsprogramms nicht beirren ließ, glaubte die deutsche Regierung leichten Herzens den Überschuß der Produktion entbehren zu können. Bis zu einem gewissen Grad war natürlich die Eisenausfuhr als Waffe im Wirtschaftskrieg erforderlich. Darüber hinaus aber gingen Mengen über die Grenzen, die das Höchstmaß der allein für politische Zwecke nötigen Quantitäten überschritten; eine Verbleibskontrolle war wegen der geringen Einwirkungsmöglichkeit auf die neutralen Staaten zunächst nicht voll wirksam durchzusetzen. Die wirtschaftliche Führung nutzte die Leistungsfähigkeit der deutschen Eisenindustrie nicht aus, so daß diese aus produktionellen Gründen Absatzwege aufsuchen mußte, welche die Gefahr einer Verschleuderung wichtiger Kriegsrohstoffe in sich bargen. Das Reichsamt des Innern schätzte den aus der Ausfuhr entstehenden volkswirtschaftlichen Gewinn (Valutastützung, Auslandskredite) so hoch ein, daß sie ihr nicht nur nicht entgegentrat, sondern sie ausdrücklich billigte und begünstigte. Der Eisenhunger auf den neutralen Märkten und die vom Reichsamt des Innern fest-

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gesetzten Ausfuhrmindestpreise machten die Ausfuhr zu dem weitaus am meisten gewinnbringenden Zweig des Eisenabsatzes. Ein großer Anreiz zur Steigerung der Ausfuhr war damit zweifellos gegeben. Auch hier mußte erst die Sommeschlacht den Beteiligten die Augen öffnen. Zur Ehre der Eisenindustrie aber sei schon hier erwähnt, daß kurz nach dem Ausbruch der Sommeschlacht, früher als die beteiligten Behörden, die sich auf einen unergiebigen Kompetenzstreit untereinander festgerannt hatten, die Notwendigkeit einer Zusammenfassung der Produktion für den Heeresbedarf erkannte und aus freien Stücken auf die vom Reich geförderte und hoch gewinnbringende Eisenausfuhr verzichtete. Als besonders mißlich wurde es in späteren Kriegsperioden empfunden, daß man sich anfangs fast ausschließlich Fragen der Roheisenwirtschaft gewidmet und die bedeutend wichtigere Stahlwirtschaft völlig unkontrolliert gelassen hatte. Die Kriegsrohstoffabteilung hielt sich schon wegen der Wahrscheinlichkeit von bereits allzuoft durchgefochtenen arbeitshemmenden Kompetenzstreitigkeiten scharf an ihre Aufgabe, „Rohstoffe“ zu bewirtschaften, und wandte sich aus diesem Grunde lediglich dem Roheisen zu. Die Feldzeugmeisterei fand aber gleichfalls gerade auf diesem Gebiete die geringste äußere Veranlassung einzugreifen. So kam es, daß dann später bei der mit überraschender Schnelligkeit auftretenden Notwendigkeit der Schaffung einer Eisenorganisation etwa vier Monate vergehen mußten, bis die nötigen Unterlagen für eine solche Organisation (z. B. die Höhe des Bedarfs) einigermaßen festgelegt waren. Auch die spätere Preispolitik krankte daran, daß mangels jeglicher Unterlagen nur tastend vorangegangen werden konnte und anfängliche Fehler und zeitliche Verzögerungen eintraten, welche die Wirkung der Preisfestsetzungen erheblich herabsetzten. Derartige Wirtschaftsunterlagen hätten, wenn sie auch im Frieden versäumt worden waren, wenigstens im Verlauf der ersten Kriegszeit gesammelt werden müssen. Daß auch dies nicht geschah, muß wiederum auf die Verkennung der fundamentalen Bedeutung der Eisenwirtschaft für die Kriegführung überhaupt zurückgeführt werden, die also nicht nur zunächst zur Nichtausnutzung gegebener Möglichkeiten führte, sondern auch gleichzeitig die später aufgenommene Bewirtschaftung des Eisens schon von vornherein aufs schwerste belastete.

Kapitel II

Der Übergang zur zentralen Bewirtschaftung A Umstellung der Eisenproduktion Schwedenerz und Valuta Schon im Frühjahr 1915 hatte die Kriegsrohstoffabteilung mit dem Roheisenverband vereinbart, daß dieser sich vor Preiserhöhungen für Roheisen unter Beibringung der erforderlichen Unterlagen jeweils zunächst mit ihr in Verbindung setzen wollte. So waren auch die geringen Preiserhöhungen für Roheisen im Sommer 1915 bereits im Einverständnis mit der Kriegsrohstoffabteilung erfolgt, die sich der Anerkennung der veränderten Preisfaktoren nicht verschließen konnte. Unter Berufung auf die wachsenden Selbstkosten setzte der Roheisenverband im Dezember 1915 die Kriegsrohstoffabteilung von der Absicht einer weiteren Preiserhöhung für das erste Quartal 1916 in Kenntnis. Zur Begründung wies er hauptsächlich auf die dauernde Verschlechterung der Valuta und die laufend wachsende Erhöhung der Seeversicherungen hin, durch welche die schwedischen Erze im Preis wesentlich stiegen und auch weiteren Verteuerungen ausgesetzt bleiben würden. Es war nicht zu verkennen, daß das unsichere Moment der Valuta eine geregelte Preispolitik ständig mehr gefährdete. Die Schutzverwaltung glaubte diesen kaum zu regelnden Einflüssen am besten dadurch begegnen zu können, daß sie die deutsche Eisenindustrie möglichst weitgehend vom Bezug der ausländischen Erze unabhängig machte. Damit hoffte sie einen der wichtigsten Gründe für die Verteuerung des Roheisens aus dem Wege geräumt zu haben und gleichzeitig mit der Verringerung der Einfuhr ein weiteres Absinken der Valuta hintanhalten zu können. Dieser Gedanke enthielt jedoch einen verhängnisvollen Trugschluß. Abgesehen davon, daß das Schwedenerz zur Herstellung von sowohl im Gießereiwesen als in den Stahlhütten völlig unentbehrlichen Qualitätsroheisensorten dient, hätte eine wesentliche Verringerung der Schwedenerzeinfuhr durch erhöhte Inlandsförderung nicht wett gemacht werden können. Man stand in der Kriegszeit vor der Tatsache, daß weder die Zahl der Hochöfen vermehrt noch auch besonders die für die Eisenherstellung benötigten Koksmengen wesentlich vergrößert werden konnten. Es kam also alles darauf an, den zur Verfügung stehenden Hochofenraum bei der gegebenen Koksversorgung möglichst rationell auszunutzen, wie dies zweckmäßig durch die Verhüttung möglichst hochwertiger Erze geschehen konnte. Ein Ersatz des Schwedenerzes durch die um die Hälfte geringwertigere Minette hätte also ohne weiteres einen Rückgang des Ausbringens der Hochöfen und damit eine Senkung der Roheisenproduktion zur Folge gehabt. Gerade aber wegen der Verringerung des Ausbringens wären die Selbstkosten für diese verminderte Produktion gestiegen. Aus beiden Ursachen wäre die weitere Preissteigerung für Roheisen in doppelter Weise beschleunigt worden.

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 Der Übergang zur zentralen Bewirtschaftung

Der von der Schutzverwaltung empfohlene Leitgedanke war also abwegig. In der weiteren Entwicklung hat die Kriegseisenwirtschaft gänzlich andere Wege eingeschlagen. Die Schwedenerzeinfuhr ist in der Folgezeit wichtiger denn je geworden, nachdem endlich das Hindenburg-Programm die Anspannung aller denkbaren Produktionsmöglichkeiten verlangte; im Jahre 1918 hielt es die Kriegsrohstoffabteilung sogar für angebracht, gegen die Neigung der Industrie durch die Eisenzentrale auf eigene Gefahr Schwedenerz einzuführen, um nur auf jeden Fall auch bei längerer Kriegsdauer dieses für die deutsche Roheisenproduktion unentbehrliche Erz in ausreichender Menge im Inland zu haben. So unzureichend auch der Gedanke einer Einschränkung der Schwedenerzeinfuhr im Hinblick auf die Preisentwicklung für Roheisen war, so sehr hat er doch umgestaltend im Sinne einer Kräftigung der Inlandsproduktion auf die Eisenwirtschaft eingewirkt. Er hatte eine bedeutsame Verstärkung der Erzförderung nicht nur im Inland, sondern auch in den besetzten Gebieten zur Folge.

Neuregelung der Erzversorgung Die Umstellung der Eisenproduktion von Schwedenerz auf heimische Erze sollte nämlich durch eine beträchtliche Steigerung der Minetteförderung ermöglicht werden. Obschon nun auch die deutsch-lothringische Erzförderung infolge Arbeitermangels noch nicht wieder auf die Höhe der Friedensleistung gehoben worden war, erwartete man, das gesteckte Ziel durch eine vermehrte Ausnutzung der im Becken von Longwy und Briey angefallenen Erze durch die Schutzverwaltung am sichersten erreichen zu können. Die Anregung zu einer erweiterten bergbaulichen Tätigkeit der Schutzverwaltung, die in späteren Kriegsperioden entscheidende Bedeutung für die deutsche Erzversorgung gewinnen sollte, war damit gegeben. Die Schutzverwaltung hatte sich aus ihren bescheidenen Anfangsverhältnissen heraus zu einer immer breiteren Organisation entwickelt. Nachdem sie anfangs lediglich die auf den Gruben ihres Bezirkes vorhandenen Erzvorräte von etwa 800 000 t für die deutsche Eisenindustrie nutzbar gemacht hatte, war allmählich auf den Gruben Auboué und Homécourt eine bescheidene Erzförderung in Gang gekommen. Bei den mit Hilfe des Vereins deutscher Eisenhüttenleute angestellten Erhebungen über den Bedarf und den Vorrat an Minette auf deutschen Hüttenwerken hatte sich ein gewisser Mangel an französischer kieseliger Minette bemerkbar gemacht, der auf diese Weise behoben werden konnte. Eine weitere bergmännische Tätigkeit hatte sich aber wegen der außerordentlich großen Schwierigkeiten in der Arbeiterversorgung verboten, da früher vorzugsweise italienische Grubenarbeiter beschäftigt waren, eine örtliche Bergarbeiterbevölkerung also fehlte und ein Ersatz (etwa durch Gefangene) bei der noch nicht ausgeglichenen Arbeiternot der südwestdeutschen Werke zunächst nicht gestellt werden konnte. Auch war der Transport der geförderten Erze aus dem



A Umstellung der Eisenproduktion 

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Etappengebiet nur stockend gelungen und hatte eine noch höhere Belastung der von Militärtransporten übersetzten Strecken wenig ratsam gemacht. Nebenher sei erwähnt, daß seit September 1915 der Schutzverwaltung auch die Verwertung der im besetzten Gebiet Nordfrankreichs lagernden Vorräte an Thomaseisen, Gießereiroheisen, Halbzeug und Fertigfabrikaten, soweit diese nicht unmittelbar für Heereszwecke Verwendung fanden, übertragen worden war. Für die Durchführung dieser Maßnahmen und die örtliche Verwaltung der Hüttenwerke hatte die Schutzverwaltung eine Zweigstelle in Longwy eingerichtet, die später als „Rohstoff- und Maschinenverteilungsstelle“ („Rohma“) eine ausgedehnte Tätigkeit entwickelte und große Bedeutung erlangte; weitere Zweigstellen erstanden in Brüssel und Maubeuge. Die Erzförderung der Schutzverwaltung hatte im Februar 1915 mit 154 t Erz eingesetzt, belief sich im März bereits auf 30 800 t und überschritt im Juli schon die ersten 100 000 t. Vom August ab bis Ende des Jahres 1915 hielt sie sich dann etwa gleichmäßig auf dem Stand von 130 000 t, da der Bedarf an Minette in der Eisenhüttenindustrie erheblich nachließ. Die Absatzverhältnisse hatten sich bis zum November sogar so sehr verschlechtert, daß größere Mengen Erz auf Lager gebürgt werden mußten. Eine weitere Fördersteigerung mit Rücksicht auf die Ersetzung der Schwedenerze war nun gemäß dem erwähnten Vorschlag der Schutzverwaltung technisch sehr leicht zu bewerkstelligen. Sie war lediglich durch die Lösung der Arbeiterfrage bedingt, die andererseits der Leistungssteigerung der Schutzverwaltung vorerst eine obere Grenze setzte; man konnte nicht damit rechnen, daß die Oberste Heeresleitung mehr Facharbeiter freigeben würde, als nötig waren, um bestenfalls eine weitere Steigerung um 100 000 t bis Ende 1916 in Aussicht nehmen zu können. In diesem beschränkten Rahmen bewegte sich auch demgemäß das weitere Förderprogramm der Schutzverwaltung. Die angesetzte Menge war aber das mindeste, was neben der geplanten Erhöhung der deutsch-lothringischen Erzförderung hätte erreicht werden müssen, wenn der Plan Schwedenerze möglichst entbehrlich zu machen, zur Durchführung kommen sollte. Sparvorschriften für den Schwedenerzverbrauch sollten deswegen die produktiven Maßnahmen ergänzen. So wurden alle in Betracht kommenden Werke in Verpflichtung genommen, die Zumischung von Schwedenerz auf 15% des Möllergewichtes (im Frieden 40% und mehr) zu beschränken — die weitaus meisten hatten infolge der Valutaspesen aus Rentabilitätsgründen bereits den Verbrauch nach Möglichkeit eingeschränkt —, und man mußte ihnen nun einen wenigstens quantitativ vollwertigen Ersatz in Minette liefern. Solange die lothringische Erzförderung aber noch nicht gehoben war, bot die Verwertung der im besetzten Gebiet vorhandenen Vorräte von Luxemburger Gießereieisen (insgesamt aber nur etwa 70 000 t) den Ausweg, die Verwendung von Minette zur Herstellung von Luxemburger Gießereieisen zu unterbinden, die hierdurch frei werdenden Erzmengen für den Ersatz von Schwedenerz nutzbar zu machen und den Gießereibedarf aus den Vorräten zu befriedigen.

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 Der Übergang zur zentralen Bewirtschaftung

Die Problemstellung sowohl wie der eben skizzierte Entwurf der geplanten Maßnahmen zum Ersatz des Schwedenerzes machte es wiederum sehr deutlich, daß man in der Schutzverwaltung und in der Kriegsrohstoffabteilung bei der Regelung eisenwirtschaftlicher Fragen noch immer vorwiegend vorratspolitisch orientiert war: Sparsamkeit im Verbrauch greifbarer Vorräte erschien den maßgebenden Stellen auch nach der Champagneschlacht und während der Vorbereitung der Verdunoffensive als das oberste Gebot der Stunde. Die Oberste Heeresleitung glaubte für produktive Arbeiten keine Menschenkräfte frei zu haben, ganz im Gegensatz zu England, das gerade in dieser Zeit (im Januar 1916) das Wehrgesetz schuf, in welchem der Dienst an der Front und die Beschäftigung in der Rüstungsindustrie als gleich kriegswichtig ausdrücklich anerkannt wurden. Unter ungleich schwierigeren Verhältnissen hat sie sich dann während der Sommeschlacht doch zur Zurückstellung großer Mengen von kriegsverwendungsfähigen Arbeitern bereitfinden müssen. In der Schutzverwaltung in Metz hatte man zwar im Prinzip die Bedeutung der Produktionssteigerung als Problem der Kriegseisenwirtschaft erfaßt, blieb aber in der Anregung halber Maßnahmen stecken. Die Metallsektion der Kriegsrohstoffabteilung aber hatte sich in ihrem Arbeitsgebiet bis Ende 1915 fast völlig auf eine Vorratspolitik im strengsten Sinne des Wortes geworfen und betrachtete die Eisenwirtschaft ebenfalls zu einseitig unter diesem Gesichtspunkte. Die Steigerung der Erzförderung kam nun aber, gänzlich unabhängig von der Absicht, den Schwedenerzbedarf einzuschränken, dem Bedürfnis der Eisenwirtschaft im höchsten Maße entgegen. Die Oberste Heeresleitung war mit den Vorbereitungen zur Verdunoffensive beschäftigt und drängte die Eisenindustrie zur Verstärkung ihrer Lieferungen. Ein ganz plötzliches Wiedererwachen des Bedarfs sowohl an Minetteerz als auch an Hämatit war die Folge. Kaum erfuhr deswegen die Industrie von der geplanten Einschränkung der Schwedenerzlieferungen, als sie aufs lebhafteste gegen diese Unterbindung ihrer Leistungsfähigkeit Protest erhob. Der Roheisenverband legte dem Kriegsministerium und dem Reichsamt des Innern eingehend die Gründe dar, aus denen die ständige Einfuhr schwedischer Erze — und zwar nicht nur der phosphorarmen, sondern auch der phosphorreichen — und eine Begünstigung, nicht eine Hemmung dieser Einfuhr unbedingt erforderlich sei. Bei dieser Gelegenheit versäumte die Industrie nicht, die Behörden auf die Gefahren der bisherigen Wirtschaftspolitik beim Eisen hinzuweisen. Sie hatte insofern Erfolg, als die geplante Einschränkung der Schwedenerzeinseln [sic] unterblieb, dagegen die Förderprogramme für Minette beibehalten wurden.

Roheisenversorgung Auch in der hier betrachteten Übergangsperiode stand wiederum das Roheisen im Vordergrund der wirtschaftlichen Maßnahmen. Die Roheisenverteilungsstelle in der



B Verschärfung der Deckungslage im ersten Halbjahr 1916 

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Feldzeugmeisterei bildete auch jetzt noch das Zentralorgan, das vermittelnd in die Gestaltung der Kriegsbedarfsdeckung eingriff. Allmählich aber gewann der Stahl auch bei der Munitionsherstellung die ihm zukommende Bedeutung. Auch hier schob sich bis zur Fertigstellung der Preßwerkseinrichtungen ein Zwischenglied in der Form der gegossenen Stahlgeschosse ein. Die Umstellung der kleineren Stahlgießereien auf die Munitionsherstellung vollzog sich jedoch nur sehr langsam, noch Ende 1915 kamen die vielen neuen Bessemereien nicht aus den Schwierigkeiten in der Stahlgußgranatenherstellung heraus. Stellenweise ergaben sich 50—75% Ausschuß. Auch die Versuche mit Thomasstahl befriedigten noch immer nicht voll. Immerhin hatte die Granatstahlherstellung im Januar 1916 bereits 120 000 t erreicht, und somit war das Schwergewicht der Munitionsversorgung wieder auf die Stahlgranate zurückverlegt worden; die Großindustrie hatte wesentlich die Umstellung auf unmittelbaren Heeresbedarf vollzogen. Trotzdem blieb das Interesse der Feldzeugmeisterei an der Eisenrohstoffwirtschaft allein auf die Roheisenversorgung der Gießereien und der reinen Stahlwerke, also auf eine Beaufsichtigung des vom Roheisenverbande kontrollierten Roheisenmarktes beschränkt. Im ersten Halbjahr 1916 baute die Roheisenverteilungsstelle ein großes System für die Roheisenverteilung aus, das, auf den Munitionsbestellungen der Heeresverwaltung bei den einzelnen Gießereien fußend, den Bedarf der einzelnen Unternehmungen ermittelte und für dessen Belieferung durch den Roheisenverband Sorge trug. Eine gleichzeitige Kontrolle über den Ferrosilizium- und Ferromanganverbrauch ging damit Hand in Hand, doch blieb der Arbeitsbereich der Stelle verhältnismäßig eng. Eine durchgreifende Neuorientierung der Eisenwirtschaft war von hier aus nicht zu erwarten. Sehr wenig günstig war es für eine systematische Bewirtschaftung, daß die Anforderungen der Werke und die Munitionsbestellungen der Beschaffungsstellen trotz einer weitgehenden statistischen Kontrolle oft genug nicht in Einklang zu bringen waren und die Abschlüsse der Beschaffungsstellen mit den Lieferwerken oft so spät erfolgten, daß im großen Umfange nominelle Unterbelieferungen eintraten, die das Bedarfsbild verzerrten und unübersichtlich machten.

B Verschärfung der Deckungslage im ersten Halbjahr 1916 Entwicklung der Eisenwirtschaft seit Anfang 1916 Der Winter 1915/16 war verhältnismäßig mild. Infolgedessen war auch die Rückwirkung auf die Transportlage weniger fühlbar, die Produktion erlitt nur eine geringe Einbuße und vermochte sich nach kleinen Schwankungen 1916 auf die Höhe von zwei Drittel der Roheisengewinnung und drei Viertel der Rohstahlerzeugung der Vorkriegsmonate zu erheben. Die günstige Stellung der Stahlproduktion beruht, wie schon erwähnt, auf der vermehrten Heranziehung des Martinprozesses, der sich auf die Schrottzuführung stützt, und sich auch im Kriege hinsichtlich Kraft- und Arbeits-

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bedarf sowie mit Rücksicht auf die Transportbedürfnisse als das ökonomischere Verfahren erwies. Die Martinstahlerzeugung hatte sich Ende 1915 schon wieder auf mehr als 87% der Friedensleistung gehoben und stieg 1916 allmählich bis auf über 95% an. Seit Ende 1915 hatte auch die Industrie nicht mehr über mangelhafte Beschäftigung zu klagen. Dieser gute Beschäftigungsgrad nahm im Jahre 1916 weiter zu, und in einzelnen Produkten kam die Nachfrage der Produktionsmöglichkeit bereits sehr nahe. Der Heeresbedarf allerdings fand trotz der mehrfachen Ausweitung der Munitionsprogramme noch immer seine auskömmliche Deckung. Nur bei den Etappenbetrieben im Westen stieg im Mai 1916 die Nachfrage nach Halbzeug in demselben Umfange, als die vorgefundenen Vorräte aufgezehrt wurden. Der Wunsch des Generalgouvernements, belgische Hochöfen, Stahlwerke und Walzwerke in Betrieb zu setzen, fand Ablehnung durch die Schutzverwaltung, da von einer Zersplitterung der Rohstoffe, insbesondere der Erze nach dem neu aufgestellten Umstellungsprogramm in der Erzversorgung, eine allgemeine Hebung der Produktion nicht zu erwarten war. Die Aufnahme der Produktion in Belgien hätte nur eine entsprechende Senkung der heimischen Leistung zur Folge gehabt. Da erschien es jedenfalls zweckentsprechender, nicht den großen Apparat der Wiederbelebung einer seit über Jahresfrist stilliegenden Industrie in Bewegung zu setzen, sondern die verhältnismäßig geringe Menge von 10 000 t Halbzeug durch die Schutzverwaltung ausliefern zu lassen. Dieser standen in den großen Anlagen der Firma de Wendel in Hayingen sehr leistungsfähige Betriebseinrichtungen zur Verfügung. Bis dahin hatte dieses große Eisenwerk infolge Arbeiterschwierigkeiten und aus verwaltungstechnischen Gründen nur zu einem ganz kleinen Teil seiner Leistungsfähigkeit arbeiten können. Durch die Übernahme der Leitung durch die Schutzverwaltung, die in Arbeiter- und Rohstofffragen ungleich günstiger gestellt war als das feindlichen Unternehmern gehörige und unter staatlicher Zwangsverwaltung stehende Werk, hoffte man, die Produktion erheblich steigern zu können. Man erwartete hiervon auf der einen Seite eine schnelle und reibungslose Befriedigung des Frontbedarfs, andrerseits die Möglichkeit, die Überschuß-Produktion dieses Unternehmens auf den Markt werfen und damit auf die Bedarfslage und die Preisentwicklung entscheidenden Einfluß nehmen zu können. Die Leitung des Werkes ging am 1. Juni 1916 auf die Schutzverwaltung über. Im Inland stieg neben dem Heeresbedarf die Intensität anderer Bedarfsgruppen so stark an, daß Unregelmäßigkeiten in der Befriedigung und davon rückwirkend Störungen der Marktlage nicht zu vermeiden waren. Man hatte sich daran gewöhnt, beim Ersatz der beschlagnahmten und dem Zivilbedarf entzogenen Sparmetalle unbekümmert auf Eisen als Ersatzstoff zurückzugreifen. Mit längerer Kriegsdauer aber hatte man begonnen, umfangreiche Reparaturarbeiten oder Neuanlagen aller Art auszuführen, bei denen von vornherein dieses Ersatzverfahren in Anwendung kam. So war der Bedarf an solchen neuerdings auf Eisen abgestellten Gegenständen in demselben Maße gewachsen, als die Einschränkung des Sparmetallverbrauchs zugenommen hatte.



B Verschärfung der Deckungslage im ersten Halbjahr 1916 

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Der Zivilbedarf gewann also beträchtlich an Bedeutung, und die Verbraucher boten gern erhöhte Preise, wenn sie nur dafür die benötigten Mengen Eisen und Stahl erhielten. Durch die Verhältnisse auf dem Eisenauslandsmarkt wurde die Eisenwirtschaft zudem sehr beunruhigt. Der Eisenhunger der Neutralen nahm zu, je mehr auch dort die vom Frieden her vorhandenen Vorräte sich ihrem Ende näherten und je schärfer England seine Ausfuhrverbote handhabte. Wie schon erwähnt, bot sich in diesem dringenden Bedarf des neutralen Auslandes für die deutsche Eisenindustrie in völliger Umkehrung der Friedensverhältnisse eine willkommene Handhabe, durch hohe Preise gute Gewinne zu erzielen. Eine unmittelbare Beteiligung des Reiches am Gewinn unterblieb aber, und auch die später erhobene Ausfuhrsteuer von durchschnittlich 5% muß vom nationalwirtschaftlichen Standpunkt aus als zu gering bezeichnet werden. Die vom Reichsamt des Inneren befolgte Ausfuhrpolitik entsprach aber mit zunehmender Verschärfung der Deckungslage immer weniger den Anforderungen, welche die Heeresverwaltung an sie stellte. Dazu entwickelte sich bald aus dem hohen Auslandspreis besonders für die wirtschaftlich schwächeren Unternehmungen mit kartellfreien und keiner staatlichen Kontrolle unterliegenden Produktion ein Anreiz, den Auslandsmarkt zu bevorzugen und im freien Inlandsmarkt den Inlandsbedarf nur zu einem ebenfalls wesentlich erhöhten Preis zu befriedigen. Im Frühsommer 1916 fingen diese Verhältnisse an, sich immer schärfer auszuprägen. Auf der einen Seite begegnete die Bedarfsdeckung im Inland wachsenden Schwierigkeiten, auf der anderen nahm der Umfang der Ausfuhr bis zu 200 000 t im Monat zu. Diese Verzerrung der Deckungslage rief als Nebenwirkung eine sehr lebhafte Verteuerung der Eisen- und Stahlprodukte im Inland hervor.

Der Manganbedarf Noch schärfer als in der Gesamtwirtschaftslage spitzten sich die Verhältnisse auf einigen Sondergebieten zu. In erster Linie war es die Manganfrage, die nunmehr energisches Eingreifen erforderte. Die Vorräte an hochwertigen Manganerzen verringerten sich trotz der von der Ferromangangemeinschaft in Verbindung mit der Schutzverwaltung eingeleiteten Sparmaßnahmen in einem erschreckenden Tempo. Bei einem Monatsverbrauch von 8—9000 t beliefen sich die Vorräte anfangs Januar 1916 auf kaum mehr als 50 000 t; die Manganversorgung und damit die Stahlproduktion überhaupt schien vor Mitte 1916 einer Katastrophe entgegenzueilen, da ohne Mangan die Herstellung von Stahl schlechterdings unmöglich wurde. Es erwies sich als ein Fehler, daß die Schutzverwaltung sich ausschließlich auf Maßnahmen vorratspolitischer Natur (Verbrauchsbeschränkung, Verteilung u. dgl.) beschränkt hatte, so daß eine tatkräftige Aufnahme produktiver Arbeiten so lange (bis Herbst 1916) hinausgezögert wurde, bis es fast zu spät und die Heeresversorgung mit Waffen und Munition

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 Der Übergang zur zentralen Bewirtschaftung

aufs allerernsteste gefährdet war. Dieses Hinauszögern war um so bedenklicher, als ergiebige, schnell auf Höchstleistung zu bringende Lagerstätten von gleichwertigen Ersatzerzen nicht zur Verfügung standen und das Ergebnis bergmännisch geologischer Untersuchungen ganz allgemein vor Jahresfrist nicht erwartet werden konnte. Die ernste Gesamtlage forderte eine scharfe Organisation. Die Schutzverwaltung durfte sich nicht mehr begnügen, lediglich kontrollierend neben den Maßnahmen der Ferromangangemeinschaft zu stehen. Sie gründete am 1. Februar 1916 die Manganversorgungsstelle in Düsseldorf. Diese selbständige Zweigstellung der Schutzverwaltung hatte in engster Fühlung mit der beteiligten Industrie scharf disponierte Manganwirtschaftspläne aufzustellen und ihre Durchführung dauernd zu überwachen. Von größter Bedeutung wurde die von dieser Stelle unverzüglich in die Wege geleitete Umstellung des Ferromanganverbrauchs auf Mindestqualitäten, die eine vermehrte Verwendung von geringwertigen Manganträgern erlaubte. Hatte schon die Ferromangangemeinschaft Mitte 1915 die Herstellung des friedensüblichen 80%igen Ferromangan eingestellt, so konnte die Manganversorgungsstelle mit Rücksicht auf die inzwischen erprobten Umstellungsmöglichkeiten noch einen Schritt weitergehen, indem sie die breite Menge des Manganbedarfs auf Spiegeleisen (eine etwa 10%ige Eisenmanganlegierung) abschob. Gleichzeitig sperrte sie den Thomas-Hochofenwerken den Bezug von Siegerländer Spateisenstein, der das hauptsächlich für die Herstellung von Spiegeleisen in Frage kommende deutsche Erz darstellt, und verwies die Thomas-Hochofenwerke mit ihrem Manganbedarf auf die Martinschlacken, Siegerländer Hochofenschlacken und die geringmanganhaltigen Erze von AdenstedtBülten bei Hannover. Höherwertige Ferromangansorten aber ließ sie unter stärkster Heranziehung der Lagerstätten von Gießen (Gewerkschaft Fernie) und Bingerbrück (Gewerkschaft Dr. Geier) erblasen. Durch diese Umstellung gelang es auch in der Tat, die augenblickliche Krise abzuwenden. Für weitergehende „produktive“ Maßnahmen aber fehlten der Manganversorgungsstelle die Mittel. Es war auch hier dem Hindenburg-Programm vorbehalten, die Verfolgung weitergesteckter Ziele auszulösen. Neben den Erzen wandte man auch anderen Manganträgern das Interesse zu. Hier kamen die Schlacken in Betracht, die in ungeheuren Mengen im Siegerland (Hochofenschlacken) und bei den Werken der österreichischen Eisenindustrie in Steiermark (Martinschlacken) ungenutzt umherlagen. Diese Schlacken konnten mit Erfolg als Ersatz für die durch die Manganversorgungsstelle Sonderzwecken vorbehaltenen Inlanderze eintreten. Die Ferromangangemeinschaft hatte auch bereits ihr Interesse diesen Manganträgern zugewandt und die Förderung aufgenommen. Nunmehr wurde mit höchster Beschleunigung die Verwertung der Schlacken in Deutschland vollends ausgebaut, während mit Österreich Verhandlungen über die Überlassung solcher Schlacken — es kamen besonders die von Donawitz in Betracht — angeknüpft wurden. Auf dem Mangangebiet trat hiermit die deutsche Kriegseisenwirtschaft zum erstenmal auf das Gebiet der verbündeten Länder über. Weiterhin begann mit der Einrichtung der Manganversorgungsstelle die Heranziehung von Ersatzstoffen, die das Mangan in seinen Aufgaben beim Stahlprozeß



B Verschärfung der Deckungslage im ersten Halbjahr 1916 

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vertreten sollten. Hier war es zunächst das Ferrosilizium, für dessen geringere Qualitäten im Inland reichlich Produktionsmöglichkeiten vorhanden waren und das in seinen höheren Qualitäten, wie im Frieden, so auch jetzt, vom neutralen Ausland in völlig ausreichender Weise auf den deutschen Markt gebracht wurde. Um auf diesem Stoffgebiet den erforderlichen Überblick zu erhalten, beauftragte die Kriegsrohstoffabteilung im Frühjahr 1916 die Metallmeldestelle mit der Beaufsichtigung der Ferrosiliziumverteilung. Auch hier handelte es sich zunächst lediglich um distributive Maßnahmen und noch nicht um produktive Betätigung, die erst später auch beim Ferrosilizium große Bedeutung erlangte. Die Umstellung der Desoxydationsverfahren auf andere Hilfsstoffe als Ferromangan und Ferrosilizium wurde von der Industrie mit größtem Eifer aufgenommen.

Die Schrottversorgung Die Unregelmäßigkeiten, die auf dem Schrottmarkt während des Sommers 1915 entstanden waren, hatten größtenteils durch die Maßnahmen der staatlichen Schrottlieferer und Einwirkung auf die Schrottlagerhalter ausgeglichen werden können. Die von diesen vermehrt auf den Markt gebrachten Mengen hatten genügt, die wesentlichsten Auswüchse zu beseitigen. Mit Anfang des Jahres 1916 traten jedoch neue Schwierigkeiten in der Deckung des Schrottbedarfs auf. Immer stärker war die Stahlbedarfsdeckung auf den Martinstahl hinübergeworfen worden, und die neuen Rüstungen für das Jahr 1916 verlangten eine weitere Steigerung der auf diesem Prozeß aufgebauten Hartstahl-Produktion. Wenn auch mengenmäßig zu diesem Zeitpunkt noch nicht von einer Schrottknappheit gesprochen werden konnte, so trugen doch die Angstkäufe und eine sehr unangebrachte Spekulation von seiten der Händler — denen sich eine große Reihe von „Kriegshändlern“ zweifelhaftester Art zugesellt hatte — eine große Beunruhigung in den Schrottverkehr hinein. Hier war es nun von größtem Vorteil für die Kriegsrohstoffabteilung, mit den Schrottvorräten in den besetzten Gebieten einen starken Druck auf die Gestaltung des Schrottmarktes ausüben zu können. Im November 1915 wurde die Schutzverwaltung mit der Bewirtschaftung des gesamten im Westen aufgesammelten Schrotts beauftragt; sie hatte aber zunächst nur geringe Mengen in den Verkehr gebracht. Dadurch verfügte sie im April 1916 über 80—90 000 t sofort greifbaren Schrott. Als nun die Schrottpreise anzogen, war die Möglichkeit gegeben, diesen Schrott teilweise, zunächst 40 000 t, zu verkaufen und dadurch ein weiteres Steigen der Schrottpreise zu verhindern. Es gelang in der Tat, das Steigen des Schrottpreises durch dieses Vorgehen etwas aufzuhalten, jedoch konnte eine nachhaltige Wirkung nicht erzielt werden. Die Mengen, mit denen die Schutzverwaltung preisregelnd wirken wollte, waren nicht ausreichend groß genug, um eine fühlbare Erleichterung der Schrottdeckung herbeizuführen. Auch konnte es bei der immer stürmischeren Nachfrage nach diesem Rohmaterial nicht zum Ziele führen, lediglich durch Preisunterbietungen eine

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gemäßigte Preisentwicklung anstreben zu wollen, zumal sich auch die Spekulation eines Teiles des Schrotts der Schutzverwaltung bemächtigte. Es bedurfte einer, später auch durchgeführten, viel schärferen Organisation der Schrottbedarfsdeckung, um hinsichtlich der Menge und der Preise befriedigende Ergebnisse zu erzielen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß ein Einfluß auf die Gestaltung der Eisenpreise von einer so schmalen Basis aus, wie sie die Schutzverwaltung (oder später die Hüttenverwaltung Hayingen) darstellte, nicht wohl zu bewirken war. Viel schärfer noch als in Deutschland prägten sich diese Verhältnisse in der Schrottversorgung in der Donaumonarchie aus. Die weitaus geringere Industrialisierung dieses Landes bedingte ohnehin ein geringeres Schrottaufbringen aus dem allgemeinen Verkehr; Transportschwierigkeiten und Arbeiternot aber erhöhten die Schwierigkeiten noch mehr als in Deutschland. Schon im Frieden hatte Österreich regelmäßig einen Teil seines Schrottbedarfs durch die Vermittlung der Eisenhandelsgesellschaft in Berlin und der Handelsgesellschaft für Hüttenbedarf in Nürnberg in Ost- und Süddeutschland aufgekauft, und es war natürlich, daß es sich in seiner bedrängten Lage wegen Unterstützung wiederum an Deutschland wandte. Da eine Schlagfertigerhaltung der österreichischen Rüstungsindustrie im allerdringendsten deutschen Interesse lag, so willigte die Kriegsrohstoffabteilung in die Ausfuhr von 100 000 t Schrott in der Zeit vom 1. März bis 1. September 1916 ein. Die Durchführung dieser Schrottausfuhr aber legte die Kriegsstoffabteilung zur Wahrung der Einheitlichkeit in die Hand der Schutzverwaltung. Es mußte nach Möglichkeit dafür gesorgt werden, daß die Entnahme dieser nicht unbeträchtlichen Schrottmengen nicht neue Beunruhigungen in den gespannten deutschen Schrottmarkt hineinbrachte und dort eine weitere Preissteigerung hervorrief. Der überwiegende Teil der Lieferungen wurde, mit Unterstützung der von der Schutzverwaltung aus dem besetzten Gebiet nutzbar zu machenden Alteisenmengen, aus dem Westen Deutschlands, nur etwa ein Zehntel aus Ostdeutschland entnommen, alle erforderlichen Geschäfte aber ausschließlich durch die Schutzverwaltung selbst oder doch unter ihrer unmittelbaren Kontrolle abgeschlossen. Von einem gewissen Interesse ist ein weiterer Versuch im Frühjahr 1916, der zur Erleichterung der Schrottlage unternommen wurde. Durch die lebhafte Ausfuhr von Eisen und Stahl gingen nicht nur die Ausfuhrmengen selbst, sondern auch der ihnen entsprechende Schrottrückfall für die deutsche Wirtschaft verloren. Es wurde ernsthaft erwogen, ob nicht durch eine Schrottrücklieferungsklausel ein gewisser Prozentsatz der ausgeführten Mengen an Stahl von den neutralen Staaten in Schrott zurückverlangt werden könne. Dieser Gedanke erwies sich als praktisch undurchführbar. Infolge erhöhter Sparsamkeit im Eisenverbrauch war auch in den neutralen Staaten der Schrottentfall wesentlich geringer geworden als im Frieden. Zudem ergaben sich Schwierigkeiten sowohl hinsichtlich der Festsetzung der zu liefernden Schrottqualitäten, als auch wegen der Verschiedenheit der Käufer des deutschen Produkts und der Rücklieferer des Schrotts. Es fehlte somit jede praktische Unterlage, gegen einen auch nur passiven Widerstand der neutralen Eisenverbraucher eine Maßnahme im Sinne



C Wandlungen des Kriegsbedarfs und Aufbau der zentralen Organisation 

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der deutschen Zentralbehörden durchzuführen. Trotzdem sich die Abteilung für Einund Ausfuhr im Kriegsministerium und die Kriegsrohstoffabteilung mit Nachdruck für die Durchführung des Gedankens einsetzten, ist eine Rückführung von Schrott aus den Eiseneinfuhrländern auf Grund solcher Gegenseitigkeitslieferungen kaum je in nennenswertem Umfang erfolgt.

C Wandlungen des Kriegsbedarfs und Aufbau der zentralen Organisation

Veranlassung zu Zentralisierung der Eisenbewirtschaftung In der Metallwirtschaft war inzwischen der Aufbau der Organisation und die Durchführung der vorratspolitischen Maßnahmen zu einem gewissen Abschluß gekommen. Der Apparat war so entwickelt, daß er leicht entsprechend den auftretenden Bedarfsveränderungen umgestellt werden konnte; die eingeleitete Sparwirtschaft ließ neben der aufgenommenen Mobilisation der im Wirtschaftsleben, in den Haushaltungen usw. gebundenen Vorräte die Möglichkeit des Durchhaltens für eine ziemlich lange Zeit als gegeben erscheinen. In der Tat hat sich das eingespielte System auch nach dem Hindenburg-Programm durchaus bewährt: Die Vorratspolitik hat sich als die bei den Metallen richtige Wirtschaftsreform erwiesen. Nach dem Aufbau der Metallbewirtschaftung gewann die Metallsektion der Kriegsrohstoffabteilung im Frühjahr 1916 Raum, sich mit größerem Nachdruck der Eisenwirtschaft zuzuwenden, für die sie ja ebenfalls zuständig war. Allerdings verbot sich eine geschlossene, monopolartige Bewirtschaftung für das Eisen, ähnlich der für die Metalle, von vornherein. Jedoch waren gerade mit Beginn des Jahres 1916 an den verschiedensten Stellen in der Eisenwirtschaft Organisationen ins Leben getreten, oder es hatten bestehende Organisationen ihr Tätigkeitsfeld ganz wesentlich erweitert, und eine stärkere Zusammenfassung aller dieser einzelnen, die Eisenwirtschaft an verschiedenen Punkten regelnden Stellen lag offenbar im Sinne einer einheitlichen Wirtschaftsführung, zumal sich Interessenkonflikte zwischen einzelnen solcher selbständigen Stellen herausbildeten. Insbesondere waren es die Preise, deren Entwicklung eine scharfe Beobachtung verlangte.4 Der Stahlwerksverband war mit seinen Preisen im Januar 1916 in die Höhe gegangen, und besonders die nicht syndizierten Produkte B zeigten seit Ende 1915 eine geradezu stürmische Aufwärtsbewegung in den Preisen. Auch die Rohstoffe, hauptsächlich Schwedenerz und Schrott, beschleunigten zu diesem Zeitpunkt das Tempo ihrer Preissteigerung wesentlich, während die inländischen Qualitätserze ebenfalls nicht mehr ganz klare Marktverhältnisse auswiesen.

4 Siehe Exkurs c zum IV. Kapitel.

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 Der Übergang zur zentralen Bewirtschaftung

Zu der Preisfrage traten dann die gespannte Lage der Mangan- und Schrottdeckung und die Notwendigkeit, zwischen Inland- und Ausfuhrbedarf einen Ausgleich zu schaffen. Alle diese Aufgaben trugen, wie ersichtlich, nur mehr sekundären Charakter, das weite Gebiet der Eisenwirtschaft wurde durch sie zwar wesentlich bestimmt, aber sie selbst, wie die Organe, die sich mit ihnen beschäftigten, lagen an der Peripherie. Das Zentralgebiet, die Produktion und Verteilung von Eisen und Stahl, blieb auch jetzt noch völlig frei. Langsam schob sich nun aber der Kriegsbedarf an Eisen und Stahl unmittelbar an die Produktion heran. Die Vorräte an Roheisen und besonders die von Rohstahl auf den Werken sanken überraschend schnell ab, und man geht auch nicht fehl, wenn man annimmt, daß die latenten Vorräte bei den Händlern und Eisen- und Stahlverbrauchern ebenfalls nicht mehr so groß waren, um einen wirksam schützenden Mantel um die Produktion herumzulegen. Jeder Bedarfsstoß mußte infolgedessen mit mehr oder weniger Heftigkeit unmittelbar die Produktion selbst treffen. Je häufiger dies geschah und je dringender die Anforderungen der Heeresverwaltung wurden, desto empfindlicher wurden auch die mühsam den Kriegsverhältnissen angepaßten Produktionsdispositionen der Werke gestört. Es wurde immer schwieriger, den Bedarf nach Frist und Menge zu befriedigen, und die Notwendigkeit staatlichen Eingreifens ward geradezu Bedürfnis. Das Beschaffungs- und Lieferungswesen führte also allmählich die Zentralbehörden doch von der Peripherie der Eisenwirtschaft in das eigentliche engere Gebiet der Eisenbewirtschaftung hinein.

Abzweigung der Eisensektion in der Kriegsrohstoffabteilung Es erschien zweckmäßig, in der Eisenbewirtschaftung die von der Kriegsrohstoffabteilung bisher geübte Beschränkung auf „Rohstoffe“ (im Gegensatz zu Halb- und Fertigerzeugnissen) fallen zu lassen. Das Gebiet des Eisens konnte von der Basis des Roheisens aus nicht beherrscht werden, da nur etwa ein Viertel bis ein Fünftel der gesamten Roheisenproduktion durch den Roheisenverband auf dem Markt vertrieben wurde, während die gesamte übrige Menge von den Erzeugern selbst in den gemischten Werken (meist sogar flüssig) zu Stahl weiter verarbeitet wurde. So war auch die Roheisenverteilungsstelle in Spandau bei der Kontrolle des Roheisenverbrauchs nicht bis zu den Großbetrieben der Stahlindustrie vorgedrungen, sondern hatte neben den Gießereien bestenfalls noch gerade die reinen Stahlwerke erreicht, die Roheisen von Dritten kaufen mußten. Je mehr aber die Graugußgranate an unmittelbarer Kriegsbedeutung verlor und der Stahlbedarf in den Vordergrund trat, desto dringender wurde es, die Regelung der Produktions- und Absatzverhältnisse der gesamten Eisenindustrie in einer Hand zu vereinigen. Nach einigem Widerstand erklärten sich in den ersten Maitagen 1916 die Zivilämter (zuständig waren das Reichsamt des Innern, das Reichsschatzamt, das preußische Handelsministerium und das preußische Ministerium der öffentlichen Arbeiten) mit der Führung der Eisenwirtschaft durch die Heeresverwal-



C Wandlungen des Kriegsbedarfs und Aufbau der zentralen Organisation 

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tung einverstanden; sie beschränkten sich auf eine laufende Information und eine Beteiligung von Fall zu Fall, wie es bei den anderen Kriegsrohstoffen bereits üblich war. Zur gleichen Zeit einigten sich die Kriegsrohstoffabteilung und die Feldzeugmeisterei darüber, daß zweckmäßig die gesamte Organisation in der Kriegsrohstoffabteilung aufgebaut wurde. Es mußte nämlich als notwendig erachtet werden, nicht nur den Bedarf der Feldzeugmeisterei sicherzustellen, sondern gegebenenfalls einen Ausgleich zwischen den Anforderungen der Beschaffungsstellen des Heeres, der Marine, der Post und der Eisenbahn miteinander und schließlich mit dem volkswirtschaftlich notwendigen mittelbaren Kriegsbedarf herbeizuführen. Um nun einerseits eine Stockung in den Materiallieferungen durch die Umorganisation zu vermeiden und andrerseits bewährte Grundsätze der bisherigen Wirtschaftsführung weiter verwerten zu können, wurde die Roheisenverteilungsstelle in Spandau in die Kriegsrohstoffabteilung übernommen und um sie als Stamm eine neue Sektion der Kriegsrohstoffabteilung geschaffen. Die Einrichtung einer besonderen Eisensektion erschien mit Rücksicht auf die Größe dieses neuen Wirtschaftsgebietes und auf die große Belastung der Metallsektion mit prinzipiell anders gearteten Aufgaben zweckmäßig. Die Leitung der Eisensektion wurde in Personalunion mit der Leitung der Schutzverwaltung in Metz verbunden. So war fürs erste eine reibungslose Überführung der bisherigen Organisationen in die Zentralbewirtschaftung glücklich gelöst. Die Neuorganisation datiert seit dem 1. Juli 1916, dem Tage des Ausbruchs der Sommeschlacht. Während sich unter der „Sektion Metalle“ die Bewirtschaftung von Eisen auf Erze und andere Rohstoffe, unverarbeitetes Eisen und Schrott, beschränkt hatte, wurde das Arbeitsfeld der Eisensektion auch über die Bewirtschaftung von verarbeitetem Eisen — sowohl Halbzeug als auch Fertigfabrikate — ausgedehnt und die Preisregelung auf dem Eisenmarkt in den Kreis ihrer Tätigkeit einbezogen. Außer Eisen sollte die neue Sektion auch noch Mangan, Silizium und feuerfeste Steine bewirtschaften. Von den bisherigen Wirtschaftsorganen ging die Roheisenverteilungsstelle ohne weiteres auf die Eisensektion über, während die Manganverteilung weiter unter Mitwirkung des Kriegsministeriums von der Schutzverwaltung und deren Zweigstelle, der Manganversorgungsstelle in Düsseldorf, vorgenommen wurde. Die bisher von der Metallmeldestelle erfolgte Verteilung von Ferrosilizium wurde ebenfalls völlig von der Eisensektion übernommen.

Aufnahme zentralistischer Bewirtschaftungsmaßnahmen Ähnlich wie schon im Dezember 1915 die Preisfrage das Interesse der Behörden für die Eisenwirtschaft erregt hatte, so trat auch jetzt das Preisproblem in den Vordergrund der von der Eisensektion der Kriegsrohstoffabteilung aufgegriffenen Maßnahmen. Die junge Organisation stand einer Aufgabe gegenüber, die sich zunächst in

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ihrem Umfange jedem Überblick entzog. Irgendwelche Vorarbeiten für eine zentrale Eisenbewirtschaftung in dem geplanten Umfange waren weder im Frieden noch auch während der ersten Kriegsjahre getroffen worden. Aus dem Beispiel der übrigen Fachsektionen der Kriegsrohstoffabteilung waren nur wenig Anregungen zu schöpfen, da die dort in der Regel übliche Spar- und Ersatzstoffwirtschaft sich in keiner Weise auf das Eisen übertragen ließ. Die Eisensektion mußte also notgedrungen irgendeine ihr als besonders wichtig erscheinende Aufgabe herausgreifen und versuchen, von hier aus langsam die Organisation über das Gesamtgebiet auszuweiten. Es muß dahingestellt bleiben, ob es richtig war, gerade die Preisregelung als erstes Problem aufzunehmen. Wie im allgemeinen der Preis die Resultante aus sämtlichen wirtschaftlichen und technischen Einflüssen, denen ein Produkt unterliegt, darstellt, so sind mit der autoritativen Behandlung der Preise eine ganze Reihe von anderen Problemen (wie Höhe des Bedarfs und seine Zusammensetzung, Art und Veränderung der Produktionsbedingungen, Lage und Organisation des Marktes u. a. m.) verknüpft, deren Klarstellung zweckmäßig vorher erfolgt sein muß. Es tritt sonst zu leicht der Zustand ein, daß jene anderen — auch den Preis bestimmenden — Faktoren unkontrolliert bleiben und jede Preispolitik immer wieder außer Wirkung setzen. Der wesentlichste Grund für das Steigen der Preise mußte in der wachsenden Knappheit der Bedarfsdeckung erblickt werden. In zweiter Linie in dem illegitimen, während des Krieges groß gewordenen Händlertum und dem Kettenhandel. Beiden suchte man nun durch eine scharfe Kontrolle des Eisen- und Stahlverbrauchs zu begegnen, die um so besser durchführbar wurde, als die große Dringlichkeit des Kriegsbedarfs überdies immer mehr zu direkten Werksbestellungen und zu einer immer größeren Ausschaltung des Zwischenhandels führte. Unter dem Gesichtspunkt der Eisenknappheit wurde es im Laufe der Zeit doch sehr mißlich, daß große Mengen von Eisen und Stahl ins Ausland gingen. Die Gründe, die zunächst zur Aufnahme des Außenhandels geradezu zwangen, sind bereits dargelegt. Die Möglichkeit der politischen Auswertung dieser Ausfuhr und gleichzeitig die Rücksicht auf die Valuta ließ die Aufrechterhaltung der Eisenausfuhr den beteiligten Stellen (Reichsamt des Innern, Kriegsministerium, Auswärtiges Amt, Oberste Heeresleitung) zunächst so erwünscht erscheinen, daß man sogar daran dachte, die Industrie im Jahre 1916 zu einer Verdoppelung der Eisenausfuhr des Vorjahres anzuregen. Erleichterung der Ausfuhr, wie z. B. die völlige Öffnung der Schweizer Grenze für Halbzeug, waren die Folge. In der Kriegsrohstoffabteilung wurde man sich jedoch nunmehr der Widersinnigkeit solcher Maßnahmen zu einem Zeitpunkt gesteigerten Inlandsbedarfs bewußt. Man forderte den Erlaß eines lückenlosen Ausfuhrverbots, das die Möglichkeit einer Ausfuhrkontrolle bieten konnte, eine Zentralisierung der Ausfuhrbewilligungen, die bisher von der großen Zahl der Zentralstellen für Einund Ausfuhrbewilligung unter dem Reichsamt des Innern wenig einheitlich gegeben worden waren, und schließlich eine Neuorganisation der Ausfuhrbewilligungserteilung mit einer Zentralstelle im Kriegsministerium. Die Eisensektion dachte dabei an die Errichtung einer Kriegsgesellschaft, „Eisen- und Stahlzentrale“ mit einem



C Wandlungen des Kriegsbedarfs und Aufbau der zentralen Organisation 

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Monopol für die Eisenausfuhr. Die Auseinandersetzung zwischen Kriegsministerium und Reichsamt des Innern, zwischen „Kriegsbedarf“ und „Valutafrage“, dauerte nicht weniger als acht Monate an und wurde erst am 1. Februar 1917 durch eine Entscheidung der neuen Obersten Heeresleitung zugunsten des Kriegsministeriums beigelegt. Die Eisenindustrie faßte schon 14 Tage nach dem Ausbruch der Sommeschlacht in richtiger Würdigung der Lage freiwillig den Beschluß, die weitere Ausfuhr von Eisen überhaupt zu unterlassen. Seit der Sommeschlacht mußte sich infolgedessen die Politik der Kriegsrohstoffabteilung in diesem Punkt gerade umgekehrt einstellen als im Juni 1916. Hatte sie bis dahin ihre Aufgabe in einer Eindämmung der Ausfuhr sehen müssen, so bildete nunmehr die Wiederaufnahme und Förderung der Ausfuhr, allerdings nur in einem den politischen Notwendigkeiten entsprechenden genau festgelegten Maße, ein von der Kriegsrohstoffabteilung und der Obersten Heeresleitung mit gleicher Nachdrücklichkeit verfolgtes Problem. In der Preisregelung selbst konnte die Eisensektion auf einer Reihe von Gebieten Erfolge erzielen. So wurden zunächst einmal alle Syndikate darauf verpflichtet, keine weitere Preiserhöhung ohne ausdrückliche Zustimmung der Kriegsrohstoffabteilung hinfort vorzunehmen. Ferner wurden die langfristigen Lieferungsverträge, die den Anlaß zu ungeregelter Preisentwicklung bei den Siegerländer und nassauischen Erzen gegeben hatten, so abgeändert, daß gleichmäßig alle Abnehmer einen den Mehraufwendungen der Gruben entsprechenden Anteil an der Preiserhöhung trugen und so eine einseitige Belastung der freien Marktpreise verhindert wurde. Eine Ausgleichung der nominellen Stahlpreise an die auf dem Markt tatsächlich bezahlten Preise durch den Stahlwerksverband im Juni 1917 konnte die Kriegsrohstoffabteilung allerdings nicht verhindern. Auf das weite Gebiet der verbandfreien B-Produkte gelang es ihr zunächst mangels jeglicher Unterlage überhaupt nicht, Einfluß zu nehmen. Der Versuch einer Regelung der Granatstahlpreise, für den sich die Eisensektion mit besonderem Eifer einsetzte, schlug fehl. Die Preispolitik, die von der neugegründeten Sektion befolgt wurde, sollte von einer Ermittlung der Selbstkosten ihren Ausgang nehmen. Man hoffte dadurch die tatsächlichen Unterlagen der Preisbildung zahlenmäßig erfassen zu können, um dann von der Festlegung der Rohstoffpreise über die Normierung eines mäßigen Gewinns zur Bestimmung der Selbstkosten und von da wieder unter Anschluß angemessener Aufschläge für die Weiterverarbeitungskosten, Werks- und Händlergewinne zu festen Fertigfabrikatspreisen zu gelangen. Dieser Weg erwies sich als praktisch ungangbar. Die von den Werken für ihre einzelnen Produkte angegebenen Selbstkosten gaben kein einheitliches Bild.5 Sie waren je nach Art und Lage der Unternehmungen durchaus verschieden. Außerdem fehlte es an einer genauen und eindeutig überall anwendbaren Formel für die Bestimmung der Selbstkosten überhaupt. Diese Angelegenheit war bereits vor dem Kriege Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen

5 S. a. Seite 100f.

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gewesen und wurde auch während des Krieges — zuletzt mit besonderem Nachdruck anfangs 1918 — eingehend verfolgt, ohne daß es gelungen wäre, etwas Allgemeingültiges zu schaffen. Solange der Begriff Selbstkosten nicht festgelegt war, also jeder unter Selbstkosten einbegreifen konnte, was er wollte, war von einer Enquete hierüber nichts zu erwarten. Auch in England und Amerika hat man die gleichen Erfahrungen gemacht und eine unfruchtbare Selbstkostenmathematik für Eisen und Stahl unterlassen. Auf produktivem Gebiet wurden die bereits von der Schutzverwaltung und der Manganversorgungsstelle eingeleiteten Unternehmungen weitergeführt. Die Erzförderung der Schutzverwaltung hob sich im Mittsommer 1916 auf etwa die dreifache Höhe des Vorjahres (rd. 450 000 t), auch der Binger Manganerzbau erreichte ein Mehr von zwei Fünfteln der Vorjahresproduktion. Die Roheisen- und Rohstahlproduktion erzielten in den Sommermonaten Spitzenleistungen, die auch im weiteren Verlauf des Krieges nicht mehr wesentlich überschritten worden sind. Sie betrugen beim Roheisen 75% der Friedenserzeugung (bezogen auf das erste Halbjahr 1914), beim Stahl sogar über 90% der Friedensleistung. Bei den Walzprodukten stand man auf 80% der Friedensproduktion. Diese günstigen Zahlen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Ausnutzung der Eisenindustrie für die Kriegführung noch immer völlig unzulänglich war. Von der Gesamtproduktion zersplitterte sich ein erheblicher Teil auf zahlreiche Verbrauchsgebiete, wo ein unmittelbarer oder auch nur mittelbarer Kriegsbedarf nicht vorlag, während außerdem eine nicht unbeträchtliche Menge über die Reichsgrenze ins neutrale Ausland ging. Die Verschärfung der Schrottlage, die ihren Ausdruck in einem ungewöhnlichen Aufwärtsschnellen der Schrottpreise fand, bedeutete zudem eine sichtliche Gefahr für die Durchhaltung der Stahlproduktion, während auch die Oberste Heeresleitung, getrieben von den unerhörten Mannschaftsverlusten an der Somme, eine weitere Schwächung der industriellen Heimatsarmee nicht umgehen zu können glaubte.

Vom Somme-Programm zum Hindenburg-Programm Die Lage in der Eisenwirtschaft war aufs äußerste gespannt, sie wurde jedoch noch immer nicht in ihrem vollen Umfang erkannt. Planmäßig hatte zwar das Kriegsministerium in Anlehnung an die erreichbare Sprengstofferzeugung eine Steigerung der Munitionsfertigung in die Wege geleitet. Man war so von 3,5 Mill. Kilogramm Pulververbrauch im November 1914 über 4,5 Mill. im Dezember 1914 und 6 Mill. bzw. 8 Mill. (Februar 1915 und Dezember 1915) auf ein 10-Mill.-Programm im Juli 1916 gekommen. Aber die ausführenden Stellen waren — hauptsächlich auch durch die Rücksicht auf die engen Grenzen der Kriegsfinanzierung — zu sehr gebunden, als daß sie wagemutig vorausschauend Arbeitskräfte und Kapitalien investieren und riskieren konnten, um Produktionsreserven über den unmittelbaren Bedarf hinauszuschaffen. Die Bedeutung des Eisens als Baustoff wurde so gegenüber seiner Bedeutung als Waffen- und



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Ausrüstungsmaterial zu gering eingeschätzt und dadurch eine erhebliche Schwächung der allgemeinen Eisenwirtschaft verursacht. Erst das unerhörte feindliche Trommelfeuer führte zu einer grundsätzlichen Änderung. Nicht ohne Überstürzung wurde ein neues Rüstungsprogramm, das Somme-Programm, aufgestellt. Der heimischen Stellen bemächtigte sich eine fieberhafte Tätigkeit. Eine wilde Konkurrenz unter den verschiedenen Beschaffungsstellen brach aus, durch Preisüberbietungen, durch gegenseitige Materialsperren und andere mehr oder weniger versteckte Mittel versuchte jede Beschaffungsstelle ihren jeweils als besonders dringlich angesehenen Bedarf bei der Industrie unterzubringen. Zur selben Zeit aber machte die Eisensektion der Kriegsrohstoffabteilung den erwähnten ersten Versuch, Ordnung in die Eisenpreise zu bringen und eine technisch durchdachte Preispolitik aufzubauen. Die verschiedensten Interessen schwirrten also durcheinander und kämpften gegeneinander an, die Verwirrung in der Eisenwirtschaft war ungeheuer. Ganz plötzlich, ohne jeden Übergang, hatte die Heeresverwaltung den Kurs geändert. Produktion um jeden Preis war die Losung. Diese Überspannung war ungesund. Was von langer Hand seit mehr als Jahresfrist hätte vorbereitet sein müssen, sollte nunmehr in wenigen Wochen durchgesetzt werden. Die Kriegsrohstoffabteilung griff unter Oberst Koeth das Somme-Programm mit gewohnter Aktivität auf. Der nunmehr vorzüglich eingespielte Apparat der Rohstoffbewirtschaftung wurde in rastloser Arbeit umgestellt und ergänzt, so daß sehr bald das Gleichgewicht in der Rohstoffversorgung wiederhergestellt war. Ein voller Einklang mit den Maßnahmen der Feldzeugmeisterei und der anderen Beschaffungsstellen konnte jedoch zunächst nicht erreicht werden. Es fehlte noch der mächtige Impuls, der später im Hindenburg-Programm wirksam wurde, und der es nach längeren Auseinandersetzungen endlich im Winter 1916/17 möglich machte, eine Vereinheitlichung des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl durchzusetzen. Die Eisensektion zeigte sich zudem so weit gezogenen Aufgaben noch nicht gewachsen, wobei die Personalunion der Sektionsleitung in Berlin und der Schutzverwaltung in Metz mit ihrer notwendigen Kräftezersplitterung erschwerend ins Gewicht fiel. Dieser Umstand drängte zu der Lösung dieser Verknüpfung zweier räumlich so weit voneinander getrennter und in ihren Aufgaben so durchaus verschiedener Dienstobliegenheiten, die dann durch eine Neubesetzung der Berliner Stelle am 1. Oktober 1916 durchgeführt wurde. Das Reichsamt des Innern und namhafte Eisenindustrielle wurden inzwischen bei der Obersten Heeresleitung wegen einer Neuorganisation der Materialbestellung für die Kriegsführung vorstellig. Sie vermochten sich jedoch nicht gebührend Gehör zu verschaffen. Am 23. August 1916 faßte der Verein deutscher Eisenhüttenleute seine Bedenken über das bisherige Verfahren und seine Vorschläge in einer Denkschrift zusammen, aus der die beachtenswertesten Sätze hier folgen: Die Beschaffung des Stahlmaterials für die Artilleriemunition aller Art war, nachdem die bekannte Krise im Herbst 1914 überstanden und die geringwertige Aushilfsmunition in Gestalt

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von Graugußgranaten durch ausreichende Lieferung von Stahlgranaten, namentlich gepreßter Granaten, wieder aus dem Gebrauch in der Front ausgeschaltet werden konnte, in ein schnelles, aber verhältnismäßig gleichmäßiges Fahrwasser getreten. Nicht weniger als 93 Werke gegenüber 7 bei Kriegsausbruch verfügten mittlerweile über 380 Pressenpaare... Es gelang auch verhältnismäßig schnell, die erheblichen Fabrikationsschwierigkeiten zu überwinden, die naturgemäß bei den vielen Firmen sich zeigen mußten, die mit der Behandlung von Eisen im Feuer bisher nicht vertraut waren. Auch die Verteilung und Lieferung des Rohstahls bzw. der Stahlblöckchen war im allgemeinen überall befriedigend... Die Vermittlertätigkeit des Vereins wurde sehr erschwert durch das langsame und bureaukratische Verfahren der Behörden. Es wird dies gekennzeichnet durch die Tatsache, daß im Anfang Januar d. J. die Feldzeugmeisterei von uns gebeten worden war, die auf verschiedenster Grundlage mit den 93 Werken abgeschlossenen Verträge rechtzeitig unter einen Hut zu bringen und zu erneuern, da sie bis zum 1. Juli d. J. abliefen. Die endgültige Formulierung ist bis heute noch nicht abgeschlossen, und die Preßwerke arbeiten jetzt ohne Verträge, nur auf Grund der Vermittlung durch den Verein deutscher Eisenhüttenleute, ein Zustand, der naturgemäß viele Mißhelligkeiten mit sich bringt und durch promptere Erledigung im Kriegsministerium hätte vermieden werden können ... Gleichzeitig trat im Juli d. J. bei einigen Preßwerken zum erstenmal Mangel an geschnittenen Siemens-Martin-Blöckchen auf, hauptsächlich durch Steigerung der Pressenleistung und durch Facharbeitermangel bei den Stahlwerken veranlaßt. Eine weitere Schwierigkeit zur Beschaffung von Siemens-Martin-Blöckchen für Artilleriegeschosse zeigte sich in dem Wettbewerb, mit dem das Ingenieur-Komitee durch erhöhte Anforderungen für Wurfminen in Erscheinung trat. Während die Feldzeugmeisterei die Beschaffung des Stahles für die hohlgebohrten Geschosse — die kleinen Minen sind nichts anderes wie hohlgebohrte Geschosse — selbst in die Hand genommen hat, einheitliche Preise den Lieferwerken zahlt, den Stahl abnehmen läßt, dadurch die Gewähr für die Qualität erhält und den Stahl an die bearbeitenden Maschinenfabriken liefert, bezieht das Ingenieur-Komitee die fertigen Minen, überläßt die Beschaffung des Stahles den Lieferwerken, ja bis vor kurzem wurden die Minen nicht einmal einem Probeschuß unterworfen, und heute ist es noch so, daß der Probeschuß nicht einmal schmelzungsweise vor sich geht. Außer den technischen Bedenken eines solchen Verfahrens tritt in Zeiten der Hochflut von Anforderungen, wie sie jetzt über die Industrie hereingebrochen ist, noch die üble Erscheinung auf, daß die Hersteller der Wurfminen sich den von ihnen benötigten Wurfminenstahl um jeden Preis im Wettbewerb gegen Thomas-Rundstahl oder Preßgranaten zu beschaffen suchen, ein Zustand, der unter allen Umständen bei den vergebenden Stellen zu vermeiden ist... Die Industrie selbst kann bei den eingeschränkten Arbeitsverhältnissen auch bei den höchsten Anstrengungen der einzelnen und der Gesamtheit nicht über ein gewisses Maß hinaus Leistungen erzielen. Es ist von maßgebender Stelle aus einheitlich festzustellen, was und in welchem Umfang wichtiger ist, die Lieferung von Granatstahl oder Wurfminenstahl oder die gleichzeitig verlangte starke Anlieferung von Halbzeug für Draht oder sonstige ähnliche Bedürfnisse. Es ist zu befürchten, daß bei dem heutigen System der Vergebungen, dem die Einheitlichkeit fehlt, bei der einen oder anderen Abteilung die Fehlmengen bedrohlich wachsen, während bei der anderen Abteilung der augenblickliche Bedarf vielleicht reichlich gedeckt ist. Es kommen für die Bedürfnisse der verschiedenen Beschaffungsstellen fast überall dieselben Fabrikationsstätten in Betracht; es gilt dies nicht nur für die obengenannten Materialien, sondern auch für Geschütze aller Art und für Maschinengewehre, Minenwerfer u. dgl. sowie für die Maschinenfabriken, die die Werkzeugmaschinen herstellen und die Bearbeitung der Zwischenfabrikate übernehmen müssen. Daß durch eine solche einheitliche Vergebung die Leistungen gefördert, ja gleichzeitig erhebliche Ersparnisse in der Fabrikation, Transport usw. erzielt werden können, kann nur angedeutet werden... Es könnte eine Behörde geschaffen werden, an deren Spitze ein höherer Offizier stände, der in Verbindung mit Vertretern aus den verschiedenen Abteilungen des Kriegsministeriums bzw.



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Vertretern aus den dem Kriegsministerium nachgeordneten Stellen, die jetzt nicht nur nebeneinander, sondern nachweisbar gegeneinander arbeiten, für Vereinheitlichung der Vergebungen zu sorgen hätte. Zu erwägen wäre, diesem Leiter der Beschaffungsstelle eine allererste Kraft aus der Industrie koordiniert zur Seite zu setzen. Das neue Amt müßte indessen mit entsprechender Vollmacht versehen werden, aber natürlich von vornherein sein Augenmerk darauf richten, daß es nicht verlangsamend auf den Geschäftsgang, sondern nur zusammenfassend einwirkt und auch nicht nur innerhalb der Militärbehörden, sondern auch in enger Zusammenarbeit mit der Industrie seinen Wirkungskreis sucht.

Während diese Unterhandlungen noch schwebten, erklärten Italien und Rumänien an Deutschland den Krieg (27. August 1916). Fast unerträglich schwer lastete die Sommeschlacht noch immer auf dem Westen, während im Osten schwache deutsche Kräfte vor der verantwortlichen Aufgabe standen, eine riesenlange Front gegen schwere russische Angriffe zu halten und dem hartbedrängten Bundesgenossen helfend zur Seite zu stehen. Der Eintritt Rumäniens in den Krieg trieb die militärische, politische und wirtschaftliche Lage auf die Spitze. Angesichts dieser Gesamtlage wurde auch vom Standpunkt der Kriegseisenwirtschaft aus die Neubesetzung der Obersten Heeresleitung durch Generalfeldmarschall von Hindenburg und General Ludendorff am 28. August 1916 mit den größten Hoffnungen begrüßt. Nur höchste Entschlossenheit und Tatkraft konnten die verwirrten Verhältnisse in der Munitionsversorgung klären und in ein arbeitsfähiges System bringen. Der letzte Augenblick, mit Aussicht auf Erfolg die seit Kriegsbeginn am Boden schleifenden Zügel aufzunehmen und die militärische Kriegführung wirtschaftlich-technisch durch das Eisen zu sichern und zu stützen, war gekommen. Ein noch längeres Hinauszögern durchgreifender Maßnahmen mußte noch im Winter zum Zusammenbruch führen. Das konnte jeder Sachverständige mit fast mathematischer Sicherheit damals vorausberechnen. Mit voller Deutlichkeit erkannte die neue Oberste Heeresleitung, daß mit halben Maßnahmen kein Umschwung herbeigeführt werden könne. Nur restlose Anspannung aller produktiven Kräfte der Eisenindustrie wie ganz Deutschlands vermochte die zerfahrene Situation noch zu retten. Die Feststellungen des ersten Generalquartiermeisters über Kampfmethoden, Munitions- und Ausrüstungsbedarf verdichteten sich in den Septembertagen 1916 zu einem großen Rüstungs-Programm, das den Namen Hindenburg-Programm erhielt. Für die Eisenwirtschaft bedeutete die dem Hindenburg-Programm zugrunde liegende Idee schlechthin eine befreiende Tat und den endgültigen Übergang zu der den Eigentümlichkeiten der Eisenwirtschaft allein gerecht werdenden Bewirtschaftungsmethode. Endlich war der Eisenwirtschaft der solange entbehrte Richtungspunkt gegeben, der allen von Industrie und Behörden zu ergreifenden Maßnahmen Einheitlichkeit und Zielklarheit verlieh. Auf allen Gebieten der Eisenwirtschaft wurde nun das entscheidende Gewicht auf eine möglichste Hebung der Produktion und eine möglichst ökonomische Verteilung dieser Produktion auf die wichtigsten Bedarfskanäle gelegt. Die Eisenbewirtschaftung trat dadurch aus dem Zustand tastender

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Versuche heraus und wurde davor bewahrt, sich weiterhin auf zwar an sich bedeutsame, aber gegenüber den lebenswichtigen Aufgaben der Kriegführung nur sekundäre Arbeiten zu zersplittern. Die Deckung des Kriegsbedarfs wurde zum Leitmotiv aller Handlungen. Die gewaltsame Zusammenfassung aller Kräfte war so spät erfolgt, daß man allerdings manche volkswirtschaftlichen Unregelmäßigkeiten — keinesfalls solche grundstürzender Art — in Kauf nehmen mußte, solange man hoffen durfte, durch die erzielte Intensivierung des Wirtschaftslebens eine Niederlage im Weltkrieg abwenden zu können. Der Sieger im Weltkrieg war auf jeden Fall dem Unterlegenen in der Möglichkeit, die Schäden der rücksichtslos geführten Kriegswirtschaft wieder auszugleichen, um vieles voraus.

Die Zentralorgane für die Eisenbewirtschaftung Die Aufstellung des Hindenburg-Programms führte zu einer nochmaligen Erweiterung des Aufgabenkreises der Eisensektion, die nunmehr völlig getrennt von der Metzer Schutzverwaltung geleitet wurde. Die Regelung der gesamten Produktion, einschließlich der Beschaffung der Rohstoffe, und die Verteilung der Produktion nach völlig einheitlichen Gesichtspunkten, damit eine Reorganisation des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl wurde ihr übertragen. Eine solch breite Aufgabe verlangte naturgemäß eine ganze Reihe von arbeitsfähigen Organen, die dann auch im September und Oktober fast aus dem Nichts heraus geschaffen wurden. Die damals ins Leben gerufenen amtlichen und halbamtlichen Organisationen haben sich im weiteren Verlauf des Krieges durchaus bewährt und bei der Lösung der gestellten Aufgaben in der Regel das Beste geleistet, was den Umständen nach erreicht werden konnte. Die Versäumnisse der ersten beiden Kriegsjahre konnten sie allerdings nicht überall wieder wett machen; die Eisenbewirtschaftung wurde von dort aus während ihrer ganzen Wirksamkeit stellenweise schwer belastet. Wenn es trotzdem gelungen ist, den Heeresbedarf im Rahmen des Möglichen ausreichend zu versorgen, so ist dies neben anderem der Eisenindustrie selbst zu danken, die in vollem Erfassen der Lage die Heeresverwaltung bei ihren Maßnahmen aufs sachverständigste unterstützt und ihre Organisation und ihre Leistungsfähigkeit restlos in den Dienst der Sache gestellt hat. Einzelvorkommnisse trübten natürlich auch hier das Gesamtbild; manche von den allgemeineren Unstimmigkeiten fallen zudem teilweise auf bureaukratische Hemmungen in der Heeres- und Marineverwaltung zurück, wo sich ein gewisser „Ressortpatriotismus“ bis zum Kriegsende aufrechterhielt. Auch beim Aufbau der Eisenorganisation griff die Kriegsrohstoffabteilung auf ein Prinzip zurück, das sich in der übrigen Rohstoffwirtschaft bisher bewährt hatte. Es war der bereits von Rathenau vorgeschlagene und vom Oberst Koeth sachgemäß verwirklichte Grundgedanke der Trennung von Initiative und Exekutive. Die Sektionen der Kriegsrohstoffabteilung hatten hiernach eine rein verwaltungsmäßige Tätigkeit und waren mit der Durchführung der von ihnen aufgestellten Wirtschaftspläne nicht



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belastet. Die kommerzielle Ausführung der Anordnungen der Sektionen lag bei den Kriegsgesellschaften, die je nach Bedarf den Sektionen angegliedert wurden. Es war dadurch vermieden, daß die schwerfällige Kameralorganisation die schnelle Durchführung kriegsnotwendiger Maßnahmen verzögerte und für eine Auswirkung eines gewissen praktischen Unternehmergeistes auch in der Behörde freie Bahn geschaffen. Auch der Eisensektion wurden in folgerichtiger Weiterentwicklung dieses Gedankens derartige Wirtschaftskörper angegliedert. Infolge der unentschiedenen Auseinandersetzungen mit dem Reichsamt des Innern über die Gestaltung der Eisenausfuhr war der Gedanke an die Gründung einer „Eisen- und Stahlzentrale“ mit Ausfuhrmonopol vorläufig auf unbestimmte Zeit zurückgestellt worden. Die Erweiterung der Aufgaben der Eisenorganisation führte dazu, daß unabhängig von diesem ersten Plan die Einrichtung einer „Eisenzentrale“ und gleichzeitig einer „Manganstudiengesellschaft“ erwogen wurde. Wenn man den Gesamtaufgabenkreis der von der Eisensektion abhängigen praktischen Wirtschaft auf zwei voneinander unabhängige Gesellschaften verteilte, so sprach dabei in erster Linie der Umstand mit, daß bei den betreffenden Fragen verschiedene Kreise der Industrie beteiligt waren. Die Eisenindustrie stand aber dem Aufbau der Zentralorganisation mit einem gewissen Mißtrauen gegenüber, da sie ohne Kenntnis der Einzelheiten die Befürchtung hegte, daß für das Eisen eine ähnlich straffe und monopolartige Bewirtschaftung in Aussicht genommen sei, wie etwa für die Metalle. Erst nachdem sie davon überzeugt worden war, daß vernunftgemäße Erkenntnis der tatsächlichen Besonderheiten der Eisenwirtschaft bei der Entwicklung der Organisation gebührende Rücksicht fand, schwand dieses Mißtrauen und wandelte sich in aktive Mitarbeit um. Angesichts einer solchen Haltung der Industrie war es nicht unangebracht, mit dem Aufbau der Organisation dort zu beginnen, wo auch bei der Industrie der dringende Bedarf voll anerkannt wurde, nämlich bei der Manganbeschaffung. Hier waren die Verhältnisse für eine Gesellschaftsgründung besonders günstig, da ein allgemeines Bedürfnis zu befriedigen war und Reibungen mit anderen Behörden u. dgl. nicht zu befürchten waren. Auch war die Aufgabe, das Territorium der Mittelmächte nach Manganerzvorkommen zu durchforschen und auf aussichtsreichen Lagerstätten den Bergbau zu eröffnen, so klar umrissen und leicht zu übersehen, daß eine Einigung ohne weiteres möglich war. Man kam infolgedessen sehr schnell — bereits am 14. September 1916 — zur Gründung der „Manganerzgesellschaft“. Schwieriger war es, die Industrie zur Mitarbeit für die Schaffung der eisenwirtschaftlichen Gesellschaft zu gewinnen. Hier brachte es die Wirtschaftslage mit sich, daß eine übersehbare Aufgabenstellung von vornherein überhaupt nicht möglich war. Die Industrie konnte also immerhin argwöhnen, daß sich hinter der neuen Kriegsgesellschaft eine Monopolorganisation, wie bei den meisten anderen Kriegsgesellschaften, verberge, die ganz offenbar die Situation in der Eisenwirtschaft nicht erleichtert, sondern im Gegenteil beträchtlich erschwert haben würde. Eingehende Besprechungen am 14.–21. September führten jedoch auch hier zu einer Verständigung, so daß am 12. Oktober 1916 die „Eisenzentrale“ ins Leben treten konnte.

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Diese übernahm dann von dem Gründungskapitel der Manganerzgesellschaft mehr als die Hälfte, so daß damit die aus taktischen Gründen vorgenommene Aufstellung der zwei Eisenrohstoffgesellschaften wieder zu einer Vereinheitlichung führte. Die Homogenität wurde dazu noch dadurch erhöht, daß beide Gesellschaften sowohl in der Geschäftsführung durch Personalunion miteinander verknüpft waren, als auch dadurch, daß beiden Gesellschaften der gleiche Kommissar des Kriegsministeriums als Aufsichts- und höchstes Verwaltungsorgan vorgesetzt war. Gleichzeitig mit der Eisenzentrale wurde die „Rohstahlausgleichsstelle“ errichtet, die zwischen den Bedarfsanforderungen der Beschaffungsstellen und den Möglichkeiten der Produktion zu vermitteln hatte, und dabei durch Verbrauchseinschränkung das wettmachen mußte, was die Produktion nicht mehr hergeben konnte. In sie ging die sinngemäß ausgestaltete Roheisenverteilungsstelle über, und auch ihr stand ein Kommissar des Kriegsministeriums vor. Sie war eine rein behördliche Stelle, die mit der Eisensektion und dem Kommissariat der Eisenzentrale zusammen den Komplex des Berliner Eisenorganismus darstellte. Diesem geschlossenen Organisationskörper erstand draußen bei der Industrie in dem Deutschen Stahlbund ein Gegenpol. Die Notwendigkeit eines schärferen Zusammenschlusses der gesamten Eisenindustrie hatte sich bereits Mitte August ergeben, als die Heeresverwaltung plötzlich mit dem Somme-Programm an die nicht einheitlich organisierte Eisenindustrie herangetreten war. Die damals geschöpften Anregungen wurden im September weiter ausgebaut und führten dann auf Veranlassung der Kriegsrohstoffabteilung am 4. Oktober 1916 zur Gründung des „Deutschen Stahlbundes“. Diese industrielle Organisation trug allerdings den gleichen Namen, der in Verfolgung der Syndizierung der gesamten Eisen- und Stahlproduktion im Frieden und das letztemal im Frühjahr 1915 aufgetaucht war. Der im Oktober gegründete Deutsche Stahlbund war jedoch ausschließlich als ein beschaffungstechnisches Organ gedacht, das der Heeresverwaltung bei der Unterbringung der Aufträge für Heeresbedarf und gleichzeitig bei Fragen eisenwirtschaftlicher Art beratend zur Hand ging. Die Verbindung zwischen Stahlbund und Kriegsrohstoffabteilung stellte ein Beauftragter des Kriegsministeriums her, der in gleicher Stellung beim Roheisenverband bereits seit Frühjahr 1915 tätig gewesen war. Bei aller weiteren Ausgestaltung der Organisation ist doch bis zum Kriegsende an diesen Grundformen nichts geändert worden, die in ihrer glücklichen Mischung behördlicher, kommerzieller und industrieller Elemente eine fachgemäße Bewirtschaftung des Eisens ermöglicht hat.



Die Organe der Zentralbewirtschaftung 

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Exkurs a Die Organe der Zentralbewirtschaftung Die Eisensektion der Kriegsrohstoffabteilung Mit dem 12. Oktober 1916 trat offiziell die Gesamtorganisation, die Sektion Eisen mit erweiterter Aufgabe, die beiden Kriegsgesellschaften „Eisenzentrale“ und „Manganerzgesellschaft“ unter einem geschäftsführenden Kommissariat, die „Rohstahlausgleichsstelle“ und der „Deutsche Stahlbund“ ins Leben. Der allmähliche weitere Ausbau dieser Stellen ergibt sich an Hand der Darstellung über die fernere Entwicklung der Kriegseisenwirtschaft. Im folgenden sei unter Ausschaltung des historischen Gesichtspunktes eine kurze Übersicht über die Organisation gegeben, wie sie sich nach Verlauf der weiteren zwei Kriegsjahre auf der Höhe ihrer Entwicklung im Jahre 1918 dargestellt hat. Wie der beigefügte Übersichtsplan zeigt, wurden die genannten Organe verwaltungsmäßig zu einer Unterabteilung („Eisen“) der Kriegsrohstoffabteilung zusammengefaßt. Entsprechend den grundlegenden Bestimmungen vom 12. Oktober 1916 übernahm die Kriegsrohstoffabteilung die Bewirtschaftung der Rohstoffe zur Herstellung von Eisen erster Schmelzung (Roheisen für die Stahlherstellung, Gießereiroheisen usw.), Eisen und Stahl zweiter Schmelzung (Rohstahl, Eisenguß u. dgl.) und der Zuschläge zum Stahlbad. Hierunter fielen Eisenerze aller Art, Kalk, feuerfeste Steine und Holzkohlen, Roheisen, Mangan, Silizium, Alteisen zum Einschmelzen (Schrott); Rohstahl, Halbzeug, Stahlformguß und Walzeisen (die sog. Fertigfabrikate der Eisenhüttenindustrie). In der Bearbeitung der hierauf bezüglichen Fragen teilten sich die Eisensektion, die Rohstahlausgleichsstelle und das Kommissariat der Eisenzentrale nach folgenden Grundsätzen: Die Eisensektion stellte den Plan für die Eisenbewirtschaftung auf, sorgte für dessen Durchführung, setzte die Maßnahmen zur Steigerung der Produktion fest, überwachte die Produktion und Rohstoffversorgung, regelte das Transportwesen, soweit es für Eisen und Stahl in Frage kam, und leitete die Preispolitik. Der Kommissar der Eisenzentrale führte dann den von der Eisensektion aufgestellten Wirtschaftsplan in bezug auf die Bereitstellung der Rohstoffe und deren richtige Verwendung durch. Die Rohstahlausgleichsstelle hatte unabhängig hiervon rein beschaffungstechnische Aufgaben. Dem erweiterten Aufgabenkreis der Eisensektion entsprach die große Reihe der im Übersichtsplan vermerkten Referate. Sie waren ohne Ausnahme durch berg- und hüttenmännisch technisch und wirtschaftlich vorgebildete Fachbeamte besetzt und boten eine große Sicherheit für sachgemäßes Arbeiten. Die Eisenorganisation ist von dilettierenden Auchfachleuten völlig rein geblieben. Je nach Bedarf arbeiteten die

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Referate der Eisensektion mit besonderen Außenorganen. Solche erwiesen sich als notwendig bei der Weißblechbewirtschaftung, wo die Eisensektion mit dem Beauftragten des Kriegsministeriums beim Stahlbund, Abteilung Feinbleche, in Essen Hand in Hand arbeitete, und bei der Bewirtschaftung der feuerfesten Steine und des Kalks. Hier war für die östliche und westliche feuerfeste Industrie in Berlin und Düsseldorf je ein besonderer Beauftragter des Kriegsministeriums tätig. Außerdem regelte eine besondere Magnesitverteilungsstelle die Verteilung des hauptsächlich aus Österreich eingeführten, nur in untergeordneten Mengen in Deutschland produzierten Magnesite an den Verbraucher. Mit der Beaufsichtigung der Kalkwirtschaft griff die Eisensektion erheblich über ihr eigentliches Arbeitsgebiet, teilweise sogar über das der Kriegsrohstoffabteilung hinaus, da auch der Kalkbedarf für die Landwirtschaft, für die chemische Industrie und für Bauzwecke zur Munitionsherstellung usw. von ihr aus mit beaufsichtigt wurde. Eine einheitliche Wirtschaftsführung war für alle diese Verbrauchszwecke nötig. Man sah es aber als zweckmäßig an, hierfür nicht eine neue Organisation zu schaffen, sondern diese dort zu konzentrieren, wo die Wirtschaft des weitaus größten Kalkverbrauchers geleitet wurde. So kam die Kalkbewirtschaftung zur Eisensektion. Für die Regelung der Kalkwirtschaft, insbesondere für die Beschaffung der Kohle und der Arbeiter für die Kalkindustrie und die Verteilung des Kalkes auf die wichtigsten Bedarfsgruppen bediente sich die Sektion Eisen eines Beauftragten für die deutschen Kalkwerke in Hannover. Der Eisensektion unterstanden fernerhin die Betriebe der früheren Schutzverwaltung in Metz, die sich nach mannigfachen Veränderungen aufgelöst hatte und bis zum Kriegsende in der Form zweier Kriegsgesellschaften der „Berg- und Hüttenverwaltung Hayingen GmbH.“ für den Betrieb der de Wendelschen Eisen- und Stahlwerke und der „Bergverwaltung Homécourt GmbH.“ für den Betrieb der französischen Erzgruben der früheren Schutzverwaltung weiterlebte. Die Verbindung mit der Kriegsrohstoffabteilung wurde in Hayingen durch ein militärisches Kommissariat bei der Berg- und Hüttenverwaltung aufrechterhalten.

Das „geschäftsführende“ Kommissariat Während sich bei zahlreichen anderen Organisationen der Kriegsrohstoffabteilung die Tätigkeit der Sektion und der Arbeitsbereich der von ihnen abhängigen Rohstoffgesellschaften scharf voneinander abhebt, ist eine scharfe Abgrenzung der Arbeitsgebiete der Sektion Eisen und der Eisenzentrale nicht ganz deutlich formuliert worden. Die Grenzen zwischen beiden Stellen sind fließend geblieben, und dies besonders aus dem Grunde, weil bei der Gründung der Eisenzentrale (und damit in gleicher Weise für die Manganerzgesellschaft wirksam) der Versuch gemacht wurde, durch die Art der Organisation private Interessenpolitik, wie sie bei manchen Kriegsgesellschaften in die Erscheinung getreten war von vornherein hintanzuhalten. Bei der Mehrzahl der



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Kriegsgesellschaften war nämlich die Direktion in ihrer gesamten Tätigkeit durchaus selbständig und selbstverantwortlich und wurde lediglich durch einen Kommissar des Kriegsministeriums „kontrolliert“. Demgegenüber wurde in der Eisenorganisation das Schwergewicht der Initiative und der Verantwortung dem Kommissar des Kriegsministeriums zugewiesen, dem die Gesellschaft nur als ausführendes Organ angegliedert blieb. Die Einrichtung eines aktiv „geschäftsführenden“ Kommissariats stellte somit den Versuch dar, bei völliger Wahrung der kommerziellen und deshalb leichtwendigen Geschäftsführung der Kriegsgesellschaft einen wesentlich bestimmenden Einfluß auf die Maßnahmen dieser Gesellschaft der Behörde zu sichern. Im allgemeinen bestand zwischen den Kommissaren und der Kriegsrohstoffabteilung naturgemäß ein außerordentlich enges Verhältnis; die Kommissare und die Sektionsleiter waren gleichgeordnet, oft genug brachten sie durchaus verschiedene Auffassungen über die Lage und die zu ergreifenden Maßnahmen zu Gehör. Wenn nun, wie hier vorgesehen, dem Kommissar nicht nur eine allgemeine Überwachung, sondern die eigentliche Leitung der Gesellschaften übertragen war, so mußte folgerichtigerweise die Tätigkeit des Kommissariats und die der Sektion aufs Sorgfältigste aufeinander abgestimmt sein. In Übereinstimmung mit den Absichten der Sektionsleitung hatte der geschäftsführende Kommissar die Verhandlungen bei wirtschaftlichen Maßnahmen soweit zu führen, daß der eigentlichen Kriegsgesellschaft in engerem Sinne lediglich die Aufgabe zufiel, das genau festgelegte Arbeitsprogramm durch Vertragsabschluß, Geldbeteiligung, Kauf, Verkauf u. dgl. zu verwirklichen. Ob dabei im einzelnen Fall die Führung mehr bei der Sektion oder bei dem Kommissariat lag, ergab sich aus den Verhältnissen. Zumeist gab in technischen Fragen die Eisensektion, in wirtschaftlichen Angelegenheiten das Kommissariat den Ausschlag, wie dies nach der Art der Stellenbesetzung gegeben war. Diese Einrichtung eines Kommissariats mit wesentlichen erweiterten Befugnissen verdient als Besonderheit der Eisenorganisation eine besondere Erwähnung. Sie ist allerdings als solche nicht von vornherein klar entworfen worden, sondern hat sich ganz allmählich entwickelt.

Die Eisenzentrale G. m. b. H. Der Kriegsrohstoffabteilung lag bei der Errichtung der Eisenzentrale der Gedanke fern, etwa wie durch die Kriegsmetallaktiengesellschaft den Metallmarkt, so hier die Eisenwirtschaft zu monopolisieren. Die ungeheuren Mengen, die in Frage kamen, die gerade beim Eisen in höchster Ausbildung durchgeführte Kombination der Produktionsverfahren und damit auch der Betriebe, dazu auch die fast unübersehbare Mannigfaltigkeit des Bedarfs und der Produkte, nicht zum wenigsten aber die Erstreckung der Eisenbewirtschaftung auch auf die Halb- und Fertigfabrikate machten eine solche Politik — so zweckmäßig sie auch theoretisch vielleicht erscheinen mochte — praktisch unmöglich. Die aufs höchste gespannte Lage verbot jedes Experimentieren,

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dessen Erfolg von vornherein sehr zweifelhaft sein mußte. So wurde der Aufgabenkreis der als Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Berlin errichteten Eisenzentrale auch nach dem Statut absichtlich weit gezogen und die Grenzen unbestimmt gelassen. Als Gegenstand des Unternehmens finden sich die Förderung der Erzeugung und des Vertriebes von Eisen und Stahl sowie der Abschluß aller unmittelbar und mittelbar hiermit im Zusammenhang stehenden Geschäfte aufgezeichnet. Das Arbeitsgebiet der Eisenzentrale sollte über das Inland hinaus auf das erreichbare Ausland hinübergreifen, auch die Eisenzentrale war wie die meisten anderen Kriegsgesellschaften eine gemeinnützige Gesellschaft, die nicht auf Erzielung eines Gewinns angelegt war. Die Dauer der Gesellschaft war auf bestimmte Zeit nicht beschränkt, sie ging nach Beendigung des Krieges auf das Reichsverwertungsamt über, um die Verwertung des Heeresschrotts u. dgl. zu bewerkstelligen. Wie auch bei den übrigen Rohstoffgesellschaften wurde der Industrie eine Beteiligung an der Eisenzentrale gewährt. Ursprünglich war geplant, daß das Reich von dem Stammkapital der Gesellschaft von 120 000 M 90 000 M übernehmen sollte, während der Roheisenverband, der Stahlwerksverband und das Schiffbaustahlkontor je 10 000 M Stammeinlagen leisteten. Während aber die beiden letzteren Verbände auf eine Mitwirkung verzichteten, da ihnen der eingeräumte Einfluß zu gering erschien, gelang es, den Roheisenverband zur Übernahme eines Anteils zu bewegen, so daß an bar eingezahlten Stammeinlagen geleistet wurden Roheisenverband, Essen………………………. Reichsschatzamt……………………………....…

30 000 M 90 000 „

Die eigentliche Finanzierung fiel dem Reiche zu, das die erforderlichen Kredite zur Verfügung stellte. Die Eisenzentrale hatte zwei Geschäftsführer, die nach den Weisungen des geschäftsführenden Kommissars die laufenden Arbeiten erledigten. Ihre Abberufung konnte gegebenenfalls durch die Gesellschaftsversammlung erfolgen, während Prokuristen nach Zustimmung des geschäftsführenden Kommissars angestellt werden konnten. Ursprünglich war geplant, der Industrie einen weitgehenden Einfluß auf die eigentliche Geschäftsführung zu gewähren. Dies sollte in der Form eines Beirats geschehen, der, vom Kriegsministerium ernannt, dauernd die Geschäftsführung überwachen und ein Einspruchsrecht gegen die geschäftlichen Maßnahmen erhalten sollte. Ihm sollte auch der geschäftsführende Kommissar für seine Tätigkeit verantwortlich sein. Die Einrichtung eines Beirats in dieser Form wurde jedoch bei der endgültigen Gründung der Gesellschaft fallen gelassen, dafür aber der industrielle Beirat der Schutzverwaltung in Metz als selbständiges Glied der Eisenorganisation in die Kriegsrohstoffabteilung selbst übergeführt. Der durch das Kriegsministerium berufene geschäftsführende Kommissar hatte statutarisch die Geschäftsführung der Gesellschaft laufend zu überwachen. Für seine



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Tätigkeit war er der Kriegsrohstoffabteilung und dem Reichsschatzamt gegenüber verantwortlich. Der geschäftsführende Kommissar hatte weitgehenden Einblick in die Geschäftsführung und gegen alle Beschlüsse ein Vetorecht, über das endgültig das Kriegsministerium zu beschließen hatte. Tatsächlich erweiterte sich im Laufe der Zeit, wie schon erwähnt, die Stellung des Kommissars ganz beträchtlich. Der verhältnismäßig hohen geldlichen Beteiligung des Reiches entsprechend ernannte das Reichsschatzamt einen Vertreter, der gegen alle Beschlüsse der Organe der Gesellschaft aus Gründen der Reichsfinanzinteressen ein Widerspruchsrecht erhielt, über das der Reichskanzler entschied. Jährlich im Oktober fand eine Gesellschaftsversammlung statt, welche die Bilanz im Einverständnis mit dem Kommissar und dem Vertreter des Reichsschatzamtes zu genehmigen hatte. Der Reingewinn wurde jährlich auf neue Rechnung vorgetragen und bei Liquidation der Gesellschaft den Gesellschaftern aus dem Gewinnvortrag das eingezahlte Kapital um 4% Jahreszinsen vermehrt zurückgezahlt, während der Überschuß an die Reichskasse abgeführt werden sollte. Hierzu ist zu bemerken, daß bei der Liquidation ein Überschuß nicht erzielt wurde, weil die Eisenzentrale, die bis Kriegsende finanziell sehr günstig gewirtschaftet hatte, infolge ihrer hohen Auslandsverpflichtungen (Schwedenerzkredite, Ferrosiliziumwerke in Norwegen und der Schweiz) den Valutasturz am Kriegsende empfindlich zu spüren bekam; sie schloß mit einem erheblichen Defizit ab. Die Eisenzentrale hatte somit in der ersten Anlage ihres Aufbaus eine absichtlich unbestimmte Aufgabe, die es möglich machte, sie überall da in der behördlichen Eisenbewirtschaftung eingreifen zu lassen, wo gerade eine Veranlassung dafür vorlag.

Die Manganerzgesellschaft m. b. H. Unter den Rohstoffen in der Eisenwirtschaft nahm das Mangan eine besondere Stellung ein. Hier war es nicht nötig, eine völlig neue Organisation aufzubauen, vielmehr konnte man auf die während der ersten beiden Kriegsjahre aus der Friedensorganisation des Manganmarktes (der Ferromangangemeinschaft) unter Mitwirkung der Schutzverwaltung in Metz ausgebildete behördliche Manganbewirtschaftung mit Monopolcharakter zurückgreifen. Nur wurde es notwendig, nach Aufstellung des Hindenburg-Programms ganz grundsätzlich anders zu wirtschaften als bisher. Was Mitteleuropa an Manganrohstoffen besaß, mußte nutzbar gemacht werden, und es lag auf der Hand, daß hierzu beträchtliche Kapitalaufwendungen nötig werden würden. Da aber die bis dahin bestehenden Amtsstellen zur Finanzierung der erforderlichen Unternehmungen ohne weiteres nicht imstande waren, so beschritt die Kriegsrohstoffabteilung hier ebenfalls den gewohnten Weg, eine besondere Kriegsgesellschaft mit der Durchführung des Manganbergbauprojektes zu beauftragen.

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So wurde am 14. September 1916, also zu einer Zeit, zu der bereits die Verhandlungen über die Gründung der Eisenzentrale schwebten, aber noch vor deren tatsächlichen Abschluß, die Manganerzgesellschaft in Berlin gegründet, welche die Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung erhielt. Als Gegenstand des Unternehmens bezeichnet das Statut die Förderung der Erzeugung und des Vertriebs von Manganerzen, sowie den Abschluß aller mittelbar oder unmittelbar hiermit in Zusammenhang stehenden Geschäfte, wobei ausdrücklich vermerkt war, daß die Tätigkeit nicht auf das Inland beschränkt und der Betrieb nicht auf Gewinn gerichtet, sondern ausschließlich gemeinnützigen Zwecken während der Dauer des Krieges gewidmet sein sollte. Die Gesellschaft liquidierte im Jahre 1919. Finanziell stellte sich die Manganerzgesellschaft bei ihrer Gründung als eine rein industrielle Unternehmung dar, da das Stammkapital von 100 000 M durch die Werke der Ferromangangemeinschaft aufgebracht wurde. Es leisteten: Gute Hoffnungshütte………………………………...........…… Krupp…………………………………………….................……… A.-G. f. Hüttenbetrieb in Duisburg-Meiderich…..….…… Gelsenkirchener Bergwerks-A.-G. ..……………......……… Donnersmarck………………………………….............………... Phoenix-A.-G. ……………………….............…………………..

63 000 8 000 8 000 8 000 8 000 5 000

M „ „ „ „ „

Einlagen in bar, jedoch enthielt bereits das Gründungsprotokoll einen Zusatz, nach welchem sich sämtliche Gesellschafter notariell verpflichteten, ihre Geschäftsanteile jederzeit ganz oder teilweise an das Kriegsministerium oder einen von diesem bezeichneten Dritten gegen Erstattung des Nennbetrages abzutreten. Von dieser Verpflichtung wurde nach der Gründung der Eisenzentrale Gebrauch gemacht, die von der Einlage der Gute Hoffnungshütte von 63 000 M den Betrag von 55 000 M übernahm, so daß nun sämtliche Gesellschafter je 8000 M Stammeinlagen besaßen (Phoenix nur 5000 M), und das Reich, vertreten durch die Eisenzentrale, finanziell auch innerhalb der Manganerzgesellschaft das Übergewicht hatte. Im Januar 1918 wurde dann das Stammkapital der Manganerzgesellschaft verdoppelt und von den hinzugekommenen 100 000 M 55 000 M von der Eisenzentrale und 45 000 M von der Ferromangangemeinschaft übernommen, so daß auch jetzt wiederum der entscheidende Einfluß auf die Geschäftsführung auf seiten des Reiches war, dem auch hier die kreditweise Kapitalbeschaffung oblag. Nach dem Statut erhielt die Manganerzgesellschaft ebenfalls zwei Geschäftsführer, deren Zahl durch den Aufsichtsrat vermehrt oder vermindert werden konnte, während unter Zustimmung des Aufsichtsrats durch die Geschäftsführer die Anstellung von Prokuristen vorgenommen werden durfte. Der in der Eisenzentrale nicht eingeräumte weitgehende Einfluß der Industrie auf die Geschäftsführung wurde in der Manganerzgesellschaft durch die Gestaltung des



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Aufsichtsrats gewährt. Dieser bestand aus mindestens vier und höchstens zwölf Mitgliedern, von denen ein Teil ständige Mitglieder, ein Teil gewählte Mitglieder waren. Als ständige Mitglieder gehörten dem Aufsichtsrat an der Leiter der Eisensektion, der geschäftsführende Kommissar der Eisenzentrale, der Leiter der Manganversorgungsstelle in Düsseldorf und ein Vertreter des Reichsschatzamtes. Außerdem waren sechs Persönlichkeiten aus der Industrie ernannt. Änderungen in der Zusammensetzung des Aufsichtsrats waren jederzeit möglich. So wurde u. a. der Direktor der preußischen geologischen Landesanstalt in den Aufsichtsrat aufgenommen und so die Erfahrungen dieser für bergwirtschaftliche Fragen in erster Linie zuständigen Behörde auch für die Manganwirtschaft nutzbar gemacht. Auf die laufende Geschäftsführung wirkte der Aufsichtsrat durch sein ständiges Mitglied, den geschäftsführenden Kommissar der Eisenzentrale, dadurch ein, daß diesem die laufende Überwachung in der Geschäftsführung und die Einsicht in alle Geschäftsvorgänge übertragen wurde. Der Abschluß von Verträgen jeder Art durch die Manganerzgesellschaft bedurfte dessen Genehmigung. Es war auf diese Weise wiederum erreicht, daß, wie bei der Eisenzentrale, so auch hier, die Initiative und die Verantwortlichkeit durchaus in behördliche Hände gelegt war. Der Kommissar hielt auch in dem Arbeitsbereich der Manganerzgesellschaft die eigentliche Führung in der Hand, die Gesellschaft an sich blieb lediglich auf die geschäftsmäßige Durchführung der von ihm vorbereiteten Maßnahmen beschränkt. Formell hatten die vier ständigen Mitglieder des Aufsichtsrats das Recht des Einspruchs gegen alle Beschlüsse der Manganerzgesellschaft. Die Entscheidung über die Einsprüche stand bei der Kriegsrohstoffabteilung, beziehentlich beim Reichsschatzamt. Die Bestimmungen betreffs der Bilanzierung des Reingewinns und der Liquidation der Gesellschaft waren genau die gleichen wie bei der Eisenzentrale. Dank weitsichtiger Valutasicherungen ist die Manganerzgesellschaft vor allzugroßen Verlusten bewahrt worden und belastete mit ihrem Abschluß die Reichsfinanzen nur ganz unwesentlich. Man kann sich bei einer Vergleichung der Statuten der beiden Gesellschaften der Einsicht nicht verschließen, daß man bei der Gründung der Manganerzgesellschaft der Industrie in bezug auf ihre Beteiligung und Einflußnahme im Interesse der schnellen Arbeitsaufnahme eine Reihe von Zugeständnissen gemacht hat, die bei der Eisenzentrale nicht gewährt wurden. Sie wurden aber — hauptsächlich die Unabhängigkeit vom Reich — nach der Gründung der Eisenzentrale größtenteils wieder zurückgenommen.

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Arbeitsbereich von Eisenzentrale und Manganerzgesellschaft Auch zwischen Eisenzentrale und Manganerzgesellschaft bestand keine völlig scharfe, übergangslose Trennung. So bewirtschaftete die Manganerzgesellschaft z. B. nicht nur die Manganerze, sondern auch die phosphorarmen Eisenerze. Das Personal und die Buchführung der Manganerzgesellschaft wurden durch die Eisenzentrale gestellt, und außerdem verwischten sich die Übergänge zwischen den beiden Gesellschaften noch durch die Personalunion ihrer Geschäftsführer und durch die entscheidende Rolle, die ein und derselbe Kommissar auf die Geschäftsführung beider Gesellschaften ausübte. Da obendrein wichtige Teile der Manganbewirtschaftung (Aufstellung der Wirtschaftspläne, Verteilung der Manganvorräte, spar- und ersatzwirtschaftliche Maßnahmen) von der Manganversorgungsstelle in Düsseldorf, die ebenfalls dem Kommissariat unterstand, durchgeführt wurden, so trat die Manganerzgesellschaft als Unternehmung nur da nach außen hin in die Erscheinung, wo es sich um die Finanzierung der Bergbauunternehmungen handelte. Die auf den ersten Blick befremdlich wirkende Unklarheit mancher organisatorischer Linien bei den Geschäftsorganen der behördlichen Eisenbewirtschaftung ist die Folge einer ganzen Reihe von Einflüssen, mit denen die Kriegsrohstoffabteilung auf diesem Rohstoffgebiet von vornherein zu rechnen hatte. In erster Linie verlangte die starke und selbstbewußte Industrie eine vorsichtige Politik, wie sie in der Vorwegnahme der Manganorganisation befolgt wurde, auch mußte man versuchen, ohne allzu schroff nach außen hin in die Erscheinung tretende Eingriffe zu den vorgenommenen Zielen zu gelangen. Jeder auch nur passive Widerstand der Industrie mußte bei der Unübersehbarkeit aller — größtenteils durch Betriebskombinationen, Konzerne, Syndikate u. dgl. verdeckten — wirtschaftlichen Wechselbeziehungen die behördliche Organisation unfruchtbar machen. So steckte man mit Absicht die Grenzen des offiziellen Arbeitsgebiets möglichst weit hinaus, um innerhalb dieses nicht scharf eingeengten Arbeitsraums je nach Bedürfnis schnell und erfolgreich arbeiten zu können. Hinzu kam, daß wesentliche Teile der Eisenwirtschaft schon vor der Aufnahme der Tätigkeit der Eisensektion feste kriegsorganisatorische Gestalt angenommen hatten und es zweckmäßig erschien, die geschaffenen Einrichtungen mit ihrer Sachkenntnis und den eingespielten Beziehungen in die nunmehrige Gesamtbewirtschaftung mit hinüberzunehmen. Mehr als in anderen kriegswirtschaftlichen Rohstoffgebieten mußte die Unmöglichkeit eines allen Anforderungen gerecht werdenden lückenlosen Organisationsschemas durch kräftige persönliche Momente ausgeglichen werden. Dem Wirtschaftsleiter mußte die Organisation alle Möglichkeiten offenlassen, ohne ihn formell nach irgendeiner Seite hin einzuengen. Die ungezählten Querverbindungen und gedeckten Fluchtwege in der Eisenwirtschaft konnten nur durch den Einsatz starker, vom Vertrauen der Behörde wie der Industrie getragener Persönlichkeiten einigermaßen beherrscht werden. Es wäre aber eine Überspannung der Forderungen gewesen, von den Männern, die sich mit dem Einsatz ihrer Persönlichkeit dieser Aufgabe unterzogen haben, übermenschliche Kräfte zu verlangen. Sie haben das



Die Organe der Zentralbewirtschaftung 

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Erreichbare im Rahmen des Möglichen durchgesetzt. Ob andere Persönlichkeiten den „Verhältnissen“ gegenüber wesentlich erfolgreicher gewesen wären, darf bei genauer Prüfung aller Bedingungen füglich bezweifelt werden. Eine Darstellung der Tätigkeit des Kommissariats der Eisenzentrale gibt bei der unmittelbar leitenden Stellung dieser Behörde einen Überblick über die Tätigkeit der beiden Kriegsgesellschaften. Das Kommissariat der Eisenzentrale sah sich im wesentlichen der Aufgabe gegenüber, solche Stoffe aufzukaufen, anzusammeln und zu verwerten, die im Hinblick auf die gesteigerte Anforderung des Hindenburg-Programms ohne weiteres im freien Verkehr nur schwer oder gar nicht zu haben waren, oder für die zwar im Augenblick kein Bedarf in entsprechender Höhe vorlag, aber in einer späteren Zeit zu erwarten war. Da ist in erster Linie das Ferrosilizium zu nennen, welches bis zum Herbst 1916 durch ein geeignetes Zuweisungsverfahren der Metallmeldestelle gleichmäßig den Verbrauchern zugeführt worden war, ohne daß die Deckungslage Schritte produktiver Art nachdrücklich verlangt hätte. Es war aber vorauszusehen, daß im Hinblick auf das Hindenburg-Programm und die sich verschlechternde Manganbedarfsdeckung besonders hohe Anforderungen an die Ferrosiliziumversorgung gestellt werden würden. Da die entsprechende Belieferung des Verbrauchs nur bei gesteigerter Produktion oder vermehrtem Auslandsbezug sichergestellt werden konnte, so erwuchs für das Kommissariat die wichtige Aufgabe, die deutsche Inlandsproduktion zu fördern und die Einfuhr von Ferrosilizium zu zentralisieren. Weiter bot sich dem Kommissariat die Aufgabe, das Nutzmaterial zu verwerten (Blöcke, Knüppel, Walzmaterial), welches auf Grund von Beschlagnahmen und Enteignungen entfiel. Die entsprechenden Mengen lagen mangels einer Abnahmestelle zum Teil seit Herbst 1914 bei einzelnen Firmen oder in den Hafenlägern und konnten erst nach der Aufnahme der Tätigkeit der Eisenzentrale in wirksamer Weise für das allgemeine Interesse nutzbar gemacht werden. Ferner war es das weite Gebiet des Schrottmarktes, welchem nachdrückliche Beachtung geschenkt werden mußte. Hier fand die Eisenzentrale unter dem Kommissariat ein breites Feld zu organisatorischer und praktischer Betätigung.6 Ein weiterer Aufgabenkreis, mit dem das Kommissariat der Eisenzentrale ins Leben trat, war rein bergwirtschaftlicher Natur und hatte die Förderung des inländischen Eisenerzbergbaues durch Gewährung finanzieller Unterstützungen u. dgl. zum Gegenstand. In die Zeit der Aufnahme des Hindenburg-Programms fiel außerdem die grundlegende Tätigkeit des Kommissariats auf dem Gebiet der Manganbeschaffung. Hier handelte es sich angesichts der zu erwartenden großen Nachfrage darum, noch in letzter Minute die gefährdete Mangandeckungslage zu retten. Als die Manganerzgesellschaft ins Leben trat, befanden sich nur noch wenig mehr als 25 000 t hochwertige Auslandserze in Deutschland. Es galt deswegen mit Hilfe der Manganerzgesellschaft

6 Ausführlicheres über die Schrottbewirtschaftung siehe Exkurs d zum Kapitel IV.

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 Der Übergang zur zentralen Bewirtschaftung

in großzügiger Weise die gesamten Manganrohstoffe einheitlich zu bewirtschaften (dies gemeinsam mit der Manganversorgungsstelle in Düsseldorf) und besonders die noch ungehobenen Bodenschätze in Deutschland und im verbündeten Ausland für die Kriegswirtschaft nutzbar zu machen. Die Aufgabenkreise, die sich der Manganerzgesellschaft hier boten, waren: Unterstützung der bereits von der Manganversorgungsstelle stark geförderten Gewerkschaft Geier bei Bingen, Beaufsichtigung des von der Firma Krupp ausgebeuteten Manganvorkommens Fernie bei Gießen, Nutzbarmachung der manganhaltigen Erze des Siegerlandes und von Ilsede sowie Untersuchung, Aufschließung und Betrieb von Manganerzlagerstätten in Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien und in der Türkei.7 Die Regelung der gleichmäßigen Braunsteinversorgung, die sowohl für die Eisen- und Stahlwerke wie auch für die Elementeindustrie und die chemische Industrie große Bedeutung besaß, lag seit dem 29. Mai 1916 in der Hand der Braunsteinversorgungsgesellschaft, die unabhängig vom Kriegsministerium unter Teilnahme beteiligter Beschaffungsstellen und der Post- und Telegraphenbehörden sowie der Industrie gegründet worden war. Diese hatte sich zunächst darauf beschränkt, die in Deutschland vorhandenen Bestände an Elementebraunstein durch Spar- und Ersatzmaßnahmen zu strecken. Als sich jedoch im Frühjahr 1917 die inländischen Bestände nahezu erschöpft hatten, trat die Braunsteinversorgungsgesellschaft mit der Manganerzgesellschaft in stärkere Fühlung. Es lag nahe, daß die bereits mit dem Manganerzbergbau beschäftigte Kriegsgesellschaft auch die Beschaffung des hochwertigen Manganerzes, des Braunsteins, in die Hand nahm. Obwohl schon im Frieden die Montanindustrie, besonders die Eisenindustrie über eine ganze Reihe gut durchgebildeter Statistiken verfügte, so erwies es sich doch notwendig für die besonderen Zwecke der Kriegswirtschaft, in noch weiterem Umfange zahlenmäßige Unterlagen zu beschaffen. Soweit diese nicht aus den Produktionsstatistiken der Industrieverbände entnommen werden konnten, wurden sie durch die Eisenzentrale und die Manganerzgesellschaft beschafft. Diese Produktionsstatistiken ergänzten sich dann mit den bei der Eisensektion geführten Versorgungsstatistiken zu einem geschlossenen und sich gegenseitig kontrollierenden Gesamtüberblick über die Wirtschaftsvorgänge in der Kriegseisenwirtschaft. Dem Kommissariat der Eisenzentrale war neben diesen beiden Kriegsgesellschaften noch die seit Februar 1917 bestehende „Eisenauslandsstelle“ angegliedert. Sie hatte die Aufgabe, die Eisenausfuhr daraufhin zu überwachen, daß die den neutralen Staaten zugestandenen Eisenkontingente voll erfüllt wurden. Über die Kontrolltätigkeit hinaus hat diese Eisenauslandsstelle, im Gegensatz zu der ursprünglich geplanten „Eisen- und Stahlzentrale“, keine eigene Ausfuhrtätigkeit vorgenommen; eine Monopolisierung des Außenhandels mit Eisen wurde durch sie nicht beabsichtigt. Auch der früher leitende Gedanke, die vielfach verzweigte Ausfuhrorganisation ein-

7 Einzelheiten s. Exkurs e zum Kapitel V.



Die Organe der Zentralbewirtschaftung 

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heitlicher zu gestalten, hat durch die Eisenauslandstelle keine Verwirklichung gefunden. Die Kompetenzkonflikte zwischen Reichsamt des Innern, Auswärtigem Amt, Kriegsrohstoffabteilung und Abteilung für Ein- und Ausfuhr im Kriegsministerium waren nicht restlos zu überbrücken.

Die Rohstahlausgleichstelle Die Aufgaben der Eisensektion und des Kommissariats der Eisenzentrale mit den ihm unterstellten Kriegsgesellschaften waren hauptsächlich produktionswirtschaftlicher Natur. In Ergänzung hierzu lag die Tätigkeit der Rohstahlausgleichstelle auf dem Gebiet des Beschaffungswesens. Man darf den Begriff „beschaffen“ in der Terminologie der Kriegseisenwirtschaft dahin festlegen, daß „beschaffen“ hieß, auf Grund bestimmter Verträge die Lieferung ganz bestimmter Mengen unter bestimmten Bedingungen sicherzustellen. „Produktionswirtschaft“ hieß dann im Gegensatz hierzu, die allgemeinen wirtschaftlichen Unterlagen aufzubauen, die überhaupt erst die Möglichkeit zur Ausführung der Lieferungsverträge gaben. Im Hinblick auf diese Unterscheidung trennten sich auch die Arbeitsgebiete der Beschaffungsstellen (Feldzeugmeisterei, später Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt, Reichsmarineamt u. a.) und der Kriegsrohstoffabteilung. Diese hatte den wesentlich breiteren Aufbau der Gesamtwirtschaft zu beaufsichtigen und zu stützen, während jene sich nur in dem kleinen Ausschnitt der Wirtschaft, der unmittelbar mit der Verwirklichung der eigentlichen Heeresversorgung zusammenhing, bewegten. Auf dem Grenzgebiet zwischen beiden Wirkungsbereichen lag die Tätigkeit der Rohstahlausgleichstelle. Sie hatte durch Vergleichung von Produktion und Bedarf und unter Berücksichtigung der Kriegslage die Wege zu suchen und anzuweisen, auf denen die ökonomisch beste Ausnutzung der eisenindustriellen Kräfte möglich war. Demzufolge hatte sie die behördlichen Beschaffungsstellen einerseits und die Erzeuger andrerseits über das Verhältnis zwischen Bedarf und Erzeugung bei Eisen und Stahl erster und zweiter Schmelzung, bei Halbzeug, Walzeisen und Walzstahl dauernd zu unterrichten. Auf dieser Unterlage aufbauend trug sie für eine zweckmäßige Verteilung des erzeugten Rohstahls auf die verschiedenen Walzfabrikate Sorge und hielt durch eine jeweilige Kontingentierung der Anforderungen der einzelnen Beschaffungsstellen die Gesamtanforderungen in Einklang mit der Erzeugungsmöglichkeit. Im Notfall führte sie außerdem, teilweise unter Mitwirkung des Deutschen Stahlbundes in Düsseldorf, die Lieferung dringlichst erforderlicher Mengen unmittelbar herbei, wenn sich bei den Verhandlungen zwischen den Verbrauchern, ihren Lieferern und den Stahlwerken eine Unterbringung oder Ausführung von Aufträgen Schwierigkeiten ergaben. Dies waren einerseits alte Aufträge, deren Erfüllung durch Zwischenschaltung dringlicherer Arbeiten erschwert war, andrerseits neue Anforde-

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 Der Übergang zur zentralen Bewirtschaftung

rungen, die infolge der Anforderungen der Heeresleitung oder wegen sonstigen dringenden Bedarfs plötzlich eingeschoben werden mußten. In Erledigung dieser Aufgaben war die Rohstahlausgleichstelle das Organ, von dem aus der behördliche Verwaltungszwang, soweit er beim Eisen notwendig wurde (Beschlagnahmungen, Lieferungseinschränkungen u. dgl.), ausging.8 Sie hat sich hierbei mit Erfolg nicht auf ein starres System festgelegt, sondern von Fall zu Fall diejenige Methode zur Anwendung gebracht, welche zur Lösung der jeweiligen Aufgabe am zweckmäßigsten erschien. Die Rohstahlausgleichstelle arbeitete in engster Fühlung mit den Beschaffungsstellen des Heeres, der Marine und der Zivilbehörden und mit den Handels- und Handwerkskammern. Mit der Bautenprüfstelle zusammen überwachte sie die Verwendung von Eisen und Stahl für Bauzwecke und mit dem „Beauftragten des Kriegsministeriums bei der Metallberatungs- und Verteilungsstelle für den Maschinenbau“ die Versorgung der Maschinenindustrie mit Eisen für die Herstellung von Fabrikationseinrichtungen und Betriebsanlagen. Man kam auch hier zu einer Kontingentierung der im Rahmen der Gesamtwirtschaft für solche Zwecke zulässigen Verbrauchsmengen. Die enge Verbindung mit den Eisenerzeugern wurde durch die Beauftragten des Kriegsministeriums beim Stahlbund und beim Roheisenverband aufrechterhalten. Sie hatten die Durchführung der von der Rohstahlausgleichstelle verfügten Maßnahmen laufend zu überwachen. Die Einheitlichkeit der Durchführung der von ihr ausgehenden Verfügungen wurde im gesamten Reichsgebiet durch inniges Zusammenarbeiten mit den bundesstaatlichen Vertretungen gewahrt. Im Rahmen der Verteilung der Produktion fiel der Rohstahlausgleichstelle auch die letzte Entscheidung über die Regelung der Ausfuhr von Eisen und Stahl zu. Sie erhielt hierzu vom Reichskommissar für die Aus- und Einfuhrbewilligungen besondere Rechte eingeräumt und setzte im Rahmen der Gesamtversorgung in Übereinstimmung mit den politischen Behörden die Kontingente fest, die für die einzelnen neutralen Staaten in der Belieferung maßgebend waren. Jeder einzelne Ausfuhrantrag wurde durch die Rohstahlausgleichstelle kontrolliert, die dabei mit der Abteilung für Aus- und Einfuhr im Kriegsministerium und der Eisenauslandstelle Hand in Hand arbeitete und auf die Vorprüfungen der Ausfuhrbewilligungsanträge durch die „Zentralstellen“ zurückgriff.9 Die Rohstahlausgleichstelle bildete, wie ihr Name schon besagt, das Vermittlungsorgan, welches die verschiedenen Interessen der Beschaffungsstellen und des volkswirtschaftlichen Bedarfs gegeneinander ausglich. Durch ihre Tätigkeit wurde die Einheitlichkeit des Beschaffungs- und Lieferungswesens gewährleistet. Bei der Ausübung ihrer Tätigkeit griff sie aber doch nicht etwa in die eigentliche Auftragser-

8 Näheres über das Beschaffungs- und Lieferungswesen s. E x ku r s b zum III. Kapitel. 9 Siehe auch S. 100f.



Die Organe der Zentralbewirtschaftung 

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teilung ein. Die beteiligten Beschaffungsstellen und Behörden vergaben jeweils im Rahmen der ihnen zugestandenen Kontingente in der gewohnten Weise ihre Aufträge weiter und kontrollierten selbständig deren Erfüllung. Die Entscheidung über den Einzelfall war also nicht in die Kriegsrohstoffabteilung hereingenommen, sondern verblieb nach wie vor den Beschaffungsstellen. Erst dann, wenn hier dringende Lieferungen in Wettbewerb traten, setzte die Mitwirkung der Rohstahlausgleichstelle zum Ausgleich der Interessen erneut ein.

Beauftragter beim Stahlbund und Roheisenverband Durch die Rohstahlausgleichstelle war somit eine Brücke vom Heeresbedarf, gleichzeitig auch vom Zivilbedarf, zur Industrie geschlagen. Die sinngemäße Ausgestaltung des Systems erforderte es, dieser Brücke, die auf der einen Seite auf den Beschaffungsstellen ruhte, auch bei der Industrie ein tragfähiges Widerlager zu schaffen. Beim Roheisen konnte man ohne weiteres auf den Roheisenverband zurückgreifen, während beim Stahl eine solche Zusammenfassung der Industrie erst im „Deutschen Stahlbund“ geschaffen werden mußte, der eine völlig freie Zusammenschließung der deutschen Eisenindustrie darstellte. Es waren in ihm sowohl die sämtlichen Eisenund Stahlwerke als auch alle Kartelle und Verbände höherer und niederer Ordnung vertreten. Das mit der Gründung des Stahlbundes angestrebte Ziel war, die gesamte eisenerzeugende Industrie so zusammenzuschließen, daß sie als Vereinigung der Produktion der in der Rohstahlausgleichstelle erfolgten Vereinigung des Bedarfs geschlossen gegenüberstand. Einzelne Unterabteilungen des Stahlbundes, wie die für Draht und die für Bleche, gewannen eine etwas größere Selbständigkeit; für die erstere wurde eine Drahtzentrale G. m. b. H. in Düsseldorf, für letztere die Abteilung Bleche des Stahlbundes in Essen, mit jeweils besonderer Geschäftsführung gegründet. Über diesen Organen, soweit sie der Regelung des Beschaffungs- und Lieferungswesens dienten, stand der „Beauftragte des Kriegsministeriums beim Stahlbund“ in Düsseldorf. Wie der Roheisenverband bereits seit dem Jahre 1915 in steter enger Fühlung mit der Kriegsrohstoffabteilung stand, so übernahm auch der Stahlbund die Verpflichtung, seine Organisation restlos in den Dienst einer geregelten Bedarfsdeckung zu stellen. Im Gründungsprotokoll erkannten die einzelnen Werke die Verpflichtung an, „den Deutschen Stahlbund in seiner Aufgabe, die schleunigste Lieferung aller Walzwerkserzeugnisse aus Eisen und Stahl, deren die Heeresverwaltung bedurfte, zu vermitteln, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Kräften zu unterstützen, und zu diesem Zwecke überall, wo es verlangt wird, alle anderen Lieferungen zurückzustellen, auch ungesäumt alle möglichen mit den vorhandenen Einrichtungen zu vereinbarenden Maßnahmen in den Betrieben zu treffen, die zur wirkungsvollen Erreichung des gemeinsamen Zieles nötig waren“. Die dem Stahlbund ursprünglich zugedachte Aufgabe war eine lediglich vermittelnde Tätigkeit. Er sollte gemäß den von der Roh-

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 Der Übergang zur zentralen Bewirtschaftung

stahlausgleichstelle gegebenen Richtlinien den einzelnen notleidenden Heeresauftrag nach Menge und Dringlichkeit feststellen und dann auf dem Wege der freimütigen Verständigung die Verteilung, solcher Aufträge auf die einzelnen Werke oder Verbände bzw. Werksgruppen vornehmen; gegebenenfalls auch Doppelbestellungen und Bedarfsüberdeckungen unter Umständen mit Hilfe der Kriegsrohstoffabteilung auf das richtige Maß zurückführen. Im Stahlbund waren die Werke nach Bedarf nach Fabrikaten getrennt und traten jeweils in Gruppen zur Beratung über Verteilung und sonstige Maßnahmen zusammen. Sie waren durch Gesamtbeschluß angehalten, „für schleunigste Ausführung der gefaßten Beschlüsse zu sorgen und alle Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die der Stahlbund zur Durchführung seiner Aufgaben bedurfte“. Ein besonderer Arbeitsausschuß des Stahlbundes erledigte die Vorarbeiten. Das Prinzip der Freiwilligkeit, auf das bereits oben hingewiesen wurde, führte also auch hier zu einer sehr glücklichen Lösung. Es ist beachtenswert, daß sich die ganze fernere Organisation des Beschaffungs- und Lieferungswesens allein auf die angeführten Grundbeschlüsse der Werke stützte. Die scharfen Maßnahmen, die auf dem Zwangswege bei vielen anderen Kriegsrohstoffen durchgesetzt werden mußten, erübrigten sich infolgedessen beim Eisen vollständig. Die Eisenindustrie ist ihren übernommenen Verpflichtungen bis auf geringfügige Ausnahmen gewissenhaft nachgekommen. Es wäre wahrscheinlich nicht möglich gewesen, auf einem anderen Wege zu gleichen Erfolgen zu gelangen. Das gesamte Gebiet der Eisenwirtschaft und Eisentechnik ist zu sehr verstrickt, als daß ein Außenstehender und selbst eine mit großen Machtmitteln versehene Behörde auf autoritativem Wege hätte Erfolge erzwingen können. Besonders die gemischten Werke, auf denen die Hauptlast der Kriegsproduktion ruhte, konnten sich durch ihre Organisation jedem fremden Eingriff mehr oder weniger entziehen, war doch ihr Entstehen im Frieden schon auf das Streben nach Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen (Marktunabhängigkeit) zurückzuführen gewesen. Sehr bedeutungsvoll war die Mitarbeit des Stahlbundes wie des Roheisenverbandes bei den Preisfestsetzungen für Eisen. Hierfür wurden besondere technische Kommissionen eingesetzt, welche die Vorarbeiten für die Erlangung derjenigen Unterlagen machten, aus denen die Kriegsrohstoffabteilung ihre Preispolitik ableitete. Der Beauftragte des Kriegsministeriums beim Stahlbund verschaffte dabei von Fall zu Fall den Interessen der Heeresverwaltung gegenüber den Sonderinteressen der Industrie Gehör.

Kapitel III

Das Hindenburg-Programm A Der neue Heeresbedarf Bedarfsermittlung Die Sommeschlacht lieferte den Beweis, daß die Ausrüstung der deutschen Armee an vielen Punkten verbesserungsbedürftig war. Die Artillerie besonders brauchte wirksamere Waffen. Die Ersetzung des Verbrauches von Geschützen war mit allem Nachdruck aufzunehmen und dabei eine höhere Leistungsfähigkeit des Ersatzes in bezug auf Schußweite und Feuergeschwindigkeit anzustreben. Die Infanterie- und Pionierwaffen verlangten ebenfalls erhöhte Leistungsfähigkeit. Das schwere und das neu eingeführte leichte Maschinengewehr waren samt der ausreichenden Munition in kürzester Zeit in befriedigender Menge zu liefern; die Tankabwehr war auf neue Mittel abzustellen. Auf dem Gebiete des Fronttransportwesens war die deutsche Ausrüstung ebenfalls bedenklich weit hinter derjenigen der Entente zurückgeblieben. Die neue Oberste Heeresleitung forderte mit Nachdruck die Verstärkung der Lieferung von Lastkraftwagen. Die Erfahrungen mit dem Stahlhelm waren außerordentlich günstig; die Ausrüstung der gesamten Kampffront mit diesem bewährten Ausrüstungsstück sollte deswegen in möglichst kurzer Zeit erfolgen. Versuche mit stählernen Brustpanzern wurden angestellt. Das gesamte Ausrüstungswesen wurde nunmehr also ganz erheblich verbreitert und erforderte in erster Linie unter anderem eine beträchtliche Verstärkung der Stahllieferung. Obendrein mußte der gewaltigen Artilleriewirkung des Feindes eine möglichst gleichwertige Steigerung der eigenen Feuertätigkeit gegenübergestellt werden. Hier setzte das Hindenburg-Programm ein. Verdopplung der Munitionserzeugung, Verdreifachung der Gerätherstellung, so lauteten kurz umrissen die Forderungen der Obersten Heeresleitung. Angesichts des damaligen Standes der industriellen Produktion war dies eine kühne und großartige Zielsetzung. Allerdings war sie insofern nicht ohne Bedenken, als sie den Möglichkeiten zur Erreichung dieses Ziels nicht ganz gerecht wurde. Aber der Soldat tat nichts als seine Schuldigkeit, wenn er die offen daliegenden Notwendigkeiten in seiner Art nach dem Grundsatz, das Unmögliche zu fordern, um das Mögliche zu erreichen, programmäßig verarbeitete. Als mächtiger Anstoß zu zielbewußter, großzügiger Arbeit im Dienste der materiellen Heeresversorgung bedeutete das Hindenburg-Programm zweifelsohne eine grundsätzliche Wendung zum Besseren in der Kriegswirtschaft. Bei der praktischen Durchführung im einzelnen hätte aber der Soldat hinter dem Techniker und dem Volkswirtschaftler zurücktreten müssen. Es wäre Sache der Fachleute gewesen, in einer angemessenen

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 Das Hindenburg-Programm

kurzen Frist aus den Grundforderungen mengenmäßige Teilprogramme abzuleiten, die technisch und wirtschaftlich gegeneinander abgestimmt und den tatsächlichen Möglichkeiten entsprechend gestaltet waren. Da man jedoch diesem richtigen Gedanken nicht Raum gab, so wurde durch das Hindenburg-Programm eine Bewegung ausgelöst, welche letzten Endes die Erfüllung der gestellten Forderung unmöglich gemacht hat. Das Produktionsprogramm wuchs sich zu einem uferlosen Bauprogramm aus; die Eisenindustrie aber war nicht mehr imstande, beide Gebiete ausreichend zu versorgen. Ernste Reibungen bereiteten sich vor. An warnenden Stimmen sowohl im Kriegsministerium als auch beispielsweise in der Eisenbahnverwaltung hat es nicht gefehlt. Die Übersetzung der Forderungen des Hindenburg-Programms in Bedarfszahlen für Eisen und Stahl war nicht ohne weiteres möglich. Es gab nur sehr wenige Beschaffungsstellen, die bisher den Versuch gemacht hatten, sich über den Rohstoffbedarf für ihre Bestellungen ein Bild zu machen. Vereinheitlichung des gesamten Beschaffungswesens war dringendste Forderung. Ihr wurde am 1. Oktober 1916 Genüge getan mit der Einrichtung des Waffen- und Munitionsbeschaffungsamtes, das als Nachfolger der Feldzeugmeisterei einen großen Teil der Heeresbeschaffungsstellen zusammenfaßte. Eine Reihe sehr wichtiger Bedarfsgruppen (Flieger, Pioniere, besonders auch die Marine u. a.) blieben jedoch auch nach dieser Neuorganisation unabhängig. Post und Eisenbahn unterstanden nach wie vor nicht der Heeresverwaltung und beschafften deswegen ebenfalls selbständig. Durch die Einrichtung des Waffenund Munitionsbeschaffungsamtes war nun aber wenigstens für den überwiegenden Teil des Heeresbedarfs eine gemeinsame Zentrale geschaffen, die sehr bald die Bedarfsfeststellung nach einheitlichen Gesichtspunkten in die Hand nahm. Es dauerte aber überaus lange, bis das Hindenburg-Programm als Rohstoffbedarf — insbesondere als Stahlbedarf — an die Kriegsrohstoffabteilung herantrat. Es galt nämlich zunächst einmal die Beschaffungsstellen überhaupt für eine zentralgeleitete Bedarfs- und Lieferungsregelung von Eisen und Stahl zu gewinnen. Die Stellung der Beschaffungsstellen zu einer solchen von der Kriegsrohstoffabteilung ausgehenden Ordnung war durch ihre bisherige Entwicklung bedingt. Sie waren in höherem Grad, als z. B. die Kriegsrohstoffabteilung, „militärische“ Dienststellen, deren Tätigkeit sich daher wesentlich auf befehlsmäßiger Grundlage aufbaute. Wirtschaftliche Erwägungen traten da von selbst hinter das Bestreben zurück, gegebene Forderungen der Heeresleitung ohne Rücksicht auf Nebenerwägungen aller Art möglichst schnell und ausreichend zu erfüllen. Solange das Angebot groß genug war, solange insbesondere auch die Eisen- und Stahllieferungen ausreichten, um die gleichzeitigen Anforderungen aller Beschaffungsstellen auszufertigen, führte dieses System auch zu einer nach Frist und Menge befriedigenden Deckung des Heeresbedarfs. Sobald aber die Rohstoffzuführung kritisch wurde, mußten notwendigerweise die Anforderungen der verschiedenen Beschaffungsstellen gegeneinander in Wettbewerb treten und sich dadurch Zustände entwickeln, wie sie beim Somme-Programm so unerfreulich in Erscheinung getreten sind.



A Der neue Heeresbedarf 

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Bei der Beschaffung des Heeresbedarfs galt eine gewisse Rücksichtslosigkeit, die sich scharf gegen jede Einmischung von dritter Stelle wandte. So sahen die Beschaffungsstellen auch in der Kriegsrohstoffabteilung vielfach eine Behinderung ihrer Tätigkeit, um so mehr, als die Rohstahlausgleichstelle sich sehr bald gezwungen sah, mit Rücksicht auf den volkswirtschaftlich dringenden Bedarf (Eisenbahn, Post, Bergbau, Bauwesen) ein gewisses Maßhalten von den Beschaffungsstellen zu verlangen. Die Verhältnisse wurden noch dadurch verschärft, daß die Beschaffungsstellen nach Frist und Menge regelmäßig mit großen Sicherheitsfaktoren rechneten. Um in der Lieferung der Vertragsmengen unter allen Umständen sicher zu gehen, wurde zumeist erheblich mehr in Bestellung gegeben, als unbedingt erforderlich gewesen wäre, und auch die Lieferfristen wurden oft übermäßig gekürzt. Ähnlich verhielt sich der eigentliche Heereslieferer gegenüber seinen Unterlieferern, z. B. die Granatenpresserei gegenüber dem Walzwerk, das ihr die Stahlblöckchen zum Pressen liefern sollte. Der nominelle Stahlbedarf wuchs so weit über das tatsächlich erforderliche Maß hinaus. Die Stahl- und Walzwerke waren bald auf lange Monate mit Aufträgen besetzt und konnten unmöglich diese Aufträge nach den Wünschen der Besteller fristgerecht ausführen. Die Eisenverbraucher hatten infolgedessen bei der Unterbringung neuer Aufträge mit großen Schwierigkeiten zu rechnen und mußten auch lange Lieferzeiten von den Erzeugern in Kauf nehmen. Sie vermehrten deswegen ihre Anstrengungen und gaben möglichst große Eisenmengen in Bestellung. So zeigte sich dasselbe Bild, wie es jede Hausse auf dem Warenmarkt zu zeigen pflegt. Dazu kam nun aber noch, daß jede amtliche Beschaffungsstelle sich bei den Eisenproduzenten für diejenige Verbraucherfirma ins Mittel legte, von der sie Lieferungen in Aussicht hatte; sie bezeichnete solche Lieferungen als ganz besonders eilig, manchmal sogar eiliger als jeden anderen Auftrag, der von einer anderen Beschaffungsstelle ausgegangen war. Die Organe der Eisenbahnverwaltung hielten Lokomotiven und Eisenbahnoberbau, die Organe der Kraftfahrtruppen die Automobile, das Ingenieurkomitee teils Stacheldraht, teils anderes Pioniergerät, die Marine den Unterseebootbedarf, die Flieger das Flugzeug, das Handelsministerium den Eisenbedarf für Förderseile und Fördergleise der Kohlenzechen usw. für das wichtigste, und alles wurde überragt von der großen Forderung des Waffen- und Munitionsbeschaffungsamts an Granatstahl, dem Stahl, der als Typ des Kriegsbedarfs sich schon durch seinen Namen und Verwendungszweck des nötigen Ansehens und der größten Berücksichtigung im allgemeinen erfreute. An sich war das Bestreben all dieser Stellen, ihren Arbeitsbereich in den Vordergrund zu schieben, durchaus verständlich, und doch war es ganz offenbar, daß ohne Eisenbahn die Granatstahllieferung, ohne Kohlenzechen der Betrieb der Granatstahlproduktion und -verarbeitung unmöglich war, daß ohne gut ausgerüstete Kampftruppen das Pioniergerät in Massen wenig Wert und Wirkung haben konnte u. dgl. m. Alles mußte aufeinander abgestimmt werden; bei der nicht voll ausreichenden Produktion konnte eine technisch und wirtschaftlich beste Ausnutzung der vorhandenen Leistungsfähigkeit nur auf Grund einer scharfen Gruppierung und Klassifizierung des Bedarfs erzielt werden.

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 Das Hindenburg-Programm

Es bedurfte monatelanger Verhandlungen der Rohstahlausgleichstelle mit den Beschaffungsstellen (Oktober 1916 bis Januar 1917), um die Bedarfsanforderungen, die zunächst jede Leistungsmöglichkeit hinter sich ließen, zu klären, den Effektivbedarf an Eisen und Stahl nach Maßgabe des Programms festzustellen und die Beschaffungsstellen von der Zweckwidrigkeit eines das Bedarfsbild verzerrenden und die Programmerfüllung verwirrenden Wettbewerbs zu überzeugen. Die Verhandlungen in der Rohstahlausgleichstelle geben für die Nachteile des üblichen Beschaffungswesens manches lehrreiche Beispiel. Zu einer Zeit, als mit jeder Tonne Stahl gerechnet werden mußte, schwoll plötzlich die Anforderung von Granatenpreßblöckchen so an, daß besondere Maßregeln eingeleitet werden mußten, um die entstandenen Überforderungen auf ein dem Programm entsprechendes Maß zurückzuführen und den Stahl anderen, mindestens gleichwichtigen Bedarfsgebieten zuzuführen.10 Der Grund war in den abgeschlossenen Lieferungsverträgen zu suchen, die bei ungewöhnlichen günstigen Preisfestsetzungen auf Ablieferung der möglichen Höchstleistung lauteten, irgendeine Rücksicht auf die Rohstofflage also nicht nahmen. Die Verwirrung, die selbst innerhalb einer Dienststelle durch das übliche Beschaffungssystem angerichtet wurde, zeigt für viele andere auch der folgende Fall. Im Februar 1917 — also ein halbes Jahr nach der ersten Mahnung der Kriegsrohstoffabteilung zum Maßhalten — trat eine Beschaffungsstelle plötzlich mit einem als äußerst dringlich bezeichneten Bedarf auf, der bei den damals ganz besonders kritischen Produktionsverhältnissen von den Werken nicht ohne weiteres übernommen werden konnte. Die Rohstahlausgleichstelle konnte mit Hilfe des Stahlbundes feststellen, daß die gleiche Beschaffungsstelle in dem gleichen Material mit dieser Nachforderung ihren tatsächlichen Bedarf bereits um 40% zu überschreiten im Begriffe stand und nicht nur eine Unterbringung des Auftrags überflüssig war, sondern obendrein genau die doppelte Menge des Neuangeforderten durch Streichung überzähliger Aufträge für die allgemeine Stahlwirtschaft zurückgewonnen werden konnte. Angesichts solcher Verhältnisse ist es nicht zu verwundern, wenn erst im Februar 1917 der angemeldete Gesamtbedarf in einer Höhe von monatlich 1  675  000  t Rohstahl festgestellt werden konnte. Der Kriegsbedarf übertraf damit immer noch weit die Lieferungsmöglichkeit der Industrie, da die höchste Friedens-Produktion nur etwa 1  640  000  t im Monat betragen hatte und neben dem unmittelbaren Kriegsbedarf auch noch der mittelbare und der für volkswirtschaftliche Inlandzwecke wie der für Ausfuhr zu befriedigen war. Natürlicherweise konnte die Kriegsrohstoffabteilung nicht abwarten, bis die Unterlagen für ihre weiteren Wirtschaftsmaßnahmen endlich klargelegt waren. Sie ging vielmehr von einer Schätzung aus, die sich im großen und ganzen als zutreffend erwiesen hat. Man legte die Verhältnisse des August 1916 zugrunde und kam auf Grund eines ersten Überschlages zu folgender Bedarfserrechnung:

10 Siehe S. 87.



A Der neue Heeresbedarf 

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Stahlbedarf des Hindenburg-Programms Material

August 16

HindenburgProgramm (März 17)

Zunahme

Geschosse, Nahkampfmittel, Minen…........ Übriger Heeresbedarf…………............………. Weiterer Kriegsbedarf: Eisenbahn, Bergbau, Fabriken…………………..............….

350 000 t 350 000 t 300 000 t

670 000 t 450 000 t 390 000 t

320 000 t 100 000 t 90 000 t

Zusammen:…………………......................……

1 000 000 t

1 510 000 t

510 000 t

Man blieb also mit rund 1,5 Mill. Tonnen bereits erheblich unter den Bedarfsanmeldungen und hatte für die anderen wichtigen Zwecke im Rahmen der Gesamtleistungsfähigkeit Raum gewonnen. Die Augustproduktion 1916 belief sich auf etwa mehr als 1 400 000 t; die gesamte Bedarfssteigerung von 0,5 Mill. Tonnen auf die Produktion zu übernehmen, überstieg aber offenbar die Leistungsfähigkeit der Industrie; man wäre damit weit über die Friedensziffern hinausgelangt; Neubauten aber in einem derartigen Umfang konnten weder zeitlich noch technisch errichtet werden. Eine zweijährige Frist, wie in England 1915, stand nicht mehr zur Verfügung, war vielmehr vor dem Hindenburg-Programm ungenutzt verstrichen. Es war jedoch denkbar, im Rahmen des Erreichbaren eine volle Bedarfserfüllung durchzusetzen, wenn man den Bedarf für nichtkriegerische Zwecke scharf beschnitt. Das war ohne weiteres durchführbar: die Ausfuhr konnte unter voller Wahrung ihrer Bedeutung für die auswärtige Politik von 95 000 t auf 80 000 t im Monat herabgesetzt werden, während der Friedensbedarf von 150 000 t auf 40 000 t monatlich abgedrosselt werden sollte. Durch diese Maßnahmen konnte ohne unmittelbare volkswirtschaftliche Gefahren mehr als die Hälfte der Mehrforderungen des Hindenburg-Programms erfüllt werden, dessen volle Durchführung also eine Produktionssteigerung um etwa 250 000 t, d. h. auf rund 1 650 000 t verlangte. Man war sich natürlich darüber klar, daß eine solche Erhöhung der gesamten Leistung mit Rücksicht auf die schweren Schädigungen der verflossenen Kriegszeit erst nach und nach erreicht werden konnte, rechnete aber damit, daß dies bis zum März 1917 möglich sein würde. Bei diesen Voranschlägen blieb jedoch zunächst noch die gewaltige Eisenmenge außer Ansatz, die für Neueinrichtung von Kriegswerkstätten (Pulver-, Stickstoff-, Sprengstoffabriken, Granatenpressereien, Patronenfabriken) sehr bald programmwidrig in Anspruch genommen wurde. Sie wurde von sachverständiger Seite im ganzen auf rund 1 Mill. Tonnen veranschlagt!

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 Das Hindenburg-Programm

Deckungsmöglichkeiten Die Deckung dieses Stahlbedarfs war durchaus nicht unwahrscheinlich. Kohle und Koks konnten voraussichtlich in ausreichender Menge zur Verfügung gestellt werden. Die Erzfrage war durch den Besitz des Beckens von Longwy und Briey als gelöst zu betrachten. Man hoffte, das Hindenburg-Programm so gut wie völlig auf eine entsprechende Mehrerzeugung von Thomasstahl aufbauen zu können; von einer Produktionserhöhung der übrigen Stahlsorten versprach man sich nur wenig, auch die Martinstahlerzeugung konnte man wegen der bereits fühlbar gewordenen Schrottknappheit nicht ohne weiteres als entwicklungsfähig ansehen. Im August 1916 waren von der gesamten Stahlproduktion von 1 400 000 t etwa 660 000 t auf Thomasstahl, 600 000 t auf Martinstahl und 110  000  t auf Stahlformguß entfallen. Eine Übernahme des Stahlmehrbedarfs auf die Thomasproduktion hätte also eine Leistungssteigerung auf 900 000 t im Monat, und unter Berücksichtigung der Abbrand- und anderen Verluste eine Thomaserzförderung von etwa 1,1 Mill. Tonnen Eiseninhalt (= 3,3 Mill. Tonnen Erz) erforderlich gemacht. Auch diese Forderung wäre technisch durchführbar gewesen, wenn man die lediglich von der Arbeitergestellung abhängige Leistung der Minettegruben in Deutschland und bei der Schutzverwaltung im besetzten Gebiet entsprechend anspannte. Gleichzeitig dachte man an eine großzügige Entwicklung des Bergbaues von Ilsede bei Hannover, wo die geologisch-bergmännischen Verhältnisse eine starke Produktionssteigerung sehr begünstigten. Auch konnte man auf eine ausreichende Versorgung mit Schwedenerz im gewissen Umfange rechnen und eine stärkere Ausnutzung der Zwischenprodukte, wie Kiesabbrände, in Rechnung stellen. Von der Erzversorgung erwuchs also offensichtlich der Durchführbarkeit des Hindenburg-Programms kein entscheidendes Hindernis. Ungleich schwieriger aber war die Frage zu beantworten, ob die geförderten Erzmengen auch wirklich zu Roheisen verblasen werden konnten. Die Leistungsfähigkeit der deutschen Thomashochöfen war infolge der Notwendigkeit, geringwertigere Erze zu verhütten, um fast 20% zurückgegangen und belief sich auf kaum mehr als 850 000 t im Monat. Selbst bei voller Inbetriebnahme aller deutschen Werke fehlte somit noch eine Menge von 250 000 t zur Programmerfüllung, zu deren Beschaffung andere Wege eingeschlagen werden mußten. Aber auch hier bot sich ein Ausweg, da belgische und französische Hochofenwerke mit einer weit höheren Gesamtleistungsfähigkeit zur Verfügung standen. Allerdings war es fraglich, ob diese durch die Kriegshandlungen zum Teil sehr mitgenommenen Werke rechtzeitig wieder instand gesetzt werden konnten. Diese Erwägungen zeigen aber trotzdem, daß das Hindenburg-Programm theoretisch bei planmäßiger Inangriffnahme nicht undurchführbar war. Es geht deshalb nicht an, das Hindenburg-Programm als ein Programm der Verzweiflung zu bezeichnen. Wenn auch durch widrige Umstände, die völlig außer jeder Berechnung standen



A Der neue Heeresbedarf 

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und durch höhere Gewalt die Durchführung des Programms unmöglich wurde, so muß doch unbedingt daran festgehalten werden, daß die im Hindenburg-Programm enthaltene Idee die schlechthin einzige war, die dem Wesen eines hochentwickelten Industriestaates entsprach. Der Krieg hätte einen anderen und wahrscheinlich für Deutschland wesentlich günstigeren Verlauf genommen, wenn man den großen Vorsprung, den ein glückliches Geschick Deutschland beschieden hatte, durch Aufstellung eines wesensgleichen Programms rechtzeitig ausgenutzt hätte. Wir verharrten technisch und wirtschaftlich zu lange in der Defensive, anstatt gleich von Anfang an auch hier in stärkstem Maße offensiv zu werden, wie man es als richtigen Grundsatz in der militärischen Kriegführung schon längst erkannt hatte. Trotz all der ungeheuren Schwierigkeiten der beiden letzten Kriegsjahre konnten wir doch bei der großen Westoffensive 1918 eine überwältigende örtliche Artillerieüberlegenheit entwickeln; um wieviel mehr hätte sich das Ziel erreichen lassen, wenn man es 1915 rechtzeitig erkannt und zielbewußt verfolgt hätte.

Arbeiterfrage Die wesentliche Vorbedingung für die Durchführung eines auf Steigerung der Leistung gerichteten Programms ist in der Lösung der Arbeiterfrage zu erblicken. Das Ersatzwesen für das Heer und die Behandlung der Arbeiterreklamationen ruhte, ebenso wie die Verfügung über die Kriegsgefangenen, auf der Tätigkeit der stellvertretenden Generalkommandos, die in den Bezirken der Friedensarmeekorps wirkten. Eine solche Zergliederung des Reichsgebietes in zahlreiche nahezu absolutistisch verwaltete Teilbezirke lief aber der Einrichtung einer planmäßigen Kriegswirtschaft, insbesondere der Aufnahme einer weitsichtigen Produktionspolitik im Sinne des Hindenburg-Programms, gänzlich zuwider. Industrien, wie die Eisenindustrie, die sich in ihrer Größe auf die Gesamtleistungsfähigkeit der Nation schlechthin stützen mußten, um fruchtbar arbeiten zu können, litten unter einer derartigen künstlichen Einengung ihrer natürlichen Kraftquellen ganz ungemein; wurden doch zahlreiche Großwerke in Fragen der Arbeiterbeschaffung und -unterhaltung künstlich geradezu auseinandergerissen. Ein besonders drastisches Beispiel geben hierfür die von der Kriegsrohstoffabteilung beaufsichtigten und für die Eisenwirtschaft überaus wichtigen Mangangruben von Dr.  Geier bei Bingerbrück, die auf der Grenze von nicht weniger als drei Armeekorpsbezirken lagen und bei allen Arbeiter- und Gefangenenangelegenheiten der konkurrierenden Politik von drei stellvertretenden Generalkommandos ausgesetzt waren, bis endlich die Kriegsrohstoffabteilung kräftig durchgriff und Ordnung schuf. Zur Zeit der Aufstellung des Hindenburg-Programms hatte die deutsche Eisenindustrie schon zwei Drittel ihres ursprünglichen Arbeiterstammes an die Front geschickt. Gefangene, Jugendliche und besonders auch Frauen waren im weitesten Umfange angestellt und hatten die Belegschaftsziffern ganz unverhältnismäßig aus-

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 Das Hindenburg-Programm

geweitet. Eine weitere Schwächung der gelernten Arbeiterschaft war mit der Innehaltung der erreichten Produktionsleistung, geschweige denn mit einer weiteren Steigerung der Produktion unvereinbar. Mit dem Begriff Facharbeit insbesondere ist eine Unmenge von Erfahrungswissen verknüpft, die nun einmal nicht durch eine oberflächliche Unterweisung übermittelt werden kann. Der schlecht ausgebildete Soldat kann unter dem Einfluß seiner Vorgesetzten während des Kampfes immer noch Gutes leisten; die Begeisterung und der Selbsterhaltungstrieb können über verbliebene Ausbildungslücken hinweghelfen. Der schlecht geschulte Arbeiter aber wird zum Anlaß einer schweren Beeinträchtigung der gesamten Leistungsfähigkeit eines Unternehmens. Seine Kenntnisse versagen nicht nur in Fällen von augenfälliger Betriebsstörung, sondern jeder Fehler, den er in der Bedienung der ihm anvertrauten Apparate und Maschinen macht, setzt sich automatisch durch die gerade bei der Eisenhüttenindustrie in strengster Arbeitskombination miteinander verbundenen Betriebe fort. Unsachgemäßes Arbeiten an den metallurgischen Apparaten oder Betriebsmaschinen der unteren Produktionsstufen kann den Gesamtbetrieb eines Großunternehmens auf Stunden hinaus festlegen. Die Oberste Heeresleitung erkannte an, daß die Durchführung ihres Hindenburg-Programms schlechthin auf einer entschlossenen Lösung der Arbeiterfrage beruhe. Sie gab ihr Einverständnis dazu, daß sämtliche von der Industrie namhaft gemachten Facharbeiter ohne weiteres aus dem Heeresdienst zu entlassen seien. Damit trat endlich zum ersten Male das industrielle Heimatheer fast gleichberechtigt hinter die Front, und so war tatsächlich einer der ausschlaggebenden Punkte für die Hebung der Produktion, soweit es die Heeresleitung selbst anging, großzügig erledigt. 125 000 Mann wurden damals ohne Zögern für die Programmzwecke frei gemacht, eine Zahl, deren Bedeutung wächst, wenn man sich an die gleichzeitige Lage an der Front im Westen und Südosten (Somme und Rumänien) erinnert. Zweifellos wäre es in früheren Kriegsperioden ungleich leichter gewesen, einen Ausgleich zwischen Front- und Heimatbedarf zu finden, als in diesem Augenblick der höchsten Zuspitzung der militärischen Lage. Dagegen hat das Hilfsdienstgesetz, von dem die Oberste Heeresleitung eine weitere Stärkung der industriellen Heimarmee erwartete, der Industrie nur wenig Arbeitskräfte zugeführt. Jugendliche waren bereits in größter Zahl in den Rüstungsbetrieben tätig, und an Frauen herrschte sogar ein nicht unbeträchtliches Überangebot. Der gewohnheitsmäßige Drückeberger und der Kriegsschieber aber fanden nach wie vor Auswege genug, sich auch der Wirkung des Hilfsdienstgesetzes zu entziehen. Seine Wirkung wurde außerdem wesentlich dadurch geschmälert, daß die im Interesse der Kriegs-Menschenökonomie bis dahin sehr behinderte Freizügigkeit — noch dazu unter schärfster Herausstellung des Lohninteresses der Arbeiter — wieder hergestellt und damit die Kluft zwischen Heeresdienst und Heimatdienst noch erheblich vergrößert wurde. Waren schon während des Jahres 1916 die Forderungen der Arbeiter mit steigenden Kosten der Lebensführung stark angewachsen, so brachten die Bestimmungen über Arbeiterentlassung jede übersehbare Lohnpolitik zum Schei-



B Die Ausführung des Hindenburg-Programms 

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tern. Die Löhne gerieten zuerst in ein beträchtliches Schwanken und stiegen von da ab unaufhaltsam an. Die vom Reichstag dem Hilfsdienstgesetz eingefügten Bestimmungen über Abkehrschein und Freizügigkeit machten es auch in der Eisenindustrie sehr schwierig, die reklamierten Arbeiter in den Betrieben zu halten, für die sie ürsprünglich bestimmt gewesen waren. So wanderten z. B. aus dem Bergbau von Ilsede zahlreiche reklamierte Arbeiter dauernd nach Westfalen zurück, wo sie ansässig waren, und auch im Minettebergbau schwankten die Belegschaftsziffern aus ähnlichen Gründen weit über jedes zuträgliche Maß. Die Wurzeln des Hindenburg-Programms für Eisen und Stahl wurden damit ganz empfindlich verletzt. Der Arbeiterbedarf der Eisenindustrie stellte sich auf 164  000  Mann mehr, als bisher in der Industrie beschäftigt worden waren. Indem die Heeresverwaltung den sachlich notwendigen Forderungen weitgehend entgegenkam — sie ganz zu erfüllen, verbot die Kriegslage —, schuf sie die erste Voraussetzung für die Durchführung einer kriegsgerechten Steigerung der Eisen- und Stahlerzeugung. Aber die Mängel des Hilfsdienstgesetzes gestatteten nicht, Arbeiterbedarf und Produktionsleistung gegeneinander abzustimmen. Es wurde beispielsweise unmöglich, eine Art von „technischer Nothilfe“ zu schaffen, die an die jeweils wichtigsten oder am meisten von Arbeitermangel bedrohten Produktionspunkte geworfen werden konnte. Noch im Herbst 1918 bereitete es die größten Schwierigkeiten, die Facharbeiter und Gefangenen, die im Bezirk des XXI. Armeekorps (Minettebergbau) beschäftigt gewesen waren, in den Bezirk des X. Korps (Ilsede) hinüberzubewegen, wie es die damalige Lage erforderte. Es wurden relativ zuviel Arbeitskräfte festgelegt, da jedes Auswechseln und ökonomische Auswerten der Arbeiterheere geradezu unmöglich war.

B Die Ausführung des Hindenburg-Programms Arbeitsprogramm der Kriegsrohstoffabteilung Durch die von der Eisensektion aufgestellte Rohstoffbilanz für das Hindenburg-Programm war das weitere Verhalten der Kriegsrohstoffabteilung auf dem Gebiete des Eisens genau festgelegt. Es schied sich in produktive und distributive Maßnahmen. Als wichtigste produktive Maßnahme war die Hebung der Erzversorgung anzusehen. Es war vorauszusehen, daß die Industrie bei ausreichender Arbeitergestellung und bei zufriedenstellenden Erzverhältnissen sich im übrigen von selbst auf höhere Produktion umstellen würde. Da ging es natürlich nicht mehr an, die vor Jahresfrist beschlossene Einschränkung des Schwedenerzverbrauchs weiter beizubehalten. Die Abmachungen wurden fallen gelassen und größter Wert einer nachdrücklichen Belebung der Schwedenerzeinfuhr beigelegt. Auf dem Gebiete des Erzbergbaus richtete sich die Aufmerksamkeit der Kriegsrohstoffabteilung in erster Linie auf die Leistungssteigerung der Schutzverwaltung.

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 Das Hindenburg-Programm

Diese ging dazu über, einen großzügig durchgeführten Bergbau zu eröffnen. Die Zahl der betriebenen Bergwerke stieg damals von 3 auf 14. Es entsprach der innerhalb der Eisenwirtschaft nunmehr von der Kriegsrohstoffabteilung eingenommenen zentralen Stellung, daß eine engere Verbindung zwischen ihr und der seither unabhängig arbeitenden Organisation hergestellt wurde. Das Ergebnis der hieraus entspringenden Erwägungen war, daß am 1. Januar 1917 die Schutzverwaltung aufgelöst wurde. Ihr Arbeitsbereich ging von der Zivilverwaltung auf das Gouvernement Metz über. Es entstanden damals bei der Gruppe „Landes-Berg- und Hüttenverwaltung“ des Gouvernements Metz drei Abteilungen, und zwar die Berg- und Hüttenverwaltung Hayingen, die Bergverwaltung Homécourt und die Rohma (früher Rohstoff- und Maschinenverteilungsstelle). Sie wurden technisch und wirtschaftlich der Kriegsrohstoffabteilung unterstellt, ressortierten aber militärisch vom Gouvernement Metz. Für die Betriebsführung war es wesentlich, daß die Leitung der betreffenden Werke nunmehr von Metz weg auf die Betriebe selbst verlegt und eine intensivere Betriebsbeaufsichtigung ermöglicht wurde. Die Berg- und Hüttenverwaltung Hayingen übernahm den Betrieb der De Wendelschen Hochofen-, Stahl- und Walzwerke und der zur Firma gehörigen Erzgruben, während die Bergverwaltung Homécourt die Arbeiten der früheren Schutzverwaltung in erweitertem Umfange weiterführte. Die Rohma war eine Verselbständigung der früheren Zweigstelle der Schutzverwaltung in Longwy, deren Arbeitsbereich mit Aufnahme der verstärkten Rückführungen von Material aller Art ebenfalls sehr wesentlich gegenüber den bisherigen erweitert wurde. Ein Umstand aber veranlaßte die Kriegsrohstoffabteilung zu einiger Vorsicht und Zurückhaltung. Das gesamte Schutzgebiet befand sich nicht allzuweit entfernt von der im Frühjahr heiß umkämpften Front und dehnte sich gleichsam unter den Kanonen von Verdun aus, denen eine Beschießung des Gebietes von Longwy und Briey mit schwerem Flachfeuer keine technischen Schwierigkeiten bot. Es war anscheinend der Einwirkung französischer Industrieller zu verdanken, daß die französische Heeresleitung sich zu einer Schonung des wertvollen französischen Nationalbesitzes verstand. Es drohte aber täglich die Gefahr, daß der Franzose wirtschaftliche Interessen dieser Art gegen militärische Pläne zurücktreten ließ. Mußte doch auch er genau wissen, welch außerordentlich hohe Bedeutung die Minetteindustrie für das deutsche Rüstungswesen besaß. So lag es nicht außerhalb des Bereichs der Möglichkeiten, daß der von der Entente geplante Angriff des Jahres 1917 sich mit besonderer Stärke von Verdun aus entwickeln würde. Ein erbitterter, für die deutsche Abwehrarmee sehr verlustreicher französischer Angriff von Verdun aus drückte gerade Mitte Dezember 1916 schwer auf die Stimmung in Heer und Heimat und gab ernsten Erwägungen der angedeuteten Art neuen Stoff. In der Tat mußten Mitte 1917 schwere französische Angriffe in der Richtung auf das Minettegebiet abgewiesen werden.



B Die Ausführung des Hindenburg-Programms 

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Die Kriegsrohstoffabteilung nahm infolgedessen schon Ende 1916 den Plan auf, nach Möglichkeit Produktionsstätten in größerer Entfernung von der Front und außerhalb jeder Gefahrenzone leistungsfähiger zu gestalten. Am meisten Aussicht bot hierzu das Eisenerzvorkommen von Ilsede bei Hannover, dessen große Ergiebigkeit vorläufig nur in ganz bescheidenem Umfange von der Ilseder Hütte und dem Peiner Walzwerk ausgewertet wurde. Es handelt sich hier um ein Vorkommen, das unter denkbar günstigsten bergmännischen Umständen im Tagebau ausgebeutet werden konnte und Erze von einer besseren Qualität als die Minette lieferte. Der im September 1916 aufgenommene Gedanke, Ilsede-Peine stärker zur Erz- und Roheisenversorgung Deutschlands heranzuziehen, nahm im Januar 1917 feste Gestalt an. Es wurden mit der Verwaltung der Ilseder Hütte Verhandlungen begonnen, die auf Abschluß eines Vertrages hinzielten, nach welchem die Erzförderung auf der großen Lagerstätte von 1 Mill. Tonnen auf 8 Mill. Tonnen im Jahre erhöht werden sollte. Die Eisenzentrale übernahm einen erheblichen Teil der erforderlichen Kapitalinvestitionen und trug auch für die Herstellung eines leistungsfähigen Abtransportweges Sorge. Man nahm hierfür in erster Linie den Wasserweg in Aussicht, der sich in dem westlichen fertiggestellten Stück des Mittellandkanales vom Rhein bis Hannover darbot. Die gewaltige Steigerung der Transportbeanspruchungen auf Grund des Ilseder Programms bedingte einen entsprechenden Ausbau der Hafen- und Umschlageinrichtungen in Hannover, zu deren Durchführung wiederum die Eisenzentrale mit den beteiligten Kommunalbehörden Verträge abschloß, nach denen sie erhebliche Teile der Kosten übernahm. Die Arbeiten zur Vorbereitung einer Produktionssteigerung wurden unverzüglich aufgenommen und die bergmännischen Vorrichtungsarbeiten mit großer Energie soweit gefördert, daß im Notfall jederzeit die erhöhte Förderung aufgenommen werden konnte, wenn die Heeresverwaltung die erforderlichen Bergarbeiter für diese Zwecke freigab. Zum förmlichen Abschluß des Vertrages kam es allerdings nicht, besonders deshalb, weil das Reich keine Garantie für die Brennstoffversorgung — somit für die Aufrechterhaltung des Betriebes — übernehmen konnte. Ohne solche Garantie erschien aber der Ilseder Hütte das Risiko zu groß, bei nicht gesicherter Beschäftigungsmöglichkeit die Verzinsung der investierten und vom Reich zugesprochenen Kapitalien (37 Mill. Mark) aufzubringen. Die nicht abgeschlossenen Verhandlungen sponnen sich bis in die Revolutionszeit fort und gewannen hier vorübergehend in Sozialisierungsabsichten der Regierung greifbare Form. Im Dezember 1916 begannen Verhandlungen mit Österreich, auf Grund deren man den Bedarf an manganhaltigen Eisenerzen durch den Bezug von 1 Mill. Tonnen Erz vom Steyerischen Erzberg zu erleichtern gedachte. Diese Verhandlungen zogen sich bis zum Juli 1917 hin, mußten aber schließlich, zum Teil wegen der Unlösbarkeit der Transportfrage, ohne Erfolg eingestellt werden. Eine weitere Fürsorgemaßnahme betraf die oberschlesische Industrie. Diese war infolge der Kriegsverhältnisse in erhebliche Erzschwierigkeiten gekommen, deren man im Hinblick auf das Hindenburg-Programm nur durch verstärkte Inlandzufuhr Herr werden konnte. Durch Vermittlung der Kriegsrohstoffabteilung wurde eine

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 Das Hindenburg-Programm

Sicherstellung des Bedarfs durch Zuführung entsprechender Erzmengen aus dem Minettegebiet, aus dem Siegerland und von Ilsede her bewirkt. Mit größtem Interesse wurde die Möglichkeit einer Inbetriebsetzung von Eisenhütten in Belgien verfolgt. Auf Anregung der Kriegsrohstoffabteilung stellte das Generalgouvernement in Belgien eingehende Untersuchungen über die Betriebsfähigkeit belgischer Hochofenwerke an. Diese ergaben, daß zunächst auf sieben Anlagen mit verhältnismäßig geringen Vorbereitungen eine Roheisenproduktion aufgenommen werden konnte. In Frage kamen folgende Anlagen: Mit einer ungefähren monatlichen Roheisenerzeugung von S. A. S. A. S. A. S. A. S. A. S. A.

Athus-Grivegnée in Alhus………………....................................……… des Hauts Fourneaux Forges et Acieries de Thy-le-Chateau et Harcinelle Charleroi……..........................................................…… Metallurgique de Sambre et Moselle in Mintigny sur Sambre……… des Acieres dʼAngleur in Renory-Angleur……..............................… John Cockerill in Seraing……………….....................................……… des Hauts Fourneaux du Sud de Chatelineau in Chatelineau………………………………..........................................…… in Sud de Chatelineau……………….......................................…………

12 000 t 13 500 t 30 000 t 8 000 t 18 000 t 8 000 t 2 800 r

Die mögliche Erzeugung entsprach einer Gesamtleistung von etwa 90—100  000  t Roheisen. Allerdings belastete diese Roheisenproduktion in Belgien die Transporte sehr erheblich, da etwa 300 000 t Eisenerz aus dem Minettegebiet, 100 000 t Kohlen und Koks aus belgischen Kohlengruben und Kokereien und 40 bis 50  000  t Kohle und Koks aus dem Rheinland zugeführt werden mußten. Außerdem mußten je etwa 25 000 t Manganschlacken (aus dem Siegerland), Zuschlagskalk und Thomasschlacke beschafft werden und schließlich die Produktion von 100 000 t Thomasroheisen abtransportiert werden. Das gab eine gesamte Transportleistung von etwa 600 000 t im Monat. Die Inbetriebsetzung dieser Hochofenwerke wurde zunächst mit allem Nachdruck verfolgt. Erst die weitere Entwicklung der Eisenwirtschaft im Winter 1916/17 ließ von einer Anblasung der Hochöfen in Belgien endgültig Abstand nehmen.11 Zur gleichen Zeit griffen die Maßnahmen der Kriegsrohstoffabteilung tief in das Wirtschaftsleben ein, die auf eine Abdrosselung des Friedensbedarfs hinzielten; lag doch nach der Herabminderung der Ausfuhrzahlen hier eine Aufgabe von maßgebender Bedeutung für die Erfüllbarkeit der Hindenburg-Forderungen. Es galt den Friedensbedarf von 150 000 t im Monat auf 40 000 t, d. h. um fast 75% herabzudrücken. Für ähnliche Zwecke hat man sich in der Kriegswirtschaft sehr oft der Beschlagnahme

11 Siehe S. 95 und 130.



B Die Ausführung des Hindenburg-Programms 

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bedient. Angesichts des weiten Versorgungsgebietes und der Unmöglichkeit, dem Eisenverbrauch auf allen seinen verschiedenen Wegen restlos folgen zu können, wäre es jedoch wenig erfolgversprechend gewesen, etwa eine allgemeine Beschlagnahme des Eisens auszusprechen. In bezug auf die Beschlagnahme haben nämlich die Erfahrungen des Krieges das folgende gelehrt. Man muß unterscheiden zwischen Beschlagnahmungen zur Ergänzung der Vorräte durch „Erfassung“ und spätere Mobilisation der so festgelegten Mengen, wie dies z. B. bei den sog. Sparmetallen (Kupfer usw.) ausgeübt wurde. Daneben steht die Beschlagnahme zur Sicherung der Verbrauchsregelung, mit der bezweckt wird, einen sparsamen Verbrauch im allgemeinen und eine bevorzugte Belieferung gewisser Bedarfsgruppen im besonderen (Heeresbedarf) herbeizuführen. Einen derartigen Charakter trug die Beschlagnahme der Lebensmittel. Man hat nun die Erfahrung gemacht, daß eine vorratspolitische Beschlagnahme nur dort zum Ziele führte, wo die Zahl der Produktionsstätten, ebenso wie die der Verbraucherkreise zu übersehen war, auch die Mengen sich nicht ins Unübersehbare verloren, so daß eine Kontrolle durchführbar blieb. Die verbrauchsregelnde Beschlagnahme aber wurde um so wirkungsloser, je vielseitiger der Bedarf und die zur Bedarfsdeckung heranziehbaren Modifikationen des beschlagnahmten Stoffes waren. Auch die Vertretbarkeit der einzelnen Modifikationen spielte dabei eine große Rolle. Ging man aber über die Beschlagnahme des Rohstoffs hinaus und griff man auf die Verfeinerung und Verarbeitung hinüber, so wurde mit der Mannigfaltigkeit der Objekte die Unübersichtlichkeit erhöht und ebenfalls eine Minderung der Beschlagnahmewirkung erreicht. In solchen Fällen bewirkte die Beschlagnahme — wie die Lebensmittelwirtschaft zur Genüge gezeigt hat — in der Regel ein Überhandnehmen des Schleichhandels, der jede Verbrauchsregelung in höchstem Maße gefährdete. Eine vorrratspolitische Beschlagnahmung von Eisen und Stahl kam im Herbst 1916 überhaupt nicht in Betracht, da die noch vorhandenen Vorräte so gering waren, daß eine Beschlagnahme und Mobilmachung gegenüber der großen Produktion kaum irgendwie zur Entspannung der Deckungslage hätte beitragen können; die angerichtete Verwirrung hätte in keinem zu rechtfertigenden Verhältnis zu dem geringen Erfolg gestanden. Eher hätte man eine Beschlagnahme der gesamten Produktion zum Zwecke gleichmäßiger Verteilung auf alle dringlichen Bedarfsgebiete erwägen können. Aber angesichts der eigentümlichen Struktur der Eisenindustrie bot auch ein solches Vorgehen kaum Aussicht auf Erfolg. Fast drei Viertel der Gesamtproduktion wurden in den gemischten Werken hergestellt und gleich an Ort und Stelle weiterverarbeitet. Es war ziemlich ausgeschlossen, hier eine wirksame Kontrolle durchzuführen; das Verfahren, in einer Hitze aus dem Hochofen bis weit in die Fertigfabrikate hinein, ohne jede Unterbrechung des Produktionsganges zu arbeiten, machte die Erfassung der Produktion auf jeder Stufe — wie es nun einmal für eine derartige zwangsläufige Verbrauchsorganisation nötig gewesen wäre — zur vollkommenen Unmöglichkeit. Es sei denn, man stellte an jeden Betriebspunkt einen Aufsichtsbeamten und schuf damit ein Heer von Kontrollorganen, von dessen Tätigkeit nur bei Verwendung fach-

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technisch voll unterrichteter Persönlichkeiten Erfolg zu erwarten war. Diese wurden aber weit vorteilhafter bei rein produktiver Arbeit verwendet, wo bereits der größte Mangel an Fachbeamten herrschte. Es wäre eine vollendete Kurzsichtigkeit gewesen, gerade bei Aufnahme des Hindenburg-Programms ein solches weit mehr hinderliches als förderliches Netz von Organisation über die Eisenwirtschaft zu werfen, solange sich bei tatkräftiger Mitarbeit der Industrie ein wesentlich einfacherer und zweckdienlicherer Weg bot. Sehr zum Vorteil für die wirtschaftliche Kriegführung hat man in der Eisenwirtschaft trotz zahlreicher Angriffe nicht an dem Axiom festgehalten, daß technisch überspannte „Organisation“ um jeden Preis das alleinige Heilmittel in bedrängter Lage sei; einem Axiom, dem viel Unheil in der Kriegswirtschaft zuzuschreiben ist. Gerade in der Eisenwirtschaft, wo Industrie, Handel und Verbraucherkreise sich zu einem kaum übersehbaren und äußerst schwer lenkbaren Ganzen zusammenschlossen, konnte der beste Erfolg nicht mit einem technischen Schema, sondern nur mit einfachsten wirtschaftspolitischen Mitteln erreicht werden. Wenn man also mit der Aufnahme des Hindenburg-Programms bei der Verbrauchsregelung zu gänzlich neuartigen Maßnahmen griff, so schloß dies nicht aus, daß man im weiteren Verlauf des Krieges, je nach der Lage auch zwangsläufige Maßnahmen anwandte, sogar für gewisse hierfür geeignete Gebiete Beschlagnahmungen in Anwendung brachte. Zunächst aber appellierte man an die Einsicht der Eisenindustrie, mit dem Erfolg, daß der Stahlbund gemäß der von ihm bei der Gründung übernommenen Verpflichtungen Grundlinien für das Lieferungswesen entwarf. Nach einigen nicht voll befriedigenden Versuchen kam er am 1.  Dezember 1916 zur Formulierung einiger Richtlinien, welche die wirkungsvolle Grundlage für die weitere Gestaltung der Eisen- und Stahllieferungen bildeten. Er teilte sie seinen Mitgliedern in einem Rundschreiben (Nr. 20) mit, das den Leitsatz trug: „Auszuführen sind nur Lieferungen für Zwecke der Reichsverteidigung. Jede Lieferung, die diesen Zwecken nicht dient, entzieht der kämpfenden Truppe Kampfmittel.“12 Dieses Rundschreiben schuf der Erfüllung der Aufträge für eigentlichen Kriegsbedarf freien Raum und gab Richtlinien für die Behandlung des mittelbaren Kriegsbedarfs. Der Friedensbedarf sollte überhaupt grundsätzlich unbeliefert bleiben, bis bessere Produktionsverhältnisse eingetreten sein würden, soweit die Zentralstellen nicht im einzelnen Fall die begründete Ausführung gestatteten. Eine besondere Regelung war für die Bautätigkeit erforderlich. Die Aufnahme einer allzu lebhaften Errichtung von Baulichkeiten für das Hindenburg-Programm legte Eisen und Stahl weit über jedes sachlich begründete Maß fest. Dagegen mußte energisch eingeschritten werden. Am 13. Dezember 1916 wurde die Bautenprüfungsstelle eingerichtet, nachdem schon anfangs Oktober die Zivilämter zu schärfster Einschränkung ihrer Bauten veranlaßt worden waren. Im Februar 1917 waren die Arbeiten soweit gefördert, daß eine Liste der wirklich dringenden Kriegsbauten aufgestellt

12 Siehe Anlage 12.



B Die Ausführung des Hindenburg-Programms 

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und eine Kontingentierung des Baueisenbedarfs vorgenommen werden konnte. Erst im Mai gelang es der Kriegsrohstoffabteilung, bei der Obersten Heeresleitung die Einwilligung zu noch schärferem Eingreifen zu erlangen. Lediglich die in den Sommermonaten fertigzustellenden Bauwerke durften nunmehr noch weiter beliefert werden; die Anpassung der Bautätigkeit an die Rohstoffversorgungsmöglichkeiten, die zweckmäßig bereits im September Oktober 1916 vorzunehmen gewesen wäre, wurde somit wenigstens nachträglich erreicht. Die Wintermonate brachten dann vorübergehend eine Sonderregelung für den Granatstahlbezug. Durch Bezugscheine wurde angestrebt, die Granatstahllieferungen auf den Stand der Aufträge auf fertige Granaten herunterzudrücken, den sie aus bereits angemerkten Anlässen13 nicht unerheblich überschritten hatten. Schließlich entwickelte vom März 1917 ab die Rohstahlausgleichsstelle ein Dringlichkeitssystem, welches innerhalb des Heeresbedarfs die Reihenfolge der Dringlichkeit der Aufträge festlegte und dadurch nach Möglichkeit die Konkurrenz der Beschaffungsstellen ausschaltete. Durch eine Dringlichkeitsliste wurde eine sachliche Einteilung der Dringlichkeiten vorgenommen, durch Dringlichkeitsscheine eine zeitliche und mengenmäßige Bedarfserfüllung in Ansehung der Dringlichkeit des Einzelfalles angebahnt. So durfte man hoffen, eine je nach der Bedarfslage den Forderungen der Obersten Heeresleitung weit entgegenkommende Versorgung der wichtigsten Frontbedürfnisse durchsetzen zu können14.

Nebenprogramme Die Durchführung des Hindenburg-Programms in Eisen und Stahl verlangte aber auch große Aufmerksamkeit auf sekundäre Produktionsforderungen, die quantitativ weit hinter der Eisenerzfrage zurückblieben, aber in ihrer qualitativen Bedeutung die Durchführung des großen Programms wesentlich bestimmten. Es handelte sich hierbei um die Rohstoffe, Mangan, Ferrosilizium und Schrott. Durch die lebhafte Aufnahme der Arbeiten bei der neugegründeten Manganerzgesellschaft erhielt im Winter 1916/17 die gesamte Manganbewirtschaftung Veränderungen von grundlegender Bedeutung. Die bisher in der Hauptsache auf distributive Maßnahmen beschränkten Arbeiten der Manganversorgungsstelle wurden nun nachdrücklich nach der produktiven Seite hin ergänzt und damit die Vorbedingungen geschaffen, um der trotz der schärfsten Sparvorschriften allmählich kritischen Manganknappheit zu begegnen. Das Manganproblem hatte sich mit Rücksicht auf die neuen Forderungen des Hindenburg-Programms ganz besonders zugeschärft. Zunächst konnte man hoffen, durch stärkstes Heranziehen des Siegerländer Spatei-

13 Siehe S. 76. 14 Exkurs b zum III. Kapitel.

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 Das Hindenburg-Programm

sensteins und durch erhöhte Förderung von Manganerzen auf den Fernie-Gruben bei Gießen und den Geier-Gruben bei Bingen die vorhandenen Vorräte an hochwertigen Erzen etwa bis Mitte 1917 strecken zu können. Von diesem Zeitpunkte ab aber mußte eine von langer Hand vorbereitete anderweitige Deckung des Manganbedarfs einsetzen. Diesem Ziele galt in der Hauptsache die Tätigkeit der Manganerzgesellschaft. Bereits unmittelbar nach ihrer Gründung kam der erste Vertrag mit der Gewerkschaft Geier bei Bingerbrück zustande, wonach dort unter finanzieller Unterstützung der Manganerzgesellschaft ein wesentlich vergrößertes Produktionsprogramm zur Durchführung gelangen sollte. Im weiteren Verlaufe des Krieges sind eine ganze Reihe solcher Geier-Verträge abgeschlossen worden, denen zufolge neue Erzlager erschlossen und die Grubenförderung (stets unter finanzieller Beteiligung der Manganerzgesellschaft) ganz wesentlich vergrößert wurde. Eine unmittelbare Unterstützung der Fernie-Gruben erübrigte sich, da die Gewerkschaft von Krupp angekauft wurde, der die im Gesamtinteresse notwendige Produktionssteigerung aus eigenen Mitteln technisch und finanziell bewirken konnte. Ebenfalls im Herbst 1916 reisten die Beauftragten der Manganerzgesellschaft nach dem verbündeten Ausland, um in Ungarn, Bulgarien und in der Türkei Feststellungen über das Vorhandensein und die Betriebsfähigkeit der dort vermuteten Manganerzvorkommen zu treffen. Der Bergbau auf Manganerze war in diesen Ländern aus denselben Gründen wie in Deutschland infolge des im Frieden überlegenen Wettbewerbs der hochwertigen Auslandserze nur in beschränktem Umfange entwickelt, so daß sich immerhin Möglichkeiten zu bergwirtschaftlichen Erfolgen eröffneten. Besonderes Interesse gewann hierbei von vornherein das ungarische Vorkommen von Maczkamezoe, für dessen Aufschluß die Manganerzgesellschaft erhebliche Mittel investierte15. Wesentliche Ergebnisse wurden durch diese Tätigkeit in den verbündeten Ländern für die Manganwirtschaft allerdings nicht erzielt. Lediglich die aus Heraklea stammenden Braunsteine waren eine willkommene Entlastung des Braunsteinbedarfes, der mit Zunahme der Feldtelephonie, Feldtelegraphie und des Kleinbeleuchtungswesens von erhöhter Wichtigkeit geworden war. Im Ferrosiliziumbedarf war Deutschland auch jetzt noch hauptsächlich auf die Einfuhr aus dem neutralen Ausland angewiesen. Für die Lieferung hochwertigen Ferrosiliziums kamen in erster Linie die Schweiz, Schweden und Norwegen in Betracht. Hier griff nunmehr die Eisenzentrale vermittelnd ein, indem sie auf eigenes Risiko mit Schweizer Werken, norwegischen und schwedischen Firmen Lieferungsverträge abschloß und jeweils auf die weitere Produktion dieser Werke optierte. Gleichzeitig wurde der schon im Juli 1916 zum ersten Male verfolgte Gedanke der Schaffung einer deutschen Ferrosiliziumproduktion wieder aufgegriffen und mit

15 Siehe auch Exkurs e zum V. Kapitel.



B Die Ausführung des Hindenburg-Programms 

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einigen deutschen Elektrowerken Lieferungsverträge für dort hergestelltes Ferrosilizium eingegangen. Es handelte sich hierbei hauptsächlich um ein größeres Ferrosiliziumwerk in Knappsack bei Köln, das von den Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerken (Essen) betrieben wurde, sowie um die Errichtung eines weiteren in Altena in Westfalen (Schmelzwerk Elverlingsen G. m. b. H.) und eines Ferrosiliziumwerkes Bubiag bei Mückeburg an der schwarzen Elster. Auch bei diesen Unternehmungen beteiligte sich die Eisenzentrale G.  m.  b.  H. durch Vorschüsse oder freie Lieferungsverträge. Mit der Aufstellung des Hindenburg-Programms gewann auch die Schrottfrage ein neues Aussehen. Mengenmäßig hatte sich der Schrottbedarf bis zum Herbst 1916 ziemlich reibungslos befriedigen lassen. Ein erhebliches Ansteigen der Schrottpreise seit August 1916 aber deutete auf eine zunehmende Spannung in der Schrottversorgung hin. Die Rückführungen aus den besetzten Gebieten des Westens durch die Schutzverwaltung in Metz und aus denen des Ostens durch die Alteisenverwertungsgesellschaft reichten in dem bisherigen Umfange nicht hin, um eine ausreichende Schrottbelieferung der Stahlindustrie zu gewährleisten. Im Inland hatte außerdem der Entfall an Schrott erheblich nachgelassen. Alle diese Umstände machten eine besondere Organisation der Schrottversorgung notwendig. Die Eisenzentrale wurde mit dem Aufbau der erforderlichen Maßnahmen betraut und entwickelte in den Monaten November und Dezember 1916 eine Schrottorganisation, die zu einem Zusammenschluß sämtlicher Schrottverbraucher und Schrotthändler in Deutschland führte16. Zugleich mit dem Schrott wurden vermittels der aufgebauten Organisation die Späne bewirtschaftet, die infolge ihrer Verwertung als Manganträger eine völlig neuartige, aber sehr dringliche Bedeutung erlangt hatten. Ein halbes Jahr später wurde die Bewirtschaftung des Gußbruchs unter Mitwirkung des Roheisenverbandes aufgenommen. Auch hier unterstand die Tätigkeit der Industrieorganisation wie beim Schrott und bei den Spänen der Aufsicht und Leitung des Kommissars der Eisenzentrale, der mit allem Nachdruck dafür sorgte, daß die Zweigorganisationen innerhalb der ihnen zugewiesenen Bezirke eine möglichst intensive Tätigkeit zur Beschaffung von Schrott entwickelten. Es wurde durch diese Konzentration der Schrottbeschaffung angestrebt, die vorhandenen Schrottmengen verstärkt zu erfassen, neue Schrottquellen zu erschließen und die verfügbaren Mengen durch kontingentierte Zuteilung an die im Heeresinteresse arbeitenden Werke in sachgemäßer Weise zu verteilen. Die Eisenzentrale selbst entwickelte eine ausgedehnte Tätigkeit zur Verstärkung des Schrottaufbringens, indem sie sich durch ertragversprechende Übernahmeverträge den gesamten Schrottentfall der kaiserlichen Werften, der preußisch-hessischen und der Reichseisenbahnen sowie der Eisenbahnen in Mecklenburg-Schwerin sicherte. Der Schrott der süddeutschen Staatsbahnen fiel auf Grund eines von Süd-

16 Siehe Exkurs d zum IV. Kapitel.

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 Das Hindenburg-Programm

deutschland erwirkten Sonderrechtes an die süddeutsche Eisenindustrie, die hierdurch im Verhältnis zu ihrer Größe außerordentlich bevorzugt wurde. Außerdem wurden sämtliche militärischen Stellen angewiesen, ihren Schrottentfall restlos der Eisenzentrale zuzuführen, die obendrein allein über die Schrottmengen, die aus dem besetzten Gebiet hereinkamen, verfügte. Durch diese lebhafte Teilnahme an der Schrottversorgung gewann die Eisenzentrale eine so starke Stellung, daß sie den Schrottmarkt völlig beherrschte. Nur auf diese Weise wurde es möglich, den Schrottmarkt so stark zu binden, daß trotz der Unübersichtlichkeit und Vielverzweigtheit der Materie eine außerordentlich leistungsfähige Organisation entstand. Hier wie bei einer großen Zahl von Kriegsrohstoffen (Metallen z. B.) zeigte es sich, daß scharf zentralistisch nur die Rohstoffe bewirtschaftet werden konnten, bei denen es dem Reich gelang, eine Monopolstellung zu gewinnen; je weniger dies der Fall war, um so wirkungsloser mußte auch die straffste Organisation werden. Da war es dann besser, gleich von vornherein (wie beim Eisen) durch Beschreiten eines Mittelweges einen arbeitsfähigen Körper zu schaffen.

Das Programm in der Weiterverarbeitungsstufe Von der Seite der Rohstoffe aus schien durch die von der Kriegsrohstoffabteilung getroffenen Maßnahmen das Hindenburg-Programm für Eisen und Stahl gesichert, wenn nicht unvorhergesehene Ereignisse dazwischentraten. Ernstliche Gefahr dagegen drohte dem Programm gerade wegen seiner militärischen Formulierung der technisch-wirtschaftlichen Notwendigkeiten auf der Stufe der Eisenweiterverarbeitung. Hier litt die Ausführung bis in höchste Stellen hinauf an einer argen Unterschätzung der Bedingtheiten und Überschätzung der Möglichkeiten. Man versuchte geradezu das Pferd von hinten aufzuzäumen und war zunächst in der Hauptsache darauf bedacht, „Aufträge“ bei der Industrie „unterzubringen“. Man war zufrieden, auf dem Papier Lieferungen in einer mehrfachen Höhe des Notwendigen vor sich zu sehen, ohne daran zu denken, daß die Ausführung der Verträge schon im Rahmen des Notwendigsten schlechthin unmöglich war. Die im Übermaß hinausgegebenen Aufträge riefen lediglich ungeheure Verwirrung hervor und gefährdeten die Durchführbarkeit des Hindenburg-Programms aufs schwerste. Das Programm war, wie es von der Obersten Heeresleitung aufgestellt worden war, zweckmäßig; die Art, in der die Durchführung des Programms versucht wurde, war aber ein schwerer Fehler und eine tatsächliche Unmöglichkeit. Daran ändert auch alle äußere Anerkennung nichts, die den Beschaffungsstellen gerade von der Obersten Heeresleitung zuteil geworden ist. Der vernunftgemäße Weg wäre der gewesen, daß man von der schlechthin überhaupt erreichbaren Höchstleistung der Rohstoffversorgung ausging und unter Anlehnung an die von der Obersten Heeresleitung geforderten und im Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt errechneten Lieferungsziffern eine der Dringlichkeit entsprechende Aufteilung der Höchstleistung auf die



C Umwertung des Hindenburg-Programms 

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verschiedenen Produkte vornahm. Daraus mußte sich von selbst ergeben, an welchen Stellen die Leistungsfähigkeit der Industrie ausreichte und wo sie durch Neubauten erweitert werden mußte. Der Chef-Ingenieur wurde bei dem militärischen Leiter des Waffen- und Munitionsamtes in diesem Sinne vorstellig. Dieser einzig mögliche Plan der Programmdurchführung drang jedoch nicht durch, weil man plötzlich glaubte, die vier Wochen Zeit nicht mehr zur Verfügung stellen zu können, die eine solche eindeutige Analyse der Kriegswirtschaft erfordert hätte, nachdem mehr als zwei Jahre ungenutzt verstrichen waren. Die zügellose Art der Auftragserteilung hatte nach zwei Seiten hin die übelsten Folgen. Auf der einen Seite überschritten die Aufträge bei weitem das Maß dessen, was an Rohstoffen zur Auftragserfüllung vorhanden war. Auch sammelte sich das Eisenbaumaterial oft genug dort an, wo der geschäftstüchtigste Unternehmer wohnte, und fehlte dort, wo die Verarbeitungseinrichtungen bereits bestanden. Die Industrie kam deswegen in Verlegenheit, sobald sie nur an irgendeinem Punkte zur Ausführung der Aufträge schreiten wollte. Da sich aber die Beschaffungsstellen gegenseitig Konkurrenz machten, die Kriegsrohstoffabteilung wiederum einen anderen Standpunkt einnehmen mußte, als die Beschaffungsstellen zusammen, so wurde eine schwere Beunruhigung in die Industrie hineingetragen. Nicht mit Unrecht konnte diese den Vorwurf erheben, daß sich die Heeresverwaltung anscheinend selbst nicht darüber im klaren sei, in welchem Umfange die Lieferungen für die einzelnen Verwendungszwecke hinsichtlich Dringlichkeit und Bedarfsmenge gegeneinander abzugrenzen wären. Die andere Folge der ungeregelten Bestellungen war eine ungemein beklagenswerte Verschleuderung von Eisen und Stahl für Baulichkeiten und Betriebseinrichtungen, die ihrer Bestimmung niemals zugeführt werden konnten und die nur entstanden waren, weil die Industrie den übertrieben optimistischen Anschauungen der Beschaffungsstellen in verständlichem Eigeninteresse nur zu schnell und vertrauensselig folgte. Ungezählte Arbeitskräfte wurden auch auf dem Gebiete der Eisenwirtschaft auf unfruchtbare Arbeiten festgelegt und Material in größter Menge zwecklos vertan, während an den tatsächlich ausschlaggebenden Punkten trotz genauer Kenntnis der Sachlage nicht Material und Arbeitskräfte genug beschafft werden konnten.

C Umwertung des Hindenburg-Programms Absinken der Produktion Die nicht zu unterschätzenden Schwierigkeiten auf organisatorischem Gebiet waren jedoch nicht so groß, als daß sie nicht mit wachsender Einsicht der Beteiligten hätten behoben werden können. Entscheidend getroffen wurde das Hindenburg-Programm allein durch die Entwicklung, die unter dem Einfluß der ungewöhnlichen Strenge und Dauer des Winters 1916/17 das Transportwesen durchmachte.

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 Das Hindenburg-Programm

Die Leistungsfähigkeit der Eisenbahn war an sich schon den durch das Hindenburg-Programm erheblich gesteigerten Ansprüchen gegenüber nicht entfernt zureichend. Dies machte die Eisenbahnverwaltung sofort nach der Aufstellung des Programms bereits geltend, indem sie darauf hinwies, daß die strategischen Operationen in immer stärkerer Weise große Teile des Wagenparks und der Betriebsmittel mit Beschlag belegt hatten. Ferner waren durch die stets wachsende Ausdehnung des mitteleuropäischen Wirtschaftsgebietes, das doch in der Hauptsache durch deutsche Mittel gestützt und unterhalten werden mußte, eine nicht unbeträchtliche Menge der Eisenbahntransportmittel für die besetzten Gebiete und für den Verkehr mit den verbündeten Ländern festgelegt worden. Schließlich hatte die Eisenbahn mit Rücksicht auf eine ausreichende Kriegsbedarfsdeckung ihr Neubauprogramm stärker eingeschränkt, als es im Hinblick auf die nun auftretenden Beanspruchungen zweckmäßig gewesen war. Allerdings waren bis zum Herbst 1916 schon Klagen über unzureichende Wagengestellung gekommen, doch war im großen und ganzen wenigstens die Heeresversorgung von Schwierigkeiten im Eisenbahntransport nicht wesentlich getroffen worden. Ganz im Gegenteil fand gerade in jener Zeit die bisherige Leistung der Eisenbahn von allen Seiten — auch in der Presse — das größte Lob und die höchste Anerkennung. Auf die veränderte Transportlage des Hindenburg-Programms waren aber die Eisenbahnen nicht im mindesten vorbereitet. Der Wagenmangel, der schon im Oktober stärker als gewöhnlich war, verschärfte sich zunehmend und führte in den ersten Monaten 1917 nahe an eine Katastrophe. Die Gesamtlage wurde durch die ungewöhnlich große Härte des Winters 1916/17 noch besonders erschwert. Etwa seit November wuchsen die Schwierigkeiten, die aus der abnormen Witterungslage entstanden, auf ein fast unerträgliches Maß. Das Zufrieren der Kanäle verhinderte die geplante Entlastung der Eisenbahnen durch den Wasserweg, und Schneeverwehungen verursachten Unglücksfälle und tagelange Verkehrssperren, teilweise gerade auf den Hauptverbindungsstrecken. Außerdem versagte der notwendigerweise an vielen Stellen zwischengeschaltete Fährverkehr infolge Vereisung und Schnee, trotz weitgehender militärischer Unterstützung, fast vollständig. Die hierdurch hervorgerufene Stockung in der Entladung leitete gefahrbringende Verstopfungen der Bahnhöfe, Eisenbahnknotenpunkte usw. ein und entzog zahlreiches rollendes Material dem Verkehr. Gegen diese durch Witterungseinflüsse hervorgerufene Verwirrung war aber die Eisenbahnverwaltung machtlos. Auch im Transportwesen versuchte man zunächst eine Besserung durch organisatorische Maßnahmen herbeizuführen; mit dem gleichen Mißerfolg wie überall dort, wo man den Schwierigkeiten in der Kriegswirtschaft lediglich durch den Aufbau einer nur theoretisch erfolgversprechenden Organisation begegnen zu können glaubte. Im Oktober 1916 gab der Minister der öffentlichen Arbeiten Anweisung, daß die Eisenbahndirektionen in erster Linie den Wagenbedarf für Kriegsmaterial befriedigen sollten. Außerdem wurde auf Veranlassung des Kriegsministeriums im rheinischen Industriegebiete bei der Eisenbahndirektion in Essen ein industrieller Beirat



C Umwertung des Hindenburg-Programms 

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gebildet. Diese im Oktober vorgenommenen Organisationen erwiesen sich jedoch den Verhältnissen gegenüber machtlos. Man schritt deswegen im Januar 1917 zur Einrichtung einer Abteilung für kriegswirtschaftliche Transporte beim Chef des Feldeisenbahnwesens, die zentral die Transportabwicklung aller für die Rüstungsindustrie laufenden Transporte zu überwachen hatte. Hand in Hand mit dieser Stelle arbeitete die beim preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten eingerichtete Kriegsbetriebsleitung, der die Sorge für die Erhöhung der betrieblichen Leistungen der Eisenbahn oblag. Schließlich wurde bei der Eisensektion der Kriegsrohstoffabteilung ein besonderes Verkehrsreferat eingerichtet, dessen Aufgabe darin bestand, auf Grund einer eingehenden Statistik über die Massentransporte für die Eisenindustrie laufend die Erz- und Brennstoffversorgung der Eisenhütten zu überprüfen und geeignete Maßnahmen zur Behebung der infolge der Verkehrsnot entstandenen Nachteile zu vermitteln. Versuche, durch die Herausgabe von Dringlichkeitslisten ab 1.  Dezember 1916 der Transportnot zu steuern, boten zwar eine merkliche Erleichterung, waren aber ebenfalls gegenüber den Witterungsschwierigkeiten letzten Endes ohne Wirkung. Nachdem Ende Dezember und Anfang Januar sich die Transportschwierigkeiten so vergrößert hatten, daß ein normaler Abtransport der aufgestauten Güter überhaupt nicht mehr durchführbar erschien, wurde in den beiden letzten Januarwochen 1917 eine vollständige Verkehrssperre über das Reichsgebiet verhängt, die lediglich eine begrenzte Zahl von Massengütern, u. a. auch für den Betrieb der Eisenhütten, ausnahm. Unter den außergewöhnlich großen Behinderungen des Transportwesens hatten naturgemäß hauptsächlich die Massengüter der Eisenindustrie, Eisenerz, Kohlen und Koks, zu leiden, so daß das Versagen der Transportmittel in unerwartet scharfer Weise auf die Produktion rückwirkte. Es gelang aus Mangel an Wagenraum und Lokomotiven nicht, die Rohstoffe zueinander zu bringen. Auf den Zechenplätzen und den Erzgruben stauten sich die Vorräte an Kohle und Erz wegen der Unmöglichkeit des Abtransportes auf und hinderten schließlich eine weitere Lagerung, so daß die Förderung eingeschränkt werden mußte und die Belegschaften feierten. Zahlreiche Hochöfen, die im Hinblick auf das Hindenburg-Programm angeblasen worden waren, mußten infolge dieser Verhältnisse wieder gedämpft werden; andere, die betriebsfertig dastanden, konnten nicht angeblasen werden. Hierdurch sank nicht nur die Roheisenproduktion ab, sondern der mit dem Stillegen der Hochöfen verbundene Heizgasmangel drückte auch obendrein auf die Leistungsfähigkeit der Weiterverarbeitungsbetriebe. Kurz, es wurde schon im Dezember 1916 ganz offensichtlich, daß der Wirtschaftsplan für Eisen und Stahl in seinen Grundlagen völlig erschüttert war. Jetzt zeigte sich auch mit aller Deutlichkeit, wie sehr die beiden für ein erfolgreiches Produktionsprogramm nutzlos verstrichenen Jahre das Fundament der gesamten Eisenwirtschaft geschwächt hatten. Die großen Vorräte, die bis zum Anfang des Jahres 1916 noch auf den Werken und bei den Händlern oder in nach außen hin weniger in Erscheinung tretender Form bei den Verbrauchern reichlich gelagert hatten, waren

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 Das Hindenburg-Programm

inzwischen fast restlos aufgezehrt worden. So fehlte für die gewaltigen Störungen durch die Witterungsverhältnisse jede Ausgleichsmöglichkeit aus Reserven. Jede noch so geringfügige Änderung in der Produktionslage wirkte fast unmittelbar auf die Deckungslage ein, der Eisenmarkt mit der vermittelnden Tätigkeit der legitimen Eisenhändler wurde mehr und mehr ausgeschaltet und man mußte beim Eisen angesichts der an sich leistungsfähigsten Produktionsgrundlagen aus der Hand in den Mund leben. Fast mehr noch als die eigentlichen Sparmetalle war Eisen damit zu einem knappen Rohstoff geworden; die Versäumnisse zweier Kriegsjahre kamen aufs schärfste zur Geltung. Von der möglichsten Steigerung der Produktion hing aber die weitere Gestaltung des Krieges ohne weiteres ab. Die Nachrichten aus dem Ausland bezeugten, daß die Entente mit allen ihr zu Gebote stehenden Mittel für das Jahr 1917 rüstete. Für die deutsche Heeresverwaltung, insbesondere für die Kriegsrohstoffabteilung, ergab sich daraus die Notwendigkeit, unter Anspannung sämtlicher industrieller Kräfte die Materialüberlegenheit der Feinde, soweit als nur irgend möglich, auszugleichen. Die Eisenversorgung mußte auf durchaus neuer Grundlage aufgebaut werden, und Entscheidungen von größter Tragweite waren in dieser Hinsicht zu treffen. Das deutsche Friedensangebot vom Dezember wurde von der Entente mit äußerster Schärfe zurückgewiesen, und von der Wirkung einer amerikanischen Friedensvermittlung war Ende 1916 noch nicht das mindeste zu spüren. Deutschland mußte also ganz offenbar 1917 den Kampf weiterführen, und die hierzu unumgänglich notwendigen Materialien mußten unter allen Umständen und unter jeder Bedingung beschafft werden. Es gab schlechterdings keinen Ausweg. Mit eiserner Konsequenz zwangen die Kriegsverhältnisse die deutsche Kriegseisenwirtschaft in die Bahnen, die sie um die Jahreswende 1916/17 einschlug. Die völkerrechtswidrige Seesperre und die Ablehnung von Verhandlungen über eine friedliche Beendigung des Krieges machten Maßnahmen nötig, die lediglich durch das Gesetz der ernstesten Notwendigkeit bestimmt wurden. Man faßte den Plan, die Schrottgewinnung künstlich zu mehren. Die Thomashochöfen konnten als Hauptträger des Stahlprogramms zunächst nicht mehr in Rechnung gestellt werden. Ihre Roheisenproduktion reichte gerade aus, um den dringendsten Bedürfnissen der Industrie gerecht zu werden, aber nach Lage der Dinge war in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, daß ihre Leistung auch nur annähernd, wie vorgesehen, auf die Höhe der Friedensleistung gesteigert werden könnte. Dem kurzen Ansteigen der Produktion im Oktober 1916 war sehr schnell ein scharfer Rückgang gefolgt, und die Entwicklung vollzog sich bis Februar 1917 in einer dem aufgestellten Plane geradezu entgegengesetzten Richtung. Solange es aber fast allein wegen der Transportlage nicht gelang, die inländische Produktion zu erhöhen, wäre es widersinnig gewesen, die in so überaus starkem Maße vom Transportwesen abhängige belgische Industrie in Betrieb zu setzen. Die belgischen Thomashochöfen schieden aus dem ferneren Programm der Kriegsrohstoffabteilung aus, da eine volle Ausnutzung der heimischen Hochofenwerke sich auch späterhin nicht durchsetzen ließ und sich grundsätzlich in dieser Angelegenheit auch nichts mehr änderte.



C Umwertung des Hindenburg-Programms 

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Der Martinstahl und die Schrottfrage Sehr viel günstiger stellte sich die Lage in der Stahleisenversorgung dar. Hier hatte man schon im März 1916 die Friedensproduktion wieder erreicht und im August 1916 bereits die durchschnittliche Leistung von 1913 überschritten. Zwar warf auch hier der Winter die Produktion stark zurück, doch handelte es sich beim Stahleisen einmal um wesentlich geringere Gesamtmengen als beim Thomaseisen, so daß leichter Fürsorge getroffen werden konnte; auch wurde Stahleisen in der Hauptsache in verkehrsgünstigen Bezirken hergestellt — fast gar nicht im Südwesten —, so daß man eine Aufrechterhaltung der Höchstleistung sehr wohl erwarten durfte. Dieser Umstand wies auch von der Roheisenseite her mit Nachdruck auf das Siemens-Martinstahlverfahren, das bereits seit Kriegsbeginn eine sichtliche Bevorzugung in der Stahlproduktion gefunden hatte. Das Siemens-Martinverfahren fand eine sehr kräftige Stütze in dem Schrott, der das weitaus qualitätsbeste Rohprodukt für die Stahlgewinnung darstellt und den größten Teil der Martinstahlerzeugung von der Kohlen, Betriebsstoffe und Menschenkräfte verbrauchenden, auch die Eisenbahn beträchtlich belastenden Eisenreduktion aus dem Erz unabhängig macht. Gegenüber der Thomasstahlerzeugung ist beim Martinverfahren nur etwa der dritte Teil der Massengüter zu bewegen, ein Umstand, der bei der hoffnungslosen Lage des Transportwesens ganz besonders ins Gewicht fiel. Es kam dazu, daß man mit der Martinqualität den Anforderungen der Heeresverwaltung an die Güte der Fertigfabrikate sehr viel weiter entgegenkam als mit Thomasstahl. So konnte die Kriegsrohstoffabteilung hoffen, die Erfüllung des Hindenburg-Programms dadurch doch noch zu erreichen, daß sie weitere von offenbarem Mißerfolg begleitete Versuche zur Hebung der Thomasstahlproduktion zunächst hinter eine möglichste Verstärkung der Martinstahlproduktion zurücktreten ließ. Erst vom Frühsommer ab durfte man erwarten, wieder auf das ursprüngliche Arbeitsprogramm zurückgreifen zu können, nachdem die Folgen der Transportnot überwunden wären. Damit aber trat die Frage der Schrottversorgung in ein gänzlich neues Stadium. Die bisherige Organisation des Schrottmarktes hatte zunächst nur distributiven Charakter gehabt. Mit Rücksicht auf die beabsichtigte Übertragung der Hauptlast des Hindenburg-Programms auf das Thomasverfahren hatte man sich damit begnügen können, das Martinverfahren zur Not auf der einmal erreichten Höhe zu halten, da man damit rechnen zu können glaubte, etwaige Ausfälle auf dieser Seite durch entsprechende Steigerung der Erzförderung und der Thomaserzeugung wettzumachen. Nunmehr aber mußte in der Schrottwirtschaft der Versuch einer Mobilmachung gebundener Vorräte gemacht werden, um so mehr, als die vorhandenen greifbaren Vorräte bedenklich stark geschwunden waren. Die Tätigkeit der Zentralbehörden mußte demgemäß auf eine Steigerung des Schrottanfalles gerichtet sein. Das natürliche Schrottaufbringen hatte wesentlich nachgelassen. Die Stahlnot hatte es mit sich gebracht, daß sehr viel Walzstahl auch in einer im Frieden nicht absatzfähigen Form (Unterlängen u. dgl.) verkauft wurde.

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 Das Hindenburg-Programm

Sehr viel Ausschußware, die früher selbst bei niedrigen Preisen nur schwer Käufer fand und zum großen Teil in den Schrott wanderte, wurde jetzt praktisch verwendet. Außerdem aber hatte die Sparsamkeit im Eisenverbrauch eine stärkere Materialausnutzung an den Stellen zur Folge, die früher in reichlicher Menge Alteisen auf den Markt geworfen hatten (Eisen- und Straßenbahnen, Konstruktionswerkstätten, Maschinenfabriken u. dgl.). Schließlich waren die mittleren, kleinen und kleinsten Alteisenhändler, die früher bis zu kleinsten Mengen Abfälle gesammelt und dem Schrottverbrauch zugeführt hatten, durch die Kriegsverhältnisse immer stärker behindert worden. Stark fiel ferner ins Gewicht, daß das Kriegsmaterial nach seiner Verwendung an der Front, z. B. als Geschoß, zunächst als Schrott nicht mehr greifbar war. Die Verhältnisse wurden auch hier durch die Transportnot wesentlich verschärft. Eine Verstärkung des Schrottentfalls konnte nach Lage der Dinge kaum anders als durch künstliche Schrottgewinnung herbeigeführt werden. Allerdings verbot es sich zu diesem Zeitpunkte, inländische Eisenkonstruktionsanlagen abzubrechen, solange im Hinblick auf das Hindenburg-Programm jede vorhandene Industrieeinrichtung für Rüstungszwecke bereitgehalten werden mußte. Andere als Industriebaulichkeiten aber kamen wegen der üblichen Bauweise nichtindustrieller Anlagen nicht in Betracht. Der Versuch, auf diese Weise im Inland Schrott zu produzieren, war wegen der großen Abhängigkeit von der Transportlage und der weiten Zerstreuung der wenigen in Frage kommenden Objekte gerade zu diesem Zeitpunkte besonders aussichtslos. Als Ende 1917 der Versuch gemacht wurde, im Inland Schrott durch außergewöhnliche Maßnahmen zu gewinnen, war auch dann trotz einer von der Eisenzentrale ins Leben gerufenen weitgreifenden Organisation das Ergebnis der Bemühungen bemerkenswert gering. So wurde trotz der bisher getroffenen Maßnahmen die Schrottbedarfsdeckung immer unzulänglicher und zahlreiche Stahlwerke kamen aus Schrottmangel in der Vorbereitungszeit zu den bevorstehenden großen Kämpfen zum Erliegen. Zur gleichen Zeit blieb die tatsächliche Leistung immer weiter hinter der Programmanforderung zurück, so daß sich Deutschland vor der Unmöglichkeit sah, die hohen Forderungen, welche die nächste Zukunft ihm auferlegte, zu erfüllen. Man stand vor der schwerwiegenden Entscheidung, ob der Mangel an Rohstoffen im Inland eine Weiterführung des Kampfes aussichtslos machen würde oder ob außergewöhnliche Hilfsmittel angewendet werden sollten, mit deren Hilfe eine ausreichende Versorgung des Heeres doch noch ermöglicht werden konnte. Die Schrottversorgung in Deutschland war durch die geschilderten Maßnahmen auf die damals höchst erreichbare Intensität gesteigert worden. Schrottquellen besonderer Art standen gerade in der kritischsten Zeit im Inland nicht, vor allem nicht in greifbarer Weise zur Verfügung. Es erschien als der einzige sich bietende Ausweg, auf das besetzte Gebiet zurückzugreifen und durch eine Gewinnung von Schrott die erfolgreiche Fortsetzung der Landesverteidigung unter Behebung des Stahlmangels möglich zu machen. Die im besetzten Gebiet befindlichen Industrieanlagen hatten sowohl durch die Kampfaktionen als auch durch Maßnahmen, die infolge der über



C Umwertung des Hindenburg-Programms 

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Deutschland verhängten Blockade hatten ergriffen werden müssen, wie Ausbau von Sparmetallen, Entnahme von Maschinen, wesentliche Beeinträchtigungen erlitten, so daß ihr Produktionswert ohnehin stark gemindert war. Angesichts dieses Umstandes und mit Rücksicht auf die durch die Schrottschwierigkeiten verschärften Deckungsverhältnisse für das Hindenburg-Programm wurde Mitte Januar 1917 die Gewinnung von Schrott durch Abbrüche in Frankreich und Belgien beschlossen. Die Durchführung der Schrottgewinnung wurde unter der Kontrolle der Eisenzentrale technischkaufmännischen Konsortien übergeben, die bei der Durchführung der Maßnahmen auf weiteste Schonung der gewerblichen Anlagen verpflichtet wurden. — Feststellungen über den Entschädigungswert wurden unverzüglich eingeleitet, da die wirtschaftliche Not dazu zwang, die verstärkte Schrottrückführung aus den besetzten Gebieten auch auf das Risiko hin vorzunehmen, daß die zu leistende Entschädigung den Schrottwert weit überstieg. Die Feststellung der Schäden für die Ersatzleistung wurde der Reichsentschädigungskommission übertragen. Die Rückführung von Schrott aus den besetzten Gebieten war angesichts der Haltung der Entente gegenüber den deutschen Friedensbestrebungen für Deutschland eine Lebensfrage. Der Ausfall der aus den besetzten Gebieten stammenden Schrottmengen hätte mit Sicherheit die deutsche Heeresleitung aus Mangel an Waffen und Munition zur vorzeitigen Einstellung des Krieges gezwungen17.

Neuformulierung des Hindenburg-Programms An Hand der Statistik ergibt sich für die Erfüllung des Hindenburg-Programms das folgende Bild: Erfüllung des Hindenburg-Programms in Rohstahl (in 1000 t) Monat

1916 August……………… September……….. Oktober………..…. November…….….. Dezember…….…..

Arbeits- Tatsächliche tage Produktion

Tatsächl. arbeitstägliche Produktion

Sollproduktion

Arbeitstägliche Sollproduktion

Monatliche Fehlmenge

1000 t

1000 t

1000 t

1000 t

1000 t

1 412 1 393 1 424 1 372 1 332

52,3 53,6 54,8 54,9 55,6

1 400

52,0 53,3 54,6 65,9 57,2

+8,1 +7,8 +5,2 - 25,0 - 38,4

27 26 26 25 24

17 Näheres siehe Exkurs d zum IV. Kapitel.

wachsend

98 

 Das Hindenburg-Programm

Monat

1917 Januar……………... Februar……….…… März………….....… April……………...… Mai……………..…… Juni……………..……

Arbeits- Tatsächliche tage Produktion

Tatsächl. arbeitstägliche Produktion

Sollproduktion

Arbeitstägliche Sollproduktion

Monatliche Fehlmenge

1000 t

1000 t

1000 t

1000 t

1000 t

1 391 1 187 1 451 1 337 1 440 1 404

53,5 49,4 63,8 57,1 57,6 54,0

bis

58,6 59,9 61,2 61,2 61,2 61,2

- 132,5 - 252,0 - 200,0 - 94,3 - 90,0 - 187,2

26 24 27 23 25 26

1 650

Es geht natürlich nicht an, bei einer Vergleichung der tatsächlich erzielten Produktion mit den Forderungen des Programms die monatlichen Ziffern schlechtweg heranzuziehen. Bei der verschiedenen Länge der Monate würden sich bei einem solchen — oft irrtümlicherweise angewendeten — Verfahren stets die kurzen Monate relativ zu ungünstig darstellen. Die einheitliche Vergleichungsbasis wird dagegen zweckmäßig in der arbeitstäglichen Leistung gewählt. Die Erreichung der Sollproduktion von 1  650  000  t bis März 1917 kann dementsprechend nicht anders als in einer gleichmäßigen Steigerung der arbeitstäglichen Leistung von 52  000  t auf 61  200  t gefordert werden. Bei einem solchen Vorgehen ist auch sofort zu erkennen, daß trotz der schwankenden Monatsproduktionszahl die tatsächliche Leistung der Eisenindustrie seit der Aufstellung des Programms trotz aller Schwierigkeiten bis zum Ende des Jahres 1916 sehr stark angewachsen ist. Sie hielt sogar bis zum Eintritt des Winters völlig gleichen Schritt mit dem Programm. Mit dem November 1916 aber beginnt dann die tatsächliche Produktion hinter dem Programm immer stärker zurückzubleiben, bis im Februar der größte Abstand erreicht ist. Nicht weniger als 252 000 t betrug in diesem Monat der Fehlbetrag zwischen Leistung und Forderung, also genau soviel, wie als Produktionsmehrleistung im September 1916 in Aussicht genommen worden war. Man stand genau auf dem Stand des Vorjahres und war der Erfüllung des Programms um keinen Schritt nähergekommen. Einschließlich März betrug die Gesamtfehlmenge während des Winters sogar 630 000 t, eine Summe, die ein weiteres Verharren auf dem Hindenburg-Programm in der ursprünglichen Form völlig ausschloß, da sie auch bei erheblicher Aufbesserung der Produktionsverhältnisse — die aber tatsächlich nicht mehr eingetreten ist — unter keinen Umständen wieder eingeholt werden konnte. Angesichts dieser Gesamtlage wurde die Oberste Heeresleitung 1917 veranlaßt, die Programmforderung endgültig abzuändern. Es wurde nunmehr von der Erzwingung bestimmter ziffernmäßiger Produktionswerte ganz abgesehen und die Erreichung der größten Höchstleistung schlechthin als letzte Aufgabe der Kriegseisenwirtschaft gefordert. Damit änderte die Oberste Heeresleitung ihre bisherigen Grundlinien



C Umwertung des Hindenburg-Programms 

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für Waffen- und Munitionsbeschaffung, setzte ihre Forderungen auf Bereitstellung von Munition herab und stellte den Grundsatz auf, daß es wichtiger sei, in wenigen Monaten auf anderthalbfache Leistung zu kommen, als im Spätjahre das Vollprogramm durchzuführen. Hiermit kehrte die Oberste Heeresleitung in allen Punkten, sowohl in zeitlicher Beziehung wie auch in der Höhe der zu erzielenden Leistungen vollständig auf den vom Allgemeinen Kriegsdepartement des Kriegsministeriums im Herbst 1916 empfohlenen Fertigungsplan zurück. Die neue Forderung der Obersten Heeresleitung entsprach tatsächlich einem 10-Mill.-Kilogramm-Pulverprogramm, wie es im Juli 1916 aufgestellt worden war. Auch das Verlassen der kurzfristigen Forderungen und die Rückkehr zu einer stufenweisen Steigerung der Produktionsleistungen entsprach der früher vom Allgemeinen Kriegsdepartement vertretenen Wirtschaftspolitik, die — allerdings wesentlich beschleunigt — allein eine Überspannung des gesamten Wirtschaftslebens vermeiden konnte. Zur Wahrung seiner Stellung in der Geschichte erinnerte das Allgemeine Kriegsdepartement am 17. Februar 1917 an seine bei Aufstellung des Hindenburg-Programms gemachten Einwendungen: „Das Verlassen des Weges einer stufenweisen Produktionserhöhung, indem auf Wunsch der Obersten Heeresleitung im September 1916 in fast unmittelbarem Anschluß an das 10-Mill.-Programm ein 12- und ein 14-Mill.-Programm begonnen, zugleich Neubauten für andere Gebiete in so großer Zahl in Angriff genommen wurden, hat ohne Zweifel dazu beigetragen, daß die Munitionsfertigung, die bis Frühjahr 1917 gesteigert werden mußte, zurückgeblieben ist. Über diese Auffassung des Allgemeinen Kriegsdepartements sind die bearbeitenden Offiziere der Obersten Heeresleitung von denen des Kriegsministeriums niemals im Zweifel gelassen worden, nämlich daß durch große Bauprogramme das Fabrikationsprogramm gerade hinsichtlich der Munition in Rückstand kommen mußte. Dem Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt hat das Departement Ende November 1916 bereits schriftlich seine Befürchtungen zum Ausdruck gebracht, daß durch die gleichzeitige Inangriffnahme aller Bauten für das Munitionshöchstprogramm die vom Departement eingeleiteten stufenweisen Steigerungen eine Verzögerung erleiden würden.“ Die Oberste Heeresleitung knüpfte jedoch an ihre neue wesentlich gemilderte Stellungnahme die Bedingung, daß der Heeresbedarf auf allen dringlichen Gebieten unter allen Umständen voll zu befriedigen sei, und zwar unabhängig von den wahrscheinlichen Schwankungen in der Produktion. Hierdurch gewann die Ausgleichstätigkeit der Rohstahlausgleichstelle wesentlich an Bedeutung. Das Hindenburg-Programm war durch die Neuformulierung in ein grundsätzlich neues Stadium getreten. War bisher das Ziel aller Maßnahmen gewesen, die Produktion durch Ausnutzung jedes nur möglichen Vorteils auf die Höhe des starren Kriegsbedarfs hinauf zu steigern, so galt es nun in der Hauptsache, den Bedarf mit Rücksicht auf die über eine gewisse Obergrenze hinaus nicht mehr entwickelbare Produktion abzuwandeln. Mehr als bisher mußte die Kriegsrohstoffabteilung durch die Rohstahlausgleichstelle auf das gesamte Beschaffungs- und

100 

 Das Hindenburg-Programm

Lieferungswesen für Eisen und Stahl Einfluß nehmen. In enger Fühlung mit den Beschaffungsstellen waren nicht nur die Grundlagen für eine Neuregelung festzulegen, sondern auch die Durchführung der entworfenen Maßnahmen zentral zu überwachen. Die bisher hauptsächlich auf die Abdrosselung des Friedensbedarfs und der Ausfuhr gerichteten Verbrauchsregelungen mußten demgemäß nunmehr verschärft und auch auf den Kriegsbedarf ausgedehnt werden; es mußte versucht werden, die stets wechselnde Produktion sachgemäß unter Wahrung der Dringlichkeit auf den ebenfalls je nach der Kriegslage und der Entwicklung der Kriegswirtschaft veränderlichen Kriegsbedarf aufzuteilen. Die Maßnahmen, die hierfür getroffen wurden, ähneln zwar der auf Grund einer geschlossenen Vorratspolitik vorgenommenen Verbrauchsregelung bei den Metallen, sie unterscheiden sich jedoch grundlegend von jenen durch die anderen Voraussetzungen, unter denen hier gehandelt werden mußte. Die Vorräte der ersten Kriegsjahre waren verschwunden, und die Gesamtlage ließ es nicht zu, aus der an sich bereits bei weitem nicht ausreichenden Produktion Teile zur Vorratsschaffung abzuzweigen. Dadurch aber wurde die Verbrauchsregelung beim Eisen ganz wesentlich kurzfristiger als bei den Metallen. Ein Disponieren auf längere Zeit verbot sich vollkommen, insbesondere aber war es ausgeschlossen, plötzliche Bedarfsveränderungen aus einem Vorratsreservoir heraus zu versorgen. Durch jede Mehrzuteilung von Eisen und Stahl an irgendeiner Stelle des Gesamtbedarfs wurde notwendig gleichzeitig die Bedarfsdeckung an einer anderen Stelle geschädigt. Aus diesen Bedingtheiten heraus wurde ein in mehr als einer Hinsicht bemerkenswertes System des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl entwickelt, das von der Rohstahlausgleichstelle mit beachtenswertem Geschick in die Praxis umgesetzt wurde.

Exkurs b Die Grundlinien des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl Die Bedarfsgruppierung Mit der Aufnahme des Hindenburg-Programms wurde es notwendig, daß die Rohstahlausgleichstelle eine Systematisierung des gesamten Eisen- und Stahlbedarfs vornahm, um allgemeine Richtlinien für das Beschaffungs- und Lieferungswesen hieraus entwickeln zu können. Eine allgemeine und gleichmäßige Bezugsregelung für „Eisen“ etwa wie für „Kupfer“ verbot sich bei der Breite des Stoffgebietes von selbst. Die Organisation der Eisen- und Stahlversorgung mußte vielmehr nach verschiedenen Gesichtspunkten entworfen werden, je nach der Bedarfsgruppe, zu deren Deckung die beabsichtigte Herstellung der Gegenstände aus Eisen und Stahl dienen sollte. Das war ein grundsätzlicher Unterschied gegenüber der überwiegenden Mehr-



Die Grundlinien des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl 

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zahl der übrigen bewirtschafteten Rohstoffe, bei denen die Regelung des Verkehrs nicht so sehr nach dem Gebrauchszweck als nach der Art der Herkunft des Rohstoffes verschieden war. Die Systematik des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl teilte den gesamten Bedarf in „Kriegsbedarf“ auf der einen und „Friedensbedarf“ auf der anderen Seite. Der Begriff des Kriegsbedarfes war außerordentlich weit gezogen. Er umfaßte außer dem „unmittelbaren“ Kriegsbedarf (den eigentlichen Kriegslieferungen) auch den „mittelbaren“ Kriegsbedarf, der zur Erzeugung von Material für unmittelbaren Kriegsbedarf diente. Der mittelbare Kriegsbedarf enthielt außerdem alles das Material, das zur Erhaltung und Stärkung der deutschen Wehrkraft oder zur Beschaffung und Erhaltung unersetzlicher wirtschaftlicher Werte oder zur Befriedigung dringender allgemeiner Bedürfnisse der Volkswirtschaft gebraucht wurde. Unter den Kriegsbedarf wurde vom Herbst 1916 ab auch der Bedarf für Ausfuhr eingerechnet, dessen Befriedigung im Interesse der deutschen auswärtigen Wirtschaftspolitik in den von der Kriegsrohstoffabteilung gesetzten Grenzen unbedingt erfolgen mußte. Der unmittelbare Kriegsbedarf war es, um den sich in erster Linie die Tätigkeit der Rohstahlausgleichstelle bewegte. Er umfaßte den Bedarf der Heeres- bzw. Marineverwaltung, den Bedarf der Zivilbehörden, soweit seine Befriedigung dringend und im Interesse der Reichsverteidigung nötig und unersetzlich war, und endlich den Bedarf der Eisenbahnen. Als Zivilbehörden im Sinne dieser Bedarfseinteilung galten die Reichs- oder Staatspostverwaltungen, die staatlichen Bergämter, die Hafenbauämter, die staatlichen und städtischen Medizinalbehörden und sonstige Reichs- und Staatsbehörden. Dagegen galten die Stadt-, Gemeinde- und Kommunalbehörden nicht als bevorzugte Behörden dieser Art; ihr Bedarf fiel unter den mittelbaren Kriegsbedarf. Auch bei den Eisenbahnen waren die großen Reichs- und Staatsbahnverwaltungen scharf von den Privat-, Klein- oder Straßenbahnen geschieden. In die Klasse des unmittelbaren Kriegsbedarfs fielen nur die Anforderungen der preußisch-hessischen, bayerischen, sächsischen, Württembergischen, badischen, oldenburgischen und der beiden mecklenburgischen Staatsbahnverwaltungen sowie der Reichseisenbahn in Elsaß-Lothringen. Der Bedarf anderer Bahnen galt nur als mittelbarer Kriegsbedarf. Der Heeres- und Marinebedarf war durch das Originalauftragsschreiben der jeweiligen Beschaffungsstelle ausgewiesen, ebenso wie der zivilbehördliche Bedarf, der einen ausdrücklichen Vermerk über die Notwendigkeit und Unersetzlichkeit der Lieferung trug. Der mittelbare Kriegsbedarf umfaßte eine Reihe von Produkten, die teils durch das bereits erwähnte Rundschreiben Nr. 20 des Deutschen Stahlbundes (für Stahl), teils durch eine Verfügung der Rohstahlausgleichstelle vom März 1917 (für Gußwaren) genauer gekennzeichnet wurden.18 Es fielen hierunter Eisen und Stahl in gewalzter und gezogener Form, ferner Grauguß, Temperguß und Stahlguß, und zwar für die

18 Siehe Anlagen 12 und 13.

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 Das Hindenburg-Programm

Herstellung von Kraft- und Werkzeugmaschinen u. dgl., zur Anfertigung von Gegenständen des Kriegsbedarfs, für Neubauten und zur Beschaffung der Rohstoffe; außerdem die gleichen Materialien für Gegenstände, die als Ersatz für Sparmetalle dienten, und für Lieferungen zur Aufrechterhaltung des Betriebes von Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerken. Fernerhin umschloß der mittelbare Kriegsbedarf die Herstellung von Maschinen und Geräten, Einrichtungen und Baulichkeiten für die Landwirtschaft, für den Hufbeschlag der Zugtiere und für die Instandhaltung von Handelsschiffen. Das weite Gebiet der Sanitätseinrichtungen gehörte hierher. Schließlich rechneten in diese Gruppe die Lieferungen zur Auffüllung der Händlerlager. Es war Vorsorge getroffen, daß in solchen Fällen, in denen der Zweck einer Lieferung durch keinen der in den amtlichen Veröffentlichungen aufgeführten Sonderzwecke gedeckt wurde, den Bestellern durch Vertrauensstellen für Eisenlieferung Auskunft und Ausweis erteilt wurde. Diese waren über das ganze Reichsgebiet verteilt und konnten unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände nach pflichtgemäßem Ermessen auch solche Lieferungen, deren Zurechnung zum mittelbaren Kriegsbedarf nicht ausdrücklich vorgesehen war, zur Lieferung zulassen. Bei Gußwaren übernahm der Verein deutscher Eisengießereien in Düsseldorf und der Gießereiverband in Berlin die Vorprüfung solcher unbestimmten Bedarfsklassen, deren endgültige Entscheidung der Beauftragte des Kriegsministeriums beim Roheisenverband in Essen durch Anweisung oder Ablehnung der jeweils erforderlichen Roheisenmenge vollzog. Für Walzprodukte war die Rohstahlausgleichstelle oder der Beauftragte des Kriegsministeriums beim Stahlbund letztentscheidende Instanz. Die Vertrauensstellen waren errichtet für Elektrotechnik, Maschinenbau, Apparatebau, Bergbau, Chemische Industrie, Gärungsgewerbe,

Nahrungsmittelgewerbe, Textilindustrie, Papierindustrie, Handelsbetriebe, Hüttenwesen und Betriebe aller Art.

Für jede Industriegruppe waren möglichst in den jeweiligen Industriezentren derartige Vertrauensstellen eingerichtet.

Die Beschaffung des Heeresbedarfs In den ersten Monaten des Jahres 1917 kam die Rohstahlausgleichstelle zu einem vorläufigen erstmaligen Abschluß der Erhebungen und Verhandlungen mit den Beschaffungsstellen über die Höhe des Heeresbedarfs. Mit dem Ziel, eine bevorzugte Sicherstellung des Heeresbedarfs zu ermöglichen, ging sie im März 1917 dazu über, eine Abstimmung zwischen dem Heeresbedarf und den übrigen Bedarfsgruppen auf der



Die Grundlinien des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl 

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einen Seite und den Produktionsmöglichkeiten auf der anderen Seite durch die Festsetzung von Kontingenten für die Beschaffungsstellen vorzunehmen. Mit diesen Kontingenten erhielten die einzelnen Beschaffungsstellen eine gewisse Menge von Eisenund Stahlprodukten zugewiesen und konnten im Umfange dieser Kontingente in der bisher eingespielten Weise versuchen, durch unmittelbare Lieferungsverträge ihren Bedarf zu decken. Die Entscheidung über den Einzelfall wurde also dezentralistisch gefällt; damit wurde also die die Zentralinstanz unnötig belastende Kontrolltätigkeit den Beschaffungsstellen belassen. Eine schärfer zentral gefaßte Beaufsichtigung der Bezugsverhältnisse hätte eine völlige Umstellung in der Zuständigkeit der beteiligten Behörden erfordert, die zu damaliger Zeit nicht mehr durchzusetzen gewesen wäre. Die Kriegsrohstoffabteilung mußte deshalb damit rechnen, daß innerhalb des Heeresbedarfs Anforderungen über den von ihr befolgten Wirtschaftsplan hinaus stattfanden. Der Heeresbedarf selbst war aber nach dem Hindenburg-Programm zu solcher Größe angewachsen, daß auch die Kontingentsfestsetzungen der Rohstahlausgleichstelle diesem wachsenden Bedarf weit über das zuerst veranschlagte Maß hinaus folgen mußten. Die Kontingente für Walzeisen im allgemeinen (Geschoßstahl, Stabeisen, Bandeisen usw.) sowie für Baueisen und Feinbleche erreichten im „ „ „

April…. Juli…... Oktober. Januar...

1917 1917 1917 1918

rund „ „ „

300 000 t 400 000 t 430 000 t 450 000 t

bei „ „ „

936 000 t 970 000 t 990 000 t 860 000 t

Walzproduktion „ „ „

Aus dieser Übersicht ist zu ersehen, daß schließlich die reichliche Hälfte der gesamten Walzproduktion durch die Kontingente belegt war. Dieses Ausmaß ließ dem übrigen Bedarf neben dem Heeresbedarf nur noch einen oft unerträglich engen Raum. Wichtiger Bedarf aller Art (z. B. auch Eisenbahnbedarf) wurde infolgedessen nur unzureichend befriedigt. Aber auch innerhalb der Kontingente konnte nicht immer eine volle Auslieferung erreicht werden, weil es anfangs kein Mittel gab, um den Werken den verschiedenen Grad der Dringlichkeit der Aufträge bekanntzugeben. Es lag nun einmal in der Natur des Heeresbeschaffungswesens, daß schlechthin jeder Heeresauftrag als dringlich bezeichnet wurde, so daß aus den Angaben der Beschaffungsstellen allein die Werke nicht entnehmen konnten, welcher Bedarf als tatsächlich dringend zuerst befriedigt werden mußte. Es ergaben sich dann nur zu leicht Verschiebungen in der zeitlichen Ausführung, indem die Werke diejenigen Aufträge zuerst ausführten, die ihnen von den Beziehern am dringlichsten dargestellt wurden, oder die bei gleichscheinender Dringlichkeit am besten in ihr Walzprogramm oder ihre sonstigen Betriebspositionen paßten oder die ihnen am meisten Gewinn brachten. Die Industrie hatte selbst bereits beim Somme-Programm auf diese Mißstände aufmerksam gemacht und den Erlaß einer Dringlichkeitsordnung verlangt.

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 Das Hindenburg-Programm

Aber erst nach einer genauen Kenntnis des Bedarfs war es natürlicherweise möglich, eine derartige sachliche Einteilung der Dringlichkeit vorzunehmen. Es geschah dies erstmalig im Februar 1917 durch eine Dringlichkeitsliste, die den gesamten unmittelbaren Kriegsbedarf in drei Klassen einteilte. Zur I. Klasse gehörten: Als Gruppe  A die Lieferungen für den U-Bootkrieg, für den Eisenbahnbedarf und die Ausfuhr; als Gruppe B die Lieferungen von Baustoffen für Fabriken zur Herstellung und Verarbeitung von Pulver und Sprengstoffen sowie der dazu erforderlichen Rohstoffe und Zwischenprodukte. Außerdem Maschinengewehre und Maschinengewehrmunition. Die Gruppe C umfaßte dann schließlich den zahlreich gegliederten Bedarf der Heeresbewaffnung und Heeresausrüstungsgegenstände (Waffen, Munition, Schutzschilde, Stacheldraht usw.). Die II.  Klasse der Dringlichkeitsliste umfaßte die Fahrzeuge, Handfeuerwaffen, Schanzzeug, Eisen für Stellungsbau u. dgl., und es wurde vorgesehen, für sie eine gewisse Einschränkung der Lieferungen nach Maßgabe des nach voller Erfüllung des Bedarfs der I. Klasse übrigbleibenden Restes der Gesamtkontingente Platz greifen zu lassen. Die III.  Klasse der Dringlichkeit umfaßte Baulichkeiten und Betriebseinrichtungen, deren Fertigstellung nicht vor Herbst 1917 zu erwarten war; eine Lieferung von Eisen und Stahl für diese Zwecke wurde zunächst nicht zugelassen. In dieser Ausführlichkeit hat sich die Dringlichkeitsliste während des Krieges nicht halten lassen. Je nach der Veränderung der Kampflage sprang der Heeresbedarf oft außerordentlich plötzlich von der einen Bedarfsgruppe zur anderen über (Angriff: Munition; Verteidigung: Stacheldraht und Stellungsbaumaterial) und durchbrach dadurch eine allzubreit angelegte Systematik des Bedarfs. Im weiteren Verlauf des Krieges sah man infolgedessen immer mehr davon ab, mit den Dringlichkeitslisten den gesamten Heeresbedarf zu erschöpfen, zumeist beschränkte man sich darauf, die Gruppe A der I. Klasse genauer festzulegen, um dadurch das jeweils Allerdringlichste vom Dringlichen hervorzuheben. Sie umfaßte z. B. seit August 1917 Lieferungen für: 1. Unterseebootkrieg, 2. Flugwesen, 3. Eisenbahnbetrieb und 4. Ausfuhr in das neutrale Ausland. Die Dringlichkeitsliste gab einen Überblick über die Reihenfolge der sachlichen Dringlichkeit. Sie genügte jedoch noch nicht, um die Ausführung der Lieferungen völlig eindeutig der jeweiligen Dringlichkeit anzupassen. Das zeitliche Moment der Dringlichkeit gelangte in ihr nicht zum Ausdruck. Da die Lieferungen für die dringlichsten Gruppen bereits einen erheblichen Teil der Gesamtleistungsfähigkeit der Werke ausmachten, so war deswegen zu befürchten, daß Lieferungen für weniger dringliche, aber doch ebenfalls ausschlaggebend kriegswichtige Bedarfsgruppen zeitlich so verzögert wurden, daß höchst nachteilige Folgen für die Heeresversorgung entstanden. Bei anderen Rohstoffen bediente man sich für den Zweck einer zeitlichen und mengenmäßigen Sicherung der Heeresversorgung mit Erfolg der sogenannten Bezugscheine. Diese setzten zumeist eine Beschlagnahme des Materials voraus, für welches sie galten; sie wurden durch die staatlichen Organe nach Maßgabe der vorhandenen Vorräte auf Grund eines genauen Wirtschaftsplanes ausgestellt. Die Ein-



Die Grundlinien des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl 

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führung von Bezugscheinen dieser Art war bei den gänzlich anderen Verhältnissen der Kriegseisenwirtschaft weniger erfolgversprechend. Es war völlig ausgeschlossen, jede einzelne Eisenlieferung in Deutschland zu kontrollieren; ein geschlossenes Bezugscheinsystem war undurchführbar. Man mußte sich darauf beschränken, ein Verfahren in Anwendung zu bringen, das nur die jeweils dringlichsten Lieferungen förderte, die gesamte übrige Bedarfsdeckung aber nach Möglichkeit wenig berührte. Es geschah dies durch die Ausgabe von Dringlichkeitsscheinen, durch welche die Beschaffungsstellen einen Teil ihres Gesamtkontingents als besonders dringlich nach Zeit und Menge heraushoben. Es ließ sich nicht vermeiden, daß im Laufe des Krieges der Anteil solcher durch Dringlichkeitsscheine belegter Lieferungen an dem gesamten der Beschaffungsstelle jeweils zur Verfügung stehenden Kontingent erheblich anwuchs. Für eine ganze Reihe von besonders knappen Eisen- und Stahlprodukten sank somit der Dringlichkeitsschein tatsächlich wieder auf die Stufe eines reinen Bezugscheines ohne Dringlichkeitscharakter herab. Lieferungen für Feinblech, Draht und für Bauzwecke waren schließlich grundsätzlich nur auf Grund von Dringlichkeitsscheinen gestattet. Das Dringlichkeitsscheinverfahren ging davon aus, daß für jeden Monat ein geschlossener Lieferplan zur Durchführung kommen sollte. Ursprünglich verfielen deswegen die Scheine am Ende des Monats, in dem sie ausgestellt wurden. Dieses Verfahren bewährte sich jedoch nur in Fällen, in denen es sich um ein einheitliches, jeden Monat in annähernd gleichem Umfange von denselben Abnehmern verlangtes Erzeugnis handelte. Es führte jedoch zu Hemmungen, sobald bei verhältnismäßig langer Produktionsdauer wechselnde Abmessungen und verschiedene Qualitäten verlangt wurden. Bei der zunehmenden Überlastung der Walzwerke war es nicht möglich, die Aufträge so rechtzeitig unterzubringen, daß ihre Ausführung im Liefermonat technisch durchführbar war. Infolgedessen wuchsen die Lieferungsrückstände so stark an, daß die Unterbringung neuen Bedarfs noch mehr erschwert war. Mit dem August 1917 wurde infolgedessen die Gültigkeitsdauer auf zwei Monate ausgedehnt. Die Walzwerke konnten nunmehr ihre Betriebsverfügungen langfristiger treffen, auch stand dem Stahlbund eine größere Frist für die Unterbringung notleidender Aufträge zur Verfügung. In den Dringlichkeitsscheinen fanden sich genaue Angaben über den Lieferungsweg, wobei die Beschaffungsstellen in der großen Regel auf die ihnen bekanntgegebenen eingespielten Beziehungen in der freien Wirtschaft zurückgriffen. Hiernach trugen sie auf den Dringlichkeitsschein den endgültigen Verarbeiter, das Lieferwerk und die zur Auftragserledigung etwa erforderlichen Zwischenlieferanten ein. Die berechtigten Wünsche der Werke wurden weitgehend dabei berücksichtigt. Um zu vermeiden, daß in Fällen nicht reibungsloser Unterbringung dieselben Bedarfsmengen von verschiedenen Seiten in Form von Anfragen an die Lieferwerke herangebracht und schließlich auch mehrfach bestellt würden, war bestimmt, daß die Beschaffungsstellen oder Unterlieferanten Aufträge, die infolge Überlastung der Stahlwerke und Walzwerke nicht untergebracht werden konnten, dem Stahlbund zur

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 Das Hindenburg-Programm

Vermittlung übergaben. Dieser hatte dann zu versuchen, ein Lieferwerk zu ermitteln. Das Verfahren bewährte sich zwar, führte aber schließlich zu so einer starken Belastung des Stahlbundes, daß dieser nicht mehr allen Anträgen gerecht zu werden vermochte. Die Abnehmer griffen nur zu leicht zu diesem bequemen Aushilfsmittel, ohne sich selbst hinreichend um die Ermittlung eines Lieferwerkes zu bemühen. Es wurden infolgedessen ebenfalls vom August 1917 ab lediglich die Feinbleche für eine bevorzugte Vermittlungstätigkeit des Stahlbundes bestimmt, während der übrige Bedarf erst mit dem Nachweis der Vergeblichkeit eigener Bemühungen an den Stahlbund herantreten durfte. Der Dringlichkeitsschein gab dem Empfänger Anrecht auf Lieferung innerhalb der Gültigkeitsfrist und verpflichtete das Lieferwerk und den Händler zur bevorzugten Ausführung der Bestellung. Um hierüber eine Kontrolle zu behalten, meldeten die Beschaffungsstellen die ausgestellten Dringlichkeitsscheine beim Stahlbund an, während auf der anderen Seite die Walzwerke über die ausgeführten dringlichen Aufträge Rückmeldungen an die Beschaffungsstellen erstatteten. Auch beim Aufbau des Dringlichkeitssystems mußte dem Umstand nachdrücklich Rechnung getragen werden, daß es sich beim Eisen vorzüglich um Produktionswirtschaft handelte und nicht um eine Vorratswirtschaft wie bei vielen anderen durch Bezugscheine geregelten Wirtschaftsgebieten. Das System durfte infolgedessen nicht so starr sein, daß es in seiner Unbeweglichkeit nachteilige Folgen für die Produktion hervorrief. Es wurden infolgedessen die Beschaffungsstellen angewiesen, jeweils nur einen Teil der ihnen zugewiesenen Kontingente durch Dringlichkeitsscheine zu belegen, während andererseits die Werke bis zu einem gewissen begrenzten Prozentsatz (z. B. ein Sechstel) über die Dringlichkeitsmengen hinausliefern durften, je nachdem es die volle Ausnützung der Betriebseinrichtungen verlangte. Hierdurch war die Möglichkeit gegeben, bis zu einem gewissen Grade eine wirtschaftliche Produktionsentwicklung zu gewährleisten.

Deckung des mittelbaren Kriegsbedarfs Völlig aussichtslos erschien es, das weite Gebiet des mittelbaren Kriegsbedarfs von vornherein so zu gliedern, daß auch nur die dringlichen Aufträge im einzelnen besonders belegt, geprüft und zugelassen werden konnten. Es hätte dies einen behördlichen Apparat von unübersehbarem Umfange und damit auch von großer Schwerfälligkeit erfordert, bei dem es sehr zweifelhaft war, ob die Erfolge auch die Aufwendungen nur entfernt wettmachten. Im Gegensatz zum unmittelbaren Kriegsbedarf erfuhr infolgedessen der mittelbare Kriegsbedarf keinerlei amtliche Kennzeichnung und Unterstützung. Die Verbraucher waren vielmehr in ihrer Bedarfsbefriedigung auf den freien Markt angewiesen, wobei die Bestimmung galt, daß der Bezug nur zulässig war, wenn der Besteller dem Lieferer eine eidesstattliche Erklärung in einer von der Rohstahlausgleichstelle vorgeschriebenen Form darüber abgab, daß die Lieferung für einen



Die Grundlinien des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl 

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derjenigen Zwecke benötigt wurde, die als mittelbarer Kriegsbedarf vom Stahlbund und der Rohstahlausgleichstelle anerkannt worden waren. Die eidesstattliche Erklärung berechtigte das Walzwerk oder den Händler zur Lieferung. Durch diese Art der Regelung war die Entscheidung für die Zulässigkeit einer Lieferung von Eisen und Stahl für mittelbare Kriegszwecke vornehmlich in die Hand der Industrie oder des Handels gelegt; eine an sich auf den ersten Blick befremdliche Organisation. Dadurch aber, daß die Beachtung der behördlichen Anordnungen teils dem Erzeuger, teils dem Verbraucher auferlegt wurde, ergab sich unter tunlichster Einschränkung unproduktiver Arbeit eine zwangsläufige Kontrolle, die den Zwecken der Eisenbewirtschaftung voll genügte. Die Kriegsrohstoffabteilung hat in der Tat mit diesem Verfahren erreicht, daß für die mittelbaren Kriegsbedarfszwecke im großen und ganzen nicht viel mehr als diejenigen Mengen verbraucht wurden, die im kriegs- und volkswirtschaftlichen Interesse unbedingt nötig waren. Aus den zahlreichen Reklamationen und Beschwerden, die bei der Rohstahlausgleichstelle einliefen, ist zu schließen, daß höchstens ungefähr die gleiche Menge Eisen und Stahl für solche mittelbaren Zwecke verwendet worden ist, als dies auf Grund einer behördlichen Kontrolle auch geschehen wäre. Die Werke waren mit ihrer gesamten Produktion in erster Linie auf die Befriedigung des unmittelbaren Kriegsbedarfs eingestellt. Oft überstieg der durch Dringlichkeitsscheine belegte, also unter jeder Bedingung zuerst zu befriedigende Heeresbedarf die Leistungsfähigkeit einzelner Werke. Sie schalteten deshalb von vornherein die jeweils auftretenden, meist im Mengenausmaß geringfügigeren Bestellungen auf mittelbaren Kriegsbedarf in der Regel nur ungern in das Produktionsprogramm ein. Das Bestreben der Verbraucher, ihren Bedarf als mittelbaren Kriegsbedarf angesehen zu wissen, die vielleicht stellenweise in Verbraucherkreisen infolge der Eisenknappheit vorhandene Neigung, die eidesstattliche Erklärung etwas weitherzig aufzufassen, glich sich gegen das Bestreben der Werke, den Auftragbestand nicht allzu hoch über die Leistungsfähigkeit hinauswachsen zu lassen, und das Drängen der Heeresverwaltung auf unbedingte Vorwegbelieferung des Heeresbedarfs ungefähr aus. Gerade auf diesem völlig unübersichtlichen Gebiet hat es sich als durchaus richtig erwiesen, das Schwergewicht auf die bestmöglichste Ausnutzung wirtschaftlicher Momente zu legen und dabei organisatorische Mängel und Unvollkommenheiten im System in Kauf zu nehmen. Eine bis fast über die Grenze des volkswirtschaftlichen Mindestbedarfs heruntergehende Einschränkung alles nicht zur unmittelbaren Kriegsbedarfsbefriedigung gehörenden Eisenverbrauchs wurde erzielt. Dieser Erfolg bestätigt die Berechtigung der innegehaltenen Bewirtschaftungsform. Hervorragende Schwierigkeiten bereitete die ausreichende Versorgung des Handels mit Eisen und Stahl. Während der ersten beiden Kriegsjahre hatte sich bei der unzureichenden Produktion der Verbrauch zu einem erheblichen Teil aus den Händlerlagern befriedigen lassen. Mit dem Hindenburg-Programm aber erschöpften sich diese Quellen für die Bedarfsdeckung immer mehr. Es war den Händlern auch nicht ohne weiteres möglich, eidesstattliche Erklärungen über die kriegs- und volkswirtschaftliche Wichtigkeit der Lieferungen abzugeben, die später einmal aus ihren

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 Das Hindenburg-Programm

Lagerbeständen ausgeführt werden sollten. In breitestem Umfange war aber gerade der kriegswichtige Kleinbedarf auf die Versorgung aus Händlerlagern angewiesen (z. B. der Dorfschmied für die Instandsetzung landwirtschaftlicher Maschinen). Er hatte kaum je genügend große Auftragsmengen auszuweisen, als daß sich seine Befriedigung aus der Produktion heraus hätte ermöglichen lassen. Das Auswalzen kleiner und kleinster Auftragsmengen wird innerhalb höchst intensiv gestalteter Walzprogramme zur völligen ökonomischen Unmöglichkeit. Obwohl die Kriegsrohstoffabteilung diese Verhältnisse klar überblickte, ist es doch bis zum Sommer 1918 nur in äußerst beschränktem Umfange gelungen, ihnen einigermaßen Rechnung zu tragen. Zahllose Klagen aus Händlerkreisen legten hierfür Zeugnis ab; allerdings darf hierbei nicht übersehen werden, daß sich diese Klagen bis zu einem vielleicht gar nicht genug zu veranschlagenden Maße daraus erklären lassen, daß der Handel die Möglichkeit zu gewinnbringender Tätigkeit im Absatz viel größerer Mengen sah, als sie ihm von der Rohstahlausgleichstelle als wirklich nötig gestattet werden konnten. Für die Versorgung der Eisen- und Stahllager wurden in Düsseldorf, Mannheim, Leipzig, Breslau und Berlin Vertrauensstellen eingerichtet, unter deren Mitwirkung eine Belieferung der Händler erfolgte. Die Vertrauensstellen prüften die Notwendigkeit der Lagerhaltung und den Umfang der Neulieferungen und stellten über das von ihnen als unbedingt erforderlich erachtete Maß Bezugscheine aus. Auf Grund dieser Bestätigung der volkswirtschaftlichen Notwendigkeit konnte dann der Händler eine der üblichen entsprechende eidesstattliche Erklärung abgeben, die den Bezug von Eisen und Stahl ermöglichte. Durchschnittlich sind monatlich 40—60 000 t Eisen und Stahl über Händlerlager gelaufen.

Die Regelung der Ausfuhr von Eisen und Stahl Die großen Schwierigkeiten in der Bedarfsdeckung mit Eisen und Stahl machten es zu einer unumgänglichen Notwendigkeit, die Ausfuhr gegen den Inlandbedarf abzustimmen. Mit dem Sommer 1916 mußte deswegen ein grundsätzlicher Wandel in der Stellungnahme der Behörden gegenüber der Eisenausfuhr eintreten, der sich auch rein organisatorisch bemerkbar machte. Hatte bisher das Reichsamt des Innern den Außenhandel mit Eisen und Stahl überwacht, so mußte seit dem Hindenburg-Programm die Heeresverwaltung einen größeren, schließlich einen ausschlaggebenden Einfluß auf die Ausfuhrpolitik beanspruchen. Insbesondere erschien es dem Kriegsministerium unumgänglich notwendig, eine viel schärfere Kontrolle über die Ausfuhr von Eisen und Stahl einzuführen, als dies bisher üblich gewesen war, und zu diesem Zweck ein lückenloses Ausfuhrverbot für die gesamte Eisen- und Stahlausfuhr zu erlassen. Diesem Wunsche des Kriegsministeriums gab das Reichsamt des Innern am 28. September 1916 durch das Verbot der Ausfuhr aller Eisen- und Stahlerzeugnisse nach Abschnitt 17a des Deutschen Zollta-



Die Grundlinien des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl 

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rifs Raum. Hiermit fand die etwas schwankende Entwicklung in der Behandlung der Eisenausfuhr ihren Abschluß, die sich in der folgenden Tabelle widerspiegelt. Ausfuhrverbote und Freigaben für Eisen und Stahl Datum

Verbot bzw. Gegenstand Freigabe

31. Juni 1914...… 31. Aug. 1914…..

Verbot Freigabe

31. Aug. 1914..…

Verbot

20. Okt. 1914..… 13. Jan. 1915...…

Freigabe Verbot

1. Febr. 1915...... 15. Febr. 1915.... 15. Febr. 1915....

Verbot Verbot Verbot

Frühjahr 1915…..

Verbot

13. März 1915....

Verbot

28. Mai 1915...… 29. Mai 1915..... 12. Juni 1915.....

Verbot Verbot Verbot

6. Juni 1916.......

Verbot

28. Sept. 1916...

Verbot

Allgemein. Roheisen, Eisenbahnmaterial jeder Art, schmiedbarer und nicht schmiedbarer Guß, Träger-, Form- und Bandeisen, Röhren aller Art, Draht außer Stacheldraht, Bleche außer Weißblech; fertige Erzeugnisse für Dampfkessel, Gas- und Wasserbehälter u. a. Kleineisen und Stahlwaren aller Art. Stahlblöcke, Platinen, Knüppel, Tiegelstahl in Blöcken; Spezialstähle (Chrom-, Nickel- usw. Legierungen), schmiedbares Eisen in Stäben; Stahlspäne, Alteisen und Eisenabfälle aller Art, Brucheisen; Stahlflaschen, Stahlkörper für Geschosse, Schanzgerätschaften, Drahtseile, Stacheldraht, Reit- und Fahrgeschirrteile; Weißblech und Gerätschaften daraus. Spezialstähle mit Ausnahme von Nickel- und Nickelchromstählen. Eisen- und Stahldraht, Drahtscheren, Drahtspanner, Drahtzangen, Äxte, Beile und Beilpicken, Feldschmieden, Sensenklingen, Sicherheitslampen für Bergwerke, Eisenbleche in einer Stärke von 4,5 mm und darüber. Roheisen mit weniger als 1% Phosphor. Wellblech, Dehnblech, Riffel- und Warzenblech. Chrom-, Wolfram-, Molybdän-, Banadiumstahl und Manganstahl mit mehr als 2% Mangangehalt. Röhren-, Röhrenformstücke aus schmiedbarem und nicht schmiedbarem Eisen; Wasserrohrkessel für Schiffe, Eisenblech mit einer Stärke von 0,5 mm und darüber. Kokillen aus Eisen, Bleche aus Eisen und Eisenlegierungen jeder Art und Stärke. Bandeisen, kalt gewalzt oder gezogen und Quadrateisen. Eisenbahnradsätze. Geflechte aus Eisen und Stahldraht. Im weiteren Verlauf des Jahres 1915 wurden die Verbote noch auf eine Reihe von Warengattungen untergeordneter Art (Druckknöpfe, Sicherheitsnadeln, Hämmer, Meißel, Zangen usw.) ausgedehnt. Träger, Formeisen, Stabeisen und Bandeisen; Drahtstühle jeder Art, Eisenbahnwagenbeschlagteile, -Puffer; Röhrenformstücke und Fittings, Flanschen aller Art; Rohluppen, Rohschienen, Rohblöcke, Brammen, vorge- walzte Blöcke, Platinen, Knüppel usw. Alle Eisen- und Stahlerzeugnisse des Abschnitts 17a des Zolltarifs (dazu eine besondere „Freiliste“ der ausfuhrfreien Produkte).

110 

 Das Hindenburg-Programm

Das lückenlose Ausfuhrverbot vom September 1916 war in der Tat als Grundlage einer einheitlichen Gestaltung der Eisenausfuhr nicht zu umgehen. Dadurch aber, daß nunmehr das Kriegsministerium im Interesse der ausreichenden Heeresversorgung eine Mitwirkung bei der Handhabung der Ausfuhrgenehmigung beanspruchte, wurde der Keim zu langwierigen Kompetenzstreitigkeiten gelegt. Die Kritik des Kriegsministeriums wandte sich hauptsächlich gegen die vom Reichsamt des Innern eingerichtete Organisation. Die Zentralstellen, die teilweise Selbstverwaltungskörper der in Frage kommenden Industriegruppen waren, besaßen keinen vollständigen Überblick über die gesamte Deckungslage. Namentlich war ihnen der Heeresbedarf in seinem tatsächlichen Umfange unbekannt, obgleich sie nachdrücklich beim Kriegsministerium um Bekanntgabe nachgesucht hatten. Besaß doch wie gesagt das Kriegsministerium selber darüber keine Kenntnis! So waren die Zentralstellen in diesem wichtigen Punkt auf Schätzungen angewiesen und ihr Urteil über die Zulässigkeit von Ausfuhranträgen notgedrungenerweise eingeschränkt. Die Zentralstellen waren wohl in der Tat aufrichtig bemüht, ihre Aufgabe unparteiisch zu erfüllen und die Zulässigkeit der Ausfuhrbewilligungen sachlich zu beurteilen. Es fehlte ihnen jedoch bei dieser Sachlage die Möglichkeit, darüber zu wachen, daß durch die von ihnen empfohlenen Ausfuhrbewilligungen das Heeresinteresse nicht geschädigt wurde. Auch war es bedenklich, daß bei dem Nebeneinanderarbeiten einer so großen Zahl von Stellen kein einheitliches Bild über die Menge der dem Ausland zugeführten Stahlund Eisenmengen zu gewinnen war. Das Kriegsministerium hätte es deswegen gerne gesehen, wenn die gesamte Eisenausfuhr in einer Hand vereinigt wurde; es trug sich damals mit dem bereits erwähnten Plan der Gründung einer Eisen- und Stahlzentrale mit einem staatlichen Ausfuhrmonopol. Die Widerstände, die sich im Reichsamt des Innern (unter Helfferich) gegen den Plan des Kriegsministeriums bemerkbar machten, waren jedoch so groß, daß die Ausführung dieses Planes unterbleiben mußte. Da aber andererseits die Heeresverwaltung unter allen Umständen an der Überwachung der Eisenausfuhr beteiligt bleiben wollte, so entstand eine Überorganisation, die sich in der Praxis äußerst nachteilig bemerkbar machte. Nicht weniger als neun Dienststellen waren unter anderen an der Genehmigung von Ausfuhrbewilligungen beteiligt, und das bedeutete nicht nur eine Lähmung der Ausfuhrtätigkeit überhaupt, sondern auch eine Gefährdung solcher Ausfuhrgeschäfte, die im Interesse der auswärtigen Politik nach Zeit und Menge sehr dringlich waren. Die Kompetenzkonflikte zwischen dem Reichsamt des Innern und der Heeresverwaltung schärften sich unter dem Einfluß der großen Versorgungsschwierigkeiten im Winter 1916/17 sehr zu. Zwar hätte die Heeresverwaltung die Möglichkeit gehabt, das Reichsamt des Innern dadurch auszuschalten, daß es durch die stellvertretenden Generalkommandos den Werken jede Fabrikation von Eisen und Stahl und Produkten daraus für Ausfuhrzwecke untersagte. Naturgemäß zog man jedoch vor, einen offenen Kampf zu vermeiden; die Heeresverwaltung erreichte es vielmehr, daß der Chef des Generalstabes am 1.  Februar 1917 dem Reichskanzler auseinandersetzte, welche



Die Grundlinien des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl 

 111

Schwierigkeiten und Nachteile aus der bisherigen Organisation entstanden und die schleunige Abstellung der Mißstände im Sinne des Kriegsministeriums empfahl. Das wenig erfreuliche Nebeneinanderherarbeiten einer ganzen Reihe von Dienststellen wurde hierdurch aber nicht vollständig beseitigt. Die Rohstahlausgleichstelle erhielt zwar die eigentliche Entscheidung über die Ausfuhrbewilligungen und verfügte für diese Zwecke über Blankettbewilligungen des Reichskommissars für Ein- und Ausfuhrbewilligung, doch ließen sich die alten Organisationen nicht völlig ausschalten. Mit dem Eingreifen des Kriegsministeriums in die Eisenausfuhrregelung ging eine erhebliche Einschränkung der Gesamtausfuhr Hand in Hand. Die Heeresverwaltung stellte zusammen mit dem Auswärtigen Amt fest, daß eine auf die neutralen Grenzländer verteilte Gesamtmenge von 95 000 t zur Erreichung und Erhaltung wirtschaftlicher und politischer Beziehungen ausreichte. Mit dem Hindenburg-Programm entschloß man sich dann, eine Menge von 80 000 t im Monat oder 960 000 t im Jahr als hochstzulässiges Maß festzusetzen. Die scharfe Kontrolle, die dann im Laufe der letzten zwei Kriegsjahre einsetzte, bewirkte schließlich, daß auch diese geringe Menge noch ganz erheblich unterschritten wurde. Im Jahre 1917 wurden im ganzen 965 000 t, d. i. etwa 15% der Friedensausfuhr, im Jahre 1918 nur 923 200 t Eisen und Stahl ausgeführt. Überblickt man, wie in der umstehenden Tabelle geschehen, die Eisenausfuhr im Laufe der Kriegszeit, so ist das folgende festzustellen. Das Jahr 1914 zeigt gegenüber 1913 einen Ausfuhrverlust von bereits rund einem Drittel, wobei zu berücksichtigen ist, daß der weitaus größte Teil der Ausfuhr dieses Jahres von 4,7 Mill. Tonnen bereits vor Kriegsbeginn ausgeführt worden ist; nach Kriegsausbruch ruhte jedenfalls bis Ende 1914 die Ausfuhr nach den uns feindlichen Ländern, nach den neutralen Staaten und den anderen zumeist überseeischen Abnehmern deutschen Eisens völlig. Die wirklichen Verhältnisse zeigt erst das erste reine Kriegsjahr 1915. Die Ausfuhr von Eisen und Stahl sank auf ein Drittel der Friedenszeit. Bis auf ein Achtel sank die Ausfuhr nach den uns feindlichen Ländern; hier kam neben der Ausfuhr nach Italien nur die Versorgung der von uns besetzten Gebiete in Betracht, wobei obendrein berücksichtigt werden muß, daß die Zollstatistik auch solche Mengen miterfaßte, die zu militärischen Zwecken über die Zollgrenzen gingen. Dieser Anteil der Ausfuhr sank im Laufe des Krieges bis auf 25 000 t im ganzen ab. Jäh abgeschnitten erscheint ab 1915 die Ausfuhr nach Übersee (anderen Ländern der Statistik). Als einzige Ausfuhrmöglichkeit blieb das neutrale Ausland. Dorthin wurden im Jahre 1915 etwa 12% mehr der Menge nach ausgeführt als im Frieden. Aber auch diese Ausfuhr ging stark zurück und sank bis zum Jahre 1917 um zwei Drittel der erreichten Höhe. Nicht unerheblich wurde die deutsche Eisenwirtschaft durch die verbündeten Länder beansprucht. Bulgarien und die Türkei, die selbst keine leistungsfähige Eisenindustrie besaßen, wurden während des Krieges in erster Linie mit Fertigfabrikaten versorgt. Österreich-Ungarn dagegen mußte jeweils nicht unbeträchtliche Mengen von Rohstoffen und Halbfabrikaten aus Deutschland beziehen, um seinem eisenwirtschaftlichen Bedarf gerecht werden zu können. Die österreichische Eisenindustrie

112 

 Das Hindenburg-Programm

arbeitete zwar unter ungleich günstigeren Bedingungen als die deutsche. Hauptsächlich konnte Österreich-Ungarn reichlich auf eigene hochwertige Erze zurückgreifen und brauchte deswegen nicht wie Deutschland einen Leistungsrückgang infolge schlechterer Rohstoffverhältnisse in Kauf zu nehmen. Infolgedessen stieg hier auch während des Krieges die Produktion über die Friedenshöhe hinaus. Trotzdem kam Österreich in seiner Versorgung mit Roheisen, Halbzeug u. a., besonders auch mit Draht in Bedrängnis. Es kam dies daher, daß der österreichischen Eisenwirtschaft im Kriege das Regulativ einer großen Friedensausfuhr, wie sie Deutschland besessen hatte, fehlte, so daß sich alle Spannungen in der Bedarfsbildung viel schneller zu Versorgungskrisen auswuchsen als in Deutschland. Dazu kam dann allerdings auch noch, daß man in Österreich nicht mit der gleichen Schärfe und Rücksichtslosigkeit das ganze Wirtschaftsleben auf die Kriegsbedürfnisse umzustellen sich entschloß, wie man das in Deutschland auf dem Gebiete des Eisens wenigstens seit 1916 getan hat. Ausfuhr von Eisen und Stahl nach Ausfuhrländern (1000 t) (Nach der amtlichen Reichsstatistik)19 Länder

1913

1914

1915

1916

1917

1918

a)

Österreich-Ungarn…….… Türkei………………...……… Bulgarien…………….……… Summe a

334,2 78,7 12,0 424,9

170,9 75,9 21,2 268,0

161,2 2,2 2,4 165,8

484,1 2,2 6,0 492,3

361,4 9,8 7,6 378,8

229,1 7,9 8,8 245,8

b)

Schweden…………………… Norwegen…………………… Dänemark…………………… Holland……………….……… Schweiz……………………… Summe b

166,0 114,8 167,2 599,9 336,8 1 384,7

184,0 115,3 204,2 587,6 254,8 1 345,9

170,1 219,8 240,5 646,5 295,0 1 571,9

250,6 172,3 198,7 556,8 252,7 1 431,1

83,8 39,4 67,4 130,9 237,6 559,1

110,2 51,4 115,5 155,0 203,9 636,0

c)

Belgien19………............… Frankreich…………..……… Rußland………………..…… Italien……………...………… Rumänien…………………… Summe c

655,3 228,5 137,2 292,9 137,0 1 450,9

323,3 140,9 184,8 264,0 93,7 1 006,7

26,0 0,3 12,5 127,2 18,3 184,3

30,1 1,6 28,6 0,4 48,2 108,9

8,7 2,7 13,0 — 1,1 25,5

6,2 0,5 11,6 — 15,9 34,2

Zusammen a, b, c……………..…… Andere Länder…………………....… Gesamtausfuhr………………...……

3 260,5 3 241,9 6 502,4

2 620,6 2 145,6 4 766,2

1 922,0 147,2 2 069,2

2 032,3 27,8 2 060,1

963,4 2,2 965,6

916,0 7,2 923,2

Die Ausfuhr von Thomas- und Gießereiroheisen erfolgte auf Grund von halbjährlich mit der Donaumonarchie verabredeten Kontingenten, während A- und B-Produkte

19 Seit Kriegsbeginn die betreffenden besetzten Gebiete.



Die Grundlinien des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl 

 113

nach Österreich dann ausgeführt werden konnten, wenn für den Einzelfall eine Ausfuhrbewilligung erteilt wurde, die im Zusammenarbeiten des K. u. K. Kriegsministeriums in Wien mit der Abteilung für Aus- und Einfuhr im Kriegsamt zustande kam. Die Statistik der Jahre 1916 und 1917 zeigt, daß das Hindenburg-Programm auch an die Ausfuhr nach Österreich die höchsten Anforderungen stellte. Die Eisenausfuhr nach Österreich-Ungarn, Bulgarien und der Türkei war ein Erfordernis, das unmittelbar der mitteleuropäischen Kriegführung zugute kam. Nicht weniger bedeutungsvoll war aber die Ausfuhr nach den neutralen Nachbarstaaten. Je mehr England alle seine wirtschaftlichen Kräfte zur Durchführung der Kriegsaufgaben vereinigte, um so weniger konnte es neben seinen unterstützungsbedürftigen Bundesgenossen auch die neutralen Staaten befriedigen. Deutschland aber durfte nicht zusehen, daß diese Länder aus Eisennot ganz in die Arme der Entente getrieben wurden und konnte aus diesem Umstand sowohl politische als auch wirtschaftliche Vorteile ziehen. Die bedrängte Lage jedoch, in der man sich in Deutschland selbst befand, verlangte es, darauf hinzuwirken, daß mit einem möglichst geringen Ausfuhraufwand die größtmöglichste Wirkung erzielt wurde. Dementsprechend war auch die deutsche Ausfuhrpolitik gegenüber den einzelnen neutralen Ländern durchaus nicht einheitlich, war hier mehr auf den Austauschverkehr gegen Lebensmittel, dort mehr auf Kompensationen gegen wichtige Rohstoffe abgestellt und trug manchmal fast unverhüllt den Charakter eines ohne Gegenleistung hingegebenen Mittels zur Niederhaltung deutschfeindlicher Strömungen im neutralen Nachbarland. Die ursprünglich im Oktober 1916 auf insgesamt 80 000 t kontingentierte Ausfuhr wurde dann unter dem Einfluß der zunehmenden Knappheit an Eisen und Stahl in Deutschland am 6.  März 1917 nochmals erheblich herabgemindert, und zwar auf zusammen 59 800 t im Monat, d. h. auf rund 720 000 t im Jahre. Wie die Statistik zeigt, hat sich die tatsächliche Ausfuhr nach den neutralen Staaten noch weit unter dieser Grenze gehalten. Im Rahmen dieser Ausfuhrmenge, die ratierlich auf die in Frage kommenden Länder verteilt war, behielt sich das Kriegsministerium vor, durch die Rohstahlausgleichstelle die Verteilung auf die einzelnen Eisensorten mit Rücksicht auf die jeweiligen Anforderungen der Heeresverwaltung und die Zuteilung auf die ausländischen Firmen vorzunehmen. Während im Inland die „Zentralstellen für die Ausfuhrbewilligungen“ die Verbindung mit der Industrie aufrechterhielten, wurden in den neutralen Ländern ebenfalls Zentralen ins Leben gerufen, welche die dortigen Verbraucherkreise repräsentierten, gleichzeitig aber die Handhabe für eine sehr nachdrückliche Verbleibskontrolle boten. Solche ausländischen Zentralen wurden errichtet: Schweden (Statens Industriekommission in Stockholm), Norwegen (Import-Contor für Tysk Jern in Christiania), Dänemark (Dansk Yern Centrale in Kopenhagen), Holland (Rijks Commissie voor de Distributie von Jjzer en Staal im Haag), Schweiz (Eisenzentrale in Bern).

114 

 Das Hindenburg-Programm

Sie faßten die Bestellungen der ausländischen Bezieher zusammen und belegten sie durch Bestellscheine, die den ausländischen Beziehern dann zur Weitergabe an die deutschen Verkäufer zugestellt wurden. Diese konnten dann auf Grund dieser Bestellscheine durch die zuständigen Zentralstellen die Ausfuhrbewilligung beantragen. Das Verfahren zur Erlangung der Ausfuhrbewilligung war je nach den besonderen Verhältnissen für die einzelnen Ausfuhrgebiete etwas verschieden, je nachdem, ob besondere Vorsichtsmaßregeln gegen eine Verschiebung des Materials an feindliche Länder zu befürchten war, oder ob mit Rücksicht auf einen besonders dringlichen Kompensationsverkehr Erleichterungen angebracht waren. Bei der Versorgung Hollands kam außerdem noch in Betracht, daß nach Möglichkeit eine Belieferung aus Belgien angestrebt wurde, wobei den belgischen Lieferfirmen freie Verhandlung und freier Vertragsabschluß mit Ausnahme der Preisfestsetzung zugestanden wurde. Der Bezug des Auslandes wurde, ausgenommen Norwegen, grundsätzlich von der Beibringung der „Bestellscheine“ abhängig gemacht. Bestellscheinpflichtig waren folgende Erzeugnisse: Roheisen, gußeiserne Röhren nebst Formstücken, Halbfabrikate, wie Rohluppen, Milbars, Ingots, Brammen, Knüppel usw., Walzfabrikate, Preßsteine, Böden und Wellrohre, Eisenkonstruktionen. Andere Waren standen außerhalb der Bestellscheinpflicht. Der Bestellschein wurde ausschließlich dann gegeben, wenn es sich um Selbstverbrauch des Bestellers handelte. In der großen Regel war damit einem Verschieben deutschen Eisens über einen neutralen Staat nach einem feindlichen Land ein Riegel vorgeschoben. Von dem allgemeinen Ausfuhrverbot vom 28. September 1916 wurden alle Eisenund Stahlerzeugnisse betroffen. Jedoch wurde eine Reihe von Gegenständen von untergeordneter Bedeutung davon wieder ausgenommen und über diese „Freilisten für die Ausfuhr“ zusammengestellt. Für die auf der Freiliste stehenden Waren waren deswegen auch keine Ausfuhranträge zu stellen. Seit Beginn des Jahres 1916 hatte sich zur Besserung des deutschen Währungsstandes im Ausland eine Reihe von Ausfuhrvereinigungen gebildet. Mit diesen waren Preisvereinbarungen getroffen worden, die im Interesse des Reichs nötig erschienen. Vor allen Dingen war für die Auslandsgeschäfte Zahlung in ausländischer Währung zu vereinbaren. Außerdem wurden die Lieferungs- und Zahlungsbedingungen vereinheitlicht sowie die Ausfuhrbewilligung von der Einhaltung von Mindestpreisen abhängig gemacht. Die Regelung des Bezugs des Materials zur Herstellung der Ausfuhrgüter in Verbindung mit den Ende 1917 eingeführten Auslandsmindestpreisen führten zu tiefgehenden Interessenkonflikten zwischen der weiterverarbeitenden Industrie und den Erzeugern der Roh- und Halbfabrikate. Es war den letzteren möglich, zu ersehen, ob die Bestellungen für Inlands- oder Auslandsverkäufe bestimmt waren. War das letztere der Fall (sogenannte mittelbare Ausfuhr), so verlangten sie einen erheblichen



Die Grundlinien des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl 

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Preisaufschlag für die bestellten Materialien gegenüber den Inlandhöchstpreisen. Dadurch aber sahen sich die exportierenden Weiterverarbeiter in ihren Gewinnen am Auslandsgeschäft geschmälert und verlangten, daß die Werke angehalten würden, ihnen auch für die zur Ausfuhr bestimmten Rohmaterialien die gesetzlichen Inlandhöchstpreise zu berechnen. Die Klagen der Weiterverarbeiter waren aber in der allgemeinen Form, in der sie vorgebracht wurden, nicht begründet, solange sich die Aufschläge auf einer mittleren Linie zwischen Inlandhöchstpreis und Auslandmindestpreis der betreffenden Rohmaterialien bewegten, so daß die Weiterverarbeiter immer noch einen beträchtlichen Vorsprung vor ihren ausländischen Konkurrenten, die ja die hohen Ausland- bzw. Weltmarktpreise zu zahlen hatten, besaßen. Wie die oben gegebenen und die hier folgende Tabelle zeigen, hat der Eingriff der Kriegsrohstoffabteilung ein scharfes Zurückgehen der Ausfuhr nach den neutralen Staaten zur Folge gehabt. Es kommt dies besonders für das Jahr 1917 deutlich zum Ausdruck, während im Jahre 1918 mit Rücksicht auf die Entspannung der inländischen Deckungslage wieder eine kleine Zunahme der Ausfuhr in den Kauf genommen werden konnte. Ausfuhr der wichtigsten Eisen- und Stahlprodukte nach den fünf neutralen Nachbarländern (1000 t) Sorten

1913

1914

1915

1916

1917

1918

Roheisen………………..............… Halbzeug…………..............……… Träger-, Form-, Stabeisen......... Eisenbahnoberbaumaterial...... Bleche…………………..............… Draht……………..............……….. Röhren……….....................…….

111,5 35,8 480,4 170,6 256,9 59,0 90,0

94,0 24,5 446,4 187,8 249,5 68,1 92,4

98,6 73,9 582,9 161,1 332,5 72,6 93,3

141,1 38,5 378,1 116,6 300,8 66,8 116,3

44,5 29,5 208,3 16,9 97,9 7,1 45,1

62,1 10,9 286,0 45,4 129,9 2,8 50,1

Zusammen

1 204,2

1 162,7

1 414,9

1 158,2

449,3

587,2

Die Beschlagnahme von Eisen und Stahl Bis in den Herbst 1917 hinein dauerten die Nachwirkungen des Hindenburg-Programms auf dem Gebiet des Bauwesens an. Eine große Zahl von Neubauten und Neueinrichtungen von kriegswirtschaftlichen Anlagen, die im Hinblick auf das Hindenburg-Programm in Angriff genommen worden waren, konnte infolge Materialmangels von vornherein nicht voll ausgenutzt werden. Die großen Schwierigkeiten des Winters 1916/17 sowie die Arbeits- und Produktionsverhältnisse im Frühjahr 1917 hatten es schließlich als wahrscheinlich erkennen lassen, daß in erheblichem Umfange Neubauten aller Art entbehrlich sein würden. Solange die Kriegsrohstoffabteilung noch die

116 

 Das Hindenburg-Programm

Erwartung hegte, nach Aufhören der Transportkrise das ursprünglich beabsichtigte Hindenburg-Programm doch noch zu erfüllen, war es nicht richtig erschienen, entscheidend gegen die Neubautätigkeit vorzugehen. Man hatte sich darauf beschränkt, die gröbsten Auswüchse durch die Errichtung der Bautenprüfstelle und die Aufstellung einer Liste einwandfrei kriegswichtiger Baupläne zu beseitigen. Die private Bautätigkeit war schon im Oktober 1916 durch ein allgemeines Bauverbot unterbunden worden. Die Verfügungen über die Einschränkung der privaten Bautätigkeit waren jedoch praktisch nicht ganz durchgedrungen, und es wurde noch ungewöhnlich viel Arbeitskraft und Material an solche Zwecke verschwendet. Bis zum April 1917 lagen allein der Kriegsamtsstelle in den Marken nicht weniger als 1800 Einzelfälle von Stillegungen nicht dringlicher Bauten vor. Natürlicherweise verbot die Bausicherheit eine fristlose Durchsetzung des Bauverbots und öffnete damit zahlreiche Hintertüren. Bedauerlicherweise brachten auch die Beschaffungsstellen dieser ernsten Angelegenheit nicht das nötige Verständnis entgegen; es wurde im Verborgenen weit mehr gebaut, als öffentlich bekannt wurde. Im ganzen wurden im Winter 1916/17 monatlich etwa 80—100 000 t Eisen und Stahl — zur reichlichen Hälfte zwecklos — verbaut. Mit der Bautenprüfstelle vereinbarte die Rohstahlausgleichstelle im Frühjahr 1917 ebenfalls ein Kontingent, das sich auf 40 000 t belief, im Laufe des Sommers 1917 aber wiederholt noch weiter herabgesetzt wurde. Die Beschaffung von Eisen und Stahl für Bauzwecke war innerhalb dieses von der Bautenprüfstelle verwalteten Kontingents nur auf Grund von Dringlichkeitsscheinen erlaubt, die von der Bautenprüfstelle auf Grund genauer Bauprüfungen durch die Kriegsamtsstellen ausgestellt wurden. Nach der Einschränkung der Roheisenerzeugung wurde es aber im Herbst 1917 eindeutig klar, daß eine weitere übermäßige Verwendung von Eisen und Stahl für Baulichkeiten und Maschinen aus der Produktionslage nicht mehr zu rechtfertigen war. Ein scharfer Eingriff war hier um so mehr gerechtfertigt, als angesichts des unerhörten Absturzes der Produktion gerade während der Vorbereitungszeit der großen Westoffensive jede Tonne Stahl in erster Linie zur Deckung des Heeresbedarfs unmittelbar herangezogen werden mußte. Eine Festlegung von Eisen in Maschinen und Baulichkeiten war deshalb nur in dem Umfange vertretbar, in dem diese Anlagen auch unmittelbar produktiv werden konnten. Das Vorgehen der Rohstahlausgleichstelle zur Herabsetzung des nicht dringlichen Bedarfs verfolgte also folgende Grundsätze. Zunächst einmal wurde mit dem „Rundschreiben  20“ — das wie erwähnt, grundsätzlich jeden Eisenverbrauch für nicht kriegsmäßigen Bedarf unterbinden sollte — ein weitmaschiges Netz über den gesamten Verbrauch geworfen. Erst allmählich mußten sich Tausende von Erzeugern, Händlern und Verbrauchern an die ihnen auferlegte Beschränkung gewöhnen, bis man dann die Maschen des Netzes enger ziehen konnte und den Hochbau und den Maschinenbau schärfer faßte. Auch hierbei ging man schrittweise vor und begann mit einer Förderung der wichtigsten Bauten, während man die weniger wichtigen sich selbst überließ. Nach einiger Zeit folgte dann eine Behinderung der undringlichen Bauten durch Setzen einer Fertigstellungsfrist und schließlich die zwangsweise



Die Grundlinien des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl 

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Einstellung der nicht rechtzeitig abgeschlossenen Bauten. Ähnlich war das Vorgehen bei den Werkzeugmaschinen. Anfangs blieb man bei einem großzügigen Genehmigungsverfahren stehen, um eine Übersicht über den Bedarf zu bekommen und die Firmen an das Genehmigungsverfahren zu gewöhnen. Allmählich aber wurde stärker gesichtet und schließlich die Verbrauchsgenehmigung für Maschinen, von denen inzwischen genügende Mengen hergestellt worden waren, völlig untersagt. Aus diesem Gedankengang heraus wurde am 10.  Oktober 1917 eine Beschlagnahme von Stab-, Form- und Moniereisen, Stab- und Formstahl, Blechen und Röhren aus Eisen und Stahl, Grauguß, Temperguß und Stahlguß, und zwar für Bauzwecke und für Fabrikationseinrichtungen und Betriebsanlagen ausgesprochen. Der Ausdruck „Fabrikationseinrichtungen und Betriebsanlagen“ wurde an Stelle des ursprünglichen Begriffs „Maschinen“ gewählt, um zum Ausdruck zu bringen, daß die Beschlagnahme sich nicht nur auf die eigentlichen Kraft- und Werkzeugmaschinen, sondern auch auf die Förder- und Transportanlagen, Sicherheits-, Sanitäts- und Wohlfahrtseinrichtungen u. dgl. m. erstreckte. Auf Grund dieser Beschlagnahme war die Verwendung von Eisen und Stahl für Bauzwecke nur auf Grund von Dringlichkeitsscheinen der Bautenprüfstelle des Kriegsamts erlaubt. Diese führte eine Liste der vordringlichen Bauten (zuerst 100, dann nur 30). Die Aufnahme in die Bautenliste geschah auf Antrag bei der zuständigen Kriegsamtsstelle. Ohne Dringlichkeitsschein war eine Lieferung von Baueisen ausgeschlossen, so daß hier wiederum der Dringlichkeitsschein die Funktion eines Bezugsscheines annahm. Bayern behielt sich eine Vorkontrolle vor. Auch in Württemberg trat eine besondere Stelle, die Kriegsbedarfs- und Rohstoffstelle in Stuttgart, an die Stelle der Bautenprüfstelle. Von der Beschlagnahme waren Eisenbahnbrücken und laufende Unterhaltungsarbeiten in Bergwerksbetrieben, außerdem alle Baueisenmengen für Reparaturarbeiten ausgenommen. Die Belieferung mit Eisen und Stahl für diese Zwecke war auf Grund eidesstattlicher Erklärungen zulässig. Die Übersicht über den Baueisenbedarf und -bezug war infolge der Beschränkung der Bautätigkeit auf die begrenzte Liste der Bautenprüfstelle verhältnismäßig einfach. Hier konnte deswegen auch wirksam durchgegriffen werden. Außerordentlich viel komplizierter lagen dagegen die Verhältnisse bei den Fabrikationseinrichtungen und Betriebsanlagen, die unter anderem den ganzen Maschinenbau, Stückguß aller Art und Massenguß umfaßten. Eine Übersicht des Beauftragten des Kriegsministeriums für den Maschinenbau vom Herbst 1918 führte nicht weniger als fast 400 verschiedene Gegenstände aller Art auf, die unter den Begriff Fabrikationseinrichtungen und Betriebsanlagen fielen. Durch die Beschlagnahme wurde jede Verwendung von Gußeisen für die betroffenen Verwendungszwecke verboten. Der Bezug setzte eine eidesstattliche Erklärung des Bestellers über den Verwendungszweck und die Beibringung eines besonderen Bezugscheins durch den Endverarbeiter des Gusses voraus. Den Endverarbeitern von Stückguß wurde dieser Bezugschein von dem Beauftragten des Kriegsministeriums für den Maschinenbau ausgestellt. Den Gießereien für Massenguß dagegen wurde er

118 

 Das Hindenburg-Programm

der Einfachheit halber durch den Beauftragten des Kriegsministeriums beim Roheisenverband vermittelt, der gleichzeitig dem Roheisenverband Anweisungen gab, wie das verfügbare Roheisen im Rahmen des durch die Bezugscheine belegten Bedarfs sachgemäß zu verteilen war. Der Bezugschein war nur in Verbindung mit der eidesstattlichen Erklärung über den Verwendungszweck gültig. Durch diese Verknüpfung war erreicht, daß sich die Beschlagnahmeverfügung in das seit Herbst 1916 eingespielte Verfahren zur Deckung des mittelbaren Kriegsbedarfs einpaßte, für dessen Zulassung die eidesstattliche Erklärung charakteristisch war. Diese Beschlagnahme für Maschinen bereitete große Schwierigkeiten. Es war äußerst schwer, die Bundesstaaten auf ein einheitliches System zu verpflichten, und es gelang deshalb nicht, die Beschlagnahme gleichzeitig für das ganze Reichsgebiet in Geltung zu setzen. Während die Bekanntmachung in Preußen am 18. Oktober in Kraft trat, folgte nur Württemberg mit dem gleichen Zeitpunkt nach. Bayern setzte die Beschlagnahme erst am 25. Oktober, Sachsen erst am 1. November in Kraft. Dies war insofern von weitgehendster Bedeutung, als die Beschlagnahmeverfügung eine Übergangsfrist gesetzt hatte, die von der Bezugscheinpflicht diejenigen Gegenstände befreite, die am Tage des Inkrafttretens in Gewahrsam eines Verarbeiters oder Verbrauchers waren, ebenso diejenigen Mengen, die vor einem bestimmten Termin vor Inkrafttreten der Bekanntmachung fertiggestellt und vor einem zweiten Termin nach Inkrafttreten abgeliefert wurden. Diese Übergangsfrist ließ sich nicht vermeiden, wenn nicht schwere Störungen in den laufenden Absatz der Eisenprodukte und die reibungslose Abwicklung laufender Geschäfte hineingebracht werden sollten, die gerade in dieser Zeit höchster Spannung der Bedarfslage unbedingt zu vermeiden waren. Durch das verschiedene Inkrafttreten der Beschlagnahme in den einzelnen Bundesstaaten kam aber auch in diese Fristen eine Unregelmäßigkeit, die eine scharfe Kontrolle und strenge Durchführung des Verwendungsverbotes zunächst aufs äußerste erschwerten. Jede Revision stieß auf wirklich oder angeblich beschlagnahmefreie Mengen. Nicht genug mit der zeitlichen Verschiedenheit, hatten die Bundesstaaten auch besondere Vorbehalte durchgesetzt. Eine allzu große Ängstlichkeit, bei einer zentralen Wirtschaftsleitung in Berlin in den wirtschaftlichen Bedürfnissen zurückgesetzt zu werden, wurde hier zur Ursache einer Erschwerung des ganzen Apparates, die in erster Linie doch nur gerade die bundesstaatlichen Verbraucher traf, in deren Interesse die Landesverwaltungen zu handeln glaubten. Am schärfsten traten die Sonderbestrebungen in Bayern auf. In Preußen reichten die Hersteller von Maschinen usw. die Freigabeanträge für Eisen und Stahl unmittelbar an die Metallberatungs- und -verteilungsstelle für den Maschinenbau ein, die von der Kriegsrohstoffabteilung mit der Durchführung der Beschlagnahmeverfügung beauftragt war und durch den Beauftragten des Kriegsministeriums für den Maschinenbau kontrolliert wurde. Hier wurden zur Feststellung der Dringlichkeit der Herstellung der Maschine das Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt, die Kriegsrohstoffabteilung, das Reichsmarineamt und andere über die



Die Grundlinien des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl 

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Gesamtversorgungslage unterrichtete Zentralstellen herangezogen und die zuständige Kriegsamtsstelle befragt. Auf Grund dieser Vorarbeiten fällte der Beauftragte des Kriegsministeriums für den Maschinenbau die Entscheidung. Die Genehmigung wurde sodann dem Antragsteller auf dem kürzesten Wege unmittelbar zugestellt. Dem stand ein wesentlich schwerfälligerer Geschäftsgang für die bayrischen Fabrikanten gegenüber. Hier war der Antrag auf Eisenfreigabe von dem Hersteller der Maschine bei seiner Kriegsamtsstelle einzugeben, vorher hatte jedoch der zukünftige Empfänger der Maschine durch die in seinem Bezirk zuständige Kriegsamtsstelle die Notwendigkeit der Beschaffung prüfen zu lassen; das Ergebnis dieser Prüfung mußte dem Antrag der Maschinenfabrikanten beiliegen. Von der Kriegsamtsstelle ging der Antrag zur Überprüfung an das bayrische Kriegsministerium in München, das ihn endlich an die Metallberatungs- und -verteilungsstelle weitergab. Hier wurde dann der bayrische Antrag genau entsprechend der sonst üblichen Methode behandelt. Während nun im übrigen Deutschland der Bezugschein unmittelbar an die Industrie zurückging, mußte er in Bayern den gleichen Rückweg über Kriegsministerium und Kriegsamtsstelle machen. Die Mitwirkung der bayrischen Kriegsamtsstelle und des Münchener Kriegsministeriums bedeutete aber mit der Zwischenschaltung von fünf Instanzen nicht nur eine erhebliche zeitliche Verzögerung, sondern es wurde auch sachlich wenig dadurch gewonnen. Aus den Angaben des Fabrikanten und des Beziehers der Maschine konnte in seltenen Fällen örtlich eine Prüfung über die tatsächliche Dringlichkeit der Lieferung vorgenommen werden. Nur in der Zusammenarbeit mit den für die Beschaffung des Heeresbedarfs und die Leitung der deutschen Kriegswirtschaft maßgebenden Zentralstellen konnte in Berlin ein zutreffendes Urteil über die Zulässigkeit oder Unterlassung des Baues einer Maschine u. dgl. getroffen werden. Die ganze Sonderregelung war nur eine Belastung der bayrischen Industrie. Trotzdem zogen sich bis zum Kriegsende unfruchtbare Auseinandersetzungen zwischen dem bayrischen und dem preußischen Kriegsministerium hin, weil Bayern eine noch schärfere Sonderstellung durchzusetzen versuchte. Des weiteren zeigte diese einzige umfassendere Beschlagnahme in der Eisenbewirtschaftung die großen Schwierigkeiten, die es bereitete, die zahlreichen Verwendungsgebiete und Produktgattungen für die Rechtsprechung so scharf zu definieren und gegeneinander abzugrenzen, daß in der Tat der Zweck der Beschlagnahme voll erfüllt wurde und nicht geringe technische Verschiedenheiten Möglichkeiten zum Umgehen der Beschlagnahme offen ließen. Es wurde notwendig, daß der Beauftragte für den Maschinenbau fortlaufend Erläuterungen zu der Beschlagnahmeverfügung herausgab, ohne daß es im Grunde bis zum Ende des Krieges gelungen wäre, eine völlig eindeutige Anwendung der Beschlagnahmeverfügung in der Praxis durchzusetzen. Auch hier zeigte sich die größte Schwierigkeit wieder darin, daß es sich nicht um eine Rohstoffbeschlagnahme schlechthin, sondern um eine Beschlagnahme von Rohstoffen, Halbfabrikaten und Fertigfabrikaten für gewisse Verwendungszwecke handelte.

120 

 Das Hindenburg-Programm

Die Herstellung von Massenguß, die Produktion von Seriengegenständen u. dgl. machte besondere Regelungen notwendig, da hier das Prüfungs- und Freigabeverfahren für jedes Stück in schroffem Gegensatze zum Produktionsvorgang gestanden hätte und sich demgemäß als praktisch undurchführbar erwies. Auch machte es erhebliche Schwierigkeiten, die Beschlagnahme dort sachgemäß durchzuführen, wo es sich um Eisen für Maschinen handelte, die im Inland hergestellt und nach einigen Inlandoperationen für die Ausfuhr freigegeben wurden. Diese verschiedenartigen Schwierigkeiten, mit denen auf dem Gebiet des Eisens gerechnet werden mußte, bestätigen nur aufs neue die Richtigkeit der Grundanschauung, mit der die Kriegsrohstoffabteilung von einer Beschlagnahme der gesamten Eisenproduktion Abstand genommen hatte. Die Schwierigkeiten, die sich auf dem einen Teilgebiet ergaben, hätten sich um ein Vielfaches vermehrt, ohne daß im Grunde wesentliche Vorteile dadurch erzielt worden wären. Die tatsächlichen Nachteile einer allgemeinen Beschlagnahme kamen außerdem bei dieser Sonderbeschlagnahme nicht voll zur Geltung. Der Zweck der dargelegten besonderen Beschlagnahme war ausschließlich auf eine Beschränkung des Eisenverbrauchs für die betroffenen Verwendungsgebiete keinesfalls aber auf eine Förderung des Geschäftsverkehrs gerichtet. Nachteile der Verfügung wurden also dadurch ausgeglichen, daß Unterbelieferungen geradezu der Absicht des Gesetzgebers entsprachen. Nur diesem Umstand ist es zu verdanken, daß sich im Gesamtergebnis die Wirkung der Beschlagnahmeverfügung als nicht ungünstig darstellt. Es ist gelungen, durch Herabsetzung der Herstellung von Maschinen aller Art erhebliche Eisenmengen für den unmittelbaren Kriegsbedarf frei zu machen und doch die wichtigsten Lieferungen in ausreichender Höhe zu sichern. Eine weitere Teilbeschlagnahme fand später beim Draht statt. Hierbei war allerdings der Bezug von weichen Drähten nach wie vor frei gelassen und lediglich der harte Draht, wie er z. B. für Bergwerkseile, Schiffstrossen und in höherer Qualität für Fliegerbedarf in Frage kam, betroffen. Der harte Stahldraht wurde am 12. Dezember 1917 beschlagnahmt. Es handelte sich bei dieser Beschlagnahme um den Walzdraht, also um ein Produkt, das in dieser Form nicht unmittelbar in den Verbrauch kommt. Dabei wurde die Bestimmung getroffen, daß die Weiterverarbeitung des Walzdrahtes (Ziehen usw.) im eigenen Betrieb gestattet und auch seine Veräußerung an andere Weiterverarbeitungsbetriebe nicht behindert war, wenn der Käufer einen Privatvertrag nach vorgeschriebener Form schloß. Hiernach war der Verkauf von Walzdraht oder die Weiterveräußerung der aus dem gewalzten Draht hergestellten gezogenen Drähte oder von Fabrikaten hieraus nur möglich, wenn der Bezieher eine von der Rohstahlausgleichstelle oder dem Beauftragten des Kriegsministeriums beim Stahlbund ausgestellte Bezugsgenehmigung besaß. Ein durch scharfe Vertragsstrafen wirksam gemachtes Kontrollrecht der Rohstahlausgleichstelle sicherte die Durchführung. Das Eigenartige dieser Regelung lag darin, daß sie es ermöglichte, in einer für die Rechtsprechung durchsichtigen Form trotz der großen Zahl von Weiterverarbeitungsstellen und der zwischen diesen und den Drahtwalzwerken laufenden Verträge den



Die Grundlinien des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl 

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Bezug des Walzdrahtes so zu beeinflussen, daß schließlich der Strom der gezogenen harten Drähte und der Fabrikate daraus in die Kanäle geleitet werden konnte, die die Widerstandskraft der Landesverteidigung stärkten. Das Verfahren war der Besonderheit des Gegenstandes vollständig angepaßt, wich von jeder Schablone ab und hat sich hervorragend gut bewährt. Anders wiederum lag die Sache beim Stacheldraht, der ebenfalls einer Beschlagnahme unterworfen wurde. Hierfür kam nur ein wichtiger Abnehmer in Frage, das Heer, das ihn für die Drahtverhaue in größten Mengen benötigte. Alle anderen Verbraucher konnte man ohne Bedenken lange Zeit vom Bezug ausschließen. Deshalb sprach hier die Beschlagnahme kurzerhand aus, daß Stacheldraht ausschließlich an die in Frage kommende Heeresbeschaffungsstelle (Ingenieur-Komitee) oder nach dessen Weisungen an andere Bezieher geliefert werden durfte.

Besondere Bezugsregelungen Die Rohstahlausgleichstelle blieb stets bemüht, sich in ihren Regelungen des Bezugswesens bei den einzelnen Produkten aus Eisen und Stahl nach Möglichkeit den besonderen Verhältnissen anzupassen. Grundsätzlich wurde vermieden, ein auf dem einen Gebiet eingespieltes und wirksames System ohne weiteres auch auf benachbarte Gebiete zu übertragen, wenn dort eine andere Regelung zweckentsprechender war. Jeder Schematismus hätte da leicht als eine höchst nachteilige Bequemlichkeit der Zentralbehörde angesehen werden müssen. So scheute man auch nicht davor zurück, für einzelne Produkte gänzlich außerhalb jeder Systematik stehende Bezugsregelungen von Fall zu Fall vorzunehmen. In ausgeprägtestem Maße geschah dies beim Draht. Hier war die eben dargelegte Beschlagnahme der hochwertigsten Drähte, lediglich eine abschließende Maßnahme, die der Rohstahlausgleichstelle für das allerdringlichste Bedarfsgebiet eine besonders wirksame Handhabe bieten sollte. Seit Frühjahr 1917 hatte schon eine höchst zwanglose Lieferungsregelung bestanden. Im allgemeinen berief die Rohstahlausgleichstelle monatlich sämtliche Beschaffungsstellen, die Vertreter der Werke und die Leitung der Düsseldorfer Drahtzentrale zusammen, um in mündlicher Erörterung die jeweilige Produktion in die dringlichsten Bedarfskanäle zu leiten. Die Drahtzentrale hatte hierbei die gleichen Funktionen wie der Stahlbund bei den übrigen Stahlprodukten; die Sonderstellung der Drahtproduktion hatte diese Abzweigung ratsam gemacht. Stärker noch als andere Eisen- und Stahlprodukte griff das Feinblech in dringlicher Form über die Grenzen des eigentlichen Heeresbedarfs hinaus. Überall im Apparatebau, in der im Kriege zu besonderer Wichtigkeit entwickelten Feinindustrie (z. B. Optik), auf dem Gebiet des Verpackungswesens (Emballage, Konservendosen), in der Elektrotechnik usw., wurde Feinblech — teilweise zum Ersatz von dünnen Metallblechen — in äußerst dringlicher Form für den unmittelbaren und mittelbaren Kriegsbe-

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 Das Hindenburg-Programm

darf gebraucht. Auch der Bergbau hatte einen sehr kriegswichtigen laufenden Bedarf an Feinblech. Dieser Vielseitigkeit des Bedarfs und dem Streben auf möglichste Bedarfskonzentration entsprach es, daß Lieferungen von Feinblech ausschließlich nur gegen Dringlichkeitsschein erlaubt wurden. Bei den Feinblechen bildete sich auf diese Weise eine besondere Handhabung des Dringlichkeitsverfahrens aus. Im Gegensatz zu den übrigen Dringlichkeitsscheinen wurde derjenige für zur Lieferung zugelassene Feinbleche von der Beschaffungsstelle grundsätzlich nicht an den Verbraucher, sondern an den Stahlbund Abteilung Bleche in Essen eingesandt. Auch die Rückmeldung erging von den ausführenden Werken nicht an die Beschaffungsstellen, sondern an die Abteilung Bleche beim Stahlbund, so daß hier eine geschlossene Übersicht über den Gesamtbedarf erzielt wurde, welche die Unterlage für die Verhandlungen mit der Industrie abgab. Hier wurden die Lieferungen für Heeresbedarf und mittelbaren Kriegsbedarf in monatlich wiederholten Sitzungen, in denen die Feinblechwalzwerke vertreten waren, zwanglos auf die Produktionsstellen verteilt. Eine förmliche Beschlagnahme erübrigte sich, weil die Werke in Pflicht gehalten waren, ohne Dringlichkeitsschein kein Feinblech zu verabfolgen, und weil in der Tat ihre gesamte Leistungsfähigkeit regelmäßig in den Arbeitssitzungen der Blechabteilung des Stahlbundes voll ausgenutzt wurde. Grundsätzlich wurden die Dringlichkeitsscheine für den Heeresbedarf durch die Beschaffungsstellen und für den übrigen Bedarf durch die Rohstahlausgleichstelle ausgestellt, die sie durch beauftragte Vertrauensstellen auf die verschiedenen Industriezweige verteilen ließ. Für den Bergbau wurden hierzu besondere Verteilungsstellen bei den verschiedenen bergwirtschaftlichen Interessenverbänden eingerichtet. Die verzinnten Feinbleche (Weißbleche) spielten während des Krieges eine besondere Rolle. Die Konservenversorgung der Armee ruhte zu einem wesentlichen Teil auf der ausreichenden Deckung des Weißblechbedarfs. Zwar gelang es, für zahlreiche Verwendungszwecke Weißblech zu ersetzen. Man griff auf Holzfässer, Holzeimer und Pappdosen, wo angängig auch auf Schwarzblech zurück, jedoch gab es eine Reihe von Verwendungszwecken, bei denen es bis zum Kriegsende nicht gelang, einen vollwertigen Ersatz zu schaffen. Hier blieb die Verpflegung des Heeres sehr wesentlich von der Weißblechbelieferung abhängig. Die Kriegsrohstoffabteilung nahm bereits kurz nach Kriegsbeginn das Weißblech in Bewirtschaftung. Der größte Teil des Friedensbedarfs war durch Einfuhr gedeckt worden, außerdem gehörte das Zinn zu den von der Metallsektion beschlagnahmten Rohstoffen, so daß sich eine baldige zwangsläufige Bewirtschaftung der Weißbleche mit Folgerichtigkeit ergab. Allerdings war es nicht nötig, einen großen Apparat hierfür in Bewegung zu setzen, da für die Weißblechherstellung nur sechs Werke in Deutschland in Betracht kamen, deren Gesamtproduktion und Absatz leicht kontrolliert werden konnten. Die Industrie bildete selbst einen Überwachungsausschuß, der in den ersten Jahren wesentliche Mitarbeit leistete; später wurde in Essen ein besonderes Weißblechbureau eingerichtet, das dem Stahlbund angegliedert war. Ein Beauftragter des Kriegsministeriums sorgte für eine der Dringlichkeit des Bedarfs entsprechende Verteilung der Produk-



Die Grundlinien des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl 

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tion. Die Lieferung von Weißblech wurde auf Grund eines Zuteilungsscheines dieses Beauftragten gestattet. Vom März 1918 wurde auch der Bezug von Weicheisen besonders geregelt. Es ist dies ein Stabschweißeisen, das nach einem besonderen Verfahren hergestellt und hauptsächlich für die Bearbeitung auf automatischen Maschinen geeignet ist (Schrauben, Muttern, Formstücke). Der Verarbeiter von Weicheisen konnte dieses nur gegen eine vom Beauftragten des Kriegsministeriums beim Stahlbund ausgestellte Bezugsgenehmigung beziehen. Als Erzeuger des Weicheisens kamen nur neun Unternehmungen in Betracht, die einzeln auf die Innehaltung des Bezugsverfahrens festgelegt werden konnten, so daß eine Beschlagnahme überflüssig war. Einer besonderen Regelung bedurfte schließlich noch die Verwendung von Eisen und Stahl zum Ersatz beschlagnahmter und mobilisierter Metalle. Hier mußte Vorsorge getroffen werden, daß nicht unter dieser Deckadresse Eisen und Stahl dringlicheren Verbrauchsgebieten entzogen wurden. Zu einer Zeit, in der es kaum mehr gelang, den unmittelbaren Kriegsbedarf ausreichend zu beliefern, konnte die in den ersten beiden Kriegsjahren geübte Politik der Kriegsrohstoffabteilung nicht beibehalten werden, die Schärfe der Metallbewirtschaftung durch die Möglichkeit des Ersatzes durch Eisen auszugleichen. Der Ersatz von Metall galt als mittelbarer Kriegsbedarf. Der Hersteller der Ersatzgegenstände hatte sich von der Metallersatzstelle bei der Metallmobilmachungsstelle in Berlin (einem Organ der amtlichen Metallbewirtschaftung) einen gültigen Zulassungsschein ausstellen zu lassen. Auf Grund dieses Zulassungsscheines konnte er dann die für den mittelbaren Kriegsbedarf erforderliche eidesstattliche Erklärung abgeben, die ihn zum Bezug von Eisen und Stahl berechtigte.

Die rechtlichen Grundlagen der Eisenbezugsregelung Es ist ein besonderes Kennzeichen der Organisation des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl, daß hier die Zwangsläufigkeit des Bezuges und der Produktionsverteilung durch ein Mindestmaß von Verordnungen mit gesetzlich bindender Kraft erreicht worden ist. Ursprünglich baute sich dieses System lediglich auf den bei der Stahlbundgründung von den Mitgliederwerken übernommenen Verpflichtungen auf, den Wünschen der Stahlbundleitung in bezug auf Produktionsverteilung, Übernahme dringlicher Aufträge, Unterlassung weniger wichtiger Produktionen u. dgl. m. nachzukommen. Die Industrie hat sich an diese Verpflichtung bis zum Kriegsende gebunden gehalten. Lediglich in der ersten Zeit kamen größere Unregelmäßigkeiten vor, wie sie bei der Aufnahme einer Neuorganisation nicht zu vermeiden waren. Vom Beginn des Jahres 1917 ab ergaben sich aber Abweichungen von den übernommenen Verpflichtungen in immer geringerem Umfang, besonders nachdem durch die Dringlichkeitsliste, den Dringlichkeitsschein und die eidesstattlichen Erklärungen der Industrie materielle Unterlagen für die Beurteilung der Wichtigkeit

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 Das Hindenburg-Programm

der Aufträge und die Klassierung der Aufträge an die Hand gegeben waren. Grobe Verstöße sind der Zentralleitung nur in ganz vereinzelten Fällen bekannt geworden. Es ließ sich jedoch nicht umgehen, gewisse rechtliche Grundlagen zu schaffen, die es ermöglichten, die vom Stahlbund auf Anweisung der Rohstahlausgleichstelle an die Werke gerichteten Ansuchen auf Zurückstellung weniger wichtiger Lieferungen hinter die von ihm als dringlich bezeichneten durchzuführen. Es mußten hierbei oft Lieferungsverträge gewandelt oder aufgelöst werden, von denen die Werke nicht ohne weiteres einseitig zurücktreten konnten. Den Rechtsboden hierfür schuf eine im November 1916 von der Kriegsrohstoffabteilung veranlaßte und von den stellvertretenden Generalkommandos veröffentlichte Bekanntmachung, die auf Grund des Belagerungszustandsgesetzes im Interesse der öffentlichen Sicherheit solche Lieferungen verbot, deren Unterlassung die Kriegsrohstoffabteilung oder eine von dieser bezeichnete Stelle (Stahlbund) verlangte20. Die Werke wurden gleichzeitig angewiesen, Lieferungsverpflichtungen, durch welche sie in der rechtzeitigen Ausführung von Aufträgen auf Kriegs-Material behindert wurden, dem Beauftragten des Kriegsministeriums beim Stahlbund aufzugeben. Dieser entschied dann über die auszuführenden und die zurückzustellenden Verträge. Dadurch war der Übergang aus der freien Wirtschaft in die planmäßige Organisation des Beschaffungs- und Lieferungswesens auf Grund des Gesetzes über den Belagerungszustand ermöglicht und gleichzeitig auch für die spätere Zeit eine Rechtsunterlage geschaffen, welche die zeitliche Verschiebung oder Löschung von Lieferungsverpflichtungen und Anpassung an die Maßnahmen der Rohstahlausgleichstelle durchführbar machte. Erst ein Jahr später, im Oktober 1917, erging ebenfalls auf Grund des Gesetzes über den Belagerungszustand eine förmliche Verordnung über den Produktionszwang für Kriegsmaterial21. Das Absinken der Produktion und das Anwachsen des dringenden Kriegsbedarfs machten es nötig, die Verordnung vom November 1916, die rein negativen Charakter trug, zu erweitern. Es mußte den Beauftragten des Kriegsministeriums beim Stahlbund ein Rechtsmittel an die Hand gegeben werden, um die zahlreichen Lieferungsverträge mit den Beschaffungsstellen, die sämtlich unter dem Druck höchster Dringlichkeit standen, gegeneinander verschieben zu können. Er mußte sowohl den Widerstand der Werke als auch gleichzeitig den der Beschaffungsstellen rechtlich überwinden können. Die „Bekanntmachung betreffs Erzeugung des Kriegsmaterials durch Eisen- und Stahlwerke“ bestimmte, daß die Werke zur unverzüglichen Aufnahme solcher Aufträge verpflichtet waren, deren Ausführung von der Kriegsrohstoffabteilung als im kriegswirtschaftlichen Interesse notwendig bezeichnet wurde. Eine hiermit verbundene Zurücksetzung anderer Aufträge auf Kriegsmaterial geschah dabei auf Anordnung der Kriegsrohstoffabteilung bzw. ihres Beauftragten. Auch die Verordnung über den Produktionszwang trug in erster Linie Rechtscharakter. Sie

20 Siehe Anlage 16. 21 Siehe Anlage 16.



Die Grundlinien des Beschaffungs- und Lieferungswesens für Eisen und Stahl 

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ist praktisch als förmlicher Zwang zur Produktionsaufnahme nur in ganz vereinzelten Fällen zur Anwendung gelangt. Die Industrie in ihrer Gesamtheit hat sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bemüht, ohne diesen Zwang die Höchstversorgung der Armee, soweit es die schwierigen Produktionsverhältnisse zuließen, nach Möglichkeit zu erfüllen. * Das hier lediglich in seinen Grundlinien angedeutete System des Beschaffungs- und Lieferungswesens hat im einzelnen ein ungeheures Maß von Kleinarbeit überdeckt. Regelmäßig halbmonatlich liefen in Berlin die Meldungen über die Gestaltung der Versorgungslage mit Eisen und Stahl ein. Hier kam es dann darauf an, jeweils aus der Übersicht über die Gesamtverhältnisse kurzfristig Weisungen über die weitere Verteilung der Produktion zu geben. Damit stand auch auf diesem Gebiet die Eisenwirtschaft grundsätzlich anders als zahlreiche andere Rohstoffwirtschaften. Das Innehalten von „Programmen“ auf lange Sicht war hier nicht möglich, sondern es mußte das gesamte Beschaffungs- und Lieferungswesen schmiegsam dem Wechsel der Produktionslage und den Veränderungen des Bedarfs mit größter Schnelligkeit und doch möglichst durchgreifend angepaßt werden. Wenn auch der einzelne Verbraucher oft genug über die gerade ihn treffenden Härten des Verfahrens klagte, so ist doch ganz zweifellos nur auf diesem an aufopfernder Kleinarbeit und großen Hindernissen reichen Weg erreicht worden, daß trotz der Schwankungen und des manchmal verzweifelten Tiefstandes der Produktion die Heeresversorgung mit Eisen und Stahl in den beiden letzten Kriegsjahren vor Krisen wie 1916 bewahrt geblieben ist.

Kapitel IV

Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918 A Die Entwicklung der Produktive Die Lage der Produktion im Frühjahr 1917 In Januar 1917 war das Hindenburg-Programm vom Thomasstahl auf den Martinstahl umgestellt worden, wobei man zu der Rohstoffbeschaffung in der dringenden Not auf die besetzten Gebiete zurückgegriffen hatte. Im Februar war man außerdem vorläufig von dem ursprünglichen Produktionsprogramm ganz abgegangen und hatte das Schwergewicht auf eine möglichst weitgehende Einschränkung der nicht zur Befriedigung unmittelbaren Kriegsbedarfs erforderlichen Lieferungen verlegt, um trotz der absinkenden Produktion die Front so gut als irgend möglich zu versorgen. Mit der größten Spannung erwartete man das Frühjahr, das mit der Aufhellung der abnormen Witterung die Gesamtlage entspannen mußte; man hoffte nach einer Verbesserung der Transportlage wieder zu dem ursprünglichen Produktionsprogramm zurückkehren zu können. Es war durchaus nicht unwahrscheinlich, daß es gelingen würde, durch eine beträchtliche Steigerung der Produktion die Verluste der Wintermonate wenigstens teilweise auszugleichen und weiterhin den Heeresbedarf im vollen Umfange des Hindenburg-Programms zu erfüllen. Man war um so mehr zu großen Erwartungen berechtigt, als bisher der eigentliche Heeresbedarf noch kaum wesentlich benachteiligt worden war, vielmehr der allgemein volkswirtschaftliche Bedarf die Hauptlast der Winterschwierigkeiten zu tragen gehabt hatte. Das Ausgleichen dieser Verluste hoffte man ohne Sorge um den Kriegsausgang auf eine spätere Periode verschieben zu können. Die deutsche Kriegseisenwirtschaft wurde aber durch die ganz ungewöhnlich lange Dauer des Winters noch auf eine harte Probe gestellt. Erst gegen Ende April wich der Schnee und so lange dauerten trotz aller organisatorischen Behelfsmaßnahmen die Transportstörungen auf der Eisenbahn an. Allmählich hatte sich zwar die Organisation für die Regelung der Transportdringlichkeit eingespielt, auch waren endlich die für eine systematische Transportpolitik erforderlichen statistischen Unterlagen nach und nach beschafft worden. Aber erst mit dem Einsetzen des milderen Wetters war mit einer durchgreifenden Aufbesserung der Transportlage und damit auch der Produktion zu rechnen. Zwar täuschte der März, der mit 27 Arbeitstagen der weitaus längste Arbeitsmonat im Frühjahr 1917 war, mit dem zahlenmäßigen Bild höchster Produktion über den Ernst der Lage hinweg — im Rheinland wurde in diesem Monat die höchste Stahlproduktion während des Krieges erreicht —, um so stärker aber waren die Schwankungen in den anderen transportlich weniger günstig gelegenen



A Die Entwicklung der Produktive 

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Revieren; erst der April und Mai brachten eine merkliche Steigerung der arbeitstäglichen Leistung. (Siehe die statistischen Anlagen.) Gerade als der ungeheure Druck der Krisis im Transportwesen zu weichen begann, traten aber von einer anderen Seite neue Erschwerungen für die Hebung der Produktion auf. Die Transportlage und die Kälte hatten äußerst nachteilig auch auf die Ernährungsverhältnisse eingewirkt. Besonders waren Kartoffeln in großem Umfange erfroren und man hatte sich mit der Kohlrübe mühsam genug über die Ernährungsschwierigkeiten hinweggeholfen. Die Industriegebiete waren in dieser Hinsicht vorzugsweise getroffen worden; infolge der unzureichenden Ernährung sank nicht nur die tatsächliche Leistungsfähigkeit, sondern auch die Arbeitswilligkeit der Industriearbeiter. Auch die Versorgung des Hausbrandes hatte sehr zu wünschen übriggelassen, so daß in weiten Kreisen der arbeitenden Bevölkerung trotz der hohen Löhne offenkundiger Mangel am Notwendigsten herrschte. Die Stimmungsverschlechterung, die hierdurch bedingt war, wurde durch politische Momente noch verschärft; überall fanden örtliche Arbeitseinstellungen statt, die sich in den Hauptindustrierevieren im Februar, Mai und Juni 1917 zu umfangreichen Streiks ausweiteten. Im März war in Rußland die Revolution ausgebrochen und begann langsam ihre Wirkung auch auf Deutschland auszuüben. Die Politik der Berliner Stellen — auch des Kriegsamts — war auf Nachgiebigkeit abgestellt. Es gelang tatsächlich durch eine Reihe von Zugeständnissen, die Arbeiterschaft wieder zu beruhigen; aber die Kriegswirtschaft wurde dadurch aufs schwerste belastet und das Tempo der Lohnentwicklung aufs neue beschleunigt. Man kann nur bei einer umfassenden Würdigung dessen, was damals für Deutschland wirtschaftlich, politisch und militärisch auf dem Spiele stand, besonders aber im Hinblick auf das Hilfsdienstgesetz, durch das die meisten Fragen gerade erst ins Rollen gebracht worden waren, diese Haltung der zuständigen Ämter verstehen. Die durch die wirtschaftliche Not des Winters geschwächte Widerstandskraft des Volksganzen, der unmittelbare Eindruck der russischen Revolution und die wenig geklärte Lage an der Front, hatten die Stimmung nicht nur der großen Masse, sondern auch der gehobenen Bevölkerungsschichten derartig gedrückt, daß auf andere Weise ein Ausgleich nicht zu erreichen schien. Im Frühjahr 1918 hat die wesentlich bessere Wirtschaftslage, besonders aber der stimmungshebende Erfolg der Westoffensive viel günstigere Voraussetzungen für ein energisches Zurückdämmen ungerechtfertigter Forderungen geschaffen, als sie Ostern 1917 gegeben waren.

Der Beharrungszustand in der Produktion Mit dem 1. Januar 1917 beginnt die von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung angeregte und zum Teil von ihr selbst aufgestellte, wesentlich erweiterte Statistik über die Eisenwirtschaft. Von diesem Zeitpunkt an gelingt es infolgedessen, auch einen viel tieferen

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 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

Einblick in die Produktionsverhältnisse zu nehmen, als für die vorausgegangene Zeit möglich war. Der Erzbergbau hatte während der Wintermonate 1916/17 nicht in dem Umfange ausgedehnt werden können, als dies nach dem Hindenburg-Programm veranschlagt worden war. Die Unmöglichkeit des Abtransports der Fördermengen und der Stillstand der Roheisenproduktion wegen des Brennstoffmangels lähmten auch den Erzbergbau. Die Arbeiterschwierigkeiten des Frühjahrs trafen ihn bei der großen Abhängigkeit bergmännischer Arbeiten von der Belegschaftsziffer ebenfalls stark. Erschwerend fiel ins Gewicht, daß der Erzbergbau nicht wie der Kohlenbergbau im Rekrutierungswesen seiner Bedeutung entsprechend berücksichtigt wurde. So konnte die Förderungsleistung auch im Laufe des Jahres 1917 nur wenig gehoben werden. Der Doppelangriff der Engländer und Franzosen im Westen, der letzte Ansturm der Russen in der Bukowina verlangten obendrein einen verstärkten Mannschaftsersatz, zu dem auch der Eisenerzbergbau unvermindert beizutragen hatte. Der Ersatz durch Gefangene war nach Menge und Beschaffenheit unzulänglich. So rückte die großzügige Verwirklichung der Förderzahlen des Hindenburg-Programms in immer weitere Ferne. Die Streikbewegung verschärfte die Lage außerordentlich. Die Höchstleistung wurde im August 1917 mit 920 000 t Eiseninhalt im Erz erreicht. Während somit die inländische Förderung keine wesentlichen Veränderungen auszuweisen hatte, gelang es die Einfuhr von Schwedenerzen ganz erheblich zu beleben. Sie überstieg im August und September 1917 die Monatsmenge von 400 000 t Eiseninhalt im Erz. Man gelangte damit in der Höchstmonatsleistung zu der gleichen Menge, die Ende 1915 von der Schutzverwaltung Metz unter Verkennung der realen Notwendigkeiten als diejenige angesehen worden war, auf welche man die Schwedenerzeinfuhr für das ganze Jahr 1916 herabsetzen zu dürfen glaubte. An dem günstigen Ergebnis hatten sowohl die industrielle Organisation (Lulea-VerfrachtungsGemeinschaft) wie auch die Behörden (Eisenzentrale) lebhaften Anteil. Entsprechend der Erzlage konnte auch die Roheisenproduktion im Jahre 1917 nicht erheblich über die Höchstleistung des Vorjahres gesteigert werden. Die günstigsten Ziffern zeigte das Stahleisen, das in der Höhe der Friedensproduktion hergestellt wurde, dagegen blieb das Thomaseisen und das Gießereiroheisen weit hinter den Zahlen zurück, auf die man nach Aufbesserung der Transportlage gerechnet hatte. Lothringen war in zunehmendem Maße französischen Fliegerangriffen ausgesetzt — wenn auch der Sachschaden nicht entscheidenden Umfang annahm, so bedeuteten doch die zahlreichen „Fliegeralarme“ eine wesentliche Herabminderung der Gesamtarbeitszeit — und stand obendrein um die Mitte des Jahres unter dem Druck einer schweren feindlichen Offensive aus Verdun, die das Transportwesen strategisch im großen Umfange belegte. Bei dem großen Gewicht, das für die Herstellung phosphorhaltigen Eisens gerade die lothringische Erzförderung und Roheisenerzeugung besaß, drückte diese Leistungsminderung ausschlaggebend auf die Gestaltung der Eisenwirtschaft im Sommer 1917.



A Die Entwicklung der Produktive 

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Unter Berücksichtigung dieser Verhältnisse in den untersten Produktionsstufen durfte man sich keiner Täuschung darüber hingeben, daß die in den Sommermonaten erreichte Produktion schlechthin diejenige Erfüllung des Rüstungsprogramms war, die nach der Gesamtlage erreicht werden konnte. Die Eisenwirtschaft war damit offensichtlich in einen Beharrungszustand getreten; es hätte viel bedeutet, wenn es gelungen wäre, die Produktion trotz aller Schwierigkeiten im weiteren Verlauf des Krieges auf dieser Höhe zu halten. Die Schrottrückführungen aus den besetzten Gebieten hatten zwar eine erheblich stärkere Heranziehung der Martinstahlproduktion zur Gesamtdeckung ermöglicht; die Martinstahlerzeugung erreichte überhaupt zum erstenmal in der deutschen Eisenwirtschaft die Höhe der Thomasstahlproduktion. Dadurch gelang es, auch die Gesamtstahlgewinnung wesentlich stärker als in den ersten Kriegsjahren, erst recht viel weiter als im Frieden, über die Roheisenlage hinauszuheben, aber diese Intensivierung des Martinprozesses blieb doch letzten Endes nur der Notbehelf, als den man ihn von vornherein angesehen hatte. Er konnte nur in einem recht bedingten Umfange die Ausfälle in der Urproduktion wettmachen. Die Flußstahl- und die Walzprodukteerzeugung kamen deswegen zwar mit dem Einsetzen der besseren Witterung im April und Mai auf arbeitstägliche Höchstleistungen, die nur im Sommer 1918 zur Not nochmals erreicht wurden, dann aber zeigte sich bald, daß diese lebhafte Produktion in den Rohstoffen nicht genügend gesichert war. Die arbeitstägliche Leistung ging wieder erheblich zurück, wenn auch die längeren Monate in der zweiten Jahreshälfte, absolut gemessen, noch einige hohe Produktionsergebnisse auszuweisen haben. Die deutsche Eisenindustrie war unter diesen Verhältnissen wiederum nur zu einem Bruchteil ihrer Leistungsfähigkeit beschäftigt, da in den unteren Produktionsstufen die unter den gegebenen Verhältnissen mögliche Leistungsgrenze erreicht war. Eine Inbetriebsetzung stilliegender Hütten, der wenigen noch unbeschädigten Werke im besetzten Westen, hätte somit die gesamte Produktionslage kaum merklich aufbessern können. Wie schon im Jahre 1915 wäre auch jetzt durch eine solche Inbetriebsetzung lediglich die Zahl der Betriebspunkte erhöht worden, während die Rohstoffversorgung nur durch eine Kürzung des Rohstoffbezuges anderer, ebenfalls nur ungenügend belieferter Werke — mit weit besseren örtlichen und sachlichen Produktionsvorbedingungen — durchzuführen gewesen wäre. Auch das von der Bergund Hüttenverwaltung Hayingen betriebene De Wendelsche Unternehmen blieb weit hinter der Ausnutzung der vollen Leistungsfähigkeit zurück, weil man auch hier mit Recht davon Abstand nahm, die Deckung des Rohstoffbedarfs unter offensichtlicher Schädigung der im sicheren Hinterland gelegenen heimischen Industrie durchzuführen. Solange sich daher die Erz- und Kohlenlage nicht wesentlich besserte, mußte man im Hinblick auf diese Wechselwirkungen von den im Herbst 1916 erwogenen Produktionsplänen in Belgien und Nordfrankreich Abstand nehmen, vollends, als im Sommer 1917 die Kohlenversorgung unvorhergesehene Veränderungen erfuhr.

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 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

Die Kohlenversorgung Die lothringische Eisenindustrie war vor allen anderen Gruppen in ihrer Produktivität von dem laufend gesicherten Bezug von Kohle und Koks aus dem Ruhrgebiet abhängig; ihre Produktion war geradezu eine Funktion der Brennstoffzuführung. Während der Transportkrise im Winter 1916/17 war deswegen auch dieser Frage erhöhtes Interesse zugewendet worden. Es wurde in Ehrang durch die Generalbetriebsleitung West im Februar 1917 eine Kohlen- und Koksverteilungsstelle eingerichtet, deren Hauptaufgabe es war, durch geeignete Maßnahmen den Koks, der mit der Bahn aus dem Rheinland ankam, bedarfsgerecht und gleichzeitig betriebsgünstig den Hochofenwerken zuzuleiten. Die Werke waren auf Grund des vorjährigen Augustverbrauchs rationiert. Es gelang auf diese Weise, die Koksversorgung bis zum Nachsommer 1917 ganz wesentlich zu verbessern, wenn auch nicht entfernt völlig zufriedenstellend zu sichern. Besonders günstig erwies sich die Stelle auch hinsichtlich der Umleitung der Transporte, wenn durch militärische Maßnahmen einzelne Strecken gesperrt werden mußten. Die übrigen Eisenreviere waren in der Kohlen- und Koksversorgung nicht ganz so ungünstig gestellt. Nur im Siegerland waren ebenfalls große Schwierigkeiten zu überwinden. Hier war in den engen Tälern nur ungenügend Raum zur Lagerung und eine systematische Bevorratung sehr erschwert. Doch brachte auch hier der Sommer eine Entspannung. Im allgemeinen war trotz ihrer mengenmäßigen Unzulänglichkeit die Brennstoffversorgung im ersten Halbjahr 1917 soweit gesichert, daß von dieser Seite der Produktion keine entscheidende Gefahr mehr erwuchs. Da erhielt Mitte August dieses Versorgungsbild plötzlich eine durchgreifende Veränderung. Im Hinblick auf die unhaltbaren Zustände im vergangenen Winter konnten sich weder die Reichsregierung noch die Oberste Heeresleitung den mit höchster Schärfe aus allen Kreisen der Bevölkerung kommenden Forderungen auf eine Besserung der Kohlenversorgung für den Hausbrand verschließen. Es lag auf der Hand, daß die große Masse die Wiederholung gleicher Mißstände wie im Winter 1916/17 nicht mehr ruhig auf sich genommen haben würde. Nun war aber damit zu rechnen, daß der stets wachsende Kohlenbedarf der mit Heeresaufträgen überlasteten Industrie selbst bei einer Erhöhung der Kohlenproduktion nie voll zu befriedigen war. Erst recht war nicht daran zu denken, daß auch bei angespanntester Arbeit unter den vorliegenden Produktionsverhältnissen die Förderung von Kohle über den unmittelbaren Kriegsbedarf so hoch hinausgehoben werden konnte, um die für den Hausbrand benötigten Mengen aus der Überschußproduktion zu decken. Infolgedessen blieb nur der Ausweg, eine Verschiebung der Kohlenbelieferung dadurch herbeizuführen, daß die Versorgung der Industrie kurzerhand zugunsten des Hausbrandes zurückgesetzt wurde. Mit Gültigkeit vom 15. August 1917 hatte demgemäß der Reichskohlenkommissar eine wesentliche Einschränkung des Kohlen- und Koksverbrauchs der Industrie zu verfügen, welche die Eisenindustrie aufs empfindlichste traf. Die Kokereien hatten



A Die Entwicklung der Produktive 

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ihren Betrieb um 6%, die Hochofenwerke ihren Koksverbrauch und damit die Roheisenproduktion um 10% einzuschränken. Die Schnelligkeit, mit der diese für die gesamte Eisenproduktion naturgemäß folgenschwere Maßnahme durchgesetzt wurde — die meisten Werke und Behörden erhielten erst bedeutend später als zum 15. August von der getroffenen Maßnahme Kenntnis —, war dazu angetan, das gesamte Arbeitsprogramm der Eisenindustrie über den Haufen zu werfen und die letzte Möglichkeit einer Gesundung der an sich schon schwer notleidenden Produktion zu vernichten. Es war offenkundig nicht richtig, daß hier in dem an sich voll berechtigten Bestreben, möglichst schnell und durchgreifend zu handeln, ohne zweckdienliche Vorbereitung eine rein schematische Regelung getroffen wurde, die in dem Außerachtlassen der Produktionsbedingungen und -zusammenhänge weit größere Schädigungen hervorrief, als unbedingt hätten in Kauf genommen werden müssen. Die Eisenzentralbehörden waren von der Maßregel nicht weniger überrascht als die Industrie und konnten nur nachträglich eine Abänderung durchsetzen. Viel zu spät wurde erst im Oktober die Verfügung zur Einschränkung der Roheisenproduktion aufgehoben, während die Beschränkungen der Koksherstellung nach wie vor beibehalten wurden; die Diskussion über die Lebensnotwendigkeiten der Eisenindustrie zog sich bis in den November 1917 hin. Inzwischen aber fiel infolge der Brennstoffeinschränkung nicht nur die Roheisen- sondern auch die Stahlproduktion erheblich ab. Am bedenklichsten war der Produktionsrückgang im Siegerland wegen der Sonderstellung der Siegerländer Produktion. Die Einbuße an Qualitätsroheisen, in der Hauptsache Spiegeleisen, war von weit einschneidenderer Bedeutung als selbst das beispiellose Absinken der lothringer Roheisengewinnung, mit der schließlich bis zu einem gewissen Grade hatte gerechnet werden müssen. Mit der Qualitätsroheisenversorgung wurden auch solche Gebiete der Eisenwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen, die bei sachgemäßer Einschränkung wesentlich weniger gelitten haben würden. Alle Mißstände wurden aber dadurch stark vergrößert, daß gewisse Strukturverhältnisse der Eisenindustrie — deren Verkennung auch auf anderen Gebieten der behördlichen Bewirtschaftung sich stets rächte — völlig übersehen worden waren. In den gemischten Werken, welche die Hauptmengen der Produktion lieferten, mußten gemäß der Verordnung Hochöfen gedämpft werden, obgleich die angeschlossenen Hüttenzechen Kohle und Koks auf Halde stürzen, und schließlich, ähnlich wie während des Winters 1916/17, aus Mangel an Lagerraum die Kohlenförderung einschränken mußten, weil die Transporteinrichtungen nicht ohne weiteres für den Fernabsatz eingerichtet waren. Die Plötzlichkeit in der Durchführung der Einschränkung hatte weiter zur Folge, daß die Werke nicht in der Lage waren, ihre Betriebsdispositionen sachgemäß umzustellen, sondern von einem Tage zum andern mit ganzen Betriebsabteilungen zum Stillstand kamen, obgleich diese nur mittelbar mit der Roheiseneinschränkung zu tun hatten. Die Minderleistung der Hochöfen, deren Gichtgase weitgehend ausgenutzt werden, spielte in einen ganz plötzlichen erheblichen Gasmangel zum Antrieb der Gasmaschinen für die Erzeugung elektrischer Kraft hinüber. Auf manchen Walzwerken standen mona-

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telang große Teile der Walzenstraßen still, obgleich das Halbzeug vorhanden war, ganz zu schweigen von den Wirkungen des Versagens der Fernkraftversorgung, deren Träger die großen Hochofenwerke waren, für die Rüstungsindustrie in den höheren Produktionsstufen und für das allgemeine Wirtschaftsleben. Die überstürzte Maßnahme rief in der Industrie einen Sturm hervor; von allen Seiten kamen der KriegsRohstoff-Abteilung Meldungen über Stillegungen aus Kohlenmangel und zahlreich erbitterte Klagen über die Unzweckmäßigkeit der getroffenen Maßnahmen zu. Auch gelang es fast nirgends, die Einschränkungen an der beabsichtigten Untergrenze aufzuhalten. Die Roheisenerzeugung fiel im September bereits weit hinter die Augustleistung zurück, bald traten mit dem Einsetzen des Winters noch Transportschwierigkeiten u. dgl. hinzu, so daß die Roheisenproduktion in einem unerhörten Absturz bis zum Februar 1918 rund 25% der unter so außerordentlichen Schwierigkeiten hochgehaltenen Leistung verlor, damit bis auf den Stand des Januar 1915 zurücksank und in einzelnen Gebieten, wie Lothringen mit 50% Produktionsausfall, geradezu den Charakter einer Katastrophe annahm. Auch die Stahlproduktion reagierte heftiger, als nötig gewesen wäre, auf die Brennstoffminderung. Der Thomasstahl büßte 30% und der Martinstahl immerhin auch 12½% ein. Hierbei wirkte auch die durch die Kohleneinschränkung bedingte Betriebslage der Kalkwerke und der feuerfesten Industrie nach. Es kam hinzu, daß der Martinofen plötzliche Betriebsunterbrechung nur schwer verträgt. Die kaltwerdenden Öfen stürzten ein und brachten damit auch noch einen Verlust an feuerfestem Material, dessen Beschaffung ohnehin schon den größten Schwierigkeiten begegnete, ungeachtet der übermäßigen Produktionshemmung, die infolge der Notwendigkeit der Neuerrichtung der Ofen eintrat. Die Brennstoffeinschränkung war eine sozialpolitische Notwendigkeit, an der man wahrscheinlich nicht vorübergehen konnte; ihr letzter Zweck wurde in beschränktem Umfang auch erreicht. Das Erreichte ist aber ohne Zweifel viel zu teuer erkauft worden. Der Produktionsausfall war weit größer, als es eine weitere ökonomische Bedarfsdeckung mit Eisen vertrug. Der Heeresbedarf konnte nur durch schärfste Abschnürung aller nicht unmittelbar für die Kriegführung bestimmten Verwendungszwecke gesichert werden. Immer größer wurde dadurch die Lücke, die vom gesamtvolkswirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen in der Bedarfsdeckung des Landes eintrat. Diese außerordentliche Schwächung der Eisenwirtschaft leitete die Krisis im Jahre 1918 ein. Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß die ungewöhnliche Lage der Produktion auch jeder Preispolitik den Boden völlig entzog. Es schwand nun auch die letzte Möglichkeit, und zwar für die Industrie nicht weniger wie für die Behörde, die Selbstkosten zu erfassen und die Grenze des „angemessenen Preises“ festzulegen oder vorausschauend ein Bild über die Rentabilität der Betriebe und die Gewinn- und Verlustmöglichkeiten der Unternehmungen zu gewinnen.



B Die Rohstofflage 1917 

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B Die Rohstofflage 1917 Mangan22 Alle knappen Rohstoffe in der Eisenwirtschaft übertraf auch im Jahr 1917 das Mangan an Wichtigkeit. Zielbewußt wurde die Manganversorgung weiter ausgebaut. Die Wirtschaftspläne wurden auf möglichste Manganersparnis angelegt; weitgehend griff die Industrie außerdem auf Ersatzverfahren für Desoxydationszwecke zurück. Je weniger aber durch diese Spar- und Ersatzmaßnahmen der Verbrauch noch herabgesetzt werden konnte, desto stärker ruhte die ganze Zukunft der Manganwirtschaft auf der Erweiterung des Manganerzbergbaues. Der Plan, das ganze mitteleuropäische Wirtschaftsgebiet mit allen erreichbaren Manganerzlagerstätten zur Deckung des Manganbedarfs heranzuziehen, wurde während des Sommers 1917 mit aller Energie durch die Manganerzgesellschaft ausgebaut. Alle seit Frühjahr 1917 getroffenen Maßnahmen zielten schärfer als vorher auf diesen einen Leitgedanken. Den Siegerländer Spateisensteingruben und den Bergbetrieben auf Manganerz bei Bingen (Geier) und Gießen (Fernie) wurde größtes Interesse entgegengebracht. Auch die kleineren Manganerzbetriebe in Deutschland fanden behördliche Förderung. Im Oktober 1917 endlich reiften die ersten Früchte der im Vorjahre aufgenommenen bergwirtschaftlichen Tätigkeit der Mangangesellschaft in den verbündeten Ländern insofern, als die Verträge zur Ausbeutung der Vorkommen von Maczkamezoe in Nordostungarn, Jakobeny in der Bukowina, Poscharewo in Bulgarien und Vaskoh in Südungarn abgeschlossen oder bis unmittelbar vor dem Abschluß gefördert werden konnten. Schließlich wurde im November der von der Mangangesellschaft ausgeführte Bahnbau nach Maczkamezoe fertiggestellt und damit dieser bereits Mitte 1916 für die deutsche Manganwirtschaft in Aussicht genommene Betrieb zur Entspannung der Manganlage herangezogen. Die ersten Sendungen von Maczkamezoe-Erz trafen im Januar 1918 ein. Im gleichen Monat wurden die Erweiterungsbauten bei der Gewerkschaft Geier fertig. Trotz höchstgespannter Lage wurde auf diese Weise im Jahre 1917 das Manganproblem gelöst. Die große Gefahr, die noch im Herbst 1916 bestanden hatte, daß nämlich die Versorgung etwa Mitte August 1917 nicht mehr in einer dem Bedarf gerecht werdenden Weise möglich sein werde, wurde umgangen und auch gleichzeitig die weitere Bedarfsdeckung auf absehbare Zeit sichergestellt. Der Friede mit der Ukraine und mit Rußland schien dann schließlich den schweren Druck, der von dieser Seite auf der Eisenwirtschaft lag, völlig schwinden zu lassen.

22 Siehe Exkurs e zum V. Kapitel.

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 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

Kalk und feuerfeste Steine Die Entwicklung der allgemeinen Wirtschaftslage brachte es mit sich, daß während des Jahres 1917 eine ganze Reihe von Hilfsstoffen der Eisenindustrie in den Bereich der behördlichen Bewirtschaftung eintreten mußte, weil eine dem Bedarf entsprechende Versorgung nicht mehr reibungslos gelang. Am bedenklichsten gestaltete sich die Lage beim Kalk. Obwohl gerade dieser Rohstoff in völlig unbegrenzter Menge in Deutschland zur Verfügung stand, auch die Zahl der Kalkwerke (etwa 1400) vollauf ausreichte, selbst einen sehr hohen Bedarf zu befriedigen, traten hier mit dem April 1917 bedenkliche Störungen ein. Die Transportlage des Winters hatte die weit über Deutschland zerstreuten Kalkwerke in ihrer Kohlenversorgung ernstlich gestört. Die Kalkproduktion sank infolgedessen erheblich ab. Der Bedarf von 100  000  t Stahlwerkskalk für das Hindenburg-Programm konnte infolgedessen kaum zu 70—80% gedeckt werden, obwohl die Leistungsfähigkeit der Kalkindustrie sich im ganzen auf fast die dreifache Menge bei ausreichender Kohlenbelieferung gestellt hätte. Aus Anlaß des Hindenburg-Programms war bereits Ende Dezember 1916 ein Überwachungsausschuß der deutschen Kalkindustrie ins Leben getreten, der sich mit der Regelung der Betriebslage der Kalkwerke befassen sollte. Durch seine Vermittlung war das Problem der Stillegung und Zusammenlegung von Betrieben durchgeführt worden. Aber auch dieses Selbstverwaltungsorgan setzte sich für eine wirksame Behebung der Kohlennot nicht rechtzeitig genug ein; als endlich die Kalkindustrie an die Kriegs-Rohstoff-Abteilung herantrat, war die Lage bereits so schlecht, daß Gegenmaßregeln nur noch beschränkt wirksam werden konnten. Die Situation war dadurch erschwert, daß neben der Eisen- und Stahlindustrie, die allerdings etwa 50% der Gesamtproduktion aufnahm, noch zahlreiche andere Verbraucher einen kriegswirtschaftlich unabweisbaren Bedarf hatten. Das waren in erster Linie die chemische Industrie (mit den Kalkstickstoffwerken, Karbidfabriken, Sprengstoffanlagen usw.), die Landwirtschaft (mit dem Bedarf für Düngezwecke und Zuckergewinnung) und nicht zuletzt auch das Baugewerbe mit ganz erheblichen Anforderungen. Wegen des überwiegenden Interesses der Eisenwirtschaft an der Kalklage übernahm die Eisensektion die einheitliche Bewirtschaftung des Kalkes für sämtliche Verbraucher, da die Einrichtung einer besonderen Behörde für diesen Zweck zu weitgehend erschien. In Verbindung mit dem Überwachungsausschuß wurden genaue Statistiken über Produktion und Verbrauch angelegt, die nicht nur eine sachgemäße Verteilung der knappen Produktion, sondern auch eine zweckdienliche Regelung der ebenfalls nur unzureichenden Kohlenversorgung erlaubten. Ein Beauftragter des Kriegsministeriums in Hannover überwachte die Kalkwirtschaft. Die Kohlenfrage wäre wahrscheinlich auf diesem Wege befriedigend zu lösen gewesen, wenn nicht ganz kurz nach der Ingangsetzung der neuen Organisation die allgemeine Einschränkung der Brennstoffbelieferung der Industrie zugunsten des Hausbrandes eingesetzt hätte. Die Kalkwerke wurden auf 60% ihres — bereits schon unzulänglichen — Frühjahrsverbrauchs an Kohle rationiert, so daß nunmehr der



B Die Rohstofflage 1917 

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Kalkmangel chronisch wurde; bis zum Ende des Krieges haben sämtliche Bezieher hierunter schwer zu leiden gehabt. Auch die Güte des gebrannten Kalks litt erheblich durch den Kohlenmangel. Der nur schlecht gebrannte Kalk übte auf die Arbeitsweise des Thomasverfahrens einen außerordentlich ungünstigen Einfluß aus. Der Auswurf und der Abbrand in der Thomasbirne nahm in bedenklichem Umfange zu, wodurch das Ausbringen der Thomaswerke weiter herabging. Der Mangel an gutem Stahlwerkskalk vergrößerte somit die Schwierigkeiten der Stahlproduktion um ein Beträchtliches. Auch die bevorzugte Unterstützung, welche die Kriegs-Rohstoff-Abteilung für diese Zwecke den wichtigsten Kalkwerken in Dornap und Letmathe angedeihen ließ, vermochte die allgemeine Lage nicht grundsätzlich zu bessern. Die Betriebseinstellungen auf nicht weniger als 700 — allerdings meist kleineren — Werken bedeuteten eine schwere Einbuße an produktiver Kraft und wurden hauptsächlich durch den Ausfall gewisser örtlicher Versorgungsmöglichkeiten für Landwirtschaft und Bauzwecke äußerst fühlbar. Diese mußten nunmehr in der Bedarfserfüllung auf für sie transportlich ungünstiger gelegene Erzeugungsstellen zurückgreifen, wo das Einlaufen zahlreicher gleichwichtiger Forderungen die Aussicht auf ausreichende Belieferung erheblich verschlechterte. Letzten Endes wurden hierdurch die Versorgungsmöglichkeiten auch für die Eisenindustrie immer mehr beengt. Nicht weniger schwer und für die Eisen- und Stahlindustrie fast noch bedeutungsvoller war die Lage der feuerfesten Industrie. Zwar hatte auch diese bis zum Ende des Jahres 1916 den Bedarf im allgemeinen reibungslos erfüllen können. In Unkenntnis über die Bedeutung der Industrie bzw. des einzelnen Werkes hatten aber die stellvertretenden Generalkommandos allzu bedenkenlos die Facharbeiter eingezogen; dazu waren dann ebenfalls die Transportschwierigkeiten im Winter 1916/17 gekommen, welche die Leistungsfähigkeit erheblich herabminderten. Die Einführung von Dringlichkeitsbescheinigungen vom Dezember 1916 ab ermöglichte dann allerdings eine halbwegs geregelte Belieferung der Verbraucher trotz aller Schwierigkeiten. Die Kriegs-Rohstoff Abteilung verwendete sich für ausreichende Rückstellung von Facharbeitern. Aber auch in die Versorgung mit feuerfesten Steinen brachte die Kohleneinschränkung im August 1917 schwere Störungen. Wie die Kalkwerke wurden auch die Fabriken feuerfester Produkte auf 60% ihres Frühjahrsverbrauches an Kohle beschränkt. Auch hier war das allzu schematische und zu kurzfristige Verfahren wenig angebracht. Die feuerfeste Industrie braucht nämlich Kohle nicht nur als Heiz- und Betriebsstoff, sie ist vielmehr auch auf eine weitgehende Abwärmeverwertung für die Säle eingerichtet, in denen die geformten Steine getrocknet werden. Jede Unterbrechung dieses Trockenprozesses kommt aber dem Verlust des eingesetzten Materiales gleich. Auch hier hätte eine zeitlich gestaffelte Kohleneinschränkung große Material- und Produktionsverluste vermeiden lassen. Da dies aber nicht geschehen ist, so sank die Produktion ebenfalls weit mehr, als der Kohleneinschränkung entsprach; sie fiel bis auf 40% der Frühjahrshöhe ab und verursachte Lieferungsausfälle von solcher Größe, daß die Not in der Versorgung mit feuerfesten Steinen bis zum Kriegsende nicht mehr behoben

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 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

werden konnte. Zwei Beauftragte der Kriegs-Rohstoff-Abteilung in Westdeutschland und Ostdeutschland sorgten für eine geregelte Versorgung mit Brennstoffen und die zweckdienliche Lösung der Arbeiterfrage. Weiterhin wurde die Lage dadurch erschwert, daß die feuerfeste Industrie in ihrem Rohstoff, dem Magnesit, fast ausschließlich auf den Bezug aus Österreich angewiesen war. Die eigene Produktion in Oberschlesien fiel dagegen kaum ins Gewicht. Die österreichischen Magnesitwerke verloren aber ebenfalls infolge Kohlenmangels im Herbst 1917 wesentlich an Leistungsfähigkeit, ohne daß die österreichische Regierung energische Schritte unternommen hätte, um die Magnesitausfuhr nach Deutschland auf der Höhe zu halten, die das Interesse der Kriegführung der Mittelmächte dringend erforderte. Aus Anlaß der drei italienischen Offensiven des Jahres 1917 kam es in Österreich obendrein zu Bahnsperren, von denen auch der Magnesit trotz der Vorstellungen der Kriegs-Rohstoff-Abteilung und der Obersten Heeresleitung nicht ausgenommen wurde; obendrein wurde auch noch ein Ausfuhrverbot erlassen, das wenig entgegenkommend gehandhabt wurde. Zwar gelang es durch Nutzbarmachung der in den besetzten Gebieten lagernden Vorräte an feuerfesten Steinen einen vorübergehenden Ausgleich zu schaffen. Aber erst im Dezember 1917 und Januar 1918 konnte Österreich durch Kompensationszwang auf die Lieferung von 80 000 t Magnesit im Jahre 1918 festgelegt werden. Eine in Düsseldorf eingerichtete Kontrollstelle für Magnesitverteilung beaufsichtigte die Einfuhr aus Österreich und die Verteilung der eingeführten Mengen, doch zogen sich bis zum Ende des Krieges, die durch die unzureichende Berücksichtigung der deutschen Lieferungsansprüche durch Österreich hervorgerufenen Schwierigkeiten hin.

Schrott Die Kriegseisenwirtschaft stand im Jahre 1917 im Zeichen der Schrottversorgung. Bei den außerordentlichen Störungen der Erzförderung, Kohlenversorgung und Roheisenproduktion hing die weitere ausreichende Stahlbedarfsdeckung in weit stärkerem Maße, als ursprünglich vermutet, und geradezu entscheidend von einer befriedigenden Schrottbeschaffung ab. Je weniger es möglich wurde, das Produktionsprogramm auf die ursprünglich gedachte Basis des Thomasprozesses zurückzustellen, desto mehr war man genötigt, die Martinproduktion zu stützen. Die zunächst nur als Behelfsmaßnahme gedachte „Schrottgewinnung“ mußte in zunehmendem Maße herangezogen werden. Die besetzten Gebiete mußten hier notgedrungenerweise stark herangezogen, gleichzeitig aber auch die Inlandorganisation immer weiter ausgebaut und schließlich die Niederlegung von Baulichkeiten auch in Deutschland ernstlich vorbereitet werden. Die Schrottorganisation wurde im April 1917 durch den Anschluß Süddeutschlands ausgebaut und die Lieferungsverträge der Eisenzentrale mit den Eisenbahnen auch auf außerpreußische Verwaltungen ausgedehnt. Die Abbruchstätigkeit im Westen begann im besetzten Nordfrankreich im Februar 1917 und im besetz-



C Die Maßnahmen zur Sicherstellung des Heeresbedarfs 

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ten Belgien im August 1917. Das Schrottaufbringen wurde dadurch wesentlich erhöht und erreichte in den Hochsommermonaten 1917 monatlich etwa das Ausmaß des gesamten Aufbringens der ersten beiden Kriegsjahre zusammen. Doch bald machten sich Einflüsse geltend, die die Rückführungsmaßnahmen erschwerten. Die ungeheuer schweren Kämpfe in Flandern bedingten zahlreiche Truppenverschiebungen und ließen immer weniger Raum für den Abtransport der gewonnenen Schrottmengen. Als obendrein die regelmäßigen Herbststörungen der Gesamttransportlage auch im Jahre 1917 wieder auftraten, fand die Schrottgewinnungstätigkeit im Transportwesen ihre Leistungsgrenze. Im Oktober 1917 war der Höhepunkt der Schrottrückführungen erreicht. Die weitere Fortdauer der schweren Westkämpfe und später die Vorbereitung der großen Westoffensive verhinderten es, den Eisenbahntransport wieder in größerem Umfange für Schrottrückführungszwecke freizumachen. Vom Oktober ab kam es somit zu einem Stillstand, langsam sogar zu einer Minderung der Rückführungsmengen, so daß man rechtzeitig daran denken mußte, den Ausfall auf andere Weise wettzumachen. So trat man im November 1917 neben einer schärferen Ausnutzung des Ostens an eine stärkere Schrottgewinnung im Inland heran. Es kam hierbei auf der einen Seite zu einer Schrottgewinnung durch Niederlegung von Baulichkeiten, auf der anderen Seite zu einer Mobilisierung von Schrott durch Beschlagnahme und zwangsweisen Aufkauf der allerorts verfügbaren Alteisenmengen23.

C Die Maßnahmen zur Sicherstellung des Heeresbedarfs Die Kriegslage 1917 Das Hindenburg-Programm bedeutet den Wendepunkt in der Eisenwirtschaft während des Krieges. Erst durch das diesem Programm zugrunde liegende Prinzip der Mobilisierung der Höchstleistung, war die Kriegseisenwirtschaft den Anforderungen der Kriegführung angepaßt worden. Nach der Aufstellung dieses Programms hat die Kriegslage keine derartig umgestaltende Wirkung mehr auf die Weiterentwicklung der Kriegseisenwirtschaft nehmen können. Immerhin hat auch während des Jahres 1917 ein überaus enger Zusammenhang zwischen Frontlage und Eisenwirtschaft bestanden, wodurch auch jetzt noch — mehr als wohl auf irgendeinem anderen Gebiet der Kriegswirtschaft — die militärische und die eisenwirtschaftliche Entwicklung sich als gegenseitig bedingt erwiesen. Der Anfang April brachte die längst erwarteten schweren Angriffe an der Westfront. Am 9. griff der Engländer zum erstenmal mit Tanks ausgerüstet bei Arras an, während gleichzeitig wenige Tage später der französische Angriff an der Aisne und

23 Siehe auch Exkurs d.

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in der Champagne erfolgte. Wieder lag wie in der Sommeschlacht im Vorjahre das Materialübergewicht auf seiten der Feinde, jedoch bot die neue Taktik der „Abwehrschlacht“ die Möglichkeit, dem Feind im gegebenen Augenblick immer wieder gegen eine auch artilleristisch gekräftigte Front anlaufen zu lassen. Die Unterlegenheit an Geschützen und Munition war trotz der großen Schwierigkeiten in der Eisenproduktion, wenn auch nicht im ganzen, so doch örtlich bereits deutlich fühlbar aufgebessert. Die feindlichen Angriffe brachen nach einmonatiger Dauer erfolglos zusammen; besonders die französischen Truppen erlitten im deutschen Sperrfeuer erhebliche Verluste. Von gleichem Mißerfolg war die X.  Isonzo-Offensive begleitet, die sich unmittelbar nach Abschluß der Kämpfe im Westen entwickelte. Auch die am 1. Juli einsetzende Kerenski-Offensive in der Bukowina konnte — nicht zuletzt ebenfalls infolge überlegener Artilleriemassenwirkung (Tarnopol) — in einen vollen deutschen Erfolg umgewandelt werden. Am 1. Februar hatte zudem der uneingeschränkte U-Bootkrieg eingesetzt, der in den ersten Monaten hohe Versenkungsziffern erzielte. Zwar wurde die Kriegswirtschaft der Entente hierdurch erheblich geschädigt, er gab aber auch den Anlaß oder Vorwand zum Eintritt der Vereinigten Staaten von Amerika in den Weltkrieg (5. April 1917). Im Hinblick auf die Anfangserfolge des U-Bootkrieges aber glaubte man diesen Kraftzuwachs nicht ernst nehmen zu müssen, zumal man annahm, daß er ja ohnehin erst nach langer Frist wirksam werden könnte. Das erste Halbjahr 1917 ließ sich also im großen und ganzen nicht schlecht an. Leider gewöhnte sich die Heimat daran, in oberflächlichem Vertrauen auf das Standhalten der Westfront den Ernst der Kriegslage zu verkennen und ihr Interesse innerpolitischen Angelegenheiten zuzuwenden. Die Beschäftigung mit der russischen Revolution und mit den Friedensmöglichkeiten im Osten, wie auch dem Weltfrieden im allgemeinen, bewirkten ein Abflauen der Stimmung, die bei der arbeitenden Bevölkerung in Ausständen und Streiks und in einer übergroßen Empfindlichkeit des Volksganzen gegen den Druck der Kriegswirtschaft und gegen schlechte Nachrichten vom Kriegsschauplatz ihren Niederschlag fanden. Die Zensur tat das ihrige, das Volk in eine unangebrachte Siegesstimmung hineinzuversetzen. Hierdurch entfremdete man gerade auch die produktiv tätigen Teile der Bevölkerung weit über die Kreise der eigentlichen Handarbeiter hinaus dem wirklichen Ziele ihrer Arbeit: Höchstleistung zur glücklichen Kriegsbeendigung, mehr und mehr und ließ wirtschaftliche Fragen, wie Löhne, Bekleidung und Ernährung, weit über Gebühr Überhand gewinnen. In solcher Atmosphäre blühte der Schleichhandel auch mit Eisen und sank sichtbar die Autorität der zentralen Behörden. Doppelt schwer wurde nunmehr die Behinderung der behördlichen Eisenwirtschaft, wie z. B. die völlige Unterbindung des Friedensbedarfs, die Lahmlegung des Eisenhandels und anderes mehr empfunden. Überall im Wirtschaftsleben bis in die Haushalte hinein wurde das Eisen entbehrt. Der Umstand, daß diese Verhältnisse die verschiedenen Reichsgebiete unterschiedlich stark trafen, rief außerdem auch die Bundesstaaten, insbesondere Süddeutschland, auf den Plan, deren Blick für die letzten Ziele der Eisenbewirtschaftung jedenfalls nicht mehr ungetrübt war. Es



C Die Maßnahmen zur Sicherstellung des Heeresbedarfs 

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wurde der Kriegs-Rohstoff-Abteilung außerordentlich schwer gemacht, in dieser Zeit der Stimmungsverflauung ihrem Wirtschaftsplan nicht nur bei der Industrie und in der Volkswirtschaft, sondern sogar bei den Behörden Geltung zu verschaffen. Sie durfte sich durch die anscheinend günstige Lage nicht täuschen lassen und bei den großen Aufgaben, die noch nicht entfernt erfüllt waren, die allgemeine Stimmung nicht unterschätzen. So mußte sie gerade auf dem Gebiete des Eisens auf Teilgebieten Zugeständnisse machen, wenn sie erwarten konnte, dadurch die Durchführung ihrer Absichten im ganzen zu erleichtern. Den offenbaren Kontingentüberschreitungen der Beschaffungsstellen, dem Hamstern mancher militärischen und Marinestellen mußte nachgesehen werden; Bayern und Württemberg erwarben Sonderrechte. Auch der Industrie mußte man in Einzeldingen nachgeben. Die große Verwirrung, die das Hindenburg-Programm und die Winterschwierigkeiten angerichtet hatten, wirkte noch nach, die Arbeiterfrage und kurz darauf die Brennstoffversorgung wuchsen sich zu unübersehbar schwierigen Problemen aus. Unter Würdigung all dieser Verhältnisse wird es verständlich, wenn die Kriegs-Rohstoff-Abteilung zur Sicherung des Erfolges rücksichtsloser Eingriffe in den Gesamtverkehr mit Eisen und Stahl, von denen die Entwicklung der weiteren Kriegführung in ganz hervorragendem Ausmaß abhing, auf solchen Teilgebieten weniger schroff vorgehen zu dürfen glaubte, wo die entstehenden volkswirtschaftlichen Schäden aller Voraussicht nach durch spätere Regelungen in ruhiger Zeit wieder ausgeglichen werden konnten. Diese Gedankengänge leiteten beispielsweise die Kriegsrohstoffabteilung in ihrer Politik hinsichtlich der Eisenpreise, wo sie ein zeitliches Nachgeben durch spätere scharfe Besteuerung ausgleichen zu können hoffte. In rascher Folge trafen dann in der zweiten Hälfte des Jahres schwere Angriffe die Westfront. In fünf Perioden kam die Schlacht in Flandern zum Austrag, die am 31. Juli 1917 begann und mit einigen Unterbrechungen bis zum 5. Dezember andauerte. Auch Verdun sah Ende August wieder schwere Kämpfe. Trotz schwerster Beanspruchung der deutschen Verteidigungskraft erforderte es die Gesamtlage, zu gleicher Zeit auf anderen Kriegsschauplätzen offensiv vorzugehen, um den Rücken der Westfront frei zu machen. Ende August und Anfang September brachte die XI. Isonzoschlacht der österreichischen Armee schwere Verluste und nicht unerhebliche Geländeeinbuße; im Baltikum wurde der Ruf nach Schutz des Deutschtums immer dringlicher. An diesen beiden Punkten sollte entschlossenes Zugreifen endgültig die Lage klären. Am 1. September wurde Riga genommen und Mitte Oktober die dem Rigaischen Meerbusen vorgelagerten Inseln Dagö und Moon besetzt und damit die ständige Bedrohung des linken Flügels der Ostfront beseitigt. Am 24. Oktober begann dann die siegreich verlaufende deutsch-österreichische Offensive gegen Italien, die Anfang Dezember an der Piave eingestellt wurde, nachdem das italienische Heer so entscheidend getroffen worden war, daß es im weiteren Verlauf des Krieges keine ausschlaggebende Rolle mehr zu spielen vermochte. Sowohl in der Defensive wie in der. Offensive erwies sich die Ausrüstung der Armee als wesentlich besser als im Vorjahre. Die Hoffnung der Entente, im Jahre 1917

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durch restlose Ausnutzung der Rohstoffüberlegenheit und rücksichtslosen Einsatz ihrer Hilfsvölker die Entscheidung erzwingen zu können, erfüllte sich nicht. In der Bilanz des Jahres hatte Deutschland eine Reihe von großen Teilerfolgen auszuweisen. An der Westfront war die Entscheidung in der Schwebe geblieben. Der Waffenstillstand mit Rußland (7.  Dezember 1917), die Friedensschlüsse mit der Ukraine (9. Februar 1918), mit Rußland (3. März 1918) und mit Rumänien (7. Mai 1918) schlossen den Krieg im Osten vorläufig ab und erlaubten die Vereinigung aller Kräfte auf die Entscheidung, die notwendigerweise im Westen fallen mußte. Für diesen letzten Schlag wurde mit aller Kraft im Winter 1917/18 gerüstet. Aufgaben von größter Tragweite ergaben sich wiederum für die Eisenwirtschaft. Die Produktion hatte aber einen tiefen Sturz getan, und wieder galt es, wie im Vorjahre, durch Anspannung aller produktiven Kräfte und durch gleichzeitige schärfste Verbrauchsregelung für minder wichtige Zwecke ein Höchstmaß von Waffen und Munition zu schaffen. Doch im Gegensatz zu der Zeit der Aufnahme des HindenburgProgramms war es jetzt nicht mehr möglich, in der Arbeiterfrage gleich großzügig vorzugehen. Die Flandernschlacht hatte bereits dazu gezwungen, in schärfster Weise die Heimat nach frontverwendungsfähigen Männern auszukämmen, und im Winter 1917/18 glaubte die Oberste Heeresleitung auch die Rüstungsindustrie in keiner Weise mehr schonen zu können.

Ausbau des Beschaffungs- und Lieferungswesens Den gewaltigen Anforderungen, welche die Kriegslage im Jahre 1917 an die Eisenwirtschaft stellte, konnte also im allgemeinen die Kriegs-Rohstoff-Abteilung nur durch eine Erweiterung ihrer organisatorischen Tätigkeit auf dem Gebiet des Beschaffungsund Lieferungswesens für Eisen und Stahl einigermaßen nachkommen. Im Sommer 1917 schlossen die Arbeiternot und Brennstoffversorgung eine bedarfsgerechte Steigerung der Gesamtproduktion aus. Man mußte um des Hausbrandes willen sogar einen ungeheuren Produktionssturz hinnehmen. Die Rohstahlausgleichstelle hatte dieser ungünstigen Produktionslage gegenüber im Zusammenarbeiten mit dem deutschen Stahlbund die außerordentlich schwierige Aufgabe, je nach Maßgabe der Dringlichkeit des Bedarfs und der Produktionsmöglichkeiten Verschiebungen innerhalb der Produktion vorzunehmen, ohne die Möglichkeit zu besitzen, auf irgendwelche Reserven zurückzugreifen. Zu gleicher Zeit mußte eine immer weitergehende Kontrolle über den Bedarf erfolgen, den es mit denkbarer Schärfe auf das Mindestmaß dessen herabzuschrauben galt, was die Oberste Heeresleitung als im Interesse der Kriegführung unbedingt erforderlich betrachtete. Scharfe Gegensätzlichkeiten zwischen volkswirtschaftlichen Bedürfnissen und kriegstechnischen Notwendigkeiten traten hierbei in die Erscheinung. Je knapper in der zweiten Jahreshälfte die verfügbaren Mengen wurden, um so mehr verstärkten sich auch die hieraus entstehenden Reibungen, und man war in zahlreichen Fällen gezwungen, um der augenblicklichen



C Die Maßnahmen zur Sicherstellung des Heeresbedarfs 

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Befriedigung dringendsten Bedarfs willen, Unterbelieferungen auf anderen Bedarfsgebieten in Kauf zu nehmen, die sich im weiteren Verlauf der Kriegseisenwirtschaft doppelt empfindlich bemerkbar machten. Unter dem Druck der Verhältnisse war die Heeresverwaltung gezwungen, vom Kapital der Eisenwirtschaft zu zehren und hiermit fortgesetzt den Druck zu erhöhen, der auf der gesamten Volkswirtschaft lag. Wohl war man jetzt endlich zu einer systematischen Produktionswirtschaft übergegangen, aber die schützende Hülle, die jede geregelte Produktionswirtschaft in einem Mindestfundus von Vorräten nötig hat, schwand zusehends. Man durfte allerdings trotz aller Schwierigkeiten noch immer zuversichtlich an die gestellten Aufgaben herangehen, kam doch erst jetzt die gewaltige Kriegsmaschine Deutschlands voll in Gang, während die Hoffnung auf eine baldige glückliche Beendigung des Krieges leichter über die Schäden hinwegsehen ließ, die hier und dort durch die Rücksichtslosigkeit der wirtschaftspolitischen Eingriffe entstanden. Man hat diese Schädigungen z. B. im Transportwesen, in der Landwirtschaft deutlich gesehen, aber angesichts der Gesamtlage stand der Kriegs-Rohstoff-Abteilung kein wirksames Mittel mehr zur Verfügung, ihnen zu begegnen. Die unbedingte Befriedigung des Heeresbedarfs — auch bei seiner immer mehr anwachsenden Intensität — wurde mehr noch als zur Zeit des Hindenburg-Programms Leitgedanke für alle Maßnahmen, die das Beschaffungs- und Lieferungswesen trafen. Zugunsten der Kriegslieferungen mußten mit größter Schärfe alle diejenigen Verwendungsgebiete von Eisen und Stahl in ihrer Versorgung beschnitten werden, die nicht unmittelbar dem einen großen Ziel der Deckung des Heeresbedarfs dienten. Ganz besonders stark wurden hierbei die Gießereien betroffen, die im April 1917 einer Lieferungsregelung unterworfen wurden, die derjenigen entsprach, welche den Stahlwerken am 1. Dezember 1916 (Rundschreiben 20)24 vorgeschrieben worden war. Die Wirkung war hier wesentlich weitergehend als dort, da Gußprodukte (Maschinen, Geräte, Einrichtungsgegenstände) noch viel stärker „Friedensbedarf“ sind als Stahlprodukte. Im Interesse einer ausreichenden Roheisenversorgung zur Stahlherstellung mußte sogar bei der Einschränkung der Brennstoffversorgung im August 1917 die gesamte Last der 10%igen Roheisenverminderung auf die Gießereien abgewälzt werden. So wurde auch hiermit in erster Linie der volkswirtschaftlich wichtige Bedarf getroffen, dessen Nichtbefriedigung nur vorübergehend ohne schwere Folgen für das Ganze in Kauf genommen werden kann. In mannigfachem Wechsel traten die verschiedensten Bedarfsgruppen während des Jahres 1917 in den Vordergrund. Infolge der Aufnahme des verschärften Unterseebootkrieges mußte man den Anforderungen der neutralen Staaten auf Eisen und Stahl soweit als möglich nachkommen, um dort einem Stimmungsumschwung zugunsten der Entente entgegenzuarbeiten. Die Einrichtung der Eisenauslandstelle diente in der Hauptsache diesem Zweck. Eine besondere Verschärfung erfuhr die Feinblechlage,

24 Siehe S. 101.

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da die zunehmende Notwendigkeit des Ersatzes von Kupfer-, Messing- und Zinkblechen für Zwecke aller Art den Bedarf mächtig anschwellen ließ. In der Feinblech- wie in der Drahtindustrie mußte man obendrein mit dem erheblichen Nachteil rechnen, daß die gelernten Facharbeiter zu schnell an die Front oder in die Etappe gezogen worden waren. Nur allmählich konnte durch verstärkte Zurückstellungen diesem Übelstand abgeholfen werden. Je weniger befriedigend sich die Deckungslage im allgemeinen darstellte, mit um so größerem Nachdruck mußte ferner die Rohstahlausgleichstelle darauf bedacht sein, die überstarke Bautätigkeit, die das Hindenburgprogramm ausgelöst hatte, zum Ausklingen zu bringen. Es gelang, die Zahl der notwendigen Kriegsbauten auf im ganzen etwa 100 einzuschränken, von denen wiederum nur 30 als unbedingt erforderlich voll mit Eisen und Stahl beliefert wurden. Die gesamte übrige Bautätigkeit wurde unter Innehaltung gewisser bautechnisch bedingter Sicherheitsfristen in der Zeit von April bis zum 1. Juli 1917 abgedrosselt. Zu gleicher Zeit fanden die Abänderungen des Hindenburg-Programms ihren Ausdruck in einer großen Zahl von Auftragskürzungen und Vertragskündigungen, durch die eine große Menge von Eisen und Stahl für andere Zwecke frei wurde. Trotz der sich immer mehr vergrößernden Schwierigkeiten in der Gesamtbedarfsdeckung mußte die Oberste Heeresleitung unter dem Druck der Flandernschlachten und im Hinblick auf die Rüstungsnotwendigkeiten für die große Westoffensive im Jahre 1918 unausgesetzt auf eine wesentliche Verstärkung der dringenden Heereslieferungen, besonders der Granatstahlproduktion, Wert legen. Gleichzeitig aber verlangte der Bergbau und mit ganz besonderer Dringlichkeit das Eisenbahnwesen eine bevorzugte Versorgung. Auch die Neuformation des Etappenfuhrwesens (Proviantwagenprogramm) machte besondere Aufwendungen in Eisen und Stahl nötig. Nicht zuletzt aber war der Bau der U-Boote mit allen Mitteln zu fördern. Lieferungen für diese Zwecke wurden von vornherein jedem anderen Bedarf an Dringlichkeit vorangestellt. Das gesamte Dringlichkeitssystem für die Lieferung von Walzerzeugnissen wurde während des Sommers 1917 entsprechend diesen Verhältnissen weiter ausgebaut. Die lange Reihe der hier zu nennenden Maßnahmen hatte fast ausschließlich den Zweck, jeden ungerechtfertigten Eisenverbrauch zu verhindern, und die so freigemachten Eisenmengen dem brennenden Kriegsbedarf zuzuführen. Insbesondere wurden die Gültigkeitsfristen der Dringlichkeitsscheine erheblich gekürzt, um die Rohstahlausgleichstelle instand zu setzen, möglichst in jedem Monat Umstellungen vorzunehmen, durch die der Bedarf der Produktionslage entsprechend gewandelt werden konnte. Für Feinbleche wurde ein gesondertes Dringlichkeitsverfahren in Wirkung gesetzt und auch für Grobbleche in Essen eine besondere Organisation ins Leben gerufen. Der Neuordnung für die Lieferung von Blechen folgten am 27.  September die Beschlagnahme von Stacheldraht, am 8.  Oktober eine Neuordnung der Bestimmungen über die Lieferung von Eisen und Stahl in gegossener Form für Gegenstände aus Eisenguß, für Ausfuhr und als Ersatz mobilisierter Metalle. Am 10. Oktober



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trat die Beschlagnahme von Eisen und Stahl für Bauzwecke und für Fabrikationsanlagen und Betriebseinrichtungen in Kraft. Gleichzeitig erfolgte eine Bekanntmachung betreffend die Erzeugung von Kriegsmaterial, derzufolge die militärischen Stellen das Recht erhielten, durch zwangsweise Zurückstellung laufender Lieferungen notleidende Aufträge zur Erfüllung von Heeresbedarf bei den Werken unterzubringen. Ebenfalls im Oktober fanden die Lieferungen für Kartuschbleche und für Weicheisen — beides hauptsächlich zur Ersparung von Kupfer — eine grundsätzliche Regelung. Im November wurde dann das Baueisenkontingent nochmals erheblich beschnitten und schließlich im gleichen Monat der Bezug von Siederöhren für Lokomotivbau einheitlich geregelt. Um trotz der absinkenden Produktion eine verstärkte Lieferung von Granatstahl zu ermöglichen, stellte im Herbst 1917 die Eisenbahnverwaltung ihre Anforderungen auf Schienen wesentlich zurück. Gleichzeitig wurden die Abnahmevorschriften für Eisenbahnmaterial erheblich vereinfacht. Eine gewisse Entlastung bot fernerhin die Lieferungssperre, die über den Konstruktionswerkstätten, Maschinenbauanstalten usw. vom 5. August bis 3. September 1917 und vom 11. Oktober 1917 bis 4. März 1918 verhängt wurde, nachdem sich herausgestellt hatte, daß sich hier im Laufe der Zeit unter dem Einfluß des Hindenburg-Programms Vorräte bis zur Höhe des sechsmonatlichen Bedarfs angesammelt hatten. Die mannigfachsten Interessen waren also zu berücksichtigen; innerhalb des enggespannten Rahmens einer zu geringen Produktion standen die einzelnen Bedarfsgruppen teilweise im schroffsten Gegensatz zueinander. Die getroffenen Maßnahmen trugen dementsprechend fast durchwegs den Charakter von Notbehelfen, die sich gegenseitig in ihrer Wirkung beeinträchtigten. Da mangels jeder nennenswerten Vorräte der Bedarf fast unmittelbar aus der Produktion gedeckt werden mußte, so gibt ein Überblick über die Produktionsverhältnisse gleichzeitig ein anschauliches Bild über die unter Einwirkung der Rohstahlausgleichstelle vorgenommenen Bedarfsverschiebungen (siehe Anlage 9). Hier fällt — Januar bis Dezember 1917 — deutlich die starke Abschnürung der Bautätigkeit (Träger) ins Auge, während ebenfalls ein ganz erheblicher Rückgang in der Herstellung von Eisenbahnbedarfsmaterial festzustellen ist. Ein nicht unerheblicher Teil des Produktionsrückgangs des Winters 1917/18 wurde ferner durch eine starke Abschnürung der unter „Sonstigem“ in der Statistik enthaltenen Bedarfsgruppen, wie z. B. Ketten, Wagenfedern u. dgl., erzielt. Auf fast allen anderen Produktionsgebieten hielten sich die Verschiebungen innerhalb eines verhältnismäßig engen Rahmens. Es handelte sich fast durchwegs um das Herüberwerfen von einigen tausend Tonnen von einem Walzprodukt auf das andere, um den unausgesetzten Wechsel in der vorzugsweisen Belieferung der einen oder anderen Bedarfsgruppe. Trotz aller Schwankungen aber, welche die Gesamtproduktion durchmachte, gelang es, die Granatstahlproduktion während des ganzen Jahres 1917, ja sogar während des Produktionsabfalls nach der Kohleneinschränkung, stetig zu steigern. Dieser Erfolg der Ausgleichstätigkeit der Kriegs-Rohstoff-Abteilung beweist, daß in

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der Tat die getroffenen Maßnahmen trotz der mannigfachen Schwierigkeiten auf anderen Gebieten in der Hauptaufgabe — nämlich der ausreichenden Versorgung der Artillerie zum Durchfechten der großen Materialschlachtem — zu einer den Umständen nach voll befriedigenden Lösung geführt haben. Die Sicherstellung des Heeresbedarfs — selbst mit großen Opfern auf anderen Gebieten — war und blieb eben doch die vornehmste Aufgabe der Kriegswirtschaft.

Die Transportfrage Wenn auch im Frühjahr 1917 die Transportkrisis, die das Hindenburg-Programm zu Fall gebracht hatte, sich allmählich entspannte, so behielt doch die gesamte Transportlage auch fernerhin die größte Bedeutung für die Kriegseisenwirtschaft. Hierbei stand die Aufrechterhaltung der Transportverbindungen für Koks, Kohle und Erz zwischen dem Ruhrgebiet und der südwestdeutschen Eisenindustrie und die vom Ruhrgebiet nach dem Siegerland im Vordergrund des Interesses. Bereits in den Wintermonaten 1916/17 war von den verschiedensten Seiten mit allem Nachdruck die Forderung der unbedingten Bevorzugung des Wasserstraßenverkehrs erhoben worden. Dies wurde für die Gestaltung der weiteren Transportpolitik von größter Bedeutung. Im Hinblick auf die hauptsächlich für die Eisenwirtschaft in Frage kommenden Verkehrslinien, gleichfalls aber auch mit Rücksicht auf die Geeignetheit der in Frage kommenden Massengüter besitzen die Erörterungen über die Zweckmäßigkeit der Durchführung der Wasserstraßenpolitik in der Kriegseisenwirtschaft grundsätzlichen Wert. Infolge von Interessenkonflikten zwischen den beiden wichtigsten deutschen Eisenindustrierevieren war die bereits im Frieden geplante Kanalisierung der Mosel unterblieben, so daß ein direkter Wasserweg von Lothringen nach dem Ruhrgebiet fehlte. Auch bei Überleitung des eisenwirtschaftlichen Massenverkehrs auf die Wasserstraßen mußte man deshalb auf große Strecken hin die Eisenbahn in Anspruch nehmen und einen sog. gebrochenen Verkehr einrichten, der die Rheinstraße nur zwischen den Umschlagshäfen Duisburg-Ruhrort und Mannheim bzw. Straßburg ausnutzte, im übrigen aber auf das Zubringen durch die Eisenbahn angewiesen blieb. Als besonderes mißlich fiel ins Gewicht, daß der Koks durch das Stürzen aus den hochgelegenen Kippern, andrerseits aber beim Entladen der Schleppkähne mittels Greifbaggern u. dgl. in seiner Qualität ungemein litt. Der hierdurch entstehende Abrieb bezifferte sich bis auf 25% des gesamten Förderguts, und auch der in die Hochöfen geschickte Koks wies nicht mehr die großstückige und spröde Qualität auf, die im Interesse eines geregelten Hochofengangs gefordert werden mußte. Der von den Verkehrsbehörden unternommene Versuch, Lothringen auf dem gebrochenen Wege mit Koks zu versorgen, der von vornherein von der Industrie wie auch von der Eisensektion der Kriegs-Rohstoff-Abteilung als ungangbar abgelehnt worden war, mußte infolgedessen nach kurzer Zeit aufgegeben werden. Der Kokstransport mußte zweckmäßig der Eisenbahn belassen werden, eine Belegung der Rheinstraße nur in



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der einen Richtung (Erz von Lothringen nach dem Ruhrgebiet) wäre transportökonomisch unrichtig gewesen. Mit um so größerem Nachdruck trat nach diesem Mißerfolg die Kriegs-RohstoffAbteilung allen weiteren Bestrebungen hinsichtlich einer den eisenwirtschaftlichen Sonderverhältnissen nicht genügend Rechnung tragenden einseitigen Wasserstraßenpolitik entgegen. Sie führte demgegenüber ein anderes Prinzip, nämlich das der Pendelzüge, im Juli 1917 zum Durchbruch. Umladungen, die das Transportgut verschlechterten und zahlreiche Betriebsmittel festlegten, wurden dadurch vermieden. Außerdem wurde es möglich, einen geordneten und übersichtlichen Wagen- und Lokomotivumlauf innezuhalten und dadurch die Transporte reibungsloser und schonender abzuwickeln. Das Prinzip der Pendelzüge kam auch bei dem Wechselverkehr zwischen dem Ruhrgebiet und dem Siegerland, ebenso zwischen dem Siegerland, dem Minettegebiet und Oberschlesien zur Geltung. Die Verkehrsbewältigung Ruhr—Siegerland auf den Rhein zu übernehmen, scheiterte an dem Fehlen leistungsfähiger Umschlagseinrichtungen im Siegerland. Jede Durchbrechung der Regelmäßigkeit des Wagenumlaufs aber rief in dem an leistungsfähigen Abstellbahnhöfen armen Siegerland ebenfalls die größten Schwierigkeiten hervor, die mit Rücksicht auf die Bedeutung der Siegerländer Qualitätsproduktion nicht riskiert werden durften. Eine besondere Bedeutung erhielt die Transportverbindung zwischen IlsedePeine und dem Rheinland. Wenn in Ilsede die beabsichtigte außergewöhnliche Vergrößerung der Erzförderung zur Durchführung gelangen sollte, so mußten auch besondere Maßregeln getroffen sein, diese erhöhte Produktion abzutransportieren. Unter finanzieller Beteiligung der Eisenzentrale wurden, wie schon erwähnt, in Hannover große Umschlagshäfen gebaut, die einen Anschluß der Transporte an das fertiggestellte westliche Stück des Mittellandkanals von Hannover nach Dortmund ermöglichten. Grundsätzlich wichtig wurden für die Eisenwirtschaft Maßnahmen, welche die Eisenbahnverwaltung infolge der allgemeinen Transportnot im Interesse der Bewältigung kriegswichtiger Transporte im Herbst 1917 — d. h. gerade zur Zeit der Brennstoffeinschränkung — ergreifen mußte. Hierzu gehörte die Einschränkung der Schwedenerztransporte seit September 1917 auf das geringste Maß, welches zur regelmäßigen Versorgung der Eisenhütten gerade noch notwendig war. Ganz besonders einschneidend aber wurde auf diesem Gebiet im November 1917 die Einschränkung aller Massentransporte um insgesamt über ½ Mill. Tonnen im Monat, wodurch auch eine schärfere Organisation für alle Massentransporte der Eisenindustrie notwendig wurde. Die Eisensektion trat deswegen in engere Fühlung mit den Eisenbahnbehörden, um für dringende Transporte die Bereitstellung von Transportmitteln zu gewährleisten, und baute eine eigenartige Organisation für die Sicherstellung des Mindestbedarfs an Rohstoffen aus. In den ersten Monaten des Jahres 1918 wurde auf Grund genauer Erhebungen über die bisherige Produktion und den bisherigen Rohstoffverbrauch der Bedarf an Rohstoffen festgestellt, der auf jedem einzelnen Werk mindes-

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tens befriedigt werden mußte, wenn die Produktion dort nicht lahmgelegt werden sollte. Vom März 1918 ab wurden dann mit der Eisenbahn die jeweiligen dringenden Rohstoffmassentransporte an Hand dieser Mindestbedarfsübersichten vereinbart und der erforderliche Wagenraum bereitgestellt. Es gelang, durch diese mit großer Zielklarheit durchgeführte Organisation jeden nach Menge, Laufzeit oder Entfernung unwirtschaftlichen Transport von Erzen, Kohle, Koks, Zuschlägen u. dgl. zu unterbinden und trotz aller Einschränkungen, die dem Transportwesen auferlegt werden mußten, so viel Wagenraum frei zu machen, daß über die Deckung augenblicklichen Bedarfs hinaus systematisch auf den Werken kontrollierte Vorräte als Ausgleich für Transportstörungen angesammelt werden konnten.

Die Verbandsfrage Während des Sommers 1917 wurde mit großem Ernst die Frage einer kartellmäßigen Zusammenschließung der gesamten Eisenindustrie erwogen. Der große Vorteil, den die zentrale Bewirtschaftung des Eisens in der Möglichkeit fand, sich in den unteren Stufen auf den Roheisenverband und den Stahlwerksverband stützen zu können, verlockte dazu, von einer gegebenenfalls unter staatlichem Zwang zustande kommenden Syndizierung der B-Produkte eine Förderung für die Kriegswirtschaft zu erwarten. Der Gedanke an ein Zwangssyndikat war zuerst bei der Aufnahme preispolitischer Erwägungen im Sommer 1916 aufgetaucht. Er wurde auch im Sommer 1917 wieder verfolgt in dem Glauben, daß eine Syndizierung der gesamten Stahlproduktion eine Entspannung der verschärften Deckungslage erleichtern werde; es wirkte hierbei wiederum die Anschauung mit, daß durch „bessere“ Organisation (d. h. in diesem Fall durch Organisation über ein gewisses natürlich gegebenes Optimum hinaus) auch solche Lücken der Kriegswirtschaft geschlossen werden könnten, die wirksam allein von der Seite der Produktion zu überbrücken waren. Während aber die Kriegs-Rohstoff-Abteilung bei dem praktischen Versuch der Durchführung sehr bald einsehen mußte, daß die Schwierigkeiten einer solchen zwangsweisen Kartellierung nicht entfernt durch die möglichen Vorteile aufgehoben wurden, hielt die Oberste Heeresleitung in Verkennung der beschränkten Tragweite dieser Idee den Gedanken an ein Zwangssyndikat bis zum Kriegsende aufrecht. Kartelle sind Einrichtungen der freien Wirtschaft, durch die sich Unternehmer zusammenschließen, um in irgendeinem Sinne Einfluß auf die Marktentwicklung zu gewinnen. Soweit sie auf die Produktionslage einzuwirken versuchten, geschah dies fast ausschließlich in der Richtung einer Beschränkung der Überproduktion auf die vertragsmäßigen bedarfsgerechten Quoten. Bei der hierbei zum Ausdruck kommenden Tendenz zur Marktbeherrschung und Produktionsregulierung lag in dem Zusammenstehen der Unternehmer im Kartell jeweils auch die Neigung begründet, alle irgendwie gearteten fremden Einflüsse abzulenken. Diese Stellung der Kartelle im Wirtschaftsleben machte es von vornherein wenig wahrscheinlich, daß gerade



C Die Maßnahmen zur Sicherstellung des Heeresbedarfs 

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eine solche Organisation zum Träger kriegswirtschaftlicher Zwangsbewirtschaftung berufen war, wenn nicht, wie beim Roheisen und den A-Produkten, verhältnismäßig einfache Verhältnisse bereits im Frieden in sich ausgeglichene und festgefügte Kartelle geschaffen hatten. Diese kriegswirtschaftlich umzuwandeln, war wesentlich einfacher, als mitten in der unklaren Kriegsentwicklung die Lösung solcher Aufgaben zu versuchen, die im Frieden trotz mannigfacher Versuche nicht gelungen war. Die Bemühungen der Kriegs-Rohstoff-Abteilung, die Syndikatsbildung über die gesamte Eisen- und Stahlproduktion auszuweiten, führten im Juli 1917 zu der Gründung der Gruppe der reinen Martinwerke (7.  Juli 1917) und des Stabeisenverbandes (13.  Juli 1917), der nunmehr auch den Inlandmarkt für Stabeisen regelte, nachdem bereits seit Januar 1916 der Stabeisenausfuhrverband in Tätigkeit war. Die Kartellierung der reinen Martinwerke hatte insofern besondere Bedeutung, als diese fast durchwegs bis dahin als Außenseiter neben dem Stahlwerksverband gewirkt hatten, nunmehr aber der gesamte Rohstahl syndikatlich gefaßt war. Mit dem Stabeisen aber war das wichtigste der B-Produkte als erstes syndiziert. Hier zeigten sich jedoch bereits die geradezu unüberwindlichen Schwierigkeiten, die bei den anderen B-Produkten noch verstärkt auftreten mußten, je mehr nämlich neben den „gemischten“ die „reinen“ Werke, neben den Großbetrieben die Kleinunternehmungen mit den verschiedensten Interessen an der Produktion beteiligt waren. Sämtliche Bestrebungen auf einen weiteren Ausbau des Stahlsyndikats scheiterten deswegen hauptsächlich an der Frage der Quoten, wobei sämtliche Werke geschlossen gegen jede Bindung für die Zeit nach Friedensschluß einstanden. Sowohl die Gruppe reiner Martinwerke, als auch der Stabeisenverband traten demzufolge nur mit einer Gültigkeit bis kurz nach Kriegsende ins Leben. Eine weitere Verfolgung des Syndikatgedankens während des Krieges war offensichtlich unfruchtbar. Diejenigen beiden Aufgaben, welche das Syndikat zu erfüllen gehabt hätte — Lieferungsregelung und Preispolitik —, waren bereits auf andere Weise gelöst und vorweggenommen. Eine Kartellierung der Produktion zwecks Erleichterung der Auftragsverteilung erübrigte sich, weil im Deutschen Stahlbund bereits eine Organisation bestand, welche die gesamte Eisen- und Stahlproduktion umfaßte und eben wegen des Wegfalls jeder vertraglichen Bindung, wie Quoten usw., wesentlich leichter beweglich war, als ein Syndikat es je hätte sein können. Die Preisfrage aber durfte im Juli 1917 nach der Festsetzung der Höchstpreise als gelöst betrachtet werden, insofern wenigstens, als auch ohne das Vorhandensein von Syndikaten sämtliche Produzenten von Eisen und Stahl auf die Höchstpreisliste festgelegt waren. Angesichts dieser Verhältnisse war es fraglich, ob nicht ein Zwangssyndikat letzten Endes nur eine Erschwerung der Eisenbewirtschaftung durch lästige Auseinandersetzungen ohne bleibenden Wert dargestellt hätte, demgegenüber der Deutsche Stahlbund eine wesentlich glücklichere, weil leicht bewegliche und den jeweiligen Verhältnissen stets anpaßbare Organisationsform darstellte. Wenn trotz alledem im Kriege die Verhandlungen über das Zustandekommen eines Stahlverbandes nicht zur Ruhe kamen, so hatte dies einen anderen Grund. Für

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die Kriegswirtschaft konnte man allerdings auf seine Gründung verzichten. Anders war es im Hinblick auf die Nachkriegszeit, wo es äußerst wünschenswert war, in einem geschlossenen Syndikat eine Sicherung der heimischen Wirtschaft gegenüber der zu erwartenden lebhaften Bewegung des In- und Auslandmarktes zu finden. Unter diesem Gesichtspunkt vollzogen sich die weiteren Verhandlungen, die zwar bis zum Ende 1918 kein endgültiges Ergebnis zeitigten, aber dann doch Anfang 1919 unter dem Reichswirtschaftsministerium die Gründung eines neuen Deutschen Stahlbundes ermöglichten, der als Rumpforganisation mit zahlreichen Zweigsyndikaten angelegt war. Die Dinge haben sich dann aber bekanntlich auch in der Nachkriegszeit insofern ganz anders entwickelt, als an die Stelle horizontaler Interessenverknüpfungen die gewaltigen vertikalen Zusammenschlüsse traten, die zur Bildung der größten Konzerne führten, die das deutsche Wirtschaftsleben je gekannt hat.

Preispolitik Als Maßnahme zur Sicherung des Heeresbedarfs hat auch die Preispolitik der KriegsRohstoff-Abteilung ihre besondere Bedeutung. Nach den ersten Versuchen einer allgemeinen Preisregelung im Sommer 1916 war am 15.  Januar 1917 durch die Herausgabe einer alle wichtigeren Produkte umfassenden Preisliste eine Feststellung der gültigen Preise vorgenommen und gleichzeitig die ungeregelte Preissteigerung abgestoppt worden. Angesichts der Versäumnisse früherer Kriegsjahre konnte die bei den Preisfestsetzungen befolgte Politik nicht mehr so orientiert werden, wie es volkswirtschaftlich-technische Theorie vorausgesetzt hätte. Vielmehr mußte bei den Preisfestsetzungen in allererster Linie berücksichtigt werden, daß hieraus keine nachteiligen Wirkungen auf die Produktion in die Erscheinung traten. Die Forderungen des Hindenburg-Programms beherrschten die Kriegseisenwirtschaft zu der Zeit dieser preispolitischen Entschließungen so überwiegend, daß in allererster Linie eine mengenmäßige Erfüllung des Programms angestrebt werden und hinter dieser vornehmsten Aufgabe die Preisfrage mehr in den Hintergrund treten mußte. Die KriegsRohstoff-Abteilung durfte nicht vor der Verantwortung zurückscheuen, hohe Preise für Eisen und Stahl zu bewilligen, um so mehr als die schweren Störungen in der Produktionslage eine sachgemäße Beurteilung der Selbstkosten und damit der finanziellen Lage der Werke behinderte. In England ist man bemerkenswerterweise grundsätzlich dieselben Wege gegangen. Die Preisbewegung der wichtigeren Produkte fand ihren Abschluß in der Höchstpreisverordnung vom 1. Juli 1917, nach deren Erlaß die Kriegs-Rohstoff-Abteilung den Eisenpreis fest in der Hand behielt.



D Der Friedensschluß mit Rußland 

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D Der Friedensschluß mit Rußland Möglichkeiten Kurz vor Beginn der letzten Vorbereitungen zur großen Westoffensive im Jahre 1918 gestaltete sich die Lage auch der Kriegseisenwirtschaft durch den Abschluß des Friedens mit der Ukraine und mit Rußland äußerst hoffnungsvoll. In erster Linie glaubte man nunmehr die Manganversorgung endlich wieder etwa auf Friedensgrundlage umstellen zu können. Die notgedrungene Sparwirtschaft mit Mangan hatte natürlicherweise auch die Qualität des Stahls merklich verschlechtert, außerdem aber waren die Vorräte an hochwertigen Manganerzen so sehr zusammengeschmolzen, daß man selbst bei dem sparsamsten Verbrauch die völlige Aufzehrung kaum mehr wesentlich hinauszögern konnte. Durch den Frieden mit Rußland aber eröffnete sich die Möglichkeit, das kaukasische hochwertige Erz über das Schwarze Meer und die Donau in großen Mengen nach Deutschland hereinzubringen und damit die eisenwirtschaftlichen Zentralstellen der weiteren Sorge wegen der Manganversorgung zu entheben. Ebenfalls von größter Wichtigkeit erschien es, daß die ukrainische Eisenerzlagerstätte von Krivoi-Rog zur Versorgung Deutschlands mit hochwertigen Eisenerzen herangezogen werden konnte. Die Krivoi-Rog-Erze stehen den Schwedenerzen an Qualität kaum nach, und man durfte erwarten, im Friedensschluß verhältnismäßig günstige Lieferungsbedingungen zu erzielen. Die Verfügungsmöglichkeit über die Krivoi-Rog-Erze war deshalb so außerordentlich wichtig, weil der englische Druck auf Schweden, die schwedischen Erzlieferungen nach Deutschland mehr und mehr einzuschränken, immer stärker wurde. Neben Krivoi-Rog bot die Manganerzlagerstätte von Nikopol in der Ukraine besonderes Interesse, da auch sie zur Entspannung der Manganlage in Deutschland beitragen konnte. Auch mit Vorräten anderer Art konnte die Ukraine entlastend wirken. Im Dongebiet hatte sich, fußend auf das dortige Kohlenrevier und die Lagerstätten von KrivoiRog und Nikopol, eine nicht unbeträchtliche Eisenindustrie entwickelt. Vorräte aller Art an Rohstoffen, Halb- und Fertigfabrikaten lagerten dort ungenutzt, da die russische Revolution die Betriebe größtenteils zum Erliegen gebracht hatte. Auch von diesen Vorräten durfte man für die Wirtschaftslage in Deutschland eine Verbesserung erhoffen, wobei auch die großen Schrottmengen in Frage kamen, die im ukrainischen Industriegebiet sowie längs der östlichen Kampffronten aufgegriffen werden konnten.

Die tatsächlichen Ergebnisse Bevor noch irgendwelche Schritte getan wurden, um durch Nutzbarmachung des Ostens die deutsche Eisenwirtschaft zu stärken, begannen bereits höchst unerfreuliche Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und der Donaumonarchie. Immer

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weniger Boden fand dort der Bündnisgedanke noch vor — Verhandlungen wegen eines Sonderfriedens waren damals hoch im Gange — und auch wirtschaftlich wollte Österreich-Ungarn auf keinen noch so kleinen Vorteil verzichten. Wenn auch für die österreichische und ungarische Eisenindustrie eine so unbedingte Notlage in bezug auf Rohstoffergänzung wie in Deutschland gar nicht vorlag, so beanspruchte Österreich-Ungarn doch eine Aufteilung der Zufuhren im Verhältnis der Kopfstärken der deutschen und der österreichisch-ungarischen Bevölkerung. Der Verteilungsschlüssel konnte erst nach langwierigen Verhandlungen herabgesetzt werden, und die Gesamtlage litt schwer darunter, daß vor dem Abschluß dieser Verhandlungen eine systematische Übernahme von Rohstoffen aus der Ukraine und Rußland erschwert war und durch versteckte Sonderverhandlungen von vornherein sehr viel Unklarheit in das gesamte Beschaffungswesen hineinkam. Aber auch von anderer Seite erwuchsen einer vollen Ausnützung des ukrainischen und des russischen Friedens die größten Schwierigkeiten. Sie waren in der Hauptsache in der Unzulänglichkeit des Transportwesens begründet. Am günstigsten lagen noch die Verhältnisse bei den kaukasischen Erzen; für deren Abtransport kam der Wassertransport über das Schwarze Meer und die leistungsfähige Donau in Betracht; außerdem lagerten in Poti beträchtliche Mengen versandbereit. In der Tat waren auch einige wenige Sendungen von Poti-Erz der einzige positive Erfolg der östlichen Friedensschlüsse. Für den Bezug der Erze und Rohmaterialien aus der Ukraine kam jedoch ausschließlich der Landweg in Frage. Abgesehen von der sehr weiten Entfernung, die es hierbei zu bewältigen galt, wurde die Aufnahme des Verkehrs dadurch erschwert, daß die deutschen und die russischen Bahnen verschiedene Spurweiten haben. An der deutschen Grenze mußten die Erzsendungen infolgedessen umgeschlagen werden; entsprechende Vorrichtungen aber waren nicht vorhanden. Es wurde das Projekt erwogen, die gesamte ukrainische Eisenbahn oder zum wenigsten die eine Linie von Oberschlesien nach Krivoi-Rog auf deutsche Spur umzunageln. Zwar wäre dies mit geringerem Aufwand an Geld und Rohmaterialien durchführbar gewesen, als der Bau großer Umschlageinrichtungen verlangt hätte; doch mußte dieses Projekt mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten der wegen Arbeitermangels und der transporttechnischen Nebenwirkungen kaum zu bewältigenden Aufgabe fallen gelassen werden. Gleichzeitig traf man in Deutschland Vorbereitungen für eine Einkaufsorganisation in Rußland und legte Grundlagen für die Konzentration des kompensatorischen Ausfuhrverkehrs (Ukrainische Ausfuhrgesellschaft). Alle Vorbereitungen blieben jedoch, soweit sie die Eisenwirtschaft betrafen, in den Vorbereitungen stecken. Zunächst belegten die für die deutsche, ganz besonders aber für die österreichische Volksernährung unbedingt erforderlichen Getreideund Viehsendungen aus der Ukraine sämtliche Transportwege bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Die Ausfuhr anderer Massengüter, am allerwenigsten aber der umfangreiche Abtransport von Eisenerzen konnte unter diesen Umständen nicht verwirklicht werden. Schließlich wurde infolge der Schwankungen der ukraini-



A Zeitliche Übersicht über die Preisentwicklung 

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schen Politik im weiteren Verlauf des Jahres 1918 die Ausfuhr von Rohstoffen in dem ursprünglich geplanten Umfang gänzlich unmöglich. Der Friedensschluß im Osten brachte also der Eisenwirtschaft keinerlei Erleichterung; die Hoffnungen, die in dieser Hinsicht auf ihn gesetzt worden waren, zerrannen, ohne irgendeinen nennenswerten Erfolg gezeitigt zu haben.

Exkurs c Die Entwicklung der Eisenpreise wahrend des Krieges25 26 A Zeitliche Übersicht über die Preisentwicklung Die Bewegung der Eisenpreise Die Betrachtung der Kriegspreise für Eisen kann an der Entwicklung der Wirtschaftslage vor dem Kriege nicht vorübergehen. Die Übersättigung der Märkte mit Eisen hatte in Deutschland — wie auch in England — einen erheblichen Konjunkturrückgang hervorgerufen. Diesem entsprach eine sehr starke Verminderung des Eisenpreises während der letzten drei Friedenshalbjahre. Nur der ausgleichenden Preispolitik der starken Industrieverbände war es zu verdanken, daß in dieser Periode die Preisrückgänge bei den syndizierten Produkten verhältnismäßig gering waren. Roheisen wies nur eine Preissenkung von 5—8% auf, während Rohstahl bereits um 10% abfiel. Wesentlich stärker waren aber die Preisminderungen bei den weniger straff oder gar nicht kartellierten Produkten; hier nahmen sie den Charakter eines Preissturzes an: der Stabeisenpreis sank um 25%, der Rückgang der Grobblechpreise übertraf sogar dieses Ausmaß. Der Ausbruch des Krieges belebte die Eisenkonjunktur. Die Eisenpreise erholten sich langsam von dem Tiefstande, den sie im Juli 1914 erreicht hatten. Mitte 1915 war die Preissenkung der Vorkriegszeit wieder wettgemacht. Der sich hiermit vollziehende Ausgleich in den Eisenpreisen war eine schlechthin unvermeidliche Reaktion auf die ungewöhnliche Marktdepression der letzten Friedensquartale. Während im Frieden der Preis ganz überwiegend den Einflüssen der „Marktlage“ folgte, also in erster Linie durch wirtschaftliche Momente bedingt war, traten bald nach Kriegsbeginn die technischen Selbstkostenelemente stärker in den Vordergrund. Es läßt sich feststellen, daß bis Ende 1915 die Preispolitik der Eisenindustrie

25 Hierzu eine Tabelle: Bewegung der Eisenpreise (Anlage 11). 26 Die Preisbewegung der wichtigsten Kriegsmaterialien wird in Band I zusammenfassend behandelt. Der Herausgeber.

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sich eng an die Veränderungen der „technischen“ Grundlagen der Preiskalkulation anschloß, während auf dem Markt zunächst eine Art Burgfrieden eingetreten war. So lange zeigte deshalb die Entwicklung der Eisenpreise eine große Ausgeglichenheit. In den ersten drei Kriegssemestern verteuerte sich das Eisen auf allen Produktionsstufen etwa in gleichem Ausmaß; die Produkte der höheren Stufe bildeten ihre Preise fast ausschließlich mit Rücksicht auf die Preissteigerungen bei den Vorprodukten und Rohstoffen sowie mit Rücksicht auf die allgemeine Lohnentwicklung27. Entgegen der im allgemeinen steigenden Tendenz der Preisbewegung sank der Preis für das wichtigste Erz, die Minette, nach Kriegsbeginn zunächst in zwei Stufen auf 4 M bis Mitte 1915. Das schwere Darniederliegen des Hauptverbrauchers — der lothringischen Industrie — nach Kriegsbeginn, die reichlichen Vorräte von Minette auf den rheinischen Werken und die allgemeine Unsicherheit der Wirtschafts- und der Produktionslage im ersten Kriegsjahr trugen zu der Verringerung der Kauflust für dieses Erz bei. Deutlich trat das geringe Interesse für Minette in die Erscheinung, als nach der Einrichtung der Schutzverwaltung in Metz die Inbetriebsetzung der französischen Erzgruben im Minettegebiet in Erwägung gezogen wurde: kein deutsches Werk zeigte sich hierfür im geringsten interessiert; beim Thyssenkonzern, der die Frage angeregt hatte, spielten besondere Absichten mit hinein. Erst Mitte 1915 konnte die Minette wieder zum Preis des Jahres 1913 verkauft werden; bis Anfang 1917 — also fast zwei Jahre hindurch — hielt sie sich dann auf dieser Höhe. Die Preise für die übrigen deutschen Erze dagegen wiesen eine derartige rückläufige Bewegung nicht auf. Der Spateisensteinpreis allerdings schwankte im dritten Quartal 1914 um eine Kleinigkeit, um aber schon vom vierten Quartal an genau so wie auch der Roteisensteinpreis stetig anzusteigen. Der vielfach verzettelte Kleinbergbau auf diese Erze zeigte sich in finanzieller Hinsicht außerordentlich empfindlich gegen die Schwankungen der Wirtschaftslage und fand bald zu den alten Preisen kein Auskommen mehr. Bei diesen Erzen kam zudem nur ein Viertel der Förderung zu den erhöhten Preisen auf den Markt, während der Hauptteil, teils im Eigenverbrauch, teils auf Grund langfristiger Lieferungsverträge, zu wesentlich geringeren Preisen dem Verbrauch unmittelbar zufloß. Der kleine marktgängige Anteil musste bei dieser Lage den gesamten Mehraufwand tragen, den die Gruben aus wirtschaftlichen und technischen Gründen hatten. Beim Schwedenerzpreis kam natürlicherweise sehr deutlich der Einfluß der sinkenden deutschen Valuta zum Ausdruck; das Steigen der Seeversicherung und der Frachtkosten sowie die Ausnutzung der Kriegskonjunktur durch die schwedischen Erzgruben trugen das ihre zum Steigen des Preises für diese wichtigen Erze bei.

27 Selbstredend sind auch alle Preisänderungen der Folgezeit stets durch eine Verteuerung der Betriebskosten mit bedingt worden. Ohne dieser bleibenden Tatsache immer wieder Erwähnung zu tun, sollen in den folgenden Untersuchungen nur die für jede Preiserhöhung besonders kennzeichnenden Ursachen hervorgehoben werden.



A Zeitliche Übersicht über die Preisentwicklung 

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Die Preisentwicklung für Roheisen wurde durch den Roheisenverband derjenigen der Minette im wesentlichen angepaßt. Das Gießereiroheisen folgte anfangs dem Minettepreis nach Kriegsbeginn fallend nach. Diese rückläufige Bewegung hielt allerdings nur während des dritten Quartals 1914 an, denn der mit der Graugußgranate einsetzende lebhafte Roheisenbedarf ließ im vierten Quartal 1914 den Roheisenpreis bereits wieder auf die Höhe hinauf gelangen, die er vor dem Niedergange der Friedenskonjunktur im Jahre 1913 innegehalten hatte (74,50 M). Die Qualitätsroheisensorten, die nicht an die Minette gebunden sind, machten von vornherein die Preisschwankungen des Gießereiroheisens nicht mit; das Hämatitroheisen eilte entsprechend seiner Wichtigkeit für die Granatengießerei und mit Rücksicht auf die Preisentwicklung der in- und ausländischen Qualitätserze sehr bald den übrigen Roheisensorten mit 83 bzw. 93 M weit voraus. Auch die Preisaufschläge für Spiegeleisen hielten sich scharf an die Preisbewegung des Siegerländer Spats und waren demgemäß stärker als beim Gießereiroheisen. Im ganzen genommen entwickelte in der betrachteten Periode der Roheisenverband seine Preise in engem Anschluß an die Erzpreise und blieb damit trotz der zweimaligen Preiserhöhungen im April und Juli 1915 durchaus im Rahmen einer überwiegend technisch orientierten Preiskalkulation. Seit Oktober 1913 stand der Halbzeugpreis (82,50 M) überaus niedrig; er dürfte kaum den Gestehungskosten entsprochen haben. Unter dem Druck, der den gesamten Stahlmarkt gerade in den letzten Monaten vor Kriegsausbruch belastete, zeigte die Stahlindustrie das Streben, den Marktpreis bei der ersten sich bietenden Gelegenheit wieder über das Tiefstandsniveau hinauszuheben. Jedoch nur bei den scharf syndizierten Produkten gelang es ihr, diese Absicht zu verwirklichen. So wurde der Halbzeugpreis bereits Ende August 1914 um etwa 5% gegenüber der letzten Friedensbemessung erhöht. Allerdings war es dem Stahlwerksverband nicht möglich, ihn bei der geringen Nachfrage in dieser Höhe zu halten, so daß er Mitte September 1914 wieder zurückgesetzt werden mußte und mit 90 M vorläufig unter der Preishöhe des Jahres 1913 zurückblieb. Auf dieser tieferen Stufe ruhte der Halbzeugpreis im vierten Quartal 1914 und im ersten Quartal 1915, bis er im April und Juli 1915 den Erhöhungen der Erzpreise und des Roheisenpreises folgte. Träger und Formeisen wiesen unter dem ausgleichenden Einfluß der Preispolitik des Stahlwerksverbandes bis Ende 1915 durchaus gemäßigte Preisverhältnisse auf. Nachdem beide Produkte bis Anfang 1915 auf dem Ende 1913 erreichten Preisstand von 110 M verharrt waren, folgten sie den Halbzeugpreisen in zwei Stufen bis Mitte 1915 nach und blieben dort (130 M) bis zum Ende des dritten Kriegssemesters stehen. Der Schienenpreis stand unter der Wirkung langfristiger Lieferungsverträge zwischen dem Stahlwerksverband und den Staatsbahnverwaltungen. Er hielt sich von Anfang 1913 bis Ende 1914 unverändert auf 118 M. Für das Jahr 1915 wurde sogar ein verminderter Vertragspreis vereinbart, der kurz vor Kriegsbeginn zustande kam, als beide vertragschließenden Parteien die gewaltigen wirtschaftlichen Veränderun-

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gen der nächsten Zeit noch nicht voraussehen konnten. Der feste Vertragspreis sollte für drei Jahre, also bis Ende 1917, Geltung besitzen. Die Preisentwicklung der B-Produkte 28 wird durch eine große Unregelmäßigkeit in der Höhe der Preisveränderungen wie auch in den zeitlichen Abständen, in denen diese aufeinander folgten, gekennzeichnet. Ganz offenkundig fehlte diesen Produkten der Kartellschutz gegen die zahlreichen und plötzlichen Schwankungen der Marktlage, die das erste Kriegsjahr mit sich brachte; die großen latenten Vorräte wurden außerdem in den Händen eines skrupellosen Schiebertums eine Gefahr für jede gesicherte Preisentwicklung. Von allgemeinerem Interesse ist bei aller Ungeregeltheit der Preisbemessung der B-Produkte nur die wiederholt zu machende Feststellung, daß die Preise am Ende des Jahres 1915 plötzlich wieder abfielen, nachdem sie zuerst im Herbst und Winter 1914 lebhaft gestiegen waren und dann in den Sommermonaten 1915 einen Stillstand erfahren hatten. Bandeisen wies sogar in den beiden ersten Quartalen 1915 eine geradezu stürmische Preisbewegung auf (von 125 bis 170 M), blieb aber dann bis zum Ende des Jahres auf dieser Höhe stehen, während Stabeisen und auch Grobblech im letzten Quartal 1915 erheblich billiger zu stehen kam als vorher. Dieser Vorgang hängt einmal mit einem vorübergehenden Nachlassen des Heeresbedarfs zusammen, andrerseits läßt er darauf schließen, daß trotz des gewaltigen Produktionsrückganges der Markt immer noch mit B-Produkten aller Art reichlich versehen war. Der in dieser Zeit notierte Granatstahlpreis hat nur nominelle Bedeutung, da dieses Material nur erst von etwa sieben Werken hergestellt und sofort weiterverarbeitet wurde und deshalb im Markte kaum gehandelt wurde. Der Preis für Alt- und Abfalleisen (Schrott) behielt auch während des ersten Kriegsjahres die fallende Tendenz bei, die er bereits seit 1912 hatte. Nur im Januar und Februar 1915 war eine Preissteigerung zu bemerken, die vorwiegend spekulativer Natur war und durch rechtzeitiges Eingreifen der Behörden sehr schnell ausgeglichen werden konnte. Die Entwicklung des Eisenpreises trug bis Ende 1915 im allgemeinen noch friedensmäßigen Charakter. Die Preiserhöhungen vollzogen sich ruhig und fast immer gemäßigt, die Kriegskonjunktur wurde nicht stärker ausgenutzt als je eine Konjunkturverbesserung zu Friedenszeiten. Dieses Bild änderte sich jedoch ganz plötzlich in den Wintermonaten 1915/16. Der Kriegsbedarf trat mit Rücksicht auf die Vorbereitungen der Obersten Heeresleitung für das Frühjahr 1916 mit größerer Heftigkeit auf. Wenn auch noch lange nicht entfernt das Ausmaß dessen erreicht wurde, was eine geschickt geleitete Wirtschaftspolitik hätte aus der Industrie herausholen können, so war doch gerade wegen der Vernachlässigung produktiver Unterstützungsmaßnahmen die Anpassung der Produktion an den Bedarf mit Hemmungen verbunden.

28 Siehe Preistabelle im Anhang.



A Zeitliche Übersicht über die Preisentwicklung 

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Angebot und Nachfrage traten in ein wachsendes Mißverhältnis zueinander: die Preise schnellten ruckartig in die Höhe. Die nicht syndizierten B-Produkte gingen voran. Vom vierten Quartal 1915 an gaben hier die Preise um so hemmungsloser nach, als weder eine private Organisation noch irgendeine Behörde über die Preisentwicklung wachte, sondern der freie Wettbewerb der Käufer den Markt beherrschte. Nur für Grobblech (Ende 1915) und Stabeisen kamen während dieser Zeit Preiskonventionen zustande. Mit einer verhältnismäßig geringen Preisstufe von 5 M folgte der Stahlwerksverband dieser allgemeinen Aufwärtsbewegung der Eisenpreise nach. Bei dieser Gelegenheit schwenkte also die Industrie vom „technischen“ Prinzip der Preisbestimmung wieder zum „wirtschaftlichen“ zurück: der Einfluß der Marktlage und des geschäftsmännischen Sinnes erhielt wieder merkliche Bedeutung für die Preisbildung. Gleichzeitig gelangte eine bemerkenswerte Veränderung in der Berechnungsweise für die Halbzeugarten zur Durchführung. Waren bisher seit langer Zeit die vorgewalzten Blöcke um 5 M, die Knüppel um 7,50 M und die Platinen um 10 M höher berechnet worden als die Rohblöcke, so veränderte der Stahlwerksverband vom 1. Januar 1916 ab diese Preisrelationen auf 5 M für vorgewalzte Blöcke, 10 M für Knüppel und 15 M für Platinen. Hierdurch wurden also die Preisbasen für die am lebhaftesten sich verteuernden Produkte, wie Bleche und Draht, relativ stärker gehoben als früher. Der Halbzeugpreis zog auch den Roheisenpreis mit sich in die Höhe. Die Hochofenwerke waren ohnehin mit Rücksicht auf ihre unmittelbare Abhängigkeit von den dauernden Veränderungen der Möllerungen gemäß den einzuhaltenden Sparmaßnahmen (Schwedenerz, Manganerz und dergleichen) bereits ungünstiger gestellt als die Stahlwerke; eine ganze Reihe reiner Hochofenwerke arbeitete stets unter wenig günstigen Betriebsverhältnissen, teilweise hart an der Rentabilitätsgrenze. Ein Festhalten der seit dreiviertel Jahren unveränderten Roheisenpreise hätte unter solchen Umständen lediglich eine Erhöhung der Gewinnmöglichkeiten der Stahlwerke bedeutet. Es war deshalb verständlich, daß die Hochofenwerke verlangten, an der Verbesserung des Stahlpreises teilnehmen zu können. So setzte im März 1916 auch der Roheisenverband die Roheisenpreise im Einverständnis mit der Kriegs-RohstoffAbteilung auf der ganzen Linie um 5 M im Durchschnitt in die Höhe. Er konnte sich hierbei auch auf die Steigerung des Koks- und Erzpreises während des zurückliegenden Zeitraumes berufen. Das Kohlensyndikat war im September 1915 zu einer Preiserhöhung geschritten; die in- und ausländischen Erze aber waren (mit Ausnahme der Minette) in stetigem Steigen begriffen, dessen Ende nicht abzusehen war. Schon kurz nach dieser ersten, noch mäßigen Bewegung der Eisenpreise durch die Kriegskonjunktur traf eine heftigere Erschütterung des Halbzeugpreises den Eisenmarkt. Solange der Stahlwerksverband auf Anregung der Kriegs-Rohstoff-Abteilung an seinen Januarpreisen festzuhalten entschlossen war, fanden immer mehr Werke den Ausweg, Sonderaufpreise zu fordern. Auf diese Weise standen die für die ausgeführten Lieferungen bezahlten Preise durchwegs wesentlich höher, als die

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Notierungen des Stahlwerksverbandes vermuten ließen. Zwischen Marktpreis und Verbandspreis entstand praktisch eine erhebliche Spannung, gegen die auf Grund des Verbandsvertrags nicht wirksam eingeschritten werden konnte, während die Militärbehörden in dem gegebenen Zeitpunkte noch nicht auf preispolitische Maßnahmen beim Eisen eingerichtet waren, die zuständigen Zivilbehörden aber nicht eingriffen. Um die Stahlpreise bei dieser Lage der Dinge wieder einigermaßen in die Hand zu bekommen, schritt der Stahlwerksverband im Mai 1916 zu einer nochmaligen Erhöhung der offiziellen Preise, durch welche diese den tatsächlich auf dem Markt bezahlten Preisen angeglichen wurden. Der Stahlwerksverband hatte so einer Entwicklung nachgeben müssen, die stärker war als der Verbandsvertrag und die mit voller Klarheit die neue Entwicklungstendenz der Kriegswirtschaft (nicht nur bei Eisen) widerspiegelte. Die Halbzeugverteuerung vom Mai 1916 beruhte nur zum geringen Teil auf einer entsprechenden Erhöhung der Selbstkosten, sondern war vorwiegend wirtschaftlicher Natur: der „Markt“ machte seine Rechte, die seit Kriegsbeginn geruht hatten, mit allem Nachdruck wieder geltend. Mit Rücksicht auf die Kriegsfinanzen war dies zu bedauern. Waren bis zu diesem Zeitpunkte die alten Wertrelationen zwischen den einzelnen Produkten noch immer einigermaßen gewahrt geblieben, so ging mit dieser Verteuerung der Halbzeugpreis nicht unbeträchtlich über das Ausmaß der sonstigen Preissteigerungen hinaus. In den Wertbeziehungen entstand eine starke Spannung, die für die weitere Entwicklung der Eisenpreise von ausschlaggebender Bedeutung werden sollte, da sie ein äußerst verhängnisvolles Pendeln der Preise auslöste. Äußerlich zwar fand mit dieser Neubewertung des Halbzeugs die ganze Preissteigerung ihren vorläufigen Abschluß, eine zweite Stufe in der Eisenpreisentwicklung war erreicht. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung verpflichtete alle Verbände, Kartelle usw., von weiteren Preiserhöhungen zunächst abzusehen, und erreichte in der Tat, daß im zweiten Halbjahre 1916 fast auf der ganzen Linie der kartellierten Produkte eine gewisse Ruhe eintrat. Nur die Qualitätsroheisensorten (Hämatit und Spiegeleisen) mußten in der Preishöhe der sinkenden Valuta mit ihrer Verteuerung der Schwedenerze und der Preisentwicklung der heimischen Qualitätserze angepaßt werden. Die Preise der freien B-Produkte aber erfuhren weiterhin ganz erhebliche Preissteigerungen, deren Ausmaß infolge des Fehlens einer einheitlichen Organisation nicht einwandfrei festgestellt werden kann. Auch die in der Tabelle gegebenen Zahlen bedeuten nur einen ungefähren Anhalt; sie sind im allgemeinen im freien Markt ganz wesentlich überschritten worden. Interessante Veränderungen zeigte auf dieser Stufe der Eisenpreise der Preis für Schrott. Er begann erstmalig in den Anfangsmonaten des Jahres 1916 heftig anzusteigen, wurde aber durch das Eingreifen der Schutzverwaltung in Metz vorübergehend wieder beruhigt.29 Der September 1916 (Hindenburg-Programm) aber leitete von

29 Siehe S. 27.



A Zeitliche Übersicht über die Preisentwicklung 

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neuem eine Periode allerschärfster Preistreiberei ein, die fast zu einer Verdopplung des Schrottpreises geführt hätte. Dem scharfen Zugriff der Kriegs-Rohstoff-Abteilung war es zu verdanken, daß, gestützt auf eine umfassende Organisation des Schrottmarktes, der Preis für dieses wichtige Rohprodukt wieder eingefangen und von da ab bis Kriegsende auf einem wesentlich niedrigeren Stande festgehalten werden konnte. Mit dem Jahreswechsel 1916/17 begann dann wiederum eine erneute allgemeine Preissteigerung. Das einfache Festhalten der Kartellpreise aus der zuletzt zufällig erreichten Höhe ohne Rücksicht auf die nicht unbeträchtlichen Spannungen in den Preisrelationen voneinander abhängiger Produkte, ohne Rücksicht auch auf die durchgreifende Veränderung der Wirtschaftslage, war auf die Dauer undurchführbar. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung mußte vielmehr versuchen, in irgendeiner Weise hier einen Ausgleich herbeizuführen. Der Heeresbedarf hatte in der Zwischenzeit durch die Aufstellung des Hindenburg-Programms gewaltig an Ausdehnung und Intensität zugenommen. Gleichzeitig aber hatten schwere Störungen die Produktion getroffen; das groß angelegte Produktionsprogramm war an der Ungunst der Witterung gescheitert. Die umfangreichen Vorbereitungen zu seiner Durchführung erwiesen sich größtenteils als nutzlos vertan, zudem brachte das Hilfsdienstgesetz mit allen seinen Folgeerscheinungen große Beunruhigungen in die Löhne. Auch machte sich bei den Rohstoffen eine beträchtliche Verteuerung bemerkbar. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung hatte nämlich bei der von ihr durchgeführten Ausgleichung zwischen den langfristigen Vertragspreisen und den Tagespreisen beim Spateisenstein wie beim Roteisenerz im Juli und Oktober 1916 eine sehr erhebliche Erhöhung der Vertragspreise für diese beiden wichtigen Rohprodukte zulassen müssen, um eine uferlose Steigerung der im freien Handel gültigen Preise abzustellen. Sprunghaft ging gleichzeitig der Preis für die ausländischen Erze als Folgeerscheinung der weiterhin sinkenden Valuta und der beträchtlich erhöhten Fracht- und Versicherungskosten in die Höhe. Die Betriebsstoffe, insbesondere Schmieröl, waren vor dem Wirksamwerden der rumänischen Gewinne nur zu wesentlich erhöhten Preisen zu erhalten. Wie im Vorjahre, so wurde infolgedessen auch jetzt wieder eine neue Preisstufe erklommen. War im Winter 1915/16 die Verteuerung des Eisens noch in ziemlich ungeregelten und ungeklärten Bahnen verlaufen, so stand diesmal die Preiserhöhung unter der Kontrolle der Kriegs-Rohstoff-Abteilung, die den Deutschen Stahlbund zur Herausgabe einer Preisliste veranlaßte, deren Angaben als „Richtpreise“ allgemeine Geltung besitzen sollten. Eine erhebliche Heraufsetzung der Preise, besonders desjenigen für Roheisen, war damit verbunden; seit Mai 1916 war dieser hinter dem Halbzeugpreis weit zurückgeblieben und nachweislich der Selbstkostengrenze sehr nahegekommen. Während der Roheisenpreis nunmehr diesen Preisvorsprung des Halbzeugs mehr als wett machte, blieb der Halbzeugpreis zunächst auf der Höhe des Juli 1916 stehen, mit dem Erfolg, daß er jetzt den anderen Preisen gegenüber benachteiligt erschien. Dies verschärfte sich noch ungemein, als der Roheisenverband schon im April das Luxemburger Gießereieisen und Hämatit, ferner im Mai die Roheisen-

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preise auf der ganzen Linie weiter erhöhen mußte. Hierbei kam mit Rücksicht auf die vollkommene Verwirrung der Produktionslage gerade auch auf den Hochofenwerken im Winter 1916/17 der Einfluß der wirtschaftlichen Selbstkostenanteile30 sehr scharf zum Ausdruck. Diese waren für die Werke völlig undurchsichtig geworden und ließen schwere Verluste als wahrscheinliche Folge der Wirtschaftslage befürchten. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung konnte mangels besserer Einsicht in die Verhältnisse dieser Entwicklung nur sehr wenig entgegenarbeiten. Ihr Bestreben blieb darauf gerichtet, wenigstens die weitere Preissteigerung in der Zukunft aufzuhalten, indem sie „Höchstpreise“ für Eisen und Stahl anordnete. Dies geschah am 1. Juli 1917, nicht ohne eine nochmalige Erhöhung der Preise für A- und B-Produkte. Die Roheisensorten folgten im August 1917 nach und kamen erst im September zur Ruhe, da mit einer dreimaligen Erhöhung der Kokspreise (Januar, Mai, September 1917) und einer annähernden Verdreifachung des Schwedenerzpreises, nicht zuletzt aber auch infolge der fast unübersehbaren Wirkung der Einschränkung des Koksverbrauches und der Roheisenproduktion mit Rücksicht auf die Hausbrandversorgung (August 1917) die Selbstkosten der Werke lebhaft in die Höhe gingen. Der ganzen Eisenindustrie mußte zudem die Abwälzung der Kohlensteuer in einem Ausmaß von 8 M pro Tonne beim Roheisen und 10 M pro Tonne beim Stahl und den Walzwerksprodukten zugestanden werden, wie dies in dem Gesetz über die Kohlensteuer vorgesehen war. Die Preiserhöhungen im August 1917 sind hierauf zurückzuführen. Mit den Höchstpreisen kamen für den Rest des Krieges die Eisenpreise zur Ruhe. Gestützt auf eine wirksame Organisation, widerstand die Kriegs-Rohstoff-Abteilung erfolgreich jedem weiteren Versuch, das Eisen weiter zu verteuern. Für den Rest des Krieges — 18 Monate lang — wurde die Höchstpreisstufe nicht mehr verlassen. Durch die Höchstpreise waren jedoch die inneren Spannungen immer noch nicht völlig beseitigt worden, und je länger der Krieg dauerte, um so unabweisbarer wurde die Notwendigkeit, irgendwann einmal doch von einer gänzlich ablehnenden Haltung gegen Preisveränderungen abzugehen. Der Roheisenverband konnte schließlich bei der Kriegs-Rohstoff-Abteilung durchsetzen, daß der Roheisenpreis im September 1918 nochmals erhöht wurde, nachdem er fast ein Jahr lang hinter dem Stahlpreis zurückgehalten worden war. Diese letzte Preiserhöhung wurde wie die für Stahl vom Oktober 1918 jedoch für die Kriegswirtschaft kaum mehr wirksam, da mit dem Abschluß des Waffenstillstandes die Kriegseisenwirtschaft in praktisches Ende fand. Im März 1917 hatte sich auch die Staatsbahnverwaltung dazu verstehen müssen, den 1914 abgeschlossenen Lieferungsvertrag31 auf Schienen den völlig veränderten Verhältnissen weiterhin anzupassen, um von den Werken eine ausreichende Belieferung zu erwirken. Selbst der erhöhte Preis blieb noch weit hinter der auf dem Markte gültigen Bewertung von Schienenmaterial zurück, das allerdings quantitativ nur eine

30 Siehe auch S. 164. 31 Siehe S. 153.



A Zeitliche Übersicht über die Preisentwicklung 

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untergeordnete Rolle spielte. Es gewann erst erhöhte Bedeutung, als im Frühjahr 1918 mit der scharfen Konzentration der gesamten Produktion auf Kriegsmaterial allein auch das wieder brauchbar gemachte Altschienenmaterial — das außerhalb des Staatsbahnvertrages stand — in größerem Umfange von den Staatseisenbahnverwaltungen zur Bedarfsdeckung herangezogen werden mußte. Eine Höchstpreisfestsetzung vom April 1918 schloß auch hierfür die Preisbewegung ab. Die Preisentwicklung von 1913—1919 stellt sich nach dieser allgemeinen Übersicht deutlich gegliedert dar: Es lassen sich vier Stufen unterscheiden. Von ihnen ist die erste die Stufe die der ausgesprochenen Baissekonjunktur vor Kriegsbeginn, die erheblich unter dem Stande des „angemessenen Preises“ lag. Die zweite Stufe der Eisenpreise ist ohne scharfe Grenze zwei Perioden lebhafter Preissteigerungen zwischengelagert, von denen die erste die Wintermonate 1914/15, die zweite die ersten Monate des Jahres 1916 umfaßt. Die erwachende Kriegskonjunktur (1915) und die verstärkten Rüstungen (1916) waren die jeweilige Veranlassung. Auf der dritten Stufe wurden im Sommer und Herbst 1916 durch den Eingriff der Kriegs-Rohstoff-Abteilung die Eisenpreise wenigstens für die syndizierten und kartellierten Produkte festgehalten. Nach einer nochmaligen heftigen Aufwärtsbewegung aus Anlaß des Hindenburg-Programms kamen dann die Eisenpreise auf der vierten Stufe (der Höchstpreisstufe) von Mitte 1917 ab zur Ruhe. Die Preiserhöhungen vom September und Oktober 1918 sind lediglich als Ausgleichsregelungen zu betrachten; sie leiteten zu der ganz unvorhergesehenen Entwicklung des Eisenpreises nach der Aufhebung der Höchstpreise im Jahre 1919 über, an der gleicherweise die Entwicklung der Produktionslage, die Verteuerung der Rohstoffe, die Erhöhung der Löhne und die allgemeine Geldentwertung Anteil hatten. Über die Höhe der Preisstufen gibt die Tabelle auf S. 160 Aufschluß, bei der die Friedenspreisverhältnisse, d. h. der Mittelpreis der Jahre 1912/13 als Vergleichungsbasis genommen wurden. Hiernach ergibt sich, daß die nicht syndizierten B-Produkte einmal auf die Baisse von 1914 viel stärker reagierten als die Syndikatprodukte, das andere Mal auch innerhalb der Kriegszeit die größeren Preiserhöhungen durchmachten. Sie stellten sich am Kriegsende auf das etwa 2¼- bis 2½fache des Friedenspreises. Stabeisen blieb, nachdem es auf der dritten Stufe — also vor dem Eingreifen der Kriegs-Rohstoff-Abteilung — den syndizierten Produkten weit vorausgeeilt war, auf der Höchstpreisstufe in enger Anlehnung an die Preise von Halbzeug und Roheisen, die sich nach der Höchstpreisfestsetzung gegenüber dem Frieden ungefähr verdoppelt haben. Bedenkt man, daß der Binnenwert der Mark in den gleichen Zeiträumen auf etwas unter die Hälfte des Friedenswertes herabgesunken ist, so zeigt sich, daß das Eisen auf dem deutschen Inlandsmarkt während des Krieges im allgemeinen kaum überzahlt worden ist. Allerdings darf auch nicht verkannt werden, daß nach der Seite der Verfeinerung hin, die Preise der Geldentwertung teilweise erheblich vorausgeeilt sind. Auch gaben die Gewinne bei der Ausfuhr und die Gewährung des erhöhten Preises für Granatstahl

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 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

(siehe unten) der Industrie die Möglichkeit, einen Ausgleich für etwaige Nachteile der von den Behörden durchgehaltenen Preispolitik zu finden. Relative Preissteigerungen im Kriege Stufe

Minette Schwedenerz

Vergleichungs- 4,40 M basis je t 1912—1913 = 100%

1. 2. 3. 4.

Stufe (1914) Stufe (1915) Stufe (1916) Stufe (Höchstpreise) (Okt. 1918)

91% 108% 108% 131%

GießereiHalbzeug roheisen

25,— M 61,45 M je t je t = 100% = 100% phosphorarm reich 114% 144% 183% 425%

154% 435%

105% 115% 192% 262%

89,40 M je t = 100%

Stabeisen Grobblech Feinblech 112,—M je t = 100%

120,— M je t = 100%

136,50 M je = 100%

94% 122% 125% 177%

92% 115% 143% 199%

77% 127% 173% 200%

79% 125% 162% 200%

88% 132% 231% 238%

212%

216%

209%

229%

245%

Die Hauptperioden der behördlichen Preispolitik Gegenüber den vier Stufen der Preisentwicklung lassen sich in ebenfalls deutlicher Begrenzung mehrere Perioden der behördlichen Preispolitik feststellen. Die erste dieser Perioden reichte bis zum Mai 1915; während dieser Zeit entwickelte sich der Eisenpreis völlig frei, ohne irgendeiner Kontrolle von behördlicher Seite aus zu unterliegen. In diesem Abschnitt fand die Umstellung der Industrie auf die Kriegsbedürfnisse statt, wobei die Heeresverwaltung mit hohen Preisen für die Fertigfabrikate das Angebot zu beleben trachtete. An die Rohstoffe kam man nur selten heran, die Beschaffung und — was hier in erster Linie interessiert — die Bezahlung der Rohstoffe was fast ausschließlich Sache der Militärlieferanten. Schon damals kamen bei diesem Verfahren recht erhebliche Preise für die Rohprodukte zustande. Es war grundsätzlich unrichtig, die Produktion allein durch die Preisgestellung anregen zu wollen. Die stärkere Wirkung wäre erzielt worden, wenn man von vornherein die Produktionsgrundlagen selbst tragfähig ausgebaut und die technischen Möglichkeiten für die Steigerung der Produktion geschaffen hätte. An diese erste Periode völlig freier Preisentwicklung schloß sich eine zweite an, die bis zur Gründung der Eisensektion der Kriegs-Rohstoff-Abteilung währte. Es war dies die Zeit, in der die Kriegs-Rohstoff-Abteilung durch die Metallsektion eine systematische Kontrolle über den Roheisenpreis ausübte. Die alleinige Berücksichtigung des Roheisens ergab sich aus der damaligen Auffassung von der Aufgabe der Kriegs-



A Zeitliche Übersicht über die Preisentwicklung 

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Rohstoff-Abteilung, welche die Halb- und Fertigfabrikate ausdrücklich nicht in den Kreis der Kriegsrohstoffe einbezog. Die Feldzeugmeisterei, die hierfür eher zuständig gewesen wäre, arbeitete aber nach dem im Frieden ausgearbeiteten System der Bedarfssicherung durch Lieferungsverträge auf Fertigfabrikate, so daß die Bedeutung einer Kontrolle der Halbfabrikatbeschaffung — auch hinsichtlich der Preise — nicht recht in die Erscheinung trat. Während dieser Periode wurden die beiden geringfügigen Preiserhöhungen für Roheisen zugelassen, nachdem der Roheisenverband eine entsprechende Erhöhung der Selbstkosten nachgewiesen hatte. Außerdem fand in dieser Periode (Dezember 1915) jene bereits erwähnte Regelung statt, bei der auf Vorschlag der Schutzverwaltung in Metz durch Abschnürung des Schwedenerzverbrauches ein als wesentlich erkanntes preistreibendes Element ausgeschaltet werden sollte, in der Wirkung aber ganz andere Ergebnisse für die Kriegseisenwirtschaft erzielt wurden (siehe S. 37 u. ff.). Als Anfang 1916 die Preise für Halb- und Fertigfabrikate sprungweise in die Höhe gingen, fand die Kriegs-Rohstoff-Abteilung Veranlassung zum Einschreiten. Dies leitete eine nur kurze und leider erfolglose dritte Periode (Mai—Juli 1916) ein, während welcher in der Kriegs-Rohstoff-Abteilung der Versuch gemacht wurde, auf Grund systematischer Verwertung einzelner Selbstkostenangaben zu einer Bindung der Preise zu gelangen. Diese Untersuchungen mußten vorzeitig eingestellt werden. Es war gerade gelungen, für die wichtigsten Erze eine Preisnormalisierung vorzunehmen und die Verbände der Eisenindustrie auf die Anmeldung geplanter Preiserhöhungen und Unterwerfung unter die Entscheidung der Kriegs-Rohstoff-Abteilung zu verpflichten, als das Somme-Programm aufgestellt wurde (siehe S. 51 u. 53). Dieses warf mit seiner überstürzten Dringlichkeit jede geregelte Preispolitik über den Haufen. Das Prinzip der Materialbeschaffung um jeden Preis erwies sich kräftiger als der Versuch der Eisensektion, in der allgemeinen Verwirrung mit preispolitischen Maßnahmen durchzudringen. Die Mengenfrage schob sich mit solchem Nachdruck in den Vordergrund, daß die Preisfrage dagegen notgedrungen zurücktreten mußte. Infolgedessen ruhte während einer anschließenden vierten Periode, die sich über die Monate August bis Anfang November 1916 erstreckte, die Beschäftigung mit den Eisenpreisen in der Kriegs-Rohstoff-Abteilung mehr oder weniger ganz. Die Kartellpreise waren gebunden, die anderen aber entwickelten sich frei weiter. Es kam das Hindenburg-Programm, welches die Veranlassung zu einer Neuorganisation in der Kriegs-Rohstoff-Abteilung wurde. Gleichzeitig mußte, wie erwähnt, am 1. Oktober ein Personalwechsel in der Leitung der Eisensektion stattfinden, durch den eine neue Verzögerung in der Aufnahme wirksamer preispolitischer Maßnahmen eintrat. Mit allem Nachdruck war die große Aufgabe zu erfüllen, das endlich in letzter Stunde aufgestellte Produktionsprogramm durchzuführen und hierzu zunächst eine voll leistungsfähige Organisation aufzubauen. So vergingen auch im letzten Quartal 1916 wiederum sechs Wochen ohne Nutzen für die Preispolitik. Erst im November und Dezember 1916 ging man nunmehr energisch an die Lösung des Problems heran, die Preise für Eisen umfassend festzulegen und nach Möglich-

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 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

keit auf eine angemessene Höhe zurückzuführen. In der hiermit einsetzenden fünften Periode sah man sich gezwungen, das im Juni verfolgte Prinzip für die Preispolitik zu verlassen. Es galt nunmehr wegen der vorgeschrittenen Zeit möglichst schnell zu handeln, wenn nicht überhaupt jeder Erfolg für die Maßnahmen verlorengehen sollte. Das Allerdringendste war, die Preise der wichtigeren Produkte überhaupt erst einmal festzustellen, um so die materielle Unterlage für eine sachgemäße Preispolitik in die Hand zu bekommen. Mit Hilfe des neugegründeten Deutschen Stahlbundes gelang es, bis zum 15. Januar 1917 für 35 Produkte und unter Berücksichtigung zahlreicher Qualitäts-, Dimensions- und Handelsbedingungen Preisnormen zu finden. Die hierdurch proklamierten „Richtpreise“ waren zunächst eine offizielle Anerkennung der damals üblichen Marktpreise. Es war von vornherein nicht anders zu erwarten, als daß den „Richtpreisen“ nur bis zu einem gewissen Grade bindende Kraft innewohnen konnte. Je schärfer sich die Deckungsschwierigkeiten für den Heeresbedarf im Frühjahr 1917 zuspitzten, um so mehr entwickelte sich die Notwendigkeit, diesen Richtpreisen auf gesetzlichem Wege Zwangsgeltung zu verschaffen. Hiermit trat die Entwicklung der Eisenpreispolitik in die sechste Kriegsperiode ein, die vom 1. Juli 1917 bis 31. Dezember 1919 reichte. Mit einiger Verzögerung wurde die Höchstpreisverordnung vom 1. Juli 1917 auf Grund des Belagerungszustandsgesetzes erlassen, die endgültig mit wenigen Ausnahmen die weitere Preissteigerung für Eisen und Stahl abschnitt. Wahrscheinlich wäre für die Eisenpreisentwicklung im Kriege eine im Frühjahr 1916 durchgesetzte ähnliche Regelung erheblich wertvoller gewesen. Hauptsächlich die nicht syndizierten B-Produkte wären in der Preisentwicklung auf Bahnen gezwungen worden, die, wenn vielleicht auch nicht die theoretisch besten, so doch immerhin dem gänzlich systemlosen Zustande vorzuziehen gewesen wären. Die wissenschaftliche Durchdringung des Preisproblems gestaltete sich im Verlauf der beiden letzten Kriegsjahre zunehmend schwieriger. Die technischen Preiselemente, die bis zur Aufnahme des Hindenburg-Programms die Preisbildung wesentlich beeinflußt hatten, traten immer weiter hinter die wirtschaftlichen Preiselemente zurück. Das tage- und wochenlage Stilliegen von Werken, sei es infolge der Transportschwierigkeiten, der mangelnden Erz- und Schrottversorgung, wegen Fehlens der Arbeitskräfte oder infolge der Kohleneinschränkung vom Herbst 1917, dazu die allgemeine Geldentwertung untergrub alle Stützen der industriellen Selbstkostenberechnung. Dagegen trat die Verteuerung der Rohstoffe, die Steigerung der Löhne, kurz alles das, was als eindeutig bestimmbarer technischer Kostenanteil bezeichnet werden kann, ganz in den Hintergrund. Ein Überblick war um so schwerer zu gewinnen, als alle diese Schwierigkeiten die einzelnen Werke höchst unterschiedlich trafen. Es bestand zwischen benachbarten Werken oft keinerlei Vergleichungsmöglichkeit, und ein mittlerer Preis, der das eine schwerer getroffene Werk noch mit Verlusten arbeiten ließ, schuf dem anderen, in den Rohstoffen und Arbeiterverhältnissen günstiger gestellten Unternehmen gänzlich unberechenbare Gewinne. Die Unübersichtlichkeit wurde so groß, daß selbst die Werksdirektionen — mit Ausnahme einer



B Elemente der Preisbewegung 

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kleinen Minderheit, die ganz offenkundig die Tatsachen verspiegelte — nicht mehr klar zu sehen vermochten. Es ergab sich daraus die höchst eigentümliche Erscheinung, daß fortgesetzt Klagen über die unzulänglichen Höchstpreise laut wurden, während die späteren Bilanzausweise außerordentlich hohe Gewinne enthielten. Eine Norm für alle diese Erscheinungen war aber nicht zu finden. Bei den meist nicht kartellierten Fertigfabrikaten machte es sich ganz offenbar nachteilig geltend, daß eine behördliche Kontrolle der Preise erst so überaus spät einsetzte. So kam es, daß besonders das unmittelbare Heeresmaterial bei den bereits geschilderten Beschaffungsgrundsätzen im allgemeinen zu teuer eingekauft wurde. Der ungeheure Druck, der auf dem Heeresbeschaffungswesen lag, führte immer wieder zu erhöhten Preisangeboten, durch die der praktisch sehr wirksame, aber für die Kriegsfinanzen äußerst belastende Versuch gemacht wurde, die Produktion auf die Seite des jeweils als besonders wichtig angesehenen Bedarfs hinüberzuziehen. Nachdem dieses System mehr als zwei Jahre hindurch wirksam gewesen war, gelang es nach Einsetzen der Preispolitik der Kriegs-Rohstoff-Abteilung nicht mehr, hier grundlegend Wandel zu schaffen.

B Elemente der Preisbewegung Preis und Selbstkosten Wenn in eine Kritik der Gründe für die Preisbewegungen eingetreten werden soll, so steht naturgemäß eine Untersuchung über die Selbstkosten und ihren Einfluß auf die Eisenpreise an der Spitze. Gerade über diesen Punkt waren die Meinungen oft genug sehr geteilt und es standen sich bei Kriegsende mit aller Schroffheit zwei Gruppen gegenüber, von denen die eine die von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung verfolgte Politik billigte, während die andere diese Politik als schwächlich bezeichnete und der Eisenindustrie vorwarf, das deutsche Volk während des Krieges bewuchert zu haben. Es ist naturgemäß schwer, in dieser Sache ein endgültiges Urteil zu fällen, besonders auch darum, weil die Voraussetzungen für eine eindeutige Entscheidung nur äußerst schwer klargelegt werden können. Die letztere Gruppe erhob besonders den Vorwurf, daß die Behörden es verabsäumt hätten, die Selbstkosten der Eisenindustrie genügend zu prüfen, und daß infolgedessen das Eisen im Kriege ganz erheblich überzahlt worden sei. Es mag deshalb hier an einige in der national-ökonomischen Theorie bekannte Grundsätze erinnert werden, die zur Klärung der Frage, inwieweit grundsätzlich — insbesondere beim Eisen — der angemessene Preis aus den Selbstkosten errechnet werden kann, und des Begriffs „Selbstkosten“ auch an dieser Stelle beitragen können. Die Selbstkosten sind sowohl technisch als auch wirtschaftlich bedingt. Technische Selbstkostenanteile sind die Aufwendungen zur Beschaffung der Rohstoffe und der Betriebsmaterialien, einschließlich der Transportkosten, die Löhne, die Kosten

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der technischen Verfahren (Umwandlungskosten), der Instandhaltung der technischen Anlagen und dergleichen mehr. Die technischen Selbstkosten können zumeist in einfacher Weise berechnet werden und bilden hauptsächlich den Gegenstand der in jedem Werk üblichen Betriebskalkulation. Zu den wirtschaftlichen Selbstkostenanteilen werden dagegen in erster Linie die Generalunkosten gerechnet, die aus der Werksverwaltung, der Betriebs- und Vertriebsorganisation, aus der Amortisation der Anlagen, aus der Ansammlung von Erneuerungsfonds und von Reserven aller Art, aus Abgaben, Steuern und sonstigen allgemeinen Lasten (z. B. Arbeiterfürsorge) usw. entstehen. Wirtschaftlich belasten auch technische Versuche aller Art die Selbstkosten für die laufende Produktion, ebenso die Lizenzen, die für übernommene Patente zu entrichten sind. Gerade die letzteren haben während des Krieges infolge der behördlich verfaßten Umlage dringlicher Produktionen auf möglichst viele Betriebsstellen eine bemerkenswerte Bedeutung erlangt; aus ihnen leiteten sich auf der Gegenseite die verhältnismäßig hohen Sondergewinne her, die den Patentinhabern nebenher zuflossen. Außerordentlich großen Einfluß auf den wirtschaftlichen Selbstkostenanteil hat schließlich der Beschäftigungsgrad der Unternehmungen. Unvollständige Ausnutzung der in Gang gesetzten Betriebe, ganz besonders auch zeitweises Stilliegen aus Rohstoff- oder Arbeitermangel, wegen Fliegergefahr und anderem, ebenso die Unmöglichkeit der Durchführung eingeleiteter Prozesse und die Verhinderung der Ausnutzung der Kapitalinvestitionen in Bauwerken und Betriebsanlagen, die aus Gründen aller Art nicht in Betrieb genommen werden konnten (Hindenburg-Programm), der Einfluß ungelernter Arbeiter an wichtigen Betriebspunkten mit vermehrter Ausschußproduktion, alles dieses bestimmte die Selbstkosten für die laufende Produktion ganz wesentlich mit. Ungewöhnlich stark wurden im Kriege die Selbstkosten auch durch das Valutarisiko belastet. Die Reichsfinanzverwaltung drang auf die Aufnahme langfristiger Kredite, die mit Rücksicht auf die großen Schwedenerzbezüge einen höchst unsicheren Posten in den Werksbilanzen darstellten und nach Kriegsende bei zahlreichen Werken auf ein Mehrfaches des Aktienkapitals aufgelaufen waren. Dieser wirtschaftliche Teil der Selbstkosten entzog sich aber im Gegensatz zu den technisch bedingten Kosten infolge der Verzerrung der Wirtschaftslage durch die Kriegserscheinungen ganz offensichtlich eindeutiger Berechnung. Am allerwenigsten lassen sich unter solchen Umständen für eine ganze Industriegruppe allgemeingültige Normen bestimmen — wie dies bei den technischen Selbstkosten weit eher möglich ist — und es wird bei einer wie auch immer gearteten Annahme von allgemeingültigem Charakter stets eine Reihe von Werken zu günstig, eine andere Zahl von Betrieben zu schlecht gestellt bleiben. Für eine Berechnung der Preise aus den Selbstkostenelementen sind ferner zwei Voraussetzungen unbedingt erforderlich: einmal eine klar durchsichtige Zerlegbarkeit der einzelnen Produktionsvorgänge, andrerseits die Möglichkeit einer scharfen Überwachung von Rohstoffverbrauch, Weiterverarbeitung und Warenabsatz. Auf diesem Gebiete aber unterscheiden sich die reinen Produktionsbetriebe, wie die



B Elemente der Preisbewegung 

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Eisenwerke, die chemische Industrie und andere, von den Fabrikationsbetrieben, wie Maschinenfabriken, Webereien usw. So befremdlich es auch klingen mag: die Selbstkosten eines Automobils sind grundsätzlich sicherer zu ermitteln als diejenigen für eine Tonne Stabeisen. Dort hängt es nur von der Geschicklichkeit ab, den Arbeitsvorgang zweckmäßig zu überwachen und jede Fabrikationseinzelheit zu erfassen — wie es durch die allgemein üblichen Laufzettel, Begleitkarten usw. geschieht —, ob der technische Teil der Selbstkosten ziffernmäßig festgestellt werden kann oder nicht. Bei den Fertigprodukten der Schwerindustrie ist eine solche Zerlegung der Arbeitselemente der Produktionsverfahren mehr oder weniger unmöglich gemacht; beispielsweise ist eine unmittelbare Beziehung zwischen den aufgewendeten Rohstoffen (z. B. den Erzen) auf der einen Seite und der hergestellten Stabeisenmenge auf der anderen Seite schlechterdings nicht herzustellen, wenn das Verfahren in einer Hitze durchgeführt wurde, das Roheisen vom Hochofen über den Mischer zum Stahlwerk gelaufen ist und dann schließlich der Stahl nicht nur zu Stabeisen verschiedener Dimension, sondern auch zu einer ganzen Reihe anderer Walzprodukte verarbeitet worden ist. Die ewigen Kämpfe der einzelnen Werkabteilungen eines gemischten Unternehmens um die angemessene Höhe der Verrechnungspreise legen von diesen Schwierigkeiten ein beredtes Zeugnis ab. Um ein Mehrfaches vergrößern sich diese Schwierigkeiten, wenn es darauf ankommt, die durchschnittlichen Selbstkosten einer ganzen Werksgruppe für irgendein Produkt auf rechnerischem Wege festzulegen. In Fabrikationsbetrieben läßt sich da trotz einer äußerlich größeren Kompliziertheit der Vergleichungsunterlagen eben gerade wieder wegen der größeren Zerlegbarkeit der Fabrikationselemente im allgemeinen doch eine einheitliche Unterlage für die Berechnung der Selbstkosten schaffen. Anders bei dem als Beispiel angeführten Stabeisen. Die Selbstkosten schwanken da zwischen den etwa auf der Qualitätsstufe stehenden reinen Walzwerken (z. B. fassoniertes Formeisen) und den großen gemischten Werken in einer jeder Normalisierung spottenden Weise; obendrein kann Stabeisen von durchaus gleicher Güte praktisch auf ganz verschiedene Weise aus nach Güte und Preis völlig verschiedenen Rohstoffen (z. B. inländische oder ausländische Erze) hergestellt werden. Beide Gesichtspunkte bewirken, daß die Selbstkosten für die Endprodukte der Eisenindustrie unvergleichbar werden. Immerhin wären die Schwierigkeiten zu überwinden, wenn es sich nur um eine beschränkte Zahl von Betrieben handelte, sie bauen sich turmhoch auf, wenn die Zahl der Werke groß ist und das ganze Bild der betreffenden Industrie durch die ihr eigentümliche Struktur unübersichtlich wird. Ganz anders lagen im Kriege übrigens die Verhältnisse dort, wo es sich überhaupt nicht um Erzeugungswirtschaft handelte, sondern gegebene Vorräte von einer zentralen Stelle aus dem Verkehr zugeführt wurden (Vorratswirtschaft z. B. bei den Metallen). Hier konnte man unbeschadet der Sicherheit der Bedarfsdeckung mit dem Monopolpreis sogar hinter den tatsächlichen Selbstkosten der wenigen Produzenten zurückbleiben, also eine mehr oder weniger willkürliche Errechnung des Monopolpreises vornehmen; dann wurde aber als Ergänzung der Preispolitik ein staatliches

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Zuschußwesen für jede einzelne der wenigen Produktionsstellen notwendig, um die Produktion am Leben zu halten. Diese Erwägungen ergeben, daß die Selbstkosten um so weniger einheitlich festgelegt werden können, je größer der Anteil der wirtschaftlichen Elemente im Gesamtbetriebe wird. Bei der Eisenindustrie hat sich dies mit der Dauer des Krieges immer schärfer herausgebildet, so daß die Feststellung der Selbstkosten für Eisen ganz erheblich größere Schwierigkeiten bot, als fast auf irgendeinem anderen Rohstoffgebiet. Des weiteren ergibt sich die andere Frage, ob es bei einem so großen und unübersichtlichen wirtschaftlichen Körper wie der Eisenindustrie möglich gewesen wäre, in einer denkbar kurzen Zeit mit allem Nachdruck die aus solchen unbestimmten Selbstkosten errechneten Preise wirksam durchzusetzen. Man hat ja im Kriege eine ganze Reihe von Höchstpreisen auf diese Weise errechnet, mußte es aber dann doch erleben, daß diese so sorgfältig festgestellten Preise den Unternehmungen Gewinnmöglichkeiten ließen, die nicht in Rechnung gestellt und nicht vorausgesehen worden waren. Fast alle Rohstoffindustrien haben größere Gewinne abgeworfen, als gerade die mit weniger scharf „errechneten“ Preisen arbeitenden Werke der Großeisenindustrie. (Siehe S. 196 usf.) Auch hierzu geben einige allgemeinere Betrachtungen eine gewisse Erklärung. Der Zusammenhang zwischen Preis und Selbstkosten ist — besonders in Zeiten lebhafter Marktbewegung — nicht so eng, wie dies Voraussetzung für eine formelmäßige Preiserrechnung sein müßte. Der Preis für eine Ware kann innerhalb ziemlich weiter Grenzen um die Selbstkosten herum schwanken. Seine Untergrenze ist lediglich bedingt durch die Kosten des Betriebsstillstandes, da der Unternehmer auch in Zeiten ungünstiger Konjunktur weiterarbeiten wird, solange die Verluste durch Weiterarbeit geringer sind als bei völligem Betriebsstillstand. Diese Untergrenze für den Preis wird bei breiter angelegten Unternehmungen leicht dadurch verwischt, daß die Verluste bei einem Produktionszweig durch Gewinn bei anderen gleichzeitig betriebenen Produktionen getragen werden; die „Mischung“ der Betriebe geschieht gerade auch mit Rücksicht auf diese Ausgleichsmöglichkeiten, die für „reine“ Werke nicht bestehen. Andrerseits wird die Obergrenze des Preises durch die Verbraucher beeinflußt; sie besitzt keine unmittelbare Beziehung zu den Selbstkosten32. Der Preis für eine Ware kann vom Lieferer nicht höher gesetzt werden, als der Konsum auf die Dauer anzulegen bereit ist. In normalen Zeiten würde der Lieferer Gefahr laufen, seinen Betrieb wegen Absatzstockung stillsetzen zu müssen, wenn er diese Preisobergrenze nicht beachten wollte. Während des Krieges wurde diese Sachlage aber durch ein besonderes Moment verändert. Der dringliche Kriegsbedarf und die allgemeine Warennot

32 Man beachte z. B. das Preisverhältnis zwischen Drahtstiften und Walzdraht Anfang 1914; trotz der zweifellosen Umwandlungskosten Preisgleichheit zwischen Vorprodukt und Enderzeugnis.



B Elemente der Preisbewegung 

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machte die Nachfrage stürmisch. Teils bot der Käufer freiwillig immer höhere Preise, teils fand er sich notgedrungen damit ab, und wenn, wie regelmäßig im Kriege, seine Kaufkraft durch die unbeschränkten öffentlichen Kredite und die Möglichkeit höherer Eigengewinne gestärkt wurde, so konnte die Preisgestaltung ins unbegrenzte gehen, wenn nicht ein autoritativer Eingriff erfolgte, der eine mehr oder weniger willkürliche Preisobergrenze zog. Diese Aufgabe hatten im Kriege die behördlichen Höchstpreise; sie hatten nur eine bedingte Beziehung zu der Höhe der Selbstkosten, wenn auch die Behörden vielfach bestrebt waren, sie den Selbstkosten anzunähern. Dort, wo die Produktion so ausschließlich auf Höchstleistung eingestellt sein mußte wie in der Kriegseisenwirtschaft, ergab sich aus diesen Erwägungen ferner die Forderung an den Leiter der öffentlichen Wirtschaft, auch auf dem Gebiete der Preise die Produktionspolitik der Konsumentenpolitik vorzuziehen. Er mußte den Verbraucher vor einer hemmungslosen Preisentwicklung schützen, andrerseits aber die Höchstpreisfestsetzung so bemessen, daß auch der ungünstig arbeitende Betrieb noch arbeitsfähig erhalten wurde. Wieweit man hierbei zu gehen hatte, war ganz ausschließlich dadurch bestimmt, wie viele Unternehmungen zur Bedarfsbefriedigung unbedingt herangezogen werden mußten. Ein Sondergewinn der günstiger gestellten Unternehmungen war allerdings bei dieser Politik nicht zu umgehen. Es dürfte nach den oben gemachten Darlegungen theoretisch und praktisch nicht möglich sein, ihn beim Eisen aus dem Wege einer andersgearteten Preisfestsetzung zu beseitigen; lediglich auf dem Wege einer Sonderbesteuerung ist er zu erfassen33. Die Steuer, die nur auf den Ergebnissen einer Produktions- und Handelstätigkeit fußt, läßt der natürlichen Entwicklung der Produktion und der Preise genügend freien Lauf. Nur durch steuertechnische Mittel konnte man wirksam auch durch die verwickelten Verhältnisse der Eisenwirtschaft durchgreifen, während preispolitische Eingriffe nur zu leicht produktions- und absatzhemmende Folgen haben können. Aus diesen Erwägungen schöpfte die Kriegsrohstoffabteilung die Argumente zur Verteidigung ihrer Preispolitik beim Eisen; die Kritik, die an ihr geübt wurde, ist wohl im allgemeinen den vorhandenen Schwierigkeiten und Bedingtheiten nicht genügend gerecht geworden.

Sonderfaktoren bei der Bildung der Kriegspreise für Eisen und Stahl Abgesehen von den oben dargelegten Beweggründen für die Preisentwicklung des Eisens traten während des Krieges eine ganze Reihe preisbildender Faktoren neu auf, die für die Gestaltung des Eisenpreises ausschlaggebend geworden sind. Von allergrößter Bedeutung wurde es, daß mit zunehmender Dauer des Krieges immer

33 Siehe auch Wiedenfeld, Staatliche Preisfestsetzung.

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größere Teilmengen der Produktion für die Deckung des Kriegsbedarfs verwendet wurden, bis schließlich nach dem Hindenburg-Programm fast die gesamte Produktion von einer einzigen Verbrauchergruppe — der Heeres- und Marineverwaltung — in Anspruch genommen wurde, während der geringe, für andere Zwecke verfügbare Rest ebenfalls nur unter Kontrolle der Heeresverwaltung abgesetzt werden konnte. Damit aber wurden während 4½ Jahren die friedensmäßigen „Gesetze der Volkswirtschaft“ durch eine völlig neuartige Dominante ersetzt. Es war der Kriegsbedarf mit seiner hohen Dringlichkeit und „unwirtschaftlichen“ Starrheit. Der Einsatz aller Kraft zur befriedigenden Deckung des Kriegsbedarfs wurde zum Grundsatz der kriegsmäßig umgewandelten Eisenwirtschaft, die in ihrem Wesen nicht erkannt werden kann, wenn man das Vorhandensein dieses Leitmotivs verkennen oder seine ausschlaggebende Bedeutung unterschätzen wollte. Dieser nach Menge und Frist außerordentlich dringliche Kriegsbedarf hat unverkennbar die Preise nach der Höhe verschoben. Bemerkenswerterweise sind die großen Preisstufen regelmäßig in den Wintermonaten, also in der Vorbereitungszeit auf die folgenden Kampfperioden erklommen worden. Hier hätte zweifellos eine sachverständige und zielklare Preispolitik rechtzeitig einsetzen müssen. Richtpreise, ähnlich denen vom Januar 1917, hätten die Konsumtion, insonderheit die Beschaffungsstellen, an die Innehaltung einheitlicher und angemessener Preise binden müssen. Dann allein hätte der Heeresbedarf nicht jene Unausgeglichenheit der syndikatfreien Preise auslösen können, wie sie im Sommer und Herbst 1916 entstand. Außer dem Kriegsbedarf aber kam noch eine ganze Reihe anderer Erscheinungen in Betracht, welche die Preisentwicklung des Eisens entscheidend beeinflußt haben. So machten sich die nachteiligen Veränderungen der gesamten Volkswirtschaft durch den Krieg besonders bei der Preisentwicklung der nichtsyndizierten B-Produkte lebhaft bemerkbar. Da war zunächst das Entstehen eines neuen Händlertums zu beobachten, das, ohne durch irgendwelche Traditionen beschwert zu sein, skrupellos seine Konjunktur ausnutzte. Der Eisenhandel sah plötzlich in seinen Reihen eine Unzahl bis dahin unbekannter „Unternehmer“, die zwar ohne jede Sachkenntnis, aber mit um so rücksichtsloserer Raffgier sich an die Behörden herandrängten und zu Wucherpreisen große Aufträge erschlichen. Diese Verhältnisse wurden noch durch das Zustandekommen eines bald deutlich ausgeprägten und umfangreichen Kettenhandels verschärft. Während der alteingeführte Eisenhandel im allgemeinen sich in seiner Preisbildung eng an die Preispolitik der Industrie anschloß, verließen die mehr auf Schiebungen als auf Handel berechneten Machenschaften des neuen Kriegshändlertums in ihrer Preisgestaltung jede Vergleichungsbasis mit der Eisenindustrie. Unverhältnismäßig hohe Preise für das fertig abgelieferte Heeresgut wurden zur Regel, und der geschickte Zwischenhändler steckte Riesengewinne in die Tasche. Die Beschaffungsstellen gewöhnten sich an diese hohen Preise und damit verschob sich die vom Konsumenten abhängige Obergrenze der Preise nach oben. Hierin lag ohne Zweifel ein besonders in der ersten Kriegshälfte wirksames psychologisches Element von großem Einfluß auf die Tendenz der Preisentwicklung.



B Elemente der Preisbewegung 

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Auch die bereits erwähnte charakteristische Wandlung in der Bewertung des Außenhandels mit Eisen gehört hierher. Hatte im Frieden der Inlandsmarkt zumeist die Kosten für niedrige Auslandpreise tragen müssen, so kehrten sich unter dem Einfluß des gesteigerten Eisenbedarfs der Neutralen im Kriege die Verhältnisse völlig um. Mit ausdrücklicher Billigung und Unterstützung der Reichsbehörden vermochte die Eisenindustrie ihre Produkte zu außerordentlich hohen Preisen im Ausland abzusetzen, so daß Werke wie Händler im Ausfuhrhandel erhebliche Gewinne erzielten. Werke wie Händler waren demzufolge hauptsächlich bei nichtsyndizierten Produkten nur zu leicht der Versuchung ausgesetzt, Eisenprodukte an das Ausland zu liefern und den Inlandmarkt nur dann ausreichender zu versorgen, wenn auch hier die Abnehmer höhere Preise anlegten. Die Preisentwicklung bis zum Jahre 1916 ist ohne Zweifel hierdurch beeinflußt worden; erst infolge des Ausfuhrverzichts der Industrie bzw. der weiteren Ausfuhrpolitik der Kriegs-Rohstoff-Abteilung wurde dieses preistreibende Element beseitigt. Die Bedeutung der Granatstahlpreise für die allgemeine Preisentwicklung wird weiter unten behandelt werden. Für eine Reihe von Rohstoffen (z. B. Siegerländer Spateisenstein, Nassauischer Roteisenstein) und Fertigfabrikate (z. B. Eisenbahnschienen) lag eine treibende Wirkung für den Marktpreis in dem Vorhandensein langfristiger Lieferungsverträge. Bei der einsetzenden allgemeinen Teuerung empfanden es die Abnehmer solcher Produkte äußerst vorteilhaft, ihren Bedarf zu den niedrigen Preisen weiter beziehen zu können und waren freiwillig nicht geneigt, eine Veränderung der Vertragspreise eintreten zu lassen. Andrerseits hatten die Lieferer keinerlei rechtliche Handhabe, die bestehenden Verträge anzufechten. Sie sahen sich zu dem Auswege gedrängt, die Verluste, die sie bei der Erfüllung der Verträge mit niedrigen Preisen erlitten, auf den Preis desjenigen Teils ihrer Produktion aufzuschlagen, den sie auf dem freien Markt absetzten. Diese Verhältnisse wirkten sogar auf die behördliche Preispolitik zurück, als nämlich die Kriegs-Rohstoff-Abteilung zur Verhinderung weiterer Preissteigerungen sich auch diesen langfristigen Lieferungsverträgen zuwandte. Um eine weitere Erhöhung der Tagespreise hintanzuhalten, wurden die langfristigen Verträge vorläufig außer Wirkung gesetzt und der Vertragspreis den Kriegsverhältnissen entsprechend erhöht. Die Preiserhöhung für Siegerländer Eisenstein und Nassauischen Roteisenstein, die hiermit in Kauf genommen werden mußte, bildete aber ihrerseits wiederum die Veranlassung zu der Notwendigkeit einer Erhöhung der Roheisenpreise, wie sie Ende 1916 zugestanden wurde. Während die syndikatlich gefaßten Produkte im allgemeinen eine gemäßigte Preisbewegung durchmachten, war die Preissteigerung bei den kartellfreien Produkten um vieles lebhafter. Ähnlich war das Verhältnis zwischen denjenigen Produkten, auf deren Preisentwicklung die Kriegs-Rohstoff-Abteilung zunächst Einfluß nahm, und denjenigen, die anfangs außerhalb der behördlichen Preisregelung standen. Dies trat besonders dann in Erscheinung, wenn (wie bei den gemischten Werken der Eisenindustrie) an einer Produktionsstelle die verschiedensten Produkte nebenein-

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ander hergestellt wurden. In diesem Falle suchten die Werke die preisgebundenen Produkte dadurch zu entlasten, daß sie ihre Generalunkosten möglichst auf diejenigen Produkte abwälzten, bei denen der Verkaufspreis nicht festgelegt war. Allmählich stellten sich zudem die Betriebe auf die bevorzugte Erzeugung der freien Produkte um; die normalen Qualitäten wurden vernachlässigt, und selbst nur geringe Güteunterschiede gaben Veranlassung zum Fordern erheblicher Qualitätsaufschläge. Schließlich besaß das Vorhandensein und das allmähliche Schwinden der latenten Vorräte wie in der Eisenwirtschaft überhaupt, so auch in der Preisentwicklung eine große Bedeutung. Solange solche Vorräte vorhanden waren, wirkten sie gleichsam wie ein Puffer auf die Preisentwicklung, indem sie die schärfsten Stöße des kriegswirtschaftlichen Bedarfs aufnahmen. Mit dem Verschwinden der latenten Vorräte trat der Bedarf in seiner ganzen Mannigfaltigkeit immer schärfer unmittelbar an die Produktion heran und erschwerte hier das Innehalten wirtschaftlich-technisch günstiger Walzprogramme; hiermit aber stiegen die wirtschaftlichen Selbstkosten, die Produktion wurde teurer. Von ganz eigentümlicher Wirkung waren die infolge des behördlichen Eingreifens entstehenden Preisspannungen, deren große Bedeutung nicht genügend gewürdigt wurde. Seit Mitte 1915 hatte die Kriegs-Rohstoff-Abteilung auf den Roheisenverband einen Druck ausgeübt, seine Preise nicht zu erhöhen, hatte aber in der gleichen Zeit nicht verhindern können, daß die Preise der ihrer Kontrolle nicht unterstehenden Endfabrikate ganz beträchtlich in die Höhe gingen. Beim Halbzeug hatte sie schließlich noch im Mai 1916 ihre Einwilligung zu der ungewöhnlichen Preiserhöhung geben müssen. Hierdurch entstand zwischen Roheisen einerseits und Rohstahl und Fertigprodukten andrerseits eine Preisspannung, da die Preise für A- und B-Produkte verhältnismäßig bedeutend gestiegen waren, während die des Roheisens festlagen. Das einseitige Festhalten des Roheisenpreises hatte somit kaum einen praktischen Erfolg hinsichtlich einer sparsamen Kriegsfinanz. Die entstandene Spannung drängte im Gegenteil immer stärker nach einem Ausgleich, in den schließlich die Kriegs-RohstoffAbteilung im Dezember 1916 durch eine ebenfalls sehr beträchtliche Erhöhung der Roheisenpreise einwilligen mußte. Es läßt sich nun geradezu eine Gesetzmäßigkeit in der weiteren Preisentwicklung für Eisen erkennen, nach welcher die Preisverknüpfungen voneinander abhängiger Produkte unter einer gewissen Elastizität zu stehen scheinen. Wurde die Spannung auf irgendeine Weise ausgelöst, so gelangte fast immer der in Bewegung geratende Preis nicht nur bis zu der Höhe eines spannungslosen Ausgleiches, sondern pflegte beträchtlich über dieses Ziel hinauszuschnellen. Die jeweils bisher vernachlässigte Produzentengruppe begnügte sich nicht mit der Erreichung des Gleichgewichtszustandes, sondern strebte mit allen Mitteln einen Ersatz für die Verluste oder den entgangenen Gewinn der vorangegangenen Periode an. So stieg durch die Preisfestsetzung im Januar 1917 der Roheisenpreis erheblich über den Ausgleich mit den A- und B-Produkten hinaus, während der Sommer des Jahres 1917 dann genau das umgekehrte Spiel brachte. Der seit dem dritten Quartal 1916 festgehaltene Preis der A-Produkte war hinter dem Roheisenpreis relativ weit zurückgeblie-



B Elemente der Preisbewegung 

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ben, so daß schließlich wieder ein Ausgleich dieser Spannung durch eine erhebliche Heraufsetzung der Preise für Halbzeug zugelassen werden mußte. Auch hier äußerte sich wieder die Elastizität der Preisrelationen, deren Wirkung in diesem Falle noch durch die gleichzeitige Berücksichtigung der Kohlensteuer erheblich verstärkt wurde. Selbst bei den Preisfestsetzungen am Ende der Kriegszeit ist niemals der Zustand des stabilen Gleichgewichtes erreicht worden. So sind während des ganzen Krieges die Preise der wichtigsten Eisenprodukte stark ins Pendeln geraten und haben sich geradezu gegenseitig in die Höhe getrieben. Diese Art der Preisbewegung wurde zu einer versteckten Quelle besonderer Konjunkturgewinne, die jeweils derjenigen Industriegruppe zuflossen, die aus der relativen Preisverschiebung Nutzen ziehen konnte. Als wichtige Erfahrung aus diesen Verhältnissen bleibt die Erkenntnis, daß zweckmäßig die Preise voneinander technisch abhängiger Produkte stets gleichzeitig und nach Möglichkeit auch gleichmäßig im Verhältnis der Umwandlungskosten verändert werden müssen, wenn nicht ungewollte Nebenerscheinungen den Erfolg der preispolitischen Maßnahmen in Frage stellen sollen.

Die industrielle Preispolitik und ihre Grenzen Die Umwandlung der gesamten Volkswirtschaft während des Krieges war naturgemäß auch nicht ohne Wirkung auf die Preispolitik der Industrie bzw. der Industrieverbände. Seit geraumer Zeit vor dem Kriege hatte der Kartellgedanke in der Eisenindustrie Fuß gefaßt; durch immer umfassendere Kartelle hatte man versucht, von seiten der Produzenten Einfluß auch auf die Preisentwicklung zu gewinnen. Manchmal auch in Zeiten günstiger Wirtschaftslage gegründet, gewannen die Industrieverbände hauptsächlich in Zeiten niedergehender Konjunktur ihre besondere Bedeutung. Ihre Politik war darauf gerichtet, durch gemeinsame Preisfestsetzung gegenseitigem Unterbieten Einhalt zu tun und das Absinken der Preise nach Möglichkeit zu verhindern. Die von ihnen von Zeit zu Zeit verabredeten oder vertraglich festgelegten Grundpreise waren dementsprechend fast immer Mindestpreise, deren Innehaltung zugesichert wurde, deren Überschreitung nach oben hin aber unter Umständen nicht unstatthaft war. Die für die verschiedenen Sonderbewertungen bestimmten Aufpreise verfolgten im wesentlichen dasselbe Ziel. Diesen Charakter behielt die industrielle Preispolitik auch während des Krieges bis zum Ende des Jahres 1915 bei. In den Wintermonaten 1915/16 veränderten sich aber die Grundlagen dieser Politik durchaus. Das Angebot hielt der Nachfrage nicht mehr die Wage und die Abnehmer gingen immer mehr dazu über, die Grundpreise zu überbieten, um nur überhaupt Ware zu bekommen. Ein Beispiel hierfür gibt der Stabeisenpreis, den noch anfangs Januar 1916 einige Werke vergeblich auf 130 M pro Tonne (als Mindestpreis) festzusetzen versucht hatten, während der tatsächlich erzielbare Preis nur 115—120 M betrug. Aber schon im nächsten Monat konnte mühelos ein Preis von

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140 M erreicht werden, der dann in kurzer Zeit schnell weiter in die Höhe ging. Die Konventionen blieben also wie immer zuzeiten aufsteigender Konjunktur mit ihren Preisfestsetzungen bald hinter den tatsächlich erzielbaren Marktpreisen zurück und die Mindestpreisfestsetzung verlor ihren praktischen Wert. Da es aber im Interesse einer weiterblickenden Preispolitik lag, heftige Preisausschläge nach oben genau so sehr zu vermeiden wie umgekehrt, so behielten die Kartelle — ganz in Anlehnung an ihre Friedenspolitik — die Preisnotierungen bei, die aber fast unmerklich einen neuen Grenzcharakter, nämlich den von Höchstpreisen, bekamen, auf deren Innehaltung die Verbandsmitglieder im volkswirtschaftlichen Interesse verpflichtet sein sollten. Mit dieser Veränderung des Charakters der Verbandspreise veränderte sich aber auch die Stellung des Unternehmers zu ihnen. Solange er in der Innehaltung der Mindestpreise einen Vorteil für das von ihm geleitete Unternehmen erblickt hatte, war es verhältnismäßig leicht, den Preisfestsetzungen Geltung zu verschaffen. Nunmehr aber schienen sich die Preisfestsetzungen der höchstmöglichen Ausnützung der Konjunktur entgegenzustellen, und es war nicht ohne weiteres sicher, daß die Rücksicht auf allgemein volkswirtschaftliche Interessen das einzelne Unternehmen in der gleichen Weise zur loyalen Innehaltung vertraglicher Festpreise veranlassen würde, wie dies die Rücksicht auf das Unternehmerinteresse bei dem früheren Mindestpreise mit sich gebracht hatte. So fand sich auch sehr bald auf dem Kriegseisenmarkt die Erscheinung, daß die Preisvereinbarungen auf dem Umweg über Qualitäts- und andere Aufschläge durchbrochen wurden. Bei den vom Roheisenverband und Stahlwerksverband vertriebenen Produkten allerdings zeigte sich ein solches Vorgehen im allgemeinen selten; je lockerer aber nach den B-Produkten hin die Preisbindungen wurden, um so unverhüllter wurden sie mit fortschreitender Dauer des Krieges überschritten. Diese Entwicklung machte sich naturgemäß um ein Vielfaches verstärkt bei denjenigen Produkten geltend, für die keinerlei Preisbindungen bestanden. So zeigte sich die industrielle Preispolitik den durch die Kriegsverhältnisse von Grund auf geänderten Verhältnissen gegenüber nicht mehr gewachsen; die Behörde mußte eingreifen, um ihre stärkere Autorität in die Wagschale zu werfen. Bei alledem muß man berücksichtigen, daß die Macht der Verbände auch nur beschränkt war. Dies ist oft verkannt worden und den Organisationen Mangel an Energie vorgeworfen worden, wo ihnen in der Tat ein Einschreiten gar nicht möglich war. Eine solche Stellungnahme entsteht aus einer Verkennung der rechtlichen Stellung der Syndikate. Sie sind zumeist selbständige Körperschaften in der Form von Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung usw. mit dem Zwecke des Verkaufs der in Frage kommenden Produkte. Mit ihnen haben die einzelnen beteiligten Werke Lieferungsverträge abgeschlossen. Über die Vertragsbedingungen hinaus haben die Syndikate aber keinerlei rechtlich gesicherte Möglichkeit, auf die Werke einzuwirken; insbesondere können sie über die vereinbarten Konventionalstrafen hinaus keinerlei Zwang auf die Werke ausüben. Gerade aber gegen Eigenmächtigkeiten bei Preisabschlüssen waren sie dann völlig machtlos, wenn die Werke zwar die Konventionalstrafe zahlten, sie aber von vornherein auf den Abnehmer



C Möglichkeiten und Bedingtheiten autoritativer Preisregelung beim Eisen 

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ihrer Produkte abwälzten. Im Frieden wäre ein solches Verfahren am Widerstand der Konsumenten gescheitert. Nachdem aber der Verbraucher nicht wirksam gegen die erhöhten Preisforderungen angehen konnte oder wollte, konnte eine Gesundung nur mit Hilfe einer Zentralbehörde herbeigeführt werden.

C Möglichkeiten und Bedingtheiten autoritativer Preisregelung beim Eisen Allgemeines Nachdem in den vorangehenden Abschnitten die volkswirtschaftlichen Grundlagen der Preisbewegung auf dem Eisenmarkt beleuchtet worden sind, wäre nunmehr die Art zu besprechen, wie sich die wirtschaftsleitende Behörde wirtschaftspolitisch mit den vor ihr liegenden Problemen abgefunden hat, und welche objektiven Hindernisse sich ihr bei der Durchsetzung ihrer Preispolitik in den Weg stellten. Die Preispolitik, welche die Kriegs-Rohstoff-Abteilung auf dem Gebiete des Eisens verfolgt hat, unterscheidet sich nicht unwesentlich von derjenigen, die auf anderen Rohstoffgebieten zur Durchführung gelangte. Hierin kam deutlich zum Ausdruck, daß die Eisenwirtschaft gewisse Sonderheiten ausweist, die es nicht ohne weiteres möglich machten, ein auf anderen Gebieten eingespieltes System hierher zu übertragen. Der Überblick über die Zusammenhänge der Preisfaktoren wird beim Eisen durch die Eigenartigkeit der Strukturverhältnisse der Eisenindustrie besonders erschwert. Da schon im Frieden die Werke durch mannigfache Betriebskombination größte Marktunabhängigkeit angestrebt hatten, so waren nunmehr durch die gemischten Werke die Preiszusammenhänge auf kürzere oder längere Strecken verdeckt und bei Aufnahme preispolitischer Maßnahmen dem Zugriff der wirtschaftsleitenden Behörde völlig entzogen. Selbst die theoretisch bestaufgebaute Preiskonstruktion wurde von vornherein dadurch zum Teil außer Wirkung gesetzt, daß in den gemischten Betrieben — welche die Hauptmasse der Produktion lieferten — der größte Teil der Produkte, für die Preisfestsetzungen getroffen wurden, gar nicht auf den Markt kam, sondern von Betrieb zu Betrieb im gleichen Unternehmen bis zum Fertigfabrikat weiterverarbeitet wurde. Es bedeutete ferner eine besondere Erschwerung für autoritative Preisregelungen beim Eisen, daß die meisten Werke nicht entfernt mit voller Leistungsfähigkeit arbeiten konnten. Jede Preisfestsetzung, die den berechtigten Ansprüchen der Industrie zu stark entgegenlief, löste dann bei kombinierten Betrieben das Bestreben aus, mit Rücksicht auf eine bessere Preislage bei den Fertigfabrikaten die gesamte Roh- und Halbproduktion im eigenen Betriebe weiterzuverarbeiten. Bei der Überlastung der Werke mit nachweislich dringlichsten Aufträgen waren solche Umstellungen auf dem Zwangswege nicht zu unterbinden. Diese Mengen verschwanden dann vom Markt

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und verursachten Betriebsstörungen bei den Werken, die auf ihren Bezug angewiesen waren. Die Preispolitik der zentralen Wirtschaftsleitung fand also auch nach dieser Seite hin ihre Korrektive. Es genügte offenbar nicht, sie allein auf technische Berechnungen und wirtschaftliche Schätzungen über den Produktionsaufwand aufzubauen, sondern es mußten gleichzeitig die durch das Vorhandensein der gemischten Werke möglichen Verschiebungen in den Produktions- und Absatzverhältnissen mit größtem Bedacht in Rechnung gestellt werden. Auch der Umfang und die Schnelligkeit der Produktion von Eisen bedingten eine besonders vorsichtige Preispolitik. Während im Frieden sich der Unternehmer den Zufälligkeiten der Produktionslage gegenüber durch die Innehaltung langfristiger Produktionsprogramme sicherte, wurde es im Krieg immer schwieriger, solche Programme aufzustellen und durchzuhalten. Hierdurch wurde eine so große Unruhe in die Betriebskalkulation hineingetragen, daß es dem Außenstehenden ohne Mitwirkung der Betriebsleitung oder gar gegen ihren Willen in der Regel überhaupt nicht mehr zu unterscheiden gelang, welche von den Wirkungen, die hierdurch auf die Preisentwicklung ausgeübt wurden, real begründet, welche auf Angst- oder Verlegenheitsmaßnahmen oder auf rein spekulative Motive zurückzuführen waren. Die behördliche Preispolitik bedurfte also in hohem Grade der willigen Mitarbeit der Industrie, wenn sie sich nicht vorzeitig festlaufen wollte. Wenn sich auch Schwierigkeiten der angedeuteten Art bei anderen Industrien ebenfalls fanden, so multiplizierten sich doch nirgends kleine Schwankungen in der Bewertung einzelner Preisfaktoren mit einem solchen Ausmaß an Produktion wie bei der Eisenindustrie, wo dem Werksleiter wie dem aufsichtführenden Staatsorgan die Dinge leichter unter der Hand wegglitten als irgendwo sonst. Außerdem aber war die Kriegs-Rohstoff-Abteilung gezwungen, damit zu rechnen, daß zwei Jahre lang die Entwicklung der Eisenpreise, mit Ausnahme der Preise für Roheisen und Schrott, völlig frei geblieben war. Ihre Aktionsfreiheit war hierdurch wesentlich eingeschränkt, weil nunmehr nicht nur die Industrie, sondern gerade auch die eisenverbrauchenden Behörden nicht mehr so widerstandslos wie im Anfang des Krieges auf die Pläne der Zentralwirtschaftsstelle eingingen. Die Interessen der Beteiligten gingen da oft sehr weit auseinander (Somme-Programm). Auch hier stand, wie so oft in dem vergangenen Kriege, ein unerbittliches „Zu spät“ der Auswirkung an sich richtiger Maßnahmen entgegen. Ein anderes zeitliches Moment ist ebenfalls von größter Bedeutung für die Entwicklung der Eisenpreispolitik geworden: es ist das Zusammenfallen der grundlegenden Maßnahmen zur Preisregelung mit der Aufnahme und Durchführung des Hindenburg-Programms. In dieser Zeit der folgenschwersten Entschlüsse auf allen Teilgebieten der Eisenbewirtschaftung konnte die Preispolitik sich nicht nur nach volkswirtschaftlichen Postulaten richten, sondern mußte sich dem durch das Hindenburg-Programm aufs äußerste angespannten Bedarf und seiner außerordentlichen Dringlichkeit unterordnen. Es erschien unmöglich, zu gleicher Zeit die Höchstleistung aus der Industrie herauszuholen und daneben eine wegen mangelnder Vorarbei-



C Möglichkeiten und Bedingtheiten autoritativer Preisregelung beim Eisen 

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ten tastende und deshalb in ihren Wirkungen nicht übersehbare Preispolitik schroff zu verfolgen. Die Verantwortung, die Programmerfüllung etwa durch Fehlgriffe in der Wahl der Mittel bei der Preispolitik zu gefährden, konnte damals schlechterdings von niemand übernommen werden. Auch die behördliche Organisation der Eisenpreisregelung wies anfangs Unzweckmäßigkeiten auf, die eine wirksame Preispolitik erschwerten. Bis zum Jahre 1916 hatte die Kriegs-Rohstoff-Abteilung allein den Roheisenpreis kontrolliert und die Beaufsichtigung des Stahlpreises und der Preise für die Fertigfabrikate der Feldzeugmeisterei überlassen. Eine solche organisatorische Trennung zwischen Rohstoff und Fertigfabrikat war jedoch nur dort zweckentsprechend, wo auch in der Praxis eine Lücke zwischen Rohstoffindustrie und Fertigindustrie bestand. So konnte sie ohne Schwierigkeit bei den Metallen vorgenommen werden, beim Eisen aber war es nicht angängig, einer lückenlos geschlossenen Produktionskontinuität (z. B. Verfahren in einer Hitze) eine gebrochene Organisation gegenüberzustellen. Es blieb dann völlig wirkungslos, wenn beispielsweise die Preisentwicklung des Roheisens gedämpft wurde, während auf der anderen Seite die Preise für die Fertigfabrikate nach gänzlich anderen Gesichtspunkten geregelt wurden. In äußerst anschaulicher Weise tritt der hier wiederholt erwähnte Einfluß der zahlreichen Wechselbeziehungen in der Eisenwirtschaft auf die Preispolitik bei einer Betrachtung der Schrottpreise in die Erscheinung. Der Schrottbedarf wurde etwa zu einem Drittel durch die Maßnahmen der Heeresverwaltung gedeckt, die mit den aus den besetzten Gebieten stammenden, durch Einfuhr, durch besondere Lieferungsverträge, durch Niederlegungen und die Sammeltätigkeit beschafften Schrottmengen ein wirksames Mittel zur Beherrschung des Schrottmarktes in der Hand hatte. Dieser Umstand bot die Möglichkeit, den Schrottpreis nachhaltig auf diejenigen Bahnen zu zwingen, die der Kriegs-Rohstoff-Abteilung im Interesse der gesamten Eisenwirtschaft erwünscht erschienen. In der Tat ist auch der Preis für Schrott (auch der für Gußbruch und Späne) der einzige unter der ganzen Reihe der Eisenpreise, der nach Aufnahme der zentralen Eisenbewirtschaftung von der im freien Markt erreichten Höhe auf ein wesentlich niedrigeres Höchstpreisniveau herabgeschraubt und dort bis zum Kriegsende festgehalten werden konnte. Hier schien also in einem Einzelfall das Ideal erreicht, daß ein wichtiger Rohstoff der spekulativen Preisbildung völlig entzogen und ein Anlaß für Preissteigerungen bei Produkten höherer Ordnung völlig beseitigt war. In Wirklichkeit sind aber durch diese zunächst begrüßenswert erscheinende Schrottpreispolitik eine ganze Reihe von Nebenwirkungen ausgelöst worden, die für die Bedarfsdeckung, für die Beständigkeit der geschaffenen Organisationen und für die Entwicklung der Eisenpreise höchst unerwünscht geworden sind. Es war zwar zweifellos richtig, daß die Kriegs-Rohstoff-Abteilung mit dem Schrottpreis, den sie wirksam beeinflussen konnte, nicht der Preissteigerung aller anderen Produkte folgte, in die sie aus dem Zwang der Verhältnisse heraus einwilligen mußte. Eine erhebliche Verteuerung des Schrotts hätte bei der großen Bedeutung, die dieser

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hauptsächlich seit dem Hindenburg-Programm innehatte, geradezu unübersehbare Folgen haben müssen; die Verantwortung hierfür wollte die Kriegs-Rohstoff-Abteilung nicht tragen. Aber die Grenzen, die jeder Preispolitik aus den wirtschaftlichen Zusammenhängen heraus gesetzt sind, wurden bei dieser Gelegenheit besonders deutlich offenbar. So wenig gerechtfertigt ein Nachgeben mit den Schrottpreisen gewesen wäre, so wenig befriedigend war es, sie auf einer niedrigen Stufe festzuhalten: bei der Unmöglichkeit, eine voll zufriedenstellende Lösung zu finden, mußte sich die KriegsRohstoff-Abteilung darauf beschränken, von zwei Übeln das kleinere zu wählen. Das Festhalten der Schrottpreise genügte nicht, die Bewegung des Eisenpreises wesentlich zu dämpfen. Dazu wirkten auf ihn eine viel zu große Menge anderer — bereits eingehend geschilderter — Momente ein, die vom Schrott aus in keiner Weise beeinflußt werden konnten. Sämtliche Eisenpreise eilten vielmehr dem Schrottpreis weit voraus und es entstanden dadurch ganz erhebliche Spannungen nach verschiedenen Richtungen hin. So stellte sich der Schrott, der durch die Schrottorganisationen bezogen werden konnte, im Laufe der Zeit billiger als der im eigenen Betrieb entfallende. Die vornehmlich auf Zukaufsschrott angewiesenen reinen Martinwerke sahen sich deshalb bald gegenüber den Martinbetrieben der großen gemischten Werke, alle Martinwerke zusammen aber gegenüber den Thomasstahlwerken im Vorteil. Außerdem war der Preisvorsprung je nach dem Mengenverhältnis, in dem billiger Schrott zur Verhüttung kam, durchaus verschieden, so daß eine einheitliche Grundlage für eine gegebenenfalls beabsichtigte Anpassung des Stahlpreises an den Schrottpreis nicht zu finden gewesen wäre. Aus dem niedrigen Schrottpreis haben infolgedessen die Martinwerke einen außerordentlich hohen Sondergewinn gezogen, der nur auf dem Wege einer nicht einfachen Steuerpolitik auszugleichen gewesen wäre — aber nicht ausgeglichen wurde. Ferner bedeutete das Festliegen der Schrottpreise eine Durchbrechung der üblichen Preisrelationen vom Schrott zum Roheisen, ja selbst zum Erz. Während im Frieden Schrott und Stahleisen (mit Spannungen bis höchstens 20  M pro Tonne) ganz nahe zusammengelegen hatten, vergrößerte sich nunmehr seit Ende 1916 der Abstand der Preise für beide Produkte immer mehr. Stahleisen kostete Januar 1917: 43,50 M mehr, Oktober 1917: 63,50 M mehr und September 1918: 93,50 M mehr als der im Frieden etwa wertgleiche Kernschrott. Die Werke waren angesichts dieser Wertverschiebung natürlich bestrebt, den Martinprozeß zu bevorzugen und beim Martinverfahren den Schrottanteil an der Charge tunlichst zu erhöhen. Diese Entwicklung war im Hinblick auf die Schwierigkeiten in der Erzversorgung und Roheisenproduktion an sich nicht unerwünscht. Sie wurde aber gleichzeitig zu einer großen Gefahr für den Zusammenhalt der Schrottorganisation. Die Größe der mit jeder Tonne Schrott eingesparten Summe erlaubte es nämlich, im Schleichhandel die Schrotthöchstpreise zu überbieten, um bei der allgemeinen Schrottknappheit möglichst viel Schrott über die zugeteilten Mengen hinaus hereinzubekommen. Wurden hierdurch schon Störungen in der allgemeinen Bedarfsdeckung herbeigeführt, so gestalteten sich die Dinge vollends dadurch schwierig, daß, je länger um so mehr, die Schrottlieferanten das



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Interesse am schnellen Absatz ihres Schrotts zu dem niedrigen Preis verloren. Nicht nur bei den großen Werken, sondern besonders auch an den kleineren Schrottentfallstellen (auf dem Lande, in den Städten, im Kleingewerbe usw.) „lohnte“ es sich nicht mehr, den billigen Schrott zu sammeln und zu verladen. Um so mehr, als bei den Eisenwerken, Maschinenfabriken usw. das Preisverhältnis zwischen den Fertigprodukten und dem Schrott ungünstig verzerrt war. Gegenüber dem gleichbleibenden Schrottpreis von 75 M pro Tonne stieg beispielsweise der Grobblechpreis von 195 M (Dezember 1916) auf 235 M (April 1917) und 265 M bzw. 275 M (Juli/August 1917). Die damit herbeigeführte Vergrößerung der Preisspannung bewirkte, daß der Betrag, den die Fertigfabrikanten aus dem Verkauf des Schrotts, der bei der Herstellung der Fertigprodukte entfiel, gewinnen konnten, sich nunmehr erheblich verringerte. Dieser Ausfall an Nebengewinnen wirkte bis zu einem gewissen Grade sogar preistreibend auf die Endprodukte, wenn auch nicht ganz in dem Umfange, den ein erhöhter Schrottpreis an Preissteigerungen ausgelöst haben würde. Die Mannigfaltigkeit der Nebenwirkungen einer preispolitischen Maßnahme — bei höheren Schrottpreisen wäre wahrscheinlich der Entfall wesentlich gestiegen — zeigt, mit welcher Vorsicht die preisregelnden Eingriffe der Kriegs-Rohstoff-Abteilung in der Eisenwirtschaft getan werden mußten. Die autoritative Preisregelung beim Eisen war durch Rücksichten auf die Preisentwicklung der einzelnen Produkte, auf die wirtschaftlichste Bedarfsdeckung und die Möglichkeit der organisatorischen Festigung der Eisenbewirtschaftung weitgehend bedingt.

Technisches und wirtschaftliches Prinzip Gegenüber diesen Verhältnissen standen der Kriegs-Rohstoff-Abteilung im wesentlichen zwei grundsätzlich verschiedene Wege für ihre Preispolitik offen: der eine konnte durch Anwendung technischer, der andere durch Verwertung wirtschaftlicher Prinzipien verfolgt werden. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung hatte die Freiheit der Wahl zwischen beiden Wegen um so mehr, als für die Regelung der Eisenpreise bei Aufnahme der Preispolitik der Kriegs-Rohstoff-Abteilung kaum irgendwelche praktisch brauchbaren Unterlagen bestanden. Die im Frieden bereits von Wissenschaftlern und Praktikern lebhaft verfolgten Probleme der Betriebskalkulation und Selbstkostenberechnung hatten zu keiner Klärung geführt, ein objektiver Maßstab für die zu einer rechnerisch bestimmten Preispolitik nötigen Unterlagen war nicht vorhanden. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung behalf sich deshalb im Juni 1916 damit, zunächst einmal überall dort, wo es wegen des Vorhandenseins von Preiskonventionen und Kartellen angängig erschien, die Preisbewegung aufzuhalten und die Industrieorganisationen auf Beibehaltung der gerade erreichten Preise zu verpflichten. Es sollte dann versucht werden, von den Selbstkosten aus angemessene Preise für alle in Betracht kommenden Produkte zu errechnen und die Industrie auf Anerkennung dieser Preise festzulegen. Gegebenenfalls sollte durch den Erlaß von Höchstpreisen die Innehaltung der

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Preise gesichert und die Umgehung durch Beschlagnahme der Produktion und deren Verkauf durch ein zu gründendes Zwangssyndikat verhindert werden. Diese in der Hauptsache technisch gerichtete Linie für die Preispolitik konnte jedoch nicht innegehalten werden. Der Weg, über die Selbstkosten zu einem angemessenen Höchstpreis zu gelangen, war, wie bereits auseinandergesetzt, ungangbar, da eine tatsachengerechte Selbstkostenermittlung an der starken Wandelbarkeit der Selbstkostenelemente scheitern mußte. Aber auch der Gedanke an eine Sicherung der Innehaltung der Höchstpreise durch Beschlagnahme und Zwangssyndizierung war im gegebenen Augenblick nicht fruchtbringend. Während die Beschlagnahme von Vorräten auch unter schwierigen Verhältnissen bei entsprechender Rücksichtslosigkeit des Vorgehens zumeist Erfolg hat, ist die Beschlagnahme laufender Produktion — noch dazu als Strafmaßnahme — ein sehr zweischneidiges Schwert. Besonders aber zur Zeit der Aufstellung des Hindenburg-Programms mußte ein solcher Plan als geradezu gegenläufig sehr bald aufgegeben werden. Zu einem Zeitpunkt, in dem jede Tonne erzeugten Stahles dringend zur Befriedigung wichtigster Kriegsbedarfsgruppen gebraucht wurde, die Bedarfsdeckung aber nicht zuletzt gerade wegen einer außergewöhnlich großen Verwirrung des gesamten Lieferungswesens schwer gefährdet war, mußte jeder Eingriff in die Stetigkeit des Produktionsabsatzes nach Möglichkeit vermieden werden. Es wäre keinerlei Organisation imstande gewesen, die durch eine solche Unterbrechung laufender Lieferungen entstehende Verwirrung wieder auszugleichen. Die Gründung eines sämtliche Produkte umfassenden Zwangssyndikats aber war gerade in der Eisenwirtschaft ein Problem, das auch bei dem ernsthaften Versuch zur Durchführung im Jahre 1917 sich aus fachlichen wie psychologischen Gründen als unlösbar erwies. Die ungemein großen Schwierigkeiten, die hiermit verbunden waren, durfte man jedenfalls auch nicht gerade zur Zeit des Hindenburg-Programms leichten Herzens in Kauf nehmen. Vielleicht hätten diese Grundgedanken zu einem früheren Zeitpunkt des Krieges während einer geringeren Spannung in der Deckungs-Lage mehr Erfolg haben können; im Herbst 1916 konnten sie nicht mehr verfolgt werden. Wie wenig gleichmäßig in der Tat die Selbstkosten der Werke mit Rücksicht auf ihre Produktionsbedingungen, ihre örtliche Lage, ihre Betriebsorganisation und wirtschaftlichen Interessen waren, zeigen die Ergebnisse, welche die im Juli 1916 an die Werke ergangene Rundfrage wegen ihrer Selbstkosten ergab. Es zeigte sich, daß diese so erheblich auseinandergingen, daß sie als Basis für eine technisch orientierte Preispolitik nicht zu verwenden waren.



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C Möglichkeiten und Bedingtheiten autoritativer Preisregelung beim Eisen 

Selbstkosten für Roheisen und A-Produkte Juli 1916 Werke…………………………… Lage……………………………… ThomasRoheisen…………………… Rohblöcke…………………… vorgew. Blöcke Knüppel……………………… Platinen……………………… MartinRohblöcke…………………… vorgew. Blöcke Träger…………………………… Hauptbahnschwellen……… Hauptbahnschienen………..

A.

B.

Oberschlesien

170,—

128,— 140,— 153,— 158,— 163,— 180,—

130,— 143,— 158,—

175,— 159,— 170,— 169,—

C.

D.

E.

F.

Rheinland-Westfalen

Saar

101,— 125,—

86,— 110,— 125,— 130,— 131,—

154,—

90,— 112 — 123 — 132,—

135,— 154,—

142,-

113,— 128,— 140,—

143,— 146,—

143,— 136,—

G.

H.

Lothringen 97,— 145,—

79,— 109,— 124,—

139,— 140,— 144,3 138,—

Mit der zielbewußten Aufnahme der zentralen Eisenbewirtschaftung (September/ Oktober 1916) trat deshalb ein grundsätzlicher Wechsel in der Handhabung der Kriegseisenpreispolitk ein. Man verzichtete zunächst darauf, über die Abstellung offenkundiger Mißstände hinaus mit der Preisprüfung ins einzelne zu gehen. Es war im Augenblick wichtiger, Einheitlichkeit und Gleichartigkeit in die allgemeine Preisbemessung hineinzubringen, besonders auch den Beschaffungsstellen für ihre Preisbewilligungen eine Norm in die Hand zu geben und dem „Beschaffen um jeden Preis“ einen Riegel vorzuschieben, als theoretisch richtige, praktisch in der kurzen Zeit aber unmöglich durchzuführende Preisberechnungen vorzunehmen. Es wurden zunächst einmal für alle Verbraucher allgemeingültige Preisfestsetzungen getroffen (Richtpreise) und dabei gleichzeitig nach Möglichkeit Spannungen ausgeglichen und die berechtigten Ansprüche der Produzenten berücksichtigt. Demgemäß erkannte die Kriegs-Rohstoff-Abteilung die bisher gültigen Preise zunächst an und ließ sie durch den Deutschen Stahlbund in einer einheitlichen Preisliste zusammenfassen. Die willkürlichen Aufpreise wurden geregelt, gleichzeitig auch der Händleraufschlag maßvoll begrenzt. Nachdrücklich ging man gegen den Kettenhandel vor. Indem man so das Preisproblem von der wirtschaftlichen Seite aus faßte, wurde erreicht, daß von nun ab sämtliche Beschaffungsstellen und andere Verbraucher mit bestimmten, der Spekulation entzogenen Preisen rechnen konnten, die gleichzeitig so hoch gesetzt waren, daß sie auch die Selbstkosten derjenigen Werke überschritten, die unter ungünstigeren Bedingungen arbeiteten. Der von den günstiger gestellten Werken erzielte Konjunkturgewinn sollte durch eine reichlich bemessene Kriegsgewinnsteuer erfaßt werden. Auf die Bemessung dieser für die Preispolitik der Heeresverwaltung unerläßlichen Steuer, aber auch auf den Zeitpunkt ihres Erlasses besaß

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das Kriegsministerium jedoch nur sehr bedingten Einfluß. Es hätte in der Richtung der befolgten Preispolitik und im Interesse der Reichsfinanzen gelegen, wenn die Kriegsgewinnsteuer bereits während des Krieges voll erhoben worden wäre. Durch die späte Erhebung sind sehr große Summen verlorengegangen.

Richtpreis und Höchstpreis In dem im Oktober 1916 gegründeten Stahlbund bot sich nunmehr auch das bisher entbehrte, wirksame Instrument für die endgültige Durchsetzung der Preispolitik der Kriegs-Rohstoff-Abteilung. Eine besondere Vertrauenskommission erhielt die Aufgabe, diejenigen Preise festzustellen, die als durchschnittlich gültige Marktpreise gefordert und bezahlt wurden; die Kriegs-Rohstoff-Abteilung führte, wo es notwendig erschien, Preisherabsetzungen durch. Das Ergebnis dieser Verhandlungen, die soeben schon erwähnte Richtpreisliste, wurde am 25. Januar 1917 durch den Stahlbund veröffentlicht, nachdem bereits am 18. Januar eine Bindung des Händlernutzens vorgenommen worden war. Für Werksgeschäfte galt danach ein Skontozuschlag von 4 M und ein Nutzen von 4%. Für Lagergeschäfte wurde ein allgemeiner Zuschlag von 80 M pro Tonne genehmigt. Die Richtpreisliste des Stahlbundes umfaßte 35  verschiedene Produkte und bedeutete im wesentlichen eine Anerkennung der im Januar 1917 geltenden Preise. Es dürfte taktisch durchaus richtig gewesen sein, daß die Kriegs-Rohstoff-Abteilung den Kampf um gesetzliche Höchstpreise auf einen späteren Termin verlegte, an dem mit Wahrscheinlichkeit die außerordentlich verworrenen Produktionsverhältnisse, die der Winter 1916/17 mit sich gebracht hatte, eine Klärung gefunden haben mußten. Die Einführung der Richtpreise ebnete diesen Höchstpreisverhandlungen den Weg und erfüllte für den Augenblick den zunächst beabsichtigten Zweck der Beruhigung der Preisstellungen nicht unvollkommen. Mit zunehmender Knappheit von Eisen und Stahl häuften sich immer mehr die Fälle, in denen zwischen den Werken und den Verbrauchern (darunter auch die militärischen Beschaffungsstellen) Abschlüsse zu Preisen zustande kamen, die weit über den Richtpreisen lagen. An eine Ausführung solcher Aufträge war beim Vertragsabschluß allerdings nicht zu denken, da die gesamte Leistungsfähigkeit unter weitgehender Kontrolle der Rohstahlausgleichstelle bis zum äußersten ausgenutzt war. So ergab sich der Zustand, daß die Werke immer größere Auftragsbestände zu höheren Preisen als zu Richtpreisen zu Buche stehen hatten, die nur aus technischen Gründen größtenteils noch nicht ausgeführt werden konnten. Dieser Sachlage gegenüber bestand die Gefahr, daß das ganze Gebäude der freiwillig übernommenen Richtpreise in absehbarer Zeit zerfiel. Die Erkenntnis dieser Verhältnisse veranlaßte die Kriegs-Rohstoff-Abteilung vom März 1917 ab, die Festsetzung von Höchstpreisen zu verfolgen. Hier stand man ebenfalls im Gegensatz zu zahlreichen anderen Rohstoffgebieten wiederum vor einem neuen Problem. Die Miteinbeziehung zahlreicher Halb- und Fertigfabrikate machte



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die Formulierung der Höchstpreisverordnung in der bei anderen Rohstoffen üblichen, Gegenstand und Preis scharf umreißenden Form unmöglich. Es mußte stets die Möglichkeit offen gelassen werden, neue Produkte in die Höchstpreisverordnung einzubeziehen und auch Veränderungen in den Preisen einzelner Produkte vorzunehmen, ohne den ganzen Apparat der behördlichen Verwaltungsmaschine in Bewegung setzen zu müssen. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung entschied sich infolgedessen dafür, die Höchstpreisverfügung für Eisen und Stahl als eine Art Mantelgesetz herauszugeben, das von Fall zu Fall durch Preislisten des Deutschen Stahlbundes und durch deren Ergänzungen im einzelnen näher substantiiert werden sollte. Mit dem Erlaß der Höchstpreisverordnung verband die Kriegs-Rohstoff-Abteilung die Absicht, auch die vor dem Erlaß der Höchstpreisverordnung unter Überschreitung der Richtpreise gebuchten, aber noch nicht ausgeführten Aufträge auf die festgesetzten Höchstpreise zurückzuführen. Es wäre ein großer Teil der Wirkung der Höchstpreisverordnung verlorengegangen, wenn nicht mit allem Nachdruck jede Möglichkeit einer Durchbrechung der Preisfestsetzungen von vornherein unterbunden worden wäre. Eine solche rückwirkende Kraft auf bereits abgeschlossene Verträge hätte rechtlich nur durch eine Bundesratsverordnung völlig gesichert werden können, deren Erlaß auch für den 20. Mai 1917 geplant war. Die Vorverhandlungen zwischen den beteiligten Ressorts (Kriegsministerium und Reichswirtschaftsamt) führten aber zu keiner Einigung. Da das Reichswirtschaftsamt formell den Erlaß der Bundesratsverordnung zu decken hatte, so beanspruchte es auch die Führung oder wenigstens maßgebenden Einfluß in der Eisenpreispolitik. Dies wurde vom Kriegsministerium nicht zugestanden, da es ein Auseinanderfallen der Kriegseisenwirtschaft befürchtete, wenn zwei verschiedene Stellen zu gleicher Zeit auf verschiedenen Wegen in einer so lebenswichtigen Frage vorgingen. Außerdem war über eine Reihe von formellen Bedenken in bezug auf das Mantelgesetz eine Einigung nicht zu erzielen. Da aber die Neuregelung der Preispolitik äußerst dringend war und lange Diskussionen über den Gegenstand nicht mehr zuließ, so entschloß sich schließlich die Kriegs-Rohstoff-Abteilung, den Eisenhöchstpreis in Anlehnung an die anderen Rohstoffhöchstpreise durch eine Verordnung der Militärbefehlshaber zu veröffentlichen und rechtlich durch das Belagerungszustandsgesetz zu sichern. Die Höchstpreisverordnung, die dann mit mehrwöchiger Verspätung mit Gültigkeit vom 1. Juli 1917 erlassen wurde, hatte folgenden Wortlaut: Auf Grund des § 9b des Gesetzes über den Belagerungszustand vom 4. April 1851 in Verbindung mit dem Gesetz vom 11. Dezember 1915 betreffend Abänderung des Belagerungszustandsgesetzes, in Bayern auf Grund Artikel 4 Ziffer 2 des Gesetzes über den Kriegszustand vom 5. November 1912 in Verbindung mit dem Gesetze vom 4. Dezember 1915 zur Abänderung des Gesetzes über den Kriegszustand wird hiermit nachstehendes bekanntgemacht: a) Für Roheisen, Rohstahl, Halbzeug und Erzeugnisse aus Eisen und Stahl gewalzt oder gezogen dürfen keine höheren Preise gefordert oder gezahlt werden, als die vom Deutschen Stahlbund in einer von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung des Kriegsministeriums genehmigten Preisliste jeweils festgesetzten Preise.

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b) Die jeweils gültige Preisliste liegt beim Beauftragten des Kriegsministeriums beim Deutschen Stahlbund auf; an diesen sind auch alle diese Verordnung betreffenden Anfragen zu richten. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre wird bestraft, wer die vorstehenden Anordnungen übertritt oder zur Übertretung auffordert oder anreizt; beim Vorliegen mildernder Umstände kann auf Haft oder Geldstrafe bis zu 1500 M erkannt werden.

Die Höchstpreisverordnung enthielt also keine Angaben über die Preise selbst, sondern nur den Hinweis auf die jeweilig gültige Preisliste. Durch die Fassung der Verordnung, daß für die in Frage kommenden Materialien keine höheren Preise „gefordert oder gezahlt“ werden dürften als die gültigen Höchstpreise, versuchte die Kriegs-Rohstoff-Abteilung auch auf die unter offensichtlicher Übertretung der vereinbarten Richtpreise zu höheren Preisen bereits abgeschlossenen Verträge einzuwirken. Die Rechtsgültigkeit dieser Verordnung wurde wiederholt lebhaft bestritten, ohne daß eine für die Kriegs-Rohstoff-Abteilung allein zwingende Reichsgerichtsentscheidung herbeigeführt worden wäre34. So war es möglich, bis zum Ende des Krieges trotz rechtlicher Bedenken die rückwirkende Kraft praktisch in Geltung zu halten, gegen deren Wirkung sich Lieferer und Bezieher zumeist durch entsprechende Klauseln im Lieferungsvertrag schützten. An sich hätte für die Werke oder Händler gerade auch beim Höchstpreiserlaß vom 1. Juli 1917 um so weniger Anlaß vorgelegen, gegen die rückwirkende Kraft anzugehen, als die festgesetzten Preise eine sehr erhebliche Erhöhung der Bewertung aller Produkte mit sich gebracht hatten. Es mußten somit die Überschreitungen der moralisch gültigen Richtpreise schon sehr erheblich gewesen sein, wenn die Lieferer sich durch die neuen Preisfestsetzungen benachteiligt fühlten. Allmählich wurden immer weitere Bearbeitungsformen des Eisens in den Wirkungskreis der Höchstpreisverordnung eingezogen. Während die Höchstpreisliste vom Juli 1917 35 Produkte umfaßte, enthielt die zweite Ausgabe vom 1. Mai 1918 schon deren 53, ungerechnet der weitgehenden Differenzierung der Qualität- und Sonderaufpreise. Auch nach dem 1. Mai 1918 fand diese in die Breite gehende Entwicklung der Höchstpreise nicht ihren Abschluß; bis zum Waffenstillstand brachte fast jeder Monat neue Höchstpreisbestimmungen. Erhebliche Ausweitung fanden auch die Bedingungen für die Händlerlieferungen, für welche die Richtpreisliste eine, die erste Höchstpreisliste zehn, die zweite achtzehn verschiedene Anordnungen auswies. Nach der Höhe hin wurden die am 1. Juli 1917 erlassenen Höchstpreise nicht mehr verändert. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung hatte nun endlich eine wirksame Organisation sowie klare Bestimmungen an der Hand, die es ihr ermöglichten, die Preise unbedingt festzuhalten.

34 Eine Reichsgerichtsentscheidung ist in dieser Sache erst Mitte 1920 erfolgt; sie sprach sich gegen den Standpunkt der Kriegs-Rohstoff-Abteilung aus.



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Granatstahlpreise Außerdem gelang das Festhalten der Eisenpreise vornehmlich aus dem Grunde, daß die Kriegs-Rohstoff-Abteilung sich für ihre Preispolitik eine Preisentwicklung zunutze machen konnte, die für sich genommen zu großen Bedenken Anlaß gab. Der Preis für Granatstahl nämlich war den übrigen Eisenpreisen erheblich vorausgeeilt und bot den Werken die Möglichkeit sehr hoher Gewinne. Wenn die Kriegs-Rohstoff-Abteilung nun darauf verzichtete, den Granatstahlpreis herabzusetzen, so konnte sie mit um so größerem Nachdruck die weitere Preisentwicklung für alle anderen Produkte hintanhalten, indem sie sich unfruchtbaren Erörterungen über Selbstkostensteigerung, Gewinn- und Verlustmöglichkeiten usw. dadurch entzog, daß sie die Werke auf ein Durcheinanderrechnen aller Preise mit dem Granatstahlpreis verwies. Hierdurch war es möglich, selbst diejenigen Höchstpreise festzuhalten, die nachweislich nicht mehr den Selbstkosten gerecht wurden, ohne daß die Industrie Anlaß zu begründeten Klagen über schädigende Wirkungen der von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung befolgten Preispolitik hatte. Leider ist diese an sich vertretbare Politik des Preisausgleichens nicht durch eine zureichende Steuerpolitik ergänzt worden; der Reichstag und die Finanzbehörde brachten die dahinzielenden Anträge der Militärverwaltung zu Fall. Allerdings hat die Kriegs-Rohstoff-Abteilung hinsichtlich der Granatstahlpreise aus der Not eine Tugend zu machen versucht. Die Entwicklung, die der Granatstahlpreis bereits lange vor der Aufnahme preispolitischer Maßnahmen durch die KriegsRohstoff-Abteilung genommen hatte, fiel aus der übrigen Preisbewegung heraus. Bis zum Frühjahr 1916 wurde der Preis für dieses Material — wie auch für die anderen Stahlprodukte — behördlich überhaupt nicht kontrolliert. Er entwickelte sich im freien Verkehr und unterlag hierbei Einflüssen von seiten der Konsumtion wie auch der Produktion, die eine von der Preisentwicklung aller anderen Eisen- und Stahlprodukte durchaus verschiedene Preisgestaltung hervorriefen. Am bedenklichsten waren hierbei die überaus hohen Angebote, die den Werken für die Lieferung von Granatstahl von Anfang an gemacht wurden. Die Feldzeugmeisterei schloß mit ihren Lieferern lediglich auf fertige Geschosse oder Geschoßteile ab. Mit Rücksicht auf die gerade in der ersten Kriegszeit besonders große Spannung zwischen Bedarf und Lieferung und die große Dringlichkeit der Erfüllung des Munitionsbedarfs wurden dabei die Preisgrenzen für die Geschosse außerordentlich weitherzig gezogen; die Feldzeugmeisterei legte anfänglich die Gestehungskosten der in der Regel wenig wirtschaftlich arbeitenden Staatsbetriebe zugrunde, glaubte aber außerdem — wie schon dargelegt — das Mittel starker Reizpreise zur Belebung der Produktion nicht entbehren zu können. Der hieraus sich herleitende hohe Preis für die fertige Munition erlaubte es den Munitionswerkstätten, auch den Stahlwerken für den gelieferten Granatstahl einen außergewöhnlich hohen Preis zu bieten und zu zahlen. Für die Beurteilung der ganzen Frage ist es aber von Wichtigkeit, sich ein Bild zu machen über die Größe der Auswirkung dieser Politik auf die Gesamtwirtschaftslage, die im allgemeinen wesentlich überschätzt wird. Anfänglich beschäftigten sich nur

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sieben Stahlwerke mit der Herstellung von Granatstahl; sie verarbeiteten ihn ziemlich restlos in den eigenen Walz- und Preßwerken weiter und brachten nur die fertigen Granatrohlinge zur Ablieferung. Der Kreis der an der Granatstahllieferung beteiligten Werke erweiterte sich anfänglich nur langsam, und erst Ende 1915 hatte die Zahl der mit dieser Produktion beschäftigten Werke einen nennenswerten Umfang angenommen. Aber auch dann wurde der weitaus größte Teil der Erzeugung im eigenen Betriebe weiterverarbeitet und es blieben die an reine Walzwerke abgegebenen Mengen verhältnismäßig gering. Wenn nun trotz dieser Sachlage schon seit Ende 1914 ein Granatstahlpreis notiert wurde, so hatte dies im Grunde nur eine nominelle Bedeutung. Der auch in der Preistabelle aufgeführte Preis von 210 M (Dezember 1914) und 245 M (April 1915) stellt die Selbstkostengrenze dar, welche die Feldzeugmeisterei den Werken zugestand. Die Gestehungskosten waren auch in der Tat zunächst für Granatstahl im allgemeinen höher als für andere Produkte. Dies hatte in der Hauptsache wirtschaftliche Gründe, die wenigstens für die ersten Kriegsjahre ausschlaggebende Bedeutung gehabt haben dürften. Im Gegensatz zu England konnte nämlich die deutsche Heeresverwaltung der Leistungsfähigkeit der Eisenindustrie die Durchführung der technischen Umstellungen aus eigener Kraft zumuten, die im Hinblick auf die Kriegsbedarfslieferungen erforderlich wurden. Staatliche Vorschüsse zur Finanzierung dieser Arbeiten wurden nur in ganz vereinzelten Fällen gewährt und von den in Frage kommenden Werken in kürzester Frist wieder svll zurückgezahlt. Im allgemeinen mußte aber die Industrie ihre Sonderaufwendungen auf dem Wege über die Preise hereinzubekommen suchen. Vergegenwärtigt man sich dazu die Marktverhältnisse, die bis Ende 1915 herrschten, so erkennt man, daß der Granatstahl damals eines der ganz wenigen Produkte war, bei dem die an seiner Herstellung beteiligten Werke auf einen gesicherten Absatz rechnen konnten. Gerade der für die Kalkulation sehr wesentliche Schienenbedarf hatte in der entscheidenden Zeit erheblich nachgelassen, außerdem stand der Schienenpreis unverhältnismäßig niedrig. Die Ausfuhr war nur in geringem Umfange möglich und der Inlandabsatz stockte auf der ganzen Linie mit Rücksicht auf den mäßigen Bedarf und das Vorhandensein der latenten Vorräte. Infolgedessen verrechneten die Werke naturgemäß einen größeren Teil der Generalunkosten auf das absatzfähigste Produkt, dessen Preis dadurch einseitig belastet wurde. Bis zu einem gewissen Grade war also, von der Seite der Produktion aus gesehen, eine erhöhte Bewertung des Granatstahls gerechtfertigt. Solange die Verhältnisse so lagen, wie eben beschrieben, traten die Gefahren eines solchen Vorgehens noch nicht in die Erscheinung. Anders wurde dies erst, als vom Herbst 1915 ab die Stahlgranate immer größere Bedeutung in der Munitionsversorgung erhielt, die hergestellten Mengen schnell anwuchsen und auch im freien Markt mehr und mehr Granatstahl umgesetzt wurde; die Dinge entwickelten sich da nach einer unerwünschten Seite hin. Ein unglücklicher Zufall verschärfte die Entwicklung. Die starke Nachfrage nach Granatstahl — hervorgerufen durch die Rüstungen für den Sommer 1916 — trieb die



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Preise hierfür auf dem freien Markt lebhaft in die Höhe. Die reinen Werke gerieten gegenüber den gemischten Werken infolgedessen in Nachteil, da ihre Selbstkosten auf diesen erhöhten Marktpreisen fußen mußten. Die Feldzeugmeisterei legte nun erklärlicherweise bei der Festsetzung der Preise für die fertigen Granaten nicht die Selbstkosten der gemischten Werke, sondern den Marktpreis für Granatstahl zugrunde. Diese Berechnungen sollten jedoch ausschließlich internen Charakter tragen und die Obergrenze für die Preise kenntlich machen, bis zu der die Beschaffungsstellen gehen durften. Im einzelnen sollte nach wie vor der tatsächliche Preis auf Grund von Einzelverhandlungen mit den liefernden Werken gefunden werden, wobei wiederum nur die Preise für die Granaten selbst in mehr oder weniger verarbeiteter Form festgesetzt werden sollten, während der Granatstahlpreis noch immer der freien Vereinbarung zwischen Lieferer und Unterlieferer vorbehalten blieb. Der nominelle Charakter des Granatstahlpreises, von dem bereits die Rede war, sollte also beibehalten werden. Diese Absichten werden durch ein Unterorgan durchkreuzt, das in unbedachter Weise die Kalkulationsunterlagen den Granatstahl herstellenden Werken bekanntgab. Es war psychologisch nur zu erklärlich, daß von diesem Augenblicke an der interne Kalkulationspreis der Feldzeugmeisterei als offizieller Einheitspreis angesehen wurde und daß alle Werke, die noch unter diesem Preis verkauft hatten, nunmehr mit ihren Forderungen auf die jetzt „anerkannte“ Preishöhe nachzogen. Der auf diese merkwürdige Weise zustande gekommene Höchstpreis für Granatstahl (260—300 M je nach Dimension) lag zu hoch. Es fehlte nicht an Stimmen selbst aus den Kreisen der Industrie, die ihn als unangemessen bezeichneten; es bleibt eine Versäumnis der Verwaltung, diese Erkenntnis nicht für die Allgemeinheit wirksam gemacht zu haben. So wurde der Granatstahlpreis für die Hersteller von Granatstahl zu einer Quelle großer Gewinne. Als die Kriegs-Rohstoff-Abteilung im Frühjahr 1916 ihre Tätigkeit auf dem Gebiete der Eisenwirtschaft begann, wandte sie gleich zu Anfang ihre Aufmerksamkeit auf eine Neuregelung der Granatstahlpreise. Da dies aber unmittelbar im Anschluß an die eben geschilderten Ereignisse geschah, durch die der Preis gerade erst festgelegt war, so kam die Kriegs-Rohstoff-Abteilung mit ihren Absichten offenkundig zu spät. Auch erwies sich der zunächst eingeschlagene Weg als gänzlich verfehlt, da man sich auf einen stark ins persönliche spielenden Streit mit einigen von den Werken nicht einmal autorisierten Vertretern der Eisenindustrie festrannte, anstatt die führenden Persönlichkeiten der Industrie selbst in einer gemeinsamen Besprechung eindringlich auf die Bedeutung des Problems hinzuweisen und in geschickter Weise ihr Verantwortlichkeitsgefühl in dieser Frage zu wecken. Dieser später bei wichtigen Angelegenheiten regelmäßig beschrittene Weg hat in jedem Falle zu guten Erfolgen geführt. So aber verlief dieser unzulängliche Versuch, den Granatstahlpreis in angemessener Höhe festzusetzen, im Sande. Wenige Tage später brach die Sommeschlacht aus, die preispolitische Erörterungen vorläufig hinter den Aufregungen im gesamten Beschaffungswesen ganz verschwinden ließ.

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Trotzdem also die Entwicklung der Granatstahlpreise bis zum Eingreifen der Kriegs-Rohstoff-Abteilung in volkswirtschaftlicher Hinsicht durchaus nicht befriedigend verlief, gelang es dann später doch, durch die Verknüpfung der Granatstahlpreise mit der gesamten Preispolitik einen vertretbaren Mittelweg zu finden. Wie schon erwähnt, hat die Kriegs-Rohstoff-Abteilung die Handhabung der Höchstpreise und das Festhalten an den einmal festgelegten Höchstpreisen ausschlaggebend dadurch sichern können, daß sie die Werke auf ein Durcheinanderrechnen aller Preise mit dem Granatstahlpreis verweisen konnte. Man dürfte andrerseits im allgemeinen nicht fehl gehen, wenn man annimmt, daß durch das Festhalten der Höchstpreise trotz wachsender Selbstkosten die Betriebsüberschüsse, soweit sie infolge des hohen Granatstahlpreises während der ersten beiden Kriegsjahre erzielt wurden, mehr oder weniger ausgeglichen worden sind. War nämlich oben festgestellt worden, daß sich die Eisenpreise am Kriegsende ungefähr auf das 2½—2fache des Friedenspreises stellten, so ergibt eine Vergleichung des Granatstahlpreises mit dem Friedenspreis der etwa qualitätsgleichen Eisenbahnschienen, daß auch der Granatstahlpreis auf nur wenig mehr als das 2½fache der Friedensbewertung gestiegen ist. Da er aber diese Höhe bereits im Jahre 1916 erreichte, wo er dann bis zum Kriegsende festgehalten wurde, so bot er in diesem Voreilen eine Gewinnreserve für die Werke, aus der die etwaigen Verluste durch unzureichende Höchstpreise wett gemacht werden konnten.

Prämiengewährung Von allgemeinerem Interesse sind aus der großen Zahl der vorgenommenen Preisnormierungen einige Sonderfälle, bei denen der Versuch gemacht wurde, durch die Gewährung von Prämien gewisse Sonderzwecke zu verfolgen. Während der Gültigkeit der Richtpreise sah sich die Kriegs-Rohstoff-Abteilung veranlaßt, vorübergehend für Halbzeug eine solche Prämienzulage zu gestatten. Da seit Mitte 1916 der Halbzeugpreis durch die Kriegs-Rohstoff-Abteilung festgehalten wurde, verringerte sich mit wachsenden Selbstkosten allmählich die Gewinnspanne für dieses Produkt immer mehr. Infolgedessen wuchs bei den gemischten Werken — wie dies oben schon ganz allgemein angedeutet wurde (siehe S. 173f.) — die Neigung, ihr Halbzeug im eigenen Walzwerkbetriebe weiterzuverarbeiten, anstatt es auf dem Markt abzusetzen. Sie konnten so die sinkende Rentabilität der Stahlwerksbetriebe durch die Betriebsüberschüsse der Walzwerkbetriebe ausgleichen. Ihre Abnehmer für Halbzeug, die reinen Walzwerke, sahen sich infolgedessen den größten Schwierigkeiten bei der Beschaffung ihres Bedarfs gegenüber. Der sich hieraus ergebende Konflikt hat eine über den Sonderfall hinausgehende Bedeutung. Er spitzt sich letzten Endes zu der Frage zu, ob es in Zeiten gespannter Wirtschaftslage besser ist, den gesamten Bedarf auf die leistungsfähigsten Werke umzulegen und dort auf die technisch rationellste Weise die höchste Produktion zu erzielen, oder ob volkswirtschaftliche Rücksichten allgemeiner Art die Inganghaltung



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auch kleinerer, wirtschaftlich ungünstiger arbeitender Unternehmungen fordern. Die mannigfachen Verknüpfungen der Eisenindustrie mit dem Wirtschaftsleben (z. B. die Fernkraft- und Gasversorgung der Hochofenwerke, die Kombination von Eisenwerken mit Maschinenfabriken, Werften und dergleichen) forderten mehr als bei anderen Industrien Rücksichtnahme auf die großen und unübersehbaren Folgen, die eine Stilllegungsaktion in der Eisenindustrie haben mußte. Da die besonders in der Übergangszeit unvermeidlichen nachteiligen Wirkungen auch nicht etwa wie in England durch das Einspringen eines leistungsfähigen Verbündeten ausgeglichen werden konnten, sondern in voller Stärke das ohnehin bis zum äußersten gespannte Wirtschaftsleben treffen mußten, hat man in Deutschland ganz bewußt eine technisch unrationelle Wirtschaftspolitik durchgehalten. Wiederum machte es sich höchst nachteilig bemerkbar, daß man der Aufgabe der Höchstintensivierung der Eisenproduktion erst so spät nähergetreten war, daß ihre Lösung auf Schwierigkeiten stieß, die erst während der Kriegszeit allmählich zur Unüberwindlichkeit angewachsen waren. Demgegenüber war ganz natürlicherweise die Industrie bestrebt, den technisch rationellsten Weg zu beschreiten. Solange die meisten Eisen- und Stahlwerke nur bis zu 60% ihrer Leistungsfähigkeit beschäftigt waren und manche selbst diesen Beschäftigungsgrad nicht erreichten, gingen vom Standpunkte der Werke vaterländisches Interesse und Unternehmerinteresse parallel, wenn sie eine möglichste Steigerung ihrer Werkausnutzung anstrebten. Wenn nun die Kriegs-Rohstoff-Abteilung lediglich auf dem Verordnungswege eine Abgabe von Halbzeug an die kleineren Walzwerkbetriebe durchzusetzen versucht hätte, so hätte dieses Vorgehen den Großunternehmern nicht nur verlustbringend, sondern geradezu vernunftwidrig erscheinen müssen, solange sie durch die volle Anspannung der eigenen Leistungsfähigkeit die Anforderungen der Bedarfsdeckung in gleicher oder sogar besserer Weise befriedigen konnten. Eine entsprechende Verordnung hätte zudem selbst bei schärfster Anwendung kaum durchgreifend zu wirken vermocht, da es bei dem hohen Bedarf jedem Werk leicht genug wurde, für seine Gesamtproduktion die dringlichste Verwendung im eigenen Betriebe nachzuweisen. Wollte demgegenüber die Behörde auf ihrem Standpunkte zum Schutze der wirtschaftlich schwächeren Werke bestehen bleiben, so konnte sie auf die tätige Mitarbeit der Industrie nicht wohl verzichten. Diese war aber nur dann zu gewinnen, wenn wenigstens die privatwirtschaftlichen Bedenken der Großunternehmer aus dem Wege geschafft wurden. Man durfte also den Großwerken nicht einen Preis vorschreiben, der die Marktbelieferung unlohnend machte. Um aber nicht eine allgemeine Verteuerung der Stahlpreise einzuleiten, griff die Kriegs-Rohstoff-Abteilung am 5. April 1917 zu dem Mittel, den Stahlwerken eine Prämie von 40 M für jede Tonne Halbzeug zu genehmigen, welche die Stahlwerke nach den Weisungen der Rohstahlausgleichstelle oder des Beauftragten des Kriegsministeriums beim Stahlbund an die reinen Walzwerke im zweiten Quartal 1917 lieferten. Der Zweck dieser Maßnahme wurde völlig erreicht.

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Im Februar 1917 kam ferner unter der Mitwirkung der Kriegs-Rohstoff-Abteilung ein Ausgleich zwischen den Schienenwalzwerken und der Staatsbahnverwaltung wegen der Vertragspreise für Schienenmaterial zustande; auch hier war das Ergebnis eine Prämienbewilligung. Während im Frieden der Schienenpreis um rund 20 M über dem Halbzeugpreis gelegen hatte, war allmählich der Halbzeugpreis dem Schienenvertragspreis weit vorausgeeilt. Er stand Anfang 1917 um 20 M höher als der Schienenpreis. Diesen Verhältnissen konnte sich das Eisenbahnzentralamt nicht verschließen und mußte mit Gültigkeit bis 1919 einen neuen Lieferungsvertrag zu einem erhöhten Preise bewilligen, der jedoch die Friedensrelation zum Halbzeug nicht entfernt wieder herstellte. Durch das Hindenburg-Programm war nun aber die gesamte Leistungsfähigkeit in erster Linie für die Herstellung von dringendem Kriegsbedarfsmaterial in Anspruch genommen. Manche früher in weitem Umfang an der Deckung des Schienenbedarfs beteiligten Werke, wie z. B. Krupp und Bochumer Verein, hatten auf Anweisung der Heeresverwaltung die Schienenherstellung zugunsten der Geschützund Munitionsfabrikation ganz einstellen müssen. Außerdem war man genötigt gewesen, mit Rücksicht auf den starken Produktionsrückgang in den Wintermonaten 1916/17 jede nur irgend verfügbare Kapazität für Granatstahlfabrikation zu belegen. So sank die Schienenlieferung erheblich ab. Die Staatsbahnverwaltung hatte sich zwar im Herbst 1916 mit Rücksicht auf die Dringlichkeit der unmittelbaren Heeresbelieferung damit einverstanden erklärt, ihren Bedarf vorläufig zurückzustellen, mußte aber im Interesse der Betriebssicherheit im Februar 1917 mit erheblich gesteigerten Anforderungen auftreten. Es erschien nun nicht angängig, Qualitätswerke wie Krupp und Bochumer Verein auf Kosten der Kriegsmateriallieferungen zur Wiederaufnahme der Schienenproduktion zu veranlassen. Der Stahlwerksverband sollte vielmehr die zur Vertragserfüllung erforderlichen Quantitäten auf die übrigen Walzwerke umlegen. Hierbei kam es nun sehr deutlich zur Geltung, daß es sich bei der Ausführung von Schienenaufträgen für die Staatsbahn um mehr oder weniger gewinnlose oder gar verlustbringende Lieferungen handelte. Die von der Umlage betroffenen Werke waren aber nur bereit, die bereits früher übernommenen Vertragsquoten zur Ausführung zu bringen. Sie zeigten sich nicht geneigt, zu den niedrigen Preisen die Anteile anderer Werke zu übernehmen, die ganz offenbar den großen Vorteil genossen, von gewinnlosen Lieferungen befreit zu sein und dafür äußerst ertragreiche Aufträge eingetauscht zu haben, während die anderen umgekehrt gewinnbringende Aufträgte zurückstellen mußten, um unrentable Geschäfte zu übernehmen. Auch hier konnte den privatwirtschaftlichen Bedenken die Berechtigung nicht abgesprochen werden, da der Staatsbahnvertrag tatsächlich mit ganz ungewöhnlich niedrigen Preisen rechnete. Der Stahlwerksverband war aber auch in diesem Falle nicht in der Lage, einen Ausgleich herbeizuführen. Gegenüber dem Widerstand der beteiligten Werke versagte seine Organisation; der Verbandsvertrag bot keine wirksame Handhabe. Da aber offenbar der außergewöhnlich niedrige Schienenpreis das einzige Hindernis war, so erschien es der Kriegs-Rohstoff-Abteilung ratsam, bei der Staatsbahnverwaltung die Gewährung einer Teuerungsprämie von 50  M pro Tonne für Schienenlieferungen anzure-



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gen, d. h. also den Schienenpreis entsprechend der allgemeinen Preishöhe zu heben. Hiernach gelang es ohne weitere Schwierigkeiten, die Werke an der Lieferung verhältnisgemäß zu beteiligen; die Prämie wurde bis Kriegsende gezahlt und auch von den bundesstaatlichen Bahnen übernommen. Ein gewisses Interesse verdienen schließlich noch die nach Absatzgebieten oder Bedarfsgruppen abgestuften Höchstpreise für gewisse Eisensorten. So wurde der Preis für Schrauben für Ost- und Westdeutschland verschieden hoch bemessen. Auch diese Regelung ergab sich aus der Notwendigkeit, allgemein volkswirtschaftliche Interessen zu berücksichtigen. Während des Krieges war die Leistungsfähigkeit der westdeutschen Schraubenfabriken so stark angewachsen, daß diese in den Stand gesetzt wurden, den Gesamtbedarf zu decken. Hierbei wäre die ostdeutsche Schraubenfabrikation in Gefahr geraten, völlig zum Darniederliegen zu kommen, wenn nicht die Kriegs-Rohstoff-Abteilung sie durch eine besondere Preisbevorzugung gestützt hätte. Bei einer solchen regional orientierten Preispolitik genügte es jedoch nicht, nur den Werkpreis festzusetzen, sondern es mußte auch vorgesorgt werden, daß die verschieden hoch zugelassenen Werkpreise nicht miteinander in Wettbewerb treten konnten. Bei den Schrauben wurde dies dadurch erreicht, daß für die Preisgestellung in jedem Falle nur derjenige Bezirk geltend war, in den die Ware versandt wurde. Es hatte somit kein östliches Werk ein Interesse an einer Lieferung nach dem Westen, da es dorthin zu niedrigeren Preisen hätte liefern müssen. Umgekehrt war den westlichen Werken das Eindringen in das östliche Absatzgebiet erschwert, da bei einem unter Berücksichtigung der Frachten gleichen Preis die Verbraucher doch vorzogen, die alten Handelsbeziehungen zu wahren. Bei der Preisfestsetzung für verzinkte Bleche und verzinktes Bandeisen wurde der Versuch gemacht, den beschaffungstechnischen Absichten der Rohstahlausgleichstelle dadurch entgegenzukommen, daß für Lieferungen an Private geringere Preise festgesetzt wurden als für solche an die militärischen Beschaffungsstellen. Die Produzenten wurden dadurch angeregt, den Heeresbedarf zu bevorzugen.

Das englische System Die Bedeutung der Eisenpreisbewegung für die finanzielle Kriegführung war bei allen am Kriege beteiligten Staaten gleich groß. Eine Vergleichung der einschlägigen Verhältnisse liegt deshalb nahe. Die amerikanische Eisenpreisbewegung eignet sich weniger zu einer Vergleichung mit der deutschen, weil Amerika vor seinem Eintritt in den Weltkrieg als erster Kriegslieferant der Entente bei der Preisgestellung für Heeresmaterial Grundsätze verfolgen konnte, die denjenigen in Europa geradewegs entgegenliefen. Das Interesse der amerikanischen Volkswirtschaft lag in einer möglichst restlosen Ausnutzung der sich bietenden Kriegskonjunktur, und demzufolge stiegen auch die Eisenpreise bis zum Frühjahr 1917 bis auf etwa das Vierfache des Friedensausmaßes in die Höhe.

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Als dann Amerika durch die offizielle Teilnahme am Kriege Selbstverbraucher von Kriegsmaterial wurde, erfolgte sofort eine staatliche Preisregelung mit Rücksicht auf die nunmehr gebotene Notwendigkeit, die Kriegskosten nicht zu hoch anwachsen zu lassen. Durch die Höchstpreise vom Sommer 1917 wurden die amerikanischen Eisenpreise etwa auf 300 % des Friedensstandes zurückgeschraubt. In England dagegen zeigte die Versorgungslage mit Eisen manche Ähnlichkeit mit der deutschen. Auch dort herrschte kurz vor Kriegsausbruch ein außerordentlicher Tiefstand der Preise und es brachte erst der Krieg allmählich einen Umschwung der Konjunktur. Wie Deutschland war England zwangsläufig auf ausländischen Erzbezug angewiesen und glich Ausfälle in der Erzversorgung durch die vermehrte Heranziehung von Schrott aus. Allerdings fanden sich auch grundlegende Verschiedenheiten in den Produktionsbedingungen. Ein ausschlaggebender Unterschied zwischen den englischen und deutschen Verhältnissen lag in der Struktur der beiderseitigen Industrien, durch die naturgemäß auch die von den Heeresverwaltungen hier und dort ergriffenen Maßnahmen verschiedene Form annehmen mußten. Während die deutsche Wirtschaftsleitung mit einer technisch-wirtschaftlich und besonders auch organisatorisch aufs vollkommenste ausgebauten Eisenindustrie rechnen durfte, sah sich das englische Munitionsministerium einer wesentlich andersgearteten Industrie gegenüber. Die englische Eisenindustrie hatte sich technisch langsamer entwickelt als die deutsche, der Mittelbetrieb überwog bei weitem. Eine große Zahl von Werken war durchaus veraltet, so daß schon im Jahre 1915, als die großen Rüstungen zu den in Aussicht stehenden Materialkämpfen einsetzten, der Plan einer durchgreifenden Erneuerung und Umstellung der technischen Einrichtungen vom englischen Munitionsministerium in Angriff genommen wurde. Während Amerika vorübergehend die Hauptlast der Eisen- und Munitionsversorgung der Ententestaaten übernahm, baute der englische Munitionsminister Lloyd George nach einheitlichem Plan die englische Eisenindustrie um. Jedes Werk wurde zielbewußt neu auf scharf umrissene Aufgaben eingestellt — auch in der Beschaffung der erforderlichen maschinellen Einrichtungen half der wirtschaftliche Bundesgenosse jenseits des Atlantik — und diese ganze Umstellung vollzog sich auch finanziell unter unmittelbarer Beteiligung des englischen Fiskus. Nach dem Bericht des Select Commitee on National Expenditure vom Frühjahr 1918 beliefen sich bereits zu diesem Zeitpunkt die gesamten unmittelbaren staatlichen Aufwendungen für diese Zwecke auf 66 Millionen Pfund für die Errichtung und Ausstattung staatlicher Betriebe, 16 Millionen Pfund für Zuwendungen an private Firmen und 17 Millionen Pfund für staatliche Beteiligungen in Form von Gebäuden, Fabrikationsanlagen, Werkzeugen, Geräten usw.

Dies ergab schon Anfang 1918 eine Gesamtsumme von 99 Millionen Pfund, d. h. nach dem Kriegskurs des deutschen Geldes etwa 4—5 Milliarden Mark.



C Möglichkeiten und Bedingtheiten autoritativer Preisregelung beim Eisen 

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Derartige vorweg zu leistenden Aufwendungen entfielen für den Reichsfiskus in Deutschland vollständig. Die deutsche Eisenindustrie war mit ihren neuzeitlichen Einrichtungen imstande, auch den Kriegserfordernissen gerecht zu werden. Die Errichtung der besonderen Kriegsanlagen (also auch der Granatenfabrikation) unternahm die deutsche Eisenindustrie im allgemeinen ohne staatliche Zuschüsse auf eigenes Risiko. Diese Verschiebung der Initiative und des Risikos vom Staat auf die Privaten mußte natürlich auf die Gestaltung der Eisenpreise in Deutschland bestimmenden Einfluß haben; die Heeresverwaltung mußte den hieraus entspringenden Aufwand bei der Preisbewilligung in Rechnung setzen. Hierbei fiel erschwerend ins Gewicht, daß die von der Industrie gemachten Investitionen — hauptsächlich auch diejenigen aus Anlaß des Hindenburg-Programms — oft genug nicht ausgewertet werden konnten und von der Industrie teilweise als reine Verluste gebucht werden mußten. Trotzdem aber im Gegensatz zu Deutschland das englische Munitionsministerium weitgehend die Kosten für die Einrichtung der Kriegsindustrie unmittelbar trug, entwickelte sich obendrein der englische Eisenpreis wesentlich schneller als der deutsche. Als das englische Munitionsministerium bei der Aufnahme der großzügigen Munitionsfabrikation für die Sommeschlacht Höchstpreise für Eisen und Stahl mit Wirkung vom 7. April 1916 erließ — die im Juli und September 1916 ergänzt und erweitert wurden —, stellten sich diese im großen Durchschnitt auf etwa 250 % der Friedenspreishöhe und wurden durch die Höchstpreisverordnung ungefähr auf 180—200% zurückgeschraubt. Zur gleichen Zeit bewegte sich der deutsche Eisenpreis um 150—160% des Friedenspreises und stieg während des Hindenburg-Programms (Herbst und Winter 1916/17), also erst reichlich ein Jahr später als der englische, auf das Höchstpreisniveau von rund 200 % des Friedensstandes. Über die Preisentwicklung in England gibt die Tabelle auf S. 192 Aufschluß. Wenn auch zweifellos die günstige Preisstellung in England die Produktionsleistung angeregt hat, so liegt doch der Hauptgrund für die Zunahme der englischen Produktion (von 1913—1917 um rund 25 %) auf anderen Gebieten. Durch die weitgehende Neueinrichtung der Werke wurde die technisch rationellste Ausnutzung der Anlagen ermöglicht. Andrerseits war die Friedensleistung weit hinter der Produktionsmöglichkeit zurückgeblieben, so daß bei voller Ausnutzung der Anlagen ohne weiteres eine Produktionserhöhung eintreten mußte. Außerdem war England in der Lösung der Arbeiterfrage ganz wesentlich günstiger gestellt als Deutschland. Schließlich aber hat die englische Heeresleitung die Bedeutung der produktiven Technik für die Kriegführung viel früher erkannt als die deutsche und damit rechtzeitig den Anstoß zum Ausbau der Kriegsindustrie gegeben. Hierin liegt die ausschlaggebende Überlegenheit der englischen Kriegswirtschaftspolitik vor der deutschen.

192 

 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

Preisentwicklung in England 35 Gießereiroheisen III. Stahlknüppel

Jan. 1914…………… Jan. 1915…………… Jan. 1916…………… Jan. 1917…………… Jan. 1918…………… Dez. 1918………..…

sh./l.t

%

sh./l.t

51 56 93 87/6 95 95

100 110 182 172 187 187

95 150 250 207 207 215

Stabeisen % sh. /l. t 100 158 263 218 218 226

140 150 268 275 275 295

Behälterbleche % sh./l. t: 100 107 192 197 197 211

145 150 265 250 250 250

% 100 104 183 173 173 173

In Deutschland war ein Neuaufbau der Industrie wie in England nicht erforderlich. Man übersah aber die gebotenen Möglichkeiten und versäumte es, zur rechten Zeit von der vorhandenen Leistungsfähigkeit Gebrauch zu machen. Nach Aufnahme des Hindenburg-Programms aber stand man vor der Unmöglichkeit, zu diesem verspäteten Zeitpunkte die Unterlassungen der ersten beiden Kriegsjahre wett zu machen. Besonderes Interesse bietet die Gestaltung der Granatstahlpreise in England. Für die Herstellung der Geschoßhüllen erhielten die Firmen zunächst einmal die bereits erwähnten erheblichen, unmittelbaren Unterstützungen. Außerdem aber wurde der Preis mit Rücksicht auf den schwächsten Produzenten möglichst entgegenkommend festgesetzt. Nach dem Bericht des oben genannten Komitees stand er z. B. auf 13 sh. 6 d. für die Geschoßhülle, zu einem Zeitpunkt, an welchem die Staatswerke mit 10 sh. — also 25 % weniger — auskamen. Der Preis war also offenbar reichlich bemessen. Trotz der in England weitergehenden Kontrolle der Betriebe gelang es dem Munitionsministerium nicht, übermäßige Gewinne der Industrie hintanzuhalten. Der mehrfach erwähnte Bericht des Untersuchungsausschusses enthält hierfür zahlreiche Unterlagen. So konnte eine Firma mit einem Kapital von 11 250 £ in einem Jahre nach Abzug aller Kriegsgewinnsteuern und anderen Steuern noch 51 000 £ Reingewinn erzielen, während in einem anderen vom Untersuchungsausschuß erwähnten Falle die Heereslieferungen einem Unternehmen einen Überschuß von 340% des buchmäßigen Kapitals brachten, usw. Für die Durchsetzung der beabsichtigten preispolitischen Maßnahmen fand das englische Munitionsministerium wesentlich gangbarere Wege vor als die deutsche Heeresverwaltung. In der englischen Industrie war weder die großzügige Betriebskombination noch auch das Kartellwesen so hoch entwickelt als in Deutschland. Weit mehr als bei uns lag jedes einzelne Werk in England — gerade auch infolge seiner planmäßig vom Munitionsministerium eingeleiteten und beaufsichtigten Betriebsumstellung auf Kriegsbedarf — ganz offen vor dem Wirtschaftsleiter, der mit ganz anderer

35 Nach Dr. A. Argelander: Entwicklung der Eisenpreise in Deutschland, England und den Vereinigten Staaten während des Krieges. Düsseldorf 1919, Stahleisen-Verlag.



D Wirkungen der Eisenpreispolitik 

 193

Sicherheit, als dies technisch und kalkulatorisch bei der deutschen Eisenindustrie überhaupt möglich gewesen wäre, die Selbstkosten und die Produktionszusammenhänge überblicken konnte. Trotzdem hat das englische Munitionsministerium bei der Festsetzung der Höchstpreise etwa das gleiche Verfahren eingeschlagen, das auch in Deutschland verfolgt wurde. Man ging auch hier von dem Grundsatz aus, den Preis so hoch zu bemessen, daß auch der kleine Produzent mit einem gewissen Gewinn arbeiten könne und nicht etwa bei ungünstigen Preisen von der Granatenproduktion auf andere Bedarfsartikel abschwenkte. Das Munitionsministerium hat sich auch durch den Einspruch des obengenannten Untersuchungsausschusses nicht von dieser Politik abbringen lassen. Man hat in England genau so wie in Deutschland die Preispolitik für Eisen in der Hauptsache wirtschaftlich und nicht technisch orientiert. Bei diesem System mußte man in beiden Lagern in Kauf nehmen, daß die in den Produktionsverhältnissen günstiger gestellten Werke besondere Konjunkturgewinne erzielten; es mußte einer sachgemäßen Besteuerung vorbehalten bleiben, die Interessen des Staates zu wahren. Hierin zeigte die englische Munitionsgesetzgebung allerdings formell einen großen Vorsprung vor der deutschen, indem sie vorsah, daß die Unternehmer von vornherein alle über 20% Reingewinn hinausgehenden Überschüsse an die Staatskasse abzuführen hätten. Die deutsche Heeresverwaltung überließ die Besteuerung der Reichsfinanzverwaltung, die durch eine großzügig angelegte Kriegsgewinnsteuer den erforderlichen Ausgleich schaffen sollte. Die deutsche Finanzverwaltung hat durch die Hinauszögerung der Steuererhebung bis nach Kriegsende (allein schon durch die Geldentwertung und den Verlust Lothringens) den größten Teil des Ertrages dieser Steuer verloren. Ob bei den von dem englischen Untersuchungskomitee gemachten Feststellungen über die Kriegsgewinne englischer Werke die Bestimmungen des englischen Munitionsgesetzes voll zur Durchführung gelangt sind, muß mangels genauerer Feststellungen dahingestellt bleiben. Das englische System wies also keinerlei prinzipielle Vorzüge vor dem deutschen auf. Die Preise für Kriegsmaterial sind stärker als in Deutschland angestiegen, trotzdem außerordentlich große Aufwendungen für die Umstellung und Hebung der Produktion vorweg von der englischen Regierung übernommen worden waren. Auch der „Kriegsgewinn“ konnte trotz einfacherer Aktionsverhältnisse in England nicht unterdrückt werden.

D Wirkungen der Eisenpreispolitik Es besteht kein Zweifel, daß die Eisenindustrie im Kriege gut verdient hat. Einen gewissen Anhalt für die Rentabilität geben die Dividenden der Werke, wenn auch nicht verkannt werden darf, daß große Teile der Betriebsüberschüsse zur Bildung besonderer Reservefonds verwendet worden sind und teilweise keinen faßbaren bilanzmäßigen Ausdruck gefunden haben. Trotzdem bleibt die Dividende der gewohnheitsmäßige und börsentechnische Ausdruck für die Gesamtrentabilität der Unternehmungen; sie

194 

 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

allein ist die Summe, die den Besitzern der Werke als Gewinn zugefallen ist, während die Reserven aller Art durchaus produktiven Charakter tragen und fast ausschließlich letzten Endes der Volkswirtschaft in irgendeiner Form zugute kommen. Ohne die Rückstellungen in der Kriegszeit wäre es ganz unmöglich gewesen, daß die deutsche Industrie in ihrer Gesamtheit über die Erschütterungen der Revolutionszeit hinweggekommen ist. Dividenden einiger Eisen- und Stahlwerke Werk Gelsenkirchen….......… Krupp……..............…… Deutsch-Luxembg....... Phoenix……...........…… Lothr. Hütten-V.........… Rombach……….........… Rheinstahl……..........… König.-Laura-H.........… Bochumer Verein......... Katow. A.-G.…..........… Hoesch……............…… Röchling……..........…… Georgs-Marien-H........ Bismarckhütte….......… Zypen-Wissen…........… Ilsede-Peine…..........… Haspe…………...........… Obschl. Eisb.-B........… Obschl. Eisenind…......

11/12

12/13

13/14

14/15

15/16

16/17

17/18

18/19

11

12

13

14

15

16

17

18

10 12 12 18 12 10 10 6 14 14 22 5 12 — 12 33½ 12 2½ —

10 14 10 18 12 10 10 8 14 15 24 5 12 9 12 26 12 3½ 3

11 12 — 10 16 5 10 4 10 11½ 15 5 6 9 8 25 5 4 —

6 12 — 12 — 5 6 4 14 8 12 5 6 15 12 24 4 2 3

8 12 7 20 10 8 10 10 25 12 20 5 12 25 25 33½ 16 10 6

12 10 10 20 10 12½ 12½ 12 25 8 24 7½ 10 30 25 36 16 15 10

12 10 10 20 12 15 12½ 12 22½ 12 24 7½ 10 30 25 36 16 20 14

6 — — 8 — — 6 — 5 — — 5 — 5 10 — 10 5 14

Aus obiger Zusammenstellung läßt sich erkennen, daß die Rentabilitätsverhältnisse bei den einzelnen Werken völlig verschieden waren, je nach der finanziellen Lage der Werke seit dem Frieden her, je nach Qualität der Produktion, der Gestaltung der (wirtschaftlichen) Selbstkosten u. a. Ein noch anschaulicheres Bild über die Veränderung der Konjunktur im Kriege geben die Dividenden aller Werke zusammengenommen36. Als Vergleichsjahr ist das günstigste Friedensjahr 1911/12 herangezogen. Der Konjunkturumschwung, der sich nach der Baissezeit von 1914 in der Eisenindustrie vollzog, wird durch die nachfolgende Tabelle besonders anschaulich.

36 Vierteljahreshefte zur Reichsstatistik.



D Wirkungen der Eisenpreispolitik 

 195

Verteilung des Kapitals auf die größeren Gewinngruppen (in Prozenten des dividendenberechtigten Aktienkapitals) Dividende 0%……………………………....…… unter 9%……………………….…… 9—15%………………………...…… über 15%……………………………

11/12 14/15 15/16 16/17 17/18 10 24 60 16

23 34 38 5

5 40 33 22

2 9 61 28

15 6 50 29

Während also in dem Jahr 1911/12 genau ein Zehntel des dividendenberechtigten Aktienkapitals ohne Dividende blieb, die Hälfte 9—15% Dividende und ein Sechstel über 15% Dividende ausschüttete, verschob sich die Rentabilität im ersten Kriegsjahre beträchtlich nach unten (23% des dividendenberechtigten Kapitals arbeiteten ohne Dividende und 34% mit einer Dividende von unter 9%), um aber dann schon von dem Jahr 1915/16 an sich ganz wesentlich zu verbessern. Das Jahr 1916/17 bedeutete die Hochkonjunktur während des Krieges. Trotz der offenkundig günstigen Lage, in die die Eisenindustrie durch den Krieg versetzt worden ist, wird besonders die eigentliche Schwerindustrie kaum zu Recht als die einzige oder größte Nutznießerin am Kriege bezeichnet. Eine kurze Vergleichung mit anderen Industriegruppen ergibt vielmehr, daß ganz allgemein die gesamte Industrie durch den Krieg hohe Gewinne erzielt hat und daß, verglichen mit anderen Industriegruppen, gerade die Großwerke der Eisenindustrie (die gemischten Werke) durchaus gemäßigte Gewinnverhältnisse zeigen. Bei der Vergleichung darf mit größter Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß alle industriellen Unternehmungen etwa im gleichen Umfange die Betriebsüberschüsse auf die Ausschüttung von Dividenden und auf die Bildung von besonderen Fonds verteilt haben, so daß die Dividenden selbst als große Durchschnittswerte einen zutreffenden Maßstab für eine lediglich vergleichende Betrachtung der Industrien abzugeben vermögen.

196 

 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

Übersicht über die Kapitalgewinne (Dividenden) wichtiger Rohstoffindustrien in den Kriegsjahren 1916—1918 37 Dividende in Prozenten des Aktienkapitals

1916/17

1917/18

Erdölgewinnung………………………………................................…… Farbenindustrie………………………………................................…… Erzbergbau……………………………….................................………… Sprengstoffindustrie………………………………...........................… Gerbereien und Lederfabriken……………………........................… Chemische Industrien im Durchschnitt………....................……… Eisen- und Stahlwerke (reine Werke)…………….......................… Hüttenbetriebe aller Art im Durchschnitt…………....................… Zuckerfabriken und -raffinerien………………….........................… Leder- und Gummiindustrie…………………..........................……… Verarbeitung der Nichteisenmetalle…………….....................…… Seidenweberei…………………………………..............................…… Steinkohlenbergbau………………………………….........................… Eisen- und Stahlverarbeitung………………....................…… Chemische Großindustrie…………….........................……………… Konservenfabrikation……………………............................………… Leinenweberei……………………………………............................…… Maschinenindustrie………………………….........................………… Gemischte Montanwerke (Schwerindustrie)……….……… Elektrotechnische Industrie……………….........................………… Wollweberei……………………………………...............................……

23,68 22,69 21,00 20,19 17,78 17,77 17,36 16,91 15,52 14,71 14,61 14,60 13,86 13,77 13,53 13,39 13,09 13,04 13,01 12,13 9,29

23,56 18,64 18,00 18,55 13,99 16,49 17,75 17,12 13,87 14,26 16,08 17,56 13,51 15,46 13,50 12,87 11,19 11,91 11,41 13,40 11,19

Durchschnitt aller deutscher Aktiengesellschaften……..........…

9,28

10,13

In der Gewinnpolitik fallen also die Werke der Eisenindustrie keineswegs durch besondere Interessenpolitik auf. Die 39 reinen Werke, die die günstigsten Ergebnisse ausweisen, stehen mit der chemischen Industrie und den Hüttenwerken im allgemeinen etwa auf gleicher Stufe. Ihre Durchschnittsdividende liegt mit Rücksicht auf die besonders günstigen Betriebsergebnisse der Qualitätswerke verhältnismäßig hoch. Die 104  Werke, die Eisen und Stahl verarbeiten, haben etwa die gleichen Gewinne erzielt wie der Steinkohlenbergbau und die chemische Großindustrie. Die 32 gemischten Werke, also die eigentlichen schwerindustriellen Werke, zeigen die gemäßigste Gewinnpolitik. Es ist dies um so bemerkenswerter, als bei einzelnen der genannten Rohstoffindustrien (Leder, Gummi, Spinnstoffe, Metalle), auch beim Maschinenbau, von der Heeresverwaltung eine sehr scharfe, technisch orientierte Selbstkostenprüfung und Preiskalkulation durchgeführt wurde; trotzdem aber haben sich auch hier

37 Nach den Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen Reichs; geordnet nach der Dividendenhöhe des Jahres 1916/17.



D Wirkungen der Eisenpreispolitik 

 197

hohe Gewinne noch weniger als bei der Eisenindustrie unterdrücken lassen. Ein beachtliches Zeichen für die Bedingtheit der „technischen“ Preispolitik. Es seien zum Schluß noch einmal die Grundgedanken zusammengestellt, welche die wirtschaftsleitenden Behörden hinsichtlich der Eisenpreispolitik befolgten: In der Eisenwirtschaft handelte es sich darum, der Heeresführung die Waffen- und Ausrüstungsgegenstände zur bestmöglichen Durchführung der Kämpfe in denkbar reichlicher Menge und fristgerecht zu liefern. Unendliche Schwierigkeiten, die in erster Linie durch die Witterung und andere nicht auszugleichende Hemmungen, dann aber auch durch frühere Unterlassungen hervorgerufen wurden, stellten sich dieser Aufgabe entgegen. Die Produktionspolitik der Heeresverwaltung mußte scharf auf die Erfüllung der dringendsten Kriegsbedarfslieferungen eingestellt werden, alle anderen Interessen hatten hiergegen in den Hintergrund zu treten. Nur im Einvernehmen mit der Industrie aber war der schwer übersehbare Wirtschaftskörper zu regieren. Um des unschätzbaren Vorteils willen, in allen für den Augenblick ausschlaggebenden Entscheidungen auf die tätige und interessierte Mitarbeit der Industrie rechnen zu können, hat die Kriegs-Rohstoff-Abteilung auf dem Gebiete der Eisenpreise in der kritischen Zeit (Hindenburg-Programm) eine schroffe Haltung vermieden, ohne dabei die Zügel aus der Hand zu lassen. Der mit dieser Politik beabsichtigte Erfolg ist auch erreicht worden. Die Eisenindustrie ist, von ganz wenigen Einzelfällen abgesehen, willig auf die Anregungen und Verordnungen der Wirtschaftsleitung eingegangen; die Produktion hielt sich trotz aller Hemmnisse seit dem Hindenburg-Programm auf der gegebenen Höchstleistungsmöglichkeit. Die in Kauf genommenen Nachteile waren nicht so groß, daß sie nicht auf gesetzgeberischem Wege, besonders durch eine zielbewußte Steuerpolitik, hätten ausgeglichen werden können. Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse, die tatsächlich seit Oktober 1918 eingetreten sind, muß es aber geradezu als ein Glück betrachtet werden, daß der Eisenindustrie wie der deutschen Großindustrie überhaupt große Kapitalreserven zur Verfügung standen, die es ihr möglich machten, finanziell ohne Zusammenbruch die ungeheuren Lasten und Opfer der stürmischen Nachkriegsperiode zu tragen und so die deutsche Wirtschaft vor dem Äußersten zu bewahren. Die „Kriegsgewinne“ sind in dieser Zeit zum allergrößten Teil dem Unternehmertum wieder entglitten und der allgemeinen Volkswirtschaft wieder zugeflossen.

198 

 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

Exkurs d Die Bewirtschaftung des Alt- und Abfalleisens A Grundlagen Nachdem seit 1878 das Thomasverfahren in Südwestdeutschland in immer größeren Umfang aufgenommen worden war und die mit diesem Verfahren erzielten Produktionen bald in ihrer Massenwirkung alles bisher Gesehene überflügelten, wurde die Verwertung der in den dortigen Walzwerken entfallenden Mengen von Abfalleisen (Neuschrott) bald zu einer besonderen Aufgabe. Man lernte damals, mit Hilfe des Siemens-Martin-Prozesses, die Neuschrottmengen zur Herstellung eines hochwertigen Qualitätsstahls zu verwenden. Im Laufe der Zeit wuchs sich der Siemens-MartinProzeß zu immer größerer Bedeutung aus. Ursprünglich nur ein Hilfsprozeß ist er schließlich seit der Jahrhundertwende, besonders aber auch im Kriege eine ausschlaggebende Stütze der Stahlproduktion geworden und hat im Jahre 1917 im Ausmaße der Produktion das Thomasverfahren sogar überholt. Je mehr auf diese Weise der Martinprozeß an Bedeutung gewann, desto weniger genügte es, ihn lediglich aus dem Neuschrottentfall der Walzwerke zu nähren, man mußte vielmehr in immer größerem Umfange durch Zukauf von Alteisen (Altschrott) die bei den Eisenverbrauchern entfallenden Abfälle für die Martinstahlerzeugung mit heranziehen. Infolge des großen Eigenentfalls waren die West- und südwestdeutschen Eisenwerke mit ihrer hochentwickelten Thomasstahlproduktion wesentlich weniger auf den Zukaufschrott angewiesen, als die Eisenhütten in Mitteldeutschland und in Schlesien. Außerdem aber haben im Kriege die Verhältnisse dazu geführt, daß nicht nur die Martinwerke, sondern infolge des Mangels an hochwertigen Erzen auch die Hochofenwerke auf Alteisen als Rohmaterial zurückgriffen. Diese erhöhte Bedeutung des Schrotts für die Kriegswirtschaft hatte behördliche Regelungen von großem Umfang zur Folge. Während des Krieges wurde ferner der für die Gießereien wichtige Gußbruch, einer besonderen Bewirtschaftung unterworfen. Im Frieden hatte der Handel die Gießereien mit Gußbruch versorgt. Ihm selbst, manchmal auch den Gießereien floß der Gußbruch zumeist auf Grund der sog. Gegenseitigkeitsgeschäfte zu, indem regelmäßig bei der Ausführung von Neuaufträgen die ersetzten alten Einrichtungen zurückgenommen wurden. Hier war der eigene Entfall der Werke verhältnismäßig gering, das Hauptkontingent stellte diejenige Menge, die aus dem Verkehr herausgezogen wurde. Ein drittes Abfallprodukt hat erst im Kriege besondere Bedeutung gewonnen. Es sind dies die Drehspäne, die insonderheit bei der Herstellung der Granaten in sehr großen Mengen entfielen und wegen ihres Mangangehaltes zu einer wichtigen Rolle in der Manganversorgung berufen waren. Neben den Stahldrehspänen kamen auch Gußspäne in Betracht, die außer in der Eisenindustrie auch in der chemischen Industrie (für Farbstoffherstellung) verwendet wurden. Man zog diese Drehspäne zur Stei-

A Grundlagen 

 199

gerung der Erzeugung von Temperroheisen und phosphorarmen Spezialeisen heran, wobei sie zur Anreicherung und Auflockerung der zur Verhüttung herangezogenen Meggener Kiesabbrände dienten. Während des Friedens ruhte die deutsche Versorgung mit Alt- und Abfalleisen durchaus auf dem Inland. Die Einfuhrmengen wurden durch eine erhebliche Ausfuhr wieder ausgeglichen. Während die vor Mitte 1916 aufgetretenen Schwierigkeiten in der Schrottversorgung größtenteils auf unsachliche Momente, hauptsächlich Spekulation und dergleichen Motive, zurückzuführen waren, vollzogen sich von diesem Zeitpunkt an in der Inlandsversorgung so erhebliche Verschiebungen, daß eine befriedigende Bedarfsdeckung sachlich immer schwieriger wurde. Der Schrottentfall sank ab, während der Schrottbedarf stieg, bis die Spannung in der Deckungslage so sehr wuchs, daß eine behördliche Organisation den Ausgleich herbeiführen mußte. Das Sinken des Schrottentfalls erfolgte mit Naturnotwendigkeit aus dem großen Absinken der gesamten Eisen- und Stahlproduktion, wodurch selbstredend der Entfall an Neuschrott von vornherein sehr in Mitleidenschaft gezogen wurde. Obendrein verringerte sich der Neuschrottentfall deswegen, weil die Walzwerke zahlreiche Mengen von Unterlängen und Abfällen, die früher als Schrott zufielen, nun wegen des bestehenden allgemeinen Eisenmangels als Nutzeisen absetzen konnten. Je größer der Mangel an Halbzeug wurde, desto mehr griffen zudem die Walzwerke auf brauchbare Abfallprodukte zurück, die noch mit Nutzen ausgewalzt werden konnten, aber dadurch naturgemäß dem Gesamtschrottaufbringen verloren gingen. Auch bei den Eisen- und Straßenbahnen, bei Konstruktionswerkstätten und Maschinenfabriken, bei der Kleineisenindustrie usw., die bei der Beschaffung ihres Eisenbedarfs mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, entstand durch stärkere Materialausnutzung ein bei weitem verringerter Entfall von Abfalleisen, da diese Anstalten jedes nur irgendwie brauchbare Stück Abfalleisen verarbeiteten. Auch wurde während des Krieges der Alteisenhandel infolge Leutemangels, Transportschwierigkeiten und dergleichen in seiner Tätigkeit immer stärker eingeengt und konnte auch infolge von Sauerstoffmangel seine Funktionen, die im Zerkleinern und sog. Chargierfähigmachen des Schrotts bestanden, nur unvollkommen erfüllen. Die großen Mengen von Eisen, die an der Front eingebaut, als Geschoß verfeuert oder sonst verwendet wurden, gingen zudem der Inlandswirtschaft völlig verloren. Das Zunehmen des Schrottbedarfs entsprach in allererster Linie dem erhöhten Gewicht, das im Interesse ausreichender Heeresversorgung zunächst von der Industrie aus eigener Initiative, später aber — besonders nach der Umstellung des Hindenburg-Programms — durch die eisenwirtschaftlichen Zentralbehörden auf den Martinstahlprozeß gelegt wurde. Das starke Anwachsen des Anteils des Martinstahls an der Gesamtstahl-Versorgung war der Anlaß für eine erhebliche Steigerung des Stahlschrottbedarfs. Dazu kam, wie bereits erwähnt, der neue Bedarf der Hochofenwerke, die den Ausfall von Qualitätserzen durch Schrott ersetzen mußten.

200 

 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

Auch der Gußbruchbedarf stieg im Laufe des Krieges lebhaft an. Die Gießereien griffen um so mehr auf Gußbruch als Rohstoff zurück, als der von ihnen befriedigte Friedensbedarf und mittelbare Kriegsbedarf gegenüber dem steigenden unmittelbaren Kriegsbedarf immer mehr in den Hintergrund gedrängt worden war. Das produzierte Roheisen lief aus diesem Grunde in erster Linie in die dringlichsten Kanäle, also hauptsächlich in die Stahlhütten, und die kleinen Gießereien mußten sich immer mehr auf die Verarbeitung von Gußbruch umstellen. Auf die Entwicklung der Schrottwirtschaft in den ersten beiden Kriegsjahren wurde bereits verschiedentlich hingewiesen. Es waren hier zwei Perioden besonderer Schwierigkeiten und Spannung entstanden, von denen die eine im Jahre 1915 sehr leicht durch ein stärkeres Angebot von Schrott durch die Staatsverwaltungen behoben werden konnte, während die andere im Frühjahr 1916 unter Mitwirkung der Schutzverwaltung in Metz nur noch vorübergehend zu entspannen war. Mit der Gründung der Eisenzentrale erst bot sich die Möglichkeit, mit einer großzügigen Organisation des gesamten Schrottverkehrs durchzugreifen, für den weiteren Verlauf des Krieges die Schrottlage zu bessern und soweit dies nicht bis zur vollen Bedarfshöhe möglich war, wenigstens annähernd eine der Dringlichkeit entsprechende Verteilung der verfügbaren Schrottmengen vorzunehmen.

B Organisationen in der Schrott-, Gußbruch- und Spänewirtschaft Friedensorganisationen Während des Friedens hatte lediglich die Frage der Stahlschrottversorgung (nicht die Gußbruch- oder Spänelage) und auch hier nur regional zu industriellen Organisationen Anlaß gegeben. Die westdeutsche und südwestdeutsche Industrie hatten kaum einen Anlaß zur Organisationsbildung für diese Zwecke gefunden, da die zur Ergänzung ihres eigenen Schrottentfalls erforderliche Menge Abfalleisen ohne große Schwierigkeiten aus den mit ihnen in den Industriezentren vereinigten eisenverbrauchenden Industrien beschafft werden konnte, während die Fehlsummen ebenfalls ohne Reibung aus Mittel-, Nord- und Süddeutschland herangebracht wurden. Außerdem hatten die Interessengegensätze zwischen den gemischten Werken und den reinen Stahlwerken eine Organisationsgründung erheblich erschwert. Anders war dies bei den mitteldeutschen Werken und in Schlesien. Während der Westen auch im Kriegsjahr 1917 kaum 30% des Bedarfs aus Zukaufen decken mußte, war der Osten zur gleichen Zeit mit 55% des Bedarfs auf den Markt angewiesen. In einem ähnlichen Verhältnis werden diese Gebiete auch im Frieden gestanden haben. Infolgedessen schlossen fast sämtliche schrottverbrauchenden Werke in Oberschlesien und in Mitteldeutschland bis zur Küste hinauf mit der Eisenhandelsgesellschaft in Berlin Lieferungsverträge, nach denen diese Gesellschaft für sie das Aufbringen des Schrotts übernahm. Die Königs- und Laurahütte bediente sich einer eigenen Schrottunterneh-



B Organisationen in der Schrott-, Gußbruch- und Spänewirtschaft 

 201

mung, der Schlesischen Montangesellschaft. Die süddeutschen Werke bezogen ihren Schrott durch die Gesellschaft für Hüttenbedarf in Nürnberg. Es hatten sich somit bereits einige wichtige Schrottverbrauchergruppen in Deutschland organisatorisch zusammengefunden, bevor die Kriegs-Rohstoff-Abteilung zur Schaffung einer sämtliche Interessenten umfassenden Gesamtorganisation schritt.

Die Späneorganisation im Kriege Im allgemeinen entsprach die Lage in der Späneversorgung vor dem Eingreifen der Kriegs-Rohstoff-Abteilung (Eisenzentrale) ungefähr derjenigen des Schrotts. Der Unterschied bestand in der Hauptsache darin, daß hier bereits teilweise eine organisatorische Regelung des Bezugs eingesetzt hatte, indem die Eisenhandelsgesellschaft in Berlin, soweit Gußspäne in Betracht kamen, die Versorgung aller Werke im Reichsgebiet einheitlich übernommen hatte. Dieser Umstand und ferner die Bedeutung der Späne für die Manganwirtschaft veranlaßten die Eisenzentrale, zunächst der Spänebewirtschaftung näherzutreten. Schon kurz nach der Gründung der Eisenzentrale wurden im Oktober 1916 die Verhandlungen mit den in Frage kommenden Werken aufgenommen, wobei sich die Eisenzentrale als Träger der Organisation im Osten der Eisenhandelsgesellschaft und der Schlesischen Montangesellschaft bediente, während sie für den Westen im November die späneverbrauchenden Eisenwerke zur Gründung einer „Schrotthandels-G.  m.  b.  H.“ in Düsseldorf veranlaßte. Mit diesen drei Organisationen schloß die Eisenzentrale Verträge ab, nach denen sie den Gesellschaften den gesamten Einkauf von Eisen- und Stahlspänen jeder Art kommissionsweise übertrug, andererseits darauf hinwirkte, daß die Verbraucher der Späne ihren gesamten Bedarf lediglich durch die Handelsgesellschaften bezogen. Zur Deckung der Kosten für den organisierten Spänebezug waren die Einkaufsgesellschaften berechtigt, Provisionssätze von 1,50 M per Tonne (ab Juli 1917 2,50 M) zu erheben, jedoch war die Eisenzentrale (und damit das Reich) weitgehend am Betriebsüberschuß der Gesellschaften beteiligt. Bei der Schrotthandelsgesellschaft (der späteren Handelsgesellschaft für Eisen- und Stahlspäne) wurden vom Reingewinn über 400 000 M 20% und in weiterer Staffelung für je 100 000 M bis zum Betrag von 1  Mill. Mark bis zu 60%, bei darüber hinausgehendem Gewinn 75% des Reingewinns an die Eisenzentrale abgeführt. Bei der Eisenhandelsgesellschaft war die Gewinnbeteiligung der Eisenzentrale noch erheblich größer insofern, als der abgabefreie Betrag nur 160 000 M betrug und die Staffelung bereits bei 400 000 M Reingewinn 60% erreichte. Auch hier waren höhere Gewinne zu 75% abgabepflichtig. Die Staffelung ab 60% wurde allerdings sowohl für die Schrotthandelsgesellschaft wie für die Eisenhandelsgesellschaft im September 1917 fallengelassen. Die Verbraucher wurden durch Verpflichtungsscheine gebunden, ihren Späneeinkauf ausschließlich nach Anweisung des Kommissariats der Eisenzentrale bei den

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 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

vertraglich verpflichteten Händlerorganisationen vorzunehmen, die Verwendung von Spänen zur Herstellung von Thomasroheisen zu unterlassen und eine Abgabe von 5 M pro Tonne für die zur Ablieferung gelangten Mengen von Spänen aller Art an die Eisenzentrale abzuführen.

Die Schrottorganisation Wesentlich verwickelter als bei den Spänen lagen die Verhältnisse beim Schrott, und zwar sowohl auf der Seite der Produktion wie auf der Seite des Verbrauchs. Infolgedessen zögerten sich auch die Vorbereitungen zur Organisationsgründung bis in den November 1916 hin. Die beteiligten Kreise, Verbraucher und Händler, zeigten ganz allgemein eine große Abneigung gegen jederlei gesetzliche Maßnahme, namentlich gegen gesetzliche Höchstpreise; bei der vollkommenen Regellosigkeit des Schrotthandels aber waren schroffe Zwangsmaßnahmen von vornherein wirkungslos, bevor nicht erst auf dem Wege freier Vereinbarung die verschiedenartigsten Interessen in kriegswirtschaftlich günstiger Weise gefaßt und organisatorisch vereinigt waren. Das Kommissariat der Eisenzentrale unternahm es, die in Betracht kommenden Verbraucher- und Händlerkreise zunächst für eine solche freie Vereinbarung zusammenzuführen. Die Verhandlungen begannen mit beiden Gruppen im Dezember 1916. Es gelang, die 26  maßgebenden westlichen Händlerfirmen zu einer Gesellschaft zusammenzuschließen, die den Namen „Schrotthandelsgesellschaft“ von der Späneorganisation übernahm, die ihrerseits in eine „Handelsgesellschaft für Eisen- und Stahlspäne“ umfirmierte. Gleichzeitig gründeten die schrottverbrauchenden Werke die „Vereinigung west- und süddeutscher Schrottverbraucher.“ Zwischen beiden Gruppen und der Eisenzentrale kam ein Vertrag zustande, demzufolge sich die Werke verpflichteten, ihren gesamten Schrottbedarf ausschließlich durch die neue Organisation zu decken, die ihrerseits die Verpflichtung übernahm, die ihr zur Verfügung stehenden Mengen ausschließlich an die Vertragswerke zu liefern. Über die Zuteilung entschied ein Beirat der Handelsgesellschaft, in dem der Kommissar der Eisenzentrale bestimmenden Einfluß hatte. In der gesamten Schrottorganisation besaß die Eisenzentrale infolge des Schrotts aus den besetzten Gebieten, von den Eisenbahnen, Behörden usw. einen überragenden Einfluß. Sie verpflichtete sich zwar in dem Vertrag formell, diese Schrottmengen nicht unmittelbar auf den Markt zu werfen, sondern sie den Verbrauchern durch die Organisation zuzuführen. Zweifellos aber bedeutete die Verfügungsmöglichkeit über große Schrottmengen einen sehr starken Druck auf die Händler und die Werke, der beide Teile, besonders auch hinsichtlich der Preise gegenüber den Absichten der Heeresverwaltung gefügig machte. Die Verkaufspreise wurden mit einer Provision von 2,50  M für die Handelsgesellschaft belastet; diese Provision wurde durch Prämien später noch erhöht.



B Organisationen in der Schrott-, Gußbruch- und Spänewirtschaft 

 203

In der Schrottorganisation wurde, wie auch in der Späneorganisation, ein besonderer Schutz der kleineren Händler vereinbart, die durch die Organisation für die Verluste entschädigt werden mußten, die ihnen dadurch entstanden, daß ihnen die Handlungsfreiheit ganz erheblich beschnitten war. Auch hiermit glaubte man allgemein volkswirtschaftliche Interessen wahrnehmen zu müssen. Nach dem Zustandekommen der westlichen Organisation schritt man dazu, diese mit den bereits bestehenden östlichen Schrotteinkaufsorganisationen — auch in der Schrottversorgung bildeten die Eisenhandelsgesellschaft in Berlin und die Schlesische Montangesellschaft des Bindeglied zwischen Entfall und Bedarf — zu einem Gesamtkörper zusammenzuschließen. Am 20.  Dezember 1916 kam man zu einem ersten Provisorium, welches zunächst eine einheitliche Preisgestellung für das ganze Reich einschließlich Süddeutschland brachte und „Interessengebiete“ — und zwar ein westliches, ein östliches und ein gemeinsames, etwa zwischen Elbe und Oder gelegenes — vorläufig abgrenzte. Nachdem sich am 6.  Januar 1917 auch die mitteldeutschen Stahlgießereien und Kleinbessemereien der östlichen Organisation angeschlossen hatten, wurden am 21. Februar 1917 auch die süddeutschen Interessenten in die allgemeine Organisation aufgenommen. Die Vertragsbedingungen waren die gleichen wie im Westen. Die Gesamtorganisation, die nach langwierigen Verhandlungen endgültig am 27. Februar 1917 zustande kam, zeigte also einen restlosen Zusammenschluß der Verbraucher und der Händler. Über der Organisation stand das Kommissariat der Eisenzentrale, welche die wirtschaftliche Tätigkeit der Organisationen überwachte und den Kriegsnotwendigkeiten anpaßte. Hierbei war die Einflußnahme in sehr glücklicher Form weniger durch Vertragsabmachungen festgelegt und damit auch gebunden, als in erster Linie durch das persönliche Gewicht des Kommissars zwanglos aber ungleich wirkungsvoller zur Geltung gebracht. Man durfte, wie die Stelle des Kommissars besetzt war, die Geschicklichkeit im Verhandeln über den Einzelfall höher bewerten als endlose ausgeklügelte Paragraphenreihen. Bemerkenswerterweise blieben die eigentlichen Schrottproduzenten außerhalb der Organisation. Es war ausgeschlossen, die unendlich vielen Stellen, an denen Abfalleisen entfiel, irgendwie organisatorisch zusammenzuschließen; ein derartiger Versuch war zur Unfruchtbarkeit verurteilt, da dies fast eine völlige Erfassung des gesamten Eisenverbrauchs bedingt hätte. Immerhin aber ergab sich aus dieser eigenartigen Situation die Folgerung, daß die Schrottproduzenten (Eisenbahn, Maschinenbau usw.), die z. B. ein wesentliches Interesse an einer möglichst hohen Preisgestaltung des von ihnen gelieferten Schrotts hatten, fortlaufend Anlaß zu Klagen und Beschwerden über die angeblichen Härten und Unzulänglichkeiten der Organisation fanden. Die Beteiligung des Handels war nicht zu umgehen, weil die Beschaffung der zur Bedarfsdeckung erforderlichen Mengen doch zum weitaus überwiegenden Teil von der Mitarbeit des eingespielten Alteisenhandels abhing. Hierbei kam nicht nur dessen kaufmännische Tätigkeit, sondern auch in weitem Umfange seine technische Mitar-

204 

 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

beit (Sortieren, Chargierfähigmachen usw.) in Betracht. Man mußte den Handel ganz im Gegenteil durch genügende Gewinnaussicht (Provisionssatz von 2,50 M) zu möglichst reger Teilnahme ermuntern, da sich im anderen Falle lediglich der Schleichhandel in unzulässiger Weise vergrößert hätte. Auch für Schrott wurde wie für die Späne eine Tonnenabgabe von 5  M an die Eisenzentrale bezahlt. Diese Tonnenabgabe ließ sich um so leichter rechtfertigen, als das Kommissariat der Eisenzentrale im Herbst 1916 den Schrottpreis wesentlich herabgesetzt hatte. Es war nicht ohne weiteres zu erwarten, daß etwa auch die Stahlpreise auf Grund dieser Schrottverbilligung sinken würden, so daß die Schrottpreisfestsetzung lediglich den Stahlwerken zugute gekommen wäre. Die Schrottabgabe konnte also ohne Bedenken von den Werken erhoben werden und bei der Eisenzentrale zur Anreicherung eines Fonds dienen, der in erster Linie für die wegen der Niederlegungen in den besetzten Gebieten zu übernehmenden Entschädigungen verwendet werden sollte. Die Schrott- und die Späneorganisation hat sich im großen und Ganzen bewährt; sie hat unter den gegebenen Verhältnissen Gutes geleistet.

Die Gußbruchorganisation Während bei Schrott und Spänen die Organisationsschaffung und zentrale Bewirtschaftung mit Rücksicht auf die Deckungslage schon im Herbst 1916 eine unumgängliche Notwendigkeit geworden war, lagen die Dinge beim Gußbruch anders. Hier trat eine fühlbare Knappheit tatsächlich erst im Spätsommer 1917 ein. Wenn aber das Kommissariat der Eisenzentrale ebenfalls frühzeitig daran dachte, auch für Gußbruch ein Bewirtschaftungsorgan zu schaffen, so verfolgte es hiermit den Zweck, durch ein Vorbeugungsmittel nach Möglichkeit zur rechten Zeit Auswüchse des Marktes zu vermindern, und im entscheidenden Augenblick eine organisatorische Handhabe zur Bewirtschaftung auf engerer Basis zu besitzen. So ging man im März 1917 auch hier an die Organisationsgründung heran. Auf dem Gebiet des Gußbruchs waren die Vorbedingungen für eine Organisationsschaffung noch ungünstiger als beim Schrott. Die Zahl der Verbraucher (allein 1600 Gießereien, dazu die Hochofenwerke und andere) und ebenso die der Händler war außerordentlich hoch. Hinzu kam, daß die Verbraucher im allgemeinen einen großen Teil ihres Bedarfs aus der unmittelbaren Umgebung ihres Standortes (Landeinkauf) oder auf Grund der bereits erwähnten Gegenseitigkeitsgeschäfte befriedigten. Besonders die süddeutschen Gießereien betrachteten eine allgemeine Organisation mit offenkundigem Mißtrauen, da sie mehr als die westdeutschen auf diese Versorgungsart angewiesen waren. Andrerseits bot sich in dem Roheisenverband eine gewisse Stütze für die Gußbruchorganisation. Gußbruch konnte als Gießereirohstoff ungefähr nach denselben Grundsätzen verteilt werden, wie das Gießereiroheisen, außerdem hatte der Roheisenverband ein Interesse daran, die Gußbruchpreise in



B Organisationen in der Schrott-, Gußbruch- und Spänewirtschaft 

 205

Einklang mit den Roheisenpreisen zu halten. Durch die Möglichkeit die Roheisenlieferungen zu sperren, hatte er außerdem ein gewisses Zwangsmittel in der Hand, um die Organisation zusammenzuhalten. Am 15. April 1917 übertrug infolgedessen die Kriegs-Rohstoff-Abteilung dem Roheisenverband die Bewirtschaftung des Gußbruchs und stellte ihm hierbei das gesamte Aufbringen der Eisenzentrale aus den besetzten Gebieten und aus ihren laufenden Verträgen zur Verfügung. Außerdem wurden die bedeutenderen Alteisenhändler vertraglich verpflichtet, sich des unmittelbaren Gußbruchverkaufs zu enthalten und ihre Vorräte und ihr Aufbringen dem Verband zur Verwertung zu übertragen. Man hoffte auch hier in der Händlertätigkeit, wie beim Schrott eine ausschlaggebende Stütze in der Beschaffung zu finden und gewährte deswegen den Alteisenhändlern für die Tonne abgelieferten Gußbruchs eine Provision von 2,50 M je Tonne (bzw. 5 M je Tonne). Der Anreiz dieser Prämie erwies sich aber als zu gering. Außerdem gab die Bindung der legitimen Firmen an einen zu niedrigen Preis die im Lande zerstreuten Vorräte dem Zugriff der freien Spekulation preis, die infolge der Materialknappheit die üppigsten Blüten trieb und die verfügbaren Mengen auf Schleichhandelswegen verschwinden ließ. Diese vorläufige Organisation war nicht entfernt lückenlos. Es waren nicht sämtliche Handelsfirmen erfaßt, auch hatte man die Gießereien noch nicht in Verpflichtung genommen, ihren Bedarf ausschließlich durch den Roheisenverband zu decken. Einer solchen Verpflichtung der Verbraucher gegenüber fühlte sich anfangs der Roheisenverband nicht stark genug, die entsprechende Verpflichtung zur ausreichenden Belieferung zu übernehmen, so daß es praktisch möglich war, außerhalb der Organisation Gußbruch zu erhalten. Das bedeutete aber, daß die Organisation weiter ausgebaut werden mußte, sobald wirkliche Knappheit in der Versorgung die Durchführung eines Wirtschaftsplans erforderte. Möglichkeiten zur Durchbrechung der Organisation mußten dann ausgeschaltet sein. Demzufolge ging man, als die Bedarfsdeckung schwierig wurde, im November 1917 daran, die Gußbruchwirtschaft ebenso straff zu organisieren wie die Schrott- und Spänewirtschaft. Es gelang, die erheblichen Widerstände bei Händlern und Verbrauchern zu überwinden und einen Organisationsvertrag abzuschließen. Durch diesen wurden die Verbraucher verpflichtet, nunmehr ihren Gußbruch ausschließlich vom Roheisenverband zu beziehen oder unter dessen Kontrolle von den zur Organisation gehörigen Händlern. Der Landeinkauf und die Gegenseitigkeitsgeschäfte blieben frei, unterlagen jedoch einer Anmeldepflicht an den Roheisenverband zur Aufrechnung auf die Zuteilungen. Der eigene Entfall blieb ebenfalls frei. Auch der Gußbruch wurde einer Tonnenabgabe von 5  M unterworfen. Die Zuteilung erfolgte einheitlich durch den Roheisenverband unter Kontrolle des Kommissariats der Eisenzentrale. Besondere Schwierigkeiten bereitete der Zusammenschluß der Händler. Der freie Gußbruchhandel war infolge der strafferen Organisation im Grunde ausgeschaltet. So wenig wünschenswert auch die Bestätigung freier Händler war, so wenig konnte man auf der anderen Seite im Interesse einer möglichst hohen Ergiebigkeit des Aus-

206 

 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

bringens ganz auf sie verzichten. Es wurde zur Regelung dieser Frage eine Gruppierung unter den Händlern vorgenommen nach Groß-, Mittel- und Kleinhändlern, von denen die letzteren mit unter 2000 t jährlicher Umsatzmenge auf jede Geschäftstätigkeit verzichten mußten und ihr Aufbringen an die Groß- und Mittelhändler gegen eine Sonderentschädigung von 1 M/t abzutreten hatten. Auch diese Summe war zu niedrig, da der Kleinhändler nicht geneigt war, für 1 M seine Interessen abzutreten, zumal der Schleichhandelspreis um 80—100 M über dem Höchstpreis lag. Großhändler waren Handelsfirmen mit über 5000  t Jahresumsatz und direktem Verkehr mit den Großverbrauchern. Sie wurden unmittelbar in die Organisation aufgenommen. Die Mittelhändler mit einem Umsatz von 2000—5000  t hatten im wesentlichen die gleichen Verpflichtungen wie die Großhändler, ohne stimmberechtigte Mitglieder der Organisation zu sein. Auch nach dieser Regelung blieb die Organisation lückenhaft. Nur 1573 von den 1658 in Betracht kommenden Firmen hatten ein halbes Jahr nach der Organisationsgründung den Verpflichtungsschein unterschrieben. Infolgedessen blühte auch im Jahre 1918 noch der nicht organisierte Gußbruchhandel. In der Gußbruchwirtschaft hat die Tätigkeit der Händler aus den mehrfach erwähnten Gründen außerordentlich enttäuscht. Im Gegensatz zur Schrottwirtschaft war der Anteil ihres Aufbringens an der Gesamtbedarfsdeckung nur gering. Er betrug ungefähr ein Drittel des Bedarfs, während ein weiteres Drittel aus dem eigenen Entfall der Werke gedeckt werden konnte. Das volle dritte Drittel stammte aus dem nichtorganisierten Gußbruchmarkt, d. h. dem Schleichhandel, ein Prozentsatz, der erheblich zu hoch ist, um die Organisation als eine geglückte bezeichnen zu können.

C Steigerung des Alteisenaufbringens Tätigkeit der Organisationen Weitaus am günstigsten war das Ergebnis der Tätigkeit der Schrottorganisationen. Es erübrigt sich, auf diese Tätigkeit selbst näher einzugehen, da sie sich im Rahmen des freien kaufmännischen Verkehrs bewegte und keinerlei nennenswerte Besonderheiten auszuweisen hat. Im ganzen wurden aufgebracht:



C Steigerung des Alteisenaufbringens 

 207

Schrottaufbringen (in 1000 t) 1917 II.—IV. Quartal

1918 I.—IV. Quartal

Westen Osten Süden

1 014,7 337,2 25,2

1 056,3 449,6 36,9

Summe

1 377,1

1 542,8

Ungefähr der dritte Teil dieser Mengen wurde durch die Eisenzentrale aus den besetzten Gebieten oder ihren sonstigen Lieferungsverträgen beschafft. Zu diesen Mengen hinzu traten allerdings noch die großen Mengen von Neuschrott, die in den eigenen Walzwerken entfielen und nicht in den organisierten Schrottbezug einbezogen wurden. Der eigene Entfall zu 10% der Walzprodukteerzeugung gerechnet, würde sich dieser auf rund 1,5 bis 1,7 Mill. t belaufen, so daß in dem angegebenen Zeitraum etwa 4,5 Mill. t Schrott verhüttet worden sind. — Das Ergebnis der Tätigkeit der Späneorganisation stellt sich wie folgt dar: Spänebezug und eigener Entfall der Werke (in 1000 t) Eigener Entfall

Eigene Kaufabschlüsse

Rücklieferungsverträge

Organisationslieferung

1917 West Ost Chemische Fabriken.

429,5 76,0 —

278,8 1,3 —

29,0 20,1 —

723,2 486,0 11,8

Zusammen:

505,5

280,1

49,1

1 221,0

1918 West Ost Chemische Fabriken.

420,1 64,0 —

54,7 0,1 —

18,3 16,0 —

819,7 411,3 19,5

Zusammen:

481,1

54,8

34,3

1 250,5

Das gesamte Aufbringen an Spänen, das im Vergleich zum Schrott bemerkenswert groß war, betrug im Jahre 1917: 2 055 700 t, im Jahre 1918: 1 823 700 t. Von Interesse ist hierbei, daß entsprechend der stärkeren Konzentration der Munitionsfabrikation auf den Westen Deutschlands der eigene Entfall im Westen ganz erheblich größer gewesen ist als im Osten, während die eigenen Kaufabschlüsse in allen Gebieten im Laufe des Krieges einen wesentlichen Rückgang auswiesen. Im Osten standen im Jahre 1918 nur noch ganz verschwindende Mengen aus dieser Quelle. Über die Tätigkeit der Gußbruchorganisation liegen erst seit der Schaffung der verstärkten Organisationen Zahlen vor, die mit einiger Genauigkeit den Gußbruchver-

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 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

brauch, soweit er von der Organisation kontrolliert wurde, wiedergeben. Der eigene Entfall und die Versorgung über Schleichwege, ist dabei nicht berücksichtigt. Aber auch diese Zahlen sind nicht voll zutreffend, zwischen den Ermittlungen der Eisenzentrale und denjenigen des Roheisenverbandes zeigte sich ein erheblicher Gesamtunterschied. Auf Grund der Meldungen der Gießereien ermittelte die Eisenzentrale folgende Ergebnisse: Gußbruchaufbringen (in 1000 t)

Durch die Organisation geliefert………...… Durch Landeinkauf………………….........…… Durch Gegenseitigkeitsgeschäfte…….…… Auf Grund sonstiger Verträge…….......……

Dezember 1917

Jan. bis Dez. 1918

24,4 2,5 3,4 11,0

266,6 30,8 57,8 89,5

41,3

444,7

Etwa 55% des Gesamtaufkommens stammten aus den besetzten Gebieten.

Tätigkeit der Eisenzentrale Die unmittelbare Tätigkeit der Eisenzentrale zur Verbesserung der Schrottdeckung aus inländischem Aufbringen wurde wesentlich gestützt durch die Lieferungsverträge, welche die Eisenzentrale mit den Eisenbahndirektionen schloß. Mit dem preußischen Eisenbahnzentralamt kam im Februar 1917 eine Vereinbarung zustande, der zufolge alle verhüttbaren Alteisenmaterialien zunächst bis zum 30.  Juli 1917 der Eisenzentrale zufielen. Ausgenommen davon war nur das Material, welches für Frontzwecke oder anderen Verbrauch der Eisenbahn noch nutzbar gemacht werden konnte. Bei dem Eisenbahnlieferungsvertrag kam in einem konkreten Fall sehr deutlich die Stellung der Produzenten von Schrott zum Ausdruck. Die Eisenbahnverwaltung kündigte nämlich den Vertrag Ende Juni für Ende September 1917, da es ihr möglich war, im freien Markt bedeutend höhere Preise für den Schrott zu erzielen, als die Eisenzentrale unter Bindung an den Höchstpreis zahlte. Auch bei dieser Gelegenheit zeigte sich deutlich, wie sehr im Jahre 1917 bereits die „Interessenpolitik“ den nationalpolitischen Belangen auch bei den Behörden vorangestellt wurde. Es bedurfte langwieriger Verhandlungen, um die Eisenbahnverwaltung davon zu überzeugen, daß allgemeine preispolitische Grundsätze die Unterordnung auch des Eisenbahnfiskus unter die getroffenen Vereinbarungen erforderten. So wurde schließlich der Vertrag bis zum 1. Januar 1919 mit nur unwesentlichen Veränderungen weitergeführt. Gleiche Verträge wie mit der preußisch-hessischen Staatsbahn wurden mit der Generaldirektion der Reichseisenbahn in Elsaß-Lothringen, der großherzoglichen Generaldirektion in Schwerin und mit dem Reichsmarineamt (Werften) abgeschlos-



C Steigerung des Alteisenaufbringens 

 209

sen. Auch die bayrische Staatseisenbahn wie die sächsische und oldenburgische nahm auf Anregung der Kriegs-Rohstoff-Abteilung von öffentlichen Verkaufssubmissionen Abstand; sie führten jedoch den Schrott nicht an die Eisenzentrale ab, sondern behielten sich vor, ihn unmittelbar an die Eisenwerke in den betreffenden Bundesstaaten abzuliefern. Ohne Zweifel ist hierdurch eine gewisse Ungleichmäßigkeit der Belieferung herbeigeführt worden, die dem Interesse des Ganzen nicht entsprach. — Aus den Eisenbahnlieferungsverträgen stammten folgende Mengen: Ergebnisse der Eisenbahnverträge der Eisenzentrale (in t)

Schrott…………………………….. Späne………………….……………

1917 Jan. bis Dez.

1918 Jan. bis Sept.

Insgesamt

122 100 29 700

85 900 17 500

208 000 47 200

Alle militärischen Stellen waren außerdem angewiesen, die vorhandenen und aufkommenden Mengen an Schrott und sonstigem Alteisen der Eisenzentrale zur Verfügung zu stellen. Lediglich beiläufig sei erwähnt, daß nach der Revolution die Eisenzentrale vom Reichsverwertungsamt mit der Aufgabe betraut wurde, die ungeheuren Mengen von Munition, Geschützen und anderen, lediglich noch als Schrott verwertbaren eisernen Heeresausrüstungsgegenständen zu erfassen und zu verkaufen. Viel Mühe verwandte die Eisenzentrale auf eine Erhöhung der Schrotteinfuhr. In erster Linie kam hierfür Holland in Betracht. Zwar gelang es nicht, von den holländischen Eisen- und Stahlbeziehern die Rücklieferung eines bestimmten Prozentsatzes der gelieferten Nutzeisenmengen durchzusetzen. Holland erließ auf deutsches Drängen lediglich ein Schrottausfuhrverbot, demzufolge die holländische Schrottausfuhr nach einem bestimmten Schlüssel zwischen England und Deutschland aufgeteilt werden sollte. Bei der großen Dehnbarkeit des Begriffes Schrott war jedoch eine scharfe Innehaltung dieser Vereinbarungen von Holland nicht zu erreichen. Die tatsächlich hereingebrachten Mengen blieben hier wie in den übrigen Ländern gering. Sie betrugen: Schrotteinfuhr in Tonnen Herkunft

1915

1916

1917

1918

Niederlande........................ Norwegen........................... Schweden........................... Schweiz..............................

13 580 6 9 185 250

14 820 1 620 9 434 230

12 645 62 4 095 185

450 — 2 555 40

Summe:

23 021

26 104

16 987

3 045

210 

 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

Für Belgien wurde anfangs 1917 ein besonderes Einkaufskonsortium gebildet, das den freihändigen Einkauf in Belgien nach den Grundsätzen der Eisenzentrale betrieb und folgende Mengen beschaffte: Schrotteinkauf in Belgien (in t)

I. II. I. II.

Halbjahr „ „ „

1917 1917 1918 1918

Summe:

Stahlschrott

Gußbruch

12 980 5 940 4 150 4 450

3 710 1 740 1 840 990

27 520

8 280

Sämtliches durch Einfuhr aufgebrachtes Schrottmaterial wurde durch die Eisenzentrale den Verbrauchern zugeführt.

Sondermaßnahmen zur Erhöhung des Schrottaufbringens in den besetzten Gebieten38 Die ungeheuren Schwierigkeiten, die sich der Ausführung des Hindenburg-Programms entgegenstellten, veranlaßten die Kriegs-Rohstoff-Abteilung zu besonderen Maßnahmen, um aus dem besetzten Gebiet Schrott in einem größeren Umfang als bisher herauszuziehen. Die von der Schutzverwaltung bzw. der Rohma in den Jahren 1915 und 1916 zurückgeführten Mengen von Altmaterial waren mit der Verringerung der unmittelbar greifbaren Vorräte immer mehr zurückgegangen. Die Unterstützung der Kriegseisenwirtschaft durch diese Arbeiten war den gewachsenen Ansprüchen, die notgedrungen gestellt werden mußten, nicht mehr voll entsprechend. Auf Vorschlag der Kriegs-Rohstoff-Abteilung erklärte sich deshalb die Oberste Heeresleitung Mitte Januar 1917 mit der Gewinnung von Schrott durch Ausbau von Eisen aus Gebäuden und Einrichtungen in dem westlichen Etappen- und Operationsgebiet einverstanden. Hierbei sollte der Rohmaterialbedarf der Stahl- und Walzwerke im besetzten Gebiet, soweit deren Betrieb genehmigt war, vorweg gedeckt werden. Ferner sollte der Abbruch von Eisen dort nicht erfolgen, wo irgendein militärisches oder kriegswirtschaftliches Interesse die Erhaltung der Baulichkeiten verlangte. Diese Niederlegungen belasteten das feindliche Land naturgemäß ganz außerordentlich. Eine spätere Entschädigung der Betroffenen wurde deswegen als Selbstverständlichkeit sogleich ins Auge gefaßt. Es wurden umfassende Arbeiten der Reichsentschädigungskommission und der Rohma zur objektiven Feststellung des

38 Siehe auch S. 96.



C Steigerung des Alteisenaufbringens 

 211

angerichteten Schadens angeordnet. Man hoffte anfangs bei der Durchführung der Niederlegungsmaßnahmen in großem Umfange Schonung der gewerblichen Anlagen walten lassen zu können. Infolge der langen Kriegsdauer und des anhaltenden Bedarfs an Schrott und Maschinen mußte dann allerdings mit der Zeit der Abbau auf ganze Werksanlagen ausgedehnt werden. Es wurde jedoch nach Möglichkeit Gewicht darauf gelegt, den Abbau so vorzunehmen, daß zu jeder Zeit eine wenigstens teilweise Wiederaufnahme des Betriebs möglich war. Dort aber, wo die Schädigungen durch das erzielbare Schrottaufbringen kaum gerechtfertigt erschienen, wie beispielsweise bei den modernen Anlagen der Spiegelglas-, Fensterglas-, Zement- und Textilindustrie, wurden die Betriebseinrichtungen fast vollständig erhalten. Die gewaltigen eisernen Armaturen eisenindustrieller Anlagen erlaubten es hingegen, mit verhältnismäßig geringen Mitteln große Mengen von Schrott zu gewinnen und doch die Werke in selbständigen Teilbetrieben betriebsfähig zu erhalten. Aus diesem Grunde wurden die Eisenwerke als besonders vollergiebige Schrottquelle am stärksten zur Schrottbeschaffung herangezogen. Auch hier hat lediglich die überaus lange Kriegsdauer und die heftige Steigerung des Schrottbedarfs dazu gezwungen, nach und nach auch die ursprünglich verschonten Werksteile in Angriff zu nehmen. Immer wurde dabei streng das Prinzip verfolgt, nicht systemlos zu zerstören, sondern so zu arbeiten, daß der Restkörper des Unternehmens noch arbeitsfähig blieb. Die Abbruchsarbeiten wurden im Februar 1917 im Bezirk von Valenciennes begonnen, wo die Betriebseinrichtungen unter den unmittelbaren Folgen der Kampfhandlungen am meisten gelitten hatten. Erst geraume Zeit später (Juli/August 1917) begannen auch die Abbrucharbeiten in Belgien, während im Bezirk von Longwy und Briey erst im Jahre 1918 mit Niederlegungen begonnen wurde. Die gesamten Mengen von Alt- und Nutzeisen, die unter Einschluß der Abbruchsarbeiten während des Krieges aus den besetzten Westgebieten zurückgeführt wurden, ergeben sich aus der folgenden Tabelle. Aus dieser Tabelle geht hervor, daß der größte Teil der greifbar lagernden Eisenmaterialien, wie Roheisen, Halbzeug, Guß usw., während der ersten beiden Kriegsjahre nach Deutschland zurückgeführt wurde. Die Mengen, die unmittelbar an die Front gingen, sind statistisch nicht erfaßt; sie dürften beträchtlich gewesen sein. Einschließlich dieser Mengen wurde durch die besetzten Westgebiete die deutsche Eisenwirtschaft um etwa 3  Mill.  t gestärkt; gemessen an der durchschnittlichen Monatsproduktion von Roheisen (1  019  000  t) bedeutete dies also eine fast dreimonatige Entlastung.

212 

 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

Eisenaufbringen in den besetzten Westgebieten (in t)394041424344

Nach Deutschland geliefert

aus Belgien 1. Schrott: 1915 1916 1917 191839 2. Roheisen, Guß, Gußbruch: 1915 1916 1917 191840 3. Halbzeug 1915 1916 1917 191841 4. Nutzeisen: 1915 1916 1917 191842 5. Schweißeisenmaterial 1915 1916 1917 191843 Summe: 1915/16 Summe: 1917/1844 Gesamtsumme 1915—1918: 2 688 700 t.

39 1918 = Januar bis einschließlich Oktober. 40 1918 = Januar bis einschließlich Oktober. 41 1918 = Januar bis einschließlich Oktober. 42 1918 = Januar bis einschließlich Oktober. 43 1918 = Januar bis einschließlich Oktober. 44 1918 = Januar bis einschließlich Oktober.

62 400 100 400

aus Frankreich

42 300 90 800

330 100 475 000 135 400 96 300

1 500 1 400

17 100 29 000

2 500 95 500

— —

15 100 16 100

2 400 1 300 997 400 447 200

Unmittelbar in den Heeresbetrieben der Etappe verbraucht aus Belgien und Frankreich

232 400 176 100

— — 8 400 33 100

252 300 243 200

— — 21 600 53 300

29 600 600

— — 9 500 1 700

52 500 26 300

48 100 48 700

700 5 000

— — 100 900 — 225 400

1 018 700



C Steigerung des Alteisenaufbringens 

 213

An der Gesamtrückführungsmenge war der Schrott mit insgesamt 1 901 000 t beteiligt, wobei auf die Zeit vom 2.  Quartal 1917 bis zum 3.  Quartal 1918 etwa 570  000  t entfielen. In diesen sechs Quartalen aber wurden rund 2 670 000 t Stahlschrott an die Verbraucher abgeliefert. Somit war der aus den besetzten Gebieten stammende, zum Teil durch Abbruch und Ausräumung gewonnene Schrott mit reichlich 20% an der gesamten Schrottversorgung Deutschlands beteiligt. Dieser außerordentlich hohe Prozentsatz zeigt, von welcher Dringlichkeit die durchgeführten Maßnahmen gewesen sind, ohne die es kaum möglich gewesen wäre, die Stahlproduktion auf der erreichten Höhe zu halten; mit einer noch stärkeren Behinderung der Stahlproduktion, als sie durch andere Ereignisse bereits hervorgerufen worden war, wäre eine ausreichende Versorgung des Heeres mit Kampfmitteln wahrscheinlich schon 1917 nicht mehr möglich gewesen. Neben Schrott und Brucheisen wurden auch unmittelbar verwendbares Nutzeisen und Halbzeug erfaßt. Etwa 109 000 t derartigen Materials konnten für die deutsche Binnenwirtschaft Verwendung finden. Ganz besonders wertvoll aber war die Möglichkeit einer frontnahen Herstellung von Kampfgerät. Im ganzen konnten 225 400 t oder monatlich mehr als 10 000 t unter Vermeidung der großen Transportwege unmittelbar dem Frontverbrauch zugeführt werden. Bei den großen, durch die Kriegslage hervorgerufenen Verkehrsbehinderungen waren diese Mengen oft die einzigen, die in entscheidenden Augenblicken die Front bzw. die militärischen Walzwerke hinter der Front erreichten. Zur Durchführung der beabsichtigten Maßnahmen bediente sich die Kriegs-Rohstoff-Abteilung der „Rohma“45, die unter Mitarbeit der fünf Beauftragten des Kriegsministeriums in Belgien und Nordfrankreich eine militärische Organisation für die Schrottbeschaffung ins Leben rief. Außerdem wurden leistungsfähige Schrottfirmen in Deutschland herangezogen, mit denen die Eisenzentrale Abbruchverwertungskonsortien in Nordfrankreich und Belgien bildete. Der Abbruch selbst erfolgte nicht durch diese Konsortialfirmen, sondern durch private Abbruchsfirmen, die von den Konsortialfirmen zu bestellen waren. Dadurch hatten die letzteren ein Interesse an einer möglichst billigen Durchführung der Abbruchsarbeit. Der Mangel an gelernten Arbeitskräften und an Schneidgas, insbesondere aber die immer schwieriger werdenden Transportverhältnisse erschwerten die Arbeiten ungemein. Die ursprünglich geplanten Leistungsziffern wurden nicht entfernt erreicht. Der Osten kam anfangs für die Schrottversorgung Deutschlands weniger in Betracht; nur die oberschlesische Eisenindustrie hatte sich gleich im ersten Kriegsjahr für den polnischen Schrott interessiert. Die ungeheuer weiten Landstriche waren bedeutend weniger industrialisiert als der Westen und außerdem verkehrstechnisch kaum erschlossen. Der Abtransport wurde bis 1917 ausschließlich durch die Alteisenverwertungsgesellschaft der oberschlesischen Eisenindustrie organisiert; es

45 Rohma = Rohstoff- und Maschinenverteilungsstelle der Schutzverwaltung in Metz.

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 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

entstanden aber bald Interessenkonflikte mit der Verwaltung des Oberkommandos Ost. Oberost beabsichtigte die in Libau und Kowno befindlichen Eisenhüttenwerke zur unmittelbaren Frontversorgung in Betrieb zu nehmen und beanspruchte hierfür die vorzugsweise Verfügung über den Schrott im östlichen Okkupationsgebiet. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung mußte sich ins Mittel legen, um diesen den Interessen der deutschen Kriegswirtschaft widersprechenden Anspruch einzuschränken. Es war nicht zu verantworten, daß Schrott, der in der unmittelbaren Nachbarschaft der oberschlesischen Industrie lagerte und von dieser dringend gebraucht wurde, über die weiten Strecken bis an die Ostseeküste transportiert wurde, um dort den wesentlich einseitigeren Zwecken der östlichen Heeresleitung zu dienen. Die Gesamtproduktion an Eisen und Stahl hätte unter dieser Kräftezersplitterung gelitten. Eine zweckentsprechende regionale Abgrenzung sicherte schließlich die Versorgung von Oberost und der oberschlesischen Industrie nach Maßgabe ihres voraussichtlichen Bedarfs. Im Juni 1917 trat in der Bewirtschaftung des polnischen Alteisens die Kriegsrohstoffstelle Warschau (Unterabteilung der Kriegs-Rohstoff-Abteilung) an die Stelle des Verwaltungschefs. Als schließlich mit der Freigabe der russischen Festungen auch im Osten eine erweiterte Schrottgewinnung aufgenommen werden konnte, trat die Eisenzentrale selbst in die polnische Schrottbewirtschaftung ein. Sie übernahm eine ausschlaggebende Beteiligung an der Alteisenverwertungsgesellschaft und stellte deren Filialleiter in Warschau als ihren Beauftragten ein. Vom Herbst 1917 ab verfügte sie ausschließlich über den polnischen Schrott, der durch eine erweiterte Beschlagnahmeverfügung vorn Dezember 1917 ungefähr in dem gleichen Umfange für die deutsche Kriegswirtschaft erfaßt wurde wie in den westlichen Okkupationsgebieten. Zur Durchführung der Niederlegungsarbeiten, die sich im wesentlichen auf Festungswerke und Brücken beschränkten und erst in zweiter Linie auf die weit im Lande verstreuten Industrieanlagen übergriffen, wurde im Frühjahr 1918 ein besonderer militärischer „Eisenbergetrupp“ aufgestellt, der dem Kommissariat der Eisenzentrale unterstand und der Verwaltung Oberost angegliedert war. Insgesamt wurden aus dem Osten zurückgeführt im Jahre 1917: 57 000 t, im Jahre 1918: 86 600 t. Auch in Rumänien, Serbien und Italien wurden Schritte unternommen um die dort befindlichen Schrottmengen für die mitteleuropäische Kriegswirtschaftsführung nutzbar zu machen. Hier hielten sich die Interessen Deutschlands und der Donaumonarchie etwa die Wage; aus wirtschaftspolitischen Erwägungen heraus mußte sich aber Deutschland weitgehende Beschränkungen auferlegen. Der italienische Schrott wurde restlos, der rumänische und serbische in seiner ganz überwiegenden Menge Österreich-Ungarn zur Verfügung gestellt, das allerdings zum Ausgleich auf weitere Schrottbelieferungen aus Deutschland verzichten mußte. Deutschland hatte auch auf diesem Gebiet wesentlich stärker an dem Bündnis zu tragen als die verbündete Monarchie, die sich leider immer mehr von der deutschen Wirtschaft mitschleppen ließ, ohne selbst energische Anstrengungen zur Aufrechterhaltung der eigenen Wirtschaft zu unternehmen. Aus Rumänien und Serbien wurden die folgenden Mengen Schrott beschafft:



C Steigerung des Alteisenaufbringens 

 215

Schrottaufbringung in Rumänien und Serbien (in t)

Rumänien, Gesamtmenge hiervon an Deutschland hiervon an Österreich-Ungarn Serbien, Gesamtmenge hiervon an Deutschland hiervon an Österreich-Ungarn

1917

1918

14 500 1 900 12 600 1 260 110 1 150

36 200 2 400 33 800 3 300 100 3 200

Die Schrottgewinnung im Inland Im Oktober 1917 trat man dem Gedanken näher, zur Stärkung der Schrottversorgung auch im Inland weitergehende Maßnahmen zu ergreifen. Hierbei handelte es sich hauptsächlich um eine schärfere Erfassung der aus dem Lande und in den Städten nutzlos herumliegenden alten Maschinen und Gerätschaften und um Gewinnung von Schrott durch Niederlegung von Gebäuden in ähnlicher Weise wie in den besetzten Gebieten. Die ursprüngliche Absicht, mit dieser Aufgabe eine neu zu gründende Kriegsgesellschaft unter Beteiligung namhafter Schrotthandelsgesellschaften und Abbruchfirmen zu betrauen, wurde bald wieder aufgegeben. Man begnügte sich damit, die Eisenzentrale G. m. b. H. durch die Angliederung einer „Abteilung Schrottgewinnung“ auszubauen. Um jede durch Abbruchtätigkeit in Deutschland entfallende Alteisenmenge zu erfassen, wurden zwischen der Eisenzentrale und den wichtigsten Handels- und Abbruchsfirmen Verträge abgeschlossen, nach denen sich die Unternehmer verpflichteten, ihren gesamten Schrottentfall aus Abbrüchen, Ausräumungen u. dgl. der Schrottorganisation zuzuführen. Von Abbrüchen, die voraussichtlich mehr als 100 t Schrott ergaben, war außerdem schon vor der Ausführung an die Eisenzentrale Meldung zu erstatten, die auf diese Weise sehr bald einen geschlossenen Überblick über alle derartigen Maßnahmen in Deutschland gewann und einheitlich disponieren konnte. Die Schrottgewinnungsabteilung der Eisenzentrale nahm gleichzeitig von sich aus Verhandlungen auf Erwerb und Abbruch verfügbarer Baulichkeiten auf. Die Wirkung der sich über das ganze Jahr 1918 erstreckenden Arbeiten war jedoch sachlich begrenzt. Das kriegswirtschaftliche Interesse verlangte die Instandhaltung gerade der ergiebigsten Industrieanlagen und verbot umfangreichere Arbeiten dort, wo große Transportwege zu bewältigen waren, die bei der herrschenden Transportnot auf der Eisenbahn nicht bewältigt werden konnten. Viele ungenutzte Gebäude aber lohnten den Abbruch nicht, da sie hauptsächlich aus Stein und Holz gebaut waren und in ihnen Eisen nur ganz untergeordnet verwendet worden war. Auch der Mangel

216 

 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

an Arbeitern, die für die schweren Niederlegungsarbeiten geeignet waren, schränkte den Erfolg der getroffenen Maßnahmen ein. Vom Oktober 1917 bis Ende 1918 wurden im ganzen 371  Gebäude niedergelegt, aus denen 49  600  t Schrott gewonnen wurden (also etwas mehr, als im Jahre 1915 aus dem Westen zurückgeführt worden war). Hierunter befanden sich 22 vollständige Abbrüche, und zwar: 6 2 2 2 2 2 2 1 1 1

Zuckerfabriken…………………… Kokereien………………………..… Brauereien………………………… Tuchfabriken………………..…… Hochofenwerke…………...…… Zielschiffe………………………… Luftschiffhallen………………… Braunkohlenwerk………..…… Ziegelei…………………………… Gaswerk…………………....……

mit „ „ „ „ „ „ „ „ „ zusammen

3 410 t 4 020 t 180 t 185 t 1 280 t 6 000 t 5 000 t 700 t 250 t 300 t 22 325 t

Der Rest von 27 275 t stammte aus verschiedenen stillgelegten Teilanlagen größerer Werke. Neben dieser Schrottgewinnungstätigkeit ging eine großzügig organisierte Schrottsammlung her. Sie erstreckte sich auf das flache Land und die kleineren Landstädte. Die Großstädte, die an sich im allgemeinen mehr Eisen abzugeben hatten, wurden vorläufig verschont. Erst Ende 1918 mußte man dem Gedanken nähertreten, bei einer weiteren Fortsetzung des Krieges auch auf die in den Großstädten in Form von Einfriedigungen, Ziermasten u. dgl. vorhandenen Eisenmengen zurückzugreifen, ungeachtet der erhöhten Kosten und der weitgehenden Folgen für die Abwicklung des öffentlichen Verkehrs und für die öffentliche Sicherheit. Auf dem Lande wurde eine umfassende Propagandatätigkeit unter Hinweis auf die Notwendigkeit zur Landesverteidigung, Geschütze und Munition zu erzeugen, und unter Mitwirkung der Landräte, Geistlichen, Schullehrer, Gemeinde- und Gutsvorsteher eröffnet, um jede verfügbare Alteisenmenge zu mobilisieren. Zum Aufkauf bediente sich die Eisenzentrale der in den einzelnen Kreisen ansässigen Althändler, die als Kommissionäre der Eisenzentrale unter steter scharfer Kontrolle das gesammelte Alteisen in Empfang nahmen, sofort bar bezahlten, sortierten und nach Anweisung der Eisenzentrale an die Stahlwerke zum Versand brachten. Die Schrottsammeltätigkeit auf dem Lande kam erst Mitte 1918 ins Rollen und hatte dementsprechend nur geringe Ergebnisse. Sie wurde durchgeführt in den preußischen Provinzen:



D Verbrauchsregelung für Alt- und Abfalleisen 

Brandenburg…………………………………………… Schlesien………………………………………..……… Ostpreußen……………………………………....…… Pommern……………………………………..………… Posen……………………………………………..……… Hessen-Nassau……………..……..………………… Westpreußen………………..………………………… Hannover………………………………….....………… Sachsen………………………....……………………… Schleswig-Holstein……………....………………… außerdem: Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin Königreich Sachsen

 217

3 500 t 2 620 t 1 780 t 1 580 t 1 000 t 960 t 770 t 740 t 320 t 230 t 300 t 250 t

zusammen

14 050 t

Das in den einzelnen Provinzen ungleich hohe Aufbringen ist allerdings darauf zurückzuführen, daß sie je nach dem früheren oder späteren Zeitpunkte des Einsetzens der Sammeltätigkeit bei Kriegsende verschieden stark in Anspruch genommen waren. Es bot sich immerhin in einer systematischen Verfolgung dieses Sammelgedankens über ganz Deutschland hin eine gewisse Möglichkeit eines erhöhten Ertrags. Doch auch im besten Fall war von dieser Seite her eine wirksame Entspannung der Schrottversorgung nicht zu erwarten. Die ganze auf Grund der Sondermaßnahmen im Inland gewonnene Schrottmenge belief sich auf 63 600 t.

D Verbrauchsregelung für Alt- und Abfalleisen Regionale Einteilung des Entfallgebietes Bei der Bewirtschaftung des Alteisens wurde ein interessanter Versuch zur selbsttätigen Regelung der Bedarfsdeckung gemacht. Man teilte den verschiedenen Organisationen gewisse Teilgebiete des Deutschen Reiches zu, in denen sie ausschließlich arbeiten durften, und ging dabei von der Erwartung aus, daß das Aufbringen aus den zugewiesenen Entfallgebieten ungefähr den Bedarf der von jeder Organisation jeweils zu versorgenden Industrie entsprechen würde. Man stützte sich hierbei darauf, daß schon im Frieden sich ziemlich klar solche Interessengebiete herausgebildet hatten. Eine besondere Verbrauchsregelung würde sich bei einem solchen Verfahren erübrigt haben; es hat jedoch den Erwartungen nicht voll entsprochen. Die Festlegung der Demarkationslinien zwischen den einzelnen Einkaufsgebieten der Organisationen bildete den Gegenstand eingehender Verhandlungen. In der Schrottorganisation wurde bereits bei dem Provisorium vom 20. Dezember 1916 eine vorläufige Einteilung in ein östliches und ein westliches Einkaufsgebiet vorgenommen, denen ein gemeinschaftliches Einkaufsgebiet zwischengelagert war. Die Grenz-

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 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

linien dieses gemeinsamen Gebietes folgten im Westen ungefähr dem Weserlauf mit Anschluß an die Südwestecke des Königreichs Sachsens, im Osten dem Oderlauf bis Frankfurt a. O. und von da nach Dresden. Bald ergab sich jedoch, daß bei dieser Einteilung die Belieferung der östlichen Schrottverbraucher zu ungünstig war, so daß die Kriegs-Rohstoff-Abteilung im Februar 1917 die östliche Grenzlinie zweckmäßiger etwa in die Elbelinie verlegte. Auch für die Späne wurde eine ähnliche Gebietsabgrenzung vorgenommen, die sich naturgemäß der Verteilung der Munitionswerke entsprechend etwas anders gestalten mußte. Auch hier war ein gemeinschaftliches Einkaufsgebiet in der Mitte vorgesehen, welches Thüringen, die Provinz Sachsen und Anhalt umfaßte; Ost- und Westeinkaufsgebiet grenzten etwa in der Linie Hamburg—Hof aneinander. Auch diese Gebietseinteilung war der Verteilung des Verbrauchs im Osten und im Westen nicht ganz angemessen, so daß mehrfach Veränderungen vorgenommen werden mußten. Im Oktober 1917 und im August 1918 wurden dementsprechend Sonderbestimmungen getroffen, ohne daß es auch hier vollkommen gelungen wäre, den Gebietsertrag und den Bedarf der Industrie völlig gegeneinander abzustimmen. Da dieses Ergebnis vorauszusehen war, hatte das Kommissariat der Eisenzentrale bereits in den Gründungsverträgen der Organisationen eine Klausel aufgenommen, wonach die Unstimmigkeiten in der Schrott- und Späneversorgung durch Ausgleichslieferungen beseitigt werden sollten, die nach Anweisung des Kommissariats der Eisenzentrale zu erfolgen hatten. Die Feststellung dieser Ausgleiche hat im Verlaufe des Krieges eine außerordentliche Bedeutung gewonnen; mit den Gebietsabgrenzungen aber war erreicht, daß die Zentralstelle lediglich die Verbrauchsregelung im großen festzulegen hatte, während die Versorgung jedes einzelnen Verbrauchers, ohne durch zu weitgehende Organisation beschwert zu sein, auf dem Wege der gewohnten Handelsbeziehungen erfolgen konnte.

Die Ausgleichsverhandlungen Zur Feststellung des Bedarfs an Schrott meldeten zunächst alle Werke schlechthin ihre — meist hochgegriffenen — Ansprüche. Sie wurden entsprechend der tatsächlich erreichten Produktion und der wahrscheinlich verfügbaren Schrottmengen quotisiert und wurden dann schließlich auf Grund dieser Quoten je nach der Höhe des tatsächlichen Schrottaufbringens durch die Organisation beliefert. Bei den Spänen lagen die Dinge anders. Hier konnte man von vornherein mit einem ganz bestimmten, der Granatenherstellung entsprechenden Entfall rechnen und deswegen die Verteilung ein für allemal regeln. Man legte den Verbrauch der Zeit vom 1.  April bis 30.  September 1916 zugrunde und verteilte das Aufbringen je nach diesen Quoten. Zum Unterschied vom Schrott wurde bei den Spänen der eigene Entfall in Anrechnung gebracht.



D Verbrauchsregelung für Alt- und Abfalleisen 

 219

Im allgemeinen vollzog sich der Verkehr zwischen den Schrott- und Späneorganisationen und den Verbrauchern direkt. Die Zuweisungen des Kommissariats der Eisenzentrale setzten erst dann ein, wenn Unstimmigkeiten in der Belieferung durch Ausgleichslieferungen aus dem Wege geräumt werden mußten. Die Durchführung der Ausgleichungen erstreckten sich aber meist auf sehr weite Zeiträume und gestaltete sich infolge von Interessenkonflikten zwischen den beteiligten Organisationen (insbesondere im Osten) nicht selten schwierig. Die große Zahl der Sonderqualitäten des Schrotts — und der Sonderansprüche der Verbraucher — gab Anlaß zu Streitfragen, welche die endgültige Erledigung der Ausgleichungen oft unendlich lang hinauszögerte. So ist z. B. der Ausgleich für das 2. Quartal 1918 erst lange nach Kriegsende (im April 1919) endgültig durchgeführt worden. Die Ausgleiche selbst wurden entweder durch tatsächliche Lieferung oder durch Verrechnung zwischen den östlichen und westlichen Organisationen ausgeführt. Außerdem konnte die Eisenzentrale aus dem ihr zur Verfügung stehenden Schrott unmittelbar Mengen an den zu kurz gekommenen Teil mehr liefern und somit den Ausgleich zustande bringen. Für den Schrott ergab sich die folgende Deckungslage während der Dauer der Organisation: Schrottbilanz I (Mengen in t)

2. 3. 4 1. 2. 3.

Quartal „ „ „ „ „

1917……… 1917……… 1917……… 1918……… 1918……… 1918…..... zusammen:

Angemeldeter Bedarf an Schrott

Zugeteilte Menge

Abgelieferte Menge

c : a

c : b

(a)

(b)

(c)

%

%

962 300 837 900 946 400 969 500 975 100 745 100 5 436 300

666 600 632 000 686 300 662 700 669 600 693 800 4 011 000

513 600 471 600 391 900 409 600 442 300 445 300 2 674 300

53 56 41 42 45 60 —

77 75 57 62 66 64 —

100%

74%

49%

__



Die Bedarfsdeckung war also überaus knapp. Nur etwa die Hälfte des von den Werken für vollste Leistung beanspruchten Bedarfs wurde tatsächlich befriedigt. Auch zwischen dem Liefersoll und der tatsächlichen Belieferung entstand zunehmend eine größere Differenz. Die Prozentbelieferung sank im 4. Quartal 1917 bis auf 57%, weil die Zufuhren aus dem Westen nicht entfernt in dem Umfange erfolgen konnten, den man ursprünglich in Rechnung gestellt hatte. Dieser schlechte Stand der Schrottversorgung zwang die Werke, in außerordentlich großem Umfange auf die Vorräte zurückzugreifen, die eigentlich als eiserner Bestand hätten unangetastet bleiben

220 

 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

müssen. Die Folge davon war, daß gerade in der Zeit, in der die Roheisenproduktion infolge der Kohleneinschränkung eine so überaus große Einbuße erlitt, auch noch Stahlwerke in großem Umfange zum Stillstand kamen, so daß dadurch die Gesamtdeckungslage sich noch mehr verschlechterte. Auch die Einfuhr entsprach den gestellten Erwartungen wenig. Schrottbilanz II t

%

Gesamtaufbringen der Schrottorganisation 2. Quartal 1917 bis 3. Quartal 1918….......…………

2 919 900

100

63,2

davon durch den Handel im Inland aufgebracht...... davon von der Eisenzentrale beschafft……........……

1 831 800 1 088 100

62,8 37,2

39,7 23,5

und zwar durch Rückführung aus dem westlichen besetzten Gebiet…………….............................……… aus den anderen besetzten Gebieten………........…… durch Schrottgewinnung im Inland…………...........… durch Einfuhr aus dem neutralen Ausland……......… durch freien Einkauf in Belgien………………............… durch Verträge mit den Staatsbahnen………..........… Eigenentfall der Werke (zu 10% der Produktion von Walzwerkserzeugnissen gerechnet) schätzungsweise………………………...................................……

571 300

19,5

12,4

149 900 63 600 20 000 75 300 208 000 1 700 000

5,1 2,2 0,7 2,6 7,1 —

3,2 1,4 0,4 1,6 4,5 36,8

Gesamtschrottverbrauch…………………...............……

4 619 900



100

Fast zwei Drittel des Gesamtaufbringens der Organisationen wurde durch die Händler in die Organisation eingebracht; die Beteiligung des Handels hat sich somit als gerechtfertigt erwiesen und voll bewährt. Mehr als die Hälfte des von der Eisenzentrale beschafften Schrotts (und 25% der Gesamtmenge) stammte aus den besetzten Gebieten. Wie auf manchen anderen Teilgebieten der Kriegswirtschaft, so hatte auch in der Schrottversorgung die Kriegs-Rohstoff-Abteilung gegen eine Sonderpolitik süddeutscher Staaten anzukämpfen. Die außerordentlich schlechte Gesamtbelieferung veranlaßte das württembergische Kriegsministerium im Oktober 1917 zu einer Sonderbeschlagnahme von Schrott in Württemberg, weil die zur Lieferung verpflichtete Handelsgesellschaft für Hüttenbedarf in Nürnberg ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sei. Durch diese Sondermaßnahme gelang es natürlich sehr leicht, den beiden Württembergischen Staatsbetrieben in Lauchertal und Wasseralfingen in erhöhtem Maße Schrott zuzuführen. Sie konnten im 4. Quartal 1917 mit 82% bzw. 97% (!) ihres Liefersolls beliefert werden, während die übrige Eisenindustrie Deutschlands sich mit dem Durchschnittssatz von 57% begnügen mußte. Eine solche einseitige Bevorzugung war innerhalb eines geschlossenen Bewirtschaftungskreises naturge-



D Verbrauchsregelung für Alt- und Abfalleisen 

 221

mäß ein Unding. Mit allem Nachdruck setzte sich die Kriegs-Rohstoff-Abteilung dafür ein, daß die Sonderbeschlagnahme wieder aufgehoben wurde, was endlich im Mai 1918 auch geschah. Es mag leicht erklärlich sein, daß in industrieärmeren Gegenden, wie besonders in Süddeutschland, bei einer die Allgemeinheit gleichmäßig treffenden Rohstoffknappheit der Verdacht rege wurde, in unzulässiger Weise vernachlässigt zu sein; ein solcher Verdacht hat sich jedoch fast regelmäßig als völlig ungerechtfertigt herausgestellt. Während des Krieges mußten nun einmal vorbehaltlos alle Glieder unseres Wirtschaftskörpers gleichmäßig die Lasten und Nachteile der Wirtschaftslage tragen; eine Sonderbevorzugung einzelner Werke war ungerechtfertigt. Die Regelung des Spänebezugs geschah nach ähnlichen Grundsätzen wie die des Schrotts, lediglich die Sonderstellung der Späne in der Manganwirtschaft gab Veranlassung zu einigen Modifikationen des Ausgleichsverfahrens. So mußten vorweg von dem monatlichen Späneaufbringen eine Menge von 20  000  t zur Stahleisenfabrikation (Charlottenhütter Verfahren) vorbehalten bleiben. Sodann mußte das Gesamtaufbringen zwischen Ost und West und außerdem in beiden Gebieten noch zwischen Hochofenwerken und Martinwerken aufgeteilt werden. Auch hier gelang es nicht, den anfänglich geschätzten Verteilungsmodus innezuhalten. Das Verhältnis vom Westen zum Osten, das für das 1. Quartal 1917 auf 72½ : 27½ angenommen worden war, wurde in den folgenden Quartalen des öfteren verschiedentlich geändert (1917: 70 : 30; 1918: 73 : 27 und 75,5 : 24,5). Auch die Verteilung auf Martin- und Hochofenwerke unterlag Variationen. Für das 1. Quartal 1917 wurde folgender Verteilungsmodus angenommen: Im Westen……………………………… Im Osten…………………………..……

70% 30% 40% 60%

für für für für

Hochofenbetriebe, Martinofenbetriebe. Hochofenbetriebe, Martinofenbetriebe.

Die Veränderungen stellten sich auf 1917 1918

3. Quartal 4. Quartal 1. Quartal

… Westen 80 : … Westen 85 : … Westen 80 :

20, Osten 40 : 15, Osten 40 : 20, Osten 40 :

60, 60, 60.

Soweit bei diesem Schlüssel noch Unstimmigkeiten vorkamen, wurden sie durch ein besonderes Vorgabeverfahren bei Beginn des folgenden Quartals ausgeglichen. Aus den allgemein gehaltenen Bestimmungen über die Verbrauchsregelung ist zu entnehmen, daß man bestrebt geblieben ist, auch im Schrott- und Spänebezug Wirtschaftspolitik in dem Sinne zu treiben, daß lediglich die Richtungslinien festgesetzt wurden, daß aber der komplizierte Mechanismus der Durchführung der Lieferungserfüllung nicht mit Hilfe eines großen Verwaltungsapparates, sondern in den gewohnten Bahnen des freien Verkehrs sich entwickelte. Es ist ohne Zweifel gelungen, auf

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 Vom Hindenburg-Programm bis zur großen Westoffensive 1918

diese Weise die verfügbaren Mengen in befriedigender Weise dem Bedarf zuzuführen, wenn natürlich auch der Umstand, daß das gesamte Schrottaufbringen weit hinter dem Bedarf zurücklag, die Erfolgmöglichkeit von vornherein erheblich beschnitt. Die Verbrauchsregelung für Gußbruch vollzog sich in gänzlich anderen Bahnen. Dadurch, daß der Roheisenverband zum Träger der Organisation geworden war, konnte die Gußbruchverforgung (soweit sie überhaupt durch die Organisation geschah) nach den gleichen Grundsätzen geschehen wie die Gießereiroheisenverteilung. Eine Einteilung in Entfallgebiete erübrigte sich dabei vollkommen, weil die eingespielte Organisation des Roheisenverbandes unterschiedslos das gesamte Reichsgebiet umspannte und eine gleichmäßige Bedarfsbefriedigung gewährleistete.

Kapitel V.

Die Eisenwirtschaft im Sommer 1918 A Die Wirtschaftslage bei Beginn der Westoffensive Produktionsverhältnisse Vom Standpunkt der Eisenwirtschaft war das Jahr 1917 das Jahr der großartigen Vorbereitung für die im Jahre 1918 gesuchte Entscheidung gewesen. Während die militärische Kriegführung in der Hauptsache defensiven Charakter trug, war in eisenwirtschaftlicher Hinsicht das Jahr 1917 darüber hingegangen, die Industrie voll und ganz auf die Erreichung der Höchstleistung einzustellen, die erforderlichen Umstellungen in der Bedarfsgruppierung in Anlehnung an die vorhandenen Rohstoffe und an die Dringlichkeit der einzelnen Bedarfsgebiete vorzunehmen und die Organisationen auszubauen und einzuspielen, welche die Durchsetzung eines einheitlichen Wirtschaftsplanes von den Erzen bis zum fertigen Walzprodukt ermöglichten. Entscheidend war aber die Eisenproduktion in dieser Zeit durch den Mangel an Brennstoffen getroffen worden, nachdem hier sozialwirtschaftliche Interessen den kriegswirtschaftlichen Erfordernissen vorübergehend hatten vorgezogen werden müssen. Auch der Konflikt zwischen Arbeiterbedarf für die Schaffung der Heeresrüstung und Mannschaftsbedarf für die Front hatte sich an manchen Stellen deutlich bemerkbar gemacht. Die Produktion von Eisen und Stahl hatte unter diesen Umständen einen außerordentlich großen Rückgang erlitten und im Januar und Februar 1918 einen Tiefstand erreicht, der in einzelnen Gebieten, wie in Lothringen — und dadurch gerade bei den wichtigsten Produkten (Thomasroheisen und Thomasstahl) —, die Produktion auf den Stand des Frühjahrs 1915 zurückwarf. Die folgenden Monate des neuen Jahres brachten aber nun doch eine wesentliche Entspannung sowohl in der Transportlage wie auch in den Brennstoffverhältnissen, so daß es möglich wurde, noch vor Einsetzen der großen Offensive die Produktion ganz wesentlich zu steigern. In Lothringen konnte in der verhältnismäßig kurzen Zeit bis zum Frühjahr der gewaltige Produktionssturz völlig wieder wett gemacht werden. Dadurch gelang es, in scharfem Ansteigen die Thomasproduktion bis zum Mai 1918 wieder auf die Durchschnittshöhe des Vorjahres herauszuheben (siehe Anlage). Bemerkenswerterweise wurde in der Periode der Produktionssenkung der Martinstahl in viel stärkerem Maße als je vorher zum Träger der Gesamtversorgung; zwar trat hier ebenfalls ein Produktionsausfall ein, der aber kaum halb so stark war wie derjenige beim Thomasstahl. Erst im Mai 1918 erreichte die Thomasstahlproduktion wieder die Höhe der Martinstahlerzeugung (siehe Anlage). Neben der Thomas- und Martinstahlproduktion hatte schon im Jahre 1917 der Stahlformguß immer größere Bedeutung gewonnen, dessen Produktion etwa die vier-

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 Die Eisenwirtschaft im Sommer 1918

fache Höhe der Friedensproduktion erreichte. Auch hier machte sich der Einfluß des gesteigerten Heeresbedarfs geltend, da zur Befriedigung des außerordentlich großen Munitionsbedarfs in weitem Umfang die Stahlgießereien zur Herstellung von Granaten herangezogen wurden. Die Walzprodukte folgten in der Produktionsleistung der Verbesserung der Produktion der Stahlwerke, wobei ebenfalls die Veränderungen der Produktionslage in Lothringen und im Rheinland das Versorgungsbild ausschlaggebend beeinflußten. Mit der Verbesserung der Roheisenproduktion konnte teilweise die Beschränkung der Gießereiversorgung ausgeglichen werden, die beim Beginn des großen Produktionssturzes im August 1917 von der Rohstahlausgleichsstelle zwangsweise zugunsten der Stahlhütten angeordnet worden war. Allein die Luxemburger Gießereiroheisenversorgung war von 32 000 t im August 1917 auf wenig mehr als 4000 t im Februar 1918 gesunken, um sich erst Mitte 1918 wieder auf die Höhe von etwa 27  000  t zu heben. Die so entstandene Lücke war während der weiteren Kriegsdauer nicht mehr auszufüllen. Auch in anderen Roheisensorten waren scharfe Einschränkungen in der Belieferung vorgenommen worden, während Stahleisen und die Spezialroheisen nach Möglichkeit hochgehalten oder sogar verstärkt abgesetzt worden waren. Vom Februar 1918 ab durfte der Roheisenverband nunmehr wieder an eine lebhaftere Belieferung der Gießereien herantreten und vermochte im Laufe weniger Monate den Versand von Roheisen für Gußzwecke etwa zu verdoppeln. Dieser Umstand hatte auch für die Eisenproduktion insofern große Bedeutung, als die Eisenhüttenindustrie selbst einen erheblichen Anteil der Gußerzeugung für ihre Fabrikationseinrichtungen in Anspruch nahm (etwa 25%), während gerade auch das Inganghalten der gesamten Volkswirtschaft einschließlich der Kriegsindustrie in sehr hohem Maße von der Graugußerzeugung abhängig war. Die Graugußgranaten nahmen allerdings jetzt fast keinen Anteil mehr an der Heeresbewaffnung. Weniger große Schwankungen als die Eisen- und Stahlproduktion machte die Erzförderung durch. Das große Förderprogramm, das man im Herbst 1916 ins Auge gefaßt hatte, war allerdings nicht entfernt innegehalten worden. Im Gegenteil, die Schwierigkeiten in der Arbeiterversorgung, insbesondere die Minderleistung der angelegten Gefangenen, verursachte einen langsamen Rückgang der Gesamtfördermenge. Daß auch im Erzbergbau in den Wintermonaten 1917/18 (hauptsächlich in Lothringen) ein erheblicher Förderrückgang zu beobachten war, ist darauf zurückzuführen, daß ähnlich wie zur Zeit der Aufnahme des Hindenburg-Programms Stockungen im Abtransport der Erze eintraten. Die Eisenbahn war in Lothringen und Luxemburg sowohl während der bis in den Dezember hineindauernden Flandernschlachten als auch während des Aufmarsches zur Westoffensive mehr als je für strategische Zwecke in Anspruch genommen. Außerdem waren infolge der Brennstoffeinschränkung die Hochofenwerke in ihrer Aufnahmefähigkeit gehemmt, und dies mußte sich natürlich rückwirkend auf die Förderverhältnisse bei den Gruben bemerkbar machen. Ebenso kam das große Programm, welches mit der Ilseder-Hütte vereinbart worden war, nicht in erhöhten Produktionsziffern zum Ausdruck. Auch hierfür war



A Die Wirtschaftslage bei Beginn der Westoffensive 

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die Brennstofflage ausschlaggebend; zwar waren unter Mitwirkung der Eisenzentrale allmählich die Betriebseinrichtungen für eine Förderung von 6—8 Mill. t Erz erweitert worden, aber der Brennstoffmangel ließ kaum eine Erhaltung der erreichten Leistung, geschweige denn eine Ingangsetzung des vergrößerten Betriebs zu. Die Erzförderung der militärischen Bergverwaltung Homécourt blieb gleichfalls hauptsächlich infolge der Transportverhältnisse im besetzten französischen Gebiet weit hinter den ursprünglich in Aussicht genommenen Zahlen zurück. Zwar gelang es hier stärker als in anderen Gebieten, im Jahre 1918 die Produktion zu heben, ohne daß allerdings hierdurch die Versorgungslage mit binnenländischen Erzen merklich beeinflußt worden wäre. Nach Aufhören der Schiffahrtsperiode im Jahre 1917 sank auch die Einfuhr von Schwedenerzen auf ein geringeres Maß als im Vorjahre herab; dazu zögerte sich die Wiederaufnahme des Schiffsverkehrs im Jahre 1918 infolge des Einflusses der Entente auf die schwedische Ausfuhrpolitik, nicht weniger aber auch mit Rücksicht auf die geringe Kauflust im Inland länger als gewöhnlich hinaus.

Bewegung der Vorräte Die schweren Störungen der Produktion im Herbst und Winter 1917/18 wirkten naturgemäß auf die Größe der Vorräte entscheidend ein. Hinsichtlich der Erze ergab sich aus dem Niedergang der Roheisenproduktion eine dem Anschein nach günstige Lage. In Verbindung mit der vorsorglichen Bezugsregelung durch die Eisensektion gelang es infolge des stark verminderten Verbrauchs in den Wintermonaten, außerordentlich große Vorräte an Erzen aller Art auf den Werken aufzusparen. Durchschnittlich trat man mit etwa dem 1½fachen der Erzvorräte des Vorjahres in das Jahr 1918 hinein, so daß im Gegensatz zum Vorjahre sowohl die Gruben als auch die Hüttenwerke über reichliche Erzreserven verfügten. Allein hierauf ist es zurückzuführen, daß unmittelbar nach der Aufbesserung der Transportverhältnisse, die sich wegen der Milde des Winters verhältnismäßig früh im Jahre vollzog, die Roheisenproduktion in außerordentlich kurzer Zeit wieder auf die im Vorjahr erreichte Höhe gebracht werden konnte (s. Anlage). Dieser anscheinend günstige Stand der Erzversorgung muß jedoch auf die Passivseite der Versorgungsbilanz verbucht werden, da bei ungestörter Produktionsentwicklung aus diesen Erzen die Mengen Roheisen erzeugt worden wären, die im Frühjahr 1918 vermißt wurden. In den beiden ersten Monaten des Jahres 1918 baute die Eisensektion ihr bewährtes System für die Regelung der Massentransporte in der Eisenindustrie weiter aus und machte dadurch eine äußerst wirkungsvolle Vorratspolitik möglich. Es wurden im Januar und Februar diejenigen Bedarfsmengen für die einzelnen Rohstoffe festgesetzt, die auf jedem einzelnen Werk nach Maßgabe seiner bisherigen Leistungen mindestens befriedigt werden mußten, wenn die Produktivität dort nicht lahmgelegt werden sollte. Vom März ab wurden dann mit der Eisenbahnverwaltung die Wagen-

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gestellungen für die jeweiligen Transporte stationsweise vereinbart und an Hand dieser Mindestbedarfslisten tatsächlich erreicht, daß die Eisenproduktion wesentlich unabhängiger von der Transportlage wurde als vorher. Es gelang trotz der die gesamte deutsche Kriegswirtschaft im Jahre 1918 ganz besonders schwer belastenden allgemeinen Transportnot, systematisch an allen Produktionspunkten in der Eisenindustrie zum Teil vielmonatliche Vorräte anzusammeln, die über Perioden verringerter Transportleistungsfähigkeit hinweghelfen konnten. Die geschickte Vorratspolitik, die in bezug auf Schwedenerz seit dem Hindenburg-Programm getrieben worden war, machte sich im Sommer 1918 in verschiedener Hinsicht bezahlt. Wie schon lange vorauszusehen, drängte die Entente Schweden immer mehr dazu, die Ausfuhr nach Deutschland zu verringern. In der Tat mußte die schwedische Regierung nachgeben und die Eisenerzausfuhr ganz wesentlich herabmindern. Diese Bestrebungen der Entente verfehlten aber ihre Wirkung auf die deutsche Kriegswirtschaft gänzlich. Deutschland verfügte Ende 1917 über einen mehr als fünfzehnmonatlichen Vorrat an phosphorarmen und reichlich zehnmonatlichem Vorrat an phosphorreichen Schwedenerzen und konnte also selbst bei einer wesentlichen Einschränkung der Zufuhr von dieser Seite her in absehbarer Zeit nicht mehr entscheidend getroffen werden. Zudem durfte man erwarten, daß in späteren Kriegsperioden die Zufuhren aus Krivoi-Rog (Ukraine) die deutsche Versorgung mit hochwertigen Eisenerzen immer unabhängiger von den Maßnahmen der Entente gestalten würde. Angesichts dieser günstigen Lage zeigte sich bei der deutschen Eisenindustrie sogar eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der Anregung der Heeresverwaltung, weitere Kapitalien für den Bezug schwedischer Erze festzulegen. Das weitere Absinken der Valuta und die von der Reichsfinanzverwaltung geforderte Kreditaufnahme auf die in ihrer finanziellen Entwicklung nicht zu übersehende Nachkriegszeit erhöhten das Unternehmerrisiko ungemein; in der Tat hat diese Politik zu einer übermäßigen Verschuldung der deutschen Eisenindustrie an Schweden geführt. Im Gegensatz zu früheren Kriegsjahren mußte diesmal die Heeresverwaltung sogar einen gewissen Druck ausüben, da man, so günstig sich die Versorgungslage mit Erzen auch anließ, nicht in den Fehler früherer Jahre zurückfallen und sich mit einer zeitlich doch immerhin nur begrenzten Sicherung der Bedarfsdeckung zufriedengeben durfte. Um in dieser Lage zu einem für die Kriegseisenwirtschaft möglichst günstigen Ergebnis zu kommen, stellte die Kriegs-Rohstoff-Abteilung die Eisenzentrale zwischen den deutschen Verbraucher und die schwedischen Lieferer. Die Eisenzentrale schloß unter dem Risiko des Reiches mit der Industrie Lieferungsverträge auf Schwedenerz ab. Die auf der anderen Seite gepflogenen Verhandlungen mit Schweden liefen durch die Monate April bis Juni und es wurde durch die Vermittlung der Eisenzentrale erreicht, daß die Einbringung der von Schweden bewilligten Kontingente in vollem Umfange gesichert und einheitlich überwacht wurde. Kurz nach Abschluß der Verhandlungen kam die erwartete Einigung zwischen England und Schweden zustande, wonach sich Schweden zu einer starken Herabsetzung der Lieferungskontingente für die Lieferungsperiode 1918/19 verpflichten mußte. Mit größter Energie wurden vom Mai ab die



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Transporte von Schwedenerz hereingeholt, durch die es gelang, die Vorräte bis zum September 1918 wiederum bis auf den zehn- bis zwölffachen Monatsbedarf hinauszuheben. Wesentlich ungünstiger als bei den Erzen lagen aber die Verhältnisse bei den Vorräten von Roheisen und Halbzeug. Zwar hatte der Roheisenverband alle nicht unbedingt kriegswichtigen Roheisenlieferungen eingeschränkt, bei dem starken Absinken der Produktion war aber eine auch nur halbwegs befriedigende Bedarfsversorgung nur durch schärfstes Rückgreifen auf die vorhandenen Vorräte möglich. Diese sanken denn auch im Winter 1917/18 auf den größten Tiefstand während des Krieges herab. Betrug im Anfang 1915 der Roheisenbestand auf den Werken etwa eine halbe Monatsproduktion, so war jetzt nur noch ein Achtel der Monatsproduktion als Versorgungsreserve vorhanden. Nur wenig besser stellte sich die Lage bei den Halbzeugvorräten dar. Hier hatte im Sommer 1917 eine allerdings mehrfach unterbrochene Wiederauffüllung der Werksvorräte vorgenommen werden können. Je dringender aber in der Vorbereitungszeit zur großen Westoffensive die möglichst restlose Erfüllung des Heeresbedarfs wurde, desto mehr mußte angesichts der mangelhaften Produktionslage auch auf diese Vorräte zurückgegriffen werden. Eine Aufbesserung der Vorräte an Halbzeug bei den Werken trat erst in der zweiten Jahreshälfte ein, als die Intensität des Heeresbedarfes nachgelassen hatte. Die Minderung der Vorräte von Roheisen und Halbzeug auf den Werken hatte aber um so weittragendere Folgen, als der Markt oder die Verbraucher schon längst von Vorräten an Eisen und Stahl völlig entblößt waren. Man lebte nunmehr ausschließlich von der Hand in den Mund, und wenn unter diesen Umständen der Heeresbedarf doch einigermaßen gedeckt wurde, so konnte dies nur unter Hintansetzung aller nicht dringlichsten Bedarfsgruppen geschehen.

Rohstoffversorgung Unter den Rohstoffen spielte zu Anfang 1918 wiederum der Schrott die schlechthin ausschlaggebende Rolle. Je mehr die Roheisenproduktion versagte, um so stärker ruhte die ausreichende Heeresversorgung auf dem Martinstahl. Aber auch hier wurde die Rohstoffversorgung durch die Verhältnisse scharf beschnitten. Seit Oktober 1917 waren die Rückführungen aus dem besetzten Gebiet unter dem Einfluß der strategischen Transporte aus Anlaß der Flandernschlachten scharf zurückgegangen. Infolgedessen wuchs auf den Martinwerken der Schrottmangel bemerkbar und in allen Industrierevieren kamen Stahlwerke zu Betriebsunterbrechungen. Im 4.  Quartal 1917 und im 1. Quartal 1918 konnte der Schrottbedarf der Martinwerke kaum zu 40% gedeckt werden, und selbst von den den Werken durch das Kommissariat der Eisenzentrale zugeteilten Quoten kamen im Durchschnitt nur 60% zur Ablieferung. Um dieser Schrottnot nach Möglichkeit zu begegnen, begann man mit dem Ende des Jahres 1917 in verschärfter Weise das Inland zur Schrottdeckung heranzuziehen. Im Oktober 1917 wurde die Schrottgewinnungsabteilung in der Eisenzentrale gegründet

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und im Dezember verschaffte sich die Eisenzentrale durch eine Schrottbestandsaufnahme und das Abbruchmeldeverfahren die Unterlagen für eine schärfere Herausholung der greifbaren Schrottvorräte aus dem Inland. Ferner begannen im Januar 1918 der Ankauf außer Betrieb befindlicher Anlagen zum Abbruch und die Mobilmachung durch freiwilliges Aufbringen des überall verfügbaren Alteisens. Nach einer Probeorganisation in zwei brandenburgischen Kreisen wurde die Organisation im Jahre 1918 allmählich über Preußen und später auch über einzelne Bundesstaaten ausgedehnt. Im April wurden 10, im Mai bereits 73 Kreise in Deutschland bearbeitet. Das Arbeitsergebnis dieser umfangreichen Tätigkeit war allerdings — wegen der baldigen Unterbrechung durch den Waffenstillstand — nur beschränkt und reichte nicht entfernt hin, die Ausfälle an belgischem und französischem Schrott wettzumachen. Vorübergehend schien aber auch die Schrottlage eine Entspannung zu erfahren. Durch das schnelle Vorwärtsdringen der Westoffensive kamen die bisher heiß umkämpften Stellungen (Sommegebiet) weit ins Hinterland und die Oberste Heeresleitung gab trotz mancherlei Bedenken strategischer Art ihre Einwilligung zur Nutzbarmachung der dort vorhandenen hochwertigen Schrottmengen (Geschoßstahl). Allerdings zeigte sich sehr bald, daß diese im Mai gegebene Einwilligung mit Rücksicht auf die Veränderungen in der Kriegslage praktisch nicht durchzuführen war, und schon im Juni mußte der Plan der Ausnutzung der alten Westfront endgültig aufgegeben werden. Dafür aber boten Rumänien und Serbien, in allererster Linie aber die weit hinter dem neuerlichen Kampfbereich liegende Isonzofront, Ausbeutungsobjekte größten Umfangs dar, die in erster Linie die deutsche Wirtschaft von den Lieferungsverpflichtungen gegenüber Österreich befreien konnten und bei sachgemäßer Nutzbarmachung schließlich auch die deutsche Eisenwirtschaft merklich getragen haben würden. Auch das deutsche Ostokkupationsgebiet, welches infolge seiner geringen transporttechnischen Aufschließung bisher nur in mäßigem Umfang zur Schrottbedarfsdeckung herangezogen worden war, wurde nunmehr Gegenstand nachdrücklicherer Bearbeitung. Durch den Eisenbergetrupp wurde in der Hauptsache das in den früheren russischen Grenzfestungen sowie in großen Eisenbahnbrücken und dergleichen eingebaute Material nutzbar gemacht. Nächst dem Schrott war es das Mangan, das auch in der Zeit der großen Westoffensive weitgehende organisatorische Maßnahmen erforderlich machte. Die Vorräte an hochwertigen Manganerzen neigten sich immer mehr ihrer völligen Erschöpfung zu, sie waren um weit mehr als 90% aufgebraucht. Nur eine noch schärfere Einschränkung des Verbrauchs von Ferromangan — man stellte neuerdings auch 20% Spiegeleisen und 40% Ferromangan her — machte hier fürs erste eine weitere Streckung der vorhandenen Erzvorräte möglich, um bis zur erwarteten Einfuhr hochwertiger Manganerze aus dem Kaukasus durchhalten zu können. In der Manganerzwirtschaft markierten sich im Winter 1917/18 vier Ereignisse von besonderer Bedeutung. Im Januar trafen die ersten Sendungen von Maczkamezoeerz (Ungarn) in Deutschland ein, gleichzeitig wurden die Erweiterungsbauten der Gewerkschaft Geier fertig, durch die neue Erzkörper der Bingerbrücker Lagerstätte



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dem Abbau erschlossen wurden. Auch die von Krupp betriebene Ferniegrube bei Gießen wurde durch die Neuanlage eines Schachtes für eine erhebliche Steigerung der Förderleistung im Jahre 1918 vorbereitet. In den ersten Monaten des Jahres 1918 schritt man dann außerdem zum Aufschluß von Erzfeldern bei Niedertiefenbach, die hochwertige Manganerze enthielten, wobei man auf die Bestimmungen der Beschlagnahmeverfügung über die Manganerzlagerstätten zurückgriff. Schließlich schien die Eröffnung des Verkehrsweges nach dem Kaukasus die ganze Mangansituation einer wesentlichen und grundsätzlichen Besserung entgegenzuführen. Das hochwertige Potierz konnte ungehindert über das Schwarze Meer und die Donau nach Deutschland gelangen. Im Juli trafen bereits 10 000 t, im August weitere 20 000 t dieser Erze in den Donauhäfen ein; Teile dieser Einfuhr erreichten Deutschland. In Poti wurden weitere 17 000 t und in Tschiaturi über 100 000 t Erz von der Manganerzgesellschaft erworben. Zur weiteren Sicherung des ausländischen Manganbezugs kaufte diese außerdem die Grube Pyrolusit bei Jekaterinoslaw in der Ukraine auf. Besondere Schwierigkeiten erwuchsen wegen des Mangels an hochwertigen Erzen in der Herstellung der trotz aller Verbrauchseinschränkungen und Sparvorschriften für gewisse Zwecke nötigen hochwertigen Ferromanganmengen. Der Bestand an 80%igem Ferromangan war seit 1916 von 2800 t auf 1600 t herabgesunken. Es gelang der Eisenzentrale, im Januar mit schwedischen Industriellen Verbindung aufzunehmen und diese zu einer Hebung ihrer Produktion an 70%igem Ferromangan zu veranlassen. So wurde es möglich, den laufenden Bedarf unter Schonung der geringen Vorräte fast ausschließlich aus der Einfuhr zu decken. Die Manganfrage war also im Jahre 1918 im wesentlichen geklärt. Man konnte den Mangangehalt des Stahls sogar wieder fast auf den Friedensdurchschnitt herausheben und brauchte auch für die späteren Kriegsperioden keine Gefährdung der Manganwirtschaft mehr zu befürchten. Die Führung der Manganbewirtschaftung durch die Eisenzentralstellen im Kriegsministerium kann als ein voller Erfolg der Kriegsorganisationen gebucht werden. Bedenklicher als beim Mangan war die Versorgungslage beim Ferrosilizium. Die deutschen Inlandsanlagen waren wegen Kohlen- und Arbeitermangel nur teilweise betriebsfertig geworden und im neutralen Ausland machte die Entente spürbar ihren Einfluß auf die Lieferungen nach Deutschland geltend. Die Ferrosiliziumlage war somit sehr gespannt. Die Situation war jedoch deswegen nicht bedrohlich, weil inzwischen die Manganversorgung eine Besserung erfahren hatte und Ausgleichungen zwischen Ferromangan und Ferrosilizium die jeweiligen Deckungsschwierigkeiten beheben konnten.

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B Die Entscheidung des Weltkrieges Kriegslage und Heeresversorgung Am 21. März 1918 trat Deutschland nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich zum Entscheidungskampf im Weltkrieg an. Die Oberste Heeresleitung setzte die letzte Hoffnung, eine für Deutschland günstige Kriegswendung herbeizuführen, auf die Ergreifung einer letzten machtvollen Offensive. Die Kritik über die Zweckdienlichkeit dieses großen, letzlich kriegsentscheidend gewordenen Planes liegt weit außerhalb der Grenzen dieser Abhandlung. Man war sich bei den wirtschaftlichen Zentralstellen des Ernstes der Lage voll bewußt. Die hohe Beanspruchung der Kriegswirtschaft ließ offenbar eine mehrmalige Wiederholung einer derartig groß angelegten Offensive nicht zu. Nur für die einmalige Durchführung standen die wirtschaftlichen Vorbedingungen in Deutschland nicht ungünstig. Man konnte über zum Teil erhebliche Vorräte an Rohstoffen aller Art verfügen, die für eine zeitlich genau umrissene Kampfhandlung ein großzügiges Wirtschaften erlaubten. Auch die Versorgung mit Eisen und Stahl war befriedigend. Trotz aller Schwierigkeiten in der Produktion während der Vorbereitungszeit war die Ausrüstung der Armee mit Waffen und Munition ausreichend. Keine der in der Folgezeit unternommenen Kampfhandlungen hat entscheidend unter Materialmangel gelitten, besonders die Artillerie zeigte sich den gewaltigen Angriffsoperationen gewachsen. Angesichts der Entwicklung der Kriegführung nach der Seite des Materialkampfes hin beherrschte die Vorsorge für die Bereitstellung der gewaltigen Munitionsmengen die Kriegseisenwirtschaft seit dem Herbst 1917. Die Hochhaltung und Steigerung der Produktion von Granatstahl war dementsprechend die vornehmste Aufgabe, welche die Eisenwirtschaft in dieser Kriegsperiode zu erfüllen hatte. Die Oberste Heeresleitung rechnete mit der Erfüllung eines 12 000 t Pulverprogramms, das eine Herstellung von 220 000 t Granatstahl im Monat erforderte. Diese beträchtliche Forderung ist im März 1918 tatsächlich auch erfüllt und in den folgenden Monaten sogar erheblich überschritten worden. Die Höchstproduktion von Granatstahl belief sich im Mai auf mehr als 250 000 t. Damit war die ursprüngliche Forderung des Hindenburg-Programms von 1916 fast noch übertroffen, doch war das Ziel auf gänzlich anderem Wege, als anfänglich geplant, erreicht worden. Nicht die Erzförderung war die Grundlage der Stahlproduktion geworden, sondern die gesteigerte Schrottversorgung, durch die der Martinprozeß bis über die Friedensleistung hinausgehoben worden war. Die in der größten Notlage ergriffenen Maßnahmen zur Gewinnung von Schrott in den besetzten Gebieten gaben hierfür die Unterlage. Die ausreichende Bewaffnung der deutschen Armee wäre ohne sie unmöglich gewesen, der Verzicht auf solche Rückführungen aus den Okkupationsgebieten würde die Schlagfertigkeit des Heeres in Offensive und Defensive ganz entscheidend beeinflußt haben.



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Außerdem aber waren zur Beschaffung dieser Mengen tiefgreifende Umstellungen in der gesamten Bedarfsbefriedigung nötig geworden, wie man sie zur Zeit des Hindenburg-Programms für unmöglich gehalten haben würde. Trotz schwankender oder sogar sinkender Gesamtproduktion ist es so gelungen, mit nur wenigen Rückschlägen die Granatstahlproduktion seit Anfang 1917 stetig zu steigern. Die Hauptlast bei den hierbei notwendigen Umstellungen hatte die qualitätsähnliche Schienenproduktion zu tragen. Die Produktion von Eisenbahnbedarf war dementsprechend in der Zeit der Brennstoffeinschränkungen von über 100 000 t auf 46 000 t herabgeschraubt worden, während gleichzeitig die Granatstahlproduktion von 164 000 auf 207 000 t gehoben worden war und das in einer Zeit, während welcher die Gesamtproduktion von 1 025 000 t auf 825 000 t gesunken war. Die starke Benachteiligung der Eisenbahn konnte aber auf die Gestaltung der gesamten Kriegswirtschaft nicht ohne Folgen bleiben. Obwohl während des Jahres 1917 die Produktion von Eisenbahnoberbaumaterialien mit durchschnittlich 90—100 000 t im Monat durchgehend hohe Zahlen erreicht hatte, war — in Verbindung mit der aus Baustoffmangel hinter dem Bedarf zurückbleibenden Neuherstellung von Lokomotiven und Wagen — die Transportlage seit Herbst 1917 bis zum Kriegsende außergewöhnlich schlecht. Eine zu weitgehende Sparsamkeit war hier nicht am Platze. Es wurde außerdem nötig, zu Anfang 1918 eine Reihe von Umgehungsstrecken fertigzustellen, durch die kommenden Transportkrisen vorgebeugt werden sollte. Die Steigerung der Geschoßfabrikation mußte deshalb in den Wintermonaten mit Rücksicht auf eine stärkere Belieferung der Eisenbahnen zurückgehalten werden. Dies machte sich hauptsächlich in den für die große Westoffensive entscheidenden Monaten äußerst nachteilig bemerkbar, da die hergestellten Mengen Granatstahl regelmäßig erst nach Verlauf von etwa drei Monaten als gebrauchsfertiges Geschoß dem Heere zugeführt wurden. Die an sich so erfreulich hohen Produktionsmengen der Frühjahrsmonate 1918 sind infolgedessen vor der Kriegsentscheidung gar nicht mehr in Wirkung gekommen. Die Oberste Heeresleitung mußte sich vielmehr mit den erheblich viel geringeren Mengen begnügen, die in den Wintermonaten ausgewalzt worden waren und die nur auf Kosten der Eisenbahnbelieferung hätten vermehrt werden können. Der Konflikt zwischen Kriegsbedarfsdeckung und den Zwangsläufigkeiten der allgemeinen Volkswirtschaft kam hier aufs schärfste zum Ausdruck. Infolge dieser Lage mußte man sich mit der Innehaltung eines wesentlich eingeschränkten Programms zufriedengeben. Die Erfüllung selbst dieser Forderungen aber wurde nur dadurch möglich, daß das Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt auch auf diejenigen Vorräte zurückgriff, die ursprünglich als Reserven für das laufende Jahr gedacht gewesen waren. Man mußte hiermit in der Vorratsminderung noch erheblich weiter gehen als bisher. Da in den Halbfabrikaten keine Vorräte mehr vorhanden waren, aus denen heraus der Sonderbedarf befriedigt werden konnte, so mußte man bis in die nächsthöhere Stufe der Produkte hinaufgreifen und hier die verhältnismäßig noch größeren Nachteile in Kauf nehmen, die in jeder Vorratsminderung bei laufender Produktion liegen. Diese

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Nachteile hätten sich gegen das Ende des Sommers in aller Schärfe geltend gemacht, wenn nicht der Umschwung in der Kriegslage alle Verhältnisse von Grund auf geändert hätte. Soweit außer Granatstahl die anderen Walzprodukte für die Kriegführung unmittelbar in Frage kamen, war auch hier der Bedarf für die dringendsten Gebiete nur durch Umstellung und Wandlung der Produktion voll zu befriedigen. Der Rohstahlausgleichstelle erwuchsen hieraus Aufgaben allergrößter Art, deren Durchführung nicht ohne eine gewisse Gewaltsamkeit möglich war. Die Sorge für die zukünftige Entwicklung der Eisenwirtschaft, die im Jahre 1917 im Hinblick auf die vorbereitete Offensive die Maßnahmen der Rohstahlausgleichstelle wesentlich mitbestimmt hatte, mußte nunmehr ganz und gar hinter den Augenblicksforderungen zurücktreten. Es galt in den Frühjahrsmonaten 1918 die Höchstversorgung der Armee und der Marine, selbst unter größten Opfern, sicherzustellen; was später kam, mußte man zunächst der Zukunft überlassen. Hier wuchs allmählich eine Gefahr für die Eisenwirtschaft heran, da eine Vernachlässigung der sekundären Bedarfsgruppen auf lange Zeit nicht ohne schweren Schaden durchführbar war. Das übrige Wirtschaftsleben mußte hierdurch schwer beeinträchtigt werden; der Ersatz für verbrauchte Maschinenteile und der Betriebseinrichtungen wurde schwieriger, das Verkehrswesen litt, der für das Handwerk wichtige Kleineisenbedarf wurde zurückgesetzt, kurz, das gesamte Getriebe der Kriegswirtschaft begann sich allmählich heißzulaufen. Mit einer unbegrenzten Kriegsdauer durfte man infolgedessen nicht mehr rechnen. Ein Wirtschaften aus irgendwelchen Vorräten heraus war obendrein nicht mehr möglich. Die Produktion trug mehr als je bisher unvermittelt die Last der Versorgung von Heer und Heimat; aber sie besaß längst nicht mehr die überlegene, allen Widerwärtigkeiten überlegene Kraft, die sie im Frieden ausgezeichnet hatte. Es war auch beim Eisen nicht mehr unbedingt sicher, ob sich die deutsche Kriegswirtschaft nicht an der von ihr geforderten Höchstleistung verausgaben würde und inwieweit sie später etwa leistungsfähig blieb. Die exponierte Lage des wichtigsten Rohstoffgebietes (Lothringen) verstärkte die Unsicherheit der Zukunftsaussichten. Als dringendste Bedarfsgebiete galten neben der Geschoßherstellung die ausreichende Schaffung der Baustoffe für den U-Bootkrieg. Wenn überhaupt irgendein Mittel die Wirkung der amerikanischen Hilfeleistung während der entscheidenden Kämpfe vermindern konnte, so war es die U-Bootwaffe, für die tunlichst viel Material geliefert werden mußte. Um jede Hemmung in dieser Hinsicht zu beseitigen, war bereits seit 1917 die Lieferung U-Bootbau nicht mit in das von der Rohstahlausgleichstelle ausgearbeitete Dringlichkeitssystem aufgenommen, sondern von vornherein bestimmt worden, daß jede Lieferung für U-Bootbau ohne weiteres als dringendster Bedarf allen anderen Lieferungen vorzuziehen sei. Eine volle Bedarfsbefriedigung für diese Zwecke konnte sich also an formellen Schwierigkeiten nicht stoßen. Lediglich in der Arbeiterversorgung der in Frage kommenden Industrien, hauptsächlich der Blechwalzwerke, bot sich eine Obergrenze, die um so weniger überschritten werden konnte, als die Oberste Heeresleitung eine Freimachung der für eine weitere Steige-



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rung der Produktion erforderlichen Facharbeiter mit Rücksicht auf den außerordentlich hohen Mannschaftsbedarf der Front nicht ermöglichen konnte. Auch der Flugzeugbau fand besondere Förderung. Hinter diesen Bedarfsgruppen wurde alles Material jeder Art für Neubau von Lokomotiven, Reparatur von Eisenbahnbetriebseinrichtungen und für Neubau von Wagen in die erste Gruppe der Dringlichkeitsliste aufgenommen, fand also bei der Ausführung der Aufträge bei den Werken bevorzugte Berücksichtigung. Neben den unmittelbaren Kriegsbedürfnissen wuchs die Dringlichkeit gewisser volkswirtschaftlicher Bedarfsgruppen erheblich an. Hierher gehörten u. a. die Fabrikanlagen zur Herstellung von künstlichem Dünger, ferner die Herstellung von Dampflastwagen und Schleppern. Bei der Durchführung der Umstellungen und der Überwachung der Produktion zeigte sich, daß die eingespielte Organisation allen billigen Ansprüchen gerecht wurde, soweit es die unabänderlichen Produktionsverhältnisse zuließen. Der Mangel an Kontrollpersonal setzte allerdings einer ins einzelne gehenden Überwachung der Eisenindustrie eine gewisse Grenze. Eine besondere Bedeutung gewann in dem Kriegssommer 1918 der Draht, dessen Bedarf durch eine Reihe von neugebildeten Bedarfsgruppen weit über die Friedenshöhe hinausging. Der Mangel an Blei hatte zur Einführung von Stahlkernen in den Infanteriegeschossen geführt, die aus Draht hergestellt wurden; ferner erhöhte die Ausrüstung der Flugzeuge in erster Linie den Bedarf an Draht von besonderer Qualität. Die Beschlagnahme des harten Stahldrahtes und die Verteilung der Produktion durch die Drahtzentrale in Düsseldorf bewirkte eine auch bei beschränkter Produktion sachgemäße Deckung des Gesamtbedarfs. Ebenso gewann Weicheisen als Ersatz von Kupfer an Wichtigkeit. Teilweise mußte man zur Sicherung der Bedarfsdeckung auf weichen Martinstahl zurückgreifen. Auch hier bot eine durch besondere Vorschriften gesicherte Bezugs- und Lieferungsregelung die Grundlage für eine bedarfsgerechte Belieferung der dringlichsten Bedarfsgruppen. Für die Verteilung der Walzproduktion — hauptsächlich Grob- und Mittelbleche, Stabeisen, Formeisen, Walzdraht und Halbzeug — wurde es andrerseits von grundlegender Bedeutung, daß im Sommer 1918 der Heeresbedarf auf gewissen Gebieten an Intensität nachließ und somit eine geschmeidige, der Bedarfslage angepaßte Produktionsregelung leichter als im Vorjahr vorgenommen werden konnte. Der Heerersatz reichte nicht mehr zur Aufstellung neuer Formationen aus. Es genügte also, an Waffen und anderen Ausrüstungsgegenständen soviel zu liefern, daß der Ersatz für Verluste, Abnutzung und Verbrauch einschließlich einer gewissen Reserve unbedingt gewährleistet blieb. Unter Beibehaltung einer möglichst starken Erhöhung der Munitionsherstellung war infolgedessen die Möglichkeit gegeben, andere bisher notgedrungenerweise vernachlässigte Bedarfsgebiete wieder mehr zu berücksichtigen. In erster Linie konnte an eine stärkere Belieferung der Händlerlager, besonders aber auch der Post und Eisenbahn herangetreten werden. In einem geringen Umfange gelang es so in letzter Stunde, die Grundlagen der Kriegswirtschaft wieder etwas zu

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verstärken. Andere Schwierigkeiten — in erster Linie der zunehmende Brennstoffmangel und die immer größer werdende Arbeitsnot — hoben aber diese günstigen Wirkungen weitgehend wieder auf.

Die Arbeiterfrage Während in der Eisenwirtschaft die Rohstofflage, die Vorrats- und Produktionsverhältnisse im ersten Halbjahr 1918 nur mit Rücksicht auf die spätere Entwicklung der Dinge nicht völlig gesichert erschienen, für den Zeitraum der großen Offensive aber sogar Höchstleistungen erzielt werden konnten, begann bereits im Herbst 1917 die Menschenökonomie ein sehr ernstes Aussehen zu gewinnen. Die Kämpfe des Jahres 1917 verlangten den Einsatz jeder verfügbaren Kraft; die gewaltigen Flandernschlachten zwangen die Oberste Heeresleitung dazu, auch dort auf den letzten Mann in der Heimat zurückzugreifen, wo dies den Interessen des wirtschaftlichen Teils der Kriegführung entgegenlief. Gerade jetzt wurde es für die Kriegswirtschaft zum größten Nachteil, daß ein einheitlicher Ausgleich zwischen dem Mannschaftsbedarf der Front und dem kaum weniger wichtigen der heimischen Kriegswirtschaft nicht durchgesetzt werden konnte. Die Möglichkeit, innerhalb der Kriegswirtschaft ähnlich wie an der Front strategische Kräfteverschiebungen vorzunehmen, um die jeweils am meisten bedrohten Produktionspunkte zu sichern, fand zwar in manchen Sondergebieten der Eisenindustrie ihre Grenze an der besonderen Schulung der Arbeiter, die vorausgesetzt werden mußte. Da sie aber gerade auch in der Massenproduktion, angefangen vom Bergbau bis zu den groben Walzprodukten, infolge des Festhaltens an überlebten Rekrutierungsgrundsätzen nicht einmal versucht werden konnte, verschärfte sich die Krisis in der Arbeiterbewegung und damit in der gesamten Kriegseisenwirtschaft im Sommer 1918 weit über Gebühr. Die absolute Souveränität der obendrein nur mit Kräften zweiter Klasse besetzten stellvertretenden Generalkommandos erwies sich immer mehr als ein alter Zopf und eine schwere Belastung der wirtschaftlichen Kriegführung. Nur innerhalb des Eisenerzbergbaues konnte die Kriegs-Rohstoff-Abteilung noch im Dezember 1917 eine Sonderregelung durchsetzen, die den Eisenerzbergbau dem Kohlenbergbau in gewisser Hinsicht gleichstellte. Durch einen allerdings fast um ein Jahr zu spät verfügten und deshalb nur teilweise wirksamen Sperrerlaß wurde dem unausgesetzten Wechsel in den Grubenbelegschaften ein Ende gemacht. Hier, wo die Erfahrung und persönliche Verantwortung des einzelnen Arbeiters besonders wichtig war, hatte der Mangel an Stetigkeit in den Belegschaftsverhältnissen wesentlich zu dem fast ungehemmten Rückgang der Grubenproduktion beigetragen. Man behielt jedoch im übrigen die mit dem Hilfsdienstgesetz eingeschlagene Richtung weiter bei, die den Kern des ganzen Problems nicht entfernt traf. Dadurch, daß sich die Oberste Heeresleitung in wiederholten dringenden Forderungen bei den Stellen, die keinen Einfluß auf die Gestaltung des Ersatzwesens besaßen, erschöpfte, wurde das Übel nicht an der Wurzel gepackt. Bis zum Ende des Krieges blieb der



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Konflikt zwischen Front- und Heimatbedarf ungelöst. Die beiden Hauptgebiete der Menschenökonomie bekämpften sich, anstatt daß sie unter einheitlicher Leitung gegeneinander abgestimmt worden wären und so auf die denkbar beste Weise den Interessen der militärischen und der wirtschaftlichen Kriegführung gedient hätten. Zur Beschreitung des richtigen Weges, den England vorbildlich wies, konnte man sich in Deutschland nicht entschließen. Die Produktionslage nach der Brennstoffeinschränkung vom August 1917 konnte leicht zu einer optimistischen Auffassung über den Stand der Arbeiterversorgung verführen. Infolge Brennstoffmangels war die Produktion stark zurückgegangen und die Werke hatten zahlreiche Feierschichten einlegen müssen. An der tatsächlichen Produktion gemessen, bestand so ganz offenbar ein Überschuß an Arbeitskräften. Da in der gleichen Zeit die Oberste Heeresleitung dringend Mannschaftsersatz benötigte, so konnten infolge davon die Generalkommandos ziemlich große Mengen von Arbeitern aus der Eisenindustrie herausziehen. Dieses Vorgehen war jedoch kriegswirtschaftlich sehr bedenklich, da hiermit die Produktionsgrundlagen für die nach der Behebung aller anderen Schwierigkeiten wieder anzustrebende Produktionssteigerung außerordentlich geschwächt wurden. Um einer allzu großen Reduzierung ihres Arbeiterstandes zu entgehen, griffen die Werke zu dem Mittel, Notstandsarbeiten durchführen zu lassen. Es wäre zweifellos richtiger gewesen, wenn man die auf einem Produktionsgebiet nicht zu beschäftigenden Arbeiter zusammengefaßt und vorübergehend dorthin geworfen hätte, wo die Produktion am meisten hilfsbedürftig war. Der Produktionsrückgang hätte sich damit sicherlich wesentlich abschwächen lassen und bei der großen Westoffensive wäre die Heeresversorgung zweifellos besser gewesen. So blieb in kritischer Zeit eine beträchtliche Zahl von Arbeitern unproduktiv; ohne die Erhaltung des Arbeiterstandes wäre aber die große Erhöhung der Produktion im Frühjahr 1918 völlig unmöglich gewesen. Die Ernährungslage, welche die Leistungsfähigkeit der Arbeiter wesentlich mitbedingt, machte bemerkenswerte Schwankungen durch. Die großen Klagen über eine unzureichende Belieferung der Schwerarbeiter verstummten im Herbst 1917 allmählich, und zwar in demselben Umfange, als die Werke zur Selbsthilfe schritten und auf dem Wege des Schleichhandels hauptsächlich aus dem neutralen Ausland ihren Arbeitern das verschafften, was sie zur Erhaltung ihrer Leistungsfähigkeit brauchten. Diese verhältnismäßige Besserung der Ernährungslage dauerte jedoch nur kurze Zeit an. Im Hinblick auf die Gesamtversorgungslage eröffnete das Kriegsernährungsamt nach Beginn des Jahres 1918 einen verschärften Kampf gegen den Schleichhandel. Außerdem ließen sich die Ernährungszulagen für Schwerarbeiter nicht aufrechterhalten, so daß ohne einen vollwertigen Ausgleich die Versorgung auf dem einen wie auf dem anderen Wege schwieriger wurde. Die Ernährungsschwierigkeiten vergrößerten sich wieder und der weniger auskömmlich ernährte Arbeiter zeigte sich der in der Eisenproduktion besonders anstrengenden Arbeit nicht mehr voll gewachsen. Auch die auf den Werken beschäftigten Gefangenen klagten über Unterernährung, obgleich

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es die Entente durchsetzte, daß diesen teilweise höhere Verpflegungsrationen zugebilligt werden mußten als den heimischen Arbeitern. Waren schon im Winter 1917/18 große Einziehungen erfolgt, so mußte die Oberste Heeresleitung zur Stützung der Westoffensive erst recht im Frühsommer 1918 an Mannschaften aus Deutschland herausholen, was nur irgend entbehrlich war. Die Auskämmung von kriegsverwendungsfähigen Arbeitern wurde hauptsächlich im Mai und Juni mit jeder erdenklichen Schärfe vorgenommen, zeitigte aber nicht entfernt die Erfolge, die sich die Oberste Heeresleitung von dieser Maßnahme versprach. Die Hochhaltung der Produktion verlangte ein Minimum von Arbeitskräften, welches bereits erreicht war und unter das nur unter Inkaufnahme eines Produktionsrückganges heruntergegangen werden konnte. Dazu kamen noch andere Umstände, die die Bedeutung der Arbeiterversorgungslage noch schärfer hervorkehrten. So wurden im April die bisher der Industrie, besonders dem Bergbau überlassenen Gefangenen von den Generalkommandos nicht ohne Vernachlässigung kriegswirtschaftlicher Forderungen herausgeholt, um sie für die Frühjahrsbestellung zu verwenden. Auch hier erwies sich wieder der Korpsbezirk als eine zu kleine Einheit, um eine großzügige Kräfteregulierung im ganzen Reichsgebiet nicht in unzulängliche Teilmaßnahmen zu zersplittern. Die Schwierigkeiten wuchsen dadurch, daß die den Werken versprochenen Ersatzleute nicht oder nicht rechtzeitig gestellt werden konnten und daß das Anwerben freier Arbeiter bei der ganzen Lage des Arbeitsmarktes völlig ausgeschlossen war. Nur einem energischen Auftreten der Kriegs-Rohstoff-Abteilung war es zu verdanken, daß bei den lebenswichtigsten Betrieben (z. B. dem Manganerzbergbau) die größten Unstimmigkeiten beseitigt wurden. Der Zustand des Arbeiterstandes verschlechterte sich während des Sommers 1918 immer mehr. Nach den Auskämmungen im Mai und Juni fing gerade in diesen Monaten und im Juli die Grippe an, einen sehr beträchtlichen Teil der Arbeitskräfte lahmzulegen. Mit Rücksicht hierauf wurde es natürlich unmöglich, die Produktion entsprechend den vorhandenen Vorräten weiter zu heben, um so mehr, als auch zahlreiche Arbeiterstreiks, zum Teil aus politischen Motiven, zum Teil für die Erringung wirtschaftlicher Vorteile (Verkürzung der Arbeitszeit), die Produktivität sehr beeinträchtigten. Die große Offensive war im Westen im Juli 1918 zu einem vorläufigen Abschluß gekommen. Die erheblichen Ausfälle an Mannschaften sowie die sehr verlustreichen Nachkämpfe während der Hochsommermonate steigerten nunmehr die Ansprüche der Obersten Heeresleitung auf Mannschaftsersatz noch weit über das Maß hinaus, welches mit Rücksicht auf die Kriegswirtschaft schon in der vorangegangenen Periode als zuträglich erkannt worden war. Da aber vom August ab selbst Höchstleistungen doch nicht mehr vor Ende des Jahres praktisch für die Heeresversorgung wirksam wurden, so durfte die Oberste Heeresleitung wie die Heeresverwaltung angesichts der aufs höchste gesteigerten Zuspitzung der militärischen Lage die Kriegswirtschaft gegenüber der militärischen Kriegführung zurücksetzen. Es kam in der Tat für die Entscheidung des Krieges nicht mehr in Betracht, ob die Eisenproduktion sich hielt



C Das Waffenstillstandsangebot 

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oder fiel. Der entstehende scharfe Rückgang in der arbeitstäglichen Produktionsleistung im Juli wurde nur in dem längeren August einigermaßen ausgeglichen. Von da ab sank auch die Monatsproduktion außerordentlich schnell ab. Hervorragend scharf getroffen wurden durch diese letzten Arbeitereinziehungen solche Betriebe, die an sich schon mit einer verhältnismäßig geringen Arbeiterzahl arbeiteten. Besonders die Kalkindustrie sah sich im Oktober einem derartigen Arbeitermangel gegenüber, daß es nicht mehr möglich war, den Verbrauch aus der Produktion zu decken, sondern man bis zur völligen Aufzehrung auf die beschränkten Vorräte zurückgreifen mußte. Die wirtschaftliche Krisis klaffte hier zum erstenmal offen auf. In der Eisenindustrie fehlten hauptsächlich die Facharbeiter, wie Schlosser und Elektriker, die im Interesse einer weiteren Aufrechterhaltung der Produktion auf die Dauer nicht entbehrt werden konnten. Aus Anlaß des Arbeitermangels wurde infolgedessen im Oktober der Verzicht auf die Herstellung einer Reihe von Produkten erforderlich, um wenigstens die kriegswichtigen Erzeugnisse, insbesondere den Granatstahl, ungeschmälert herstellen zu können. Die Menschenökonomie hatte sich zu einer fast unerträglichen Spannung zwischen Heeresbedarf und Wirtschaftsbedarf ausgebildet. Im August war nicht nur die Entscheidung auf dem Kriegsschauplatz gefallen, sondern auch die Kriegswirtschaft entscheidend getroffen worden.

C Das Waffenstillstandsangebot Die Rückwirkung der militärischen Lage auf die Eisenwirtschaft Im 3. Quartal 1918 neigte sich der Weltkrieg seinem Ende zu. Die jahrelang gehaltene Westfront geriet in Bewegung und es bedurfte großer Anstrengungen, um die Rückwärtsbewegung planmäßig erfolgen zu lassen. Bei der hohen Bedeutung, die dem besetzten Westgebiete auch gerade in eisenwirtschaftlicher Hinsicht innewohnte, und bei der exponierten Lage der südwestdeutschen Eisenindustrie konnte diese Änderung der Frontlage nicht ohne weitestgehenden Einfluß auf die Gestaltung der Kriegseisenwirtschaft bleiben. Das Eisenbahnwesen hinter der Front wurde vor Aufgaben gestellt, wie sie in solchem Umfange und solcher Dringlichkeit kaum je im bisherigen Kriegsverlauf aufgetreten waren. Für andere als strategische Zwecke war bald kein Raum mehr; selbst die kriegswirtschaftlich fast unentbehrlichen Transporte mußten mehr und mehr unterbleiben. Dies traf die Eisenwirtschaft im Hinblick auf die Schrottrückführungen ganz besonders stark. Im Oktober 1918 mußte man sich mit einer völligen Einstellung der Rücktransporte von Alteisen vertraut machen. Dies traf für den Augenblick die Stahlproduktion allerdings noch nicht entscheidend, da noch nicht aller durch die Schrottorganisation erfaßter Schrott restlos aufgeteilt war. Die Frontversorgung aber brauchte zunächst überhaupt kaum zu leiden, weil jede Produktionsbewegung beim Rohstahl sich im allgemeinen erst drei bis vier Monate

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 Die Eisenwirtschaft im Sommer 1918

später in der Lieferung der Fertigfabrikate (Granaten usw.) widerspiegelte. Trotzdem bedeutete die Verengung der ergiebigsten Rohstoffquelle eine erhebliche Minderung der Leistungsmöglichkeit. Wenn damals der Gedanke erwogen wurde, durch scharfe, tief in das Privateigentum eingreifende Maßnahmen ähnlich der Metallmobilmachung (durch Wegnahme von eisernen Türen, Einfriedigungen, Straßenpfählen u. dgl. m.) der Schrottnot zu steuern, so trug ein solcher Plan doch bereits zu sehr den Charakter des „letzten Schrittes“, als daß er als eine erfolgverheißende Lösung angesprochen werden könnte. Ganz abgesehen von den fast unübersehbaren Folgen für das öffentliche Leben wäre er kaum wirksam durchzuführen gewesen, weil derartige Maßnahmen zahlreiche Arbeitskräfte und genügende Transportmittel zur Voraussetzung hatten: beides aber stand nicht mehr in dem Umfange zur Verfügung, der ein erfolgreiches Arbeiten gewährleistet hätte. Da die Produktion schon seit Juli gerade infolge des Versagens dieser beiden Grundvoraussetzungen in starkem Rückgang begriffen war, so waren die Aussichten für den Plan, die rücksichtslosen Schritte durchzuführen, doch nur sehr gering. Die nicht auszugleichende Beschränkung in den Produktionsmitteln mußte also über kurz oder lang eine ernste Entwicklung in der deutschen Eisenwirtschaft auslösen. Für die augenblickliche Lage nicht minder bedenklich waren die Schwierigkeiten, mit denen das gesamte deutsche Transportwesen erneut zu kämpfen hatte. Trotz des mit Zurücksetzung mancher kriegswichtigen Bedarfsgruppen geförderten Neubaues von Transportmitteln war es nicht gelungen, die seit Herbst 1917 chronische Transportnot zu mildern. Nun wuchs mit den strategischen Operationen nicht nur der unmittelbare Bedarf der Front an Transportmitteln, sondern es traten auch Stockungen im Wagenumlauf ein, die übermäßig viel rollendes Material dem Gesamtverkehr entzogen. Im besonderen hatten Lothringen, Luxemburg und das Saargebiet als kampfnächste Industriegebiete hierunter ganz erheblich zu leiden. Im September und Oktober mußten zur Behebung der größten Schwierigkeiten längere Verkehrssperren über diese Reviere verhängt werden, durch die sowohl die Koksversorgung der Lothringer Werke als auch die Minetteversorgung des Rheinlandes aufs stärkste in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die Verkehrslage spitzte sich noch dadurch weiter zu, daß bis in den Oktober hinein die Grippeerkrankungen unter den Eisenbahnangestellten fortdauerten und auch von dieser Seite die Gesamtleistungsfähigkeit der Bahn sehr geschwächt wurde. Auf die Produktion hatten alle diese Verhältnisse zusammen einen denkbar nachteiligen Einfluß. In erster Linie wurde der Südwesten getroffen. Die Erzförderung der Bergverwaltung Homécourt sank um fast 300 000 t monatlich, und auch in den deutsch-lothringischen Erzbezirken trat eine erhebliche Minderung der Erzförderung ein. Hand in Hand damit nahm die Thomasproduktion sowohl beim Roheisen wie beim Stahl ab. Aber auch der Martinstahl konnte sich infolge der verschlechterten Schrottversorgungsverhältnisse nicht auf der erreichten Höhe halten. Bei den Walzprodukten war das Nachgeben der Produktion zunächst weniger empfindlich.



C Das Waffenstillstandsangebot 

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Für die Rohstofflage bedeutete ferner die militärisch-politische Entwicklung im Südosten eine große Gefahr. Mit dem Zusammenbrechen der Südostfront in Serbien, Bulgarien und der Türkei wurden die großen Hoffnungen zunichte, die man noch kurz zuvor hinsichtlich der Entspannung der Rohstofflage (Manganerze) durch Zufuhren aus dem Osten gehegt hatte. Die Versorgungslage verkehrte sich geradezu in ihr Gegenteil. Die Erztransporte aus dem Kaukasus und Kleinasien mußten eingestellt werden, ein Überlandtransport quer durch die Ukraine und Polen war zu unwirtschaftlich, als daß er in kurzer Zeit selbst bei einer anderen Haltung der Ukraine durchführbar gewesen wäre. Auch von der Donaumonarchie her wurde die Rohstoffversorgung gefährdet. Habsburg zeigte deutliche Neigung, auch wirtschaftlich vom Bündnis abzufallen, während der schon seit langer Zeit vorbereitete politisch-militärische Verrat immer offenbarer wurde. Die Ausfuhr der hauptsächlich in Ungarn (Maczkamezoe) geförderten Erze wurde erschwert, die für die Manganversorgung dringend benötigten Donawitzer Schlacken fielen völlig aus. Auch Magnesit ging nur noch in ganz geringen Mengen über die Grenze. Der Plan, diesen wichtigen Baustoff durch Synthese zu ersetzen, kam über das Versuchsstadium nicht hinaus. Die inländische Erzförderung gewann nunmehr ausschlaggebende Bedeutung. Mit Rücksicht auf die unterbrochenen Transportbeziehungen zwischen Lothringen und dem Ruhrgebiet wäre es unzweckmäßig gewesen, die Erzförderung im Minettegebiet in der bisherigen Weise aufrechterhalten zu wollen. Man verlegte deswegen große Teile der Belegschaften, besonders an Gefangenen, nach Ilsede-Peine, um dort die seit langer Zeit vorbereitete Produktionssteigerung durchzuführen und so einen Ersatz für den lothringischen Förderungsausfall herbeizuführen. Ein anderer Teil der Lothringer Belegschaften kam in das Siegerland zur Hebung des Manganbergbaues. Außerordentlich bezeichnend war es, daß selbst in dieser kritischen Periode das Kriegsministerium noch erhebliche Kämpfe mit den in Frage kommenden Generalkommandos auszufechten hatte, um diese so dringende Überführung der Gefangenen aus dem Bezirk des einen Generalkommandos in den des anderen durchsetzen zu können.

Die kriegswirtschaftlichen Grundlagen der nationalen Verteidigung Die Gegner versuchten während der sich über mehr als vier Wochen hinziehenden Verhandlungen zwischen Deutschland und Amerika nach Möglichkeit entscheidende Erfolge zu erzielen. Wenn es ihnen trotz aller Anstrengungen auch nicht gelungen ist, den Verband der deutschen Front mit einem Durchbruch auseinanderzureißen, so gewannen sie im Vorwärtsmarsch doch so ungeheure Vorteile, daß die Frage der Möglichkeit weiteren Standhaltens von deutscher Seite ernstlich gestellt werden mußte. Der Gedanke einer nationalen Verteidigung wurde von der Obersten Heeresleitung lebhaft propagiert, die Regierung aber verhielt sich ihm gegenüber ablehnend.

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 Die Eisenwirtschaft im Sommer 1918

War diese nationale Erhebung des Volkes zu einem letzten entscheidenden Kampf möglich und versprach sie Erfolg? Versucht man diese Frage vom Standpunkt der Kriegseisenwirtschaft aus zu beantworten, so kann man auch in diesem Zusammenhang nicht an der wechselseitigen Bedingtheit der militärischen Kriegführung und der Entwicklung der Eisenwirtschaft vorübergehen. Das schnelle Absinken der Produktion, die Gefährdung wichtiger Industriegebiete und die Unterbindung der Rohstoffzufuhr aus West und Ost mußte schwere Bedenken auslösen. Nur das eine stand allerdings fest: mit Rücksicht auf die überaus günstigen Produktionsverhältnisse bis zum August war vor Ende November ein Sinken der Heeresversorgung mit Waffen und Munition nicht wahrscheinlich. Etwa sechs Wochen konnte man noch von den Leistungen des Sommers zehren; die Kriegseisenwirtschaft bildete also keinesfalls ein Hindernis für den Augenblick. Nach Ende November aber mußten sich die Versorgungsverhältnisse in ernster Weise verschlechtern, sobald der Rückgang der Eisen- und Stahlproduktion wirksam wurde. Außerdem hatte der Kriegsminister der Obersten Heeresleitung die Herausziehung von 80 000 Mann aus der Industrie zugesagt, ein Versprechen, welches um so weittragendere Folgen haben mußte, als gerade der Arbeitermangel bisher die erste Veranlassung zum Produktionsrückgang gegeben hatte. Der Rückzug hatte zudem an vielen Stellen erhebliche Verluste an Kriegsmaterial gefordert, das die feindliche Kampfkraft stärkte, während gleichzeitig die amerikanische Hilfsaktion gerade jetzt von Woche zu Woche an Wirksamkeit gewann. Die U-Bootwaffe konnte diese wachsende Stärkung der gegnerischen Schlagkraft nicht nachhaltig unterbinden. Nur mit ganz außergewöhnlichen Mitteln konnte es gelingen, trotz aller dieser Schwierigkeiten den Gedanken der nationalen Verteidigung wirtschaftlich zu fundieren. Es kam auf einen großzügigen Versuch an; inwieweit er gelingen würde, war nicht vorauszusehen. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung zeigte sich entschlossen, ihn zu machen. Für sie mußte als oberster Grundsatz gelten, daß man sich trotz aller Noten und Waffenstillstandserörterungen noch immer im Kriege befand, gleichwie auch der Feind in diesem Zeitpunkt seine technisch-wirtschaftlichen Anstrengungen vervielfachte. Von nachhaltiger Wirkung konnten die der Industrie angewiesenen Mittel zur Verstärkung ihrer Leistungen nur dann sein, wenn man den Gegnern gegenüber energisch den Willen zu erkennen gab, daß Deutschland trotz aller Friedensbereitschaft doch für einen weiteren Kampf gerüstet war und mit den Vorbereitungen hierzu vollen Ernst machte. In seltener Geschlossenheit nahm in einer denkwürdigen Sitzung des Deutschen Stahlbundes (24. Oktober 1918) die Industrie den Plan der Kriegs-RohstoffAbteilung auf. In dem Bewußtsein, daß es ums Letzte ging, zeigte sie sich zu jedem Opfer bereit. Unter den gegebenen Umständen eine Höchstleistung herauszuwirtschaften, war nur durch eine rücksichtslose Konzentration der Produktion auf einige wenige ausschlaggebende Bedarfsgruppen möglich. Ungeachtet der politischen Bedenken wurde die Ausfuhr auf die Hälfte eingeschränkt, auch die seit Hochsommer im Inter-



C Das Waffenstillstandsangebot 

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esse der allgemeinen Volkswirtschaft verstärkte Belieferung der Händlerlager erheblich vermindert. Die Werke wurden außerdem angewiesen, jede nicht unbedingt dringend erforderliche Lieferung zu unterlassen. Bindende Richtlinien ließen sich hierfür zwar nicht geben, aber die Werke zeigten eine Haltung, derzufolge anzunehmen war, daß dieser Forderung in weitestem Umfange Rechnung getragen werden würde. Die gesamte Leistungsfähigkeit sollte auf drei Gebiete vereinigt werden: das waren der Granatstahl, der Tankbau und das U-Bootmaterial; jeder andere Bedarf sollte dagegen zurückstehen, so daß es selbst bei verzweifelten Produktionsverhältnissen gelingen mußte, Spitzenleistungen auf diesen wenigen Gebieten zu erzwingen. Neben der Transportnot, die sich sowohl beim Antransport der Rohstoffe als auch beim Abtransport der Fertigfabrikate mit größter Schwere geltend machte, neben der Gespanntheit der Rohstofflage, wie sie bereits geschildert wurde, erwuchsen die Hauptschwierigkeiten durch die geplanten Arbeitereinziehungen. Mit dem Angebot, noch 80 000 Mann kampffähiger Leute aus der Kriegsindustrie heraus zu stellen, beeinflußte der Kriegsminister die Entscheidungen der verantwortlichen Stellen maßgebend. Nun galt es, die in Aussicht gestellte Minderung der Arbeiterheere mit der anderen Aufgabe, nämlich der Produktionsintensivierung, in Einklang zu bringen. Die Lösung dieses Konflikts war nur mit außergewöhnlichen Maßnahmen möglich, die einen Bruch mit der bisher geübten Wirtschaftspolitik darstellten. Hatte man bisher sorgsam auf die Erhaltung der mannigfachen, weit über den Rahmen der Eisenwirtschaft hinausgreifenden Wechselverknüpfungen der Eisenindustrie mit dem gesamten Wirtschaftsleben Gewicht gelegt, so mußte man nun zu Stillegungen von Werkabteilungen, vielleicht auch ganzer Werke, schreiten, die Rohstoffe und besonders die Arbeiter auf die wenigen voll betriebenen Werke zusammenlegen und so in der Tat — theoretisch — mit weniger Arbeitern und unter Vermeidung jeder Rohstoffverzettelung Höchstleistungen auf einigen wenigen Produktionszweigen erzielen. Das bedeutete aber den Verzicht auf die Weiterinnehaltung der von der Rohstahlausgleichstelle in mühevoller Kleinarbeit bisher durchgeführten Abwägung der verschiedenen Bedarfsgebiete gegeneinander, einen Verzicht auf jede geregelte Eisenwirtschaft überhaupt. Es ist kein Zweifel, daß es auf diese Weise gelungen wäre, für einige weitere Monate Waffen und Munition in genügender Menge anzuliefern. Die letzte Entscheidung hätte damit etwa bis Januar 1919 hinausgezögert werden können. Noch war die Kriegswirtschaft in Gang und für die Aufgaben der Übergangswirtschaft gerüstet; aber nach dem Abschluß dieser letzten möglichen Kriegsperiode mußte die deutsche Eisenwirtschaft so bis zum Äußersten geschwächt sein, daß ein allgemeiner Zusammenbrach unvermeidlich war. Die Zeit nach dem Hindenburg-Programm, bis in den Sommer 1918 hinein, hat es gelehrt, wie schwerwiegend und in ihrer Tragweite kaum übersehbar die Wirkungen einer systematischen Vernachlässigung jenes sekundären Bedarfs sind, der gerade beim Eisen in besonders hohem Grade zur Inganghaltung der ganzen Wirtschaftsmaschine erforderlich und unentbehrlich ist. Jede Reparaturtätigkeit wäre unterbunden gewesen, Ersatz des Abgenutzten unmöglich geworden;

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 Die Eisenwirtschaft im Sommer 1918

die letzten Vorräte an knappen Rohstoffen würden für immer dem Wirtschaftsleben entzogen und jede Möglichkeit zur Umstellung der Industrie auf ihre Friedensaufgaben fast völlig unterbunden worden sein. In unerhörter Verzerrung hätten sich die Zustände des November und Dezember 1918 aus der wirtschaftlichen Not heraus, auch ohne jeden politischen Anstoß im Frühjahr 1919 entwickelt. Selbst wenn man annehmen wollte, daß auch die Entente nur unter großen Schwierigkeiten über den Winter hinwegkommen würde, so mußte man doch befürchten, daß der Zusammenbruch in Deutschland auf jeden Fall früher und schwerer erfolgen mußte als dort. Angesichts dieser Erwägungen mußte man die ganze Last des wichtigsten Teils der Kriegswirtschaft auf der Passivseite der Kräftebilanz in den entscheidenden Tagen verbuchen. Der Entschluß der maßgebenden Stellen, auf die nationale Verteidigung zu verzichten, wurde zweifellos hierdurch ausschlaggebend beeinflußt.

Exkurs e Die Vorratswirtschaft mit Mangan46 Grundlagen Die bemerkenswerte Stellung, die das Mangan in der Technik der Roheisen- und Stahlgewinnung einnimmt, hat ihm auch in der Kriegseisenwirtschaft erhöhte Beachtung und einen breiten Raum gesichert. Mangan findet praktische Verwendung in der Form von Eisen-Manganlegierungen, die den Namen Ferromangan oder Spiegeleisen, je nach der Qualität der Legierung, tragen. Es hat die Aufgabe, das Stahlbad zu „desoxydieren“, d. h. die im Konvertor oder im Martinofen während der Stahlherstellung hervorgerufene Bildung von Eisen-Sauerstoffverbindungen, deren Vorhandensein den Stahl brüchig macht, rückgängig zu machen. Außerdem dient der im Ferromangan enthaltene Kohlenstoff zur „Rückkohlung“ des Stahles, durch welche er den seinem jeweiligen Zweck entsprechenden Kohlenstoffgehalt erhält, der seinen Härtegrad bestimmt. Neben dieser metallurgischen Verwendung des Ferromangans steht die rein physikalische Verwertung des Manganmetalls, durch dessen Zulegierung die Zähigkeit des Stahls erhöht wird. In der metallurgischen Verwendung ist das Mangan durch andere Desoxydationsmethoden bis zu einem gewissen Grade ersetzbar. Mangan als Legierungsmetall dagegen konnte bei der Herstellung von besonders zähem Stahl, wie er für die Waffen- und Munitionsherstellung erforderlich ist, zwar im Verbrauch eingeschränkt, aber nicht vollkommen ausgeschaltet werden.

46 Die Organe der Manganbewirtschaftung siehe S. 43, 63ff.



Die Vorratswirtschaft mit Mangan 

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Der Umstand, daß manganhaltige Rohstoffe in Deutschland sowohl der Menge wie der Güte nach nur in unzureichendem Maße zur Verfügung standen, hob die Bewirtschaftung dieses Rohstoffs schon bald aus der üblichen Kriegseisenbewirtschaftung heraus und bedingte Maßnahmen, die der bei der eigentlichen Metallbewirtschaftung durchgeführten Wirtschaftspolitik ähnlich sind. Es kam hier wie auch dort in der Hauptsache darauf an, die im Inland vorhandenen Vorräte zu erfassen und ihre sparsame Verwendung zu regeln; auf diesem einzigen Teilgebiet der Kriegseisenwirtschaft wurde also „Vorratspolitik“ betrieben. Zur Ergänzung der Vorräte standen jedoch in der Manganwirtschaft nur beschränkte Mittel zur Verfügung. Die außerordentlich ergiebigen Quellen, die sich der Metallbewirtschaftung im Handel, in der Industrie, in den Haushalten u. dgl. boten und durch eine ausgedehnte Metallmobilisation für die kriegswirtschaftliche Bedarfsdeckung erschlossen werden konnten, fielen hier ganz aus. In der Manganwirtschaft kam eine Vorratsergänzung auf irgendeine andere Art als durch Berg- und Hüttenproduktion nicht in Frage. Weit mehr noch als bei den Metallen mußte also das Schwergewicht der Manganvorratspolitik auf der Einleitung produktiver Maßnahmen ruhen, deren allzulange Hinauszögerung für die ganze Eisenwirtschaft um ein Weniges von katastrophaler Bedeutung geworden wäre.

Manganerzbergbau in Deutschland Ergiebige Manganerzlagerstätten standen in Deutschland nur in geringem Umfange zur Verfügung. Lediglich die beiden Vorkommen von Gießen (Gewerkschaft Fernie) und Bingerbrück (Gewerkschaft Geier) lieferten Erze von etwas höherer Qualität (15—18% Mangan), die aber immer noch weit hinter den früher ausschließlich verwendeten ausländischen Manganerzen zurückstanden. Die wenigen Vorkommen von Erzen höherer Qualität in Deutschland waren weit verstreut, außerdem war der Erzvorrat jeder einzelnen Lagerstätte meist nur unbeträchtlich und die Erze meist mulmig und zur Verhüttung wenig geeignet, so daß sie bergwirtschaftlich nur eine untergeordnete Rolle spielten. Größere Bedeutung dagegen hatten die Erze des Siegerlandes (Eisenspat), die zwar nur etwa 9% Mangan enthielten, aber wegen des beträchtlichen Umfangs der Förderung doch immerhin eine recht tragfähige Basis für die Deckung des Manganbedarfs abgeben konnten. Ebenso durfte man auch auf die Erze von Ilsede (Bülten-Adenstedt) zurückgreifen, die im Hochofen an die Stelle derjenigen hochwertigeren Erze treten konnten, welche mit Rücksicht auf die Aufrechterhaltung der Spiegeleisenerzeugung aus dem Hochofenprozeß herausgenommen werden mußten. Die Gewerkschaft Fernie bei Gießen hatte in den letzten Friedensjahren eine Höchstförderung von 15 000 t im Monat erreicht. Wie die übrigen Gruben des Lahnund Dillgebietes hatten aber auch die Manganerzbetriebe im Kriege unter dem Arbeitermangel schwer zu leiden, da die Farbe und Struktur der Erze wenigstens bei den

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 Die Eisenwirtschaft im Sommer 1918

Untertagearbeiten die Verwendung von ungelernten Arbeitern oder von Gefangenen nur in beschränktem Umfange zuließ, wenn man nicht Gefahr laufen wollte, allzuviel taubes Gestein an Stelle von Erz zu fördern. Anfangs 1916 verabredete die KriegsRohstoff-Abteilung mit der Gewerkschaft ein Programm, wonach eine Jahresleistung von 200 000 t erreicht werden sollte. Der Übergang der Gewerkschaft in den Besitz einer der größten deutschen Montanfirmen enthob die Kriegs-Rohstoff-Abteilung der Notwendigkeit einer finanziellen Unterstützung. Sie konnte sich auf eine allgemeine Förderung bei der Versorgung mit Arbeitern, Brennstoffen und Betriebsmaterialien im Einvernehmen mit den örtlich zuständigen Stellen beschränken. Mit schlagender Deutlichkeit erwies sich bei diesem Werk die Überlegenheit eines leistungsfähigen Privatunternehmens über jede staatliche Organisation. Fast reibungslos und ohne die an anderen Stellen immer wieder hervortretenden Interessenkonflikte wurde in kürzester Zeit die Leistungssteigerung erreicht und sogar nicht unwesentlich überschritten. Ein geringer Rückgang in der Qualität der Erze von 18% auf 15% Mangan konnte dabei allerdings hier wie überall in der deutschen Grubenproduktion nicht vermieden werden. Die Ferniebetriebe förderten im August 1916………………… im August 1917………………… August 1918………………………… und im ganzen Jahr 1917……… im ganzen Jahr 1918…………….

16 000 t 21 000 t 25 000 t 232 900 t 241 400 t

Die Verteilung der Erze erfolgte durch die Manganversorgungsstelle in Düsseldorf. Im Gegensatz zu dem Gießener Unternehmen verlangte die Produktionshebung auf den Manganerzgruben von Waldalgesheim bei Bingerbrück (Geier) lebhafte Mitarbeit der Zentralbehörden. Auch hier setzte eine systematische Produktionspolitik erst im Jahre 1916 ein, als sich nach der Gründung der Manganerzgesellschaft die Möglichkeit bot, für langfristige bergwirtschaftliche Unternehmungen Reichsmittel flüssig zu machen. Die Anregungen auf Produktionssteigerung, die vorher von der Ferromangangemeinschaft, der Schutzverwaltung und der Manganversorgungsstelle ausgegangen waren, hatten ihren Zweck nur unvollkommen erreicht, da die Gewerkschaft aus eigener Kraft nicht imstande war, den Umfang der Produktion über ein gewisses Maß hinaus zu vergrößern. Die Finanzierung durch die Manganerzgesellschaft geschah auf indirektem Wege durch Abschluß von Erzlieferungsverträgen, die eine volle Verzinsung und reichliche Amortisierung gewährleisteten. Zur Erweiterung der Produktion war es notwendig, neue Grubenfelder auszuschließen, den ergiebigen Schachtsicherheitspfeiler abzubauen und eine neue Schachtanlage niederzuteufen, die im Januar 1918 fertiggestellt war. Der große Arbeitermangel, unsachgemäße Verschiebung der Gefangenen durch die Generalkommandos machten aber eine volle Ausnutzung dieser Betriebserweiterungen unmöglich. Durch die Maßnahmen der Kriegs-Rohstoff-Abteilung gelang es aber immerhin, eine wesentliche Produktionssteigerung zu erzielen.



Die Vorratswirtschaft mit Mangan 

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Die Förderung betrug: im

„ „ „ „

Jahre 1914……………………………………… „ 1915……………………………………… „ 1916……………………………………… „ 1917……………………………………… „ 1918………………………………………

114 270 t 145 300 t 203 000 t 244 000 t 206 300 t

Von den Erzen der Ilseder Lagerstätten kamen hauptsächlich die aus dem Grubenfeld von Adenstedt in Betracht, die ungefähr 6% Mangangehalt auswiesen und als Manganträger für manganarme Roheisensorten Verwendung finden konnten. Dieses Lager war jedoch Ende 1916 beinahe völlig abgebaut, so daß man auf die manganärmeren Feldteile von Bülten, Lengede, Salzgitter und Dörnten zurückgreifen mußte. Die Erhöhung der Produktion auf diesen Feldesteilen geschah auf Grund der allgemeinen Unterstützung, die die Eisenzentrale sowohl finanziell wie organisatorisch dem Ilseder Bergbau überhaupt zuteil werden ließ. Die Förderung sämtlicher Betriebspunkte (Bülten-Adenstedt, Isernhagen, Lengede, Dörnten) belief sich im „

Jahre 1917 „ 1918

auf 2105 421 t „ 2 044 238 t

Der Siegerländische Eisenerzbergbau war für die deutsche Eisenwirtschaft in mehr als einer Hinsicht wichtig. In den beiden ersten Wirtschaftsjahren hatte der Siegerländer Spat noch vornehmlich zur Erzeugung der Siegerländer Spezialroheisensorten und allgemein als Manganträger im Hochofenprozeß gedient. Dann aber wurde durch die Manganversorgungsstelle die Siegerländer Förderung ausschließlich für die Deckung des Manganbedarfs in Form von Spiegeleisen vorbehalten. In Siegen wurde eine Zweigstelle der Manganerzgesellschaft errichtet, deren Leiter die Aufgabe hatte, mit den einzelnen Grubenunternehmungen Betriebspläne aufzustellen und die zu ihrer Durchführung nötigen Maßregeln in die Wege zu leiten. Die Manganerzgesellschaft versuchte — allerdings vergeblich — durch die Gewährung einer Förderprämie ganz allgemein auf eine Belebung der Fördertätigkeit einzuwirken. Es wurden für Monatsmengen, die über 18 000 t hinaus gefördert wurden, je Tonne 5 M bezahlt; die Prämien beliefen sich im Jahre 1918 auf nur ungefähr 60 000 M, da die Grubenförderung trotz aller Unterstützung der Betriebe zurückging. Sie belief sich auf 2 724 000 t 2 460 000 t 2 097 600 t 2 041 680 t

im „ „ „

Jahre „ „ „

1913 1916 1917 1918

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 Die Eisenwirtschaft im Sommer 1918

Es lag dies hauptsächlich an der mangelhaften Versorgung der Gruben mit Brennstoffen, an dem Rückgang der Arbeitsleistung des einzelnen Arbeiters, an unzureichender Wagengestellung und an der Verschlechterung der Sprengstoffe. Die Kohlenzufuhr erreichte im Durchschnitt nur etwa 70% der unbedingt erforderlichen Mengen und wurde dadurch erschwert, daß es in den engen Tälern an geeigneten Lagerplätzen für größere Brennstoffmengen mangelte. Ebenso war es nur in beschränktem Umfange möglich, diejenigen Erzmengen, die wegen der Transportschwierigkeiten nicht sofort abgesetzt werden konnten, auf die Halde zu stürzen. Waren die Lagerplätze gefüllt, so mußte die Förderung ruhen. Besonders aber fiel der Umstand ins Gewicht, daß die Siegerländer Gruben in den letzten Friedensjahren den Höhepunkt ihrer Leistung erreicht hatten. Nunmehr ließen die Gänge an Ergiebigkeit mehr und mehr nach, und es gelang auch nicht, diesen natürlichen Ausfall durch neue gleichwertige Aufschlüsse wettzumachen. Bereits seit dem Jahre 1915 waren ferner durch die Schutzverwaltung bzw. die Manganversorgungsstelle Versuche eingeleitet worden, durch Heranziehung des Bergbaus auf kleineren Manganerzvorkommen die Deckung des Manganbedarfs zu erleichtern. Zahlreiche Kleinbetriebe im Odenwald, im Spessart, im Harz, in Thüringen und im Schwarzwald wurden auf diese Weise in Betrieb gesetzt. Bei dieser Gelegenheit griff man zu einer Maßnahme, vor deren Anwendung man in der übrigen Kriegsbergwirtschaft zurückgeschreckt war, der Lagerstättenbeschlagnahme. Das Bergwerkseigentum an den außerordentlich zersplitterten kleinen Manganerzvorkommen lag in der Hand einer Unzahl kleiner Besitzer. Oft war das einzelne Feld allein überhaupt nicht, sondern nur im Zusammenhang mit den Nachbargrubenfeldern abbauwürdig. Manche Besitzer waren zudem kaum imstande, selbst die Kapitalien aufzubringen, um eine Förderung aufzunehmen. Oft stand auch einer sachgemäßen Betriebseröffnung kleinliche Spekulationslust entgegen, durch die aussichtsreiche Manganerzfelder dem Abbau entzogen wurden. Der Betriebszwang, den das preußische Bergrecht für solche Fälle vorsah, reichte demgegenüber nicht aus, da die dem Bergwerkbesitzer zugestandenen Fristen von insgesamt 9 Monaten weitaus zu lang waren, als daß sie bei der großen Dringlichkeit der Bedarfsdeckung hätten Berücksichtigung finden dürfen. Um diese Schwierigkeiten zu beseitigen, erließ der Bundesrat am 1. März 1917 eine Verordnung, durch welche die Versorgung der deutschen Eisenindustrie mit Manganerzen und solchen Erzen, die für manganhaltige Zuschläge in Frage kamen (außerdem auch mit Eisenerzen mit niedrigem Phosphorgehalt), auf dem Zwangswege sichergestellt wurde. Die Manganerzgesellschaft erhielt das Recht, derartige Erze auf fremden Grundstücken und in fremdem Bergwerkseigentum zu gewinnen und die zur Aufbereitung und Abfuhr erforderlichen Anlagen zu errichten und zu betreiben. Sie konnte außerdem die Überlassung bestehender Anlagen fordern oder auch die Förderung von Manganerzen auf einem fremden Felde neben den dort bereits geförderten Erzen verlangen. Dieses Gesetz ist nur in beschränktem Umfange praktisch angewendet worden, da der in Aussicht stehende Zwang genügte, um bei den meisten der überhaupt in



Die Vorratswirtschaft mit Mangan 

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Frage kommenden Vorkommen auch die anfänglich widerstrebenden Besitzer zur Aufnahme des Betriebs zu veranlassen. Zweifellos sind hierdurch Erleichterungen für die Manganbergwirtschaft geschaffen worden. Im Metallerzbergbau hat man das Fehlen einer solchen Bestimmung sehr nachteilig bemerkt. Im allgemeinen konnte bald festgestellt werden, daß auf allen einigermaßen ertragversprechenden Betriebspunkten lebhaft gearbeitet wurde, so daß sich die Manganerzgesellschaft in der Regel mit einer Unterstützung in Fragen der Arbeiter- und Betriebsstoffbeschaffung begnügen konnte. Allerdings mußte man schließlich im letzten Kriegsjahr der immer fühlbareren Knappheit an Arbeitskräften und Betriebsstoffen dadurch Rechnung tragen, daß diejenigen Gruben, bei denen der Aufwand dem Ertrag nur wenig entsprach, stillgelegt wurden.

Manganerzbergbau in den verbündeten Ländern Bedeutend wertvoller als die deutschen waren die Vorkommen reicherer Manganeisenerze in den mit Deutschland verbündeten Ländern. Insbesondere besaß die Donaumonarchie in Krain, Bosnien, in der Bukowina und hauptsächlich in Ungarn Lagerstätten, die es der dortigen Eisenindustrie ermöglichten, ihren Manganbedarf im wesentlichen aus der eigenen Erzproduktion zu decken. Bereits kurz nach ihrer Gründung nahm die Manganversorgungsstelle mit Österreich Verhandlungen auf, um eine Abgabe österreichischer Manganerze an Deutschland herbeizuführen. Die geringen Zugeständnisse, zu denen sich damals Österreich bereit fand, wurden aber bald wieder rückgängig gemacht, da die Russen mit der Bukowina auch Jakobeny, das ergiebigste ungarische Manganerzvorkommen, besetzten und Österreich zwangen, bei seiner Mangandeckung schärfer auf die übrigen Vorkommen zurückzugreifen, aus denen vorher Deutschland hatte mitbeliefert werden sollen. Zum Ersatz gab Österreich die bei Kisocz, am Südfuße der Hohen Tatra, auf vier Grubenfeldern lagernden oder noch zu gewinnenden Manganerze zur Ausfuhr nach Deutschland frei. Die Erze hatten einen Mangangehalt von 20%, und es wurden insgesamt bis zum 31. Januar 1919 23 677 t Erz nach Deutschland transportiert. Einen besonders breiten Raum nahm der Manganerzbergbau von Maczkamezoe, in der Nähe der Eisenbahnstation Nagybanya in Ostungarn, in der deutschen Manganwirtschaft ein. Der Mangangehalt der dort fündigen Erze belief sich auf 25—32% Mangan und man vermutete, eine Jahresförderung von 60 000 t erzielen zu können. Das Manganerzvorkommen von Maczkamezoe schien sich also als das weitaus ertragversprechendste aller Manganerzvorkommen darzustellen, aus denen Deutschland seine Manganvorräte ergänzen konnte. Der Phosphorgehalt (0,5%) sollte sich nach Versuchen, die die Dortmunder Union im März 1917 vornahm, als nicht bedenklich erweisen, doch zeigten die deutschen Hütten wenig Vorliebe für dieses Erz. Trotzdem vor dem deutschen Eingreifen der Bergbau gänzlich daniederlag — der Abtransport der bisher geförderten Erze konnte aus Mangel an einer Eisenbahnver-

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 Die Eisenwirtschaft im Sommer 1918

bindung nur in ganz geringem Umfange geschehen —, verstand sich Ungarn nicht dazu, Deutschland den vollen Ertrag der geplanten bergwirtschaftlichen Maßnahmen zuzugestehen. Man einigte sich auf eine gemeinsame Ausbeutung des Vorkommens, wobei die Manganerzgesellschaft die technische Durchführung des Betriebsplanes, Ausbau des Bergwerks und in erster Linie den Bau einer Schmalspurbahn zum Abtransport der Erze übernehmen sollte. Dieses Bahnbauprojekt hielt mehrere Jahre lang die beteiligten Stellen in Atem, weil die ungarische Regierung darauf bestand, den Bahnbetrieb nach Wiedereintritt des Friedens zu übernehmen und demgemäß eine Konzession über die Beendigung des Kriegszustandes hinaus verweigerte, die andrerseits für die Verzinsung der von der Manganerzgesellschaft aufgewendeten Reichsmittel unbedingt erforderlich war. Auch der Versuch, das Bergwerk von den Besitzern (Graf Esterhazy) zu kaufen, scheiterte an den überaus hohen Forderungen. Mit Rücksicht auf die sich im Jahre 1918 durch die Aussicht auf baldige Einfuhr russischer Manganerze entspannende Mangansituation wurde schließlich die Entscheidung über den endgültigen Erwerb des Werkes zurückgestellt. Für die Kriegsdauer stand der Bergbau auf Grund des österreich-ungarischen Kriegsleistungsgesetzes auf alle Fälle zur Verfügung, während der Absatz der Erze nach Friedensschluß zu annehmbaren Preisen in Deutschland immerhin fraglich war. Das vorzeitige Kriegsende machte weitere Schritte überflüssig. Bis dahin beliefen sich die Aufwendungen der Manganerzgesellschaft auf 3,2 Mill. Mark, während im ganzen nur rund 11 000 t Erz nach Deutschland abtransportiert wurden. Eine etwa gleichgroße Menge konnte durch Vermittlung der Manganerzgesellschaft von dem besten ungarischen Manganerzvorkommen von Jakobeny für die deutsche Manganwirtschaft nutzbar gemacht werden. Die Erze enthielten etwa 35% Mangan, das Vorkommen gehörte dem griechisch-orientalischen Religionsfonds in Czernowitz (Kultusministerium) und wurde vom ungarischen Arbeitsministerium verwaltet. Durch Vertrag mit dem Montanverkaufsamt des k. u. k. Kriegsministeriums mit der Manganerzgesellschaft wurde die 180 t täglich jeweils übersteigende Erzförderung nach Deutschland ausgeführt (zusammen 11 000 t). Nicht unerheblich waren die Mengen von manganhaltigen Schlacken, die Österreich in größerem Umfange für Deutschland zur Verfügung stellte. Von diesen lagerten etwa ½ Mill. t auf den Halden des Eisen- und Stahlwerks Donawitz der Alpinen Montangesellschaft in Steiermark; sie enthielten etwa 15% Mangan. Die Gewinnung dieser Schlacken übernahm kommissionsweise eine leistungsfähige deutsche Erzhandelsfirma, die im „ „

Jahre „ „

1916 ……… 1917 ……… 1918 ………

2 100 t 62 719 t 96 405 t

nach Deutschland abbeförderte.



Die Vorratswirtschaft mit Mangan 

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Auch Bulgarien wurde eingehend auf Manganerzvorkommen untersucht. Hier hatte sich bereits früher die Privatindustrie (Erzstudiengesellschaft in Dortmund) nach abbauwürdigem Manganerzvorkommen umgesehen, ohne daß es gelungen wäre, ein greifbares Ergebnis zu erzielen. Vom Herbst 1916 ab übernahm die Manganerzgesellschaft die Weiterführung der begonnenen Untersuchungen. Man mußte hierbei mit einem gewissen Widerstand der bulgarischen Regierung, die teilweise französischen Einflüssen nachgab, rechnen. So wurde versucht, den Aktienbesitz an einzelnen Vorkommen in die Hände einer Wiener Großbank zu spielen, die auch französische Interessen vertrat. Ein Vertrauensmann des bulgarischen Finanzministers war sogar auf dem Wege nach Paris, um dort mit einer französischen Bankengruppe zu verhandeln, kam aber über die Schweiz nicht hinaus. Die bulgarische Regierung neigte auch im weiteren Verlauf der Verhandlungen stets dazu, klaren Vertragsabschlüssen auszuweichen, um weit über das im Interesse des Vierbunds angebrachte Maß hinaus ihr eigenes Interesse an den Bodenschätzen zu wahren, von deren Ausbeutung sie sich in offensichtlicher Verkennung des Friedenswertes goldene Berge nach dem Krieg versprach. Die Untersuchungsarbeiten der Manganerzgesellschaft in Bulgarien erstreckten sich auf die kleinen Vorkommen von Jambuli und Drama, ferner auf die nur geringwertigen Lagerstätten von Varna, Köstendiel und Swillengrad und schließlich auf das transportlich ungünstig liegende Bela. Das einzige Vorkommen, welches ernsthafte Beachtung verdiente, war das von Poscharewo bei Sofia. Hier gelang es, mit dem Besitzer (dem bulgarischen Staat, der sich schnell in den Besitz des Vorkommens gesetzt hatte) einen Lieferungsvertrag abzuschließen, der bis 9  Monate nach Friedensschluß gelten sollte. Bis zum 31. Januar 1919 wurden insgesamt 9300 t Erz mit 30% Mangangehalt abtransportiert. Die in Serbien im Jahre 1918 vorgenommenen Untersuchungsarbeiten führten zu keiner bergwirtschaftlichen Erschließung; einesteils infolge des geringen Wertes der einzelnen Vorkommen, andernteils wegen der politischen und militärischen Ereignisse, die eine Ausbeutung im Jahre 1918 nicht mehr zuließen. Es wurden untersucht die Vorkommen von Gretschane bei Üsküp, von Fere, Kreis Dedeagatsch, von Pasakoy bei Veles und von Vucitern bei Mitrowitza. Mit großen Hoffnungen hat man bei den Nichteisenmetallen während des Krieges auf die Möglichkeit einer Ausbeutung kleinasiatischer Erzvorkommen geblickt. Auch die mit der Manganversorgung beauftragten Stellen wandten ihre Aufmerksamkeit den türkischen Vorkommen zu, deren Ausbeutung als letzte Erzreserve in Betracht gezogen wurde. Die Wirren auf dem Kaukasus im Jahre 1906 hatten erstmalig das Interesse der deutschen Eisenindustrie auf die kleinasiatischen Manganerzvorkommen gerichtet, während zu gleicher Zeit England die indische Manganerzgewinnung ausbaute. Im Laufe des Krieges ist jedoch die Manganversorgung durch Zufuhren aus der Türkei nur unwesentlich unterstützt worden. Auch hier wirkten französische Gegenminen, während die Sperrung des Seeverkehrs im Mittelmeer und die gänzliche Unzulänglichkeit des türkischen Transportwesens auch von der technischen Seite her eine

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 Die Eisenwirtschaft im Sommer 1918

erfolgreiche Ausbeutung der Mineralschätze Kleinasiens aufs äußerste erschwerte. Bei den Untersuchungen, die die Manganerzgesellschaft anstellte, erwiesen sich nur die Vorkommen von Heraklea und Ineboli am Schwarzen Meer als bauwürdig, während die übrigen Vorkommen, wie die von Uschak, Bigha Armutlu, Kaudra und mehrere andere nicht zu kriegswirtschaftlicher Bedeutung gelangten. Heraklea lieferte Erze mit 45% Mangangehalt, von denen auf Grund von Optionsverträgen mit den Besitzern und Übernahme des technischen Betriebs durch die Manganerzgesellschaft im weiteren Kriegsverlauf etwa 6800 t nach Deutschland eingeführt wurden. Das hochwertige Erz trug wesentlich dazu bei, die Braunsteinversorgung für die chemische Industrie und die Elementenfabrikation sicherzustellen. Über die getäuschten Hoffnungen, denen man sich nach dem Friedensschluß mit Rußland hinsichtlich der großen kaukasischen Manganerzvorkommen, hingegeben hat, wurde bereits oben berichtet.

Umstellungen im Erzverbrauch Die Innehaltung der Manganwirtschaftspläne, die eine Umstellung des Manganverbrauchs auf die geringwertigeren Eisenmanganlegierungen zum Ziele hatten, verlangte gleichzeitig eine Neuordnung in dem Verbrauch der Erze. Man durfte nach dem Hindenburg-Programm nicht wesentlich über einen monatlichen Verbrauch von 2000 t hochwertiger Mangan-Auslandserze hinausgehen, um eine Streckung der Bestände bis zu dem voraussichtlichen Zeitpunkt vermehrter Einfuhr aus Ungarn — erst mit dem Frieden von Brest-Litowsk kam auch die Einfuhr aus dem Kaukasus in Frage — zu erzielen. Das Schwergewicht der Manganbedarfsdeckung mußte vom Siegerländer Spateisenstein übernommen werden. Von der Spatförderung von etwa 200 000 t monatlich waren im Herbst 1916 etwa 90 000 t für die Stahleisenerzeugung und 30 000 t zur Herstellung von Siegerländer Spezialroheisen verwendet worden. Weitere 80 000 t dienten zur Spiegeleisenerzeugung. Wenn es also gelang, die Stahleisenversorgung auf einer anderen Produktionsbasis aufzubauen, so konnte damit fast über die doppelte Spatmenge wie bisher für die Spiegeleisenerzeugung verfügt werden. Tatsächlich gelang es auch der Charlottenhütte, ein Verfahren praktisch durchzuführen, wobei Stahleisen unter Ausschaltung von Spat aus einem Möller hergestellt wurde, der sich aus 60% Spänen und 40% Stückschlacke zusammensetzte. Da sich Stückschlacke sowohl im Siegerland sehr reichlich vorfand (der Vorrat wurde auf 5 Mill. t geschätzt), als auch aus Donawitz in großen Mengen herangeführt werden konnte, so hing die Durchführbarkeit dieses Ersatzverfahrens nur davon ab, ob es gelang, die erforderlichen Spänemengen für die Stahleisenherstellung zu beschaffen. Der rechnerische Bedarf belief sich aber auf monatlich 70 000 t, war also so hoch, daß eine volle Durchführung des Charlottenhütter Verfahrens durchaus nicht gesichert war. Zudem standen einer allgemeinen Aufnahme dieser Ersatzproduktion die Lieferungsverträge auf Stahleisen entgegen, welche die einzelnen Hochofenwerke mit den



Die Vorratswirtschaft mit Mangan 

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Stahlwerken laufen hatten und die ihnen die Umstellung ihrer Spatverhüttung auf Spiegeleisen nur dann erlaubten, wenn die ausreichende Belieferung ihrer Abnehmer mit Stahleisen seitens des Roheisenverbandes durchgeführt wurde. Das Gegeneinanderlaufen der zahlreichen verschiedenen Bedingungen setzte den geplanten Ersatzmaßnahmen eine gewisse Grenze. Die Lage hätte dann wohl verbessert werden können, wenn es gelungen wäre, die Spatförderung selbst entsprechend zu erhöhen. Hier aber traten die bereits oben geschilderten Schwierigkeiten ein, die den Ertrag des Siegerländer Erzbergbaus von Jahr zu Jahr stärker herabminderten. Eine Einschränkung des Stahleisenverbrauchs wäre trotzdem auch dadurch möglich gewesen, daß man den Stahlwerken größere Mengen Schrott zuführte. Hatte man früher normal mit einem Schrotteinsatz von 70% gerechnet, so zeigten die Kriegserfahrungen, daß er bis auf 85% erhöht werden konnte. Die hierbei erzielte Minderung des Stahleiseneinsatzes ließ sich dadurch ausgleichen, daß man ein Gemisch von Kohlenstoff (in Form von gemahlenem Koks) und Siegerländer Spat zusetzte, wobei dessen Mangangehalt reduziert und unmittelbar in das Stahlbad geführt wurde. Die theoretisch zu erwartenden Erfolge einer solchen Umstellung wurden aber dadurch erheblich verringert, daß die neue Herstellungsart die Dauer der Chargen verlängerte und damit die Gesamtproduktion in der Zeiteinheit verminderte. Letzten Endes aber bot auch die ausreichende Schrottversorgung immer größere Schwierigkeiten, so daß sich eine merkliche Steigerung des Schrotteinsatzes nicht immer durchführen ließ. Wesentliche Erfolge wurden auf die dargelegte Weise also nicht erzielt.

Sparmaßnahmen Um so größeres Gewicht mußte man infolgedessen den reinen Sparmaßnahmen beilegen. Angesichts der geringen Menge der in Deutschland vorhandenen hochwertigen Manganerze hatte schon am 1.  Januar 1915 die Ferromangangemeinschaft ihre Abnehmer im Bezug von 80%igem Ferromangan auf die Hälfte des Friedensbedarfs beschränkt. Nur für den Heeresbedarf (Geschoßmaterial, Schutzschilde, Panzerplatten) wurde der Vollbedarf geliefert. Eine weitere Einschränkung des Verbrauchs von Ferromangan wurde dadurch bewirkt, daß vom 1.  Juli 1915 ab grundsätzlich kein 80%iges Ferromangan mehr hergestellt wurde. Im Anschluß hieran wurde auf den Vorschlag der Roheisenverteilungsstelle für Geschoßstahl ein Höchstzusatz von 11 kg Reinmangan je Tonne Stahl vereinbart und diese Menge auch auf sonstiges Heeresmaterial ausgedehnt. Aber auch auf dieser Basis ließ sich die Ferromanganverteilung für die Dauer nicht durchführen. Von Mitte 1916 ab trat deswegen wiederum eine Änderung ein. Es erwies sich, daß eine ganze Reihe von Werken mit erheblich weniger Mangan auskommen konnte, als dem Friedensverbrauch entsprach. Die Manganversorgungsstelle in Düsseldorf nahm infolgedessen das Verfahren auf, jedem einzelnen Werk auf Grund seiner Produktionsverhältnisse das Mangan monatlich zuzuweisen.

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 Die Eisenwirtschaft im Sommer 1918

Die Menge von 1,1% der Stahlerzeugung wurde dabei als oberer Grenzwert festgehalten. Schließlich kam man zu folgenden Sätzen, die als allgemeine Norm den Einzelverhandlungen zwischen der Manganversorgungsstelle und den verbrauchenden Werken zugrunde gelegt wurden: für „ „ „

Thomashartstahl Thomasweichstahl Martinhartstahl Martinweichstahl

8 3 8 5

kg „ „ „

Reinmangan „ „ „

pro Tonne „ „ „ „ „ „

Durch Abschieben eines großen Teils des Manganbedarfs auf die geringwertigeren Eisenmanganlegierungen ist es dann im weiteren Verlauf des Krieges gelungen, diese Sätze noch weitgehend zu modifizieren. Im Durchschnitt hat sich der Verbrauch von Mangan während des Krieges auf 5—6 kg je Tonne Stahl gestellt. Die Umstellung von Ferromangan auf Spiegeleisen konnte hauptsächlich beim Hartstahl in erheblichem Umfange geschehen, außerdem wurde im Januar 1918 20%iges Spiegeleisen hergestellt, das unter einer stärkeren Ausnutzung der Siegerländer Spateisensteinförderung eine möglichst zweckmäßige Verwertung der heimischen und ausländischen Qualitätserze erlaubte. Demselben Zweck diente seit Mitte 1917 die Zwischenhaltung einer weiteren Qualitätsstufe von 40%igen Ferromanganen, so daß nunmehr an Hand einer stark differenzierten Güteskala eine sparsame Verwendung von Mangan nach dem jeweiligen Mindestbedarf erleichtert wurde. Während noch im Jahre 1916 das 50%ige Ferromangan mehr als die Hälfte des gesamten Manganbedarfs gedeckt hatte, waren Mitte 1918 zwei Drittel der Manganversorgung auf die geringwertigen Spiegeleisensorten abgedrängt, während das 50%ige Ferromangan nur noch mit 8% an der Bedarfsdeckung beteiligt war. Die Erfahrung lehrte, daß beim Siemens-Martinprozeß im sauren Betrieb ein wesentlich größerer Manganverbrauch stattfand als im basischen. Da aber der basische Martinprozeß nach und nach wesentlich an Bedeutung gewann:

Januar 1916………………….. Januar 1917…………..……… Januar 1918……………..…… September 1918………...…

basisch 93,9% 96,3% 96,9% 97,1%

sauer 6,1% 3,7% 3,1% 2,9%

der „ „ „

Martinpr. „ „ „

so trat ganz von selbst auch hierdurch eine gewisse Manganersparnis ein. Der hohe Verbrauch von Mangan für Geschoßstahl legte es nahe, auch hier nach Möglichkeit Sparmaßnahmen durchzuführen. Der Geschoßstahl mußte dabei allerdings die für die beabsichtigte artilleristische Wirkung notwendigen physikalischen Eigenschaften behalten. Die Geschosse mußten erstens genügende Festigkeit besitzen, um den Gasdruck im Rohr auszuhalten, welcher der angestrebten großen Schußweite



Die Vorratswirtschaft mit Mangan 

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entsprach, und ihr Gefüge mußte so beschaffen sein, daß sie am Ziel durch das Zerspringen in eine gewisse Mindestmenge von Sprengstücken eine genügende Schußwirkung hervorriefen. Hierzu kam zweitens die Forderung, daß der solchen artilleristischen Bedingungen entsprechende Stahl im Massenbetrieb technisch günstig herstellbar und verarbeitbar war. Mit Rücksicht auf die reinen Preßwerke war es notwendig, gewisse Normalien einzuhalten, damit den Preßwerken selbst bei Belieferung von verschiedenen Stahlwerken ein einheitliches Material zugestellt wurde, für dessen Bearbeitung sie ihre maschinellen Einrichtungen ein für allemal einstellen konnten. Die Artillerieprüfungskommission hatte sich schon im Jahre 1915 bereitgefunden, die scharfen Abnahmebedingungen der Friedenszeit erheblich zu mildern und hatte gewisse „anzustrebenden Analysen für Geschoßstahl“ als zureichend gebilligt. Nun stellte sich im Jahre 1917 nach eingehenden Prüfungen heraus, daß bei den hauptsächlich manganverbrauchenden Geschossen, den Granaten der leichten Feldkanone und der leichten Feldhaubitze der Mangangehalt wesentlich niedriger als 1,1% gehalten werden konnte, ohne daß die physikalischen Werte darunter litten. Man konnte bis auf 7 kg Mangan für die Tonne Stahl heruntergehen, wenn man nur auf der andern Seite den Kohlenstoffgehalt etwas hinaufsetzte. Die Verschiebung des Verhältnisses zwischen Mangan- und Kohlenstoffgehalt, die so vorgenommen wurde, verschlechterte jedoch von einer gewissen Grenze ab die Verarbeitbarkeit des Stahles, so daß die Ausschußproduktion und damit die Manganersparnis bei dem einzelnen Geschoß wieder ausgewogen wurde; so konnte bei unsachgemäßer „Sparpolitik“ der Manganverbrauch sich im ganzen sogar höher stellen als vorher. Dies ist in der Tat auch vorübergehend eingetreten. Ein weiterer Weg zur Verminderung des Manganbedarfs für Geschoßzwecke war der, den Abfall an Spänen bei der Herstellung der Geschosse möglichst einzuschränken. Bei dem Verfahren dickwandige Walzstahlgeschosse durch Ausbohren herzustellen, überschritt naturgemäß der Späneentfall die eigentliche Geschoßproduktion. Ging man mehr dazu über, an Stelle der gebohrten Geschosse gepreßte Geschosse herzustellen, so wurde der Späneentfall auf ein vergleichsweise ganz geringes Maß herabgedrückt. Der gesamte Stahlverbrauch, damit im Zusammenhang aber auch der Manganverbrauch, konnte also durch die Umstellung auf Preßgeschosse wesentlich eingeschränkt werden, und eine sparsame Vorratswirtschaft war die Folge. Letzten Endes blieb der Ausweg, schlechtere physikalische Eigenschaften des Geschoßstahls in Kauf zu nehmen und sie durch entsprechende Umkonstruktion des Geschosses auszugleichen. Man mußte dann notgedrungen die Geschoßwände verdicken, den Hohlraum für die Sprengladung verkleinern und damit die Geschoßwirkung verringern.

Ersatzmaßnahmen Innerhalb der Manganwirtschaft nahmen neben den Sparmaßnahmen die Ersatzmaßnahmen ein sehr breites Gebiet ein, da sich auf diesem Wege, ähnlich wie bei den

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 Die Eisenwirtschaft im Sommer 1918

Sparmetallen, der Bedarf insgesamt wesentlich herabsetzen und das Haushalten mit den knappen Vorräten erheblich erleichtern ließ. Die Ersatzmaßnahmen erstreckten sich auf den Ersatz des Mangans sowohl als Desoxydationsmittel, als auch als Stahlhärtungsmetall. Da die Desoxydationswirkung des Mangans darauf beruht, daß es vulgär gesprochen, eine größere Verwandtschaft zum Sauerstoff besitzt als das Eisen, so konnte es theoretisch durch jeden anderen Stoff ersetzt werden, dessen Oxydierbarkeit die des Eisens übertraf. In diesem Sinne arbeitete die Industrie eine ganze Reihe von Verfahren aus, durch die das Ferromangan als Desoxydationsmittel ersetzt werden konnte; die hieran geknüpften Hoffnungen haben sich jedoch nicht in dem erwarteten Umfange erfüllt. Mit größtem Interesse wurde auch in Deutschland der Versuch gemacht, Geschoßstahl von geeigneter Qualität durch sog. Wasserhärtung mit nachfolgender Vergütung herzustellen. Dieses System soll in Frankreich weitgehend verwendet worden sein und ergab den Vorteil, daß neben der absoluten Manganersparnis auch die Bearbeitung des Granatstahls vor dem Vergüten wesentlich leichter war als beim Manganstahl, während nach dem Vergüten sowohl die Härte wie das Gefüge des Stahls vollkommen den Eigenschaften entsprach, die im Hinblick auf den Gasdruck und die Artilleriewirkung von den Geschossen gefordert werden mußte. Die Versuche, die mit aller Energie bei einer Reihe führender Eisenhütten vorgenommen wurden, führten jedoch zu keinem solchen Ergebnis, daß auch in Deutschland die Wasserhärtung in großem Umfange zur Anwendung gelangen konnte. Nachdem die Artillerieprüfungskommission den Mangangehalt im Granatstahl auf 0,6—0,8% Mangan herabgesetzt hatte, verlor der wassergehärtete Stahl, der immerhin auch noch 0,4—0,5% Mangan enthielt, grundsätzlich an Bedeutung.

Ferrosiliziumbewirtschaftung Im Jahre 1916 war durch die Manganversorgungsstelle die Industrie zur Umstellung auf andere Desoxydationsmethoden angeregt worden und hatte u. a. auch das hochwertige Ferrosilizium für diese Zwecke herangezogen. Ferrosilizium, das in erster Linie im Gießereiwesen eine hervorragende Rolle spielt, war vor dem Ferromangan dadurch ausgezeichnet, daß seine Herstellung völlig unabhängig von dem Bezug bestimmter Erzsorten war, so daß es, wenn die technischen Einrichtungen vorhanden waren, leicht in größeren Mengen hergestellt werden konnte. Allerdings waren in Deutschland nur Betriebsanlagen für das geringwertigere Hochofensilizium vorhanden, während man im Frieden den deutschen Bedarf an hochwertigen Sorten fast ausschließlich aus dem Auslande gedeckt hatte. Nachdem man zunächst von Ende 1915 bis Ende 1916 versucht hatte, durch ein Zuweisungsverfahren in Verbindung mit einem allgemeinen Handelsverbot die Bedarfsdeckung sicherzustellen, ging vom Hindenburg-Programm ab die KriegsRohstoff-Abteilung auch zu Produktionsmaßnahmen über. Einerseits wurden mit



Die Vorratswirtschaft mit Mangan 

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den ausländischen Firmen im größeren Umfang Lieferungsverträge abgeschlossen, andrerseits aber der Versuch gemacht, im Inland die bestehenden Anlagen auszuweiten und neue Produktionsstellen zu gründen. Für die letzteren Zwecke kamen in erster Linie die rheinisch-westfälischen Elektrizitätswerke in Frage, denen das Reich durch die Eisenzentrale zur Erweiterung der Ferrosiliziumanlage in Knappsack bei Köln einen Vorschuß von 16 Mill. Mark gewährte. Außerdem bildete die Eisenzentrale mit der Friedländer-Fuldschen Zentralverwaltung und Beer, Sontheimer u. Co. ein Konsortium, um unter Benutzung der niedersächsischen Braunkohlenvorkommen bei Mückenberg an der Schwarzen Elster eine Ferrosiliziumanlage zu bauen. Ebenfalls noch unter dem Hindenburg-Programm wurde zwischen der Eisenzentrale und einem industriellen Konsortium die Errichtung eines Ferrosiliziumwerkes bei Altena in Westfalen (Ferrosiliziumwerk Elverlingsen, G. m. b. H.) vereinbart. Seit Frühjahr 1917 trat man der Frage näher, unter der Verwendung von Siegerländer Schlackensand im elektrotermischen Verfahren ein Ferro-Mangan-SiliziumProdukt herzustellen, das als Ersatz für 50%iges Ferromangan dienen konnte. Entsprechende Anlagen wurden durch ein industrielles Konsortium eingerichtet, dem die Eisenzentrale mit 50%, die Gesellschaft für Elektrometallurgie in Nürnberg mit 27½%, die Firma Rawack & Grünfeld in Berlin mit 12½% und Gebrüder Röchling in Duisburg mit 10% beteiligt waren. Betriebsanlagen wurden in Weißweiler bei Düren und Stockum bei Hagen geplant (nur Weißweiler wurde ausgebaut); außerdem schloß die Eisenzentrale mit den elektrochemischen Werken in Laufen einen Vertrag ab, nach dem dieses Unternehmen der Eisenzentrale ihre elektrochemische Fabrikanlage vom 1. Juli 1917 bis zum 31. Dezember 1918 gegen einen Garantiebetrag von 400 000 Frs. zur Verfügung stellte. Dieser Betrag verringerte sich je nach Maßgabe der abgenommenen Produktion bis zum völligen Wegfall. Trotz des großen Umfanges der in Angriff genommenen Projekte stellte sich die Bewirtschaftung von hochwertigem Ferrosilizium wesentlich ungünstiger dar als die ursprünglich stärker gefährdete Manganversorgung. Während des Hindenburg-Programms hatten die inländischen Anlagen infolge des starken Frostes sehr zu leiden. Es war unmöglich, die Rohbraunkohle, die zum Betrieb des Werkes in Knappsack diente, zu baggern. Die über See eintreffenden Zufuhren aus Norwegen und Schweden wurden durch die Vereisung der nordischen Häfen behindert. Erst bei Einsetzen der besseren Witterung wurden im Frühjahr 1917 die Schwierigkeiten behoben. An der damals erreichten Gesamtversorgung von 5500 t monatlich waren folgende Anlagen beteiligt: Deutsche Werke………………………………… mit 1 000 t Schweiz……………………….…………………… „ 2 200 t Norwegen……………………….………………… „ 1 300 t Schweden………………………………………… „ 1 000 t

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 Die Eisenwirtschaft im Sommer 1918

Diese Deckungsverhältnisse erwiesen sich angesichts des infolge der Produktionsstörungen in den Eisenhütten geminderten Bedarfs als ausreichend. Im Herbst 1917 und im Winter 1917/18 aber verschlechterten sich die Verhältnisse erheblich. Trotz aller Anstrengungen gelang es aus Rohstoffmangel nicht, alle neuen Betriebspunkte in dem geplanten Umfange betriebsfertig zu machen. Auch wirkte der Kohlenmangel und der damit verbundene Mangel an elektrischer Energie hemmend auf die Leistung der fertiggestellten Anlagen ein. Das Werk Elverlingsen konnte aus diesem Grunde die Produktion überhaupt nicht aufnehmen und in Mückenberg traten durch einen Betriebsunfall ebenfalls erhebliche Betriebsstörungen ein. Die deutschen Inlandsanlagen blieben infolgedessen weiter auf etwa ein Fünftel der Gesamtdeckung des Ferrosiliziumbedarfs beschränkt. Unglücklicherweise aber hatten in der kritischen Zeit die Schweizer Werke mit Arbeiterunruhen zu kämpfen und waren deshalb nur beschränkt lieferungsfähig; auch gelang es nicht immer, sie ausreichend mit Kohle zu versorgen. Zwar besserten sich im Anfang des Jahres 1918 die Arbeiterverhältnisse in der Schweiz wesentlich und auch die Zufuhren aus dem übrigen neutralen Ausland liefen reichlicher ein. Es gelang sogar, in Deutschland einen zweimonatigen Bestand bei den Werken aufzusammeln. In der Schweiz machten sich jedoch schon im Frühsommer wiederum hemmende Einflüsse bemerkbar, die auf einen Druck Amerikas zurückzuführen waren, und schließlich kam ein wichtiger Lieferer infolge der Grippeerkrankungen vollständig zum Stillstand. Auf der anderen Seite trat auch in den schwedischen Zufuhren infolge Ausfuhrschwierigkeiten, die auf das Einwirken Englands zurückzuführen waren, im August eine völlige Unterbrechung ein. Mit Mühe gelang es, von der schwedischen Regierung ein Monatskontingent von 500 t zu erreichen, während die norwegischen Zufuhren ebenfalls unter dem Einfluß des Ententedrucks auf die ganz geringe Menge von 275 t im Monat herabgemindert wurden. Die inländischen neugeschaffenen Ferrosiliziumanlagen blieben fortgesetzt in ihrer Leistung weit hinter den Hoffnungen zurück, die man auf sie gesetzt hatte. Das große Kraftwerk in Knappsack erreichte infolge unzureichender Kohlen- und Stromzufuhr nur wenig mehr als 40% der vorgesehenen Produktion. Die Versorgung der Eisenindustrie mit den gewöhnlichen Hochofenferrosiliziumsorten bereitete während des Krieges keinerlei Schwierigkeiten.

Die Manganpreise Für die Entwicklung der Manganpreise waren die großen Aufwendungen, die von Reich wegen durch die Manganerzgesellschaft auf bergwirtschaftlichem Gebiet gemacht werden mußten, und die Kosten, die die zahlreichen Versuche zur Ersparung und Ersetzung von Mangan verursachten, von bestimmender Bedeutung. Auch bei der Einfuhr von Ferromangan aus den neutralen Ländern mußte infolge der Valuta und der englischen Konkurrenz die Manganerzgesellschaft bedeutende Summen aus-



Die Vorratswirtschaft mit Mangan 

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legen. Es war deswegen im Interesse der Reichsfinanzen zweckmäßig, daß die Manganerzgesellschaft einen großen Teil ihrer Aufwendungen durch Preisaufschläge von der Industrie wieder hereinholte. Die Mengen, die hierbei getroffen wurden, waren verhältnismäßig gering, so daß von dieser Seite aus keine starke Einwirkung auf die Endfabrikate zu befürchten war. Die Abgaben an die Mangangesellschaft liefen hierbei bis fast auf die Hälfte der Verkaufspreise an und betrugen Mitte 1917 300 M für 50%iges Ferromangan und 100 M für 30%iges Ferromangan. Die Abgabe erhöhte sich zudem noch im Laufe der Zeit wesentlich und betrug im Sommer 1918 für 80%iges Ferromangan 50%iges „ 30%iges „ 20%iges „

500 300 100 50

M je Tonne „ „ „ „ „ „ „ „ „

Die Entwicklung der Ferromanganpreise zeigt die folgende Tabelle: Ferromanganpreisbewegung 1914—1918 in Mark pro Tonne. (Die Skalapreise in Klammern)

Juli 1914……………..……… 1. Februar 1915……..…… 1. Juli 1915………………… 1. Januar 1916……….…… 1. Januar 1917……….…… 1. Juli 1917………………… 1. Oktober 1917…….…… 1. Januar 1918…….………

80%

50%

30%

200 (2) 250 (2) 285 (2) 350 (2) 600 (4) — 1 262 (4) —

— — 240 (1,5) 265 (1,5) 400 (4) 760 (4) 772 (4) 850 (10)

— — — 180 (1,5) 280 (4) 465 (4) 477 (4) 560 (10)

Ganz offensichtlich ist also die Ferromanganpreisentwicklung wesentlich durch die Abgaben an die Manganerzgesellschaft beeinflußt worden.

Die Bewirtschaftung von Braunstein Neben den für die eisenhüttentechnischen Zwecke erforderlichen Manganerzen hatte der Braunstein, das mineralogisch reinste Manganerz, eine erhöhte Wichtigkeit für verschiedene Industrien, für welche die Bedarfssicherstellung ebenfalls von großer Bedeutung war. Es handelte sich hierbei hauptsächlich um den Braunsteinbedarf für Elemente und Taschenlampenbatterien und (bei der chemischen Industrie) für Permanganat und Süßstoffe. Die Gesamtmenge, die hierfür in Frage kam, war verhältnismäßig gering und man konnte bis zum Mai 1916 ohne weiteres aus den Vorräten leben. Erst als zu diesem Zeitpunkt die Beschaffung schwieriger wurde, traten etwa

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 Die Eisenwirtschaft im Sommer 1918

80  Gesellschafter aus der elektrotechnischen Industrie zur Gründung der „Braunsteinversorgungsgesellschaft m.  b.  H.“ in Berlin zusammen, die ohne Beteiligung des Reiches als reine Erwerbsgesellschaft im freien Handel alle greifbaren Mengen von Braunstein ankaufte, um sie in erster Linie dem Kriegsbedarf zuzuführen. Die Verteilung geschah unter Aufsicht der Manganversorgungsstelle in Düsseldorf ausschließlich für unmittelbare Staats- und Heeresaufträge. Der Privathandel blieb auf kleinere Mengen Braunstein beschränkt, die noch im freien Markt vorhanden waren und zum Teil aus ganz kleinen Braunsteingruben stammten, und auf minderwertigen Braunstein, der bei der Aufbereitung des hochprozentigen entfiel. Im Frühjahr 1917 trat die Braunsteinversorgungsgesellschaft zur Ausfüllung ihrer Vorräte mit der Manganerzgesellschaft in Verbindung und wurde von dieser laufend mit hochwertigen Manganerzen (besonders mit denen aus Heraklea) versorgt. Zur gleichen Zeit ging auch die Braunsteinbewirtschaftung auf die Kriegs-Rohstoff-Abteilung über, der durch eine Beschlagnahmeverfügung vom 20. Juni 1917 das Verfügungsrecht über sämtliche Braunsteinvorräte zugesprochen wurde. Die reichlich zufließende Einfuhr aus Heraklea brachte es mit sich, daß die Braunsteinbeschlagnahme sehr milde gehandhabt werden konnte. In der Braunsteinbewirtschaftung spielten Ersatzmaßnahmen ebenfalls eine große Rolle. So ließ sich z. B. für Lichtsignalgerät in größerem Umfange Magnesium verwenden, außerdem kam die Verwendung eines Tretmotors als Lichtkraftquelle in Betracht. Bei den Taschenlampenbatterien machte man den Versuch, die Trockenbatterie durch einen mechanischen Energieerzeuger zu ersetzen. Auch die Wiedernutzbarmachung des in den aufgebrauchten Trockenelementen und Taschenlampenbatterien vorhandenen Braunsteins wurde nachdrücklich verfolgt.

Kapitel VI

Das Ende der Kriegseisenwirtschaft Der Waffenstillstand und die Revolution Der Abschluß des Waffenstillstandes am 11. November 1918 bedeutete das Ende der Kriegseisenwirtschaft. Alle Pläne, die man noch in letzter Stunde hinsichtlich der nationalen Verteidigung verfolgt hatte, wurden gegenstandslos. Der Kriegsbedarf, der den Charakter der Eisenwirtschaft seit dem Hindenburg-Programm ausschlaggebend gewandelt hatte, der das treibende Element und das richtunggebende Ziel der Kriegseisenwirtschaft gebildet hatte, fiel aus. Der Friedensbedarf aber konnte nicht sofort an seine Stelle treten, weil auch die produktive Leistungsfähigkeit der Eisen- und Stahlindustrie durch den Waffenstillstand aufs stärkste in Mitleidenschaft gezogen wurde. Wie der Kriegsbeginn, so zeichnete sich auch das Kriegsende durch einen beispiellosen Abfall der Produktion aus. Der Produktionstiefstand war in beiden Zeitpunkten der gleiche (s. Anlage). Durch den Verlust von Lothringen und dem Saargebiet und durch den Austritt Luxemburgs aus der Produktionsgemeinschaft wurde die deutsche Eisenversorgung in ihren Grundlagen erschüttert. Die Erzbasis insbesondere wurde in einem solchen Umfange beschnitten, daß eine Weiterführung der Produktion selbst in beschränktem Umfange nur durch Aufzehren der auf den Werken lagernden Vorräte möglich war. Mit dem Ausfall der Minettelieferung aus den großen Lagerstätten in Lothringen verlor Deutschland von Oktober bis November ohne jeden Übergang 65% seiner inländischen Erzförderung (am Eiseninhalt gemessen). Der Verlust war so groß, daß er von der der Lagerstätte von Ilsede-Peine auch dann nur teilweise wettgemacht worden wäre, wenn nicht dort obendrein andere Hemmungen die Aufnahme der vorbereiteten Förderung verhindert hätten. Der Kampf um das Minettegebiet war zugunsten Frankreichs entschieden und damit nicht nur die deutsche Eisenindustrie an ihrem Lebensnerv schwer verletzt, sondern die gesamte deutsche Volkswirtschaft unendlich geschädigt. Vom Tage des Waffenstillstandes an beginnt eine neue Epoche in der Geschichte des Eisens. Deutschland, der gefürchtete Wettbewerber auf dem Weltmarkt, sollte aus der ersten Reihe der Eisenindustriestaaten zurücktreten, Frankreich begann den Versuch, den deutschen Platz einzunehmen. Der Verzicht auf Lothringen, den der Waffenstillstand den Friedensverhandlungen vorwegnahm, bedeutete aber nicht nur den Verlust jener Produktionsbasis, aus der die deutsche Eisenindustrie seit genau 40 Jahren die Kraft zu ihrer glänzenden Entwicklung geschöpft hatte. Mit den südwestdeutschen Eisenhütten gingen auch außerordentlich wichtige Teile der Gesamtproduktion an Roheisen (40%) und Stahl (30%) verloren. Gerade das für den Wiederaufbau der deutschen Friedenswirtschaft hervorragend benötigte Gießereiroheisen stammte zu mehr als 25% aus dem Südwesten. Wenn auch der Wegfall des linksrheinischen Versorgungsgebietes den Gesamt-

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 Das Ende der Kriegseisenwirtschaft

bedarf etwas minderte, so war dies angesichts der seit Mitte 1917 durchgeführten zwangsweisen Zurücksetzung der Gießereiproduktion hinter kriegswichtigere Dinge und der seit mehr als zwei Jahren damit verbundenen völligen Entblößung des Inlandkonsums von Gießereierzeugnissen aller Art, andererseits wegen des besonders starken Anwachsens des Gießereibedarfs für die Neuanfertigung von Maschinen und dergleichen nur eine verhältnismäßig geringe Entlastung. Von gleichgroßer Bedeutung war die Unterbindung der Halbzeuglieferungen, die den reinen Walzwerken im rechtsrheinischen Deutschland in großen Mengen aus Südwestdeutschland zugeflossen waren. Hier war ein Ersatz aus rechtsrheinischen Stahlwerken um so schwerer durchführbar, als diese zumeist im Verband der großen gemischten Werke arbeiteten. Jede Abgabe von Stahl an andere Betriebe bedeutete deswegen eine entsprechende Senkung der Leistung anderer, bisher von ihnen belieferter und ebenfalls weit unter Möglichkeit beschäftigter Walzwerke. Für die Gesamtproduktion bedeuteten solche internen Verschiebungen aber keine Verbesserung. Auch in den höheren Produktionsstufen besaß der Ausfall der Lieferungen aus Lothringen, Luxemburg und dem Saargebiet einschneidende Bedeutung. Insbesondere waren Eisenbahnoberbaumaterial, Stab- und Formeisen zu etwa 30%, Träger zu rund 50% der Gesamtproduktion von diesen Industriegebieten geliefert worden. Ganz Süddeutschland sah sich außerdem seiner bedeutendsten Bezugsquellen für Eisen, Stahl und Walzwerkprodukte beraubt. Für die deutsche Volksernährung war es ferner sehr bedenklich, daß von den sieben überhaupt vorhandenen Weißblechwerken fünf im linksrheinischen Gebiet lagen und eines der beiden rechtsrheinischen seine Bleche von einem linksrheinisch gelegenen Mutterwerk beziehen mußte. Der Waffenstillstand zerriß rücksichtslos das Gefüge der großen gemischten Werke, deren Betriebe teils rechts, teils links des Rheines lagen (z. B. Gelsenkirchen, Deutsch-Luxemburg u. a.). Hiermit aber wurden Produktionsbeziehungen unterbrochen, die fast unersetzlich waren; manche Großunternehmung sah sich deshalb veranlaßt, ihren linksrheinischen Besitz abzustoßen, da er unter den veränderten politischen Verhältnissen für die eigene Produktion wertlos geworden war. Die deutsche Volkswirtschaft hat hierdurch großen Schaden erlitten. Verursachte schon der Waffenstillstand an sich eine gewaltige Minderung der Leistungsfähigkeit der deutschen Eisenindustrie, so erschütterte die gleichzeitig ausgebrochene Revolution die verbliebenen Reste bis ins Innerste. Schon während des Krieges hatte man im Hinblick auf die Gefahren einer ungeregelten Demobilmachung die Frage einer möglichst zweckmäßigen Organisation der Schaffung von Arbeitsgelegenheit und Arbeiterunterkunft eingehend erwogen. Aus den harten Bedingungen des Waffenstillstandes erfolgte aber eine derartig überstürzte Auflösung des Heeres, daß es unmöglich wurde, die revolutionär erregten Arbeitermassen nach einem geordneten System an die Produktion heranzuführen. Obwohl ein geradezu brennender Bedarf für Eisen- und Stahlprodukte aller Art im Inland vorlag und die glücklicherweise infolge der bereits geschilderten erfolgreichen Vorratspolitik ziemlich reichlich vorhandenen Vorräte an Rohstoffen die sofortige Umstellung der Werke



Die Auflösung der Organisationen der Kriegseisenwirtschaft 

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auf Friedensproduktion wohl erlaubt hätten, gelang die Umstellung der deutschen Eisenindustrie auf Friedensarbeit nur mit den größten Stockungen. Auf zahlreichen Werken wurde gestreikt, wo gearbeitet wurde, fehlte jede Arbeitsfreudigkeit; es gelang nur knapp, die wichtigsten Lieferungen, die der Waffenstillstand Deutschland auferlegte (Lokomotiven, Waggons, landwirtschaftliche Maschinen), und diejenigen, die zur Wiederaufnahme der Friedenswirtschaft unbedingt nötig waren (Schiffbau, Schienen, Baumaterialien), durchzusetzen. Dazu verloren aber die zentralen Stellen jede Macht, mit ihren Forderungen durchzudringen. Örtliche revolutionäre Arbeiterorganisationen beherrschten die Produktion, ganz zu schweigen von dem Saargebiet, das dem behördlichen Einfluß völlig entzogen war. Die Verfolgung eines einheitlichen Wirtschaftsplanes scheiterte an der Auflösung jeder politischen und wirtschaftlichen Ordnung. Nur dort, wo es Vorräte zu verwalten und zu verteilen gab, besaß die Zentralverwaltung einigen Einfluß auf die weitere Verbrauchsregelung; so z. B. bei den Metallen, den Spinnstoffen und innerhalb der Eisenwirtschaft beim Alt- und Abfalleisen, Ferromangan und den Manganerzen sowie beim Ferrosilizium. Bei den Eisen- und Stahlprodukten aber, wo die Bewirtschaftung nicht auf vorratspolitischer Grundlage beruht hatte, bedeutete die revolutionäre Erschütterung der Produktion das Ende der autoritativen Regelung der Bedarfsdeckung.

Die Auflösung der Organisationen der Kriegseisenwirtschaft An Stelle des sachlich ziemlich scharf umrissenen, wenn auch in allen seinen Teilen und Nebengebieten nicht immer klar übersehbaren Kriegsbedarfs trat der Friedensbedarf wieder in seine Rechte. Er trat in aller der Mannigfaltigkeit auf, die der vielseitigen Verwendung von Eisen und Stahl in der Volkswirtschaft entspricht. Eine Klassifizierung dieses Bedarfs nach irgendwelchen wohlerwogenen Systemen war nicht gut möglich. Eine Dringlichkeitsabstufung konnte schon deswegen nicht durchgeführt werden, weil jeder jetzt eintretende Bedarf aus den verschiedensten Gründen (z. B. Arbeiterbeschäftigung) stets dringlichen Charakter trug. Das bisher erprobte Dringlichkeitssystem versagte diesen neuen Verhältnissen gegenüber, da es fast ausschließlich auf die Sicherung des nunmehr verschwundenen Kriegsbedarfs eingestellt war. Es wurden deshalb die zahlreichen Bestimmungen, welche die Rohstahlausgleichstelle während des Krieges zur Regelung des Beschaffungs- und Lieferungswesens erlassen hatte, insbesondere auch die Beschlagnahmeverfügungen, mit dem 14. November 1918 durch das Demobilmachungsamt aufgehoben. In der Folgezeit beschränkte man sich darauf, der Industrie eine kurze Dringlichkeitsliste an die Hand zu geben, welche die Lieferungen für das Eisenbahnwesen, Lokomotiven und Waggons, und für die Herstellung der von der Entente geforderten landwirtschaftlichen Maschinen allen übrigen Bedarfsforderungen voranstellte. Der Stahlbund blieb in Wirksamkeit und unterstützte nach Möglichkeit die Unterbringung dieses dring-

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lichsten Bedarfs. Im übrigen aber mußte man notgedrungen die Dinge, die sich nicht mehr beherrschen ließen, sich frei entwickeln lassen. Die Produktion war derartig plötzlich abgesunken, daß das Mißverhältnis zwischen Nachfrage und Angebot auf rein organisatorischem Wege nicht mehr ausgeglichen werden konnte. Nur solche Maßnahmen versprachen Erfolg, durch die eine Hebung der Produktion eingeleitet wurde. Hierzu gehörte es, daß die Manganversorgungsstelle in Düsseldorf die Verteilung der in Deutschland vorhandenen Erzvorräte auf die Hochofenwerke übernahm und gleichzeitig wegen Wiedereröffnung des Zufuhrweges für Minette und Halbzeug aus dem Südwesten nachdrückliche Verhandlungen mit der Entente pflog. Da die Manganerzbergwerke von Bingerbrück ebenfalls im besetzten Gebiet lagen, mußte auch hier dringend um eine Freigabe der Lieferungen bei der Entente nachgesucht werden. Während das letztere verhältnismäßig bald durchzusetzen gelang, zog sich die Wiederaufnahme des Minetteverkehrs bis in den Mai 1919 hin. Die Aufhebung der Verordnungen über den Verkehr mit Eisenmaterialien hatte sich aus der Entwicklung der Eisenwirtschaft im November 1918 ganz von selbst ergeben. Eine andere Frage war es, ob die Höchstpreise für Eisen und Stahl beibehalten werden sollten oder nicht. Zunächst bestand die Absicht, die Höchstpreise in Wirkung zu belassen, obwohl ganz offenbar die Eisenpreise schon in der letzten Kriegszeit unter einer immer größeren Spannung gestanden hatten. Der geringen Aufbesserung des Halbzeug- und des Roheisenpreises im letzten Kriegsmonat standen die größtenteils seit Mitte 1917 unveränderten Preise für die Walzprodukte gegenüber. Es war ganz offensichtlich, daß auf die Dauer die Kriegspreise nicht mehr durchgehalten werden konnten, zumal durch die Revolutionswirtschaft die Selbstkosten kaum mehr zu übersehen waren und geregelte Kalkulationsunterlagen bei den zahlreichen Betriebsstillständen, dem Mangel an Roh- und Betriebsstoffen und den sich überstürzenden Lohnforderungen überhaupt nicht mehr gefunden werden konnten. Die allgemeine Demoralisation ergriff außerdem auch bald den Eisenmarkt. Der Verbraucher kaufte in seiner Eisennot „um jeden Preis“, und mehr als ein Werk fand sich bereit, die formell noch in Geltung befindlichen Höchstpreise nicht mehr zu beachten. In den Händen des gewissenlosen Revolutionsschiebers verteuerte sich das Eisen in phantastischer Weise, während eine Organisation, die solchen Auswüchsen wirksam hätte begegnen können, nicht bestand und wegen der völligen Unübersichtlichkeit der Absatzverhältnisse gerade für Eisen und Stahl auch nicht gefunden werden konnte. Mit allem Nachdruck trat unter diesen Umständen die Eisenindustrie für die Aufhebung der Höchstpreise ein. Sie glaubte der Kriegs-Rohstoff-Abteilung und dem Demobilmachungsamt gegenüber die Verantwortung dafür übernehmen zu können, daß der Eisenpreis auch nach der Aufhebung der Höchstpreise nur innerhalb der unumgänglich nötigen Grenzen maßvoll gehoben werden würde. Die Kriegs-RohstoffAbteilung gab diesem Drängen nach und verfügte die Aufhebung der Höchstpreise für den 31. Dezember 1918. Diese übergangslose Freigabe der Eisenpreise war jedoch taktisch unrichtig. In allerkürzester Zeit fiel der ganze Eisenmarkt auseinander. Wieder hielten zwar die Verbandspreise einen gemäßigten Kurs inne, bei den freien Produk-



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ten aber begann sehr schnell eine sprunghafte Aufwärtsbewegung der Preise, die bald jede Norm vermissen ließ. Die Beibehaltung von behördlich anerkannten Richtpreisen, wenn auch in einer weit größeren Höhe als die früheren Höchstpreise, hätte die Preisentwicklung gewiß nicht aufhalten können, doch wären immerhin Handhaben vorhanden gewesen, um die wildeste Preistreiberei — besonders seitens des Schiebertums — zu unterbinden. Zum mindesten hätte der Verbraucher einen gewissen Anhalt in den behördlichen Preisen gefunden. Vom Frühjahr 1919 ab versuchte das Reichswirtschaftsministerium die Eisenpreisbewegung wieder einzufangen. Dies gelang jedoch nur in recht beschränktem Umfange, nicht zum wenigsten deshalb, weil es immer leichter ist, eine wirtschaftliche Entwicklung mit einer gewissen Stetigkeit langsam abzubremsen, als sie wieder in die Gewalt zu bekommen, wenn sie einmal vorübergehend freie Bahn gefunden hat. Im übrigen zeigte auch die Entwicklung der Richtpreise unter dem Reichswirtschaftsministerium nur zu deutlich, daß mit dem sinkenden Geldwert und bei den von Grund auf gestörten Produktionsverhältnissen ein längeres Festhalten der Preise auf einer gewissen Stufe oder gar eine Preisherabsetzung im ersten Revolutionsjahr völlig ausgeschlossen war. Zahlreiche Aufgaben der bisherigen Kriegseisenorganisation fanden mit der Auflösung der Kriegswirtschaft ihre Erledigung. Nur einzelne Teile der behördlichen Eisenbewirtschaftung ragten auch in das Jahr 1919 hinein. Die Bewirtschaftung des Mangans konnte fürs erste nicht entbehrt werden. Die festgefügte und gut eingespielte Organisation erwies sich als durchaus geeignet, auch in der Nachkriegszeit die vorhandenen Vorräte sachgemäß weiter zu verwalten und die Produktion im Inland zu überwachen. Die Manganversorgungsstelle ging deshalb als Friedensorganisation an das Reichswirtschaftsministerium über. Von den typischen Kriegsorganisationen hielten sich die Schrott-, Späne- und Gußbruchorganisation am längsten am Leben. Die Geltungsdauer dieser Organisationen lautete vertragsmäßig bis auf drei Monate nach Friedensschluß, wobei allerdings eine 14monatige Dauer der Friedensverhandlungen nicht vorausgesetzt worden war. Für die Beibehaltung dieser Organisationen weit über die Beendigung der Feindseligkeiten hinaus, bis in das Jahr 1919 hinein, bestand insofern ein Bedürfnis, als Alteisen fast der einzige Rohstoff für die Wiederaufrichtung der Stahlproduktion war, über den die Zentralverwaltung in großen Mengen verfügte. Die Vorräte an Geschossen und anderem Kriegsgerät, die nunmehr nach der Kriegsbeendigung nur noch Alteisenwert besaßen, wurden durch die Eisenzentrale in den Verkehr gebracht; für eine geregelte Verteilung glaubte man sich zweckmäßigerweise der Kriegsorganisationen bedienen zu können. Es zeigte sich jedoch bald, daß diese nicht mehr lebensfähig waren. Die Nachfrage nach Schrott stieg um so mehr, je weniger die Eisenproduktion über andere Schmelzmaterialien verfügte. Der Schrotthändler gab nur zu leicht der Versuchung nach, die Organisationsbestimmungen zurückzusetzen und mit größerem Gewinn an den Höchstbietenden zu verkaufen. Die umfangreiche Sortenliste bot einem Gleiten der Preise Vorschub, da es genügte, dem Material eine andere Gütebezeichnung zu geben, um höhere Preise fordern zu können; der Verbraucher zahlte sie stillschwei-

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gend, wenn er nur überhaupt Material erhielt. Außerdem entstanden Interessenkonflikte zwischen Westen und Osten, die in den gemeinsamen Einkaufsgebieten ganz offen unter Umgehung der Organisationsbestimmungen in Wettbewerb traten. Durch die unerhörte Verschleuderung von Heeresgut kamen ferner große Schrottmengen außerhalb der Organisation in den Verkehr. In vollendeter Kurzsichtigkeit warfen schließlich auch einzelne Heeresstellen (z. B. Siegburg, Spandau, Hoppecke) ihre Alteisenbestände auf den Markt, ohne sich an die gemäßigten Preisfestsetzungen und an die Bestimmungen der Schrottorganisation zu kehren, weil sie im freien Schiebergeschäft wesentlich günstigere Preise für die Heeresverwaltung herauszuschlagen imstande waren. Um die Verwirrung der Alteisenlage zu vervollständigen, erließen Sachsen und Württemberg selbständig Ausfuhrverbote, ohne sich um die Absichten des Reichswirtschaftsministeriums zu bekümmern. Kurz, die Verhältnisse wurden immer regelloser und verworrener. Sämtliche Beteiligte waren sich darüber einig, daß ein weiteres Durchhalten der Organisationen unmöglich war. Trotzdem aber glaubte das Reichswirtschaftsministerium auf ihrer Aufrechterhaltung bestehen zu müssen, da sie sich recht gut in die Formen der Möllendorf-Wisselschen „Planwirtschaft“ einpassen ließen. Erst nachdem dieses System von der Reichsregierung fallen gelassen worden war, gab das Reichswirtschaftsministerium weiteren erfolglosen Widerstand auf; am 26. Juli 1919 fanden die während des Krieges nicht unwirksamen Organisationen ein unrühmliches Ende. Während die Manganerzgesellschaft im Herbst 1919 liquidierte, ging die Eisenzentrale an das Reichsverwertungsamt über, um den Verkauf der mit der Auflösung des Heeres frei werdenden Bestände an Nutz- und Alteisen zu bewerkstelligen. Sie unterstand damit dem Reichsschatzministerium, während sie gleichzeitig auch vom Reichswirtschaftsministerium ressortierte, soweit nämlich die zahlreichen Verträge aus der Kriegszeit abzuwickeln waren. Die Rohstahlausgleichstelle war unmittelbar nach der Aufhebung der von ihr überwachten Verordnungen außer Wirkung getreten. Die Eisensektion, die vorübergehend dem Reichsdemobilmachungsministerium angegliedert worden war, trat im Mai 1919 die laufenden Geschäfte endgültig an das Reichswirtschaftsministerium ab und wurde nach Abwicklung der Kriegsorganisationen am 30. September 1919 aufgelöst. Von den großen eisenindustriellen Verbänden ist nur einer in voller Geschlossenheit aus den großen Erschütterungen der Kriegs- und Nachkriegszeit hervorgegangen: der Roheisenverband. Geschickte Führung und weitsichtige Wirtschaftspolitik rechtfertigten das Vertrauen, das die Regierung und die Öffentlichkeit in ihn setzten. Der Stahlbund diente dem Reichswirtschaftsministerium als Rumpforganisation für die nunmehr wieder lebhaft verfolgte Frage der Syndizierung der gesamten Eisenund Stahlproduktion. Unter dem ungeheuren Druck der Wirtschaftslage fanden sich die Werke der Eisenindustrie einschließlich der B-Produkte sehr bald auf gemeinschaftlicher Grundlage zusammen. Am 10.  April 1919 wurde in Düsseldorf ein alle Thomas- und Martinstahlwerke, sowie die Walzwerke umfassender Spitzenverband



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geschaffen, der unter der Firma „Deutscher Stahlbund“ sowohl dem Namen nach wie in der Organisation an die bereits vor dem Kriege und auch 1915 verfolgten Bestrebungen wieder anknüpfte. Zweck des Verbandes war die Förderung des deutschen Stahlgewerbes, Fühlungnahme mit den Behörden, Pflege der Verbandsbildung, Verfolgung der gemeinsamen wirtschaftlichen Ziele der Mitglieder im In- und Auslande und Zusammenfassung aller Kräfte der Stahlindustrie zum Wiederaufbau der deutschen Volkswirtschaft.

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Deutscher Stahlbund Anlage 12. Düsseldorf, den 1. Dezember 1916.

Rundschreiben Nr. 20. An sämtliche Mitglieder des Deutschen Stahlbundes!

Im Nachgange zu den Rundschreiben Nr.  2, 7 und 11 des Deutschen Stahlbundes werden nach Weisung der Rohstahl-Ausgleichstelle die für den Bezug und die Lieferung von Eisen und Stahl geltenden Richtlinien wie folgt zusammengefaßt und in ihrer Wirksamkeit bis auf weiteres festgelegt. Auszuführen sind nur Lieferungen für Zwecke der Reichsverteidigung. Jede Lieferung, die diesem Zweck nicht dient , entzieht der kämpfenden Truppe Kampfmittel.

A Kriegslieferungen Den Zwecken der Reichsverteidigung dienen an erster Stelle alle Kriegslieferungen. Als solche gelten: 1. die von folgenden Stellen in Auftrag gegebenen Lieferungen ohne weiteres: a) deutsche Militärbehörden, b) deutsche Reichsmarinebehörden, c) deutsche Reichs- und Staatseisenbahnverwaltungen: 2. die von folgenden Stellen in Auftrag gegebenen Lieferungen, wenn sie mit dem Vermerk versehen sind, daß die Ausführung der Lieferungen im Interesse der Reichsverteidigung nötig und unersetzlich ist: a) deutsche Reichs- oder Staats-Post- oder -Telegraphen-Behörden, b) deutsche staatliche Bergämter, c) deutsche Hafenbauämter, d) deutsche staatliche oder städtische Medizinalbehörden, e) sonstige deutsche Reichs- und Staatsbehörden. Soweit Eisen oder Stahl für solche Kriegslieferungen benötigt wird, genügt als Ausweis für den Besteller die Vorlegung des Auftragsschreibens der bestellenden Behörde oder die genaue Bezeichnung des Auftrages (bestellende Behörde, Nummer, Datum und Gegenstand) in der schriftlichen Bestellung. Bei Lieferungen für die unter A 2 genannten Stellen hat der Besteller bei Bezeichnung des Auftrages anzugeben, daß der Auftrag mit dem Vermerk der Notwendigkeit und der Unersetzlichkeit im Interesse der Reichsverteidigung versehen ist. Lagerbestellungen der Verbraucher für Lieferungen nach A bedürfen der Genehmigung der unter Abschnitt  C und D bezeichneten Vertrauensstellen für Eisenlieferung



Deutscher Stahlbund 

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oder der Metall-Freigabe-Stelle (siehe  D). Wegen Lagerbestellungen der Eisenhändler siehe B 10.

B Mittelbarer Kriegsbedarf im weiteren Sinne Nächst den Kriegslieferungen werden als Lieferungen für Zwecke der Reichsverteidigung solche Lieferungen anerkannt, die mittelbar der Beschaffung von Kriegsmaterial und der Beschaffung von sonstigem Material dienen, das für die Erhaltung und Stärkung der deutschen Wehrkraft oder zur Schaffung und Erhaltung unersetzlicher wirtschaftlicher Werte oder zur Befriedigung dringender allgemeiner Bedürfnisse der Volkswirtschaft gebraucht wird. In allen diesen Fällen muß jedoch der Besteller eine schriftliche eidesstattliche Erklärung lt. anhängendem Muster dahingehend abgeben, daß das von ihm angeforderte Material ausschließlich für die hier bezeichneten Zwecke der Reichsverteidigung benötigt wird und Verwendung finden soll. Diese eidesstattliche Erklärung darf abgegeben werden für nachstehende Gruppen von Verwendungszwecken: 1. Herstellung von Kraft- und Werkzeugmaschinen, Geräten und Werkzeugen, die zur Anfertigung von Gegenständen des Kriegsbedarfes dienen, Lieferungen an Erz-, Steinkohlen-, Braunkohlen- und Kalibergwerke, Reparaturen und Neuanlagen für Fabriken, die Gegenstände des Kriegsbedarfes herstellen; Neuanlagen jedoch nur, soweit ihre Notwendigkeit im Interesse der Reichsverteidigung von einer Beschaffungsstelle des Heeres oder der Reichsmarine beglaubigt ist . 2. Beschaffung des notwendigen Ersatzes für die durch die Metall-Mobilmachungsstelle mobilisierten Metalle. 3. Lieferungen zur Aufrechterhaltung des Betriebes von Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerken. 4. Lieferungen zur Aufrechterhaltung des Betriebes von Privateisenbahnen, soweit die Notwendigkeit der Lieferungen durch die zuständige staatliche Eisenbahndirektion bzw. den zuständigen Kommissar schriftlich anerkannt ist . 4a. Lieferungen zur Aufrechterhaltung des Betriebes von Straßen- und Kleinbahnen, soweit die Notwendigkeit der Lieferungen durch den Verein Deutscher Straßenbahn- und Kleinbahnverwaltungen, Berlin, Dessauer Straße 4, schriftlich anerkannt ist . 5. Herstellung von landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten, einschließlich der zugehörigen Kraftmaschinen, Herstellungen von Müllereimaschinen, Getreidespeichern, den dazu gehörigen maschinellen Einrichtungen und Transport- und Trockenanlagen, Einrichtung von Stärke-, Spiritus-, Zuckerfabriken und Molkereien, Anlagen zur Herstellung von Ersatzfutter, Lieferungen an Konservenfabriken und an solche Fabriken, Anlagen und Einrichtungen, die der Volksernährung

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6. 7. 8. 9.

10.

 Das Ende der Kriegseisenwirtschaft

dienen. Bei Neuanlagen erfordert das Interesse der Reichsverteidigung Beschränkung auf die geringste Verbrauchsmenge. Lieferungen, für die beschlagnahmte Rohstoffe bereits von der Kriegs-RohstoffAbteilung freigegeben sind. Lieferungen zur Instandhaltung von Handelsschiffen. Lieferungen für Hufbeschlag der Zugtiere. Ausfuhr nach dem verbündeten oder neutralen Auslande, soweit Ausfuhrgenehmigung oder eine vorläufige Bescheinigung des Kriegsministeriums vorliegt , daß die Ausfuhr voraussichtlich genehmigt wird. Lieferungen zur Auffüllung der Händlerläger, soweit die Notwendigkeit der Lieferungen durch die vom Deutschen Stahlbund anerkannten Vertrauensleute schriftlich bestätigt ist . (Die Namen der betreffenden Vertrauensleute werden noch besonders bekanntgegeben.)

C Sonstiger Bedarf Bestehen Zweifel darüber, ob die Voraussetzungen für die Abgabe einer eidesstattlichen Erklärung gemäß Abschnitt B, Abs. 1—9 vorliegen, oder wird der Zweck einer Lieferung durch keine der dort aufgeführten Verwendungsgruppen gedeckt, so hat der Besteller sich zunächst unter genauer Darlegung des Sachverhaltes an die für seine Industrie- oder Gewerbegruppe zuständige Vertrauensstelle für Eisenlieferung zu wenden und dieser den Nachweis zu erbringen, daß die Ausführung der geplanten Lieferung der Erhaltung und Stärkung der nationalen Wehrkraft, der Schaffung oder Erhaltung unersetzlicher wirtschaftlicher Werte oder der Befriedigung dringender allgemeiner Bedürfnisse der Volkswirtschaft dient. Die Vertrauensstelle für Eisenlieferung ist befugt, unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände nach pflichtmäßigem Ermessen, einen Bezugsschein über bestimmte Mengen auszustellen. Der Besteller hat dem Lieferer schriftlich eidesstattlich zu erklären, daß diese Mengen nur für den von ihm angegebenen und von der Vertrauensstelle genehmigten Zweck verwendet werden sollen. Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Lieferungen von dünnem Schwarzblech (weiches Qualitätsblech in Stärken von 1 mm und weniger) für Konservendosen, Obstmuseimer und -dosen, Fettdosen, Ölbehälter, Speiseträger, Kochapparate, Laternen, Lampen und sonstige Zwecke, die nicht unter Abschnitt A und B fallen, und die Zuteilung von Blechen der bezeichneten Art für diese Zwecke liegt — unter Ausschluß der sonstigen Vertrauensstellen für Eisenlieferung — der vom Kriegsamt (Kriegs-Rohstoff-Abteilung) in das Leben gerufenen Vertrauensstelle für Qualitäts-Feinbleche, Düsseldorf, Mannesmann-Haus, Berger Ufer, ob.



Deutscher Stahlbund 

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Soweit im Vorstehenden unter A—C der Begriff „Lieferungen“ angewendet ist, umfaßt er auch die Ausführung von Arbeiten für den eigenen im Interesse der Reichsverteidigung arbeitenden Betrieb.

D Vertrauensstellen Als Vertrauensstellen für Eisenlieferungen werden die bereits bestehenden Beratungsstellen der Industrie für die Freigabe von beschlagnahmten Sparmetallen anerkannt. Auf der Anlage sind die Anschriften dieser Stellen aufgeführt. Die Errichtung weiterer Stellen bleibt vorbehalten. Die Verhandlungen darüber wird die Metall-FreigabeStelle Berlin NW 7, Sommerstraße 4a, mit den Verbrauchern führen. Anlage zum Rundschreiben des Deutschen Stahlbundes vom 1. Dezember 1916. Nr. 20.

Eidesstattliche Erklärung Für Bestellung auf Eisen und Stahl nach Abschnitt B und C der Richtlinien (Rundschreiben des Deutschen Stahlbundes Nr. 20 vom 1. Dezember 1916.) Ich/Wir47 versicher an Eidesstatt, daß die der Firma…………………………………………………… mit meinem/unserm48 Auftrag Nr. …… vom ………………… bestellten …………………………… (Mengen und Art) benötigt werden zur Herstellung von ……………………………………………… 4950 Abschnitt B, Lfd. Nr. …… der Richtlinien, und daß es sich dabei um dringenden mittelbaren Kriegsbedarf handelt, dessen Befriedigung nach der mir/uns49 auferlegten Leistungsverpflichtung bis ……… zu erfolgen hat. Die Notwendigkeit der Lieferung ist anerkannt von50 ……………………………… durch Schreiben vom ……………………………………

Nur auszufüllen für Bezüge nach Abschnitt B

47 Das Unzutreffende ist zu durchstreichen. 48 Das Unzutreffende ist zu durchstreichen. 49 Das Unzutreffende ist zu durchstreichen. 50 Nur auszufüllen, soweit nach Abschnitt B Prüfung durch eine dritte Stelle vorgeschrieben ist.

270 

 Das Ende der Kriegseisenwirtschaft

und daß es sich dabei um Mengen handelt, deren Bezug für den ange- Nur auszufüllen für Bezüge gebenen Zweck mir/uns51 von der Vertrauensstelle für Eisenlieferung nach Abschnitt C ……………………………………… (genau angeben) durch Bezugsschein Nr. …… vom ………… genehmigt ist. Die Bestellung ist von mir/uns52 mit Mengenangabe (Gewicht) auf dem Bezugsschein vermerkt.

5152 Gleichzeitig verpflichte ich mich/wir uns53, einem Beauftragten des Kriegsministeriums (Kriegsamt) oder des Deutschen Stahlbundes auf Verlangen den einwandfreien Nachweis über die angegebene Bestimmung oder Verwendung des Materials zu erbringen. ……………, den ………… 191… (Ort und Tag)

Firmenstempel: ……………………………… Unterschrift: ……………………………..……

Rohstahl-Ausgleichstelle Tgb.-Nr.: I. Tgb.-Nr.: I.

1418, 214.

3. 4.

17. 17.

An den Roheisen-Verband G. m. b. H.,

RAS. RAS.

Anlage 13.

Berlin SW 11, den 5. 4. 17.

Essen.

Betrifft: Neuregelung der Roheisen-Lieferung durch den Roheisen-Verband. Der Bedarf an Roheisen für Kriegszwecke übersteigt gegenwärtig die Erzeugung. Der Roheisenverbrauch muß deshalb weiter eingeschränkt werden, damit für diejenigen Zwecke, die gegenwärtig im Interesse der Landesverteidigung als die dringendsten anzusehen sind, die erforderlichen Roheisenmengen möglichst voll zur Verfügung gestellt werden können.

51 Das Unzutreffende ist zu durchstreichen. 52 Das Unzutreffende ist zu durchstreichen. 53 Das Unzutreffende ist zu durchstreichen.

Rohstahl-Ausgleichstelle 

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Die Rohstahl-Ausgleichstelle ersucht daher den Roheisen-Verband, in weiterer Einschränkung der Bestimmung, daß Roheisen für die Herstellung von Friedensbedarf nicht abgegeben werden darf, auch Lieferungen von Roheisen für die Erzeugung der nachbenannten Fabrikate bis auf weiteres nicht mehr vorzunehmen:

A I. 1. 2. 3. 4.

Öfen aller Art, insbesondere Öfen zum Kochen und Heizen und Teile dazu, Kochherde und Teile dazu, Kochgeschirre und Kohlenbecken, Fenster aller Art, insbesondere Dach-, Keller-, Fabrik-, Stallfenster und Beschläge dazu, 5. Gasöfen, Gasherde, Gaskocher und Teile dazu, 6. Badewannen, Badeöfen und Teile dazu, 7. Sanitätsguß, insbesondere Ausgußbecken, Spülbecken, Klosetts, Waschbecken, Reihenwaschtische, Spülkästen usw. 8. Zentralheizungsguß, insbesondere Radiatoren, Rippenrohre, Gliederkessel, Rohrleitungen, Formstücke und Verbindungsstücke dazu, 9. Zierguß, insbesondere Gitter, Geländer, Geländersäulen, Grabkreuze, Grabtafeln, Gartenmöbel, Kunstguß usw., 10. Belegplatten, 11. Kleinhandwerkzeug, insbesondere Gewichte, Schusternageleisen, Lochplatten usw., 12. hauswirtschaftliche Geräte, insbesondere Waschmaschinen, Mangeln, Fruchtpressen, Hackmaschinen, Bügeleisen, Bügelofen, Waffeleisen usw., 13. Röhren, insbesondere Druck- und Abflußröhren nebst Formstücken, ausgenommen einzelne Ergänzungsteile, 14. Gußteile für Haus- und Stadtentwässerung, 15. Guß für Bureau- und Schulbedarf, insbesondere Kopierpressen und Kopiermaschinen, Schulbankfüße usw., ausgenommen Schreibmaschinen, 16. Automatenguß (Guß für automatische Verkaufs- und Wiegeeinrichtungen), 17. Bauguß, insbesondere Säulen, Fußplatten, Konsolen, Fensterbänke, Geländer, Balkone, Wegweiser, Stalleinrichtungen, einschl. Krippen, Tröge usw., 18. Spielwarenguß, 19. Guß für Beleuchtung, insbesondere Kandelaber, Wandarme, Kronen, Rosetten, Lampenguß usw. II. 1. Maschinenguß für Textil-, Druckerei-, Buchbinderei-, Holzbearbeitungsmaschinen, Herstellungs- und Bearbeitungsmaschinen für Papier-, Leder-, Gummi-, Fleischereimaschinen, Nähmaschinen usw., soweit diese Gußfabrikate nicht in den unter C angegebenen Fällen freigegeben sind.

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 Das Ende der Kriegseisenwirtschaft

2. Aller Guß für Neubauten und Erweiterungen für friedensindustrielle Betriebe, insbesondere dafür vorgesehene Kraft-, Werkzeugmaschinen und Einrichtungen, ferner für kriegsindustrielle Betriebe, die planmäßig später als Ende August 1917 in Betrieb kommen sollen. III. 1. Schachtringe (Tübbings) und Keilkränze dazu, 2. Pianoplatten.

B Ausnahmen können von dem Beauftragten des Kriegsministeriums beim Roheisen-Verband nach Prüfung des Einzelfalles, der eingehend zu begründen ist , zugelassen werden. Die Anträge werden zweckmäßig über den Verein deutscher Eisengießereien in Düsseldorf oder den Gießerei-Verband E. V., Berlin, geleitet, die bei Gußstücken für Kraft- und Werkzeugmaschinen und Apparate die Metallberatungs- und Verteilungsstelle für den Maschinenbau, Charlottenburg, Hardenbergstraße  2, zur Mitprüfung heranziehen, um eine einheitliche Behandlung der Anträge des Maschinenbaues für Walzeisen und Gußeisen zu erzielen.

C Ohne besondere Genehmigung des Beauftragten des Kriegsministeriums darf Roheisenlieferung nur erfolgen für: 1. alle Gegenstände zur Ausführung von Kriegslieferungen, die von folgenden Stellen in Auftrag gegeben sind: a) b) c) a) b) c) d) e)

deutsche Militärbehörden deutsche Marinebehörden deutsche Reichs- und Staatseisenbahnverwaltungen

deutsche Reichs- oder Staats-, Post- oder Telegraphenbehörden deutsche staatliche Bergämter deutsche Hafenbauämter deutsche staatliche oder städtische Medizinalbehörden sonstige deutsche Reichs- und Staatsbehörden

} ohne weiteres

} wenn sie mit dem Vermerk versehen sind, daß die Ausführung der Lieferungen im Interesse der Reichsverteidigung nötig und unersetzlich ist.

2. Neubauten und Erweiterungen für kriegsindustrielle Betriebe, die mit Sicherheit vor Ende August 1917 in Betrieb kommen werden, insbesondere dafür vorgesehene Werkzeugmaschinen und Einrichtungen.

Rohstahl-Ausgleichstelle 

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3. Neubauten und Erweiterungen von Anlagen zur Herstellung von Aluminium und Ferrosilizium, sowie ihren Vorerzeugnissen ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Inbetriebnahme. 4. Einzelne Maschinen, Apparate, Geräte und Einrichtungen für im Betrieb befindliche kriegsindustrielle Anlagen, deren Ersatz für nachweislichen Abgang notwendig und dringlich ist, um ein Sinken der Erzeugung von Kriegsbedarf zu verhindern. 5. Anlagen, Maschinen und Einrichtungen kriegsindustrieller Betriebe, für welche Sparmetalle von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung freigegeben worden sind. 6. Maschinen für den Bergbau, soweit solche zur Aufrechterhaltung bestehender Betriebe unbedingt erforderlich sind. 7. Maschinen und Geräte zur Papiergarn-Herstellung und Papiergewebe-Herstellung (einschl. sonstiger Kriegsersatzstoffe, wie Nesselfaser u. dgl.) und Maschinen zu deren Weiterverarbeitung. 8. Sägegatter, Kreissägen, Bandsägen, Holzwolle-Maschinen und HolzschuhMaschinen, die für kriegswirtschaftliche Zwecke bestimmt sind. 9. Maschinen, Geräte und Apparate für die Landwirtschaft, sowie Anlagen zur Herstellung von Dünge- und Ersatzfuttermitteln. 10. Müllerei-Maschinen und für die Getreide-Speicherung, Getreidetrocknung und Entkeimung erforderliche Maschinen und Apparate, Bäckereimaschinen. 11. Apparate und Geräte zur Fettgewinnung (Fettabscheider). 12. Gegenstände für Volks- und Fabrikküchen, Krankenhäuser, Lazarette und Heilstätten. 13. Ersatzteile für Anlagen, Einrichtungen und Gegenstände, deren Erhaltung aus kriegswirtschaftlichen Gründen unbedingt erforderlich ist, insbesondere zur Aufrechterhaltung des Betriebes der Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke, des Güterund Personenverkehrs usw. nach Bestellung der Verbraucher. 14. Gegenstände aus Eisenguß, die als Ersatz für die durch die Metallmobilmachungsstelle mobilisierten Metalle erforderlich sind. 15. Guß für Schreibmaschinen. 16. Gegenstände für die Ausfuhr nach dem verbündeten oder neutralen Auslande, soweit Ausfuhrgenehmigung oder eine vorläufige Bescheinigung des Kriegsministeriums vorliegt, daß die Ausfuhr voraussichtlich genehmigt wird. Da die R.A.S. zum Zwecke der Sicherstellung des Roheisenbedarfs für dringende Kriegszwecke Wert darauf legen muß, daß die Einschränkung des Roheisenverbrauchs schnell wirksam wird, soll der Roheisen-Verband ferner bei Abgabe von Roheisen zur Bedingung machen, daß auch das auf Lager befindliche oder auf laufende Abschlüsse noch zu beziehende Roheisen — sei es unmittelbar oder mittelbar vom Verband oder von anderer Seite gekauft — sowie Schrott und Gußbruch nicht zur Herstellung von Friedensbedarf und der bezeichneten Fabrikate Verwendung finden darf.

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 Das Ende der Kriegseisenwirtschaft

Demgemäß wird der Verband ersucht, bei allen Abschlüssen eine eidesstattliche Erklärung von den Verbrauchern zu fordern, daß sie das Roheisen nur noch gemäß der vorstehenden Anweisung verwenden werden. Die Gießereien verlangen ihrerseits von ihren Auftraggebern eidesstattliche Angaben, unter welche Ziffer der nach Abschnitt  C erlaubten Roheisenlieferungen die benötigten Gußstücke fallen, oder Angabe der Verfügung, durch welche der Verbrauch von Roheisen gemäß Abschnitt B ausnahmsweise erlaubt worden ist. Durch diese Verfügung werden die vom Deutschen Stahlbund mit Rundschreiben Nr.  20 vom 1.  12.  1916 bekanntgegebenen Richtlinien, eidesstattlichen Erklärungen und Bezugsscheine, soweit die Verwendung von Roheisen zur Herstellung von Eisenguß in Frage kommt, aufgehoben. Kriegsministerium.

Anlage 14.

Bekanntmachung Nr. E. 50/8. 17. K. R. A., betreffend Beschlagnahme und Bestandserhebung von Stab-, Form- und Moniereisen, Stab- und Formstahl, Blechen und Röhren aus Eisen und Stahl, Grauguß, Temperguß, Stahlguß. Vom 10. Oktober 1917. (Veröffentlicht im Reichsanzeiger am 12. Oktober 1917 Nr. 243.) Nachstehende Bekanntmachung wird hiermit zur allgemeinen Kenntnis gebracht mit dem Bemerken, daß, soweit nicht nach den allgemeinen Strafgesetzen höhere Strafen verwirkt sind, jede Zuwiderhandlung gegen die Beschlagnahmevorschriften nach § 654 der Bekanntmachung über die Sicherstellung von Kriegsbedarf in der Fassung vom 26.  April 1917 (Reichs-Gesetzbl. S.  376) und jede Zuwiderhandlung gegen die

54 Mit Gefängnis bis zu einem Jahre ober mit Geldstrafe bis zu zehntausend Mark wird, sofern nicht nach allgemeinen Strafgesetzen höhere Strafen verwirkt sind, bestraft: 1. ……………; 2. wer unbefugt einen beschlagnahmten Gegenstand beiseiteschafft, beschädigt oder zerstört, verwendet, verkauft oder kauft oder ein anderes Veräußerungs- oder Erwerbsgeschäft über ihn abschließt;

Bekanntmachung 

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Meldepflicht nach § 555 der Bekanntmachung über Auskunftspflicht vom 12. Juli 1917 (Reichs-Gesetzbl. S. 604) bestraft wird. Auch kann der Betrieb des Handelsgewerbes gemäß der Bekanntmachung zur Fernhaltung unzuverlässiger Personen vom Handel vom 23. September 1915 (Reichs-Gesetzbl. S. 603) untersagt werden.

§ 1. Von der Bekanntmachung betroffene Gegenstände. Von dieser Bekanntmachung werden betroffen: sämtliche vorhandenen und neuerzeugten Mengen an Stab-, Form- und Moniereisen, Stab- und Formstahl, Blechen und Röhren aus Eisen und Stahl, Grauguß, Temperguß, Stahlguß.

§ 2. Beschlagnahme. Die Vorräte an den von der Bekanntmachung betroffenen Gegenständen (§ 1) werden hiermit beschlagnahmt. Trotz der Beschlagnahme ist jedoch die Verwendung der beschlagnahmten Gegenstände, sowie die Verfügung über sie allgemein gestattet, sofern sie nicht durch die nachstehenden Anordnungen verboten ist.

§ 3. Meldepflicht. Die von dieser Bekanntmachung betroffenen Gegenstände unterliegen einer Meldepflicht.

3. wer der Verpflichtung, die beschlagnahmten Gegenstände zu verwahren und pfleglich zu behandeln, zuwiderhandelt; 4. wer den nach § 5 erlassenen Ausführungsbestimmungen zuwiderhandelt. 55 Wer vorsätzlich die Auskunft, zu der er auf Grund dieser Bekanntmachung verpflichtet ist, nicht in der gesetzten Frist erteilt oder wissentlich unrichtige oder unvollständige Angaben macht, oder wer vorsätzlich die Einsicht in die Geschäftsbriefe oder Geschäftsbücher oder die Besichtigung oder Untersuchung der Betriebseinrichtungen oder Räume verweigert, oder wer vorsätzlich die vorgeschriebenen Lagerbücher einzurichten oder zu führen unterläßt, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe bis zu 10 000 Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft; auch können Vorräte, die verschwiegen worden sind, im Urteile als dem Staate verfallen erklärt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Auskunftpflichtigen gehören oder nicht. Wer fahrlässig die Auskunft, zu der er auf Grund dieser Bekanntmachung verpflichtet ist, nicht in der gesetzten Frist erteilt oder unrichtige oder unvollständige Angaben macht, oder wer fahrlässig die vorgeschriebenen Lagerbücher einzurichten oder zu führen unterläßt, wird mit Geldstrafe bis zu 3000 Mark bestraft.

276 

 Das Ende der Kriegseisenwirtschaft

Bauwerke. § 4. Verbot der Verwendung für Bauwerke. Verboten ist jede Verwendung von Stab -, Form- und Moniereisen bei Neu-, Erweiterungs- und Umbauten von Bauwerken. Auf die Verwendung für Brücken unter Eisenbahngleisen und für laufende Unterhaltungsarbeiten in Bergwerksbetrieben findet dieses Verbot keine Anwendung. Die Verwendung von Stab-, Form- und Moniereisen für Neu-, Erweiterungs- und Umbauten ist nur gestattet, wenn ein Dringlichkeitsschein mit dem Stempel des Kriegsamts, Bautenprüfstelle, Berlin W 9, Leipziger Platz 13, vorliegt. Die Ausstellung von Dringlichkeitsscheinen ist zu beantragen: 1. für Bauten der Marineverwaltung beim Reichs-Marine-Amt, Berlin W 10, KöniginAugusta-Str. 38—41, 2. für Bauten der Preußischen Heeresverwaltung bei dem Königlich Preußischen Kriegsministerium, Bauabteilung, Berlin SW 68, Zimmerstr. 87, 3. für Bauten der Preußisch-Hessischen Staatsbahnen und der Reichseisenbahnen beim Ministerium der öffentlichen Arbeiten, Berlin W 9, Voßstr. 35, 4. für alle anderen Bauten bei der zuständigen Kriegsamtstelle. An die Stelle des Dringlichkeitsscheines tritt für die Ausfuhr eine Ausfuhrbewilligung des Reichskommissars für Aus- und Einfuhrbewilligung, Berlin, oder eine vorläufige Bescheinigung des Königlich Preußischen Kriegsministeriums, Kriegsamt, Abt. für Ein- und Ausfuhr, Berlin W, Potsdamer Straße 121b, daß die Ausfuhr voraussichtlich genehmigt wird.

§ 5. Meldepflichtige Personen, Meldevorschrift. Eisenkonstruktionsfirmen, Eisenbeton- und Betonbaufirmen haben die bei ihnen am Ersten jeden Monats (Stichtag) lagernden Vorräte an Stab-, Form- und Moniereisen bis zum Zehnten des Monats dem Kriegsamt, Bautenprüfstelle, Berlin W 9, Leipziger Platz 13, zu melden. Nicht zu melden sind Bestände derjenigen Sorten gleicher Form und gleichen Querschnitts, die am Stichtag nicht mehr als 500 kg betragen. Falls die Gewichte nicht aus den Lagerbüchern hervorgehen, ist sorgfältige Schätzung gestattet. Die Meldung hat auf amtlichen Meldescheinen zu erfolgen, die beim Kriegsamt, Bautenprüfstelle, anzufordern sind.

Bekanntmachung 

 277

§ 6. Lagerbuchführung. Eisenkonstruktionsfirmen, Eisenbeton- und Betonbaufirmen haben ein Lagerbuch zu führen, aus dem die Vorräte und jede Änderung der Vorräte an den beschlagnahmten Gegenständen sowie ihre Verwendung ersichtlich sein müssen.

Fabrikationseinrichtungen und Betriebsanlagen. § 7. Verbot der Verwendung für Fabrikationseinrichtungen und Betriebsanlagen. Verboten ist jede Verwendung aller beschlagnahmten Gegenstände zur Herstellung von Fabrikationseinrichtungen und Betriebsanlagen aller Art und aller Gewerbezweige, insbesondere zur Herstellung von Kraft-, Arbeits- und Werkzeugmaschinen, Förder- und sonstigen Transportanlagen, Sicherheits-, Sanitäts-Wohlfahrtseinrichtungen usw. Nicht betroffen von diesem Verbot der Verwendung für Fabrikationseinrichtungen und Betriebsanlagen werden die Mengen der beschlagnahmten Gegenstände, die sich am Tage des Inkrafttretens dieser Bekanntmachung im Gewahrsam eines Verarbeiters oder Verbrauchers befinden, ferner diejenigen Mengen, welche vor dem 25. September einem Unterlieferer in Auftrag gegeben worden sind und von diesem bis zum 18. November zur Ablieferung gebracht werden. Die Verwendung zur Herstellung von Fabrikationseinrichtungen und Betriebsanlagen ist nur gestattet auf Grund einer besonderen Einwilligung, die durch den Beauftragten des Königlich Preußischen Kriegsministeriums bei der Metall-Beratungs- und Verteilungsstelle für den Maschinenbau, Charlottenburg  2, Hardenbergstr.  3, erteilt wird und zwar durch einen Bezugsschein, der den Stempel des Beauftragten trägt. Anträge auf Erteilung der Einwilligung sind von den Herstellern von Fabrikationseinrichtungen und Betriebsanlagen an die Metall-Beratungs- und Verteilungsstelle für den Maschinenbau, Charlottenburg 2, Hardenbergstr. 3, auf den von dieser Stelle zu beziehenden amtlichen Vordrucken und in Abschrift an die örtlich zuständige Kriegsamtstelle zu richten. An die Stelle des Bezugsscheines tritt für die Ausfuhr eine Ausfuhrbewilligung des Reichskommissars für Aus- und Einfuhrbewilligung, Berlin, oder eine vorläufige Bescheinigung des Königlich Preußischen Kriegsministeriums, Kriegsamt, Abteilung für Ein- und Ausfuhr, Berlin W, Potsdamer Str. 121b, daß die Ausfuhr voraussichtlich genehmigt wird. Der Einwilligung bedarf es nicht für die Instandhaltung und Ausbesserung vorhandener Fabrikationseinrichtungen und Betriebsanlagen (Ersatzteile, Reserveteile

278 

 Das Ende der Kriegseisenwirtschaft

für eigene und fremde Betriebe)56 und für einen monatlichen Verbrauch von nicht mehr als 200 kg der beschlagnahmten Gegenstände insgesamt zur Herstellung von neuen Fabrikationseinrichtungen und Betriebsanlagen.

§ 8. Meldepflichtige Personen, Meldevorschriften. Unternehmungen, die gewerbsmäßig oder für den eigenen Bedarf Fabrikationseinrichtungen oder Betriebsanlagen herstellen, haben ihre Bestände an den beschlagnahmten Gegenständen nur auf besonderes Erfordern anzumelden. Die Meldungen sind an den Beauftragten des Kriegsministeriums bei der Metall-Beratungs- und Verteilungsstelle für den Maschinenbau, Charlottenburg 2, Hardenbergstr. 3, auf dessen Erfordern zu richten.

§ 9. Auskunftserteilung. Beauftragten der Militär- und Polizeibehörden ist die Prüfung des Lagerbuches, der Geschäftsbriefe und Geschäftsbücher, sowie die Besichtigung und Untersuchung der Betriebseinrichtungen und Räume zu gestatten, in denen meldepflichtige Gegenstände erzeugt, gelagert oder feilgehalten werden, oder in denen solche Gegenstände zu vermuten sind.

§ 10. Anfragen. Anfragen sind: 1. soweit sie die auf Bauwerke bezüglichen Anordnungen betreffen, an die zuständige Kriegsamtstelle, 2. soweit sie die auf Fabrikationseinrichtungen und Betriebsanlagen bezüglichen Anordnungen betreffen, an den Beauftragten des Kriegsministeriums bei der Metall-Beratungs- und Verteilungsstelle für den Maschinenbau, Charlottenburg 2, Hardenbergstr. 3, zu richten.

56 Als Instandhaltung und Ausbesserung im Sinne dieser Bekanntmachung gilt der Ersatz abgenutzter Teile durch neue Teile gleicher Ausführung in der Weise, daß nach Einfügen der neuen Teile wieder der gebrauchsfertige Zustand des Gesamtgegenstandes erzielt wird. Reserveteile sind Teile vorhandener Maschinen, Geräte und Apparate, die besonderer Abnutzung oder Bruchgefahr unterworfen sind und die deshalb in einem dem Bedürfnis und der Übung des Gewerbezweiges entsprechenden Umfange bereitgehalten werden müssen.



Verordnung des Generalkommandos 

 279

§ 11. Inkrafttreten. Diese Bekanntmachung tritt mit dem 18. Oktober 1917 in Kraft. Gleichzeitig wird die Bekanntmachung Nr. E. 1091/5.17. K. R. A. vom 7. Juni 1917 außer Kraft gesetzt. Berlin, den 10. Oktober 1917. Kriegsministerium. Kriegsamt . Kriegs-Rohstoff-Abteilung. (Zu Nr. E. 143/10. 16 K. R. A.)

Anlage 15.

Verordnung des Generalkommandos betr. Heeresbedarfslieferungen.

Das Heeresinteresse verlangt gegenwärtig, daß die Eisen- und Stahlwerke sowie die Eisenhändler die Anforderungen an Kriegsmaterial — insbesondere den unmittelbaren und mittelbaren Bedarf des Heeres, der Marine, der Staatseisenbahn und — in diesem besonderen Falle auch — den Bedarf der Landwirtschaft (Fabriken landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte, maschineller Einrichtung von Getreide-Mühlen, -Speichern und -Silos, -Trocken- und Transport-Anlagen) an Roheisen, Rohstahl, Halbzeug, geschmiedeten und gewalzten Fabrikaten, Flußeisen und Flußstahlformguß, Grauguß — in erster Linie erfüllen. Alle anderen Rücksichten müssen hinter dieses Erfordernis zurücktreten. Damit die Erfüllung von Lieferungen an obenbezeichnetem Kriegsmaterial sich mit größter Beschleunigung ermöglichen läßt , wird das Kriegsamt (Kriegs-Rohstoff-Abteilung) in Berlin oder eine von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung bezeichnete Stelle an die Firma das Verlangen richten, die Erfüllung anderweitig übernommener Verpflichtungen zu unterlassen. Im Interesse der öffentlichen Sicherheit 57 verbiete ich

57 Das Gesetz über den Belagerungszustand in Verbindung mit dem Gesetz betreffend Abänderung dieses Gesetzes vom 11.  Dezember 1915, sowie das Bayerische Gesetz über den Kriegszustand vom 5. November 1912 in Verbindung mit dem Gesetz vom 4. Dezember 1915 bestimmt, daß wer in einem in Kriegszustand erklärten Orte oder Bezirke ein bei Erklärung des Kriegszustandes oder während desselben vom Militärbefehlshaber im Interesse der öffentlichen Sicherheit erlassenes Ve r b o t ü b e rtritt oder zur Übertretung auffordert oder anreizt, wenn die bestehenden Gesetze keine höhere Freiheitsstrafe bestimmen, mit G e f ä ng n i s b i s z u e i n e m Ja h re bestraft wird, und daß bei Vorliegen mildernder Umstände auf Haft oder auf Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark erkannt werden kann.

280 

 Das Ende der Kriegseisenwirtschaft

solche Lieferungen, deren Unterlassung die genannten Stellen verlangt haben. Die Firma wird gleichzeitig angewiesen, Lieferungsverpflichtungen, durch welche sie in der rechtzeitigen Ausführung von Aufträgen auf Kriegsmaterial behindert wird, den Beauftragten des Kriegsministeriums beim Deutschen Stahlbund in Düsseldorf (Stahlhof) unverzüglich aufzugeben. Diese Meldung hat auch zu erfolgen, wenn es der Firma zweifelhaft erscheint, ob bestellte Stoffe und Gegenstände zur Deckung des Bedarfs an Kriegsmaterial dienen. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung des Königlich Preußischen Kriegsministeriums oder die von dieser bezeichnete Stelle entscheidet endgültig, welche Aufträge als Aufträge auf Kriegsmaterial anzusehen sind. Kriegsministerium

Anlage 16.

Bekanntmachung Ar. E. 452/10. 17. K. R. A.

betreffend Erzeugung des Kriegsmaterials durch Eisen- und Stahlwerke. Nachstehende Bekanntmachung wird auf Grund des § 9b des Gesetzes über den Belagerungszustand vom 4.  Juni 1851 in Verbindung mit dem Gesetz vom 11.  Dezember 1915 (Reichs-Gesetzbl. S. 813) — in Bayern auf Grund des Artikels 4 Ziffer 2 des Gesetzes über den Kriegszustand vom 5.  November 1912 in Verbindung mit dem Gesetz vom 4. Dezember 1915 zur Änderung des Gesetzes über den Kriegszustand — mit dem Bemerken zur allgemeinen Kenntnis gebracht, daß Zuwiderhandlungen mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft werden, sofern nicht nach den allgemeinen Strafgesetzen höhere Strafen angedroht sind und beim Vorliegen mildernder Umstände auf Haft oder auf Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark erkannt werden kann. Auch kann der Betrieb des Handelsgewerbes gemäß der Bekanntmachung zur Fernhaltung unzuverlässiger Personen vom Handel vom 23.  September 1915 (Reichs-Gesetzbl. S. 603) geschlossen werden.

§ 1. Die Eisen- und Stahlwerke haben Aufträge, deren Ausführung von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung des Königlich Preußischen Kriegsministeriums Berlin oder einer von

Bekanntmachung 

 281

dieser bezeichneten Stelle als im kriegswirtschaftlichen Interesse notwendig gefordert wird, unverzüglich auszuführen. Kann ein Werk den Auftrag nur ausführen unter Zurücksetzung anderer Aufträge aus Kriegsmaterial, so entscheidet auf eine dem Werk obliegende unverzügliche Benachrichtigung die Kriegs-Rohstoff-Abteilung oder eine von dieser bezeichnete Stelle über Reihenfolge der Ausführung der Aufträge.

§ 2. Ist ein Werk der Ansicht, daß betriebstechnische Hindernisse der Ausführung des Auftrages entgegenstehen, so kann es innerhalb einer Woche die Entscheidung der beim Deutschen Stahlbund in Düsseldorf zu bildenden Entscheidungskommission anrufen. Die Entscheidungskommission besteht aus einem Vorsitzenden (dem Beauftragten des Kriegsministeriums beim Deutschen Stahlbund, Düsseldorf) und sechs Mitgliedern, von denen je drei von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung und vom Deutschen Stahlbund bestellt werden. Die Entscheidungen ergehen durch Mehrheitsbeschluß der Kommission in Besetzung vom Vorsitzenden und mindestens zwei Mitgliedern, von denen je eines von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung und vom Deutschen Stahlbund bestellt sein muß.

§ 3. Die Bekanntmachung tritt sofort in Kraft.

 Anhang

284 

 Anlage 1



Anlage 1 

 285

286 

 Anlage 1

0

100

200

300

400

500

600

700

800

900

1000

1100

1200

1300

1400

1500

1600

1700

1800

durchschnittl. Monatserz.

1158

1446

587 580 563

600

1915

1412 1424 1412 1407 1372 1360 1348 1394 1332 1320

1916

1917

1355

1411

1468 1467 1436

Roheisen – und Rohstahlerzeugung

1439 1373

1492

1336

395

1919

578 532 473 439

547 557 503

580

733

802

1468 1440 1457 1455 1373 1348 1337

1417

1918

1247 1227 1219 1193 1190 1105 1181 1196 1179 1186 1236 1213 1145 1161 1210 1216 1155 1100 1146 1131 1201 1132 1114 1113 1134 1069 1120 1163 1104 1090 1089 1105 1083 1105 1125 1078 1076 1070 1117 1101 1032 1048 1051 1054 1024 1029 1074 1082 1000 1039 1013 989 989 982 989 987 977 1037 1033 969 1009 990 1015 938 985 937 924 986 909 959 969954 950 902 939 900 944 936 943 853 880 952 928 890 871 938 837 896 881 844 821 817 815 789 774 780 661

1564

Rohstahl Roheisen Walzwerkfertigfabrikate

1489

1531

1607 1628

1531

1634

1520

1600 1587

1914

1914

1915

1916

1917

1918

1919

Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär.

 Anlage 2   287

0

50000

100

150

200

250000

300

350

400

450

500000

550

600

650

700

750000

800

850

900

950

1000000

1050

1100

1150

1200

1250000

1009

1001

1022

1047

1004

1056

951

1013 1011

Bessemer Roheisen

561 564

612

639 643 645

663

684 688

704

762 725 730 725

690

713

717

597

681

714 708

725

759 755 766

584

621

683

710

544

579

640

679

740

760 761

1918

366

459

650

682

731

250 230 231 239 227 221 234 214 219 216 214 207 202 212 206 196 206 200 210 212 204 207 210 205 198 181 210 201 189 184 191 219 219 177 199 194 172 205 207 204 184 188 173 169 191 183 170 164 197 162 161 161 159 149 170 162 166 189 137 143 132 171 174 170 168 154 146 166 183 186 136 180 166 161 164 157 166 128 163 163 160 158 160 128 117 155 151 153 144 147 100 138 125 122 118 114 123 124 109 119 98 112 96 85

494

543 546

601

637 639

668

714

Monatliche Roheisenerzeugung nach Sorten in 1000 t 1915 1916 1917

439

498

325

1043

1914

Gießerei-Roheisen einschl. Hämatit 350 325 314 314 306 302 308 302 290 281 311 300 295 281 300 266 260 Stahleisen, Spiegeleisen, 267 232 244 Fr. Mn. u. Fe. Si. 218 221 216 209 249 207 204 224 213 222 213 216 207 208 214 206 199 194 193

934

1015 1012

Thomas1050 Roheisen 1041 1048 1031 1017 1022

1913

1919

1913

1914

1915

1916

1917

1918

1919

Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug.

288   Anlage 3

0

30

60

90

120

150000

180

210

240

270

300000

330

360

390

420

450000

430

510

540

598

Schlesien 88

73

182 Siegerland u. Hessen-Nassau, Nord-, Ost-, Mittel-, Süddeutschland

202

Saargebiet u. bayer. Rheinpfalz, Lothringen, Luxemburg

Jan.

576

Jul.

600000

633

Apr.

Mär.

Feb.

Mai

1913

Jun.

Jan.

630

Okt.

Sep.

Aug.

Nov. Dez.

88

633

185

Jul.

660

Apr.

Mär.

Feb.

Mai

82

95

48

1914

Jun.

350

353

60

117

Jan.

709

Okt.

Sep.

Aug.

Nov.

Dez.

68

147

1915

391

472

Nov.

710

Apr.

Mär. Feb.

Mai

Jun.

Jul.

Aug.

Sep.

Okt.

Jan. Dez.

Rheinland Westfalen 671

70

138

378

456

Apr.

Mär. Feb.

Mai

Jul.

444

1916

Jun.

61

163

499

55

132

428

524

68

186

451

Jul.

720

Okt.

Sep. Aug.

Nov.

Dez.

Jan.

Feb.

Mär.

Apr.

Mai

1917

Jun.

690

Okt.

Sep. Aug.

257

Nov.

Jan. Dez.

Monatliche Roheisenerzeugung nach Bezirken in 1000 t

Apr.

Mär. Feb.

Mai

Jul. 1918

Jun.

750000

Okt.

Sep. Aug.

Nov.

Jan. Dez.

Anlage 4 

Mär. Feb.

  289

0

40

80

120

140

160

200000

240

280

320

360

400000

440

480

520

560

600000

640

680

720

760

800000

572

652

668

Rohstahlerzeugung nach Sorten in 1000 t (a) 1916 1917

1918

264

250

270

347

686 658 665 658 650 644 645 624 648 642 642645 635 631 642 629 639 654 641 645 614 623 616 638 608 616 607 695 598 613 609 618 591 591 613 621 582 591 575 578 595 597 569 577 564 583 576 590 586 553 567 568 550 563 565 565 545 546 554 544 536 526 540 531 540 529 503 514 510 492 524 520 501 485 496 491 484 480 472 485 449 456 421 442 417 427 420 362 404396 410 374

258

274

598

649 620

646

1915

135 135 133 129 125 127 124 128 128 129 122 117 112 116 115 125 121 121 119 100 123 121 120 113 89 111 113 99 108 99 64 65 67 80 79 61 47 51 68 75 Stahlformguß 31 57 62 65 22 37 46 32 302930 29 30 29 16 18 28 18 17

614

653

Martinstahl-Rohblöcke

865

844 Thomasstahl-Rohblöcke

840

892

934 924 900 904

1914

880

920

980

1914

1915

1916

1917

1918

Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr.

290   Anlage 5

0

50

60

90

120

15800

180

210

240

270

300000

330

360

390

420

Schlesien

867

120

21

54

436

516

Siegerland u. HessenNassau, Nord-, Ost- und Mitteldeutschland, Kgr. Sachsen 139 u. Süddeutschland

Lothringen u. Luxemburg

450 00

480

Saargebiet bayer. Rheinpfalz

Rheinland Westfalen

510

540

570

600000

630

660

690

720

750000

780

810

840

870

900000

552

79

90

228

112 114

304

691

298

104

113

363

689

124

140

816

104

126

686

830

Monatliche Rohstahlerzeugung nach Bezirken in 1000 t

171

131

375

289

1914

1915

1916

1917

1918

1919

Anlage 6 

Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun.

  291

0

50

100000

150

200000

28 60

38

28 80

69

22 74

78

120

Jan.

Grobbleche 70 Weiβ- und Feinbleche (Mittel-, Fein-, Dünn-, 68 unb Dosenbleche) Sonstiges

Röhren Schmiedeeisenstücke

Walzdraht

300000

250

Bandeisen

Träger

Stab- und Formeisen

EisenbahnOberbaumaterial

Granatstahl

350

400000

450

500000

550

600000

650

700000

750

800000

850

900000

950

1000000

1050

1100000

1150

1800000

1250

1900000

Feb.

71

59

31 27 61

25 67

54

19 231

69

101

Mär.

87

77

33 29 68

34 80

70

25 271

104

154

Apr.

67

74

31 28 62

27 72

57

21 255

99

141

Jun.

63

75

33 28 67

80

33

58

21 252

104

149

1917

Mai

68

77

34 28 68

78

31

57

23 260

105

150

1917

Jul.

65

78

34 29 70

31 81

52

23 253

97

149

Aug.

66

83

31 69

36

34 87

44

23 281

102

164

Sep.

78

73

31 67

34

32 81

50

23 259

82

142

Okt.

75

74

34 70

33

33 84

38

24 274

70

169

Nov.

79

72

34 63

37

78

37

37

23 261

46

179

Dez.

59

59

30 54

34

24 23 62

20 224

46

179

Jan.

29

62

57

30

33

22 27 68

21 273

55

207

Feb.

22

63

36 32 56

24 21 61

20 232

69

181

Mär.

28

58

62

38 34

26 64

32

21 242

89

218

Apr.

24

71

32 65

39

34 28 70

20 259

97

248

Jun.

23

71

36 31 65

29 70

42

21 245

109

239

1918

Mai

22

70

65

35

37

27 72

38

22 252

97

251

1918

Erzeugung der Walzwerke an Fertigfabrikaten in 1000 t (nach Sorten).

Jul.

22

70

26 63

39

28 74

35

21 257

95

221

21 Aug.

77

40 30 65

28 71

37

21 260

105

229

20 Sep.

72

37 26 61

29 65

36

20 256

90

212

18 Okt.

70

37 26 61

27 66

41

21 242

76

206

39 13 Nov.

33

28

16 38

59

10 175

50

69

Dez.

29

34

14 28

51

136

47

292   Anlage 7

0

100000

200

300

400

500000

600

700

800

900

1000000

1100

1200

1300000

11 16 31 22 43

74

62

53

12 15 28 25 49

74

75

61

12 18 32 31 53

83

81

69

56

12 17 39 30

83

89

70

13 17 42 26 55

77

546

1915

1916

I–VII VIII–XII I–VII VIII–XII Jan.

Luxemburg 51 ElsaßLothringen 64 Saargebiet u. bayer. Rheinpfalz

Schlesien Süddeutschland Kgr. Sachsen Nord-, Mitt.Deutschland Siegerland u. Hessen-N.

Rheinland Westfalen 463

519

537

549

Feb.

60

52

10 13 39 19 45

73

499

Mär.

89

70

24 53

10 17 48

83

618

Apr.

76

68

25 30

12 13 45

76

569

Mai

82

77

13 14 47 29 49

78

598

Jul.

78

70

11 17 42 27 32

80

1917

Jun.

85

75

37

15 17 46 29

74

584

592

81

69

28 47

13 17 46

82

570

Aug. Sep.

90

81

50

28

52

15 10

83

603

Okt.

83

68

48

12 19 49 27

86

597

Nov.

79

60

18 17 47 26 34

83

578

Dez.

Jan.

71

54

58 74

12 16 42 18 36

84

10 11 44 19 29

74

501

526

Feb.

70

40

12 15 41 21 35

73

511

Mär.

81

71

36

12 14 45 23

76

561

Apr.

84

84

26 49

50

12 17

80

580

Erzeugung der Walzwerke an Fertigfabrikaten nach Bezirken in 1000 t

Mai

84

83

24 53

51

Jul.

82

78

26 54

13 18 48

81

550

1918

Jun.

83

82

53

28

13 19 12 18

79

576

54

82

580

76

65

26 52

51

12 20

77

546

Aug. Sep.

82

73

28 52

52

12 19

86

580

10

Okt.

74

52

26 41

50

11 17

76

543

38

20

11

31

241

Nov. Dez.

32

43 8

5 14 34 4 10 21

49

318

Anlage 8 

1913

125

104

35 56

47

16 22

93

661

Binnen-Bez.

Südw.-Dtschl.

  293

294 

 Anlage 9 Durchschnittliche arbeitstägliche Erzeugung in t 1917

1918

70000

65000

60000

58922

58568

58288 55000

54127

50000

54897

54236

55272 55216

54925 53314

53947

53429

53481

54927

53319

51034

50426

50045

58194

56626

49733

46117 45000

40000

40639

30297 39564 39433 39476 38385 38257 38143 37722 38105 37800 37200 36834 38219 36422 37933 37721 36966 35977 37254 37321 36646 36893 36845 35634 36150 34210 34717 35178 33866 33976 34929 34117 33519 33591 33698 32961 32037 33093 31885 31513 37321

35000

30000

38650

30115

25000

24447

23232

22188 22213

21877 20000

18969 16896 17182 16437 1622016888

15000

10000

1918

Feb.

Mär.

Jan.

Dez.

Okt.

Nov.

Sep.

Jul.

Aug.

Mai

Jun.

Apr.

Mär.

Jan.

Feb.

Dez.

Okt.

Nov.

Sep.

Jul.

1917

Aug.

Mai

Jun.

Apr.

Mär.

Jan.

Feb.

Flußstahl Walzwerkfertigfabrikate Roheisen

5000

550

0

50

100 000

150

200 000

250

300 000

350

400 000

450

500 000

Andere Bezirke

Dill-Hessen-Lahn

Siegerland

Ilseder Hütte

Luxemburg

Lothringen

1917

40

63

83

64

93

42

60

75

61

81

46

64

78

58

77

49

70

83

75

92

49

68

78

68

82

54

78

87

66

93

210

50

74

80

64

75

298

47

71

80

66

54

333

51

75

82

67

86

365

17 35 138

47

69

75

56

86

353

144

67

54

80

87

56

86

348

362

167

47

70

71

44

86

320

368

398

144

49

76

83

48

86

316

368

138

58

Jan.

600 000

388

134

162

Feb.

650

119

134

151

Mär.

700 000

100

64

67

Apr.

750

23 42

42

176

Mai

800 000

23 25 140

154

Jun.

850

73

Jul.

900 000

P-arm (unt. 0,3 P) 38 Schwedenerz73 Einf. P-reich (üb. 0,3 P) 112 Bergverwaltung Homecourt

146

Aug.

950

131

192

Sep.

1050

272

Okt.

1000 000

260

106

Nov.

1100 000

133

Dez.

1918

40 40

42 41

52

79

61

58

274

42

58

80

59

46

295

83

41

65

84

66

70

318

41

64

77

62

80

294

138

160

67

40

61

78

71

82

340

137

229

58

37

62

83

70

84

325

159

181

250

74

62

84

68 69 85

77

310

160

76

290

18 40 124

168

47

50

297

104

62 60

82

62

71

297

17 28 180

22 50

343

72

Anlage 10 

Jan.

1150

275

Feb.

124

Mär.

1200 000

Apr.

134

Mai

1250

Jun.

1350

Jul.

1300 000

Aug.

Erzförderung und Einfuhr in 1000 t

Sep.

1400 000

Okt.

  295

Otto Goebel Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe

Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918

Drei Studien der Wissenschaftlichen Kommission des Preußischen Kriegsministeriums und ein Kommentarband Herausgegeben von Marcel Boldorf und Rainer Haus

Band 3

Otto Goebel

Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe

Herausgegeben von Marcel Boldorf und Rainer Haus

Dieser Band sollte 1922 ursprünglich als Band 6 der von Max Sering herausgegebenen volkswirtschaftlichen Untersuchungen der ehemaligen Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission des Preußischen Kriegsministeriums erscheinen.

ISBN 978-3-11-044828-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-045112-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-044859-7 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Michael Peschke, Berlin Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Im Herbst 1915 wurde vom damaligen stellvertretenden Kriegsminister Generalleutnant von Wandel die „Wissenschaftliche Kommission des Königl. Preußischen Kriegsministeriums“ unter meinem Vorsitz eingerichtet und ihre Aufgabe später so formuliert: Sie sollte 1. „in streng geschichtlicher Darstellung die wirtschaftlichen Maßnahmen des Kriegsministeriums während des Krieges schildern und klarstellen, aus welchen Beweggründen sie hervorgingen, welche Ergebnisse sie zeitigten, welche Änderungen sich als notwendig erwiesen,“ 2. „die volkswirtschaftlichen Voraussetzungen und Wirkungen der deutschen Heereswirtschaft untersuchen, auf dieser Grundlage zu den Maßnahmen des Kriegsministeriums kritisch Stellung nehmen und die gemachten Erfahrungen würdigen.“ Der Kommission gehörten im Anfang 3, zum Schluß des Krieges einige 20 Mitglieder an, durchweg Männer der Wissenschaft aus verschiedenen Berufen, dazu die erforderlichen wissenschaftlichen und technischen Hilfskräfte. Den Mitgliedern standen alle Mittel zur Aufhellung der kriegswirtschaftlichen Vorgänge und Zusammenhänge zur Verfügung. Ihren Untersuchungen und Darstellungen wurde die volle Unabhängigkeit zugesichert und gewährt. Unter Teilnahme von hervorragenden Sachverständigen fanden regelmäßige Sitzungen statt, in denen der vorgetragene Stoff eingehend durchgesprochen wurde. Aus diesem Grunde sind manche Gedanken als Gemeineigentum der Mitglieder anzusehen. Doch trägt jeder Verfasser allein die Verantwortung für die Darstellung des ihm zugewiesenen Gebietes. Mit dem alten Heere kam auch die Wissenschaftliche Kommission zur Auflösung. Seitdem fehlt jede Beziehung zu einer amtlichen Stelle. Die ehemaligen Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission haben ihre Arbeiten als Privatleute zu Ende geführt. Sie haben dabei die volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte, die sie von Anfang an besonders berücksichtigt hatten, ganz in den Vordergrund treten lassen. Berlin, den 1. Juli 1922.

M. Sering.

VI 

 Vorwort

Der Krieg ist verloren, die Rolle der deutschen Kriegswirtschaft ist ausgespielt, aber noch bleibt die Bedeutung der Kriegswirtschaft als Beispiel einer gebundenen Wirtschaft innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftsorganismus. Nach dieser Richtung ist keines der Einzelgebiete der Kriegswirtschaft so verwickelt und daher so lehrreich für das Eindringen in das Wesen der Kriegswirtschaft und damit aller gebundenen Wirtschaft überhaupt wie das der Spinnstoffe, von dem dieser Band handeln soll; auf keinem ist eine auch nur annähernd ähnlich große Zahl von Heeresstellen und Kriegsgesellschaften beteiligt gewesen. Im Rahmen einer gleichmäßig abgewogenen Gesamtdarstellung des Verlaufs der Spinnstoffbewirtschaftung würde bei dem gegebenen beschränkten Umfang dieses Bandes die Darstellung der Organisation und einiger anderer entscheidender Besonderheiten nicht so in die Einzelheiten ausgedehnt werden können, wie es wünschenswert erscheint. Ich habe deshalb den Ausweg gewählt, an ein knapp gehaltenes Gesamtbild eine Reihe voneinander unabhängiger Kapitel anzuschließen, in denen wichtige Ausschnitte aus der Spinnstoffbewirtschaftung ausführlicher dargestellt werden, als es sonst der Fall sein könnte. Dazu veranlaßt mich auch der Umstand, daß die Richtlinien und theoretischen Zusammenhänge der gesamten Kriegswirtschaft ausführlich in den allgemeinen Bänden des Gesamtwerkes, von dem dieser Band nur einen Teil bildet, behandelt werden, ferner der Umstand, daß zwei andere Herren mit selbstständigen Kapiteln zu Wort kommen sollten. Es kommt aber für mich noch ein Weiteres entscheidend hinzu: So wertvoll allgemeine Gesichtspunkte sind, so gewiß fehlt es doch ihnen gegenüber nur zu oft an Darstellungen, die dem Leser zeigen, welch ein weiter Weg von allgemeinen Gedanken bis zur Umsetzung in die Wirklichkeit ist. Daß eine Möglichkeit dieses Einblicks in Einzelheiten dringend notwendig ist, wird niemand bezweifeln, der praktisch mit Organisationswesen zu tun hat, und der weiß, ein wie großer Teil der abfälligen Kritik der Kriegswirtschaft auf eine Verkennung dieser Schwierigkeiten zurückgeht. Daher habe ich bewußten Verzicht auf eine gleichmäßig abgerundete Darstellung des Ganzen zugunsten dieser Zusammenhänge geleistet. Darin mögen manche einen Mangel meiner Darstellung sehen, andere, so hoffe ich, einen Vorzug. Bei der Sammlung und Sichtung des ungeheuren Stoffs haben mich meine beiden damaligen Assistenten, die Herren Dipl. merc. Robert Schlösser und Dr. jur. H. Gellner getreulich unterstützt. Selbständig ist das Kapitel IV, „Organisation des Spinnstoffgewerbes“, von Dr. Ernst Wiedemann–Nürnberg und das Kapitel VI, „Preise und Unternehmergewinne“, von Robert Schlösser–Düsseldorf, verfaßt. Prof. Dr. Otto Goebel–Hannover.

Abkürzungen K.M. K. K.R.A. B. 3 B.B.A. Wumba A.O.K. Saz. K.W.B. R.d.J. Z.E.G. B.G.B. A.V.Bl.

= = = = = = = = = = = = =

Kriegsministerium. Kriegsamt. Kriegs-Rohstoff-Abteilung. Bekleidungs-Abteilung. Bekleidungs-Beschaffungs-Amt. Waffen- und Munitions-Beschaffungs-Amt. Armee-Oberkommando. Ständiger Ausschuß für die Zusammenlegung von Betrieben. Kriegswollbedarf-A.-G. Reichsamt des Innern. Zentral-Einkaufs-G. m. b. H. Bürgerliches Gesetzbuch. Armee-Verordnungsblatt.

Inhalt  1

Kapitel I Überblick 

Von Prof. Dr. O. Goebel Vielseitigkeit des Heeresbedarfs an Spinn- und Webstoffen. Mangelnde Kenntnis der Bedarfsmengen im Kriege. Umfang und Standorte des deutschen Spinnstoffgewerbes und Schaubild. Die benötigten Spinnstoffe und ihre Herkunft

Erste Maßnahmen nach Ausbruch des Krieges 

 8

Fehlende Kriegsvorbereitungen. Umstoßung der Friedensvorschriften für die Heeresbeschaffungen. Erste Maßnahmen der Kriegs-Rohstoff-Abteilung. Wolle und Jute als die ersten „Sparstoffe“. Erste Beschlagnahmen im besetzten Gebiet

Bedingtheiten und Stufenfolge der Kriegsbewirtschaftung 

 12

Veränderungen in der Lage des Spinnstoffgewerbes durch den Krieg. Wege der Kriegsbewirtschaftung

Bedarf und Bedarfsdeckung 

 15

Inländische Rohstoffvorräte bei Kriegsbeginn. Ergänzungen aus den neutralen, verbündeten und besetzten Gebieten. Erfassung der Vorräte. Größe der Einfuhr. Hebung der Neuerzeugung von Spinnstoffen. Heranziehung der Alt- und Abfallstoffe. Ersatzstoffe. Fertigbestände. Sparwirtschaft und Schaubild. Kontingente und Schaubild

Verwaltungsaufbau 

 28

Anpassung an die Aufgaben. Die Kriegsgesellschaften und Schaubild. Die allmähliche Einschränkung ihrer Selbständigkeit. Die Spinnstoffsektionen der K. R. A. und Schaubild. Aufbau des militärischen Beschaffungswesens. Verwaltungsaufbau für den bürgerlichen Bedarf

Arbeitsweise 

 34

Haupthilfsmittel der Durchführung der Kriegsbewirtschaftung. Innere Geschäftsführung der Kriegsgesellschaften

Preise und Finanzen 

 35

Baldiges Einsetzen von Preissteigerungen. Die verschiedenen Preisarten. Einwirkung der Stillegungen der Betriebe auf die Preise. Verschiedenartiger Verlauf der Preisentwicklung bei verschiedenen Spinnstoffen. Finanzierungsfragen. Rechnungslegung und Rechnungsprüfung

Arbeiterfrage 

 40

Abnahme des Beschäftigungsgrades. Textilarbeiterfürsorge. Lohnkämpfe gegen Schluß des Krieges

Allgemeine Wirkungen für Handel und Gewerbe 

 41

Gewinne der Industrie und Schaubild. Entwicklung der betriebstechnischen Verhältnisse. Wirkungen auf den Handel. Wirkungen auf den privaten Organisationsaufbau. Rückwirkungen auf die Behörden. Gesamtergebnis der Kriegsbewirtschaftung

Kapitel II Erste Bewirtschaftung der Wolle in den besetzten Gebieten  Von Prof. Dr. O. Goebel

Verwertung der auf Transport oder in Grenzzollämtern befindlichen Ware   46 Östlicher Kriegsschauplatz   47

 46

Behandlung der Vorräte in Sosnowice, Tschenstochau und Lodz. Militärische Beitreibung oder freier Aufkauf? Beschäftigung der Industrie in den besetzten Gebieten

X 

 Inhalt

Westlicher Kriegsschauplatz   50 Erste Wollsitzung im Kriegsministerium  Kommission für Verviers   52 Die einsetzende Spekulation   53

 51

Grad der Preissteigerungen. Wechselnde Stellungnahme der Behörden

Entsendung eines ständigen Kommissars des Kriegsministeriums nach Brüssel   55 Grundsätzliche Änderung der Stellungnahme in Berlin   55

Beibehaltung der Freigaben in Verviers. Beschlagnahme aller sonstigen Vorräte

Zahlung für die in Verviers beschlagnahmten Wollen  Verzögerungen der Zahlungen

Vorräte in Nordfrankreich 

 58

 59

Die allgemeine Beschlagnahme auch für Nordfrankreich

Dauer der Wollverladungen   59 Vorschläge zur Erfassung versteckter Wollen   60 Inbetriebsetzungen von Fabriken in Belgien und Frankreich   61 Stellungnahme der deutschen Interessenten gegen Abtransport und Preisfestsetzung der beschlagnahmten Wollen   62

Äußerungen von Handelskammern. Anzweiflung der Rechtsgültigkeit der Beschlagnahmen und Preisfestsetzungen seitens des Handels und der Industrie. Nachprüfung des Standpunkts des Kriegsministeriums

Kapitel III Bedarf und Bedarfsdeckung 

 68

Von Prof. Dr. O. Goebel Quellen der Bedarfsdeckung. Arten des Bedarfs

Die Aufstellung von Wirtschaftsplänen 

 70

Bedarfsstufen verschiedener Dringlichkeit. Anfängliches Fehlen eines sicheren Überblicks. Dreijähriger Wirtschaftsplan ab 1916

Die Sparpolitik 

 72

Hauptwege der Sparwirtschaft. Schwierigkeiten der Ermittlung des unentbehrlichen Bedarfs. Ausstellungen über die Vielseitigkeit des Heeresbedarfs und des kriegswirtschaftlichen Bedarfs. Kontingente8 und Schaubild

Der Bedarf an Wolle 

 80

Verhältnis der Rohstoffmengen zur Zahl der auszurüstenden Mannschaften. Wirtschaftsplan und tatsächliche Aufwendungen. Schwierigkeiten der Ermittlung der Mengen der verschiedenen Spinnstoffe in gleichen Gegenständen je nach dem Zeitpunkt der Anfertigung

Der Bedarf an Baumwolle 

 86

Der Bedarf an Bastfasern 

 88

Der Wirtschaftsplan nur erster Wegweiser. Feststellung der noch möglichen Beschaffungszeiträume für unentbehrliche Baumwollstoffe. Aufstellung über die wichtigsten Baumwollanforderungen der Heeresstellen Gegenseitige Vertretbarkeit der Bastfasern untereinander und mit Baumwolle. Aufstellung über die wichtigsten Bastfaseranforderungen der Heeresstellen

Der Bedarf an Spinnstoffen aus Lumpen 

 91

Inhalt 

Der Bedarf an Spinnpapier und Stapelfaser 

 XI

 91

Geringe Entwicklung der Papierspinnerei bei Kriegsbeginn

Der Bedarf an Seide 

 94

Zündertuche. Pulverbeutelstoffe. Sonstige Verwendung von Seide

Ein Beispiel besonderer Schwierigkeiten und Ergebnis  Kapitel IV Organisation des Spinnstoffgewerbes   98 Von Dr. E. Wiedemann

Organisationsgrundlagen 

 96

 98

Organisationsfähigkeit der Textilindustrie. Allgemeine Interessenverbände, Arbeitgeberverbände, Kartelle. Zwischenhandel

Einwirkung des Kriegs auf die Organisation im allgemeinen 

 100

Konzentration der Interessen in den Industrieselbstverwaltungskörpern und den Interessenverbänden

Einwirkung auf die einzelnen Spinnstoffgruppen  A.

 102

Wollgewerbe. Kriegswirtschaftliche Organe. Lieferungsverbände. Interessenverbände im Handel und im Gewerbe. Kartelle B. Baumwollindustrie. Kriegswirtschaftliche Organe. Interessenverbände des Handels. Interessenverbände des Baumwollgewerbes C. Zwischenbranchen. Wirtschaftliche Vereinigungen, Kartelle D. Die Veredelungsindustrie. Interessenverbände, Kartelle E. Bastfaserstoffe. Kriegswirtschaftliche Organe. Interessenverbände des Gewerbes. Händlervereinigungen. Kartelle. Organisation der Wäscheindustrie F. Seide. Organisation des Gewerbes und des Handels G. Übersicht. Organisation des Handels. Das Kartellwesen Interessenzusammenschluß im Gewerbe

Organisationsförderung durch Einbeziehung von Behelfs- und Ersatzstoffen   113 A. B.

Kunstspinnstoffe. Kriegsbewirtschaftung der Lumpen. Interessenverbände, Kartelle Papier. Kriegswirtschaftliche Organe. Interessenverbände. Konventionen, Konzerne

Zusammenschluß des Gesamtgewerbes 

 117

Landesverbände. Zusammenschluß der Veredelungsindustrie und des Detailhandels

Ausblick   117 Kapitel V Stillegung und Zusammenlegung der Betriebe 

 118

Von Prof. Dr. O. Goebel Anfänglicher Glaube an eine beschränkte Kriegsdauer. Hilfsdienstgesetz und Errichtung des „Saz“. Die Stillegungen als „freiwillige“ Maßnahmen. Druckmittel zur Durchführung. Technische Schwierigkeiten

Die Stillegungen im Wollgewerbe 

 122

Vorarbeiten. Richtlinien. Berechnung für die Kammgarnspinnerei. Berechnung für die Streichgarnspinnerei. Berechnung für die Weberei und Tuchfabrikation. Neue Fassung der Richtlinien. Theoretische Zahl der erforderlichen Höchstleistungsbetriebe

Stellungnahme der industriellen Verbände 

 127

Standpunkt des Vereins der Wollkämmer und Kammgarnspinner. Standpunkt des Verbandes der sächsisch-thüringischen Webereien

Einigung im Wollgewerbe 

 131

XII 

 Inhalt

Durchführung der Stillegungen 

 132

Undurchführbarkeit des theoretischen Ergebnisses. Neue Auffassung über Höchstleistungsbetriebe. Nachprüfung des ganzen Stillegungsvorgangs infolge der Kohlennot. Nochmalige Durchberatung der Stillegungen in der Wollindustrie

Stillegungen in anderen Zweigen des Spinnstoffgewerbes  Baumwollindustrie. Bastfaserindustrie. Papiergarnindustrie

Die Entschädigungsfrage   136 Kapitel VI Preise und Unternehmergewinne 

 138

Von Dipl. merc. R. Schlösser

A Allgemeiner Teil Die Preisentwicklung vor dem Kriege 

 135

 138

Preisrückgang bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Dann Tendenz zur Preissteigerung bis Kriegsausbruch. Einfluß des Mordes von Sarajewo und des österreichischen Ultimatums auf die Preise. Gleiche Preisentwicklung im In- und Ausland

Preisgrundlagen und Preispolitik im Kriege 

 141

In den ersten Wochen des Krieges Stocken des Wirtschaftsverkehrs. Nur Heeresverwaltung kauft und zahlt „jeden Preis“. Große Preissteigerung. Vergeblicher Appell an die Moral und den Patriotismus der Unternehmer. Unsicherheit über die zu treffenden Maßnahmen. Hilferufe. Kurz vor Weihnachten die ersten Spinnstoffhöchstpreise, und zwar für Wolle. Preisbeeinflussende Faktoren

Die Unternehmergewinne 

 184

Die direkten Ursachen die hohen Kriegsgewinne: die Plötzlichkeit der Bedarfswerdung und die Dringlichkeit (Eiligkeit) der Bedarfsdeckung. Das Preisgesetz der höchsten Kosten bzw. das Einheitspreissystem. Die Entschädigung der stillgelegten Betriebe. Das Anreizpreissystem; das System des „Einheitsrendements“. Risiko und Risikoprämien; Verärgerungsprämien; schnellerer Kapitalumschlag. Verspätung der Mengenund Preismaßnahmen; Teilbeschlagnahmen; Dezentralisation der Beschaffung; Schwierigkeit der Nachprüfung der Selbstkosten. Ausbeutungspolitik von Unternehmern gegen den Staat. Ausbeutung von Arbeitern und Angestellten durch Unternehmer; Interessenwirtschaft; Korruption; geringere Geschäftsmoral der Unternehmer speziell gegenüber dem Staate; Kartellpolitik; Notwendigkeit vorzeitiger Bekanntgabe von Maßnahmen an die Berater; günstige Handelsgeschäfte und Finanztransaktionen. Munitionsherstellung; Zivilaufträge; Schleichhandel. Gewinne der verschiedenen Unternehmungen sehr verschieden. Handelsgewinne vielfach nicht minder groß als die Gewinne der Industrie: Gewinne an Vorräten aus der Vorkriegszeit, Gewinn infolge dauernder Preissteigung, lohnender Beschäftigung im Sammelhandel usw. Feststellungsmöglichkeit der Gewinne? Bilanzen der Aktiengesellschaften. Technik der Bilanzverschleierung. Der Fehlschlag der Kriegsgewinnsteuer. „Man darf die Industrie nicht verärgern.“

B Besonderer Teil Preisbewegung und Preispolitik bei Wolle   195 Preisbewegung und Preispolitik bei Baumwolle   212 Preisbewegung und Preispolitik bei Lumpen   226

Inhalt 

Kapitel VII Verhältnisse der Arbeitnehmer 

 XIII

 238

Von Prof. Dr. O. Goebel Richtung und Bedeutung der Maßnahmen ergaben sich aus der großen Zahl der beteiligten Arbeitnehmer

 238

Allgemeine Arbeitsverhältnisse im Spinnstoffgewerbe 

Entlohnung. Arbeiterorganisationen. Arbeitszeit und Arbeiterschutz

Wirkungen des Kriegsausbruchs 

 241

Arbeitsstockung während der Mobilmachung. Späterer dauernder Beschäftigungsrückgang

Verschiedene Wirkungen des Krieges auf die einzelnen SpinnstoffgewerbeGruppen   242 Vorübergehende Hochkonjunktur in den meisten Gruppen. Verschiedene und sich ungleichmäßig entwickelnde Lage für die Woll-, Baumwoll-, Bastfaser- und Seidenindustrien im weiteren Verlauf des Krieges

Erste Maßnahmen gegen die Notlage der Arbeiter 

 243

Betätigung der Arbeiterorganisationen. Betätigung der Unternehmer. Betätigung von Wohlfahrtsvereinen. Die Wohlfahrtszentrale in Barmen. Grenzen der Wirksamkeit der Wohlfahrtsveranstaltungen

Behördliches Eingreifen   247 Zuständigkeit in Lohnfragen   247 Maßnahmen des Ingenieur-Komitees 

 248

Sandsacknäherei durch Kriegerfrauen. Versuche, die Arbeitszuweisung und die Lohnfragen durch Einfluß auf die Verträge zu regeln. Eigene Vergebung von Sandsacknäharbeiten durch das Ingenieur-Komitee. Kriegsausschuß für Heimarbeit. Umfang der Sandsacknäherei

Regelung der Näharbeit für die Heeresbekleidung 

 251

Lohnklauseln in den Verträgen der Kriegsbekleidungsämter. Umfang der Näharbeiten

Von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung ausgehende Maßnahmen 

 253

Verbot des Zuschneidens mit mechanisch angetriebenen Maschinen. Vermehrung der Arbeit bei gleichzeitiger Schonung der Rohstoffbestände. Verkürzung der Arbeitszeit in Spinnereien und Webereien

Öffentliche Unterstützungsmaßnahmen 

 255

Die „Allgemeine Textilarbeiterfürsorge“ 

 256

Kriegerfrauen-Unterstützung und allgemeine Erwerbslosenfürsorge. Höhe und Verschiedenheit der Unterstützungssätze Keine gesetzliche Festlegung der Sätze; nur Richtlinien. Verschiedenartigkeit in den einzelnen Bundesstaaten

Die Höhe der Sätze 

 258

Aufstellung über in verschiedenen Gegenden übliche Sätze. Gründe für die Verschiedenheiten

Durchführung und Wirkung der Textilarbeiterfürsorge 

 260

Umfang im Höhepunkt der Unterstützungen. Schwierigkeiten einer gerechten Durchführung

Änderung der Lage nach Einführung des Hilfsdienstgesetzes  Lohnforderungen. Kriegsbedarfstafel

 261

XIV 

 Inhalt

Höhe der Löhne 

 263

Unsicherheit der Angaben. Beispiele von Lohnaufstellungen und Erörterung ihrer Mängel. Verschiedenartigkeit der Löhne in einzelnen Spinnstoffgruppen. Standpunkt der Arbeitgeber gegenüber den Lohnforderungen

Angemessene Löhne und Mindestlöhne 

 269

Aufnahme des Begriffs „angemessene Löhne“ in die Heereslieferungsverträge. Meinungsverschiedenheiten über den Begriff des angemessenen Lohns. Mehrbewilligungen bei Beschaffungspreisen zum Zweck von Lohnerhöhungen. Mindestlöhne. Beaufsichtigung der Löhne

Wirkung der Kalkulationserhöhungen  Sonstige Arbeiterforderungen   274

 272

Zusammensetzung der Ausschüsse und Schiedsgerichte. Arbeitszeitfragen. Arbeiterschutz. Ernährungswünsche

Verhalten der Arbeiterschaft   276 Lage der Angestellten   278 Kapitel VIII Amtlicher Verwaltungsaufbau  (nach dem Stande vom 1. August 1918) Von Prof. Dr. O. Goebel

Allgemeines 

 279

 280

Die Rohstoffbewirtschaftung und das Beschaffungswesen von Spinn- und Webstoffen. Wichtigste an der Beschaffung und Verwaltung von Spinn- und Webstoffen beteiligte Zentralbehörden im Inland. Die Abteilungen des preußischen Kriegsministeriums, die mit der Beschaffung und Verwaltung von Spinn- und Webstoffen zu tun hatten und Schaubild. Die Militärbefehlshaber im Inland

Rohstoffbewirtschaftung durch das Pr. Kriegsministerium bzw. das Kriegsamt   286

Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung (K. R. A.) und ihre für das Spinnstoffgewerbe wichtigsten Sektionen. Unterabteilung Webstoffe und Schaubild. Kurze Beschreibung der allgemeinen Sektionen der Unterabteilung Webstoffe. Die Fachsektionen der Unterabteilung Webstoffe. Am 1. August 1918 auf dem Spinnstoffgebiet in Tätigkeit befindliche, auf Anordnung der K. R. A. von Kriegsgesellschaften finanzierte Amtsstellen und die der K. R. A. nachgeordneten Kriegsgesellschaften, Kriegsausschüsse usw. Das Verzeichnis derselben. Beschreibung der einzelnen Gesellschaften, Ausschüsse usw. Amtsstellen und Verbände, die mit der Unterverteilung von Kontingenten befaßt waren. Mit der Untervergebung von Nähund Strickarbeiten befaßte Wohlfahrtsorganisationen. Aufgelöste oder umbenannte Organisationen der K. R. A.

Militärisches Beschaffungswesen im Inland 

 314

Grundlegende Ordnung des Beschaffungswesens im Kriege. Auszug aus den Ausführungsbestimmungen zur kriegsministeriellen Verfügung. Von dem Erlaß betroffene Warenarten. Anforderungsweg. Bedarfsdeckung. Belegscheine. Nicht abgenommene Waren. Die Stellung der stellvertretenden Intendanturen, der Kriegsbekleidungsämter und der Bekleidungs-Instandsetzungsämter im Rahmen des Beschaffungswesens. Die Bekleidungs-Abteilung (B. 3) des Kriegsministeriums. Die „Webstoffbeschaffungsstellen“. Allgemeine Webstoffbeschaffungsstellen und die von ihnen beschafften Gegenstände. Webstoffbeschaffungsstellen im Bereich der bundesstaatlichen Kriegsministerien. Beschaffungen der kaiserlichen Marine. Als Webstoffbeschaffungsstellen anerkannte nichtmilitärische Stellen. Das Bekleidungs-Beschaffungs-Amt (B. B. A.). Die

Inhalt 

 XV

früher selbständige, der K. R. A. angegliederte, später dem B. B. A. eingeordnete Ankaufsabteilung für beschlagnahmte Webwaren. Die dem Bekleidungs-Beschaffungs-Amt unterstehenden Liefererverbände. Die Eisenbahn-Webstoffstelle

Verschiedenes 

 332

Organisation der Beschaffung und Bewirtschaftung von Spinn- und Webstoffen für das deutsche Heer im Operationsgebiet, in den besetzten Gebieten, im verbündeten und im neutralen Ausland. Organisation in den besetzten Gebieten. Verkehr mit den Verbündeten und den zum Frieden gezwungenen Vertragsgebieten. Verkehr mit den neutralen Staaten. Innere Organisation der Spinnstoffbewirtschaftung der Verbündeten. Besonderheiten und Einzelheiten für Textilien im Rahmen der geschilderten Gesamtorganisation. Skizze der Kriegsbewirtschaftung des bürgerlichen Bedarfs. Der Reichskommissar für Ein- und Ausfuhr. Die Reichsbekleidungsstelle und die Kriegswirtschafts-A.-G. Die Reichssackstelle. Die Riemen-Freigabestelle. In den vorangehenden Aufstellungen nicht näher beschriebene, einzelne private, halbamtliche und amtliche Stellen mit einzelnen Beziehungen zur Kriegsbewirtschaftung der Spinn- und Webstoffe

Nachwort zu Kapitel VI  Von R. Schlösser

 344

Schaubilder Die gesamte deutsche Spinnstoffindustrie Tuch zur Rock-, Hosen- und Mantelbeschaffung für die Armee Kontingente zur Befriedigung des kriegswirtschaftlichen Bedarfs Geschäftsergebnisse der Textilindustrie-Aktiengesellschaften 1913—1917 Das preußische Kriegsministerium, soweit es mit der Verwaltung und Beschaffung von Spinn- und Webstoffen zu tun hatte Gliederung der Unterabteilung Webstoffe der Kriegs-Rohstoff-Abteilung

Kapitel I

Überblick Die Aufgabe dieses Überblicks, der die Kenntnis der allgemeinen Bände über die deutsche Heereswirtschaft während des Weltkrieges voraussetzt, ist eine knappe Darstellung der Zusammenhänge und Auswirkungen auf dem Sondergebiet der Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe.

Die Erzeugnisse der Spinnstoffindustrie sind außerordentlich vielseitig, sowohl in ihrer Zusammensetzung und Herstellung als auch in ihrer Verwendung. Das gilt auch vom Heeresbedarf in Spinnstoffen und Spinnstofferzeugnissen. Neben der Bewaffnung bildet die Bekleidung den wichtigsten Teil der Ausrüstung des einzelnen Mannes. Wärmende, möglichst gegen Nässe schützende Stoffe sind für die Erhaltung der Gesundheit in unseren Breiten unentbehrlich. Die Gleichartigkeit und doch wieder Besonderheit der militärischen Kleidung in Schnitt und Farbe dient dazu, in dem einzelnen das Gefühl gegenwärtig zu erhalten, Soldat zu sein, und zwar Soldat eines bestimmten Heeres und einer bestimmten Waffengattung mit einem von anderen unterschiedenen Geist. Die Uniform legt zugleich die Überordnungs- und Unterordnungsverhältnisse fest und verschafft dem Soldaten in der Ausübung seines Dienstes den Ausweis seiner Zuständigkeit. Es mußte daher das Heer bei Kriegsausbruch für den ganzen Umfang seiner Aufstellung Anspruch auf Ausrüstung mit soldatischer Sonderkleidung erheben. Als Oberkleidung des Soldaten war man gewöhnt, das dehnbare, filzartige Gewebe aus reiner Streichwolle zu benutzen, weil es am besten starker Beanspruchung zu widerstehen vermag. Die Verwendung bürgerlicher Kleidung mit Armbinden für die heimische Brücken- und Bahnbewachung war ein Notbehelf und kam für längere Zeiträume und vor allem für das Feldheer nicht in Betracht, auch nicht als es bei Ausbruch des Weltkrieges galt, plötzlich Heere von bis dahin unerhörter Größe aufzustellen. Vielmehr hing die Schnelligkeit, mit der sich die Heere aufstellen ließen, und die Erhaltung ihrer Stärke und Leistungsfähigkeit wesentlich auch von der Möglichkeit ab, Uniformen, dazu Unterzeug, Wolldecken usw. zur ersten Versorgung und zur dauernden Ergänzung zu beschaffen. Der Bedarf an Uniformtuchen war zwar im Rahmen der Friedensabnutzung bekannt, da er im Frieden durch die Bekleidungsabteilungen der Kriegsministerien beschafft wurde, aber die Aufstellung unerwartet großer Heere, z.  B. die sofortige zusätzliche Einkleidung von rund zwei Millionen Kriegsfreiwilliger, warf alle Voraussicht über den Haufen. Den Bedarf an Unterzeug kauften die Zentralen auch im Frieden nicht; die Beschaffung erfolgte durch die einzelnen Truppenteile; im Frieden trugen zahlreiche Soldaten ihre eigene Unterwäsche, so daß die mittlere Gebrauchsdauer nicht hervortrat. Noch weniger war der technische Bedarf der Kriegsführung an Gespinsten und Geweben ermittelt, da auch er an keiner Stelle rechnerisch zusammengefaßt war. Seine Beschaffung lag ebenfalls bei den einzelnen Truppenteilen und militärischen Instituten. Der technische Bedarf an Gespinsten und Geweben war

2 

 Überblick

obendrein verschleiert, weil die Spinnstoffe und Gewebe häufig als nebensächliche Teile anderer Gegenstände erschienen. Jedenfalls stellte er sich später als ungleich größer heraus, als irgend jemand erwartet hatte. Es konnte also nicht ausbleiben, daß die Verhältnisse des Weltkrieges unliebsame Überraschungen auf dem Spinnstoffgebiete brachten. Die einzigen Vertreter der Hersteller von Webwaren, die in unmittelbarer Verbindung mit den oberen Stellen der Heeresverwaltung standen, waren die Militärtuchfabrikanten. Sie aber bildeten selbst innerhalb ihrer engeren Fachgruppe der Tuchfabrikanten nur einen kleinen Teil. Etwa 100 waren seitens des preußischen, etwa 40 seitens der bundesstaatlichen Kriegsministerien als Friedenslieferer zugelassen, und auch nur sie hatten Mobilmachungsverträge auf Nachlieferungen von Militärtuchen in den ersten sechs Monaten nach Kriegsausbruch abgeschlossen, da von den Unternehmern allgemein Friedenslieferungen an das Heer als Voraussetzung der Übernahme von Mobilmachungsverpflichtungen betrachtet wurden. Gegenüber den Gesamtumsätzen des Spinnstoffgewerbes waren die Heeresbezüge im Frieden bedeutungslos. Rund 60 Mill. Mark entfielen im Friedenshaushalt auf die Beschaffung von Geweben für das Heer; ihnen gegenüber stand eine Jahreserzeugung des deutschen Spinnstoffgewerbes an gebrauchsfertigen Waren im Werte von 4—5 Milliarden Mark. Größer als die unmittelbare kriegswirtschaftliche Bedeutung der Spinnstoffgewerbe mußte anfänglich ihre allgemeine volkswirtschaftliche Bedeutung erscheinen. Nach der letzten großen Gewerbezählung vor dem Kriege im Jahre 1907, einem Zeitpunkte, seit welchem sich das Spinnstoffgewerbe bis Kriegsausbruch nicht allzu wesentlich verändert hatte, waren von rund 11  Millionen in Industrie und Handwerk Erwerbstätigen (einschließlich Bergbau und Baugewerbe) rund 1  Million mit der Herstellung von Gespinsten und Geweben beschäftigt. Dazu kam eine weitere Million Erwerbstätiger im Bekleidungsgewerbe (Maßschneiderei und Konfektion). Von 3,5 Millionen Erwerbstätigen in Handel und Verkehr betrieben 0,3 Millionen den Handel mit Spinnstoffen. Die Maßschneiderei und den Handel mit Webwaren kann man als gleichmäßig über das Land zerstreut ansehen, die Konfektion hatte ihre wichtigsten Sitze in Berlin, Hamburg, Stettin, Breslau, Frankfurt  a.  M., Elberfeld, Köln. Die Standorte der Spinnstoffgewerbe zeigt Schaubild I (S. 3). Die eigentlichen Fabrikbetriebe1 des Spinnstoffgewerbes verteilten sich, beurteilt nach der Zahl der Mitglieder, die den Kriegsausschüssen und Liefererverbänden im Laufe des Krieges beigetreten sind, auf die drei wichtigsten für die Kriegsbewirtschaftung in Frage kommenden Gruppen der Woll-, Baumwoll- und Bastfasernindustrien in runden Zahlen wie folgt:

1 In den ungleich größeren Zahlen der Gewerbezählungen sind zahlreiche handwerksmäßige und hausindustrielle Betriebe eingeschlossen, die ein unrichtiges Bild des Umfangs des eigentlichen Fabrikgewerbes zu erwecken geeignet sind.

Überblick 

5 10 900

350 25 35 425 275 300

große Lohnkämmereien, 80 selbständ. Wollwäschereien, Wollspinnereien und Wollwebereien (dar-350 unter 100 Kammgarnspinnereien und 800 400 Tuchfabriken), 30 Leinen- und Halbleinenwebereien, 70 fabrikmäßige Seilereien, 600 Jute-Spinnereien- und Webereien, 20 selbständige Strickereiunternehmen, 10 20 selbständige Wirkereien, 25 Lohnausrüstungsbetriebe, 300

 3

Abfallspinnereien für gemischte Spinnstoffe, Baumwollspinnereien, Baumwollwebereien, Leinenspinnereien, Deckenhersteller, Spitzen- und Weißzeugstickereibetriebe, Baumwollnähfadenfabriken, Leinennähfadenfabriken, Wattefabriken, Filzhersteller, Lumpenreißereien.

Die Tuchfabriken, in denen das Militärtuch hergestellt wurde, waren zumeist sogenannte vollstufige Betriebe, d.  h. solche, welche Wollwäsche, Färberei, Spinnerei, Weberei und Appretur umfaßten. Im übrigen Spinnstoffgewerbe waren das Zurichten der Rohstoffe, das Spinnen, das Weben und die Appretur in der Regel in Spezialbetriebe zerlegt. Die deutsche Wollindustrie war in der Spindel- und Webstuhlzahl der englischen fast gleich, der französischen und der russischen den Umsätzen nach etwas überlegen. In der Baumwollindustrie übertraf England nach der Spindelzahl die deutsche um das Fünffache, an Webstühlen um das dreifache, an Umsätzen aber nur um 50 %. Die Vereinigten Staaten besaßen die dreifache Spindel- und Webstuhlzahl für Baumwolle, Frankreich hatte zwei Drittel der deutschen Spindel- und die Hälfte der deutschen Webstuhlzahlen, Rußland drei Viertel der deutschen Spindeln und die gleiche Webstuhlzahl. In der Leinen-, Jute- und Seidenindustrie hielt Deutschland eine mittlere Stelle; stark überlegen war es in den Sondergruppen der Wirkereien, Strickereien, Spitzenstickereien und in der Posamentenherstellung.

4 

 Überblick

Überblick 

 5

Die Standorte des Gewerbes (vergleiche Schaubild  I) innerhalb Deutschlands erklären sich vielfach geschichtlich. Die Baumwollverarbeitung hatte sich großenteils in früheren Leinenwebereigebieten eingebürgert; neuzeitliche Werke, vor allem die großen Lohnwaschereien und Lohnkämmereien für Überseewolle, und neue Gründungen auf dem Gebiet der Kammgarn- und Baumwollspinnerei bevorzugten die Nähe der großen Einfuhrhäfen. Die wichtigsten Standorte lagen im Königreich Sachsen und im Rheingebiet, und zwar am Niederrhein und im Elsaß. Nennenswert beteiligt waren ferner die Provinzen Brandenburg, Schlesien, Westfalen, die Bundesstaaten Bayern, Württemberg, Baden und die thüringischen Staaten. Nach Leistungsfähigkeit und Betriebsorganisation war es ein buntes Nebeneinander von veralteten und neuzeitlichen, von kleinen und großen, von einstufigen und mehrstufigen Betrieben, wie es die verschiedene Entwicklungsgeschichte in den einzelnen Landesteilen und die Verschiebungen der Rohstoffbezugswege mit sich brachten. Die alten Betriebsformen hielten sich mit Hilfe der hohen Abschreibungen der Werke, der langen Erfahrung der Inhaber, die häufig auf eigentlichen Unternehmergewinn verzichteten, und mit Hilfe einer altansässigen, von anderen Gewerben abgeschnittenen, daher billigen, in ihrer körperlichen und geistig-seelischen Verfassung auf das Spinnstoffgewerbe eingestellten Arbeiterschaft. Der Betriebsinhaber wußte sich in Mustern und Sondererzeugnissen dem Bedarf geschickt anzupassen. Die ganze Art des Spinnstoffgewerbes gibt auch dem Großbetriebe nicht auf allen Fabrikationsstufen die gleiche Überlegenheit, wie in der Eisen-, Metall- und Maschinenindustrie. Aus diesem Grunde hatte sich das Anlage suchende Großkapital in Deutschland dem Spinnstoffgewerbe wenig zugewendet. Immerhin hatte durch Weiterentwicklung der Technik im einzelnen und durch Vordringen des Fabrikbetriebes auf Kosten des Hausgewerbes trotz im ganzen gleichbleibender Arbeiterzahl die Erzeugung zugenommen. Der Inlandabsatz hatte nicht alles aufnehmen können, und das Spinnstoffgewerbe war, besonders mit Sondererzeugnissen der Wirkerei-, Strickerei-, Posamenten- und Spitzenherstellung, in großem Umfang auf den Weltmarkt hinausgetreten. Die Erträge des Spinnstoffgewerbes hielten sich auf mittlerer Höhe. In den letzten Jahren vor dem Kriege war die Lage infolge der politischen Spannung als gedrückt zu bezeichnen.

Mit seiner kraftvollen Entwicklung beruhte das deutsche Spinnstoffgewerbe aber größtenteils auf der Zufuhr ausländischen Rohstoffs. Von den wichtigsten Spinnstoffen lieferten der deutschen Industrie: Wolle: zu 55  % englische Kolonien, zu 30  % Südamerika; Baumwolle: zu 75 % die Vereinigten Staaten, zu 20 % englische Kolonien; Jute: zu 98 % englische Kolonien; Flachs: zu 80 % Rußland; europäischen Hanf: zu 55 % Rußland, zu 30 % Italien; Übersee-Hanf: zu 40 % Mexiko, zu 30 % englische Kolonien; Seide: zu 60 % Italien. Unsere späteren Kriegsgegner waren also, außer in Wolle und Überseehanf, so ausschlaggebend, daß daneben alle anderen Bezugsquellen kaum in Frage kamen. Der Wert der Einfuhr von Spinnrohstoffen überstieg eine Milliarde Goldmark im Jahre. Der deutsche Jahresverbrauch an neuen Spinnfasern betrug nach dem Durchschnitt der letzten drei Jahre vor dem Weltkriege wahrscheinlich2 95 Mill. kg Wolle, 390 Mill. kg Baumwolle, 66 Mill. kg Flachs, 87 Mill. kg europäischer und Überseehanf, 147 Mill. kg Jute, 4,8 Mill. kg Seide.

2 Annahmen über den mittleren Gehalt verschiedener Spinnrohstoffe an reinen Fasern und ebenfalls über den reinen Fasergehalt von ein- und ausgeführten Fabrikaten waren zur Berechnung dieser Zahlen unvermeidlich. Da auch die anerkanntesten Fachleute in ihren Annahmen mehrfach voneinander abwichen, ist eine Sicherheit der Zahlen nicht zu erreichen. Sie dürften aber auch da, wo sie manchen bisherigen Angaben in der Literatur widersprechen, als die richtigeren anzusehen sein. Der Inland-

6 

 Überblick

Die einzigen Spinnstoffe, die das Inland in nennenswertem Umfang erzeugte, waren Wolle und Flachs. Wolle deckte nur noch bis annähernd 7 %, Flachs bis 10 % des inländischen Verbrauchs, wobei die inländische Bereitstellung von Kunstwolle, d.  h. durch Aufreißen alter Gewebe und Wirkwaren wieder spinnfähig gemachter Fasern, nicht eingerechnet ist. Kunstwolle wurde in den letzten Friedensjahren schätzungsweise in der halben Menge der neuen Wollfasern verarbeitet. Oft wird übersehen, daß Einfuhr, inländische Verarbeitung und inländischer Verbrauch drei verschiedene und schwer ermittelbare Wertgrößen sind. Die Einfuhr ist schon wegen des verschiedenen Gehalts an reiner Faser schwer zu berechnen, bei Errechnung der Verarbeitung ist die Unkenntnis über die genaue Höhe der inländischen Erzeugung an Spinnrohstoffen und über die Art der Verwendung eingeführter Garne störend, bei der Schätzung des Verbrauchs die Fabrikationsverluste und die Unübersichtlichkeit des Gehalts der Aus- und Einfuhrwaren infolge Mischung und Appretur. Auch läßt die Zollstatistik die zur Verpackung verwendeten Spinnstoffe unberücksichtigt. Eine vorbereitete Kriegswirtschaft hätte diese Zahlen besitzen müssen. Aber auch wenn der tatsächliche Inlandverbrauch vor dem Kriege errechnet und bekannt gewesen wäre, so hätte ihm noch der wichtige Begriff der Dringlichkeit gefehlt. Es ist schwer zu sagen, wieviel von dem errechneten Verbrauch im reichgewordenen Deutschland der Ansammlung von Überschußbeständen beim Handel und in den Haushaltungen, wieviel einmaligen großen Neuanschaffungen diente. Es ist nur eines sicher, daß eine solche Vorrataufspeicherung stattgefunden hat und der eigentliche dauernde Verbrauch, wenn man darunter den zu ersetzenden Verschleiß versteht, als wesentlich geringer anzusehen war. Nach allen diesen Richtungen versagte die Friedensstatistik. Man kannte aus Gründen der Zoll- und Handelsvertragspolitik Mengen, Herkunft und Bestimmungsort der Eingänge und Ausgänge mit den oben erwähnten Einschränkungen, dagegen waren die im Land befindlichen Vorräte weder an Rohstoffen noch an Zwischenerzeugnissen, noch an Fertigwaren bekannt. Niemand kannte genügend die Verteilung der verarbeiteten Spinnrohstoffe auf unentbehrlichen Bekleidungsbedarf, auf den Bedarf an mehr oder weniger entbehrlicher Haus- und Tischwäsche, auf Luxusbedarf, Bedarf des Verkehrswesens, Bedarf der Landwirtschaft, Bedarf der Industrie zur Ausrüstung und Aufrechterhaltung der Betriebe. In der Arbeiterschaft des Spinnstoffgewerbes nahmen die Frauen 55 % ein; auch Jugendliche waren stark vertreten. Die Männer waren vielfach ältere und schwächliche Leute, in Orten, an denen zugleich Metallindustrie vertreten war, zumeist solche, die sich vor der schwereren Arbeit im Eisenund Maschinengewerbe scheuten. Doch stieg der Abfluß in die Eisenindustrie, und es hatte selbst in früher gänzlich vom Spinnstoffgewerbe abhängigen Ortschaften die Eisen- und Maschinenindustrie

verbrauch von Jute ist ohne Berücksichtigung derjenigen Gewichte, die in Form von Verpackung frei hinausgingen, angegeben.

Überblick 

 7

nach Arbeiterzahl, Lohnsummen und Umsätzen das Spinnstoffgewerbe mehr und mehr überflügelt. Dieses konnte sich aber auf die Ausnutzung der Arbeitskraft der Frauen und Töchter der Arbeiter anderer Gewerbe stützen. Einen geschlossenen, vielfach hausindustriell tätigen Arbeiterstand stellten dem Spinnstoffgewerbe abgelegene Gebirge, wie beispielsweise für die Spitzen-, Posamentenund Strickwarenindustrien das sächsische Vogtland und Erzgebirge. Von den technischen Bedingtheiten des Spinnstoffgewerbes ist eine als für die Kriegswirtschaft ungemein wichtig hervorzuheben: Es bestand schon im Frieden ein Übergreifen und eine weitgehende Vertretbarkeit der verschiedenen Spinnstoffe. Beispielsweise verwendete die ursprünglich auf Wolle und ähnliche Tierhaare eingestellte Vigognespinnerei je nach der Marktlage ungleich mehr Baumwolle und Flachsabfälle als Wollspinnstoffe; in der Weberei spielte die Mischung von Baumwolle mit Wolle, Leinen und Seide eine große Rolle. Die Verwendung eigentlicher Kunstspinnstoffe befand sich in den ersten Anfängen. Sogenannte Kunstseide, aus Zellulose gefertigt, begann sich durchzusetzen. Auch die Papierspinnerei stand erst im Beginn. Drei Werke betrieben sie vor Kriegsausbruch mit mäßigem wirtschaftlichen Erfolg.

Für den Einkauf der Rohstoffe besaß Deutschland nur einen einzigen neuzeitlichen Markt in der vom Einfuhrhandel und den Baumwollspinnern gemeinsam errichteten und verwalteten Bremer Baumwollbörse. Wolle, soweit im Inland erzeugt, wurde auf kleinen Märkten und Versteigerungen (Berlin, Kassel, Breslau), zum Teil durch Vermittlung von Händlern, zum Teil unmittelbar von den Großerzeugern, an die Wäschereien, Spinnereien und Tuchfabriken abgesetzt. Überseewolle kam in etwa gleichen Mengen über Bremen und Hamburg herein, ohne daß sich hier eigentliche Märkte entwickelt hätten. Die Hauptkäufe erfolgten auf den Wollversteigerungen in England. In den Anfängen, aber in zukunftsreicher Entwicklung standen unmittelbare Einkäufe deutscher Häuser oder Fabrikantenvereinigungen in Südamerika und Südafrika. Südamerikanische Wolle gelangte vielfach über Antwerpen und über die Wäschereien von Verviers nach Deutschland. Kammzug, d.  h. die für den Zweig der Kammgarnspinnerei besonders vorgerichtete Wolle, wurde seitens deutscher Häuser in Antwerpen und Roubaix-Tourcoing gekauft. Es waren aber einige große Lohnkämmereien in Hannover, in der Nähe von Hamburg und Bremen und eine in Leipzig entstanden. Leipzig besaß auch einen Kammzugmarkt, dessen Preise sich aber nach denen von Antwerpen und Nordfrankreich richteten. Für die Jute war die Abhängigkeit von englisch-indischen Monopolhäusern noch vollständig. Jeder Versuch unmittelbaren Einkaufs deutscher Häuser in Indien war bisher gescheitert; es gab nur Vertreter englischer Firmen in Deutschland (Hamburg), aber keine selbständigen Händler. Im Streitfalle mußten die ganzen Sendungen zur Begutachtung nach England zurückverschifft werden! Beim Flachs war, obwohl sich kein eigentlicher Markt in Deutschland ausgebildet hatte, die Lage infolge der Nachbarschaft zu Rußland günstig. Deutschland bezog nicht nur seinen eigenen Bedarf unmittelbar aus Rußland, sondern deckte auch noch einen Teil des österreichischen Bedarfs. Ein großes Breslauer Haus näherte sich einer Monopolstellung auf dem mitteleuropäischen Flachsmarkt. In europäischem Hanf lagen die Einkäufe in Rußland ähnlich wie bei Flachs; italienischen Hanf kauften deutsche und deutsch-italienische Häuser in Italien ein. Beim Überseehanf bestanden ähnliche Abhängigkeiten von den engli-

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 Überblick

schen und amerikanischen Märkten wie bei Baumwolle und Wolle. Für die deutsche Seidenindustrie waren die italienischen und südfranzösischen Marktverhältnisse maßgebend; einen Teil der Käufe vermittelten Schweizer Häuser. Es zeugt von der starken Abhängigkeit in Rohstoffen und Zwischenerzeugnissen vom Ausland, daß die Maßbezeichnungen (Garnnumerierungen usw.) und Fachausdrücke vielfach englisch waren. Auch spielten englische Maschinen vor allem in der Baumwoll- und Juteindustrie noch eine ausschlaggebende Rolle, während in Strickerei- und Stickereimaschinen deutsche Erzeugnisse mehr und mehr den Weltmarkt eroberten.

Erste Maßnahmen nach Ausbruch des Krieges Auf diese Zustände traf der Ausbruch des Weltkrieges. Er fiel für die Rohstoffversorgung insofern in eine ungünstige Zeit, als die neuen Zufuhren wichtiger Spinnfasern aus dem Ausland in der Regel im Herbst einzusetzen pflegten. Dazu kam, daß bei der starken Anspannung des Geldmarktes, die eine Begleiterscheinung der überstürzten Entwicklung des deutschen Wirtschaftslebens der letzten Jahre war, und bei der Unsicherheit infolge der politischen Zustände auf dem Balkan sich die deutschen Verarbeiter Zurückhaltung in ihren Einkäufen auferlegt hatten. Aus beiden Gründen wiesen also die Rohstofflager einen fühlbaren Tiefstand auf. Einen gewissen Ausgleich bot andererseits der Umstand, daß die Absatzstockung infolge der politischen Spannung zu einer Aufspeicherung von Beständen in den Lagern der Fertigwarenhändler geführt hatte. Kriegsvorbereitungen waren auf dem Spinnstoffgebiet nur für die Verhältnisse eines Krieges, wie sie etwa nach dem Verlauf des 70er Krieges erwartet werden mochten, getroffen worden. Selbst diese waren durch den Übergang von der blauen zur feldgrauen Uniform beeinträchtigt. Wohl waren hier und da Bedenken aufgetaucht, wie sich die Versorgung des Heeres im Falle eines Krieges mit England gestalten könne. Einige Jahre vor Kriegsausbruch hatte nach dieser Richtung das Kriegsministerium bei der Vereinigung des Wollhandels in Leipzig angefragt; aber über allgemeine Erwägungen war man nicht hinausgekommen. Man muß auch rückwärtsblickend sagen, etwaige Folgerungen würden den Verhältnissen des Weltkrieges doch nicht gerecht geworden sein. Daran hätten auch Schwierigkeiten des Staatshaushalts gehindert. Hatte doch schon die Aufsammlung eines Tuchbestandes seitens der Bekleidungs-Abteilung des Kriegsministeriums im Werte von nur 20  Mill. Mark Angriffe im Reichstag erfahren. Die Vorbereitungen waren also nur die althergebrachten. In den Kammern der Truppenteile und Intendanturen lagen die Bestände für die Neueinkleidung des Feldheeres in der vorgesehenen Kriegsstärke; für den Nachschub von Tuchen waren seitens der Bekleidungs-Abteilung Mobilmachungsverträge mit den Friedenslieferern auf steigende Mengen für die ersten sechs Monate abgeschlossen, für sonstige



Erste Maßnahmen nach Ausbruch des Krieges 

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Gewebe waren nach den allgemeinen Vorschriften die einzelnen Truppenteile und militärischen Anstalten gehalten, ihrerseits mit örtlichen Verfertigern und Händlern ähnliche Mobilmachungslieferungen abzuschließen. Ein Nachweis des tatsächlichen Bestandes der zur Erfüllung der Mobilmachungsverpflichtungen erforderlichen Rohstoffe bei den Lieferern war nicht verlangt. Man hielt die Rohstoffbeschaffung offenbar nur für eine Geldfrage, die man den Unternehmern überlassen könne. Die genaue Preishöhe für die abgemachten Mobilmachungslieferungen war in den Verträgen nicht geregelt; sie sollte erst unmittelbar nach Kriegsausbruch bestimmt werden. Es fehlte vor allem auch eine Bestimmung, nach welcher Heeresaufträge von den verpflichteten Werken vor etwaigen sonstigen Aufträgen zu erfüllen waren. Im Verwaltungsaufbau stand die Kriegsvorbereitung im Gegensatz zu dem, was sich im Kriege als unabweisbar herausstellen sollte, auf dem Standpunkt der Dezentralisation. Es war nämlich bei den Militärtuchen, dem einzigen Spinnstoffgebiet, auf dem die Beschaffung im Frieden von der Oberbehörde aus geschah, für den Kriegsfall vorgesehen, daß die Kriegsbekleidungsämter selbständig die Beschaffung vornehmen sollten; die von der Bekleidungs-Abteilung abgeschlossenen Mobilmachungsverträge waren auf die einzelnen Ämter verteilt. Offenbar hatte die zusammengefaßte Beschaffung im Frieden wesentlich den Zweck, die Frage der Beschaffenheit und die der Preisbildung der Tuche in der Hand zu behalten. Im Kriege schien dagegen die Schnelligkeit der örtlichen Beschaffung wichtiger; es spielte auch zweifellos mit, daß die Kriegsbekleidungsämter den stellvertretenden kommandierenden Generalen unterstellt waren, von denen jeder einzelne eine weitgehende Selbständigkeit hatte — sehr zum Schaden einer einheitlichen Durchführung der wirtschaftlichen Mobilmachung. Infolge der umfangreichen Aufstellung überplanmäßiger Verbände entstand unmittelbar nach Kriegsbeginn ein derartig sprunghafter Bekleidungsbedarf, daß ein sinnloser Wettlauf um die vorhandenen und in der Herstellung begriffenen feldbrauchbaren Gewebe eintrat. Die Leiter der Kriegsbekleidungsämter, von denen sich jedes nur für die Einkleidung der Truppenteile seines zugehörigen Korps verantwortlich fühlte, hielten, erschreckt durch den hervortretenden Mangel, Lieferungen aus ihrem Bezirk an andere Kriegsbekleidungsämter, selbst unter Anwendung von Gewalt, zurück. Sie gestanden Händlern, die ihnen Ware zu verschaffen versprachen, hohe Preise zu und stellten geringere Ansprüche an die Brauchbarkeit, als in den Bestimmungen vorgesehen. Demgegenüber waren die eigentlichen Militärtuchfabriken in ihren Mobilmachungsverträgen festgelegt. Sie mußten für Preise, die nach Ausbruch des Krieges bis zu 20 % über den Friedensstand in die Verträge eingesetzt worden waren, die vorschriftsmäßigen Güten liefern, während zu gleicher Zeit von den gleichen Abnahmestellen aus der Hand von allerhand Agenten minderwertige Waren zu einem ungleich höheren Preise übernommen wurden. Abänderungen der einmal abgeschlossenen Lieferungsverträge der Tuchfabrikanten mit den Kriegsbekleidungsämtern waren nach den Vorschriften an weitgehende Nachweise gebunden und nur mit Zustimmung des Obersten Kriegsherrn möglich; es konnten also

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nur geringe Erleichterungen gewährt werden. Viele Hersteller suchten sich unter diesen Verhältnissen höhere Preise dadurch zu sichern, daß sie nur zögernd und im knappen Rahmen der Verträge unmittelbar an die Ämter lieferten und ihre in angestrengter Tag- und Nachtarbeit erzielte Mehrerzeugung an den Handel absetzten, der die Stoffe — oder lieber, zur Verschleierung der Preise, die fertigen Bekleidungsstücke — zu hohen Preisen bei den Ämtern anbrachte. Zweifellos hat auch eine gewisse Vorliebe der Ämter, mit dem bequemeren Handel und mit anschmiegsamen Vermittlern anstatt mit den Fabrikanten zu arbeiten, zur Entwicklung dieser Zustände beigetragen; auch unsaubere Elemente haben hier und da schon damals ihre unheilvolle Tätigkeit begonnen. Die Schwierigkeit der rechtzeitigen Einkleidung der immer dringender geforderten Neuaufstellungen und die Tatsache der besonders knappen Lieferungen des Handels an solche Ämter, die gegen den Wucher aufzutreten suchten, ließ die zuständigen Stellen monatelang vor tiefeinschneidenden Maßnahmen zurückschrecken. Erst als der größte Ansturm vorerst einmal befriedigt war, wurde eine einheitliche Behörde zur Besserung der Zustände geschaffen; man errichtete am 20.  November 1914 das Bekleidungs-Beschaffungs-Amt. Es hat vom 1. Februar 1915 an die gesamten Tuchbeschaffungen für den Bereich des preußischen Kriegsministeriums übernommen und seine Zuständigkeit allmählich auch auf die Bundesstaaten und die Marine sowie auf andere Gewebebeschaffungen ausdehnen können. Schon in der ersten Zeit nach Kriegsbeginn waren also tatsächlich nicht nur die Friedenspreise, sondern auch die bisherigen Begriffe über die vorschriftsmäßige Beschaffenheit der Gewebe umgestoßen worden. Ersatzstoffe (Kammgarnstoffe oder verschlechterte Mischungen von Streichgarngeweben) kamen in solchem Umfange auf und paßten sich den vorhandenen Vorräten an den verschiedenen Spinnstoffen so viel besser an als die bis dahin vorgeschriebene Zusammensetzung der Militärtuche, daß sie allmählich ihre amtliche Anerkennung erzwangen. Aber diese Entwicklung verlangte ihre Zeit; anfangs suchte man amtlich an der vorschriftsmäßigen Zusammensetzung festzuhalten. Es erschien daher als die erste Aufgabe der inzwischen von der Heeresverwaltung eingerichteten Rohstoffbewirtschaftung, die besonderen „Militärtuchwollen“ in genügenden Mengen für die Heereslieferer zu sichern. Auf dem Spinnstoffgebiete ging also die am 13. August 1914 ins Leben getretene KriegsRohstoff-Abteilung des Preußischen Kriegsministeriums zunächst ebensowenig umfassend vor wie auf den anderen Rohstoffgebieten. Von der späteren, im großen und ganzen einheitlichen Leitung des Wirtschaftslebens ganzer Gewerbegruppen war bis Ende 1914 noch nicht die Rede; man beschränkte sich zunächst auf die Richtlinien, die in dem ersten Erlaß bezüglich einer Bestandserhebung, 4. 8. 14 K. R. A., vom 15. August 1914 wie folgt gefaßt waren: „Für die Dauer einer teilweise beschränkten Auslandszufuhr wird die Kriegs-Rohstoff-Abteilung, soweit sich ein Bedürfnis ergibt, für den örtlichen Ausgleich und die Aufteilung ausschließlich solcher Rohmaterialien tätig sein, die zur Herstellung des



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Kriegsbedarfs erforderlich sind und die nicht ausschließlich und laufend im Inlande gewonnen werden.“ Nach diesen Richtlinien schien außer bei Tuchwollen nur bei Jute (für den Sackbedarf der Verpflegungsabteilung) ein sofortiger Eingriff nötig. Wolle und Jute wurden die beiden ersten „Sparstoffe“ auf dem Spinnstoffgebiet. Man war schon entschlossen, wenigstens bei diesen beiden mit einer Beschlagnahme der gesamten inländischen Vorräte vorzugehen, als die Besetzung Belgiens die großen Wollvorräte in den Wäschereien von Verviers in deutsche Verfügungsgewalt brachte. Man sah auf Grund dieser Vorräte vorerst gern wieder von Eingriffen in das heimische Wirtschaftsleben ab. Man hatte Bedenken, die Schwierigkeiten, die die Störungen der Mobilmachung den anfänglich angestrengt arbeitenden Werken gebracht hatten, noch zu vermehren, und man fühlte in Beziehung auf Rechtsgrundlagen und Zuständigkeiten nur schwankenden Boden unter sich. Das Kriegsleistungsgesetz und das Belagerungsgesetz boten nur geringe Handhaben zu wirtschaftlichen Eingriffen. Das vom Reichstag unter dem 4. August 1914 dem Bundesrat an die Hand gegebene Ermächtigungsgesetz zu wirtschaftlichen Maßnahmen und das Höchstpreisgesetz vom gleichen Tage waren Rahmengesetze, die zunächst ohne Inhalt blieben. Im besetzten Gebiete dagegen war die Heeresverwaltung in den Grenzen des Völkerrechts zu jeder Art wirtschaftlicher Verfügungen befugt. Man griff daher bei den Wollvorräten in den Wäschereien von Verviers zu. Am 15.  August 1914 begab sich eine Kommission vom Kriegsbekleidungsamt Koblenz unter Hinzuziehung von Sachverständigen aus Aachen und Köln nach Verviers, um die dortigen Bestände an Militärtuchwollen festzustellen. Am 24. August wurde in der Kriegs-Rohstoff-Abteilung die Errichtung einer Kriegswollbedarf-Aktiengesellschaft beschlossen, die diese Wollen, die sog. „Beutewollen“, übernehmen und den Heereslieferern zuführen sollte. Wenige Tage später beschlagnahmte ein Kommissar der Kriegs-Rohstoff-Abteilung in Verviers 1,2 Mill. kg Tuchwollen, was etwa dem fünften Teile der von der Koblenzer Kommission in den größeren Betrieben ermittelten und dem zehnten Teile der später festgestellten, in Verviers insgesamt überhaupt vorhandenen Wollmengen entsprach. Die übrigen Mengen gab der Kommissar, übrigens ein Geschäftsmann, der nebenbei für seine eigene Firma Wollkäufe tätigte, vom 15. September an für den Handel wieder frei. Erst als sich aus dieser Freigabe unzuträgliche Verhältnisse entwickelten, änderte später die Heeresverwaltung ihren Standpunkt und beschlagnahmte alle in den besetzten Gebieten vorhandenen Spinnstoffe. Was Jute betraf, so glaubte man auf die Beschlagnahme inländischer Bestände wenigstens insoweit nicht verzichten zu können, als sie Eigentum feindlicher Firmen waren und in den Speichern der deutschen Seehäfen usw. lagerten. Von den Vorräten deutscher Eigentümer nahm man an, daß sie sowieso dem Heeresbedarf zuströmen würden. Nach einer Sitzung mit den Vertretern des Verbandes deutscher Juteindustrieller am 3. September wurde am 26. September 1914 eine Jute-Abrechnungsstelle bei der Diskontogesellschaft zur Übernahme und Verteilung der beschlagnahmten Jutebestände und zur Einwirkung auf sparsamen Verbrauch errichtet.

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 Überblick

Dies waren die ersten tastenden Schritte auf dem später so ausgedehnten Gebiet der Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe. Ein umfassender Aufbau wurde bald unabweisbar.

Bedingtheiten und Stufenfolge der Kriegsbewirtschaftung Die Veränderungen in der Lage des Spinnstoffgewerbes, die der Krieg auch ohne staatlich geregelte Wirtschaft bringen mußte, waren: 1. Erschwerung von Einfuhr und Ausfuhr, daher Knappwerden der Rohstoffe und anfänglicher Absatzmangel für die auf die Ausfuhr angewiesenen Erzeugnisse, 2. Zurücktreten des bürgerlichen Bedarfs zugunsten des Heeresbedarfs, 3. ungewöhnliche Preisgestaltungen je nach der Dringlichkeit der Nachfrage nach den hergestellten Erzeugnissen, 4. Einziehungen und daher oft Mangel an technisch wichtigen Kräften in den Fabriken, 5. im allgemeinen jedoch eine bedenkliche Arbeitslosigkeit mit ihren sozialen Rückwirkungen. Auf allen diesen Gebieten drängten die Verhältnisse bald zu einem organisierten Eingreifen. Die Selbstverwaltung in Form umfassender Kartelle oder wirtschaftspolitischer Verbände war im Spinnstoffgewerbe nicht genügend fortgeschritten, um die Aufgaben zu übernehmen. Die bürgerlichen Behörden des Reichs, die wesentlich auf die Regelung der äußeren Handelspolitik des Reichs eingestellt waren, versagten gegenüber der ungewohnten Regelung des inneren Wirtschaftslebens; die Leitung durch die einzelnen bundesstaatlichen Handelsministerien wäre zu zersplittert gewesen. So blieb tatsächlich nur die Möglichkeit, daß das preußische Kriegsministerium die erforderlichen tiefen Eingriffe in das Wirtschaftsleben vornahm. Alles fügte sich anfänglich der Heeresverwaltung auch am willigsten, ihr allein war es möglich, einigermaßen gegen die bundesstaatliche Zersplitterung aufzukommen und zu erreichen, daß die übrigen Kriegsministerien dem preußischen ihre wirtschaftlichen Befugnisse im wesentlichen übertrugen, wie es beispielsweise im Dienstbereich des BekleidungsBeschaffungs-Amts der Fall gewesen ist. Theoretisch kamen für die öffentliche Bewirtschaftung der Spinnstoffe für den Heeresbedarf mehrere Möglichkeiten in Betracht: entweder sofortige Beschlagnahme sämtlicher Rohstoff-, Garn- und Gewebebestände, ihre Enteignung, ihre Übernahme in die Verwaltung des Staates und ihre Verteilung durch diesen, oder zweitens zwar ebenfalls eine sofortige formale Gesamtbeschlagnahme, aber mit vorerst weitgehenden Einzelfreigaben, oder endlich drittens ein langsamer Ausbau von Verfügungsbeschränkungen und damit ein allmähliches Hinüberleiten der Gewerbe aus der freien Wirtschaft zur immer ausschließlicheren Herstellung von Heeresbedarf unter Heranziehung oder Neuschaffung einer teilweisen Selbstverwaltung der Gewerbe. Aus Mangel an Mitteln, Beamten, Vorbereitungen und Erfahrung wählte man, gestützt auf die im besetzten Gebiet angefallenen großen Spinnstoffmengen, anfänglich den dritten Weg, um in der Folge unter dem Zwang der Ereignisse mehr und mehr auf den ersten überzugehen.



Bedingtheiten und Stufenfolge der Kriegsbewirtschaftung 

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Man kann in dem tatsächlichen Hergang der Spinnstoffbewirtschaftung mehrere Stufen unterscheiden. Die erste Stufe war die Beutewirtschaft . Die reichen Vorräte im besetzten Gebiet schienen die Lücken in der Heeresversorgung für die von den meisten angenommene kurze Kriegsdauer ausgleichen zu können. Die beigetriebenen Spinnstoffe wurden (außer Teilmengen, die man den Verbündeten abtrat oder den Zivilverwaltungen der besetzten Gebiete überließ) nach Deutschland gebracht, hier eingelagert, gesichtet, abgeschätzt und durch Kriegsgesellschaften und Abrechnungsstellen auf Heereslieferer nach Maßgabe ihrer Heeresaufträge verteilt. Als der Krieg nicht, wie erwartet, in wenigen Monaten zu Ende ging, trat die zweite Stufe ein, die gemischte Beute- und Sparwirtschaft . Man versuchte mit den Vorräten hauszuhalten, indem man die Ausfuhr einschränkte, die Erzeugung für den bürgerlichen Bedarf abdrosselte, die Verfügung über die Rohstoffe beschränkte und die Anforderungen des kriegswirtschaftlichen und Heeresbedarfs nachprüfte. Auf der dritten Stufe traten weitgehende Maßnahmen zur Vermehrung der einheimischen Erzeugung von Spinnrohstoffen und zur Verwendung von Alt-, Abfallund Ersatzstoffen hinzu. Es griff eine volle Planwirtschaft Platz. Alle Maßnahmen für das Gebiet der Spinnstoffe wurden in einem einheitlichen Kriegswirtschaftsplan zusammengefaßt, der erstmals anfangs 1916 für drei Jahre aufgestellt wurde. Alle Einfuhr und Ausfuhr wurde staatlich überwacht und gelenkt, alle Spinnstoffe, Gespinste und Gewebe, die irgendwie für Heeresbedarf und kriegswirtschaftliche Zwecke in Frage kommen konnten, wurden durch Beschlagnahme, Verkaufszwang an Kriegsgesellschaften usw. herangezogen und die Heeresaufträge durch einheitliche Beschaffungsstellen vergeben. Zu den alten traten neue Kriegsgesellschaften. Sie alle verteilten die erforderlichen Rohstoffe nicht mehr als selbständige Gesellschaften, sondern als Vertreter der Behörden nach bis ins einzelne gehenden Weisungen. Die Spinnstoffmischungen wurden für alle Erzeugnisse vorgeschrieben, der kriegswirtschaftliche und bürgerliche Bedarf nach Möglichkeit in feste Kontingente gebracht. Die Arbeit in den Betrieben wurde im Verhältnis zur Leistungsfähigkeit so eingeschränkt, daß der kriegswirtschaftliche Bedarf gerade gedeckt und, unter gleichzeitiger Berücksichtigung der sozialen Lage, eine möglichst gleichmäßige Beschäftigung aller Betriebe gewährleistet war. Die Einführung des Hilfsdienstgesetzes Ende 1916 leitete die letzte Phase kriegswirtschaftlicher Organisation, die ich die Notwirtschaft nennen möchte, ein. Der Mangel an Menschen und bald darauf die gefährlich werdende Verkehrs- und Kohlennot machten es unmöglich, weiterhin alle Betriebe mit einem Bruchteil der Friedenserzeugung in Betrieb zu lassen. Die Erzeugung sollte nun auf die unentbehrlichsten und günstigst gelegenen Betriebe beschränkt und diese nach Möglichkeit voll ausgenutzt werden. Die frei werdenden Arbeitskräfte der stillgelegten Betriebe wollte man anderweit unterbringen oder entschädigen. Weitgehende Eingriffe in die Preisbildung und die gezahlten Löhne, sowie in die Freiheit des Handels waren unvermeidlich. Der Ring der Beschlagnahme aller Spinnstoffe bis zur letzten Faser wurde immer vollkommener geschlossen, der Bedarf immer schärfer nachgeprüft, auch der

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 Überblick

Heeresbedarf mehr und mehr auf Kontingente gestellt. Durch einen systematischen Austausch der verhältnismäßigen Mehrvorräte der verbündeten und der befriedeten Gebiete (z. B. der Ukraine) hoffte man die immer bedenklicher werdenden Lücken in der Spinnstoffversorgung ausgleichen zu können. Bei den meisten Maßnahmen mußte man auf allen vier Stufen den Erfahrungsweg vom einzelnen zum allgemeinen gehen. Dieser unsystematische Weg erschien vor allem auf der ersten Stufe deshalb geboten, weil umfassende Eingriffe gleich im Anfang, selbst wenn sie technisch möglich gewesen wären, ganze Zweige des Gewerbes stillgelegt haben würden, außerdem bestand keine Übersicht darüber, in welch hunderterlei Formen das Spinnstoffgewerbe an Kriegslieferungen oder an sonstigen vom Standpunkt des Staats unentbehrlichen Lieferungen beteiligt war. Der Stillstand von Betrieben mußte daher anfänglich nicht nur sozial, sondern auch militärisch bedenklich erscheinen. Im Rahmen dieses Entwicklungsganges war die Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe und Spinnstofferzeugnisse reich an ungewohnten Aufgaben, an Versuchen, an Umwegen und an Fehlgriffen, ebenso reich aber auch an Erfahrungen und Erfolgen. Was die technische Seite betrifft, so konnte, wie man annahm, die öffentliche Bewirtschaftung der Spinnstoffe entweder von den fertigen Geweben und Bekleidungsstücken ausgehen, oder sie konnte beim Rohstoff einsetzen und dessen Verteilung und Preisbildung regeln. Es ist beides versucht worden. Im einen wie im anderen Falle aber zwang die Mannigfaltigkeit der Rohstoffe und das Fehlen scharfer Grenzen zwischen den verarbeitenden Gewerbegruppen dazu, allmählich den gesamten Werdegang der Ware durch alle Verarbeitungsstufen zu erfassen, weiterhin sogar die Spinnstoffwaren an die letzten Verbraucher zu verteilen und möglichst auch die verbrauchten Erzeugnisse in Form von „Kunstspinnstoffen“ in den Kreislauf der Rohstoffe wieder einzubeziehen. Die Handhabung aller Eingriffe war, wie schon angedeutet, anfangs zögernd. Man wagte es beispielsweise lange nicht, mit allgemeinen Beschlagnahmen hervorzutreten, ehe man nicht die genügende statistische und Warenkenntnis innerhalb der Behörde erworben und sichergestellt hatte. Gewiß wäre, wenn man rückwärts schaut, die sofortige allgemeine Beschlagnahme aller Spinnstoffe richtig gewesen, aber der Mangel an wirtschaftlichen Kriegsvorbereitungen und die nachwirkende und oft nicht wieder rückgängig zu machende Festlegung durch anfängliche Zugeständnisse verhinderten an sich richtige Maßnahmen. Es kann auch zweifelhaft erscheinen, ob das psychologisch ganz auf die Privatwirtschaft eingestellte Geschäftsleben sich von vornherein einem Zwang auf der ganzen Linie gefügt hätte, vor allem, wenn, wie es der Fall war, die Leiter der Kriegswirtschaft nicht mit genügend klaren und weitgehenden Befugnissen ausgestattet waren, und sich Umgehungsmöglichkeiten unter scheinbarer Befolgung der Bestimmungen bei den verwickelten technischen Zusammenhängen immer wieder boten.



Bedarf und Bedarfsdeckung 

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Bedarf und Bedarfsdeckung Mehrere Quellen erschlossen sich allmählich, aus denen der Bedarf an Spinnstofferzeugnissen geschöpft werden mußte und die es in geschickter Anpassung möglichst vollständig auszunutzen galt. Die Quellen waren: die Rohstoffvorräte des Handels und der Industrie bei Ausbruch des Krieges, die Einfuhr aus neutralen, verbündeten, zum Frieden gezwungenen und besetzten Gebieten, die inländische Neuerzeugung an Spinnstoffen, die Ersatzspinnstoffe, die Alt- und Abfallstoffe, die Vorräte an Fertigbeständen. Mit den Rohstoffvorräten des Handels und der Industrie sind nicht nur die Vorräte an eigentlichen Rohstoffen gemeint, sondern auch die Vorräte an halbfertigen Erzeugnissen (beispielsweise Kammzug) und an Garnen, überhaupt an allen in irgendeiner Zwischenstufe veredelten Spinnstoffen. Da Deutschland keine dem Umfang seines Spinnstoffgewerbes entsprechenden Märkte für Spinnstoffe besaß, waren die Lagervorräte an Rohstoffen im engeren Sinne verhältnismäßig geringer als die an halbfertigen Erzeugnissen. Eine Folge war, daß ein verhältnismäßig großer Teil der Vorräte durch Vorbearbeitung für Heereszwecke schon wenig verwendbar geworden war. Nach Meldungen der Spinnstoff-Sektionen der Kriegs-Rohstoff-Abteilung an die Zentrale vom April 1918, die aber offenbar zumeist nur auf Schätzungen beruhten, die einbezogenen Gegenstände nicht näher umgrenzten und auch zumeist nicht besagten, ob eine Umrechnung auf reine verspinnbare Fasern erfolgt war, — was beispielsweise beim Schmutzgehalt von Rohwolle den Gehalt an reiner Faser auf die Hälfte und weniger sinken lassen kann — betrugen die Spinnstoffvorräte in Deutschland bei Kriegsausbruch3: Wolle…………………………………...…… Baumwolle………………………………… Jute…………………………………………… Flachs………………………………….…… Hanf (und Hartfaser)………………....

142 213 30 90 55

Mill. „ „ „ „

kg „ „ „ „

Im Anfang schien ein nennenswerter Teil der Vorräte an Rohstoffen und Garnen in Feinheit, Farbe und Preislage für Heereszwecke nicht in Betracht zu kommen. Dieser blieb daher zunächst von Beschlagnahme und Verfügungsbeschränkungen grundsätzlich ausgenommen oder wurde wenigstens auf Antrag ohne weiteres freigegeben. 3 Nach den Schätzungen anderer Sachverständiger und auch nach meiner eigenen Meinung sind diese Zahlen z. T. erheblich zu hoch. Ich bin geneigt, die Höhe der Vorräte auf reine verspinnbare Faser umgerechnet für Kriegsbeginn zu schätzen für Wolle 50  % eines Friedensjahresbedarfs  = 50 Mill. kg, Baumwolle 35 % = 135 Mill., Jute 35 % = 50 Mill., Flachs 100 % = 65 Mill., Hanf 40 % = 35  Mill. und Seide 50  % eines Friedensjahresbedarfs  = 2,5  Mill. kg. Aber wie gesagt, allen solchen Zahlen haftet eine außerordentliche Unsicherheit an.

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Einen Teil davon überließ man auch später noch, wenngleich in geringen Mengen, durch Freigaben dem einheimischen bürgerlichen Bedarf und der Herstellung von hochwertigen Ausfuhrwaren, z. B. Spitzen. Frei blieben beispielsweise noch lange ein Teil der vom Ausland unter besonderen Opfern beschafften Garne, vorbereitete Webbäume für feine Damentuche, Leinengarne oberhalb einer bestimmten Garnnummer, eingefärbte Garne mancherlei Art und bis gegen Ende des Krieges die eigentliche Seide, während Seideabfälle schon frühzeitig zu Zündertuchen und Pulverbeutelstoffen verwendet und daher beschlagnahmt wurden. Handel und Industrie strebten dahin, möglichst große Mengen ihrer Rohstoffe und Garne als für den Heeresbedarf ungeeignet hinzustellen, weil die erzielten Preise bei der Deckung des bürgerlichen Bedarfs höher waren. Die Heeresverwaltung dagegen war darauf bedacht, besondere Verwendungszwecke und Mischungen mit anderen Spinnstoffen ausfindig zu machen, auf Grund deren die anfänglich nicht heeresbrauchbar erscheinenden Bestände verwendet und damit die anderen Spinnstoffe entlastet werden konnten. Als letzten Endes auch der über den engeren Heeresbedarf hinausgehende kriegswirtschaftliche Bedarf in die öffentliche Bewirtschaftung einzubeziehen war, weil die Betriebsvorräte an Spinnstoffriemen, Filtertüchern, Filzen, Wagenplanen und dergleichen erschöpft waren, konnte und mußte die Heeresverwaltung auch die letzten Spinnfasern heranziehen. Zuletzt gab der steigende Bedarf an Flugzeug- und Luftschiffbespannung nicht nur Verwendung für die feinsten Garne einschließlich der Seide, sondern ließ sogar einen Mangel an ihnen hervortreten. Die Einfuhr aus den neutralen, verbündeten und besetzten Gebieten war die zweite große Quelle. Auch die Lieferungen aus Ländern, die später in die Reihe unserer Feinde eingetreten sind, haben eine bedeutende Rolle gespielt. Insbesondere blieben die Ankünfte von Baumwolle aus den Vereinigten Staaten über Genua und die Hanfzufuhren aus Italien in den ersten drei Vierteljahren des Krieges bis zur Kriegserklärung Italiens auf annähernd friedensmäßiger Höhe. England ließ die amerikanische Zufuhr anfangs gewähren. Man setzte deutscherseits zeitweise große Hoffnungen auf die Baumwollausfuhrinteressen der Vereinigten Staaten und versuchte in diesem Zusammenhang einen Milliardenabschluß herbeizuführen, um einerseits den Rohstoff für die Spinnereien zu sichern und andererseits die Vereinigten Staaten am siegreichen Ausgang des Krieges für Deutschland zu interessieren. Diese Bestrebungen sind gescheitert. Nach dem Eintritt Italiens in den Krieg haben sich nur die Seidezufuhren aus Italien über die Schweiz nach Deutschland bis Mitte 1917 fortgesetzt. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, die Kleidernot der bürgerlichen Bevölkerung zu mildern. Vielleicht sind sie von der Entente bewußt zugelassen worden, um Italiens Finanzen zu stärken, die deutschen zu schwächen. Als die deutsche Heeresleitung sich genötigt sah, auch auf die Seide für Heereszwecke die Hand zu legen, erzwang die Entente durch Druck auf die Schweiz und Italien die Einstellung dieser letzten Lieferungen aus dem feindlichen Ausland. Unfreiwillig sind von unseren Feinden Spinnstoffe außerhalb des besetzten Gebietes nur in geringem



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Umfange durch gelegentliche Aufbringung von Schiffen und durch Schmuggel geliefert worden. Der neutrale überseeische Handel riß bei der Machtstellung Englands zur See bald ab. Nur in den ersten Wochen war es noch möglich, einige Wollsendungen aus Argentinien in deutsche Häfen zu bringen. Später vermittelten die skandinavischen Staaten, Holland und die Schweiz die Zufuhr, bis die Entente in diesen Ländern Überwachungsstellen ins Leben rief und die eigenen Bezüge dieser Staaten an Spinnstoffen kontingentierte. Seitdem sind Überseespinnstoffe nur noch in belanglosen Mengen auf Schmuggelwegen nach Deutschland gelangt, einheimische Spinnstoffe der Neutralen (z. B. Zellulose und Spinnpapier aus Schweden, Flachs aus Holland) nur im Austausch gegen deutsche, diesen Ländern unentbehrliche Waren, vor allem Kohlen. Aus den verbündeten Gebieten kamen wohl nennenswerte Mengen von Spinnstoffen, sie wurden aber durch die dafür zurückgelieferten Gewebe und Bekleidungsstücke mehr als ausgewogen. Immerhin erleichterten Lieferungen der Verbündeten die Spinnstoffmischungen und sie hoben den Beschäftigungsgrad des deutschen Spinnstoffgewerbes. Am bedeutendsten war die Zufuhr aus der Türkei. Sie lieferte Schafwolle, Angoraziegenwolle, Lumpen und Seide, während die anfangs erhofften nennenswerten Baumwollzufuhren aus Mangel an Arbeitskräften und infolge der Ungunst der Witterung im Bezirk von Adana sich nur in sehr bescheidenem Maße verwirklichten. Auch an den Lieferungen von Hanf und Hanfsamen war die Türkei beteiligt. Bulgarien gab ebenfalls Wolle, Lumpen und Seide. Österreich-Ungarn dagegen lieferte keine Spinnstoffe — abgesehen von einigen in Deutschland beschlagnahmten Beständen österreichischer Untertanen und von der Wolle auf gelieferten Schaffellen —, trotzdem es im Verhältnis zur Bevölkerung bedeutend ausgedehntere Schafzucht und Flachsbau besaß als Deutschland. Im Gegenteil, mit Rücksicht auf die größeren Vorräte, die Deutschland bei Ausbruch des Krieges in seinem entwickelteren Spinnstoffgewerbe besaß, und weil die großen Rohstoffquellen Belgiens, Nordfrankreichs und Polens in deutsche Hände gefallen seien, erhob es seinerseits Ansprüche. Es erreichte, daß die Sendungen aus der Türkei und Bulgarien und aus den später besetzten Gebieten Rumäniens und der Ukraine schlüsselmäßig zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn geteilt wurden. Nach einer amtlichen Aufstellung ist aus den verbündeten Ländern während des Krieges an Spinnstoffen (ohne die Wolle auf gelieferten Schaf- und Lammfellen) eingeführt worden: aus Bulgarien 1 750 000 kg Wolle und Tierhaare, 2 000 000 kg Lumpen und 737 000 kg Kokons und Seide. Aus der Türkei sind die entsprechenden Zahlen: 10  000  000  kg Wolle und Tierhaare, 435  000  kg Baumwolle, 1  600  000  kg Lumpen, 345 000 kg Flachs und Hanf und 1 300 000 kg Kokons und Seide. Ohne die in den anfänglich besetzten Gebieten Belgien, Nordfrankreich, Polen aufgefundenen Spinnstoffmengen wäre die Spinnstoffbewirtschaftung bald zusammengebrochen. Das schnelle Überrennen Belgiens hatte den Gegner verhindert, die Rohstoffvorräte zurückzuführen, und der Krieg hatte damals noch nicht die rück-

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sichtslosen Formen angenommen, die sich bei späteren Rückzügen in der restlosen Vernichtung aller nutzbaren Stoffe und Einrichtungen äußerte. Die Erfassung ging in den besetzten Gebieten, wie in Deutschland, stufenweise vor sich; immerhin gelangten auch die anfänglich nicht von der Heeresverwaltung beigetriebenen Spinnrohstoffe und Waren daraus zu einem guten Teil durch Kauf in deutsche Hände. Nächst den Vorräten in den Wollwäschereien von Verviers waren es Baumwoll- und Wollvorräte in Antwerpen, dann Baumwolle und Flachs in Gent und Courtrai, die der deutschen Verarbeitung zugeführt wurden. Die Vorräte Nordfrankreichs in Lille, Roubaix-Tourcoing und Umgebung an Wolle und Baumwolle erwiesen sich als noch reicher. Sie waren hier groß nicht nur infolge der Ausdehnung des Spinnstoffgewerbes im französischen Nordosten, sondern auch wegen der Gepflogenheit der französischen Unternehmer, mit Rohstoffen, Garnen und Fertigwaren reichlich eingedeckt zu sein. Diese Eindeckung war so stark, daß die anfänglichen Schätzungen der dortigen Vorräte, die von deutschen Fachleuten vorgenommen worden waren, durch die tatsächlichen Mengen weit übertroffen wurden. In Polen und den anderen besetzten Gebieten des Ostens waren die Zugänge auch bedeutend, wenngleich die wechselnde Besetzung und Räumung von Lodz, dem ausschlaggebenden Platz für Wolle und Baumwolle, und die Zerstörung der riesigen Flachsspinnerei von Zirardow nicht alle Vorräte hatten in deutsche Hände fallen lassen. Wertvoll blieben die dauernden Lieferungen von neuerzeugtem Flachs, Wolle und Tierhaaren aus Belgien und Polen, lange Zeit auch die bedeutenden Lieferungen von Abfällen, fertigen Geweben und Bekleidungsstücken, zuletzt die Wolle, mit der in Belgien Matratzen gefüllt zu sein pflegen. Die anderen besetzten Gebiete: Serbien, Rumänien, Italien lieferten verhältnismäßig wenig Spinnstoffe (Italien beispielsweise nur erwähnenswerte Mengen von Seide, Serbien etwas Hanf); in der Ukraine währte die vereinbarte Besetzung, während welcher nur der Ankauf, aber keine Beitreibung und Beschlagnahme in Frage kam, zu kurze Zeit, um erhebliche Spinnstoffmengen zu liefern. Von der anfangs durchgeführten Beitreibung im besetzten Gebiete ging man mehr und mehr zum freihändigen Einkauf über. Hierdurch wurden die Vorräte an Garnen, Geweben und Bekleidungsgegenständen, die Neuerzeugung von Flachs, Wolle und Tierhaaren, die Alt- und Abfallstoffe erfaßt, so daß sich die freihändig gekauften Mengen den anfänglich beigetriebenen immer mehr genähert haben. Von den im Anfang beigetriebenen Woll- und Baumwollmengen in Verviers und Antwerpen stellte sich ein nicht unerheblicher Teil als deutsches Eigentum heraus. Die zahlenmäßige Erfassung der aus allen besetzten Gebieten zusammen in die deutsche Spinnstoffwirtschaft gelangten Mengen ist sehr schwierig. Vor allem im Anfang des Krieges und bei der überstürzten Räumung zum Schluß fehlte jede sichere Anschreibung, ebenso vielfach bei den freihändig gekauften Mengen. So sind beispielsweise 1914 bei Gelegenheit eines Streiks der belgischen Zollbeamten zahlreiche Kraftwagen mit Wolladungen aus Verviers unangeschrieben in das benachbarte Aachen gelangt, und auch im ganzen weiteren Verlauf des Krieges sind unter der Hand nennenswerte Mengen gekauft worden, die ohne Wissen der Heeresver-



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waltung der privaten Verarbeitung in Deutschland zugeflossen sind. Die Spinnrohstoffe sind auch in einem außerordentlich verschiedenen Grad der Reinheit in die Lager der Heeresverwaltung gelangt4. Selbst ein ungefährer Überblick hätte erst nach völliger Aufarbeitung aller Bestände und durch umfangreiche Berechnungen nach den Büchern aller beteiligten Lager, Abrechnungsstellen und Kriegsgesellschaften gewonnen werden können. Diese ursprünglich geplante Schlußrechnung haben vorzeitiger Kriegsschluß und Revolution unmöglich gemacht. Die aus den besetzten Gebieten im Laufe des Krieges insgesamt eingeströmten Mengen an Spinnrohstoffen, Garnen und Geweben kann man sich im Vergleich zum deutschen Friedensjahresbedarf (vgl. seine Zahlen auf Seite 15) nach folgender Schätzung ungefähr vorstellen: Wolle reichlich ein Friedensjahresbedarf5, Baumwolle reichlich der vierte Teil eines Friedensjahresbedarfs, Flachs ein zweifacher Friedensjahresbedarf, Hanf der zehnte Teil eines Friedensjahresbedarfs, Jute (einschl. Säcke) knapp der zehnte Teil eines Friedensjahresbedarfs. Der Umfang dieser Einfuhr aus den besetzten Gebieten war eine Folge der dort vorhandenen großen Vorräte, nicht einer schärferen Erfassung; im Gegenteil, man ging im ganzen in den besetzten Gebieten milder vor als in Deutschland selbst. Die bei Kriegsausbruch vorhandenen inländischen Vorräte und die Einfuhr gaben die Atempause, die dazu nötig war, die inländische Neuerzeugung an Spinnstoffen, die Alt- und Abfallstoffe und die Ersatzspinnstoffe so zu erfassen und neuzugestalten, daß die Spinnstoffversorgung im Rahmen des Kriegsbedarfs von der abnehmenden Einfuhr möglichst unabhängig wurde. Die Aufgabe war zwar technisch durch die weitgehende gegenseitige Vertretbarkeit der Spinnstoffe in der Verarbeitung und Verwendung erleichtert, aber sie war auch technisch nicht völlig lösbar und vor allem nach der Mengenseite selbst in Verbindung mit einer immer weiter ausgebauten Sparwirtschaft nur bis zu einem bescheidenen Grade möglich. Der Nachdruck war dabei für den Anfang auf die restlose Nutzung der Alt- und Abfallstoffe zu legen, für die fernere Zukunft auf die Steigerung der einheimischen Erzeugung an den altgewohnten Spinnfasern und an Ersatzspinnstoffen, da die anfänglich großen Mengen der Alt- und Abfallspinnstoffe sich infolge der Sparwirtschaft in Mengen und Güten notwendig allmählich verringern mußten. Was Alt- und Abfallstoffe betrifft, so kann man rechnen, daß bei sorgfältiger Erfassung die Hälfte der alljährlich neu in den Verbrauch gelangenden Gewebe, Wirk- und Strickwaren als Lumpen und Tuchabschnitte wieder gewonnen wurden. Im Frieden fand der größte Teil der Lumpen Verwendung in der Papier- und Dachpappenherstellung. Nur das Wiederaufreißen zu 4 Es kamen anfangs zahlreiche Eisenbahnwagen an, die als Spinnstoffladungen angeschrieben waren, welche aber zugleich Ziegelsteine und Eisenreste der durch Artilleriefeuer zerstörten Fabriken, aus denen man die Vorräte zu retten versucht hatte, enthielten. 5 Auch in Lumpen waren die Lieferungen nicht unerheblich. Es sind insgesamt rund 20 Mill. kg Lumpen aus den besetzten Gebieten eingeführt worden, davon zwei Drittel aus Belgien, der Rest aus dem Osten.

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Kunstwolle hatte schon im Frieden nennenswerten Umfang angenommen, dasjenige zu Kunstbaumwolle stand noch in den Anfängen; Kunstleinen war noch gar nicht in Aufnahme gekommen. Ein Teil der Baumwollumpen wurde im Kriege zur Munitionsherstellung verwendet (Nitrierbaumwolle). Die Kriegsbewirtschaftung zielte nun dahin, die Verwendung zur Papierherstellung zu unterbinden, die Sammeltätigkeit anzuregen und die Anlagen zum Aufreißen der Lumpen und Tuchabschnitte zu Spinnfasern zu vermehren und zu verbessern. Im Zusammenhang damit wurden die Vorschriften über die Zusammensetzung der nach den Friedensvorschriften ganz aus neuen Wollfasern zu fertigenden Militärtuche abgeändert. Es stellte sich heraus, daß bei mäßiger Beimischung von Kunstwolle Dauer und Aussehen der Tuche nur ganz unmerklich litten; es ließen sich daher weitgehende Ersparnisse an neuer Faser erzielen. Die Beimischungen wurden im Laufe des Krieges immer mehr verstärkt, wodurch allerdings allmählich die Güte der Erzeugnisse in bedenklicher Weise litt. Im Durchschnitt des Jahres 1917 betrug der erlaubte Kunstwollgehalt im Rocktuch schon 55 %, und weitere Steigerungen standen bevor. Ähnlich entwickelte sich die Zusammensetzung bei warmer Unterkleidung und bei Socken. Die Mannschafts- und Pferdedecken wurden 1917 schon zu über 90 % aus Kunstwolle hergestellt, für den Rest Tierhaare verwendet. Ähnlich, wenn auch nicht im gleichen Verhältnis zum Gesamtgewicht, änderten sich die Spinnstoffzusammensetzungen auf anderen Gebieten. Da ein Grundstock neuer vollwertiger Spinnfasern unentbehrlich ist, mußte die einheimische Erzeugung nachdrücklich gefördert werden, und zwar die der altgewohnten und die neuer Fasern. Es war dabei oft schwer zu entscheiden, ob bisher ungewohnte Fasern, wie beispielsweise die Brennesselfaser, als vollwertige einheimische Spinnstoffe oder als Ersatzspinnstoffe anzusehen waren. Es läßt sich überhaupt die Bezeichnung Ersatzstoff nicht fest abgrenzen. Der Beigeschmack der Minderwertigkeit, der volkstümlich mit dem Wort Ersatzstoff verbunden ist, besteht oft nur im Vorurteil der Hersteller und Verbraucher, oder er ist wenigstens nur zeitweise berechtigt, solange das neue Verfahren in den Kinderschuhen steckt In der Zielsetzung bestand jedenfalls die Absicht, möglichst vollwertigen Ersatz zu schaffen. Es galt also, die altgewohnten einheimischen Spinnstoffe (Wolle, Flachs, Hanf) zu vermehren und nach neuen inländischen Rohstoffquellen Ausschau zu halten. Die Schwierigkeiten waren dabei nach vielen Seiten groß. Die Ausdehnung der Schafzucht und die Hergabe größerer Anbauflächen für Flachs, Hanf und Brennessel drohte den Nahrungsmittelspielraum einzuengen, der Arbeitermangel auf dem Lande ließ einen Erfolg nur erhoffen bei weitgehender Errichtung von Anstalten für mechanische Aufbereitung. Durch den Bau dieser Anstalten wurden wiederum Arbeitskräfte, Baustoffe, Kohlen und Verkehrsmittel in unerwünschter Weise belastet. Es war die Aufgabe, zwischen allen diesen Gesichtspunkten eine verständige Mitte zu halten, den günstigsten Wirkungsgrad herauszufinden. Man stand der geschichtlichen Tatsache gegenüber, daß die Entwicklung der landwirtschaftlichen Technik und die Verschiebungen auf dem ländlichen Arbeitsmarkte die inländische Faserstofferzeugung auf einen Tiefstand hatten herabgehen



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lassen, der 1913 in der Schafzucht mit rund 5,5 Millionen Stück Schafen nur noch den fünften Teil, im Flachsbau mit rund 10 000 ha6 nur noch den fünfzehnten Teil des alten Höchststandes in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts bedeutete, trotzdem inzwischen die Bevölkerung auf das Doppelte angestiegen war. Der Hanfbau umfaßte nur noch 400  ha. In der Schafzucht trat während des Krieges zunächst in Verbindung mit der Fleischversorgung ein weiterer Rückgang ein, dem die Landwirtschaftsverwaltung nicht den nötigen Widerstand leistete, bis endlich auf Veranlassung der Kriegs-Rohstoff-Abteilung eine Schafzuchtstelle gegründet wurde, die eine Hebung der Schafzucht anbahnen sollte. Der Gedanke dabei war vor allem, einerseits durch Zuchtmaßnahmen den Wollertrag des einzelnen Schafes nach Menge und Güte zu heben, andrerseits die Schafzucht in Einklang mit der neuzeitlichen landwirtschaftlichen Betriebsweise zu bringen. Bei Flachs — und ähnlich bei Hanf — galt es nicht nur, den Anbau an sich wieder zu beleben, ihn in die Fruchtfolge möglichst ohne Störung der Lebensmittelerzeugung einzuschieben und auf bisher ungenutzten Moor- und Ödflächen zu versuchen, sondern vor allem kam es darauf an, die Aufbereitung vom Bauernhof in die Fabrik zu verlegen. Nur so konnte man hoffen, trotz des Leutemangels in der Landwirtschaft, den der Krieg noch gegen die letzten Friedensjahre verschärft hatte, die Widerstände gegen den Anbau zu überwinden. Voraussetzung war auch die Saatbeschaffung, für Hanf aus Serbien und der Türkei und für Flachs aus den besetzten westlichen Randländern Rußlands. Die Hauptarbeit lag bei Flachs und Hanf zunächst in der Errichtung von Röstanstalten. Der Fiskus gab für Flachsröstanstalten 7 Millionen und die an der Verarbeitung des Flachses beteiligten Gewerbe einige weitere Millionen Mark. 1916 wurde der Bau von 45 Rösteinheiten in die Wege geleitet, 1917 der von weiteren 30 Einheiten in Angriff genommen und bis Ende 1917 rund 10 Mill. Mark an Zuschüssen bezahlt. Diesen Anstalten, die dem Flachsbauern das bisher auf dem Felde oder in Wasserläufen besorgte zeitraubende, veraltete Röstverfahren abnahmen und es durch ein ununterbrochenes künstliches Verfahren ersetzten, gliederten sich rund 35  Ausarbeitungsanstalten an, die das Brechen, Schwingen, Hecheln mit der Hand durch Maschinenarbeit ersetzten. Ein Drittel der Röstanstalten entstand in Schlesien, dem von alters wichtigsten deutschen Flachsgebiet, dann folgten Bayern und Sachsen mit 12 und 9 Anstalten, während der Rest sich ziemlich gleichmäßig über das übrige Land verteilte. An Röstanstalten für Hanf wurden rund 40 Einheiten mit einem Reichszuschuß von 8  Mill. Mark errichtet. Der Erfolg aller dieser Maßnahmen war, daß bis zum Schluß des Krieges der Flachsbau von 10  000  ha auf 35  000  ha, der Hanfbau von 400 auf rund 5000 ha gestiegen war. Der Mengenertrag nahm nicht ganz in dem erwarteten Umfange zu, da die Witterung in den Kriegsjahren den Faserpflanzen

6 Die Angaben über die Ausdehnung des Flachsbaus in Deutschland vor Kriegsausbruch schwanken stark; es ist wahrscheinlich, daß viele Flachsbauflächen von der Anbaustatistik nur sehr oberflächlich erfaßt worden sind.

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nicht besonders günstig war. Inwieweit absichtliche Unterschätzungen der Ernte zur Ermöglichung von Verschiebungen mitgespielt haben, ist schwer zu entscheiden. Bei den Ersatzstoffen war man vor weitgehende neue Aufgaben technischer Art gestellt. Die Brennessel wurde früh als eine hochwertige Ersatzfaser für Baumwolle erkannt. An diese Faser, die offenbar in einer fernen Vergangenheit einmal eine verhältnismäßig größere Rolle gespielt hat, deren Aufbereitungsverfahren aber in Vergessenheit geraten waren, knüpften manche Kreise übertriebene Hoffnungen, während andere sich wenig von ihr versprachen. Nach vielen Versuchen gelang es, einwandfreie Verfahren zur Ausschließung zu finden, die die Zerstörung der Faser durch nachträgliche Verrottung hinderten. Man wollte sich zunächst an die wildwachsende Brennessel halten; doch stellte sich heraus, daß die Wildsammlung, auch bei gelegentlichen Nachhilfen der Vermehrung an besonders geeigneten Stellen, nie große und vor allem auch nie Erträge gleichartiger Fasern, wie die Großverarbeitung deren bedarf, liefern werde. Man dachte daher an den Brennesselanbau. Die österreichische Heeresleitung machte im Hinblick auf die großen Laubwaldbestände des Landes, in denen die Brennessel günstige Bedingungen im großen finden sollte, Versuche mit dem Anbau einer faserreichen Nesselart der Donauniederung, Deutschland folgte mit Anbauversuchen auf Moorböden und Strandländereien nach. Den anfänglich großen Arbeitsaufwand glaubte man deshalb aufbringen zu können, weil die Pflanze, einmal angewurzelt, zehn und mehr Jahre lang Erträge liefern sollte. Manche Sachverständige hätten lieber die Verwendung der Mittel zur Förderung des Flachs- und Hanfbaues gesehen und schlugen vor, um die Bastfasern für die Baumwollspinnerei verwendbar zu machen, für die Hanfspinnerei schwer verwendbare kurze Hanffasern zu kotonisieren, d. h. durch ein chemisches Verfahren in baumwollähnliche Fasern zu verwandeln. Dieser letztere Versuch war bei Ausgang der Kriegsbewirtschaftung Ende 1918 noch nicht abgeschlossen. Die Brennessel hat während des Krieges eine gute Faser geliefert, aber die Erzeugungsmenge fiel nicht ins Gewicht. In reiner Faser haben die Jahresmengen 200  000 bis 300  000  kg weder in Deutschland noch in Österreich-Ungarn überschritten. An Zuschüssen gab das Reich der Nesselanbaugesellschaft m. b. H. 3 Mill. Mark. Neben der Brennessel wandte sich die Hoffnungsfreudigkeit der Entdecker und Erfinder zahlreichen anderen wildwachsenden oder sonst vorkommenden Faserpflanzen zu. Torffaser, Typhaschilf, Ginster, Weidenbast, Alpengras wurden in Bewirtschaftung genommen, Dutzende von anderen versucht. Auch aus Stroh wurden Spinnfasern gewonnen (Stranfa). Es stellte sich immer mehr heraus, daß der deutsche Boden ausschlaggebende Mengen nicht zu liefern imstande war, ohne die sonst wichtige Verwendung des Bodens, der Arbeitskraft oder der Faserpflanzen selber, die z. B. als Futtermittel oder Streu Bedeutung hatten, zu beeinträchtigen. Nur die Holzfaser versprach auf lange hinaus ohne fühlbare Nachteile große Mengen zu geben. Sie ist technisch — abgesehen von der Verwendung zu Sprengstoff — anfänglich fast ausschließlich als Spinnpapier, zweitens als unmittelbar aus dem Papierbrei gesponnener Faden und drittens in der vollkommensten Form als unmittelbar aus dem Zellstoff gezoge-



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ner Faden (Kunstseide-Stapelfaser) verwertet und so der wichtige Ersatzstoff sowohl für die Bedarfsdeckung wie für die Beschäftigung der Spinnstoffindustrie geworden. Schon Ende 1916 wurden monatlich 6  Mill.  kg Spinnpapier in Streifen geschnitten, d. h. zur Herstellung des Papiergarnes zugerichtet, Ende 1917 war die Zahl auf 15, Ende 1918 auf 20 Mill. kg im Monat gestiegen. Beim Vergleich mit den ersetzten Friedensspinnfasern darf allerdings das um 50 bis 100 % höhere Gewicht der Papiergarne und Papiergewebe nicht vergessen werden, immerhin brachte das Spinnpapier trotz seiner vielfachen Minderwertigkeit für den Verbrauch eine erhebliche Entlastung. Lange Zeit mußte es beispielsweise fast ausschließlich den gewaltigen Sandsackbedarf für die Schützengräben decken, rettete dadurch große Mengen wertvoller Gewebe für den Bekleidungsbedarf und war auch imstande, einen erheblichen Teil des bürgerlichen Bedarfs zu befriedigen. Freilich blieb die technische Verwendung bis zuletzt eine beschränkte; der große Fehler des Papiergarns, unter der dauernden Einwirkung von Feuchtigkeit seine Haltbarkeit zu verlieren, hat sich zwar im Laufe des Krieges erheblich mildern, aber nicht beseitigen lassen. Zahlreich waren die Versuche, durch Beimischung eines Teils anderer Spinnfasern das Papiergarn verwendungsfähiger und haltbarer zu machen (Textilit usw.); eine größere Beimischung hochwertiger Fasern, die doch die Fehler nur zu einem Teile behob, enthielt die Gefahr der ungewollten Verschwendung infolge der kurzen Lebensdauer des Ersatzstoffes. Was die Widerstandsfähigkeit gegen Feuchtigkeit und auch die Feinheit und Gleichmäßigkeit anlangt, so befriedigte die Stapelfaser ungleich mehr, so daß sie von 1918 an mehr und mehr hervorzutreten begann, nachdem umfangreiche Einrichtungen zu ihrer Herstellung in Betrieb gekommen waren. Die Stapelfaser erscheint auch als derjenige Ersatzspinnstoff, der sich in der Friedenswirtschaft dauernd zu halten verspricht. Bemerkenswert waren auch die Versuche, Torffasern zu verspinnen. Es handelte sich dabei um Nester von Faserpflanzen, welche in die deutschen Torfmoore eingesprengt sind. Die Nachteile der Torffaser liegen in ihrer Grobheit und in ihrer Neigung, sich aus den Geweben allmählich wieder zu verlieren, der Versuch der Verwendung der Torffaser als Spinnfaser war aber grundsätzlich wichtig insofern, als sich ihre Verwendung nicht an Erzeugnisse der Gegenwart, sondern an aufgestapelte Vorräte der Vergangenheit wandte, ähnlich wie die Kohlenwirtschaft sich an unerschöpfliche Vorräte der Vergangenheit hält. Den Ersatzspinnstoffen erging es wie vielen anderen Rohstoffen, die heute im allgemeinen Gebrauch sind, aber als Ersatzstoffe ihren Weg begonnen und Jahrzehnte bis zu ihrer endgültigen Durchsetzung gebraucht haben. Die Schwierigkeiten lagen vor allem darin, daß die Ersatzstoffe in der Regel nicht so vielseitig verwendbar waren wie die altgewohnten Spinnstoffe. Es galt daher, sie für jeden Verwendungszweck einzeln auszuproben, das richtige Verhältnis zwischen Brauchbarkeit und Dauer des Ersatzstoffes herauszufinden und umfangreiche Umstellungen in den technischen Einrichtungen der Fabriken vorzunehmen. Die Vorräte an Fertigbeständen konnten ebenfalls in der Heereswirtschaft nicht entbehrt werden. Anfang 1916 erfolgte eine Beschlagnahme der „heeresbrauch-

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baren“ Bestände an Geweben, Ober- und Unterkleidung für Männer in den Lagern des heimischen Handels und Bekleidungsgewerbes. Die heeresbrauchbaren Bestände wurden ausgesondert und durch die eigens für diesen Zweck errichtete „Ankaufsabteilung für beschlagnahmte Webwaren“ des Kriegsministeriums angekauft und eingelagert. Was nach dieser Beschlagnahme und Erwerbung seitens der Heeresverwaltung dem Handel und der Konfektion an Geweben und an fertigen Bekleidungsgegenständen blieb, wurde für die bürgerliche Bevölkerung durch die im Juni 1916 errichtete und dem Reichsamt des Innern, später dem Reichswirtschaftsamt nachgeordnete Reichsbekleidungsstelle bewirtschaftet. Auch aus den Haushaltungen suchte man, anfangs durch freiwillige Sammlungen, später durch die Androhung der Enteignung, Bekleidungsgegenstände und Wäsche für den Bedarf der öffentlichen Anstalten, der Armenpflege, der Hilfsdienstpflichtigen freizumachen. Eine allgemeine Sparwirtschaft mußte zu tief einschneidenden Einschränkungen des Bedarfs führen, ohne die bei dem gewaltigen Bedarf des Heeres an ein Durchhalten nicht zu denken war. Die Gewöhnung des Erwerbslebens und der Bevölkerung an die freie Wirtschaft, die Neigung der fechtenden Truppe, alles im Überfluß zu verwenden und das Verbrauchte nicht zu achten, setzten große Widerstände entgegen. Man ging schrittweise vor, begann mit der Einschränkung der Ausfuhr und des Ankaufs durch die bürgerliche Bevölkerung, griff dann langsam über auf den Bedarf der bürgerlichen Behörden, z. B. der Post, Eisenbahn und Schiffahrt, auf den Bedarf der Rüstungsindustrie an technischer Ausrüstung, auf das Heer in der Heimat, auf die Etappe und letzten Endes sogar auf die Front, deren Bedarf planmäßig einzuschränken im Anfang des Krieges niemand gedacht haben würde. Die Anfertigung neuer Uniformen wurde nicht allein vermindert und in der Zusammensetzung weitgehend auf Ersatzstoffe verwiesen, sondern es wurden auch die verbrauchten Uniformen zurückgeführt und wieder instandgesetzt. Diese Maßnahme wurde im letzten Kriegsjahre großzügig durchgeführt und dafür besondere Bekleidungs-Instandsetzungsämter in den einzelnen Korpsbezirken errichtet. Die volle Höhe erreichte die Sparwirtschaft von Mitte 1917 ab, als alle Spinnstoffe einschließlich der Seide und aller nennenswerten Ersatzstoffe in die Beschlagnahme eingeschlossen waren. Nur die notwendigsten Mengen wurden auf die Beschaffungsanträge der Heeresstellen hin und für geschlossene Teilbedarfsgebiete der Kriegswirtschaft auf bestimmte Zeiträume bewilligt. Es ist klar, daß die Sparwirtschaft in diesem Sinne erst durchgeführt werden konnte, nachdem es gelungen war, einen sicheren Überblick über den Bedarf zu gewinnen. Jahrelange emsige Arbeit statistischer und organisatorischer Art war auf dem schwer durchschaubaren Spinnstoffgebiet dazu nötig. Für die Beurteilung des notwendigen Bedarfs war von Wichtigkeit, daß ein großer Teil, der anfänglich als bürgerlicher Bedarf erscheinen konnte, unmittelbare Rückwirkung auf die Kriegführung hatte; so der unentbehrlichste Bedarf des Verkehrswesens, der Bedarf der für das Heer arbeitenden Betriebe an technischen Geweben (Spinnstoffriemen, Filtern, Filzen, Packungen, Schläuchen usw.), ferner die Berufskleidung für die Rüstungsarbeiter und Hilfsdienstpflichtigen und endlich zum mindesten derjenige dringendste



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Bedarf der Bevölkerung, dessen Fehlen den Willen zum Durchhalten beeinträchtigen konnte. Die organisatorische Voraussetzung der Sparwirtschaft war die Durchführung der zusammengefaßten Beschaffung aller Spinnstoffe und Spinnstofferzeugnisse für das Heer, wie sie mit der Errichtung des Bekleidungs-Beschaffungsamtes und der Zusammenfassung der sonstigen Gewebebeschaffungen in immer weniger zentralen Stellen beschritten wurde. Als Beispiel für den Erfolg der Sparwirtschaft diene das Schaubild  II über den Eingang von Tuchen bei den Kriegsbekleidungsämtern. Wegen der dauernden Herabsetzung des Gehalts an neuer Faser in den Spinnstoffmischungen für die Tuche sind die Ersparnisse an hochwertigen Spinnstoffen noch bedeutender, als das Schaubild erkennen läßt. In ähnlichem Maße vollzog sich die Senkung auf anderen Verbrauchsgebieten; allerdings kamen auch Steigerungen auf einzelnen Verbrauchsgebieten vor, z. B. bei den Luftwaffen. Der Heeresbedarf im engeren Sinne nahm bei Neuanfertigungen den Löwenanteil in Anspruch; der kriegswirtschaftliche Bedarf für Verkehr und Rüstungsindustrie hielt sich unter 10 % der Gesamtmengen. Der Heeresbedarf rechnete zuletzt mit ungefähr 250 Mill. kg Spinnstoffen für Neuanfertigung jährlich; über die 1917 bewilligten Kontingente für den kriegswirtschaftlichen Bedarf gibt das Schaubild III Auskunft. Der bürgerliche Bedarf, anfänglich auf die freigebliebenen Garne und Gewebe und auf die Fertigvorräte in den Haushaltungen beschränkt, begann nach Erschöpfung dieser Vorräte immer dringlicher Neuanfertigungen zu fordern, so daß sich 1917/18 die Heeresverwaltung mehrfach genötigt sah, Spinnstoffe, z. B. für Strümpfe, freizumachen und der Bewirtschaftung der Reichsbekleidungsstelle zu überweisen.

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Verwaltungsaufbau Der stufenweisen Entwicklung und dem Umfang der Aufgaben mußte sich ein verwickelter Verwaltungsaufbau anpassen, einmal im militärischen Beschaffungswesen für Webwaren und zweitens in der Rohstoffbewirtschaftung. Während nach den Erfahrungen aus früheren Kriegen die Beschaffungsstellen als die entscheidenden hatten erscheinen können, und die Bereitstellung der Rohstoffe wesentlich als eine Geldfrage betrachtet wurde, brachte der Weltkrieg die allerdings erst gegen große Widerstände durchgeführte Machtstellung der Rohstoffverwaltung mit sich, die bei der weitgehenden Rohstoffabhängigkeit des Spinnstoffgewerbes für die Bedarfsdeckung entscheidend werden mußte. Nicht die geschäftlich-verwaltungstechnische Seite der Beschaffung und nicht die Herstellungsmöglichkeiten vom Standpunkt der Betriebsverhältnisse aus — so schwierig auch diese im Spinnstoffgewerbe lagen — waren die Brennpunkte der wirtschaftlichen Sorgen, sondern die Frage der Rohstoffbeschaffung mit Rücksicht auf die Kriegsdauer und auf die militärische Lage. Im Anfang sah man die Aufgabe der Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe lediglich darin, die in den besetzten Gebieten angefallenen Rohstoffe den Heereslieferern zuzuführen und darüber hinaus im Inland einige wenige Sonderrohstoffe sicherzustellen. Für die hierfür nötige Übernahme und Verteilung hatte man im September und Oktober 1914 aus den Gruppen der unmittelbar Beteiligten die KriegswollbedarfAktiengesellschaft, die Kammwoll-Aktiengesellschaft und die Jute-Abrechnungsstelle gegründet. Die Gesellschaften gaben sich als gemeinnützige, da der Gewinn beschränkt war und sie sich dem Einspruchsrecht behördlicher Kommissare unterwarfen, im übrigen aber waren sie anfangs durchaus auf die Wahrnehmung der Interessen ihrer Aktionäre eingestellt; die Abrechnungsstelle war eine Abteilung der an der Juteindustrie am stärksten beteiligten Großbank. Als die spätere Beschlagnahme und Bewirtschaftung fast aller Spinnstoffe den Beschäftigungsgrad des gesamten Spinnstoffgewerbes von Heeresaufträgen abhängig machte, fühlten sich Heeres- und Finanzverwaltung für die gleichmäßige Beschäftigung aller Betriebe verantwortlich, und es wurden allgemeine wirtschaftliche und soziale Gesichtspunkte neben der Sicherung der Heeresversorgung für die Kriegswirtschaft maßgebend. Damit traten Aufgaben in den Vordergrund, die nicht mehr von Interessenten allein gelöst werden konnten, bei denen aber andererseits weitgehende Fachkenntnisse nicht zu entbehren waren. Die reine Selbstverwaltung war weniger infolge des Übergewichts von Erwerbsrücksichten ausgeschlossen, als deshalb, weil die Rohstoffverteilung in den Wirkungskreis von Heeresstellen und anderen Behörden einschneidend eingreifen mußte. Die Lösung fand man in der Verteilung des Aufgabenkreises auf folgende Stellen: 1. Die Beschaffungsstellen des Heeres und die gleichstehenden zentralen Beschaffungsstellen der Eisenbahn, Post usw. zur Ermittlung des unumgänglichen Bedarfs, zur Erteilung der Aufträge, zur Überwachung der Hersteller und zur Abnahme der Waren.

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2. Die Rohstoff-Abteilung des Kriegsministeriums zur Nachprüfung und Genehmigung des von den zentralen Beschaffungsstellen angemeldeten Bedarfs, ferner zur Erfassung, Vermehrung und Zuweisung der erforderlichen Herstellungs- und Hilfsstoffe und zur Leitung der gesamten mit der Rohstoffsicherung verknüpften allgemeinen wirtschaftlichen Aufgaben. 3. Die Kriegsgesellschaften und Abrechnungsstellen als die Treuhändler der Rohstoff-Abteilung bei der Einzeldurchführung der Spinnstoffbewirtschaftung in technisch-kaufmännischem Sinne. 4. Die Kriegsausschüsse und Lieferverbände als Vertreter der Fachgruppen von Heereslieferanten zur Übernahme der Heeresaufträge und zur gleichmäßigen Weitergabe an ihre Mitglieder, ferner zur Beratung der Rohstoffverwaltung bei allen auf die Gesamtlage des Spinnstoffgewerbes rückwirkenden Erscheinungen. Aus diesen Verhältnissen erwuchs die Vielgestaltigkeit des Verwaltungsaufbaus. Im einzelnen war die Zuständigkeit oft schwer abzugrenzen. Es besteht kein Zweifel, daß die militärische Spinnstoffverwaltung und die Beschaffungsstellen des Heeres im Laufe des Krieges zahlreiche Aufgaben ausgeführt haben, die über den Bereich der bloß anordnenden und disponierenden Tätigkeit reiner Verwaltungsbehörden hinausgingen. Der Grund ist darin zu suchen, daß Selbstverwaltungskörper der Industrie, denen solche Teilaufgaben hätten übertragen werden können, noch weitgehend fehlten, und daß es im Drange der Zeit nicht möglich war, ihre Entstehung abzuwarten. Das Abstoßen solcher Nebenaufgaben, die Zusammenfassung und Vereinheitlichung des Verwaltungsaufbaus ist eine dauernd weiter verfolgte Aufgabe gewesen. Vielgestaltig mußte aber trotzdem der Verwaltungsaufbau auf dem Spinnstoffgebiet bleiben. Jeder der Spinnstoffe erzwang infolge seiner Eigenart eine besondere Behandlung, die in der Regel nur durch eine eigene Stelle zu lösen war. Die Vielgestaltigkeit der Spinnstoffe verlangte auch innerhalb der Kriegs-Rohstoff-Abteilung eine weitgehende Unterteilung nach den zu bewirtschaftenden Stoffgruppen; selbst auf einzelnen Stoffgebieten, wie beispielsweise dem der Wolle, wurden mehrere Kriegsgesellschaften tätig, weil nacheinander Teilaufgaben hervortraten oder die Bearbeitung durch eine Gesellschaft unübersichtlich zu werden drohte. Während sich in der Rohstoffverwaltung die Einteilung nach Stoffen restlos durchsetzte, blieb in der Webstoffbeschaffung vorerst noch die Beschaffung nach den Bedürfnissen bestimmter Waffengattungen bestehen, auch nachdem die Beschaffung zentralisiert war; immer mehr strebte man aber auch im Geschäftsbereich des Bekleidungs-BeschaffungsAmtes zur Einteilung nach Stoffgebieten. Wichtige Sonderausgaben fanden ihren Sammelpunkt in selbständigen Verwaltungsstellen und Kriegsgesellschaften, z. B. für die Wiedergewinnung von Altstoffen, die Ausbildung von Ersatzstoffen, die Vermehrung der inländischen Erzeugung, die Beschaffung ausländischer Rohstoffe. Auch diese Gebiete konnten nicht ohne weiteres dem freien Erwerbsleben überlassen werden, weil andere kriegswichtige Gebiete

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nicht beeinträchtigt werden durften und politische Gesichtspunkte im Austauschverkehr mit neutralen und verbündeten Ländern mitspielten. Wegen wichtiger wirtschaftlicher, sozialer und politischer Rückwirkungen mußten auch die in dem bald unterbeschäftigten Spinnstoffgewerbe besonders dringenden Fragen der Arbeitsbedingungen geregelt werden, noch ehe — seit Ende 1916 — das Hilfsdienstgesetz der Heeresverwaltung Zuständigkeit und Verantwortung für die Ausnutzung der Arbeitskraft des ganzen Volkes zuschob. Es waren zuerst Heeresstellen, die in die Regelung der Löhne und Arbeitszeiten der Heimarbeiterinnen, des Bekleidungsgewerbes, der Spinnereien und Webereien eingriffen. Ähnlich lag es mit der schwierigen und wichtigen Aufgabe, den Wirkungsgrad durch die Zusammenlegung der Betriebe zu steigern. Bei den Spinnstoff-Kriegsgesellschaften ist der äußere Aufbau in Aktiengesellschaften, Gesellschaften m.  b.  H. und Abrechnungsstellen bis zum Kriegsschluß geblieben, es haben sich aber Aufgabenkreis, Zuständigkeit, Rechte und Pflichten im Laufe des Krieges stark verschoben. Der rote Faden, der sich durch diese Umwandlungen hindurchzog, war der Kampf um die Macht zwischen dem Kriegsministerium als Vertreter des öffentlichen Interesses und den in den Gesellschaften vertretenen privatwirtschaftlichen Sonderwünschen einzelner Gewerbegruppen. Rückblickend kann man sagen, daß die Form der gemeinnützigen Aktiengesellschaft den Anforderungen, wie sie sich im Laufe des Krieges herausstellten, nicht voll entsprochen hat. Trotz des in den Satzungen vorgesehenen gemeinnützigen Zweckes erwiesen sich die ersten Spinnstoffgesellschaften als Interessentenvertretungen, nur daß die Anteileigner ihren Vorteil nicht in Dividenden suchten und fanden, sondern in der Ausnutzung der Tatsache, daß sie durch ihren Einfluß auf die Verteilungsmengen und die Bewertung der verteilten Rohstoffe, auch aus der gewonnenen Marktkenntnis heraus ihren Vorteil gegenüber den außerhalb der Gesellschaften stehenden Teilen des Gewerbes wahrten. Trotzdem blieb zur Zeit der Errichtung der Gesellschaften kaum etwas anderes übrig, als eine privatwirtschaftliche Unternehmungsform, entweder die Aktiengesellschaft oder die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, zu wählen. Die notwendige Geldbeschaffung, die Schnelligkeit der Errichtung und die Vorteile der Beweglichkeit privatwirtschaftlicher Gebilde ließen einen Ersatz durch amtliche Stellen bei dem Fehlen eines wirtschaftlichen Mobilmachungsplanes ausgeschlossen erscheinen. Eine andere Rechtsform, die den neuartigen Bedürfnissen voll entsprochen haben würde, gab es nicht. Es kam hinzu, daß ein Verfolgen eigener Vorteile durch die Mitglieder der Gesellschaften unter den Verhältnissen, wie sie sich im Anfange des Krieges darstellten, kein wesentliches öffentliches Interesse zu verletzen schien. Die Kriegswollbedarf-Aktiengesellschaft war beispielsweise die Vertreterin der Militärtuchfabrikanten, die anfänglich die einzigen unmittelbaren Lieferer des Heeres im Wollgewerbe waren. Da widersprach es den Kriegsnotwendigkeiten nicht, wenn es dieser Gruppe gelang, sich gegenüber anderen Gruppen Vorteile in der Wollversorgung zu verschaffen. Ebenso stand kein Heeresinteresse entgegen, wenn die Kammwoll-Aktiengesellschaft den Standpunkt der Spinner gegenüber dem der Weber

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vertrat. Ganz anders aber wurde die Lage, als die Entwicklung der Verhältnisse dazu führte, das ganze Spinnstoffgewerbe fast restlos auf den Heeresbedarf umzustellen, als es nötig wurde, in finanzieller und sozialer Richtung die Gesichtspunkte der Allgemeinheit zu wahren und die der einzelnen Schichten gegeneinander abzuwägen. Im Kampfe um diese Verschiebungen stützten sich die Gesellschaften auf die Befugnisse, die sie aus ihrer Rechtsform ableiteten, ferner auf ihre Sachverständigkeit, die ihnen auf einem so verwickelten Gebiete wie dem der Spinnstoffe in manchen Fällen gestattete, Absichten der Behörde durch abweichende Auslegung der Bestimmungen zu hintertreiben und den Gesellschaften übertragene Maßnahmen durch entsprechende Handhabung zugunsten ihrer Beteiligten abzuschwächen. Die Waffen des Kriegsministeriums waren folgende: Es konnte gesetzliche Eingriffe veranlassen und wäre, da es über die großen im besetzten Gebiete beigetriebenen Spinnstoffmengen verfügte, jederzeit in der Lage gewesen, widerspenstige Gesellschaften zur Einflußlosigkeit zu verurteilen und neue an ihre Stelle zu setzen, und endlich bedurften die Kriegsgesellschaften zur Beschaffung großer Kredite mehr und mehr staatlicher Garantien, da die Banken angesichts der Preisentwicklung auf dem Rohstoffgebiete sich zurückhielten. Es war also unabweisbar, die Gesellschaften allmählich in ihrer Selbständigkeit zu beschneiden, aber doch empfahl es sich, ihre privatwirtschaftliche Form bestehen zu lassen, da diese für die Arbeitsfähigkeit unentbehrlich war. Der verbleibende Teil von Selbständigkeit war für die Behörde auch ein Ansporn zum vorsichtigen Abwägen aller Maßnahmen und ließ das Erwerbsleben an der Verantwortlichkeit mit teilnehmen. Es war übrigens nicht nur der Staat, der die ursprünglichen Rechte der Gesellschaften zurückdrängte, sondern die Erwerbskreise trugen gegenseitig dazu bei. So mußte die Vereinigung des Wollhandels in Leipzig, die für das Kriegsministerium die Abrechnung grober Wollen für Filze usw. übernommen hatte, infolge scharfer Angriffe des Bremer Wollhandels auf den ihr neben der Deckung ihrer Unkosten anfänglich zugestandenen Umsatzanteil von 2½ % verzichten, um den ehrenamtlichen Auftrag zu betonen. Am deutlichsten zeigte sich diese Entwicklung in einer Reihe von Verfügungen, die das Verhältnis der größten der Kriegsgesellschaften des Spinnstoffgewerbes, der Kriegswollbedarf-Aktiengesellschaft, zum Kriegsministerium regelten und die von Januar 1915 an einsetzten: Die Gesellschaft wurde zunächst verpflichtet, Veränderungen im Aktienbesitz und in ihrem Angestelltenstab dem Kriegsministerium mitzuteilen. Der Einkauf im neutralen Ausland und die Errichtung neuer Sammelläger wurde im Einzelfalle von besonderer Genehmigung abhängig gemacht. Die Lager wurden, auch soweit sie der Bewirtschaftung der Gesellschaft überlassen blieben, einer Aufsicht des Kriegsministeriums unterworfen, welche die gesamte Lagerbuchführung, die Wertermittlung und die Einlagerung zu prüfen hatte. Auch die von der Gesellschaft freihändig gekaufte Wolle wurde der Aufsicht unterstellt. Seit Mitte 1915 war allmonatlich ein finanzieller Ausweis einzureichen; die gesamte Buchführung mußte durch eine Treuhandgesellschaft nachgeprüft und die Prüfungsberichte der Kriegs-

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Rohstoff-Abteilung und dem Rechnungshof des Reiches übermittelt werden. Ende 1915 wurde die Gesellschaft angewiesen, ihre Bilanz vor der Veröffentlichung vorzulegen. Noch später mußte sie sich weitgehende Eingriffe in die Beschaffung und Verwendung ihrer Mittel gefallen lassen, ihre Mietausgaben und ihre Gehälter mußten von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung und dem Reichsschatzamt einzeln genehmigt werden. Schließlich wurde der Kommissar des Kriegsministeriums, der anfänglich ein bloßes Einspruchsrecht hatte, durch einen hauptamtlichen Kommissar mit Sitz in den Räumen der Gesellschaft ersetzt, dem sämtliche wichtigen Verfügungen und Beschlüsse vor der Bekanntgabe vorzulegen waren. Folgerichtig bestand die Gesellschaft darauf, daß ihr mit der Entscheidung über die leitenden Gesichtspunkte auch die finanzielle Verantwortung abgenommen wurde. Mit der Übernahme dieser Verantwortung durch die Heeresverwaltung seit der zweiten Hälfte 1915 war die Gesellschaft ihrem Wesen nach nur noch Treuhänderin des Kriegsministeriums und hatte als solche eine zwar wichtige und sich ihrem Umfange nach dauernd erweiternde, aber nicht mehr selbständige Aufgabe. In ähnlicher Weise ist der Verlauf und die Endregelung bei den zahlreichen übrigen Kriegsgesellschaften und Kriegsstellen der Spinnstoffbewirtschaftung verlaufen. Alle wurden immer mehr zu halbamtlichen Gebilden, die nach genauer Anweisung der Kriegs-Rohstoff-Abteilung die Spinnstoffe übernahmen und verteilten, die die Unternehmer veranlassen mußten, mit den Herstellungs- und Betriebsstoffen aufs sparsamste umzugehen, immer minderwertigere Spinnstoffe sachgemäß zu verarbeiten, Ersatzstoffe zu verwenden, ihre Arbeiter durch entsprechende Lohnregelungen zufrieden zu erhalten. Was zum großen Vorteil auf dem unübersichtlichen Gebiet der Spinnstoffe bestehen blieb, war die Verbindung kaufmännischer Beweglichkeit mit behördlichen Verwaltungsaufgaben, wie sie sich in diesem Aufbau der Kriegsgesellschaften fand. Freilich fand die ganze planmäßige Gestaltung der Bewirtschaftung nicht immer den nötigen Rückhalt in der Einstellung einzelner Persönlichkeiten, die, von dem furchtbaren Ernst der Lage nicht durchdrungen, vielfach ihren Einzelinteressen nachgingen. Die nach Fachgruppen gegliederten Kriegsgesellschaften, Abrechnungsstellen und Kriegsausschüsse wurden von Fachsektionen der Kriegs-Rohstoff-Abteilung, die ebenfalls stofflich gegliedert waren, überwacht. Je unselbständiger die Gesellschaften wurden, um so ausgedehnter und verantwortungsvoller wurde der Aufgabenkreis der Spinnstoffsektionen. Diese letzteren waren in der Unterabteilung Webstoffe der Kriegs-Rohstoff-Abteilung zusammengefaßt. Die Zahl und das Stoffgebiet der einzelnen Spinnstoffsektionen (einschl. Papier) und der ihnen nachgeordneten Kriegsgesellschaften ergibt sich auf dem Höhepunkt des amtlichen Verwaltungsaufbaus (nach dem Stand vom 1. August 1918) aus dem Schaubild VI Seite 284. Nicht eingeschlossen ist in dem Schaubild der Aufbau des Beschaffungswesens auf dem Spinn- und Webstoffgebiet. Ein kurzes Wort darüber muß an dieser Stelle genügen. Es bestanden am 1.  August 1918 folgende zentrale Webstoffbeschaffungsstellen, mit Ausnahme der Intendantur XI. Korps sämtlich in Berlin:

Verwaltungsaufbau 

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Bekleidungs-Beschaffungs-Amt (B.B.A.) einschl. der angegliederten staatlichen Beschaffungsstelle für die freiwillige Krankenpflege, Waffen- und Munitions-Beschaffungs-Amt (Wumba), früher Feldzeugmeisterei, Ingenieur-Komitee (J.K.), Eisenbahn-Ersatzpark, Inspektion der Kraftfahrtruppen (Idkraft), Inspektion der Luftschiffertruppen (Idluft), Inspektion der Fliegertruppen (Idflieg), Inspektion der Nachrichtentruppen (Idnach), Zentralbeschaffungsstelle für Webwaren des Hauptsanitätsdepots (H.S.D.), Hauptgasschutzlager (H.G.S.L.), Militär-Veterinär-Akademie (M.V.A.), Stellvertretende Intendantur XI. Korps, Kassel, Friedensverpflegungsabteilung des Kriegsministeriums (B.2), Bekleidungsdepot der Schutztruppen. Da es bis August 1918 noch immer nicht gelungen war, die Spinn- und Webstoffbeschaffungen restlos für das gesamte Reichsgebiet bei den genannten Stellen zusammenzufassen, so bestanden daneben, wenn auch für einen stetig verringerten Aufgabenkreis, noch einige Beschaffungsstellen der größeren Bundesstaaten und der Marine, die auch als „Webstoffbeschaffungsstellen“ seitens der Kriegs-RohstoffAbteilung anerkannt waren. Es waren außer der Marine acht. Von nichtmilitärischen Stellen waren ferner als Webstoffbeschaffungsstellen anerkannt: Eisenbahnwebstoffstelle, Berlin, Postwebstoffstelle, Berlin, Reichsbekleidungsstelle — Abteilung für Anstaltsversorgung — Berlin, Reichssackstelle, Berlin, Maschinenkonstruktionsamt der bayr. Staatseisenbahnen, München, Kgl. Bayr. Landeskomitee vom Roten Kreuz, München, und als einzige nichtamtliche Stelle: Friedrich Krupp Aktiengesellschaft, Essen. Dem Bekleidungs-Beschaffungs-Amt, der bei weitem wichtigsten der Webstoffbeschaffungsstellen, auf das immer mehr Beschaffungsgruppen übergingen, waren sechs Lieferverbände nachgeordnet. Diese Lieferverbände hatten ähnliche Aufgaben wie die Kriegsausschüsse der Kriegs-Rohstoff-Abteilung. Diese verschiedene Unterstellung gleichartiger Aufgaben ist in der zeitlichen Entwicklung begründet; sachlich wurde sie später ziemlich bedeutungslos, da das Bekleidungs-Beschaffungs-Amt tatsächlich der Kriegs-Rohstoff-Abteilung untergeordnet wurde, indem das Kriegsamt, die vorgesetzte Stelle beider Stellen, der Rohstoff-Abteilung die Bearbeitung der Angelegenheiten des Bekleidungs-Beschaffungs-Amts übertrug.

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 Überblick

Das Personal der Webstoffabteilung der Kriegs-Rohstoff-Abteilung erreichte am 1. August 1918 rund 500 Köpfe (von insgesamt 2700), wobei aber außerdem von den allgemeinen Sektionen ein großer Teil mit auf das Spinnstoffgebiet zu rechnen war. Das Bekleidungs-Beschaffungs-Amt zählte rund 1000  Beamte und Hilfskräfte, die Kriegsgesellschaften und Abrechnungsstellen des Spinnstoffgebiets beschäftigten fast 5000 Angestellte (ohne 2000 Arbeiter in den eigenen Betrieben), die sechs Lieferverbände des Bekleidungs-Beschaffungs-Amts 250 Köpfe. Der amtliche Aufbau der Kriegsbewirtschaftung des Heeresbedarfs an Spinnstoffen beschäftigte also annähernd 7000 Köpfe. Getrennt von diesem Verwaltungsaufbau, aber doch in einem aus der Macht der Tatsachen abgeleiteten Abhängigkeitsverhältnis zu der Kriegs-Rohstoff-Abteilung, stand die dem Reichswirtschaftsamt nachgeordnete Reichsbekleidungsstelle mit ihrer Geschäftsabteilung, der Kriegswirtschafts-Aktiengesellschaft. Beide zusammen beschäftigten gegen 1500  Angestellte, dabei war aber die Einzeldurchführung von der Reichsbekleidungsstelle den Gemeinden überlassen, die dafür in ihren Bezugsscheinausgabestellen, den Instandsetzungs- und Ausgabelagern getragener Kleidungsstücke umfangreiche Organisationen schaffen mußten, die insgesamt wiederum Tausende von Menschen teils hauptberuflich, teils nebenberuflich und ehrenamtlich beschäftigten.

Arbeitsweise Auf die Arbeitsweise der Beschaffungsstellen des Heeres, der Verwaltungssektionen der Kriegs-Rohstoff-Abteilung und der Kriegsgesellschaften im einzelnen einzugehen, verbietet der Raum. Die Haupthilfsmittel zur Durchführung der gestellten Aufgaben waren: Gesetze, Verordnungen und Abmachungen, wodurch Beschlagnahmen, Verkaufszwang, Enteignungen, Verarbeitungs-, Preis- und Lohnvorschriften, regelmäßige Bestandsaufnahmen bei Industrie und Handel (in der Regel monatliche Meldungen), Bedarfsanmeldungen der Beschaffungsstellen (häufig über 6 oder 9 oder 12 Monate reichend), Freigaben und Kontingente verfügt wurden. Als Überwachungsmittel dienten von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung genehmigte Belegscheine, die die einzelnen Heeresaufträge als Belege für die Entnahme der dafür erforderlichen und bewilligten Rohstoffe, Hilfsstoffe und Zwischenerzeugnisse durch alle Herstellungsstufen begleiteten. Dasselbe bezweckten Freigabescheine für den mittelbaren Heeresbedarf und Ausfuhrgenehmigungen; von der Reichsbekleidungsstelle wurden Bezugsscheine zum Nachweis berechtigter Entnahmen für den bürgerlichen Bedarf eingeführt. Dazu wurde die Nachprüfung an Ort und Stelle durch Revisoren immer mehr ausgebaut, die sich dem starken Drange des Erwerbslebens, sich der behördlichen Regelung zu entziehen, entgegenstellten. In der inneren Geschäftsführung der Kriegsgesellschaften war bei ihrer Größe (die Kriegswollbedarf-Aktiengesellschaft, Berlin, zählte bei Kriegsschluß mehr als



Preise und Finanzen 

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2000 Angestellte, die Baumwollabrechnungsstelle in Bremen und die Kriegs-HadernAktiengesellschaft in Berlin je 500) der formularmäßige Geschäftsgang sehr entwickelt. Man kann sich die Aufgaben des Ankaufs, der Übernahme, Sichtung, Abschätzung, Veredelung, Verteilung, Versendung und Abrechnung der unzähligen Posten und Abwandlungen der Spinnstoffe nicht verwickelt genug vorstellen. Dafür nur zwei Beispiele: Das Baumwollgarnmusterlager in Bremen enthielt Ende 1917 rund 40 000 verschiedene Nummern, Färbungen, Aufmachungen, Güten, deren jeder ein oder mehrere Posten in den Lagern entsprachen. Auf dem Wollgebiet war für jede deutsche Papiermaschine ein besonderes Konto über ihren Bestand und Bedarf an Filzen nach Ausmaß, Verwendung und erforderlichen Eigenschaften angelegt. Die Schwierigkeit bestand bei der Fülle von Einzelheiten darin, die Schnelligkeit und Sicherheit der Erledigung und, im Unterschied von privatwirtschaftlichem Vorgehen, die Gleichmäßigkeit in der Behandlung aller Beteiligten nicht verlorengehen zu lassen.

Preise und Finanzen Die Bewirtschaftung der Spinnstoffe konnte bei den Mengenfragen nicht stehen bleiben, sondern sie mußte sich auch mit der Regelung der Preisfragen befassen. Es wurde schon gezeigt, daß die Beschaffungsstellen, ehe die Rohstofforganisation der Heeresverwaltung gefestigt genug war, um überhaupt in die Preisgestaltung eingreifen zu können, ungebührlicher Preissteigerung nicht den nötigen Widerstand geleistet hatten. Die hohen Preise für fertige Gewebe und Bekleidungsgegenstände, die das Erwerbsleben durch die überstürzten Käufe der Kriegsbekleidungsämter und anderer Webstoffbeschaffungsstellen und durch Angstkäufe aus Verbraucherkreisen erzielt hatte, wirkten sofort auf die Rohstoffpreise zurück. Schon bei den ersten Ankäufen in Verviers verließ der Handel die für die Beitreibungen der Heeresverwaltung vorgesehene Grundlage des Friedenspreises vom 25. Juli 1914 erheblich. Die Preise der in Deutschland vorhandenen Spinnstoff- und Garnvorräte gingen, abgesehen von Baumwolle und Seide, die noch im friedensmäßigen Umfang hereinströmten, mit in die Höhe. Die seit November 1914 streng durchgeführte Maßnahme der Heeresverwaltung, private Käufe und Versendungen in den besetzten Gebieten nicht mehr zuzulassen, kam nach dieser Richtung zu spät. Ausschlaggebend für die ganze Preisentwicklung war, daß das Spinnstoffgebiet nicht das einzige darstellte, auf dem eine sofortige starke Steigerung der Preise eingesetzt hatte. Sie trat bei vielen anderen Gewerben sogar stärker in die Erscheinung als bei dem bald unterbeschäftigten Spinnstoffgewerbe, hervorgerufen zum Teil ebenfalls durch die Rohstoffknappheit (z. B. bei Leder), zum Teil durch die übergroße Nachfrage (wie bei der Munitions- und Waffenindustrie). Nur sofortiges gemeinsames Vorgehen auf allen Gebieten, verständnisvolle Mitwirkung der militärischen Beschaffungsstellen — auf die die Rohstoff-Abteilung zunächst wenig Einfluß hatte — und

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 Überblick

der bürgerlichen Behörden, die sich z. T. in einen schlecht verhüllten Gegensatz zur Heeresverwaltung stellten, sowie Weckung eines besseren Verständnisses der Bevölkerung für die Notwendigkeit des Krieges wären in der Lage gewesen, den Lauf der Dinge aufzuhalten. Und doch wären alle Anfangsschwierigkeiten gegenüber der Zerrüttung, die der Preiswucher zur Folge gehabt hat, klein gewesen. Auch wenn die Steigerung aller Preise letzten Endes im ganzen unvermeidlich war, so hätte doch die Entwicklung verlangsamt und vor allem gleichmäßig gestaltet werden können, so daß die Anpassungen sich organisch vollziehen konnten, und nicht das Wucherwesen und Schiebertum die ganze Wirtschaft vergifteten. Beim Erlaß der ersten Preisregelungen schlossen sich die Höchst- und Richtpreise auf dem Spinnstoffgebiet unter Beseitigung besonderer Auswüchse den zur Zeit geltenden Tages- und Marktpreisen an. Obwohl die Höchstpreise ihre Geltung nicht auf der ganzen Linie durchsetzen konnten, gelang es immerhin, während des ganzen Krieges die Preise für die öffentlich bewirtschafteten Spinnstoffe auf der zwei- bis dreifachen Friedenshöhe und für Gewebe auf der drei- bis vierfachen Friedenshöhe zu halten, während die Preise für die freibleibenden Spinnstoffe und Gewebe den zehnfachen Friedensstand und mehr erreichten. Eine freigebliebene Lumpenart hat sogar eine Preissteigerung auf das Dreißigfache erfahren. Zahlreich waren die bei der Regelung im Spinnstoffgewerbe auftretenden Preisarten. In den Spinnstoffverordnungen und den sonstigen Preisverhandlungen begegnet man folgenden Formen: Friedenspreise, Tages- und Marktpreise (mäßige, mittlere, angemessene, übermäßige), Einkaufspreise, Schätzungspreise, Kalkulationspreise, Durchschnittspreise, Mindest- und Höchstpreise, Richtpreise, Vertragspreise, Übernahmepreise, Enteignungspreise, gerichtlich festgelegte Preise, durch Schiedsspruch festgelegte Preise, Gutachterpreise, vereinbarte Preise, Verkaufspreise, Einschreibepreise, Abgabepreise, Ausgleichspreise, Anreizpreise (zur Vermehrung der Erzeugung und zur Aufdeckung versteckter Bestände), Erziehungspreise (zur Ausbildung der Technik), Wohlfahrtspreise, gleitende und feststehende Preise, gleich zahlbare und gestundete Preise, aufgedruckte Preise, Erzeuger-, Großhändler-, Kleinhändler-, Sammler- und Vermittlerpreise, Preise mit Abgabepflicht (für Entschädigung stillgelegter Betriebe, Lohnerhöhungen usw.). Zeigte sich also im Kriege eine größere Mannigfaltigkeit der Preisformen als im Frieden, so fielen auf der anderen Seite zahlreiche Unterscheidungen und Stufen nach Warengüten, Mustern und Aufmachungen weg, weil die Bedürfnisse der Heeresverwaltung einförmiger waren als der friedensmäßige Bedarf. Schon aus der Aufstellung der Preisarten ergibt sich, daß weniger Angebot und Nachfrage als gegenseitige Abhängigkeit und Machtverhältnisse sowie Rücksichten auf die Erzeugerkosten des letzten Betriebs, den man aus sozialen Gründen noch beschäftigen wollte, die Preise auf dem Spinnstoffgebiet bestimmt haben. Die Besitzer der unzureichenden Vorräte strebten danach, ihre Monopolstellung rücksichtslos auszubeuten. Später, als der Staat der fast alleinige Käufer geworden war und sich die nötigen gesetzgeberischen und verwaltungsmäßigen Grundlagen gesichert hatte, waren es die von der



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Heeres- und der Finanzverwaltung nach der Gesamtlage als angemessen betrachteten Preise, die für den öffentlichen Bedarf sich durchsetzten. Dagegen entwickelten sich die Preise für die geringen Mengen, die frei blieben oder im Schleichhandel der Versorgung der bürgerlichen Bevölkerung dienten, zügellos und unabhängig von den Preisen für den Heeresbedarf. Bei der Preisregelung mußten an sich den Beschaffungsstellen die Kalkulationsgrundlagen der Unternehmer den besten Anhalt gewähren, um nach den Verschiebungen in den einzelnen Berechnungsposten von Zeit zu Zeit die Übernahmepreise für die Erzeugnisse neu regeln zu können. Die Erkenntnis der kalkulatorischen Preiszusammenhänge schritt aber sehr langsam voran, da bei gleichen Preisen für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, je nach den technischen, kaufmännischen und finanziellen Bedingungen, je nach der geographischen Lage und der Leitung eines Werks die Ergebnisse in weiten Grenzen voneinander abwichen. Immerhin ist es gelungen, übermäßigen Preisforderungen die Spitze abzubrechen, die Ansprüche der verschiedenen Herstellungsstufen gegeneinander auszugleichen und gegen die beim unterbeschäftigten Spinnstoffgewerbe hervortretende Gefahr des Lohndrucks im großen und ganzen aufzutreten. Auch da, wo die Höchst- und Richtpreise immer wieder Durchbrechungen durch das Erwerbsleben ausgesetzt waren, rechtfertigten sie sich allein schon dadurch, daß sie den beteiligten Verwaltungsstellen feste Grundlagen zur Beurteilung in die Hand gaben, ohne welche auch innerhalb der Behörden die weitestgehenden Abweichungen in den Preisauffassungen unvermeidlich gewesen sein würden, die sowieso schon nicht ganz zu vermeiden waren. Für den allgemeinen Preisstand wurde, abweichend von den Verhältnissen in der ersten Kriegszeit, auf die Dauer der Durchschnittspreis, zu dem die Rohstoffe in die private Verarbeitung gelangten, entscheidend. Da gewohnheitsmäßig nach dem Preis des Rohstoffs auch die Unkosten- und Verdienstzuschläge seitens der Hersteller berechnet wurden, so mußte es das Bestreben der Heeresverwaltung sein, die ersten Rohstoffpreise mäßig zu halten; denn je weiter der Krieg fortschritt, desto teurer mußte die Heeresverwaltung bei steigenden Rohstoffpreisen als einzige Abnehmerin die Fertigwaren bezahlen. Dieser Zusammenhang war der Ausgangspunkt für die Ausgleichpreise, bei denen der Fiskus einen Teil der Rohstoffbeschaffungskosten vorweg trug, um billiger an die Verarbeiter liefern zu können (z. B. bei der Zellstoffund Spinnpapierzufuhr aus Schweden, für welche eine Spinnpapierausgleichskasse errichtet wurde). Eine neue Note kam in die Preisfrage durch die Stillegungen und Zusammenlegungen der Betriebe. Als Anfang 1917 infolge Arbeiter-, Kohlen- und Verkehrsnot die Aufträge auf wenige möglichst vollbeschäftigte Betriebe (Höchstleistungsbetriebe) verlegt werden sollten, hielt es die Heeresverwaltung für eine Pflicht der sozialen Gerechtigkeit, die stillgelegten durch die weiterarbeitenden entschädigen zu lassen. Es war dazu nicht überall eine Preiserhöhung der Enderzeugnisse nötig, da die wieder wachsende Beschäftigung der bestehenbleibenden Betriebe eine günstigere Unkostenverteilung ermöglichte. Fiskalisch aber konnte so kein Nutzen aus der bes-

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 Überblick

seren Beschäftigung der Werke gezogen werden, sondern es blieb die ungünstigere Preisbildung bestehen, wie sie sich entwickelt hatte, um Werke, die oft nur mit dem zehnten Teil der Friedensbeschäftigung arbeiteten, vor Verlusten zu schützen. Alle Erhöhungen der Brenn- und Hilfsstoffpreise und der Arbeitslöhne führten auch bei gleichbleibenden Preisen der ersten Rohstoffe zu immer neuen Preiskämpfen. Für die Heeresverwaltung war bei ihrem Nachgeben der Wunsch entscheidend, der Industrie trotz aller Einengungen die Arbeitsfreudigkeit und zugleich die Bereitwilligkeit, ihre Arbeiter nach Möglichkeit zu halten, nicht zu nehmen. Die gegen Ende des Krieges bewilligten Preisausbesserungen wurden zumeist ausdrücklich zur Erhöhung der Arbeitslöhne bestimmt. Bei den einzelnen Spinnstoffen verlief die Preisentwicklung nicht gleichmäßig, da die maßgebenden Gesichtspunkte und Voraussetzungen verschieden waren. Entscheidend war die Frage, ob der betreffende Spinnstoff durch inländische Gewinnung und Einfuhr vermehrt und ersetzt werden konnte oder nicht, und die Stellung des Betriebszweigs im Rahmen der gesamten Volkswirtschaft, insbesondere im Hinblick auf die Zahl der beschäftigten Arbeiter. Konnte der Spinnstoff nicht im Inland gewonnen werden, so war keine Veranlassung, von den ursprünglichen Rohstoffpreisen abzugehen; wurde er im Inland gewonnen, so mußte man den Erzeugern genügende Preise gewähren, die die Erzeugung förderten. Bei der Wolle fand die erste Regelung durch ein Höchstpreisgesetz vom 24. Dezember 1914 statt. Es wurde der rund doppelte Friedenspreis als Grundlage angenommen, während die Käufe auf dem freien Markt damals den 2½fachen Friedenspreis erreicht hatten. Die Höchstpreise bezogen sich auf acht Feinheiten von Rohwolle, fünf von gewaschener Wolle, acht von Kammzügen, zwei von Kammgarn und auf drei Arten von Tuchen. Es stellte sich bald heraus, daß es mit dieser Fassung nicht möglich war, die gesamte Preisbildung auf dem Wollgebiet fest in die Hand zu bekommen. Man nahm an, es würden die nicht besonders genannten unzähligen Zwischenstufen in den Feinheiten usw. sich in ähnlichem Abstand von den Höchstpreisen bewegen wie bei den Friedenspreisen; das Erwerbsleben vertrat aber mit Erfolg die Auffassung, nur die ausdrücklich im Gesetz genannten Arten seien gebunden. Es ergab sich daraus die auch auf anderen Spinnstoffgebieten feststellbare eigenartige Tatsache, daß ganz allgemein die nichtgebundenen, schlechteren Spinnstoffe die Preise der gebundenen, besseren überstiegen. Immerhin verlangsamte das Höchstpreisgesetz zum mindesten die Preissteigerung der freien Spinnstoffe, und die Hauptmengen fielen unmittelbar unter seine Bestimmungen. Nicht einwandfrei war vor allem die Festlegung von Höchstpreisen für ungewaschene Wolle. Es blieb übrigens diese gesetzliche Regelung von Preisen die einzige auf dem Spinnstoffgebiet. An Stelle starrer Gesetze verwendete man später die leichter abänderbaren Verordnungen der Militärbefehlshaber und verwaltungsmäßige oder vertragliche Bindungen, die sich auf die tatsächliche Machtstellung der Heeresverwaltung als der einzigen Auftraggeberin und als der einzigen Verfügungsberechtigten über die Rohstoffe stützten. Das Höchstpreisgesetz für Wolle blieb theoretisch bis zum Kriegsschluß in Kraft, praktisch dagegen machte der



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Reichskanzler von seiner Befugnis, Ausnahmen zu gewähren, gegenüber der Kriegswollbedarf-Aktiengesellschaft Gebrauch. Sie wurde ein für allemal ermächtigt, die Höchstpreise zu überschreiten, um ihr so das wirksamste Mittel zur Förderung der Wollerzeugung zu belassen. Bei Baumwolle handelte es sich, als die amerikanischen Zufuhren aufhörten und die öffentliche Bewirtschaftung einsetzte, um eine unvermehrbare Rohstoffmenge. Anreizpreise für inländische Erzeugung kamen nicht in Frage, und solche für die Einfuhr konnten keine Bedeutung gewinnen. Unter diesen Umständen hielt die Rohstoffverwaltung an den erstmalig auf das Doppelte der Friedenspreise festgesetzten Höchstpreisen für Rohbaumwolle fest. Bei Flachs war umgekehrt die Preispolitik weitgehend bestimmt durch die Notwendigkeit, den inneren Anbau und die Einfuhr zu fördern. Angesichts der großen Vorräte und Beutebestände an Flachs war die Steigerung der Preise gegenüber dem Friedensstand anfänglich geringer als bei anderen Spinnstoffen, es mußten aber von Jahr zu Jahr steigende Preise für die Übernahme der Flachsernte bewilligt werden. Bei Seide hatte man kurz vor Abschließung der Schweizer Grenze die Unternehmer zu Einfuhren ermuntert. Als dann die öffentliche Bewirtschaftung einsetzte, nahm man die nachgewiesenen Selbstkosten der Werke als Grundlage der Preise. Höchstpreise für Lumpen wurden zugleich mit der Beschlagnahme der meisten Lumpensorten Mitte 1916 verfügt. Als Grundlage dienten trotz inzwischen erfolgter weiterer starker Steigerungen die Preise von Ende 1915, die sich 200 % über die Friedenspreise erhoben. Für unsortierte Lumpen ließen sich brauchbare Höchstpreise nicht festsetzen, sondern es mußten andere Mittel zur Senkung der Preise angewendet werden, z. B. das Verbot an die einzelnen Firmen, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt laut ihren Büchern gezahlten Einkaufspreise zu überschreiten. In der Spinnstoffbewirtschaftung spielten starke Finanzinteressen des Reichs mit, da die Umsätze der Kriegsgesellschaften viele Hunderte von Millionen ausmachten und die Summen der Ankäufe der Beschaffungsstellen entsprechend den Zuschlägen für die Verarbeitungsunkosten noch höher waren. Im Anfang hielt sich das Reichsschatzamt, wohl im Glauben an eine kurze Kriegsdauer, im Hintergrund. Die Rohstoffverwaltung hatte zunächst reiche Mittel in der Hand, da die in den besetzten Gebieten zu Friedenspreisen vorerst gegen Bescheinigungen erfaßten Bestände gegen Barzahlung zu erhöhten Preisen in die Hände der Verarbeiter gelangten. Das waren allerdings nur scheinbare Einnahmen, weil sie durch die Bezahlung der Beitreibungen, durch die steigenden Preise bei den später verfügten freien Käufen in den besetzten und verbündeten Gebieten, durch Lagerkosten und vor allem durch die entsprechend hohen Preise der Enderzeugnisse wieder aufgezehrt wurden. Der als heeresunbrauchbar an die Privatindustrie gehende Teil der einströmenden Bestände war zu klein, um das Bild wesentlich zu ändern. Als die lange Kriegsdauer wahrscheinlich wurde, bemühten sich Rohstoffverwaltung und Finanzverwaltung gemeinsam um Ersparnisse. Neben einem Druck auf die von den Beschaffungsstellen bewilligten Preise ging das Bestreben dahin, die unproduktiven Unkosten der Kriegsgesellschaf-

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 Überblick

ten durch scharfe Aufsicht niedrig zu halten und die Kosten der Lagerhaltung, beispielsweise auf dem Gebiet der Versicherungen, zu ermäßigen. Daneben stand als zweite Aufgabe der Finanzpolitik die Bereitstellung von Mitteln zu gesteigerter Erzeugung einheimischer Spinnstoffe und zu Versuchen auf Ersatzstoffgebieten. Von den Reichszuschüssen zur Errichtung von Flachs- und Hanfröstanstalten, zur Förderung des Brennesselanbaus und zur Regelung der Papierpreise war schon die Rede. Die schwerste Belastung der Finanzverwaltung auf dem Spinnstoffgebiet aber ergab sich aus dem Umfang der Fürsorge für die Arbeitslosen, von der weiter unten noch die Rede sein wird. Technisch lief die Rechnungslegung der Kriegsgesellschaften des Spinnstoffgewerbes, wie die der anderen Kriegs-Rohstoffgesellschaften, in der Sektion Buchhaltung der Kriegs-Rohstoff-Abteilung zusammen. Diese nahm die Abrechnungen und Überweisungen der Gesellschaften entgegen, vermittelte die Entschädigung der Voreigentümer der im besetzten Gebiet beigetriebenen Spinnstoffe und verrechnete die Verluste und Unkosten für Lagerung, Sichtung und Prüfung der Bestände. Die Rohstoff-Abteilung legte die nach Abzug der Entschädigungen und Unkosten verbleibenden Summen zu ihrer Verfügung zinslos bei der Generalmilitärkasse an. Während die Einnahmen aus den beigetriebenen Spinnstoffen seitens der Gesellschaften unmittelbar abgeführt werden mußten, sollten die freihändigen Käufe der Gesellschaften bestimmungsgemäß erst nach Kriegsschluß zur Verrechnung gelangen. Die Prüfung durch den Rechnungshof des Reichs wurde in besonderen Formen eingeschaltet. Der Rechnungshof richtete eine eigene Vertretung innerhalb der KriegsRohstoff-Abteilung ein, die er mit seinen Beamten besetzte und der er seine Befugnisse mit der Ermächtigung zur Anwendung teilweise vereinfachter Formen übertrug, die schon deshalb unumgänglich waren, weil viele Belege über Beutegut und Erwerbungen in den besetzten Gebieten und manche andere Belege der Natur der Sache nach den strengen Abrechnungsvorschriften für das Inland und den Frieden nicht entsprechen konnten.

Arbeiterfrage Entgegen den Zuständen auf dem Waffen- und Munitionsgebiet mußte auf dem Spinnstoffgebiet, von wenigen Sondergruppen abgesehen, nach einer kurzen Zeit flotten Geschäftsgangs eine dauernde Abnahme des Beschäftigungsgrades eintreten. Verschärft wurde diese durch Rohstoffknappheit verursachte Arbeitslosigkeit dadurch, daß das Spinnstoffgewerbe 55 % weiblicher Kräfte beschäftigte, daß auch die Männer vielfach schwächliche, für Heeresdienst und andere Gewerbe wenig geeignete Leute waren, daß viele Webereien, Wirkereien, Stickereien und Strickereien in abgelegenen Gebirgsgegenden lagen, in denen andere Verdienstmöglichkeiten fehlten und wo bei der Verquickung mit Hausbesitz und landwirtschaftlichen Nebenbetrieben die Neigung zum Übergang in die Waffenindustrie gering war. Aus der umfangreichen



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Arbeitslosigkeit im Spinnstoffgewerbe und aus den damit verbundenen Stillegungen von Betrieben erwuchs die große Arbeitslosenfürsorge, die als erste Arbeitslosenunterstützung im größten Maßstabe unter dem Namen „Textilarbeiterfürsorge“ den unverschuldet ganz oder teilweise beschäftigungslos gewordenen Spinnstoffarbeitern ein Recht auf Unterstützungen gab, welche sich den früheren Arbeitsverdiensten näherten und denen die Merkmale von Armenunterstützungen genommen waren. Die Sätze wurden im einzelnen von den Gemeinden nach den örtlichen Verhältnissen bestimmt und nach dem Familienstand gestaffelt. Die Kosten wurden zunächst von den Gemeinden, zum Teil unter Mitwirkung von Unternehmern, aufgebracht, aber von Bundesstaaten und Reich nach bestimmten Richtlinien zum großen Teil zurückvergütet. Die Textilarbeiterfürsorge hat neben der Abstellung einer unerträglichen Notlage Zehntausender von Familien auch die Nachteile derartiger Regelungen gezeitigt: der Drang der Arbeitslosen, sich andere Arbeit zu suchen, wurde unterbunden, und die Arbeitsleistung in den Fabriken sank auf einen bedenklichen Tiefstand. Bei dem dauernden Überangebot von Spinnstoffarbeitern blieben die Löhne gedrückt, bis im vorletzten und letzten Kriegsjahr die sprunghaft zunehmenden Löhne und die bessere Ernährungsfürsorge in der Waffen- und Munitionsindustrie auch die Spinnereiarbeiter langsam in diese Gewerbe trieben. Letzten Endes kam es dazu, daß das Spinnstoffgewerbe trotz seiner Minderbeschäftigung stellenweise unter Arbeitermangel litt und nun infolge von Streikdrohungen die Löhne erheblich stiegen. Bei diesen Gelegenheiten griff die Heeresverwaltung, ähnlich wie im Anfang des Krieges zum Schutz der Heimindustrie (Sandsacknäherei usw.), weitgehend in das Lohnwesen ein, zum Teil durch Festlegung von Mindestlöhnen, Mindest- und Höchstleistungen, so daß eine ganze Reihe von lange umstrittenen Lohnfragen und Arbeitsfragen in der Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe geregelt wurde. Auch für ganze Gruppen der Spinnstoffverarbeitung wurden Einschränkungen der Arbeitszeiten und der Maschinenverwendung verfügt, teils um ein schnelles Ausarbeiten der Rohstoffe zu verhindern, teils um einer größeren Zahl von Arbeitern die Beschäftigung zu erhalten.

Allgemeine Wirkungen für Handel und Gewerbe Meine Urteilsbildung über die Kriegswirtschaft ist z. T. bedingt durch meinen Beobachtungsstand innerhalb des Kriegsministeriums. Wie ich es darstelle, schienen mir die Verhältnisse vom Standpunkte der Heeresverwaltung aus beurteilt werden zu müssen. Die Untersuchung der Einzelwirkungen auf das Erwerbsleben, welche ich berufeneren Federn aus den Kreisen des Erwerbslebens selbst überlassen zu sollen glaube, kann vielleicht manches anders erscheinen lassen. Von oben gesehen, stellte sich mir die Gesamtwirkung auf Handel und Gewerbe innerhalb des Spinnstoffgebiets in kurzen Zügen etwa so dar:



Allgemeine Wirkungen für Handel und Gewerbe 

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Die Gewinne und Dividenden in den einzelnen Zweigen der Textilindustrie gegenüber dem Frieden stiegen, wie Schaubild  IV zeigt, wesentlich trotz des vielfach auf weniger als 10 % des Friedensstandes gesunkenen Beschäftigungsgrades. Selbstverständlich hat es an stark nach oben und unten abweichenden Ausnahmen nicht gefehlt. In Not kam eine Reihe von Betrieben mit gemischten Spinnstoffen, die sich nicht rechtzeitig dem für sie auf die Dauer maßgebenden Kriegsausschuß angeschlossen hatten und nachher keine Aufnahme mehr fanden. In manchen durchschnittlich gut verdienenden Gruppen war für das einzelne Unternehmen die Geeignetheit seiner Spindeln, Stühle, Strick- und Wirkmaschinen für die Heeresaufträge bei den immer grober werdenden Garnen entscheidend. Glänzende Gewinne machten Sondergruppen, wie die Kunstseideherstellung und die Papierspinnerei, in letzterer die Werke, die schon im Frieden die Papierspinnerei betrieben hatten, und neugegründete Unternehmungen, die die Sandsacknäherei an sich rissen. Die letzteren beschäftigten vielfach notleidende Spinnereien und Webereien in Lohnbetrieb, erwarben eine Monopolstellung und benutzten sie zur Erzielung übermäßiger Preise. Bei Betrachtung der Gewinnsteigerungen auf dem Spinnstoffgebiet darf nicht vergessen werden, daß die Auflösung der alten Bestände an Rohstoffen und Erzeugnissen den Werken vorübergehend hohe Erträge brachte, die aber für spätere Wiederbeschaffung von Rohstoffen und Halberzeugnissen nach Kriegsschluß zurückgestellt werden mußten. Gewinnsteigerungen trafen auch für stillgelegte Werke auf Grund verhältnismäßig hoher Entschädigungen zu. Man hielt die letzteren hoch, um die Ausschaltung aus der Arbeit, den Verlust von Kundschaft und die Abwanderung der Arbeiter auszugleichen, zumal da sich diese Umstände bei der Wiedereinstellung auf den Friedensstand stark bemerkbar machen mußten. Im großen und ganzen hat die Unmöglichkeit eines genauen Einblicks in die Kalkulationen der Industrie dazu geführt, die allgemeinen Preisgrundlagen reichlich hoch zu halten. Das Gewerbe verstand es ausgezeichnet, die in der Kriegsarbeit liegenden ungünstigen Einwirkungen stark voranzustellen, die günstigen dagegen als belanglos zurücktreten zu lassen. Während sich daher Klagen auf Klagen über die schlechte Lage des Spinnstoffgewerbes häuften, zeigten die Gewinne das obige Bild. Andererseits wurde eine zu starke Überspannung der Preise und Gewinnmöglichkeiten durch den Umstand eingeschränkt, daß, im Gegensatz beispielsweise zur Maschinenindustrie, beim Spinnstoffgewerbe im Enderzeugnis sehr viel weniger Arbeitslohn und Generalunkosten als Rohstoffwerte enthalten sind. Die Rohstoffpreise wurden aber von der Heeresverwaltung bestimmt, der Spielraum für verschleiernde Rechnungen war also begrenzt. Unerfreulicher als die Gewinne entwickelten sich für das Gewerbe die betriebstechnischen Verhältnisse. Vom Rückgange der Arbeitsleistung des einzelnen Arbeiters in den unterbeschäftigten Betrieben war schon die Rede. Die Entziehung mancher schwer entbehrlicher Facharbeiter kam hinzu. Die jahrelange Herstellung von meist groben, einförmigen Erzeugnissen für den Heeresbedarf, die geringe Brauchbarkeit der Ersatzstoffe ließ die Fähigkeit zu den feinen Arbeiten des Friedens vielfach ver-

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 Überblick

lorengehen. Die Maschinen wurden durch die gröberen Roh- und Ersatzstoffe stark abgenutzt, und die Instandhaltung litt unter Rohstoff- und Arbeitermangel in den Maschinenfabriken. Außer auf den Sondergebieten der Papierspinnerei und Stapelfasergewinnung und der Flachsaufbereitung kam es bei der Minderbeschäftigung des Spinnstoffgewerbes auch nicht zur Errichtung neuer, in der Technik fortgeschrittener Betriebsstätten. Den Nachteilen der Kriegswirtschaft standen aber auch betriebstechnische Fortschritte gegenüber: man lernte mit Hilfs- und Betriebsstoffen sparsam umzugehen, wagte sich stellenweise an das Ausspinnen feinerer, bisher von England bezogener Nummern und tat die ersten Schritte auf Ersatzstoffgebieten, die von bleibender und steigender Bedeutung werden können. Mehr als die Spinnstoffverarbeitung hat der Handel mit Spinnstoffen und Spinnstofferzeugnissen gelitten. Der Handel hat zwar im Anfang des Krieges an seinen vorhandenen und in der ersten Zeit hinzuerworbenen Vorräten gut, z. T. glänzend verdient, aber seine Stellung als selbständiger Handel ist stark beeinträchtigt worden. In der abgeschlossenen, öffentlich geregelten deutschen Volkswirtschaft war kein Boden mehr für die Möglichkeit, durch Heranschaffen neuer Spinnstoffe einen Ausgleich von Nachfrage und Angebot und dadurch zugleich den maßgebenden Einfluß auf die Preisbildung herbeizuführen. Es blieben dem Handel wesentlich also nur die technischen Aufgaben der Lagerung, Versendung und Abrechnung, Aufgaben, die zugleich mit der Verteilung der vorhandenen Vorräte weitgehend von den Kriegsgesellschaften übernommen wurden. Persönlich fanden zahlreiche Angehörige des Handels Verwendung als Angestellte, Sachverständige und Kommissionäre bei den Kriegswirtschaftsstellen. Günstig wirkte der Krieg auf den Organisationsausbau von Handel und Gewerbe. Der Anfang des Krieges traf auf eine große Zersplitterung, Uneinheitlichkeit und Unvollständigkeit des Vereins-, Verbands- und Kartellwesens im Spinnstoffgewerbe. So war beispielsweise der Wollhandel in einen Berliner, einen Leipziger, einen Bremer und einen Hamburger Verband zersplittert, die gegenseitig ohne Fühlung waren oder sich gar bekämpften. Erst die von der Heeresverwaltung ins Leben gerufenen Kriegsausschüsse und Lieferverbände führten zu fast restlosen Zusammenschlüssen innerhalb der einzelnen Gruppen und darüber hinaus zum Zusammenarbeiten mehrerer Gruppen unter sich. Zum erstenmal nahmen landwirtschaftliche Organisationen auf bestimmten Rohstoffgebieten mit den gewerblichen Organisationen Fühlung, und zum erstenmal wurden auch die Arbeitnehmer der Gewerbe mitbestimmend herangezogen. Die Anbahnung der Schulung der führenden Unternehmer zu gemeinsamer Arbeit im Sinne des Gemeinwohls, so schwer sie sich in stetem Kampfe mit Einzelinteressen auch durchsetzte, ist eines der wichtigsten und bleibendsten Ergebnisse der Kriegswirtschaft. Die oft unberechtigte Geheimniskrämerei der einzelnen Werke trat zurück, das Verständnis für gemeinsame Arbeit auf betriebstechnischem und technologischem Gebiet führte zur Errichtung von Textilforschungsinstituten, und weitgehendes statistisches Material zur Beurteilung des gesamten Spinnstoffgewerbes wurde gesammelt.



Allgemeine Wirkungen für Handel und Gewerbe 

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Bei den Behörden nahm die Erkenntnis von der Wichtigkeit des Spinnstoffgewerbes für die gesamte Volkswirtschaft zu, die Verbindung zwischen Behörden und Unternehmern wurde eine engere und regelmäßigere, und viele Unternehmer traten während des Krieges in amtliche Stellungen ein. Die Arbeitsteilung zwischen behördlichen Verwaltungsausgaben im engeren Sinn und zwischen der fachtechnischen Durchführung nahm innerhalb der Sektionen und Kriegsgesellschaften im ganzen immer brauchbarere Formen an, so sehr auch in Einzelheiten die Verbindung von Verwaltungserfahrungen und Fachkenntnissen noch zu wünschen übrig ließ. Eine größere Unabhängigkeit des Spinnstoffgewerbes vom Ausland wurde eingeleitet; es konnte sich dabei allerdings gegenüber der bis auf 95 % gehenden Rohstoffabhängigkeit nur um erste Schritte handeln. Fragt man sich nach dem Gesamtergebnis der Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe, so heben sich zwei Dinge scharf voneinander ab: es gelang während vierjähriger Absperrung von den Hochstraßen des Außenhandels den Heeresbedarf in Spinnstofferzeugnissen ohne bedenkliche Einschränkungen der Kampffähigkeit zu sichern. Dafür mußte freilich der bürgerliche Bedarf in außerordentlich einschneidender Weise beschränkt werden. Diese Beschränkung erfolgte durch die Tätigkeit der Reichsbekleidungsstelle. Ihr Hauptmittel war Bedarfsprüfung im Fall einer jeden einzelnen Anschaffung neuer Gewebe und Bekleidungsstücke. Ohne amtliche Bezugsscheine waren Neuanschaffungen, mit Ausnahme von Seiden- und Papiergeweben und wenigen Sondererzeugnissen, untersagt. Die der Reichsbekleidungsstelle zugewiesenen nicht heeresbrauchbaren Bestände der Heeresverwaltung wurden zur Deckung der dringendsten Bedürfnisse (Krankenhäuser, Armenpflege usw.) zurückgehalten, die Einzelhaushalte auf ihre aus dem Frieden überkommenen Bestände verwiesen. Für das Heer war beim Abschluß des Waffenstillstandes vom 11. November 1918 noch für ein weiteres Jahr nach allen Richtungen vorgesorgt, die Möglichkeit weiterer Deckung wahrscheinlich. Die Lebensfähigkeit des Gewerbes trotz der anfänglich hoffnungslos erscheinenden Lage zu erhalten, war im großen und ganzen gelungen; technische Entwicklungen, die in ruhigeren Zeiten einmal eine Anerkennung ihrer bahnbrechenden Bedeutung erfahren werden, waren angebahnt. Auf dem Spinnstoffgebiet jedenfalls ist die Kriegswirtschaft bis zum Kriegsende erfolgreich durchgeführt worden. Nicht ein Versagen der Spinnstoffbewirtschaftung hat zum vorzeitigen Kriegsabbruch geführt.

Kapitel II

Erste Bewirtschaftung der Wolle in den besetzten Gebieten Nichts ist geeigneter, eine lebendige Vorstellung von den Bedingtheiten und Schwierigkeiten der Kriegswirtschaft zu geben, als ein Eingehen auf den tatsächlichen Ablauf der Behandlung eines einzelnen Rohstoffs im Anfange des Krieges, auf Vorgänge, die damals die Gemüter lebhaft erregt haben, bis sie wenig später, durch viel einschneidendere Vorgänge in den Hintergrund gedrängt, fast der Vergessenheit anheimgefallen sind.

Verwertung der auf Transport oder in Grenzzollämtern befindlichen Ware Die Nutzbarmachung der erbeuteten und beigetriebenen Wolle für die deutsche Volkswirtschaft begann mit der Regelung für diejenigen Wollmengen und Wollerzeugnisse, die auf dem Transport befindlich oder in den Grenzzollämtern lagernd von unseren vordringenden Truppen vorgefunden wurden. Schon einige Tage vor dem Ausbruch des Krieges begannen der gegenseitige Warenaustausch zu stocken und Wagenladungen liegen zu bleiben. An der russischen Grenze waren die Ansammlungen besonders umfangreich, weil hier wegen der russischen Spurweite regelmäßig umgeladen werden mußte. Neben Rohwolle und Garnen kamen hier vor allem Lumpen in Betracht. Lodz war der größte Lumpenmarkt der Welt. Viele Wagenladungen mit Wollwaren und Lumpen waren daher von Deutschland unterwegs, andere waren im Umladen und in der Verzollung begriffen, wieder andere lagerten verzollt oder unverzollt in den russischen Grenzzollämtern. Alle diese Ladungen wurden gemeinsamen Sammelstellen zugeführt; für die Ankünfte von der Ostgrenze hatte man den Magerviehhof in Berlin-Lichtenberg bestimmt. Soweit der Eigentumsnachweis von deutschen Firmen geführt werden konnte, wurden diesen hier die Sendungen ausgehändigt. Schwierigkeiten machte die Massenhaftigkeit der Ankünfte, die zu Verstopfung der Geleise führte und die Sichtung der Ankünfte erschwerte. Manche Sendungen waren durcheinandergeraten, die Verpackungen beschädigt, die Übereinstimmung mit den Frachtpapieren nicht mehr nachzuweisen, die Frachtpapiere verlorengegangen. Unsicher waren auch die Eigentumsfestsetzungen in einigen Fällen, in denen Anzahlungen geleistet und Beleihungen erfolgt waren. Bei nicht genügendem Eigentumsnachweis wurden die Waren nur gegen Sicherheitsleistung und gegen die Verpflichtung, die Bahn bei etwaigen Ansprüchen schadlos zu halten, ausgehändigt. Gezahlte Zölle konnten nicht zurückvergütet werden; mit den entstandenen Lade-, Fracht-, Versicherungs- und Lagerkosten wurden die Waren belastet. Da die Wollpreise inzwischen bedeutend angezogen hatten und die Zölle vielfach noch nicht bezahlt waren, trat im allgemeinen keine Schädigung der Eigen-



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tümer ein; die meisten waren froh, ihr Eigentum zurückzuerhalten, und Klagen nach dieser Richtung sind kaum vorgekommen. Für die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht abgeforderten Sendungen wurde öffentliche Versteigerung vorgesehen oder es wurden geeignete Wollen den Kriegswollgesellschaften zur Verteilung übergeben. Nachträglich sich meldende Eigentümer wurden später mit ihren Ansprüchen an die Reichsentschädigungskommission verwiesen. Die Behandlung der unterwegs und herrenlos aufgefundenen Güter trat bald hinter die ungleich umfangreichere und verwickeltere Aufgabe zurück, die bei dem Vordringen der Truppen in Wollgewerbemittelpunkten des feindlichen Gebietes vorgefundene Wolle in Bewirtschaftung zu nehmen. Rund 100 Mill. kg Wolle und Garne im annähernden Wert von einer halben Milliarde Mark sind bis Ende 1915 aus dem besetzten Gebiet nach Deutschland überführt worden.

Östlicher Kriegsschauplatz In Russisch-Polen und den angrenzenden Teilen Rußlands handelte es sich um ein Gebiet mit verhältnismäßig großem Wollgewerbe. Mittelpunkte desselben waren Lodz, Tschenstochau, Sosnowice und Bialystock. Zuerst stieß man auf die Wollwäschereien und Spinnereien in Sosnowice, Werke zweier Firmen deutschen Namens mit zusammen 3000  Arbeitern und Jahresumsätzen von 20  Mill. Mark. Die Firmen erreichten vom Kriegsministerium die Zusage, daß man sie wie deutsche Spinnereien behandeln werde. Man stand damals, im September 1914, noch durchaus auf dem Standpunkt, deutschen Eigentümern ihr Eigentum zu lassen und es nur zu beschlagnahmen, falls es dadurch für die Eigentümer gesichert würde. In diesem Sinne erfolgte die Beschlagnahme bei den erwähnten Firmen und der Befehl zum Abtransport der Wollen nach Riesa an der Elbe zur Einlagerung; von hier aus sollten die Firmen die Wolle der Kriegswollbedarf-A.-G. zu Tagespreisen zum Kauf anbieten. Von den ersten Oktobertagen 1914 an begann der Abtransport und zog sich über einige Monate hin. Während der Zeit der Rückbeförderung wurden zur teilweisen Aufrechterhaltung der Betriebe einige Schweißwollen weitergewaschen. Die Verladung umfaßte rund 2½  Mill.  kg Wollen und Kammzüge. Die Kriegswollbedarf-A.-G. bezog davon gegen 1 Mill. kg Wolle für 6,5 Mill. Mark. Die für die Kriegswollbedarf-A.-G. nicht geeigneten Wollen und Kammzüge sollten später von der Kammwoll-A.-G. übernommen und an die deutschen Kammgarnspinnereien verteilt werden. Über die Preisfestsetzung für diese letzteren Wollen entstand ein lebhafter Streit zwischen den Firmen und der Kammwoll-A.-G., sowie Meinungsverschiedenheiten zwischen dieser Gesellschaft und dem Kriegsministerium. Der Grund des Streites lag darin, daß inzwischen grundsätzlich entschieden worden war, alle im besetzten feindlichen Gebiet vorgefundenen Wollen sollten beschlagnahmt, nach Deutschland geführt und nur zum Friedenspreis vom 25. Juli 1914 verrechnet werden. Die Kammwoll-A.-G., die sich als Vertreterin der deutschen Kammwollspinner fühlte, hatte sich zuerst heftig, aber vergeblich gegen

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die Anwendung dieser Grundsätze auf deutsche Eigentümer gewehrt; sie versuchte nun dagegen aufzutreten, daß im Gegensatz zu den in Deutschland ansässigen Firmen die Firmen in Sosnowice auf Grund der Zusagen, die anfangs das Kriegsministerium gemacht hatte, besser behandelt werden sollten, um so mehr, als der eine der Inhaber russischer Untertan war. Bei späteren Klagen der deutschen Wollindustrie über das Vorgehen in Belgien und Frankreich wurde noch häufig auf den Fall der Firmen in Sosnowice hingewiesen. Das Kriegsministerium hielt aber damals die früheren Abmachungen für unanfechtbar und veranlaßte die Kammwoll-A.-G. zum Nachgeben. Es zeigte sich hier an einem ersten Beispiel die Gefahr von Einzelabmachungen in einer Zeit, in welcher in der Folge die Macht der Verhältnisse den freien Wettbewerb notwendig unterbinden mußte. Einen ähnlichen Umfang wie in Sosnowice hatte die Kammgarnindustrie in Tschenstochau. Die dortigen Vorräte wurden vom Oktober 1914 ab verladen. Der wichtigste polnische Wollgewerbemittelpunkt war aber Lodz. Von den rund 350 000 Kammgarnspindeln Polens befanden sich 200 000 in den Bezirken Sosnowice-Tschenstochau, die andern 150 000 fast alle in Lodz und seinen Nachbarorten. Dazu traten in Lodz 80 Streichgarnspinnereien und fast die ganze Wollweberei Polens. Die Wollgewerbearbeiterschaft von Lodz und Umgebung umfaßte 40 000 Köpfe von 60 000 Wollarbeitern ganz Polens. Die erste Besetzung von Lodz war zu flüchtig, als daß man zur Feststellung von Beständen hätte schreiten können, die zweite dauerte auch nur drei Wochen. Bei dieser wurden einige Versuche zur Feststellung gemacht, aber zur Beschlagnahme und zum Abtransport kam es nur in geringem Umfang. Daher gelang es zwischen der zweiten und der endgültigen Besetzung den Russen, nennenswerte Bestände nach dem Innern Rußlands abzuführen. Manches an dem nicht rechtzeitigen Eingreifen in Lodz ist dem Umstand zuzuschreiben, daß man zur Zeit der zweiten Besetzung gerade die Bewirtschaftung umorganisierte. Der gut beratene Wirtschaftsausschuß der Etappeninspektion der 9. Armee wurde durch eine allgemeine Organisation ersetzt, die in Lodz anfänglich noch nicht recht zur Geltung kommen konnte. Die neuen Anordnungen des Oberintendanten-Ost stützten zu sehr die Gesichtspunkte der Zivilverwaltung, die vielfach mit den Heeresgesichtspunkten nicht gleichlaufend waren. Als nicht vorteilhaft erwies sich auch das Festhalten an einem gleich anfangs abgeschlossenen Vertrag mit der „Wareneinfuhr-G. m. b. H.“, der aber nicht unabänderlich gewesen wäre. Der Vertrag gab dieser Gesellschaft für die im Osten besetzten Gebiete eine Monopolstellung im Ankauf und der Rückführung der zur Ausfuhr nach Deutschland erwünschten Güter. Die Gesellschaft überschwemmte das Land mit einer großen Zahl zum Teil zweifelhafter Agenten und Ankäufer, die vielfach ihre eigenen Interessen verfolgten und die Preise in die Höhe trieben. Ein Gegensatz zwischen zwei Schulmeinungen, der späterhin auch auf dem westlichen Kriegsschauplatz in Erscheinung trat, lag diesem Hin und Her zugrunde: einmal militärische Beitreibung, militärische Leitung der Rückbeförderung und teilweise Verarbeitung an Ort und Stelle unter militärischer Leitung als die besten Mittel, alles Erforderliche zu billigstem Preis in die Hand zu bekommen und nichts



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verderben zu lassen, auf der anderen Seite mehr privatwirtschaftliche Anschauungen der Zivilverwaltung und die Überzeugung, das Auffinden und die Verwertung geschähen am gründlichsten, schnellsten und für die Volkswirtschaft am richtigsten durch Zulassung des freien Wettbewerbes. Man hat später den Geschäftsbereich der „Wareneinfuhr-G. m. b. H.“ auf ein verhältnismäßig kleines Gebiet westlich der Weichsel beschränkt und damit zugegeben, daß sie nicht allen berechtigten Anforderungen entsprochen hat. Für die großen Bestände erwies sich die militärische Beitreibung als das Richtige. Andererseits mußte man sich allerdings davon überzeugen, daß viele kleine Bestände versteckt blieben und sich der militärischen Requisition zu entziehen wußten. Im Verlauf des Jahres 1915 gingen daher die Kriegswollbedarf-A.G. in Berlin und die Vereinigung des Wollhandels in Leipzig dazu über, ihrerseits den freihändigen Ankauf der versteckten Wollmengen in die Hand zu nehmen. Sie richteten in Warschau und an einigen anderen Orten Polens Einkaufsstellen ein, denen es gelang, bis Ende Dezember 1915 eine Menge von rund 700 000 kg Wolle anzukaufen. Möglicherweise wäre der Erfolg noch größer gewesen, wenn nicht die Preise in dem von Österreich verwalteten Teile Polens höher gestanden hätten, so daß ein lebhafter Schmuggel dorthin stattfand. Wenn die Gesichtspunkte der Zivilverwaltung nicht immer mit den allgemeinen Heeresgesichtspunkten gleichlaufend waren, so bezog sich das wesentlich auch auf die Frage der Verarbeitung wichtiger Rohstoffe im besetzten Gebiete. Es ist selbstverständlich, daß die Zivilverwaltung danach strebte, der Bevölkerung ihre altgewohnte Arbeit zu erhalten, während die Bestrebungen in Berlin dahin gingen, gefährdetes Rohmaterial zu sichern und die Beschäftigung der deutschen Fabriken aufrechtzuerhalten. Ein Schreiben des Kriegsministeriums an den Chef der Zivilverwaltung beim Oberbefehlshaber-Ost in Posen vom 31. März 1915 (W. 619/3. 15) hielt eine Beschäftigungsdauer der Fabriken der besetzten Gebiete von etwa 24 Stunden in der Woche für ausreichend, und auch das nur unter der Voraussetzung, daß die Wollen zu vorschriftsmäßigem deutschen Militärtuch verarbeitet würden. Da die deutsche Zivilverwaltung in Polen selber damals auch eine Arbeitsaufnahme des polnischen Webstoffgewerbes in größerem Umfange nicht für möglich hielt, bot sie infolgedessen durch Vermittlung deutscher Handelskammern polnische Arbeiter zur Beseitigung des in Deutschland Ende 1914 vorübergehend bestehenden Arbeitermangels im Spinnstoffgewerbe an. Die Grundsätze, nach denen später bei der Frage der Beschäftigung der einheimischen Wollindustrie im besetzten Gebiet verfahren wurde, gehen aus einem Befehl hervor, der im Dezember 1915 in Bialystock im Einverständnis der Etappeninspektion mit der Wollsektion des Kriegsministeriums erging. Die Arbeitszeit sollte 30 Stunden in der Woche nicht überschreiten, und es durften bei Kammgarnspinnereien nicht mehr als 16  %, bei Tuchfabriken nicht mehr als 30  % der Friedensverarbeitung erreicht werden. Die von Deutschland angeforderten Rohstoffe wollte man von vornherein verladen, aus den verbleibenden nach Möglichkeit heeresbrauchbare Gewebe herstellen lassen. Die gefertigten Stoffe sollten durch einen Beschaffungsoffizier

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unter Überwachung des Bekleidungs-Beschaffungs-Amts an die Kriegsbekleidungsämter oder an Dienststellen im besetzten Gebiet unter Festsetzung des Kaufpreises übersandt werden; für das Heer unbrauchbare Stoffe, z. B. fertige Frauenstoffe, wollte man freigeben. Ein militärischer Fabrikinspektor sollte im Benehmen mit dem Verwaltungschef dafür sorgen, daß Arbeitslöhne und Betriebseinrichtungen den sozialen Anforderungen in genügender Weise entsprachen. Die Interessen deutscher Gläubiger wollte man durch Zahlungen mit russischen Zinsscheinen sowie durch Einbehalten von Kaufpreisforderungen nach Benehmen mit der Reichsentschädigungskommission wahren.

Westlicher Kriegsschauplatz Im Westen war Verviers der erste Ort mit großer Wollindustrie, der fest in deutsche Hände kam. Die Beziehungen Belgiens zu den Wollgewerbemittelpunkten Deutschlands waren von jeher rege. Belgien war ein Durchfuhrland für Wolle. 1913 führte es für rund 350  Mill. Mark Wolle ein und für 300  Mill. Mark aus. An Deutschland lieferte Belgien fast ausschließlich gewaschene Wolle. Im Vordergrund standen Kreuzzuchtwollen (1913 rund 10  Mill.  kg im Wert von 27  Mill. Mark), dann Merinowollen (rund 1,1 Mill. kg im Wert von 4,5 Mill. Mark). Die Hälfte aller gewaschenen Wollen, die Deutschland bezog, kam aus Belgien. Was für Wolle galt, war auch für Kammzüge und Garne zutreffend. Gewohnheitsmäßig deckten sich deutsche Spinner und Weber in Nordfrankreich und Belgien ein. 1913 stand einer Ausfuhr von verarbeiteter Wolle und Wollabfällen aus Deutschland nach Belgien im Werte von 4 Mill. Mark eine Einfuhr aus Belgien nach Deutschland im Werte von 30 Mill. Mark gegenüber. Dieses Hinüber und Herüber erklärt sich bei einem Gewerbezweig von der Mannigfaltigkeit des Wollgewerbes ohne weiteres aus den hunderterlei Sorten und Abwandlungen von Rohstoffen und Zwischenfabrikaten. Wie deutsche Spinner Wollen in Belgien und Frankreich lagern hatten, so hatten belgische und französische z. T. ihre Wollen in Deutschland. Antwerpen, Bremen und Leipzig galten neben englischen Plätzen als maßgebend für bestimmte Wollsorten. Im nordfranzösischen Bezirk, in RoubaixTourcoing, fanden im Juli weitbekannte Woll- und Garnversteigerungen statt, die für einige Warengruppen, z. B. für Kammfäden, die bedeutendsten des Festlandes waren. In Verviers kamen neben den Wollwäschen als Lagerstätten für Wolle zwei Konditionieranstalten in Betracht, in denen das Handelsgewicht festgestellt wurde, und wo Fabrikanten und Händler vorübergehend ihre Wolle lagerten. Es waren dies: Le Conditionnement public de la ville de Verviers und le Conditionnement public de Dison in Verviers. In der Nachbarstadt Aachen mit ihrer großen Tucherzeugung war man natürlich über die Verhältnisse in Verviers unterrichtet. Es konnte daher nicht ausbleiben, daß man, sobald die ersten Kriegsstürme vorübergebraust waren, an die Wichtigkeit der dortigen Wollbestände dachte. Am 15.  August begab sich eine Kommission, zu der



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Sachverständige aus Aachen und Köln zugezogen waren, vom Kriegsbekleidungsamt Koblenz nach Verviers. Unter allerhand durch den Kriegszustand und die Feindseligkeit der Bevölkerung hervorgerufenen Schwierigkeiten stellte die Kommission in den großen Wäschereien und den beiden Konditionieranstalten rund 5 Mill. kg Wolle (auf gewaschene Wolle umgerechnet) fest, von denen etwa die Hälfte gewaschen war. Von einer Bestandserhebung bei den kleinen Wäschereien und Händlern wurde abgesehen. Zur Feststellung der nach damaliger Auffassung für Heereszwecke geeigneten Wollen machte man anscheinend nur im Conditionnement de la ville de Verviers Stichproben, wo von 1,6 Mill. kg Wolle ein Drittel als für Militärtuche gut brauchbar bezeichnet wurde. Auch über die Besitzverhältnisse gewann man nur einige Anhaltspunkte: beispielsweise erwies sich ein Posten von rund 1 Mill. kg als deutsches Eigentum; eine halbe Million gehörte einer Antwerpener Firma mit deutschem Namen, von der die Kommission offenbar nicht wußte, ob sie als belgische oder deutsche Firma anzusehen war. Aus einem späteren Telegrammwechsel, im November 1914, zwischen dem Generalintendanten und dem Armeeintendanten in Brüssel geht hervor, daß am 17. und 20. August 1914 erste Befehle zur Beschlagnahme der Woll- und Tuchbestände in Verviers gegeben wurden. Inwieweit die Befehle ausgeführt und wann sie wieder aufgehoben wurden, ließ sich aus den Akten nicht ermitteln.

Erste Wollsitzung im Kriegsministerium Inzwischen war in Berlin die Kriegs-Rohstoff-Abteilung des Kriegsministeriums ins Leben gerufen worden. Am 24. August 1914 fand in dieser Abteilung eine erste Besprechung der Wollfrage statt, die die Gründung einer Kriegswollgesellschaft vorbereiten sollte. Neben den Leitern der K.R.A. waren ein Intendanturrat aus der BekleidungsAbteilung des Kriegsministeriums und einige Vertreter aus den Kreisen des Wollhandels und der Militärtuchindustrie zugegen. Entscheidend war bei den Verhandlungen der Gedanke, die Aufgabe sei beschränkt auf die eigentlichen Militärtuchwollen, und man habe weder mit Kammwollen noch mit den geringen Wollen für Deckenfabrikation zu tun. Nach dem Sitzungsbericht brachte man anfänglich eine allgemeine Beschlagnahme der Militärtuchwollen im Inland zur Sprache, sah aber später im Hinblick auf die großen Wollvorräte im besetzten Gebiet davon ab. Man wollte die Wolle deutscher und neutraler Eigentümer auch im besetzten Gebiet auf Antrag zur Einzelverladung freigeben, nur bei feindlichen Eigentümern die Militärtuchwollen durch eine nach Verviers zu entsendende Kommission der Kriegs-Rohstoff-Abteilung enteignen, nach Deutschland überführen und hier den an Rohstoffen notleidenden Militärtuchfabriken zuteilen. Den deutschen Eigentümern wurde empfohlen, Freigabeanträge zu stellen und möglichst alle ihre Vorräte nach Deutschland zu überführen. Soweit verpfändete Bestände in Betracht kamen, sollten sie die Einwilligung des Beleihers erbringen.

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Kommission für Verviers Die in dem Sitzungsbericht erwähnte Enteignungskommission reiste wenige Tage später nach Verviers ab. Die wesentlichen Sätze der Dienstanweisung lauteten: „Sie haben dafür zu sorgen, daß in den Wollwäschereien Verviers, im Conditionnement public und den übrigen in Frage kommenden Stellen ein geordneter Betrieb aufrechterhalten wird, der es ermöglicht, im Sinne des Protokolls den deutschen Wollbesitzern ihre Wollen zuzuführen. Des ferneren ist dafür Sorge zu treffen, daß nach Möglichkeit die Expedition, die Auffindung vermißter Güter u. dgl. geregelt werden. Sie haben die für Militärtuchzwecke in Frage kommenden Qualitäten (d. h. die im Eigentum feindlicher Untertanen) mit Beschlag belegen zu lassen.“ — „Die beschlagnahmte Ware bleibt am Lagerort, bis seitens der K.R.A. darüber verfügt ist. Aus Sicherheitsgründen kann Überführung der Ware in ein anderes Lager erfolgen.“ — „Als Ausgangspunkt für die Preisfestsetzung ist der Tageswert vom 25. Juli 1914 anzusetzen.“ Am 5. September 1914 wurde durch eine von seiten des Bürgermeisteramts Verviers erlassene Verfügung jeder Wollverkauf bis zur Prüfung der Bestände durch die Kommission untersagt. Zehn Tage später hatte die Kommission ihre Arbeit vollendet, wovon ein zweiter Erlaß vom 15. September 1914 Kunde gab: Nous avons l’honneur de porter à votre connaissance, que la Commission désignée pour l’achat des laines destinées à la fabrication de draps militaires a terminé ses opérations et que les marchands de laine peuvent disposer de toutes les marchandises, qui n’ont pas été retenues par la commission précitée.

Die Kommission beschlagnahmte damals 1,2 Mill. kg und gab alles übrige frei. Man wird bezweifeln können, ob diese 1,2 Mill. kg alles umfaßten, was an Militärtuchwollen in Verviers lagerte. Manches kleinere Lager und manche Wollpartie in den großen Lagern wird bei dem Widerstreben der Bevölkerung der Kommission entgangen sein; Stellen aus Briefen und spätere Feststellungen sprechen dafür, daß größere Mengen an Militärtuchwollen der Beschlagnahme entgangen sind. Vom 15.  September 1914 ab waren also alle nicht beschlagnahmten Bestände für den Handel wieder frei, d. h. neben allen der Kommission entgangenen Tuchwollen alles Kammwollmaterial und endlich die groben Wollsorten und Abfälle, zu einem großen Teil Rohstoffe, die inzwischen tatsächlich schon mehr und mehr zu Heereslieferungen dienten. Als die Wollund Garnbesitzer in Verviers merkten, daß für die beschlagnahmten Wollen die Preisabmachungen sich wesentlich auf die Friedenspreise stützten, die privaten deutschen Einkäufer dagegen bei weitem höhere Preise anzulegen bereit waren, gaben sie, wohl aus Furcht vor einer möglichen weiteren Beschlagnahme, ihre anfängliche Zurückhaltung auf und verkauften große Mengen an deutsche und österreichische Fabrikanten und Wollhändler. Örtliche militärische Stellen, die es als im Heeresinteresse liegend ansahen, die Wollen aus Belgien möglichst schnell Deutschland zuzuführen, unterstützten diese Geschäfte durch Ausstellen von Passierscheinen, Hergabe von



Die einsetzende Spekulation 

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Autos u. dgl. Es hat sich später nach einem Berichte vom 14. Juli 1915 des Kommissars des Kriegsministeriums in Brüssel herausgestellt, daß an Wollen, Kammzügen, Abfällen und wollenen Garnen außer den beschlagnahmten 1,2 Mill. kg bis Ende Januar 1915 weitere 8,5 Mill. kg nach Deutschland und 0,6 Mill. kg nach Österreich-Ungarn verladen worden sind. Als Ende Januar 1915 eine erneute Beschlagnahme aller noch vorhandenen Wollen angeordnet wurde, fanden sich noch 1,2 Mill. kg vor, von denen 0,75  Mill.  kg das Preußische Kriegsministerium und 0,2  Mill.  kg Österreich-Ungarn erhielt.

Die einsetzende Spekulation Die großen Gewinne, die aus den sprunghaft in die Höhe gehenden Wollpreisen erwuchsen, ließen die Wollinteressenten nicht nur zu jedem Preis kaufen, sondern brachten es sogar mit sich, daß einige Besitzer großer Wollvorräte in Deutschland künstlich die Preise in Verviers in die Höhe trieben, indem sie dort die Wollknappheit in Deutschland in bedenklichem Licht schilderten. Darüber hinaus blickten die Händler gierig nach Antwerpen und Nordfrankreich, wo jeden Augenblick große Wollvorräte in deutsche Hände fallen mußten. Auf dem Umweg über das neutrale Ausland erfolgten spekulative Käufe in Antwerpen. Fast noch im Feuer der Geschütze fuhren Händler in solche belgische und französische Orte, die von den Gegnern geräumt, aber von unseren Truppen noch nicht endgültig besetzt waren, um sich als erste die winkenden großen Gewinne zu sichern. Wie stark die Gewinnaussichten waren, geht daraus hervor, daß Ende September 1914 die Preise für Kreuzzuchtkammzug schon über 40 % gestiegen waren. Mittellange, reingewaschene Kapwollen, die für militärische Zwecke stark begehrt wurden, waren Ende Oktober 1914 auf dem deutschen Markt von dem letzten Friedenspreis von rund 5 M auf über 8 M für das Kilogramm gestiegen. Den großen Gewinnaussichten standen freilich auch Verlustmöglichkeiten gegenüber. Es war damit zu rechnen, daß es den Engländern gelang, Wollvorräte aus Antwerpen abzuführen oder zu vernichten. Einige Verladungen von Wolle nach England während der Belagerung sind aktenmäßig festgestellt, darunter solche von rund 250 Ballen, die Antwerpener Häuser mit deutschen Namen verluden. Noch ungeklärter war in dem Hin und Her des Kampfes die Lage in den überaus wichtigen französischen Wollgewerbestädten Lille, Roubaix, Tourcoing, Fournies, Sedan, Le Cateau usw. In dem von den deutschen Truppen besetzten französischen Gebiet befanden sich gegen zwei Drittel der Wollindustrie Frankreichs, die wiederum im ganzen der deutschen an Umfang nicht viel nachstand. In Antwerpen wurde die deutsche Verwaltung Mitte Oktober 1914 Herr der Lage. Der Kommissar der K.R.A. begab sich von Verviers nach Antwerpen. Man plante den Wollvorräten gegenüber anfänglich dasselbe Verhalten wie in Verviers. In diesem Sinn schrieb die K.R.A. unter dem 16. Oktober 1914 an die Leipziger Wollkämmerei, die in Hoboken bei Antwerpen eine große Zweigwäscherei unterhielt (1946/10.14 K.R.A.):

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„Nach hier eingelaufenen Nachrichten soll Ihre Filialfabrik in Hoboken bei Antwerpen unversehrt sein. Zur Sicherung Ihrer Bestände ist die Beschlagnahme durch das kaiserliche Generalgouvernement in Brüssel erbeten worden. Soweit die in Hoboken lagernden Vorräte deutsches Eigentum sind, wird eine Freigabe von Fall zu Fall erfolgen. Über das Eigentum von Untertanen des feindlichen Auslandes behält sich das Kriegsministerium das Verfügungsrecht vor.“ Eine nähere Festlegung des Begriffes „deutsches Eigentum“ erfolgte hier so wenig wie in Verviers. Es blieb insbesondere offen, ob man als deutsches Eigentum nur solche Waren ansehen wollte, die schon bei Kriegsausbruch deutsches Eigentum waren, oder auch erst nach Kriegsbeginn in deutschen Besitz übergegangene. Unklar blieb auch, ob man unter deutschen Eigentümern nur Reichsdeutsche verstand, wie man z. B. Firmen behandeln sollte, deren Inhaber teils Reichsdeutsche, teils belgische Untertanen waren. Manche der Inhaber großer Antwerpener Einfuhrhäuser kämpften in den Reihen der deutschen Armee, andere waren zwar naturalisierte Belgier, aber von anerkannt deutscher Gesinnung. Zeitlich zugleich mit der Stellungnahme des Kriegsministeriums, das deutsches Eigentum freigeben wollte, erfolgte aber eine dieser Absicht widersprechende Verfügung des Zivilgouvernements vom 18.  Oktober 1914, die jeden Handel mit den in Antwerpen und Hoboken lagernden Gütern verbot. Diese Verfügung wollte weniger grundsätzliche Regelungen vornehmen als Verschiebungen nach Holland verhindern. Die Filiale der Leipziger Wollkämmerei, die in Hoboken bei Antwerpen Wolle für eigene Rechnung im Wert von 3,2 Mill. Mark, für fremde Rechnung im Wert von 8,9 Mill. Mark, darunter 5,4 Mill. Mark für deutsche Spinner und Händler, lagern hatte, nahm auf Grund des oben erwähnten Schreibens des Kriegsministeriums ihren seit dem 4. August 1914 ruhenden Betrieb am 20. Oktober 1914 mit einem Drittel des früheren Umfanges wieder auf. Zu nennenswerten Verladungen kam es zunächst wegen des örtlichen Verbots der Zivilverwaltung und des Mangels an Eisenbahnwagen nicht. Inzwischen wurden in Verviers die Verhältnisse unhaltbar. Die Wollen gingen von Hand zu Hand. Die Käufer störten durch ihre Einzelverladungen die Maßnahmen der Linienkommandanturen, so daß es mehrfach zu Unterbrechungen in der Absendung kam. Am 7. November 1914 ordnete das Kriegsministerium wegen starker Preistreibereien die Beschlagnahme sämtlicher Vorräte an, hob aber am 14. November auf Grund der Klagen deutscher Käufer die Beschlagnahme wieder auf und bestimmte, daß alle in deutschen Besitz übergegangenen Wollen wieder freizugeben wären. Ebenfalls im November griff der Generalintendant des Feldheeres mit einer Beschlagnahme und einem Verbot der Barzahlung ein, aber auch diese Beschlagnahme wurde wieder aufgehoben. Da somit aus Verviers die Ausfuhr erlaubt und — wenn auch mit Unterbrechungen — tatsächlich möglich blieb, begannen Wollen aus Brüssel, Antwerpen und anderen Plätzen nach Verviers verschoben zu werden, um von hier nach Deutschland zu gelangen.



Grundsätzliche Änderung der Stellungnahme in Berlin 

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Entsendung eines ständigen Kommissars des Kriegsministeriums nach Brüssel Um derartige Verschiebungen zu verhindern und eine gleichmäßige Regelung der Abfuhrfrage durchzusetzen, wurde durch Verfügung des Generalgouvernements von Belgien vom 26. Oktober 1914 der Verkehr mit allen Kriegsrohstoffen einem ständigen Kommissar des Kriegsministeriums in Brüssel unterstellt. Die Freigabe der Wollen an deutsche Eigentümer sollte damit an sich nicht aufgehoben sein, insbesondere nicht für Verviers. Aber es sollte auch hier die Genehmigung des Kreischefs in Verviers und die Abstempelung der Frachtbriefe durch den Kommissar in Brüssel Voraussetzung der Abbeförderung sein. Der Kommissar schloß sich im Verlauf der Zeit in manchen Richtungen mehr den Gesichtspunkten der Zivilverwaltung Belgiens als denen des Kriegsministeriums an. Er verweigerte vielfach da seine Zustimmung, wo das Kriegsministerium die Bewilligung zur Ausfuhr erteilt hatte, wie z. B. für Verviers allgemein und in Ausnahmefällen auch für andere Plätze. In einzelnen Fällen gab er wiederum die Ausfuhrerlaubnis gegen die Absichten Berlins. So mußte das Kriegsministerium nachträglich in einem Schreiben an die österreichisch-ungarische Botschaft vom 5. Dezember 1914 die Freigabe von 100 000 kg Wolle aus Antwerpen an ÖsterreichUngarn genehmigen, weil sie in Brüssel zugesagt worden war. Die Industrie und die Händler sahen bei dem Stocken des Versands zeitweise in der Kriegswollbedarf-A.-G. den schuldigen Teil, so daß die Gesellschaft an den Kommissar in Brüssel eine Drahtung richtete, die folgendermaßen schloß: „Wir bitten, den genannten Fabriken ihr Eigentum nicht vorzuenthalten und den Namen unserer Gesellschaft nicht für Maßnahmen in Anspruch zu nehmen, durch die bei gesamter deutscher Industrie höchste Unzufriedenheit und Unwille hervorgerufen wird.“

Grundsätzliche Änderung der Stellungnahme in Berlin Inzwischen hatten sich in Berlin im Zusammenhang mit der Erkenntnis von einer wahrscheinlich längeren Dauer des Krieges unerwartete Ansprüche an Heeresbedarf ergeben, die dringend ein schärferes Erfassen der Rohstoffe erforderten. In einer Sitzung vom 19. November 1914 trat die grundsätzliche Schwenkung in den Auffassungen des Kriegsministeriums für alle Wollen und Garne zutage. Die Sitzung war gedacht als ein Gedanken- und Erfahrungsaustausch aller Mitarbeiter der K.R.A. über die Verwertung der im besetzten feindlichen Gebiet beschlagnahmten Kriegsrohstoffe. Es wurden insbesondere drei Fragen aufgeworfen, bei deren Erörterung es sich herausstellte, daß bei den einzelnen Stoffen bis dahin ganz verschieden verfahren worden war: 1. Sollen deutschen Eigentümern die Vorräte belassen werden? 2. Falls ja, was ist als deutsches Eigentum zu bezeichnen?

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3. Soll die Ware den deutschen Eigentümern schon in Belgien zugestellt und ihnen der Abtransport überlassen werden? Oder soll der Abtransport durch die Heeresverwaltung und die Zustellung des Eigentums erst in Deutschland erfolgen? In dieser Besprechung fürchtete man für Wolle, daß bei einer weiteren Freigabe an deutsche Eigentümer der Heeresbedarf nicht gesichert bleiben würde. Man glaubte aber, es in Verviers der gemachten Zusagen wegen bei dem bisherigen Verfahren bewenden lassen zu müssen, da schon erhebliche Teile der freien Vorräte zu hohen Preisen den Besitzer gewechselt hatten. Vieles davon war zwar schon nach Deutschland geschafft und hier mit großem Gewinn weiterverkauft worden, erhebliche Mengen lagerten aber auch noch in Verviers und wären von der neuen Stellungnahme hart betroffen worden. Auf Grund aller dieser Vorgänge und Überlegungen sandte das Kriegsministerium am 4.  Dezember 1914 ein Telegramm (2206/12.14. K.R.A.) an einen seiner gerade in Brüssel befindlichen Bevollmächtigten und unter dem 8. und 15.  Dezember 1914 zwei ausführliche Schreiben an den Kommissar (3564/12.14 und 7976/12.14. K.R.A.). Das Telegramm und das erste Schreiben lauteten in ihren wichtigsten Sätzen: Zustände bei Abtransport der Wollen aus Verviers vollkommen unhaltbar geworden. Versorgung deutscher Militärtuchfabriken beginnt durch von dort erlassene Verfügungen zu stocken, hier liegen ungezählte begründete Beschwerden deutscher Eigentümer vor, die nicht in Besitz ihrer dringend benötigten, längst bezahlten Wollen gelangen können, da Brüssel jetzt Gesuche um Abtransport mit der Begründung ablehnt, daß Wolle beschlagnahmt sei, und anheimgegeben wird, sich an Kriegswollbedarf-A.-G. wegen Zuteilung von Wolle zu wenden. Derartige Maßnahmen absolut undurchführbar, bitten dringend sofort ermöglichen, daß Vervierser Wollen allgemein zum Abtransport wie im Frieden an deutsche Firmen freigegeben werden. Allerschleunigste Regelung im vorstehenden Sinne muß sofort erfolgen. Wegen Antwerpen lagernder Wollen ist hier vereinbart worden, daß Kammwoll-A.-G. Abtransport übernimmt. Kammwoll-Aktiengesellschaft wird Wollen, soweit bereits an Heereslieferer verkauft, letzteren direkt zuführen. Dann noch verbleibende Wollmengen in Antwerpen werden nach Leipzig überführt. Benennung des Sachverständigen erfolgt ehestens.“ „Um die entstandenen Mißverständnisse hinsichtlich der Behandlung der Vervierser Wolle aufzuklären, dient folgender zusammenfassender Bericht über alle dort getroffenen Maßnahmen: Als die Bewirtschaftung der Vervierser Wollen angeordnet wurde, war es der Standpunkt des Kriegsministeriums, daß 1. Kammzüge für Uniformierung nicht verwendet werden könnten, 2. daß grobe Wollen für Militärtuche nicht in Betracht kämen. Es schieden somit sowohl Kammzüge wie auch grobe Nummern aus dem Gebiete der Kriegsrohstoffe aus und wurden, da zu jener Zeit eine strenge Beschränkung auf die eigentlichen Kriegsrohstoffe der Abteilung vorgeschrieben war, aus dem Beschlagnahmungsprogramm ausgeschlossen. Es wurde dementsprechend angeordnet, daß alle damals für Militärlieferungen in Frage kommenden Wollen beschlagnahmt werden sollten und daß der ganze übrige Bestand den deutschen Eigentümern möglichst schnell und in solcher Weise zur Verfügung gestellt werden sollte, als ob Verviers, das vor Errichtung des Generalgouvernements Brüssel bereits unter deutscher Verwaltung stand, ein deutscher Stapelplatz wäre. Durch die Bemühung der Kriegs-Rohstoff-Abteilung wurde erzielt, daß Kammzüge für Uniformzwecke verwendbar wurden. Es ergab sich ferner durch die Entwicklung des Marktes der Strickgarne ein wachsendes Bedürfnis nach



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groben Nummern. Diese Lage verlangte eine erneute Prüfung, und es wurde der Versuch gemacht, ob durch nachträgliche Beschlagnahmungen die ursprünglich freigebliebenen Mengen unmittelbar für die Militärbehörde in Anspruch genommen werden könnten. In diesem Sinne wurde, um keinen Zeitverlust eintreten zu lassen, eine zweite Beschlagnahme der bis dahin freigebliebenen Mengen verfügt. Diese Maßregel stellte sich indessen als undurchführbar heraus, denn es hatten in der Zwischenzeit einwandfreie Militärtuchfabriken, allerdings auch einige Händler, die bis dahin freigebliebenen Wollmengen nicht nur ausgekauft, sondern auch den Belgiern bezahlt. Sie waren dadurch der Heereswirtschaft nicht verloren, denn bei Eintritt in das Zollgebiet verfielen sie der generellen Verfügungsbeschränkung. Es war somit eine eigentliche Beschlagnahme bei belgischen Eigentümern nicht mehr durchführbar und die Maßregel hätte lediglich den gutgläubigen Erwerber der Ware getroffen. Unter diesen Umständen wurde das alte Programm wieder aufgenommen.

Das zweite Schreiben enthielt eine zusammenfassende Instruktion für die Behandlung der Wollvorräte in Belgien. Es hieß darin u. a.: 1. Sämtliche in ganz Belgien lagernden Bestände an Wolle, Kammzügen, Kämmlingen, Wollabfällen und Wollstrickgarn sind beschlagnahmt. 2. Der Abtransport der vorstehend aufgeführten Wollarten erfolgt nach Sammelstellen, und zwar: a) Für die in Antwerpen und Hoboken vorgefundenen Vorräte nach Leipzig, Leipziger Lagerhof-G.  m.  b.  H., zur Verfügung der Kriegs-Rohstoff-Abteilung in Berlin. Die in den Räumen der Leipziger Wollkämmerei, Hoboken bei Antwerpen, lagernden Bestände an Rohwolle können in dieser Kämmerei verarbeitet werden, wenn dadurch eine wesentliche Verzögerung im Abtransport nicht herbeigeführt wird. Eine Überweisung neuer Wollen an die Leipziger Wollkämmerei Hoboken findet nicht statt. b) Für alle sonst in Belgien beschlagnahmten Wollen nach Bremen, Bremer Lagerhausgesellschaft, zur Verfügung der Kriegs-Rohstoff-Abteilung in Berlin. c) Für Wollstrickgarne nach Leipzig, Leipziger Lagerhof-G.  m.  b.  H., zur Verfügung der Kriegs-Rohstoff-Abteilung in Berlin. Die einzige Ausnahme von dieser Generalanweisung bildet die in Verviers lagernde Wolle. Hiervon ist im September 1914 durch die Kommission der Kriegsrohstoff-Abteilung in Berlin eine Menge von etwa 1 200 000 kg für die Abteilung beschlagnahmt und der Kriegswollbedarf-Aktiengesellschaft in Berlin überwiesen worden. Der gesamte übrige Wollbestand in Verviers war dann ursprünglich ganz allgemein freigegeben und ist inzwischen fast ausnahmslos an deutsche Heereslieferanten verkauft und durch diese bezahlt worden. Deshalb erweist sich die neuerlich angeordnete Beschlagnahme dieser Wollvorräte als unzweckmäßig und ist daher wieder aufzuheben. Zur Vereinfachung der Angelegenheit sendet die Kriegs-Rohstoff-Abteilung, Berlin, ihren eigenen Kriegs-Rohstoff-Abteilungs-Sachverständigen nach Verviers, welcher den Gesamtabtransport der beschlagnahmten und freigegebenen Teile der Vervierser Wolle besorgen wird.

Volle Klarheit wurde auch mit diesen Verfügungen noch nicht erzielt, da die verschiedensten berechtigten Gesichtspunkte sich fortwährend überschnitten. Die Brüsseler Stelle als selbständige Rohstoffverwaltungsstelle ging im Laufe des Jahres 1915 wieder ein, und es blieb nur ein der politischen Abteilung der Zivilverwaltung angegliederter jüngerer Offizier ohne große Betätigungsmöglichkeiten. Daß die Zivilverwaltung in Belgien und der mit ihr in enger Fühlung stehende Kommissar z. T. eine von Berlin

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abweichende Stellung einnahmen, war aus manchen bedenklichen Nebenerscheinungen erklärlich, die die freien Wollaufkäufe in Verviers zeitigten. Die belgischen Verkäufer gerieten durch die wilden Käufe deutscher und österreichischer Spekulanten in die günstige Lage, ihre Bedingungen vorschreiben zu können. Sie forderten beispielsweise die Zahlungen in Franknoten und berechneten diese zu einem Kurs, der eine Schädigung der deutschen Valuta bedeutete. Deutsche Händler kauften im September und Oktober 1914 Hundert-Franknoten mit 86 M, um sie in Verviers in Zahlung geben zu können. Bedenklich war auch bei diesem freien Ankauf die Gefahr von Zahlungen an das feindliche Ausland. Viele Wollen in Belgien und Frankreich waren von französischen und englischen Banken beliehen worden; die Lagerhalter verweigerten die Herausgabe ohne die Ablösung des Pfandes und ohne die Zustimmung der Pfandhalter. Da die Wollen nicht requiriert waren, so bestand keine Handhabe, die Waren ohne Einwilligung der Beleiher zu erhalten. Selbst Hinterlegung des Geldes konnte die Wäschereien nicht zur Herausgabe nötigen. Bei den hohen Gewinnen, die in Aussicht standen, lag darin die Gefahr, daß auf Umwegen über das neutrale Ausland Zahlungen der Pfandsummen versucht wurden.

Zahlung für die in Verviers beschlagnahmten Wollen Daß die Belgier alles taten, um ihre Bestände freihändig abzustoßen, erklärt sich neben den Preisunterschieden aus Verzögerungen in der Zahlung für die Requisitionen. Der Vorsitzende in der Verviers-Kommission schilderte auf eine dienstliche, durch Beschwerden der Belgier hervorgerufene Rückfrage in einem Schreiben vom 18.  April 1915 den Hergang. Die Kommission habe bei der ersten Beschlagnahme allgemein geäußert, auf Grund der fest vereinbarten Preise würde Bezahlung erfolgen. Wann, könne nicht bestimmt gesagt werden; es könnten 4 Wochen, 8 Wochen oder auch 3—4 Monate vergehen; Zinsen würden nicht vergütet. Als nach Monaten die Zahlung noch nicht erfolgt sei, habe er die Behauptung der Belgier, sie hätten per Kasse nach 30 Tagen verkauft, zurückgewiesen, es könne von einem Verkauf zu bestimmten Bedingungen nicht die Rede sein, die Waren wären beschlagnahmt, und die Abrechnung verzögere sich eben mehr, als er angenommen hätte, andererseits dürfe an dem Wort des Kriegsministeriums, daß die beschlagnahmten Wollen bezahlt werden würden, nicht gezweifelt werden. Das Kriegsministerium habe ihm auf seine persönliche Anfrage dann später mitgeteilt, daß die Bezahlung erst erfolgen könne, wenn alle Wollen in Deutschland wären. Diesen Bescheid habe er in Verviers weitergegeben. Er würde es im Interesse des Ansehens des deutschen Namens auf das lebhafteste begrüßen, wenn die versprochene Bezahlung, deren Verzögerung in Belgien bereits Mißdeutungen ausgesetzt sei, nunmehr erfolgen würde. Es handelte sich nach allem, was inzwischen mit den belgischen Wollen vorgegangen war, nicht mehr darum, deutschen an Rohmaterial knappen Militärtuchfabrikanten zur Erfüllung ihrer Lieferungsverpflichtungen zu helfen; vielmehr kaufte im



Dauer der Wollverladungen 

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besetzten Gebiet fast der gesamte deutsche Wollhandel, um sich an den steigenden Preisen zu bereichern, und zwar zu Preisen, die notwendig sehr verteuernd auf die Heereseinkäufe in Fertigerzeugnissen wirken mußten. Die Käufe der Händler boten nicht einmal mehr die Gewähr, daß die Wollen Heereslieferungen zuflossen. Sogar Verschiebungen nach Holland wurden vermutet, wenngleich ein aktenmäßiger Beweis dafür nicht zu erbringen ist.

Vorräte in Nordfrankreich Ähnliche Machenschaften wie in Belgien drohten auch auf französische Wollgewerbeplätze überzugreifen. Das System der Einzelfreigaben deutschen Eigentums an Ort und Stelle hatte nicht derartige Ergebnisse gezeitigt, daß sich gegenüber den großen Beständen in Frankreich seine Aufrechterhaltung empfahl. Von Anfang 1915 an beharrte daher das Kriegsministerium unerschütterlich auf dem nun eingenommenen Standpunkt. Alle im besetzten Gebiet festgestellten Wollen, Garne und auch Ganzfabrikate — schrieb die K.R.A. am 22. Januar 1915 — gleichviel ob sie deutsches, verbündetes, neutrales oder feindliches Eigentum, vor oder nach Kriegsausbruch erworben seien, sollten beschlagnahmt und ausnahmslos durch das Kriegsministerium nach Deutschland geleitet werden. Soweit Kriegsrohstoffe in Frage kämen, sollten sie den Kriegsrohstoffgesellschaften überwiesen, die anderen Wollen, Garne usw. von Fall zu Fall freigegeben werden. Die Verwertung von nicht zu Heereszwecken geeigneten Fertigwaren (z. B. von Damentuchen) feindlicher Eigentümer sollte durch die Kriegswirtschafts-A.-G. Berlin erfolgen, die inzwischen von der Kriegsbeuteabteilung des Kriegsministeriums ins Leben gerufen worden war. Feindliche Eigentümer sollten Requisitionsscheine erhalten, deren Bewertung Sache der Reichsentschädigungskommission sei; der deutsche wie der neutrale Eigentümer erhielt nur Anspruch auf den Wert der Ware, der nach Eintreffen der Güter in Deutschland durch Sachverständige auf Grund des Preisstandes vom 25.  Juli 1914 festgestellt werden würde; zu diesem Preis konnten unter Umständen noch gewisse Zuschläge für Zinsen und Lagerunkosten treten. Für den größten Teil der Wollvorräte in Frankreich kamen diese neuen Grundsätze noch rechtzeitig, während bei den ersten Beschlagnahmen auch in Frankreich, z. B. in Le Cateau, der Kommissar des Kriegsministeriums noch den früheren Standpunkt vertreten hatte.

Dauer der Wollverladungen Naturgemäß dauerten Beschlagnahme, Sichten, Verladen nach Deutschland und Einlagerung in den Sammellägern lange Zeit. Die Abtransporte aus Antwerpen zogen sich bis März, die aus Roubaix bis Mai 1915 hin. Für Roubaix-Tourcoing mußte das Kriegs-

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ministerium zum Abtransport der Wollen und Garne monatelang täglich 100 gedeckte Güterwagen anfordern, die bei den gewaltigen militärischen Transporten nur schwer zu stellen waren. Einzelne Fabrikanten und Händler hätten bei Freigabe an Ort und Stelle zweifellos ihre Waren auf eigene Faust schneller herausgebracht, aber im ganzen wäre die Verladung der gewaltigen Mengen in regellosen Teilsendungen fast undurchführbar gewesen. In Einzelfällen gelangen den Händlern immer noch Durchbrechungen der Grundsätze mit Hilfe militärischer Stellen. Es kam z. B. vor, daß trotz Verweigerung der Zustimmung Berlins württembergische militärische Stellen kurzerhand 230  000  kg Wolle aus Roubaix abfertigten, was später mit einem telephonischen Mißverständnis entschuldigt wurde. Der bayerischen Regierung wurde, wie aus einem Schreiben derselben vom 16.  Januar 1915 hervorgeht, durch Vorlage von Frachtbriefen nachgewiesen, daß auch nach Erlaß der Beschlagnahmeverfügung und Einstellung der Freigaben Wollsendungen aus Brüssel an einzelne bayerische Empfänger gelangt waren. Noch Ende 1914 traten Händler an deutsche Spinnereien mit dem Angebot heran, für sie Wollen mittels Wagen und Autos aus dem besetzten Gebiet zu beschaffen.

Vorschläge zur Erfassung versteckter Wollen Es war verständlich, daß bei der immer noch bestehenden Hoffnung auf Barverkauf zu hohen Preisen die belgischen und französischen Wollbesitzer ihre Vorräte vor der Beschlagnahme zu verstecken suchten; insbesondere wurde das auch für die Zugänge aus der neuen Schafschur erwartet. In diesem Zusammenhang war schon unter dem 25. Januar 1915 dem Kommissar in Brüssel seitens einer deutschen Firma der Aufkauf durch eine belgische Firma mit folgenden Ausführungen vorgeschlagen worden (auszugsweise): Ich habe Grund zur Annahme, daß lediglich auf Grund militärischer Requisition dieses Quantum Wolle der deutschen Industrie größtenteils verlorengehen würde. Die Wollschur in Belgien und den okkupierten Teilen Frankreichs beginnt jetzt, doch läßt sich bei der instinktiven Abneigung der Landbevölkerung gegen Requisitionsscheine als sicher annehmen, daß sie alles tun wird, um die geschorenen Wollen zu verstecken. Wenn man außerdem bedenkt, daß die einzelnen Bauern nur zwischen 50—150 kg, selten mehr, und jeder eine andere Qualität Wolle produzieren, daß es ihnen an Säcken zum Emballieren fehlt, und daß der Militärverwaltung unmöglich soviel Sachverständige zur Verfügung stehen können, um diese vielen Einzelposten Wollen in den verschiedenen Orten richtig abzutaxieren, so dürfte sich mein Vorschlag, die in diesem Geschäft besonders erfahrene Firma mit dem Ankauf und der Fertigmachung dieser Wollen für den deutschen Bedarf zu betrauen, noch mehr empfehlen als eine allgemeine Freigabe des Wollhandels, welche nur eine neue Auflage ungezügelter Konkurrenz im Einkauf und ein neues Aufflackern der Wollhausse bedeuten würde. Auf der andern Seite läßt sich annehmen, daß die Firma Monat für Monat in der Lage ist, mindestens 100—150  000  kg Militärtuch- und Deckenwolle auf den Markt zu bringen.



Inbetriebsetzungen von Fabriken in Belgien und Frankreich 

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In Berlin zog man jedoch vor, die Kriegswollbedarf-A.-G. mit dem Ankauf in Belgien zu betrauen, wie aus folgenden Stellen eines Sitzungsberichtes vom 1. Mai 1915 hervorgeht: Einer in Brüssel zu errichtenden Zweigniederlassung der K.W.B. würden folgende Aufgaben zufallen: 1. Ankauf der belgischen Schafschur. 2. Nutzbarmachung der noch etwa versteckt liegenden Woll- und Garnvorräte Belgiens durch Ankauf 3. Erwirkung von Freigabe- und Ausfuhrerlaubnis zum Abtransport nach Deutschland von Garnen, welche von deutschen Heeresbedarfsfabrikanten usw. gekauft worden sind. 4. Beschlagnahme (Requisition und Kauf) von Lumpen, sofern diese für deutschen Heeresbedarf geeignet sind.

Man sprach sich dahin aus, daß der Geschäftsbetrieb der Filiale unter Aufsicht des Kriegsministeriums zu stehen hätte und nicht dem Generalgouvernement unterzuordnen sei. Der daraufhin gegründeten Einkaufsstelle gelang es bis Ende 1915, auf gewaschene Wollen umgerechnet, rund 750 000 kg Wollen im Wert von über 3 Mill. Mark zu kaufen. Bemerkenswert ist aus dem Sitzungsbericht, daß der Gedanke, der Bevölkerung des besetzten Gebietes Geldmittel zuzuführen, wogegen sich der Generalintendant des Feldheeres im November 1914 gewehrt hatte, jetzt begrüßt wurde.

Inbetriebsetzungen von Fabriken in Belgien und Frankreich Die Zweigstelle der Kriegswollbedarf-A.-G. in Brüssel sollte außerdem dem belgischen Wollstoffgewerbe die nötigen Rohstoffe, soweit sie nicht für deutschen Heeresbedarf beschlagnahmt waren, zuführen. Es sollte nach Möglichkeit angestrebt werden, den belgischen Fabriken soviel Rohstoff zu geben, daß sie ihre Betriebe während 24 Stunden in der Woche in Gang halten konnten. Soweit es die Einrichtung der Werke zuließ, sollten Uniformtuche für Mannschaften hergestellt werden, die durch die Kriegswollbedarf-A.-G. an das Bekleidungs-Beschaffungs-Amt weiterzuleiten waren. Die Inbetriebsetzung von Betrieben erfolgte aber tatsächlich nicht in dem nach diesen Grundsätzen möglichen Umfang. In den wichtigen Gebieten Nordfrankreichs verbot es die militärische Lage, an dauernd ruhiges Arbeiten zu denken, an anderen Plätzen fehlte es an Kohlen. Während der Zeit des Abtransportes wurde allerdings in Nordfrankreich stellenweise gearbeitet, unter anderem die auf den Stühlen befindlichen Wollen und Garne zu Ende gesponnen und abgewebt. In Verviers war ein wesentlicher Grund für den Stillstand der Fabriken, daß anfangs Unternehmer und Arbeiter die Arbeit verweigerten, um nicht mittelbar deutsche Kriegsziele zu fördern. Später, als die wirtschaftliche Not Arbeiter und Unternehmer zur Aufnahme der Arbeit geneigt machte, waren die meisten Rohstoffe verladen; soweit aber solche

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noch vorhanden waren, befürworteten auch deutsche Wollinteressenten die Wiederaufnahme von Betrieben in Verviers. Als Gründe gaben die deutschen Firmen die Überlastung der heimischen Spinnereien an und die Erwartung, daß bei Verarbeitung an Ort und Stelle noch geeignete zurückgehaltene Rohstoffe auftauchen würden. Es mag dahingestellt sein, ob bei diesen Anträgen nicht der Wunsch der deutschen Firmen ausschlaggebend war, sich auf diese Weise leichter an dem Wolleinkauf in Verviers beteiligen zu können. Einzelne Lose sind in Verviers versponnen worden. Eine regelmäßigere Beschäftigung gab der belgischen Industrie später die Verarbeitung von Kunstwolle.

Stellungnahme der deutschen Interessenten gegen Abtransport und Preisfestsetzung der beschlagnahmten Wollen Der Wechsel in der Stellungnahme Berlins gegenüber den im besetzten Gebiet aufgefundenen Wollen, die von November 1914 an den deutschen Eigentümern die weitere Freigabe versagte und für die Entschädigung nur die Friedenspreise als Grundlage nehmen wollte, rief einen Sturm der Entrüstung innerhalb der deutschen Wollgewerbekreise hervor, der sich zu zahlreichen Eingaben und Beschwerden an das Kriegsministerium, an andere Behörden des Reiches und der Bundesstaaten, an den Bundesrat und an den Reichstag, sowie selbst zu Klageandrohungen verdichtete. Der Streit kam das ganze Jahr 1915 nicht zur Ruhe. Schon in einer Beschlußfassung vom 19. November 1914, als eben erst der veränderte Standpunkt des Kriegsministeriums fühlbar zu werden begann, äußerten die Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin, die Handelskammern zu Berlin, Leipzig, Kottbus und Potsdam und zahlreiche in einer Versammlung Anwesende aus den Kreisen der Kammer, Weber und des Wollhandels folgende Bedenken: Es muß darauf hingewiesen werden, daß für die Tätigkeit der deutschen Wollindustrie die in Roubaix-Tourcoing vorgefundene Wollmenge der wichtigste Faktor war, der in die Kalkulation für eine längere Beschäftigung eingesetzt werden konnte. Der Wegfall dieses Faktors wird nicht nur eine schwere Schädigung der deutschen Industrie bedeuten, sondern auch unzweifelhaft zur Folge haben, daß eine größere Anzahl von Betrieben, die ausschließlich für deutsche Heereszwecke arbeiten, bereits im Januar 1915 zum Stillstand kommt.

Diese Sätze, die völlig darüber hinweggehen, daß das Kriegsministerium die beigetriebenen Wollen der Industrie zuführen wollte, zeigen, daß die wirklichen Gründe für die Widerstände an anderer Stelle lagen. Der Handel konnte es nicht verwinden, daß ihm ein Gewinn von Dutzenden, wenn nicht Hunderten von Millionen an den gewaltigen Vorräten, die sich in Nordfrankreich gefunden hatten, entging. Es kamen weit über die anfänglichen Annahmen hinaus von Tag zu Tag größere Vorräte zutage.



Stellungnahme der deutschen Interessenten gegen Abtransport und Preisfestsetzung 

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In einer Besprechung im Reichsamt des Innern im November 1914 hatte man nur auf 6—10 Mill. kg gerechnet, später ergaben sich in Nordfrankreich Mengen von 60 Mill. kg im damaligen Werte von 300  Mill. Mark. Der Wollhandel hatte bei seinen Spekulationen angenommen, daß die auf diesem Teil des Kriegsschauplatzes tagtäglich von der Vernichtung ihres Eigentums bedrohten französischen Wollbesitzer gern und verhältnismäßig billig verkaufen würden, wie denn auch einige billige Käufe tatsächlich abgeschlossen worden waren. Trotzdem der tiefere Grund für alle Beschwerden im entgangenen Gewinn beruhte, sind einige der angezogenen Bedenken wirtschaftlicher und technischer Natur immerhin erwähnenswert. Ehe man wußte, daß die Zuteilungen durch die Kriegswollgesellschaften an die Werke auf Grund der inzwischen gesetzlich festgelegten Höchstpreise erfolgten, machten einzelne Industrielle geltend, die Verteilung riesiger Mengen beigetriebener Wolle, die einen ganzen Jahresbedarf der deutschen Industrie decken könnten, würden die Bestände der deutschen Werke entwerten. Als dann später bekannt wurde, daß die Zuteilung der zu Friedenspreisen beigetriebenen Wollen zu Höchstpreisen erfolgen werde, schlugen diese Vorwürfe um in solche, die sich gegen die angeblichen Bereicherungsabsichten des Fiskus erhoben, obwohl die Spannung zwischen Woll-, Garn- und Tuchpreisen den Fabrikanten höhere Verdienstmöglichkeiten ließ, als im Frieden üblich, und obwohl der Fiskus in der Spannung zwischen Friedens- und Höchstpreisen nur einen Teil dessen zurückerhielt, was er für fertige Uniformen an Überpreisen bezahlte. Die technischen Einwendungen gingen vor allem nach der Richtung, daß durch die gemeinsame Verladung nach Deutschland und die den Fabrikanten entzogene weitere Behandlung, in der Sichtung und Mischung der Wollen den verschiedenartigen Bedingungen, unter denen die einzelnen Werke arbeiteten, nicht Rechnung getragen werden könne. Es handle sich um hunderterlei Sorten und Abwandlungen für die verschiedensten Verwendungszwecke. Die Wollen und Kammzüge seien schon vor dem Kriege für ganz bestimmte Zwecke erworben worden. Bei den außerordentlich kleinen Kammzugmengen, die es noch in Deutschland gäbe, sei es nicht möglich, Ersatz auf dem freien Markte zu finden, und bei der Verteilung durch die Kriegswollgesellschaften müsse man nehmen, was einem zugewiesen werde. Zuteilung weniger geeigneter Sorten an Stelle der für bestimmte Zwecke und Arbeitsverfahren gekauften sei oft gleichbedeutend mit der Unausführbarkeit der beabsichtigten Fabrikation, bedeute mindestens eine große Beeinträchtigung der Rentabilität.

Diese Gründe, die in Friedenszeiten eine große Berechtigung gehabt haben würden, übersahen, daß inzwischen mehr und mehr alle Wollsorten nur noch zu Militärzwecken, und zwar zu bestimmt vorgeschriebenen Garnen versponnen werden durften, und Freigaben für den bürgerlichen Bedarf kaum noch vorkamen. Fast alle Werke mußten sich also sowieso zu einem großen Teil technisch umstellen. Andere Einwände gingen dahin, daß gewisse handelsübliche oder ausdrücklich zugesicherte Garantien den Eigentümern verloren gehen würden. Wolle werde häufig auf der Grundlage eines zugesicherten Waschergebnisses (Rendements) gekauft. Bei der dem einzelnen Fabrikanten entzogenen Rückführung gehe die Möglichkeit verloren, den Nachweis des Waschergebnisses führen. Wieder andere Einwendungen fürchteten Zeitverlust und unnötige Fracht und Lagerkosten durch die Versendung an oft weit entfernte Lagerorte anstatt unmittelbar an die Fabriken. Eine Reihe für die Heeresbelieferung unentbehrlicher Fabrikanten, z. B. die Wollfilzfabrikanten für die Papierindustrie, von denen das Zeitungs- und Drucksachenwesen abhängig sei, seien vom Stillstand bedroht; sie könnten keine Wolle bekommen, da ihnen der freie Einkauf unterbunden, Verteilungsstellen für diese Wollen aber noch nicht eingerichtet seien.

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 Erste Bewirtschaftung der Wolle in den besetzten Gebieten

Viel heftiger waren die Einwände, die sich gegen die Beschlagnahme selbst und vor allem gegen die Festsetzung des Friedenspreises vom 25. Juli 1914 als Entschädigungsgrundlage erhoben. In weitem Umfange wurde die Rechtsgültigkeit des ganzen Verfahrens angezweifelt. Bezeichnend für die Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit angezogen wurden, ist die Eingabe einer Leipziger Firma vom 11. März 1915, die im besetzten Gebiet eine Zweigniederlassung hatte: „Wir nehmen an, daß die Beschlagnahme auf das Haager Abkommen gestützt wird. Wir wollen aber darauf hinweisen, daß dies Abkommen grundsätzlich die Rechte der kriegführenden Staaten gegenüber den Untertanen des feindlichen Staates regeln soll, nicht aber auch diese Rechte gegenüber den Untertanen des eigenen Landes. Es ist kaum denkbar, daß der eigene Untertan seinem Staate gegenüber deshalb anders gestellt sein soll, weil er seine Niederlassung nicht im Inland, sondern im Ausland hat. Dem Untertan des eigenen Staates gegenüber kann der okkupierende Staat nur die Gesetze des eigenen Landes in Anwendung bringen. Kommt aber deutsches Recht in Anwendung, so kann kein Zweifel sein, daß nur eine Enteignung zu dem Wert, den die enteignete Sache im Moment der Enteignung hat, in Frage kommen kann, wie ja wohl auch kaum im Inland Wollen unter dem Höchstpreis enteignet werden. Wird das Haager Abkommen angewendet, so muß die Entschädigung nach Artikel 53 geregelt werden. Es wird sich also darum handeln, was man unter Entschädigung versteht. Das Kriegsministerium will einen Wertersatz, und zwar entsprechend dem Preis vom 25. Juli 1914, in Anwendung bringen. Von einem Wertersatz kann aber stets nur dann gesprochen werden, wenn als Stichtag der Tag der Enteignung genommen wird. Jede andere Zeitbestimmung ist gleichmäßig willkürlich, ob sie Tage, wenige Wochen oder Jahre oder Jahrzehnte früher genommen wird. Gegen unsern einzig und allein dem Gesetz entsprechenden Standpunkt dürfen andere Gründe überhaupt nicht ins Feld geführt werden. Diese anderen Gründe, welche uns bei mündlichen Verhandlungen vorgehalten wurden, sind aber auch tatsächlich nicht stichhaltig. Sie gehen einmal dahin, daß das Eigentum von Deutschen nicht anders als das von Ausländern behandelt werden könne. Dies erscheint uns nach dem Gesagten nicht richtig. Es dürfte aber auch schon aus dem Gesichtspunkte der Vergeltung, also völkerrechtlich gesprochen, unrichtig sein, da die feindlichen Staaten dem deutschen Eigentum nicht die gleiche Rücksicht gewähren. Der andere gegen uns ins Feld geführte Grund geht dahin, daß die Spekulation auf Kosten des Reiches gehindert werden solle. Wir fordern in erster Linie aber nicht die volle Entschädigung für diejenigen Quantitäten, die wir nach Kriegsausbruch gekauft haben, sondern für die längst vorher in unserem Eigentum gewesene Wolle. Bei ihrem Ankauf kann eine Spekulation auf Werterhöhung durch den Krieg unmöglich vorgelegen haben. Der Grund, warum uns nicht die Höchstpreise vergütet werden sollen, ist auch nicht etwa der, daß die Industrie vor diesen Preisen bewahrt werden sollte, oder daß das Militär zu billigerem Tuche kommen solle, denn die Kammwoll-Aktiengesellschaft, welche die beschlagnahmte Wolle erhält, gibt sie nur gegen Zahlung der Höchstpreise an die Industrie ab, der also mit geringerer Zahlung an uns überhaupt nicht gedient ist. Wenn nun der Zwischengewinn, der von der Kammwoll-Aktiengesellschaft dadurch in ganz respektabler Höhe gemacht wird, für allgemeine Zwecke verwendet wird, so bedeutet dies, daß wir unglücklichen Besitzer von Wollagern im Ausland eine Extrasteuer für allgemeine Zwecke tragen sollen. Die Wertfestsetzung ist seitens des Kgl. Preußischen Kriegsministeriums auch keineswegs konsequent durchgeführt worden. Wir wollen in diesem Zusammenhang nur kurz darauf verweisen, daß bei der Beschlagnahme in Verviers nur ein ganz geringer Teil der Wolle beschlagnahmt ist, während der größte Teil der Wolle den belgischen Eigentümern zum freihändigen Verkauf überlassen ist, so daß die feindlichen Untertanen kolossale Gewinne, weit über die Höchstpreise hinaus, eingeheimst haben. Wir weisen ferner darauf hin, daß der Firma C. G. Schön, Sosnowice-Srodulka, und der Aktiengesellschaft der Reugedeiner Schafwollwarenfabrik erheblich höhere Preise für beschlagnahmte Wollen bewilligt sind.“



Stellungnahme der deutschen Interessenten gegen Abtransport und Preisfestsetzung 

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Für eine unterschiedliche Behandlung von Freund und Feind sprachen sich auch behördliche Stellen aus. Für requirierte Wollen feindlicher Eigentümer fand man den Friedenspreis berechtigt, forderte aber bedingungslose Freigabe der Bestände deutscher Eigentümer, wenigstens soweit sie vor Bekanntwerden der neuen Grundsätze gutgläubig erworben worden waren. Das Kriegsministerium aber hielt von Januar 1915 ab an der gleichmäßigen Preisfestsetzung aller im besetzten Gebiet beschlagnahmten Wollen nach anfänglichem gelegentlichen Schwanken fest. Es hatte die Erfahrung gemacht, daß die Entwirrung der Eigentumsverhältnisse nicht möglich war und neue Verschiebungen bei einem anderen Standpunkt nicht verhindert werden konnten; außerdem fühlte es sich verpflichtet, die großen Unterschiede, die zwischen den Friedenspreisen und den Höchstpreisen lagen, dem Staat zuzuführen und dadurch zu einem Teil einen Ausgleich zu schaffen für die vielfach wucherischen Preise, die Handel und Industrie in der ersten Zeit der Not den Kriegsbekleidungsämtern abgefordert hatten.

Diese Beschwerden brachten es mit sich, daß das Kriegsministerium seinen in dieser Frage eingenommenen Standpunkt mehrfach nachprüfen und verteidigen mußte. Man vermißt in den dazu vorliegenden Schriftstücken Angaben darüber, wieviel bei Ausbruch des Krieges an deutschem Eigentum an Wolle in Belgien und Nordfrankreich lag, wann, in welchem Umfang und zu welchen Preisen die späteren Zukäufe erfolgten, wieviel von Fabrikanten für die eigenen Betriebe, wieviel von Wollhändlern und Spekulanten erworben wurde. Die verschiedenen maßgebenden Persönlichkeiten in der Kriegs-Rohstoff-Abteilung, Militärs, Verwaltungsbeamte, Juristen und Geschäftsleute, nahmen eine etwas unterschiedliche Stellung in diesen Fragen ein. Keiner verkannte, daß einzelne geschädigt wurden, und jeder gab zu, daß das Gesamtinteresse des Staates nur gewahrt werden konnte, wenn endlich den Schiebern das Handwerk gelegt wurde, die durch die Maschen aller Erleichterungsbestimmungen schlüpften. Man war darin einig, daß auf einen Konjunkturgewinn, der sich aus dem Not- und Teuerungszustand des Krieges ergab, in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Empfinden kein Anspruch eingeräumt werden konnte. Auch darin, daß die enteigneten Fabrikanten Wollen zur Erfüllung ihrer Heeresaufträge nun zu Höchstpreisen bei den Kriegswollgesellschaften erwerben mußten, erblickte man keine Schädigung, denn sie erhielten entsprechend höhere Fabrikatpreise. Auf Friedenspreise gegründete Lieferungsverpflichtungen gegen die Militärbehörden lagen nicht mehr vor. Über die Berechtigung des Vorgehens in Antwerpen und Frankreich war man daher einig. In Verviers dagegen hatten deutsche Fabrikanten und Händler auf Grund der anfänglich erklärten Freigabe gutgläubig Wollen zu höheren Preisen erworben. Diese ihnen zu Friedenspreisen zu ersetzen, erschien einigen unbillig, da damit unmittelbare Verluste, nicht nur entgangene Gewinne verbunden waren. Auseinander gingen die Meinungen über die Zahl der gutgläubigen Käufer, über den Grad ihrer Schädigung und die dem Kriegsministerium betreffs dieser Schädigungen zufallende moralische Verpflichtung. Der Referent für Wolle schätzte den Schaden der Firmen, die gutgläubig in Verviers gekauft, denen es aber nicht mehr gelungen war, vor Aufhebung der Freigaben ihre Waren abzuführen, auf mindestens 50 %. Er glaubte eine Einigung auf 33⅓ %

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 Erste Bewirtschaftung der Wolle in den besetzten Gebieten

vorschlagen zu sollen. Der Bericht eines mit der Bearbeitung des Reichstagsmaterials beauftragten Verwaltungsbeamten des Kriegsministeriums vom 27.  September 1915 äußerte sich dahin: Es wäre verfehlt, nicht ohne weiteres zuzugeben, daß in der ersten Kriegszeit eine gewisse Unsicherheit und Unordnung geherrscht hätte, aber ebenso ungerechtfertigt, rückblickend deswegen Vorwürfe zu erheben. 1. zu Anfang des Krieges waren keine bestimmten einheitlichen Anordnungen gegeben worden, 2. soweit Anordnungen erteilt wurden, setzten sie sich nicht überall, gleichzeitig und gleichmäßig durch, 3. wurden die Anordnungen im Laufe der Zeit geändert Im Kriegsministerium war man sich zu Anfang des Krieges über den Bedarf weder nach Menge noch Beschaffenheit völlig klar. Ebensowenig konnten vom Generalgouvernement in Brüssel im Anfang aus den Verhältnissen des Krieges heraus klare und einheitliche wirtschaftliche Maßnahmen getroffen werden, so daß weder die ungeregelte Ausfuhr nach Deutschland noch die Verschiebungen innerhalb Belgiens verhindert wurden. Aus der an sich bedauerlichen verschiedenartigen Handhabung der Beschlagnahmebefugnis ließen sich aber Rechtsansprüche weder auf Ersatz von Schaden noch auf entgangenen Kriegsgewinn ableiten. Das Kriegsministerium habe durch die Ankündigung der Freigabe mit den Wolleigentümern nicht über privatrechtliche Rechtsgeschäfte verhandelt, sondern ihnen nur Eröffnungen über einen in Aussicht genommenen Akt der Staatshoheit gemacht. Gebot die Staatsnotwendigkeit eine Änderung, so mußte diese erfolgen. Die Feststellungen der vom Reichskanzler am 25. April 1915 eingesetzten Reichsentschädigungskommission erfolgten nicht auf Grund einer anerkannten Entschädigungspflicht, sondern als freiwillige Vergütungen. Die in Aussicht genommenen Vergütungen stellten den Erlös dar, den die Eigentümer ohne Ausbruch des Krieges gehabt hätten. Es wurde in dem Bericht aber immerhin als wünschenswert anerkannt, daß die Reichsentschädigungskommission vom Reichskanzler ermächtigt würde, in den Vervierser Fällen den bestimmungsgemäß höchsten Zuschlag von 209/0 zum Friedenspreis, welchen die Kommission unter besonderen Verhältnissen zubilligen konnte, zu gewähren.“

Auch der Justiziar der Kriegs-Rohstoff-Abteilung erkannte in seiner Bearbeitung der an Bundesrat und Reichstag gelangten Beschwerden eine gewisse Berechtigung der Klagen an, wenn auch mit starken Einschränkungen. Gewiß seien Eigentümern und Händlern große Gewinne entgangen, diese Schädigungen seien aber nicht durch die nachträgliche Beschlagnahme an sich bedingt. Dieselben Schädigungen hätten eintreten können, wenn die Abfuhr nicht erfolgen konnte; private Transportpflichten und -rechte bestanden aber nicht. Die Händler, die nach Kriegsausbruch kauften, wußten, daß sie Gefahr liefen. Wer vor dem Kriege gekaufte Wolle in Belgien und Frankreich lagern hatte, war von der Requisition durch unsere Gegner bedroht und mußte zufrieden sein, überhaupt durch die deutsche Besitzergreifung sein Eigentum gesichert zu haben. Ein bewußtes Risiko wären diejenigen eingegangen, die vor der festen Besetzung eines Bezirkes dort kauften, da Änderungen in der Kriegslage jeden Augenblick eintreten konnten. Zum Teil seien auch die gemachten Gewinne ungesetzlich gewesen, z. B. die Käufe nach der Einnahme in Antwerpen, da die Wollen beschlagnahmt waren und somit ein Kauf nicht statthaft war. Daß Spekulationswollen höher als zum Julipreis bezahlt wurden, konnte für die Entschließungen des Kriegsministeriums nicht maßgebend sein. Ungesetzlich seien auch die in großem Umfang vorgekommenen Ausfuhren aus Verviers auf Fuhrwerken ohne Freigabeerlaubnis und Eigentumsnachweis gewesen, die vor allem in den Tagen stattfanden, als in Verviers eine Massenverhaftung der



Stellungnahme der deutschen Interessenten gegen Abtransport und Preisfestsetzung 

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belgischen Beamten wegen Spionageverdachts erfolgte und daher zeitweise der Verkehr ohne Aufsicht war. Liege daher auch tatsächlich im Ergebnis eine Ungleichheit vor, indem die einen großen Gewinn gemacht hätten und die anderen nicht, so entspringe das der Natur der besonderen Kriegsereignisse und nicht etwa unbilligem Verhalten des Kriegsministeriums. Die Preissteigerung auf dem Wollmarkt hätte ihren Grund nicht in der Beschlagnahme, wie beschwerdeführende Firmen behaupteten, sondern lediglich in dem gesteigerten Bedarf und der Abschneidung Deutschlands von der Zufuhr. Rechtliche Ansprüche der Beschwerdeführenden bestünden überhaupt nicht, ein Prozeßverfahren vor ordentlichen Gerichten komme überhaupt nicht in Frage. Die Beschlagnahme fiele unter die im Haager Abkommen anerkannten Betätigungen der Staatshoheitsrechte, aus welchen privatrechtliche Ansprüche der Untertanen der kriegführenden Staaten nicht abgeleitet werden könnten. Das Haager Abkommen habe sich darauf beschränkt, die Entschädigungspflicht grundsätzlich anzuerkennen, über die Person des Entschädigungspflichtigen, die Höhe der Entschädigung und das bei der Feststellung der Entschädigung zu beobachtende Verfahren enthalte es keine Vorschriften. Durch die Beschlagnahmen und die Wegnahmen würde der Staat rechtmäßiger Eigentümer der Kriegsvorräte. Die Beschwerdeführer hätten geltend gemacht, es sei ihnen eine gesetzliche Regelung der Entschädigungsfrage zugesagt worden. Es wären aber nur, dem Stand der Frage entsprechend, Mitteilungen erfolgt, es fänden Erwägungen über gesetzgeberische Maßnahmen statt. Tatsächlich erfolgte später kein Gesetz, sondern eine Verordnung des Reichskanzlers, nach der eine Reichsentschädigungskommission eingesetzt wurde, die über Grund und Höhe der Entschädigung sowie über etwaige nachträgliche Zurückgabe beschlagnahmter Rohstoffe entscheiden sollte. Diese Entschädigungskommission wurde vom Reichskanzler angewiesen, den Friedenspreis vom 25. Juli 1914 allgemein zugrunde zu legen, zu dem sie Deutschen und Neutralen bis zu 10 %, in ganz besonderen Fällen bis zu 20 % Zuschläge bewilligen konnte. Die Wollbesitzer seien übrigens nicht schlechter gestellt als die Eigentümer der anderen in Belgien beschlagnahmten Rohstoffe. So sei z. B. bei Metallen, Jute, Baumwolle von Anbeginn an eine Auslieferung deutschen Eigentums an die Eigentümer abgelehnt worden.

Immerhin erkannte auch dieses Gutachten an, daß eine Zurücknahme einer Freigabeerklärung in Verviers erfolgt war, wie sie bei anderen Rohstoffen nicht vorlag, daß es sich also um einen der besonderen Fälle handelte, in denen ein Zuschlag von 20 % durch die Reichsentschädigungskommission in Frage kam. Rein privatwirtschaftliche Auffassungen der Kriegswirtschaft seitens des Erwerbslebens, ein furchtbarer Mangel an Einblick in die Lage Deutschlands, der verhängnisvolle Irrtum auch seitens der Behörden, mit Verwaltungsgrundsätzen des Friedens auskommen zu können, sind die wesentlichsten Züge des obigen Bildes, wie es sich ähnlich auf den anderen Rohstoffgebieten wiederholte und die ungeheuren Schwierigkeiten der Kriegswirtschaft verständlich macht.

Kapitel III

Bedarf und Bedarfsdeckung Dieses Kapitel soll die verwickelten technischen Bedingungen der Bedarfsdeckung auf dem Spinnstoffgebiete veranschaulichen. Zugleich ist ersichtlich, daß bei dem Fehlen von wirtschaftlichen Mobilmachungsvorbereitungen erst gegen Ende des Krieges voller Überblick und genügende Vereinheitlichung der Bedarfsdeckung erreicht werden konnten.

Vorrat und Bedarf an Kriegsrohstoffen waren die Pole, um die sich die Kriegs-

wirtschaft drehte. Alles andere: Die Wege der Erfassung und Bewirtschaftung, der Verwaltungsaufbau, die Regelung des Arbeitsmarktes und der Preise waren demgegenüber nur Mittel zum Zweck. Während aber die Mittel und Wege bei einer etwaigen Wiederholung gebundener Wirtschaft im Rahmen des kapitalistischen Systems voraussichtlich ähnliche Formen zeigen würden, haben die Zahlen über Vorräte und Bedarf mit dem Abschluß des Weltkriegs ihre vorherrschende Bedeutung verloren, wenngleich sie in ihrer absoluten Höhe auch nachträglich noch ein Bild von den ungeheuren Anforderungen geben, die der Weltkrieg wirtschaftlich an das ringsum abgeschnittene Deutschland stellte. Abschließende Zahlen im ganzen Umfang des Spinnstoffbedarfs beizubringen, hat sich als unmöglich erwiesen. Voraussichtlich hätten sie sich auch dann nicht für die ganze Kriegsdauer ermitteln lassen, wenn, wie es bei siegreichem Ausgang des Krieges geplant war, Zeit und Kräfte zur Durcharbeitung des Zahlenmaterials aller Kriegsgesellschaften und Lagerverwaltungen vorhanden gewesen wären, vor allem deshalb nicht, weil die öffentliche Bewirtschaftung der einzelnen Spinnstoffe zu sehr verschiedenen Zeiten und auch dann zunächst jeweils nur für einige Spinnstoffklassen einsetzte, und Anschreibungen in der Regel erst mit der Bewirtschaftung begannen. Man muß sich daher bei den Zahlen wohl oder übel mit Annäherungen begnügen. Für die Darstellung der Spinnstoff- und Webstoffbewirtschaftung wichtig sind vor allem der Gang der Entwicklung, das Gesamtbild, die Lehren, die sich ergeben, sowie einzelne besonders bezeichnende Schwierigkeiten, Aufgaben und Lösungen. Übersichten und Beispiele können und müssen also genügen. Sind die absoluten Zahlen mehr oder weniger entbehrlich, so ist die Art und Dringlichkeit der Zusammensetzung des Bedarfs von bleibender Wichtigkeit. Diese beiden Seiten der Bewirtschaftung seien an Hand einzelner Jahre im folgenden näher erläutert. Über die Quellen, die der Bedarfsdeckung dienten, ist schon in der Zusammenfassung am Eingang dieses Bandes das Notwendigste gesagt worden. Es waren die Rohstoffvorräte des Handels und der Industrie bei Ausbruch des Krieges, die freiwillige und unfreiwillige Einfuhr aus neutralen, verbündeten und besetzten Gebieten, die inländische Neuerzeugung an Spinnstoffen, die Ersatzspinnstoffe, die Alt- und Abfallstoffe und die Vorräte an Fertigbeständen, die zur Deckung des Bedarfs des Heeres herangezogen werden konnten und mußten.



Bedarf und Bedarfsdeckung 

 69

Vom unmittelbaren Heeresbedarf war bekannt, daß er im Frieden nur einen kleinen Bruchteil der deutschen Gesamtherstellung von Webstoffen beanspruchte. Im Heeresetat von 1914 beliefen sich die erkennbaren Posten1 für Erzeugnisse des Spinnstoffgewerbes auf rund 48  Mill. Mark bei den laufenden Ausgaben und rund 10 Mill. Mark bei den einmaligen Ausgaben. Demgegenüber lag der Wert der Gesamterzeugung des deutschen Spinnstoffgewerbes zwischen 4 und 5 Milliarden Mark, der Heeresanteil betrug also nur 1—1,5 %. Es waren hauptsächlich die Anforderungen an Mannschaftstuchen, Drilchanzügen, Hemden, Unterhosen, Bett- und Hauswäsche, die in festgesetzten Mengen beschafft wurden. Nicht ermittelt wurde im Frieden die Menge des Heeresbedarfs an Spinn- und Webstoffen da, wo er nur einen Teil von Rüstungsgegenständen, Waffen und Munition ausmachte. Es ist auch daran zu denken, daß im Frieden ein nennenswerter Teil des Heeresbedarfs durch freiwillige Aufwendungen seitens der Mannschaften ersetzt wurde. (Eigene Unterwäsche und Extrauniformen.) Zu diesem gewohnten, aber ungemein vergrößerten Bedarf trat im Kriege die ungewöhnlich umfangreiche Ausrüstung mit Wollsachen für die Winterfeldzüge. Neben der Bekleidung begegnete man ferner Spinn- und Webstoffen in unendlicher Mannigfaltigkeit und in früher unbekanntem Ausmaß bei militärischen Ausrüstungsstücken, Angriffs- und Verteidigungswaffen. Einen Einblick in die Vielseitigkeit dieses Bedarfs gibt die weiter unten folgende Ausstellung der wichtigsten Bedarfsgebiete des Heeres. Mit dem unmittelbaren Heeresbedarf war aber die Bedeutung der Spinnstoffe und Spinnstofferzeugnisse für die Kriegführung keineswegs erschöpft. In diesem Welt- und Wirtschaftskrieg mit seiner allgemeinen Rohstoffknappheit stellte sich heraus, daß zu guter Letzt jedes Wirtschaftsgebiet mit allen anderen weitgehend verknüpft und daher an der Entscheidung des Krieges mitbeteiligt war. Immer mehr Gegenstände der Bedarfsdeckung, die früher nur für rein bürgerliche Bedürfnisse in Betracht gekommen wären, rückten in den Kreis der kriegswichtigen ein. Dahin gehörte in erster Linie der Bedarf des Verkehrswesens. Packungen für Lokomotiven, Gewebe für die Schläuche der Heiz- und Bremsvorrichtungen, Wagenpläne, Webstoffe für den Eisenbahnwagenbau, Segel und Tauwerk für die Schiffahrt, Kabelumwicklungen, Automobilreifen mußten in weitgehendem Umfang bereitgestellt werden, um die kriegswichtigen Leistungen der Verkehrsmittel zu erhalten. Dazu trat der technische Bedarf der Fabriken, dessen Deckung bei der langen Kriegsdauer eine unmittelbare Voraussetzung für die Leistungen der Kriegsindustrie wurde. Es sei dabei nur an die vielseitige Verwendung von Fabrikationsfilzen, Preß- und Filtertüchern, Wettertüchern, Transportbändern, Spinnstoffriemen und dergleichen erinnert. Auch die Landwirtschaft forderte dringend Bindegarn und Geschirrzubehörteile, um die Ernährung der Bevölkerung aufrechterhalten zu können, der Handel in gewaltigen Mengen Säcke und sonstige Verpackungsstoffe. Weiter kam in Frage der Bedarf 1 Außerdem waren in Sammelposten des Etats noch einige Webstoffe enthalten, die aber das Gesamtbild wenig ändern.

70 

 Bedarf und Bedarfsdeckung

der Behörden und öffentlichen Anstalten, unter denen die Krankenanstalten die wichtigste Rolle spielten, sowie die Ausstattung gewisser Gruppen von öffentlichen Beamten mit den für ihren Dienst unentbehrlichen Uniformen. Im späteren Verlauf des Krieges kam der Bekleidungsbedarf großer Massen von Hilfsdienstpflichtigen und Rüstungsarbeitern hinzu, deren Versorgung auch als eine Kriegsnotwendigkeit erschien. Der Bedarf der einzelnen Bürger konnte zwar für lange Zeit zum größten Teil auf die Vorräte in den Haushaltungen und auf die heeresunbrauchbaren Bestände im Handel verwiesen werden, aber in einem gewissen Umfange mußte er letzten Endes, soweit er unentbehrlich schien, unter allen Umständen entweder aus gesundheitlichen Gründen oder, um die Stimmung der Bevölkerung zu erhalten, gedeckt werden. So hat sich die Heeresverwaltung schon frühzeitig genötigt gesehen, Strumpfgarn an die Reichsbekleidungsstelle zur Belieferung der bürgerlichen Bevölkerung freizugeben (bis Mitte 1918 für rund 40 Millionen Paar Strümpfe und Socken). Auch der Bedarf an Nähgarn, der bei fortschreitender Knappheit an neuen Bekleidungsstücken immer dringender wurde, konnte nicht unberücksichtigt bleiben. Letzten Endes ging man sogar an gewissen, dem flüchtigen Blick als Luxusbedürfnis erscheinenden Anforderungen nicht ganz vorbei. Es sei an zeitweilige Freigaben von Stoffen für Theater erinnert, deren Weiterbetrieb man — anfänglich um die Schauspieler nicht brotlos zu machen, später um die Stimmung der Bevölkerung hoch zu halten — nicht in Frage stellen wollte. Zu diesem durch die Inlandswirtschaft bedingten Bedarf traten weitere Bedarfsgruppen hinzu. Zunächst die Ausfuhr. Wenn sie auch auf dem Spinnstoffgebiet sehr bald stark eingeschränkt und auf Gegenlieferung von Rohstoffen eingestellt wurde, so konnte sie doch nicht ganz in Wegfall kommen. Ferner mußten zwei Millionen von Gefangenen, in der Hauptsache Russen, die in ihrer überwältigenden Mehrzahl keine Ausrüstungen aus der Heimat erhielten, nach Abnutzung ihrer mitgebrachten Kleidung mit dem Notdürftigsten versehen werden. Abgaben an die deutschen Gefangenen im Ausland waren umgekehrt vielfach notwendig. Vor allem mußte auch den Forderungen der Verbündeten nach Aushilfe stattgegeben werden.

Die Aufstellung von Wirtschaftsplänen Es handelte sich also um mehrere Bedarfsstufen verschiedener Dringlichkeit, für welche die Heeresverwaltung sorgen mußte. Über den gewaltigen und zersplitterten Bedarf fehlten anfänglich fast alle brauchbaren Mengenangaben. Solange keine Bedarfsmeldepflicht der Heeresstellen bestand, und solange die an keiner Zentralstelle in ihren Mengen zusammengefaßten Einzelkäufe zahlreicher militärischer Beschaffungsstellen andauerten, war es selbst für den Heeresbedarf im engeren Sinne unmöglich, einen sicheren Überblick zu gewinnen. Schätzungen, die vom Bedarf früherer Kriege oder der Zahl der vorhandenen ausgebildeten Mannschaften



Die Aufstellung von Wirtschaftsplänen 

 71

ausgingen, versagten wegen des gewaltigen Umfanges der überplanmäßigen Einstellungen und wegen der Neuartigkeit der Verhältnisse des Weltkrieges nach Kriegslage und Art der Kriegführung. Der Weltkrieg spielte sich teils als Stellungs- und teils als Bewegungskrieg zu allen Jahreszeiten, in allen Zonen und Höhenlagen unter Bedingungen ab, für welche die Verhältnisse der kurzen Kriege in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts keinen Maßstab gaben. Wie unsicher man ohne feste Unterlagen war, zeigt folgendes: man hat den Jahresbedarf des deutschen Heeres an Wolle für Oberkleidung im August 1914 mit 18 Mill. kg, im September 1914 mit 28, Mitte 1915 mit 38 Mill. kg und Ende 1915 mit 48 Mill. kg festsetzen zu können geglaubt. Schätzungen über den Bedarf an Decken, Wollausrüstungsstücken usw. sind meines Wissens anfänglich überhaupt nicht versucht worden, noch weniger über den technischen Bedarf. Auch nach Durchführung der zusammengefaßten Beschaffung wurde der Bedarf lange Zeit nur annähernd ermittelt. Die Bedarfsanmeldungen, die in Anforderungen an die Kriegsbekleidungsämter bzw. die zentralen Webstoffbeschaffungsstellen zum Ausdruck kamen oder denen durch Kontingente und Freigaben entsprochen werden mußte, berücksichtigten nicht die Entnahme aus den bei einzelnen Depots und zahlreichen Verbrauchern befindlichen Beständen. Diese waren stellenweise ungewöhnlich groß und sehr verschieden, so daß sie das Bild in einzelnen Zeitabschnitten nicht unerheblich fälschten. Erst von 1916 ab lagen soviel Erfahrungen vor, daß man den Versuch wagen konnte, in einem dreijährigen Wirtschaftsplan für 1916, 1917 und 1918 den Gesamtbedarf zu erfassen. So weitgehend auch hierbei Schätzungen an Stelle von Ermittlungen treten mußten, so groß ist das Verdienst des inzwischen zum Chef der Kriegs-Rohstoff-Abteilung an Stelle Rathenaus ernannten damaligen Majors Koeth, überhaupt diesen Schritt zu einem wirtschaftlichen Feldzugsplan getan zu haben. Seitdem sind die Unterlagen immer sicherere geworden; nur die Verschiebungen der Kriegslage ließen sich naturgemäß niemals genügend vorher erfassen. Große Offensiven, umfangreiche Neueinstellungen, das Hindenburgprogramm, Wechsel in der Kampfart, Aufgeben und Neubesetzen von Gebieten beeinflußten Bedarfsanforderungen und Deckung in umfangreichem Maße. Ein Beispiel nach dieser Richtung ist, daß Umstellungen in der Kriegführung den Sandsackbedarf plötzlich so stark herabgesetzt haben, daß im Jahre 1917 Bestellungen auf nicht weniger als 50 Mill. Stück Sandsäcke rückgängig gemacht wurden. Etwas besser vorauszusehen, aber auch sehr unsicher waren die Änderungen durch Fortschritte des Ersatzstoffwesens. Die einzelnen Teile des Wirtschaftsplans hatten zum mindesten die Bedeutung von Anhaltspunkten für die überhaupt mögliche Bedarfsdeckung und von Richtlinien für die Wirtschaftspolitik. Für 1917 rechneten die Wirtschaftspläne der Kriegs-Rohstoff-Abteilung mit einem zu deckenden Jahresbedarf auf den drei wichtigsten Spinnstoffgebieten, wie er aus der folgenden Tabelle ersichtlich ist. Seide fehlt in diesen ersten Wirtschaftsplänen, weil sie noch lange in fast unbegrenzten Mengen über die Schweiz zu haben war und, abgesehen von Pulverbeutel-

72 

 Bedarf und Bedarfsdeckung

stoff, erst im Laufe des Jahres 1917 in die Bewirtschaftung einbezogen wurde. Auch für Papiergarn, das in weitem Umfang als Ersatzstoff eintreten mußte, wurden erst später Bewirtschaftungspläne aufgestellt, weil zeitweise die Erzeugung größer erschien als der Bedarf, der sich nur zögernd auf Papier umstellte. Die anderen Ersatzstoffe (Torffaser, Brennessel und dergleichen) fielen noch nicht ins Gewicht, da die kleinen Mengen nur zur Ausfüllung unvorhergesehener Lücken dienten.

Die Sparpolitik Voraussetzung für die Aufstellung von Wirtschaftsplänen war eine einigermaßen durchgesetzte Sparwirtschaft und ein Überblick über die Lagerbestände. Die Sparwirtschaft ging vier Hauptwege; diese waren: 1. Sparsamer Verbrauch durch Beseitigung jeder Verschwendung und durch Schonung der Sachen. 2. Verminderung des Bedarfs durch Änderungen von Formen und Konstruktionen. 3. Teilweiser Übergang zu Ersatzstoffen. 4. Zurückführung aller nicht mehr gebrauchsfähigen Gegenstände zur Wiedererrichtung oder zur Verwendung als Abfallstoffe. Die Sparpolitik und die Verweisung auf Papierersatzstoffe bezogen sich anfänglich wesentlich auf das Gebiet des bürgerlichen und des kriegswirtschaftlichen Bedarfs und erst in zweiter Linie auf den Heeresbedarf. Wenn die in Betracht kommenden Mengen des bürgerlichen und des kriegswirtschaftlichen Bedarfs auch absolut genommen geringer waren als die des Heeresbedarfs, so wurde naturgemäß doch bei ihnen zunächst jede Sparmöglichkeit aufgegriffen, da dadurch die Schlagfertigkeit des Heeres nicht gefährdet zu werden schien, während man an die Einschränkung des Heeresbedarfs anfänglich mit einer verständlichen Zurückhaltung heranging. Der bürgerliche Bedarf wurde auf die Fertigbestände, ferner auf die geringe noch mögliche Einfuhr, die schon in Verarbeitung befindlichen und durch die Verarbeitung heeresunbrauchbar gewordenen Halbfabrikate sowie einzelne wenige Gruppen freier Rohstoffe (z. B. Seide), die man für nicht heeresnötig oder zu teuer für Heereszwecke hielt, beschränkt. Was unbedingt aus Neuanfertigungen gedeckt werden mußte, wurde für die verschiedenen Bedarfsgebiete der Kriegsindustrie nach den einzelnen Gewerbegruppen sorgfältig ermittelt und ebenso wie der notwendigste bürgerliche Bedarf möglichst in Kontingenten festgelegt. Wie vielseitig Heeres- und kriegswirtschaftlicher Bedarf sich erwiesen, und wie schwierige Ermittlungsreihen daher vor Einschränkungen auf diesen Gebieten angestellt werden mußten, zeigen die Aufstellungen über den Heeres- bzw. kriegswirtschaftlichen Bedarf, soweit er für die verschiedenen Heeresbeschaffungsstellen und Gewerbegruppen ins Gewicht fiel, auf S. 74 bis 80.



 73

Die Sparpolitik 

Die Durchführung der Sparwirtschaft beim Heer mußte durch Änderung mancher Bestimmungen und durch viele Verhandlungen mit Kommandobehörden und Beschaffungsstellen vorbereitet werden. Erschwerend war, daß viele Anordnungen von militärischen Stellen ausgehen mußten, die an der Rohstoffbewirtschaftung im übrigen nicht beteiligt waren. Die Folge war ein Ringen zwischen den Anforderungen der Beschaffungsstellen und denen der Rohstoffverwaltung. Die Beschaffungsstellen hatten naturgemäß von ihrem Standpunkt aus das Bestreben, oft ohne Rücksicht auf andere Erfordernisse, dem Heer auf ihrem Sondergebiete eine möglichst gute Versorgung in den altgewohnten Stoffen und Mengen zu sichern. Erst langsam war Wandel möglich; auch Aufklärung und Heranziehung des einzelnen Mannes war nötig, um an den Verbrauchsstellen die knappe Versorgung verständlich zu machen und zur Schonung des Materials und zur Sammlung unbrauchbar gewordener Stücke zu veranlassen. Erfolgte die Deckung des Heeresbedarfs bis zuletzt im wesentlichen durch Bewilligung des von Zeit zu Zeit neu angemeldeten Bedarfs2, so wurde der kriegswirtschaftliche Bedarf wesentlich durch Kontingente gedeckt. Aus der folgenden Aufstellung ist ersichtlich, daß durch Kontingente von dem für 1917 in den Wirtschaftsplänen angenommenen kriegswirtschaftlichen Bedarf gedeckt war:34 Kriegswirtschaftlicher Bedarf3 Wolle……………… Baumwolle………… Bastfasern……………

Summe der Kontingente 700 000 kg 10 000 000 kg 7 000 000 kg

Anteil4

905 000 rund 8 670 000 rund 3 700 000 rund

130% 85% 55%

Der Rest des kriegswirtschaftlichen Bedarfs wurde wie vordem durch Einzelfreigaben gedeckt. Die Kontingente und Freigaben zeigten die in der Lage der Dinge begründete Neigung, immer mehr zusammenzuschmelzen, bis der Punkt erreicht war, der weitere Einschränkungen ohne Gefährdung der Gesamtlage nicht mehr gestattete. Die Kontingente konnten von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung auf Grund der Beschlagnahmen und Verwendungsverbote einseitig festgesetzt werden; trotzdem gingen gewöhnlich ausgiebige Verhandlungen sowie technische und statistische Ermittlungen voraus.

2 Erst gegen Kriegsende bildeten sich auch Kontingente für den unmittelbaren Heeresbedarf heraus. 3 An Freigaben, die nicht unter kriegswirtschaftlichem Bedarf erschienen, sondern wie Heeresaufträge behandelt wurden, kamen außerdem die Wollspinnstoffmengen für die zur Verteilung durch die Reichsbekleidungsstelle an die bürgerliche Bevölkerung angefertigten Socken in Frage. 4 Die Überschreitung bei Wolle entstand dadurch, daß das Kontingent für Treibriemen, das ursprünglich 35 000 kg Wolle im Monat betragen sollte, um 15 000 kg Zickelhaare monatlich erhöht werden mußte.

74 

 Bedarf und Bedarfsdeckung

Deckung des Heeresbedarfs durch Neuanfertigungen nach den Vorschlägen von 19175 Die Erzeugnisse wurden benötigt im Bereich des Lfd. Nr. Die benötigten Erzeugnisse bestanden aus Wolle = W. Baumwolle = B. Bastfasern = F.

1. BekleidungsBeschaffungsAmt

2. 3. Feldzeugmeist. Ing.-Kom. (sp. Waffen- u. verkehrsMunitionsbe- technische schaffungs. PrüfungsAmt) Kommission

4. Inspektion d. Eisenb.-, Kraftfahr-, Telegraphen-, Luftschiff- u. Fliegertruppen

1.

Oberkleidung, Sonderklei- W. dung, Mantel, Unterkleidung, B. Drilchanzüge, Arbeitsanzüge, F. Kranken- und Gefangenenkleidung, Mützen, Futterstoffe, Flanelle, Fries, Abzeichentuche, Leinendrilch, Halsbinden, Fußlappen

W. F.

W. B. F.

W. B. F.

2.

Borten, Litzen, Schnüre, Troddeln, Achselklappen

□□□

□□□

□□□

3.

Halstücher, Kniewärmer, W. Leibbinden, Pulswärmer, Kopfschützer, Socken, Strickjacken, Handschuhe, Ohrenklappen, Wickelgamaschen

W.

□□□

W.

4.

Tornister, Taschen, Rucksackstoffe, Brotbeutel, Salzbeutel, Helmbezüge, Kartentaschen

W. B.

B.

B.

B.

5.

Unterkunfts- und Pferdedecken, wasserdichte Decken

W. B.

B.

□□□

W.

6.

Ballon- und Flugzeugstoffe, B. Zeltbahnen, Pläne, Segeltuch

B. F

B. F.

B. F.

7.

Gasschutzmasken, Stoffe, F. Gurte, Watte, Bänder für Verbandmittel und künstliche Glieder

B. F.

B. F.

F.

8.

Flaggen- und ArmbindenW. stoffe, Mückenschleier, Mos- B. kitonetze, Stoffe für Fecht-, Turn- und Schwimmgerät

W. B.

W. B.

W. B.

W. F.

5 Als kriegswirtschaftlichen Bedarf bezeichnete man in erster Linie den Bedarf der Rüstungsindustrie und des Verkehrswesens an zur Aufrechterhaltung der Betriebe unentbehrlichen Materialien.



 75

Die Sparpolitik 

5. Haupt-Sanitäts-Depot und militärVeterinärAkademie

6. Stellvetr. Intendantur des GardeKorps

7. Stellvetr. Intendatur des XI. Korps

8. KriegsbekleidungsAmt III. Korps

9. ReichsMarineAmt

10. 11. 12. Friedrich Eisenbahn- PostwebKrupp A.-G. webstoffstoffstelle stelle

W. B. F.

W. B.

□□□

□□□

W. B. F.

W. F.

B. F.

B. F.

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W.

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W.

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B.

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B.

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B.

B.

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W. B.

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B.

B.

F.

B. F.

B. F.

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B. F.

B. F.

B. F.

F.

B. F.

F.

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B. F.

B.

B.

B.

W. B.

W. B.

□□□

□□□

W. B.

□□□

□□□

□□□

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 Bedarf und Bedarfsdeckung

Die Erzeugnisse wurden benötigt im Bereich des Lfd. Nr. Die benötigten Erzeugnisse bestanden aus Wolle = W. Baumwolle = B. Bastfasern = F.

1. BekleidungsBeschaffungsAmt

2. 3. Feldzeugmeist. Ing.-Kom. (sp. Waffen- u. verkehrsMunitionsbe- technische schaffungs. PrüfungsAmt) Kommission

4. Inspektion d. Eisenb.-, Kraftfahr-, Telegraphen-, Luftschiff- u. Fliegertruppen

9.

Karten- und Pausleinwand

□□□

□□□

□□□

□□□

10.

Putzmaterial, Isoliermaterial, B. Schmierpolster, Dochte, Packungen, Kesselfilze, Polierfilze, Schmirgelleinwand, Werg

W. B. F.

W. B. F.

W. B.

11

Bänder und Gurte für tech- F. nische Zwecke, Bereifungseinlagen, Mikrophonfilz, Strippen

B. F.

B. F.

W. B. F.

12.

Tauwerk aller Art, Bindfäden, F. Sackbänder, Fischnetze, Hängematten

F.

F.

F.

13.

Sand-, Proviant-, Gepäckund andere Säcke

B.

B.

B. F.

B. F.

14.

Schläuche

□□□

B. F.

B. F.

B. F.

15.

Zündertuche, Stoffe u. Gurte □□□ f. Munitionstransport; Segeltuch für Flammenwerfer; Fallschirme für Leuchtpatronen

W. B.

W. B.

□□□

16.

Zündgarne, Sattlergarne, W. Verbandgarne, Näh-, Strick- B. und Stopfgarne, Nähzeuge F.

B. F.

B. F.

W. B. F.

17.

Filze für Fahrzeuge, Sättel und Polster, Filzpantoffel, Filzplatten, Wollfilz für Werkzeuge

W.

W.

W.

W.

18.

Linters für Nitrier- und Gasschutzzwecke

□□□

B.

□□□

B.

19.

Treibriemen

□□□

B.

B.

B.

20.

Wäsche für Kasernen- und B. Lazaretthaushalt, Matratzen, F. Schürzen, Markisen, Stoffe für Dampfmangeln

□□□

□□□

□□□

21.

Vorhänge, Teppiche, Läufer, □□□ Polsterstoffe

□□□

□□□

B.



5. Haupt-Sanitäts-Depot und militärVeterinärAkademie

 77

Die Sparpolitik 

6. Stellvetr. Intendantur des GardeKorps

7. Stellvetr. Intendatur des XI. Korps

8. KriegsbekleidungsAmt III. Korps

9. ReichsMarineAmt

10. 11. 12. Friedrich Eisenbahn- PostwebKrupp A.-G. webstoffstoffstelle stelle

□□□

B

□□□

□□□

B.

B.

B.

B.

B.

W. B.

B.

□□□

W. B. F.

W. B.

B.

B.

B. F.

B. F.

F.

□□□

B. F.

B. F.

B. F.

B. F.

F.

B. F.

F.

F.

F.

F.

F.

F.

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B.

□□□

□□□

B.

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F.

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B. F.

B. F.

B. F.

B.

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W.

W.

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B. F.

B.

B. F.

F.

W. B. F.

F.

B.

B.

W.

W.

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W.

W.

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B.

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B.

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B.

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F.

B.

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B. F.

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B.

□□□

□□□

B.

□□□

B.

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 Bedarf und Bedarfsdeckung

Deckung des kriegswirtschaftlichen Bedarfs durch Neuanfertigungen nach den Vorschlägen von 1917 Lfd. Nr. Die benötigten Erzeugnisse 1. bestanden aus Bergbau Wolle = W. Baumwolle = B. Bastfasern = F.

2. Metall-, Maschinen- und elektrische Industrie

3. 4. Chemische HolzindusBeleuchtrie tungs- und keramische Industrie

5. Textilindustrie

1.

Treibriemen, Treibschnüre, Treibseile, Drahtseilseelen

W. B. F

W. B. F

W. B. F

□□□

W. B. F

2.

Transportbänder, Elevatorund Führungstücher

B.

F.

B. F

□□□

□□□

3.

Trocken-, Flüssigkeits- und B. Luftfilter, Preßbeutel, F. Walzen- und Zylinderbezüge, Schleif- und Polierscheiben, Spundläppchen

W. B. F

B. F

□□□

B.

4.

Schläuche, Filterschläuche

W. B. F.

W.

W. F.

□□□

□□□

5.

Webgeschirre, Kraken, Kratzen

□□□

□□□

□□□

□□□

W. B.

6.

Filze für Nitrier-, Spinnpapier-□□□ und andere Papiermaschinen, Lederpressen, optische u. orthopädische Zwecke

□□□

□□□

□□□

□□□

7.

Packungen, Dichtungen, Dichtungs-, Kessel-, Druckund Maschinenfilze

B. F.

W. B. F.

B. F.

□□□

B.

8.

Maschinenputztücher, Putzwolle, Scheuertücher, Schmierpolster

B.

B.

B.

□□□

B.

9.

Asbestgespinste und -Gewebe

□□□

B.

B.

□□□

□□□

10.

Isoliermaterial, Polsterwerg □□□

B. F.

□□□

F.

□□□

11.

Zündschnüre, Zündbänder, Dochte, Glühkörper

□□□

B.

□□□

□□□

12.

Moleskin, Verbandstoffe aller □□□ Art, Watte

□□□

□□□

□□□

□□□

13.

Stoffe, Gurte, Bänder für künstliche Glieder

□□□

□□□

□□□

□□□

14.

Segeltuch und Plane, Wetter- F. tuch, Briefbeutel

F.

□□□

F.

□□□

15.

Säcke

□□□

□□□

□□□

□□□

□□□

16.

Farbbänder

B.

B.

B.

□□□

B.

B. F.

□□□



 79

Die Sparpolitik 

6. 7. 8. Papierindus- Lederindus- Gummiintrie trie dustrie

9. Polygraphische Industrie

10. 11. LandwirtVerkehrsschaft, wesen Fischerei, (Eisenbahn, Nahrungs- u. Schiffahrt, Genußmittel Banken)

12. Sanitätsbedarf u. orthopädische Industrie

13. Für Hauswirtschaft u. Arbeiter der Rüstungsindustrie

W. B.

□□□

W. F.

W.

W. B. F.

W.

W.

□□□

□□□

□□□

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□□□

B. F.

□□□

□□□

□□□

B.

□□□

□□□

□□□

B. F.

□□□

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B.

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F.

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W. B.

F.

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B.

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W.

W.

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W.

B.

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F.

W.

B. F.

W. F.

B.

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B.

F.

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B.

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B.

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F.

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B.

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B.

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B.

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B. F.

F.

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F.

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B.

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B.

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B.

80 

 Bedarf und Bedarfsdeckung

Lfd. Nr. Die benötigten Erzeugnisse 1. bestanden aus Bergbau Wolle = W. Baumwolle = B. Bastfasern = F.

2. Metall-, Maschinen- und elektrische Industrie

3. 4. Chemische HolzindusBeleuchtrie tungs- und keramische Industrie

5. Textilindustrie

17.

Näh-, Strick-, Stopfgarn, □□□ Zwirn, Schnürriemen, Garne

□□□

F.

□□□

18.

Seile, Stricke, Stränge, Netz- F. und Bremsleinen, Bindfaden, Bindegarn, Netzgarn, Netze, Angelschnüre, Zucker- und Tabakschnüre

F.

□□□

□□□

19.

Arbeiterschutzkleidung, Säureanzüge

F.

W. F.

□□□

20.

Filzpantoffel und Filzmatten □□□

□□□

W.

□□□

21.

Unterkunfts-, Woll- und Haardecken

□□□

□□□

W.

□□□

22.

Strohsäcke, Tisch- und Bettwäsche

F.

□□□

□□□

□□□

F.

Hatte man so einen Überblick über alle in Frage kommenden Bedarfsgruppen und über die äußerstenfalls insgesamt zur Verfügung stehenden Rohstoffmengen geschaffen, so galt es nun, den Bedarf im einzelnen zu decken. Im folgenden ist versucht, eine ausführlichere Übersicht über diesen Einzelbedarf für jeweils ein Jahr auf den Hauptspinnstoffgebieten Wolle, Baumwolle, Bastfasern, Lumpen, Spinnpapier und Seide zu geben und ihn durch Berechnungen zu erläutern, welche die ungeheuren Schwierigkeiten der endgültigen Bedarfsfestsetzung beleuchten sollen.

Der Bedarf an Wolle An Wolle und Wollersatz, welch letzterer in Gestalt von Kunstwolle in immer steigendem Maße verwendet wurde, beruhten die dreijährigen Wirtschaftspläne für 1916, 1917 und 1918 auf der Annahme jährlicher Bereitstellungen von je 90 bis 95 Mill. kg einschließlich des kriegswirtschaftlichen Bedarfs. Welchen Anteil die Tuche am Bedarf hatten, ist aus Meldungen der Kriegsbekleidungsämter auf Grund eines Fragebogens der Wissenschaftlichen Kommission des Kriegsministeriums (vgl. Schaubild



 81

Der Bedarf an Wolle 

6. 7. 8. Papierindus- Lederindus- Gummiintrie trie dustrie

9. Polygraphische Industrie

10. 11. LandwirtVerkehrsschaft, wesen Fischerei, (Eisenbahn, Nahrungs- u. Schiffahrt, Genußmittel Banken)

12. Sanitätsbedarf u. orthopädische Industrie

13. Für Hauswirtschaft u. Arbeiter der Rüstungsindustrie

□□□

□□□

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F.

F.

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B.

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B. F.

F.

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F.

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W.

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□□□

F.

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□□□

S. 26)6 ersichtlich. Die Mengen sind in laufenden Metern angegeben. Rechnet man den Spinnstoffaufwand für das laufende Meter Uniformtuch von 1,4  m Breite und 750 g Fertiggewicht mit 1,1 kg, so ergeben sich folgende für die tatsächlich gelieferten Tuche aufgewendeten Mengen: Jahr

erstes Halbjahr……

Mill. lfd. m 1915 1916 1917 1918

52,53 35,46 34,26 16,45

Mill. kg Wollspinnstoffe = = = =

rund rund rund rund

58,— 39,— 38,— 18,—

Aus den bei den Bekleidungsämtern neu eingegangenen Tuchmengen konnten im Jahre 1915 für rund 9½ Millionen Mann, 1916 für rund 6½ Millionen Mann und 1917 für ebenfalls rund 6½  Millionen Mann Vollausrüstungen angefertigt werden7. Die 6 Die Fragebogen erstreckten sich nicht nur auf die Uniformtuche, sondern auf alle Beschaffungen der Kriegsbekleidungsämter an Webstoffen. Das ausführliche Material würde aber zu seiner Ausarbeitung erhebliche Kräfte erfordern, die nicht zur Verfügung stehen, so daß nur die Uniformtucheingänge und die Anfertigungen von Uniformen zusammengestellt worden sind. 7 Nach den Maßangaben der Kleiderkarten von 1918 für Offiziere waren von Futterstoffen abgesehen an laufenden Metern bzw. an Spinnstoffgewicht erforderlich zu einem Waffenrock oder einer Bluse 1,6—1,8 m Grundtuch und 0,16 m Abzeichentuch — rund 1,85 kg, für eine lange Tuchhose 1,20— 1,30  m  = 1,25  kg, für einen Mantel 2,6—3,0  m Grundtuch und 0,16  m Abzeichentuch  = 2,95  kg, so

82 

 Bedarf und Bedarfsdeckung

Zahlen der tatsächlich beschafften Röcke, Hosen und Mäntel waren nicht gleich; die Röcke und Hosen überwogen an Zahl die Mäntel. Aus den Meldungen der Kriegsbekleidungsämter sind ferner für 1915 erhebliche Zukäufe fertiger Uniformstücke ersichtlich, die also nicht aus den Tuchbeständen der Ämter entnommen wurden. Es wurden nämlich insgesamt neben den in den eigenen Werkstätten oder durch Vergebung der Näharbeiten seitens der Bekleidungsämter angefertigten Stücken (a) von diesen fertig gekauft (b): Mill. Stück a) Waffenröcke und Blusen b) außerdem im Ankauf a) Tuchhosen…………………………… b) do. Ankauf…………………...…… a) Mäntel…………………...……...…… b) do. Ankauf ....…………....………

1915 Mill. Stück

1916

11,9 1,8 10,9 2,8 6,8 3,—

6,5 — 6,4 — 3,3 —

Die Zahlen für 1915 erscheinen hiernach gegenüber 1916 nach den oben angegebenen Gesamtgewichten als zu hoch. Es erklärt sich das aus der zeitlichen Verschiebung zwischen Einlieferung der Tuche und Herstellung der Uniformstücke; die gewaltigen Mengen von Tuchen, die Ende 1914 an die Bekleidungsämter gelangten, sind eben zum Teil erst 1915 aufgearbeitet worden Derartige Verschiebungen sind es vor allem, die bei dem häufigen Wechsel der Bestimmungen über die Zusammensetzung der Stoffe jede Mengenschätzung für bestimmte Zeiträume unsicher machen. Aus Wirtschaftsplan und Schaubildern geht immerhin klar hervor, daß die Sparwirtschaft die Tuchbeschaffungen stark herabgedrückt hat, daß aber der Gesamtbedarf an Wollspinnstoffen trotzdem nicht zurückging. An Stelle der eingeschränkten Tuchbeschaffung traten bezüglich Wolle immer weitere Ansprüche an die Heeresverwaltung heran, die bis dahin offenbar zu einem großen Teil aus dem freien Markt hatten gedeckt werden können. Der Wollbedarf für Uniformen, der im Frieden fast allein als Heeresbedarf in Frage gekommen war, sank 1917 auf etwa 40 % des gesamten Heeresbedarfs an Wollspinnstoffen, wie er im Wirtschaftsplan vorgesehen war, herab. Hält man neben die Bereitstellungen des Wirtschaftsplans die tatsächlichen Aufwendungen, so ergibt sich folgendes: Nach den Anschreibungen des Webstoff-Meldedaß die Ausrüstung eines Mannes mit einer Uniform rund 3,1 kg und die Vollausrüstung einschließlich Mantel 6,05 kg Spinnstoffe erforderte. Die Angaben über Maße, Fertiggewicht und erforderliche Spinnstoffmenge schwanken im übrigen. Neue Uniformschnitte und neue Spinnstoffmischungen wurden mehrfach eingeführt. In Verhandlungen mit Bulgarien gab man deutscherseits im März 1918 an, daß 1 m Ware von 730 g Fertiggewicht 1060 g Spinnstoff und von 760 g 1120 g Spinnstoff benötige. Der bei abnehmender Güte der Spinnstoffe dauernd steigende Fabrikationsverlust stellte sich demnach damals auf 31 %; der Kunstwollgehalt im fertigen Tuch war damals 57½ %.



Der Bedarf an Wolle 

 83

amts der Kriegs-Rohstoff-Abteilung sind im Jahre 1917 an neuer Wollfaser (einschließlich Mohair) rund 21 Mill. kg, an Beutegarnen rund 3,5, an Tierhaaren rund 8 Mill. kg, also insgesamt 32,5  Mill.  kg neuer Fasern zur Verarbeitung gelangt gegenüber 35 Mill. kg des Wirtschaftsplans. Diese Anschreibungen lassen sich teils nachprüfen, teils ergänzen durch Meldungen der Kriegsgesellschaften, da auch alle Tierhaare von der Vereinigung des Wollhandels gebucht werden sollten. Nach den Angaben dieser Gesellschaft sind 1917 an Tierhaaren 6,4  Mill.  kg Körpertierhaare und 0,45  Mill.  kg Kroll- und Bürstenhaare in Verarbeitung gegeben worden. Zu den neuen Spinnstoffen traten 52 Mill. kg Kunstwolle, die seitens der Kriegswollbedarf-Aktiengesellschaft bewirtschaftet wurde (und zwar 13,5 Kunstwolle für Uniformen, 34,5 für Decken und Woilache, 3,9 für warme Unterhosen und Socken und 0,3 für Zündertuche). Torffaser und Stapelfaser aus Zellstoff, die an sich auch zum Wollprogramm gehörten, spielten 1917 als Wollersatz keine erwähnenswerte Rolle. Geht man, um einen zweiten Weg zum Vergleich heranzuziehen, von den angeforderten Heereserzeugnissen und den bewilligten Kontingenten aus, so ergeben sich auf Grund weiter unten anzustellender Berechnungen nicht ganz gleiche, aber mit wenigen Ausnahmen genügend angenäherte Zahlen, nämlich:

Wichtigste Verwendungszwecke

Wolle, Mohair, Beutegarne

Mill. kg Spinnstoffe Tierhaare

Kunstwolle

1. Uniformtuche……………......… 2 Decken und Woilache…...…… 3. Warme Untersachen und Socken……………………........…… 4. Zündertuche………….......…… 5. Krollhaare zu Polsterzwecken und Tierhaare zu Pinseln und Bürsten…………………..........…… 6. Einlagen in Stahlhelme…..… 7. Industriefilze, Filzmatten, Haarriemen und sonstiger kontingentierter kriegswirtschaftlicher Bedarf

17,— — 6,2

— 2,5 0,2

21,— 32,— 3,5

0,4 —

— 0,5

0,3 —

— 0,5

0,1 3,1



Summe

24,1

6,4

56,8

Die Anschreibungen des Webstoff-Meldeamts bzw. die Auslieferungen der Kriegsgesellschaften ergaben demgegenüber

24,5

8,—

52,—

Der Gesamtverbrauch war demnach 87,3 bzw. 84,5  Mill.  kg Wollspinnstoffe im Jahr gegenüber einer möglichen Aufwendung von rund 92 Mill. kg nach dem Wirtschaftsplan.

84 

 Bedarf und Bedarfsdeckung

Bei Wolle ist die Übereinstimmung in den Mengen genügend; bei Tierhaaren ist daran zu denken, daß die von außen her nach Deutschland gelangenden Tierhaare erst im Laufe des Jahres 1917 vollständig in Bewirtschaftung genommen wurden, also erst von da an bei der Vereinigung des Wollhandels durchliefen, und daß es ferner bei Tierhaaren seitens der Vereinigung üblich war, erhebliche Zugaben für Spinnverluste mitzuliefern, ohne sie anzuschreiben, während in den Meldungen an das Webstoff-Meldeamt die Abnahmen der Vorräte einschließlich der Spinnverlustzuschläge erschienen. Am größten sind die Unterschiede bei Kunstwolle, weniger in der Gesamtsumme als innerhalb der einzelnen Gruppen. Es spielen hier verschiedene Ursachen mit, vor allem Rückstände in den Auslieferungen, wie sie 1917 infolge Verkehrs- und Kohlenstockungen zahlreich waren und sich bei einzelnen Firmen über viele Monate erstreckten. Sie bewirkten, daß Spinnmischungen früherer Zusammensetzungen noch weitgehend mit zur Verarbeitung gelangten, und daß unnormale zeitliche Verschiebungen zwischen Rohstoffzuweisungen und Lieferungen der Fertigerzeugnisse eintraten. Ganz allgemein muß ferner berücksichtigt werden, daß sich die Meldungen der Gesellschaften nur auf die öffentlich bewirtschafteten Spinnstoffe bezogen, dagegen die des Webstoff-Meldeamts auf alle Spinnstoffe überhaupt; auch waren bei den Zahlen des letzteren Doppelanschreibungen (z. B. einmal vom Eigentümer und einmal vom Lagerhalter gemeldeter Bestände) nicht immer zu vermeiden, die bei der Aufdeckung von den Bestandsmengen abgeschrieben wurden. Dasselbe war der Fall bei Verlusten durch natürliche Gewichtsabnahmen: Mottenfraß, Diebstahl und Feuer. Ferner wurden nicht wenige Posten (z. B. manche Garne, Kettbäume usw.) beim Webstoff-Meldeamt einschließlich Aufmachung und Verpackung gemeldet. Unstimmigkeiten ergaben sich auch daraus, daß Spinn- und Webabgänge zur Nachprüfung und Wiederverwertung zurückgeliefert werden sollten, daß dieses aber nicht immer geschah; sie wurden gelegentlich als feuergefährlich unter den Kesseln verbrannt, wohl auch unter diesem Vorwand verschoben, um als freie Spinnstoffe zu dienen.

Man erhält hieraus einen Einblick in die fast unüberwindlichen Schwierigkeiten einer genauen Verbrauchsanschreibung der verwendeten Spinnstoffe. Die Verbrauchszahlen für Wollspinnstoffe, aus denen die oben gegebene Aufstellung errechnet worden ist, ergeben sich aus folgenden verwickelten Einzelberechnungen: Uniformtuche: Ihre Zusammensetzung sollte 1917 durchweg aus gleichen Kett- und Schußfäden bestehen. Das vorgeschriebene Garn war ein Zwirngarn aus einem Faden 7er Streichgarn (mit 70 % Kunstwolle) und einem 18/1er Kammgarnfaden. Die Zusammensetzung des Kammgarnfadens war 30 % reine Wolle und 70 % Mohairmischung; diese letztere bestand wiederum aus 30 % Mohair und 70  % Wolle. Unter Einsetzen des Gewichtsverhältnisses zwischen Streichgarn- und Kammgarnfaden im fertigen Tuch ergab sich für den Durchschnitt des Jahres 1917 ein Wollgehalt einschließlich Mohair von rund 45 % und ein Kunstwollgehalt von rund 55 %. Die Inlandheeresanforderungen für 1917 beliefen sich anfänglich auf rund 24 Mill. m, zu denen 4 Mill. für die Verbündeten kamen. Dazu traten dann noch erhebliche Lieferungen aus rückständigen Aufträgen bzw. Nachforderungen, denn tatsächlich betrug der Eingang 1917 nach den Meldungen der Kriegsbekleidungsämter 34 Mill. lfd. m mit einem erforderlichen Spinnstoffgewicht von 38 Mill. kg und einem Fertiggewicht von 25 Mill. kg; daraus errechnete sich der in der vorhergehenden Aufstellung aufgeführte Wollverbrauch von 17 und Kunstwollverbrauch von 21  Mill.  kg. Wenn demgegenüber die Kriegswollbedarf-Aktiengesellschaft nur 13,5 Mill. kg Kunstwolle für Tuche ausgeliefert haben wollte, so erklärt sich das vor allem aus der Verarbeitung der aus dem Vorjahr noch bei den Werken lagernden Kunstwollen und Streichgarne sowie aus zeitlichen Verschiebungen zwischen Materialzuweisungen und Lieferungen der Tuche.



Der Bedarf an Wolle 

 85

Decken und Woilache hatten 1917 eine mittlere Beimischung von Tierhaaren zu 7  %, im übrigen bestanden sie aus Kunstwolle. Die im genannten Jahr seitens des Kriegs-Decken- und des Kriegs-Woilach-Verbandes in Auftrag gegebenen Mengen waren:

Gegenstand

Stückzahl Mill.

Fertiggewicht g das Stück

Gesamtgewicht Mill. kg

11,7 10,9 0,2

1 800 2 130 2 700 1 800

21,1 2,1 2,4 0,4

Zusammen Mill. kg

26,0

Unterkunftsdecken……..................…… Lazarettdecken……..................………… Woilache……………......................……… Unterkunftsdecken f. Verbündete………

Rechnet man mit einem Spinnverlust von 25 %, so müssen zu 26 Mill. kg Fertiggewicht 34,5 Mill. kg Spinnstoffe aufgewendet worden sein. Davon 7 % Tierhaare ergibt 2,5 Mill. kg, der Rest von 32 Mill. kg bestand aus Kunstwolle. Verwickelter ist die Nachprüfung bei den warmen Untersachen. Sie wurden teilweise aus Beutegarnen (wesentlich also reinen Wollgarnen), teilweise aus sogenannten K.R.A.-Garnen hergestellt. Diese letzteren bestanden aus 60 % Wollmaterial, 3 % Tierhaaren und 37 % Kunstwolle. Die Austragsmengen für 1917 lassen sich aus Angaben des Kriegs-Wirk- und Strickverbandes und aus Bedarfsanmeldungen der Beschaffungsstellen annähernd errechnen. Die Bedarfsanmeldungen lagen zwar nur für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. September 1917 vor, umfaßten aber den ganzen Jahresbedarf, da die jeweilige Winterausrüstung bis zum Herbst angefordert und vergeben war. Die Zahlen über die Auftragsvergebungen des Verbandes liefen von der Aufnahme seiner Tätigkeit am 17. Februar 1916 bis zum 31. März 1918, also über rund zwei Jahre. Die Schätzung nach beiden Quellen für 1917 ergibt sich aus der übernächsten Tabelle. Ein Teil des hiernach nicht aus Neuanfertigungen genehmigten Bedarfs wurde aus Fertigbeständen gedeckt. Die Anteile waren aber verschwindend mit Ausnahme der Socken, von denen 5  Mill. Paar, und der Ärmelwesten, von denen 1,15  Mill. Stück aus Fertigbeständen hergegeben werden konnten. Die 4  661  000  kg K.R.A.-Garn vermehrten sich, da die Mengen in Garnkilos ausgedrückt sind, um die Spinnverluste von 25  %. Es mußten also 5,8  Mill.  kg Spinnstoffe für das K.R.A.-Garn bereitgestellt werden. Der Gehalt dieser 5,8 Mill. kg war: 60% 3% 37%

reine Wolle Tierhaare Kunstwolle

= = =

3,5 Mill. 0,17 „ 2,15 „

kg „ „

Dazu traten dann noch die Garnmengen, die die Kriegs-Rohstoff-Abteilung 1917 zur Anfertigung von Socken für den bürgerlichen Bedarf zur Verfügung stellte. Es handelte sich um rund 20  Mill. Paar von 140 g Fertiggewicht und 175 g Spinnstoffgewicht = 3,5 Mill. kg Spinnstoff. Die Zusammensetzung war nicht gleichmäßig, im großen und ganzen aber den K.R.A.-Garnen ähnlich. Ungefähr enthielten diese Socken 2,2 Mill. kg Wolle mit etwas Tierhaaren und 1,3 Mill. kg Kunstwolle. Demnach ergaben sich für warme Untersachen zusammen: Wolle und Mohair 6,2, andere Tierhaare 0,2 und Kunstwolle 3,5 Mill. kg.

86 

 Bedarf und Bedarfsdeckung

Maßeinheit

Gegenstand

Garngewicht 1917 angefor- Nach den Genehmigungen sind derte Stückzahl verwendet Beutegarn

Stück Paar Paar Stück Stück Paar Paar Stück

g

Mill.

kg

Maschinenstrickgarn kg

120 95 120 75 95 40 120 5008

3 12 3 3 3 6 23,5 2

40 000 212 000 — — 150 000 — 75 000 25 000

314 000 927 000 357 000 222 000 134 000 238 000 2 176 000 293 000

insgesamt 1917 für Neuanfertigung

502 000

4 661 000

Halstücher….........… Fingerhandschuhe Kniewärmer….......… Kopfschützer….....… Leibbinden…........… Pulswärmer….......… Socken………........… Ärmelwesten….....…

Im großen und ganzen kann nach Lage der Dinge die Übereinstimmung der oben angeführten Zahlen als genügend bezeichnet werden.8

Der Bedarf an Baumwolle Es würde zu weit führen, für Baumwolle gleich ausführliche Berechnungen anzustellen, es soll daher nur das Wichtigste erwähnt werden. Bei Baumwolle trat am ausgesprochensten zutage, daß der ursprüngliche Wirtschaftsplan nur die Bedeutung eines ersten Wegweisers in die Zukunft hatte. Die darin vorgesehenen 80  Mill.  kg Baumwollerzeugnisse bedeuteten nicht, was man nach Lage der Baumwollvorräte anzufertigen dachte, sondern den Mindestbedarf an denjenigen Gegenständen, die bis dahin gewohnheitsmäßig aus Baumwolle gedeckt worden waren. Man wurde sich bald darüber klar, daß erhebliche Teile dieser Bedarfsgebiete Deckung durch Flachsund Papiergarne finden mußten, daß ferner Fertigwaren aus dem Handel in nennenswertem Umfang heranzuziehen waren und endlich die Sparwirtschaft gerade hier immer straffer durchgebildet werden mußte. Die Verschiebungen waren so stark, daß man innerhalb der Baumwoll-Sektion dazu überging, neben den ursprünglichen Wirtschaftsplan einen „Normaldeckungsplan“ zu stellen. In diesem letzteren wurde für jede einzelne Bedarfsgruppe ermittelt: der Bedarf, die vorhandenen fertigen, für den betreffenden Zweck geeigneten Garne und die zur Anfertigung der dann noch fehlenden Garnnummern und Güten vorhandenen Baumwollspinnstoffe. Daraus leitete man dann für jede Gruppe ab, für wieviel Beschaffungszeiträume die Deckung mit

8 Einige Ärmelwesten (etwa ¼ der neuangefertigten), die ganz aus Beutegarnen bestanden, sollen nach mündlichen Angaben der Wollbedarf-Prüfungsstelle nur 375 g das Stück gewogen haben.



Der Bedarf an Baumwolle 

 87

Baumwolle möglich war bzw. welche Verschiebungen auf andere Rohstoffe unausbleiblich waren. Für den Beschaffungszeitraum vom 1. April bis 30. September 1918 betrugen die für den Heeresbedarf bewilligten Baumwoll-Spinnstoffmengen in Garngewicht ausgedrückt für das genannte Halbjahr:9 für „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „

Bänder und Borten…....…… Bereifung………….......……… Verbandstoffe………......…… Dochte………........…………… Ledertuch……......…………… Futterstoff……......…………… Wäsche………….......………… Zeltbahnstoffe…….....……… Fußlappen………….....……… Köper……………….......……… Kaki………………….........…… Gurtstoff……………........…… Riementuch…………......…… Bettücher……….......………… Moleskin…………........……… Tüll…………………...........…… Nähgarn……….........………… technische Zwecke....……… Packungen…………….....…… elektrotechnische Zwecke Netze ……………….........…… Stopfgarn ……………......…… Sackstopfgarn…........……… insgesamt

91 000 Garnkilos 256 000 „ 1 295 000 „ 9 000 „ 15 000 „ 53 000 „ „ 6 000 0009 906 000 „ 617 000 „ 123 000 „ 205 000 „ 3 000 „ 1 000 „ 44 000 „ 144 000 „ 7 000 „ 1 334 000 „ 8 000 „ 13 000 „ 349 000 „ 414 000 „ 53 000 „ 60 000 „ 12 000 000 Garnkilos

Das ergäbe für ein Jahr 24 Mill. kg. Zu diesen 24 Mill. kg trat der durch Kontingente gedeckte kriegswirtschaftliche Bedarf (vgl. Schaubild S. 27) in Höhe von 8,5 Mill. kg, zusammen 32,5 Mill. kg. Der Erfahrungsdurchschnitt für die zuzurechnenden Spinnverluste unter Berücksichtigung der teilweisen Verwendung fertiger Garne stellte sich auf 15 %, so daß 37,5 Mill. kg Baumwollspinnstoffe tatsächlich für 1918 zur Verarbeitung ausgegeben werden sollten, gegenüber rund 80  Mill.  kg des ursprünglichen Wirtschaftsplans. Die Abbuchungen des Webstoff-Meldeamts von den Beständen wiesen bei Baumwolle noch erheblichere Abweichungen von den nach den Bewilligungen ermittelten Mengen auf als bei Wolle. Es stellten sich nämlich gerade bei Baumwolle beim Sichten der Lagerbestände verhältnismäßig große Posten als nicht spinnbar heraus, und vor allem war die Tara bei den in Kisten verpackten Garnen, bei den Aufmachungen für 9 Aus 12 Mill. kg Wäschestoffen im Jahr ließen sich 30 Mill. Stück Hemden bzw. Unterhosen fertigen.

88 

 Bedarf und Bedarfsdeckung

den Einzelverkauf und bei den vielen Kettbäumen, die sich auf den Bremer Lagern befanden, sehr hoch und näherte sich im Durchschnitt 25 %. Es ist selbstverständlich, daß der große Unterschied zwischen dem ursprünglichen Wirtschaftsplan und dem späteren Normaldeckungsplan für Baumwolle nicht allein durch Maßnahmen der Sparwirtschaft überbrückt werden konnte, sondern ein Vergleich mit früheren Deckungszeiträumen zeigt, daß später eine Reihe von Bedürfnissen von anderen Spinnstoffen gedeckt wurde. Für Baumwolle zu Nitrierzwecken trat Nitrierpapier ein; Pulverbeutelstoffe wurden aus Seide, Kunstseide und Leinen gefertigt, Gasmasken aus Seide, Ballon- und Flugzeugstoffe aus Leinen und Seide. Auch Hamstervorräte einzelner Beschaffungsstellen ermöglichten es, diesen Ausgleich zu schaffen. Um ein allerdings besonders weitgehendes Beispiel zu nennen, ergab sich bei einer Nachprüfung der Bestände auf Grund der seit April 1918 endlich verfügten Meldepflicht der Beschaffungsstellen an K.R.A., daß das Kriegsbekleidungsamt XVII. Korps für 17 Jahre mit Nähgarn eingedeckt war.

Der Bedarf an Bastfasern Das dritte große Bedarfsgebiet des Wirtschaftsplans war das der Bastfasern. An unmittelbarem Heeresbedarf sah der Plan jährlich rund 65 Mill. kg vor, die bei dem Fehlen von Jute und bei den verhältnismäßig geringen Hanfmengen fast ausschließlich durch Flachs und Flachswerg zu decken waren. Auch bei Bastfasern ließ sich der Bedarf für die erste Kriegszeit nur sehr annähernd feststellen. Man glaubte den Heeresbedarf im Oktober 1914 mit jährlich 15  Mill.  kg annehmen zu können, hatte aber schon deshalb keinen Überblick über die Zukunftsentwicklung, weil die meisten Bastfasererzeugnisse damals seitens der einzelnen Beschaffungsstellen noch auf dem freien Markt gedeckt werden konnten. Hinzu kam, daß bis Anfang 1915 die Baumwollzufuhren reichliche waren; es ersetzte daher damals Baumwolle für viele Zwecke die verhältnismäßig knappen Bastfasern, bis nach Eintritt Italiens in den Krieg die Baumwollzufuhren über Genua aufhörten und das Verhältnis sich allmählich umkehrte. Die nun einsetzende starke Belastung des Bastfaserhaushalts erfuhr ihrerseits späterhin eine Entlastung durch die Spinnpapierverwendung für Sandsäcke, Gurte, Bindfaden usw. Dazu kam, daß die Ausdehnung der inländischen Erzeugung für das Bastfasergebiet von ausschlaggebendem Einfluß war. Die Anforderungen des Heeres an Bastfasererzeugnissen sind für einen Jahresbedarf nach Hauptgruppen geordnet in der folgenden Aufstellung enthalten10. Es ergibt sich daraus der angemeldete Heeres-, Marine-, Eisenbahn- und Postbedarf für den letzten Anforderungszeitraum des Weltkriegs vom 1. April 1918 bis 31. März 1919, ergänzt durch die tatsächlichen Nachforderungen im ersten Halbjahr 1918. Bemerkenswert sind die starken Unterschiede 10 Für den kriegswirtschaftlichen und bürgerlichen Bedarf vergleiche die entsprechenden Angaben auf dem Schaubild der Kontingente Seite 27.



Der Bedarf an Bastfasern 

 89

zwischen zwei aufeinanderfolgenden Deckungszeiträumen und auch der Umfang der Nachforderungen gegenüber den Voranmeldungen noch nach vier Kriegsjahren. Der Grundsatz der endgültigen Vorausanmeldungen für längere Zeiträume und die zusammengefaßte Beschaffung hatten sich also immer noch nicht genügend eingespielt. Die Mengenangaben der Aufstellung beziehen sich auf Fertiggewichte; die Spinnstoffverluste mit 30 % sind also zur Ermittlung der Rohstoffmengen zuzuschlagen. Bei Textilit ist nur die Beimischung von Bastfasern, nicht etwa das Gewicht einschließlich des Spinnpapieranteils gemeint. Terminanmeldungen in kg Gegenstand 1.4—30.9.18 für Heer und Marine Rohstoff…………………… Packgarn…………………… Andere Garne……………… Nähzwirn…………………… Techn. Zwirn……………… Bindfaden, Kordel………… Tauwerk…………………… Netze, Netzgarne, Netzleinen Schläuche…………………… Gurte………………………… Bänder, Litzen……………… Leinen, Jutestoffe…………… Flugzeugleinen……………… Drillich……………………… Segeltuch…………………… Textilit……………………… Zelte………………………… Proviantsäcke……………… Andere Säcke……………… Fertige Erzeugnisse………… Fertige Kleidung…………… Verschiedenes…………

Nachforderungen in kg für

1.10.18—31.3.19 für Heer, Marine, Eisenbahn, Post und Krupp

1.1.—30.6.18 für Heer, Marine, Eisenbahn und Post

70 600 13 500 448 700 1 926 400 382 500 256 200 2 136 700 8 200 52 900 961 900 49 800 625 800 712 000 2 793 100 3 039 800 177 800 19 900 — 2 000 9 200 10 200 9 900

200 10 500 15 000 1 386 500 12 900 272 700 1 225 500 400 44 300 44 200 23 200 618 200 487 400 981 300 2 752 300 196 400 69 400 143 800 2 100 — 2 300 15 100

22 300 28 000 332 800 173 200 5100 676 800 701 300 29 300 126 800 185 400 264 300 826 000 40 200 228 900 684 200 1 191 200 58 200 126 700 431 800 90 100 3 300 21 900

13 708 000

8 303 700

6 247 800

zusammen für ein Jahr 34,5 Mill. kg, wenn man die Nachforderungen im zweiten Halbjahr gleich den tatsächlichen im ersten Halbjahr setzt.

Von den 13 708 000 kg der Anforderungen für das erste Halbjahr entfielen auf das Heer 11 727 200 kg (85 %) und auf die Marine 1 980 800 kg (15 %), dagegen von den 8 303 700 des zweiten Halbjahres auf das Heer (einschließlich eines Anteils der Firma Krupp von 303 500 kg) 5 600 500 kg (67 %), auf die Marine 2 063 700 (25 %) und auf

90 

 Bedarf und Bedarfsdeckung

Eisenbahn und Post 639 500 kg (8 %). An den Terminanmeldungen waren von den hauptsächlichsten Webstoffbeschaffungsstellen beteiligt:11 das die das das die die

Bekleidungs-Beschaffungs-Amt mit rund Inspektion der Flieger „ „ Hauptgasschutzlager „ „ Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt „ „ Intendantur des XI. Korps „ „ Eisenbahn- und Postwebstoffstellen11 „ „ (einschließlich München)

34 17½ 8 6 4½ 3

% % % % % %

Der Heeresjahresbedarf an Fertiggewicht der Bastfasererzeugnisse von 34,5 Mill. kg entsprach einem Spinnstoffgewicht von rund 45 Mill. kg; dazu trat der mittelst Kontingenten und Freigaben gedeckte kriegswirtschaftliche und bürgerliche Bedarf in Höhe von 7 Mill. kg. Für den Deckungszeitraum vom 1. April 1918 bis 31. März 1919 war also ein Verbrauch an Bastfaserrohstoffen (Flachs und Hanf) von rund 52 Mill. kg zu erwarten. Für 1916, 1917 und das erste Halbjahr 1918 hatte sich die tatsächliche Belieferung gegenüber diesen 52 Mill. kg annähernd wie folgt gestellt:12 1916

1917

1918

Januar…………………… Februar………………… März…………………… April…………………… Mai……………………… Juni…………………… Juli………………………

5,1 6,9 5,5 4,7 5,4 4,6 5,9

7,5 6,3 4,8 4,9 5,— 5,1 6,4

4,5 3,9 2,9 4,— 2,7 4,1 22,112

August………………… September……………… Oktober………………… November……………… Dezember………………

5,6 5,8 5,4 7,5 3,9

4,2 4,4,2 4,2 2,3

6,3

58,9

im Jahr

44,2 Mill. kg.

Gegenüber dem ursprünglichen Wirtschaftsplan von 76,5  Mill.  Kilogramm jährlich bedeuteten diese Zahlen Deckungen von 85, 77 und 58  %. Für den Ausfall trat vor allem Papiergarn ein. Auf dem Gebiete der Sandsackbeschaffungen gingen die — zumeist von Papiergarn gedeckten — Anforderungen zeitweise erheblich über die Ansätze des ursprünglichen Wirtschaftsplans hinaus. 11 Davon die Post den zehnten Teil. 12 Es ist wahrscheinlich, daß die Anforderugen im zweiten Halbjahr gestiegen sein würden; jedenfalls brachte der letzte Monat, über den ich Feststellungen machen konnte, der Juli 1918, eine Steigerung auf 6,4 Mill. kg.



Der Bedarf an Spinnpapier und Stapelfaser 

 91

Der Bedarf an Spinnstoffen aus Lumpen Bei der Darstellung des Wollbedarfs ist der Verbrauch an Kunstwolle schon einbezogen worden, die anderen Spinnstoffe aus Lumpen und Abfällen, wie Kunstbaumwolle, Kunsthanf, Kunstleinen, Kunstjute, Seiden-Effilochees, traten erst später als Ersatzspinnstoffe hervor, so daß sie auf den ursprünglichen Wirtschaftsplänen noch nicht in Erscheinung traten. In Lumpen — dem Ausgangsstoff aller dieser Spinnfasern — ausgedrückt, stellte die Fachsektion für das Jahr 1917 folgende Mengen, zum Teil in Form von Kontingenten, zur Verfügung, von denen natürlich erhebliche Spinnverluste abgingen: Lumpen zur Wollspinnerei Lumpen für Roh- und Dachpappe Lumpen zur Baumwollspinnerei Baumwollabfälle zu Nitrierzwecken Lumpen zu Sandsackgarnen Lumpen zu Pulverbeutelstoffen Lumpen zu Verbandwatte Lumpen zur Leinenspinnerei Lumpen zu Spital- und Polsterwatte Lumpen zu Gewehrputzwerg Putzlappen Lumpen und Fäden zu Putzwolle Altes Tauwerk zu Dichtungszwecken

72 Mill. 60 „ 24 „ 20 „ 16 „ 6,5 „ 4,8 „ 2,4 „ 2,25 „ 2 „ 1,2 „ 0,8 „ 0,06 „

kg „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „

212,01 Mill.

kg

Der Bedarf an Spinnpapier und Stapelfaser Erwähnung verdienen noch weitere Spinnstoffe, die erst in späterer Zeit zur Bewirtschaftung durch die Heeresverwaltung gelangten, in erster Linie Stapelfaser, Spinnpapier und Seide. Bei der Beurteilung des Spinnpapiers muß man, um sich nicht über die Höhe des Bedarfs zu täuschen, daran denken, daß die aus Spinnpapier hergestellten Garne und Gewebe schwerer waren als die ersetzten Erzeugnisse aus den altgewohnten Fasern. Erst allmählich gelang es, in größerem Umfang auch feinere Papiergarne herzustellen. Bis Anfang 1917 kam man im großen und ganzen nicht über Nr. 3 metrisch hinaus, während man bis August 1918 praktisch Nr.  20, in Einzelversuchen sogar Nr.  50 erreicht hatte. Die Papierspinnerei zerfiel in die reine Papierspinnerei und in die Herstellung der Mischgarne, bei denen dem Spinnpapier ein Anteil anderer Spinnfasern beigefügt wurde (Textilit- und Textiloseverfahren). Im Frieden hatte sich die Papierspinnerei noch in den ersten Versuchen befunden, im Krieg nahm sie

92 

 Bedarf und Bedarfsdeckung

rasch eine aufsteigende Entwicklung, jedoch fehlte es bis Ende 1916 — als seitens der Kriegs-Rohstoff-Abteilung die ersten amtlichen Erhebungen über den Umfang der Papierspinnerei veranstaltet wurden — an zuverlässigen Angaben über die Höhe der Erzeugung. Nach Äußerungen der zuständigen Sektion wird es auch kaum möglich sein, diese Zahlen nachträglich zu ermitteln. Schätzungen gehen dahin, daß im ersten Halbjahr 1916 an reinen Papiergarnen rund 13,5, an Zellstoffgarnen und Papiermischgarnen rund 2 Mill. kg und an dazu erforderlichem Spinnpapier 16,8 Mill. kg hergestellt wurden; eine andere Angabe (Aufrechnung einer Erhebung über die gesamte Papierindustrie) gibt für den gleichen Zeitraum die gesamte Erzeugung an Spinnpapier mit 18,3 Mill. kg an. Diese Monatserzeugung von durchschnittlich 3 Mill. kg hatte sich Ende 1916 verdoppelt, in der ersten Hälfte 1917 verdreifacht bis vervierfacht und Anfang 1918 versechsfacht, um von da an auf etwa gleicher Höhe zu bleiben. In den einzelnen Monaten der Jahre 1917 und 1918 wurden nach den amtlichen Erhebungen an Spinnpapier in Streifen geschnitten, also spinnfertig gemacht: Im „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Januar Februar März April Mai Juni Juli

1917 1917 1917 1917 1917 1917 1917 1917 1917 1917 1917 1917 1918 1918 1918 1918 1918 1918 1918

= = = = = = = = = = = = = = = = = = =

6,2 Mill. 9,9 „ 11,2 „ 13,9 „ 11,0 „ 13,1 „ 12,7 „ 14,5 „ 15,6 „ 17,0 „ 15,4 „ 17,8 „ 16,5 „ 17,9 „ 18,4 „ 18,7 „ 19,2 „ 17,5 ,. 19,2 „

kg „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ ,. „

1917 ging die Entwicklung weniger gleichmäßig; es kam sogar zu zeitweiligen Absatzstockungen, nachdem der große Sandsackbedarf aufgehört hatte und eine gewisse Abneigung des bürgerlichen Bedarfs gegen Papiergewebe hervorgetreten war. Der Verbrauch blieb auch wieder im zweiten Vierteljahr 1918 um 20 % hinter der Erzeugung zurück, so daß sich nennenswerte Bestände aufsammelten (am 1.  Juli 1918  = 16 Mill. kg). Schwer festzustellen sind für die ersten Zeiten die Einzelheiten der Verwendung der Papiergarnerzeugnisse im Heere. Lange nahmen die Sandsackbestellungen den wichtigsten Platz ein. Die Anfertigung von Sandsäcken verschob sich aber nicht nur



Der Bedarf an Spinnpapier und Stapelfaser 

 93

nach der Menge, sondern auch nach Art der verwendeten Spinnstoffe fortwährend. Solange noch freie Gewebe aus Wolle, Baumwolle, Leinen und Jute im Lande waren oder in den besetzten Gebieten beschafft werden konnten, ließ man einen großen Teil der Sandsäcke aus ihnen fertigen, da die Papiersäcke der Feuchtigkeit nur mangelhaft standhielten. Erst als die anderen Stoffe allmählich ausgingen, griff man trotz der geringen Haltbarkeit fast ausschließlich auf die Papiersäcke zurück, so daß die Bestellungen in Säcken aus Papiergeweben zeitweise einen sehr großen Umfang annahmen. Aber auch in den Zeiten, in denen die Nachfrage größer war als die Erzeugung, wurden den Werken 20  % ihrer Erzeugung zum Absatz an den bürgerlichen Bedarf freigegeben, ohne daß nähere Angaben darüber vorliegen, ob diese 20  % ausgenutzt oder überschritten worden sind. An Zahlen über den Sandsackbedarf ist folgendes festzustellen: Für das Winterhalbjahr 1915/16 war er auf 168 Mill. Stück geschätzt worden, von denen 35 Millionen zu je 200 g, also 7 Mill. kg, aus Papiergeweben gefertigt werden sollten; für das zweite Halbjahr 1916 rechnete man anfänglich mit 146 Mill. Säcken, von denen 90 Mill. — 18 Mill. kg aus reinem Papier und 50 Mill. = 12 Mill. kg aus Mischgeweben hergestellt werden sollten; die tatsächlichen Lieferungen stiegen auf 160 Mill. Sandsäcke. Für 1917 wurde der Bedarf auf 300 Mill. Stück Sandsäcke im Gewicht von 60  Mill.  kg Papiergarn  = rund 70  Mill.  kg Spinnpapier geschätzt. Infolge geänderter Kampfesweise zog man aber 1917 Bestellungen auf rund 50 Mill. Stück wieder zurück. 1918 sind keine nennenswerten Mengen von Sandsäcken aus Papiergarn mehr angesetzt worden. Neben Sandsäcken kamen bedeutende Mengen von anderen Säcken in Betracht; allerdings versuchte man diesen Bedarf stark auf gebrauchte Säcke und auf Säcke aus übereinandergeklebten Papierlagen einzustellen, um Papiergarn für Bekleidungszwecke freizuhalten. Weitere große Anwendungsgebiete der Spinnpapiererzeugnisse waren Papierbindfäden, Segeltuch, Gurte, Strohsack-, Bettuch-, Handtuchstoffe, Mullbinden und Bänder. Den Gesamtbedarf an Papiergarn für andere Zwecke als Sandsäcke bezifferte man 1917 auf 40 Mill. Garnkilos. Im ersten Halbjahr 1918 war der Verbrauch an durch Belegscheine für den Heeresbedarf bewilligten Papiergarnen 57  Mill.  kg; die gleichzeitigen Freigaben für den kriegswirtschaftlichen und bürgerlichen Bedarf erreichten 22 Mill. kg. Das würde einem Jahresverbrauch von 158 Mill. kg entsprechen. Die Erzeugung konnte zuletzt auf Grund der Meldungen über die im ersten Halbjahr 1918 geschnittenen Papiere auf jährlich 215 Mill. kg Spinnpapier geschätzt werden. Der Unterschied zwischen beiden. Zahlen umfaßte den Abfall beim Schneiden des Spinnpapiers, der bei der Neuheit des Verfahrens, bei den ungeübten Kräften und bei Anwendung zum Teil wenig geeigneter Schneidevorrichtungen erheblich war, und ferner die Verluste beim Spinnen, die auf mindestens 10 % beziffert werden mußten. Der Rest war Vorratsvermehrung und nicht ordnungsmäßig durch Belegscheine und Freigaben belegter Verbrauch. Für das erste Halbjahr 1918 liegen genaue Angaben über den angemeldeten Heeresbedarf an Papiererzeugnissen nach einzelnen Verwendungszwecken vor. Die wichtigsten Gruppen waren:

94 

 Bedarf und Bedarfsdeckung

Gegenstand Leibstrohsäcke……………………….......……… Segeltuch……………………….........…………… Stricke………………………………...........……… Säcke……………………………….........………… Papierstoff zu Patronen…………………..…… Deckenbezüge……………………….......……… Bindfaden……………………………….........…… Futterstoffe……………………………….......…… Sandsackstoffe…………………………......…… Papiergarne zu Isolierungen………….……… Bettlaken…………………………..........………… Gurtbänder………………………….......………… Schleiermaskengewebe…………………..…… Zeltleinen zu Zeltbahnen……………………… Tornisterstoffe…………………………........…… Zementsackstoffe…………………….....……… Bänder…………………………………..........…… Patronentaschen…………………………....…… Anzüge für Arbeiter………………………......… Patronenüberzüge…………………....………… Kopfpolsterbezüge………………......…………

Halbjahresbedarf 12,90 Mill. kg 6,57 „ „ 5,76 „ „ 3,30 „ „ 2,86 „ „ 2,24 „ „ 1,87 „ „ 1,83 „ „ 1,69 „ „ 1,68 „ „ 1,52 „ „ 1,38 „ „ 1,35 „ „ 1,30 „ „ 1,27 „ „ 1,25 „ „ 1,12 „ „ 0,71 „ „ 0,59 „ „ 0,56 „ „ 0,50 „ „

An den Ersatz der altgewohnten Spinnstoffe durch Erzeugnisse der Papierspinnerei schloß sich eng der Ersatz durch unmittelbar aus dem Zellstoff ohne den Umweg über das Spinnpapier gewonnene Garne. Neben Zellulongarnen kam dabei hauptsächlich die Stapelfaser in Frage, eine der Kunstseide verwandte kürzere, daher als Wollersatz geeignete Faser, deren Gewinnung durch die K.R.A. sehr gefördert worden ist. Die Sektion Wolle forderte Ende 1917 zur Streckung ihrer Wollvorräte schon eine Monatsmenge von 150 000 kg Stapelfaser; da aber die Fertigstellung der Neuanlagen infolge der Kohlen-, Verkehrs- und Arbeiterschwierigkeiten des Jahres 1917 sich hingezögert hatte, so konnte tatsächlich erst ein Drittel des angeforderten Bedarfs bereitgestellt werden. Von Mitte 1918 an kam aber die Stapelfaser mit erheblich gestiegenen Mengen in Betracht.

Der Bedarf an Seide Auf dem Gebiete der Seide spielten anfänglich aus Preisgründen nur Abfallseiden (Bourette) für den Heeresbedarf eine Rolle. Die hergestellten Erzeugnisse waren Stoffe für Kartuschbeutel, d.  h. für Beutel, die die Pulverladung enthielten, und Zündertuche, d. h. Läppchen für die Zünder. Der Bedarf an Pulverbeutelstoffen war erheblich größer als der an Zündertuchen. Die Zündertuche bestanden im Frieden aus Wolle und wurden erst im Krieg aus einer Mischung von Wolle und Seide hergestellt, an deren Stelle dann



Der Bedarf an Seide 

 95

später wiederum ein Mischgewebe ohne Seide, bestehend aus 20 % Kammgarn, 32 % Wolle und 48 % Kunstwolle, trat. Im Frieden betrug der Bedarf an Zündertuchen jährlich etwa 8000  kg, von Kriegbeginn bis Ende 1916 gelangten an Neuanfertigungen zur Kenntnis der Zentralbeschaffungsstellen rund 300 000 kg (400 000 lfd. m von je 725  g). Als Ende 1916 das Hindenburg-Programm einsetzte, rechnete man fortan mit Jahresmengen von annähernd 200 000 kg, die 70 000 kg Seide enthalten sollten. Der anfängliche Bedarf an Pulverbeutelstoffen ist bei der zersplitterten Beschaffung nicht bekannt geworden. Nach Durchführung der zusammengefaßten Beschaffung für die gesamte Landarmee durch das Artilleriedepot Berlin seit August 1915 errechnete man die erforderliche Jahresmenge mit 18 Mill. m von 80 cm Breite = 1,8 Mill. kg Bouretteseidenstoff. Das Hindenburg-Programm steigerte die Bedarfsanmeldungen auf 5,4 Mill. kg jährlich, also auf das Dreifache, wozu noch eine Vorratsbildung von 8  Mill.  m — 0,8 Mill. kg kommen sollte, so daß die Gesamtanforderung für den Deckungszeitraum vom 1. Oktober 1916 bis 30. September 1917 rund 62 Mill. m — 6,2 Mill. kg betrug. Da man nicht daran denken konnte, derartige Bourettemengen zur Verfügung zu stellen, ließ man billige Mischgewebe, Leinen und Baumwollstoffe ebenfalls zu, mit denen man befriedigende Versuche gemacht hatte. Nur die Marine lehnte zunächst eine Umstellung ab; ihr Bedarf trat aber gegenüber dem Landheer stark zurück, um so mehr, als sie bis März 1917 hinein mit Vorräten eingedeckt war. Für das Jahr 1917/18 forderte sie später rund 700 000 m — 70 000 kg an. Das ungefähre Verhältnis zwischen Seidenstoffen und den anderen zugelassenen Stoffen stellte sich im Dezember 1916 auf 25 % Anteil der Seidenstoffe. Wie auf allen Gebieten, so konnte auch bei den Pulverbeutelstoffen das Hindenburg-Programm nicht gleich erfüllt werden; statt rund 5 Mill. m im Monat war der tatsächliche Verbrauch im Winter 1916/17 seitens der Artilleriedepots Spandau, Posen, Neiße, Stettin, Erfurt, Köln, Straßburg, Breslau, Ingolstadt, Dresden zusammen: Oktober 1916…………………………

2,36 Mill. m

November 1916………………………

1,89





Dezember 1916………………………

2,50





Januar 1917……………………………

2,18





Februar 1917…………………………

1,89





März 1917……………………………

2,08





}

im Mittel also 2,15 Mill. m

Sonstige Verwendungen von Seide für den Heeresbedarf waren gering oder traten erst spät hervor. Die Marine gebrauchte Bouretteseide in Mischung mit Kapok zum Stopfen von Matratzen, ferner wurden Asbestdichtungen mit Bourette gestreckt (rund 4000 kg im Monat). Die Belieferung des bürgerlichen Bedarfs mit Bouretteseide wurde eingestellt, auch die früher üblichen Putztücher aus Bourette der Inspektion der technischen Institute der Artillerie wurden nicht mehr geliefert. Ansprüche an reale Seide, die von Mitte 1917 an von der Heeresverwaltung bewirtschaftet wurde,

96 

 Bedarf und Bedarfsdeckung

stellten zunächst die Luftwaffen. Die Flieger forderten für die Zeit vom 1.  Juli 1917 bis 31. Dezember 1918 rund 188 000 kg Rohseide, später wurden die Anforderungen so erhöht, daß sie für 1918 für Flieger und Luftschiffahrt zusammen auf 550 000 kg stiegen. Weitere Verwendungen für Feldballons befanden sich im Versuch; geringe Mengen kamen daneben für Fallschirmseide und für Arbeiterschutzkleidung in Pulverfabriken in Betracht. Ein notwendiger Bedarf der bürgerlichen Bevölkerung, dessen Deckung sich die Heeresverwaltung nicht ganz entziehen konnte, trat, nachdem die Bestände des freien Handels sich erschöpft hatten, auf dem Gebiete der Nähseiden hervor; für die Monate Oktober, November und Dezember 1917 stellte die K.R.A. dem Verein deutscher Rohseidenzwirner dafür 18 000 kg Rohseidengarne zur Verfügung.

Ein Beispiel besonderer Schwierigkeiten und Ergebnis Zuletzt noch ein Beispiel dafür, wie stark und plötzlich sich oft Bedarfsanforderungen verschoben, und wie groß daher die Schwierigkeit der einwandfreien Ermittlung des tatsächlichen Bedarfs war. Es handelte sich um Treibriemen aus Spinnstoffen. Sie bildeten nur einen kleinen Teil der Treibriemen überhaupt, waren aber wegen ihrer technischen Eigenschaften für bestimmte Verwendungszwecke (z. B. elastische Haarriemen für Fallhämmer) unentbehrlich. Man hatte für die Zeit vom 15. August bis 15. November 1916 45 000 kg Tierhaare zur Neuanfertigung von Haarriemen freigegeben und diese Freigabe später auf das letzte Vierteljahr 1916 verschoben. Für das ganze Jahr 1917 wies man 183 000 kg an, was die Riemenfreigabestelle zu folgenden Ausführungen vom 11. Dezember 1917 veranlaßte: „Nachdem es den uns angeschlossenen Textilriemenherstellern in den letzten Monaten nicht mehr möglich gewesen ist, sich im freien Verkehr Haare bzw. Haargarne zur Herstellung von Fallhammerriemen zu beschaffen, sind die seitens der K.R.A. vierteljährlich zur Verfügung gestellten Haargarnkontingente absolut unzureichend, um den Bedarf an Fallhammerriemen zu decken. Der monatliche Bedarf an Fallhammerriemen beläuft sich auf etwa 8000 qm. Bei einer durchschnittlichen Stärke von 10 mm werden pro qm Haarriemen 5,6 kg Haargarn benötigt und ergibt dies mithin einen monatlichen Bedarf von etwa 44  800  kg Haargarn. — Wir sind mit den bisherigen Kontingenten ausgekommen, weil, wie Ihnen bekannt, die Textilriemenhersteller noch größere Bestände an freien Haaren, die sie sich teils im Inland, teils aus dem Ausland (Menschenhaare) beschafft hatten, besaßen, wozu jedoch zur Zeit keine Möglichkeit mehr vorhanden ist.“ Die K.R.A. suchte als Ersatz für Haare bei den Fallhammerriemen die Verwendung von Flachskämmlingen durchzusetzen. Aus allem geht hervor, daß — ganz abgesehen von der Vorratsseite, auf der noch ungleich größere Schwierigkeiten zu überwinden waren — auch von der Bedarfsseite her Aufstellung und Durchführung von Wirtschaftsplänen mit außerordentlich unsicheren Verhältnissen zu rechnen hatten. Mehr als einmal wurde von einzelnen Beteiligten die Aufstellung von Wirtschaftsplänen als überhaupt unmöglich bekämpft,



Ein Beispiel besonderer Schwierigkeiten und Ergebnis 

 97

die Zeit hat aber dem Leiter der Rohstoff-Abteilung recht gegeben. Der Erfolg war, daß nicht nur der dreijährige Wirtschaftsplan ab 1916 durchgehalten werden konnte, sondern daß rechtzeitig Vermehrungsmöglichkeiten der Vorräte und Einschränkungen des Bedarfs in die Wege geleitet worden waren, die auf dem Spinnstoffgebiet auch für das Jahr 1919 den notwendigsten Umfang der Bedarfsdeckung gewährleisteten. Daß dies alles nur unter scharfer Zurücksetzung des bürgerlichen Bedarfs und durch Erzwingung größter Sparsamkeit auch im Heere möglich war, ist selbstverständlich.

Kapitel IV

Organisation des Spinnstoffgewerbes Von Dr. Ernst Wiedemann

Die Organisation in Kartellen und Interessenverbänden begegnete vor dem Kriege im Spinnstoffgewerbe erheblichen Schwierigkeiten. Dieses Kapitel will den Einfluß, den Krieg und Kriegswirtschaft auf jene Organisation ausübten, darlegen.

Organisationsgrundlagen Ehe wir zur Darstellung der Einwirkungen des Krieges auf die Organisationsbildung eingehen, seien einige Worte über die Organisationsfähigkeit der Textilindustrie vorangeschickt. Keine Industrie ist wohl ein so schlechter Boden für einheitliche, straffe Organisation wie die Textilindustrie; die in ihr strömenden Interessen sind zu mannigfaltige und gegensätzliche, vor allem in der allgemeinen wirtschaftspolitischen Einstellung. Die Schwierigkeiten werden noch gesteigert durch betriebstechnische Verschiedenheiten (Einstufigkeit und Mehrstufigkeit der Betriebe) und Verschiedenheiten der Unternehmungsformen (Vorherrschen von Aktiengesellschaften in einigen Gruppen, von Einzelunternehmungen in anderen). An Rohstoffen verarbeitete die Textilindustrie vor dem Kriege vor allem Wolle und Baumwolle, Flachs, europäischen Hanf und Überseehanf, Jute und Seide, ohne daß ein Rohstoff den anderen grundsätzlich in seiner Verwendungsmöglichkeit ausgeschlossen hätte. Je nachdem die betreffende Industrie nun heimische, englische Kolonial- oder südamerikanische Wolle verarbeitete, ihren Hanf aus Rußland, aus Italien, aus Mexiko oder aus den englischen Kolonien bezog, waren die Interessen, zumal die vornehmlich organisationsfördernden, die zollpolitischen andere; auch ob die Rohstoffe vom Produzenten selbst, einem ausländischen Verarbeiter, durch fremde oder durch deutsche Händler bezogen wurden, machte einen großen Unterschied. Ähnlich groß wie die Zahl der Rohstoffe, die die Industrie verwendet, ist die Zahl der Stufen, die jeder Rohstoff bis zum letzten Fertigfabrikat zu durchlaufen hat, und auch hier sind die Interessen des Spinners verschieden von denen des Webers und Färbers, verschieden von denen der Appreteure und der Bekleidungsindustrie, verschieden von denen der Wäscheindustrie wie der Schneider, der Großhändler und der Kleinhändler. Zudem ist aber, von geringen Ausnahmen abgesehen, die Textilindustrie als Modewarenindustrie die Domäne der Mittel- und Kleinbetriebe und dazu jede Rohstoffgruppe über das ganze Reich zerstreut, so z.  B. die Wollindustrie vornehmlich in Sachsen, der Rheinprovinz, Brandenburg, den thüringischen Staaten und Elsaß-

Organisationsgrundlagen 

 99

Lothringen, die Baumwollindustrie in Sachsen, Bayern, Elsaß-Lothringen, der Rheinprovinz, Westfalen, Württemberg, Schlesien und Baden bodenständig. Je nach dem Standort der Industrie sind aber naturgemäß Produktionsmethoden, Arbeitsbedingungen usw. völlig andere, hält sich dort noch die Hausindustrie, wo hier sich der Großbetrieb schon restlos durchgesetzt hat. Es kann uns daher nicht überraschen, wenn wir den Gedanken der Organisation sich nur langsam und verhältnismäßig spät durchsetzen sehen. Wie die dargelegten Verhältnisse von selbst ergeben, konnte es sich zuerst nur um beschränkte örtliche Gebilde handeln, deren wirtschaftlicher Interessenkreis einigermaßen derselbe war. Erst die Wirtschaftskrisis und die zollpolitischen Kämpfe in der Mitte der siebziger Jahre haben eine lebhaftere Organisationsbildung auf breiterer Basis bewirkt, nachdem 1836 die Vereinigung sächsischer Spinnereibesitzer, 1860 die Vereinigung süddeutscher Textilindustrieller in der Industrie- und Handelsbörse vorausgegangen waren. Als zweiter Anstoß zur Organisationsbildung wirkte das Auftreten der Sozialdemokratie, vor allem in ihrem praktisch-wirtschaftlichen Ausdruck, in den Gewerkschaften; Zusammenschlüsse der Unternehmer zu Arbeitgeberverbänden wurden mit den neunziger Jahren häufiger. Einen Abschluß hat diese Bewegung in der Gründung des Arbeitgeberverbands der deutschen Textilindustrie von 1904, der selbst Mitglied der Vereinigung deutscher Arbeitgeberverbände ist, geführt; 17  Verbände mit 11 Unterverbänden und 7 Ortsgruppen sind ihm angeschlossen. Eine Fortbildung ist im Kriege aus Kriegsgründen heraus im wesentlichen nicht erfolgt. Neben den allgemeinen Interessenverbänden der Industrie hatten auch erst in den letzten Friedensjahren die privatwirtschaftlichen Verbände des Spinnstoffgewerbes, die Kartelle, ganz wesentlich an Umfang und Bedeutung zugenommen. Daß es trotz der Ungunst der dargelegten Verhältnisse gelungen ist, mehr und mehr den „Durchschnittswillen“ oft einer Unzahl von Fabrikanten zu bilden, ist die Folge der Entwicklung dieser Verhältnisse selbst. Mit dem Übergang des Spinnstoffgewerbes von der Hausindustrie zum Fabrikbetrieb, mit der infolgedessen und gleichzeitig von der Kunden- zur Marktproduktion sich umstellenden Absatzrichtung, mit der Aufnahme der Konkurrenz gegen das Ausland und dem dadurch gegebenen Zurücktreten der Stapelware gegenüber den Modeartikeln, hatte die deutsche Textilindustrie die ihr entwicklungsgeschichtlich anhaftenden Beschränkungen zünftlerischen Daseins abgestreift. Die Vielseitigkeit der möglichen Erzeugnisse und die Notwendigkeit, mit dem Auslande Schritt zu halten, zwang einerseits die Industrie zu immer größerer Entfaltung der Technik und immer größerer Vielgestaltigkeit auch des einzelnen Unternehmens, führte dadurch andererseits zu immer stärkerer Befruchtung wechselnder Modelaunen, die wiederum die Schnelligkeit des ersten Prozesses steigerten. Die Folge war, je länger, desto mehr, die Unmöglichkeit für den Fabrikanten, neben dem Herstellungsprozeß auch die Verteilung der Erzeugnisse selbst zu übernehmen, da ihm der Überblick über die werdenden Marktverhältnisse verloren ging,

100 

 Organisation des Spinnstoffgewerbes

das Risiko des Absatzes zu groß wurde. Der Fabrikant sah sich genötigt, dies Risiko auf eine andere Stelle, den Zwischenhandel abzuwälzen, der mit dem Markt in engerer Fühlung stand. Gesteigert wurde die Notwendigkeit, den Absatz der gefertigten Ware auf diese Weise wenigstens einigermaßen sicherzustellen, durch die Abhängigkeit des deutschen Fabrikanten vom ausländischen Rohstoffmarkt, der mit seinen stark wechselnden Preisen ein weiteres Moment der Unsicherheit in die Kalkulation auf längere Zeit hinaus mit sich brachte. Lag schon in solcher Unentbehrlichkeit der Keim eines Abhängigkeitsverhältnisses des Fabrikanten vom Zwischenhandel, so wurde dieser Keim erst entwickelt durch die schon betonte Bevorzugung des Mittel- und Kleinbetriebs, die in Anbetracht der geringen Kapitalerfordernisse bei hohem Arbeitswert der Erzeugnisse eine maßlose Konkurrenz der Fabrikanten entfesselte. Der Zwischenhandel und die bald — wenn auch feindlich — ihm zur Seite tretende sonstige Großkundschaft der Fabrikanten, die Kauf- und Warenhäuser und die Einkaufsvereinigungen haben diese ihre Macht voll ausgenutzt; weniger, daß ein Preisdruck als solcher ausgeübt wurde, aber in den Verkaufs-, Lieferungs- und Zahlungsbedingungen, den Konditionen wußten diese sich Vorteile zu sichern, die einer Rückwälzung des Risikos auf die Fabrikanten gleich kamen. Damit aber war der Nutzen dieser Träger der Produktionsverteilung für die Fabrikanten illusorisch geworden. Abhilfe mußte geschaffen werden; auch die Textilindustrie fand sie — wenn auch unter unsäglichen Schwierigkeiten, wie sie in der Natur des Gewerbes liegen — seit Mitte der neunziger Jahre in dem Zusammenschluß zum Kartell, vor allem zur Konvention im engeren Sinne. Bis zum Beginn des Krieges hat hier der Zwang, dort vorbeugende Einsicht teils aus den Arbeitgeberverbänden, teils aus den wirtschaftlichen Vereinigungen heraus, teils ohne Mutterverbände ein Netz von Verbindungen entstehen lassen, das fast unentwirrbar das ganze Spinnstoffgewerbe überzieht.

Einwirkung des Kriegs auf die Organisation im allgemeinen Wir wenden uns nunmehr der Untersuchung zu, in welcher Weise der Krieg selbst auf die Organisation der Industrie eingewirkt hat. Der Krieg mußte auf die Organisation des Spinnstoffgewerbes in verschiedenen Richtungen einwirken: Einmal sind durch die Sperrung der Grenzen die Fäden zum Ausland abgeschnitten worden, eine außerordentliche Beengung des Betätigungsfeldes trat durch Unterbindung von Einfuhr und Ausfuhr ein. Nur verstärkt konnte dieser Prozeß werden durch die staatlichen Maßnahmen, die nicht zu vermeiden waren, wenn die Erfordernisse des Heeres wie die unumgänglichen Notwendigkeiten der Heimatsbevölkerung sichergestellt werden sollten. Vor allem wurden die im besetzten Gebiet vorgefundenen Vorräte an Rohstoffen, Halb- und Fertigfabrikaten, wie nach und nach auch die Bestände des Inlands beschlagnahmt. Mit der Rohstofferfassung war aber auch die Pflicht der Rohstoffverteilung auf den Staat übergegangen; die Durchführung zent-



Einwirkung des Kriegs auf die Organisation im allgemeinen 

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ralisierter Auftragserteilung war hierzu Vorbedingung. Das Endziel aber konnte nur erreicht werden durch zwingende Bestimmungen über die Richtung und Art der Rohstoff- usw. Verwendung und dahin abzielende weitgehende Verbote. Wie in anderen Industrien sind auch in der Textilindustrie diese Bestimmungen nicht alle gleichzeitig in allen Rohstoffgruppen oder auch nur in einer derselben erfolgt; für das Endergebnis spielt aber die zeitliche Folge keine ausschlaggebende Rolle. Bei Kriegsende zum mindesten war Handel und Wandel — vielleicht abgesehen von der Seidenbranche — von seinen alten Bahnen völlig abgedrängt, für sie schon aus Gründen des völligen Warenmangels abseits des Kriegswirtschaftsorganismus kein Auskommen mehr zu finden. Als Glied im Körper des Kriegswirtschaftslebens konnte auch die Textilindustrie tiefer Eingriffe des Staates in die Betriebsfreiheit selbst sich nicht entziehen; die Stillegung der weniger hochwertigen und ungünstig gelegenen Betriebe zugunsten der leistungsfähigsten, der sog. Höchstleistungsbetriebe, wurde auch hier in Angriff genommen. Die Folge von alledem konnte nur eine außerordentliche Konzentration aller Interessen sein, und zwar nicht nur in den vom Staate zur Kriegswirtschaft herangezogenen Industrieselbstverwaltungskörpern. Denn wir müssen uns vor Augen halten, daß die Heeresverwaltung der zur Durchführung ihrer neuen Aufgaben, der Sicherstellung des Bedarfs an Textilien benötigten sachkundigen Unterstützung rasch und sofort bedurfte, sie daher im wesentlichen schon vorhandene Industrieverbände heranzog; einseitige Interessenbevorzugung wurde zu Kriegsbeginn bei den damaligen Anschauungen von der voraussichtlichen Länge des Krieges und damit auch von dem Umfang der in Mitleidenschaft gezogenen, zu berücksichtigenden Industriegruppen gering gewogen. Wenn auch die anfangs selbständig handelnden Kriegsgesellschaften, Ausschüsse usw. schon bald und mit der Zeit immer mehr zu Organen der Heeresverwaltung mit nur ganz geringer Selbständigkeit herabgedrückt wurden, so blieb doch die Nachwirkung der anfänglich einseitigen Interessenvertretung noch lange bestehen, und infolge dieser Einseitigkeit der Kriegsorganisationen im engeren Sinne wurden die anderen Interessen umsomehr zu kraftvollem Zusammenschluß gedrängt, um sich nach oben Gehör zu verschaffen und nicht an die Wand gedrückt zu werden. Zu der staatlichen Organisation der Bewirtschaftung der herkömmlichen Textilien gesellte sich als zweites und noch stärker organisationsförderndes Moment auch in der Textilindustrie das Bedürfnis nach Behelfs- und Ersatzstoffen; denn ohne solche war auch im Spinnstoffgewerbe die Sicherstellung des Bedarfs nicht zu erreichen. Die Aufarbeitung der alten Fabrikate in Kunstwolle und Kunstbaumwolle, die Verwendung der Papiermasse als Spinnstoff tritt neben die Verarbeitung von Wolle, Baumwolle und Bastfaserstoffen. Es konnte nicht ausbleiben, daß die Verwendbarkeit der neuen Stoffe durch fast alle Rohstoffgruppen gleichlaufende Interessen bei diesen hervorrief und sich organisatorisch auswirkte.

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 Organisation des Spinnstoffgewerbes

Einwirkung auf die einzelnen Spinnstoffgruppen A. Wollgewerbe. An erster Stelle der textilen Heeresbedürfnisse steht in der Bekleidung vor allem die Uniform; wir wenden uns in der Darstellung daher zuerst der Wollbranche zu. Vor dem Kriege haben wir wohl eine Anzahl wirtschaftlicher Verbände auf dem Gebiete des Wollgewerbes gehabt, aber weder der Verein Deutscher Wollkämmer und Kammgarnspinner, noch der Zentralverein Deutscher Wollwarenfabrikanten, der Tuchfabrikanten-Verein Aachen 1889, der Verein sächsisch-thüringischer Webereien 1903 oder der Verband elsässischer Wollwebereien 1904 umschloß die Uniformtuchfabrikanten im besonderen. Eine solche Vereinigung war auch in Friedenszeiten durch die räumliche Zersplitterung der Bestellungen nach Bekleidungsämtern unmöglich gewesen. Wir sehen daher zur Bewirtschaftung der erbeuteten Wolle wie auch für den Erwerb, die Einlagerung und Veräußerung der Wollen der einheimischen Schafschur, sonstiger Wollen und Garne aus Deutschland und später auch von Lumpen, Kunstwolle und Torffaser im September 1914 eine neue Organisation aus zwei Händlern und 30 Spinnwebern der Streichgarnindustrie entstehen, außer einigen Ziviltuchindustriellen nur Militärtuchfabrikanten. Die Gesellschaft hat als KriegswollbedarfA.-G. eine außerordentlich große Rolle gespielt, sie beschäftigte später nicht weniger als 150  Lohnreißereien, 9  Sortier- und Pachtbetriebe für Lumpen, 19  Lumpen- und Kunstwollsammellager, 2 Sammellager und 4 Aufbereitungsanstalten für Torf, 7 Sammellager für Garne, 23 Lager für Schmelzmittel und rund 240 Lager für Wolle. Wollmusterlager waren die in der Woll- und Wollgarnverwertungsstelle Berlin zusammengefaßten Hamburger und Bremer Wollkontore, wohin die Beutewollen in der Hauptsache gebracht worden waren. Schon sehr bald konnten die alten Bestimmungen über den Uniformstoff nicht mehr aufrecht erhalten, neben Streichwolle mußte auch Kammwolle zugelassen werden. Die Bewirtschaftung der Kammwolle wurde dem sich anbietenden Verein deutscher Wollkämmer und Kammgarnspinner-Dresden übertragen, wodurch sich allerdings die Weber in vielem benachteiligt fühlten. Der so entstandenen KammwollA.-G. gehörten als Gründer außer Kammgarnspinnern und -kümmern auch Kammzugund Kammgarnhändler an. Als dritte Wollbewirtschaftungsstelle ist die Ein- und Verkaufsstelle der K.R.A. bei der Vereinigung des Wollhandels Leipzig, dem größten Verband des Wollhandels in Friedenszeiten zu nennen; seine Tätigkeit lag in der Beschaffung der Wolle für Filze usw. Starken Angriffen von seiten der Bremer Konkurrenz war er anfänglich wegen seiner Geschäftsführung ausgesetzt. Organisatorisch wichtiger als diese drei Gesellschaften der Rohstoffbewirtschaftung waren die Zusammenfassungen der Verarbeiter in den Lieferungsverbänden, dem Kriegsgarn- und Tuchverband, dem Kriegsdeckenverband, dem Kriegswoilachverband, dem Kriegsfilzverband, sowie dem Kriegswirk- und Strickverband. Sie



Einwirkung auf die einzelnen Spinnstoffgruppen 

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umfaßten im wesentlichen alle an den Heereslieferungen in Wolle usw. beteiligten Unternehmer. Der Kriegsgarn- und Tuchverband, entstanden aus dem Kriegsweberverband für die Herstellung von Ersatzkammgarnstoffen und dem Kriegstuchverband für die Streichgarntuchfabrikanten unter Hinzuziehung der reinen Spinner, umfaßte 825 Firmen, davon 292 Webereien, 65 reine Streichgarnspinnereien, 58 Kammgarnspinnereien und 414 gemischte Betriebe; er führte auch die Entschädigungskasse der Entschädigungsgemeinschaft der Mitglieder für stillgelegte Betriebe. Dem Kriegsdeckenverband waren 300 und dem Kriegswoilachverband 51 Mitglieder angeschlossen. Zum Kriegsfilzverband war der Zutritt durch das Vorhandensein der nötigen Einrichtungen beschränkt; er umfaßte daher auch nur 10 Mitglieder und hatte keine Entschädigungsaufgaben zu übernehmen. Der Kriegswirk- und -strickverband hatte in seiner Strickereiabteilung 450 selbständige Mitglieder und einige Tausend Lohnstricker, in der Wirkereiabteilung 260  selbständige und rund 100  angegliederte Lohnwirkerfirmen. Eine Betriebszusammenlegung ist hier nicht eingetreten, die Aufträge wurden vielmehr in Kontingenten nach der Leistungsfähigkeit der Betriebe vergeben. Der Kriegslohnveredelungsverband endlich umfaßte 299  Industriefärbereien und 48  Schönfärbereien; hier arbeiten nur 160  Höchstleistungsbetriebe. Die Wirkungen dieser Organisation auf die Industrie sind starke namentlich im Handel gewesen. Der 1900 gegründeten Vereinigung des Wollhandels Leipzig traten der Verband der Wollhändler Deutschlands in Berlin, der Verein des Bremer Wollhandels Bremen 1914 und der Verein des Hamburger Wollhandels Hamburg 1916 zur Seite, die vier Verbände schlossen sich 1917 zum Zentralausschuß der Wollhandelsvereine Berlin zusammen. Auch die Vereinigung deutscher Tuchimporteure Berlin 1915 und die Vereinigung deutscher Uniformtuchhändler München, wie der Verband der deutschen Großhändler in Trikotagen, Strick-, Wirk- und Wollwaren sind im Kriege entstanden. In der Spinnerei und Weberei ist namentlich der wirtschaftliche Zusammenschluß der drei größten Webereiverbände, des Vereins deutscher Tuch- und Wollfabrikanten, des Verbandes sächsisch-thüringischer Webereien und des Verbands elsässischer Wollwebereien zum Wirtschaftsbund deutscher Tuch- und Kleiderfabrikanten 1916 von Bedeutung. Hier zu nennen wäre auch der Zusammenschluß der deutschen Wirkereien im Verein deutscher Wirkereien Stuttgart 1916 und die Vereinigung deutscher Filztuchfabrikanten, die zur Wahrung der Interessen der für die Papier-, Zellulose- und Holzstoffindustrie Filze herstellenden Fabrikanten gegründet wurde; diese Filzlieferungen waren seit April 1915 behördlicher Regelung unterworfen. Die Spinnereien waren schon vor dem Kriege durchgreifend organisiert. Durch die Betriebszusammenlegung wurde die Gründung des Verbands stillgelegter Woll- und Halbwollbetriebe veranlaßt; vorzugsweise Berücksichtigung dieser Firmen in der Übergangszeit zu erkämpfen war Hauptziel. Die Wirkungen des Krieges auf die Organisation der Industrie haben sich gerade im Wollgewerbe nicht auf Zusammenschlüsse kriegswirtschaftlicher Natur

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 Organisation des Spinnstoffgewerbes

beschränkt, gerade hier haben sich auch im Kartellwesen wesentliche Neugründungen vollzogen, vor allem durch die Zusammenfassung der Militärtuchfabrikanten und des Wollhandels. Es entsteht 1916 nicht nur eine Konvention der deutschen Streichgarnhandelsspinnereien in einer sog. Hauptstelle, vor allem schließen sich im Mai 1918 42 Tuchfabrikanten behufs gemeinsamer Bewirtschaftung der Erzeugnisse im deutschen Tuchsyndikat zusammen. Es wurde auf 10  Jahre geschlossen und bezweckt die Vermittlung und Verteilung von Aufträgen, die Regelung des Beschäftigungsgrades und des Absatzes und die vorteilhafte Verwertung der Erzeugnisse, auch den gemeinsamen Bezug von Roh- und Hilfsstoffen und Fabrikeinrichtungen aller Art. Dem Syndikat gehörten ursprünglich fast nur Uniformtuchfabrikanten an, doch drang die Idee auch wirksam in weitere Kreise der Ziviltuchhersteller, so daß die Mitgliederzahl schon bald auf 73 gestiegen war. Die Gründung verdient umsomehr Beachtung, als sie den ersten größeren engen Zusammenschluß privatwirtschaftlicher Natur im Spinnstoffgewerbe überhaupt darstellt — wenn man vom Lampendochtsyndikat und ähnlichem absieht. Der Handel gründete vor allem 1918 die Zentralwollhandels-G. m. b. H. zum Ein- und Verkauf sowie zum Vertrieb von Wolle und wollenen Spinnstoffen; um dieser Gründung die Spitze gegen die Fabrikanten zu nehmen, sind Vertreter der Wollindustrie in den Aufsichtsrat berufen worden. Als drittes Ereignis von Bedeutung im Kartellwesen des Wollgewerbes muß die Lösung des Kartellvertrages der deutschen Tuchkonvention mit der Interessengemeinschaft deutscher Tuchgroßabnehmer 1918 angesehen werden. Sie ist ein Ausfluß der Tatsache, daß die Warenknappheit dem Fabrikanten eine natürliche Monopolstellung auf dem Markte in Umkehr der Friedensverhältnisse gegeben hat, so daß er sich nunmehr stark genug fühlte, das in hartnäckigem Ringen in der Kräfteverteilung zwischen Fabrikant, Großhändler- und Abnehmerverbänden hergestellte Gleichgewicht zu seinen Gunsten zu verrücken, die Abwälzung des Absatzrisikos, die ja der Urgrund der Kartellbewegung im Spinnstoffgewerbe war, auf die Großkundschaft voll durchzuführen. In der Tuchindustrie ist dieser Schritt um so bedeutungsvoller, als die Festlegung der schon wiederholt genannten drei Hauptweberverbände sowie des Aachener Tuchfabrikantenvereins 1889 und des Verbands der Fabrikanten halbwollener englischer Stoffe von 1912 (zusammen 97 % der Betriebe) auf die gemeinsamen Bedingungen der Tuchkonventionen erst nach jahrzehntelangen Kämpfen 1912/13 zum Abschluß gelangt war; die Einigung mit den Abnehmerverbänden, die sich auch erst 1913 unter Zusammenfassung des Arbeitgeberverbands der Herren- und Knabenkleiderfabrikanten Deutschlands, des Verbands deutscher Kleiderfabriken Sitz Rheydt, des Verbands der Berliner Knaben- und Burschenkonfektion und der Vereinigung deutscher Tuchversender und Großhändler in der Interessengemeinschaft Deutscher Tuchgroßabnehmer zusammengefunden hatte, war erst Februar 1914 zustandegekommen. Auch die Kleiderfabrikanten hatten sich durch die Ausschaltung der unbegrenzten Konkurrenz der Kundschaft gegenüber stark und unter sich einig genug gefühlt,



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während des Krieges ihrerseits Konventionen einzuführen, wie es 1916 seitens des Zentralverbands deutscher Herren- und Knabenkleiderfabrikanten und dem Verband deutscher Kleiderfabriken Rheydt geschehen ist. Auch ein Verband der Großhändler in Futterstoffen und Schneiderartikeln hat sich unter Umwandlung eines älteren Vereins 1916 gebildet. An sonstigen Kartellgründungen der Kriegszeit sind hier zu nennen die Geschäftsstelle der vereinigten Webereien Meerane-Glauchau G.  m.  b.  H. 1916 und die Lieferungsvereinigung G. m. b. H. des Verbands deutscher Steppdeckenhersteller 1917, die übrigens sämtliche Industrielle der Branche umfaßt. Auf die Gründung der Wollverwertungs-Genossenschaft sämtlicher bayerischer Schäfereien sei hier hingewiesen; sie erstrebte den Zusammenschluß mit allen gleichartigen Genossenschaften Deutschlands. Die Gründung des süddeutschen Spinnweberverbands G. m. b. H. Stuttgart, der seine Gewebe nunmehr grundsätzlich selbst appretiert, und der Gesellschaft deutscher Kammgarnspinnereien G. m. b. H. zur Übernahme und Verteilung von Spinnstoffen fällt schon in Nachkriegszeiten. B. Baumwollindustrie. Einfacher als in der Wollindustrie war der amtliche Organisationsaufbau in der Baumwollindustrie. Die Bewirtschaftung der Beute- und Inlandsbaumwolle hatte die Baumwollabrechnungsstelle Bremen, hervorgegangen aus der Rohbaumwollabrechnungsstelle Berlin und der Baumwollgarnabrechnungsstelle Bremen, in welch letzterer schon von Anfang an im Gegensatz zur Berliner Stelle neben den Spinnern auch der Handel vertreten war. Mitglieder des Überwachungsausschusses waren der Arbeitsausschuß der deutschen Baumwollspinnerverbände, eine 1910/13 von dem Verband rheinisch-westfälischer Baumwollspinnereien München-Gladbach, der Vereinigung sächsischer Spinnereibesitzer Chemnitz, dem elsaß-lothringischen Industriellensyndikat Mülhausen und dem Verein süddeutscher Baumwollindustrieller Augsburg geschaffene Interessenvertretung, ferner die Spinner (auch Vigognespinner) und der Zentralverband deutscher Industrieller, dessen Ortsgruppen viele Baumwollindustriellen ohne anderen Zusammenschluß enthielten. Die ganze Verteilung des Rohstoffs an die Industrie und die Vorschläge zur Auftragserteilung lagen neben anderen Aufgaben dem Kriegsausschuß der deutschen Baumwollindustrie ob, gegründet am 1. Juli 1915 als Selbstverwaltungskörper der Baumwollindustrie von 25 führenden Baumwollindustriellen. Angeschlossen waren dem Ausschuß 1000  Baumwollwebereien (nach Handbuch wirtschaftlicher Vereine 1919: 880 Baumwollwebereien, 166 Bandwebereien und Riemendrehereien, 44  Posamentenbetriebe und mehrere Handwerkerorganisationen), 40  Dreizylinderspinnereien, 140 Zweizylinderspinnereien und 58 Webereien, aushilfsweise auch eine Anzahl Spezialwebereien; ein großer Teil der Betriebe mußte stillgelegt werden. Dem Ausschuß gliederten sich an die Garnverwertungsstelle und ein Arbeitsausschuß der Verbandmittelhersteller für die Verteilung der Aufträge in Verbandstoffen.

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 Organisation des Spinnstoffgewerbes

Wie in dem Wollgewerbe, so hat der Krieg auch im Baumwollgewerbe vor allem den in seiner Existenz bedrohten Handel zum Zusammenschluß gebracht. 1916 entstand der Verband sächsischer Baumwoll- und Baumwollabfallhändler Krimmitschau, der Verband Oberlausitzer Garnhändler Zittau, die Vereinigung der Baumwollgarnhändler von Barmen und Elberfeld und vor allem der Zentralverband des deutschen Baumwollgroßhandels Berlin, 1917 noch der Verband deutscher Baumwollabfall- und Baumwollhändler Berlin-Wilmersdorf. Als Händlerorganisation ist auch das 1918 zur Unterstützung der europäischen Handelsgesellschaft G. m. b. H. beim Einkauf von Baumwolle aus den östlichen Gebieten, der Ukraine usw. gegründete Baumwollsyndikat hier zu nennen. Der Eintritt in das Syndikat wurde von einem gewissen Mindestumsatz in Baumwolle vor dem Kriege abhängig gemacht. Vor allem hat aber der Krieg außerdem auch den Gesamtverband deutscher Baumwollwebereien Augsburg (und Berlin) 1916 gebracht, der mit 17 angeschlossenen Verbänden eine umfassende Organisation der Baumwollwebereien darstellt, wie ihn die Spinner schon seit 1910/13 in dem oben genannten Arbeitsausschuß besaßen. Der Gesamtverband verfolgt neben allgemeinen wirtschaftlichen Interessen auch kartellähnliche Bestrebungen, indem er die Herbeiführung von Verständigungen innerhalb der einzelnen Gruppen in der Weberei über Verkaufs- und Lieferungsbedingungen sich zum Ziele gesetzt hat. Sonst wäre an Kartellbildungen in der Baumwollindustrie im Kriege nur die Vereinigung deutscher Baumwollnähfädenfabriken 1918 zu nennen; sie bezweckt nicht nur die Versorgung der Mitglieder mit Rohgarn und die Erzielung von Vorteilen beim Verkauf und der Herstellung von Nähgarn, sondern will auch bei festgelegten Verkaufspreisen und Lieferungsbedingungen den Vertragsabschluß mit den in Betracht kommenden Firmen beteiligen. Auch im Baumwollgewerbe haben sich stillgelegte Webereien zu Verbänden zusammengeschlossen, so im Bezirk Bocholt. Der dortige Verband hatte sich u.  a. auch zum Ziel gesetzt, den Zusammenschluß aller gleichen Verbände zu fördern und den Anschluß an ähnliche Verbände anderer Zweige der Textilindustrie zu suchen. Neu aufgebaut wurden im Kriege die Organisationen der Watte- und Verbandstoffabrikanten; nur eine Organisation, der Verein der Verbandstoffabrikanten Deutschlands, war schon 1913 gegründet worden, die anderen sechs heute bestehenden Vereinigungen sind Kriegsorganisationen meist aus dem Jahre 1916. C. Zwischenbranchen. Im Anschluß an das Woll- und Baumwollgewerbe sollen hier die verschiedenen Zwischenbranchen und die hierher gehörige Veredelungsindustrie betrachtet werden. Auch hier hat der Krieg durch die Not die Bildung wirtschaftlicher Vereinigungen, durch die Stärkung des Unternehmers bzw. Fabrikanten gegenüber dem Abnehmer die Entstehung von Konventionen und Kartellen gefördert; die meisten der im Krieg entstandenen Vereinigungen schließen beide Organisationsrichtungen in sich. Es seien hier nur genannt aus dem Jahre 1915 die Vereinigung deutscher Kongreßstoff-, Gardinen- und Tapisseriestoffwebereien Plauen und der Verband deutscher Möbelstoff-



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und Mokettwebereien Greiz; namentlich letzterer Verband brachte eine im Gewerbe lang ersehnte, oft gescheiterte Konvention. Das Jahr 1916 brachte als Hauptgründung den bergisch-sächsischen Fabrikantenverband (kunstseidene Artikel), um dessen Zustandekommen sich der Bergische Fabrikantenverband, um die Geschlossenheit der Branche herbeizuführen, schon seit 1907 vergeblich bemüht hatte. Wegen seines Strafzuschlags von 20 % für nicht ausschließlichen Verkehr und der Bevorzugung der Großhändler wurde er von seinem Konkurrenzverband, dem Wuppertaler Fabrikantenverband der Band-, Litzen- und Spitzenbranche (60  Mitglieder) gemeinsam mit dem Erzgebirgischen Posamentenverband und der Bereinigung erzgebirgischer Posamentenmaterialfabrikanten, wie auch den Hauptabnehmerverbänden, dem Verband deutscher Detailgeschäfte der Textilbranche und dem Verband deutscher Waren- und Kaufhäuser scharf bekämpft. Auch die Konvention der Großhändler und Fabrikanten von Knöpfen und Besatzartikeln für die Konfektion in Berlin und nicht zuletzt eine Ein- und Verkaufsstelle der allgemeinen deutschen Zanellakonvention wurden 1916 gegründet; durch die Gründung dieser Verkaufsstelle ist die 1878 bzw. 1895 gegründete Zanellakonvention aus der Krisis von Vorkriegszeiten, die ihren Bestand ernstlich bedroht hatte, nun in festerer Gestalt hervorgegangen. 1917 entstanden u. a. die Vereinigung deutscher Tapisseriefabrikanten Berlin-Charlottenburg und der Verband der Lampenfransenfabrikanten Annaberg i. Erzgebirge. D. Die Veredelungsindustrie. In der Veredelungsindustrie ist vor allem die Gründung des Wirtschaftsausschusses der deutschen Textilveredelungsindustrie von 1916 mit 27 angeschlossenen Fachverbänden beachtenswert, sowie der Zusammenschluß dreier aus dem Jahre 1899 und 1907 stammender Vereinigungen zum Bergischen Färber- und Bleicherverband 1917. 1915 entstand die 100 Mitglieder umfassende Färbereivereinigung von Chemnitz und Umgebung, 1916 u. a. die Vereinigung deutscher Stoffdruckereien Berlin-Charlottenburg und der Baumwollfärberverband Krefeld. Die genannten Vereinigungen sind fast alle auch Konventionen. 1918 wurde noch die Vereinigung belgischer Appreteure gegründet; im übrigen war die Veredelungsindustrie schon vor dem Kriege, vielfach schon seit Mitte der neunziger Jahre gut organisiert und kartelliert. Hier sei auch kurz das Hutmachergewerbe gestreift; seine Organisation war durch den Zentralverband der Hutfabrikanten Deutschlands schon vor dem Kriege gefestigt. Im Kriege ist der Verband deutscher Mützenfabrikanten Charlottenburg 1918 als Konvention gegründet worden und 1917 der Zusammenschluß des Verbands der Fabrikanten und Großhändler von Zutaten für Hüte, Mützen und Helme mit den Hut- und Mützenfurniturenfabrikanten zur Behebung der Rohstoffschwierigkeiten zustande gekommen. Erwähnung mag in diesem Zusammenhang auch der neue Revers der Damenhutfabrikanten finden, der 1915 zur Einführung gelangte; nach ihm darf Lohnarbeit nur an Mitglieder der Vereinigung gegeben, von Materialien Barmer Litzen nur bei Mitgliedern der Barmer Hutartikelfabrikanten, rheinisch-japanische Geflechte nur bei Mitgliedern des Verbands der Geflechthändler gekauft, die Färbung und Blei-

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 Organisation des Spinnstoffgewerbes

chung der Geflechte nur bei dem Verband der Geflechtsbleicher und -färber vorgenommen werden. E. Bastfaserstoffe. Wir wenden uns nunmehr der Industrie der Bastfaserstoffe, Flachs, Hanf, Jute usw. zu. Die amtliche Organisation der Rohstoffbewirtschaftung konnte sich hier an Vorhandenes anlehnen. In der Jutebranche bestand der Verband deutscher Juteindustrieller 1878/79, in der Flachsbranche die durch eine gemeinsame dritte Stelle verbundenen Verbände rheinisch-westfälischer Flachsspinner und der sächsischschlesischen Flachsspinnereien 1911 sowie der Verband deutscher Leinenwebereien 1914, in der Hanfbranche der Verband deutscher Hanfspinnereien und Bindfadenfabrikanten. Die gesamte Bastfaserindustrie vertrat, wenn auch nur in ganz losem Zusammenhang als zollpolitische und wissenschaftliche Interessengemeinschaft der Verband deutscher Leinenindustrieller 1877. Damit waren von selbst die Organe gegeben, die zur Unterstützung des Kriegsministeriums in der Bewirtschaftung der in den besetzten Gebieten beschlagnahmten Rohstoffe berufen waren. Die Sachverständigen der Juteabrechnungsstelle stellte der Verband der deutschen Juteindustriellen, dessen Bankverbindung auch die Räume und das Personal gab, für die Flachsabrechnungsstelle wurden die beiden Flachsspinnerverbände herangezogen und für die Leinengarnabrechnungsstelle der Verband der deutschen Leinenwebereien. Die Hanfabrechnungsstelle übernahm anfänglich der Hanfverband selbst, bis die Abrechnungsstelle unter Mitbeteiligung des neugegründeten Verbandes deutscher Hartfaserspinnereien und Tauwerkfabriken als Kriegshanf-G.  m.  b.  H. verselbständigt wurde. Ebenso klar im Aufbau wie die Beteiligung der Industrie bei der Rohstoffbewirtschaftung war die bei der Verteilung der Heeresaufträge, indem für jede der Rohstoffgruppen ein Kriegsausschuß gebildet wurde; ein Jutekriegsausschuß mit 60 angeschlossenen Firmen, ein Leinenkriegsausschuß mit 365 angeschlossenen Betrieben, dessen Überwachungsausschuß aus 22 vom Verbande deutscher Leinenwebereien gewählten Mitgliedern besteht, ein Flachskriegsausschuß mit 25 angeschlossenen Firmen und ein Hartfaserkriegsausschuß mit 48 angeschlossenen Betrieben, darunter auch die Tauwerkfabriken; die ursprünglich beteiligte Handwerkerorganisation, der Deutsche Seiler- und Reebschlägerverband, schied später wieder aus dem Ausschuß aus. Die gemeinschaftlichen Interessen der ganzen Hartfaserindustrie an dem Rohstoffvorrat führten, wenn auch gegen die Bedenken der vor allem mit Rohstoffen versehenen Hanfindustrie, zur gleichzeitigen Gründung eines den genannten vier Ausschüssen als Unterausschüssen übergeordneten Hauptausschusses, des Hartfaserkriegsausschusses, der die staatlichen Interessen an einer gleichmäßigen Beschäftigung der Gesamtindustrie vor allem zu wahren hatte. Diese allmählich auch in den Kreisen der Industrie selbst erkannte und anerkannte gleiche Richtung der Rohstoffinteressen führte zu zwei weiteren Organisationen, nämlich einmal der Bastfaser-Einkaufs-G.m.b.H., gegründet durch



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die Leinengarnabrechnungsstelle, die Deutsche Flachsspinner-G.  m.  b.  H., den Verband deutscher Juteindustrieller, den Verband deutscher Hanfindustrieller und den Verband deutscher Hartfaserspinnereien; der Einkaufs-G. m. b. H. wurde auch die Einfuhr aus Groß-Rußland und der Ukraine übertragen. Die zweite Organisation gegründet durch 42 Einzelfirmen und die beiden Verbände der Hanf- und Juteindustriellen, war die Kriegsflachsbau-G. m. b. H., zur Förderung des Flachsanbaues, zum Aufkauf von Hanf in Deutschland und Polen, zur Zuführung des Hanfs an die Hanfröstanstalten, der ausgearbeiteten Hartfaser an die Kriegshanf-G. m. b. H. Beide Gesellschaften hatten nicht das Ziel der Bewirtschaftung der Rohstoffe, sondern anders als die bisher betrachteten Kriegsorganisationen als Aufgabe die zielbewußte Vermehrung des herkömmlichen Rohstoffs, eine Aufgabe, die allerdings auch nur hier in dieser Rohstoffgruppe durchführbar erschien. Die gemeinsame amtliche Tätigkeit der verschiedenen Verbände der Bastfaserindustrie blieb nicht ohne Rückwirkung auf die Organisation des Gewerbes als solches. Die noch nicht vereinigten Betriebe schlossen sich zusammen im Verband deutscher Bindwarenfabrikanten und im Verband deutscher Hartfaserspinnereien und Tauwerkfabriken G. m. b. H., auch die neu errichteten Röstanstalten gründeten einen Verband deutscher Bastfaserröst- und -aufbereitungsanstalten; vor allem aber gewann der Zusammenschluß des Gesamtgewerbes in dem Verband deutscher Leinenindustrieller festere Form, in dem in seinem neuen Verbandsausschuß seit Dezember 1917 sämtliche Verbände mit einer festen Anzahl Sitze beteiligt waren, die Flachsspinner mit 8, die Juteindustrie mit 4, die Hanfindustrie mit 6 und der Verein deutscher Leinennähzwirnfabrikanten mit 2  Sitzen, der Verband sächsisch-schlesischer Leinenveredelungsanstalten, der Verband deutscher Bastfaserröst- und Aufbereitungsanstalten, der Verband deutscher Flachshändler und der Verband deutscher Leinengarnhändler mit je einem Sitz. Der Verband gründete vor allem auch die Forschungsstelle Sorau 1918 und die industrielle Studiengesellschaft m. b. H. 1918, die die Wege der Rohstoffbeschaffung nach dem Kriege ins Auge fassen sollte. An sonstigen wirtschaftlichen Verbänden, die unter dem Druck des Krieges entstanden, stehen auch im Bastfasergewerbe die Händlervereinigungen an erster Stelle. 1917 entstand der Verband deutscher Leinengarnhändler, der Verband deutscher Leinenzwirngroßhändler und der Verband deutscher Taschentuchgroßhändler und -Hersteller, ebenso der Verband deutscher Sackgroßhändler und ein ebensolcher norddeutscher Sackgroßhändler in Hamburg. Der im gleichen Jahre gegründete Verband der Großhändler bunter Webstoff- und Leinenwaren hat für seine rund 300  Mitglieder vor allem dadurch segensreich wirken können, daß ihm von der Reichsbekleidungsstelle die Verteilung der Scheuertücher übertragen wurde. In diesem Zusammenhang ist die Verschmelzung des Verbandes vogtländischer Weißstickereifabrikanten mit der Vogtländischen Fabrikantenschutzgemeinschaft 1917 zu erwähnen. Gleiche Verhandlungen wurden mit dem Fabrikantenverein der sächsischen Stickerei- und Spitzenindustrie geführt. Die erste Handlung des neuen Verban-

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des war vor allem der Protest gegen weitere Belieferung der Schweiz mit modernen Stickmaschinen. Auch in der Bastfaserindustrie hat das Kartellwesen im Kriege wesentliche Fortschritte zu verzeichnen. Als bedeutendstes Organisationsergebnis des Krieges ist die Konvention der deutschen Leinenwebereien 1916 zu betrachten, der bald drei Viertel der Stühle angehörten; eine lang ersehnte, doch stets für unmöglich gehaltene Regelung war damit zustande gekommen. Außerdem hören wir von einer Konvention der deutschen Leinennähzwirnfabrikanten 1916 (ein ähnliches Kartell schon 1906 genannt) und einem Konditionskartell des Verbandes deutscher Leinenwebereien mit den Verbänden der deutschen Baumwollwebereien, besonders dem Verband der deutschen Bundwebereien und verwandter Betriebe und dem Verband der Genua-Cordwebereien, eine zweifellos aus der gemeinsamen Kriegsnot heraus geborene Gründung. Nicht geglückt ist der Versuch, das 1904 gegründete, 97 % der Betriebe umfassende Jutekartell in ein Syndikat umzuwandeln, Bestrebungen, die in das Jahr 1912 zurückgehen, als das Juteersatzpatent durch das Kartell vom Textilosekonzern angekauft worden war. Durch Zusammenschluß der Opposition im Verein der Jutespinner von 1917 war eine Zeitlang der Bestand des Kartells selbst aufs äußerste gefährdet, der genannte Verein blieb jedoch schließlich im Kartell. Im Hanfgewerbe ist ein neuer Kartellzusammenschluß nicht zu erwähnen, bestand er doch schon vor dem Kriege ähnlich fest wie der der Jutebranche in dem 1910/11 gegründeten Verband deutscher Hanfspinnereien und Bindfadenfabriken, einem Kartell mit fester Absatzbeteiligung, Einund Verkaufspreisen. Kurz vor dem Kriege wandelte sich der Verband infolge eines Streites der Bindfadenfabrikanten mit dem Großhandel in den Verband deutscher Hanfindustrieller G. m. b. H. mit den gleichen Befugnissen der Regelung der Produktions- und Absatzbedingungen und der Festsetzung von gemeinsamen, eventuell abgestuften Verkaufspreisen und Zahlungsbedingungen um; gleichzeitig wurde im engsten Anschluß an den Verband der Verband deutscher Bindfaden- und Seilwarenhändler gegründet. Zustande gekommen ist im Kriege auch ein Kartell zwischen dem 1913 auf neue Grundlagen gestellten Linoleumkartell (feste Umsatzziffern und Auftragsverteilung, als Konvention 1906 gegründet) und der österreichischen Konkurrenz, der Triester Linoleumfabrik, für gewisse Sorten nunmehr Gebietskartell. Auch in dem Bastfasergewerbe ging es nicht ohne scharfe staatliche Eingriffe in die Organisation und Produktion ab, wie wir dies schon bei Wolle und Baumwolle gesehen haben, nur mit dem Unterschied, daß der verhältnismäßig große Rohstoffreichtum alle Bestimmungen über Verarbeitungs- und Verfügungsbeschränkungen wie auch über die Einschränkung der Arbeitszeit erst sehr allmählich notwendig machte, so daß die Erschütterungen in den Betrieben mit Ausnahme der schlechter gestellten Jutebranche nicht so schwere wie in anderen Branchen waren. Doch hat man auch in der Bastfaserindustrie aus allgemein wirtschaftlichen Gründen eine Betriebszusammenlegung durchführen müssen; von den dem Leinenausschuß ange-



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schlossenen 365 Betrieben wurden 152 stillgelegt, nur 183 als Höchstleistungsbetriebe weiter beschäftigt. Ehe wir das Gebiet der Bastfaserstoffe verlassen, ist noch kurz die Wäscheindustrie usw. zu berühren. Auch hier hat der Krieg bedeutende Organisationen hervorgerufen. So ist vor allem 1916 der Verband deutscher Wäschegeschäfte Berlin mit 800  Mitgliedern gegründet worden, aus ihm heraus 1917 eine WarenbeschaffungG. m. b. H. 1918 hatte der Verband deutscher Wäschegeschäfte eine Mitgliederzahl von fast 1100 Firmen; er betreibt u. a. auch eine Strumpfherrichtungsstelle, die außerordentlich stark in Anspruch genommen ist. An Händlervereinigungen ist der Bayrische Verband der Großhändler in Kurz-, Weiß- und Wollwaren München 1916 zu nennen. Im gleichen Jahre entstand auch der Verband der Fabrikanten konfektionierter Weißwaren, Rüschen, Küchentücher und verwandter Artikel, er war zugleich Konvention. Auf dem Gebiete des Kartellwesens ist namentlich die Gründung der Damenwäschefabrikantenkonvention 1915 zu nennen (die Konvention der Herrenwäschefabrikanten war gerade vor Kriegsausbruch zustande gekommen), sie erzielte 1917 durchgreifende Erfolge gegen die vereinigten Abnehmerverbände, den Verband deutscher Textilgeschäfte, den Verband deutscher Waren- und Kaufhäuser und den Verband deutscher Wäschegeschäfte; die Abnehmerverbände nahmen nämlich die Konventionsbedingungen an, obwohl einseitig von der Fabrikantenkonvention festgesetzt, in der Überzeugung, „daß der gegenwärtige Augenblick angesichts der außerordentlichen politischen Situation, der Warenknappheit und des geringen Umsatzes in Damenwäsche zu einer Kraftprobe nicht geeignet sei“. F. Seide. Als letztes Rohstoffgebiet ist die Seidenindustrie einer Betrachtung zu unterziehen. Die Organisationsentwicklung ist durch den Krieg wesentlich nicht gefördert worden, war doch gerade das Seidenstoffgewerbe schon zu Friedenszeiten das in sich geschlossenste. Die Seidenwebereien, die Seidenstoffabrikanten, die Krawattenstoffabrikanten, die Seidenbandindustrie, die Schirmstoffabrikanten und die Großhändler in Samt- und Seidenwaren wie die Hilfsindustrie waren sowohl in starken Interessenverbänden zusammengeschlossen, als auch gut kartelliert. Neue Organisationen sind wie in den anderen Rohstoffgebieten auch im Seidengewerbe von den durch die Rohstoffsperre — wenn auch erst nach dem Eintritt Italiens in den Krieg — in ihrer Existenz bedrohten Händlern gegründet worden: 1916 entsteht die Vereinigung der Rohseidenhändler und Vertreter von Elberfeld-Barmen, 1917 die Rohseidenvereinigung Krefeld und der Verband sächsisch-thüringischer Rohseidenhändler und ein gleicher Berliner Verband, vor allem fand in diesem Jahr aber der Zusammenschluß des gesamten deutschen Rohseidehandels im Verband des deutschen Rohseidenhandels Berlin statt. Außer den Händlern kommen die erst im Kriege zu besonderer Geltung gelangenden Nähseidefabrikanten 1917 zur Organisation; sowohl der Verband der Real-Nähseidelieferanten für Heereszwecke wie der Verband deutscher Schappenähseidefabriken, der deutsche Verband der Nähseidenzwirner, der Verband deutscher Rohseidenzwirner und der Verband deutscher

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 Organisation des Spinnstoffgewerbes

Schappenähseidenspinner sind aus diesem Jahre; die drei letztgenannten Verbände umschließen ihre Branche restlos. Sonst ist auf dem Gebiete des Seidengewerbes erwähnenswert die Auflösung des Kartellvertrags zwischen dem Verband deutscher Samt- und Plüschfabrikanten und den französischen Samtherstellern 1917; der 1906 gegründete internationale Verband der Seidenfärbereien in Frankfurt a. M.-Krefeld, der die deutschen, österreichischen und schweizerischen Interessen umspannt, ist dagegen bestehen geblieben. G. Übersicht . Wenn wir die Wirkungen des Krieges auf die Organisation der Textilindustrie, soweit wir sie bisher kennengelernt haben, übersehen, so finden wir bestätigt, daß sämtliche Interessen sich enger zusammengeschlossen haben. Bei jeder Rohstoffgruppe haben wir vor allem darauf hinweisen können, daß die Organisation des Handels neu aufgebaut und ziemlich restlos durchgeführt wurde. Die Gründe liegen auf der Hand: Durch die Zusammenfassung der Rohstoff- und Auftragserteilung wesentlich in einer Hand, der Heeresverwaltung, war der Handel eigentlich überflüssig, seine Funktion des Ausgleichs von Angebot und Nachfrage auf dem Markte inhaltlos geworden. Wollte der Handel daher seine Existenz noch wahren, so konnte ihm dies nur dadurch gelingen, daß er in seinen Organisationen den Behörden einen für die verschiedensten Aufgaben durch seine Geschäftskenntnis und Sachkunde geeigneten Apparat zur Verfügung zu stellen in der Lage war; wir haben an gelegentlichen Beispielen zeigen können, wie dem Handel dies Ziel zu erreichen in der Tat gelungen ist. Unter den übrigen wirtschaftlichen Vereinigungen ist als besonders deutlich die Kriegswirkungen offenbarend, die Vereinigung der Uniformtuchfabrikanten in der Kriegswollbedarf-A.-G. nochmals hervorzuheben. Auf dem Gebiete des Kartellwesens haben wir an verschiedenen Stellen zeigen können, wie die Umkehrung der Friedensverhältnisse — statt Warenüberfluß und wilder Konkurrenz der Fabrikanten weitgehender Warenmangel und Konkurrenz höchstens der Abnehmer beim Fabrikanten — die Machtstellung der Fabrikanten gegenüber der Abnehmerschaft bedeutend gestärkt und die Bildung langversuchter Kartelle ermöglicht hat, wobei die gemeinsamen Nöte der Kriegszeit und das aufgezwungene gemeinsame Arbeiten in den Fragen der Kriegswirtschaft seinen großen Teil zur Überbrückung noch bestehender Gegensätze beitrug. Es sei nur an das Kartell der Leinenwebereien, der Möbelstoffabrikanten und anderer erinnert. Wir haben auch gesehen, daß die Kartelle durch den Krieg in die Lage versetzt worden sind, ihrem Ziel, das Absatzrisiko auf die Großkundschaft abzuwälzen, bedeutend näher zu kommen; die Lösung des Kartells zwischen der Tuchkonvention und der Interessengemeinschaft der Abnehmerverbände, die restlose Durchsetzung seiner Forderungen durch den Verband deutscher Damenwäschefabrikanten waren dafür Beispiele. Als neuartig und durch die Kriegsverhältnisse allein erst ermöglicht, haben wir darüber hinaus das Tuchsyndikat des Jahres 1917 kennengelernt; daß es einzig in seiner Art der engeren strafferen Zusammenfassung geblieben ist — ihm gleich ist



Organisationsförderung durch Einbeziehung von Behelfs- und Ersatzstoffen 

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vielleicht noch die Organisation der Zanella- und der Linoleumkonvention —, mag uns ein Beweis dafür sein, daß die Textilindustrie im allgemeinen eben nur unter ganz besonderen Verhältnissen befähigt ist, derartig höher organisierte Kartelle zu entwickeln. Die Gründe der Kartellbildung in dem Spinnstoffgewerbe führen ja auch nicht notwendig zu dieser Form; sie können durch Konventionen im engeren Sinne und Preiskartelle im wesentlichen befriedigt werden. Auch in dem bisher betrachteten Gebiete der herkömmlichen Rohstoffe haben wir in der Bastfaserstoffbranche schon zu sehen Gelegenheit gehabt, wie der Rohstoffmangel gemeinsame Interessen mehrerer Rohstoffgruppen an einem Rohstoff, hier dem Flachs, gebildet und soweit gefördert hat, daß gemeinsame Arbeit von den verschiedenen Rohstoffgruppen alsbald in verschiedenen Organisationen einträchtig geleistet wurde; die Befestigung des Zusammenschlusses der Bastfaserstoffbranche in dem Verband deutscher Leinenindustrieller mit seinem neu gebildeten Ausschuß haben wir als Folge dieser verstärkten Gesamtinteressen aufzeigen können.

Organisationsförderung durch Einbeziehung von Behelfs- und Ersatzstoffen A. Kunstspinnstoffe. Wir wenden uns nunmehr der Weiterentwicklung der Organisationen durch das Aufkommen der Behelfs- und Ersatzstoffe zu. Je länger, desto mehr konnten, wie schon eingangs erwähnt, die herkömmlichen Rohstoffe in gewohnter Form die Sicherstellung der Bedarfsdeckung nicht mehr gewährleisten; es lag nahe, die Altstoffe, gebrauchte Kleider, Lumpen usw., wieder zur Neuherstellung heranzuziehen, das Gebiet der Kunstwolle und Kunstbaumwolle der Mischgewebe wurde erschlossen. Eine völlige Neuorganisation war dazu erforderlich. Wie die Natur der Sache ergibt, läßt sich aber bei Altstoffen und Lumpen eine Trennung von Wolle und Baumwollaltstoff und -lumpen nicht von vornherein durchführen: Woll- und Baumwollindustrie waren damit in gemeinsamen Interessen geeinigt. Die Lumpensammlung übernahm der Handel, der sie auch sortierte. 1915 entsteht zu diesem Zweck der Verband deutscher Lumpengroßhändler, dem alle von der K.R.A. mit Sortierarbeiten beauftragten Betriebe angehören; daneben besteht ein Verband deutscher Lumpensortierbetriebe Berlin und ein Verband Berliner Hadernsortierbetriebe Berlin-Wilmersdorf, ebenso ein Verband für Ein- und Ausfuhr von Lumpen. Mit der Übernahme usw. der Wollumpen wurde die Wollbedarf-Aktiengesellschaft befaßt, deren Anlagen in dieser Richtung wir schon oben kennengelernt haben; für Baumwolle und Bastfaserlumpen übernahm diese Tätigkeit die aus Kreisen des Lumpenhandels und der Reißer unter Mitwirkung der Dresdner Bank gegründete Kriegs-Hadern-Aktiengesellschaft, die unter anderem in 22 Betrieben Säcke aus Sacklumpen herstellte. Die Zuteilung an beide Gesellschaften erfolgte durch die Lumpenverwertungsstelle Berlin. Die Heranziehung ausländischen Altstoffes geschah durch

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 Organisation des Spinnstoffgewerbes

die Altstoffeinfuhr-G.  m.  b.  H., deren Gesellschafter außer den beiden genannten Gesellschaften die Hadernzentrale Wien und die ungarische Textilhadern-Importgesellschaft Budapest waren; auch die verbündete Donaumonarchie war selbstverständlich an dieser Einfuhr interessiert und auf diese Weise waren die Interessen am ehesten auszugleichen. Dem amtlichen Aufbau folgte die Industrie in entsprechenden Verbänden, ein Verband westdeutscher Kunstwollfabriken G.  m.  b.  H. und ein Verband deutscher Kunstbaumwollfabriken entsteht. Ersterer schließt unter Beitritt sämtlicher anderen Kunstwollfabriken eine Konvention im Verband deutscher Kunstwollfabriken G. m. b. H., die allerdings nur von 1917—1919 bestanden hat; für letzteren war die nächste Gründung die Hauptstelle der deutschen Kunstbaumwollindustrie und verwandter Zweige Berlin. Vor allem wurde aber 1917 der Deutsche Kunstwollausschuß mit neun angeschlossenen Verbänden und der Deutsche Kunstbaumwollausschuß mit zwölf angeschlossenen Verbänden gegründet. Mit ihrer Kartellierung im Deutschen Kunstspinnstoffausschuß war zum erstenmal eine gemeinsame Organisation des Woll- und Baumwollgewerbes in größerem Umfange zustande gekommen. Dem Kunstwollausschuß gehörten an: der Verband der Fabrikanten von Damenkonfektion und Kostümstoffen, der Verband der Fabrikanten halbwollener und wollener Stoffe, der Verband deutscher Wolldeckenfabriken, die Hauptstelle deutscher Streichgarnspinner, der Verband deutscher Kunstwollfabriken, der Verband deutscher Lumpengroßhändler, der Verband für Ein- und Ausfuhr von Lumpen, der Verein deutscher Wirkereien und der Verband sächsisch-thüringischer Webereien; dem Deutschen Kunstbaumwollausschuß gehören an: der Verband deutscher Kunstbaumwollfabriken, der Verband deutscher Buntwebereien und verwandter Betriebe, der Verband deutscher Lumpengroßhändler, der Verband deutscher Putzwollfabriken, der Verband deutscher Wattefabriken, der Verein deutscher Wirkereien, der Verband für Ein- und Ausfuhr von Lumpen, die Vereinigung sächsischer Vigognespinnereien, die Vereinigung deutscher Verbandwattefabrikanten, die Vereinigung westdeutscher Vigognespinner, der Baumwollbuntweberverband des Handelsbezirks MünchenGladbach und der Scheuertuchverband. Wie wir sehen, sind beide Rohstoffgruppen mit einer großen Zahl der bedeutendsten Organisationen vertreten. 1918 wurde dann noch der Verband deutscher Exportdeckenfabrikanten als Interessenvertretung der Fabrikanten gegründet, die Decken überwiegend aus Kunstspinnstoffen und Textilabfällen für Export und Inlandbedarf herstellen. Durch die Einbeziehung auch des Lumpenhandels in die Kriegswirtschaft im engeren Sinn wurde die Gründung einiger weiterer Verbände veranlaßt, so des Verbandes der Putzlappenhersteller 1916 und des Maschinenputztuch- (Weber-) Verbandes 1917, der die bevorzugte Stellung der waschbaren Maschinenputztücher gegenüber dem Putzlappen zu erhalten sich zur Aufgabe setzte. Sein Ziel hat er insofern erreicht, als auch bei der Betriebszusammenlegung diese Spezialindustrie in vier Höchstleistungsbetrieben erhalten blieb, die Anteilszuweisung dem genannten Verband übertragen wurde. Auch der Verband deutscher Putzwollfabrikanten 1916, dem ebenfalls die Verteilung von Rohstoffen und Staats-



Organisationsförderung durch Einbeziehung von Behelfs- und Ersatzstoffen 

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aufträgen an seine Mitglieder als Aufgabe zugewiesen wurde, und der Scheuertuch(Spinn-, Weber-) Verband 1916 sind hier zu nennen; ersterer Verband verdient vor allem ein höheres Interesse, weil ein 1910 zu Submissionszwecken von 34 Firmen der Branche gegründetes Putzwollsyndikat lebhaftesten Protest von seiten der Außenseiter hervorgerufen hatte. Anzuführen wären hier endlich der Fachverband der deutschen Filzfabriken Charlottenburg, der Konventionsausschuß der deutschen Kratzenfabriken Aachen (Kriegsgründung?), die Vereinigung deutscher Bastfaserabfallinteressenten Charlottenburg 1917 und der vier Verbände umfassende deutsche Wirtschaftsausschuß der Industrie und des Handels von Tierkörperhaaren Charlottenburg 1918, die ja auch als Behelfsstoffe in den Rahmen der Kriegswirtschaft eingezogen worden waren. B. Papier. Hat die Einbeziehung von Kunstwolle und Kunstbaumwolle gemeinsame Interessen des Woll- und Baumwollgewerbes mit sichtbarem äußeren Erfolg in der Gründung des deutschen Kunstspinnstoffausschusses gebracht, so gingen die Wirkungen der Einbeziehung des Papiers in die Reihe der Spinnstoffe viel weiter. Schon die gemeinsamen Interessen der verschiedenen Rohstoffgruppen an diesem neuen Rohstoff waren infolge der Loslösung von aller Überlieferung viel größere und mit der Aufnahme der Papierspinnerei und Weberei traten die betreffenden Betriebe in gewissem Sinn überhaupt aus dem Rahmen ihrer Branche heraus, eine neue geschlossene Branche mit dem Papierstoff als gemeinsame Grundlage entstand. Da die Kontingentierung der Fabrikate aus Spinnpapier nicht in dem Maße durchgeführt wurde wie bei den übrigen Spinnstoffen, ist der staatliche Verwaltungsapparat nicht groß und eigentlich nur der Kriegsausschuß der Ersatzstoffe zur Beratung des Kriegsministeriums und zur Mitwirkung bei der Verteilung von Rohstoffen- und Spinnpapieraufträgen an die Industrie zu nennen. Schon hier tritt uns das umfassende des Interessenkreises entgegen: Neben neun Vertretern der Spezialpapierspinnerei, die schon vor dem Kriege im geringen Umfange in Deutschland vorhanden war, sind die Woll-, Baumwoll-, Leinen- usw. Spinnereien durch 16 Stimmen vertreten. Auch die der K.R.A. unterstellte Spinnstoffeinfuhr-G. m. b. H. umschließt alle Zweige der Spinnereiindustrie; ihre Tätigkeit zielt vor allem auf die Einfuhr von Spinnpapier aus den nordischen Ländern. Außerordentlich stark ist den Kriegsverhältnissen entsprechend die Organisationsbildung der Papierspinnstoffindustrie gewesen. Da die Betriebe wirtschaftlichen Interessenverbänden meist schon angehörten, traten die Konventionsgründungen von Anfang an in den Vordergrund, umsomehr, als die Papiergewebe meist freigegeben waren und daher eine ungemein große Nachfrage nach ihnen bestand. Der erste bekannte Verband ist die Vereinigung sächsischer Papiergarnspinner von 1916 mit 30 Mitgliedern. Im gleichen Jahre wird der Verband deutscher Papierwebereien gegründet, der 1917 mit 300 Mitgliedern seine Tätigkeit aufnimmt. Zuerst hatte er wesentlich technisch-wissenschaftliche Interessen sich zum Ziel gesetzt, doch suchte er schon bald Einfluß auf alle Lohn- und Zahlungsfragen bei den Mitgliedern

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 Organisation des Spinnstoffgewerbes

zu gewinnen; noch 1917 gelingt ihm der Zusammenschluß der Mitglieder in einer Konvention; 1919 war deren Zahl auf 600 gestiegen. Ein anderer Zusammenschluß von Bedeutung in der Papiergarnweberei war die Vereinigung bergisch-märkischer Papiergarnbandwebereien, die zur besseren Ausnutzung der ihr angeschlossenen Betriebe auch eine evtl. Stillegung eines Teils derselben ins Auge faßte. Die Verteilung der Heeresaufträge sowie die Beschaffung und Verteilung der Textilersatzstoffe unter seine Mitglieder fiel in den Rahmen seiner bestimmungsgemäßen Aufgaben. Der Konventionsschluß in der Papiergarnweberei rief auch die Spinner auf den Plan. Namentlich der Verein deutscher Papiergarnspinner Düsseldorf nahm sich im bewußten Gegensatz zu den Webereien der Förderung einheitlicher Zahlungs- und Lieferungsbedingungen unter den Spinnerverbänden an; auch Exklusivverträge mit den Papierspinnfabrikanten wurden erwogen. An weiteren Gründungen in der Spinnerei finden wir 1917 den Zusammenschluß von 40 niederrheinisch-westfälischen Webstoffbetrieben zur Gesellschaft für Papiergarn und -gewebe, die Absonderung einer Gruppe der Papiergarnspinner im Verein deutscher Wollkämmer und Kammgarnspinner, die allerdings nur wirtschaftliche Interessenvertretung ist, und vor allem die Gründung der Genossenschaft deutscher Papiergarnindustrieller G.m.b.H. in Berlin zum Einkauf von Rohmaterial und Verkauf von Fertigfabrikaten. Endlich haben wir noch der Einkaufsgesellschaft deutscher Textilindustrieller G.m.b.H. Berlin-Charlottenburg 1918 Erwähnung zu tun, in der sich eine Anzahl größerer Webereien der Woll-, Baumwoll-, Leinen und Juteindustrie zur Vermittlung von Käufen in Papier, Papiergarn usw. zusammengetan hat. Der Zusammenschluß der Weber und Spinner untereinander war umso notwendiger, als auch die Spinnpapierfabriken sich 1917 in einem festen Syndikat zusammengetan hatten, dessen Erzeugung schon anfänglich 300  Waggons monatlich betrug. Wenn auch an dieser Stelle auf die Spinnpapierindustrie als solche nicht näher eingegangen werden soll, so muß doch das Anwachsen des Hartmann-Textilunionkonzerns im Kriege deshalb erwähnt werden, weil sich ihm auch der Verein rheinischwestfälischer Baumwollspinner mit über 30 Papiergarnspinnern angeschlossen hat. Der Konzern umfaßte seit 1918 außer der Firma Wilhelm Hartmann u. Co. Berlin und der Königsberger Zellulosefabrik A.-G., die 1918 in eine Aktiengesellschaft umgewandelte gräflich Henkel von Donnersmarksche Zellulosefabrik Krapitz A.-G., die Papierfabrik Oker und die Papierfabrik Hugohütte; die Erzeugung von Spezialspinnpapier hatte sich der Konzern im Kriege mit zur Hauptaufgabe gesetzt. Übrigens sind auch, wenn auch erst in Nachkriegszeiten in der Papierspinnerei wesentliche ähnliche Zusammenschlüsse erfolgt, indem die deutsche Papiergarn-G. m. b. H. sich mit der Textilit-G.  m.  b.  H., Hamburg verschmolz und eine Interessengemeinschaft mit der Continent Boa Cy. einging. Wie wir sehen, hat sich die ganze Spinnstoffindustrie auf die Verwendung des Papiers eingestellt, eine Interessenverflechtung ohne Vorgang ist dadurch eingetreten.

Ausblick 

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Zusammenschluß des Gesamtgewerbes Nur in geringem Maße hat der Krieg Zusammenfassungen aller Zweige der Industrie zu eigentlichen Vertretungen hervorgerufen. Nach wie vor hielt die Aussicht auf Wiedereintreten der Bewegungsfreiheit jeden einzelnen Fabrikanten von engerem Zusammenschluß mit seinen Konkurrenten von morgen zurück. Die einzigen Gesamtverbände, die entstanden, sind der Landesverband der badischen Textilindustrie Emmendingen und der Landesverband der hessischen Textilindustrie Gießen mit 100 bzw. 36 Mitgliedern, also Vereinigungen von mehr untergeordneter Bedeutung. Wesentliches ist nur in der Veredelungsindustrie und dem Detailhandel geschehen. In der Veredelungsindustrie wird 1916 von 30 Fachverbänden der Wirtschaftsausschuß der deutschen Textilveredelungsindustrie gegründet, um eine zentrale Vertretung der gemeinsamen Interessen zu schaffen. Der Detailhandel gründet 1917 die Wareneinkaufsstelle des Verbandes deutscher Textilgeschäfte, mit ihr erreichte er auch ein lang ersehntes Ziel, die Gleichstellung mit dem Großhandel, insofern als diese Wareneinkaufsstelle sich als Verteilungsstelle für den gesamten Kleinhandel mit Textilien, soweit behördlich bewirtschaftete Waren in Frage kommen, Anerkennung verschaffte. Im übrigen fand der Detailhandel in Fortentwicklung des Hamburger Verbandes seinen Zusammenschluß im Reichsbund deutscher Textildetaillistenverbände (1919: 94 angeschlossene Vereinigungen mit 30 000 Firmen als Mitglieder), der 1918 mit einem Vorschlag zu Einheitskonditionen für den gesamten Textilhandel an die verschiedenen Konventionen herantrat und dadurch schon vor dem Kriege versuchte Bestrebungen wieder aufnahm. Für Nachkriegszeiten wird der Verband in seinem heutigen Umfang zweifellos große Bedeutung gewinnen.

Ausblick Zum Schlusse wäre es angebracht, über die Zukunft der Organisation des Textilgewerbes einige Worte zu sagen; doch ist dies heute noch unmöglich. Eines ist sicher: gewinnt Deutschland wieder Freiheit, sich in der Welt zu regen und Rohstoffe nach Belieben einzuführen, wächst auch der Wohlstand der Bevölkerung derart, daß nicht Sparen die erste und einzige Richtlinie alles wirtschaftlichen Tuns wird oder bleibt, so werden die Verhältnisse der Industrie zweifellos wieder mehr denjenigen der Vorkriegszeit sich angleichen und infolgedessen wohl eine große Zahl der heutigen Organisationen gesprengt werden. Auch die Verwendung der Behelfs- und Ersatzstoffe wird mit Wiedereintritt normaler Verhältnisse zurückgehen und damit werden viele gemeinsame Berührungspunkte der verschiedenen Rohstoffgruppen, wie sie die Kriegsnöte geschaffen haben, verschwinden. Andrerseits hat aber wohl auch der Krieg soweit eine Schulung des Gewerbes mit sich gebracht, daß gemeinsamen Interessen mehr als früher Gehör geschenkt wird, der Erkenntnis des Nutzens einheitlichen Handelns viele auch weiterhin sich nicht verschließen werden.

Kapitel V

Stillegung und Zusammenlegung der Betriebe1 Die Versuche, von der anfänglich gleichmäßigen Beschäftigung aller Betriebe später zur Weiterbeschäftigung nur einer Auswahl hochwertiger und unentbehrlicher Betriebe überzugehen, haben auch in der Spinnstoffbewirtschaftung eine große Rolle gespielt und sind bemerkenswert durch den Widerstand, den sie von den verschiedensten Seiten fanden, und durch die technisch-organisatorischen Schwierigkeiten, die sich ihnen entgegenstellten. Die Verhältnisse in der Wollindustrie sollen als Beispiel für die Spinnstoffindustrie dienen.

Bei dem anfänglich vom Erwerbsleben allgemein, aber auch von vielen Heeres- und bürgerlichen Amtsstellen geteilten Glauben an eine kurze Dauer des Krieges wurde nächst der Deckung des Heeresbedarfs die gleichmäßige Beschäftigung aller Betriebe zur großen Richtlinie der Kriegswirtschaft. Man glaubte, möglichst jedes Werk arbeitsfähig erhalten zu sollen, um nach Kriegsende für die erwartete gute Marktlage gerüstet zu sein. Die Unternehmer suchten aus diesen Anschauungen heraus ihre gelernten Arbeitskräfte weitgehend festzuhalten. Bei der stark abnehmenden Beschäftigung infolge Rohstoffmangels entstand bei diesem Streben in vielen Gewerbegruppen, vor allem aber im Spinnstoffgewerbe, ein ungesundes Verhältnis zwischen Arbeiterzahl und Herstellungsmenge. Als sich die Hoffnungen auf eine beschränkte Kriegsdauer nicht verwirklichten, ließ sich diese Verschwendung von Arbeitskräften gegenüber dem Menschenbedarf des Heeres und der Rüstungsindustrie nicht länger aufrechterhalten. Das Hilfsdienstgesetz wurde erlassen. Eine Folge dieses Gesetzes war auch die Errichtung eines „Ständigen Ausschusses für die Zusammenlegung von Betrieben“, abgekürzt „S.A.Z. oder Saz“ genannt. Man sah die Gefahr, daß die Einziehungen zum Heer und zur Rüstungsindustrie zu regellosen Stillegungen führen mußten, welche für das ganze Wirtschaftsleben und letzten Endes auch für die Bedarfsdeckung des Heeres verhängnisvolle Folgen zeitigen konnten; daher plante man organisatorische Zusammenlegungen innerhalb der einzelnen Gewerbegruppen. Diese vorzubereiten und durchführungsreif zu machen, sollte Aufgabe des Saz sein. Nach seiner Zusammensetzung handelte es sich beim Saz um eine zwischenamtliche Stelle, in die eine Reihe der wichtigsten Zentralämter und einige Selbstverwaltungskörper von Handel und Gewerbe (z. B. der deutsche Industrie- und Handelstag) ihre Vertreter entsandten. Im Hilfsdienstgesetz kamen die Worte „Stillegungen und Zusammenlegungen, sowie Entschädigungsansprüche“ nicht vor. Es fehlte daher die klare gesetzliche 1 Der Inhalt dieses Kapitels ist im wesentlichen ein Teil eines ausführlichen Berichtes über die gesamte Tätigkeit des „Ständigen Ausschusses für die Zusammenlegung von Betrieben“, den ich im Dezember 1917 als Mitglied des Ausschusses nach seiner Auflösung an den Chef des Kriegsamts erstattete. Inzwischen ist Mitte 1919 eine Schrift „Die Zusammenlegung in der deutschen Tuchindustrie“ von Dr. Claren herausgekommen, auf die ich zum Zweck weiteren Studiums dieser Fragen verweise. Dr. Goebel.



Stillegung und Zusammenlegung der Betriebe 

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Grundlage zur Durchführung der angestrebten Aufgabe. Man suchte die Stillegungen und Zusammenlegungen, einschließlich der an die stillgelegten Betriebe zu gewährenden Entschädigungen, als freiwillige Maßnahmen der betreffenden Gewerbegruppen erscheinen zu lassen. In Wahrheit war das eine Fiktion. Im Zeitalter rücksichtslosen Wettbewerbs betrachteten die einzelnen Werke die Frage der Stilllegung als eine Frage von Tod und Leben. Noch so hohe Entschädigungen schienen ihnen kein Ausgleich für die Gefahr des Verlustes der Kundschaft, des Abwanderns der Arbeiter und des Stillegens auch in einer unabsehbaren Übergangszeit nach dem Kriege. Es mußte stets ein starker Druck ausgeübt oder angedroht werden, der in der Verweigerung von Rohstoffzuweisungen und Auftragserteilungen, später von Verkehrsmitteln und Kohlen bestand. Man suchte sich mit den führenden Spitzenverbänden der betreffenden Gewerbegruppen in Verbindung zu setzen, ihnen die Notwendigkeit der Durchführung klarzumachen und sie zu veranlassen, die Auswahl der stillzulegenden Betriebe ihrerseits zu treffen. Die verschiedensten Selbstverwaltungsorganisationen der Industrie beanspruchten als die maßgebenden Interessenvertretungen für diese Durchführung herangezogen zu werden, um die Betriebe für die Stillegungen, soweit sie unvermeidlich waren, auszusuchen, im wesentlichen aber, um die Stillegungsaktion möglichst abzuschwächen. Es kam nach dieser Richtung zu einem Gegensatz zwischen dem Anspruch des halbamtlichen deutschen Industrie- und Handelstages, welcher als die alleinige Gesamtvertretung des deutschen Handels und der deutschen Industrie anerkannt zu werden beanspruchte, und der Zusammenfassung, die die meisten Gewerbe in ihren Fachorganisationen und deren Spitzenverbänden besaßen. Die Leitung der Kriegswirtschaft entschied sich im wesentlichen für ein Arbeiten mit den Fachverbänden; diese hatten sich unter die Führung des „Kriegsausschusses der deutschen Industrie“, der von den beiden maßgebenden Industrieverbänden, dem „Zentralverband deutscher Industrieller“ und dem „Bund der Industriellen“ errichtet worden war, gestellt. Im weiteren Verlauf der Entwicklung wurden auch Arbeitnehmervertreter zu den Verhandlungen zugezogen. Wo bei nicht wesentlich von öffentlichen Aufträgen abhängigen Gewerbegruppen der mittelbare Druck versagte, stand bei dem Fehlen einer allgemeinen Handhabe im Hilfsdienstgesetz nur die Einzelgesetzgebung zur Verfügung; sie wurde beispielsweise vom Reichsamt des Innern zur Regelung der Leder- und Seifenindustrie herangezogen. Im großen und ganzen versuchte man aber, wie gesagt, die Zusammenlegungen und Stillegungen durch Anwendung der den verschiedensten Amtsstellen zugänglichen mittelbaren Maßnahmen als freiwillige durchzudrücken. Dabei kam es naturgemäß zu zahlreichen Kompromissen und aus diesen heraus wieder zu zahlreichen Möglichkeiten der Umgehung, wodurch die Erreichung des Ziels sehr beeinträchtigt wurde. Zu diesen Schwierigkeiten kam hinzu, daß die grundlegende Zielsetzung der Zusammenlegungen sich mehrfach verschob. Ausgangspunkt war die Menschenersparnis gewesen; zugleich hatte man bei ihrer Durchführung dahin

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 Stillegung und Zusammenlegung der Betriebe

gestrebt, den höchsten Nutzungsgrad der Betriebe zu erreichen2. Von Mitte 1917 aber traten Verkehrs- und Kohlennot entscheidend in den Vordergrund. Zusammenlegungen und Stillegungen mit Rücksicht auf die Kohlenlage aber mußten notwendig ein ganz anderes Gesicht erhalten, als unter dem Gesichtspunkte der Menschenersparnis oder des Verkehrs. Das Ideal wäre gewesen, solche Richtlinien zu finden, bei denen das Ergebnis rein mechanisch ohne die Notwendigkeit verschiedener Annahmen und Auffassungen errechnet werden konnte. Das war nicht zu erreichen. Schon die betriebstechnischen Erfahrungen genügten dazu in keiner Weise. Schwankten die Richtlinien schon wegen der Verschiebung in den im Augenblick im Vordergrund stehenden Zielen, so konnten sie auch nicht freigehalten werden von Rücksichten sozialer Art auf Arbeiter und Unternehmer, von Bestrebungen mittelstandsfreundlicher Art, von Bedenken gegen die alleinige Erhaltung der Riesenbetriebe, von bundesstaatlichen und sonstigen örtlichen Wünschen. Persönlichen Auffassungen war nach allen diesen Richtungen ein weiter Spielraum gelassen. Praktisch schwierig war auch, daß die Beherrscherin der Rohstoffe, die K.R.A., vom Gesichtspunkt der besseren Ausnutzung der Roh- und Betriebsstoffe und der schärferen Übersicht über die Beschaffungen schon mittels der Zuweisungen von Rohstoffen und Aufträgen auf Stillegungen und Zusammenlegungen hinzielende Maßnahmen vorbereitet hatte. Diesen weitgehenden Vorarbeiten gegenüber bedeutete es eine erhebliche Erschwerung, zum mindesten einen Zeitverlust, daß die Notmaßnahmen des Hilfsdienstgesetzes und vor allem später die des Kohlenkommissars sich auf neuen Grundlagen aufbauten. Auf diesen neuen Grundlagen sollten sich die Entscheidungen vielfach so schnell abspielen, daß zu den sorgfältigen Prüfungen, wie sie wirtschafts-organisatorische Zusammenlegungen voraussetzten, kein rechter Raum blieb. Dazu kam, daß das plötzliche Auftauchen einer vorgesetzten Stelle (wie es das neuerrichtete Kriegsamt für die K.R.A. war), und zwar einer solchen, welche unter anderen Gesichtspunkten die Führung an sich nahm, die Einheitlichkeit des Vorgehens stören mußte. Noch mehr machte sich die mangelnde Geschlossenheit der militärischen Amtsstellen gegenüber dem Reichsamt des Innern (bzw. Reichswirtschaftsministerium) geltend, welches bei den nicht zur Rüstungsindustrie im engeren Sinne gehörigen Gruppen die Führung beanspruchte und mit den Zusammenlegungen und Stillegungen, wie sie im unmittelbar kriegswirtschaftlichen Interesse nötig waren, Versuche staatssozialistischer Zwangssyndizierung verband. Auch die Bundesstaaten verlangten immer nachdrücklicher ein

2 Man dachte dabei nicht nur an die augenblicklichen Verhältnisse der Kriegswirtschaft, sondern man strebte an, diejenigen Werke zu erhalten, deren natürliche Standorte nicht nur den Kriegsbedingungen, sondern auch den voraussichtlich kommenden Wirtschaftsbedingungen des Friedens am besten entsprachen, und die nach ihren technischen Einrichtungen und nach ihrem wirtschaftlichen Stand geeignet erschienen, dauernd mit dem geringsten Aufwand an Herstellungsstoffen, Betriebsmitteln und Menschen die größtmöglichen Werte zu erzeugen, sei es nach der Richtung der Menge oder der Güte, sei es nach der eines besonders dringlichen Bedarfes.



Stillegung und Zusammenlegung der Betriebe 

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Mitbestimmungsrecht. Die meisten gingen rücksichtslos auf die Wahrung ihrer engen örtlichen Interessen, d. h. auf eine möglichst umfangreiche Erhaltung ihrer eigenen Industrie, aus. Jeder Bundesstaat verlangte, daß in seinem Bereich ein Stamm von jeder vorhandenen Betriebsart erhalten bliebe, womit allein schon das theoretisch mögliche Bild planmäßiger Zusammenlegungen fast zur Wirkungslosigkeit verwässert werden mußte. Der Reichstag endlich konnte sich nicht nur nicht entschließen, das erforderliche klare Stillegungsrecht zu geben, sondern es suchten vor allem auch zahlreiche einzelne Abgeordnete, die allgemeinen Notwendigkeiten den örtlichen Interessen ihres Wahlkreises nachzuordnen. Sehr schwierig waren auch viele Seiten der technischen Durchführung der Stillegungen. Vor allem ergaben sich aus unvorhergesehenen und verschiedenartigen Rückständen in den Auftragsüberschreibungen, in der Rohstoffzuweisung und in der Ablieferung der bestellten Erzeugnisse infolge Verkehrs- und Kohlennot große Ungleichmäßigkeiten. Ganze zur Stillegung bestimmte Gruppen von Werken waren auch vom Heeresstandpunkt aus tatsächlich oft noch monatelang unentbehrlich und mußten nicht nur neue Rohstoff- und Kohlezuweisungen, sondern mehrfach auch noch neue Aufträge erhalten. So mußte der ganze Plan ein Bruchstück bleiben. Darüber hinaus aber erlebten nicht einmal die aus all den angedeuteten Kompromissen hervorgehenden, vom Standpunkt der ursprünglichen Ziele unvollkommenen Maßnahmen ihre volle Durchführung. Selbst da, wo die Heeresverwaltung theoretisch über alle Arbeitskräfte, Rohstoffe und Aufträge verfügte, gelang es doch vielen zur Stillegung bestimmten Werken, immer wieder von einer der zahlreichen am Stillegungsverfahren nicht beteiligten Heeresbeschaffungsstellen einen Auftrag zu erhalten, um sich damit gegen die Stillegung zu schützen. Dazu kam die Möglichkeit, sich hilfsdienstfreie weibliche und ausländische Arbeiter zu verschaffen, auf die Verarbeitung von noch freien, tatsächlich oder angeblich aus dem Ausland eingeführten Rohstoffen und von Ersatzstoffen überzugehen. Es fehlte auch nicht an örtlichen Amtsstellen, selbst militärischen, die sich schützend vor die zur Stillegung bestimmten Betriebe stellten. Selbst einzelne Kriegsamtsstellen glaubten, die Kriegswichtigkeit eines bestimmten Betriebes sei in den Beschlüssen von obenher nicht genügend erkannt, und knüpften ihrerseits erneute Verhandlungen an. Noch eins ist charakteristisch: Stillegungen gegen weitgehende Entschädigungen waren wenigstens in gewissem Umfang durchzusetzen, dagegen mußte die anfänglich gehegte Erwartung, als würden die Unternehmer von der Möglichkeit gemeinsamer Zusammenlegungen, d. h. Weiterbetrieb eines günstig gelegenen Werkes auf gemeinsame Rechnung mehrerer Firmen Gebrauch machen, gänzlich aufgegeben werden. Dazu war die Geheimniskrämerei in Betrieb und Absatz noch viel zu stark, und der Sinn für Zusammenarbeit noch zu wenig entwickelt. Aus einem Gesamtprogramm waren Einzelmaßnahmen, aus organisatorischen Zusammenlegungen einzelne Stillegungen geworden. Am 25.  August und 13.  September 1917 wurde, nachdem inzwischen eine Änderung in der Person des Leiters

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 Stillegung und Zusammenlegung der Betriebe

des Kriegsamts vollzogen war, die Abtretung der noch ausstehenden Zusammenlegungen und Stillegungen an das Reichswirtschaftsamt beschlossen, und der Saz am 3. November 1917 aufgelöst. Trotz allem ist es aber doch außerordentlich lehrreich, sich kurz die Gesichtspunkte und Schwierigkeiten vor Augen zu führen, die bei den Stillegungen, auch in der unvollkommenen Durchführung, in Frage kamen.

Die Stillegungen im Wollgewerbe Unter der Wollindustrie, die ich als Beispiel wähle, verstehe ich die Wollindustrie im Umfang der Kammgarn- und Streichgarnspinnerei, der Weberei, der Decken- und Woilachfabrikation, der Strickerei und der Wirkerei. Als die Durchführung des Hilfsdienstgesetzes die Frage der Herausziehung von Arbeitskräften auch aus dem Spinnstoffgewerbe aufrollte, war der Beschäftigungsgrad in der Wollindustrie gegenüber dem Friedensstand so erheblich zurückgegangen, daß sich die Zusammenlegung in wichtigen Gruppen ohne weiteres als notwendig zu ergeben schien. Die Verkehrsnot machte es sowieso unmöglich, die unendlich vielgestaltigen Bezugs- und Absatzverhältnisse, wie sie sich im Frieden zwischen den zahlreichen Wäschereien Kämmereien, Spinnereien und Webereien unter übergroßer Belastung des Verkehrswesens herausgebildet hatten, aufrechtzuerhalten. Endlich erschienen auch erhebliche Kohlenersparnisse möglich. Schon am 4. Dezember 1916, einen Tag vor der Veröffentlichung des Hilfsdienstgesetzes, fand die erste Besprechung beim Kriegsausschuß der deutschen Industrie als dem für die Vorberatungen bestimmten Spitzenverband statt. Es wurden in dieser Sitzung die Liefererverbände des Bekleidungs-Beschaffungs-Amtes (der Kriegs-Garnund Tuchverband, der Kriegs-Decken-Verband, der Kriegs-Woilach-Verband und der Kriegs-Wirk- und Strickverband), sowie der Verein deutscher Wollkämmer und Kammgarnspinner und die Vereinigung des Wollhandels zur Vornahme der Vorarbeiten für die Zusammenlegung der Betriebe in Vorschlag gebracht. In einer zweiten Sitzung, am 6.  Dezember 1916, trug Major Wolffhügel als Vertreter der K.R.A. die Richtlinien vor, nach denen ganz allgemein die Zusammenlegungsarbeiten vorgenommen werden sollten. Die besonderen Richtlinien und Berechnungen für die einzelnen Zweige der Wollindustrie waren seitens des Kriegsreferenten Schönbach, des Leiters der Wollsektion der K.R.A., ausgearbeitet worden. Am 16.  Dezember 1916 beschloß der Kriegsausschuß die Notwendigkeit der Richtlinien den beteiligten Industriegruppen gegenüber zu betonen und Vorschläge derselben zu veranlassen. Es sei gleich erwähnt, daß die daraufhin einlaufenden Vorschläge zunächst wenig mehr als einseitige Stellungnahmen der einzelnen Gruppen waren, die die Richtlinien in dem ihnen günstigen Sinne auszulegen suchten. Die Richtlinien strebten an: a) Ersparnis von Transportmitteln, b) Ersparnis von Materialien, c) Freimachung von Arbeitskräften.



Die Stillegungen im Wollgewerbe 

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Aufgestellte Leitsätze besagten: Die zu erhaltenden Kammgarnspinnereien müssen Färberei und Zwirnerei besitzen, die weiterarbeitenden Streichgarnspinnereien in der Nähe der Kammgarnspinnereien liegen. Ebenso müssen die Webereien bzw. Tuchfabriken in der Nähe der Kammgarnspinnereien liegen und Ausrüsterei besitzen. Soweit eine Kammgarnspinnerei oder Streichgarnspinnerei Papiergarne anfertigt, soll sie nur dann stillgelegt werden, wenn der entstehende Ausfall an Papiergarnherstellung ausgeglichen werden kann. Tuchfabriken mit Reißerei sollen nach Möglichkeit in Betrieb bleiben. Etwa durch Stillegung von Tuchfabriken zum Stillstand kommende Reißwölfe sind an benachbarte Betriebe abzugeben oder zu Lohnreißereien zu vereinigen. Diejenigen Werke, die den genannten Bedingungen entsprechen, sollen weiter beschäftigt werden, soweit sie: a) die größte Anzahl Herstellungsstufen in einem Betrieb vereinigen; b) bezüglich der Verkehrswege günstig gelegen sind; c) Wasserkraft oder Anschluß an eine Überlandzentrale besitzen. Um die notwendige Zahl der zu erhaltenden Betriebe zu errechnen, wurden die voraussichtlichen monatlichen Anforderungen in den wichtigsten Bedarfsgegenständen ermittelt und ihnen die Leistungsfähigkeit der Betriebe gegenübergestellt. Es ergaben sich für die einzelnen Gruppen sehr verschiedene Zahlen:3 Monatliche Leistungs- Beschäftigungsgrad für fähigkeit Heeresbedarf einschl. Marine3 Reißerei……………………..........…… Kammgarnspinnerei…….....……… Streichgarnspinnerei………....…… Strickgarnspinnerei…………...…… Weberei und Tuchfabrikation….… Decken- und Woilach-Weberei….. Sockenfabrikation…………….....… Westenfabrikation………….....…… Handschuhfabrikation………..……

5 000 000 kg 5 000 000 5 210 000 „ 650 760 10 456 686 „ 7 910 458 1 531 250 „ 500 000 16 000 000 „ 2 244 000 „ 4 786 560 „ 2 508 000 5 749 562 Paar 5 840 000 847 392 Stück 690 640 1 037 400 Paar 1 613 330

kg „ „ „ „ „ Paar Stück Paar

in %

100 12,5 76 32,6 14,2 52,3 101,5 81,5 155

Aus dieser Aufstellung geht hervor, daß bei einem Teil der Betriebszweige der Abstand zwischen Leistungsfähigkeit und tatsächlicher Beschäftigung so groß geworden war, daß eine Zusammenlegung in Frage kam. Vor allem war es die Herstellung von Militärtuchen, für die sich folgende Verhältnisse ergaben:

3 Die stellenweise noch bedeutende Beschäftigung für bürgerlichen Bedarf konnte nicht erfaßt werden, da sie sich jeder zuverlässigen Schätzung entzog.

124 

 Stillegung und Zusammenlegung der Betriebe

Monatliche Leistungsfähigkeit 1. Kammgarnspinnerei 2. Streichgarnspinnerei 3. Weberei und Tuchfabrik

5 210 000 kg 6 750 000 „4 16 000 000 m

Beschäftigungsgrad für Heeresbedarf einschl. Marine

in %

650 760 1 593 240 2 244 000

12,5 23,6 14,2

kg „4 m

4

Man stellte folgende Rechnungen an: 1 Kammgarnspinnerei 2  213  351 Spindeln erzeugten in einem Monat 5  210  000  kg Garn  = 2,35  kg für eine Spindel. Zur Ausführung von 650 760 kg monatlicher Arbeitsleistung würden sonach benötigt: 276 919 Spindeln. Bei einer 65 %igen Ausnutzungsmöglichkeit der Betriebe, die angenommen wurde, kamen hinzu 138 459 Spindeln, so daß 415 378 Spindeln in Betrieb zu halten waren. Zur Sicherstellung dieser Spindelzahl wurden folgende acht geeignete Betriebe, weil zugleich Färberei, Spinnerei und Zwirnerei besitzend, als von der Stillegung auszunehmen, vorgeschlagen: Kammgarnspinnerei Stöhr & Co., A.-G., Leipzig-Plagwitz, Sächsische Wollgarnfabrik A.-G. vorm. Tittel & Krüger, Leipzig-Plagwitz, Kammgarnspinnerei Meerane i. Sa., Kammgarnwerke A. G. Eupen i. Rhld., Kammgarnspinnerei Joh. Wülfing & Sohn, Lennep i. Rhld., Kammgarnspinnerei Joh. Wilh. Scheidt, Kettwig a. d. Ruhr, Schachemayr, Mann & Co., Salach, Post Süssen i. Württ., Kammgarnspinnerei Kaiserslautern, Kaiserslautern. 2 Streichgarnspinnerei 1  350  000 Spindeln erzeugten in einem Monat 6  750  000  kg Streichgarn  = 5  kg für eine Spindel. Zur Ausführung von 1 593 240 kg monatlicher Arbeitsleistung wurden sonach benötigt: 318 648 Spindeln. Bei einer 65 %igen Ausnutzungsmöglichkeit der Betriebe, die angenommen wurde, kamen hinzu 159  324  Spindeln, so daß 478  072 erforderlich wurden. Dem Gewicht nach betrug damals das in den Kammgarnspinnereien hergestellte Kammgarn 29 % des im Tuch zur Verwendung kommenden Zwirngarnes. Die restlichen 71 % waren Streichgarn.

4 Der Unterschied dieser Zahlen gegenüber denen in der vorigen Aufstellung erklärt sich daraus, daß die übrigen Streichgarnmengen nicht zur Tuchfabrikation, sondern zur Deckenfabrikation, für Strickereien usw. Verwendung fanden, also für die Tuchherstellung nicht in Berücksichtigung zu ziehen waren.



Die Stillegungen im Wollgewerbe 

 125

3 Weberei und Tuchfabrikation 32 000 Webstühle erzeugten in einem Monat 16 000 000 m Tuch = 500 m für einen Stuhl. Zur Ausführung von 2 244 000 m monatlicher Arbeitsleistung wurden sonach benötigt: 6220  Stühle. Bei einer 65  %igen Ausnutzungsmöglichkeit der Betriebe, die angenommen wurde, kamen hinzu 3110 Stühle, so daß 9330 Stühle erforderlich wurden. Für jede der bestehenbleibenden Kammgarnspinnereien wurden einige benachbarte Orte ausgesucht, in denen bestimmte Mengen Streichgarns gesponnen werden sollten, z. B. wählte man als Unterlieferer für Stöhr & Co. in Leipzig Firmen in Forst, Luckenwalde, Neudamm und Spremberg aus. Das Ergebnis dieser Zusammenlegungen und Stillegungen sollte sich allein bei der Herstellung von Militärtuchen in einer Freimachung von etwa 27 500 Arbeitskräften und einer Ersparnis von etwa 400  Eisenbahnwagen im Monat ausdrücken. Es wurde ausgeführt, daß eine weitere Freimachung von Arbeitskräften und eine weitere Wagenersparnis erreicht werden könnten, wenn Kammgarn und Streichgarn nicht zusammengezwirnt würden. Konnte man bei der geringen Zahl von Kammgarnspinnereien, die man anfangs in Betrieb halten wollte, in ganz Deutschland nur vier Bezirke ins Auge fassen, so kam bei der besser beschäftigten Deckenweberei der Gedanke einer Verteilung nach Generalkommandobezirken, deren es 25 gab, auf, dem man sich später auch bei der Tuchherstellung näherte, als man sah, daß man mit einer weitgehenden Zusammenlegung nicht durchkam, und daher eine größere Zahl von Kammgarnspinnereien, als ursprünglich beabsichtigt, zuließ. Diese spätere Fassung der Grundsätze für die Zusammenlegung der Betriebe in der Wollindustrie lautete: 1.

2.

3. 4.

Der Bezirk jedes stellvertretenden Generalkommandos erhält als Bezirkskontingent die Summe aller Kontingente, die bisher auf die Betriebe des betreffenden Generalkommandos entfielen. Innerhalb der einzelnen Generalkommandos werden die Aufträge wie folgt verteilt: a) In erster Linie an vollstufige Betriebe. (Als vollstufige Betriebe gelten diejenigen Firmen, die Färberei, Spinnerei, Weberei, Walke und Appretur besitzen.) Von diesen Firmen haben diejenigen den Vorzug, welche auch Zwirnerei und Reißerei besitzen und welche die vorgenannten sämtlichen Betriebsabteilungen in demselben Betriebe vereinigen. b) Sollten diese Betriebe zur Ausführung des Kontingents nicht ausreichen, so kommen diejenigen Betriebe an die Reihe, welche die nächstgrößte Zahl von Herstellungsstufen in sich vereinigen, und bei denen die fehlenden Herstellungsstufen in nächster Nähe zur Verfügung stehen. c) Betriebe, die 30 Webstühle und weniger besitzen, erhalten keine Aufträge mehr. Die Fabriken sind so zu beschäftigen, daß in den arbeitenden Betrieben volle Beschäftigung erzielt wird. Als volle Beschäftigung gelten 55 % der festgesetzten Leistungsfähigkeit. Liegen bei mehreren Betrieben die gleichen Voraussetzungen vor, ohne daß diese Betriebe sämtlich weiterbeschäftigt werden können, so hat derjenige Betrieb den Vorzug, durch den der Auftrag am wirtschaftlichsten ausgeführt werden kann.

126 

5.

 Stillegung und Zusammenlegung der Betriebe

In jeder Herstellungsgruppe hat derjenige Betrieb den Vorzug, der ganz oder teilweise Wasserkraft oder elektrische Antriebskraft — letztere aus dritter Stromlieferungsquelle — verwendet.

Eine Entschädigung der stillzulegenden Betriebe wurde von vornherein in Erwägung gezogen. Man sagte sich, daß die verbleibenden „Höchstleistungsbetriebe“ aus der besseren Ausnutzung ihrer Einrichtungen gegenüber dem Zustand allgemeiner Minderbeschäftigung unter der Voraussetzung gleicher Preise für die Herstellungs- und Betriebsstoffe sowie für die Fertigwaren einen höheren Verdienst ziehen mußten. Aus diesem Mehrverdienst sollte die Entschädigung bestritten werden; es wurde infolgedessen in Aussicht genommen, die Preise für die Fertigerzeugnisse auf ihrer bisherigen Höhe zu belassen. Es hatte sich anfangs ergeben, daß rein theoretisch eine außerordentlich geringe Zahl von Höchstleistungsbetrieben genügte, um den Heeresbedarf zu decken. Nähere Überlegungen und vor allem auch Einwendungen der Industrie verhinderten die Durchführung des theoretischen Bildes. Zunächst hatte man eingesehen, daß es ausgeschlossen war, mit der Leistungsfähigkeit, wie sie im Frieden bestanden hatte, zu rechnen. Aber auch die anfänglich angenommenen 65 % betrachtete man später als zu hoch gegriffen. Die Herstellungs- und Betriebsstoffe waren schlechter geworden, die Leistungen der Arbeiter zurückgegangen, die Maschinen nicht mehr in dem guten Friedenszustande; vorübergehende Betriebsunterbrechungen durch Verkehrs- und Kohlenstockungen mußten berücksichtigt werden, ferner das stoßweise Auftreten von starken Anforderungen seitens der Beschaffungsstellen je nach der Kriegslage. Es wurde daher beschlossen, für die Produktionsfähigkeit der Höchstleistungsbetriebe in der Tuchindustrie mit nur 55 % der Friedensleistung zu rechnen, statt der anfänglich angenommenen 65 %. Weiterhin ergaben sich Bedenken gegen die Ausschaltung ganzer Bezirke, die theoretisch hätte in Frage kommen müssen. Industrie, Arbeiter, Bundesstaaten und Provinzen setzten sich dafür ein, daß in jedem größeren Bezirk wenigstens einige Werke erhalten blieben. Es wurde auch vorgebracht, daß die geplante starke Zusammenfassung in Westdeutschland gegenüber der zunehmenden Fliegergefahr bedenklich sein müsse. Neben dem Widerstreit über die nach dieser Richtung hin anzuwendenden Grundsätze ging ein Wettstreit zwischen den einzelnen Gruppen der Wollindustrie, z. B. die Frage, ob die Streichgarnspinnereien mit zum Zwirnen herangezogen werden sollten oder nur die Zwirnereien der Kammgarnspinnereien, ob bei der Tuchindustrie die Vollstufigkeit der Betriebe vom Standpunkt der Zusammenlegungsrichtlinien aus tatsächlich als die vollkommenere Betriebsart anzusehen war, oder ob die Zerlegung in gut ausgestattete Spezialbetriebe der Wäscherei, Spinnerei, Weberei usw. da als gleichwertig oder überlegen zu betrachten war, wo sich für jeden Arbeitsgang ein gut eingerichtetes Werk am selben Ort befand.



Stellungnahme der industriellen Verbände 

 127

Stellungnahme der industriellen Verbände Bemerkenswert sind Ausführungen vom Januar 1917 zu den Stillegungsfragen seitens des Vereins Deutscher Wollkämmer und Kammgarnspinnereien, sowie die Ausführungen der Firma Louis Popp in Netzschkau über die Zusammenlegung der Betriebe des Verbandes sächsisch-thüringischer Webereien. Die Ausführungen des Vereins der Wollkämmer und Kammgarnspinner besagten teils dem Sinne nach, teils wörtlich: Der Rohstoff, aus der deutschen Schur und aus dem Orient stammend, wird zur Zeit ausschließlich in die vier großen norddeutschen Lohnkämmereien in Bremen, Hamburg, Hannover und Leipzig gelenkt, um dort gewaschen und abgekämmt zu werden. Mißt man aber dem Verkehrsstandpunkt eine große und für die Zusammenlegungen maßgebende Bedeutung bei, so kann es richtiger erscheinen, die der Herkunft der Orientwollen näherliegenden süddeutschen Kämmereien mit zu beteiligen5. Ebenfalls fallen die Lumpen zur Kunstwollherstellung in ganz Deutschland an, gehen aber, nachdem sie gerissen worden sind, sämtlich nach Hamburg, um von dort aus wieder in alle Gegenden Deutschlands verteilt zu werden6. Den Nachdruck einseitig auf die Versendung der Garne zu legen, erscheint auch nicht gerechtfertigt, da die Kohlenversendungen für die Webereien die größere Rolle spielen. Es müssen daher alle Betriebe weiterarbeiten, die in der Nähe der Kohlengebiete liegen, Wasserkraft besitzen oder elektrischen Anschluß an eine Wasserkraftzentrale oder an eine Zentrale haben, die auf der Kohle sitzt. Soweit man trotzdem in der Kammgarnspinnerei zusammenlegen muß, lassen sich bei der Herstellung des Kriegszwirnes für Uniformtuche diejenigen Kammgarnspinnereien ausscheiden, die nur kleine Zwirnereien besitzen oder abseits von Tuchwebereien liegen. Auch können alle diejenigen Spinnereien ausscheiden, die am 1. Januar 1917 weniger als 30 % ihrer Arbeiterschaft vom 1. Juli 1914 beschäftigt haben. Soweit die Tuchfabriken eigene Spinnerei und Zwirnerei besitzen, sind sie an der Zwirnarbeit zu beteiligen. Die Ausscheidung aller nicht vollstufigen Betriebe von Heerestuchlieferungen ist aber zu verwerfen, da das zur Ausschaltung fast aller Kammgarnwebereien führen würde, wodurch ganze Bezirke (beispielsweise Gera-Greiz, Reichenbach, Mylau, Netzschkau) völlig zum Erliegen kommen, soweit sie nicht Bourettegarnaufträge haben. Nach dem Kohlentransportgesichtspunkt müssen sogar die sächsisch-thüringischen Webereien bevorzugt werden, während die Tuchfabriken im Pommern, Mecklenburg, Württemberg, z. T. auch in Hessen und im westlichen Thüringen, die vom Kriegs-Garn- und Tuchverband in erster Linie für die Weiterbeschäftigung genannt sind, bedeutend ungünstiger liegen.

Für die Vorbereitung der (Stillegungen in der Kammgarnspinnerei teilte der Verein mit, daß Erhebungen auf Grund der folgenden Fragen gemacht worden seien: a) Zahl der Arbeiter und Angestellten in sämtlichen deutschen Kammgarnspinnereien nach Alter und Geschlecht; ferner ob ledig oder verheiratet;

5 Der Grund für die ausschließliche Heranziehung der großen Lohnkämmereien lag an der Güte ihrer Einrichtungen, an der Möglichkeit besserer Überwachung und darin, daß man die Privatkämmereien schon anfangs des Krieges ausgeschaltet hatte, weil die mit ihnen verbundenen Spinnereien im Betrieb blieben, und sie ihre Arbeiter in diesen beschäftigen konnten. Man wollte nun diese Privatkämmereien nicht durch Zuweisung von staatlichem Rohstoff wieder aufleben lassen. 6 Diesem Einwand wurde durch spätere Dezentralisation der Kunstwolleinlagerung Rechnung getragen.

128 

 Stillegung und Zusammenlegung der Betriebe

b) die Löhne und die Zahl der Arbeiter in den deutschen Kammgarnspinnereien; c) die Produktion der deutschen Kammgarnspinnereien vor dem Kriege und während des Krieges; d) die Zahl der Spinn- und Zwirnspindeln und das Verhältnis dieser beiden Spindelarten zueinander; e) Verbrauch und Bezug von Stein- und Braunkohle; f) Kraftanlagen der Spinnereien, Pferdestärke der Dampfmaschinen, der Wasserkraft und der elektrischen Kraft; g) Herstellung von Papiergarn; h) Herstellung von Munition7; i) Beschäftigung durch importiertes Material; k) Übersicht über die Aufträge in Uniformtuchen, Streichgarn und Kammgarn nach den einzelnen deutschen Bundesstaaten seit Einführung des neuen Kriegszwirnes. Zum tatsächlichen Beschäftigungsgrad zur Zeit der Stilllegungsverhandlungen äußerte sich der Verein wie folgt: Die Kammgarnindustrie nimmt bei ihren Vorschlägen an, daß sämtliche Streichgarnspinnereien erhaltenbleiben, da sie noch mit 70 % der Friedensleistung beschäftigt sind, was für Kriegsverhältnisse als Vollbeschäftigung gelten kann. Die durchschnittliche Beschäftigung der Wollwebereien muß man auf 50 % schätzen, wobei allerdings die Herstellung von Uniformtuchen nur einen Teil ausmacht und der größere Teil auf Woilache, Decken, Zündertücher, seidene Stoffe für Zivilbedarf und wollene Stoffe aus Kunstwolle, Auslandsmaterial und Papiergewebe entfällt. Bei der 50 %igen Beschäftigung erscheint auch bei den Wollwebereien eine Stillegung ausgeschlossen. Treffen diese beiden Annahmen zu, so läßt sich daraus der notwendige Stillegungsgrad der Kammgarnindustrie beurteilen, wenn bekannt gegeben werden kann, welchen Anteil die Kammgarnspinnereien an den Zwirnaufträgen erhalten sollen.

Der Verein fügte diesen Ausführungen einen Entwurf von Grundsätzen für die Neuverteilung von Heeresaufträgen und für die Zusammenlegung von Betrieben bei. Neben den schon genannten Gesichtspunkten verfolgten diese Vorschläge vor allem den Gedanken, daß allen deutschen Bundesstaaten und in Preußen den einzelnen Provinzen eine Beteiligung erhalten werden müsse. Zu diesem Zweck faßte der Vorschlag die geographisch zusammenliegenden Spinnereien zu Spinnereibezirken mit der Absicht zusammen, diesen Webereibezirke gegenüberzustellen, die von den ersteren beliefert werden sollten. Für die Kammgarnspinnereibezirke lauteten die damaligen Vorschläge: Bayern mit einer Spinnerei, 7 Manche Firmen des Spinnstoffgewerbes hatten einen Teil ihres Betriebes auf Munitionsanfertigung umgestellt.



Stellungnahme der industriellen Verbände 

 129

Württemberg mit zwei Spinnereien, Elsaß mit acht Spinnereien, die bayrische Pfalz mit einer Spinnerei, das linksrheinische Rheinland mit drei Spinnereien, das rechtsrheinische Rheinland und Westfalen mit vier Spinnereien, Oldenburg mit einer Spinnerei, West-Thüringen mit vier Spinnereien, Ost-Thüringen mit sechs Spinnereien, der Reichenbacher Bezirk in Sachsen mit vierzehn Spinnereien, der Zwickauer Bezirk mit sechs Spinnereien, der Leipziger Bezirk mit vier Spinnereien, der Chemnitzer Bezirk mit zehn Spinnereien, Brandenburg mit einer Spinnerei, Schlesien mit drei Spinnereien. Den erhalten gebliebenen Spinnereien sollte der frühere Hundertanteil an den Aufträgen verbleiben; zur Entlastung der Eisenbahn aber sollten die durch Stillegung der übrigen Betriebe freiwerdenden Auftragsteile nur denjenigen Spinnereien und Zwirnereien als „Zusatzaufträge“ gegeben werden, die den Webereibezirken am nächsten lagen. Innerhalb der einzelnen Spinnereibezirke plante die Eingabe folgende Verteilung des Bezirkskontingents: a) Es scheiden zunächst alle diejenigen Betriebe aus, die sich freiwillig zur Stillegung bereit erklärt haben; b) hiernach werden die übrigen Betriebe nach Maßgabe ihrer bisherigen Kontingentierung in folgender Reihenfolge, soweit das Bezirkskontingent reicht, an dem ordentlichen Auftrag beteiligt: 1. Betriebe, die ganz oder überwiegend mit Wasserkraft arbeiten; 2. Betriebe, die elektrische Kraft von einer Überlandzentrale beziehen, die entweder mit Wasserturbinen betrieben wird oder in unmittelbarer Nähe einer Kohlengrube liegt; 3. Betriebe, die Kohle ausschließlich mittels Fuhrwerk beziehen; 4. Betriebe, die Kohle auf einer Entfernung von unter 30 km auf der Eisenbahn oder elektrische Kraft von einem Werk erhalten, das seine Kohle mit der Bahn beziehen muß; 5. Betriebe, die Kohle auf einer Entfernung von unter 100 km auf der Eisenbahn oder auch bei größerer Entfernung auf dem Wasserwege beziehen; 6. Betriebe, die Kohle auf einer Entfernung von unter 250 km beziehen; 7. Betriebe, die Kohle auf einer Entfernung von über 250 km beziehen. Da in allen Bezirken, in denen mehrere Spinnereien vorhanden waren, das Bezirkskontingent nur zur Beschäftigung einiger Spinnereien ausreichte, schieden die letzten

130 

 Stillegung und Zusammenlegung der Betriebe

Betriebsgruppen je nach dem Grade der Zusammenlegung und nach dem Vorhandensein von Betrieben, die unter die ersteren Betriebsgruppen fielen, aus. In mancher Beziehung berührte sich die Stellungnahme des Verbandes der sächsisch-thüringischen Webereien8, die in der schon erwähnten Eingabe der Firma Louis Popp Sohn vom 9. Januar 1917 niedergelegt wurde, mit den Ausführungen der Kammgarnspinner. In dieser Eingabe des Firmeninhabers hieß es: Die Einteilung nach Generalkommandos wird zur Folge haben, daß beispielsweise für den Bezirk des XIX. Korps in Leipzig die Tuchaufträge einzig nach Crimmitschau gehen, da nur die dortigen Betriebe Vollbetriebe im Sinne der Beschlüsse des Kriegs-Garn- und Tuchverbandes sind. Im Bezirk des XI. Korps wird einzig Pößneck in Frage kommen, der Greiz-Gera-Bezirk mit 36  000  Webstühlen und 50  000—60  000  Arbeitskräften kommt völlig zum Stillstand. Wenn auch die einzelnen Betriebe des Greiz-Gera-Bezirkes nicht Vollbetriebe im Sinne der gefaßten Beschlüsse sind, so muß doch berücksichtigt werden, daß die Spinnereien wie auch die Ausrüstungsanstalten meist in den gleichen Ortschaften oder doch ganz dicht bei den Webereien liegen. Man kann wohl ruhig behaupten, daß der sächsisch-thüringische Industriekreis einen „Gesamtvollbetrieb“ und somit eigentlich das Ideal für Transportersparnis darstellt. Zur Zeit werden in den Webereien und Appreturanstalten unseres Bezirks fast nur noch Frauen beschäftigt; die Anzahl der noch vorhandenen Männer ist eine verschwindend kleine, so daß eine Gewinnung von Arbeitskräften im Sinne des Hilfsdienstgesetzes kaum in Frage kommt. Bei Stillegung der 36 000 Webstühle aber würden nun alle die vielen Frauen ohne Arbeit dastehen, da eine Unterbringung in der dortigen Gegend kaum möglich erscheint, zumal die einzige Industrie in der dortigen Gegend eben die Webereiindustrie ist. Eine Verpflanzung der weiblichen Arbeitskräfte ist auch nur bedingt möglich, da ein großer Teil derselben verheiratet ist, also schon der Kinder wegen nicht abgeschoben werden kann. Schon eingangs habe ich auf die wirtschaftlichen Nachteile nach dem Kriege hingewiesen. Hierzu gehört die empfindliche Schädigung durch Abwanderung der Arbeitskräfte in andere Gegenden, die um so schwerer ins Gewicht fällt, als schon vor dem Krieg der Industriebezirk an Arbeitermangel krankte. Letzterer war so groß, daß Prämien für Anlernen von Webereiarbeitern durch den Verband ausgesetzt worden sind. Aus allen diesen Erwägungen heraus erlaube ich mir daher, einen Vorschlag dahingehend zu machen, die im Kriegs-Garn- und Tuchverband vereinigten Industrien nicht nach Generalkommandos, sondern nach Industrie- und Interessengruppen abzuteilen, und diese Interessengruppen die Regelung der Stillegung nach den Grundsätzen vornehmen zu lassen, die sich im wesentlichen an die Grundsätze anlehnen, die bereits in der Versammlung angenommen worden sind. Ich würde dann vorschlagen, alle Betriebe, die dem Verband sächsisch-thüringischer Webereien angehören, als eine Gruppe anzusehen; zu dieser Gruppe würden also Gera-Greiz, das gesamte Vogtland sowie Meerane und Glauchau gehören. Weiter würde dann eine Gruppe Crimmitschau-Werdau, eine Gruppe Pößneck, eine Gruppe Kottbus-Forst-Guben, eine Gruppe Rheinland usw. zu bilden sein. Ich habe nicht das Material zur Verfügung, um feststellen zu können, ob eine sehr bedeutende Anzahl von Gruppen dabei herauskommen würde, ich glaube aber sagen zu dürfen, daß diese Gruppen die Zahl der Generalkommandos nicht überschreiten, sondern eher kleiner sein dürfte. Diejenigen Gruppen, die zerstreut liegen, müssen dann in einer Gruppe zusammengeschlossen werden.

8 Die diesem Verband angeschlossenen Webereien waren wesentlich Kammgarnwebereien und nicht Tuchwebereien; daher erklärt sich ihre Bekämpfung der Vorschläge des Kriegs-Garn- und Tuchverbandes.



Einigung im Wollgewerbe 

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Zur Bearbeitung der Fragen schlug die Eingabe gruppenweise Einsetzung von Kommissionen vor. Härten seien natürlich nicht zu vermeiden. Verzögerungen brauchten aber durch diese Behandlung nicht zu entstehen, da die Betriebe zur Zeit alle noch Arbeit hätten, und die Ermittlung der Arbeitsberechtigten und Nichtarbeitsberechtigten bis zu dem Zeitpunkt, wo eine neue Auftragserteilung erforderlich sei, durchaus möglich erscheine.

Einigung im Wollgewerbe Die lebhaft geführten Verhandlungen zogen sich unter starker Beteiligung der Industrie bis gegen Februar 1917 hin. In diesem Zeitpunkt kam die Einigung in der Wollindustrie zustande. Das Ergebnis war bei der Tuchfabrikation eine Verteilung der zu erhaltenden Werke nach Generalkommandobezirken unter Bevorzugung der vollstufigen Werke, die in Friedenszeiten allein für die Zulassung zu Heereslieferungen in Betracht gekommen waren. Letztere Tatsache und der Zwang zur Verwendung immer minderwertigerer Spinnstoffe, zu deren Verarbeitung sich die Streichgarnspinnerei am besten eignete, gaben der Tuchindustrie einen Vorsprung vor der Kammgarnindustrie, den aller Widerstand der letzteren nicht wirkungslos machen konnte. Man gab aber später in den Verhandlungen der Kammgarnindustrie die Zusage größerer Bouretteaufträge. Nach den Beschlüssen sollten von 800 vollstufigen Betrieben und Tuchwebereien 128 als Vollbetriebe und 61 als Spinnereien in Betrieb bleiben. In der Deckenfabrikation sollten 97 Betriebe weiterarbeiten und 103 stilliegen, von den Wollachbetrieben 24 bzw. 27. Bei der Kammgarnspinnerei näherte sich die Lösung den Wünschen des Vereins der deutschen Wollkämmer und Kammgarnspinner erheblich mehr als dem ursprünglichen Plan. Es wurden 15 Spinnereibezirke abgegrenzt und innerhalb jedes derselben zwei bis drei Werke in Betrieb belassen. Es ergab sich die Weiterarbeit von 41 Betrieben von 99 deutschen Kammgarnspinnereien überhaupt. Vor allem wurde entgegen der strengen Anwendung der Richtlinien im Königreich Sachsen zufolge der dort befürchteten großen Arbeitslosigkeit eine verhältnismäßig große Zahl von Werken erhalten. Etwas anders verlief die Regelung in der Wollstrickerei. Der Beschäftigungsgrad dieser Gruppe war so, daß man nur an die Stillegung eines kleinen Teils der Betriebe denken konnte. Für den Umfang dieser Stillegung ergab sich der Maßstab aus rein technischen Gründen, da wegen des zur Verfügung stehenden minderwertigen Rohstoffs, der nur noch zu bestimmten Garnnummern verarbeitet werden konnte, eine weit verbreitete Maschinenart (die Raschelmaschinen im Bezirk Apolda und im Sauerland) ganz ausfallen mußte. Eine Einteilung nach Generalkommandobezirken kam also hier nicht in Frage. Wie die Zusammenlegung nach Untergruppen erfolgte, so auch die Entschädigungsregelung. Der straff zusammengefaßte Verband der Wollkämmer und Kammgarnspinner hatte schon am 9. Dezember 1916 die Entschädigungsfrage einstimmig

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 Stillegung und Zusammenlegung der Betriebe

geregelt. Die Entschädigungen wurden von allen Gruppen reichlich bemessen, um die Durchführung ohne allzu große Widerstände zu ermöglichen. Was das Ergebnis der Stillegungen betrifft, so hatte man neben erheblichen Ersparnissen von Transporten, Kohlen und Betriebsmitteln eine erhebliche Freimachung von Arbeitskräften erwartet. Man rechnete anfänglich mit einem Freiwerden von 61  000 von 156  300  Arbeitern der Wollindustrie; die Nachprüfung unter Zugrundelegung der abgeänderten Grundsätze ergab aber nur eine Ersparnis von 25 535 Arbeitskräften. Zog man hiervon noch die im Elsaß aus anderen Gründen freiwerdenden 3953 Arbeiter ab, so blieben nur rund 21 500. Aber auch hiervon waren rund 11 000 zurückzurechnen, die inzwischen auf die Spinnpapierverarbeitung angesetzt worden waren.

Durchführung der Stillegungen War man somit schon bei den Beratungen der Amtsstellen über die Zusammenlegungen und Stillegungen in der Wollindustrie in eingehenden Überlegungen zu einer starken Abmilderung der anfänglichen theoretischen Forderungen gelangt, so stellte sich trotzdem bei der Durchführung heraus, daß sich auch das nunmehr ermittelte Gebäude den Forderungen des Tages gegenüber nicht aufrechterhalten ließ. Der wesentlichste Grund dafür lag darin, daß in dem Auf und Ab kriegswirtschaftlicher Notwendigkeiten immer neue Gesichtspunkte, oft sprunghaft wechselnd, als ausschlaggebend im Vordergrund standen, und daß die Einheitlichkeit der Amtsstellen fehlte. Die Verkehrsnot des Winters 1916/17 machte — trotz aller Bemühungen, den Verkehr aufrechtzuerhalten — nicht vor den Höchstleistungsbetrieben Halt. Es ergaben sich daher sehr starke Rückstände in der Ausführung vorliegender dringender Heeresaufträge; zum Teil wurde die Ausführung auch zweifellos absichtlich verschleppt, weil besser bezahlte Zivilaufträge vorlagen, oder weil die Werke durch Verschleppung der Heeresaufträge der Stillegung zu entgehen hofften. Dazu kam, daß während der Monate, in denen die Zusammenlegungspläne zur Durchführung gelangen sollten, eine weitere Verschlechterung der Herstellungsstoffe, ein weiterer Mangel an Hilfs- und Betriebsstoffen, sowie eine weitere Verschlechterung der Arbeiterverhältnisse stattgefunden hatte. Es gelang den Höchstleistungsbetrieben vielfach nicht, für ihre in die Rüstungsindustrie abwandernden Arbeiter Ersatz zu finden. Aus allen diesen Gründen ging die Leistungsfähigkeit der Höchstleistungsbetriebe weit unter das angenommene Maß hinunter. Während man im Dezember 1916 mit 65, dann mit 55 % der Friedensleistung gerechnet hatte, stellte man im Juli 1917 fest, daß der Durchschnitt der Leistungen der Höchstleistungsbetriebe in der Tuchindustrie nur 38—39 % betragen hatte. Dieser Umstand in Verbindung mit neuen erheblichen Anforderungen der Heeresverwaltung führte dazu, daß zahlreiche Tuchfabriken, die zur Stillegung bestimmt worden waren, viele Monate lang weiterbeschäftigt



Durchführung der Stillegungen 

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werden mußten, und daß man einsehen mußte, man könne auf einen Teil derselben überhaupt nicht verzichten. Es kam daher zur nachträglichen Aufstellung neuer Listen der Betriebe nach folgenden Unterscheidungen: A. dauernd gebrauchte, sog. absolute Höchstleistungsbetriebe; B. Reservehöchstleistungsbetriebe; C. Bourettebetriebe; D. ganz stillzulegende Betriebe. Bei der Gruppe C handelte es sich um die infolge der Steigerung der Munitionserzeugung zu ungeahnten Abmessungen angewachsene Herstellung von Pulverbeutelstoffen. Die Bouretteverarbeitung für diesen Zweck war es, die noch mehr als die oben erwähnten Erwägungen das ganze Zusammenlegungsprogramm in der Wollindustrie praktisch immer wieder über den Haufen warf. Aufträge auf Pulverbeutelstoffe für das Waffen- und Munitions-Beschaffungs-Amt (Wumba) wurden neben dem Übergang auf die Verarbeitung von Spinnpapier die wesentlichen Quellen, aus denen die zur Stillegung bestimmten Betriebe sich immer wieder am Leben hielten. Zwar war die Pulverbeutelbeschaffung offiziell am 1. Januar 1917 an das Bekleidungs-Beschaffungs-Amt übergegangen, aber man hat feststellen müssen, daß Wumba — ganz abgesehen von den noch laufenden Aufträgen — nach diesem Zeitpunkt noch 8 000 000 m an 200 Firmen weitervergeben hat, und zwar bis zu kleinsten Aufträgen von 150 m hinunter. Die infolge der Heeresaufträge vor der gänzlichen Stillegung beschützten Betriebe zogen diese Aufträge möglichst in die Länge und füllten die Zwischenzeit mit der Herstellung noch freier Papiergewebe oder mit der Verarbeitung sonstiger Garne, die mehr oder weniger legal noch immer auf dem Markte zu haben waren. Es zeigte sich auch, daß einige Höchstleistungsbetriebe rückständige Aufträge an zum Stillegen bestimmte Betriebe weitervergeben hatten. Auch hier ergab erst die beginnende Kohlennot eine bessere Möglichkeit schärferen Durchgreifens, so daß sich langsam die Zahl der stillgelegten Betriebe der Liste D mehrte. Als aber der Krieg zu Ende ging, waren die Verhältnisse noch weit von der Durchführung der angeforderten Stillegungen entfernt. Die Kohlennot bedeutete eine Nachprüfung des gesamten Stillegungsvorgangs auf neuen Grundlagen, die aber ihrerseits ebenfalls wieder unsicher waren. So trat die Forderung auf, nur noch die Betriebe mit Wasserkraft oder die mit elektrischem Antrieb von Zentralen aus zu beschäftigen. Es bedurfte längerer Ermittlungen, um zu erkennen, daß in diesen Überlegungen die Gefahr von Trugschlüssen lag, daß die Verwendung elektrischen Stromes durchaus nicht unter allen Umständen wirtschaftlicher zu sein braucht als der unmittelbare Dampfbetrieb. Die Leitungsverluste bei elektrischen Übertragungen und die Hochwertigkeit der maschinellen Ausrüstung spielen eine entscheidende Rolle. Was die Wasserbetriebe betrifft, so bildet im Spinnstoffgewerbe auf den meisten Stufen der Arbeit die Kraft nur einen verhältnismäßig geringen Teil des Kohlenaufwandes; hinzu treten die im Fabrikationsprozeß sowie

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 Stillegung und Zusammenlegung der Betriebe

zur Heizung der Räume benötigten Wärmemengen. Bei neuzeitig eingerichteten, ganz auf Dampf gestellten Werken erwies sich der Kohlenverbrauch auf die Einheit des Fabrikates gerechnet stellenweise geringer als bei Werken, deren mechanischer Antrieb mittels Wassers erfolgte. Allerdings gingen die Meinungen nach dieser Richtung vielfach auseinander. Ein gutes Beispiel für den Gegensatz der Meinungen oder wenigstens der Behauptungen da, wo derartige technische Zahlen den Ausschlag zu geben schienen, ergab sich in einer Verhandlung des Vereins deutscher Wollkämmer und Kammgarnspinner, in der hintereinander von zwei Vertretern der Industrie der eine den Kohlenverbrauch auf das Kilogramm Garn mit 7—10 kg, der andere mit 1,3 kg bemaß. Bei näherer Nachfrage stellte sich heraus, daß der eine mit schlechter Braunkohle, der andere mit guter Steinkohle gerechnet hatte, der eine mit der geringeren Ausnutzung der Betriebseinrichtungen während des Krieges, der andere mit Friedensverhältnissen, der eine mit der Heizung des gesamten Werkes, der andere nur mit der für den jetzigen Umfang der Herstellung erforderlichen Mindestzahl von Räumen usw. usw. Im Laufe der Zusammenlegungsverhandlungen waren zahlreiche Beschwerden beim Kriegsamt eingegangen, die zum Teil die Zuständigkeit der mit den Vorarbeiten betrauten Kriegsverbände bestritten. Es wurde deshalb beschlossen, die leitenden Grundsätze nochmals einer allgemeinen Versammlung, die vom Kriegsausschuß der deutschen Industrie einberufen wurde und in der 80 % der Wollinteressenten vertreten waren, vorzulegen. Diese Versammlung fand am 7. Februar 1917 im Hotel Adlon statt. Neben den größten Verbänden — dem Verein der Tuch- und Wollwaren-Fabrikanten, dem Verein sächsisch-thüringischer Webereien, dem Verband elsässischer Wollwebereien — waren Vertreter der Decken-, der Woillach- und der Strickereiindustrie, sowie drei Vertreter der Arbeitnehmer zugegen. Die anfänglich vorgesehene Bedingung, daß alle Betriebe unter 30  Webstühlen von vornherein ausgeschaltet werden sollten, fiel; ferner beschloß man, nach Möglichkeit an allen Orten mit Wollindustrie von einiger Bedeutung wenigstens einen Betrieb zur Festhaltung eines Arbeiterstammes aufrechtzuerhalten, der entweder mit der Anfertigung von Mannschaftstuchen oder auch durch Herstellung anderer Gegenstände des Heeresbedarfes zu beschäftigen war. Der Gera-Greizer und der Reichenbacher Bezirk erhielten als Ersatz für die Minderbeschäftigung in Mannschaftstuchen die Zusage nennenswerter Bouretteaufträge. Nach Gewährung der genannten Zugeständnisse stimmten die Teilnehmer einstimmig der getroffenen Regelung zu. Mit dieser Versammlung und der am 13. Februar erfolgten Zustimmung des Chefs des Kriegsamts fand die erstmalige Zusammenlegung in der Wollindustrie ihren Abschluß. Von den Gründen späterer Verschiebungen im Laufe der praktischen Durchführung war weiter vorn schon die Rede.



Stillegungen in anderen Zweigen des Spinnstoffgewerbes 

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Stillegungen in anderen Zweigen des Spinnstoffgewerbes In der Baumwollindustrie lagen die Verhältnisse in gewisser Beziehung einfacher als in der Wollindustrie. Abgesehen von Sonderzweigen, wie etwa den Feinspinnereien und Nähgarnfabriken, war eine verhältnismäßige Einheitlichkeit nach Erzeugnissen und Einrichtungen der wichtigsten Werke vorhanden. Andererseits aber war im Gegensatz zur Wollindustrie der Kampf um die Stillegungen ungleich schärfer wegen der großen Zahl der in Betracht kommenden Werke, der überragenden volkswirtschaftlichen Bedeutung der Baumwollindustrie für ganze Bezirke und vor allem wegen des überaus ungünstigen Beschäftigungsgrades. Ein Lichtblick war hier nur durch die Möglichkeit gegeben, an der Papiergarnspinnerei- und -Weberei beteiligt zu werden. Dieses an sich überaus willkommene Auftreten von Ersatzspinnstoffen mußte die Stillegungsmaßnahmen außerordentlich verwickelt machen, da die Mengenentwicklung bei den Ersatzspinnstoffen erst im Anbeginn stand. Auch bei der Baumwollindustrie kam es zu der schon bei der Wollindustrie erwähnten bemerkenswerten Tatsache, daß die zur Stillegung bestimmten Werke überaus heftige Angriffe gegen ihre eigene Fachvertretung richteten, die im März 1918 auch zu Erörterungen im Haushaltungsausschuß des Reichstages führten. Als eine Frage von Tod und Leben erschienen trotz aller Entschädigungen die Stillegungen dem einzelnen Unternehmer. Unter solchen Umständen ist selten jemand mit einem Majoritätsbeschluß der eigenen Genossen einverstanden. Es mußten daher auch bei der Baumwollindustrie nachträglich noch einmal einer Versammlung aller Interessenten die Gesichtspunkte, nach denen vorgegangen worden war, und die Ergebnisse zur Nachprüfung vorgetragen werden. Auch hier war nach erregten Debatten und geringfügigen Zugeständnissen das Ergebnis die Bestätigung der früher gefaßten Beschlüsse. Ausgangspunkt der Zusammenlegungspläne in der Baumwollindustrie waren die von K.R.A. mit maßgebenden Verbänden vorher angestellten Ermittlungen. Als man Ende Dezember 1916 im Saz darüber verhandelte, betonte bemerkenswerterweise Exzellenz Groener schon die plötzlich in den Vordergrund getretenen Verkehrsschwierigkeiten, die möglicherweise die Zusammenlegungen auf neue Grundlagen stellen würden. Von den Vertretern des Erwerbslebens wurde unter Hervorhebung örtlicher Interessen sehr nachdrücklich eine Heraufsetzung der Preise für die militärischen Beschaffungen verlangt, um genügende Entschädigungen an die stillgelegten Betriebe möglich zu machen. Der Zusammenlegungsplan für die Baumwollindustrie wurde in der zweiten Hälfte des Januar 1917 vom Chef des Kriegsamtes vollzogen. Da aber beim Kriegsamt selbst späterhin Zweifel auftauchten, ob dieser Zusammenlegungsplan auf genügend breiter Grundlage aufgebaut gewesen sei, so wurden nachträgliche Änderungen des Stillegungsplanes für möglich erklärt, und Richtlinien für das Vorgehen nach dieser Richtung beschlossen. Weniger groß waren die Schwierigkeiten in der Bastfaserindustrie. Zwar gehörte die Jutegruppe zu der vollständig von ihren ursprünglichen Rohstoffen abgeschnittenen, aber sie war frühzeitig und gleichmäßig zur Papierspinnerei überge-

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 Stillegung und Zusammenlegung der Betriebe

gangen und hatte sich zugleich einen Anteil am Flachs zu sichern gewußt. Bei der geringen Zahl und der Gleichartigkeit der Werke war die Gruppe mit Ausnahme eines kleinen Betriebes einheitlich in der Stillegungsfrage vorgegangen, so daß es nur nötig war, im März 1917 die vollzogene Einigung zu bestätigen. Auch bei den wenigen Werken der Hanfindustrie war die Einigung verhältnismäßig leicht. Bei der Flachsindustrie mit ihrer verhältnismäßig guten Rohstoffversorgung durch Zufuhren aus Holland und aus den besetzten Gebieten und infolge der erheblichen Vermehrung des deutschen Flachsbaues, hatte man im Winter 1916/17 beschlossen, von einer Stillegung abzusehen. Erst die Kohlennot führte Mitte 1917 dazu, auch für die Flachsindustrie einen Stilllegungsplan aufzustellen. Ähnlich hatte man bei der lange Zeit von ihren Rohstoffquellen nicht abgeschnittenen Seidenindustrie vorerst von Stillegungen absehen können und man stand am Ende des Weltkrieges erst vor der Aufrollung der Stillegungsfrage für dieses Gebiet. In der Papiergarnindustrie handelte es sich nicht im gleichen Sinne wie bei den anderen Spinnstoffgruppen um eine Zusammenlegung von Papiergarnspinnereien, sondern vielmehr um die Frage, inwieweit die vorhandenen Spinnpapiermengen allen übrigen dazu geeigneten Werken, vor allen Dingen der Baumwollspinnerei als Ersatzbeschäftigung zugeteilt werden konnten. Man kam Mitte Mai 1917 zu einer vorläufigen Schlußverteilung. Man ließ zunächst absichtlich eine reichliche Zahl von Spindeln und Webstühlen in Betrieb, um der Weiterentwicklung der Papierverspinnung Raum zu lassen, und beabsichtigte von Zeit zu Zeit eine Neuregelung der Verteilung. Bei der ersten Schlußberatung am 16. Mai 1917 kam es zu Angriffen Süddeutschlands infolge angeblicher Zurücksetzung des Wasserantriebs trotz der Kohlennot. Es wurde behauptet, es hätte eine viel größere Zuweisung an süddeutsche Werke stattfinden müssen; man sei aber davon zugunsten Sachsens abgegangen.

Die Entschädigungsfrage Was die Entschädigungsfrage betrifft, so zeigte sich ganz allgemein der Grundsatz, möglichst reichliche Entschädigungen zuzubilligen. Strittig waren wesentlich nur folgende Punkte: in welcher Weise die Beiträge zu den Entschädigungen zu erheben waren, und wie die Auszahlungen berechnet werden sollten. In letzter Beziehung lag die größte Schwierigkeit darin, daß es viele zur Stillegung bestimmte Werke verstanden, trotz aller Vorschriften für Privataufträge oder für einzelne Heeresstellen in Betrieb zu bleiben. In welchem Umfang sollten sie nun Entschädigungen erhalten? Auf der einen Seite war zuzugeben, daß diese Werke sehr erhebliche Unkosten aufwandten, um sich auf mehr oder weniger legale Weise Kohlen, Rohstoffe und Aufträge zu verschaffen, während den Höchstleistungsbetrieben die hohen Preise der Beschaffungsstellen mühelos zufielen. Die Einzelheiten der Entschädigungsregelungen hingen daher aufs engste mit der Preisbildung auf den Einzelgebieten zusammen und sind im Kapitel „Preise“ dargelegt.



Die Entschädigungsfrage 

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Aus Raummangel muß ich meinen Überblick über die Zusammenlegungen und Stillegungen im Spinnstoffgewerbe auf diese kurze Darstellung beschränken. Es ergibt sich, daß eine erfolgreiche Durchführung der Stillegungs- und Zusammenlegungsmaßnahmen an zwei Hauptfehlern scheiterte: erstens an dem Nichtvorhandensein kriegswirtschaftlicher Vorbereitungen im Frieden und ungenügender Erkenntnis der ungeheuren Gefahr des Weltkrieges und zweitens an der infolgedessen fehlenden Einheitlichkeit des Willens während des Krieges. Zur erfolgreichen Durchführung hätten von vornherein gehört: Erkenntnis der unbedingten Notwendigkeit der Maßregeln, klares Recht, einheitliche Zuständigkeit, zentralisiertes Beschaffungswesen für den Heeres- und sonstigen öffentlichen Bedarf, Vorhandensein genauer Kenntnisse der betriebstechnischen, sowie volkswirtschaftlichen und kriegswirtschaftlichen Zusammenhänge für die einzelnen Gewerbegruppen und Werke.

Kapitel VI

Preise und Unternehmergewinne Von Dipl. merc. Robert Schloesser1

Dieses Kapitel will die Preise und Unternehmergewinne nach ihren allgemeinen theoretischen Zusammenhängen und ihrer tatsächlichen, geschichtlichen Entwicklung schildern. Es sucht in erster Linie Fehler und Versäumnisse herauszuschälen und macht auch dort nicht halt, wo sonst die Rücksicht auf Interessen Zurückhaltung zu gebieten pflegt. Im Vordergrunde der Beurteilung steht der Staat und die Allgemeinheit; der Unternehmer wird nach seinem Verhalten ihren Interessen gegenüber kritisch gewürdigt.

A Allgemeiner Teil Die Preisentwicklung vor dem Kriege2 An dem allgemeinen Preisrückgang, welcher die Zeit bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts kennzeichnet, nehmen auch die Spinnstoffe teil. Dann steigen die Preise. Sie steigen bis 1914 auf das Doppelte und darüber, Jute auf das Dreifache. Die Gründe sind zahlreich. Auf der Nachfrageseite stehen obenan die Bevölkerungszunahme, das vermehrte Bekleidungsbedürfnis des einzelnen (Wohlstand, Mode usw.), Weckung des Bekleidungsbedürfnisses in den zu zivilisierenden Ländern, stark steigender technischer Bedarf, zu starke Vermehrung der Fabrikationsmittel, alles das gefördert durch die Fortschritte in der Technik der Verarbeitung3. Auf der Angebotsseite: Zurückbleiben der Urproduktion hinter dem Bedarf, steigende Selbstkosten, preissteigernde Maßnahmen der Produzenten infolge größerer Wohlhabenheit und gestiegenen Machtbewußtseins. Die Preistendenz ist auch in den letzten Jahren vor dem Kriege eine steigende. Im einzelnen wird diese Tendenz verschärft oder gemildert durch den Wechsel der Ernteergebnisse, Zollverhältnisse, Spekulation usw. Baumwolle dient immer mehr als Ersatz für Flachs und Wolle. Die Baumwollernten der letzten Vorkriegsjahre sind gut, aber nur die Rekordernte von 1911 ist 1 Zur Bewertung dieses Kapitels vgl. die Bemerkung im Anhang S. 444. 2 Die vorhandene Spinnstoffliteratur über die Vorkriegszeit ist lückenhaft. Sie schließt auch meist, wenn nicht früher, schon 1911/12 ab. Siehe u. a. Apel und Illgen, Die Preisentwicklung der Baumwolle, Leipzig 1914; Bahr, Jutenot; Eulenburg, Die Preissteigerung des letzten Jahrzehnts, Leipzig 1912; Senkel, Wollproduktion und Wollhandel im 19.  Jahrhundert, Tübingen 1901; Schultze, Die Produktions- und Preisentwicklung der Textilindustrie seit 1850, Jena 1896; Feiler, Die Konjunkturperiode 1907—1913 in Deutschland, Jena 1914. 3 Die Nachfrageseite wird gekennzeichnet durch den bekannten Ausspruch eines Chinesen gegenüber einem amerikanischen Senator: Wenn mein Volk die Baumwolle so verwendete, wie dies die Amerikaner tun und jeder Chinese sein Hemd um einen Zoll verlängerte, würde die ganze Baumwollproduktion der Südstaaten hierzu notwendig sein (Die Baumwollfrage, Denkschrift des Reichskolonialamts, Jena 1911).



Die Preisentwicklung vor dem Kriege 

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imstande, die Preise für ihre Saison erheblich zu drücken. Die Preise im ersten Halbjahre 1914 bewegen sich zwischen 63 und 70 Pfg. für das halbe Kilogramm amerikanische Middling-Baumwolle. Bei Wolle macht sich die Intensivierung der Landwirtschaft in den La-Plata-Staaten bemerkbar. Die australische Schafschur bleibt 1913 infolge großer Dürre hinter den Schuren früherer Zeiten bedeutend zurück. Auf der Bedarfsseite bewirkt die Aufhebung des amerikanischen Wolleinfuhrzolles Ende 1912 eine starke Belebung des Wollgeschäfts. Die Heeresverstärkungen der letzten Jahre tragen ihrerseits zur Preissteigerung bei, was sich für Deutschland besonders bei der gebräuchlichen Uniformtuchwolle vom Kap bemerkbar macht. Die Preise im ersten Halbjahre 1914 sind ziemlich stabil. Die Schurausbeuten sind in allen Ländern normal. Mit einer Preissenkung wird nicht gerechnet. Jute steigt am stärksten im Preise — zurückzuführen auf den stark steigenden Verbrauch, die seit Jahren absichtlich nicht vermehrte Anbaufläche Indiens und das Handelsmonopol in der Hand weniger englischer Jutehändler. Ersetzung der Jute durch andere Erzeugnisse und vermehrter Güterverkehr ohne Packstoff kann der Preissteigung keinen Einhalt tun. Die Preissteigung beträgt in den Jahren 1912 und 1913 allein 50 %. In Erwartung einer großen Juteernte geht der Preis für „alte Ernte“ im Juni 1914 bis auf 30 Pfund Sterling pro Tonne zurück, während der höchste Preis der Saison 36,10 Pfund Sterling ist. Flachs hat gerade vor dem Kriege (1913) eine „Riesenernte“, wie sie in Fachkreisen genannt wird. Sie ruft eine starke Preissenkung in der Saison 1913/14 hervor. Als dann aber 1914 umgekehrt eine sehr schlechte Ernte in dem für Flachs ausschlaggebenden Rußland in Aussicht steht, kauft man soviel wie möglich von der alten Ernte auf. Die Preise ziehen ab Frühjahr 1914 wieder langsam an. Am Seidenmarkt ist man bei hohen Preisen zurückhaltend. Man glaubt wohl an eine günstige Moderichtung, aber auch eine besonders gute Seidenernte ist zu erwarten. Trotz im allgemeinen steigender Spinnstoffpreise stehen doch die Fabrikation und der Fabrikathandel mehr oder weniger bei allen Textilien unter dem Einfluß der seit 1913 niedergehenden Konjunktur. Übersättigung des Marktes infolge vorausgegangener Überproduktion, abnehmende Kaufkraft der Konsumenten, Unsicherheit der politischen Verhältnisse (Balkan, Mexiko usw.) führen vielfach zu Absatzstockungen im In- und Auslande und zu niedrigen Fabrikatpreisen trotz hoher Rohstoffpreise. Am stärksten ist der bedeutendste Textilindustriezweig, die Baumwollindustrie, betroffen, welche schon in den Zeiten der für viele Industriezweige vorausgegangenen ansteigenden Konjunktur zu teilweisen Betriebseinschränkungen hatte übergehen müssen und nun, besonders 1914, zu einer weiteren Produktionseinschränkung gezwungen ist. Bei Jute wird die Betriebseinschränkung 1914 von 10  % auf 20  % erweitert. Von der allgemeinen Depression werden auch die meisten anderen Textilzweige, wenn auch weniger stark, betroffen. Der Sommer 1914 läßt die Depression

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 Preise und Unternehmergewinne

unter dem Einfluß der üblichen Geschäftsunlust der Sommerzeit besonders stark zum Ausdruck kommen. So der Stand am 28.  Juni 1914, dem Tage der Ermordung des österreichischen Thronfolgers. Der Mord von Serajewo bildet ein neues politisches Moment für den Spinnstoffmarkt, das aber in der Preisbewegung anfänglich kaum zum Ausdruck kommt. Der internationale Markt ist in den letzten Jahren an beunruhigende politische Nachrichten gewöhnt. Sie haben auf den Spinnstoffmarkt keinen nennenswerten Einfluß ausüben können. Und, selber den Krieg nicht wünschend, glaubt auch die internationale Händlerschaft nicht an einen Krieg. Der Baumwollpreis, der am 2. Juni mit 70 Pfg. in Bremen den höchsten Stand der Saison erreicht hat und dann um 68 und 69 Pfg. pendelt, richtet sich auch weiterhin nach den Wetterberichten und steht unter dem Einfluß der allgemeinen Betriebseinschränkung in der in- und ausländischen Baumwollindustrie. Auch Jute ist anfänglich nur von den Nachrichten über die kommende Ernte und den Wasserstand der indischen Flüsse beeinflußt. Wolle und Flachs setzen ihre aufsteigende Bewegung fort wie vorher. Mit der wachsenden Unsicherheit der Lage ändert sich das Bild. Wolle und Baumwolle zeigen sinkende Preistendenz. Preissturz für Kammzug am Terminmarkt. Flachs- und Jutepreise ziehen weiter an. Preissenkung und Preissteigung treten verschärft in Erscheinung mit dem 24. Juli, dem Tage der Bekanntgabe des Ultimatums Österreichs an Serbien, und noch schärfer mit dem 28. Juli bei Bekanntwerden der Kriegserklärung Österreichs an Serbien. Jetzt treten Wetterberichte u. ä. fast ganz in den Hintergrund. Ausschlaggebend für den Preis wird die politische Lage. Greifbare Jute steigt in wenigen Tagen, sowohl in Deutschland als auch in England, von 30.15.— auf 32.—.— Pfund Sterling. Die Hauptumsätze zu diesen Preisen finden aber in Hamburg statt. Auch Flachs zieht weiter an, wenn auch nicht außergewöhnlich, da Händler angesichts der schwierigen Lieferungsmöglichkeit aus Rußland überhaupt mit Angeboten zurückhalten. Wolle zeigt eine rückläufige Preisbewegung. Baumwolle steht am 15. Juli in Bremen auf 67 Pfg., am 24. Juli auf 66¾ Pfg. und sinkt bis Ende Juli auf 61½ Pfg. Ähnlich ist der Preisverlauf für Baumwolle in Neuyork und Liverpool. Die Preisbewegung in den letzten Wochen des Juli 1914 ist bezeichnend nach mehreren Richtungen. In- und ausländische Märkte zeigen fast dieselbe Preisbewegung, obwohl man annehmen sollte, daß der drohende Krieg für die verschiedenen Länder eine verschiedene Preisentwicklung, wenigstens in der letzten Vorkriegswoche, gerechtfertigt hätte. Die Erklärung ergibt sich einmal aus der Gewöhnung an die internationale Preisbildung und aus der gewohnten Abhängigkeit der deutschen Spinnstoffmärkte von den ausländischen, zum andern aus dem Glauben, daß England dem Krieg fernbleibe. Der Blockadegedanke tritt fast ganz zurück. Weil der Baumwollpreis in Neuyork und Liverpool fällt, fällt er auch in Bremen. Der Baumwollpreis an den maßgebenden Auslandsmärkten fällt aber deshalb, weil man vom Kriege einen Rückgang des Baumwollverbrauchs erwartet. — Ohne weiteres erklärlich ist der gleiche Verlauf der Flachspreise im In- und Auslande. Die zu erwartende Flachsernte Rußlands ist sehr schlecht. Wenn Rußland in den Krieg eingreift, dann sieht es mit



Preisgrundlagen und Preispolitik im Kriege 

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der Flachsbeschaffung für alle Länder noch schlechter aus. Man kauft deshalb so viel von der alten Ernte wie möglich. — Das Anziehen der Jutepreise hat folgende Gründe: Die Vorräte im Jutehandel und in der Juteindustrie sind leichter zu übersehen, ebenso die Bedarfserhöhung im Kriegsfalle (Sandsäcke usw.), wobei auch Erinnerungen an frühere Kriege mitsprechen. Die Vorräte der alten Ernte sind gering. Sie reichen kaum bis zur neuen Ernte. Mit einer Verzögerung der Verschiffungen der neuen Ernte wurde schon vorher gerechnet. Greifbare Ware ist bei der Unsicherheit dieser Verhältnisse und bei eintretendem Kriegsbedarf um so wertvoller. — Die Entwicklung des Wollpreises erklärt sich aus der allgemeinen Unruhe auf den Märkten derjenigen Waren, deren Vorräte nicht etwa, wie bei Jute, durch einen eintretenden Krieg in kurzer Zeit absorbiert werden können. Überhaupt läßt die Unsicherheit über das, was kommt, die Käufer auf allen Gebieten vorsichtig, zum Teil auch kopflos werden — der Markt in den letzten Tagen vor Kriegsausbruch ist „demoralisiert“ —, sonst wären, wenigstens in Deutschland im Vergleich zu England, die Preise für Jute und Flachs noch stärker gestiegen, für Baumwolle und Wolle nicht gesunken. Der Preisverlauf wäre auch dann ein ganz anderer gewesen, wenn man in internationalen gewerblichen Kreisen mit einem Eintritt Englands in den Krieg gerechnet hätte. Als dann am 4. August England wider Erwarten dieser Kreise in den Krieg eintritt, zeigt sich, daß die Spekulation Englands und Amerikas hinsichtlich der kommenden Kriegspreise dennoch einigermaßen richtig gewesen ist, diejenige Deutschlands nicht. Woll- und Baumwollpreise sinken nach Kriegsausbruch in England und Amerika weiter oder stagnieren, während sie in Deutschland sofort eine umgekehrte Richtung einschlagen. Die Preisbewegung der Spinnstoffe vor Kriegsausbruch ist um so interessanter, als beispielsweise die Preise auch anderer kriegswichtiger Materialien wie der Metalle kurz vor Kriegsausbruch sinken und nur die Lebensmittelpreise unter dem drohenden Kriegsausbruch steigen. Unter den Rohstoffen machen Jute und Flachs eine Ausnahme. Die Preisentwicklung kurz vor Kriegsausbruch hat auch für die Kriegszeit selbst Bedeutung gewonnen. Soweit beispielsweise die Preise für einzelne Spinnstoffe besonders hoch sind, von den neuen Ernten aber eine Preissenkung erwartet wird, hat man mit Käufen in den letzten Vorkriegsmonaten zurückgehalten. Die Vorräte an diesen Spinnstoffen sind deshalb verhältnismäßig gering und verstärken die Preissteigung nach Kriegsausbruch.

Preisgrundlagen und Preispolitik im Kriege 1 Einführung Der Krieg bricht aus. Die internationale Preisbildung hört für Deutschland auf. Die preisbestimmenden Faktoren wechseln. Nicht mehr ein Regenfall in Amerika oder

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 Preise und Unternehmergewinne

eine Dürre in Australien beeinflussen die Preise. Neue Einflußfaktoren, viel stärker als die alten, machen sich geltend. In den ersten Wochen steht der Wirtschaftsverkehr fast still. Der Warentransport stockt. Die Zahlungen stocken. Der Kauf wird eingestellt. Die meisten haben Ware genug, vielleicht zuviel. Nur der im Frieden verpflichtete Heereslieferant ergänzt seine vielfach ungenügenden Bestände. Dann aber tritt der erweiterte Heeresbedarf in Erscheinung, hier früher, dort später. Die Truppen dringen siegreich vor, und die Wirtschaft belebt sich wieder. Die Preise steigen, aber nur zögernd. „Bald ist der Krieg zu Ende“ — dann aber kommt wieder Ware herein wie vordem. Das Risiko ist also groß. Käufe zu den hohen Preisen können „zum Ruin führen“. Im Frieden hat man um Pfennige gefeilscht. „Kriegspreise“ erfordern Gewöhnung. „Die Heeresverwaltung aber zahlt jeden Preis.“ Nach und nach sickert dies durch. Ein Risiko besteht nicht mehr. Alles drängt nach Ware. Immer neue Kreise werden von dem Lieferungstaumel erfaßt, nicht zuletzt solche, denen das Gewerbe der Spinnstoffe und seine Erzeugnisse bisher fremd waren. Im August ist die K.R.A. ins Leben getreten. Sie will die Mengen regeln, nicht die Preise. Sie ist auch nicht für alle Spinnstoffe zuständig, sondern nur für diejenigen knappen Spinnstoffe, welche in erster Linie das Heer braucht. Die Preise aber steigen weiter. Man appelliert an die Moral der Unternehmer. Die K.R.A. erwartet von den Rohstoffeigentümern eine „Preisstellung in normalen Grenzen“. Die Bekleidungsabteilung des Kriegsministeriums appelliert an den Patriotismus der Tuchlieferanten. Dem Bremer Baumwollhandel macht die K.R.A. den Vorwurf, daß er die durch den Krieg geschaffene Lage ausnutze, worauf der Bremer Baumwollhandel die Schuld vom legitimen Handel auf die Spekulation abwälzt. Die Appelle an die Moral nützen wenig, und Vorwürfe nützen überhaupt nichts. Vereinzelt ruft schon die endverarbeitende Industrie nach Höchstpreisen, Preistaxen od. dgl. Ihr ist bei den schwankenden Preisen die sichere Kalkulationsbasis genommen. Das führt zu Schwierigkeiten mit den Beschaffungsstellen. Man braucht stabile Preise. Im allgemeinen aber sieht die Industrie das geeignete Mittel, die Preissteigerung zu beseitigen, in der Mengensteigerung. Das Preisgesetz von Angebot und Nachfrage spukt noch in allen Köpfen; nur daß die das Gleichgewicht haltenden Mengen für das Angebot fehlen. Man fordert die Beschlagnahme der großen Vorräte im besetzten Gebiet. Sie würde der Preissteigerung abhelfen. Die K.R.A. beschlagnahmt die Vorräte im besetzten Gebiet, aber das Staatsinteresse verbietet ihre volle Freigabe. Der Höchstpreisgedanke ist niemandem sympathisch, auch der K.R.A. nicht. Die Materie ist zu kompliziert. Es fehlt auch jede Erfahrung. „Der Krieg dauert nicht lange4.“ Nur so weit will man in das Wirtschaftsleben eingreifen, als es unbedingt nötig ist, um die Wirtschaft schnell wieder auf den alten Stand zurückführen zu können. Auch ist der

4 Nur einige wenige sind anderer Meinung.



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einzelne zu sehr überlastet. Es fehlt der K.R.A. an Raum, an Personal und an Schreibmaschinen. Die Preissteigerung aber geht weiter. Hilferufe aus der Industrie. Vorstellungen von Parlamentariern. Klagen der Beschaffungsstellen. — Noch zögert man. Für die Heeresverwaltung ist die Mengenfrage am wichtigsten. Höchstpreise würden die Einfuhr stören, eine Auffassung, die besonders der Handel unterstützt. Die Preissteigerung aber ist nach „Friedensbegriffen“ gewaltig. Der Wollpreis ist bis Oktober 1914 beinahe um 100 % gestiegen. Auch führt die anhaltende Preissteigerung allmählich zur Zurückhaltung der Ware. Ende Oktober tritt man der Höchstpreisfrage näher. Kurz vor Weihnachten erscheinen die ersten Spinnstoffhöchstpreise, und zwar für Wolle. In langen Abständen folgt die Preisregelung für Flachs, Baumwolle, Lumpen, Kunstwolle, Papiergarn usw. (das Nähere folgt in den Sonderkapiteln). Einige Spinnstoffe, wie Baumwolle und Seide, kommen noch in so großen Mengen ins Land, daß ihre Preise sinken. Das Sinken der Preise dauert aber nicht lange. Bald sind alle Spinnstoffe von der Preissteigerung ergriffen. Sie steigen auf das Doppelte und Dreifache und selbst höher, bevor der Staat eingreift. Die ersten Maßnahmen sind sehr locker: Herstellungseinschränkung von Zivilstoffen, wie bei Baumwolle und Flachs, Teilbeschlagnahme; später erweiterte Teilbeschlagnahme, Gesamtbeschlagnahme. Die Teilbeschlagnahme bewirkt, daß die Preise für den freibleibenden Teil noch stärker steigen als vorher. Die Gesamtbeschlagnahme ist in der Regel mit Höchstpreisen verbunden. Bei einigen Sorten verzichtet man auf das Mittel gesetzlicher Höchstpreise. Man schreibt Preise auf dem Verwaltungswege vor und macht irgendwelche Berechtigungen von der Einhaltung dieser Preise abhängig. Ist die Festsetzung von absoluten Preisen aus technischen Gründen überhaupt nicht möglich, so trifft man die Bestimmung, daß die Preise nicht höher sein dürfen, als z. B. bei Erlaß der Bestimmung. Bei längerer Zeitdauer der Preisfestsetzung wird eine Heraufsetzung der Preise notwendig. Fortschritte in der Produktionstechnik bringen neue Sorten, ein Wechsel im Verwendungszweck ändert das Wertverhältnis, steigende Löhne und steigende Preise der Herstellungsstoffe oder der Rückgang des Beschäftigungsgrades ändern die Gestehungskosten. Auch die Notwendigkeit der Anreizgebung verlangt neue Preise. Verfolgt man die preisbeeinflussenden Faktoren, so ergibt sich in bunter Reihenfolge dieses Bild: Von mehr oder weniger großem Einfluß auf die Preisbildung sind der schlechte organisatorische Aufbau, Geldentwertung, Interessenwirtschaft, Personalmangel, die verschieden große Eignung der Wirtschaftsbeamten, der Grad der Anständigkeit der Unternehmer, die Gewinne der „anderen“, die Preissteigerung der „anderen“ Artikel, das psychologische Grundgesetz der Beharrung, die Lohnsteigerung der Arbeitnehmer, die geringeren Leistungen der Arbeitnehmer, die Notwendigkeit der Schonung des Wirtschaftslebens, die teilweise Gültigkeit des Preisgesetzes der höchsten Kosten, stark steigende Generalunkosten infolge abnehmender Beschäftigung, Entschädigung der stillgelegten Betriebe, die Dringlichkeit

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 Preise und Unternehmergewinne

der Bedarfsdeckung, die besonderen Risiken der Kriegszeit, langsames Arbeiten wichtiger Zivilstellen, die mit der Zwangswirtschaft verbundene Schematisierung, soziale Rücksichtnahme, Partikularismus, die Anreizpolitik, verspätete Mengenregelung, die Schwierigkeit der Selbstkostenprüfung, Rechtsunsicherheit, Kartellierung, die geringere Geschäftsmoral gegenüber dem Staate als Kunden. Sucht man nach weiter zurückliegenden Ursachen, so fällt es nicht schwer, einen großen Teil der genannten preissteigernden Faktoren auf die mangelnde wirtschaftliche Vorbereitung des Krieges zurückzuführen. Was nicht vorbereitet war, und es fehlte sehr viel — teilweise zurückzuführen auf Unterlassungen von Heeresstellen, teilweise auf Kurzsichtigkeit des alten Reichstages —, das mußte von heute auf morgen geschaffen werden. Alles war Improvisation. Wäre es anders gewesen, die Preisentwicklung im Kriege wäre nie in die Bahnen gekommen, in die sie bald nach Kriegsausbruch einlenkt, und die sie bis Kriegsende und darüber hinaus nicht wieder verläßt. Auch tritt die Mengenfrage so sehr in den Vordergrund, daß die Preisfrage vollkommen dahinter zurücktritt. Während man bei der Mengenpolitik von einem gewissen System sprechen kann, ist die Preispolitik, im Zusammenhang betrachtet, fast systemlos. Es fehlt die einheitliche Leitung mit diktatorischer Gewalt für das gesamte Wirtschaftsleben. Die beste Preispolitik der Einzelstelle muß versagen, wenn die gesamte Preispolitik der Einheitlichkeit entbehrt. Alle Preise und Löhne stehen miteinander in mehr oder weniger engem Zusammenhang. Ist die Preis- und Lohnpolitik nicht einheitlich, so treibt der eine Keil den anderen. Es bildet sich die Schraube ohne Ende, an deren Wirksamkeit die Preispolitik schließlich zusammengebrochen ist. Diese Betrachtungen leiten schon über zur Frage der Organisation der Spinnstoffwirtschaft.

2 Die Organisation Einer der größten Mängel der Kriegswirtschaft für eine geregelte Preispolitik ist zweifellos zu suchen in dem verkehrten Aufbau und in dem Fehlen einer zentralen Führung. Ein unseliger Konkurrenzstreit zwischen verschiedenen behördlichen Stellen zieht sich fast durch die ganze Kriegswirtschaft hin. Die Zivilwirtschaft ist getrennt von der Heereswirtschaft, die Bedarfsdeckung für die Marine lange Zeit z. T. getrennt von der des Landheeres, die Beschaffung der Rohstoffe der Heereswirtschaft getrennt von der Beschaffung der Heeresfertigfabrikate, die Beschaffung der Fertigfabrikate selbst wiederum zersplittert. Selbst die Beschaffung von einzelnen Spinnstoffen der gleichen Art liegt lange Zeit nicht in einer Hand. Die K.R.A. setzt im allgemeinen die Preise für die Rohstoffe fest, die sog. Beschaffungsstellen für die Fertigfabrikate. Bei den Halbfabrikaten setzt bei den einen die K.R.A. die Preise fest, bei den anderen die Beschaffungsstellen. Jede Stelle treibt eigene Preispolitik. Die Erfahrungen, welche auf dem einen Gebiet gesammelt werden, kommen häufig nicht schnell und unmittelbar der anderen Stelle zugute. Die Preispolitik der einen Stelle läuft aber auch der der



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anderen Stelle unter Umständen zuwider. Einzelne Spinnstoffe bleiben von preispolitischen Maßnahmen eine Zeitlang deshalb frei, weil diese Stoffe „nicht zum Ressort gehören“. Preise und Löhne sind z. T. bei der einen Beschaffungsstelle höher als bei der anderen, was die liefernden Industrien der anderen Stelle ebenfalls veranlaßt, Preise und Löhne höher zu schrauben. Infolge der gegenseitigen Vertretbarkeit der Spinnstoffe wäre gerade bei den Spinnstoffen eine gleichmäßige Preispolitik notwendig gewesen. Diese enge Fühlungnahme fehlt aber lange Zeit sogar zwischen den Spinnstoffreferaten derselben Abteilung, der K.R.A., und wird ganz nie erreicht. Man kann in Einzelfällen deutlich erkennen, daß die Referate sich gegenseitig nur wenig oder gar nicht mit ihren Erfahrungen beeinflussen. Als man diesem Mißstand in der K.R.A. abzuhelfen sucht, sind die Grundlagen bereits gelegt, Personen und Organisationen „eingefahren“. Der Versuch, das Bestehende zu ändern, scheitert. Alles Neue aber steht in zu engem Zusammenhang mit dem Alten. Es bleibt nur noch die Möglichkeit des Kompromisses. Als ein Mangel zeigt sich auch, besonders in den ersten Kriegsjahren, teilweise auch noch späterhin, daß es an einer einheitlichen Mengen- und Preispolitik zwischen den Bundesgenossen fehlt. Die Truppen „Schulter an Schulter“, die Wirtschaften in Konkurrenz miteinander. Die mangelnde Einheitlichkeit macht sich lange Zeit besonders bei den Käufen im neutralen Ausland bemerkbar. Sie tritt aber auch in Erscheinung innerhalb des Wirtschaftsgebietes der Verbündeten selbst. Als in Deutschland Höchstpreise für Wolle festgesetzt sind, in Österreich noch nicht, der offizielle Preisstand in Österreich infolgedessen höher als in Deutschland ist, wird Wolle aus Deutschland zu Überhöchstpreisen nach Österreich geschafft. Als Seide in Deutschland beschlagnahmt, in Österreich aber noch frei ist und die Preise in Österreich besonders hoch sind, geht die Seide aus der Schweiz nach Österreich trotz Finanzierung mit deutschem Kapital. Auch bilden die Preise in Österreich ein beliebtes Vergleichsobjekt für die reichsdeutschen Unternehmer gegenüber ihrer Heeresverwaltung. Innenorganisatorisch bringt eine Erschwerung der Arbeit der Heeresverwaltung die große Zahl der „Mitprüfenden“. Eine Mitprüfung ist vielfach notwendig. Aber die mitprüfenden Zivilstellen arbeiten z.  T. langsam. Sie brauchen für ihre Mitprüfung Wochen, Monate, unter Umständen ein halbes Jahr. Eile ist aber bei allen Maßnahmen für den Heeresbedarf geboten, besonders dann, wenn schon die Anregung zu spät erfolgt. Die durch die Mitprüfung von Zivilstellen entstehende Verspätung von Maßnahmen führt schließlich dazu, daß die K.R.A. die Zivilstellen zu umgehen sucht. Von zwei Maßnahmen, von denen die eine die Mitwirkung anderer Stellen notwendig macht, die andere nicht, wählt sie u. U. die letzte, auch wenn diese an und für sich die schlechtere ist. Die schlechtere Maßnahme ist immer noch die erfolgreichere, wenn sie sofort geschieht. Die Heeresverwaltung hat schneller gearbeitet als die meisten anderen Stellen. Anfänglich, zum Teil noch im Jahre 1915, harren auch bei der K.R.A. Korrespondenzen Wochen und Monate der Bearbeitung. Spätere, im geregelten Betrieb, finden die

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Korrespondenzen in längstens acht Tagen Erledigung. Die meiste Zeit davon erfordern Unterschrift und Kanzlei. Von einem Kenner wird die verhältnismäßig schnelle Bearbeitung in der K.R.A. als Rekordleistung wirtschafts-behördlicher Arbeitsweise im Kriege bezeichnet. Eine große Rolle spielt auch der „Vorgang“, das ist das Schriftstück aus früherer Zeit in derselben Angelegenheit. Die Registraturen sind vielfach schlecht aufgebaut, der „Vorgang“ schlecht zu finden. Moderne Bureautechnik kennt der behördliche Betrieb vielfach nicht. Vor allem fehlt es bei manchen Registraturen an der genügenden Spezialisierung nach Materien.

3 Die Personen Da nicht ein mechanischer Apparat die Preise regelt, vornehmlich in der öffentlich organisierten Wirtschaft, sondern Menschen, ist die Preispolitik stark beeinflußt durch persönliche Momente. Sie sind für die Preispolitik der Spinnstoffe von so großer sachlicher Bedeutung, daß ohne ihre Kenntnis eine gerechte Beurteilung der Preispolitik der Heeresverwaltung nicht möglich ist. a) Der Wirtschaftsbeamte. Offiziere und Militärbeamte, welche Technik und Wirtschaft der Textilien oder einzelne ihrer Gewerbezweige beherrschen, gibt es bei Ausbruch des Krieges nicht. Die alten Fachbeamten und Offiziere besitzen nur beschränkte Fachkenntnis. Allgemeine Kenntnisse des Wirtschaftslebens besitzen sie überhaupt wenig. Auch werden sie vollauf gebraucht in den Beschaffungsstellen der Fertigfabrikate. In der Rohstoffwirtschaft greift man z. T. auf zufällig sich bereit findende Personen aus dem Wirtschaftsleben, seinen Verbänden und Lehranstalten zurück. Der eine stammt aus dem Handel, der andere aus der Industrie. Der eine ist Händler, der andere Fabrikant, Ingenieur, Botaniker, Fachlehrer oder Jurist5. Der eine steht der betreffenden Gewerbegruppe persönlich nahe, der andere nicht. Die ihr am nächsten Stehenden kennen die Materie am besten. Der Fachverständigste also ist der Interessent. Nur die Fachlehrer stehen ihm noch an Fachkenntnis nahe, übertreffen ihn sogar (ohne mit dem „Odium des Interessiertseins“ behaftet zu sein), als die kaufmännischen Fragen immer mehr hinter den technischen Fragen zurücktreten. Man erkennt die Brauchbarkeit der Techniker in der Spinnstoffwirtschaft jedoch zu spät, sowohl in den Rohstoff- als auch in den Fabrikatstellen. „Den Techniker haben wir erst allmählich als brauchbaren Kerl entdeckt“, sagte mir gelegentlich ein hoher Militär des Bekleidungsbeschaffungswesens.

5 Den Volkswirt kennt man anfangs überhaupt nicht. Später findet er sich nur in einem Seltenheitsexemplar. Der Organisator vom Fach fehlt sogar bis Kriegsende. Hätte dem organisatorisch zweifellos befähigten Offizier nicht die Sachkenntnis gefehlt, der Organisator wäre z. T. durch ihn ersetzt worden.



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Sowohl die Interessierten als auch die Nichtinteressierten macht man zu Referenten, zu den kommenden Beherrschern der Spinnstoffe im ganzen Reich. Und häufig ist ihre Wahl recht glücklich. Späterhin erfolgt die Ergänzung der Beamten nur noch selten aus dem Zivilstand. Das neue Ergänzungsmittel bildet die Kommandierung aus der Truppe. Richtet sich damit die Auslese nicht mehr allein nach der Fähigkeit, so wird die fachgemäße Auslese dadurch notwendigerweise noch weiter eingeschränkt, daß oberster Grundsatz für die Auslese immer mehr wird, wer g. v. oder k. v. ist. Für die gehobenen Stellen aber wird immer mehr ausschlaggebend, wenn auch weniger notwendig, wer von den zu Kommandierenden g. v.-Reserveoffizier ist oder nicht. Man will den Offizier mit Ehrgefühl und Lauterkeit. Man bedenkt dabei aber zu wenig, daß der Reserveoffizier zu kurze Zeit im Geiste des „preußischen Militarismus“ erzogen wurde, um jene Eigenschaften in dem Grade zu besitzen, wie es für den viel versuchten Wirtschaftsoffizier notwendig gewesen wäre. Nicht an krasse Formen der Unlauterkeit ist dabei gedacht, wohl aber an jenes besonders strenge Pflichtgefühl, das in erster Linie dem aktiven Offizier eigen war. „Man hat es verabsäumt“, sagte einmal ein getreuer Beobachter dieser Verhältnisse in der Textilwirtschaft, „dem Reserveoffizier jenes verfeinerte Ehr- und Pflichtgefühl anzuerziehen, das stark genug ist, auch außerhalb von Kasino und Kasernenhof (mit ihrer Aufsicht) das Eigeninteresse in jeder Beziehung zurückzudrängen, wenn es das Vaterland erfordert.“ Und auch er dachte nicht an die krassen Formen der Selbstsucht, wohl aber an die feinen Formen des Egoismus, die dem einzelnen vielleicht gar nicht recht zum Bewußtsein kommen. Den Referenten überordnet man in der K.R.A. späterhin den aktiven Offizier. Ist diesem auch die zu behandelnde Materie nicht in allen Teilen fremd, besteht doch für ihn sachlich in jedem Fall eine weitgehende Abhängigkeit von seinen Referenten. Aber auch der Referent selbst, sogar dann, wenn er dem betreffenden Gewerbe entstammt, kennt seinerseits immer nur Teile des Gewerbes. Für das, was ihm fremd ist, braucht er die Mitarbeit anderer, d. h. die Beratung durch seine früheren Kollegen. Übertragene Sachkenntnis aber ist weniger wertvoll als Sachkenntnis aus eigener Erfahrung. Sodann schließt die Beratung durch die „aktiven“ Interessenten auch die Gefahr der Interessenwirtschaft in sich, insbesondere die Verzögerung notwendiger Maßnahmen. Die Gefahr ist umso größer, je weniger der Referent selbst sachverständig ist. Ist er jedoch sachverständig, gleichzeitig aber Interessent, so ist selbst bei dem zum Beamten gestempelten Kriegsreferenten wenigstens die Gefahr der Interessenwirtschaft vorhanden. Daß am Anfang der Wirtschaftspraktiker den Standpunkt von Handel und Industrie nicht sofort verleugnet, weil er „nicht ohne weiteres aus seiner Haut heraus kann“, wie sich gelegentlich einer der Referenten selbst ausdrückte, versteht sich von selbst. Sein Leben als Händler oder Industrieller hat ihn zu sehr durchdrungen von dem Standpunkt des Gewerbes oder der einzelnen Unternehmung. Daß einige es fertig bringen, sich im Laufe der Zeit fast ganz von diesem Standpunkt freizumachen, verdient besondere Erwähnung. Was manchem Praktiker aber auch nach längerer Tätigkeit vielfach noch fehlt, ist der Blick für das Ganze, auch nachdem allmählich eine Verbeamtung stattgefunden hat und, wie Rathenau sich ausdrückt,

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die Industriellen „bald so fiskalisch geworden sind, daß wir manches vorwurfsvolle Wort von unseren eigenen Industrien zu hören bekamen“. Von Bedeutung für die Preispolitik ist auch, ob der Referent nach seinen wirtschaftspolitischen Grundanschauungen Zwangswirtschaftler oder Freiwirtschaftler ist. Sodann spielt in der Preispolitik die persönliche Veranlagung eine gewisse Rolle. Man findet sowohl den entschlußfreudigen Kriegsreferenten, der schnell zufaßt, als auch den ängstlich wägenden Pedanten. Zuweilen wirkt auch Ehrgeiz zum Schaden der Sache. Auch schlecht geregelte Rangverhältnisse müssen in einer militärischen Organisation nachteilig wirken. Veranlagung, Rangverhältnisse, Sachkenntnis, wirtschaftspolitische Grundanschauung, alles das spielt in der Preispolitik der Spinnstoffe eine Rolle. Im Beamtenapparat der Beschaffungsstellen der Fertigfabrikate spielen natürlich diese und ähnliche Momente ebenfalls mit. Aktive Fachoffiziere und aktive Fachbeamte sind aber hier weit stärker vertreten, wenn auch bei längerer Kriegsdauer ihre Verhältniszahl sich mindert. Daß bei gewissen Lieferanten allmählich der Satz „Man muß im Kriegsbekleidungsamt einen bezahlten Vertreter haben“, ein geflügeltes Wort wird, sei immerhin erwähnt. — Ganz anders liegen die Verhältnisse in den Kriegsgesellschaften und Kriegsausschüssen. Das militärische Element fehlt hier fast ganz, die Sachkenntnis ist größer, größer aber auch die Gefahr der Interessenwirtschaft. Eine besondere Stellung nehmen die Beamten der Zivilministerien und die Vertreter der einzelnen Gliedstaaten in der Preispolitik ein. Sie sind vielfach unbeeinflußt von den Allgemeininteressen und zeigen sich wiederholt als unbedingte Interessenvertreter ihrer Ressorts bzw. der bundesstaatlichen Gewerbezweige. Nicht weniger bedeutsam als die Art der Personen ist ihre Zahl. Der Mangel an Personal, begründet oder nicht begründet, besonders am Anfang und vereinzelte Schwierigkeiten bei der Personalanforderung sowie Personenwechsel an einzelnen Stellen zeigen nachteilige Folgen. b) Industrielle und Händler. Der Unternehmer will als Unternehmer verdienen. Auch der Krieg ist für ihn eine Konjunkturperiode. Der Durchschnittsunternehmer sucht sie auszunutzen, so gut er kann. Am Anfang allerdings, als die Kriegsbegeisterung noch groß ist und die Moral noch höher steht, weisen die anständigen Unternehmer das Kriegswuchergeschäft entschieden zurück. Von ihnen sagt der damalige Reichstagsabgeordnete Noske in der Kommission zur Prüfung von Verträgen über Rüstungslieferungen, „daß die Unternehmer geradezu fassungslos und mit einem Gefühl von Scham den gezahlten riesenhohen Preisen gegenübergestanden hätten“. Die Besten unter ihnen, wenn auch an Zahl gering, ziehen sich, soweit tunlich, vom „Kriegsgeschäft“ zurück. „Mit Schmutz besudelt sich der ‚königliche Kaufmann‘ nicht“, sagte dem Verfasser gelegentlich der Mitinhaber einer großen Handelsfirma. Die Desorganisation in der Bekleidungsbeschaffung und mit ihr die Möglichkeit, große Gewinne zu erzielen, verursacht bald, daß vom wilden Handel her der Staat rücksichtslos übervorteilt wird. Wären es nur wenige und glaubte man nicht, diese



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Leute im Augenblick zu brauchen, wären sie sicherlich als Hochverräter gebrandmarkt worden. Ihre Zahl aber ist groß und wächst, als auch viele „Anständige“ schließlich mitgerissen werden von der Jagd nach Kriegsgewinnen. Immer tiefer sinkt dann die kaufmännische Moral, und immer größer wird die Geschicklichkeit, den Staat auszubeuten. Der Deckmantel „nur im Interesse der Sache“, „im Interesse des Ganzen“ zu handeln, überdeckt das Tun der meisten. „Wenn man nachfühlte,“ so sagte einmal eine der zuständigen Amtspersönlichkeiten, „dann stieß man auf krassen Egoismus.“ Übervorteilung des Staates treiben so viele, daß man beinahe sagen möchte, sie unterscheiden sich nur graduell und in der Art der Mittel, die sie anwenden. Diese Mittel sind zahlreich. Eines der bekanntesten ist das ständige Klagen. Manchem Unternehmer geht es in den Aussagen gegenüber den zuständigen Amtsstellen geschäftlich fast immer schlecht. Dauernd klagt er über die vielen Unbilden der Kriegswirtschaft, über Verluste usw. Bei persönlichen Vorstellungen, in Sitzungen und Zuschriften sucht er zu beweisen, wie wenig einbringend das Geschäft sei. Er erklärt, daß der vorgeschlagene Preis „zum Ruin des Unternehmens“ führe, daß er dem Industriellen die Unternehmungslust, das Agens seines Handelns, ohne das der Krieg überhaupt nicht geführt werden könne, nehme, daß diese oder jene Maßnahme einer „glatten Vermögenskonfiskation“ gleichkomme oder daß in dem und dem Jahre „bei den wenigsten Firmen des Industriezweiges mit einem Gewinn zu rechnen sei“. Würde das letzte auch stimmen — das von diesem Unternehmer entwickelte Gesamtbild wäre häufig dennoch falsch, weil er vorausgegangene Gewinne verschweigt. Würde er sie nicht verschweigen, zeigte sich das Gesamtbild als das gerade Gegenteil des von ihm in seinen Klagebriefen gegebenen. Als gelegentlich eine ganze Industriegruppe der K.R.A. halb klagend, halb drohend gegenübertritt, weil sie sich im Augenblick durch Höchstpreise geschädigt fühlt, da berichtet ein zur Revision gesandter Sachverständiger der K.R.A., daß zum mindesten das Vorjahr für den betreffenden Industriezweig ein Geschäftsjahr gewesen sei, „wie es in einem Menschenleben vielleicht nicht wiederkehren würde“. Dann gibt es den anderen, aber selteneren Unternehmer, der immer wieder darauf hinweist, daß gerade die Vernichtung seiner Industrie ein Ziel der Feinde sei. Man erweise dem Lande den besten Dienst, wenn man seine Industrie finanziell gekräftigt aus dem Krieg hervorgehen lasse. Weniger selten ist eine dritte Unternehmergruppe. Sie appelliert an den Staat, dem es gut gehe, wenn es der Volkswirtschaft gut gehe. Man stellt die Frage, wer Steuern zahlen und Kriegsanleihe zeichnen solle, wenn der Unternehmer nicht verdiene. Noch häufiger findet sich der Unternehmer, der seine persönlichen Interessen scheinbar zurücktreten läßt hinter dem, was der Augenblick gebieterisch verlangt. Zu „Opfern für sein Land“ — er bietet sie immer wieder an — ist dieser Unternehmer scheinbar stets bereit. Nur mit Rücksicht auf das Wohlergehen seiner Industrie, seiner Arbeiter, insbesondere „der armen Kriegerfrauen und Heimarbeiterinnen“, auf den „kleinen Landwirt“ und den „ehrenwerten Handwerker“ muß er notgedrungen seine Forderungen höher stellen. Bei einzelnen ist dies bitterer

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Ernst, bei anderen Stimmungsmache des persönlichen Vorteils halber. Nur, daß der Staat selten unterscheiden kann, was es eigentlich ist. Schlimmer als mancher Unternehmer selbst ist häufig sein Berufsvertreter, der Syndikus. Die Soziologie kennt den „Beauftragten“, der, um in günstiges Licht bei seinem Auftraggeber zu kommen, „sich nicht klein kriegen läßt“. Viele Unternehmer behalten Material zurück, das „erspart“ worden ist bei der Fabrikation. Andere mischen schlechteres Material bei und liefern dem Soldaten an der Front ein noch schlechteres Produkt, als es die allgemeine Notlage schon an und für sich erfordert. Es soll auch Unternehmer geben, welche den Rohstoff an die Landesgrenze bringen und dann wieder „einführen“, um ihn als Auslandsmaterial zu verkaufen. Höchstpreisüberschreitungen, schon in der ersten Zeit des Krieges, als die Achtung vor den Gesetzen noch größer ist als in der letzten Zeit, sind zu bekannt, als daß sie hier besonders hervorgehoben werden müßten. Daß eine ganze Industriegruppe Höchstpreise zu umgehen sucht, ist nur einmal vorgekommen. Die zuständige Stelle hat sich schließlich damit geholfen, daß sie keine Aufträge mehr in dem betreffenden Artikel erteilt. Viele Unternehmer sind auch stets bereit, Heeresaufträge liegen zu lassen (deren Dringlichkeit unter Umständen recht groß ist), wenn an den Zivilaufträgen noch mehr zu verdienen ist als an den Heeresaufträgen. Eine große Rolle scheint auch bewußte Unwahrheit gespielt zu haben, ist auch zweifellos der Ausspruch eines Beamten an verantwortlicher Stelle, „sie haben mich alle angelogen“, aus Verärgerung darüber getan worden, daß ihn allerdings nicht alle, aber doch viele angelogen haben. Viele Unternehmer sind offiziell stark ehrbewußt. Kleine Andeutungen seitens der Heeresverwaltung über etwaige Verschleierungen, welche wohl in diesem oder jenem Fall eintreten könnten, führen zu großer Entrüstung. Auch die Aussprache in der Öffentlichkeit über die Frage, welcher Wirtschaftszweig (Landwirtschaft, Handel oder Industrie) die größere Schuld an den hohen Preisen trage, läßt jede Stufe das Odium der Verteuerung ängstlich von sich weisen. Eine andere Feststellung ist nicht weniger interessant. Sie betrifft den Unterschied in der Anständigkeit der einzelnen Unternehmergruppen je nach dem Material, mit dem sie sich befassen. Häufig mag der weniger Anständige von vornherein ein weniger anständiges Gewerbe wählen. Aber vielfach dürfte auch der Anständige in einem weniger „anständigen“ Gewerbe zum weniger anständigen Menschen erst werden. Die größte Vorsicht wäre demnach preispolitisch dort geboten, wo das Material am „schmutzigsten“ ist, eine Erscheinung, die schon im Geschäftsleben der Vorkriegszeit nicht unbekannt war. „Das Material färbt ab“, sagt man. In der Leinen- und Seidenindustrie, um ein extremes Beispiel zu nennen, soll es weit mehr anständige Elemente geben als in diesem oder jenem anderen Wirtschaftszweige. Die etwas merkwürdige Feststellung findet ihre Erklärung darin, daß das schmutzige Material die größere Täuschungsmöglichkeit läßt. Selbst der moralisch Hochstehende kann schließlich mitgerissen werden, wenn er konkurrenzfähig bleiben will.



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Von nicht minder großer Bedeutung ist ein anderes Moment. Unter den „Leuten mit alter Kultur“, besonders aus der Wollindustrie, aus der Seiden- und Leinenindustrie, zeigen sich mehr Anständige als unter den kaum der Werkmeisterperiode entwachsenen Jungindustriellen. Daß diese Angaben nur allgemeiner Natur sind und viele Ausnahmen hüben und drüben bestehen, versteht sich von selbst. Häufig ziehen Unternehmer Preisvergleiche mit dem Auslande, sei es ganz allgemein, um die infolge von Höchstpreisen bestehende niedrigere Preislage des Inlands gegenüber dem Auslande zu kennzeichnen, sei es im besonderen, um die höhere Preislage Österreichs (gelegentlich auch Englands) hervorzuheben. Eine große Rolle spielen auch Vergleiche von Preisen bzw. Gewinnmargen mit anderen Teilen der Textilindustrie oder mit der Munitionsindustrie (des Inlands). Weil der eine Unternehmer viel verdient, will der andere Unternehmer auch viel verdienen. Als man den Fabrikanten eines Hilfsgewerbes der Textilindustrie in einer Sitzung Vorwürfe machte wegen zu hoher Preisforderungen und sagte, daß der betreffende Gewerbezweig auch bei niedrigeren Preisen verdiene, da antwortete jemand: „Wir verdienen allerdings, aber wir wollen grob verdienen. Das ist doch das Zeichen der Zeit.“ Für die späteren Betrachtungen bemerkenswert ist auch, daß der Unternehmer einer ihn schädigenden Preisverfügung weit größeren Widerstand entgegenbringt als einer ihn vielleicht mehr schädigenden Mengenverfügung. Die Einsicht von der Notwendigkeit einer Mengenverfügung ist größer, und die direkte geldliche Schädigung einer Preisverfügung wirkt stärker. Auch krasse Widersprüche, wenn auch durchaus nicht unerklärlich, finden sich in der Preispolitik desselben Gewerbes. Gegen Höchstpreise protestiert man so lange, bis sie endlich doch kommen. Wenn sie da sind, protestiert man gegen die Verspätung. Dasselbe Gewerbe begründet auch bei gleichen Voraussetzungen im einen Fall eingehend die Richtigkeit der Bewertung einer Ware nach den Selbstkosten und im anderen Fall nach dem Verwendungszweck. An die Festsetzung von Höchstpreisen glaubt der Unternehmer vielfach nicht. Er hält die Materie für zu kompliziert. Nach seiner Meinung hat gerade sein Fach zu viele Sorten und Feinheiten, als daß man sie in ein Preisgesetz einzwängen könne. Diese Unternehmer kaufen weiter, auch wenn sie vollkommen über die Absichten der Regierung orientiert sind. Sie kaufen bis zum Vortage der Festsetzung von Höchstpreisen, die weit niedriger sind als die letzten Handelspreise. Etwas spielt dabei auch der Taumel der Spekulation mit, die dauernde Hausse, die niemand stören möchte. Die Hauptsache ist, „Ware haben“; mit dem Staat wird man schon fertig werden. Für das, was im Interesse des Staates notwendig ist, zeigt der Unternehmer wenig Weitblick. „Womit sich der Unternehmer einverstanden erklärte“, sagte einmal eine der zuständigen Amtspersonen, „waren Augenblicksmaßnahmen. Drückten wir weitergehende Maßnahmen durch, so war uns der Unternehmer wohl später dankbar, aber bei neuen Maßnahmen zeigte er dieselbe Kurzsichtigkeit wie vorher.“ Häufig hat diese Kurzsichtigkeit zum Widerstand gegenüber notwendigen Eingriffen geführt. Die Verspätung zahlreicher Maßnahmen ist auf die geringe Einsicht der Unterneh-

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mer zurückzuführen. Aber wie bei allen hier gemachten Darlegungen tritt auch diese Erscheinung in einem Gewerbe stärker hervor als im anderen. Daß dieser Unternehmer nicht reif war für eine uneingeschränkte Selbstverwaltung, geht aus dem Gesagten schon genügend hervor. Einige Zeit nach Gründung der Kriegsgesellschaften in der Art von Selbstverwaltungskörpern, merkte denn auch der Staat, daß diese für gemeinnützig geltenden Selbstverwaltungskörper zu Selbstverwaltungsorganen des Profits zu werden drohten (Gefahr eigensüchtiger Art der Zuteilung von Rohmaterial in Menge und Preis u. a. m.) Der Staat sieht sich gezwungen, die Selbstverwaltung der Händler und Industriellen immer mehr einzuschränken, bis von dieser Selbstverwaltung innerlich überhaupt fast nichts mehr übrigbleibt. Als gelegentlicher Berater zeigt sich der Unternehmer natürlich mehr oder weniger als Interessent. Zuweilen haben zur Beratung zugezogene Unternehmer ihre Kenntnis beabsichtigter Maßnahmen direkt mißbraucht. Ist der beratende Unternehmer seinen Konkurrenten überlegen oder ist er gegenüber anderen bevorzugt, so ist seine Neigung, die Interessen des Staates zu vertreten, am stärksten. In welchem Grade Pflichtbewußtsein gegenüber dem Staat und Wahrung eigener Interessen im einzelnen Fall hintereinander zurückstehen, ist natürlich schwer nachzuweisen. Verrat an den Kollegen desselben Teilgewerbes übt der Unternehmer selten; es sei denn, daß der eine kartelliert, der andere Außenseiter ist. Eine stille Konvention besteht auch unter Konkurrenten, wenn sie dem Staat gegenübertreten. Durch Bevorzugung kann der Staat diese Konvention durchbrechen. Über den engeren Gewerbekreis hinaus, wenn sich zwei verschiedene Teilgewerbegruppen gegenübertreten, etwa Spinner und Weber oder Händler und Industrielle, hört vielfach der Korpsgeist auch gegenüber dem Staate auf. Die Stellung der Spinnstoffindustrie in allgemeinen Fragen gegenüber dem Spinnstoffhandel ist vorwiegend freundlich. Gelegentlich betont die Industrie allerdings die „ehrliche Spinnstoffindustrie“ gegenüber dem „spekulativen Handel“. Im übrigen aber schieben sowohl Spinnstoffindustrie als auch Spinnstoffhandel, wenn auch nur zum Teil mit Recht, übermäßige Preissteigerungen auf den „unsoliden Handel“ gegenüber dem „soliden Handel“, auf den „unreellen“ gegenüber dem „reellen“ Handel, auf das „Schieberunwesen“ gegenüber dem „Fach-“ oder „Berufshandel“, auf den „illegitimen“ und „wilden“ Handel gegenüber dem „legitimen“ Handel, auf den „spekulativen“ Handel“ gegenüber dem „eigentlichen Handel“, auf „galizische Händler“, „gewissenlose Agenten“, „unredliche Elemente“, „Nichtfachleute“ usw. Industrie und Handel mögen sich dabei durchaus nicht immer bewußt sein, daß zwischen diesen Händlern und jenen Händlern nur ein gradueller Unterschied der Legitimität besteht, und daß ein Teil der „unredlichen Elemente“ in einem anderen Gewerbe, das nur durch den Krieg keine Gewinnmöglichkeit mehr läßt, als „redlich“ oder doch mindestens „legitim“ gilt. Eines aber ist richtig dabei: Der Nichtfachmann, weil er die Materie nicht genügend beherrscht, ist eher geneigt, durch Unredlichkeit Geschäfte zu machen. Was ihm an Kenntnis fehlt, ersetzt er durch Raf-



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finesse. Und zweifellos sind Wucher, Täuschung, Warenfälschung usw. zu einem Teil auf den Nichtfachmann zurückzuführen. Nicht alle Unternehmer sehen den Krieg als eine Konjunkturperiode an, die man ausnutzen muß, wenn andere sie ausnutzen. Selbst in der vorgerückten Kriegszeit gibt es noch den vornehmen Unternehmertypus mit Kaufmannsehre und Staatsbürgersinn, die ihm verbieten, den Kontrahenten Staat zu übervorteilen und die Not des Landes zu vergrößern. Es gibt beispielsweise eine kleine Industriegruppe, die deshalb weniger an den Heereslieferungen verdient hat als andere, weil sie an ihrer Spitze einen Mann hat, der es ablehnt, den Staat in seiner Notlage zu übervorteilen. Auch unter den Beratern befinden sich Leute, die stets das Staatsinteresse, nie das Eigeninteresse in den Vordergrund stellen. Hier bedarf es auch der Erwähnung jenes Unternehmertypus, der eine größere Befriedigung in der Verwirklichung wirtschaftlicher Ideen und im Organisieren findet als im Erwerb. Alle diese „guten“ Typen seien genannt. Sie sind jedoch nicht deshalb genannt, weil sie eine charakteristische Kriegserscheinung sind. Sie seien erwähnt zu ihrer Würdigung. Wenn die Mehrzahl der Unternehmer des Spinnstoffgewerbes das Staatsinteresse hinter das eigene Interesse zurückstellt, so liegt diese Erscheinung im System. Das Wirtschaftssystem der Vorkriegszeit hat nun einmal den Unternehmertypus hervorgerufen, wie er im Kriege in Erscheinung tritt. Der Unternehmer in Plancks Berufsstaat steht zweifellos höher als jener. Das Erwerbsinteresse im bestehenden Wirtschaftssystem ist im allgemeinen stärker als das Allgemeininteresse. Der Unternehmer dient in der Regel nur dann dem Allgemeininteresse, wenn dieses sich mit seinem Erwerbsinteresse deckt. Das ist der Fall bei technischen Neuerungen, Umstellungen usw. Hier liegen die großen Verdienste der Unternehmer im Kriege. Der Unternehmer wirkt hier ebenso nützlich im Kriege, wie er in der Preis- und Gewinnpolitik schädlich wirkt. „Aber das ist es ja gerade,“ werden da viele sagen, „weil es das eine ohne das andere nicht gibt, deshalb müssen wir uns halt mit diesem Unternehmer, wie er nun einmal ist, abfinden. Wollen wir die Vorteile, so müssen wir auch die Nachteile mit in Kauf nehmen.“ Die allgemeine Bedeutung des Unternehmers, wie sie Sombart , Wiedenfeld, Pohle usw. so treffend schildern, soll durchaus nicht verkannt werden; das ist selbstverständlich. Die Bedeutung des Unternehmers, des Leiters der Produktion, ist groß, sehr groß. Diese Abhandlung muß die allgemeine Bedeutung des Unternehmers als bekannt voraussetzen. Sie hat es hier nur mit Feststellungen von besonderen Tatsachen zu tun, deren Kenntnis zu den Notwendigkeiten moderner Wirtschaftspolitik gehört. Zum besseren Verständnis des Unternehmers in seiner Preis- bzw. Gewinnpolitik sind verschiedene Tatsachen anzuführen. Der Staat als Wirtschaftspolitiker hat vielfach versagt. Seine Maßnahmen waren zum Teil geeignet, den Unternehmer auf den schlechten Weg förmlich zu drängen oder ihm doch das Einschlagen dieses Weges nahezulegen. Die geringe Einheitlichkeit der staatlichen Organisation, die Konkurrenz der zuständigen Stellen, die verschiedene Preispolitik gegenüber den einzelnen Gewerbezweigen und gelegentliche preispolitische Fehler gegenüber demselben

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Gewerbezweige lassen die Handlungen des Staates ungerecht und willkürlich erscheinen. Das Fehlen einer tieferen staatsbürgerlichen Bildung und die Notwendigkeit der Geheimhaltung sind dabei geeignet, auch richtige und gerechte Maßnahmen als ungerecht und falsch erscheinen zu lassen. Der Unternehmer verliert das Vertrauen in den Staat. Er behandelt ihn preispolitisch als einen nicht vertrauenswürdigen Kontrahenten, mit dem der Anständige nur Geschäfte macht, weil er dazu gezwungen ist. In der Vorkriegszeit stand es dem Unternehmer frei, den Staat als Kunden mit seinen strengen Liefer- und Abnahmevorschriften abzulehnen, die Anständige nicht eingehen wollten, weil sie nicht versprechen konnten, daß sie diesen Vorschriften genügen würden. Die vereinzelt allmählich instinktiv werdende Ablehnung des Staates als Kunden wirkt auch im Kriege nach. — Zur Entschuldigung des Unternehmers mag aber auch dienen, daß eine unsaubere Konkurrenz sich als Heereslieferantin einnistet, die den weniger Verdienenden allmählich finanziell erdrücken könnte. Der Anständige beugt vor, indem auch er ein rücksichtsloses Gewinnstreben beginnt. Tut er es nicht, so sagen ihm Angestellte und Arbeiter, die ihre Stelle zu verlieren fürchten oder an der allgemeinen Lohn- und Gehaltssteigerung nicht teilnehmen dürfen: „Ihr wißt nicht, wie man es macht; ihr müßt nach Berlin fahren, dann bekommt ihr Aufträge und auskömmliche Preise.“ Es kommt aber auch der Fall vor, in dem sich der Unternehmer vor seinem Personal geniert, nur wenig zu verdienen, während andere soviel verdienen, glaubt man doch, die Leistungsfähigkeit des Unternehmers nach alter Gewohnheit an seinem Gewinn zu erkennen. So ist das Verhalten des Unternehmers, welcher mit lauteren Absichten in das Kriegsgeschäft eintritt, dann aber mitgerissen wird von der unlauteren Konkurrenz, zum Teil zu entschuldigen. Allerdings, wäre die Zahl der Anständigen groß genug und wäre ihr Gemeinsinn stark genug gewesen, zwei Gruppen hätten sich gebildet, die einander scharf bekämpft hätten: die Anständigen und die Profitmacher. Von dieser Gruppenbildung merkte man in den Verhandlungen mit der Heeresverwaltung wenig oder gar nichts. Die Profitmacher fordern und die anderen geben ihre Zustimmung durch Schweigen. 4 Der Staat als Wirtschaftssubjekt, insbesondere als Auftraggeber6 Man möchte annehmen, daß der Staat als Wirtschaftssubjekt eher der stärkere als der schwächere sei. Gegenüber einer isolierten Einzelunternehmung mag er tatsächlich meist der stärkere sein, nicht aber dann, wenn er Vertragsgegner gegenüber vielen Unternehmungen desselben Wirtschaftszweiges oder einer ganzen Industrie ist, diese vielleicht noch gestärkt durch Syndikatsbildung. Dieses besonders dann nicht, wenn die Volkswirtschaft blockiert ist und somit die Konkurrenz des Auslandes wegfällt. 6 Die Anregung zu diesem Kapitel gab mir eine Besprechung mit Dr. Lejeune-Jung, vorm. Referent in der Kriegs-Rohstoff-Abteilung. Das Material selbst ist den Akten usw. entnommen.



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Der Staat hat wohl in diesem Kriege eine gewisse Vormachtstellung als Monopolist der Aufträge und der Stoffe, sowie als Einberufer zum Kriegsdienst, eine Stellung, die er auch dauernd auszunutzen versucht hat, die aber durch so viele Momente durchkreuzt wird, daß praktisch häufig der Staat zum schwächeren Kontrahenten wird. Sind mit einer Industrie zu einem bestimmten Preise Lieferungsverträge abgeschlossen, und diese Industrie erklärt nachträglich, daß sie infolge irgendwelcher Produktionsschwierigkeiten nicht in der Lage sei, die Aufträge auszuführen, wenn nicht der Vertragspreis erhöht würde, so ist der Staat, wenn die Industrie auf ihrer Forderung beharrt, gezwungen, die Preiserhöhung zu gewähren. Würde der Staat die Preiserhöhung nicht gewähren, die Industrie aber bei ihrer Forderung beharren, so würde die Industrie die Lieferung verweigern können. Hohe Konventionalstrafen könnten vereinbart sein, dem Staate aber wäre auch mit der Zahlung hoher Konventionalstrafen nicht gedient. Auch könnte die Industrie versuchen, die Zahlung der Konventionalstrafen zu umgehen. Die auftraggebenden Behörden mußten im Kriege wiederholt die Erfahrung machen, daß sich maßgebende Persönlichkeiten, zum Teil mit Recht, zum Teil mit Unrecht, in den Dienst einer Industriegruppe stellten, um deren Forderungen gegenüber dem Staate durchzudrücken. Da sind erstens Parlamentarier, die, interessiert oder nichtinteressiert, sich in den Dienst einer Industriegruppe stellen. Der Abgeordnete genießt bekanntlich bei den Behörden eine Vorzugsstellung. Ängstlich überwacht die Behörde die Anredeform, den Besuchsempfang usw., um schon rein äußerlich den Respekt vor dem Abgeordneten zu zeigen. Aber alles das geschieht nicht nur wegen des Respekts. Die Behörden haben Angst vor dem Abgeordneten. Der Abgeordnete ist stark und fühlt sich stark. Eine Anklage im Reichstag oder in einem anderen Parlament ist unangenehm für die Behörde. Sie sucht sie im allgemeinen zu vermeiden. — Mehr oder weniger stark, je nach dem Staate, um den es sich handelt, ist auch der Vertreter eines Bundesstaates. Bayrische, sächsische usw. Vertreter haben besondere Aussicht auf Berücksichtigung, wenn besondere politische Rücksichten zu nehmen sind. So kann sich denn auch der Staat im Kriege bei seiner Auftragsregelung nicht nur von preis- und mengenpolitischen Rücksichten leiten lassen, er muß auch Rücksicht nehmen auf partikularistische Bestrebungen. Dieses Moment darf in der Kriegspreispolitik nicht unterschätzt werden. Partikularistische Rücksichtnahmen haben dem Reich viel Geld gekostet. Sie haben schließlich zur Gründung einer gliedstaatlichen Ausgleichstelle geführt. Dort, wo partikularistische Momente nicht mitspielen, muß der Staat Rücksicht nehmen auf allerlei bezirkswirtschaftliche und soziale Momente. Er kann nicht einem Industriebezirk oder einigen wenigen Unternehmungen den ganzen Auftrag zuweisen, sondern muß Rücksicht nehmen auf die Arbeiterbeschäftigung auch anderer Bezirke bzw. anderer Unternehmungen. Auch hier müssen die preispolitischen Momente häufig zurücktreten. Rücksichtnahme auf die Beschäftigung möglichst vieler hat in der Textilindustrie, wenn man die ganze Kriegszeit zusammenfaßt, Milliarden gekostet.— Nicht weniger schwerwiegend ist die Lohnfrage: Arbeiterführer drängen auf höheren Lohn. Werden die Forderungen nicht erfüllt, so sind Unruhen zu

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befürchten. Mit Vorliebe bedient sich auch der Abgeordnete, der Gliedstaatvertreter und nicht zuletzt der Unternehmer der Arbeiterfrage, um seine Forderungen durchzusetzen. Unbedingt notwendige Maßnahmen muß der Staat hinausschieben wegen in Aussichtstellung von Arbeiterunruhen seitens Vertreter der Gliedstaaten usw. Auch bei Preiserhöhungen wird die Arbeiterfrage geschickt in den Vordergrund geschoben. Der Unternehmer erklärt, daß er nur dann einen höheren Lohn bezahlen kann, wenn die Preise erhöht werden. Er wird in diesen Forderungen von den Arbeitern vielfach unterstützt. Daß den Arbeitern im Kriege eine auf diese Weise durchgesetzte Preiserhöhung nicht immer zugute kam, soll Tatsache sein, aber hier nicht näher zu erörtern. Der Staat ist so meist der Schwächere, sei es aus direkten Abhängigkeitsgründen in seiner Eigenschaft als Wirtschaftssubjekt mit Großbedarf, sei es als „Wohlfahrtsstaat“, welcher die allgemeinen Interessen der Volkswirtschaft zu wahren hat. Im Kriege kommt aber noch ein anderes hinzu: die Bedarfsdeckung eilt. Der Staat kann nicht monatelang verhandeln. Er muß seine Bedarfsgüter möglichst schnell zur Bedarfsdeckung heranziehen können. Daß der Krieg wirtschaftlich nicht genügend vorbereitet ist, erhöht dabei die Dringlichkeit der Auftragsausführung. Der Staat ist weiter gezwungen, auf die Steuerzahlung und die Zeichnung von Kriegsanleihen Rücksicht zu nehmen. Er geht darin so weit, daß er gerade vor Zeichnung einer neuen Kriegsanleihe Unannehmlichkeiten gegenüber der Industrie zu vermeiden sucht. Der Staat zeigt sich vielfach sogar als der Schwächere auch gegenüber dem Einzelunternehmer. Hat das Einzelunternehmen eine Art Monopolcharakter, wie das in der Textilindustrie bei modernen Kampfmitteln oder bei neu erfundenen Ersatzmitteln der Fall ist, dann ist der Staat von diesem Einzelunternehmer mehr oder weniger abhängig. Auch hilft die Androhung der militärischen Einberufung dann nicht, wenn der betreffende Unternehmer der Träger der Idee und der technische Berater ist. — Der Staat zeigt sich auf die Dauer auch dann schwächer, wenn der Unternehmer zäh an seiner Forderung festhält. Der Staatsbeamte, der es nicht, wie der Unternehmer, mit einer Forderung, sondern mit vielen Forderungen zu tun hat, ermüdet schließlich. Der „ewig Bohrende“ drückt seine Forderung auf Grund seiner Zähigkeit in manchen Fällen letzten Endes ganz oder teilweise durch. Der Staat ist aber auch „Rechtsstaat“. Die Industrie kann nachträglich Vertragsverbesserungen durchsetzen, der Staat kann es im allgemeinen nicht. Für den Staat als Rechtsstaat muß die Vertragstreue oberster Grundsatz sein. Nur in besonders krassen Fällen und meist mit Zustimmung des Unternehmers hat der Staat wiederholt im Kriege nachträglich seine Interessen durchgesetzt. Der Staat ist aber u. U. deshalb als Auftraggeber im Nachteil, weil er nicht nur Auftraggeber ist, sondern auch Beschlagnehmer, Höchstpreisfestsetzer usw. Es ist derselbe Staat, der Aufträge verteilt und harte kriegsnotwendige Maßnahmen, verbunden mit weitgehenden Eingriffen in die Privatwirtschaft, treffen muß. Er verärgert damit leicht denselben Unternehmer, an den er seine Aufträge verteilt. Der Unternehmer als Ausführer des Auftrages ist in der Lage, sich zu rächen.



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Der Staat als solcher ist unpersönlich. Bei Verhandlungen läßt er sich vertreten durch Personen. Diese Personen sind nur indirekt an der Geschäftswahrnehmung des Staates interessiert. Das bringt diesen Personen gelegentlich der Wahrnehmung von Staatsinteressen den Vorwurf von Unternehmern ein: „Sie tun ja gerade so, als wenn Sie das zu bezahlen hätten“. Obwohl dieser Vorwurf leicht abzuwehren ist, so erkennt man doch auch hier eine Schwierigkeit des Staates als Wirtschaftssubjekt, insbesondere als Auftraggeber.

5 Die Änderung in der Wertrelation der Spinnstoffe Preispolitik und Preisbewegung der Spinnstoffe sind nur zu verstehen, wenn man die Änderungen kennt, welche im Wertverhältnis der Güter zueinander eingetreten sind. Die Umstellung der Wirtschaft vom Friedensbedarf auf den Kriegsbedarf, von internationaler Verkehrswirtschaft auf vorwiegende Nationalwirtschaft führt auch zu einer weitgehenden Verschiebung in der Wertrelation der Spinnstoffe. Die teilweise Isolierung der Volkswirtschaft führt zu einer Verschiebung des Kostenwertes7, die Verschiebung in der Verwendung zu einer Verschiebung des Verwendungswertes8, insbesondere für den Staat als das immer mehr ausschlaggebende Wirtschaftssubjekt. Verschiebungen im Kostenwerte treten deutlich in Erscheinung bei Wolle gegenüber Seide und Baumwolle. Der Kostenwert der Wolle für die deutsche Volkswirtschaft bewegt sich für die weitaus größten Mengen, immer an einem bestimmten Zeitpunkt gemessen, beispielsweise nach drei Kriegsjahren relativ niedriger pro vorhandene Mengeneinheit als der Kostenwert von Baumwolle oder Seide, welche nach Kriegsausbruch noch in großen Mengen und meist zu prozentual höheren Preisen ins Land gekommen, und deren Friedenseinfuhrmengen mehr oder weniger nach drei Kriegsjahren aufgearbeitet sind. Der Kostenwert der Baumwolle ist nach drei Kriegsjahren relativ niedriger pro Mengeneinheit als der Kostenwert des eingeführten oder unter großer Kraftaufwendung im Lande erzeugten Flachses. Und relativ niedriger als der Kostenwert fast aller anderen Spinnstoffe für die deutsche Volkswirtschaft ist auch nach drei Kriegsjahren der Kostenwert des quantitativ bedeutendsten Spinnstoffes, der Lumpen. Inwieweit allerdings der Staat in den Genuß eines niedrigen Kostenwertes tritt, ist zum Teil eine Frage der Rechtzeitigkeit der von ihm zu treffenden Maßnahmen. Die dringlichsten Bedarfsstoffe zeigen nach Überleitung in den Staatsbesitz den niedrigsten Kostenwert für den Staat, weil die Übernahme durch den Staat für sie am frü7 Unter Kostenwert ist der Wert eines Gutes auf Grund der Beschaffungskosten für die deutsche Volkswirtschaft oder für das einzelne Wirtschaftssubjekt, insbesondere für den Staat, verstanden. 8 Unter Verwendungswert ist der subjektive Schätzungswert verstanden, den ein Gut für das einzelne Wirtschaftssubjekt, insbesondere für den Staat, hat.

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hesten eintritt (Wolle, Jute). Hohe Kostenwerte zeigen dagegen Zellstoff, Seide und sogar die volkswirtschaftlich so billig erworbenen Lumpen, sei es, daß diese Spinnstoffe mit weit höheren Kosten im Inlande erzeugt werden müssen oder ihre Einfuhr, wenigstens in der späteren Kriegszeit, nur bei hohen Kosten möglich ist, sei es, daß das Inlandsmaterial bis zur Beschlagnahme auf ein Mehrfaches im Preise gestiegen ist. Diese hohen Kosten übersteigen diejenigen, welche die früh beschlagnahmten Stoffe durch Kapitalzinsen und Verwaltungskosten erfahren. Inwieweit nachträglich wiederum Verschiebungen eintreten, ist hier nicht näher nachzuweisen. Nur das Problem war zu kennzeichnen. Weit stärkere Verschiebungen zeigen sich im Verwendungswert. In der Bedarfsskala tritt plötzlich der Heeresbedarf obenan. Würde der veränderten Reihenfolge in der Bedarfsskala auch die Änderung der Vorratsverhältnisse oder der Zufuhr entsprechen, so würde sich die Wertrelation nicht ändern. Die Verschiebung in der Wertrelation ist aber um so stärker, als Vorrats- und Zufuhrverhältnisse zum Teil in einem entgegengesetzten Verhältnis zur Bedarfsskala stehen, da in erster Linie die Zufuhr derjenigen Stoffe aufhört, welche in der Bedarfsskala der Spinnstoffe obenan stehen: Wolle und Jute. Der subjektive Verwendungswert der Spinnstoffe ändert sich damit vollkommen. Das Heer braucht keine seidenen Strümpfe, aber es braucht wollene Uniformen, es braucht Säcke, Zeltbahnen usw. So klafft anfangs der Verwendungswert der grobfaserigen Jute und der feinfaserigen Seide für den kriegführenden Staat vollkommen auseinander. Aber nicht nur unter den verschiedenen Spinnstoffgattungen, sondern auch innerhalb derselben Spinnstoffgattung zeigt sich eine starke Verschiebung des subjektiven Verwendungswertes für den Staat. Die Heeresverwaltung kennt wohl eine Differenzierung des persönlichen Bedarfs in engen Grenzen. Sie braucht aber nicht hundert Sorten Rocktuch, sondern nur zwei: Offizierstuch und Mannschaftstuch. Es kommt in erster Linie darauf an, das Bekleidungsbedürfnis des Soldaten zu decken; das Auszeichnungsbedürfnis etwa der eleganten Welt beim Zivilbedarf bleibt außer Betracht. Aus verschiedenen Gründen schätzt auch das Wirtschaftssubjekt Staat den Streichgarnstoff (Tuch) für die Uniform höher als den Kammgarnstoff, was seine Lieferanten veranlaßt, den wertvollen Kammzug, ein Vorprodukt des Kammgarns, durch Zerreißen wieder in Rohstoff zu verwandeln. Das Zurücktreten der Feinheiten des persönlichen Bedarfs führt zu einer Bewertung durch den Staat nach der Fähigkeit eines Stoffes, das Schutzbedürfnis jeweils am besten und am längsten zu decken, ohne Rücksicht auf andere Bedürfnisse. Ausschlaggebend werden für die Bewertung: Haltbarkeit, Wasserundurchlässigkeit usw. Das Aussehen tritt für die staatliche Bewertung allmählich zurück; nur daß sich die Heeresverwaltung bei der Farbe der Uniformen aus Gründen des Schutzbedürfnisses an „feldgrau“ bindet. Von großer Bedeutung für die Wertschätzung wird der technische Heeresbedarf, besonders in der vorgerückten Kriegszeit. Aus schießtechnischen Gründen verbrennen die feinsten Wollsorten der Erde im Zündertuch, bis man sie schließlich durch andere Materialien ersetzt. Seide, deren Verwendungswert am Anfang des Krieges



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so gering ist, dient in der späteren Kriegszeit fast ausschließlich dringlichem technischen Bedarf (Ballonhüllen usw.). Feine Baumwollgarne, welche der Staat anfangs von der Beschlagnahme völlig freigelassen hat, werden später in die staatliche Wirtschaft einbezogen zur Herstellung von Ballonstoffen, zur Kabelisolierung usw. Flachs dient in der späteren Kriegszeit in der Hauptsache zur Herstellung von Nähgarn und Flugzeugbespannung. Während der Uniformbedarf bei den für seine Deckung geeigneten Stoffen (Wolle) eine Wertverschiebung zum mittleren und groben Material bringt, führt der erweiterte technische Bedarf bei den für ihn geeigneten Stoffen zu einer Höherschätzung feinen und feinsten Materials (feine Flachs- und Baumwollsorten, Seide). Mit zunehmendem Mangel macht sich die Erscheinung immer mehr bemerkbar, daß dasjenige Gut sich der höchsten Wertschätzung erfreut, welches die größte Verwendungsmöglichkeit in sich trägt. Am deutlichsten tritt dies in Erscheinung beim Rohstoff. Der Staat schätzt bei den knappsten Textilien den Rohstoff höher als viele Zwischenfabrikate und die Zwischenfabrikate höher als viele Fertigfabrikate. Im Rohstoff stecken noch alle Verwendungsmöglichkeiten, im Fabrikat nicht mehr oder doch nur auf dem Wege des Wiederzerreißens, verbunden mit Materialverschlechterung. Der Rohstoff paßt sich den wechselnden Verhältnissen am meisten an, das Halbfabrikat schon weniger und am wenigsten das Fertigfabrikat. Man nehme an, daß die zuständigen Beschaffungsstellen bei der von ihnen teilweise getriebenen Hamsterpolitik sich für mehrere Jahre mit irgendwelchen Fertigstoffen eingedeckt hätten, welche sie in größeren Mengen brauchen. Der Staat schätzt alle über eine bestimmte Zeit hinausreichenden Mengen dieser Fertigfabrikate weniger hoch als die für ihre Herstellung notwendigen Mengen des knappen Rohstoffs. Der Staat kann nicht wissen, ob Fortschritte in der Herstellungstechnik die Herstellung anderer Stoffe ermöglichen oder sogar eine veränderte Kampftechnik oder die Notwendigkeit der Bedarfseinschränkung den betreffenden Gegenstand überflüssig machen und andere Gegenstände von größter Bedarfsdringlichkeit an die Stelle treten, die mit dem vorhandenen Rohstoff kaum noch hergestellt werden können. Die beobachtete Erscheinung ist eine ganz natürliche und auch in normalen Zeiten nicht unbekannt (z. B. bei Modewechsel). Wenn sie hier trotzdem Erwähnung findet, geschieht es, weil sie in Zeiten der Mangelwirtschaft von so ausschlaggebender Bedeutung ist, daß schließlich die gesamte Mengen- und Preispolitik von ihr mitbestimmt wird. Umgekehrt liegen die Wertverhältnisse bei denjenigen Fabrikaten, deren Verwendung für dringliche Bedarfszwecke innerhalb eines angemessenen Zeitraumes sichersteht. Am deutlichsten tritt das in Erscheinung bei großer Eiligkeit der Bedarfsdeckung. Die schlechten Transportverhältnisse, die Arbeiterschwierigkeiten, der Kohlenmangel usw. führen zu einer besonderen Hochschätzung dieser Fabrikate, da sie alle Herstellungsschwierigkeiten der vorgerückten Kriegszeit überwunden haben. Die immer größere Spanne zwischen den verfügbaren Mengen und dem Bedarf führen auch in der Zivilwirtschaft zu Veränderungen in der Wertschätzung. Feinste Damenstoffe werden zu Schuhfutter verarbeitet. Arbeiteranzüge werden aus Damast

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gemacht. Man zerschneidet feines Tischzeug, um Korsetts daraus herzustellen. Nicht nur, daß im letzten Falle das Bedürfnis der besseren Formgebung des menschlichen Körpers größer ist als das Bedürfnis der Sauberkeit bei der Nahrungsnahme, sondern auch das Verhältnis zwischen der größeren Verfügungsmenge an Tischzeug und der geringeren Verfügungsmenge an Korsetten führt notwendigerweise zu einer Änderung des subjektiven Verwendungswertes. Ein bezeichnendes Beispiel für die Umwertung aller Werte bietet in der Zivilwirtschaft auch die Seide. Die Umwertung der Seide hatte sich schon gegen Ende 1916 vollzogen. Damals schrieb der Verfasser in einem Aufsatz „Die spezifische Eigenart der Seide als Gegenstand der Kriegswirtschaft9“ u. a. folgendes: Seide war für die große Mehrheit der europäischen Gesellschaft wesentlich Luxusgegenstand. Im Kriege verliert Seide in Deutschland ihren Charakter als Luxusgut, weil das Verhältnis der verfügbaren Menge gegenüber anderen Textilien sich im Vergleich zu normalen Zeiten in sein Gegenteil verwandelt hat. Der Kostenwert ist allerdings nicht nur bei Baumwolle, Wolle usw. gestiegen, sondern auch bei Seide. Der Vergleichswert der Seide aber ist gesunken. Damit ist der Luxuscharakter der Seide für ein örtlich begrenztes Gebiet untergraben. Immer breitere Konsumentenschichten suchen ihr Bekleidungsbedürfnis durch Seide zu decken. Der frühere Konsument von Baumwolle, Leinen und Wolle, soweit er überhaupt wirtschaftlich in der Lage ist, Neuanschaffungen zu machen, geht mehr als vorher zu geringeren Sorten Seide und Halbseide über10. Dieser Werdegang wird noch wesentlich beschleunigt durch eine internationale Seidenmode. Den veränderten Verhältnissen wird auch behördlicherseits Rechnung getragen, indem man Seide und Samt in den einfacheren und mittleren Qualitäten als Gegenstände des täglichen Bedarfs und nicht mehr, wie es die Seideninteressenten nach wie vor wollen, als Luxusbedarf ansieht. Als Luxusbedarf aber kann man heute alles Textilmaterial in seinen besseren Qualitäten betrachten. Wenn der Staat nicht willkürlich in die freie Preisbildung und Mengenbewegung eingegriffen hätte, so ließe sich hypothetisch sagen, daß bei langer Dauer des Wirtschaftskrieges unter sonst gleichbleibenden Umständen ein anderes Textilmaterial als Seide, das früher in der Wertschätzung einer niedrigeren Rangstufe angehörte, zum Luxusbedarf werden würde. Seide würde, um es kraß auszudrücken, vom Proletariat getragen werden, Baumwolle dagegen von der gesellschaftlichen Oberschicht. Man denke an die Zeit vor 150 Jahren, als die von weither kommende Baumwolle nur von Fürsten und Fürstinnen getragen wurde.

Eine Änderung in der Wertrelation geht auch vor sich durch Verschiebung des inneren (technischen) Wertes eines Stoffes. Von besonderer Bedeutung ist die Verschiebung des technischen Wertes bei den Altstoffen im Vergleich zu den Originalstoffen. Die Altstoffe werden durch das immer wiederholte Regeneratverfahren immer schlechter.

9 In den Akten. 10 Es ist zu berücksichtigen, daß eine reinliche Scheidung zwischen den verschiedenen Arten von Konsumenten nicht möglich ist. Der Seidenkonsument war auch stets Wollkonsument usw.



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6 Die Tendenz zur Annäherung in der Werthöhe Wenn der Mangel an Gütern nicht mehr gestattet, die Bedürfnisse niederer Ordnung zu befriedigen, sondern die bisher verwandten Güter bzw. Gütermengen für die Befriedigung von Bedürfnissen höherer Ordnung verwandt werden müssen, dann ändert sich auch das Wertverhältnis. Ihr subjektiver Wert wird um so größer, je höher die Dringlichkeitsstufe wird, auf welcher sie der Bedürfnisbefriedigung dienen. Theoretisch ist der Fall einer aufs höchste gesteigerten Mangelwirtschaft konstruierbar, in der alle Güter bzw. Güterteilmengen auf der höchsten Dringlichkeitsstufe stehen und sich infolgedessen im Werte einander nähern. Dies hier festzustellen, schien notwendig, um ein grundlegendes Wertgesetz dieses Krieges um so deutlicher zu zeigen: Je größer der Mangel an wirtschaftlichen Gütern, desto stärker die Tendenz ihrer Wertannäherung. Die Annäherung in der Werthöhe wird in der Mangelwirtschaft des Krieges bei den Spinnstoffen begünstigt durch ihre weitgehende gegenseitige Vertretbarkeit. Gegenseitige Vertretbarkeit ist vor allem vorhanden unter den pflanzlichen Spinnstoffen; teilweise vertreten sich aber auch pflanzliche und tierische Spinnstoffe. In der Uniform vertreten sich Wolle und Kunstwolle. Im Sandsack können sich Baumwolle, Jute, Flachs, Papier usw. vertreten, im Zündertuch in gewissen Grenzen Wolle und Seide, im Drillichanzug Baumwolle und Flachs. In Halbwoll- und Halbseidenund Halbleinenstoffen kann an die Stelle von Wolle, Seide und Flachs die Baumwolle treten. Die gegenseitige Vertretung der Spinnstoffe wird um so größer, je größer der Mangel wird. Sie wird in der Mangelwirtschaft dieses Krieges so groß, daß sie zu einer starken Annäherung in der subjektiven Werthöhe führt. Die Werthöhen nähern sich an, aber sie fallen in der Mangelwirtschaft des Krieges nicht zusammen; denn die gegenseitige Vertretbarkeit der Spinnstoffe ist keine vollkommene11. Sie ist schon unter den pflanzlichen Spinnfasern nicht vollkommen, noch weniger aber mit Rücksicht auf die Verschiedenheiten der spezifischen Eigenschaften (Wärmehaltung, Wasserdurchlässigkeit usw.) der pflanzlichen und tierischen Spinnstoffe. Sie fehlt auch häufig bei grobem und feinem Material, insbesondere für technische Verwendungszwecke. — Die Annäherung der Werthöhe kann auch durch den Kostenwert durchbrochen werden, und zwar dort, wo dieser höher ist als der subjektive Verwendungswert. Das ist aber in der Mangelwirtschaft des Krieges nur selten der Fall und hat deshalb hier keine besondere Bedeutung für das Wertproblem.

11 Mangel in seinem theoretisch höchstmöglichen Grad mit seiner Wertgleichheit auch der nicht vertretbaren Güter aber ist auch nicht gegeben.

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7 Die Zusammenhänge von Wert und Preis Das Mißverhältnis zwischen Verfügungsmenge und Bedarf und die Dringlichkeit des Heeresbedarfs im besonderen führen dazu, daß der Kostenwert der meisten Spinnstoffe vollkommen zurücktritt hinter dem subjektiven Verwendungswert. Der subjektive Verwendungswert bestimmt in der freien Mangelwirtschaft den Preis in erster Linie. Die in der Wertrelation eingetretene Verschiebung findet Ausdruck in der Preisrelation der freien Mangelwirtschaft. Seide, als derjenige Spinnstoff, dessen Verfügungsmenge relativ am größten ist, dessen Kriegsbrauchbarkeit am geringsten erscheint, sinkt anfänglich im Preise am meisten. Jute, deren Verfügungsmenge relativ am kleinsten ist, deren Verwendbarkeit aber groß und deren Bedarf dringlich ist, steigt am schnellsten im Preise. Ernteabfälle der Baumwolle (Linters), welche der Herstellung von Schießbaumwolle dienen, steigen auf das Dreifache, ehe ihr Hauptstoff noch um 50 % steigt. Die Preisverschiebung zeigt sich besonders deutlich bei Lumpen. Die alte Preisrelation geht vollkommen verloren. Es zeigen sich Preisverschiebungen von mehreren hundert Prozent. Am Anfang des Krieges führt die Eiligkeit der Bedarfsdeckung dazu, das dringend gebrauchte Fabrikat nicht nur absolut, sondern auch relativ höher im Preise zu bezahlen als den Rohstoff. Der Rohstoff, welcher erst monatelang den Betrieb durchwandern muß, bevor das aus ihm herzustellende Erzeugnis der Bedarfsdeckung dienen kann, kommt für den „bald zu Ende gehenden Krieg“ vielleicht gar nicht mehr in Frage. Aber sollte er auch in Frage kommen, den größten Wert hat bei der Knappheit der fertigen Stoffe der sofort verfügbare und deckungsbereite Stoff. Die umgekehrte Erscheinung, die Höherbewertung des Rohstoffes gegenüber bestimmten Fabrikaten und Fabrikatmengen auf Grund steigenden Rohstoffmangels in der späteren Kriegszeit ist dagegen preislich wegen der inzwischen eingetretenen Bindung von Menge und Preis nicht darstellbar. Deutlich tritt in der Preisentwicklung der freien Wirtschaft die Annäherung der Werthöhe auf Grund der in der vorgerückten Kriegszeit stattfindenden gleichzeitigen Annäherung der Bedarfsdringlichkeit der Spinnstoffe und ihrer steigenden gegenseitigen Wertabhängigkeit in Erscheinung. Wolle, Seide, Baumwolle, Flachs usw. lassen bei steigendem Mangel eine weitgehende Annäherung im Preise erkennen. Im allgemeinen dürfte nur deshalb, weil der Staat schließlich in die freie Preisbildung durch Mengenverfügungen und Preisverfügungen eingreift, nicht die Preisnähe erreicht worden sein, welche die sie bestimmenden Faktoren gestatten. Die Verschiedenzeitigkeit der behördlichen Preisregelung und die Verschiedenartigkeit der Mengenregelung lassen die Annäherungstendenz in den behördlichen Preisfestsetzungen verwischen oder verkehren sie sogar in ihr Gegenteil. Nur bei derselben Spinnstoffgattung findet man in der Festsetzung von Einheitspreisen nahestehender Qualitäten usw. eine zum Teil beabsichtigte, zum Teil unbeabsichtigte Förderung der Annäherungstendenz. Die Anerkennung der Tendenz der Wertannäherung



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wird hier begünstigt durch die technischen Schwierigkeiten, für alle einzelnen Unterschiede der Feinheit usw. besondere Preise festzusetzen, was schon in der ersten Höchstpreisverfügung, der für Wolle, deutlich zum Ausdruck kommt. In den Betrachtungen über die Annäherung der Werthöhe war gesagt worden, daß der Kostenwert die Annäherung in der subjektiven Werthöhe im allgemeinen nicht durchkreuze, weil der Kostenwert in der freien Mangelwirtschaft hinter dem subjektiven Verwendungswert zurücktrete. Das trifft auch auf die Annäherung der Preise in der freien Mangelwirtschaft zu. Es trifft nicht zu in einer gebundenen Wirtschaft, welche die Preise auf die Kosten herabzudrücken sucht. Hier wird durch behördliche Eingriffe in die Preisentwicklung die Tendenz der Preisannäherung durchschnitten, obgleich die Tendenz der Annäherung in der subjektiven Werthöhe fortbesteht. Das kommt besonders deutlich zum Ausdruck bei den Fabrikaten, aber auch bei den im Inland erzeugten Rohstoffen, deren Preise sich in erster Linie nach den Kosten richten. Nur weil stets Preiszusammenhänge bei allen Gütern bestehen, welche dasselbe Unternehmen herstellt, kann es die Preispolitik häufig an der Genauigkeit der Kostenberücksichtigung beim einzelnen Gegenstand fehlen lassen.

8 Das Problem der zusammenhängenden Preise Das Problem der zusammenhängenden Preise, das im Kriege unter der Bezeichnung der richtigen Preisrelation wieder auftaucht, ist der Wirtschaftswissenschaft der Vorkriegszeit nicht unbekannt. Es ist bei den vielfachen Verwendungszwecken der Spinnstoffe für diese von besonderer Bedeutung. Alle Preise sind mehr oder weniger voneinander abhängig. Die größte Abhängigkeit der Preise besteht bei den Gütern derselben Herkunft oder derselben Verwendungskategorie. Der engste Preiszusammenhang ist gegeben bei Hauptstoff und Abfallstoff, Rohstoff und Originalstoff, Altstoff und Regenerat. Brennessel und Kolbenschilf dienen sowohl als Futtermittel, wie auch als Spinnstoff. Der Spinnstoff ersetzt in bestimmten Fällen Leder und Eisen. Holz kann der Herstellung von Bekleidung dienen, aber auch der Herstellung von Büchern und Zeitungen, als Grubenholz, Möbelholz und Brennholz. Bei der pflanzlichen und tierischen Herkunft der Spinnstoffe ist auch eine enge Verbindung von Bekleidungsstoffen und Lebensmitteln gegeben. Das Schaf produziert Fleisch und Wolle. Aus der Flachspflanze gewinnt man Fett (Leinsamen) und auch Spinnfasern. Dasselbe Unternehmen stellt dieses, aber auch jenes Fabrikat her. Wo überall das Problem der zusammenhängenden Preise in Erscheinung tritt, zeigt deutlich auch der Zusammenhang zwischen Alteisen- und Lumpenpreis. Der Lumpenpreis ist hoch, aber der Alteisenpreis verhältnismäßig zu niedrig. Da das Lumpensammeln vielfach nur eine Nebenarbeit für den Sammler ist, genügt der Anreiz im Lumpenpreis nicht zum Lumpensammeln, wenn nicht auch ein Anreiz im Alteisenpreis gegeben ist.

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 Preise und Unternehmergewinne

Die Bedeutung des Problems der Preiszusammenhänge ist in der Heereswirtschaft z. T. erst sehr spät erkannt worden, was zu ihren Fehlern rechnet. Es wird sogar dort nicht immer berücksichtigt, trotz der Erfahrungen bei Brotgetreide und Mehl im November 1914, wo es sich um Rohstoffe und Fabrikate oder um Hauptstoffe und Abfallstoffe handelt.

9 Die Preiszusammenhänge zwischen Heereswirtschaft und Zivilwirtschaft Betrachtet man die Zusammenhänge von Wert und Preis für das dem Zivil überlassene Material, so liegen die Verhältnisse hier insofern komplizierter, als man es bei ihm nicht mehr mit einer sich vollkommen anpassenden Kaufkraft wie beim Staate zu tun hat, sondern bei der weitaus größten Käuferschicht mit einer geminderten Kaufkraft und nur bei der vom Krieg begünstigten Minderheit mit einer wesentlich gestiegenen Kaufkraft12. Am größten aber ist die Kaufkraft des Staates. Sie weiß sich allen seinen Bedürfnissen auf Grund eines besonderen Finanzsystems anzupassen. Der Staat ist darum das ausschlaggebende Wirtschaftssubjekt in der Preisbewegung der Spinnstoffe gewesen. Die Heeresverwaltung schätzt die Wolle, die sie für die Verteidigung des Landes braucht, weit höher als der Zivilist. Die Wolle hat für den Staat den höheren subjektiven Verwendungswert. Dem Zivilisten überläßt er nach einer gewissen Übergangszeit die Kunstwolle, die Seide usw., sowie die ganzen zivilen Fertigbestände. Obwohl das für die Befriedigung des Bekleidungsbedürfnisses des Zivilisten vollkommen genügt, konkurriert der Zivilist auch um die Wolle. Er wird von seinem angeborenen Auszeichnungsbedürfnis beeinflußt; das Verteidigungsbedürfnis, dessen Befriedigung er dem Staate überläßt, kümmert ihn weniger. Er sorgt für seine Zivilkleidung und tritt damit in Konkurrenz zum Staat, der Uniformen braucht. Der Zivilist bezahlt sogar mehr als der Staat, worauf die Unternehmer zum Teil die dringlichen Uniformaufträge zurückstellen und Kleider machen für die Zivilisten. Zivilisten und Militär treiben sich gegenseitig die Preise in die Höhe. Das würde so lange gehen, bis die Kaufkraft des Zivilisten mit der Kaufkraft des Staates nicht mehr konkurrieren könnte. Der Staat aber macht dem Wettspiel vorher ein Ende, indem er dasjenige Bedarfsgut, welches für ihn den höchsten Verwendungswert hat, nicht mehr als Gleicher unter Gleichen im freien Markt kauft, sondern auf Grund seiner Hoheitsgewalt beschlagnahmt. So macht es der Staat nach und nach mit allen Stoffen. Zuerst freier Wettbewerb zwischen Zivilwirtschaft und Heereswirtschaft, dann vielleicht ein lockeres Verbot, Zivilwaren herzustellen, dann Teilbeschlagnahme und vielleicht Wettbewerb um den Rest, dann Gesamtbeschlagnahme. Inzwischen hat aber die Konkurrenz zwischen

12 Auf die Wert- und Preiszusammenhänge der Zivilwirtschaft näher einzugehen, verbietet die gestellte Aufgabe, in erster Linie die Zusammenhänge in der Heereswirtschaft zu behandeln.



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Heeres- und Zivilwirtschaft den Kostenpreis für die Heeresverwaltung auf das Doppelte und Dreifache gesteigert. Aber auch nach der Beschlagnahme hört die Konkurrenz der Zivilwirtschaft nicht auf. Das, was Unternehmer bei ihren Heeresaufträgen erübrigen und das, was ihnen trotz Anstellung von Detektiven gestohlen wird, nicht nur bei ihnen, sondern auch aus dem Staatsgewahrsam selbst, geht zum Teil in den Schleichhandel der Zivilwirtschaft mit ihren höheren Preisen. Die große Leere, die sich um die Heereswirtschaft ausdehnt, drückt in der Mengen- und Preisfrage ständig auf die Heereswirtschaft. Wo es notwendig ist, gibt die Heeresverwaltung Teilquanten für den Zivilbedarf ab, bindet den Käufer vielfach an einen von ihm festgesetzten Preis (so bei Strickwolle, Nähgarn usw.) mit Weiterbindung der folgenden, zuweilen bis zum letzten Konsumenten (so bei Strickwolle). Setzt eine Preissteigerung trotzdem ein und können Wucher- und Kettenhandelsverordnung dem Übel nicht steuern, so nimmt vereinzelt der Staat die Verteilung auch für den Zivilbedarf in eigene Regie. Die Heereswirtschaft hat nicht überall, auch dort nicht, wo es infolge ihrer Monopolstellung leichter als sonst durchführbar war, die Preise für die Zivilwirtschaft gebunden. Zuweilen werden auch die Preise für dasselbe Material für die Heereswirtschaft niedriger gehalten als für die Zivilwirtschaft. Der Mangel an Einheitlichkeit macht sich auch hier bemerkbar.

10 Die Zusammenhänge von Preispolitik und Mengenpolitik Die Preispolitik beeinflußt die Menge und die Mengenpolitik beeinflußt den Preis. Sogar die Bestandsaufnahme, da sie eine bessere Erkenntnis der Vorratsgröße gestattet, kann von Einfluß auf die Preise sein. Auch wirken Bestandsaufnahmen als Vorboten kommender Beschlagnahmen auf die Preise ein. Es kommt auch vor, daß das Angeben der Bestände selbst schon preispolitisch ausgenutzt wird, sei es in der Absicht, die derzeitige Höhe der Preise gerechtfertigt erscheinen zu lassen, sei es, um die Preissteigerung nicht zu hemmen (sei es aus Gründen, die mit der kommenden Beschlagnahme zusammenhängen). Eine zwangsweise Arbeitseinschränkung der Betriebe, ein Verbot, Lumpen zu reißen oder Luxusstoffe herzustellen, kann schon viel stärker auf die Preise wirken. Wenn solche Maßnahmen praktisch nicht immer die große preispolitische Wirkung ausüben, sei es in günstiger oder ungünstiger Richtung, wie man vielleicht erwarten könnte, dann liegt das daran, daß solche Maßnahmen leicht umgangen werden. Am stärksten aber beeinflussen den Preis die die Mengenbewegung einschränkenden Verfügungen, wie eine Beschlagnahme. Das tritt besonders deutlich bei einer Teilbeschlagnahme hervor. Sie führt zu einer starken Preissteigung der freibleibenden Stoffe. Je enger der Kreis der freibleibenden Stoffe ist, desto größer ist diese Preissteigung. Dort, wo diese freibleibenden Mengen nur noch einen kleinen Prozentsatz der Gesamtmenge ausmachen, tritt bei Spinnstoffen eine Preissteigung bis zu einigen Tausend Prozent ein.

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Im Gegensatz zur Teilbeschlagnahme steht die Gesamtbeschlagnahme. Wie die Teilbeschlagnahme schon bei ihrem Bekanntwerden preissteigernd auf die freibleibenden Stoffe wirkt, so wirkt die Gesamtbeschlagnahme häufig schon vor Inkrafttreten preissenkend. Sie kann aber auch preissteigernd wirken, nämlich dann, wenn eine Beschlagnahme noch nicht erwartet wurde und ihre Ankündigung den Mangel an dem betreffenden Stoff erst deutlich werden läßt. Mengenverfügungen machen Preisverfügungen, die der Einschränkung der freien Preisbewegung dienen sollen, nur selten überflüssig. Das aber ist leider lange Zeit verkannt worden. Eine Reihe einschneidender Mengenregelungen erfolgt und nur mit einer vielleicht ist gleichzeitig eine Preisregelung verbunden. Nur dort, wo der Idealfall der Vollbeschlagnahme13 als einer lückenlosen Mengenverfügung vorliegt, die jede Veräußerung außer an den Beschlagnahmenden selbst untersagt, können Preisverfügungen für den freien Verkehr fortfallen; denn in diesem Fall ist die mengenpolitische Maßnahme gleichzeitig auch die beste preispolitische. — Die Mengenpolitik erfordert aber häufig, scheinbar oder tatsächlich, andere Maßnahmen als die Preispolitik. Meist ist „eine Veräußerung trotz der Beschlagnahme erlaubt“, wenn auch nur von Verarbeiter an Verarbeiter. Mit der Möglichkeit der Veräußerung ohne direkte Höchstpreisbindung ist auch die Möglichkeit der Preissteigerung gegeben. In der Mangelwirtschaft führt schon allein die spekulative „Jagd nach Material“ zu einer Preissteigerung. Das ist selbst dann der Fall, wenn die Verarbeitung des Stoffes auf den Heeresbedarf beschränkt ist, und für die Gegenstände des Heeresbedarfs entsprechend kalkulierte Preise festgesetzt sind. Der Produktionsprozeß ist zu lang, die Produktionsverhältnisse sind zu verschieden, die Stufentrennung vielfach zu groß, der Einstandspreis der beschlagnahmten Stoffe zu verschieden, der Einfluß der Preisentwicklung freien Auslandsmaterials zu stark, als daß sich vom Fertigfabrikat aus die Preise der Rohstoffe auf dem alten Stand halten ließen, wie es für die Rohstoffe eine mit der Beschlagnahmeverfügung verbundene Höchstpreisverfügung erreicht. Der Fertigfabrikatpreis gestattet dies um so weniger, wenn er Einheitspreis ist und so die Kosten des schlechtest arbeitenden Betriebes zur Grundlage hat. Immerhin ist die preispolitische Wirkung der Verwendungsbeschränkung bei einer geordneten Preispolitik der Fertigfabrikate so groß, daß die Preissteigerung gering bleibt. — Der Grad der Preissteigerung des Rohstoffs hängt also hier wesentlich ab von der mehr oder weniger großen Vollkommenheit der Preispolitik der Fertigfabrikate. Solange die Preispolitik der Fertigfabrikate infolge Dezentralisation oder allgemeiner Zersplitterung des Beschaffungswesens, wie sie auch nach Gründung des Bekleidungsbeschaffungsamtes für manche Stoffe noch fortbesteht, andauert, ist die Verwendungseinschränkung auf den Heeresbedarf nicht imstande, die Rohstoffpreise auf dem alten 13 Vollbeschlagnahme nicht zu verwechseln mit Gesamtbeschlagnahme. Gesamtbeschlagnahme sei die Beschlagnahme aller Teile einer verfügbaren Menge. Ihr steht gegenüber die Teilbeschlagnahme. Vollbeschlagnahme sei eine Beschlagnahme ohne Erlaubnis der Veräußerung an einen anderen als den Beschlagnahmenden selbst.



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Stand zu halten, geschweige denn, sie herunterzudrücken. Hier erfordert erst recht die Mengenregelung des Rohstoffs gleichzeitig seine Preisregelung. Mengenregelung ohne Preisregelung kann aber auch die Bedarfsdeckung erschweren. Die Verwertungsstellen der Spinnstoffe und Garne dürfen bei ihren Dispositionen nicht erst auf Verhandlungen über die Preise angewiesen sein. Die ganze Kalkulation ist erschwert und mitunter die rechtzeitige Deckung des Heeresbedarfs, also der eigentliche Zweck der Beschlagnahme gefährdet, wenn Preise nicht festgesetzt sind. Auch ist es den Webern u. a. nicht möglich, zu liefern, wenn die Spinner nicht an feststehende Preise gebunden sind und sich bei den unsicheren Rechtsverhältnissen im Kriege von den Garnlieferungsverträgen freizumachen suchen. Der Einfluß der Preispolitik auf die Menge ist nicht weniger groß. Um die Mengen zu steigern, läßt man aus dem Ausland neu einzuführende Stoffe von Preiseinschränkungen (und Beschlagnahmen) lange Zeit frei. Höchstpreise für sie festzusetzen, ist auch unmöglich, da der Preis fast jeder einzelnen Partie verschieden ist infolge der bei der Einfuhr zu überwindenden Schwierigkeiten (Zahlung von Schmuggelgeldern u. dgl.). Als die Einfuhrmengen immer geringer werden, die Auslandspreise aber immer höher und eine Schädigung der Valuta herbeiführen, im Inlande die Preise des Auslandsmaterials trotz Wucher- und Kettenhandelsverordnung weit über das berechtigte Maß hinaussteigen, überdies der freie Auslandspreis die schlechte mengenpolitische Wirkung hat, daß man Inlandsmaterial als Auslandsmaterial erklärt, geht man zur Beschlagnahme über. Auch bei den Ankäufen im besetzten Gebiet ist eine Bindung etwa an die Inlandshöchstpreise vielfach nicht möglich. Bei den anfänglichen großen Beschlagnahmen im besetzten Gebiet zahlt man den Vorkriegspreis vom 25. Juli 1914. Als man, um alles restlos herauszuholen, zum freien Ankauf übergeht, zahlt man anfangs unter, später über Inlandshöchstpreis. Politische und sonstige Rücksichtnahmen lassen die Preise außerordentlich verschieden sein. Immerhin kann man im Verkehr mit dem besetzten Gebiet weit seltener von Anreizpreisen sprechen als im Verkehr mit dem sonstigen Auslande. Die weitaus größten Mengen sind infolge der Möglichkeit der Anwendung von Zwangsmaßnahmen ähnlich wie im Inlande zu verhältnismäßig niedrigen Preisen ins Land gekommen. Im Gegensatz dazu ist eine weitgehende Anreizpolitik notwendig bei den Verbündeten, besonders in der Türkei. Ähnlich wie bei der Einfuhr aus dem besetzten Gebiet und dem neutralen Ausland findet die Anreizpolitik aus mengenpolitischen Gründen Anwendung bei Inlandsmaterial, sei es bei seiner Gewinnung, sei es bei seiner Verarbeitung. Das Anreizsystem beim Inlandsmaterial hat erst dem Anreizpreis seinen Namen gegeben. Man könnte einen großen Teil aller preispolitischen Maßnahmen der Heeresverwaltung als anreizpolitische bezeichnen. Der Ausdruck findet jedoch nur dort Anwendung, wo die Anreizpolitik ganz besonders stark in die Augen tritt. Solche Anreizpolitik wird getrieben bei der Erzeugung von Flachs und Wolle, beim Sammeln von Lumpen, Brennesseln, Menschen- und Tierhaaren, bei Spinnpapier und Papiergarn, bei der Herstellung von feinen Garnnummern aus Abfallstoffen und Regeneraten, sowie bei

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der Gewinnung der Regenerate selbst. Anreizpreise werden auch dort gezahlt, wo man eine Vernachlässigung der Heeresaufträge gegenüber den Zivilaufträgen erwartet. Die Einwirkung der Preispolitik auf die Menge zeigt sich auch bei der Höchstpreisfestsetzung. Höchstpreise, bei der dauernden Preissteigung bei der Verkündung fast immer niedriger als der zu erwartende Marktpreis des nächsten Tages, lassen ohne gleichzeitige Mengenregelung die Ware vom Markt verschwinden. Erfahrungen der Getreidewirtschaft führen dazu, daß der Grundsatz „ohne Beschlagnahme keine Höchstpreise“ in der Kriegswirtschaft allgemein gültig wird. Die Preis- und Mengenpolitik der Spinnstoffsektionen sieht darum, abgesehen von der allerersten Zeit, von der Festsetzung von Höchstpreisen ohne Beschlagnahme ab, soweit nicht die besondere Bedeutung der Mengenfrage sowieso die Mengenregelung der Preisregelung vorausgehen läßt. Die engen Beziehungen zwischen Menge und Preis zeigen sich auch dort, wo man von einem Eingriff in die Preisentwicklung absieht und eine andauernde Preissteigung bald zur Zurückhaltung der Ware führt. Zu den natürlichen Ursachen der Preissteigung treten künstliche. Anhaltende Preissteigung führt zu beschleunigter Preissteigung. Das war bereits in den ersten Kriegsmonaten, zum mindesten bei Wolle und Baumwolle, der Fall.

11 Die Frage der Rechtzeitigkeit der Preisregelung Durch die ganze Spinnstoffwirtschaft zieht sich wie ein roter Faden die Verspätung fast aller Preismaßnahmen hin. Man läßt die Preise mindestens auf das Doppelte, teilweise auf das Drei- bis Sechsfache steigen, bevor man geeignete Mengen- und Preisverfügungen zur Preiseinschränkung trifft. Man beschlagnahmt vielfach nur die Sorten, welche das Heer gerade zur Zeit braucht, nicht auch das, was es vielleicht oder ziemlich sicher auch später braucht. Das ist ohne weiteres erklärlich am Anfang, als man glaubt, daß der Krieg nicht lange dauere. Später sind andere Gründe maßgebend: notwendige Rücksicht auf das Wirtschaftsleben, aber auch Widerstand des Gewerbes, mangelnde Voraussicht der Heeresverwaltung, Personalmangel usw. Für die verspätete Festsetzung von Höchstpreisen im besonderen spielt der Glaube an die Unmöglichkeit einer Höchstpreisfestsetzung für Spinnstoffe und ihre Erzeugnisse mit. Nicht zuletzt trägt an allen verspäteten Maßnahmen auch Schuld die mangelnde wirtschaftliche Vorbereitung des Krieges. Bei der verspäteten Preisfestsetzung sucht man dann die Preise auf einen niedrigeren Stand als den letzten Marktpreis zurückzudrängen, wobei man den einzelnen stark schädigt, dann aber auch Gefahr läuft, daß die Ware trotz Beschlagnahme entzogen wird. Bei starker Zurücksetzung der Preise tritt natürlich auch eine große Unzufriedenheit der Beteiligten zutage, die sich in zahlreichen Klageschreiben und persönlichen Vorstellungen ausdrückt. Es klagen aber nicht nur die Geschädigten,



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sondern auch die anderen, deren Nutzen sich durch einen höheren Preis vergrößern würde. Man hat die verspätete Preisfestsetzung gelegentlich damit zu rechtfertigen gesucht, daß man sagt, daß sich sowohl die Verschiebung des Geldwertes als auch die Bedarfsentwicklung nicht von vornherein genügend übersehen lasse und erst abgewartet werden müsse, wie alles laufe. Dem ist folgendes entgegenzuhalten: Der Höchstpreis bleibt zu jeder Zeit etwas Willkürliches. Man weiß ebensowenig nach drei Jahren, wie die Verhältnisse sich weiter entwickeln werden wie nach sechs Monaten; denn immer wieder treten Verschiebungen ein, sei es im Geldwert, sei es im Bedarf, in der Kampftechnik, in der Blockade usw. In der Wartezeit können die Preise um ein Mehrfaches steigen und können dann durch Regierungsmaßnahmen infolge der Verwicklung aller Preise miteinander oft überhaupt nicht mehr abgebaut werden. An der Geldentwertung aber „von der Warenseite her“ trägt gerade die Verspätung des Eingriffs in die freie Preisentwicklung schuld. Das, was man erst erkennen will, um es dann erst zu beseitigen, tritt gar nicht in dem Maße ein, wenn man rechtzeitig eingreift14.

12 Gesetzliche und verwaltungsmäßige Preisregelung Die Spinnstoffwirtschaft kennt sowohl die gesetzliche als auch die verwaltungsmäßige Preisregelung. Die gesetzliche Preisregelung ist die weitaus überwiegende. Sie erfolgt entweder auf dem Wege der Bundesratsverordnungen (z.  B. bei den Wollhöchstpreisen und dem Kettenhandelsverbot für Textilien) oder durch Bekanntmachungen der Militärbefehlshaber auf Grund ihrer Sonderrechte. Den Übernahmepreis für beschlagnahmte Waren setzt im Streitfalle auf Grund der Verordnungen über die Sicherstellung des Kriegsbedarfs das Reichsschiedsgericht fest. Trotz der Nachteile zeigt sich die gesetzliche Preisregelung in manchen Fällen als unumgänglich in der Mangelwirtschaft des Krieges. Erst wenn allgemein die Zwangsläufigkeit der Waren festgelegt, und das Beschaffungswesen der Fertigfabrikate einigermaßen geordnet ist, kann man vielfach auf die gesetzliche Preisregelung verzichten. Die Gewalt über die Ware gibt im allgemeinen auch die Gewalt über den Preis. Aber auch dann noch zeigt sich die gesetzliche Preisregelung als ein wirksames Hilfsmittel. Die verbreitetste Form der gesetzlichen Preisregelung ist die des gesetzlichen Höchstpreises. Sie hat nicht nur Bedeutung für den freien Verkehr, sondern auch für die Bewertung bei der Übernahme und Verteilung durch die Kriegsgesellschaften, sind doch bis zur Festlegung von Höchstpreisen die Meinungsverschiedenheiten 14 Man darf diese Ausführungen nicht mißverstehen. Wären die verschiedenen Maßnahmen noch so früh gekommen, sie hätten nur vermocht, der wirtschaftlichen Weiterentwicklung eine bessere Richtung zu geben. Vollkommenheit der organisierten Wirtschaft wäre auch damit nicht erreicht worden.

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über den zugrunde zu legenden Preis recht groß gewesen. Für die Beschaffungsstellen der Fertigfabrikate aber und für die Fabrikanten bilden die Höchstpreise die festen Grundlagen in der Kalkulation. Bei der Festsetzung von Höchstpreisen ergeben sich große Schwierigkeiten. Sie führen bei allen Spinnstoffen zur Verzögerung behördlicher Preiseingriffe. Die Zahl der Sorten und Abarten scheint zu groß, ihre schematische Bewertung ungerecht. Es gibt Sachverständige, welche Gutachten für die Festsetzung von Höchstpreisen ablehnen, weil sie Höchstpreise auf dem Textilgebiet für unmöglich halten. Im einen oder anderen Falle mag auch Interessenpolitik oder Scheu vor den Kollegen bei der Ablehnung mitgespielt haben. — Wenn schließlich Höchstpreise festgesetzt werden, geschieht es in vereinfachter Form. Schon die Gesetzesökonomie verlangt, daß man nicht allzu umfangreiche Bekanntmachungen erläßt. Obwohl fast jede Spinnstoffgattung (Baumwolle, Wolle, Lumpen usw.) 1000 und mehr Sorten aufweist, begnügt man sich mit der Preisfestsetzung für die Hauptsorten. Am weitesten in der zahlenmäßigen Festsetzung geht man bei Lumpen mit ungefähr 200  Preisstufen und bei Baumwolle mit ungefähr 30 Preisstufen für die Rohstoffe und über 100 Preisstufen für die Halbfabrikate. Für die anderen Sorten verweist man auf den „handelsüblichen Zuschlag“, den „angemessenen Zuschlag“ und dergleichen. Das Abgehen von der zahlenmäßigen Bestimmung der Preise genügt aber auch schon, um den Wert einer Höchstpreisbekanntmachung im freien Verkehr zu mindern; denn häufig setzt bald eine Überbewertung der nicht zahlenmäßig normierten Sorten ein. Neben den Unterund Nebensorten gibt es auch einige Hauptsorten, für welche keine Höchstpreise festgesetzt werden können. Das ist das unsortierte und nicht gereinigte Material, wie die im Haushalt anfallenden Lumpen und die Schmutzwolle. Höchstpreise sind Schemapreise. Ihre Anwendung hört aus technischen Gründen dort auf, wo infolge wechselnder Zusammensetzung, wechselnder Reinheit auch der Wert der Ware immer wieder wechselt. Der Staat muß deshalb hier nach anderen Mitteln greifen. Das ist dort einfach, wo der Staat selbst die Ware übernimmt. Hier tritt an die Stelle des stabilen Höchstpreises die Bewertung von Fall zu Fall durch Bewertungskommissionen, so bei sortierten Lumpen, gewaschener Wolle, Tierhaaren,. Kunstwolle und Kunstbaumwolle. Wo Höchstpreise bestehen, dienen sie für die Übernahme durch den Staat nur noch als Ausgangspreise. Für den freien Verkehr zwischen Fabrikanten, Händlern usw. kennt man hier anfangs nur das Mittel, den Preis für das Fertigprodukt vom Höchstpreise für das Vor- oder Nachprodukt abhängig zu machen, so bei Schmutzwolle und Rohlumpen. Als dieses Mittel aus schon angeführten Gründen versagt, erläßt man bei Rohlumpen außerdem das Verbot, die Ware nicht teurer zu verkaufen, als zu einer näher bestimmten Zeit vorher. Für Schmutzwolle schränkt man den freien Verkehr ein und geht zur Bewertung durch beauftragte Händler über, die gewissermaßen die staatliche Bewertung ersetzen sollen. Während diese Maßnahmen meist getroffen werden bei Bestehen von gesetzlichen Höchstpreisen für das Hauptprodukt, verzichtet man auf anderen Gebieten auf



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die Festlegung gesetzlicher Höchstpreise überhaupt. Ist eine Ware beschlagnahmt und ist der Staat selbst ihr Abnehmer und Wiederverteiler oder gibt der Staat einer Gesellschaft ein Handelsmonopol der beschlagnahmten Ware, so werden gesetzliche Höchstpreise überflüssig. Vertragliche Abmachungen zwischen den Beteiligten genügen. Es genügt auch die Abhängigmachung irgendwelcher Berechtigungen, z.  B. der Einfuhrerlaubnis oder des Bezuges von beschlagnahmten Rohstoffen. Auf der letzten fußt in der Hauptsache die Preisregelung von Flachs und Hanf mit dem Handelsmonopol der Kriegsflachsbau-A.-G. bzw. der Hanfbau-A.-G. Die Abhängigmachung des Bezugs beschlagnahmter Stoffe von der Einhaltung bestimmter Preise findet auch Anwendung bei der Rohstoffzuteilung für den Zivilbedarf, so bei Nähgarn, Strickgarn, Verbandstoffen usw. Die Abhängigmachung der Einfuhrerlaubnis von der Einhaltung bestimmter Zuschläge ist üblich bei Zellstoff und Spinnpapier für die Weiterveräußerung im Inland. Die nicht gesetzlichen Maßnahmen bieten den Vorteil der größeren Elastizität. Eine besondere preisregelnde Einrichtung bilden die Ausgleichskassen. Sie dienen dem Ausgleich und der Stabilisierung der Preise. Ihre Darstellung erfolgt zweckmäßig in anderem Zusammenhang (Abschnitt 15). Mehrfach findet sich an Stelle einer zahlenmäßigen Normierung des Preises die Bestimmung, daß die Verkaufspreise die Preise zu einem näher festgesetzten Zeitpunkt nicht überschreiten dürfen, so wie bereits erwähnt, bei Rohlumpen, ferner bei alten Strickgarnvorräten für den Zivilbedarf. Ihre größte Tragweite hatte diese Art der Preisregelung bei fertigen Web-, Wirk- und Strickwaren des Zivilbedarfs. Um eine mit der am 1. Februar 1916 eingetretenen Beschlagnahme heeresbrauchbarer Fertigwaren im freien Verkehr verbundene Preistreiberei zu vermeiden, verfügt auf Anregung des Reichskanzlers die K.R.A. durch die Generalkommandos, daß der Verkäufer keinen höheren Preis vereinbaren dürfe, als er vor dem 31. Januar 1916 bei gleichartigen oder ähnlichen Verkäufen erzielt habe. Diese Bekanntmachung wird unter dem 31. März 1916 mit einigen Ergänzungen zur Bundesratsverordnung erhoben und gleichzeitig die Anrufung von Textilschiedsgerichten, die bei den Handelskammern gebildet wurden, ermöglicht. Dieser Weg der Preisbeschränkung ist der allein gegebene, da die Festsetzung von Höchstpreisen bei der Mannigfaltigkeit der Fertigwaren des Zivilbedarfes einfach unmöglich ist. Die entsprechenden Bestimmungen werden späterhin (21. Juni 1916) auch auf Seilerwaren und schließlich auch (8. Februar 1917) auf Spinnstoffe, Garne und Fäden, soweit keine andere Preisregelung besteht, ausgedehnt. Im übrigen fallen Textilien, soweit sie Gegenstände des täglichen oder des Kriegsbedarfes sind, unter die allgemeinen Kriegswucherverordnungen. Das Kettenhandelsverbot vom 24. Juni 1916 bezieht sich dagegen nur auf Lebens- und Futtermittel. Trotz des großen Kettenhandels in Spinnstoffen wird erst durch Bundesratsverordnung vom 8. Februar 1917 das Kettenhandelsverbot auf Textilien ausgedehnt. Die Wirkung der allgemeinen Wucher- und Kettenhandelsbestimmungen bleibt, wie überall, auch bei den Spinnstoffen verhältnismäßig gering. Schwierigkeiten bereitet auch die Verbreitung der Preisbestimmungen, was wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen den zuständigen Behörden und den von

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den Bekanntmachungen Betroffenen führt. Als Mittel für die Verbreitung dienen die Fachblätter, die Verbände, die halbamtlichen Kammern, der Anschlag usw. Trotz der zahlreichen Verbreitungsmittel kommt es wiederholt vor, daß ein Teil der von den Preisbestimmungen Betroffenen erst verspätet davon erfährt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es gibt kleine Lumpenhändler, die noch nichts von Lumpenhöchstpreisen wissen, als diese schon lange in Kraft sind. Da hilft es dann wenig, wenn das Reichsgericht entscheidet, daß Kriegsverordnungen auf das sorgfältigste geprüft werden müssen, und daß eine auf Unterlassung solcher Prüfung beruhende Unkenntnis als Fahrlässigkeit anzusehen ist: Auch werden die Bekanntmachungen nicht immer genügend durchgesehen. Ferner ist die Terminologie der Bekanntmachungen nicht immer richtig. Ist sie richtig, so berücksichtigt sie doch nicht immer die verschiedenen Wortgewohnheiten der verschiedenen Gegenden und Gewerbezweige. Sodann ist die Zahl der Bekanntmachungen oft so groß und ihr Zusammenhang oft so kompliziert, daß es dem von der Bekanntmachung Betroffenen auch beim besten Willen nicht immer möglich ist, die Vorschriften genau zu erkennen. Das aber steigert die Unsicherheit und die Zahl der Umgehungen,

13 Der Preis in der Eigenversorgungswirtschaft des Staates Ist der Staat Eigentümer der Herstellungsstoffe und gleichzeitig Hersteller seiner Bedarfsgegenstände für das Heer, so verliert die Preisfrage innerhalb dieser Grenzen jede Bedeutung. Die Heereswirtschaft wird Eigenversorgungswirtschaft. Ob in dieser Eigenversorgungswirtschaft die Verwaltungsstelle für Rohstoffe von der Verwaltungsstelle für Fertigfabrikate einen niedrigeren oder einen höheren Preis verlangt, ist an und für sich gleichgültig. Der Gegenwert in Geld fließt in die beiden Stellen gemeinsame Staatskasse, bzw. die buchmäßige Verrechnung geschieht auf demselben Endkonto. Es ist die Bons- und Kontowirtschaft der sozialistischen Wirtschaftsgesellschaft. Der Preis ist nur noch Verrechnungszahl. In Wirklichkeit ist der Staat nur zum Teil Hersteller seiner Bedarfsgegenstände. Spinnerei und Weberei betreibt er im allgemeinen nicht. Nur die Konfektion besorgt er. Das Weben, Spinnen usw. geschieht im allgemeinen von Unternehmern, die außerhalb der Eigenversorgungswirtschaft des Staates stehen. Um die Unternehmerschaft in seinen Dienst zu stellen, hat der Staat drei verschiedene Wege eingeschlagen. Er beschlagnahmt das Material, setzt Höchstpreise dafür fest und verteilt Aufträge auf Basis der Höchstpreise. Der Staat erwirbt also das Eigentum am Material erst im Fabrikat. Der Staat kann sich aber auch sofort in das Eigentum des Materials setzen, um es wieder zu verkaufen, wenn er seine Aufträge verteilt und es zurückzukaufen im Fertigfabrikat. Der dritte Weg ist der, daß der Staat ebenso wie im zweiten Falle das Material kauft, es bei der Auftragsvergebung wieder zuteilt, aber ohne das Eigentumsrecht aufzugeben, dem Unternehmer vielmehr nur einen Lohn für seine Arbeit zahlt und das Material im Fabrikat zurücknimmt.



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Alle diese Vorgänge beeinträchtigen mehr oder weniger das Bild der Eigenversorgungswirtschaft des Staates oder heben es sogar in seinen Grundzügen auf. Der Preis in seiner formellen Bedeutung der Verrechnungszahl bleibt im Verkehr zwischen den beteiligten Staatsstellen jedoch erhalten. Kauft der Staat durch seine Rohstoffstelle Rohstoffe auf und teilt sie einem Unternehmer zur Verarbeitung zu, ohne daß das Eigentum an den Rohstoffen wechselt, so ist dieser Unternehmer Verarbeiter im Lohn. An dem Preisverhältnis der Eigenversorgungswirtschaft ändert sich durch das Lohnverfahren nichts. Der Preis bleibt Verrechnungspreis. Verzichtet der Staat auf die Lohnform in der Annahme, durch Eigentumsübertragung den Unternehmer am Material und an der Verarbeitung stärker interessieren zu können, verkauft der Staat also dem Unternehmer das Material, um dann dasselbe Material im Fabrikat zurückzukaufen, so hat auch dann noch die Stellung des Unternehmers eine gewisse Ähnlichkeit mit der eines Lohnarbeiters und in dem für diese Betrachtungen wichtigsten Punkte bleibt der vorher geschilderte Zustand erhalten. Die Verwaltungsstelle der Rohstoffe kauft den Rohstoff, verkauft ihn an den Unternehmer und die Beschaffungsstellen der Fertigfabrikate kaufen das Material vom Unternehmer wieder zurück. Da der Staat die Gewalt über den Rohstoff hat und der Zuteilungspreis an den Unternehmer der letztübernehmenden Stelle bekannt ist und die Grundlage für den Preis der Fertigfabrikate bildet, bedeutet Ankauf, Wiederverkauf und Rückkauf wohl eine Komplizierung der Handlung, aber der Preis, soweit er die ökonomischen Beziehungen der Staatsstellen zueinander betrifft, behält die Bedeutung des bloßen Verrechnungspreises. Selbst in denjenigen Fällen, in welchen der Staat nur die Sicherungsbeschlagnahme (bei gleichzeitiger Höchstpreisfestsetzung) ausübt (wie bei Baumwolle im Gegensatz zu Wolle und Lumpen), der Umweg von Ankauf, Verkauf, und Rückkauf also wegfällt und ein Verkauf durch den Unternehmer an den Staat erst im Fertigfabrikat stattfindet, bleibt die Bedeutung des Preises als bloßen Verrechnungspreises für die Innenverrechnung erhalten. Die Erkenntnis, daß der Preis in der mehr oder weniger geschlossenen Heereswirtschaft in den oben näher bestimmten Grenzen nur noch Verrechnungsfaktor ist, hat besondere Bedeutung. Der Staat kann diesen Verrechnungsfaktor herauf- und heruntersetzen, ganz wie es dem Staat beliebt. Ob der Zuteilungspreis hoch oder niedrig ist, so niedrig, daß er auf Null steht, für den Staat ist die Preishöhe für alles das, was er verkauft, um es unter denselben Bedingungen wieder zurückzukaufen, für die Innenverrechnung gleichgültig. Es ist auch hier dieselbe Kasse, in die alles fließt und aus der alles fließt. Außenkalkulatorisch hat der Zuteilungspreis eine andere Bedeutung. Siehe den nächsten (14.) Abschnitt. Der Staat hat wiederholt die freie Regulierbarkeit des Verrechnungspreises dazu ausgenutzt, den Preis zu stabilisieren. Er teilt das Material häufig auch dann noch zum selben Preise zu, wenn die Materialzusammensetzung sich schon vollständig geändert hat. Der stabile Preis aber hat den Vorteil, Sondergewinne des Unternehmers auf Grund alter Vorräte bei Preisheraufsetzungen zu vermeiden und die Kalku-

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lation zu vereinfachen. Der Zuteilungspreis als Verrechnungspreis gestattet auch, die Preise auf einem niedrigen Stand zu halten. Beide Gesichtspunkte sind für eine geregelte Wirtschaft wichtig.

14 Der „niedrige Preis“. Der „stabile Preis“ Der Staat kennt von den industriellen Gesamtkosten nur die des zugeteilten Materials. Alles andere muß er durch Nachprüfung feststellen. Dabei steht er alteingebürgerten Kalkulationsmethoden der Industrie gegenüber, insbesondere der des Aufschlags einzelner Bestandteile der Selbstkosten auf den Rohstoffpreis prozentual zu diesem. Teilt der Staat dem Unternehmer Rohstoffe zu einem höheren Preise (als vorher) zu, so kommt damit im Fertigfabrikatpreis bei sonst gleichbleibenden Umständen nicht nur die Erhöhung des Rohstoffpreises zum Ausdruck, sondern auch die der prozentual (vielleicht) gleichbleibenden, absolut aber steigenden Zuschläge. Da es für den Staat schwer ist, die prozentualen Zuschläge herabzudrücken, sei es wegen des Widerstandes der Industrie (aus Gründen der Beharrungstendenz, der Kostensteigung und anderen Gründen), sei es wegen der Schwierigkeiten der Feststellung eines „angemessenen Zuschlags“ bei den fortwährend sich ändernden Verhältnissen, so wirkt der hohe Zuteilungspreis im allgemeinen für den Staat nachteilig. Für den Staat als Monopolisten der Stoffe und der Aufträge ist es vorteilhafter, den Rohstoff an seine Unternehmer eher billiger als teurer zu verkaufen. Obwohl die Zuteilungspreise der Rohstoffe in der Heereswirtschaft weit unter Marktwert stehen, kann man doch von einer bewußten planmäßigen Preisniedrighaltung, um deren Vorteile zu genießen, allgemein nicht sprechen. Wenn die Preise verhältnismäßig niedrig bleiben, ist das lange Zeit nur zum Teil auf die Erkenntnis des Vorteils niedriger Preise zurückzuführen15, zum Teil liegt es in dem Aufbau der Kriegswirtschaftsgesellschaften begründet und zum Teil auch in den Schwierigkeiten von Preisheraufsetzungen mit ihrer Weiterwirkung auf die Preise der Nachprodukte. Wie wenig man allgemein der Niedrighaltung der Preise und der Kosten Beachtung schenkt, zeigt nicht nur die verspätete Preisregelung bei den meisten Spinnstoffen und die Risikoablehnung durch den Staat, sondern auch, daß man die noch näher zu behandelnde Entschädigung der stillgelegten Betriebe zum Selbstkostenbestandteil der weiterarbeitenden Betriebe werden läßt. Neben dem nicht zu unterschätzenden Nachteil, der aus den Kalkulationsgewohnheiten der Industrie erwächst, sind eine Reihe weiterer Nachteile mit einem hohen Preisstande verbunden. Hohe Preise vergrößern das Risiko, erfordern größere 15 Wenige hatten den Nutzen der Preisniedrighaltung wohl so erkannt, wie seit dem Jahre 1917 der bekannte Industrielle und kluge Wirtschafter Georg Müller-Örlinghausen, der diese Idee wiederholt vertreten hat („Der Staat kauft billiger, wenn er am Rohstoff verliert, als wenn er am Fertigfabrikat draufzahlt“, wie Müller sich gelegentlich ausdrückt.).



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Kapitalien und ziehen Lohnsteigerungen nach sich. Höhere Risikoprämien, mehr Zinsen und höhere Löhne führen zu neuen Preissteigerungen. Es bildet sich die Schraube ohne Ende mit der Wirkung der „Geldentwertung von der Warenseite her“ und allen ihren verderblichen Folgen. Auch besteht die Neigung, kleine Preisunterschiede bei hohen Preisen weniger zu beachten als bei niedrigen Preisen. Der Bruchteil eines Pfennigs, der in normalen Zeiten eine große Rolle spielte in der Kalkulation, tritt in der „Kriegskalkulation“ mit ihren hohen Preisen zurück. Von nicht minder großer Bedeutung als die Preisniedrighaltung ist die Preisstabilität. Organisatorische Wirtschaft erfordert Preisstabilität, zum mindesten aber Gleichmäßigkeit in der Preisbewegung. Organisatorische Wirtschaft ist nur vollkommen in der Statik. Der stabile Preis hat den Vorteil der Risikolosigkeit. Risikoprämien brauchen nicht einkalkuliert zu werden, wenn man sichergeht, daß nicht hinterdrein ein Hilfsstoff oder Nebenstoff teurer wird als vorher angesetzt. Je mehr die Preise wechseln, desto schwerer wird auch die Errechnung eines „angemessenen Preises“. Die in die Kalkulation einzusetzenden Selbstkostenfaktoren sind unbekannte Größen. Ihre genauere Bestimmung ist erst nach längerer Beobachtung möglich. Da aber die Schraube ohne Ende die Preise nicht lange auf demselben Stande stehen läßt, steht der Kalkulator immer neuen Unbekannten gegenüber. Der stabile Preis aber bringt Ruhe und Durchsichtigkeit. Die Vorteile niedriger stabiler Selbstkosten in der gebundenen Wirtschaft sind so groß, daß es sich unter Umständen empfiehlt, die Selbstkosten künstlich auf dem alten Stand zu halten oder sie sogar unter diesen herabzudrücken. Wenn u.  a. der Zuteilungspreis für Wolle auf Kosten des bei der K.-Woll.-A.-G. vorhandenen und später an das Reich abzuführenden Überschusses lange Zeit nicht erhöht wird, sondern auf dem gleichen Stand bleibt, wird damit ein natürlicher Preisausgleich aus früheren Gewinnen der Gesellschaft geschaffen. Besondere Einrichtungen zur Niedrighaltung und zur Stabilisierung der Preise sind dagegen die von Professor Stolzenburg geschaffenen bzw. vorbereiteten Ausgleichkassen für Flachs und Spinnpapier. Die Ausgleichkasse für Flachs will einen Ausgleich schaffen zwischen den verschieden hohen Flachspreisen des Inlands, des besetzten Ostens und des Westens. Sie gestattet die Bildung eines Durchschnittspreises, welcher durch Zahlung entsprechender Beiträge in die Ausgleichkasse durch die Flachsindustrie dauernd auf ein und demselben niedrigen Stand gehalten wird. — Eine Niedrighaltung der Kosten findet bei Flachs sowohl als auch bei Hanf auch dadurch statt, daß der Staat Zuschüsse für den Bau von Röstanstalten usw. gibt. Auch auf einigen anderen Spinnstoffgebieten werden in einigen seltenen Ausnahmefällen Staatszuschüsse gegeben. Ist auch nicht die Absicht der Preisniedrighaltung bei der Gewährung von Staatszuschüssen vorhanden, so tragen doch die Staatszuschüsse zur Preisniedrighaltung bei. Sie finden sich aber bei den Spinnstoffen zu selten, als daß sie hier von erheblicher Bedeutung für die Preisniedrighaltung gewesen wären. Von größerer Bedeutung für die Niedrighaltung und Stabilisierung der Preise wird die von Oberleutnant Schoeller durchgeführte Ausgleichskasse für Spinnpapier. Für

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Spinnpapier sind Höchstpreise festgesetzt. Bei sinkendem Markwert und steigenden Preisen für schwedischen Natronzellstoff wird Ende 1917 eine bedeutende Erhöhung der Spinnpapierpreise notwendig und weitere Preisänderungen in der Zukunft sind bei den schwankenden Selbstkosten wahrscheinlich. Um diese Preisänderungen mit ihrer Weiterwirkung auf die Nachprodukte zu vermeiden, wird die Spinnpapierausgleichkasse geschaffen. In die Spinnpapierausgleichkasse zahlen für den Zivilbedarf die Weber und für den Heeresbedarf der Staat. Aus diesen Einzahlungen wird nicht nur die Differenz zwischen dem bei der Höchstpreisfestsetzung zugrunde gelegten Natronzellstoffpreise und dem wechselnden neuen Einstandspreis für schwedischen Natronzellstoff bestritten, sondern auch die Differenz zwischen den alten und den neuen (inzwischen gestiegenen) allgemeinen Herstellungskosten für Spinnpapier. Die Spinnpapierausgleichkasse dient ferner dem Zweck, der SpinnstoffeinfuhrGesellschaft m. b. H., Bremen, die Differenz zwischen dem Spinnpapierhöchstpreis in Deutschland und dem Gestehungspreis für eingeführtes schwedisches Spinnpapier zu zahlen. Technisch bildet die Spinnpapierausgleichkasse eine Ergänzung von Höchstpreisen bei schwankenden Selbstkosten. Die Ausgleichkasse ist das elastische Instrument, ohne das Höchstpreise bei stetig schwankenden Selbstkosten kaum durchführbar sind. Dadurch, daß beim Heeresbedarf der Staat die Differenz zwischen den alten und den neuen Kosten trägt, dient die Ausgleichkasse gleichzeitig der Niedrighaltung der Preise. Sie dient ferner der Stabilisierung der Preise und damit der Risikoverminderung und der Verminderung der Risikoprämien. Außer bei Flachs und Spinnpapier kennt man die künstliche Niedrighaltung der Preise noch bei der Zuteilung von Hilfsstoffen, so bei Olein an die Wollwäschereien, in der Hauptsache bestimmt durch technische Schwierigkeiten bei notwendig werdenden Preisänderungen der Nachprodukte. Daß man nicht allgemein und bewußt eine Politik der Preisniedrighaltung und Preisstabilisierung betreibt, ist zweifellos ein Mangel der staatlichen Preispolitik gewesen. Er ist auf dem Gebiete der Rohstoffbeschaffung zum Teil begründet in den allerdings nur verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten der Risikoübernahme und der Gewährung von Vorschüssen, obwohl deren absolute Höhe später in den Preisen weit überschritten wird, der Staat also viel mehr bezahlen muß in den Preisen, als wenn er Vorschüsse gezahlt hätte. Wäre die Erkenntnis rechtzeitig und allgemein durchgedrungen, daß die Aufrechterhaltung eines Selbstkostenminimums erste Vorbedingung für eine geordnete Preispolitik ist, wäre sie zu einem allgemeinen Grundsatz der Kriegspreispolitik geworden, so wären auch die verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten zu beseitigen gewesen, bzw. die Schwierigkeiten wären bei allgemeiner Durchdringung mit den neuen Grundsätzen der Preispolitik von selbst verschwunden (sogar jene, welche die Bundesgenossen aus Unkenntnis unserer Verhältnisse machten, wenn sie im Einzelfalle erklärten, daß sie dieselben Preisstellungen beanspruchten, wie die deutschen Militärbehörden. Sie wußten nicht, daß die Niedrighaltung des betr. Preises den Staat schon vorher Geld gekostet hatte). Allerdings — und damit kommt man auf den Ausgangspunkt aller dieser Betrachtungen über die Preispolitik



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zurück — die Leitung der deutschen Volkswirtschaft mußte eine streng einheitliche sein, um damit auch die Einheitlichkeit in der Wirtschaftspolitik herbeizuführen, die im Kriege gefehlt hat. Preisniedrighaltung und Preisstabilisierung sind beide künstlicher Natur, kann man einwenden. Die Volkswirtschaft aber steht mitten in der internationalen Verkehrswirtschaft und ist von dieser beeinflußt und von ihr abhängig. Es kommt die Zeit, wo die Volkswirtschaft wieder ein organischer Teil der Weltwirtschaft wird. Dann heißt es anknüpfen mit niedrigen Preisen an hohe Preise, mit festen Preisen an schwankende Preise. Aber entstehen solche Schwierigkeiten nicht immer in einer mehr oder weniger abgeschlossenen Wirtschaft, in deren feines Räderwerk eingegriffen wird? Sind nicht fast alle Preisgebilde des Krieges künstlicher Natur gewesen? Das eine wie das andere ist künstlich geschaffen, nicht organisch geworden. Vorteile und Nachteile bestehen da nicht.

15 Die Entschädigung der stillgelegten Betriebe Der Beschäftigungsgrad der Industrie hatte allmählich erheblich abgenommen. Die Generalunkosten waren stark gestiegen. Die Heeresverwaltung, gleichzeitig Inhaberin von Stoff- und Auftragsmonopol, hätte allerdings auch bei verminderter Gesamtbeschäftigung die Generalunkosten für ihre Aufträge auf das Mindestmaß der Vollbeschäftigung herabdrücken können. Auftragsverteilung an eine beschränkte Zahl leistungsfähiger Betriebe gab ihr die Möglichkeit dazu. Der Staat, nicht nur verantwortlich für den Staatshaushalt, sondern für die gesamte soziale und wirtschaftliche Entwicklung, hält aber lange Zeit die Beschäftigung einer möglichst großen Anzahl von Betrieben für angebracht, wobei anfangs die Annahme einer kürzeren Kriegsdauer und Gründe sozialer Gerechtigkeit mitspielen. Die hohen Generalunkosten der teilbeschäftigten Betriebe trägt der Staat. Als aus Gründen der Ersparung von Stoff und Arbeitskraft die Zusammenlegung der Aufträge erfolgt, tritt für die noch mit Heeresaufträgen betrauten Unternehmungen eine bedeutende Verminderung der Generalunkosten ein. Die Heeresverwaltung zahlt aber die hohen Preise weiter, welche sie schon vor der Zusammenlegung bezahlt hat. Sie überläßt die Differenz zwischen den alten und den neuen Selbstkosten der Industrie. Dieser wird die Entschädigung der stillgelegten Betriebe zur Pflicht gemacht. Die Heeresverwaltung glaubt aus Gründen der Gerechtigkeit gegenüber denjenigen Unternehmungen, welchen die Aufträge weggenommen werden, um sie auf Konkurrenzunternehmungen zu übertragen, einen Ausgleich schaffen zu müssen. Durch die Zusammenlegung will der Staat nicht an Geld, sondern an Arbeitskraft und Material sparen. Für die Industrie bildet die Entschädigung, soweit sie nicht der Instandsetzung usw. des Werkes oder in geringem Umfange auch der Arbeiterunterstützung dient oder im Einzelfall der eigenen Existenzerhaltung, die Gegenleistung für die im

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vaterländischen Interesse erneut zu bringenden „Opfer“. Die Entschädigung hat denn auch zweifellos die Zusammenlegungsaktion erleichtert. Die Industrie gründet zum Zweck der Aufbringung und Verteilung der Industrieentschädigung Entschädigungsgemeinschaften. Die Entschädigungsgemeinschaften der Textilindustrie sind Einrichtungen der Selbstverwaltung der beteiligten Industrie. Selten aber ist die Idee der Selbstverwaltung mehr mißbraucht worden als in diesen Entschädigungsgemeinschaften. Diese Behauptung leitet über zur Frage der Gerechtigkeit der Industrieentschädigung. Die von der Regierung absichtlich und bewußt stillgelegten Betriebe erhalten eine mehr oder minder hohe Entschädigung. Daneben gibt es zahlreiche Betriebe in jedem Industriezweig, welche auf Grund der Einziehung der Arbeiter, des Betriebsleiters, der Herstellungsverbote, der Beschlagnahme von Rohstoffen usw. schon weit früher zum Erliegen gekommen sind. Diese Betriebe werden meist nicht entschädigt. Es ist aber derselbe Staat, welcher sowohl die Aufträge als auch die Werkstoffe und die Arbeiter entzogen hat, und es sind dieselben Ursachen, welche den Staat zu den weitgehenden Eingriffen in die eine sowohl als auch in die andere Privatwirtschaft veranlaßt haben. Wenn die Heeresverwaltung in den ersten Kriegsjahren ihre Aufträge möglichst auf viele Unternehmungen verteilt, ist dies ein besonderes Entgegenkommen. Infolge besserer Erkenntnis der Lage und infolge innerer Notwendigkeit läßt die Heeresverwaltung das alte System fallen. Aus der Aufhebung dieses Entgegenkommens an und für sich läßt sich noch kein Vorrecht auf Entschädigung ableiten. Weit früher als die Industrie ist der Handel, dessen Vermittlertätigkeit in der Vorkriegszeit der industriellen Arbeit gleichgeachtet wurde, mehr oder weniger ausgeschaltet worden. Der Handel beklagt sich denn auch darüber, daß die Industrie zum Teil entschädigt werde für die Nachteile des Krieges, der Handel, welcher teilweise noch stärker betroffen sei, aber nicht. Die Handelskammer Plauen stellt die Forderung auf, auch die stilliegenden Garnhandels- und Agenturgeschäfte in die Entschädigungsgemeinschaften einzubeziehen. Einen großen Unterschied übersieht aber diese Kammer: das stehende Kapital in den Handelsunternehmungen ist weit geringer als bei industriellen Unternehmungen. Außerordentlich groß sind auch die technischen Schwierigkeiten der Industrieentschädigung. Soll ein Unternehmen mit mehreren Werken, von denen das eine zur Weiterarbeit zugelassen ist, das andere nicht, für das nicht arbeitende Werk besonders entschädigt werden oder nicht? Soll überhaupt der stillgelegte Teil eines Betriebes, wenn der andere Teil den Vorzug des Weiterarbeitens genießt, entschädigt werden? Wo ist die Grenze zu ziehen in diesem Fall? Sollen Betriebe, welche durch den Krieg zerstört worden sind und vielleicht nie wieder errichtet werden, im Rahmen der stillgelegten Betriebe entschädigt werden? Eine besonders große Schwierigkeit bietet die Frage, ob Betriebe, welche sich vielleicht mit großen Schwierigkeiten und Risiken auf einen anderen Industriezweig, z. B. auf die Munitionsherstellung, umgestellt haben, in voller Höhe entschädigt werden sollen oder nur zum Teil oder überhaupt nicht, z. B. auch dann, wenn ihr Gewinn nur einen Teil der ihnen zustehenden Entschädi-



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gungssumme erreicht. Erschwert ist diese Frage noch dadurch, daß die Feststellung der sich ergebenden Gewinngrößen bei solchen Unternehmungen ganz unmöglich ist. Der Staat geht den Schwierigkeiten im allgemeinen dadurch aus dem Wege, daß er die Lösung der Entschädigungsfrage der „zusammengelegten Industrie“ überläßt. Die Industrie sucht z. T. der Schwierigkeiten dadurch Herr zu werden, daß sie dem Staat möglichst viel Geld abnimmt und so alle Beteiligten, die weiterarbeitenden und die stillgelegten, möglichst viel verdienen läßt. Es gab Leute, die zu den zuständigen Persönlichkeiten kamen und erklärten: „Legen Sie mich still, ich habe dann keinen Ärger mehr und verdiene dennoch.“ Stellt man die Frage, ob die Industrieentschädigung eine Notwendigkeit war, um die einzelne Privatwirtschaft existenzfähig zu erhalten, so ist diese Frage im allgemeinen zu verneinen. Die Gewinne der vorausgegangenen Zeit waren zum Teil recht groß. Dadurch, daß es auch späterhin die sog. stillgelegten Betriebe verstanden, durch Lohnarbeiten, Herstellung von Ersatzstoffen, Vermieten der Lager, Übergang zu Handelsgeschäften usw. zu verdienen, wurde eine allgemeine Entschädigung erst recht überflüssig. Nur eine „Unterstützung“ im berechtigten Einzelfall kam vielleicht in Frage, keine „Entschädigung“ in jedem Falle. Der Staat hat durch die übertrieben hohe Entschädigung Unternehmungen aus der Kriegswirtschaft in die Friedenswirtschaft hinübergerettet, welche mit Rücksicht auf ihre Rückständigkeit im Aufbau, in den Produktionsmitteln usw. wert gewesen wären, durch den natürlichen Prozeß des Krieges für alle Zeiten ausgeschaltet zu werden. War die Entschädigung nicht notwendig aus Gründen des Widerstandes der Industrie gegenüber der Zusammenlegung? War die Entschädigung derjenigen, die nun, nachdem viele andere vorausgegangen waren, auch zum Stillstand kommen mußten, unumgänglich, weil die Industrie ohne Entschädigungszahlung revoltiert hätte, dann gab es doch noch andere Formen als die, welche dem Staat so große Kosten bereiteten. Dann konnte die Entschädigung allgemein auf Kosten der Weiterarbeitenden gehen, deren „Gewinn“ groß genug war, wenn sie nur weiterarbeiten konnten, was auch gelegentlich von ihnen zugegeben wurde. Die Industrieentschädigung kommt zum Ausdruck in den Preisen. Hätte man die Entschädigungssätze nicht durch die Preise laufen lassen, dann hätte man erst die Finanzstellen fragen müssen und man wäre nach gemachten Erfahrungen „nie“ fertig geworden, wie nachträglich ein an der Durchführung der Industrieentschädigung Unbeteiligter behauptete. Die neuen Preise sollten, um die Entschädigung zu ermöglichen, sich nicht unter den alten Preisen bewegen. In Wirklichkeit führt das Entschädigungswesen noch zu weiteren Preissteigerungen. Für den Grad der Preiserhöhung durch die Entschädigungszahlung über den eigentlichen Herstellungspreis ist ausschlaggebend die Prozentzahl der mehr oder weniger stillgelegten Maschinen. In der Baumwollweberei beträgt die Preisdifferenz für Entschädigungszwecke 5—30 %, im Durchschnitt 20 % des Herstellungspreises. Da aber bereits in den Höchstpreisen für Baumwollgarn eine Entschädigung steckt, ist die Gesamtentschädigung noch höher. Die durchschnittliche Verteuerung der Baumwollfabrikate aus Entschädigungsgrün-

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den dürfte mit 2 5% des Herstellungspreises nicht zu hoch gegriffen sein. In der Tuchindustrie beträgt der Aufschlag mindestens 8—10  % des Preises. Die Deckenpreise erhöhen sich um 9—10 %, die Woilachpreise um 10 %. Leinenindustrie und Juteindustrie sind nur in geringem Umfang zusammengelegt, weshalb die Entschädigungszahlung die Preise nur um ein paar Prozent erhöht. Von mehreren anderen Zweigen der Textilindustrie ist der Prozentsatz nicht bekannt. Welche Bedeutung diese Preiserhöhungen für den Staat haben, zeigen die an die einzelnen Zweige der Textilindustrie in Zeit von zwei Jahren gezahlten Entschädigungssummen. Sie bewegen sich von einer halben Million bis 100 Mill. Mark pro Industriezweig. In dem Vielverdienen der meisten liegt einer der wenigen einheitlichen Momente des Industrieentschädigungswesens. Im allgemeinen und unter Berücksichtigung des Entschädigungswesens der anderen Industriezweige herrscht Systemlosigkeit. Der eine Industriezweig entschädigt nach diesen Grundsätzen, der andere nach jenen. Hier werden bestimmte Nebengewinne der entschädigungsberechtigten Unternehmungen bei der Entschädigungszahlung berücksichtigt, dort nicht. In diesem Industriezweig ist der Entschädigungssatz pro Maschineneinheit absolut sehr hoch, in dem anderen sehr niedrig. Die Selbstverwaltung der Industrie im Entschädigungswesen zeigt so große Mängel auf, daß wohl selten im Kriege organisatorisch schlimmere Zustände geherrscht haben als auf diesem Gebiete. Verbesserungen wurden angestrebt, einige auch durchgeführt, als bald die Revolution ausbrach. Weshalb überließ der Staat die Geldverteilung der Industrie? Man hat gelegentlich auf diese Frage geantwortet: „Die Entschädigung der stillzulegenden Betriebe mußte Sache der Beteiligten werden, weil die Auswahl der stillzulegenden Betriebe ebenfalls Sache der Industrie war und sein mußte. Hätte man die Entschädigung zu einer Angelegenheit des Staates gemacht, wäre die Staatsautorität kaum noch gegenüber der Flut von Beschwerden zu retten gewesen.“ Wollte man überhaupt die Entschädigung durchführen, deren allgemeine Berechtigung in dieser Abhandlung angezweifelt wird, mußte dann nicht wenigstens der Staat allgemeine Richtlinien für die Entschädigung ausarbeiten? Mußte er nicht auch insoweit eingreifen, als er selbst der Leidtragende war? Hatte er nicht auch hinreichend Erfahrungen mit der freien Selbstverwaltung in den Kriegsgesellschaften usw. gesammelt, um beurteilen zu können, daß eine scharfe Kontrolle der Selbstverwaltung nötig war?

16 Risikoverteilung und Risikoverminderung Der Staat scheut im allgemeinen das Risiko. Am Anfang zögert der Staat, Risiken zu übernehmen mit Rücksicht auf die angenommene kurze Kriegsdauer, die es rechtfertigt, möglichst wenig an den bestehenden Gewohnheiten zu ändern. Späterhin dürfte hier ein Fehler der Kriegswirtschaftspolitik vorliegen. Bei der Heeresverwaltung ist schon deshalb die Risikoübernahme nicht beliebt, weil diese von der Zustimmung der Reichsfinanzverwaltung abhängig ist. Sie weiß, daß sie dort vielfach auf Wider-



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stand stößt, verbunden mit mehr oder weniger großen Verzögerungen. Die Heeresverwaltung schlägt gerne in solchen Fällen die Richtung des kleinsten Widerstandes ein und geht eigene Wege. Wo der Staat das Risiko nicht übernimmt, übernimmt es der Unternehmer und bringt es im Preise zum Ausdruck. Das Risiko des Unternehmers ist groß, und groß ist auch seine Risikoprämie. Mode und Absatz, die in der Vorkriegszeit dem Textilgewerbe häufig so große Sorge machten, wirken auf die Heereslieferanten allerdings nicht ein. Betrachtet man aber die Gesamtverhältnisse, so ist das Risiko des Unternehmers in der späteren Kriegszeit groß16. Wie lange der Krieg dauert, wie die Preisentwicklung nach dem Kriege sein wird, wie die internationale Konkurrenz und die Geldverhältnisse sich gestalten werden, weiß der Unternehmer nicht. Der Unternehmer weiß aber auch nicht, welche Löhne er beim abzuschließenden Lieferungsvertrag in die Kalkulation einzusetzen hat. Er weiß nicht, ob dieser oder jener Betriebsstoff (Kohlen, Öl usw.) nicht schon in kurzer Zeit im Preise wieder steigen wird, oder ob er überhaupt Betriebsstoffe bekommt und nicht etwa seine Fabrik eine Zeitlang still stehen oder doch mit geringerer Leistung arbeiten muß als vorher. Er weiß schließlich auch nicht, ob die Kriegsumstellung seiner Maschinen nach dem Kriege noch nutzbringend ist und ob eine Betriebserweiterung späterhin nicht eine unnütze Festlegung von Kapital bedeutet. Alles das, was er nicht weiß, bringt er im Preise in Anrechnung. Tritt ein, was er angenommen hat, so ist die Risikoprämie berechtigt; tritt es nicht ein, so erhöht die Risikoprämie seinen Überschuß. Was werden würde, wußte zweifellos der Staat immerhin noch besser als der Unternehmer. Und wenn das nicht der Fall war, so sind doch Staat und Wirtschaftsleben so eng aufeinander angewiesen, daß in außerordentlichen Zeiten der Staat dem Unternehmer das Risiko soweit als möglich abnehmen soll, selbst dann, ja erst recht dann, wenn das Risiko ein „schlechtes“ ist. Der Staat übernimmt aber das Risiko nur selten. Er erhöht sogar vereinzelt die Risiken durch unglückliche Maßnahmen, die verspätet erfolgen. Der Staat entgeltet alles im Preise. Es vereinigen sich schließlich so viele Risiken im Preise, daß sie unübersehbar werden für den Staat und eine scharfe Preiskontrolle unmöglich wird. Dort, wo der Staat Risiken aus irgendwelchen Gründen nicht übernehmen kann, kann er vielfach Risiken durch geeignete Maßnahmen verhindern. Wenn der Staat, wie früher näher dargelegt, die Preise stabilisiert, auch wenn er die Preise niedrighält, vermindert er damit das Risiko des Unternehmers. Der Unternehmer setzt geringere Risikoprämien in seine Kalkulation ein, weil er nicht mit Preiserhöhungen seiner Hilfsstoffe zu rechnen braucht und bei niedrigen Preisen das Kapitalrisiko geringer ist. — Ist der Lohnvertrag allgemein vorteilhafter für den Staat als der Kaufvertrag und 16 Dem Unternehmer kommen allerdings vielfach die Dauerrisiken (hinsichtlich Kriegsdauer usw.) garnicht zum Bewußtsein. So ist denn der Satz eines Unternehmers „wir verdienen alle mehr, weil Kalkulation friedensmäßig, das Geschäft aber ohne Friedensrisiken“ durchaus zu verstehen. Die Einzelrisiken des Einzelgeschäfts sind tatsächlich kleiner.

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bringt infolgedessen der Staat den Lohnvertrag zur Anwendung, so schaltet er auch damit ein bedeutsames Risikomoment aus, nämlich das des Rendements. Die hohe Risikoprämie, welche der Unternehmer sich beim Kaufvertrag in Rohmaterial zuteilen läßt, fällt weg. — Ein anderer Weg, das Risiko des Unternehmers zu vermindern, ist die Offenlassung der von vornherein nicht feststehenden Selbstkosten in der Kalkulation. In der letzten Zeit des Krieges war dieses Verfahren, namentlich aus politischen Gründen für die Arbeitslöhne in Aussicht genommen. Verhandlungen über Verallgemeinerung dieses Verfahrens schwebten, als bald die Revolution ausbrach. Wäre man an den leitenden Stellen mit den Grundsätzen der Selbstkostentheorie besser vertraut gewesen, hätte man rechtzeitig die geeigneten Männer für diese Fragen an die richtige Stelle gesetzt, dann wäre wohl die Risikoverminderung zu einer der ersten preispolitischen Voraussetzungen geworden und allgemein durchgedrungen.

17 Zusammenfassung der Schwierigkeiten in der Preispolitik17 Das, was die freie Wirtschaft automatisch geregelt hatte, sollte nun organisatorisch von Menschen gemacht werden. Sollte dies gelingen, dann mußte das feine Räderwerk der Wirtschaft in allen seinen Teilen dauernd beobachtet und in gleichmäßigem Gang gehalten werden. Dann mußte die Preisbildung bis in ihre Feinheiten bekannt sein, dann mußten dem Zwangspreis alle seine Geheimnisse entlockt werden. Da war die richtige Preisrelation zu suchen, die dauernde Wertverschiebung zu beobachten, dem starren Zwangspreis die nötige Elastizität zu geben, die Kalkulation war in geeignete Schemata zu bringen, die Nachkalkulation auf ihren vollkommensten Stand zu heben. Die rechtliche Basis mußte gefunden und der Verbreitungsdienst von Preisund Mengenverfügungen ausgebaut werden. Obenan aber standen die Mengenpolitik und die Dringlichkeit der militärischen Bedarfsdeckung. Sie drückten auf alle Maßnahmen der Preispolitik. Und nebenan stand die Zivilwirtschaft mit ihren Sonderbedürfnissen, mit ihren allgemeinen sozialen und volkswirtschaftlichen Erfordernissen. Da waren auch die Gliedstaaten mit ihren partikularistischen Forderungen. Und drohend im Hintergrund stand die Arbeiterfrage. Alledem sollte der Staat begegnen, der Staat mit allen seinen Schwächen als Wirtschaftssubjekt. Und nun gerade auf dem Gebiete der Textilien mit ihren tausend Sorten, mit ihrer Normlosigkeit, mit ihrem unglücklichen „Rendement“, mit ihren verwandtschaftlichen Beziehungen zu vielen anderen Warengattungen — sie einzwängen in ein ehernes System war schwer, sehr schwer. Etwas Vollkommenes war da nicht zu erwarten. Es fehlte beinahe alles. Weil die wirtschaftliche Kriegsbereitschaft nicht vorhanden war, mußte alles erst geschaffen bzw. erprobt werden, die Statistiken des Bedarfs und der Verfügungsmenge als 17 Eine kurze Zusammenfassung der ungeheuren Schwierigkeiten, die sich in der Preispolitik des Krieges für die preisregelnden Stellen ergaben, macht sich notwendig, um im Zusammenhang dem Leser noch einmal die Schwierigkeiten als die Quelle mancher Fehler der Kriegspreispolitik zu zeigen.



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ausschlaggebende Faktoren der Preispolitik, die Ersatz- und Einschränkungsmöglichkeiten und so viele andere Dinge. Bei jeder Schuldfrage der Kriegswirtschaft wird man einen Kausalzusammenhang finden mit der mangelnden wirtschaftlichen Kriegsbereitschaft. Und manche Dinge, welche der Nachwelt ganz unverständlich erscheinen mögen — im Zusammenhang mit dem Unvorbereitetsein erscheinen sie verständlicher, auch die Gewinnfrage. Nicht nur die Einrichtungen waren nicht vorbereitet, es fehlten sogar brauchbare Theorien, wie man sich in einer blockierten Volkswirtschaft zu verhalten habe. Alles mußte geschaffen werden mit guten und schlechten Mitteln, bei Personal- und Raumschwierigkeiten. Das Ganze war ein Novum mit all seinen Unbekannten. Um die Unbekannten zu suchen, brauchte man Zeit. Daß man zuviel Zeit gebraucht hat — erst darin kann man den Hauptvorwurf begründen. Die größten preispolitischen Schwierigkeiten aber machte nicht das Material, auch nicht die Technik, die größten Schwierigkeiten machte der Mensch. Und mit Menschen hatte die Heeresverwaltung überall zu tun. Menschen werden betroffen von allen Preisverordnungen, Menschen beraten die Heeresverwaltung, Menschen müssen die gegebenen Anordnungen ausführen, Menschen errechnen die Preise, überall Menschen — Menschen mit all ihren egoistischen Neigungen. Und wenn man der Heeresverwaltung Vorwürfe macht — darauf, daß sie es nicht mit einer vollkommenen Maschinerie, sondern mit einem Geistesapparat zu tun hat, der sich auf unvollkommenen menschlichen Kräften und allen menschlichen Schwächen aufbaut, kann sie sich mit Recht immer wieder berufen. Man denke an den offenen oder versteckten Widerstand von Handel und Industrie. Man denke an die Klagerufe. Da dürften heute noch die steten Klagen von Unternehmern denjenigen im Ohr gellen, die diese Klagen anhören mußten. Man setze sich an die Stelle des zuständigen Referenten oder Offiziers, wenn ihm immer wieder und von mehreren Seiten erklärt wird, daß der vorgeschlagene Preis „zum Ruin des ganzen Industriezweiges“ führe. Das ewige Klagen zermürbt den besten. Wer will die Verantwortung für den Ruin der Industrie übernehmen? Und ist das Klagen berechtigt, so weiß doch der zuständige Referent nicht, inwieweit es berechtigt ist. Welche Stellen die größeren Schwierigkeiten zu überwinden hatten, die Rohstoff- oder die Fertigfabrikatstellen (also die sog. Beschaffungsstellen), bedürfte der genaueren Untersuchung. Sicher ist, daß die Konkurrenz der Zentralbeschaffungsstellen untereinander, die Kalkulation der auf Grund der Rohstoffstellen zugelassenen hohen Rohstoffpreise u. a. m. für die einzelne Beschaffungsstelle gegebene Tatsachen sind, mit denen sie sich militärisch abfinden muß, oder die sie doch nur nach Überwindung großer Schwierigkeiten beseitigen kann. Daß die Überwindung dieser Schwierigkeiten nicht immer ganz zielbewußt geschieht, die maßgebenden militärischen Persönlichkeiten auch nicht immer genug „Zivilcourage“ besitzen, darf dabei nicht unerwähnt bleiben. Schwierigkeiten also überall, wohin man blickt. Schwierigkeiten, die erst erkannt werden mußten, um dann lernen zu können, wie man sie beseitigt. Und man lernte tatsächlich. Das zeigt deutlich der Versuch, die gesamte Kriegswirtschaft zu zentrali-

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sieren. Das zeigten deutlich auch alle Bestrebungen, welche im Gange waren — leider erst dann — „als bald die Revolution ausbrach“. Es war eine Lehrzeit — vollen Nutzen bringend vielleicht erst in einer kommenden Zeit, wo die organisatorische Wirtschaft vielleicht — wir wissen es nicht — die freie Wirtschaft dauernd ober vorübergehend ablöst.

Die Unternehmergewinne Die Schwierigkeit der zu lösenden Aufgabe, in der Zeit des größten Mangels den größten und dringlichsten Bedarf zu decken durch außerhalb der Selbstversorgungswirtschaft der Heeresverwaltung stehende Unternehmer führt zu „maßlosen“ Gewinnen, so wie man sie in früheren Jahrhunderten auch nur in Zeiten großer Mangelwirtschaft oder großer Dringlichkeit des Bedarfs gekannt hat. Die Schuld der verantwortlichen Stellen oder der Unternehmer im einzelnen aber nachzuweisen, ist ein müßiges Beginnen. Die Schuldfrage im Einzelfalle ist vielleicht überhaupt unentwirrbar wegen ihres Kausalzusammenhanges mit anderen „Fällen“. Weil das eine nicht geschehen war, geschah auch das andere nicht. Weil man an eine kurze Kriegsdauer glaubte, griff man so spät in das Wirtschaftsleben ein. Weil man so spät in das Wirtschaftsleben eingriff, stiegen die Preise so hoch. Weil die Preise auf dem einen Gebiet so hoch stiegen, mußten sie auch auf dem anderen so hoch steigen usw. Oder soll man sagen: Schuld tragen fast alle, sogar die letztverantwortliche Stelle, der Reichstag, welcher eine Kommission zur Untersuchung der Kriegslieferungsverträge einsetzt, die zu wenig davon versteht. Oder soll man die Schuld der deutschen Wissenschaft geben, welche die Kriegsgewinne nicht rechtzeitig zum Gegenstand ihrer Forschungen machte? Die einzige größere Arbeit, aber (wie auch im gegebenen Fall nicht anders möglich) ohne Kenntnis des besten Materials angestellte Untersuchung der Kriegsgewinne wurde im Ausland (Schweiz) gemacht und auch dort erst gegen Ende des Krieges18. Inwieweit ist aber überhaupt die Kriegsgewinnfrage eine Schuldfrage? Die Antwort ergibt sich aus der Untersuchung derjenigen Faktoren, welche die Kriegsgewinne hervorgerufen haben. Im folgenden ist eine Zusammenstellung dieser Faktoren versucht19. 1. Die Plötzlichkeit der Bedarfswerdung und die Dringlichkeit (Eiligkeit) der Bedarfsdeckung gehören zu den gewinnverursachenden Faktoren. Kann der Bedarf jetzt, 18 Richard Fuchs, Die Kriegsgewinne, Zürich 1918. Siehe auch in den Akten des Reichsarchivs, Robert Schloesser, Kritik der Bilanzen der Textilindustrie, Februar 1917. 19 Angegeben ist immer nur die causa proxima. Unter die causa remota fallen die mangelhafte wirtschaftliche Kriegsbereitschaft, die Geldentwertung, die persönlichen Eigenschaften der Wirtschaftsbeamten und der Unternehmer, der schlechte organisatorische Aufbau, der Personalmangel, der starke Personalwechsel (auch in leitenden Stellen), Handels- und Industrie-Usancen, das Trägheitsgesetz, die mangelnde Sachkenntnis der Offiziere u. a. m., wie bereits in den früheren Abschnitten für die Preisentwicklung dargestellt.



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aber auch ebensogut später gedeckt werden, so kann der Nachfragende bei zu hohen Preisen vom Markt zurücktreten und abwarten. Dadurch, daß er zurücktritt, ruft er vielleicht schon einen Rückgang der Preise hervor. Die Dringlichkeit der Bedarfsdeckung des Heeres dagegen ohne genügende Vorratswirtschaft der Heeresverwaltung erfordert am Anfang des Krieges die Bedarfsdeckung zu „jedem Preis“. Man kann für den Abmarsch bereitstehende Truppen nicht warten lassen, weil der Preis der Bekleidungs- oder Ausrüstungsstücke zu hoch ist; gerade genug, wenn die faktische Unmöglichkeit rechtzeitiger Beschaffung dies notwendig macht, wie dies in einigen Fällen im Anfang des Krieges vorkam. Da „jeder Preis“ gezahlt werden muß, sind die Gewinne für die Liefernden „enorm“. Die Plötzlichkeit der Bedarfserscheinung, besonders bei neuartigen Bedarfsgegenständen hat auch noch in der späteren Kriegszeit wiederholt zu überstürzter Auftragsvergebung geführt. Außerordentliche Erscheinungen erfordern außerordentliche Maßnahmen. Sie führten auf wirtschaftlichem Gebiet zu außerordentlichen Gewinnen. 2. In diesem Kriege obwaltet auf verschiedenen Textilgebieten und zu bestimmten Zeiten das Preisgesetz der höchsten Kosten. Es setzt voraus, daß jede Vermehrung der Produktion zur Heranziehung immer teurer arbeitender Betriebe führt und eine zahlungsfähige Nachfrage bereit ist, die vermehrten Güter aufzunehmen. Diese Voraussetzungen sind im Kriege nicht nur bei Urprodukten, sondern auch bei Fabrikaten gegeben. Der dringliche und von großer Kaufkraft begleitete Heeresbedarf führt zeitweise zur Heranziehung aller derjenigen Betriebe, welche überhaupt technisch in der Lage und bereit sind, zur Bedarfsdeckung beizutragen, sei es, daß die Größe des Bedarfs, sei es, daß die Eiligkeit der Bedarfsdeckung dieses erfordert. Da die Zahl der für die Deckung des Heeresbedarfs ohne weiteres brauchbaren Betriebe scheinbar nicht genügt, wird sogar durch Umstellung oder Neuerrichtung unter Aufwendung großer Kosten ihre Zahl noch vermehrt. Die höchsten für die Bedarfsdeckung noch notwendigen Kosten bestimmen in der freien Wirtschaft am Anfang des Krieges den Preis20. Das Preisgesetz der höchsten Kosten beherrscht nur den freien Markt. Die allmählich einsetzende Zwangswirtschaft mit dem Staat als Monopolisten der Stoffe und der Aufträge gestatten also, das Preisgesetz der höchsten Kosten zu durchbrechen. Das ist auch vereinzelt geschehen. Technische Schwierigkeiten, vielleicht auch Unsicherheit führen aber dazu, daß man auf den meisten Spinnstoffgebieten darauf verzichtet. Meist werden auch in der Zwangswirtschaft die Kosten des am teuersten arbeitenden Betriebes zugrunde gelegt, weil man, ähnlich wie in der freien 20 Nur deshalb, weil auf Grund alter Verpflichtungen und Gewohnheiten die alten Heereslieferungsbetriebe diesen Preis nicht voll und ganz für sich in Anspruch nehmen und die überstürzte Beschaffung die Bildung eines Marktpreises nicht gestattet, wird nicht in jedem Fall dieser höchste Kostenpreis gezahlt. Vielfach aber bewegt sich der Preis auf Grund der Dringlichkeit des Bedarfes sogar weit über dem höchsten Kostenpreis.

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Wirtschaft einen Einheitspreis zahlt, der natürlich die hohen Kosten des letzten notwendigen Betriebes noch berücksichtigt. Das ist auch dann noch der Fall, als bald auf den meisten Gebieten eine Verminderung in der Beschäftigung eintritt und man den Heeresbedarf durch eine verhältnismäßig geringe Zahl von bestarbeitenden Betrieben hätte decken können; denn nun geben allgemeine soziale und volkswirtschaftliche Momente Veranlassung, die Aufträge zu kontingentieren und jedem Betrieb den gleichen Anteil im Verhältnis zu seinen Produktionsmitteln oder zu seiner Vorkriegsbeschäftigung zuzuweisen. — Die Zahlung der höchsten noch notwendig aufzubringenden Kosten im Preise führt zu einer Rente aller derjenigen Betriebe, welche besser arbeiten als der schlechtest arbeitende Betrieb. Die Rente ist deshalb besonders hoch, weil der Unternehmer sich nicht mehr immer dem zuwendet, was er am besten versteht, sondern dem, wofür der Staat ihn einsetzt. Nie waren beim selben Preis die Differenzen in den Selbstkosten höher als in diesem Kriege. Hier liegt eine natürliche Ursache für die hohen Kriegsgewinne, die nur durch Übergang vom Einheitspreis zum Individualpreis mit allen seinen Schwierigkeiten hätte vermieden werden können. Vielleicht hätte sich der Übergang vom Einheitspreissystem zum Preisklassensystem empfohlen. 3. Eine Änderung setzt ein mit der Zusammenlegung der Aufträge und ihrer Verteilung auf eine eingeschränkte Zahl von Höchstleistungsbetrieben. Sie kommt aber, wie schon früher näher dargelegt, im Preise nicht zum Ausdruck, da man der Industrie dieselben Preise wie vorher bewilligt, und die Industrie das Mehr an die stillgelegten Betriebe zahlt. Die weiterarbeitenden Betriebe verdienen nach wie vor, vereinzelt sogar mehr als vor der Zusammenlegung. Weniger hoch sind die Gewinne aus den Entschädigungssummen. Da aber die sog. stillgelegten Betriebe mehr oder weniger große Gewinne aus alten Vorräten, Handelsgeschäften, Vermieten von Fabrikräumen usw. haben, Gewinne, die von den Entschädigungsgemeinschaften durchaus nicht alle erfaßt werden, zum Teil nicht erfaßt werden können, so sind zum Teil auch ihre Gewinne größer als vorher. Soweit sie in der neuen Beschäftigungsart Geschäfte mit dem Staat machen, die Entschädigungsgemeinschaft die Gewinne aus diesen Geschäften nicht erfaßt, gestattet derselbe Staat nicht nur die Gewinne aus der neuen Beschäftigungsart, sondern zahlt noch obendrein die Entschädigung. Manche Unternehmungen verdienen aber auch ohne diese Sondergewinne aus neuen Beschäftigungsarten mehr als beispielsweise vor dem Kriege. Einzelne Entschädigungsgemeinschaften treffen sogar durch Ansammeln von Reservefonds Vorsorge für eine etwa noch eintretende Verminderung der Beschäftigung, was dem Grundgedanken der Entstehung der Industrieentschädigung widerspricht. 4. Ein weiterer Grund für die hohen Gewinne liegt in der Gepflogenheit, durch besonders hohe Preise zu Anbau, Zucht oder Fabrikation dieser oder jener Ware anzureizen. Auf Anreizpreise sind zum Teil die hohen Gewinne des Altstoffhandels, der Lumpenreißerei, der Altstoff- und Abfallspinnerei, der von allen



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Teilen der Textilindustrie aufgenommenen Papiergarnspinnerei zurückzuführen. Auf Anreizpreise läßt sich aber auch ein Teil der Gewinne aller anderen Textilindustriezweige zurückführen. 5. Ein nicht geringer Teil der Gewinne beruht auf der Schwierigkeit für die Heeresverwaltung, bei der Zuweisung von Rohstoffen nicht genau den Teil zuweisen zu können, welcher notwendig ist, um eine vorher bestimmte Menge Fabrikate herzustellen. Das „Einheitsrendement“ wirkt für einen Teil der Unternehmer genau so gewinnbringend wie der Einheitspreis (siehe oben!) Das „Einheitsrendement“ führt häufig zu einem Zuvielzahlen im Preise und ebenso häufig zum Verlust auch des etwa überschießenden Materials. Genaue Sachkenner an verantwortlicher Stelle sehen im System des „Einheitsrendements“ eine Hauptursache der hohen Gewinne der späteren Kriegszeit. — Auf einigen Gebieten hat man den Lohnvertrag (siehe II, 13) eingeführt, so bei der Herstellung von Stoffen für Pulverbeutel, beim Reißen der Lumpen, beim Waschen und Kämmen der Wolle und auf einigen Arbeitsgebieten der Wollhandelsvereinigung in Leipzig, deren Leiter, Generaldirektor Schneichel, ein eifriger Befürworter des Systems aus kriegswirtschaftlichen Gründen war (nach seinem in der Kriegsrohstoffabteilung gehaltenen Vortrag über die kriegswirtschaftliche Tätigkeit der Bereinigung des Wollhandels zu Leipzig gehaltenen Vortrag). Der Lohnvertrag schaltet die mit dem Rendement verbundenen Gefahren aus. Einer Sonderuntersuchung muß es überlassen bleiben, festzustellen, inwieweit Vorteile und Nachteile sich hier ausgleichen. 6. Ein Teil der hohen Gewinne beruht auf den vom Staat zu zahlenden Risikoprämien. Der Unternehmer kann nicht Risiken auf sich nehmen, ohne dafür eine entsprechende Risikoprämie in die Preise einzukalkulieren. Die Unsicherheit der Verhältnisse für den Unternehmer, erhöht durch unglückliche Maßnahmen des Staates, lassen den Unternehmer immer höhere Preise verlangen. Die Risiken sind groß, die Gewinne sind es auch. 7. Ein Teil der Gewinne beruht auch auf einer vom Unternehmer in den Preis eingerechneten Verärgerungsprämie. Beschlagnahme ohne Ankauf, verbunden mit Zinsverlusten für viele Monate, unter Umständen für mehrere Jahre, Festsetzung von Höchstpreisen weit unter dem Marktpreise, Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dringlichkeitsbescheinigungen für den Transport, zu strenge Lieferungsbedingungen im einzelnen, Verzögerungen in der Abrechnung, Ungerechtigkeiten und Ärgernisse der verschiedensten Art, wie sie die Zwangswirtschaft mit sich brachte und die durchaus nicht immer zu umgehen waren, sind geeignet, den Unternehmer eine Verärgerungsprämie einrechnen zu lassen bzw. sich bei passender Gelegenheit schadlos zu halten.21

21 Bei der Verärgerungsprämie handelt es sich natürlich nicht um das Hirngespinst eines Theoretikers, sondern der Praktiker gibt ihre Existenz offen zu.

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8. Anfangs größere, später nur noch kleine Teile der Textilindustrie führen ihren Gewinn zurück auf den erhöhten Kapitalumschlag infolge intensiverer Beschäftigung, wie beispielsweise bei den Lumpenreißereien. Der Staat ist im Kriege leicht geneigt, sich als Auftraggeber zufrieden zu geben, wenn der Gewinnzuschlag (wenn auch nicht der prozentuale, so doch der absolute) für das einzelne Stück nicht größer ist als in Vorkriegszeiten. Er berücksichtigt dabei nicht immer, daß der Beschäftigungsgrad zu bestimmten Zeiten des Krieges und bei bestimmten Teilen der Textilindustrie weit höheren Gewinn ließ, als in den beschäftigungsarmen Vorkriegsjahren. 9. Die Verspätung der erforderlichen Mengen- und Preismaßnahmen führt zu großen Gewinnen. Die in Handel und Industrie ruhenden Vorräte steigen im freien Markt auf das Doppelte und Dreifache und noch höher, bevor sie beschlagnahmt und mit Höchstpreisen belegt werden. So weisen denn auch die Geschäftsberichte der beiden ersten Jahre zum großen Teil darauf hin, daß der günstige Abschluß auf die Verwertung der Vorräte zu hohen Preisen zurückzuführen gewesen sei. 10. Zu einer besonderen Ursache für die hohen Gewinne werden die Teilbeschlagnahmen. Die hohen Preise des freibleibenden Materials führen zu großen Gewinnen der Unternehmer, ohne daß diese an der Herbeiführung unmittelbar beteiligt sind. 11. Besonders einschneidend wirkt die Dezentralisation, um nicht zu sagen, die zeitweise Desorganisation des Beschaffungswesens der Fertigfabrikate. Marktmäßig tritt die Nachfrage umso schärfer in Erscheinung, je mehr Wirtschaftssubjekte hinter ihr stehen. Die Planlosigkeit der Einkäufe der Bekleidungsämter und sonstiger Stellen im ersten Kriegsjahr, die mangelnde Zentralisation des Beschaffungswesens auch noch späterhin, sogar bis zum Schluß des Krieges, führt zu hohen Preisen und hohen Gewinnen. 12. Eine weitere Gewinnmöglichkeit der Unternehmer ergibt sich aus der Schwierigkeit der Nachprüfung der Selbstkosten. Die Schwierigkeiten sind so groß, daß eine Nachprüfung wohl in den seltensten Fällen die Sicherheit gibt, daß dieser und kein anderer Preis gerechtfertigt ist. Nur einem, der im gleichen oder mindestens verwandten und mit gleichen Vorbedingungen arbeitenden Betriebe steht, ist es möglich, die Selbstkosten genauer nachzuprüfen. Diese Befähigten sind aber die in den Unternehmungen zur selben Zeit arbeitenden Unternehmer selbst bzw. ihre Hilfspersonen, nicht einmal der aus der Praxis herausgenommene Unternehmer, den die Heeresverwaltung als Reserveoffizier oder Beamten mit der Nachprüfung der industriellen Kalkulation beauftragt. Die Unmöglichkeit der genauen Selbstkostennachprüfung durch Außenstehende bringt ein Moment der Unsicherheit in die Preispolitik der Amtsstellen, das leicht von Unternehmern ausgenutzt wird. Das letzte zeigt deutlich, wenn es dem Bekleidungsbeschaffungsamt bei der Nachprüfung der Tuchpreiskalkulationen immerhin noch gelingt, einige 100 Mill. Mark zu retten. Welche Bedeutung die Schwierigkeit der



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Nachprüfung sogar für die Gewinnhöhe ganzer Industriezweige hat, zeigt, daß die Flachsspinnerei zum Teil deshalb weniger verdient haben soll als die Leinenweberei, weil die Schwierigkeiten der Nachprüfung bei der Flachsspinnerei geringer sind, da sie eine geringere Zahl von Betrieben und weniger Fabrikatsorten aufweist. Die Heeresverwaltung läßt die Garnkalkulation der Flachsspinnerei durch eine Treuhandgesellschaft bis in alle Einzelheiten unter Vorlegung der Bücher und Besichtigung des Betriebes nachprüfen, während sie dieses Verfahren bei der Leinenweberei wegen größerer technischer, vielleicht gar nicht zu überwindender Schwierigkeiten nicht anwendet. Daß für die größeren Gewinne der Leinenweberei auch noch andere Gründe maßgebend sind (Herstellung von Gegenständen für den Zivilbedarf usw.) interessiert in diesem Zusammenhang nicht. 13. Zum Teil beruhen die hohen Gewinne auf der Ausbeutungspolitik von Unternehmern gegenüber dem Staate. Das war immer dann der Fall, wenn Unternehmer wissentlich zu hohe Preise durchsetzten. Aber auch andere Fälle sind nicht selten. Wenn beispielsweise eine Gewerbegruppe vor Heraufsetzung der Höchstpreise ihr Material entgegen den gesetzlichen Bestimmungen zurückhält, um es dann zu umso höheren Preisen an den Staat zu verkaufen, dann ist es für die Heeresverwaltung nicht leicht, dieses Treiben zu unterbinden. Dasselbe trifft zu, wenn Unternehmer von dem zugeteilten Material infolge der unsicheren Berechnung des Rendements mehr oder weniger große Mengen ersparen und sie dieses in den Schleichhandel gehen lassen, anstatt es, wie sie verpflichtet waren, der Heeresverwaltung zurückzugeben oder beim nächsten Auftrag zu verwenden. Auch schließen die besten Maßnahmen der Regierung nicht immer alle Möglichkeiten ein, die findige Unternehmer zur Gewinnerhöhung auszunutzen suchen. „Auf alle Gemeinheiten war man nicht gefaßt“, sagte einmal einer der zuständigen Referenten. Ein Teil der hohen Gewinne ist zweifellos in dem graduellen Unterschied der Anständigkeit der Offiziere und Beamten einerseits und mancher Unternehmer andrerseits zu suchen. Welche Bedeutung die Ausbeutungspolitik von Unternehmern gegenüber dem Staate hat, zeigt, daß nach Auffassung eines genauen Sachkenners Gewinnunterschiede bestimmter Industriegruppen an Heeresaufträgen zum Teil dem graduellen Unterschiede in der Ausbeutungspolitik dieser Gruppen gegenüber dem Staate entsprechen. 14. Ein Teil der Gewinne geht auf die Ausbeutung der Arbeiter und Angestellten durch Unternehmer zurück. Als die Gewinne schon hoch sind, die Lebenshaltung des Arbeiters schon sehr verteuert, da sind die Lohnaufbesserungen noch sehr gering. Manche Arbeiter verdienen zeitweise sogar weniger als in der Vorkriegszeit, insbesondere im Akkordlohn infolge schlechteren Materials. Als in der späteren Kriegszeit die Lohnverhältnisse der Arbeiter immer drückender werden und die Gewerkschaften mehr und mehr den „Burgfrieden“ aufgeben, da ist doch für die Heeresstellen die Schwierigkeit der Kontrolle, ob der Arbeiter wirklich den Teil erhält, den die Heeresverwaltung für ihn vorsieht, recht groß.

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15. Ein kleiner Teil der Gewinne beruht auf Interessenwirtschaft, Korruption usw. 16. Ein Teil der Gewinne beruht auf der geringeren Geschäftsmoral mancher Unternehmer, gegenüber dem Staate, steht diese Geschäftsmoral auch immerhin noch etwas höher als die „Steuermoral“. 17. Ein Teil der Gewinne ist erhöht worden durch die vom Staat notwendigerweise begünstigte Syndizierung. Die Syndizierung vereinfachte die Arbeit der Behörden, stärkte aber auch die Machtstellung des Unternehmers gegenüber dem Staate, insbesondere in der Preispolitik. 18. Ein Teil der Gewinne beruht auf der Notwendigkeit der vorzeitigen Bekanntgabe von Maßnahmen an die Berater. Die Vorteile der vielen „Eingeweihten“ dürfen nicht unterschätzt werden. 19. Ein Teil der Gewinne der Textilindustrie ist in reinen Handelsgeschäften textilindustrieller Unternehmungen zu suchen, ein Teil auch in fremden Wirtschaftszweigen, insbesondere in günstigen Finanztransaktionen und in der Munitionsherstellung. Die Zahl der ganz oder teilweise auf die Munitionsindustrie umgestellten Textilunternehmungen ist verhältnismäßig groß. Eine Statistik fehlt darüber. 20. Ein Teil der Gewinne ist nicht in der Heereswirtschaft, sondern in der Zivilwirtschaft zu suchen. Ein Zivilauftrag war vielen Unternehmern viel lieber als ein Heeresauftrag. Nicht selten findet man als Grund der hohen Gewinne in den Geschäftsberichten: „Es gelang uns, freies Material zu beschaffen“. Ein Teil der Textilindustrie lehnt Heeresaufträge geraume Zeit ab, weil er bei der Ausführung von Zivilaufträgen mehr verdienen konnte. Die Stellung der Heeresverwaltung war ja auch preispolitisch wegen der von ihr durchgeführten Typisierung — genaue Regelung der Mengen und Kenntnis der Bedarfs- und Verteilungskanäle — verhältnismäßig leichter. Andrerseits fehlte ihr aber der Druck der Verbraucherbewegung auf die Preise. Die öffentliche Meinung kam ihr nur indirekt zu Hilfe. 21. Eine Ursache hoher Gewinne bildet auch der Schleichhandel. Als die Preisspanne zwischen gesetzlichen Höchstpreisen und freien Preisen immer größer wird, geht ein immer größerer Teil des Materials in den Schleichhandel, so bei der deutschen Schurwolle, insbesondere der sog. „Bauernwolle“, aber auch bei anderen Spinnstoffen und bei den schon erwähnten „Ersparnissen“ bei der Fabrikation. Nimmt man auch an, daß diese Mengen nur bei den letzten größer sind — man ist darüber geteilter Ansicht —, so lassen sie doch bei den hohen Schleichhandelspreisen verhältnismäßig hohen Gewinn. Aus dieser Aufzählung der Ursachen geht schon hervor, daß die Gewinne der verschiedenen Industriezweige und innerhalb dieser die Gewinne der einzelnen Unternehmungen sehr verschieden waren. Die einen sind vom Frieden her schon auf den Heeresbedarf eingestellt, den anderen gelingt dies erst nach erheblichen Kosten oder überhaupt nicht. Die einen arbeiten für eine preispolitisch strenge oder erfah-



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rene Beschaffungsstelle, die anderen für eine weniger strenge oder weniger erfahrene Stelle. Bei den einen werden die Herstellungsstoffe früher mit Höchstpreisen belegt, bei den anderen später. Die einen wissen sich freies Material zu beschaffen, die anderen nicht. Die einen legen still, weil sie glauben, das Geschäft sei zu Ende, die anderen passen sich an. Die einen werden planmäßig stillgelegt, die anderen werden als Höchstleistungsbetriebe anerkannt. Die einen gehören einer Entschädigungsgemeinschaft an, die anderen werden nicht zugelassen. Die einen ziehen gleichzeitig Gewinne aus der Munitionsindustrie, die anderen nicht. Die einen gehören zu denen, die als Berater in die zu treffenden Maßnahmen eingeweiht sind, die anderen erfahren erst alles auf dem Verordnungswege, durch ihren Verband oder durch die Presse. Die einen sind organisiert, die anderen nicht. Die einen haben große Friedensvorräte zu niedrigen Preisen, die anderen nicht. Die einen haben mit allen modernen Mitteln ausgestattete Betriebe, die anderen haben veraltete Produktionsmittel. Die technischen Vorzüge eines Betriebes kommen im Kriege geldlich stärker zum Ausdruck als im Frieden. Die Vorteile, die ein Unternehmen aus einem guten Standort, etwa zur Kohle, oder aus den automatischen Einrichtungen eines Betriebes, aus der Wasserkraft usw. zieht, sind mit Rücksicht auf die eintretende Transportkrisis und die Arbeiterschwierigkeiten größer geworden. Gewinnunterschiede zwischen den verschiedenen Industrie- und Handelszweigen sind auch vorhanden, jedoch ist ein Vergleich schwierig, da die Spezialisation der Erzeugung nicht mehr so wie im Frieden abgegrenzt ist. Die Industrie verwendet je nach der Verfügbarkeit einmal Baumwolle, dann Flachs, Ramie, dann Seide oder Papier. Sie stellt Munition her, treibt Handel, macht Geldgeschäfte usw. Damit verwischen sich zum Teil die Unterschiede. Andererseits läßt die Bilanztechnik etwaige Unterschiede sehr schwer erkennen. Das Schaubild V versucht einen Vergleich zwischen den Reingewinnen bzw. den Dividenden der Woll-, Baumwoll- und Bastfaserindustrie. Die großen Tendenzen sind erkennbar: zunächst starkes Ansteigen, 1916 Rückgang, mit Durchführung des Hindenburgprogramms erneutes Ansteigen der Gewinne. Ähnliches Verhalten der Dividenden. Weitere Schlußfolgerungen, z. B. über die absolute Höhe der Gewinne usw., läßt das Bild nicht zu. Ein interessanter Fall der Ursachen der Gewinnunterschiede desselben Industriezweiges ist der, daß die Weberei mehr verdient als die Spinnerei, weil die Weberei als Lieferantin der Heeresverwaltung größere Gewinnmöglichkeiten hat als ihre vorgeordnete Produktionsstufe, deren Geschäftsverkehr sich zwischen Unternehmer und Unternehmer (Spinner und Weber) abspielt. — Ein Gewinnunterschied zwischen den eigentlichen „Heeres- und Kriegsbedarfsindustrien“ und den „Zivilindustrien“ wäre vielleicht durch eingehende Untersuchungen nachweisbar. Hier können nur einige allgemeine Bemerkungen darüber gemacht werden. Kaum ein Industriezweig ist von der Deckung des Heeresbedarfs ganz ausgeschaltet worden. Der Heeresbedarf ist so mannigfaltig — man denke an Troddeln, Achselstücke, Tressen usw. —, daß beinahe alle an seiner Deckung beteiligt sind. Für die am wenigsten für den Heeresbedarf beschäftigten Industriezweige ergibt sich, wie bei allen, die Verwertung ihrer

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Vorräte zu hohen Preisen. Solange diese Industriezweige Material haben, haben sie, zeitweise allerdings vermindert, auch Absatz, wobei sich unter Umständen, wie z.  B. bei der Spitzenindustrie, die Einschränkung der ausländischen Konkurrenz bemerkbar macht. Diese Industriezweige haben auch deshalb längere Zeit Material, weil sie wenig brauchen und bei geringem Verbrauch, bei Beschäftigung vieler Personen und Herstellung hochwertiger Gegenstände leichter eine Freigabe erlangen können. Schließlich besteht auch die Möglichkeit der Umstellung, besonders auf die in großen Mengen ins Land kommende Seide (z. B. von Baumwolltüll auf Seidentüll). Eine Umstellung der hauptsächlich für den Zivilbedarf arbeitenden Betriebe fand in weitem Umfange statt. Nicht unwichtig ist ferner die Wiederverarbeitung der Muster, wie sie aus der Zeit des Wohlstandes aber auch der Verschwendung aus Konkurrenzgründen in großen Mengen im Lande vorhanden waren und welche im Kriege, um ein Beispiel zu nennen, für die Teppichindustrie eine besondere Rolle spielen. Die Verarbeitung geringer Mengen genügt bei den hohen Preisen schon, um verhältnismäßig viel zu verdienen. Ein Teil der mehr oder weniger lahmgelegten Betriebe stellt sich auf den Handel um, um hier zum Teil mehr zu verdienen als bei dem schleppenden Geschäftsgang der Industrie vor dem Kriege. Ein Teil der Textilbetriebe stellt sich auch, wie bereits früher erwähnt, auf die Munitionsherstellung um. In besonders schwieriger Lage befinden sich die Veredelungsanstalten, z. B. Bleichereien, da die Veredelung für den Heeresbedarf eine geringere Rolle spielt. Aber auch hier findet sich teilweise Ersatzbeschäftigung. Am schlechtesten ergeht es denjenigen Unternehmungen, welche unmittelbar vom Kriege betroffen wurden, also den Unternehmungen in bekannten Grenzbezirken. Die Handelsgewinne sind vielfach nicht minder groß als die Gewinne der Industrie. Die Vorräte des Handels können zu steigenden Preisen Verwertung finden. Manches Handelsunternehmen macht Millionengewinne. Begünstigt ist der Abfallund Abfallgarnhandel, da die Abfälle am längsten frei bleiben, der Seidenhandel infolge langanhaltender Einfuhr und der Lumpenhandel als Sammelhandel. Im übrigen fällt dem Handel eine Umstellung leichter als der Industrie. Ein Teil der bisher verteilenden Händler wird zu Sammelhändlern, wo sie bis Kriegsende tätig sein können, wenn auch mit bedeutend geringeren Umsätzen. Ein anderer Teil wendet sich Ersatzstoffen zu, so ein Teil des Handels mit Rohbaumwolle der Kunstbaumwolle. Andere finden Betätigung beim Transport aus dem Orient usw. Eine nicht zu unterschätzende Zahl von Personen aus dem Handel findet Anstellung, ehrenamtlich oder gegen Bezahlung, in den Kriegsgesellschaften, Kriegsausschüssen usw. und haben hier infolge Erweiterung ihrer Kenntnis und ihrer Beziehungen besonderen Gewinn. In den Kriegsorganisationen landen auch zahlreiche Agenten. Diesen, den sog. Vertretern, geht es deshalb schlechter als den anderen, weil sie als Hilfspersonen des Handels keine Warenvorräte aufzuweisen haben, die sie zu hohen Preisen verkaufen können. Eine besondere Stellung nimmt der Sammelhandel ein, der infolge der vermehrten Inlandsproduktion an Originalrohstoffen und der Wirtschaft der Altstoffe



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und der bei ihnen nicht mehr so vorhandenen Mode- usw. -Risiken lohnende Beschäftigung findet. Eine genaue Kenntnis der durch den Krieg herbeigeführten Lage der einzelnen Industrie- und Handelszweige und ihrer größeren oder geringeren „Kriegsgunst“ kann erst durch eingehende Sonderuntersuchungen unter Berücksichtigung der von vornherein völlig lahmgelegten Betriebe und der Unterschiede nach Größe und Ausbau der Unternehmungen erlangt werden. Für die vorliegende mehr der Entstehung der Gewinne und den Möglichkeiten ihrer Behinderung gewidmete Untersuchung genügt die vorhandene Kenntnis, daß hohe Gewinne in weiten Kreisen des Textilgewerbes überhaupt gemacht worden sind, und daß diese Gewinne sich auf alle Zweige (nicht auf alle Unternehmungen) von Textilindustrie und Textilhandel erstrecken. Gibt es eine gewisse Zahl von Unternehmungen, welche infolge Einberufung ihrer leitenden Kräfte ohne geeigneten Ersatz und aus anderen Gründen völlig brach liegen, auch an keiner Entschädigungsgemeinschaft beteiligt sind, so gibt es auch Unternehmungen, welche in der Vorkriegszeit eine Reihe von Jahren keine Dividenden verteilt oder sogar mit Unterbilanz gearbeitet hatten, in der Zeit der großen Not aber Reingewinne machen bis zu 100 % und mehr ihres Aktienkapitals. Aber auch verglichen mit der Gesamtheit des arbeitenden Kapitals (also einschließlich offener und stiller Reserven usw.), unter Berücksichtigung auch der „Geldentwertung“ sind die Gewinne außerordentlich hoch. Die Nachwelt wird immer wieder fragen, weshalb die zuständigen Stellen ihre Preispolitik nicht änderten. Die Antwort ist hierauf ungemein schwierig. Der Versuch einer Antwort liegt zum Teil schon in früheren Teilen dieser Untersuchung, einige speziell zu diesem Abschnitt gehörige Ausführungen sollen hier noch folgen. Wie aus der Erörterung der Ursachen schon hervorgeht, sind die hohen Gewinne zum Teil bedingt durch das in diesem Kriege unumgängliche System der Zwangswirtschaft mit ihrer Schematisierung, der Dringlichkeit des Heeresbedarfs, der aus mengenpolitischen Gründen erfolgenden Anreizpolitik usf. Zum Teil sind die Gewinne zurückzuführen auf eine kaum zu hemmende Ausbeutungspolitik von Unternehmern gegenüber dem Staat und den Arbeitnehmern. Zum Teil resultieren die Gewinne aus der Munitionsindustrie usw., nicht aus dem Textilgewerbe. Zum Teil liegen die Gewinne in der Zivilwirtschaft, nicht in der Heereswirtschaft. Immerhin basiert ein großer Teil der Gewinne auf falschen Maßnahmen oder Unterlassungen der Heeresverwaltung. Um nur ein Beispiel anzuführen: Nachdem man wiederholt erfahren hatte, daß eine Teilbeschlagnahme zu großen Gewinnen der Besitzer freibleibenden Materials führt, daß verspätete Beschlagnahme und Höchstpreisfestsetzung dieselbe Gewinnzuführung an die Unternehmer bewirken, da hätte eine weitere Wiederholung desselben Fehlers unterbleiben müssen. Dieses Urteil kann man auch dann nicht mildern, wenn man alle sich ergebenden Schwierigkeiten in Berücksichtigung zieht. Was geschieht, als die zahlenmäßigen Belege für die hohen Gewinne erscheinen, also, als nach ein bis zwei Kriegsjahren die schlechte Preispolitik des Staates in den Bilanzen der Industrie zum Ausdruck kommt? Kam sie wirklich zum Ausdruck und

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waren die Ursachen der Gewinne genau feststellbar? Einmal erscheinen die Bilanzen erst immer nach Abschluß der alten Lieferungsverträge, und bei neuen Abschlüssen haben sich die Verhältnisse vollkommen geändert. Sodann ist der weitaus größte Teil der Unternehmungen der Textilindustrie nicht zur Veröffentlichung der Bilanzen verpflichtet. Die 500 Aktiengesellschaften aber haben kein Interesse daran, ihre Gewinne bekanntzugeben. Die Geschäftsberichte besagen nur wenig. Sie sind sehr kurz gehalten. Umsätze sind fast nie angegeben. Die Öffentlichkeit darf von den großen Gewinnen nichts erfahren, der Staat als Auftraggeber und Steuererheber erst recht nicht. Als die Kriegsgewinnsteuer auftaucht, liegt es nahe, die schon im Frieden, besonders seit der Doppelbesteuerung bei Gesellschaften verfeinerte Technik der Bilanzverschleierung noch zu vervollkommnen. Ein großer Teil der Gewinne verschwindet in offenen und versteckten Abschreibungen, in allgemeinen und speziellen Reservefonds, in Kapitalerhöhungen, Vermehrung der Produktionsmittel durch Anschaffung von Maschinen usw. Nur relativ wenige Firmen sind „unvorsichtig“ genug, ihre höchsten Reingewinne in den Dividenden erscheinen zu lassen. Immerhin sind Dividendensätze von 20—40 % nicht selten. Wann die großen Gewinne gemacht worden sind, läßt sich auch nicht mehr aus den Geschäftsberichten ersehen. Die Gewinne kommen zuweilen dann erst zum Vorschein, wenn sie sonst nicht mehr unterzubringen sind. Eine große Rolle spielen auch berechtigte und nicht berechtigte Gewinnvorträge auf das nächste Geschäftsjahr. Der außerhalb Stehende kann nur schwer entscheiden, was die unsicheren Verhältnisse mit den vielen Risiken an Rücklagen, Abschreibungen usw. geboten erscheinen lassen. Nur eines weiß man ganz allgemein, nämlich daß die Kriegsgewinne zu hoch sind. Wären sie nicht so hoch gewesen, so hätte ein Teil der Kriegsanleihen gespart werden können. Man verläßt sich schließlich auf die Kriegsgewinnsteuer. Unternehmer hatten ja selbst häufig bei der Preisfestsetzung erklärt: „Auf eine kleine Preisdifferenz kann es dem Staat doch gar nicht ankommen. Wenn wir wirklich einmal irgendwo zuviel verdienen sollten, so nimmt es uns der Staat durch die Steuer doch wieder ab.“ Als die Kriegsgewinnsteuer dann einsetzt, sind die Gewinne zum großen Teil schon „untergebracht“. Für den Rest besteht, trotz der gegenteiligen Vorschriften für die Bilanztechnik die Gefahr, daß er auf denselben Staat, der die Steuer erhebt, in den Preisen wieder abgewälzt wird, da die Handlung noch nicht abgeschlossen ist22. Zwei Wege konnte man in der Preispolitik einschlagen: den Weg der steten Anreizpolitik oder den Weg des Zwanges. Bei den Spinnstoffen wird der Weg der Anreizpolitik eingeschlagen, wenn auch nicht in denselben Ausmaßen wie bei der Rüstungsindustrie im engeren Sinne. Verantwortliche sagen: „Der Weg der Anreizpolitik war richtig. Die Steuerschraube aber hat versagt. Auf dem Wege der Steuer mußten die hohen Gewinne alsbald nach ihrem Erscheinen durch den Staat zurückgenommen 22 Das hier Gesagte ist nur als eine theoretische Folgerung aus der allgemeinen Tendenz der Abwälzung der Steuern aufzufassen. Der zahlenmäßige Beweis ist, wie vielfach in der Frage der Steuerabwälzung, nicht zu erbringen. Die Tendenz aber besteht zweifellos.



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werden.“ Wer aber kennt nicht die Schwierigkeiten des Wiederabnehmens des einmal Gegebenen auf dem Wege der Steuer? Der größere Teil der Gewinne wäre hängen geblieben. Und was hätte es dem Anreizpolitiker genützt, wenn es anders gewesen wäre? Mit der schnellen Zurücknahme der Anreizgewinne wäre der Anreiz verloren gegangen. Die Meinung der Anreizpolitiker ist vorherrschend im Kriege. „Ohne Profit raucht kein Schornstein“, sagte schon Bebel. In der Kriegswirtschaft wird zur Sentenz der gelegentlich gefallene Ausdruck: „Man darf die Industrie nicht verärgern.“ Und diese Sentenz ist nicht etwa kurzsichtig. Sie setzt im Gegenteil die intime Kenntnis des springenden Punktes der Unternehmer-Psychologie voraus. Und dennoch paßte dieses Wort nicht für die Kriegszeit in dem Sinne, wie es angewandt worden ist. Nicht nur die Unternehmerpsychologie, sondern auch die Psychologie der großen Masse und des Soldaten an der Front war zu berücksichtigen. Auch mußten die Gewinne allmählich zur Erschlaffung der Unternehmungslust führen, wenn nicht immer neue Anreizmittel gegeben wurden. Nachdem das Phantom, „der Krieg dauert nicht lang“, nicht mehr alle Maßnahmen beeinflußte, mußte die Wirkung der hohen Kriegsgewinne auf die Unbeteiligten in der Preispolitik Berücksichtigung finden. Neben dem sozialwirtschaftlichen Satz von der Wirkung des Profits, gab es noch den allgemeinpsychologischen Satz von der Wirkung der Bevorzugung der einen gegenüber den anderen. So wußte man beispielsweise seit der Zusammenlegung der Aufträge, daß die Unternehmer auch bereit zur Arbeit seien, wenn man sie besser stellt als andere, wenn sie nur ihren Betrieb aufrechterhalten können und nicht, wie andere, schließen müssen. — Der letzte Satz will nur eine Tatsache feststellen. Es läßt sich aus ihm kein Allheilmittel folgern. Er sollte nur kennzeichnen, daß es nicht ein Mittel des Anreizes gibt, sondern mehrere. Er sollte als Beispiel ein neues System kennzeichnen. Außerordentliche Zeiten erfordern außerordentliche Mittel. Sie sind allerdings nur mit Erfolg anwendbar durch Zusammenarbeit aller. So kommt man letzten Endes auch hier wieder zurück auf die Mängel in der Organisation, auf den empirisch gewordenen Aufbau, der nie System erhält.

B Besonderer Teil Preisbewegung und Preispolitik bei Wolle 1 Die Zeit der freien Wollwirtschaft Zu Beginn des Krieges besteht auf dem Wollmarkte eine allgemeine Stockung. Nur Militärtuch-, Militärdeckenlieferanten u. dgl. schließen einige Käufe zur Ergänzung ihrer Bestände ab. Niemand weiß, wie der Krieg sich weiter entwickeln wird. Das gegenseitige Vertrauen, das für einen geordneten Geschäftsverkehr Voraussetzung ist, hört auf. Zahlungsverpflichtungen bestehen, aber Außenstände kommen schlecht

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herein. Dieses Übergangsstadium dauert 2—3 Wochen. Ungefähr vom 20. August 1914 ab (für andere Sorten erst ungefähr vom 1. September 1914 an) setzt der Wollhandel wieder ein und weist um den 20. August für Militärwollen eine geringfügige Steigerung von 2—5 % auf, die sich aber bis Ende August bei einzelnen Sorten auf 8—15 % erhöht. Kammzug und Wollabfälle als weniger für den ersten Heeresbedarf geeignete Sorten bleiben dagegen im Preise zurück. Bis Ende September steigen die Preise für Militärwollen um weitere 25  —  30% des Friedenspreises und erreichen damit die Höhe von 35—40 % über dem Friedenspreis. Bis Ende Oktober stehen Wollpreise um mehr als 100 % über den Friedenspreisen und steigen im November/Dezember bis auf 140 % über den Friedensstand. Dabei sind allmählich alle Wollsorten von der Preissteigerung mitgerissen worden. Das starke Auseinanderfallen der Preise am Anfang macht mit steigender Knappheit allmählich einer merklichen Preisannäherung Platz. Wolle gehört zu denjenigen Rohstoffen, die wir zum weitaus überwiegenden Teil aus dem Auslande bezogen hatten. Da anzunehmen war, daß bei der vermuteten kurzen Kriegsdauer der Verbrauch der Wolle ungefähr auf der gleichen Höhe bleiben oder doch nicht stark sinken würde (unter Ausgleich des verminderten Zivilbedarfes und der Ausfuhr durch die Erhöhung des Bedarfs für Kriegszwecke), die Zufuhr von Wolle mit dem Eingreifen Englands aber gefährdet oder sogar ganz unterbunden werden könnte, so waren die Voraussetzungen für eine Preissteigerung der Wolle gegeben. Daß aber der Wollpreis sich nicht verfünffacht oder verzehnfacht, sondern sich nur etwas mehr als verdoppelt hat in den ersten Kriegsmonaten, hat verschiedene Gründe. Auch der spekulative Kaufmannsgeist konnte eine Kriegsdauer, wie sie tatsächlich eintrat, nicht vorausahnen. Auch eroberten die siegreichen deutschen Heere Gebiete, die, wie Verviers, der Distrikt Roubaix-Tourcoing und Antwerpen zu den ersten Wollplätzen des Kontinents rechneten, und deshalb große Mengen Wolle aufgestapelt hatten. Dann ist auch wohl folgende Beobachtung, die später nicht mehr zutreffend ist, für die erste Kriegszeit bei den meisten Rohstoffen noch richtig: je höher die Preise, desto höher das Risiko und damit Verminderung der Kauflust. Bezeichnend ist, daß bereits Ende August über Wollpreiswucher geklagt wird, und daß Höchstpreise für Wolle, wenn nicht früher, schon im September 1914 verlangt werden. Welche Jagd nach Wolle bereits Ende September stattfindet, wird dadurch veranschaulicht, daß Firmen, welche Wollangebote vorliegen haben, auf ihre telegraphische Zusage sehr häufig die Antworten erhalten, daß die Wolle bereits anderwärts zu höheren Preisen, als das Angebot lautete, verkauft sei. Wolle wird auch in wiederholten Fällen ungesehen gekauft, was früher ein Unding gewesen wäre. Im übrigen besteht schon ein wahrer Kettenhandel in Wolle. Ist der Preis auch schon sehr hoch, für den anderen ist immer noch etwas an der Wolle zu verdienen. Auch Österreich in seiner Wollarmut beteiligt sich an dem Wettrennen und wirkt durch seine Aufkäufe preissteigernd. Zur Steigerung der Wollpreise trägt erheblich bei das Vorgehen der Bekleidungsämter und die Dringlichkeit der Bedarfsdeckung. Die dezentralisierte Beschaffung



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des Bekleidungsbedarfs durch die einzelnen Bekleidungsämter einerseits und die Dringlichkeit der Bedarfsdeckung andererseits führen zu einer bedeutenden Steigerung der Fabrikatpreise. Die hohen Fabrikatpreise rückwirken auf die Rohstoffpreise. Sie bewirken eine Überstürzung im Aufkauf von Wolle. Jeder Fabrikant will sich ein Quantum des kostbaren Stoffes, der soviel Gewinn bringt, sichern. Die Bevorschussung der Aufträge seitens der Beschaffungsstellen erleichtert ihm den Kauf. Die hohen Fabrikatpreise veranlassen aber auch die vorgeordneten Produktionsstufen, an den großen Gewinnen der nachgeordneten Produktionsstufen teilzunehmen. Auch diese Erscheinung trägt zur Preissteigerung des Rohstoffes bei. Steigt ein Rohstoffpreis und besteht Aussicht auf weitere Steigerung, so setzt die Spekulation ein. Die Ware wird zurückgehalten mit der Folge der Intensivierung der Preissteigerung. Zu den Kennzeichen des Marktes rechnet man den Preisausgleich. Von dem kann in der ersten Kriegszeit bei Wolle nicht mehr im marktmäßigen Sinne gesprochen werden. Der zentrale Markt fehlt. Man kauft das, was angeboten wird, ohne sich lange um die Preise (immer natürlich in bestimmten Grenzen), welche andere bezahlt haben, zu kümmern. Die Mengenfrage und die Eiligkeit der Bedarfsdeckung, nicht die Preisfrage, sind im abgeschlossenen Wirtschaftsstaate ausschlaggebend geworden. Die allgemeine Wertverschiebung auf Grund der Umgruppierung des Bedarfs ist immerhin deutlich erkennbar. Sie zeigt sich sowohl in der verschobenen Preissteigerung von Kreuzzuchtwolle gegenüber Kapwolle als Militärtuchwolle als auch in der Preisverschiebung von gewaschener Wolle gegenüber Kammzug. Gewaschene Wolle nimmt durch den Kammprozeß ungefähr 20 % an Kostenwert zu. Während gewaschene Wolle C I gegenüber Kammzug C I vor Kriegsausbruch den üblichen Wertunterschied von 20  % zeigte, beträgt die Differenz Ende August 1914 nur noch 6 %, Ende Oktober 1914 nur noch 4 %. Ende November 1914 ist der Preisunterschied auf 2½ % gesunken und einige Tage vor der Höchstpreisfestsetzung ist der Preis für Kammzug 7½ % niedriger als derjenige für gewaschene Wolle. Diese Preisentwicklung ist umso mehr verständlich, als schließlich Kammzug zwecks Verwertung für vorschriftsmäßige Militärtuche in den Zustand „gewaschener Wolle“ durch Zerreißen zurückversetzt wird. Die Preisverschiebung wäre zweifellos noch stärker gewesen, wenn nicht auch Kammzug (zum Teil auch für Heeresbedarf) nachgefragt worden wäre und ferner Kammzug als ausgekämmtes Material von besonderer Güte ist.

2 Beeinflussung der Wollpreise durch Mengenverfügungen bis zur Höchstpreisfestsetzung Im Oktober 1914 beginnen auf verschiedenen Rohstoffgebieten die ersten Einzelbeschlagnahmen, so auch bei Wolle. Um den Abfluß für Wolle für Zivilzwecke zu vermeiden, werden zuerst die Vorräte bei den Kammgarnspinnereien und den Hutfab-

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rikanten beschlagnahmt. Veräußerung ist nur an Heereslieferanten gestattet. Soweit diese Verfügungen eingehalten werden, wird preispolitisch durch sie erreicht, daß der beschlagnahmte Teil der Wolle nicht mehr durch Kettenhandel verteuert wird. Weiter beschlagnahmt das bayerische Kriegsministerium Ende Oktober die in Bayern befindlichen heeresbrauchbaren Wollen, und zwar unter dem Drucke der stark steigenden Preisbewegung von Wolle in Österreich und Ankäufen der kapitalkräftigen Fabrikanten Norddeutschlands, um ein Abströmen der Wolle in diese beiden Gebiete zu verhindern. Württemberg beschlagnahmt Anfang Dezember 1914 seine eigene „Schafschur“. Bei allen diesen Maßnahmen sind allerdings kaum preispolitische, sondern hauptsächlich mengenpolitische Ziele ins Auge gefaßt. Das preispolitische Moment ist eine zufällige Nebenerscheinung. Immerhin ist nicht zu verkennen, daß die Menge der durch Handelsgeschäfte umgesetzten Wolle durch das Festhalten der Heereslieferanten an ihren Vorräten einerseits und der Beschlagnahme eines Teiles der Wolle andrerseits gemindert wird. Wenn also auch hohe Wollpreise bestehen, so unterliegt ihnen direkt nur ein Teil der Wolle. Das hat immerhin den Vorteil, daß bei der nachfolgenden Festsetzung von Höchstpreisen schärfer zugegriffen werden kann, als wenn der weitaus größte Teil der Wolle den Preisen, wie sie die Monate Oktober, November, Dezember zeigen, unterlegen hätten. Auf der anderen Seite aber ist zu beobachten, daß die Beschlagnahme ohne eine damit verbundene Festsetzung von Höchstpreisen denjenigen Teil, der noch nicht beschlagnahmt ist, nach dem Mengenverhältnis der beschlagnahmten zur freigelassenen Menge bei entsprechendem Bedarf im Preise steigert. Nicht der Wirkung, aber des allgemeinen Interesses halber ist hier noch folgender mit den Einzelbeschlagnahmen verbundener preispolitischer Appell an die Unternehmer zu erwähnen. „Es wird erwartet, daß die Preisstellung für die verkauften Vorräte an die Heereslieferanten sich in normalen Grenzen halte, d. h. daß man sich mit einem normalen Aufschlag auf die Selbstkosten begnüge. Sollten berechtigte Klagen über die zu hohe Preisstellung einlaufen, so behält sich das Kriegsministerium weitere Maßnahmen vor.“ Das ist der übliche Appell, wie ihn die Kriegs-RohstoffAbteilung auch bei anderen Stoffen und das Bekleidungs-Beschaffungs-Amt schon vorher, und zwar anfangs ganz allgemein, späterhin unter Festsetzung eines prozentualen Richtaufschlages erlassen hat. Man glaubt damals eben noch, daß ein solcher Appell an die kaufmännische Moral genüge oder doch dazu beitrage, die Preissteigerung, wenn nicht zu verhindern, so doch mäßigen zu können. In Wirklichkeit waren die sog. „normalen Preisgrenzen“ (siehe oben) des Friedens nur das Produkt eines „normalen“ Angebots gegenüber einer „normalen“ Nachfrage. Der Krieg hat deutlich gelehrt, daß, wenn einer dieser Faktoren „anormal“ wird, der Appell an die Moral und den Patriotismus u. a. m. eine Preissteigerung nicht verhindern kann.



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3 Die Festsetzung von Höchstpreisen für Wolle Schon in den ersten Kriegsmonaten kommen in Verbindung mit Klagen über die Preissteigerung der Wolle Anträge aus der Industrie auf Festsetzung von Höchstpreisen. Während diese Äußerungen aber sporadisch bleiben, ist die Stimmung anfänglich im allgemeinen nicht für Höchstpreise, sondern für Vermehrung der Wolle durch Einfuhr, um die Wolläger wieder aufzufüllen. Man ist der Ansicht, „daß sich dann die Preise auf einer gesunden Basis halten werden“. Das natürlichste Mittel, dieser Preissteigerung beizukommen, sei die Vermehrung der Zufuhr aus dem neutralen Auslande und besonders aus den besetzten Gebieten. „Geholfen kann dem Markt einzig und allein werden durch neue Zufuhr von Rohmaterial“, schreibt eine größere Handelskammer noch in der Meinung, daß diese Zufuhr möglich sei. Auch dem Reichsamt des Innern und der Kriegs-Rohstoff-Abteilung scheinen Wollhöchstpreise undurchführbar. Als die Schwierigkeiten allmählich größer werden, wird die Neigung für Einführung von Höchstpreisen in einzelnen Industriegruppen etwas stärker, immer aber in der Voraussetzung, daß die Höchstpreise sich nur auf Rohwolle, evtl. auch auf Kammzug, beziehen würden, nicht aber auf Garne und Gewebe23. Höchstpreise für Fabrikate scheinen dem Wollgewerbe schon deshalb undurchführbar — worauf auch halbamtliche Interessenvertretungen gelegentlich hinweisen — weil, abgesehen von den Schwierigkeiten der vielen Garnsorten, bei Festsetzung von Höchstpreisen minderwertiges Material wie Wollabfälle und Kunstwolle zur Herstellung der Tuche genommen würde, welches aber nicht die gleiche Haltbarkeit und Wärmewirkung aufweise, wie das bis dahin verwandte gute Material. Im einzelnen richtet sich die Stellungnahme der einzelnen Wollgewerbegruppen zu den Höchstpreisen nach dem Grad der Integration ihrer Unternehmungen. Der nicht mit weiteren (nachgeordneten) Produktionsstufen verbundene Wollhandel hat natürlicherweise eine starke Abneigung gegen Wollhöchstpreise. Die Industrie ist teils an Höchstpreisen interessiert, teils nicht. Den Ausschlag für die Webereien gibt schließlich, daß ihnen jede Kalkulation wegen der sprunghaft steigenden Preise für ihre Herstellungsstoffe unmöglich wird und Schwierigkeiten gegenüber den Beschaffungsstellen entstehen. Ein Teil der Industrie aber ist der Meinung, daß nicht Höchstpreise das Hauptmittel seien, um zum Ziele zu kommen, sondern eine allgemeine Beschlagnahme. Man weist darauf hin, daß der Vorrat nur noch gering sei, und daß deshalb Neigung bestehen würde, „Überpreise“, wie man sich vorsichtig ausdrückt, zu bezahlen. — Vereinzelt wendet man sich gegen jeden behördlichen Eingriff, womit das Wirtschaftsleben im Kriege bis dahin nur trübe Erfahrungen gemacht habe. Kurze Zeit vorher ist noch die freie Konkurrenz Selbstregulator des Wirtschaftslebens gewesen. Die 23 Erstmals im Oktober 1914 macht die Kriegs-Rohstoff-Abteilung vor einer größeren Interessenvertretung der Wollindustrie darauf aufmerksam, daß mit Höchstpreisen für Wolle auch Höchstpreise für Wollfabrikate verbunden werden müßten, was bis dahin scheinbar von der Industrie nicht erwartet worden war, da die Mitteilung allgemein überraschend wirkte.

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automatische Regelung der freien Wirtschaft war möglich gewesen, weil gerade die staatliche Bevormundung sich bis dahin in verhältnismäßig engen Grenzen gehalten hatte. Nachdem man die schlechte Erfahrung mit den Höchstpreisen für Getreide ab Ende Oktober 1914 und schon früher mit den örtlich festgesetzten Höchstpreisen für Lebensmittel gemacht hatte, hatte man erfahren, wie berechtigt die Skepsis gewesen war, mit der man die Höchstpreispolitik des Staates angesehen hatte. Besonders die Schwierigkeiten bei den Getreidehöchstpreisen tragen zur Abneigung gegen Höchstpreise für Wolle bei. Ein großes Hemmnis für die Durchführung von Höchstpreisen für Wolle, weshalb der hervorragende Sachverständige der Kriegs-Rohstoff-Abteilung für Wolle, Georg Schönbach, dem Höchstpreisgedanken längere Zeit mehr oder weniger ablehnend gegenübersteht, bildet die Sortenverschiedenheit nach Feinheit, Länge usw., die weit über tausend Positionen in der Höchstpreisverfügung notwendig gemacht hätte. Man geht eben noch von der damals selbstverständlichen Voraussetzung aus, daß alle Sorten im einzelnen berücksichtigt werden müßten, damit einmal die Höchstpreisfestsetzung als eine behördliche Verfügung die übliche Genauigkeit der Ausführung ausweise und zum anderen, daß nicht schematisiert werden dürfe, um niemand privatwirtschaftlich zu schädigen. Man erkennt aber damals auch noch nicht wie später, daß die Gebrauchswerte der verschiedenen Wollsorten einander viel näher gekommen sind und deshalb vom Standpunkt der Heeresverwaltung, also des Wollverbrauchers, die Zahl der Positionen bedeutend herabgesetzt werden kann. Aber selbst auch vom Standpunkt des Wollgewerbes liegt eine Veranlassung zu einer alle Einzelheiten berücksichtigenden Höchstpreisfestsetzung nicht mehr in dem Maße wie früher vor, nachdem durch die Hast nach Ware und andere Gründe die alten Wertvorstellungen sich stark verschoben haben und die neuen noch keine sichere Basis für Preisaufstellungen im einzelnen bieten können. Wenn die Kriegs-Rohstoff-Abteilung nicht schneller zu Höchstpreisen übergeht, so geschieht es aber nicht nur wegen der technischen Schwierigkeiten in der Durchführung und wegen der Abneigung großer Teile des Wollgewerbes gegen Höchstpreise, sondern zum Teil auch, wie das bei allen verspäteten Maßnahmen der ersten Zeit der Fall war, mit Rücksicht auf die vermutlich kurze Kriegsdauer, der sich bald wieder normale Verhältnisse anschließen sollten. Auch ist das verspätete Eingreifen mit der primitiven organisatorischen Einrichtung und der Arbeitsüberlastung der Kriegs-Rohstoff-Abteilung in Verbindung zu bringen. Als die Zufuhr aus dem neutralen Ausland verhältnismäßig gering bleibt, die Vorräte aus den besetzten Gebieten nur langsam hereinkommen, der Bedarf an Wolle sich aber mehr und mehr steigert und die Preise allmählich die doppelte Höhe des Vorkriegsstandes erreichen, das Kriegsende aber noch nicht abzusehen ist, die Kalkulation für die Heereslieferanten immer schwieriger wird, die Preise der Fertigfabrikate immer mehr steigen, wird die Höchstpreisfrage immer dringlicher. Der Standpunkt der Behörden, daß hohe Preise wenigstens den Verbrauch mindern würden, war durch die Erfahrung im Kriege in seiner Unbedingtheit zunichte gemacht worden



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und mußte auf allen Gebieten, wo dieser Gedanke die Behörden vom Eingreifen in die Preisentwicklung zurückgehalten hatte, aufgegeben werden. Ein Anlaß zur Festsetzung der Wollhöchstpreise gibt auch die öffentliche Meinung, und zwar besonders bei Strickgarn, dem vielgefragten Erzeugnis für Liebesgabenzwecke, dessen hohe Preislage „in weiten Schichten der Bevölkerung Unwillen erregt“24. Ende Oktober läuft auch ein Schreiben eines Reichstagsabgeordneten ein, in welchen u. a. auch die Festsetzung von Höchstpreisen für Wolle verlangt wird, und zwar, wie Verhandlungen ergeben, in Höhe der Friedenspreise. Die Heeresverwaltung, die Kriegs-RohstoffAbteilung sowohl als auch die Bekleidungsabteilung des Kriegsministeriums und das Reichsmarineamt, nehmen den Standpunkt ein, daß eine Festsetzung von Preisen in Höhe der Friedenspreise nicht angängig sei, daß aber die Höchstpreisfestsetzung an sich wegen der unhaltbaren Zustände trotz aller Schwierigkeiten in Angriff genommen werden müsse. Rein technisch25 entwickelten sich die Vorbereitungen zur Höchstpreisfestsetzung wie folgt. Der zuständige Referent in der Kriegs-Rohstoff-Abteilung nimmt mit den Vertretern der einzelnen Wollgewerbegruppen Rücksprache, zuerst jeweils nur mit einem, um die erste Fühlung zu bekommen, dann mit mehreren. Nachdem diese gesonderten Gruppen für den Höchstpreisgedanken gewonnen sind, wird der Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessentengruppen in einer gemeinsamen Sitzung durchgeführt. Da das Wollgewerbe nicht an die Durchführbarkeit der Höchstpreise glaubt, verläuft diese wichtige Sitzung verhältnismäßig ruhig und auch über die Preishöhe, die dem ungefähren Stand der zur Zeit der Verhandlung bestehenden Preise entspricht, wird leicht eine Einigung erzielt. Die Hauptverhandlungen finden in Anwesenheit von Vertretern des Wollhandels und der Wollindustrie sowie von allen beteiligten Behörden (auch der bundesstaatlichen) unter dem Vorsitz des ständigen Referenten der Kriegs-Rohstoff-Abteilung Anfang Dezember 1914 statt, was zu der Bundesratsverordnung am 22. Dezember 1914 führt, welche am 23. Dezember 1914 veröffentlicht wird. Im Durchschnitt bewegen sich die Höchstpreise ca. 100  % über dem Friedensstand. Sie sind niedriger als die letzten Preise des freien Handels, da die Freiverkehrspreise seit der Preisfestsetzung noch stark angezogen haben, trotz Bekanntgabe kommender Höchstpreise in der Presse. Wie wenig das Wollgewerbe von der Durchführbarkeit von Höchstpreisen überzeugt gewesen ist, zeigt, daß Leute, welche an den Verhandlungen über Höchstpreise in der Kriegs-Rohstoff-Abteilung beteiligt waren, nach wie vor Wolle in großen Mengen gekauft hatten. Die Verordnung begnügt 24 Denkschrift des Reichskanzlers über wirtschaftliche Maßnahmen aus Anlaß des Krieges vom März 1915. 25 Das rein Technische ist hier berührt, obwohl es im ersten Augenblick als nebensächlich erscheint und deshalb in der Regel absichtlich vernachlässigt wird. Tatsächlich wird erst durch Schilderung der Technik eines Vorganges die Vorstellung einer historischen Handlung lebendig und mit genügender Schärfe erfaßbar.

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sich mit wenigen Positionen, indem sie verschiedene Qualitäten unter einem Preis zusammenfaßt und besonders ausgefallene Feinheiten sowie fehlerhafte Ware und Abfälle überhaupt nicht berücksichtigt, um so die Schwierigkeiten der vielen Abarten zu umgehen. Festgesetzt sind Höchstpreise für ungewaschene Wolle (auf Basis reingewaschener Wolle), für rein gewaschene Wolle, für Kammzug, Kammgarn und für Militär- bzw. Marinetuch, sowie Militärkammgarnstoffe, und zwar beziehen sich die Preise für die genannten Fertigwaren nur auf Mannschaftsstoffe. Die Preise für Kammgarne sind nur in zwei Qualitäten festgelegt. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung hatte ursprünglich die Bemerkung in der Höchstpreisverfügung vorgesehen, daß die nicht besonders aufgeführten Kammgarnqualitäten sich in ihrer Höhe nach den aufgeführten Kammgarnqualitäten zu richten hätten. Da gegen diese Formulierung aber von anderer Seite juristische Bedenken geäußert wurden, wonach die namentliche Aufführung von nahezu 100  Kammgarnnummern und Preisen notwendig gewesen wäre, und die Kammgarnindustrie mit der Auffassung der Kriegs-Rohstoff-Abteilung ausdrücklich übereinstimmte, sah man von näheren Angaben ab. Die altgewohnte knappe behördliche Verordnungsart war dadurch gewahrt geblieben. Da sich aber die Kammgarnindustrie später auf den Standpunkt stellt, daß Höchstpreise nur für die beiden namentlich aufgeführten Qualitäten festgesetzt seien und das juristische Referat der Kriegs-Rohstoff-Abteilung sich dieser Meinung anschließt, so ist in Wirklichkeit für Kammgarne wenig erreicht. Die meisten Kammgarnsorten steigen weiter im Preise. Für Streichgarne sind Höchstpreise überhaupt nicht festgesetzt, in dem Gedanken, daß die weitaus größten Mengen Streichgarn infolge der weitgehenden Integration der Streichgarnindustrie nicht zum Verkauf kommen, sondern in denselben Unternehmen, in denen sie hergestellt, auch zu Tuchen verarbeitet werden, für welch letztere Höchstpreise festgesetzt sind. Immerhin liegt hier preispolitisch ein großer Fehler vor, da der in den freien Verkehr kommende Teil der Streichgarne in der Folge eine starke Preissteigerung aufweist. Als man diese Garne im Jahre 1915 beschlagnahmt, können sie nur zu erhöhten Preisen übernommen werden. Da die Kriegs-Rohstoff-Abteilung aber die letzten freien Handelspreise nicht bezahlen will, kommt es zu zahlreichen Enteignungen, ebenso wie bei anderem nicht der Höchstpreisverordnung unterliegenden Material. Für Kämmlinge sind ebenfalls Höchstpreise nicht festgesetzt. Nach den offiziellen Vorschriften der Heeresverwaltung durften Kämmlinge nicht für Militärtuche verwandt werden. Da die Kriegs-Rohstoff-Abteilung sich vorerst nur mit denjenigen Stoffen zu befassen hat, welche zur Deckung des Heeresbedarfes dienen (Kämmlinge dienten als Mischmaterial inoffiziell allerdings in weitem Umfange auch dazu), so sieht sie von einer Preisfestsetzung für Kämmlinge ab, immerhin damit rechnend, daß die Preise der Kämmlinge sich nach den Preisen der Hauptstoffe richten würden. In Wirklichkeit steigen die Kämmlinge nach der Höchstpreisfestsetzung weiter. Auch für fehlerhafte Sorten sind Höchstpreise nicht festgesetzt, weil es aus technischen Gründen auch gar nicht möglich ist. In der Höchstpreisbekanntmachung ist



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die Formulierung „der Preis für 1 kg darf nicht übersteigen“ gewählt, womit gesagt sein soll, daß die Höchstpreise für „beste Ware“ gelten sollen, geringere Sorten infolgedessen entsprechend niedriger sein müssen. Inzwischen ist es zu einer Kriegserfahrung geworden, daß die Preisentwicklung in diesen Fällen häufig umgekehrt verläuft. Auch ein Teil des Wollgewerbes hält sich für berechtigt, gerade für fehlerhafte Sorten und Zwischensorten höhere Preise nehmen zu dürfen als für die qualitativ besseren Sorten, für welche Höchstpreise festgesetzt sind. Das ist nicht nur der Fall bei Rohwolle, sondern auch bei den Fabrikaten, insbesondere Geweben. Es wiederholt sich auch bei den Wollhöchstpreisen die gerade vorher bei Getreide gemachte Erfahrung, daß die Höchstpreise Mindestpreise werden, und daß mit Höchstpreisen belegte freie Ware vom offenen Markt verschwindet. Auch tritt ein, was schon früher von seiten der Industrie angedeutet war, daß minderwertige Herstellungsstoffe, insbesondere Kunstwolle, zur Herstellung der durch Höchstpreise betroffenen Fabrikate genommen werden, in der Hauptsache wohl zur Umgehung der Höchstpreise, zum Teil aber auch wegen der Knappheit der Herstellungsstoffe und der Dringlichkeit der Aufträge. Andere Umgehungen der Höchstpreise, wie absichtlich falsche Abschätzung des Waschergebnisses der Wolle, Abgabe zu Höchstpreisen unter Gewinnbeteiligung, besondere Bewertung von Hilfsarbeiten und Hilfsmaterialien (insbesondere bei der Transport- und Verpackungsregelung) u. dgl., wie sie zuerst bei Getreide in Erscheinung traten, sind auch bei Wolle recht zahlreich. Wie weit man dabei geht, zeigt, daß man die wertvollen Kammzüge, da für sie Höchstpreise festgesetzt sind, zerreißt und sie als Zugabrisse, die keinem Höchstpreis unterliegen, verkauft. Wohl unter dem Eindruck dieser Schwierigkeiten berichtet die Denkschrift des Reichskanzlers über wirtschaftliche Maßnahmen aus Anlaß des Krieges vom 8. März 1915, daß bei Wolle „das Eingreifen mit Höchstpreisen große Schwierigkeiten hat und nicht ohne Bedenken ist“. Infolge des schematischen Aufbaues der Höchstpreisverordnung mit der absichtlich kleinen Zahl von Positionen zeigen sich bei der praktischen Durchführung weitere Schwierigkeiten. Der Tuchpreis war gedacht für Rock-, Mantel- und Hosentuch. Rocktuch verlangt aber ein geringeres Quantum Wolle, weshalb eine Preisdifferenzierung notwendig gewesen wäre. Weiter führte die Dringlichkeit des Bedarfes dazu, daß die Beschaffungsstellen auch fertige Uniformen kaufen. Für diese waren keine Höchstpreise festgesetzt. Eine lange Serie von Korrespondenzen, Beratungen und schließlich von Prozessen zieht die Preisfrage für ungewaschene Wolle nach sich. Die Gerichte stellen sich zum Teil auf den Standpunkt, daß auch Höchstpreise für ungewaschene Wolle nach Maßgabe des Rendements beständen, zum Teil wird der gegenteilige Standpunkt vertreten. Den gegenteiligen Standpunkt vertritt auch das Kammergericht in Berlin. Die Begründungen des gegenteiligen Standpunktes gehen im allgemeinen dahin, daß man Höchstpreise nicht für etwas habe festsetzen wollen, dessen genauer Wert erst nach Feststellung des Reingewichts möglich sei. Tatsächlich hatte aber der Gesetzgeber auch Höchstpreise für ungewaschene Wolle beabsichtigt. Der betreffende Verord-

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nungsparagraph wird erst aufgehoben durch Bundesratsverordnung vom 23. Oktober 1916, als die Erweiterung der Mengenverfügung ihn überflüssig gemacht hat. Die erste Höchstpreisverordnung auf dem Gebiet der Spinnstoffe ist also infolge der fehlenden Erfahrungen noch recht lückenhaft, woraus man keinen Vorwurf herleiten kann; das Ganze war ja ein Novum. Die Mängel hat die Höchstpreisverordnung im allgemeinen behalten. Soweit aber auch Höchstpreise ordnungsgemäß bestehen, ist wenig erreicht. Höchstpreise sind festgesetzt, aber ihre Wirkung ist negativ. Ware kommt nicht zum Verkauf, weil niemand zu den Höchstpreisen verkaufen will. Dieser Mangel sowohl als auch die anderen werden erst allmählich dadurch unwirksam gemacht, daß alle vorhandene Wolle beschlagnahmt und schließlich von der Kriegswoll-A.-G. aufgekauft und die Vergebung der Aufträge für Fertigfabrikate immer mehr zentralisiert wird. Die Endglieder in der Kette der Mengenverfügungen bilden zusammenfassende Verfügungen vom 31. Dezember 1915 und die jährlich sich wiederholenden Beschlagnahmebekanntmachungen für deutsche Schur- und Gerberwolle.

4 Die Übernahmepreise für deutsche Wolle Die Frage der Übernahmepreise spielt zuerst eine Rolle in Württemberg infolge der Beschlagnahme der Württembergischen Schafschur Anfang Dezember 1914. In der Beschlagnahmeverfügung ist zum Ausdruck gebracht, daß „auf die hergebrachten Marktverhältnisse weitgehend Rücksicht genommen würde“. Die Schätzung der Wolle erfolge nach den Bestimmungen des Kriegsleistungsgesetzes durch eine Kommission, welcher als Sachverständige zwei Schafzüchter und zwei Wollverarbeiter angehörten. Die Namen der Wolleigentümer würden gegenüber der Abschätzungskommission verschwiegen. Die von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung erlassene Beschlagnahmeverfügung betreffend die deutsche Schafschur 1914/15 vom Februar 1915 kennt die Bezeichnung „Übernahmepreis“ mit Rücksicht auf die damals noch anders geartete Regelung der Wollveräußerung nicht. Der Schafhalter verkauft die Wolle unmittelbar oder durch Vermittlung von Händlern unter Lieferung über eine von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung bestimmte Wäscherei an Heeresbedarfsfabrikanten. Der Wollverkäufer erhält dafür einen nach den Höchstpreisen sich richtenden Kaufpreis. Die Bezeichnung Übernahmepreis taucht in den allgemeinen Wollbekanntmachungen zuerst auf in der Beschlagnahmeverfügung für die deutsche Schafschur (WI 3808/8. 15. KRA) vom September 1915 mit der neuen Bestimmung, daß die Wolle direkt oder indirekt an die Kriegswollbedarfs-A.-G. zu veräußern sei. Für den Übernahmepreis ist maßgebend der im Dezember 1914 festgesetzte Höchstpreis, und zwar für gewaschene Wolle. Mangels Einigung über den von der Kriegswollbedarfs-A.-G. zu zahlenden Übernahmepreis soll endgültig die Kriegs-Rohstoff-Abteilung nach Anhörung einer Sachverständigenkommission, deren Zusammensetzung die K.R.A. unter Zuziehung von Sachverständigen aus den Kreisen der Tuchfabrikanten, der



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Wollhändler und der Schafzüchter bzw. Gerbereisachverständigen vornimmt, entscheiden. Die Übernahme der deutschen Schurwolle durch die Kriegswoll-A.-G. bringt auch eine Veränderung der sonstigen Preisgewohnheiten. Alle Wollsorten sind bis dahin ohne Unterschied in Länge, Farbe usw. zum Höchstpreise verkauft worden, obwohl es in der Verfügung vom 23. Dezember 1914 ausdrücklich heißt, daß der Preis für 1 kg Rohwolle bzw. 1 kg gewaschene Wolle die festgesetzten Höchstpreise nicht übersteigen dürfe. Die K.R.A. stellt sich bei der Bewertung durch die Kriegswollbedarf-A.-G. auf den gesetzlichen Standpunkt. Eine erstmalige Bewertung der an die Kriegswollbedarf-A.-G. abzuliefernden Wolle der Schafschur 1914/15 bringt einem Teil des Wollhandels, der aus spekulativen und anderen Gründen noch erhebliche Wollbestände hat, erhebliche Verluste. Die Verluste betragen teilweise 1  Mark und mehr für das Kilogramm. Der Wollhandel wehrt sich energisch dagegen. Er soll jetzt einen Minderpreis erhalten und obendrein noch den Zinsverlust tragen. Die KriegswollbedarfA.-G. nimmt darauf eine neue Bewertung vor. Sie fügt sich insofern den durch die Umgehung der Bekanntmachungen gegebenen Verhältnissen, als sie die Mindersorten höher bewertet als vorher. Trotzdem bleiben den Wolleigentümern noch größere Verluste. Die K.R.A. lehnt aber jedes weitere Entgegenkommen ab, wozu sie um so mehr im Recht ist, als sich der Wollhandel die Verluste in der Hauptsache selbst zuzuschreiben hat. Bei der Bewertung der Wolle taucht auch wiederholt die Frage nach der Festsetzung der Preise nach dem Kosten- oder Verwendungswert auf. So wehren sich die Wolleigentümer gegen eine niedrigere Bewertung der Gerberwolle im Vergleich zu Schurwolle, wie sie im Frieden allgemein üblich war, da „doch die Regierung selbst eine Verwendung von Gerberwollen zur Fabrikation von Militärtuchen gestattet habe“. Bei karbonisierter Wolle verlangen die Wolleigentümer nicht nur den Höchstpreis für gewaschene Wolle, sondern obendrein auch einen Karbonisierlohn. Obwohl karbonisierte Wolle weniger Wert hat als gewaschene Wolle, vergütet die Abschätzungskommission der Kriegswollbedarf-A.-G. den Höchstpreis für gewaschene Wolle, bezahlt aber nicht den Karbonisierlohn. Diese Beispiele zeigen nicht nur, daß eine Preisbindung an der einen Stelle weitere Preisbindungen an anderen Stellen erforderlich macht, sondern daß auch die bloße Festsetzung der Preisabhängigkeit der Untersorten von den Hauptsorten nicht genügt, sondern daß eine zahlenmäßige Normierung aller Sorten für den freien Verkehr notwendig ist. Da eine zahlenmäßige Normierung aller Sorten aus technischen Gründen meist nicht möglich ist, bleibt nur die Aufhebung des freien Verkehrs und Zuleitung an behördliche Organe übrig. Die weiteren sich in jedem Jahre wiederholenden Beschlagnahmebekanntmachungen für deutsche Schur- und Gerberwolle bringen für die Übernahme deutscher Wolle mehrere Änderungen, so die Bewertung der Wolle durch die Sachverständigenkommission in jedem Falle, nicht nur im Streitfalle, ferner eine Erhöhung der Übernahmepreise und der Händlergebühr. Diese Fragen werden zweckmäßig im Zusammenhang mit anderen behandelt.

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5 Erhöhung der Übernahmepreise für deutsche Wolle a) Preiserhöhung für deutsche Elektoralwolle. Im Frühjahr 1915 wird an die Kriegs-Rohstoff-Abteilung von seiten einer Reihe von Wollzüchtern vom Kgl. Preußischen Landwirtschaftsministerium das Ansuchen gestellt, besonders feine Wolle, die sog. Elektoralwolle, welche in der Vorkriegszeit die höchsten Preise erzielte, über Höchstpreis verkaufen zu dürfen. Man macht geltend, daß für mittlere und gröbere Wolle die bestehenden Höchstpreise mehr als doppelt so hoch wie im Frieden seien, daß aber für besonders feine Wolle der Preis nicht einmal den Friedensstand erreiche. Die K.R.A. vertritt anfänglich einen ablehnenden Standpunkt, vereinbart aber schließlich mit dem preußischen Landwirtschaftsministerium, daß Elektoralwolle (welche für Zündertuche Verwendung fand), zu einem über dem Höchstpreis liegenden Wert an Zündertuchfabrikanten verkauft werden dürfe. Die Zündertuchfabrikanten lehnen jedoch die Angebote mit der Begründung ab, daß die Preise für Zündertuche nicht gestatteten, Preise, die über die Höchstpreise hinausgehen, zu bezahlen. Die K.R.A. vertritt daraufhin den Standpunkt, daß eine Ausnahme von der Höchstpreisverordnung nicht mehr gestattet werden könne, da die Wolle zu anderen als Heereszwecken nicht mehr Verwendung finden dürfe. Die K.R.A. findet es durchaus gerecht (Herbst 1915), daß für feinere Wolle der Aufschlag relativ geringer sei als für mittlere und geringere Wolle, da der derzeitige Gebrauchswert für die Heeresverwaltung entscheidend sein müsse. So sei auch im freien Markt in England während der Kriegsdauer der Wert für feine Wolle um 10 % zurückgegangen, während grobe Wolle um 25 % gestiegen sei. Im ganzen betrachtet, handle es sich um einen Konjunkturgewinn der Züchter von mittlerer und gröberer Wolle, die den Züchtern von feiner Wolle entgehe. Das Reichsamt des Innern sowie das preußische Landwirtschaftsministerium stellen sich im allgemeinen auf den Standpunkt der Schäfereien. Das Reichsamt des Innern hat auch wohl gelegentlich eine Überschreitung der Höchstpreise gestattet. Das Landwirtschaftsministerium fußt darauf, daß die Erzeugungskosten für die feine Wolle ebenso gestiegen seien wie für die anderen Sorten und daß es im Interesse der Volkswirtschaft liege, die hochwertige Feinwollschafzucht in Deutschland zu erhalten, was den Züchtern aber bei den bestehenden Preisen nicht möglich wäre. Die finanzielle Last für den Staat durch die befürwortete Preiserhöhung sei von geringem Belang, da es sich um die Wolle weniger Herden handle. Für den einzelnen Wollzüchter dagegen sei eine höhere Bezahlung von so großer Bedeutung, daß sie ihn veranlassen könne, an seiner Zuchtrichtung festzuhalten. Von Interessenten und dem Landwirtschaftsministerium wird auch wiederholt ein Vergleich mit Österreich-Ungarn gezogen, wo die Produktionskosten an und für sich niedriger seien, der höchste Preis auf 20 Kronen festgesetzt sei und noch weiter erhöht werde. Der höchste Preis in Deutschland betrage dagegen nur 9,30 M. Im Frieden waren große Opfer an Kapital und Arbeit gebracht worden, um die Feinwollschafzucht auf die Höhe zu bringen. Die im Kriege eingetretene Annäherung der Verwendungswerte darf nicht zu einer Preispolitik führen, die zur Vernichtung



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großer volkswirtschaftlicher Werte führt. Das will auch die K.R.A. nicht. Sie erklärt sich denn auch schließlich damit einverstanden, daß mit Rücksicht auf die Gründe, welche für die Aufrechterhaltung der Feinwollschafzucht sprechen, die Preise für Elektoralwolle zu erhöhen seien. Für hochfeine deutsche Schurwolle (Tuchwolle AAAA-Feinheit) wird deshalb durch Verfügung des Reichskanzlers vom 16.  August 1916 die Überschreitung bis zu 11,50 M einschl. Waschlohn bzw. bis zu 11 M reingewaschen ohne Waschlohn gestattet. Rückwirkende Kraft hatte die Verfügung nicht. b) Allgemeine Preiserhöhung für deutsche Wolle. Allmählich macht sich infolge gesteigerter Produktionskosten die Notwendigkeit geltend, eine allgemeine Preiserhöhung für deutsche Wolle eintreten zu lassen. Der Schafbestand ist auch im Kriege weiter zurückgegangen. Die hohen Wollhöchstpreise haben den Rückgang nicht verhindern können, da einmal eine große Futtermittelknappheit, verbunden mit hohen Futtermittelpreisen (auch hohe Weidepacht) besteht, was vor allem bei den größeren Schafherden einen Rückgang bewirkt und weil infolge der hohen Fleischpreise die Schafhalter gar zu leicht geneigt sind, Schafe abzuschlachten. Die deutsche Heeresverwaltung kann aber auch nicht zu einem Teile auf die deutsche Schafschur verzichten. Die K.R.A. vertritt allerdings noch im Mai 1916 gegenüber dem preußischen Landwirtschaftsministerium den Standpunkt, daß die im Dezember 1914 festgesetzten Höchstpreise auch jetzt noch durchaus angemessen seien. In Wirklichkeit waren die Höchstpreise für deutsche Schurwolle, die von vornherein zu hoch gewesen waren, inzwischen zu niedrig geworden. Der niedrige Preisstand hatte der Wollerzeugung sogar sehr geschadet. Die Grundursache für die die Wollerzeugung schädigende Wirtschaftspolitik ist aber nicht in der verspäteten Preiserhöhung als solcher zu suchen, sondern in der fehlenden Einheitlichkeit der Kriegswirtschaftspolitik, welche die einen Preise steigen läßt, als die anderen schon gebunden sind. Mit der Herabsetzung des Fleischpreises Anfang 1917 wird die Wollpreisfrage besonders dringlich, da nunmehr die verringerten Fleischpreise durch erhöhte Wollpreise wett gemacht werden müssen, um nicht den Anreiz zur Schafhaltung zu nehmen. Hier tritt noch einmal deutlich das Problem der zusammenhängenden Preise und die Notwendigkeit einheitlicher Führung und einheitlicher Durchführung von Heeres- und Zivilwirtschaft in Erscheinung. Die Schafhalter, teilweise unterstützt von Wollhandel und Industrie, verlangen die Festsetzung von Preisen für eine längere Zeitdauer, damit sie gegen einen Konjunkturrückgang gesichert seien. Auch das Landwirtschaftsministerium stellt sich auf diesen Standpunkt. Das Reichsschatzamt und der Reichskommissar für die Übergangswirtschaft sind jedoch nicht damit einverstanden, und die K.R.A. erklärt, daß eine etwaige Preiserhöhung wenigstens dann in Wegfall kommen müsse, wenn sich nach etwa 1—2 Jahren ergeben sollte, daß die Wollproduktion durch die höheren Preise keine Vermehrung erfahre. Man einigt sich schließlich dahin, daß die in Aussicht gestellte Preiserhöhung der Wolle nur für die Kriegsdauer Gültigkeit haben soll. Hinsichtlich der Preishöhe ist man sich in einer Sitzung der beteiligten Ministerien

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darüber einig, daß eine Preiserhöhung der Wolle entsprechend der Verminderung der Fleischpreise (von 20 %) nicht durchführbar sei. Das Landwirtschaftsministerium tritt für eine Erhöhung der Höchstpreise von ca. 100 % ein. Die K.R.A. bewilligt nur einen Aufschlag von 40 %. Die im Juli 1917 in Kraft tretende Erhöhung der Übernahmepreise beträgt je nach der Qualität 4—58 %, was im Durchschnitt eine Preiserhöhung von 33 % bedeutet und als auskömmlich zu bezeichnen ist. In die Erhöhung der Wollpreise war einbezogen eine Erhöhung der Waschlöhne, wie denn überhaupt die dauernde Steigerung aller Hilfsmaterialien wiederholt zu einer Erhöhung der Waschlöhne und ebenso der Karbonisier- und Kammlöhne Anlaß gibt. Wiederholt umging die K.R.A. die Erhöhung dadurch, daß sie durch billige Zuteilung von Hilfsstoffen, nachträgliche Rückvergütung usw. die Wäschereien, Kämmereien usw. zufriedenstellte. Sie geht dabei sogar so weit, daß sie beim Reichsamt des Innern eine von den Wäschereien beantragte Preiserhöhung des beim Waschen der Wolle gewonnenen Wollfettes befürwortet. Die zuständige Sektion Wolle war sich dabei der Tragweite einer sonst notwendig werdenden Waschlohnerhöhung vollkommen bewußt, wenn sie schrieb, daß andernfalls „eine von den Wollwäschereien geforderte Erhöhung der Wasch- und Kämmlöhne nicht nur die Staatskasse stärker belasten würde, als wenn der Wollfettpreis heraufgesetzt würde, sondern auch eine Erhöhung der Gestehungskosten für Wollfabrikate zur Folge haben würde, die eine vollständige Neukalkulation aller wollenen Heeresbedarfsgegenstände erforderlich gemacht hätte“. Im Jahre 1918 befaßt sich die Heeresverwaltung erneut mit der Frage einer Erhöhung der Übernahmepreise für Wolle. Die Knappheit an Wolle hat verursacht, daß immer größere Mengen in den Schleichhandel gehen, der mehrfach höhere Preise zahlt als die Heeresverwaltung. Auch die Selbstkostenpreise sind weiter gestiegen: erhöhte Weide- und sonstige Futterkosten, höhere Schäferlöhne, höhere Preise für Zuchtschafe, für welche keine Höchstpreise festgesetzt sind. Die Preise für Zuchtschafe steigen um so höher, als allmählich das Schaf immer mehr als Ersatz für das fehlende Schwein dient und unter der Bezeichnung Zuchtschafe Schafe für Schlachtzwecke gekauft werden. Der Schleichhandel mit Schafen ist in voller Blüte, das Schaf ein beliebtes Objekt der „Schwarzschlachtung“ geworden. Die Landwirtschaft fordert erneut einen für längere Zeit — etwa für 15  Jahre — festgesetzten Mindestpreis, da sie eine Schafhaltung nicht auf einer vorübergehenden Konjunktur aufbauen kann. Da die dauernde Rentabilitätssicherung ein wesentlicher Faktor für die Förderung der Schafhaltung, für die das Kriegsministerium inzwischen einen besonderen Kommissar eingesetzt hat, bildete, so sind die zuständigen Stellen nicht abgeneigt, den Wünschen der Landwirtschaft Rechnung zu tragen. Über die ersten Vorbereitungen sind jedoch die Verhandlungen bis zur Revolution nicht hinausgegangen.



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6 Der Wollhandel im Kriege und die Vermittlungsgebühr für den Handel mit deutscher Wolle Im ersten Kriegsjahre erzielt der Wollhandel große Gewinne. Die schnelle Preissteigerung gestattet große Verdienste an alten Beständen, aber auch der Neukauf von Wolle läßt bei den stets steigenden Preisen hohe Gewinne übrig. Als Höchstpreise für Wolle festgesetzt werden, durch welche der Handel zum Teil an neugekauften Vorräten empfindlich getroffen wird und die Beschlagnahme von Wolle allmählich größeren Umfang annimmt, geht der Wollhandel immer mehr zum Handel mit Abfällen usw. über, bis auch diese schließlich der freien Wirtschaft entzogen werden. Dafür kann ein Teil der Wollhändler in die behördliche Kriegswirtschaft übernommen werden, so vor allem in die Kriegswollkostenbedarf-A.-G., in die Kammwoll-A.-G. und die Vereinigung des Wollhandels, Leipzig. Wesentlich besser als der Händler mit ausländischer Wolle steht sich in der Kriegswirtschaft der Händler mit deutscher Wolle, da deren Produktion behördlicherseits gefördert wird. Einige Händler mit ausländischer Wolle haben sich denn auch im Kriege dem Handel mit deutscher Wolle zugewandt, soweit dies nach später erlassenen Zulassungsbestimmungen für den Handel mit deutscher Wolle möglich war. Preispolitisch interessiert hier am meisten eine etwaige Ausschaltung des Wollhandels überhaupt bzw. die Art seiner Einschaltung und die Normierung seiner Vermittlungsgebühr. Die Beschlagnahmeverfügungen für deutsche Wolle seit Beginn der zwangsweisen Wollablieferung an die Kriegswollbedarf-A.-G. ab September 1915 bis zum Schluß des Krieges gestatten eine direkte Lieferung der Schafzüchter an die Kriegswollbedarf-A.-G. nur bei Mengen über eine festgesetzte Mindestkilozahl, so daß zum mindesten alle kleineren Mengen, soweit die Kriegswollbedarf-A.-G. nicht gelegentlich davon Ausnahmen macht, durch den Wollhandel vermittelt werden. Um den Handel nicht auszuschalten (daneben waren auch andere Gründe maßgebend), hatte man die Ablieferung einer Mindestmenge vorgesehen. Im Höchstpreisgesetz vom 22.  Dezember 1914 ist eine Vermittlungsgebühr für Händler nicht besonders vorgesehen. Die Verfügung, betreffend die Beschlagnahme der Schur 1914/15, vom 23. Februar 1915 (WI 3916/2. 15 KRA) sieht wohl ausdrücklich die Vermittlung durch Händler vor, eine besondere Vermittlungsgebühr ist aber auch hier nicht festgesetzt. Da eine Höchstpreisübertretung nicht stattfinden darf, müssen eben die Händler unter dem Höchstpreis einkaufen. Die Schafzüchter ihrerseits verlangen aber den Höchstpreis, da sie die Höchstpreise als die ihnen zustehenden Preise ansehen. Das führt zu Konflikten. Um das Interesse des Handels an der Zuführung von Wolle zu sichern, tritt die Kriegs-Rohstoff-Abteilung gegenüber dem Reichsamt des Innern im August 1915 für die Festsetzung einer Händlervermittlungsgebühr von 2 % vom Übernahmepreis ein. Der Reichskanzler erklärt sich damit einverstanden. Die Vermittlungsgebühr tritt mit der Beschlagnahme der Schafschur 1915/16 am 18. September 1916 (WI 3808/8. 16 KRA) in Kraft.

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Mit der allgemeinen Erhöhung der Übernahmepreise für deutsche Wolle wird auch die Vermittlungsgebühr erhöht, und zwar auf 3 % „mit Rücksicht auf die Gefahr, welche der Wollkäufer hinsichtlich des Waschergebnisses läuft“ (Rendement-Verschätzungen). Andrerseits solle der Schafhalter in den vollen Genuß der erhöhten Wollpreise kommen. An und für sich ist die neue Vermittlungsgebühr von 3 % ziemlich hoch. Allmählich entwickelt sich denn auch der Zustand heraus, daß die Händler auf einen Teil der Vermittlungsgebühr zugunsten der Schafzüchter verzichten, wenn es sich darum handelt, nicht aus dem Geschäft verdrängt zu werden. So erklärt es sich auch, daß der Schafzüchter sich häufig besser steht, wenn er an den Wollhändler verkauft, als wenn er die Wolle an die Kriegswollbedarf-A.-G. direkt veräußert. Tatsächlich liegt dann aber eine Höchstpreisüberschreitung vor. In den Schweißwollhandel hatten sich zahlreiche Personen eingeschlichen, welche früher dem Schweißwollhandel fernstanden. Diesen Personen fehlt aber vielfach die nötige Sachkenntnis, weshalb die Abschätzung der Schweißwolle bei den Schafzüchtern nicht immer mit der sonst üblichen Genauigkeit geschieht. Es besteht die Gefahr, daß die Schafhaltung unter diesem Einfluß leiden könnte. Tatsächlich herrscht Unzufriedenheit unter den Schafhaltern, zumal unter ihnen zum Teil die Annahme verbreitet ist, daß es sich bei den bestehenden Höchstpreisen um Preise für die von ihnen abzuliefernde Schweißwolle handele. Selbst wenn die Wollhändler den Schafhaltern mehr bezahlen, als es dem Rendement entspricht, haben sie immerhin keine Sicherheit, daß ihre Wolle nicht unterbewertet ist. Im Frieden hatten sich die Schafzüchter mit den Preisen, welche ihnen die Käufer bei freiem Wettbewerb zahlten, begnügen müssen, jetzt aber, als staatlicherseits Preise festgesetzt sind, die sich in ihrem Bewußtsein nicht zu Höchstpreisen entwickeln, sondern zu Mindestpreisen, will jeder Schafhalter diesen Preis möglichst voll genießen, zumal er weiß, daß ein Absatzrisiko für den Wollhändler nicht mehr besteht. Höchstpreise für Schweißwolle festzusetzen ist aber mit Rücksicht auf die Verschiedenheit des Rendements erschwert. Andrerseits ist es aber auch nicht durchführbar, jede einzelne Wollpartie gesondert waschen zu lassen, um so den genauen Wert der Wolle nach dem Waschergebnis festzustellen. Eine Änderung der Organisation ist jedenfalls notwendig. Die Notwendigkeit wird erhöht dadurch, daß immer größere Mengen Wolle in den Schleichhandel gehen. Die Schafhalter wissen, wie sie angeben, auch nicht immer, an welche Stellen die Wolle abzuliefern ist (wenn auch leicht zu erfahren), und zuweilen begründen sie damit, ob berechtigt oder unberechtigt, die Nichtablieferung der Wolle. Von den Vorschlägen, welche der Kriegs-Rohstoff-Abteilung gemacht werden, insbesondere auch seitens der Kriegsamtsstellen, ist bezeichnend der Antrag, welchen der Zentralausschuß der Wollhandelsvereine, Leipzig, in dieser Angelegenheit an die Kriegs-Rohstoff-Abteilung im Juli 1917 richtet. „Wir lehnen es grundsätzlich ab, gegen das Lebensbedürfnis des Handels, die freie Konkurrenz, irgendwelches Einschreiten des Staates anzurufen. Es kann aber nicht verkannt werden, daß die freie Konkurrenz während des Krieges bei einem Gegenstand, der, wie die deutsche Wolle, in seiner



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Menge beschränkt ist, zu Zuständen führen muß, welche den berufsmäßigen Großhändler zwingen, von der weiteren Betätigung zum Schaden des Reiches Abstand zu nehmen.“ Der Ausschuß verlangt deshalb, daß zur Ablieferung der deutschen Schafschur und des Wollgefälles bei den deutschen Gerbereien an die KriegswollbedarfA.-G. bzw. an die zugelassenen Wäschereien nur diejenigen Großhändler zugelassen werden, die nach dem Urteil des beantragenden Zentralausschusses der Wollhandelsvereine bereits vor dem 1. August 1914 berufsmäßig als Großhändler in Rohwolle anerkannt waren. Erst im Frühjahr 1918 findet die Neuregelung des Aufkaufes deutscher Schurwolle statt. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung schafft ein System von beauftragten Wollhändlern für festbegrenzte Bezirke, ungefähr dem vom Zentralausschuß der Wollhandelsvereine vorgeschlagenen System entsprechend. Dieses System fand bereits vorher Anwendung bei anderen Zweigen des Sammelhandels, so beim Lumpengroßhandel und beim Viehhandel. Eine Verfügung vom 19. April 1918 sieht eine namentliche Bestellung und Verpflichtung von Wollgroßhändlern und Bezirksaufkäufern vor. Den Großaufkäufern bleibt es überlassen, die Wolle der größeren Züchter an die Kriegswollbedarf-A.-G. zu übermitteln, sofern die Züchter nicht bei einer Mindestmenge von 3000 kg (laut Nachtragsbekanntmachung vom 25. April 1918) vorziehen, ihre Wolle der Kriegswollbedarf-A.-G. direkt anzubieten. Die Großhändler dürfen nur noch Mengen von mindestens 10 000 kg der Kriegswollbedarf-A.-G. anbieten und die Schafhalter nur noch Mindestmengen von 3000  kg. Vorher waren die vorgeschriebenen Mindestablieferungsmengen geringer gewesen. Mit ihrer Erhöhung glaubte man die unlauteren Elemente eher ausschalten zu können. Die Bestellung von Großaufkäufern und die Erhöhung der Mindestmengen vereinfacht den Verkehr mit den Wäschereien und gestattet Ersparnisse beim Waschen der Wolle. Die Bezirksaufkäufer sind von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung zum Ankauf beschlagnahmter Wolle aus dem Besitz von Kleinzüchtern, worunter Schafhalter mit weniger als 30 Schafen verstanden werden, bestimmt. Zwischen der Kriegswollbedarf-A.-G. und den Bezirksaufkäufern bestehen vertragliche Abmachungen. Die Bezirksaufkäufer beziehen ein festes Gehalt. Sie sind verpflichtet, im Benehmen mit den zuständigen Kriegsamtsstellen und der Kriegswollbedarf-A.-G. Sammelstellen für das Sammeln der Wolle aus dem Besitze der Kleinzüchter einzurichten. Im übrigen sollen auch die Einrichtungen landwirtschaftlicher Handelsgesellschaften, Raiffeisenorganisationen usw. als Sammelstellen benutzt werden. Der Bezirksaufkäufer schätzt an den vorher anzusetzenden Abschätzungsterminen die Wolle ab und veräußert sie im Rohzustand an die Kriegswollbedarf-A.-G. zu den Abschätzungspreisen. Die Bewertung der Wolle soll gerecht, wenn nicht sogar „entgegenkommend“ sein. Durch die Bestellung von nicht an niedrigen Preisen interessierten Aufkäufern will man ja gerade eine vermehrte Wollablieferung erreichen und den Schleichhandel mit Wolle verdrängen. Die Bezirksaufkäufer sind verpflichtet, zu den Abschätzungen auf den Sammelstellen jeweils einen Vertreter der Kriegsamtsstelle, der zuständigen

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Landwirtschaftskammer, der zuständigen Ortspolizeibehörde sowie auch der Kriegswollbedarf-A.-G. zuzulassen. Eine Monopolstellung haben die beauftragten Händler nicht. Trotz der amtlichen Bestellung von Händlern ist die Veräußerung der Wolle an freie Händler nach wie vor erlaubt. Man will die Ablieferung der Wolle fördern und hütet sich, in alte Handelsgewohnheiten zwangsmäßig einzugreifen. Nur der Schlußscheinzwang wird zum Zwecke der Ablieferungskontrolle eingeführt. Das neue System bürgert sich erst allmählich ein, weshalb bis zum Ausbruch der Revolution ein abschließendes Urteil darüber nicht möglich ist. Man weiß aber, daß die Organisation sehr teuer arbeitete. Die abzuliefernden Mengen waren im Vergleich zu dem großen Apparat, der für die Ablieferung eingesetzt war, zu klein. Einige Worte noch über die Bedeutung der Genossenschaften in der Kriegswollwirtschaft. Wollverwertungsgenossenschaften der Landwirtschaft mit dem Zwecke, den Wollhandel auszuschalten, traten anfangs besonders in Süddeutschland auf den Plan. Die Landwirte hatten größeres Vertrauen zu ihren Genossenschaften als zu den aufkaufenden Händlern. Die Wollverwertungsgenossenschaften haben eine große Verbreitung im Kriege gefunden. Trotz ihrer guten Leistungen erreichten sie jedoch ihre Gleichberechtigung mit dem „Einzelhandel“ erst nach langen Kämpfen.

Preisbewegung und Preispolitik bei Baumwolle In der Entwicklung der Baumwollpreise und der Baumwollpreispolitik kann man drei Stadien unterscheiden: die Preisentwicklung in der Zeit der freien Baumwollwirtschaft, die Preisentwicklung und Preispolitik vom Beginn der Mengenverfügungen bis zur Höchstpreisfestsetzung und als letztes Stadium die Zeit der gebundenen Baumwollpreise. Das erste Stadium endet im Sommer 1915 und das zweite Stadium im Frühjahr 1916, wo die Höchstpreisfestsetzung eintritt.

1 Die Zeit der freien Baumwollwirtschaft26 Auch bei Baumwolle fällt der Kriegsausbruch ungefähr in die Zeit des Übergangs von der alten zur neuen Ernte. Die Handelsvorräte Bremens sind allerdings weit höher

26 Für einzelne Stellen dieser Untersuchungen kam mir ein Vortrag des Geschäftsführers des Kriegsausschusses der Deutschen Baumwollindustrie, Hofrat Dr. Erhard Büttner, gehalten in der Wissenschaftlichen Kommission des Kriegsministeriums, besonders aber die dankenswerten Abhandlungen von Rechtsanwalt Dr. Rudolf Isay in den Akten des Reichsarchivs und mündliche Mitteilungen des früheren Baumwollreferenten des R.K.A. Leutnant d. L.K. Hardt zustatten. In der Hauptsache beruht dagegen auch diese Abhandlung auf den Originalakten des Kriegsministeriums, Besprechungen und persönlichen Beobachtungen.



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als am Saisonende früherer Jahre, im Vergleich zum Höchststande der Saison aber nahezu auf die Hälfte gesunken. Im Gegensatz zur Wolle fehlt jede Eigenproduktion an Baumwolle im Lande. Der Heeresbedarf an Baumwolle aber ist verhältnismäßig gering. Auch kommt Baumwolle in erster Linie aus einem neutralen Gebiet, den Vereinigten Staaten von Amerika, verhältnismäßig wenig aus offiziellen englischen Einflußgebieten. Da Baumwolle nicht auf der Bannwarenliste steht, ist die Einfuhr aller Voraussicht nach sichergestellt. Die Verhältnisse liegen bei Baumwolle also weit günstiger als fast bei allen anderen Spinnstoffen. Eine starke Preissteigerung ist nicht zu erwarten, vielleicht aber ein Preisrückgang. In den letzten Tagen des Juli ist infolge der allgemeinen Marktderoute der Baumwollpreis stark gesunken. Mit Kriegsausbruch wird der offizielle Verkehr an den großen Baumwollbörsen, auch in Bremen, eingestellt. Der letzte Preis vor Kriegsausbruch an der Bremer Baumwollbörse war am 31. Juli 1914 61½ Pfg. für ½ kg amerikanische Middlingbaumwolle27. Am 4. August tritt England in den Krieg ein. Am 5. August ist im freien Verkehr eine Preissteigung von ein paar Pfennigen zu bemerken. Die Preissteigung bleibt aber bis Ende September in engen Grenzen. Ohne erst den Grund dieser Preissteigung in der Erkenntnis irgendwelcher Zukunftsmaßnahmen zu suchen, erklärt sie sich schon daraus, daß ein Teil der für Deutschland bestimmten Baumwolle in Antwerpen festliegt, die Zufuhr gering und die Bedarfsentwicklung unbekannt ist. Am 25. September kostet Baumwolle 68 Pfg. Damit ist der Preis wieder auf die Höhe gestiegen, von der die Kriegsfurcht in den letzten Tagen vor Kriegsausbruch die Preise sinken ließ, also an sich eine häufig beobachtete Markterscheinung von Aktion und Reaktion. Allerdings hat England schon in der zweiten Hälfte August erklärt, daß die bekannte Londoner Seerechtsdeklaration einige Zusätze und Abänderungen erfahren würde. Diese Ergänzung kommt am 21. September 1914. Nach ihrem Wortlaut kann sie dahin ausgelegt werden, daß England auch Baumwolle als Bannware behandeln will28. Inzwischen hat der Baumwollhandel einen Teil seiner Vorräte Für die wissenschaftliche Quellenforschung sei darauf hingewiesen, daß im Jahre 1920 das Buch „Geschichte des Kriegsausschusses der deutschen Baumwollindustrie“, bearbeitet von Prof. Dr. W. F. Bruck, im Auftrage des Kriegsausschusses der deutschen Baumwollindustrie erschien. Bruck war bis August 1915 Referent für die Kriegsbaumwollwirtschaft des R.K.A. Die Abhandlung „Preisbewegung und Preispolitik bei Baumwolle“ lag wie die meisten anderen Abhandlungen bei Kriegsende oder kurze Zeit später fertig vor. Der Verfasser hat aber Gelegenheit genommen, für die Zeit, in der Prof. Dr. Bruck in der R.K.A. tätig war (bis August 1915), an einigen Stellen Ergänzungen zu machen. Soweit dies geschehen ist, ist besonders darauf aufmerksam gemacht. 27 Middling ist die Basismarke im Handel mit amerikanischer Baumwolle. Die Preisentwicklung im einzelnen zeigt das dankenswerterweise im Kriege geschaffene Deutsche Baumwollhandbuch von R. C. Stempel, Bremen. 28 Die offizielle Erklärung der Baumwolle als Kriegsbannware erfolgt erst am 22. August 1915, und zwar mit der Begründung, daß Baumwolle bei der Pulverherstellung Verwendung finde. Daraufhin erfolgt ein „Riesenauftrag“ des deutschen Baumwollgewerbes nach den Vereinigten Staaten von nahezu 1 Million Ballen zu einem Anreizpreise von 15 Cts. frei Bremen. Bekanntlich kam der Auftrag nicht zur Ausführung.

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umgesetzt. Spekulanten, welche diese Baumwolle gekauft haben, bringen die Ware zu höheren Preisen wieder auf den Markt. Sie wollen verdienen und verdienen wirklich; denn die Unsicherheit der Zufuhrverhältnisse, verstärkt durch Ausfuhrverbote der Neutralen, lassen den Baumwollpreis stark ansteigen. Die Eroberung Antwerpens mit seinen großen Baumwollbeständen am 9.  Oktober 1914 kann die Preissteigung nicht aufhalten. Der Baumwollpreis erfährt im Oktober eine Steigung von 30 %. Am 1. November wird Baumwolle mit 90 Pfg. für das halbe Kilogramm Middling gehandelt. Während in Deutschland die Preise steigen, erfolgt in England und Amerika ein jäher Preissturz. Die meist ungünstigen Momente für die Preisentwicklung werden aber bald abgelöst durch günstige. Es gelingt, die Vereinigten Staaten von Amerika zu Vorstellungen bei England wegen der Bannwarenliste zu veranlassen. Der englische Botschafter erklärt, daß Baumwolle auf amerikanischen Schiffen nicht beschlagnahmt werde. Die Preissteigung hört auf. Vom 1.  November ab herrscht Preisstagnation. Noch macht Italien Schwierigkeiten bei der Durchfuhr. Gegen Ende des Jahres wird auch dieses Hindernis beseitigt. Am 31.  Dezember trifft auch schon das erste amerikanische Baumwollschiff in Bremen ein. Die Hauptzufuhren aber erfolgen über das neutrale Ausland (Italien, Holland, Schweden). Der Baumwollpreis beginnt zu sinken. Am 1.  Februar 1915 ist der Friedenspreisstand mit 71 Pfg. wieder ungefähr erreicht. Gelegentlich wird sogar ein Preis von 68 Pfg. genannt. Der Baumwollpreis hat damit seinen tiefsten Stand erreicht. Die Erklärung für den niedrigen Preisstand liegt in den großen Zufuhren, welche in den Monaten Januar und Februar besonders stark sind. Die Zufuhren sind größer als zu der gleichen Zeit vor dem Krieg. Wie groß der Optimismus von Handel und Industrie ist, zeigt, daß ein erstes Angebot von Beutebaumwolle durch die Heeresverwaltung zu 74  Pfg. (am 25.  Januar 1915) keine Annahme findet. Daß die Heeresverwaltung überhaupt von ihren Beständen abgeben will, daß die Industrie nicht ohne weiteres aufnahmebereit ist, zeigt deutlich die Auffassung der Lage wenige Tage vor dem großen Umschwung, der dann durch kriegerische und politische Ereignisse eintritt. Immerhin, die K.R.A. bzw. der damalige Baumwollreferent Professor Dr. Bruck ist vorsichtig genug, nur verhältnismäßig geringe Mengen zu verteilen. Das aber bringt ihm Angriffe sowohl seitens der Industrie als auch seitens der Zivilministerien, der üblichen Verteidiger des Industriestandpunktes, ein. Es gibt nicht nur damals, sondern auch noch nach der U-Bootkriegserklärung maßgebende Stellen, welche die Baumwolle an die Kriegswirtschafts-A.-G. zur freien Bewirtschaftung abgeben wollen, in der Befürchtung, auf den großen Vorräten sitzen bleiben zu können. Es wird aber auch die Frage erwogen, ob man nicht die Abtransporte von Baumwolle aus Polen einstellen solle. Obwohl sich die großen Baumwollzufuhren im Februar fortsetzen, bekommt doch der Baumwollmarkt plötzlich ein anderes Gepräge. Das Zukunftsbild für die Einfuhr hat sich geändert und kommt im Baumwollpreise zum Ausdruck. Mit Wirkung vom 18. Februar 1915 wird am 4. Februar 1915 der U-Bootkrieg erklärt. Die Entente stellt Gegenmaßnahmen in Aussicht, insbesondere die Verschärfung der Blockade. Die



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direkte Baumwollzufuhr hört allmählich auf. Die Kontrollmaßnahmen Englands bei den Neutralen werden schärfer. Einen Tag vor der U-Bootkriegserklärung haben noch Sachverständige für den Versuch einer zweiten Zuteilung von Beutebaumwolle den allerdings sehr niedrigen Preis von 66 Pfg. festgesetzt. Am 10. Februar steigt der Baumwollpreis auf 74 Pfg. Der Preis steigt trotz der jetzt noch großen Zufuhr und trotz großer Bestände an Beutebaumwolle. Der Preis steigt im Monat März auf 85 Pfg. Bei einer in der zweiten Hälfte März stattfindenden Auktion von Beutebaumwolle werden 82 Pfg. als Mindestpreis festgesetzt. Dieser Preis wird aber stark überboten. Im Monat April aber bleibt der Preis auf 85 Pfg. stehen. Die Industrie ist gesättigt. Im Mai ändert sich das Bild noch einmal. Italien erklärt in der zweiten Hälfte des Monats Mai den Krieg an Österreich. Ein Hauptzufuhrweg für Baumwolle ist damit abgeschnitten. Der Baumwollpreis, welcher seit Anfang Mai wieder steigende Tendenz hat, hebt sich Ende Mai auf 103 Pfg. und bis Ende Juni auf 148 Pfg. Der Unterschied von nahezu 50 % nach einem Monat zeigt die beschleunigte Preissteigung nach der Kriegserklärung Italiens. Ende Juli 1915 geht der Preis auf 165 Pfg. Daß der Baumwollpreis nicht noch weit stärker steigt, auch dann nicht, als die Zufuhr an Baumwolle beinahe ganz abgeschnitten ist, erklärt sich aus dem günstigen Ergebnis, welches eine im Mai 1915 stattgefundene Bestandsaufnahme zeitigt. Die privaten Baumwollbestände bewegen sich noch auf derselben Höhe wie bei Ausbruch des Krieges. Die in den Händen der Heeresverwaltung befindliche Beutebaumwolle erhöht sogar die Gesamtbestände weit über den Stand bei Kriegsausbruch. Die verminderte Preissteigung im Monat Juli ist dagegen schon auf eine bevorstehende Beschlagnahme der Rohbaumwolle zurückzuführen. Etwas anders als der Rohbaumwollpreis bewegt sich der Baumwollgarnpreis. Im Juli 1914 waren die Garnpreise etwas gesunken, aber nicht so stark wie bei Rohbaumwolle. Dafür dauert die Preissenkung bei Baumwollgarnen bis Mitte August noch um einige Pfennige an, als Rohbaumwolle schon wieder im Preise steigt. Dann setzt auch bei Baumwollgarnen die Preissteigung ein und dauert bis in die zweite Hälfte Dezember, wo etwas früher als bei Rohbaumwolle der Preis zu sinken beginnt. Das dauert bis Anfang März, wo der Rohbaumwollpreis bereits stark angezogen hat. (Während aber der vorausgegangene Rückgang des Baumwollpreises ungefähr 23 % beträgt, ist der Preisrückgang bei Baumwollgarnen nur 12—15 %.) Einen Monat später als beim Rohbaumwollpreis setzt dann auch bei Baumwollgarnen die Preissteigung ein, welche bis zu den ersten Mengenverfügungen und darüber hinaus dauert. Bis zum 1. Juni 1915 ist der Baumwollgarnpreis um 60 % gestiegen, der Rohbaumwollpreis um 100 %29. Der Baumwollgarnpreis läuft also analog anderen Fabrikatpreisen bei gleichen Umständen nicht parallel, sondern läuft nach. Preissteigen und Preissinken setzen 29 Eine schnellere Preissteigerung haben Linters durchgemacht. Eine Linterssorte, welche zu Beginn des Krieges 30 M die 100 kg kostete, wurde Ende November 1914 bereits bis zu 85 M gehandelt. Im Februar 1915 erfolgte ihre Beschlagnahme. Diese schnellere Preissteigung der Linters ist vornehmlich auf den dringlicheren Verwendungszweck von Linters, die Pulverherstellung, zurückzuführen.

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in der Regel später ein und hören später auf. Die geringere Beweglichkeit bei der Industrie läßt die Preisspitzen des Rohstoffes nach oben und nach unten dann nicht erreichen, wenn das preissteigernde bzw. preissenkende Moment nicht in erster Linie beim Fabrikat, sondern beim Rohstoff liegt. Nach den Auffassungen der Vorkriegszeit ist die Preissteigung der Rohbaumwolle auf das Doppelte am Anfang Juni „enorm“. Die K.R.A., welche täglich Meldungen über den Baumwollpreisstand aus Bremen erhält, ist über die Preisentwicklung genau im Bilde. Einzelne Interessierte halten Beschlagnahme und Höchstpreisfestsetzung schon seit langem berechtigt. Da Höchstpreise ohne Beschlagnahme die Ware vom Markt verschwinden lassen, muß die Beschlagnahme den Höchstpreisen vorausgehen. Die K.R.A. sieht jedoch von einer Beschlagnahme ab, um dadurch nicht den Kriegsbedarfscharakter der Baumwolle zuzugeben, bzw. England nicht in seiner Blockadepolitik zu bestärken. Bald nach Einsetzung des U-Bootkrieges, besonders aber nach der Kriegserklärung Italiens, ändern sich die Verhältnisse vollkommen. Baumwolle kommt nach Italiens Eintritt in den Krieg nur noch in verhältnismäßig geringen Mengen herein. Auch tritt Baumwolle mehr und mehr als Ersatzstoff für Wolle, Jute, Flachs usw. in Erscheinung30. So wäre es denn nunmehr nach den Erfahrungen, welche man bei anderen Rohstoffen gemacht hatte, an der Zeit gewesen, Baumwolle im weitesten Umfang zu beschlagnahmen und Höchstpreise dafür festzusetzen. Das geschieht nicht.

2 Der Einfluß der Mengenverfügungen auf die Preisentwicklung und die Höchstpreise Im Mai und Juni befaßt sich die K.R.A. mit einem Wirtschaftsprogramm für Baumwolle. Nach Bruck ist von ihm und dem späteren Geschäftsführer des Kriegsausschusses der deutschen Baumwollindustrie Dr. Büttner schon damals die Bewirtschaftung der Baumwolle in Aussicht genommen. Als Voraussetzung aber erscheint ihnen die Zusammenfassung des Bedarfs und der Bedarfsdeckung, die Einigung der so sehr zersplitterten Industrie und ihre Zusammenschweißung zu einer Zentralorganisation. Letztere erfolgt am 1. Juli. Der Einführung der Zwangswirtschaft in der Baumwollindustrie widersetzen sich energisch Industrie und Zivilministerien. In einer am 3. Juni 1915 stattfindenden Sitzung einigte man sich schließlich auf eine bloße Einschränkung der Herstellung von Baumwollstoffen des Privatbedarfs durch ein Webverbot. Die Industrie fordert für dessen Durchführung eine angemessene Übergangszeit für ihre Umstellung. Dement30 Daß die Ersatzfrage Baumwolle als Gegenstand des Heeresbedarfs schon in den ersten Monaten 1915 in ein anderes Licht rückt, und deshalb den maßgebenden Stellen geläufig war, zeigt eine Denkschrift von Prof. Niemer vom B.B.A. (Februar/März 1915) in den Akten der Wissenschaftlichen Kommission.



Preisbewegung und Preispolitik bei Baumwolle 

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sprechend verkündet die K.R.A. das sog. Herstellungsverbot (Webverbot) bereits Ende Juni mit Inkrafttreten erst am Anfang August. In dieser Übergangszeit entwickelt die Industrie eine fieberhafte Tätigkeit in der Herstellung solcher Stoffe, welche unter das Herstellungsverbot fallen sollen. Man arbeitet teilweise mit Tag- und Nachtschicht. Mengenpolitisch wird die frühzeitige Ankündigung des Herstellungsverbots zu einem großen Fehlschlag. Die preisliche Wirkung ist die, daß die Preise infolge der Hochkonjunktur stark ansteigen. Das Herstellungsverbot selbst kommt nur zu einer teilweisen Auswirkung. Bevor es noch in Kraft tritt, erscheint unter dem großen Druck der Industrie und der interessierten Bundesstaaten, besonders Sachsens, das infolge des Herstellungsverbotes Arbeiterunruhen befürchtet, eine erste Ausnahmebewilligung, welche den mengenpolitischen Wert des Herstellungsverbotes beträchtlich mindert. Das Herstellungsverbot wird im August 1915 ergänzt durch das sog. Spinnverbot für Rohbaumwolle mit der gleichzeitigen Ankündigung der Beschlagnahme der nicht bis zum 28. August 1915 an einen Verarbeiter abgelieferten Rohbaumwolle. Die Veräußerung von Rohbaumwolle von Verarbeiter zu Verarbeiter ist nach wie vor erlaubt, ebenso die Veräußerung von Garnen frei oder gegen Belegschein. Höchstpreise sind mit dieser Verfügung nicht verbunden. Im Dezember wird ein Teil der Baumwollabfälle beschlagnahmt, erst im Frühjahre 1916 erfolgt die Gesamtbeschlagnahme; dann erst erfolgt auch die Festsetzung von Höchstpreisen. Die K.R.A., soweit sie sich bis Mitte 1915 überhaupt mit der Preisfrage befaßt hatte, nimmt an, daß die Einschränkung in der Verarbeitung und in der Verwendung auch einen Stillstand in der Preisentwicklung herbeiführen würde. Man glaubt, daß die Beschränkung der Industrie fast ausschließlich auf Arbeit für Heereszwecke relativ so wenig Material beanspruchen würde, daß die Preise für das in der Verwendung beschränkte Material eher sinken als steigen würden. Die K.R.A. sieht sich darin getäuscht. Daß ihre Erwartungen nicht zutreffen, erklärt sich z. T. aus dem Druck der Preissteigung des freigebliebenen Materials auf die Preisentwicklung des auf die Verwendung für den Heeresbedarf beschränkten Materials, dann aber auch aus Gründen der Spekulation, der Arbeiterbeschaffung u. dgl., sowie aus dem Fehlen einer zentralen Beschaffung. Bei Garn zeigt sich in der Kalkulation für die Heeresfabrikate mehr und mehr die Tendenz in der Industrie, die später gezahlten höheren Preise für Rohbaumwolle für alle zu verarbeitenden Mengen Rohbaumwolle im Garnpreis in Ansatz zu bringen, obwohl die weitaus größten Mengen Rohbaumwolle zu weit niedrigeren Preisen gekauft sind. Bei Rohbaumwolle möchte man annehmen, daß sie mit der Verwendungsbeschränkung ihre eigene Preisentwicklung vollkommen aufgibt und in ein starres Verhältnis zum Fabrikatpreis tritt. Tatsächlich aber steigt der Preis nach der Überführung der Rohbaumwolle aus dem Handel in die Industrie bis zum Frühjahr 1916 noch um 40 Pfg. für das Kilogramm. Die Preissteigung ist möglich, weil die Veräußerungsmöglichkeit nach wie vor gegeben ist, ohne daß Höchstpreise festgesetzt sind, und ohne daß die Zentralisation der Beschaffung völlig durchgeführt ist.

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 Preise und Unternehmergewinne

Ein Teil der Baumwollgarne ist aber überhaupt freigeblieben von der letzten Verfügungsbeschränkung. Diese sog. belegscheinfreien Garne unterliegen nur dem „Herstellungsverbot“. Daneben gibt es noch die sog. „verwendungsfreien Garne“, das sind freie Beutegarne, Auslandgarne31 usw., welche überhaupt keiner Verfügungsbeschränkung unterliegen. Mit der Teilbeschlagnahme im August 1915 beginnt eine völlig auseinanderlaufende Preisentwicklung für beschlagnahmte Baumwollgarne einerseits und freie Baumwollgarne anderseits. Sog. Belegscheingarne, also beschlagnahmte Baumwollgarne, steigen vom Herbst 1915 bis zur Höchstpreisfestsetzung von 3,30 M auf 3,40 M Mittelsorte. Für verwendungsfreie Baumwollgarne gleicher Sorte wird gelegentlich einer Einschreibung der Baumwollgarnabrechnungsstelle im September 1915 3,45 M für das Kilogramm gezahlt. Im Oktober 1915 ist der Preis 4,20 M, im November 1915 5 M, im Dezember 1915 5,65 M. Im Januar 1916 wird bereits ein Preis von 8  M, im Februar 1916 von 9,50  M gezahlt und kurz vor der Höchstpreisfestsetzung ist der Durchschnittspreis für verwendungsfreie Garne auf 10—11 M, also auf das Drei- bis Vierfache seit der Beschlagnahme gestiegen. Im April 1916 wird der Kreis der verwendungsfreien Garne noch enger gezogen. Verwendungsfreie Garne, jetzt wohl in der Hauptsache Auslandgarne, steigen damit Ende April 1916 auf 20 M bis 23 M. Eine Milderung der Preisentwicklung tritt ein infolge der von der K.R.A. veranlaßten Wucherbekämpfung bei Auslandgarnen durch die Generalkommandos auf Grund des Wuchergesetzes und der Kettenhandelsverordnung. Aufzuhalten ist die Preissteigung aber nicht. Im September 1916 werden für verwendungsfreie Garne ca. 40 M für eine Qualität bezahlt, welche im Frieden 2 M kostete. Und im Januar 1917 wird der Preis von 50 M für das Kilogramm genannt. Zeigt die Verfügungsbeschränkung für Rohbaumwolle und Baumwollgarne noch z. T. unumgängliche Lücken, so bleiben Baumwollabfälle und Abfallgarne von der August-Beschlagnahme überhaupt frei. Beschlagnahmt werden trotz besserer Erkenntnis der K.R.A. und des Geschäftsführers des Baumwollkriegsausschusses (Dr. Büttner) unter dem Widerstande der Industrie nur die sog. Baumwollabgänge (Spinnwickel u. dgl.). Für die sog. Abfälle, wie Stripse, Kämmlinge usw. dagegen steigt der Preis „rapide“. Abfälle, für welche im Frieden einige Groschen und im August 1915 1,70 M und 2 M bezahlt werden, kosten im Dezember 1915 3,50 M und im Januar 1916 4 M, bis 4,50 M für das Kilogramm. In der ersten Hälfte des Dezember werden Stripse und Kämmlinge beschlagnahmt. Der dadurch verkleinerte Kreis der freien Abfälle steigt um so schneller. Und als im April 1916 Webereikehricht als letzter Abfall freibleibt, steigt dieser sofort nach der Beschlagnahme aller anderen Abfälle in noch weit stärkerer Progression als vorher. Es hieße in eine kritische Prüfung aller Maßnahmen der K.R.A. in der Baumwollwirtschaft eintreten, unter voller Würdigung der Schwierigkeiten bei Erlaß von Verfü31 Als Auslandgarne bezeichnet man die nach dem 15.  Juni 1915 aus dem Ausland eingeführten Garne und solche Garne, welche aus Baumwolle, die nach dem 15. Juni 1915 eingeführt worden ist, hergestellt sind.



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gungen, welche zahlreiche Existenzen, insbesondere eine so große Arbeiterzahl, wie die der Baumwollindustrie betreffen, um ein klares Bild über etwa verkehrte Maßnahmen oder Unterlassungen zu bekommen. Das ist aber nicht nur mit großen Gefahren einer ungerechten Beurteilung verbunden, sondern kann auch nicht der Zweck einer Untersuchung über die Preisentwicklung und Preispolitik sein. Einige allgemeine Bemerkungen müssen hier genügen. Die K.R.A. hatte zweifellos in der Baumwollwirtschaft den großen Vorteil, infolge der lang anhaltenden Zufuhren von Baumwolle, bei anderen Stoffen, deren Bewirtschaftung weit früher notwendig geworden war, zu lernen. Andrerseits war gerade die Baumwollindustrie mit ihrer starken Differenzierung, mit ihrem jungen Unternehmertypus schwer beherrschbar. Erschwerend gegenüber Flachs und Wolle ist weiter, daß Baumwolle im eigenen Lande nicht nachwächst. Diese Nichtvermehrbarkeit der Baumwolle im eigenen Lande legte andrerseits ein schnelles Zufassen von vornherein nahe. Der große Fehler in der Baumwollwirtschaft ist denn auch, daß nicht sofort mit der Kriegserklärung Italiens oder schon früher weitgehende Sicherungsmaßnahmen, wenigstens vorbereitender Natur getroffen werden. Hierher rechnet sowohl ein früheres Einsetzen des Kriegsausschusses der deutschen Baumwollindustrie und damit die Anbahnung einer geregelten Vergebung der Heeresaufträge als auch die rechtzeitige Beschlagnahme. Daß diese Maßnahmen, die von der Heeresverwaltung sehr wohl erwogen, aber bei der Abneigung von Handel und Industrie und auch der Zivilministerien nicht durchgeführt werden, als Italien in den Krieg eintritt, erklärt ein gut Teil der weiteren Verzögerungen. Daß man dann nicht spätestens im Herbst 1915 eine alles umfassende Maßnahme auf dem Baumwollgebiet trifft, begründet man z. T. mit der mit einer Beschlagnahme (gerade vor dem Winter) verbundenen Betriebseinschränkung. Aber ebenso wie für die Freilassung der Abfälle, die man nachträglich nach außen hin auf die Notwendigkeit, ihre Verwendung zu fördern, zurückführt, ist der Widerstand der Industrie in beiden Fällen ausschlaggebend. Die K.R .A. will, die Industrie will nicht , die K.R .A. gibt nach. Das ist der Gang der Baumwollwirtschaft des Jahres 1915. Inwieweit die Nachgiebigkeit der K.R.A. über das notwendige Maß hinausgeht, inwieweit diese Nachgiebigkeit Folge von Drohungen seitens der Industrie ist, Folge auch von Beeinflussung durch Zivilstellen, darunter auch des Reichsamts des Innern, Folge schließlich auch des anfänglich noch zu großen Vertrauens zur Unternehmerschaft seitens aller beteiligten Stellen, muß hier eine offene Frage bleiben, eine Frage, die ganz nie geklärt werden dürfte. Eines allerdings steht fest, die K.R.A. hat in anderen mengen- (weniger in den preis-) politischen Fragen häufig durchgegriffen, waren die Widerstände auch noch so groß. Die unbedingte Durchführung des als notwendig Erkannten läßt die Baumwollwirtschaft, besonders aber im Herbst 1915, vermissen. Für die Preispolitik bedeutet die Verzögerung der Ganzbeschlagnahme eine Verzögerung der Höchstpreisfestsetzung für das nicht beschlagnahmte Material, um nicht Preise festzusetzen für etwas, dessen Freizügigkeit und Verarbeitungsmöglichkeit fortbesteht. Immerhin fragt man sich, weshalb man dem Höchstpreisgedanken ganz

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 Preise und Unternehmergewinne

allgemein sowenig Beachtung schenkt. Die Festsetzung von Höchstpreisen an und für sich ist recht schwierig; weniger jedoch für die Rohbaumwolle als für die Baumwollgarne. Bei Baumwollgarnen ist die Sortenzahl außerordentlich groß. Verschiedenheit der Nummer, der Farbe usw. bei Baumwollgarnen führen hier zu einer Differenzierung der Preise, wie man sie bei anderen Garnsorten nicht im gleichen Maße kennt. Die Schwierigkeiten der Höchstpreisfestsetzung für Baumwollgarne werden dadurch am besten durch die Tatsache illustriert, daß z.  T. die gleiche Garnnummer, wenn sie bei verschiedenen Firmen hergestellt war, verschiedene Preise hat. Man ist denn auch im allgemeinen der Meinung, daß die Festsetzung von Höchstpreisen für Baumwollgarne nicht möglich sei. Anders bei Rohbaumwolle: Schon seit überhaupt von einer Preissteigung der Baumwolle die Rede sein kann, wird die K.R.A. von verschiedenen Seiten um Festsetzung von Höchstpreisen ersucht. Derartige Schreiben laufen erstmals zur Zeit der Preissteigung im Oktober 1914 ein und mehren sich nach der Kriegserklärung Italiens. Die K.R.A. nimmt von diesen Gesuchen vorerst „dankend Kenntnis“. Ein Schreiben an die K.R.A. vom August 1915, also nachdem die Beschlagnahme die Preissteigung bei Baumwolle stark vermindert hat, enthält auch die Forderung auf Festsetzung von Höchstpreisen für Baumwollgarne, „denn die Gewinne, welche die Spinnereien an ihren Vorräten haben, sind enorm hoch“. Diesen vereinzelten Anregungen zur Festsetzung von Höchstpreisen steht die ablehnende Haltung des größten Teiles der Baumwollindustrie gegenüber. Diejenigen, welche „Höchstpreise wollten“, so sagte mir gelegentlich ein ausgezeichneter Kenner dieser Verhältnisse, „lagen ‚schief‘. Sie hatten verkauft und sich nicht neu eingedeckt. Neun Zehntel der Industrie wehrte sich gegen Höchstpreise“. Im Oktober 1915 geht ein dringender Appell des Bekleidungsbeschaffungsamtes an die K.R.A., mit Rücksicht auf die bevorstehenden großen Vergebungen in Baumwollstoffen in die Preissteigung der Baumwollgarne einzugreifen. Das B.B.A. hält allerdings „einen Eingriff durch Höchstpreise mit Rücksicht auf die Vielgestaltigkeit der Fabrikate fast unmöglich. Dagegen wäre es möglich, mit Hilfe der in der Hand der K.R.A. befindlichen Garn- und Rohbaumwollmengen die Preise baumwollener Garne in vernünftigen Grenzen zu halten“. Die K.R.A. bringt denn auch Ende Oktober 1915 zum Ausdruck, daß sie „der dauernden Preissteigerung der Baumwollgarne durch Verteilung größerer Mengen von Beutegarnen, evtl. auch durch Lohnspinnerei, begegnen zu können glaubt“. Wie früher erwähnt, hatte die K.R.A. mit Einsetzung der ersten Mengenverfügungen geglaubt, daß die Beschränkung auf die Heeresarbeit eine Preissteigung verhindern würde. Jetzt versucht sie, durch eine Verstärkung des Angebots den Preis zu beeinflussen. Beide Mittel sind in ihrer Wirkung beschränkt. Im Dezember 1915 denkt denn auch die K.R.A. ernstlich an Höchstpreise. Sie sollen gleichzeitig mit der Vollbeschlagnahme der Baumwolle in Kraft treten. Dr. Büttner, der erfolgreiche Geschäftsführer des Kriegsausschusses der deutschen Baumwollindustrie, schlägt Mitte Dezember 1915 auch schon vor, einen Hinweis auf kommende Höchstpreise in der Presse zu bringen, um die Spekulation zu dämpfen. Diese Pressenotiz erscheint im Januar 1916.



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Eine erste Besprechung über die Einführung von Höchstpreisen findet mit einem kleinen Kreise von Spinnern und Spinnwebern im Januar 1916 statt. Wie bereits bei Wolle gezeigt wurde, wendet sich der Spinner gegen die Festsetzung von Höchstpreisen, was auch in dieser Sitzung lebhaft zum Ausdruck kommt. Mitte Februar findet dann eine erweiterte Ausschußsitzung des Kriegsausschusses der deutschen Baumwollindustrie statt. Die Spinner protestieren nach wie vor; die wenigen anwesenden Weber halten mit ihrer Meinung zurück. Die K.R.A. aber läßt sich nun nicht mehr beirren. Höchstpreise werden durch die Bekanntmachung W. II. 1800/2. 16. KRA. vom Februar 1916 mit Wirkung vom 1. April 1916 für Rohbaumwolle und Baumwollabfälle sowie für Baumwollgarne und Abfallgarne festgesetzt. Gleichzeitig erfolgt die fast restlose Beschlagnahme. Die spekulative Baumwollindustrie wird in Menge und Preis gefesselt wie die anderen. Ein Sturm der Entrüstung bricht aus. Man fordert die Aufhebung der Höchstpreisverordnung und wendet sich mit dieser Forderung an den Stellv. Kriegsminister selbst. Der große Fehler, den man in der Mengen- und Preispolitik für Baumwolle gemacht hat, tritt in Erscheinung. Die chaotische Preisentwicklung, welche die Baumwolle seit den ersten Mengenverfügungen im Juli/August 1915 genommen hat, kommt zum Ausdruck. Der Abfallstoff ist teurer geworden als der Hauptstoff, der Rohstoff ebenso teuer wie das Fabrikat aus demselben Material. Freie Abfallgarne kosten fast das Doppelte guter Hauptgarne. Die Wertrelation zwischen Rohstoff und Fabrikat, zwischen Hauptstoff und Abfallstoff ist in der Preisrelation völlig verlorengegangen. Die Preisrelation steht im umgekehrten Verhältnis zur Wertrelation. Preisrelation und Wertrelation sind wieder in Einklang zu bringen in den Höchstpreisen. Das ist aber nur möglich unter Schädigung des einzelnen. Als Grundlage für die Höchstpreisfestsetzung hatte gedient der Preis für amerikanische Middling-Baumwolle von 2,60 M für das Kilogramm. Dieser Preis war bereits Mitte Juni 1915 bezahlt worden. Er entsprach dem doppelten Preis der Vorkriegszeit. Man nahm an, daß dieser Preis nicht zu niedrig bemessen sei, weil zur selben Zeit Baumwolle im Garnpreis auf Grund von Vorräten zu alten Preisen erst mit 2 M angesetzt war. Den Garnpreis (Preis für beschlagnahmte Garne) hatte man bei der Errechnung des Rohbaumwollpreises in Betracht gezogen. Bis zur Beschlagnahme war der Baumwollpreis noch beträchtlich gestiegen. Ende Juli 1915 hatte man für Baumwolle 3,30  M bezahlt, im Beschlagnahmemonat August war dann der Preis auf 3,20 M zurückgegangen, um im ersten Halbjahre nach der Beschlagnahme bis auf 3,60  M zu steigen. Von der Veräußerungserlaubnis von Verarbeiter zu Verarbeiter nach der Beschlagnahme hatte man vielfach Gebrauch gemacht. Einzelne Betriebe hatten infolge Stillegung ihre Vorräte abgegeben. Andere Betriebe hatten Baumwolle zur notwendigen Ergänzung ihrer Bestände beschafft, sei es aus fabrikationstechnischen Gründen, sei es, um ihre Arbeiter weiterzubeschäftigen. Auch war Baumwolle aus spekulativen Gründen erworben worden. Die Eigentümer dieser Baumwolle forderten eine Heraufsetzung des Höchstpreises, unterstützt oder doch aus guten Gründen nicht bekämpft von allen denen, welche Baumwolle zu

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den höchsten Preisen nicht erworben hatten. Baumwollgarne erforderten nach den Angaben der Industriellen infolge der allmählich eingetretenen Einschränkung in der Erzeugung auf 20—30 % der im Frieden verarbeiteten Rohstoffmenge einen Kriegszuschlag auf den üblichen Spinnlohn von 200 %. Die K.R.A. setzt den Zuschlag auf nur 110 % fest und gibt dafür folgende Begründung: „Würde die Heeresverwaltung nach geschäftlichen Erwägungen verfahren, so würde sie die Möglichkeit haben, ihre Aufträge auf einige Werke — 20 bis 30 der größeren würden dazu ausreichen — zu vereinigen und diese damit voll beschäftigen. Diese Werke würden dann gegenüber den Friedensherstellungskosten nicht einen Zuschlag von 200 %, sondern nur vielleicht von 10—20  % benötigen. Bringt also die Heeresverwaltung ein erhebliches finanzielles Opfer zur Aufrechterhaltung möglichst zahlreicher Betriebe, so muß das gleiche auch von den dadurch in ihren wirtschaftlichen Interessen geförderten Unternehmungen verlangt werden.“ Die Industrie soll Opfer bringen. Es tritt aber in Erscheinung, was bei den vielen Unregelmäßigkeiten in der Preisgeschichte des Krieges zu ihren Merkwürdigkeiten rechnet: der scheinbar nur unter Opfern der Industrie mögliche Garnhöchstpreis ist noch etwas höher als der Preis, welcher seit einiger Zeit im freien Handel bezahlt wird. Der niedrigere Preis wird sogar dann noch von Firmen bezahlt, als der Höchstpreis gegen den Willen der Industrie schon in Kraft gesetzt ist. Die Grundlagen der Preisfestsetzung sind also offenbar, sieht man vorerst von allen anderen Notwendigkeiten ab, nicht ganz richtig, da sie gegen die „gesunden Kalkulationsmethoden“ der Industrie selbst verstoßen. Tatsächlich ist der zugrunde gelegte Middlingpreis von 2,60  M zu hoch. Die durchschnittlichen Gestehungskosten der Rohbaumwolle für die Spinner sind 30—40 % niedriger. Die höheren Preise der Rohbaumwolle sind häufig, jedoch nur für einen kleinen Bruchteil der Gesamtmengen bezahlt worden. Dafür befindet sich aber auch noch im Frieden gekaufte Baumwolle in den Händen der Spinner, welche für die Hälfte des in Ansatz gebrachten Höchstpreises gekauft ist. Die K.R.A. weiß das. Sie weiß aber auch, daß die billigen und die teuren Mengen ungleich verteilt sind und jede weitere Herabsetzung der Preisbasis ihr neue Schwierigkeiten und Klagen bringt, insbesondere für das bisher freie Material. Sie muß sich nahe der obersten Preisgrenze bewegen, um die Zahl der Geschädigten möglichst zu vermindern. Hier zeigt die Verspätung in der Preis- und Mengenbewegung ihre unerquicklichen Folgen32. Dennoch bleibt der Basispreis für einige Industriegruppen so niedrig, daß ihnen auch seine Erhöhung auf das Doppelte noch keinen Nutzen gebracht hätte. Das sind die Verarbeiter bisher freien Materials. Freies Material ist in allen Teilen der Baumwollindustrie gekauft worden. Besonders betroffen sind aber die Baumwollabfallindustrie, Teile der Band-, Litzen- und Posamentenindustrie und einige Luxusindustriezweige. 32 Zinsen, Lagerkosten usw. mit Rücksicht auf die erst allmählich erfolgende Abnahme der Bestände scheint bei der Festsetzung der Höchstpreise keine oder doch nur eine durchaus sekundäre Rolle gespielt zu haben.



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Nach der Beschlagnahme hatten sich diese Industriezweige auf die Abfallstoffe und den nicht beschlagnahmten Teil der Baumwollgarne gestürzt, zumal sie zum Teil nur geringe Heeresaufträge hatten. Auf die Verwendung von Abfallstoffen hatte überdies die K.R.A. immer wieder aufmerksam gemacht. Die Industrie hatte doppelte und dreifache Preise gezahlt, um freies Material zu erlangen. Es erfolgt die Beschlagnahme zu halben Preisen und darunter mit rückwirkender Kraft für bestehende Verträge. Eine Flut von Zuschriften bei der K.R.A. läuft ein. Man weist Schädigungen von 50 000 M bei kleinen Firmen und bis zu einer Viertelmillion Mark bei großen nach. Die Geschädigten sowie die Vertreter der verschiedenen Industrieverbände, der Magistrate der betr. Industriestädte, Parlamentarier aus diesen Industriegegenden, Vertreter der Bundesstaaten und Zivilministerien laufen Sturm. Der Massenandrang der Geschädigten erfordert besondere Einrichtungen für ihre Abfertigung. Die K.R.A. antwortet. Der große Teil der Baumwollindustrie als Verarbeiter längst beschlagnahmten Materials werde durch die Höchstpreise nur wenig oder gar nicht geschädigt. Auslandgarne blieben überhaupt frei. Daß die Beschlagnahme auch auf Baumwollabfälle und auf Baumwollabfallgarne usw. ausgedehnt werden würde, hätte die Industrie nach dem allgemeinen Gang der Dinge erwarten müssen. Wer trotzdem das teure Material erworben habe, habe es in der spekulativen Absicht getan, das Material noch vor einer Beschlagnahme zu verwerten. Auch sei Material als „verwendungsfrei“ gehandelt worden, was bei Nachprüfung nicht verwendungsfrei gewesen sei. Ferner habe die K.R.A. im Januar 1916 einen Hinweis in den Zeitungen gebracht, daß Baumwollhöchstpreise bevorständen. Sodann sei der Preissturz weniger eine Folge der Höchstpreisfestsetzung als der Vollbeschlagnahme, welche die Preise auch ohne behördlichen Preiseingriff automatisch auf den Stand der bereits früher beschlagnahmten Stoffe herabgedrückt habe. Die Beschlagnahme aber sei im Interesse der Kriegführung unvermeidlich gewesen. Die Industrie gibt sich nicht zufrieden. Unter Führung bekannter Industrieller bilden sich verschiedene Gruppen. Sie suchen die Einwände der K.R.A. zu entkräften. Die Industrie habe freies Material teilweise auch deshalb, um ihre Arbeiter zu beschäftigen, gekauft. Für diese soziale Maßnahme solle die Industrie nun büßen. Gerade diejenigen würden durch die Höchstpreisverordnung bestraft, welche sich dem allgemeinen Interesse und dem besonderen Wunsch der K.R.A. angepaßt hätten. Von Spekulation zu reden, sei völlig abwegig, da der außerordentlich hohe Preisstand schon seit langem keinen Anreiz mehr zur Spekulation geboten habe. (Die K.R.A. hatte gerade entgegengesetzte Erfahrungen gemacht.) Die vorherige Ankündigung der Höchstpreise hätte viel früher erfolgen können. Die verspätete Pressenotiz sei aber auch vielfach mißverstanden worden, indem die Ankündigung von „Höchstpreisen für Baumwolle und Baumwollgarne“ nicht auch die Einbeziehung von Baumwollabfällen und Baumwollabfallgarnen habe verstehen lassen, was auf den bekannten Wirrwarr in der Fachterminologie zurückzuführen ist. Auch sei der Pressehinweis nicht offiziell gewesen. Im übrigen hätte eine bessere Verbreitung der Meldung erfolgen müssen. Der Hinweis sei nicht in alle Teile der Provinz durchgedrungen, auch

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nicht auf dem Wege der Verbandsmitteilung. Die Handelskammern hätten ihrerseits bei der Verbreitung teilweise versagt. (In einzelnen Fällen mögen diese Einwände stimmen, in anderen streiten Firmen den Empfang des Rundschreibens ab, bei denen man das Schreiben gelegentlich später in den Akten findet.) Die K.R.A. lenkt ein. Sie hebt allerdings das Höchstpreisgesetz nicht auf, sie hält auch an seinen Grundlagen fest, aber sie mildert einige seiner Bestimmungen und beseitigt einige Unstimmigkeiten; sie setzt einige Preise etwas herauf, erhöht den Zwirnlohn u. dgl. m. Sie findet nach einem Kampf zwischen Spinnern und Webern auch einen Ausweg in der Frage der rückwirkenden Kraft der Höchstpreise. In zwei Nachtragsbekanntmachungen vom Mai 1916 kommen die neuen Bestimmungen zum Ausdruck. Danach mindert sich der Widerstand. Die einen haben mehr oder weniger ihr Ziel erreicht. Die anderen haben es nicht erreichen können. Als die Garnverwertungsstelle über die beschlagnahmten Bestände zu verfügen beginnt, erheben sich die Geschädigten noch einmal. Der neue Vorstoß der Industrie veranlaßt die K.R.A. zu erneuter Stellungnahme, wobei sie das ganze Höchstpreisproblem aufrollt. Folgende Gesichtspunkte kommen dabei zum Ausdruck: 1. „Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, derartige, der Natur der Sache nach komplizierte Verfügungen, wie das Spinn- und Webverbot und die Höchstpreisverordnung derart zu individualisieren, daß jedes einzelne Geschäft, für sich allein betrachtet, die daran geknüpften geschäftlichen Erwartungen erfüllt.“ 2. „Zur richtigen Beurteilung einer angemessenen Preislage muß in Betracht gezogen werden, wie sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der beteiligten Gewerbe im Durchschnitt aller Geschäfte während des Krieges gestaltet haben. Bei den meisten Zweigen der Baumwollindustrie hat der Krieg zu großen geschäftlichen Gewinnen, bei manchen sogar zur Beseitigung einer vorher bestandenen mehrjährigen Depression geführt.“ 3. „Wer in diesem Kriege Rohstoffe erwirbt, die für die Wirtschaft des Heeres in Betracht kommen, muß mit der Möglichkeit einer Beschlagnahme rechnen. Ein Kauf solcher Waren ist zwar nicht notwendig eine Spekulation im üblen Sinne, wohl aber ein gewagtes Geschäft, über dessen Risiko sich der vorsichtige Kaufmann klar sein muß.“ Industrie und Handel haben sich jedoch niemals ganz über das Vorgehen der K.R.A. beruhigen können. Bei manchen Firmen mußte man zur Enteignung der Bestände schreiten. Vor allem verstand man nicht, daß in den berechtigten Einzelfällen keine Sonderregelung möglich sein sollte. Die Schwierigkeiten für eine solche Sonderregelung sind illustrativ für die Schwierigkeiten einer gerechten Preispolitik in der Zwangswirtschaft überhaupt. Die Schwierigkeiten im vorliegenden Fall sind folgende: 1. Eine Nachprüfung der Gestehungskosten des Materials aller derjenigen, welche diese Forderung stellen, wäre notwendig. 2. Die Zahl derjenigen, welche sich geschädigt glauben oder doch von einer Nachprüfung Vorteile erhoffen, wäre außerordentlich groß.



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3. Um festzustellen, ob nicht frühere gewinnbringende Kriegsgeschäfte einen genügenden Ausgleich für die entstandenen Verluste darstellen, müßte sich die Nachprüfung auf die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens beziehen. 4. Für die Nachprüfung wäre ein Aufwand an Kräften notwendig, der gerade im Kriege nicht möglich ist und dem Erfolg nicht entsprechen würde. 5. Ob das Ergebnis der Nachprüfungen den tatsächlichen Verhältnissen entspräche, würde zweifelhaft bleiben, da Verschleierungen (z. B. durch Vorlegung alter Rechnungen) im großen Umfang möglich wären. 6. Die Versorgung des Heeres würde durch die umfangreichen Nachprüfungen gefährdet werden. Durch notwendige Enteignungen war schon bisher die Ausführung wichtiger Heeresaufträge verzögert worden. Eine solche Nachprüfung der Verhältnisse wäre aber der Industrie selbst nicht angenehm gewesen. Ein großer Spinnerverband lehnte denn auch einen entsprechenden Vorschlag ab. Wo es aber möglich ist, zeigt die K.R.A. Entgegenkommen. In besonderen Fällen gibt sie kleine Mengen ganz frei. In anderen Fällen sieht sie vorerst von einer Verfügung über die beschlagnahmten Mengen ab, um dem Eigentümer bei schnellem Kriegsende die Möglichkeit eines besseren Absatzes zu geben. Auch hilft sie sich damit, daß sie das betreffende Material für die Herstellung des von ihr kontingentierten wichtigen Zivilbedarfs zur Verfügung stellt. Entgegenkommen zeigt die K.R.A. besonders dort, wo auch in Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse eine Schädigung vorzuliegen scheint. Diese Fälle sind nicht zahlreich. In den meisten Fällen treten die Schädigungen vollkommen zurück hinter den großen Gewinnen, welche vorausgegangen sind und noch lange Zeit nachfolgen. Von der K.R.A. veranlaßte Revisionen ergeben deutlich, daß die unter großem Energieaufwand des Gewerbes vorgebrachten Klagen in Anbetracht der Gesamtlage im allgemeinen grundlos sind oder doch nur Sinn haben, wenn man sie auf den lediglich graduellen Unterschied der Schädigungen der einzelnen bezieht. Die Preispolitik bei Baumwolle wird dadurch keineswegs gerechtfertigt. Auch bleiben nachteilige Folgen wie in allen derartigen Fällen. Wenn ein Gewerbe sich in seinen vitalen Interessen durch den Staat geschädigt glaubt, wächst seinerseits die Neigung, den Staat zu schädigen bzw. sich bei passender Gelegenheit schadlos zu halten. Im Herbst 1916 und im Jahre 1917 kommen verschiedene Änderungen der Höchstpreisbekanntmachung. Sie bringen eine Preiserhöhung für neu herzustellende Baumwollgarne mit Rücksicht auf den verminderten Beschäftigungsgrad, die erhöhten Preise der Betriebsmittel und die erhöhten Löhne. Dementsprechend werden auch die Preise für Baumwollgewebe erhöht. Für die bereits bestehenden Lieferungsverträge ist nach der bestehenden Gesetzeslage ein Gnadenakt des Kaisers für die nachträgliche Preiserhöhung der Gewebe nötig. Besondere Preiserhöhungen erfahren mit

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 Preise und Unternehmergewinne

Rücksicht auf die hohen Herstellungskosten (Änderung der Maschinen usw.) und aus Anreizgründen feinere Nummern Abfallgarne, welche zum Teil in der Vorkriegszeit überhaupt nicht gesponnen worden waren. Weitere neue Preismomente ergaben sich bei den Baumwollhöchstpreisen bis Kriegsende nicht mehr.

Preisbewegung und Preispolitik bei Lumpen 1 Der deutsche Lumpenhandel33 Ein zentraler Markt besteht im Gegensatz zu anderen Rohstoffen für Lumpen in Deutschland nicht. Die bestehenden Börsen oder börsenartigen Einrichtungen auf dem Lumpenmarkt sind mehr oder weniger lokaler Natur. Für die mangelnde Zentralisation des Lumpenmarktes sind verschiedene Gründe maßgebend: Das Lumpenmaterial ist einer der ungleichartigsten aller Rohstoffe, unterscheidet man doch durchweg über 300  Lumpensorten, und zwar nach Stoff- bzw. Faserzusammensetzung, Farbe usw. Berücksichtigt man die feinen Spezialsortierungen nach Qualitäten, Nuancen usw., so kommt man auf über 1000 Sorten. Außerdem ist das Lumpengefälle der einzelnen Gegenden außerordentlich verschieden — gemäß der Verschiedenheit in der Kleidung. Beispielsweise sind die in Ostpreußen anfallenden Lumpen anders geartet als diejenigen, welche in Westdeutschland anfallen. Das Lumpengefälle in der Stadt ist wieder anders als das auf dem Lande, und was der Unterschiede mehr sind. Die bestehende Dezentralisation im Lumpenhandel, die Verschiedenartigkeit des Lumpenmaterials und die Vielfältigkeit der verarbeitenden Industrien (Wollindustrie, Baumwollindustrie, Leinenindustrie, Papier- und Pappenindustrie usw.) ließ die freie Konkurrenz einschränkende Vereinbarungen, wie etwa Preiskonventionen, im allgemeinen nicht aufkommen, doch hat es an Anregungen dazu nicht gefehlt. Nur die Lumpensammler nahmen vielfach eine Abgrenzung ihrer Sammelbezirke vor. Das Sammeln selbst und die Zuführung der anfallenden Lumpen an die verarbeitenden Industrien geschieht in folgender Weise. Zirka 50 00034 über das Land verstreute „Lumpensammler“ kaufen von Haus zu Haus die anfallenden Lumpen auf. Die Lumpensammler verkaufen die gesammelten Mengen nur selten an den Großhändler oder etwa an den Verarbeiter weiter, sondern in der Regel liefert der Sammler die Lumpen an den „Kleinhändler“. Der Kleinhändler gibt die Lumpen unsortiert oder nach einer oberflächlichen Vorsortierung nach Hauptfaserarten und -Farben 33 Die Darstellung der Lumpenpreise im Kriege erfordert zum besseren Verständnis der komplizierteren Verhältnisse eine Darstellung des Lumpenhandels und der preisbestimmenden Faktoren auch in normalen Zeiten. Vgl. dazu die verschiedenen Fachzeitschriften und von der wenig umfangreichen Fachliteratur insbesondere die wertvolle Arbeit von Hermann S t e r n , Die geschichtliche Entwicklung und die gegenwärtige Lage des Lumpenhandels in Deutschland, Berlin 1916. 34 Die Zahl beruht auf Schätzung.



Preisbewegung und Preispolitik bei Lumpen 

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(„Originalsortierung“) an den Großhändler-Sortierbetrieb. Häufig aber gehen auch die Lumpen, bis sie den Sortierbetrieb erreichen, durch mehrere Zwischenhände, wodurch in vielen Fällen (nicht immer) die Ware unnötig verteuert wird. Die lumpenverarbeitenden Industrien beschaffen ihre Lumpen meist auf dem Wege der üblichen Bestellung beim Sortierbetrieb. Viele Papierfabriken veredeln selbst, d. h. sie kaufen Originalsortierungen vom Händler und verrichten die sonst übliche Aufgabe der Sortierbetriebe. Versteigerungen, wie sie in England für Lumpen üblich sind, gab es in Deutschland nur für Wollumpen, aber auch für diese nur in bescheidenem Umfange. Neue Stoffabfälle der Webereien und Konfektionsanstalten gehen in der Regel direkt von diesen an den Großhändler. Der Großhändler, wenn er auf Sortierbetrieb eingerichtet ist, unterzieht die Lumpen (in diesen Begriff immer eingeschlossen auch die neuen Stoffabfälle) der sog. „Fein- oder Spezialsortierung“ unter Berücksichtigung der Stoffgattungen, Qualitäten, Farben usw.

2 Spezielle Faktoren der Preisbildung bei Lumpen Die Eigenart der Preisbildung bei Lumpen ist in erster Linie die der Alt- bzw. Abfallstoffe überhaupt: Besonders starker Einfluß der technischen Entwicklung, Abhängigkeit der Preise von der Nachfrage nach Hauptstoffen, Preiskonkurrenz mit den Originalrohstoffen. Neben diese treten bei Lumpen an weiteren preisbestimmenden Faktoren die Lage der verarbeitenden Industrien, die Ausund Einfuhrmöglichkeit (Verbote), die Zollverhältnisse, die Höhe der Sortierlöhne, das Mißverhältnis von Wert und Volumen (Transportkosten) sowie die außergewöhnlich starke Konkurrenz der Sortierbetriebe. a) Die Fortschritte in der Lumpenverwertung. Die technische Verwertung der Lumpen und die Ausbreitung der lumpenverarbeitenden Industrien waren, wie auch bei anderen Alt- und Abfallstoffen (im Gegensatz zu den Originalhauptstoffen) noch in voller Entwicklung, als der Krieg ausbrach. Die Reißwollindustrie35 als die ältere unter den lumpenverarbeitenden Textilindustriezweigen war weitaus am stärksten entwickelt, während die Reißbaumwollindustrie noch unter großen Verarbeitungsschwierigkeiten zu leiden hatte. Der Rohstoffmangel im Kriege hat zu weiteren großen Fortschritten in der Altspinnstoffindustrie geführt, unter anderem auch zum Entstehen der Reißleinenindustrie. Die Fortschritte in der Technik werden allerdings der Friedenswirtschaft mit ihren zum Teil andersartigen Bedürfnissen nur teilweise zugute kommen. b) Der Wohlstand der Verbraucher. Steigender Wohlstand der Verbraucher führt zu früherem Ablegen der Kleider bzw. zu größerem Wechsel in der Kleidung, 35 Reißwolle (analog auch Reißbaumwolle usw.) sollte man sagen anstatt Kunstwolle, um mit einer Bezeichnung aufzuräumen, die so häufig Verwechslungen hervorgerufen hat. Anstatt Reißwolle könnte man auch sagen Altwolle.

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c)

d)

e)

f)

 Preise und Unternehmergewinne

also zur Erhöhung des Lumpengefälles und bei entsprechender Intensität des Lumpensammelns zur Erhöhung des Lumpenangebots im Lumpenhandel. Steigender Wohlstand in den bisher üblichen Grenzen führt aber auch zu vermehrtem Konsum von Altstoffen. Mögen die bestgestellten Schichten auch schließlich den Altstoff im allgemeinen ablehnen, steigender Wohlstand bei der großen Masse der Bevölkerung, die noch auf den unteren und mittleren Stufen des Wohlstandes steht, führt zu vermehrtem Konsum nicht nur von Original-, sondern auch von Reißstoffen. Steigender Wohlstand führt also bei Altstoffen infolge ihrer Abhängigkeit nach zwei Seiten bei sonst gleichbleibenden Umständen einmal zu vermehrtem Angebot und zum anderen zu vermehrter Nachfrage. Die konkurrierenden Papier- und Textilrohstoffe. Eine schlechte Baumwollernte oder eine schlechte Wollschur, ein ungünstiger Wasserstand für den Holztransport sind häufig von einschneidender Wirkung auf die Preise der entsprechenden Lumpensorten. Im übrigen hat die im allgemeinen mit dem steigenden Bedarf nicht gleichen Schritt haltende Produktion von Urspinnstoffen eine Tendenz der Preissteigerung der Lumpen im Gefolge. Die Lage der verarbeitenden Industrien. Abgesehen von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage der verarbeitenden Industrien ist insbesondere bei der Textilindustrie die Mode ein preisbestimmender Faktor für einen großen Teil der Lumpen. Sind z. B. Cheviots, zu deren Herstellung viel Kunstwolle verwandt wird, von der Mode begünstigt, d. h. ist die Cheviotstreichgarnspinnerei intensiv beschäftigt, so wirkt dies preissteigernd auf die entsprechende Gattung von Wollumpen. Umgekehrt ist es bei Kammgarnstoffen, zu deren Herstellung sich Kunstwolle infolge technischer Schwierigkeiten der Kammgarnherstellung aus Kunstwolle nicht eignet. Die Aus- und Einfuhrmöglichkeiten. Die Ausfuhrmöglichkeit hängt natürlicherweise zum Teil von der Lage und Aufnahmefähigkeit des ausländischen Marktes ab, welche wiederum durch die unter a—d genannten Faktoren bedingt ist. Großer Abnehmer war für Papierlumpen Amerika, für Wollumpen England. Der Stand der amerikanischen Papierindustrie und der englischen Kunstwollindustrie waren in der Vorkriegszeit einflußreiche Faktoren für die Preisbildung der Lumpen in Deutschland. Gestört wurde die freie internationale Preisbildung durch zollpolitische Maßnahmen: Einfuhrzölle, insbesondere Ausfuhrzölle. Die abnormen Konkurrenzverhältnisse auf dem Lumpenmarkt . Die steigende Nachfrage nach Lumpen hatte mit zu einer scharfen Konkurrenz im Lumpenhandel geführt. Dazu kam, daß im Vergleich zu dem verfügbaren Lumpengefälle die Zahl der Sortierbetriebe zu groß gewesen sein mag. Durch dieses Mißverhältnis entstand zeitweilig eine bei anderen Handelsobjekten kaum gekannte Konkurrenz für unsortierte Lumpen (Originalware, Rohlumpen). Selbst wenn der Lumpenmarkt im allgemeinen wenig belebt war, war vielfach die Nachfrage nach sog. „Rohlumpen“ groß. Der Großhandel hatte ein Interesse daran, seine Sortierbetriebe möglichst voll zu beschäftigen und aus diesem Grunde Sor-



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tiermaterial in größerem Ausmaß auf Lager zu nehmen. Auf Grund dieser Verhältnisse entsprach die Preisspanne zwischen Rohlumpen und sortierten Lumpen nicht immer der durch die Sortierung (erhöhte Handelsfähigkeit) eintretenden Gebrauchswerterhöhung. Die starke Konkurrenz beim Einkauf von „Rohlumpen“ wurde auch von den Verkäufern der Rohlumpen häufig dazu ausgenutzt, die besseren Lumpen aus der Originalware herauszuziehen („Beraubung der Lumpen“) und getrennt zu verkaufen, den Rest aber als sog. „Originalware“ weiterzugeben. Infolge der starken Konkurrenz fanden sich auch stets Abnehmer. Das „Berauben“ der Rohlumpen hat besonders auch im Kriege häufig zu unhaltbaren Zuständen geführt.

3 Die Lumpenpreise vor dem Kriege Auch bei den Lumpen war in den letzten Jahrzehnten die steigende Preistendenz vorherrschend36. Die Wollproduktion überschritt nicht in gleichem Maße den Bedarf wie früher. Vielleicht blieb die Produktion sogar hinter dem Bedarf zurück, was die ersatzweise Heranziehung von Kunstwolle nahelegte und zum Teil immer mehr bedingte. Infolge des gesteigerten Holzbedarfes waren die Holzpreise gestiegen. Lumpen wurden deshalb auch in höherem Maße zur Papierfabrikation verwandt. Die Technik der Verwertung von Lumpen, zuletzt auch von Baumwollumpen für Spinnzwecke und zur Herstellung von Putzbaumwolle hatte immer größere Fortschritte gemacht. Die Ausfuhr von Lumpen hatte sich seit den Jahren 1903/04 bis Kriegsausbruch verdoppelt, während die Einfuhr in dieser Zeit nur um die Hälfte gewachsen war. Alle diese Momente trugen dazu bei, daß sich im allgemeinen eine Steigerung der Lumpenpreise bemerkbar machte. Nur vorübergehend führten Krisen, u. a. der Balkankrieg, Modeschwankungen und einige andere hier nicht zu verfolgende Ursachen, gelegentlich zu Preisrückgängen. Eine solche Zeit der Depression machte sich auch vor Kriegsausbruch bemerkbar. Der „Produktenmarkt“, das Organ der Rohproduktenhändler, schreibt darüber Anfang Juli 1914: „Sämtliche Papiermacherlumpen müssen billiger verkauft werden und auch in Wollumpen ist ein erheblicher Preisabschlag eingetreten. Neue Stoffabschnitte sind wenig gesucht, die Preise sind stark gesunken.“ Besonders machte sich dieser Rückschlag bei Papierlumpen infolge verringerten Absatzes nach den Vereinigten Staaten bemerkbar.

36 Einer Spezialuntersuchung muß es überlassen bleiben, festzustellen, ob immerhin die Preissteigerung der Altstoffe nicht zurückbleibt hinter der der Originalstoffe.

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4 Die Lumpenpreise in Deutschland im Kriege a) Die Lumpenpreise in der freien Lumpenwirtschaft . Woll- und Halbwollumpen: Der Lumpenmarkt stockt in den ersten vier Wochen des Krieges infolge Transportschwierigkeiten, stark verringerter Möglichkeit der Ausfuhr37 und der allgemeinen Kriegsdepression vollständig. Viele Aufträge werden annulliert. Als der Güterverkehr wieder eröffnet wird, ist in den meisten Lumpensorten großes Angebot. Die Preise neigen nach unten. Anfang September macht sich aber schon der Militärbedarf bemerkbar, besonders in Strumpflumpen, Strick- und Wirkwarenabfällen, Neutuch usw., also Sorten, die eine besonders gute Kunstwolle ergeben. Im Herbst setzt bei diesen Sorten eine arge Preistreiberei ein, die bis über den Winter hinaus anhält. Ursachen sind der starke Heeresbedarf in Decken und sogar in Uniformen, obwohl die Kunstwollbeimischung bei diesen verboten ist, ferner die beginnende Beschlagnahme der Originalwolle und damit Eindeckung der Industrie mit Kunstwolle für den Zivilbedarf. Auch trägt die Anfang 1915 veranstaltete „Reichswollwoche“, deren Bestimmung die Sammlung wollener Bekleidungsstücke, Decken usw. für die Front war, zu der Preissteigung bei, da vielfach alte Sachen abgegeben werden, die sonst in den Lumpenhandel gehen. Auch Halbwollumpen und baumwollene Spinnlumpen werden von der Preissteigerung mitgerissen. Lumpen, soweit sie zur Decken- und Uniformherstellung benutzt werden, steigen bis Ende Mai 1915 um 80—150 %, weiße Sachen zeigen sogar einen Aufschlag von 150—200 %. Halbwollene Lumpen, insbesondere Alpaka, steigen in ähnlichem Verhältnis. Lumpen zur Herstellung von Zivilstoffen, insbesondere dunkle Damentuchabschnitte, Flanelle und alle schwarzen Artikel, werden dagegen bis Ende Mai 1915 zu gleichen Preisen wie vor dem Kriege oder nur mit geringen Aufschlägen gehandelt, was eine starke Verschiebung in der Preisrelation der Lumpen erkennen läßt. Als dann allmählich die Heeresaufträge etwas nachlassen und das Ausfuhrverbot schärfer gehandhabt wird, zeigt sich ein starkes Anwachsen der Lumpenlager. Die Preise gehen etwas zurück. Die immer schärfere Erfassung der Originalwolle und ihrer Abfälle und damit die vermehrte Verwendung von Kunstwolle für den Zivilbedarf, dann aber auch die offizielle Zulassung der Kunstwolle zur Verarbeitung in Militärtuche lassen diesen Rückgang nur von kurzer Dauer sein. Kurz vor der ersten Wollumpenbeschlagnahme am 1. Dezember 1915 bewegen sich die Preise der für die Decken- und Uniformherstellung benutzten Lumpen bis zu über 200  % über dem letzten Friedenspreis. Baumwoll- und Leinenlumpen: Baumwollene Spinnlumpen, wie weiße und helle Kattunlumpen und baumwollene Strick- und Wirkwarenabfälle u. dgl., zeigen eine ähnliche Preisbewegung wie wollene Lumpen, wenn auch mit stark verminderter Tendenz. Der Gradunterschied erklärt sich aus der damals noch bestehenden 37 Verminderung der Ausfuhr aus technischen Gründen. Ausfuhrverbot erst ab 29.  Oktober 1914. Nach diesem Zeitpunkt aber noch zahlreiche Einzelausfuhrbewilligungen.



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geringeren Brauchbarkeit baumwollener Spinnstoffe für den Heeresbedarf und aus der geringeren Preissteigung des Originalrohstoffes infolge andauernder Zufuhr. — Ganz anders ist die Preisbewegung derjenigen Lumpen aus Pflanzenfasern, welche vornehmlich der Papier- und Pappenindustrie dienen. Papierlumpen gehen nach Kriegsausbruch bis um 20  % zurück. Infolge Ausfuhrschwierigkeiten und vermindertem Bedarf der Papier- und Pappenindustrie stagnieren die Preise bis zum Jahresschluß. In den ersten Monaten 1915 setzt allmählich eine Belebung des Marktes infolge erhöhter Nachfrage der Papier- und Pappenindustrie und Ausfuhrerlaubnis von Papierlumpen nach Österreich ein. Am 1. Juni 1915 werden ein paar Sorten Baumwollumpen für die Pulverherstellung beschlagnahmt, was aber bei dem großen Vorrat an Baumwolllumpen infolge der Ausfuhrunterbindung keine nennenswerte Einwirkung auf die Preise hat. Im November 1915 bewegen sich baumwollene Papierlumpen 30—40  %, baumwollene Spinnlumpen 80—90  % über dem Vorkriegspreis. Leinenlumpen zeigen eine ähnliche Preisbewegung wie Baumwollumpen. b) Die erste Wollumpenbeschlagnahme und die Lumpenhöchstpreise. Die immer weitergreifende Beschlagnahme der Originalspinnstoffe, die zunehmende Verwendung von Kunstwolle für die Deckung des Heeresbedarfs und mangelnde Einfuhr von Lumpen rufen allmählich eine immer stärkere Preissteigung der besonders begehrten Wollumpensorten hervor. Die Kriegswollbedarf-A.-G., welche die Aufgabe hat, die Kunstwolle für den Heeresbedarf zu beschaffen, befindet sich in einer immer schwierigeren Lage und ihr Leiter, Direktor Franz Pariser, wendet sich wiederholt und energisch an die K.R.A. mit dem Ersuchen, in den freien Lumpenmarkt durch eine Beschlagnahme einzugreifen. Die Steigung von einigen 100 % für die am meisten begehrten Sorten ist tatsächlich so groß, auch im Vergleich zu den Preisen der Originalspinnstoffe, daß man sich rückschauend fragt, weshalb ein Eingriff nicht bereits früher erfolgte. Rohwolle als der Originalstoff der Kunstwolle ist bereits Ende 1914 beschlagnahmt worden; ihr bester Ersatz, die Kunstwolle, ist ein Jahr später noch frei. Diese Vernachlässigung beruht anfangs auf dem Widerstand der zentralen Beschaffungsstellen gegenüber der Kunstwolle, obwohl in Wirklichkeit Kunstwolle schon vor ihrer offiziellen Zulassung in großem Umfang für Heerestuch benutzt wurde. Andere Gründe für den verspäteten Eingriff sind die Überlastung des einzelnen, die Kompliziertheit des Rohproduktenhandels, den niemand zu regeln wagt, und schließlich die Besorgnis, man könnte Seile des Lumpenhandels durch eine Beschlagnahme ruinieren. Am 1. Dezember 1915 wird erstmalig durch eine Beschlagnahme in den Wollumpenmarkt eingegriffen. Die Beschlagnahmebekanntmachung entsteht auf Grund einer Beratung mit Interessenten. Das Ergebnis der nicht ganz uneigennützigen Beratung ist eine Teilbeschlagnahme. Wie ein Jahr vorher bei Wolle und einige Monate vorher bei Baumwolle tritt auch bei Lumpen eine große Preistreiberei für das freigelassene Material ein. Dem Lumpenhandel fallen große Gewinne in den Schoß. Im Januar 1916 erkennt man den Fehler und bereitet eine Vollbeschlagnahme aller Altspinnstoffe

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 Preise und Unternehmergewinne

vor. Die Materie zeigt sich aber schwieriger als irgend eine andere auf dem Spinnstoffgebiet. Die tausend Sorten und die fast ebenso große Zahl von Verwendungszwecken, der Mangel an einheitlicher Sortenbenennung, der komplizierte Aufbau des Handels vom Lumpensammler bis zum Großsortierbetrieb, alle diese Faktoren scheinen geeignet, Beschlagnahme und Höchstpreisfestsetzung für Lumpen unmöglich zu machen. Die beratenden Fachleute aus dem Lumpenhandel glauben denn auch nicht an eine Beschlagnahme, sondern schließen, und das ist bezeichnend, lange Lieferungskaufverträge in Lumpen ab. Die K.R.A. aber findet sich schließlich durch die Geheimnisse des Lumpenhandels durch und verkündet für den 16. Mai 1916 Beschlagnahme und Höchstpreise für Alttextilien aller Art. Bis zum selben Tage werden Lumpen weit über dem festgesetzten Höchstpreis gehandelt. Die Lumpenpreise waren je nach der Sorte um 100—400 %, bei einzelnen Sorten sogar noch höher (bis um 600 %) gestiegen. Jutelumpen waren zuletzt teilweise mit dem zehnfachen Friedenspreis bezahlt worden. Allein seit der Teilbeschlagnahme waren, auf den Friedenspreis gerechnet, Preissteigerungen von 200—300  % vorgekommen. Die Höchstpreisbekanntmachung nimmt nicht den letzten Marktpreis zur Grundlage, sondern bleibt 10—30  %, teilweise auch mehr, unter den kurz vor der Beschlagnahme im freien Handel gezahlten Preisen. Die Höchstpreise bewegen sich aber damit je nach der Sorte immer noch 80—150 %, teilweise 200 bis 300 % u. m. über dem letzten Friedenspreis. Die Lumpenhöchstpreise sind damit relativ höher festgesetzt als ihre Originalspinnstoffe. Der Grund dafür liegt in der verspäteten Beschlagnahme der Altstoffe. Die K.R.A. hätte allerdings ähnlich wie bei der Gesamtbeschlagnahme der Baumwolle die Preise durch Festsetzung niedrigerer Höchstpreise herabdrücken können. Die Sektion W. IV konnte sich aber zu einer schärferen Zurücksetzung der Lumpenpreise nicht verstehen, in der Annahme, den Handel dadurch zu sehr zu schädigen, und das Lumpenangebot vom Haushalt und Kleinhändler her zu mindern. Die Herabsetzung des zuletzt gezahlten Marktpreises durch die Lumpenhöchstpreise hat nur wenig zu Klagen Anlaß gegeben, weil die großen Gewinne der letzten Monate jeden durch Einführung von Höchstpreisen entstandenen Schaden deckten. Die Höchstpreisbekanntmachung für Lumpen unterscheidet sich von manchen anderen Höchstpreisbekanntmachungen durch große Elastizität, die bei dem schwierig zu behandelnden Material besonders wünschenswert ist. Die Höchstpreistafel kennt im ganzen 230 Lumpenpreisklassen. Die Bekanntmachung bezeichnet nur diejenigen Preise, welche die mit dem Aufkauf beauftragten Kriegsgesellschaften bezahlen dürfen. Für alle anderen, insbesondere für den Sammelhandel und für die in der Beschlagnahmeverordnung vorgesehene Veräußerung an Sortierbetriebe, besteht Abhängigkeit der zu zahlenden Preise von den zahlenmäßig normierten Höchstpreisen. Im übrigen gelten die Höchstpreise für die besten Sorten. Für die geringeren Sorten soll entsprechend weniger gezahlt werden. Für Ablieferung geschlossener Wagenladungen von 10 000 kg erhöhen sich die Preise je nach der Sorte um 5—10 %.



Preisbewegung und Preispolitik bei Lumpen 

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Höchstpreise sind festgesetzt. In der Praxis dienen sie im Verkehr zwischen Sortierbetrieb und Kriegsgesellschaft tatsächlich nur als Richtpreise für die Bewertung durch die aufkaufenden Kriegsgesellschaften. Diese setzen Lumpenbewertungskommissionen, bestehend aus vom Kriegsministerium bestätigten Angestellten der Gesellschaft, ein. Sie bewerten die einzelnen Partien nummernmäßig ohne Kenntnis der Firma. In Wirklichkeit kann der Fachmann aber sehr häufig bereits an der Sorte erkennen, in welcher Gegend die Lumpen angefallen sind und erkennt damit auch zuweilen die anliefernde Firma. Auf Grund der von den Bewertungskommissionen festgesetzten Preise kommt in der Regel der Kauf zustande. Nur wenige Prozent des gesamten Einkaufes, wie eine Statistik für die Kriegshadern-A.-G. ergibt, müssen vor das Forum einer dem Kriegsministerium unterstellten „Preisprüfungskommission“ gebracht werden. Die Preisprüfungskommission setzt sich zusammen aus Sachverständigen der Industrie und des Handels, vereinigt somit beide Gruppen: die Interessenten an hohen und an niedrigen Preisen. Sie wird von den beauftragten Sortierbetrieben als letzte und entscheidende Instanz anerkannt. Nur dem Kommissar des Kriegsministeriums steht ein Einspruchsrecht zu. Besondere Schwierigkeiten bereiten die „Rohlumpen“. Mit Rücksicht auf die Verschiedenartigkeit in Zusammensetzung und Gefälle läßt sich ein Höchstpreis für sie nicht festsetzen. Das wäre dann gleichgültig gewesen, wenn es sich um ein Produkt gehandelt hätte, das wie die sortierten Lumpen an die Kriegsgesellschaften abgeliefert und von ihnen bewertet wird. Originallumpen werden im allgemeinen aber als „Rohprodukt“ für die Sortierbetriebe frei gehandelt zwischen Händler und Händler. Da Höchstpreise für die sortierten Lumpenklassen festgesetzt sind, hofft man anfangs, daß die Preisabhängigkeit des Ausgangsproduktes vom Höchstpreis der Nachprodukte auch den Preis für das Ausgangsprodukt in einer angemessenen Höhe halten würde. Die Jagd nach Rohlumpen ist aber im Kriege noch weit stärker als in der Vorkriegszeit. Das geringere Gefälle und die infolge Einberufung zum Heeresdienst stark verminderte Zahl der Lumpensammler einerseits, die gute Verwertungsmöglichkeit sortierter Lumpen und der Wunsch, den eingeübten Stamm von Sortiererinnen weiterzubeschäftigen andrerseits führen dazu, für „Rohlumpen“ „jeden“ Preis zu zahlen. „Rohlumpen“ kosteten vor dem Kriege 8—12 M die 100 kg. Der Preis bleibt allerdings bis Mitte 1916 in der prozentualen Steigung hinter den sortierten Lumpen infolge deren größeren Handelsfähigkeit und Näherliegen beim Bedarf zurück. Mitte 1916 bis Februar 1917 steigt der Rohlumpenpreis um 6 M für 100 kg. Gleichzeitig ist aber eine Materialverschlechterung von 15 % eingetreten. Im April 1917 wird ein Preis von 25—28 M genannt. Bis zum Ende des Krieges steigt der Preis, jetzt auch infolge der Erhöhung der Anlieferungspreise für die Sortierbetriebe, bis 38 M. Diese Preise sind keine zentralen Marktpreise, sondern der eine bezahlt mehr, der andere weniger. Daß der Sortierbetrieb die steigenden Preise für Rohlumpen trotz seiner Gebundenheit an die Höchstpreise zahlen kann, erklärt sich anfangs aus der Tatsache, daß die starke Steigung des Rohlumpenpreises nichts anderes ist als eine Annäherung an die bis zur Höchstpreisfestsetzung vor sich gegangene stärkere Steigung der sortierten Lumpen.

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 Preise und Unternehmergewinne

Späterhin halten sich die die höheren Preise bezahlenden Sortierbetriebe auf andere Weise schadlos. Die Lumpensortierbetriebe in ihrer Gesamtheit versuchen, der Preissteigerung der Rohlumpen Einhalt zu tun. Man schlägt gelegentlich vor, Höchstpreise für die einzelnen Bezirke, wovon ja jeder für sich einen einigermaßen gleichartigen Lumpenanfall hat, festzusetzen. Die Durchführbarkeit scheitert aber schon daran, daß man diese Bezirke nicht etwa durch Stacheldraht abschließen kann, wie sich der zuständige Referent gelegentlich ausdrückte, um die Zufuhr von Lumpen aus anderen Gegenden zu verhindern. Die Anstellung von Bezirksaufkäufern wie bei Wolle hält man bei den großen Lumpenmengen für technisch nicht durchführbar. Die Sortierbetriebe unter sich hatten schon in der Vorkriegszeit versucht, der Jagd nach Rohlumpen ein Ende zu machen. Alle Versuche scheiterten sowohl damals als auch im Kriege. Die Sortierbetriebe begnügen sich damit, immer wieder an den „Korpsgeist des Konkurrenten“ zu appellieren, wie man sich gelegentlich ausdrückt. Die K.R.A. ihrerseits sucht schließlich der Preissteigerung dadurch vorzubeugen, daß sie die beauftragten Sortierbetriebe ab Mitte Juli 1917 verpflichtet, nur noch die Preise vom Juli/August 1916 beim Einkauf zu zahlen. Auch dieses Mittel hat die Preissteigung im Rohproduktenhandel nicht beseitigen können, wie die oben angegebenen Preise deutlich zeigen. Die steigenden Rohlumpenpreise drücken naturgemäß dauernd auf den Höchstpreis. Dasselbe tun die erhöhten Sortierlöhne und sonstigen Arbeitslöhne sowie die immer mehr steigenden Betriebsmittelpreise. Die Heeresverwaltung ist wiederholt gezwungen, die Übernahmepreise heraufzusetzen, und dies um so mehr, weil der Lumpenhandel eine Heraufsetzung der Preise „vorausahnt“ oder weil er zeitweilig dem Friedensgeläute Glauben schenkt und aus beiden Gründen mit der Anlieferung von Lumpen zurückhält. Die eintretenden Preiserhöhungen sind nicht nur absolut, sondern auch prozentual verschieden für die verschiedenen Klassen unter Bevorzugung der von der Heeresverwaltung besonders stark gebrauchten bzw. der nicht in dem erforderlichen Maße angelieferten Sorten. Die Heeresverwaltung will einen Anreiz zur vermehrten Anlieferung dieser Sorten geben. Ihre vermehrte Anlieferung ist möglich durch entsprechenden Ankauf und entsprechende Sortierung seitens der Sortierbetriebe. Tatsächlich trägt die Heeresverwaltung damit einer mit zunehmender Knappheit eingetretenen weiteren Verschiebung des immer mehr ausschlaggebenden Verwendungswertes Rechnung. Teilweise will sie auch frühere Unstimmigkeiten in der Preisrelation beseitigen. Deutlich kommt auch bei den Wollumpenpreisen die Bedarfsverschiebung vom feinen zum groben Material zum Ausdruck, bei den Baumwolllumpen besonders die Umwertung infolge technischer Fortschritte in der Bereitung und Verarbeitung. Erinnert sei an das Erreichen der Bleichfähigkeit von bunten Kattunlumpen für Nitrierzwecke. Der gestiegene Verwendungswert dieser Lumpensorten tritt im Preise deutlich in Erscheinung. Die erste Erhöhung der Lumpenpreise tritt ein am 14. Oktober 1917. Sie trägt den oben angedeuteten Notwendigkeiten Rechnung durch Zuschläge von 10 und 20  %.



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(Einige Sorten werden nicht erhöht.) Die Zuschläge sollen den erhöhten Unkosten der Sortierbetriebe Rechnung tragen. Eine Bewilligung höherer Preise bei den Aufkäufen der Sortierbetriebe wird ausdrücklich untersagt. Am 9. April 1918 erfolgt eine Neufassung der Höchstpreisbekanntmachung, welche einige inzwischen neugeschaffene Preisklassen berücksichtigt, einige Preise herabsetzt, andere erhöht. Die meisten Preise bleiben auf derselben Höhe wie vorher. Kurz vor der Revolution, am 22. Oktober 1918, tritt eine grundsätzliche Neuregelung der Zuschläge ein. Die neuen Zuschläge sind stärker differenziert und bewegen sich zwischen 20 und 50 %. Die zunehmende Differenzierung in der Preiserhöhung läßt die Änderung in der Relation der Verwendungswerte deutlich erkennen. Den Sortierbetrieben wird die Verpflichtung auferlegt, die Zuschlagserhöhung bei der Festsetzung der Arbeitslöhne zum Ausdruck zu bringen, ebenso beim Ankauf der Lumpen. Damit wird erstmals die Erhöhung der Höchstpreise auch für den Klein- und Zwischenhandel wirksam erklärt, um die Anlieferung der Lumpen an die Großbetriebe zu fördern. In der Praxis war, wie oben dargelegt, schon lange vorher das Preisniveau vom Juli/August 1916 für unsortierte Lumpen überschritten worden. Weit früher, als die offiziellen Verfügungen über die Preiserhöhungen in Kraft gesetzt werden, ist automatisch dadurch eine Erhöhung eingetreten, daß die von den Kriegsgesellschaften zu bewilligenden Preise allmählich für ein immer schlechter werdendes Material gezahlt werden. Mit Rücksicht auf die Verschlechterung des Materials und um die Anlieferung zu fördern, bewerten die beauftragten Stellen die meisten Sorten allmählich immer „kulanter“ und besonders stark gebrauchte Sorten „ganz besonders kulant“. Hier tritt deutlich der Vorteil der Bewertung von Fall zu Fall gegenüber der schematischen Höchstpreisfestsetzung in Erscheinung. Dieser Vorteil ist bei Lumpen besonders groß, da die Verbrauchsmengen der Heeresverwaltung in gewissen Sorten häufig wechseln und dieser Wechsel eine wechselnde Preispolitik erfordert. Für die Verschlechterung der abgelieferten Lumpensorten sind eine Reihe von Gründen maßgebend: Die getragenen Kleidungsstoffe sind nicht nur von vornherein schlechter, sondern werden auch mehr verschlissen, die Strümpfe immer wieder angestrickt usw. Dann ist die Sortierung schlechter. Der Sortierbetrieb weiß, daß die Heeresverwaltung auch die schlechteren Sorten Lumpen nehmen muß, wenn sie keine anderen bekommt. Die Sortiererinnen selbst arbeiten meist im Akkord und sind bei der wachsenden Teuerung geneigt, in kurzer Zeit große Mengen zu schaffen. Lange Zeit hatte auch die K.R.A. selbst gutes Material aus dem Verkehr gezogen, um daraus Decken usw. herzustellen. Durch Rote-Kreuz-Sammlungen ist weiter gutes Material aus dem Verkehr gezogen worden. Sodann tritt die im Frieden schon übliche Beraubung der Lumpen jetzt in verstärktem Maße ein. Fast jeder kleine Händler wird schließlich besucht und ihm Anweisung gegeben, die besseren Lumpensorten herauszusortieren. Mancher Zwischenhändler versucht dann nochmals eine Beraubung, und schließlich tut infolge neu eingetretener Verhältnisse mancher Großsortierbetrieb dasselbe. Dabei tritt deutlich die Eigenart der Lumpen als Rohstoff in Erscheinung.

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 Preise und Unternehmergewinne

Lumpen sind frühere Fertigfabrikate, die, weil sie dem ursprünglichen Verwendungszweck nicht mehr zu dienen geeignet sind, zum Konsumtionsabfall werden und dann als Rohstoff für neue Fertigfabrikate dienen. Was aber für den einen Verwendungszweck als Fertigfabrikat nicht mehr geeignet ist, kann für einen anderen Zweck noch geeignet sein. Das führt schon in Zeiten eines relativ höheren Wohlstandes zu einer Weiterverwendung als Fertigfabrikat oder Hilfsfabrikat. Die Knappheit aller Stoffe in der Mangelwirtschaft läßt aber den subjektiven Verwendungswert solcher Stoffe so stark wachsen, daß man nicht nur im Haushalt mehr als früher den Konsumtionsabfall anderen Gebrauchszwecken wieder zuführt, sondern das auch „in den Rohstoff gegebene Fertigfabrikat“ in großen Mengen wieder herausholt, um anderen Konsumenten oder Produzenten für denselben oder für einen anderen Gebrauchszweck zu dienen. Jutelumpen werden im Kriege in erhöhtem Maße wieder als Verpackungsmaterial verwendet, altes Tauwerk als Nutzwerk, Stofflappen als Fausthandschuhe, als Schuhfutter, als Lederersatz oder als Hilfsstücke bei der Kleiderreparatur. Die Beraubung der Lumpen für diese Zwecke wird so groß, daß die Heeresverwaltung schließlich dazu übergehen muß, die Versorgung einzelner Gewerbe mit Stofflappen aus dem als Rohstoff erhaltenen Material zu organisieren, und in einem Falle die Herstellung eines neuen Stoffes der Beraubung vorzieht, indem sie einen brauchbaren Schuhstoff herstellen läßt.

5 Kunstwolle und Kunstbaumwolle Mengen- und Preisregelung der Kunstwolle und Kunstbaumwolle findet ähnlich wie bei ihrem Ausgangsmaterial, den Lumpen, viel zu spät statt. Nachdem die Originalstoffe beschlagnahmt sind, steigen die Preise ihrer Regenerate sehr schnell. Mengenverfügungen ohne Preisregelung greifen bei Kunstbaumwolle erstmals direkt ein im Jahre 1915 gelegentlich der Beschlagnahme einiger Kunstbaumwollsorten für die Herstellung von Schießbaumwolle. Auf die Preise der Kunstwolle wirken als erste behördliche Mengenverfügungen preissteigernd ein die offizielle Zulassung von Kunstwolle zur Herstellung von Militärtuchen und die Teilbeschlagnahme von Wollumpen am 1.  Dezember 1915. Von Bedeutung wird auch das sog. „Reißverbot“ für Lumpen im Januar 1916. Die Preise für Kunstwolle und Kunstbaumwolle steigen anschließend ähnlich wie nach den Beschlagnahmen der Originalstoffe in gesteigerter Progression. Für Kunstbaumwolle werden im Zusammenhang mit den Preisen für Originalbaumwolle am 1. April 1916 Höchstpreise festgesetzt. Sie können aber der Preisrelation für Baumwolle, welche im allgemeinen durch ein starkes Herabdrücken der Originalabfallpreise richtiggestellt wird, nicht ganz angepaßt werden. Das Mißverhältnis in der Preisrelation zwischen Originalstoff und Altstoff, entstanden durch verschiedene Preispolitik der zuständigen Sektionen der K.R.A., tritt in Erscheinung. Nicht nur für die Baumwollumpen selbst ist das von Bedeutung, sondern auch für das Regenerat,



Preisbewegung und Preispolitik bei Lumpen 

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die Kunstbaumwolle, weil Kunstbaumwolle als Gegenstand der Fabrikation einen genügenden Preisabstand (Reißlohn) von ihrem Ausgangsstoff, den Lumpen, aufweisen muß. Für die im Handel vorhandene Kunstwolle, für welche erst eine Beschlagnahme am 1.  April 1917 erfolgt, tritt auch erst zu dieser Zeit eine Höchstpreisregelung ein. Die K.R.A. hatte gelegentlich der Lumpenbeschlagnahme von der Beschlagnahme der noch im freien Verkehr vorhandenen Kunstwolle abgesehen, weil das Material zu schlecht war und man es dem Zivilbedarf überlassen wollte. Als dann die Materialknappheit für den Heeresbedarf und die Preissteigung für Kunstwolle immer größer werden, auch Gefahr besteht, daß aus beschlagnahmten Lumpen hergestellte und der Regelung der K.R.A. unterliegende Kunstwolle als abgerissene Ware zu hohen Preisen verkauft wird, holt man, nachdem die Preise auf das Zehnfache gestiegen sind, die Beschlagnahme und Höchstpreisfestsetzung nach. Die seit der Lumpenbeschlagnahme neu herzustellende Kunstwolle und Kunstbaumwolle unterliegt seit dieser Beschlagnahme (am 16.  Mai 1916) der Preisregelung der Heeresverwaltung. Die Kriegsgesellschaften, welche beauftragt sind, diese Lumpen aufzukaufen, lassen die Lumpen im Lohn reißen. Man geht also bei der Herstellung von Kunstwolle von dem üblichen Verfahren des Materialverkaufs und Wiederkaufs ab. Der zuständige Referent, Fabrikant Richard Kayser, betont immer wieder, daß er diesen Weg für den vorteilhafteren hält. Kunstwolle und Kunstbaumwolle werden vor ihrer Ablieferung nach Mustern geprüft durch besondere Prüfungskommissionen bei den Kriegsgesellschaften. Ist das Material schlecht gerissen, wird die Ware von der Kommission zum Nachreißen zurückgegeben oder es tritt eine Reißlohnminderung ein, welche den Spinnereien, welche das schlechte Material verarbeiten müssen, zugute kommt. Die Reißlöhne sind verhältnismäßig hoch festgesetzt. Die Gewinne der Reißer sind außerordentlich groß. Die Möglichkeit des Nachreißenlassens und der Lohnminderung hätte vielleicht gestattet, den Reißlohn niedriger festzusetzen.

Kapitel VII

Verhältnisse der Arbeitnehmer Bezüglich der Lage der Arbeitnehmer zeitigte der Krieg zwei Gruppen von Gewerben: überbeschäftigte und unterbeschäftigte. Für die letztere Gruppe wurde das Spinnstoffgewerbe typisch. Bei ihm traten die später die Demobilmachungszeit beherrschenden Fragen des Arbeitsmangels, der Arbeitsstreckung, der Arbeitslosenunterstützung zuerst in größtem Umfange auf.

Das Spinnstoffgewerbe war im Frieden mit 95  % seines Rohstoffbedarfes auf das Ausland angewiesen. Diese Knappheit an inländischen Rohstoffen mußte im Kriege viele Arbeiter brotlos machen, soweit nicht durch eine allgemeine Kürzung der Arbeitszeiten und durch andere Mittel die Zahl der Beschäftigten künstlich gestreckt werden konnte. Eine Besonderheit trugen Hausindustrie und Heimarbeit in das Spinnstoffgewerbe; erstere war noch in der Strick-, Spitzen- und Posamentenindustrie abgelegener Gebirgsgegenden, letztere in den großstädtischen Bekleidungsgewerben (Konfektion) weitgehend verbreitet. Die Fürsorge für die Arbeitnehmer des Spinnstoffgewerbes im Kriege mußte sich nach mehreren Richtungen erstrecken: Schutz der Heimarbeit gegen die Folgen des Überangebotes von neu diese Art der Beschäftigung aufsuchenden Arbeitskräften; Streckung der Arbeit in den Fabriken zur Erhaltung des Arbeiterstammes; Rat und Hilfe bei der Abwanderung der dennoch frei werdenden Arbeitskräfte; Lohnregelung und Ernährungsfürsorge für die Verbliebenen; Unterstützung der ganz oder teilweise Arbeitslosen. Die Streckung der Arbeit zur Erhaltung der Belegschaften der einzelnen Werke diente nicht nur den Interessen der Arbeitnehmer, sondern auch denen der Unternehmer; diesen mußte daran liegen, ihren Arbeiterstamm zur sofortigen Wiederaufnahme des Vollbetriebes nach Kriegsschluß zu erhalten. Die volkswirtschaftliche und sozialpolitische Bedeutung der Fürsorge für die Arbeitnehmer des Spinnstoffgewerbes ergab sich aus deren bedeutender Zahl von insgesamt rund 1 Million Köpfen im eigentlichen Spinnstoffgewerbe und ½ Million in der Konfektion einschließlich Heimarbeit, ungerechnet die handwerksmäßige Schneiderei. Bei diesen Zahlenverhältnissen mußte auch die grundsätzliche Stellung der Arbeiter des Spinnstoffgewerbes zum Kriege von entsprechendem allgemeinen Einfluß sein.

Allgemeine Arbeitsverhältnisse im Spinnstoffgewerbe Was die Entlohnung der Spinnstoffarbeiter im Frieden betrifft, so war sie entsprechend der abweichenden Lage einzelner Landestelle zum Bezug von Rohstoffen, zum Absatz und zum Angebot von Arbeitskräften sehr verschieden. Ungleich war sie vor allem in den verschiedenen Untergruppen des Spinnstoffgewerbes; aber auch in gleichen Gruppen waren oft weitgehende Abweichungen vorhanden, z.  B.



Allgemeine Arbeitsverhältnisse im Spinnstoffgewerbe 

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wo der geschicktere Arbeiter der einen Gegend gerade noch zwei Stühle zu bedienen vermochte, während man einem weniger geschickten einer anderen Gegend nur die Bedienung eines Stuhles zumuten konnte. Man wendete nebeneinander für oft gleiche Arbeiten Tagelöhne und Stücklöhne an. Durch Prämien schuf man in der einen Gegend einen Anreiz für die Leistung hochwertiger Arbeit, der in anderen Gegenden fehlte. An sich ist ein solcher Anreiz auch im Spinnstoffgewerbe wichtig, da auch in der Spinnstoffindustrie die Maschinen nicht automatisch ein gleichmäßiges Erzeugnis liefern, sondern viel von dem Eingreifen des Arbeiters abhängt. Versuche, zu Tarifverträgen zu gelangen, waren seitens der organisierten Arbeiter der Spinnstoffgewerbe mehrfach gemacht worden; einen großen Umfang hatten sie aber nicht angenommen. Bei Kriegsausbruch bestanden im Spinnstoffgewerbe rund 200  Tarifverträge für 500  Betriebe mit 10  000  Arbeitern, also durchweg für kleine Betriebe. (Neue Tarifverträge gelangten vorerst im Kriege nicht zum Abschluß). In den Tarifen war die Berechnung des Lohnes nach der Schußzahl und nach der Anzahl der Kettfäden angestrebt. Mindestlöhne auf den Kopf des Arbeiters scheiterten mit ganz vereinzelten Ausnahmen an der Haltung der Arbeitgeber. Das Tarifwesen im Spinnstoffgewerbe war übrigens schon deshalb schwierig, weil die Zahl verschiedenartiger Erzeugnisse überaus groß ist. Im allgemeinen waren die Arbeitslöhne im Spinnstoffgewerbe gedrückt. Das Gewerbe gehörte in den letzten Jahrzehnten zu den weniger begünstigten. Zu große Ausdehnung in früheren Jahren gegenüber dem Inlandbedarf, daher gefüllte Lager des Handels, steigende Erschwerung des Wettbewerbs auf dem Weltmarkt, Weltteuerung und Knappheit der Herstellungsstoffe, vielfach veraltete Betriebe, geringer Kapitalzustrom trugen schuld daran. Die Zahl der Arbeiter war in manchen Gruppen im Zusammenhang mit dem Übergang der Hausweberei zum Fabrikbetrieb zurückgegangen; der männliche Nachwuchs suchte zum Teil andere Gewerbe mit starker Beschäftigung und höheren Löhnen auf. Dem Spinnstoffgewerbe verblieben die schwächeren männlichen und die weiblichen Arbeitskräfte, die keine hohen Ansprüche stellen konnten. Am höchsten standen die Löhne in der Gegend des Niederrheins, am niedrigsten in einigen Gebieten der Lausitz, Schlesiens und des Königreichs Sachsen; im ganzen hielten sie sich auf oder unter dem Existenzminimum der betreffenden Gegend, wie es sich aus den Vorstellungen der Friedenszeit ergab. Der Ausgleich lag darin, daß oft mehrere Angehörige desselben Haushalts erwerbstätig waren; für andere Arbeitergruppen hatte die Arbeit im Spinnstoffgewerbe den Charakter eines Nebenerwerbs, z.  B. für Töchter von Landwirten und kleinen Beamten. Ähnlich wie die Lohnhöhe war auch die Arbeitszeit durch die örtlichen Verhältnisse stark beeinflußt. Abgesehen von den vorgeschriebenen Arbeitszeiten für Kinder, Minderjährige und Frauen war sie vielfach recht lang, vor allem auch unter patriarchalischen Verhältnissen, wie sie z. B. im Königreich Sachsen in bemerkenswertem Nebeneinander mit sozialistischen Gedankengängen noch vielfach bestanden. Die Arbeiterorganisationen waren zahlenmäßig nicht stark. Der größte Verband war der freigewerkschaftliche „Deutsche Textilarbeiter-Verband“. Er

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 Verhältnisse der Arbeitnehmer

umfaßte bei Ausbruch des Krieges von rund einer Million Arbeitern des Spinnstoffgewerbes nur 133 000; im Kriege ging die Mitgliederzahl, wie die fast aller gewerkschaftlichen Organisationen, zunächst infolge von Einziehungen und Arbeitslosigkeit stark zurück, erreichte Ende 1916 mit 57 000 Köpfen ihren Tiefstand, stieg aber seit 1917 wieder langsam an. Neben dieser Organisation spielten die christlichen Gewerkschaften eine gewisse Rolle. An einigen Orten gab es auch „gelbe“ wirtschaftsfriedliche Werkvereine im Spinnstoffgewerbe. Die Arbeiterschutzgesetzgebung hatte für das Spinnstoffgewerbe von jeher eine besondere Bedeutung, weil in ihm die Neigung zur Verwendung von Frauen, Jugendlichen und Kindern und zu übermäßiger Arbeitszeit verhältnismäßig stärker war als in anderen Gewerben. Der Anteil der weiblichen Arbeiterschaft betrug vor Kriegsausbruch 55  %. Er war mit 35  % am geringsten in den kleinen Betrieben bis zu fünf Personen. Der Grund war die Verbreitung der gewöhnlich in der Hand von Männern liegenden hausgewerblichen Betriebsform. In den Mittelbetrieben stieg der Anteil der Frauenarbeit auf 50 %, in den Großbetrieben (d. h. solchen mit 51 und mehr Personen, in welchen 78 % der Gesamtarbeiterzahl beschäftigt waren), war er ähnlich dem Gesamtdurchschnitt von 55 %. Am meisten überwogen die weiblichen Arbeitskräfte in der Häkelei, Stickerei und Spitzenfabrikation (70 %), in der Strickerei und Wirkerei (64 %), der Spinnerei (6 3%), der Weberei, der Posamentenherstellung und der Zubereitung von Spinn- und Faserstoffen. Die männlichen Arbeitskräfte überwogen in der Seilerei, in der Verfertigung von Netzen, Segeln, Säcken, in der Filzfabrikation und am stärksten in der Ausrüstung, in welch letzterer die Frauen nur 30 % ausmachten. Vergleicht man die Zahlen der Gewerbezählung von 1907 mit denen von 1895 und 1882, so ergibt sich ein Ansteigen der Zahl der weiblichen Arbeiter; 1882 waren die Arbeitskräfte noch überwiegend männlich; 1907 war das Spinnstoffgewerbe das einzige, in dem die Frauen überwogen. Es beschäftigte außerdem (1907) 5000 Kinder unter 14 Jahren und 8000 Jugendliche beiderlei Geschlechts zwischen 14 und 16 Jahren. Im Kriege hat — um das vorwegzunehmen — die Frauenarbeit im Spinnstoffgewerbe nicht in demselben Maße wie im ganzen Erwerbsleben zugenommen. Während nach Angaben der Gesellschaft für soziale Reform von Kriegsausbruch bis Ende 1917 der Anteil der Frauenarbeit in allen Berufen ohne Einrechnung der Kriegsgefangenen von 33 % auf 50 % gestiegen war, hatte er sich bis Ende 1916 bei der Leinenberufsgenossenschaft nur von 52 auf 59, bei der Seidenberufsgenossenschaft von 48 auf 62 % und bei einer der maßgebenden gemischten Textilberufsgenossenschaften von 60 auf 72 % gehoben. Der Grund ist wohl darin zu suchen, daß das Spinnstoffgewerbe schon im Frieden bis an die Grenze gegangen war, innerhalb deren betriebstechnisch die Verwendung von Frauenarbeit noch Vorteile bot. Zu der Regelung der Arbeitszeit traten im Arbeiterschutz für die Spinnstoffarbeiter Maßnahmen gegen die im Spinnstoffgewerbe häufigen gesundheitsschädlichen hohen Temperaturen, gegen Staub und ermüdendes Stehen an den Maschinen. Eine Sonderbestimmung verbot aus Gesundheitsgründen die Verwendung jugendlicher Arbeiter in Lumpenlagern und Lumpensortierereien.



Wirkungen des Kriegsausbruchs 

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Wirkungen des Kriegsausbruchs Wirtschaftlich äußerte sich der erste Einfluß des Krieges auf das Spinnstoffgewerbe in einer plötzlich einsetzenden großen Arbeitslosigkeit, die von dem späteren dauernden Rückgange der Beschäftigung zu unterscheiden ist. Es kam zu MobilmachungsVerkehrsstockungen, insbesondere für die in der Nähe der Grenze liegenden Betriebe, daher zu örtlichem Rohstoff- und Betriebsstoffmangel. Die übliche Kriegspanik führte ferner zu umfangreicher Zurücknahme von Aufträgen. Von den Einziehungen zum Heeresdienst ist das Spinnstoffgewerbe weniger betroffen worden als andere Industrien. Sie betrugen nach Schätzungen des Deutschen Textilarbeiter-Verbandes anfänglich nur rund 10 % der Belegschaften, eine geringe Zahl, die sich ohne weiteres aus dem starken Anteil weiblicher und jugendlicher Arbeitskräfte und aus der Schwächlichkeit vieler Spinnstoffarbeiter erklärt. Später stieg die Zahl der Eingezogenen und die der Abgewanderten erheblich. Über die aus der Abschneidung vom Weltmarkt, aus dem ersten örtlich bedingten und dem späteren allgemeinen Rohstoffmangel hervorgehende Arbeitslosigkeit fehlt es an genauen Ziffern. Die amtliche Statistik versagt auf diesem Gebiet. Die Gewerbeinspektoren haben hierüber während des Krieges nicht berichtet. Veröffentlichte Angaben von Krankenkassen beziehen sich nur auf den dritten Teil des Spinnstoffgewerbes, und die Zahl der berichtenden Kassen schwankt von Jahr zu Jahr. Gegen Ende 1914 sollen nach den Angaben des Deutschen Textilarbeiter-Verbandes 250 000, also rund ¼ aller Spinnstoffarbeiter, arbeitslos gewesen sein. Was den Gesamtrückgang der Arbeitnehmerzahlen betrifft, so kann man mit allem Vorbehalt annehmen, daß die Zahl der männlichen Arbeiter im Spinnstoffgewerbe bis Ende 1917 auf rund 30 %, die der weiblichen auf rund 65 % der Friedenszahl gesunken war. Nach den Angaben der Textilberufsgenossenschaften, worin die männlichen und weiblichen Arbeiter nicht getrennt und auch nicht die wirklich vorhandenen Arbeiter, sondern „Vollarbeiter“, nach je 300 Arbeitstagen berechnet, enthalten sind, trat bis Ende 1916 ein Rückgang auf 47 % des Friedensarbeiterdurchschnittes ein. Maßnahmen gegen die besondere Notlage der Spinnstoffarbeiter machten sich bald notwendig. Die früh einsetzende Notlage entsprach dem Zusammenwirken mehrerer Ursachen: Die Kaufkraft des Geldes begann bald zu sinken, nennenswerte Ersparnisse der Arbeiter waren nicht vorhanden, zu einem Übertritt in die Rüstungsindustrie oder in die Landwirtschaft konnten sich die Leute in den ersten Jahren des Krieges nur schwer entschließen. Im allgemeinen stiegen die Stunden- und Stücklöhne nicht, da das Angebot von Arbeitskräften stark war, und die Unternehmer trotz stellenweise hoher Verdienste die Zukunft als unsicher betrachteten. Es trat ferner eine zunehmende Verringerung der wöchentlichen Arbeitstage oder der täglichen Arbeitsstunden ein, und die zunehmende Verwendung von Abfall- und Ersatzstoffen führte zu einer Verschlechterung des zu verarbeitenden Materials, die den Verdienst der Stücklohnarbeiter schädigte; die Beschlagnahme und die amtliche Zuweisung

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 Verhältnisse der Arbeitnehmer

der Rohstoffe brachten manche Verzögerung mit sich, die sich in häufigen kurzen Arbeitsunterbrechungen äußerte.

Verschiedene Wirkungen des Krieges auf die einzelnen Spinnstoffgewerbe-Gruppen Im Rahmen dieser allgemeinen Verhältnisse entwickelten sich aber die Zustände in den einzelnen Untergruppen sehr verschieden. Als nach den ersten Wochen der Kriegspanik und der mit ihr verbundenen Absatzstockung mehr und mehr der ungeheure Heeresbedarf des Weltkrieges in die Erscheinung trat, geriet auch das Spinnstoffgewerbe — abgesehen von der Seiden-, Posamenten- und Spitzenindustrie — vorübergehend in eine allgemeine Hochkonjunktur, der erst im Februar 1915 eine dauernde Verschlechterung auf der ganzen Linie folgte. Von hier an schied sich aber das Gewerbe immer deutlicher in Gruppen mit und ohne Heeresaufträge und mit und ohne starken Rohstoffmangel. Die Streichgarnspinnerei und Tuchweberei waren in der Folge stark beschäftigt und verhältnismäßig gut mit Rohstoffen versehen, da ihr fast alle in den Bereich der Heeresverwaltung fallenden Wollen zugewiesen wurden. Dauernd absteigende Richtung hatte die Beschäftigung in den Wollkämmereien, in den Kammgarnspinnereien und in den Webereien feiner Damenkammgarnstoffe, bis hier erst später umfangreiche Aufträge auf Pulverbeutelstoffe einigermaßen einen Ausgleich schufen. Gut war die Beschäftigung in der Trikotagen-, Strickerei- und Wirkereiindustrie, wobei allerdings Zeiten übermäßiger Beschäftigung zur Fertigstellung von Winterausrüstungen mit einem Abflauen wechselten. In der Baumwollindustrie war, da die amerikanischen Baumwollzufuhren über Genua Anfang 1915 noch große Mengen hereingebracht hatten, die Beschäftigung bis Mitte 1915 gut. Erst nach dem Eintritt Italiens in den Weltkrieg im Mai 1915 und dem damit verbundenen Aufhören der amerikanischen Zufuhren ging die Baumwollindustrie ständig zurück, so daß sie von da an in raschem Niedergang zu der am meisten notleidenden der Spinnstoffgruppen wurde. Eine Ausnahme machte nur die Abfall- (Vigogne-) Spinnerei. Dauernd befriedigend ging die Leinenindustrie, mäßiger, aber doch leidlich, die Hanfindustrie. Die Juteindustrie, von völligem Rohstoffmangel bedroht, stellte sich sehr bald auf Papier- und Werggarn um und konnte daher die ihr verbliebenen Arbeiter, wenn auch mit verkürzter Arbeitszeit, halten. Mäßig, sogar vielfach schlecht, lag anfangs die Seidenindustrie, und zwar nicht aus Rohstoff-, sondern aus Auftragmangel; nach dem allmählichen Schwinden der Vorräte an Woll- und Baumwollgeweben für die bürgerliche Bevölkerung trat aber das Gegenteil ein, bis Anfang 1917 das Aufhören der Seidenzufuhren über die Schweiz erneute Beschäftigungsverringerung brachte. Unbefriedigend blieben im ganzen die Verhältnisse in der Posamenten- und in der Spitzenindustrie. Insbesondere im sächsischen Erzgebirge und im Vogtland verloren zahlreiche kleine selbständige Existenzen den Boden unter den Füßen. Nur die Massenanfertigung von Gurten für Gewehre und Maschinengewehre brachte



Erste Maßnahmen gegen die Notlage der Arbeiter 

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später einem Zweig der Posamentenindustrie gute Beschäftigung. Glänzend war der Beschäftigungsgrad in Sondergruppen, wie z. B. in der Kunstseidenindustrie und in der reinen Papiergarnspinnerei und -Weberei. So verschieden auch die Lage im einzelnen war, im ganzen ging der Umfang der Arbeit schneller zurück als die Arbeiterzahl. Viele Unternehmer hielten künstlich ihren Arbeiterstamm durch schleppenden Arbeitsgang, in der Hoffnung, ihn bis zum Frieden erhalten zu können. Sie zahlten Unterstützungen unter der Bedingung des Verbleibens im Werk. Erst von Anfang 1917 an, nach Einführung des Hilfsdienstgesetzes, änderte sich die Lage auch für die Spinnstoffarbeiter. Allmählich machte sich nun stellenweise auch innerhalb des Spinnstoffgewerbes trotz Zusammenlegung der Betriebe ein Arbeitermangel bemerkbar. Es wirkten dabei viele Gründe zusammen: zum Teil die allmählich zunehmende Abwanderung in Munitionsindustrie und Landwirtschaft nach Überwindung früherer Vorurteile, das Absterben alter Arbeiter, der fehlende Zugang neuer Kräfte, die starke Verringerung der Leistung des einzelnen aus Ernährungsgründen, aus der schon erwähnten immer weiteren Verschlechterung der Herstellungsstoffe und infolge Abnutzung der Maschinen.

Erste Maßnahmen gegen die Notlage der Arbeiter Den Kampf gegen die Notlage der Arbeiter nahmen zuerst die Arbeiterorganisationen, vereinzelte Unternehmer und Wohlfahrtsveranstaltungen auf. Sehr bald aber sahen sich auch die Heeresstellen und andere Behörden des Reichs, der Bundesstaaten und Gemeinden zum Eingreifen veranlaßt. Die Hauptwege waren Arbeitsbeschaffung innerhalb oder außerhalb des Spinnstoffgewerbes, Arbeitsstreckung durch Verkürzung der Arbeitszeit oder Verminderung der Arbeitsintensität, Verhinderung vorschneller Entlassung und Unterstützungen mit Geld- und Lebensmitteln. Die Kassen der Arbeiterorganisationen waren bei dem sofort eintretenden Umfang der Arbeitslosigkeit nur kurze Zeit imstande, Arbeitslosenunterstützungen zu zahlen. Der Deutsche Textilarbeiter-Verband, der größte der Verbände, hat etwa eine Million Mark an Unterstützungen ausbezahlt, mußte aber seine Unterstützungssätze bald herabmindern. In einigen Fällen gewährten die Gemeinden den Arbeiterorganisationen Beihilfen für Zwecke der Arbeitslosenunterstützung. Sehr verschieden stellten sich die Unternehmer. Am meisten fehlte von ihrer Seite ausreichende Fürsorge auf dem Gebiet der Heimarbeit. Die Arbeitgeberverbände der anderen Gruppen griffen zuerst nach der Richtung ein, daß sie und ihre Arbeitsnachweise im Zusammengehen mit Behörden versuchten, die in den notleidenden Gruppen freiwerdenden Leute zweckmäßig zu verpflanzen. Wesentlich wurden dann vor allem die Beihilfen, die einzelne Unternehmer den in ihren Betrieben verbleibenden minderbeschäftigten Arbeitern gewährten. Seitens der Arbeiter selbst wurde Mitte 1915 von über hundert Firmen bzw. örtlichen Firmengruppen berichtet, daß sie ihren Arbeitern nennenswerte Kriegsunterstützungen zahlten. Vermutlich ist die Zahl noch weit

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 Verhältnisse der Arbeitnehmer

größer gewesen; nur wenige nennenswerte Firmen des Spinnstoffgewerbes werden ganz von Unterstützungen ihrer Arbeiter abgesehen haben. Die Regelung war sehr verschieden, z. B. 2 M für jeden verlorenen Arbeitstag oder Auszahlung für vier volle Tage in der Woche, wenn nur an vier halben gearbeitet wurde; in anderen Fällen für zwei Tage Arbeit drei Tage Lohn; bei wieder einer anderen Firma ein Lohnzuschlag von 15  %, wenn weniger als 36  Stunden in der Woche gearbeitet wurde; bei weiteren Firmen Vergütung für den Ausfall der Sonnabendarbeit oder für den Ausfall der ganzen Woche (im ersteren Fall z. B. 1 M Vergütung, im letzteren bis zu 6,80 M). Andere Firmen zahlten ein Drittel, die Hälfte oder auch den ganzen Betrag des durch Arbeitszeitkürzung gegenüber früheren Verhältnissen entgangenen Lohnes. Weiterhin strebten die Arbeitgeber nicht nur im eigenen Interesse, sondern auch in dem der Arbeiter dahin, sich — oft mit großen Opfern — durch Käufe von freien und Auslandsrohstoffen und durch Abmachungen aller Art Arbeit zu verschaffen. Sehr umfangreich gestaltete sich die Tätigkeit von Vereinen, und zwar nach den beiden Richtungen der Arbeitsbeschaffung und der Arbeitslosenunterstützung. Vielfach arbeiteten die Vereine mit den Gemeinden Hand in Hand. Umfang, Ziele, Wege und Ergebnisse dieser an vielen Orten geleisteten Wohltätigkeit mögen an den Einrichtungen der Wohlfahrtszentrale der Stadt Barmen, die zu den besteingerichteten derartigen Kriegsunternehmungen gehörte, erläutert werden. Die Notwendigkeit umfassender Maßnahmen war in Barmen groß, da die zu einem wesentlichen Teil auf den Weltmarkt angewiesene, für Kriegslieferungen weniger geeignete Barmer Industrie sofort einen erheblichen Arbeitsausfall hatte. Man war in Barmen zu großzügiger Aufnahme der Wohlfahrtstätigkeit gut vorbereitet, weil es hier schon vor dem Kriege gelungen war, die zersplitterten Bestrebungen auf dem Gebiet der Wohlfahrtspflege zum Barmer Wohlfahrtsverband zusammenzufassen. Nach Kriegsausbruch beschlossen die freiwillige Kriegswohlfahrtspflege, das Rote Kreuz, der Vaterländische Frauenverein und der Nationale Frauendienst nochmals ausdrücklich, zu einheitlicher Tätigkeit in enger Fühlung mit der städtischen Armen- und Kriegspflege, dem städtischen Arbeitsnachweis und der Barmer Handelskammer unter der Bezeichnung „Barmer Wohlfahrtszentrale“ zusammenzutreten. Neben den sonst üblichen Bestrebungen derartiger Zentralen1 nahm die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zur Entlastung der städtischen Finanzen einen besonders großen Raum ein. Die Stadt hatte in den ersten fünf Kriegsmonaten eine Million Mark an Arbeitslosenunterstützung und 400  000  M für Notstandsarbeiten aufwenden müssen, trotzdem es von vornherein gelungen war, 1500 Arbeiter in auswärtigen Betrieben unterzubringen. Die Barmer Wohlfahrtszentrale hat zeitweise 10  000  Menschen auf einmal beschäftigt. Sie unterhielt zur Vermittlung von Heeresaufträgen eine eigene Vertre1 Als solche sind zu nennen: Verwundeten-, Kriegsbeschädigten-, Kriegsgefangenen- und Flüchtlings-Fürsorge; Liebesgabensammlung und Feldpostpackerei; Mietunterstützung, Kriegswitwen- und -waisenversorgung, Jugendpflege, Ernährungsfürsorge; Sammlung von Gold, von allerhand entbehrlichem Hausrat und von Abfällen; Beschaffung geistiger Anregung für die Arbeiterschaft.



Erste Maßnahmen gegen die Notlage der Arbeiter 

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tung in Berlin, ließ das Deutsche Reich und die besetzten Gebiete bereisen, sandte Massenangebote an die wichtigsten Beschaffungsstellen des Heeres, der Eisenbahn usw. Entsprechend der großen Arbeit, die man unternahm, war auch das Personal zahlreich. Die Wohlfahrtszentrale beschäftigte Mitte 1916 rund 375  besoldete Angestellte, hatte 1200 ständige und 2200 außergewöhnliche ehrenamtliche Mitglieder und leitete ihre Arbeit durch 37 Ausschüsse. Die Geldmittel, die über die eigenen Betriebseinnahmen hinaus erforderlich waren, wurden anfänglich durch reichlich fließende freiwillige Beiträge aufgebracht, die bis Mitte 1916 über l¼ Mill. Mark ergaben. Um überall Anregungen aufzunehmen, stand die Wohlfahrtszentrale in regelmäßigem Austausch ihrer Tätigkeitsberichte mit rund 100 deutschen Städten und hielt Fühlung mit dem deutschen Städtetag, dem Verein für kommunale Wirtschaft, der Zentralstelle für Volkswohlfahrt, der Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge, dem Zentralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen, dem Deutschen Verein für Armenpflege und Wohltätigkeit, der Deutschen Gesellschaft für Bevölkerungspolitik und mit einer ganzen Reihe von lokalen Vereinen. Die Abteilung für Arbeitslosenbeschäftigung wurde die wichtigste Abteilung der Wohlfahrtszentrale. Der Betrieb arbeitete in den Formen eines neuzeitigen geschäftlichen Großbetriebs. Man führte regelrechte Einkaufs-, Verkaufs- und Abschlußbücher, hatte Registratur, Anstellungskartothek, Statistik und Musterlager. Wichtige Grundsätze der Wohlfahrtszentrale waren: wettbewerbsfähiges Arbeiten durch Aufsuchen und Ausbildung lohnender Sonderbetriebe; genaue Unkostenermittlung; ausschließliche Entlohnung im Stücklohn; Entlohnung nur nach Leistung und Fachkenntnissen; Ausbildung der Arbeitslosen zu immer höher bewerteter Tätigkeit; Fachbildung Jugendlicher und Kriegsbeschädigter mit Berufsberatung für beide; Wohnen alleinstehender Mädchen in Heimen; möglichste Beschäftigung verheirateter Arbeiterinnen in den Familien; Berücksichtigung der ganz Arbeitslosen in erster Linie, dann solcher Kriegsunterstützter, die durch Krankheit oder zahlreiche Familie in Not kamen. Verdienste aus einer Tätigkeit bei der Wohlfahrtszentrale, die unter 50  % der Barmer Unterstützungssätze blieben, wurden von den gemeindlichen Unterstützungen nicht abgezogen. Die hauptsächlichsten Arbeiten, die zur Vergebung gelangten, waren Strickarbeit, gewöhnliche Näharbeit, Sandsacknäherei und Instandsetzungsarbeiten. Bei der Strickarbeit erreichte die Höchstzahl der gleichzeitig Beschäftigten 5900 Köpfe, und es wurde bis Mitte 1916 eine halbe Million Paar Strümpfe gestrickt. Anfänglich kaufte die Zentrale zu billigen Preisen Wolle in Holland und Dänemark ein, dann machte sie Abschlüsse mit großen Firmen, bis nach der Beschlagnahme durch die Heeresverwaltung die Wolle durch den Bezirksverein vom Roten Kreuz bezogen werden mußte. Die gewöhnliche Näharbeit wurde in der Regel unter Lieferung der Stoffe ausgegeben, diese letzteren möglichst aus Barmer Geschäften oder aus Fabriken der Umgegend entnommen. Nach der Beschlagnahme entwickelte sich das Lohnnähen von Zuschnitten, die von der Heeresverwaltung zugewiesen wurden. Die Sandsacknäherei beschäftigte zeitweise bis zu 2200 Personen. Als die Anfertigung aus anderen Geweben nicht mehr in Frage kam, sondern Papiergewebe vorgeschrie-

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 Verhältnisse der Arbeitnehmer

ben wurden, erwies sich, daß eine Unternehmergruppe alle vorhandenen Papiergewebe zur eigenen Weiterverarbeitung belegt hatte. Es gelang der Wohlfahrtszentrale aber, durch Gründung einer eigenen Gesellschaft eine bis dahin stillstehende Papierspinnerei in Betrieb zu bringen, so daß sie bis Anfang 1916 drei Millionen Sandsäcke aus eigenen Stoffen anfertigen lassen konnte. Seit Anfang 1916 verwandelte sich die Sandsacknäherei in Lohnnäherei für den Heimarbeitsausschuß, der fortan im Auftrag der Heeresverwaltung die gesamte Vergebung der Sandsacknäherei vorzunehmen hatte. Auf mittelbarem und unmittelbarem Wege betrieb die Wohlfahrtszentrale die Arbeitsbeschaffung für Arbeitslose. Sie pflegte insbesondere die Arbeitsvermittlung für weibliche Arbeitslose. Es gelang ihr, im ersten Kriegsjahr in 13 000, im zweiten in 10 000 Fällen Arbeit nachzuweisen. Sie suchte übrigens auch auf dem Umweg der Arbeitsbeschaffung für die Arbeitslosen Arbeit für die Unternehmer nach Barmen zu ziehen; sie vermittelte im ersten Kriegsjahr Heeresaufträge für Barmer Industrielle und Handwerker, was aber insofern Schwierigkeiten machte, als sie der Heeresverwaltung gegenüber als Selbstkontrahentin aufzutreten genötigt war. So umfassend und gut geleitet die Wohlfahrtszentralen einiger Städte waren, so gab es doch Grenzen der Wirksamkeit der Wohlfahrtsveranstaltungen. Fast überall waren die Hilfeleistungen weitgehend abhängig von privaten Sammlungen; schon deshalb mußte der Umfang der Hilfeleistungen der Wohlfahrtsvereine allmählich abnehmen. Dazu kam, daß in manchen Städten in Wettbewerb stehende, oft auf verschiedenen Lebensanschauungen fußende Vereine aneinander vorbei und gegeneinander arbeiteten. Manche der Wohltätigkeitsorganisationen fanden sich auch in den verwickelten Gängen des Geschäftslebens nicht zurecht, insbesondere seitdem manche Heeresbeschaffungsstellen als Voraussetzung für die Übertragung ihrer oft sehr eiligen Aufträge die Aufstellung von Maschinen und sonstigen Einrichtungen forderten. Von Unternehmerseite wurden gegen die Wohlfahrtsvereine vielfach Angriffe erhoben, die aus der Befürchtung hervorgingen, daß man den Unternehmern nicht nur den Verdienst, sondern auch ihre besten Arbeitskräfte nehme, da manche von diesen, Arbeitslosigkeit vorschützend, zu der bequemeren Arbeit in den Vereinen übergegangen seien. Zum Teil trieben die Wohlfahrtsvereine tatsächlich eine Lohnpolitik, die umwälzend auf die Verhältnisse der Konfektion wirken mußte. Der Nationale Frauendienst in Frankfurt a. M. zahlte 1916 für 100 Zwiebackbeutel 1,65 M Nählohn bei freiem Garn, die Konfektion nur 0,80 M ohne freies Garn. Für Sandsäcke zahlte der Frauendienst, schon ehe die Vorschriften des Ingenieurkomitees kamen, 5,50 M Nählohn für 100 Stück, die Konfektion 1,50 M bis 3 M. In dem darüber entstandenen Streit betonte der Frauendienst, daß der Verkaufspreis an das Proviantamt der gleiche sei, die Unternehmer also in der Lage sein müßten, ähnliche Löhne zu zahlen; dagegen wies die Konfektion auf die ehrenamtliche Tätigkeit der Vereine hin, die ohne Unkosten in oft mietfreien Räumen arbeiteten und die Löhne in wesentlichem Umfang aus freiwilligen Gaben aufbesserten. Alles in allem haben die Wohltätigkeitsveranstaltungen in kritischen Monaten Großes in der Bekämpfung der ersten Arbeitslosigkeit im Spinnstoff- und Beklei-



Zuständigkeit in Lohnfragen 

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dungsgewerbe geleistet; aber ihre Tätigkeit mußte gegenüber den gewaltigen Anforderungen des Weltkrieges eine vorübergehende bleiben.

Behördliches Eingreifen Ohne behördliches Eingreifen war auf die Dauer nicht auszukommen, und zwar nicht nur für die eigentlichen Spinnstoffarbeiter, sondern auch für die Heimarbeiter. Es waren vor allem drei Stellen der Heeresverwaltung, die durch ihr Arbeitsgebiet gezwungen wurden, Einfluß auf die Gestaltung der Arbeiterverhältnisse im Spinnstoffgewerbe und der Bekleidungsindustrie zu nehmen. Als erste Stelle regelte die Bekleidungs-Abteilung (B. 3) des Kriegsministeriums in Verbindung mit den Kriegsbekleidungsämtern und dem im Laufe des Krieges errichteten Bekleidungs-Beschaffungs-Amt (B.B.A.) die Vergebung der Näharbeit für die Bekleidung und Ausrüstung des Heeres und wirkte bei der Aufstellung der Berechnungsgrundlagen für die zur Bekleidung erforderlichen Gewebe mit. Das Ingenieur-Komitee als zweite Stelle war maßgebend für die Bestimmungen bei der Vergebung der umfangreichen Sandsackaufträge. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung als dritte Stelle mußte auf die Preise der Rohstoffe und Halbfabrikate und damit auch auf die Löhne, soweit sie die Heeresversorgung zu fördern oder zu gefährden geeignet waren, einwirken, und sie hatte ferner die Streckung der Arbeit und die Auswahl der heranzuziehenden Betriebe in der Hand. Daneben kam dann noch das Waffen- und Munitions-Beschaffungs-Amt für Zündertuche mit umfangreichen Vergebungen in Betracht. Soweit Bundesratsverordnungen und Verfügungen der Militärbefehlshaber auf dem Gebiet der Arbeitsverhältnisse der Spinnstoffarbeiter ergingen, sind sie — wenn man von einigen Ausnahmen im Geltungsbereiche der Reichsbekleidungsstelle absieht — auf Anregung der genannten Heeresverwaltungsstellen zurückzuführen.

Zuständigkeit in Lohnfragen Die Zuständigkeit der Heeresstellen in Lohnfragen war zum Teil strittig. Im Anfang des Krieges traten sie bereitwillig für eine ausreichende Entlohnung der Arbeitnehmer im Spinnstoff- und Bekleidungsgewerbe ein; als aber der Heeresbedarf und damit die Ausgaben immer mehr anschwollen, und bei der langen Kriegsdauer auch die dauernde Wirkung derartiger Maßnahmen für die ganze Zukunft der Industrie immer wahrscheinlicher wurde, hielten sich die Heeresstellen nicht mehr für zuständig, einseitig grundsätzliche Regelungen zu verfügen. Vor allem trat das hervor, als im dritten Kriegsjahr die Arbeiter des Spinnstoffgewerbes nachdrücklich die Forderung von Mindestlöhnen aufstellten. Das Reichsamt des Innern suchte ebenfalls der grundsätzlichen Regelung dieser einschneidenden Frage auszuweichen und sich hinter das Vorgehen einzelner Bundesstaaten zu verschanzen. Ein Schriftwechsel, der aus

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 Verhältnisse der Arbeitnehmer

Anlaß von Klagen eines Reichstagsabgeordneten über ungenügende Entlohnung der Arbeiter in der Spinnerei von Papiergarn für die Sandsacknäherei begann, gibt einen Einblick in diese Verhältnisse. Von Februar bis Oktober 1917 lief die Eingabe zwischen dem Bekleidungs-Beschaffungs-Amt, der Bekleidungs-Abteilung, der Kriegs-RohstoffAbteilung, dem Waffen- und Munitions-Beschaffungs-Amt, dem Ingenieur-Komitee (Pionier-Beschaffungs-Amt) und dem Kriegs-Ersatz- und Arbeits-Departement um, ohne daß es gelang, die klare Zuständigkeit einer dieser Stellen festzulegen, die sich alle bemühten, die unbequeme Eingabe einer der anderen Stellen zuzuschieben. Im Anfang und auch später noch in manchen Einzelfällen konnten aber die Heeresstellen ein Eingreifen nicht vermeiden. Einer der ersten Eingriffe in Lohnverhältnisse überhaupt ging vom Stellvertretenden Generalkommando in Leipzig aus. Dort mußte im Oktober 1917, um die Versorgung der aufzustellenden Verbände sicherzustellen, auf Grund des Kriegsleistungsgesetzes die zwangsweise Lieferung von wöchentlich 2000 Mänteln seitens der Stadt Leipzig angeordnet werden, wozu diese alle Schneidermeister und Schneidergesellen aufrief. Bei den Verhandlungen hierüber wurden die bis dahin üblichen Nählohnsätze um 20 % erhöht mit der Maßgabe, daß 15 % den Arbeitern und 5 % den Unternehmern zufallen sollten.

Maßnahmen des Ingenieur-Komitees Von den Rohstoff-Beschaffungsstellen sah sich auf Grund der ihm obliegenden Sandsackbeschaffung das Ingenieurkomitee am frühesten veranlaßt, einzugreifen, und zwar zugunsten der Heimarbeiterinnen. Das Komitee berichtete darüber Mitte 1916, seit welcher Zeit wesentliche Neuerungen im Aufbau seiner Organisation zur Regelung der Näharbeiten von Sandsäcken nicht zu verzeichnen sind, wie folgt: Das Ingenieur-Komitee hat bei der Beschaffung der Sandsäcke für Feldheer und Marine von allem Anfang an darauf Bedacht genommen, neben Erfüllung seiner rein militärischen Aufgabe den Zeitverhältnissen dadurch Rechnung zu tragen, daß es die Näharbeiten an Sandsäcken in steigendem Maße unterstützungsbedürftigen Kriegerfrauen zuzuführen bemüht war. Als daher Ende August 1914, noch im Bewegungskriege, die Beschaffung eines Sandsackvorrates von einer halben Million nötig wurde, wurde diese dem Vaterländischen Frauenverein in Wilmersdorf in Auftrag gegeben, der sich verpflichtet hatte, die Säcke von Kriegerfrauen nähen zu lassen. Der Verein, der bis in den Sommer 1915 einer der Hauptlieferer des Ingenieur-Komitees blieb, war aber angeblich nicht in der Lage, den mit Beginn des Stellungskrieges dauernd steigenden Bedarf vollständig zu decken. Aus diesem Grunde wurden große Aufträge der ‚Deutschen Planfabrik G. m. b. H.‘ gegeben, die unter Anschluß führender Persönlichkeiten des Vaterländischen Frauenvereins Wilmersdorf als reine Erwerbsgesellschaft gegründet war. Auch hier wurde die Näharbeit ausschließlich von Kriegerfrauen besorgt. Das Ingenieur-Komitee hatte, um eine ausreichende Bezahlung sicherzustellen und die Frauen vor jeder etwaigen Ausbeutung zu bewahren, in den Verträgen mit den genannten beiden Hauptlieferern bestimmt, daß mindestens die ortsüblichen Tagelöhne zu bezahlen seien. Diese Bestimmung wurde dann auch in die Verträge mit anderen Lieferern, zu denen das Ingenieur-



Maßnahmen des Ingenieur-Komitees 

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Komitee im Frühjahr des Jahres 1915 übergegangen war, hinübergenommen und mündlich in vielen Fällen dahin ergänzt, daß für das Nähen von 100  Säcken ohne Tragschlaufe 4  M und für das Nähen von 100 Säcken mit Tragschlaufe 7 M bei kostenloser Lieferung der Nähgarne zu zahlen seien. Diese Entscheidung wurde, vornehmlich in Berlin, bei der allgemeinen Steigerung der Lebensmittel allmählich als zu gering erachtet, so daß Mitte Juni 1915 der Nählohn für beide Sorten von Sandsäcken um je 1 M erhöht wurde. Diese Lohnbedingungen wurden vom Ingenieur-Komitee von da ab in die Lieferungsverträge fast allgemein eingesetzt und niedrigere Preise nur noch in wenigen Ausnahmefällen in kleineren Städten zugelassen... Noch bevor diese erste einheitliche Regelung der Nähpreise überall und grundsätzlich durchgeführt war, zeigte sich, daß von gewissenlosen Lieferern sowohl des Ingenieur-Komitees als auch der Heeresparks (die bis Juli 1915 Sandsäcke selbständig beschafften) eine weitgehende Lohndrückerei getrieben worden war, so daß den Näherinnen mitunter geradezu Hungerlöhne bezahlt worden waren. Um diesen Mißständen abzuhelfen, wurden die Vertragsbedingungen in folgender Fassung festgelegt: ‚Die Firma ist verpflichtet, den von ihr mit Herstellung der Sandsäcke beschäftigten Heimarbeiterinnen diese in vorschriftsmäßiger Größe zugeschnitten zu überweisen und bei kostenloser Lieferung des Nähgarns einen Nählohn von M ... für das Nähen von hundert Sandsäcken ohne Trageschlaufe und M ... für das Nähen von hundert Sandsäcken mit Trageschlaufe zu zahlen. Sie darf den Heimarbeiterinnen keine Abzüge machen außer den gesetzlichen Beiträgen zur Krankenkasse und Invaliditätsversicherung. Falls sie die Näharbeiten an Nähstuben und ähnliche Einrichtungen außerhalb des eigenen Betriebes vergibt, hat sie dies dem Ingenieur-Komitee mitzuteilen und die mit solchen Arbeiten bedachten Nähstuben usw. unter genauer Angabe der Adresse aufzuführen. Sie haftet als Vertragausführende dafür, daß auch den auf diese Weise beschäftigten Heimarbeiterinnen der im Vertrage ausgemachte Nählohn bei kostenloser Nähgarnlieferung ungekürzt ausbezahlt wird. Verstöße gegen diese Bestimmungen berechtigen das Ingenieur-Komitee, den Vertrag sofort aufzulösen mit den in Ziffer 7 der allgemeinen Lieferungsbedingungen festgesetzten Folgen. Das Einknüpfen der Kordel ist in dem ausgemachten Nählohn nicht einbegriffen und muß von der Firma besonders bezahlt werden mit M ... für hundert Säcke oder einem Tagelohn von mindestens M ... bei zehnstündiger Arbeitszeit. An Heimarbeiterinnen, die das Nähen von Sandsäcken als Nebenverdienst ausführen, dürfen wöchentlich nicht mehr als 300  Säcke, an Heimarbeiterinnen, die das Nähen von Sandsäcken als Hauptverdienst ausführen, wöchentlich nicht mehr als 600 Säcke ausgegeben werden. Durch diese Streckung der Heimarbeit dürfen Verzögerungen in den Lieferfristen nicht eintreten,‘ Die Aufsicht über die Innehaltung der vom Ingenieur-Komitee hinsichtlich Entlohnung der Heimarbeit getroffenen Vertragsbestimmungen wurde vornehmlich dadurch unterstützt, daß aus der durch entsprechende Pressemitteilungen unterrichteten Öffentlichkeit Anzeigen über Lohnwucher teils von Behörden, teils von Berufsorganisationen, Vereinen usw., aber auch von den Arbeiterinnen selbst einliefen. Jeder Fall ist durch Inanspruchnahme der örtlich zuständigen Polizeibehörde untersucht und gegen jede Ausbeute vorgegangen worden. ... Die gesetzliche Handhabe hierzu bot der § 9 des Gesetzes über den Belagerungszustand, der es dem Oberkommando in den Marken bzw. den Stellvertretenden Generalkommandos ermöglichte, die Schließung des Betriebes und seine polizeiliche Überwachung anzuordnen. Dies ist auf Veranlassung des IngenieurKomitees oder wenigstens nach seiner dienstlichen Inanspruchnahme in einer ganzen Reihe von Fällen geschehen. Es ist aber mit Genugtuung festzustellen, daß Lohndrückereien sehr bald erheblich zurückgegangen sind, und daß auch die Beschäftigung von kleineren Zwischenmeistern, die schon wegen der großen Zahl schwer zu beaufsichtigen sind, fast gänzlich aufgehört hat. Die aus sozialen Gründen ständig steigende Heranziehung der Heimarbeit zum Nähen der Säcke und die Beobachtung, daß bei den bisherigen Lohnsätzen von 5 bzw. 8 Pfg. ein Hinüber-

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 Verhältnisse der Arbeitnehmer

fließen von Frauen anderer Berufsarten zu dieser verhältnismäßig leichten Arbeit eintrat, hat das Ingenieur-Komitee zu einer vollständigen Neuregelung der gesamten Lohnsätze für Fabrik und Heimarbeit nach einheitlichen, für ganz Deutschland passenden Grundsätzen veranlaßt. Um die Preisverschiedenheit der Lebensführung in den einzelnen Orten zu berücksichtigen, wurde von dem amtlich festgesetzten „ortsüblichen Tagelohn“ ausgegangen und darüber hinaus eine Art Teuerungszulage von 40  % vorgeschrieben. Bei der Heimarbeit war dabei zu berücksichtigen, daß diese leichter und bequemer als Fabrikarbeit und daher geringer zu bezahlen ist, sowie daß sie nur als eine Art Nebenverdienst für eine 5—6stündige Arbeit neben der sonstigen haus- und landwirtschaftlichen Tätigkeit angesehen werden soll oder als eine Art Zuschuß zu der staatlichen und kommunalen Unterstützung. Diese Minderentlohnung wird durch die Bestimmung erreicht, daß einer Frau nur eine bestimmte Anzahl Säcke wöchentlich ausgefolgt werden darf, einer Familie die doppelte Anzahl. Um hierfür einen befriedigenden Maßstab zu finden, hat das Ingenieur-Komitee in seinen eigenen Räumen Säcke verschiedener Art und aus verschiedenen Stoffen, und zwar von Frauen mit verschiedener Übung, nähen lassen... Etwa vom Oktober 1915 an wurde, unterstützt durch entsprechende Vorstellungen der Industrievertreter, im Ausschuß für Sandsackbeschaffung der Grundsatz immer schärfer zur Durchführung gebracht, Sandsackaufträge nicht mehr an Stadtmagistrate, Wohlfahrtsvereine usw. zu vergeben, sondern lediglich an Firmen der berufenen Gewerbe. Dem berechtigten Interesse jener Vereine usw. an Näharbeit — ohne Unternehmergewinn — mußte und sollte aber gleichwohl auf andere Weise genügt werden. Dies geschah einmal dadurch, daß in den Verträgen mit gewerblichen Firmen regelmäßig ‚Anfertigung durch Heimarbeit‘ vorgeschrieben wurde, andererseits dadurch, daß das Ingenieur-Komitee selbst Stoffe ankaufte, um sie lediglich zum Nähen weiterzugeben ... Als das Ingenieur-Komitee selbst in die Lage kam, die von ihm angekauften Stoffe an Wohlfahrtsvereine und Magistrate zu vergeben, trat die Notwendigkeit immer deutlicher hervor, zum Zwecke einer gerechten Verteilung eine gewisse Zentralisierung anzustreben. Man griff hierbei in der Folge auf einen Versuch zurück, den die Pionier-Bedarfs-Gesellschaft Berlin, die im August 1915 einen Auftrag auf 44 Millionen Sandsäcke aus Papierersatzstoff erhalten hatte, — seinerzeit allerdings vergeblich — unternommen hatte. Unter Führung einer an der Spitze vieler Wohlfahrtsbestrebungen stehenden hochgestellten Dame hatte die Pionier-Bedarfs-Gesellschaft seinerzeit versucht, zunächst in Berlin einen Zusammenschluß aller derjenigen Wohlfahrtsvereine u. dgl. herbeizuführen, die durch Beschaffung von Näharbeit bemüht waren, Kriegsnot zu lindern. Vertreter des Zentralkomitees vom Roten Kreuz, der Vaterländischen Frauenvereine, des Nationalen Frauendienstes, des Ausschusses für Konfektionsnotarbeit, der Arbeitsnachweise usw. traten zu diesem Zweck zu mehreren Sitzungen zusammen. Hier zeigte sich die höchst beklagenswerte Erscheinung, daß fast jede der vertretenen Organisationen sich allein für durchaus geeignet und auch befugt hielt, jeden noch so großen Sandsackauftrag allein und durch ihre eigenen Arbeiterinnen ausführen zu lassen... Angesichts der erwähnten gescheiterten Versuche mußte von vornherein darauf verzichtet werden, eine zentrale Verteilungsstelle etwa dadurch zu schaffen, daß man mehrere bereits bestehende und mit derartigen Aufgaben vertraute Vereine zusammenfaßte. Das IngenieurKomitee wählte vielmehr eine Organisation, die sich bisher nie mit Vergebung von Näharbeit befaßt hatte, die aber durch die Persönlichkeiten ihrer Vorstandsmitglieder eine sichere Gewähr für eine autoritative Stellung bot. Mit Genehmigung des Kriegsministeriums wurde der unter dem Vorsitz eines vortragenden Rates im Justizministerium stehende deutsche Wohlfahrtsbund, der, da er sich mit Sandsacknäharbeit nie befaßte, die notwendige unbeteiligte Stellung verbürgte, beauftragt, eine besondere Abteilung als ‚Kriegsausschuß für Heimarbeit‘ zu bilden. Bedauerlicherweise mußte auch hier wieder eine vollständige Verkennung der guten sozialen Absichten des Ingenieur-Komitees festgestellt werden. Einige Organisationen nämlich, die zu



Regelung der Näharbeit für die Heeresbekleidung 

 251

dieser Besprechung gerade auf Grund der früheren, oben erwähnten Erfahrungen der PionierBedarfs-Gesellschaft absichtlich von dem Deutschen Wohlfahrtsbunde nicht eingeladen waren, überschütteten das Ingenieur-Komitee und die vorgesetzten Stellen mit Protesten und Beschwerden über die geplante Maßnahme. Die organisatorische Entwicklung des Kriegsausschusses für Heimarbeit hat zu folgendem Abschluß geführt: zu dem vom Deutschen Wohlfahrtsbunde gestellten Vorsitzenden trat ein Stellvertreter vom Zentralkomitee der Vereine vom Roten Kreuz, die beide zusammen mit einem Schriftführer und Schatzmeister (vom Deutschen Wohlfahrtsbunde) den Vorstand bilden. Als Mitglieder traten bei: Vertreter des Hauptvorstandes der Vaterländischen Frauenvereine, des Gewerkvereins der Heimarbeiterinnen, des Deutschen Städtetages, des Kriegsausschusses für Truppenbedürfnisse (sächsische Organisation der Heimarbeit), des Badischen Landesvereins vom Roten Kreuz (badische Organisation der Heimarbeit), der mecklenburgischen Regierung und der Kabinettsrat der Kaiserin, Freiherr von Spitzenberg. Neben dem Ingenieur-Komitee sind durch je einen Delegierten vertreten: die Kriegsausschüsse der Deutschen Baumwoll-, Leinen- und Juteindustrie und der Österreichisch-Ungarische Hilfsverein in Berlin, letzterer einem besonderen Antrag der hiesigen österreichischen Botschaft entsprechend. Mit dem Ingenieur-Komitee wurde unter Zustimmung des Kriegsministeriums eine ‚Geschäftsordnung‘ vereinbart, und einer Anregung des Ingenieur-Komitees entsprechend kurze Zeit nach Gründung des Kriegsausschusses daran gegangen, in allen Provinzen und Bundesstaaten besondere Zentralstellen zu schaffen, die wieder die Unterverteilung der zu vergebenden Sandsäcke vornehmen sollten. Mit Ausnahme von Bayern, das seinen Bedarf an Sandsäcken selbst beschaffte und daher im Kriegsausschuß für Heimarbeit nicht vertreten war bzw. vom Ingenieur-Komitee keine Näharbeit erhielt, war die Bildung der Zentralstellen in allen Provinzen und Bundesstaaten bis etwa Anfang 1916 vollzogen.

Der Umfang der Sandsacknäharbeit schwankte sehr. Nach der Beschlagnahme der inländischen Stoffe für Heeresbekleidungszwecke blieben für die Anfertigung von Sandsäcken im wesentlichen nur Stoffe aus den besetzten Gebieten, der Beschlagnahme nicht unterliegende dünne Leinenstoffe und Ersatz- (Papier-)stoffe übrig. Der Bedarf an Sandsäcken, den man zeitweise bis auf 250—300 Mill. Stück im Jahr geschätzt hatte, konnte anfänglich aus Mangel an entsprechenden Stoffen nicht in diesem Umfange gedeckt werden, später ging er mit der Einführung geänderter Kampfesweisen erheblich zurück. Immerhin ergab eine Berechnung auf Grund der bis Mitte 1916 ausgezahlten Nählöhne, wenn man damals für eine Person durchschnittlich 1,50 M Verdienst annimmt, daß im Mittel durch die Sandsacknäharbeit des IngenieurKomitees täglich 14 000 Heimarbeiterinnen beschäftigt werden konnten.

Regelung der Näharbeit für die Heeresbekleidung Ähnliche Wege ging die Regelung der umfangreichen Näharbeit für die Heeresbekleidung. Die ersten Arbeitsregelungen durch die Bekleidungs-Abteilung (B. 3) stammten aus August 1914.

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 Verhältnisse der Arbeitnehmer

Unter Nr. 1114/8.14 B 3 wurde verfügt, daß in verschiedenen Bezirken Berlins Betriebswerkstätten für Heimarbeiterinnen errichtet und Arbeit unmittelbar an solche vergeben werden sollte. Es handelte sich um Heeresaufträge aus Drilchzeug, Hemden, Unterhosen, Halsbinden, Helmüberzüge, Salzbeutel, Tuchhandschuhe, warme Unterkleider, Leibbinden, Kopfschützer, Ohrenklappen, Pulswärmer, Zwiebackbeutel, Säcke, Wäsche für den Kasernen- und Lazaretthaushalt u. dgl. Es sollte auch auf Vorrat gearbeitet werden. Daneben wurde den Heereslieferern nahegelegt, nicht mit verlängerten Tagesschichten ober gar mit Nachtschichten zu arbeiten, sondern neue Arbeitskräfte einzustellen, und sie wurden ersucht, Teile der übernommenen Aufträge an die Fürsorgestellen für Heimarbeit abzutreten. Im November 1914 hatte B. 3 Veranlassung zu verfügen, daß jedes Kriegsbekleidungsamt, welches in dem Geschäftsbereich eines anderen Arbeit bei Handwerkern oder Heimarbeiterinnen unterbringen wollte, sich mit dem für den Anfertigungsort zuständigen Amt über die zu zahlenden Macherlöhne vorher in Verbindung zu setzen habe, da vielfach ganz gleiche in Berlin untergebrachte Arbeit von den einzelnen Kriegsbekleidungsämtern sehr verschieden bezahlt worden war2. Am 13.  April 1915 wurde den Kriegsbekleidungsämtern mitgeteilt, daß, um die Arbeiter vor schlechter Bezahlung zu schützen, das Kriegsbekleidungsamt des Gardekorps sämtliche Auftragnehmer in Berlin verpflichtet habe, nicht mehr und nicht weniger als 75 % der vom Amt gezahlten Macherlöhne an die Arbeiter weiterzuzahlen. Der Auftragnehmer mußte seinen Anteil gegebenenfalls mit allen zwischen ihm und den Arbeitern befindlichen Stellen (Zwischenmeistern u. dgl.) teilen. Diese Regelung des Gardekorps wurde den anderen Ämtern empfohlen. Es sollten zwar nicht für alle Orte des Reichs gleiche Lohnsätze in Frage kommen, die Unterschiede sollten aber keine größere Höhe erreichen, als in den örtlichen Erwerbs- und Wirtschaftsverhältnissen begründet war. Ebenfalls im April wurden die Beschaffungsstellen angeregt, die Aufträge möglichst langfristig über das ganze Jahr verteilt auszugeben, damit nicht die von gemeinnützigen Unternehmen beschäftigten Heimarbeiterinnen zeitweilig brotlos würden. Im Mai 1915 endlich wurde wieder auf eine Maßnahme des Kriegsbekleidungsamtes des Gardekorps verwiesen, welches auf Grund von Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern eine Schlichtungskommission der Militärschneider zur Beratung von Vertragsbedingungen für die Ausführung von Näharbeiten ins Leben gerufen hatte. Am 4. März 1916 wurde den Kriegsbekleidungsämtern für Schneiderarbeiten und sonstige Näharbeiten die Vertragsbedingungen des Kriegsbekleidungsamts des Gardekorps zur Pflicht gemacht. Von seiten der zuständigen Stellen des Kriegsministeriums wurde auch verfügt, daß, um der Arbeitslosigkeit in der Konfektionsindustrie und in der Heimarbeit entgegenzuwirken, in den Gefangenenwerkstätten nur noch Flickarbeit, keine neuen Anfertigungen mehr gemacht werden dürften. Aus demselben Grunde ordnete das Armee-Verwaltungs-Departement eine allmähliche Betriebseinschränkung in den eigenen Schneiderwerkstätten der Bekleidungsämter an. Ferner schaffte sich die BekleidungsAbteilung eine eigene Ausgleichstelle für Heeresnäharbeit, der sie einen Beirat aus Vertretern anderer Behörden und der Arbeitnehmer zur Seite stellte; bei den einzelnen Generalkommandos wurden ähnlich zusammengesetzte Bezirksausschüsse gebildet.

Was den Umfang der gesamten Näharbeiten betrifft, so gibt ein Bericht von B. 3 für den Stand von Anfang 1916, der einen gewissen Höhepunkt in der Vergebung von Konfektionsarbeit durch die Kriegsbekleidungsämter und sonstigen Heeresverwaltungsstellen bedeutet, an:

2 So betrug z. B. 1915 für eine Drilchjacke der Höchstlohnsatz vom Bekleidungsamt II. Armeekorps nur 80 Pfg., während der Mindestsatz sich beim Bekleidungsamt des Gardekorps auf 1,65 M stellte.



Von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung ausgehende Maßnahmen 

 253

Bei eigentlichen Schnei- Bei sonstiger Näharbeit derarbeiten An Schneideranfertigungen oder sonstigen Näharbeiten waren am Jahresanfang 1916 beteiligt

Unmittelbar beschäftigte Heimarbeiterinnen………........................................… Durch gemeinnützige Arbeitsausgabestellen (wie Fürsorgestellen und sonstige Vertretungen für Heimarbeiterinnen) beschäftigte Heimarbeiterinnen……...……

Zahl der Auftragnehmer

Zahl der von Zahl der Auf- Zahl der von den Auftrag- tragnehmer den Auftragnehmern nehmern weiterbesch. weiterbesch. Personen Personen

830

3 227

1 196

4 341

67

7 000

538

159 105

Daß die Tätigkeit der Heeresverwaltung auf dem Gebiete der Regelung der Löhne und Arbeitsbedingungen für die Heimindustrie nicht erfolglos war, geht aus einem Satz einer Eingabe vom 1. Dezember 1917 an Bundesrat und Reichstag hervor, die gemeinsam von der Generalkommission der Gewerkschaften, dem Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften, dem Verband der Deutschen Gewerkvereine (HirschDuncker), der Polnischen Berufsvereinigung, der Arbeitsgemeinschaft kaufmännischer Verbände, der Arbeitsgemeinschaft technischer Verbände und der Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände verfaßt war. Es heißt darin: „Dank den Bemühungen der Heeresverwaltung sind die Löhne der Heimarbeiter einigermaßen auf der Höhe gehalten worden.“

Von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung ausgehende Maßnahmen Neben den Maßnahmen des Ingenieur-Komitees und der Bekleidungs-Abteilung waren von der K.R.A. ausgehende oder beeinflußte Verfügungen von großer Bedeutung für die Arbeitsverhältnisse in der Konfektionsindustrie. Sie fanden ihren ersten Ausdruck in einer von der K.R.A. veranlaßten Verordnung der Militärbefehlshaber WM 77/1. 16 KRA vom 15. Januar 1916. In ihr wurde das Zuschneiden mittels mechanisch angetriebener Maschinen verboten, die Näharbeit mit Maschinen auf 30  Stunden in der Woche beschränkt, niedrigere Lohnsätze als im Dezember 1915 ortsüblich für Konfektionsarbeiter untersagt. Trotz der verkürzten Arbeitszeit der Maschinen durften die an diesen beschäftigten Arbeiter nicht weniger als den bisher ortsüblichen Wochenlohn verdienen. In Streitfällen sollte ein Gutachten von der örtlich zuständigen Handwerkskammer eingeholt werden. Eine zweite Bekanntmachung Bst 1391/3.16 vom 4.  Mai 1916 und die dazu am gleichen Tage erlassenen preußischen Ausführungsbestimmungen verschärften und erweiterten diese Vorschriften für alle Werkstätten, welche Web-, Wirk- und Strickstoffe irrt großen verarbeiteten. Es wurde

254 

 Verhältnisse der Arbeitnehmer

hierbei ein bemerkenswerter Versuch von Grenzfestsetzungen nach unten und oben vorgenommen: man verbot die Vermehrung der mit dem Zuschneiden beschäftigten Personen über den Stand vom 1. Februar 1916 hinaus und ebenso eine Kündigung der Arbeitskräfte unter ein gewisses, von dem früheren Betriebsumfang abhängiges Maß. Nicht nur der Betrieb von Zuschneidemaschinen mit mechanischer Kraft war verboten, sondern es wurde auch die Verwendung von Zuschneidemaschinen mit Handoder Fußbetrieb auf fünf Stunden am Dienstag einer jeden Woche beschränkt. Trotz der starken Verkürzung der Arbeitszeit durften die Gehälter und die auf Grund von Zeitlohn ausgezahlten Wochenlöhne um nicht mehr als zwei Zehntel gegenüber dem Stand vom 1. Februar 1916 verkürzt werden, und Stücklöhne mußten mindestens auf dem Stand vom 1. Februar bleiben. Sofern nicht auf diesen Grundlagen in der Woche der neunfache Betrag des ortsüblichen Tagelohnes überschritten wurde (beispielsweise für Berlin der Betrag von 27 M) hatten die Unternehmer einen Zuschuß in Höhe von einem Zehntel der nach obigen Grundsätzen ausgezahlten Verdienste zu leisten. Einzelne Heimarbeiter durften nicht mehr als sieben Zehntel ihrer früheren Arbeitsmenge erhalten, und zwar zu nicht geringeren Stunden- oder Stücklohnsätzen als am 1. Februar 1916, wozu auch für die Heimarbeit ein Zuschuß von 10 % vorgeschrieben war; Auszüge aus diesen Vorschriften mußten in allen Arbeitsstuben angebracht werden. Bei diesen Grenzfestsetzungen nach oben und unten handelte es sich um einen Versuch, zwei einander widersprechende Gesichtspunkte zu vereinen, nämlich Schonung der Rohstoffbestände und zugleich Vermehrung der Arbeit. Daß das nur auf Kosten des Wirkungsgrades der Arbeit möglich war, war das Bedenkliche. Von Mitte 1915 an rechnete die Heeresverwaltung mit einer langen Kriegsdauer; sie beschlagnahmte mehr und mehr alle Rohstoffvorräte, um sie an der Hand weitreichender Wirtschaftspläne in beschränkten Mengen auf die Industrie zur Herstellung des notwendigsten Heeresbedarfs zu verteilen. Die Regelungen zur Arbeitsstreckung griffen nun von der Konfektion auch auf die Herstellung von Gespinsten und Geweben über. Eine auf Anregung der K.R.A. erlassene Bundesratsverordnung vom 12. August 1915, später ersetzt durch die Fassung vom 7. November 1915, verkürzte die Arbeitszeit in den Spinnereien und Webereien auf höchstens 5 Tage zu je 10 Stunden in der Woche. Noch weiter gingen im Dezember 1915 verfügte Einschränkungen in der Baumwollspinnerei, in der nur noch die Verarbeitung von höchstens 30 % der Friedensmengen zugelassen wurde. Vom 1. April 1916 ab wurde in den Baumwollspinnereien die Zahl der Maschinenstunden weitgehend beschränkt. Die Verhältnisse führten aber trotz der Streckung der Arbeit zu einer starken Verschärfung der Arbeitslosigkeit. Um die Arbeitslosigkeit nicht zur Handhabe für einen Lohndruck werden zu lassen, erhielt der § 1 der Lieferungsbedingungen des B.B.A. die Fassung: „Voraussetzung für die Erteilung von Aufträgen ist, daß der Unternehmer den Arbeitern Lohnsätze gewährt, die es diesen ermöglichen, einen Tagesverdienst zu erreichen, welcher nicht hinter demjenigen gelernter Arbeiter der in Frage kommenden Arbeitsart zurücksteht. Ferner ist für die Aufrechterhaltung des Vertrages



Öffentliche Unterstützungsmaßnahmen 

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Voraussetzung, daß der Auftragnehmer denjenigen Betrieben, die mit gleichen oder gleichartigen Lieferungen betraut sind, nicht durch Zusicherung oder Zahlung außergewöhnlich hoher Löhne oder sonstiger Entschädigungen Arbeitskräfte entzieht.“

Öffentliche Unterstützungsmaßnahmen Wo Arbeitsbeschaffung und Lohnregelung nicht vermochten, der Schwierigkeiten Herr zu werden, trat die Unterstützung der Spinnstoffarbeiter ein. Zum Unterhalt bedürftiger Familien von Kriegsteilnehmern waren durch Reichsgesetz vom 28. Februar 1888, sowie durch Gesetz vom 4. August 1914 die Lieferungsverbände (Kommunalverbände) verpflichtet. Sie mußten bei Bedürftigkeit die zur geordneten Fortführung des Haushalts erforderlichen Mittel gewährleisten. Sobald die Unterstützungsbedürftigkeit überhaupt anerkannt wurde, war sie an bestimmte Mindestsätze gebunden3. Es wurde von vorneherein betont, daß in größeren Industrieorten, wo Nebenverdienst schwer zu beschaffen war, über diese Mindestsätze hinaus Mehrleistungen nicht nur in Ausnahmefällen, sondern für den Durchschnitt nötig sein würden, und es wurde die Gewährung solcher Mehrleistungen aus der Pflicht der Liefererverbände, das zum Unterhalt Nötige zu leisten, abgeleitet. Derartige Mehrleistungen wurden von den Gemeinden sehr verschieden gehandhabt. Vielfach zahlten sie einheitlich ein Drittel, die Hälfte, auch den vollen Betrag der Kriegerfamilienunterstützung noch einmal. Für diejenigen Erwerbslosen, die nicht an der Kriegerfamilienunterstützung Anteil hatten, trat die allgemeine Erwerbslosenfürsorge ein, wobei das Reich für leistungsschwache Gemeinden Zuschüsse bewilligte. Die Gemeinden wurden bald angewiesen, diese Fürsorge nicht als Armenunterstützung anzusehen, damit die politischen Rechte der Unterstützten erhalten blieben. Diese Fürsorgeeinrichtungen für die Erwerbslosen hatten den Fehler, theoretisch völlige Erwerbslosigkeit zur Voraussetzung zu haben. Die besonderen Verhältnisse des Spinnstoffgewerbes, wo neben der völligen Arbeitslosigkeit die Minderbeschäftigung zur Unterstützungsbedürftigkeit zahlreicher Arbeiter führte, ließen die allgemeine Erwerbslosenfürsorge auf die Dauer nicht als ausreichend erscheinen, sondern drängten auf besondere Regelungen hin, die von der Voraussetzung der völligen Arbeitslosigkeit absahen und auch höhere Sätze zugestanden. Einige Gemeinden hatten von vornherein Sonderbestimmungen für Textilarbeiter geschaffen. Im Oktober 1915, kurz vor Einführung einer besonderen Textilarbeiterfürsorge durch das 3 Die Mindestsätze für Kriegerfrauen Unterstützung betrugen bis zum 1. November 1917 monatlich 20 M für die Kriegerfrau und 10 M für andere Angehörige; vom 1. November 1917 ab sollten die Sätze durch Bundesratsbeschluß auf 30 M bzw. 15 M erhöht werden, man begnügte sich aber wegen der ungleichartigen örtlichen Verhältnisse damit, Erhöhungen nur anzuempfehlen und einen Reichszuschuß bis zu 5 M monatlich für solche Erhöhungen zu versprechen.

256 

 Verhältnisse der Arbeitnehmer

Reich, wurden an 70 für das Spinnstoffgewerbe wichtigen Orten regelmäßige öffentliche Unterstützungen an Spinnstoffarbeiter — an einigen Orten nur für Baumwollspinner — gezahlt; an 25 Orten unterstützte man die Spinnstoffarbeiter nur von Fall zu Fall, an 20 waren Maßnahmen in Vorbereitung, an 95 Orten mit bedeutendem Spinnstoffgewerbe gab es aber noch keinerlei Sonderbestimmungen. Die Sätze, die gezahlt wurden, waren meist gering und deckten sich vielfach mit denen der Erwerbslosenfürsorge. Es zahlten beispielsweise wöchentlich (wobei Verschiedenheiten selbst für unmittelbar benachbarte Orte charakteristisch waren):

für für für für für für

eine alleinstehende Person……………… das Familienhaupt…………………….....… die Ehefrau……............................…… Kinder über 14 Jahren…………........…… Kinder zwischen 10—14 Jahren……..… Kinder unter 10 Jahren…………....………

Elberfeld

Barmen

M

M

4,50—5,— 3,80 2,80 2,80 2,10 1,70

5,70 4,80 3,50 3,50 2,60 2,20

Allgemein pflegten die Zahlungen nur bei Notlage zu erfolgen; die Höhe der zu zahlenden Unterstützung wurde meistens durch die Armenvorstände der städtischen Armenbezirke festgesetzt. Die Unterstützungsbedürftigkeit wurde vielfach vom Existenzminimum aus beurteilt, welches beispielsweise in Braunschweig wie folgt angesetzt war: für für für für für für

alleinstehende Erwachsene Familien von Familien von Familien von Familien von Familien von

zwei drei vier fünf sechs

Personen Personen Personen Personen Personen

M M M M M M

15,— 21,— 28,— 35,— 42,— 49,—

im Monat „ „ „ „ „ „ „ „ „ „

Die „Allgemeine Textilarbeiterfürsorge“ Die Verhältnisse drängten zu der besonderen Regelung, die als Allgemeine Textilarbeiterfürsorge bekannt geworden ist. Zu einer reichsgesetzlichen oder landesgesetzlichen Festlegung der Sätze und der Handhabung konnte man sich nicht entschließen; in der Regel gaben aber die Bundesstaaten den Gemeinden wenigstens Ratschläge und Richtlinien an die Hand. Der Hauptinhalt der Regelung, die durch Bundesratsbeschluß vom 18. November 1915 erfolgte, betraf die Rückvergütung eines Teils der Sätze durch das Reich. Sie erfolgte derart, daß gegenüber einem Drittel Zuschuß bei



Die „Allgemeine Textilarbeiterfürsorge“ 

 257

der allgemeinen Kriegswohlfahrtspflege für die Textilarbeiterfürsorge regelmäßig bis zur Hälfte des Gesamtaufwandes gegangen werden sollte. Durch Bundesratsbeschluß konnte in hauptsächlich von dem Spinnstoffgewerbe abhängigen Gegenden die Wiedererstattung durch das Reich auf zwei Drittel, bei besonderem Notstand auf drei Viertel, für Reichsteile im Operationsgebiet noch höher steigen. Es blieb aber den Gemeinden überlassen, ob sie überhaupt die Errichtung einer besonderen Textilarbeiterfürsorge für notwendig erachteten. Bahnbrechend auf dem Gebiet der besonderen Textilarbeiterfürsorge war das Großherzogtum Baden. Es regte die Bildung von Zweckverbänden zur Erwerbslosenfürsorge für die infolge von Kriegsmaßnahmen erwerbslos werdenden Textilarbeiter schon im August 1915, also vor dem Eintreten des Reichs, an. Auch Sachsen und Bayern hatten vorbereitende Schritte getan. In Sachsen war dafür ein Ministerialbeschluß vom 15. Oktober 1915 maßgebend. Ein beim Ministerium des Innern gebildeter beratender Landesausschuß erhielt in Sachsen die Aufgabe, für die tunlichste Herabminderung der Arbeitslosigkeit, die gleichmäßige Handhabung der Grundsätze, den Ausgleich zwischen verschiedenen Kommunalverbänden und die Verteilung der Arbeitgeberbeiträge zu sorgen. Völlige Gleichmäßigkeit der Sätze in den verschiedenen Bezirken wurde auch hier nicht verlangt. In Bayern vereinbarte man in Besprechungen vom 28. Oktober 1915 die Fürsorge einheitlich für das ganze Gebiet und beschloß, sich an die Grundsätze der allgemeinen Kriegsfürsorge für Erwerbslose anzulehnen. Über die Höhe der Unterstützungssätze, die einen angemessenen Mindestbedarf decken sollten, waren Vertreter von Gemeinden, Arbeitgebern und Arbeitnehmern der drei wichtigsten bayrischen Spinnstoffindustrieorte Augsburg, Bayreuth und Hof übereingekommen. Unter diesen vereinbarten Sätzen zu bleiben, sollte nur bei ganz besonderen Verhältnissen mit Zustimmung der Regierung statthaft sein. Neben den Zuschüssen des Reichs und evtl. Bayerns, die zusammen zwei Drittel betragen sollten, hatten die Unternehmer die Bereitstellung eines weiteren Sechstels in Aussicht gestellt, so daß den Gemeinden nur ein Sechstel zu tragen verblieb. Der Vollzug sollte in der Hand kommunaler Ausschüsse liegen, deren Vorsitz der Bezirksamtmann oder Bürgermeister zu führen hatte, und in die neben Vertretern des Kommunalverbandes Arbeitgeber und Arbeitnehmer in gleicher Zahl zu berufen waren. Die Berechnung und Auszahlung der Unterstützungen konnte den Arbeitgebern übertragen werden. Die Unterstützungssätze waren, mit späterer Ausnahme von München, wo sie etwas höher angesetzt wurden, für ganz Bayern gleich. Alle Spinnstoffarbeiter sollten für jede von 58  Stunden wöchentlich ausfallende Stunde erhalten: männlich und weiblich bis 14 Jahre….........................…… männlich und weiblich 14 —16 Jahre…..........................… männlich 16—21 Jahre………………..............................…… weiblich 16—21 Jahre………………..................................… männlich ledig über 21 Jahre…………..........................……

6 10 17 13 20

Pf. Std. „ „ „ „ „ „ „ „

258 

 Verhältnisse der Arbeitnehmer

männlich verheiratet über 21 Jahre……….......................… weiblich ledig über 21 Jahre……………............................… weiblich verheiratet über 21 Jahre……........................…… Zuschlag für jedes Kind an beide Eltern zusammen 20 Pf.

24 „ 15 „ 18 „

„ „ „

Württemberg regelte die Sache so, daß es zu den Sätzen der allgemeinen Unterstützung besondere Textilarbeiterzulagen zahlte. In Preußen erfolgte die Regelung auf Grund der Bundesratsverordnung vom 18.  November 1915 durch einen Erlaß vom 14.  Dezember 1915. Zeigten die meisten Regelungen nur Abstufungen nach Familienstand und Alter, so machten in Preußen einige Gemeinden, unter anderem Aachen, von vornherein auch Unterschiede nach dem bisherigen Verdienst. Aachen legte dabei die Zugehörigkeit zu den Krankenkassenklassen zugrunde. Für Berlin wurden Bestimmungen vom 26. Mai 1916 festgelegt, die am 30.  November 1916 unter Anpassung an die besondere Unterstützung der Arbeiter in der Bekleidungsindustrie abgeändert wurden. Sie galten für Berlin und 30 seiner wichtigsten Vororte. Bemerkenswert ist, daß auch hier für die Bemessung der Unterstützung das frühere Einkommen, und zwar derjenige durchschnittliche Wochenverdienst zugrunde gelegt wurde, den der zu Unterstützende vom 1. Juli 1913 bis 1. Juli 1914 gehabt hatte. Von diesen Sätzen wurden 75 %, und zwar bis zum Höchstbetrag von 18 M wöchentlich für die Person, als Unterstützung gezahlt. Entscheidend war vielfach die Frage der Annahme anderer Arbeit durch den Erwerbslosen. In Berlin entschied über die Zulässigkeit etwaiger Ablehnungsgründe gegen angebotene Arbeit ein Magistratskommissar unter Mitwirkung eines Ausschusses aus drei Arbeitgebern und drei Arbeitnehmern endgültig. Arbeitnehmer, die sich dieser Entscheidung nicht unterwerfen wollten, wurden von der Sonderfürsorge ausgeschlossen und wieder der allgemeinen Arbeitslosenfürsorge überwiesen.

Die Höhe der Sätze Die Höhe der Sätze war in weiten Grenzen verschieden. Sie unterlag auch häufigen Abänderungen. Der ungefähre Stand vom Mai 1916 war — zurückgeführt auf die beiden Fälle des alleinstehenden Mannes mit eigenem Haushalt und des kinderlosen Ehepaares (im letzteren Falle Mann und Frau unterstützungsberechtigt) — in der Woche:



Die Höhe der Sätze 

 259

für den alleinstehenden für das kinderlose Ehepaar Mann

Königreich Bayern (ohne München)……….… München………………............................…… Württemberg………….........................……… Chemnitz, Stadt…………….......................… Chemnitz, Amtshauptmannschaft Zwickau, Stadt…………............................… Zwickau, Amtshauptmannschaft Zittau………………………............................… Dresden, Stadt…………….........................… Leipzig…………………..........................……… ganz Baden…………........................………… Sachsen-Meiningen……....................……… Krefeld………………..........................………… M.-Gladbach………….......................………… Barmen……………….........................………… ganz Brandenburg (ohne Berlin und Nowawes)……………….............................… Reichenbach i. Schl. ……......................…… Aachen, Stadt………........................…………

M

M

13,52 15,08 12,80 9.— 8.— 10.— 9.— 9,35 10,80 12,76 u. 13,92 8,12 15.— 6,20 7.— 8,85 12.—

23,56 26,68 16,80 14— 14— 14— 14— 14— 15.— 23,20 u. 24,36 13,92 25,50 7,60 12,25 12,30 19,20

12.— bis 16,80

21.— bis 24.—

Die meisten Gründe für die Abstufung der Sätze lagen in der Größe der Städte, den Verhältnissen des betreffenden Landesteiles, in der größeren oder geringeren Leistungsfähigkeit der Gemeinden, der Belastung, die sie auf Grund des Umfanges ihrer Spinnstoffarbeiterschaft erwarteten, in der Leichtigkeit oder Schwierigkeit für die Arbeiter, anderweitigen Verdienst zu finden, aber auch in den verschiedenen wirtschaftlichen Anschauungen der bestimmenden Persönlichkeiten. Bei allen Verschiedenheiten im einzelnen kehrte eine Reihe von Regelungen ziemlich allgemein wieder: ein Rechtsanspruch auf Unterstützung bestand nicht; sie war seitens der Gemeinden freimütig und jederzeit widerruflich; die Fürsorge galt nicht als Armenfürsorge; unterstützt wurde nur, wer nicht etwa vorhandene angemessene Arbeit verweigerte; Arbeitsverdienst, Mietzinseinnahmen und andere Einnahmen aus nennenswertem Vermögen rechnete man zum größten Teil oder voll an, Spargroschen, Zuwendungen von Arbeitgebern, Arbeiterorganisationen und Wohltätigkeitsanstalten in der Regel dagegen nicht. Von den Kriegerfrauenunterstützungen rechnete man nur einen Teil an; der Friedensarbeitsverdienst sollte von den Unterstützungsbeträgen im allgemeinen nicht überschritten werden; an Stelle von Geldunterstützung konnte teilweise eine solche von Lebensmitteln treten; auf falsche Angaben stand die Ausschließung von der Fürsorge.

260 

 Verhältnisse der Arbeitnehmer

Durchführung und Wirkung der Textilarbeiterfürsorge Wie bedeutend die Wirkung der Textilarbeiterfürsorge war, ergibt sich aus der großen Zahl der Arbeitslosen und Minderbeschäftigten und aus einem Vergleich der gewährten Unterstützungen mit den durchschnittlichen Verdiensten der Vollarbeiter im Spinnstoffgewerbe im Jahre 1913 nach den Aufstellungen der Textilarbeiter-Berufsgenossenschaften4. Auf Grund der Textilarbeiterunterstützung erhielt beispielsweise eine alleinstehende Frau mit zwei Kindern nach den Sätzen, wie sie im Königreich Sachsen am häufigsten waren, rund 625 M im Jahr abgesehen von etwaiger Mietsunterstützung, und ein Ehepaar mit zwei Kindern rund 935 M im Jahre zu einer Zeit, wo die starke Geldentwertung noch nicht eingesetzt hatte. Ohne die Fürsorge wären die Verhältnisse zweifellos in manchen Bezirken, vor allen Dingen im Königreich Sachsen, unhaltbar geworden. In der Kreishauptmannschaft Chemnitz mußten im Juni 1916 schon rund 50  000  Personen unterstützt werden. Eine Gemeinde in diesem Bezirk, die im Frieden 17  000  Einwohner zählte (Hohenstein-Ernstthal), wies im Juni 1916 2500 Textilunterstützte, davon 2000 ganz Arbeitslose auf. Forst mit im Frieden 12 000 Spinnstoffarbeitern stellte für das Rechnungsjahr 1918 nicht weniger als 1,5 Mill. Mark für die Textilarbeiterfürsorge ein. Ende 1916 war der Höhepunkt der Textilarbeiterunterstützung eingetreten. Die Aufwendungen des Reichs betrugen um diese Zeit bis zu 20 Mill. Mark im Monat. In Sachsen schätzte man damals die ausgezahlten Löhne nur noch auf ein Viertel bis ein Drittel des Friedensbetrages. Die Hälfte der Spinnstoffarbeiter war textilunterstützt, ein Viertel eingezogen und abgewandert, nur das restliche Viertel stand noch außerhalb der Unterstützung. Die gerechte und gleichmäßige Durchführung der Textilarbeiterfürsorge sowie die Ausschaltung unerwünschter Folgen waren außerordentlich schwierig. Die Arbeitervertreter und auch manche Amtsstellen behaupteten, die Unternehmer benutzten vielfach das Bestehen der Textilarbeiterfürsorge zum Lohndruck, indem sie ihren Arbeitern vorrechneten, daß sie bei der nun einmal nur vorhandenen Teilbeschäftigung unabhängig von den Stunden- oder Stücklöhnen doch nicht über die Sätze der Textilarbeiterfürsorge hinauszukommen imstande seien. Die Unternehmer führten ihrerseits den ungünstigen Einfluß der starken Vertretung der Arbeiter in den Ortsausschüssen an, der dazu führe, daß vielfach Unterstützungen bewilligt würden, wo 4 Es betrugen die mittleren Verdienste 1913: in der Seidenberufsgenossenschaft…………………… in der Rheinisch-Westfälischen Textil-Berufsgenossenschaft…… in der Süddeutschen Textil-Berufsgenossenschaft…… in der Norddeutschen Textil-Berufsgenossenschaft…… in der Leinen-Berufsgenossenschaft…………………… in der Sächsischen Textil-Berufsgenossenschaft……… in der Elsässischen Textil-Berufsgenossenschaft……… in der Schlesischen Textil-Berufsgenossenschaft………

980 965 925 915 880 850 815 695

M M M M M M M M

jährlich, jährlich, jährlich, jährlich, jährlich, jährlich, jährlich, jährlich.



Änderung der Lage nach Einführung des Hilfsdienstgesetzes 

 261

ganz in der Nähe durchaus angemessene Beschäftigung in anderen Betrieben — oft sogar in derselben Spinnstoffgruppe — angeboten sei. Was man gegen die Textilarbeiterfürsorge vom volkswirtschaftlichen Standpunkt einwendete, war vor allem die Gefahr, daß sie als Faulheitsprämie wirkte. Eine genügende Gegenwirkung der Arbeitgeber fehlte, da die Weiterbeschäftigung des Arbeiterstammes oft nur mit Einschieben unnötiger Arbeiten und mit einem im Frieden unerhört langsamen Zeitmaß der Arbeit möglich war. Eine entscheidende Schwierigkeit lag in der nur geringen Besserstellung des beschäftigten gegenüber dem unbeschäftigten Arbeiter. Bei der Anrechnung von 80 % des tatsächlich erarbeiteten Lohnes, wie er im Königreich Sachsen in der ersten Zeit in Übung war, verblieben dem Arbeitenden nur 20  % als Zuschlag gegenüber der Textilarbeiterunterstützung. Mehrfach standen sich die als gänzlich arbeitslos Unterstützten sogar absolut besser als die Arbeitenden. Sie hatten ihre unkontrollierbaren Nebenverdienste, und manche Gemeinden hatten die Gewährung ihrer oft hohen Zuschüsse zur Kriegerfamilienunterstützung an die Voraussetzung der völligen Arbeitslosigkeit geknüpft. Selbst Arbeiterführer bestätigten mir damals, wie die Leute in zahlreichen Fällen die Übernahme zugewiesener Arbeit auch da ablehnten, wo es sich um gleiche oder verwandte Arbeit in unmittelbarer Nähe des bisherigen Beschäftigungsortes handelte. Um einen derartigen Fall anzuführen: eine Deckenweberei mit 80 Arbeitern kam durch Einberufung des Inhabers zum Stillstand. Drei andere Deckenwebereien des eine Viertelstunde entfernten Nachbarortes, die volle Arbeit hatten, beschlossen, die 80 Leute auf ihre Betriebe zu verteilen; es erschien aber nicht einer der Leute. Eine gewisse Berechtigung konnte man vielfach denjenigen Widerständen nicht absprechen, die die Leute ihrer Verpflanzung in weitabgelegene Gegenden, in ihnen fremde Gewerbe und in die Landwirtschaft entgegensetzten. Für verheiratete Arbeiter, die ihre Familie — oft gezwungen durch den Besitz eines kleinen Grundstücks — in dem alten Wohnsitz zurückließen, bedeutete die Verpflanzung in der Regel die Führung eines doppelten Haushaltes; für alle aber Heimatlosigkeit mit all ihren Beschwerden und Gefahren. In einigen Bezirken Bayerns und Preußens hat man mit der Verpflanzbarkeit der Textilarbeiterinnen leidliche, im Königreich Sachsen dagegen, wo die Notlage besonders groß war, im ganzen schlechte Erfahrungen gemacht.

Änderung der Lage nach Einführung des Hilfsdienstgesetzes Mit der Einführung des Hilfsdienstgesetzes im Dezember 1916 änderte sich die Lage. An die Heeresverwaltung ging nicht nur die Verfügung über alle unbeschäftigten männlichen Arbeitskräfte zwischen 17 und 60 Jahren über, sondern sie erhielt auch die Pflicht der Freimachung von Arbeitskräften für kriegswichtige Zwecke. Der Weg, auf dem man im Zusammenwirken mit den Zivilbehörden zur vollen Ausnutzung jeder einzelnen Arbeitskraft kommen wollte, war der der Zusammenlegung und Stil-

262 

 Verhältnisse der Arbeitnehmer

legung der Betriebe. Von dieser Abwendung von dem bis dahin geltenden Grundsatz der gleichmäßigen Beschäftigung aller Betriebe durch Streckung der Arbeit und Verteilung derselben auf möglichst viele Personen mußte man für das an größtem Rohstoffmangel leidende Spinnstoffgewerbe sehr weitgehende Einflüsse erwarten. Als sich die Umwandlung zum Vollbetrieb der erhalten gebliebenen Gruppe von Werken (Höchstleistungsbetriebe) durch die Stillegung anderer zu vollziehen begann, zeigte sich aber, daß inzwischen bemerkenswerte Verschiebungen in der Lage des Arbeitsmarktes eingetreten waren. Das Spinnstoffgewerbe hatte seit Kriegsbeginn nur in geringem Umfang einen Zuwachs an jugendlichen Arbeitskräften erhalten. Manche alten Arbeitskräfte waren ausgeschieden, die Einziehungen zum Heeresdienst hatten sich verschärft, und inzwischen waren Spinnstoffarbeiter und -arbeiterinnen doch in größeren Mengen in die Landwirtschaft und in die Rüstungsindustrie übergetreten. Dazu kamen nennenswerte Rückstände in der Ausführung der Heeresaufträge infolge von Stockungen in der Rohstoff- und Kohlenlieferung und infolge einer immer störenderen Abnutzung der Maschinen. Alles das führte dazu, daß die Höchstleistungsbetriebe von 1917 ab stellenweise sogar unter einem gewissen Arbeitermangel standen. Die Spinnstoffarbeiter erkannten bald die für sie günstigere Lage und begannen von 1917 an auf der ganzen Linie mit Lohnforderungen und Streikdrohungen hervorzutreten, während es in den beiden ersten Kriegsjahren zu keinerlei Streiks gekommen war, und auch 1916 im eigentlichen Spinnstoffgewerbe nur ein einziger stattfand. Auch im Bekleidungsgewerbe waren bis dahin nur sechs kleine Streiks zu verzeichnen. Stellenweise waren übrigens nach der Einführung des Hilfsdienstgesetzes Lohnforderungen nur der Vorwand für politische Bestrebungen. Die am 2. August 1914 von den Gewerkschaften verkündete Aufhebung aller Streikunterstützungen wurde am 5. Mai 1917 vom Aktionsausschuß der Textilarbeiter grundsätzlich zurückgenommen. Im Vordergrund stand die Forderung von Mindestlöhnen. Die Arbeiter konnten insofern starke Gründe hierfür anführen, als die Verarbeitungsfähigkeit der zugewiesenen Rohstoffmischungen immer schlechter, unsicherer und vom Willen und Können der Arbeiter unabhängiger wurde. Sie konnten sich auch darauf stützen, daß eine Reihe der weiter oben erwähnten Einzelverfügungen der Heeresverwaltungsstellen zu Lohnfragen gewissermaßen schon eine Anerkennung von Mindestlohnsätzen in sich geschlossen hatte, und daß auch die Textilarbeiterfürsorge eine Art Mindestlohnfestsetzung war. Die Tatsache, daß die Entlohnung im Spinnstoffgewerbe mit den ansteigenden Preisen der Lebensbedürfnisse nicht Schritt gehalten hatte, wurde von Unternehmern und Behörden im großen und ganzen nicht angezweifelt. Weniger einig war man darüber, ob die Löhne dazu ausreichten, die zugewiesenen (rationierten) Lebensmittelmengen zu erwerben. Über diese hinaus war in den zum Bezug von Lebensmitteln oft ungünstig gelegenen Spinnstoffindustriebezirken auch gegen hohe Aufwendungen doch oft nichts zu erhalten. Den Versuch, eine Kriegsbedarfstafel nach den Mengen der zugänglichen Waren festzusetzen, machte im Juli 1916 in Verbindung mit



Höhe der Löhne 

 263

der Textilarbeiterfürsorge die sächsische Verwaltung. Sie rechnete für Person und Woche: Brot………………………………………………........…… Mehle…………………………………………….......…… Fleisch………………………………………………...…… Fette……………………………………………….......…… Kartoffeln……………………………………....………… Trockengemüse…………………………..……………… Teigwaren…………………………………………....…… Grüne Gemüse…………………………………………… Käse…………………………………………....…………… Trockene Fische………………………………….……… Obst und Marmelade…………….……………….…… Zucker………………....…………………………………… Milch………………………………….....………………… Kaffee………………………....……………………………

1750 450 125 90 7000 200 100 1500 250 250 500 150 1 100

g g g g g g g g g g g g l g

Selbst diese knappen Mengen sind im späteren Verlauf des Krieges nicht mehr in den Lebensmittelzuweisungen auf Karten erreicht worden.

Höhe der Löhne Was die bei den Lohnverhandlungen vorgebrachten Lohnangaben betrifft, so erwiesen sie sich als sehr unsicher und fast niemals vergleichbar. Das gilt von Angaben aus dem Frieden wie aus dem Krieg, von Angaben der Unternehmer, Arbeiter und auch der befragten Handelskammern, Reichstagsabgeordneten usw. In der Reichstagskommission vom 15. Februar 1917, die den Anstoß zu einer weitgehenden Beschäftigung mit der Lohnfrage im Spinnstoffgewerbe gab, wurde eine Reihe von Orten genannt, in denen die auf Papiergarn und Papiergarnstoffe angesetzten Arbeiter die Erwerbslosenunterstützung in Anspruch nehmen müßten, weil sie bei den bestehenden Lohnsätzen nicht auskommen könnten. Von wichtigen Orten des Spinnstoffgewerbes wurden dabei genannt: Aachen, Barmen, Berlin, Bielefeld, Braunschweig, Bremen, Kolmar, Kottbus, Delmenhorst, Elberfeld, Finsterwalde, Gera-Greiz, Groß-Schönau, Hamburg, Landeshut, Lörrach, Ludwigshafen, München-Gladbach, Rheydt und Sommerfeld. Die Beurteilung von Löhnen und Lebenshaltung ist im Spinnstoffgewerbe schwieriger als in anderen Gewerben. Die örtlichen Unterschiede infolge der Wettbewerbslage, der Lebenssitten der Leute, der Verquickung mit Hausbesitz, landwirtschaftlicher Betätigung und Heimarbeit, bestehender oder nicht bestehender Ernährungsfürsorgen, verschiedener Leistungsfähigkeit der Leute, der technischen Einrichtung und Finanzlage der Werke sind in ihren Abstufungen und Einwirkungen

264 

 Verhältnisse der Arbeitnehmer

größer als in vielen anderen Gewerben. Selbst in anscheinend ganz gleichen Fällen bedingen leichtere oder schwerere Stühle, Ein- oder Zweistuhlsystem, Abweichungen in der Zusammensetzung der Rohstoffe den Verdienst entscheidend. Sehr verändert wurde die Lage vieler Spinnstoffarbeiter-Familien durch Arbeitsverdienst eines Familiengliedes in der Rüstungsindustrie, sonstige vorhandene oder fehlende Verdienstmöglichkeit am gleichen Ort, Zuständigkeit der Kriegerfamilienunterstützung, Zahl der Arbeitskräfte in der Familie oder durch die Notwendigkeit, einen Doppelwohnsitz zu führen. Der Vergleich von Stundenlöhnen besagte im Kriege bei den Arbeitszeitkürzungen wenig für den Wochenverdienst; Vergleiche der Arbeiterzahlen und Lohnsummen desselben Werkes im Frieden und im Krieg gaben kein genaues Bild: waren hochbezahlte Arbeitskräfte ausgeschieden und andere eingerückt, so konnte sich bei einem Werk der Durchschnittslohn auf den Kopf des Arbeiters verringert haben, und doch konnte das Einkommen jeder einzelnen schon länger im Werk beschäftigten Arbeitskraft gestiegen sein. In einer Sitzung des Kriegs-Garn- und -Tuchverbandes vom 31. Mai 1917 wurde beispielsweise ausgeführt, die Löhne seien in der Tuchindustrie gegenüber den Friedenslöhnen um 10—35  % gestiegen, für die einzelnen beschäftigten Personen liege aber die Steigerung zwischen 40 und 75 %. Es standen Behauptungen gegen Behauptungen: während die Arbeiterführer vorbrachten, die Löhne seien vielfach unter den Friedensstand gesunken, und Äußerungen des sächsischen Ministeriums des Innern und der Handelskammer in Plauen zu ähnlichen Feststellungen kamen, haben die Kriegsausschüsse, Liefererverbände und auch das B.B.A. das Sinken der Löhne unter den Friedensstand als einen dem Umfang nach irgendwie in Betracht kommenden Vorgang bestritten, im Gegenteil im ganzen erhebliche Steigerungen festgestellt. Es scheint bei Lohnfeststellungen vielfach das fachliche Verständnis gefehlt zu haben. Ohne Alters-, Geschlechts-, Ausbildungs- und Verwendungsgruppierungen der Arbeiter, sowie ohne Berücksichtigung der Kriegsverschiebungen war ein brauchbarer Gesamtüberblick nicht möglich. Auch die Lohnfeststellungen des Deutschen Textilarbeiter-Verbandes zeigten die erwähnten Mängel. Für Oktober und November 1916 gab der Verband den durchschnittlichen Wochenverdienst von 2200  Männern und 3100  Frauen in rund 30  Orten an. Zieht man aus den Angaben das Mittel, so ergab sich für den Mann ein Wochenlohn von 18,80 M, für die Frau von 9,80 M; die unteren bzw. oberen Grenzen lagen für die Männer zwischen 6,50 M und 29,19 M, für die Frauen zwischen 4,41 M und 16,44 M — weitgehende Abweichungen, die wenig zur Beurteilung der Lage besagen. Spätere ausführliche Einzelangaben waren wenig besser. Es liegen aus Anfang 1917 in Listenform Lohnaufstellungen über 30 Orte und in ihnen über insgesamt 123  Firmen vor. Aus Einzelzahlen geht hervor, daß Alter, Geschlecht und Arbeitszeit den meisten Einfluß auf die Lohnhöhe gehabt haben; in welchem Grade aber diese Einflüsse gewirkt haben, ist nicht erkennbar. Nur in 2 Fällen von den 123 Lohnaufstellungen war die Altersgliederung der Arbeiter, in 40 Fällen die Arbeitsstundenzahl, in 60 Fällen die Unterart der Beschäftigung (ob Weberin, Spulerin, Reißerin, Kremplerin usw.) und selbst das Geschlecht nur in



Höhe der Löhne 

 265

65 Fällen angegeben. Die einzige Aufstellung, in welcher bei einer größeren Anzahl von Arbeitskräften Alter, Geschlecht und Stundenlohn zugleich erkennbar waren, sei als eine der brauchbarsten der beigebrachten Aufstellungen wiedergegeben. Aber auch sie ist wegen des Fehlens der Angabe der besonderen Art der Beschäftigung verhältnismäßig wertlos. Firma Claviez, Adorf i. V. Lohnaufnahme der Arbeiterinnen im Kolonnenakkord am 9. Juni 1917 Personen

Alter

7 18 15 16 10 11 7 9 5 2 1 1 1 1 1 1

Gesamtsumme Durchschnittslohn

Stundenlohn

M

M

Pfg.

103,07 258,06 227,07 254,19 161,65 166,37 118,82 130,31 74,75 33,26 14,27 16,87 15,48 15,39 15,47 23,81

14,72 14,34 15,14 15,89 16,17 15,12 16,97 14,48 14,95 16,63 14,27 16,87 15,48 15,38 15,47 23,81

25⅓ 24 25¼ 26½ 27 251/5 26½ 24⅛ 26½ 27½ 24 28 25¾ 25½ 25¾ 39½

Durchschnitt

15,92

26½

16 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 33 39 41 42 45

Einen gewissen Einblick gewähren folgende Angaben: Bei einem kinderlos verheirateten Weber und einer verwitweten Weberin mit einem Kind in Reichenberg im Vogtland schwankte das Wocheneinkommen aus Lohn, Teuerungszuschlag und Textilunterstützung vom 4. September 1916 bis 10. März 1917: Weber: Höchstbetrag………… wovon………………… Mindestbetrag……… wovon…………………

26,29 18,34 18,83 3,28

Weberin: M M Lohn M M Lohn

18,10 5,20 16,05 1,10

M M Lohn M M Lohn.

Ersichtlich war also eine Verringerung des Einkommens trotz Textilarbeiterfürsorge, sobald der Arbeitsverdienst sank. Die Arbeitsstundenzahl war leider nicht angegeben.

1. Woche 2. „ 3. „ 4. „ 5. „ 6. „ 7. „ 8. „ 9. „ 10. „ 11. „ 12. „ 13. „ 14. „ 15. „ 16. „

— 40 40 40 40 40 40 40 40 40 40 40 40 — — —

Beschäftigt Näherin als: Std.

— 13,62 13,62 13,62 13,62 13,62 13,62 13,62 13,62 13,62 13,62 13,62 13,62 — — —

M — 30 35 20 39 44 28 58 58 58 58 58 — — — —

Std.

Arbeiterin

— 8,40 9,80 5,60 10,02 12,32 9,84 16,24 16,24 16,24 16,24 16,24 — — — —

M 30 40 32 40 30 32 40 40 40 40 40 12 24 40 16 3

Std. — 40 40 40 32 40 40 40 40 40 40 40 40 — — —

Std.

Stopferin

4.

M 17,50 20,25 17,50 22,25 17,50 17,50 23,50 21,60 22,95 23,30 21,30 17,40 20,30 23,— 19,35 15,45

Tuchmacher

BekleidungsamtKgl. Webschule Firma I

3.

Firma

2.

1.

Arb. Nr.

— 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 —

Std.

Appr.-Arb.

Firma II

5.

M — 12,— 12,— 13,60 8,75 11,85 12,— 12,— 12,— 11,27 11,87 11,87 8,12 — — —

Lohnnachweisung vom 1. Januar bis 21. April 1917 für Kottbus:

— 17,— 19,— 19,— 19,— 14,60 17,80 17,— 19,— 19,— 17,60 18,— 18,40 20.— 18,40 18,40

M — 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 —

Std.

Weber

6.

— 9,— 13,20 17,20 17,60 16,40 16,— 17,60 17,36 16,77 21,30 20,46 20,43 20,— 21,09 —

M

— 37½ 37½ 37½ 37½ 37½ 37½ 37½ 37½ 37½ 37½ 37½ 37½ 54½ 35 35

Std.

Zwirnerin

Firma III

7.

— 11,54 10,45 9,79 8,91 5,55 13,32 11,43 10,49 7,68 12,02 12,10 14,29 20,10 20,51 12,43

M

— 37½ 37½ 37½ 37½ 37½ 37½ 38½ 38½ 38½ 39½ 39½ 39½ 39½ — —

Std.

Arbeiterin

8.

— 9,88 9,62 9,88 9,62 7,28 9,88 12,90 12,60 10,50 16,80 16,50 12,50 11,40 — —

M

266   Verhältnisse der Arbeitnehmer



Höhe der Löhne 

 267

Bei einer anderen Weberin ebenfalls in Reichenbach  i.  V. sind in der Zeit zwischen dem 21. Januar 1916 und dem November 1916 14 Wochen mit je 50 Arbeitsstunden angeführt, in denen der ausgezahlte Lohn mit 15,14 M begann, dann über 7,74 M auf 5,35 M fiel, sofort wieder sprunghaft auf 15,14 M anstieg, wieder auf 7,29 M fiel, um über 18,15 M zuletzt wieder 8 M zu erreichen, ohne daß irgendwelche Gründe für diese Schwankungen angegeben wären. Dieser Fall ist bezeichnend für das Fehlen erläuternder Angaben. Endlich seien noch einige Angaben wiedergegeben, welche die Unterschiede in der Entlohnung bei verschiedenen Abarten der Beschäftigung zeigen, allerdings ihrerseits wieder die wichtigen Altersstufen auslassen und sich auch auf je einen Fall für jede Beschäftigungsart beschränken (siehe Tabelle nächste Seite). Aus einem Briefwechsel eines Reichstagsabgeordneten mit dem Kriegsamt vom Oktober 1917 liegen Angaben des Deutschen Textilarbeiter-Verbandes vom 25.  September 1917 über die Lohnverhältnisse bei dem größten deutschen Unternehmen der Kammgarnverarbeitung, der „Norddeutschen Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei“ in Delmenhorst, vor. Die tatsächlich seitens der Firma damals gezahlten Löhne betrugen nach einer Aufbesserung vom 1. September 1917 bei zehnstündiger Arbeitszeit: in der Kämmerei 2,90 M für Arbeiterinnen, 4 M für Arbeiter gegen früher 2,40 M und 3,50 M. In der Vorbereitungsabteilung betrugen die Verdienste im Tagelohn vor dem Kriege 2,10 M bis 2,40 M, im September 1917 3,40 M für den Tag. Teilweise war der Tagelohn im Kriege durch Stücklohn ersetzt worden, und der Durchschnittsverdienst hatte im Mai 1917 bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 5 Tagen mit je 4 Stunden täglich 2,74 M betragen. Zu einigen anderen Zeitpunkten desselben Jahres waren die Durchschnittsverdienste für Arbeitskraft und Tag entsprechend 2,77 M, 3,23 M, 3,25 M gewesen. In der Ringspinnerei betrug der Tagelohn zu Anfang 2,80 M; später wurde das abgelieferte Kilo bezahlt. Der Lohn stellte sich danach auf den Tag und die Schicht für mehrere aufeinanderfolgende Zeiträume des Jahres 1917 auf durchschnittlich 3,23 M, 3,39 M, 3,75  M und 3,90  M. Der Stundenlohn, soweit er noch bestand, war von 2,80  M auf 3,25 M erhöht worden. In der Zwirnerei betrug der Tagelohn 2,60 M und der Verdienst im Stücklohn 16 M bis 20 M wöchentlich. Wegen des ungünstigen und ungleichmäßigen Materials arbeitete in dieser Abteilung eine größere Anzahl von Leuten im Tagelohn als im Frieden. Die Stücklohnsätze waren erhöht worden, doch wurden sie nicht ein- für allemal festgelegt, sondern blieben schwankend. Es ergaben sich für 1917 als tägliche Durchschnittsverdienste 3,07 M, 3,16 M, 3,41 M und zuletzt 3,56 M. Die Tagelöhne waren in dieser Abteilung sehr verschieden, sie schwankten von 2,20  M bis 3,95 M. In der Weiferei bestand ursprünglich Stücklohn; seit August 1917 wurde aber ein Tagelohn von 3,55  M eingeführt. In der Dämpferei betrug der Lohn für Männer bis zum September durchschnittlich 3,70 M täglich, seit dem 1. September 4 M. Alle Löhne in den allgemeinen Abteilungen hatten einen Zuschlag von 25—30 Pfg. täglich erhalten. Am 23. August 1917 waren im Delmenhorster Betrieb der Firma 1036 Personen beschäftigt. Im großen Durchschnitt wurden auf den Kopf — die Löhne für die

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 Verhältnisse der Arbeitnehmer

Meister mitgerechnet — täglich 3,21 M gezahlt. Nach Lohnstufen ergab sich folgende Unterteilung: Anzahl der Personen

Tagesverdienst

Bemerkung

M 9 98 146 90 110 45 140 28 48 80 77 87 7 84 32 9

Lehrlinge 1,75 2,50 weiblich 2,95 „ 3,15 „ 3,25 „ 3,50 männlich 3,65 weiblich 3,70 männlich 3,95 weiblich 4,— „ 4,20 Akkorddurchschnitt f. Frauen 5,20 männlich 5,50 „ 5,64 „ 6,50 Meister 7,— Schlosser

Zu diesen regelmäßigen Zahlungen traten aber einmalige Teuerungszulagen. Diese Beispiele zeigen, daß den Heeresstellen keine genügend brauchbaren Unterlagen zur Beurteilung der Löhne zur Verfügung standen. Die Verhältnisse waren in gleichen Spinnstoffgruppen sehr verschieden nach der örtlichen Lage und dem damit zusammenhängenden Angebot von Arbeitskräften. So wandten sich 1917 die rheinischen Abfallspinner mit einem Schreiben an die Vigognespinner in Werdau: die sächsischen Firmen dürften sich nicht der Verpflichtung, ausreichende Löhne zu zahlen, entziehen, da Sachsen sonst einen ungerechtfertigten Vorsprung im Wettbewerb erhalte. An manchen Stellen haben auch außerordentliche Kriegsverhältnisse eine bedeutende Rolle gespielt und ließen niedrige Lohnsätze in einem anderen Licht erscheinen. So beschäftigten beispielsweise nicht wenige Unternehmer ihre Arbeiter im Sommer nur 2—3 Tage in der Fabrik, um sie für die übrigen Tage zu hochbezahlter landwirtschaftlicher Arbeit zu beurlauben. Aus Aachen wurde berichtet, daß zeitweise ein Angebot holländischer Arbeiter zu außerordentlich niedrigen Lohnsätzen vorhanden war, weil diese Arbeiter ihr Einkommen nicht im Verdienst in der Fabrik, sondern in den Schmuggelmöglichkeiten beim täglichen Verkehr über die Grenze sahen. Aber auch wenn man alle diese Verhältnisse berücksichtigt, so blieb doch die Tatsache niedriger Entlohnung der Spinnstoffarbeiter absolut und insbesondere im Verhältnis zur Waffen- und Munitionsindustrie außer Zweifel. Soweit die Unternehmer die Tatsache niedriger Entlohnung anerkannten, wiesen sie immer wieder



Angemessene Löhne und Mindestlöhne 

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darauf hin, daß ihnen infolge der dauernden Verschlechterung der Spinnstoffe, der Herabwirtschaftung der Maschinen und infolge der Entschädigungszahlungen für die stillgelegten Betriebe eine Lohnsteigerung auf Grund der von der Heeresverwaltung für die fertigen Gewebe nach älteren Kalkulationen gezahlten Preise unmöglich sei. Der Standpunkt, den das sächsische Ministerium des Innern in einem Schreiben vom 28. Mai 1917 an das Kriegsamt vertrat, niedrige Preise der Beschaffungsstellen seien keine Entschuldigung für unzureichende Entlohnung der Arbeiter, sondern der Unternehmer habe die Pflicht, derartige Aufträge abzulehnen, wenn er die ihm entstehenden Kosten nicht zu übernehmen vermöge, übersah, daß die Unternehmer gegenüber der Übernahme von Heeresaufträgen nicht frei dastanden, und die Verschlechterung der Kalkulationsgrundlagen oft während der Laufzeit eines langfristigen Auftrags eintrat. Arbeitermitteilungen besagten, daß infolge der sich ständig verschlechternden Güte der Rohstoffe Stücklohnsteigerungen von 30 % und mehr nach kurzer Zeit schon nicht mehr vermochten, das Realeinkommen der Arbeiter gegen den vorherigen Stand zu erhöhen.

Angemessene Löhne und Mindestlöhne Die Heeresverwaltung erkannte die Berechtigung vieler Arbeiterklagen an. Die Beschaffungsstellen griffen mehrfach zu dem Mittel, von den Firmen vor Erteilung des Zuschlags amtliche Bescheinigungen zu verlangen, daß sie angemessene Löhne zahlten. Über den Begriff des „angemessenen Lohnes“ entstanden aber Meinungsverschiedenheiten. Die Bescheinigung der Zahlung des „ortsüblichen“ oder „mehr als des ortsüblichen Lohnes“ genügte nach Auffassung der meisten Stellen nicht; dagegen glaubte man, annehmen zu müssen, daß Bescheinigungen der Polizei, der Handelskammern und der Schlichtungsausschüsse des Hilfsdienstgesetzes über „angemessenen Lohn“ bedeuteten, angemessen unter Berücksichtigung der Kriegsteuerung. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung urteilte, daß niedrige Löhne seit Einführung der Höchstleistungsbetriebe anders gewertet werden müßten als in der vorhergehenden Zeit des Durchhaltens der Arbeitskräfte ohne ausreichende Beschäftigung. Sie verschloß sich aber andererseits auch nicht der Berechtigung der Klagen der Unternehmer über zurückgehende Ertragsmöglichkeiten aus den von den Beschaffungsstellen bewilligten Preisen. Sie erwog deshalb eine Heraufsetzung der Kalkulationspreise für die Vergebung der Heeresaufträge mit der Maßgabe, daß Mehrbewilligungen bei den Beschaffungspreisen zum Zweck von Lohnerhöhungen verwendet werden sollten. Das Bekleidungs-Beschaffungs-Amt, die wichtigste der Beschaffungsstellen auf dem Spinnstoffgebiet, vereinbarte keine bestimmten Lohnsätze bei Vergebung seiner Aufträge. Um nicht auf Grund neuer Kalkulationen die Preise der Erzeugnisse für das Heer zu sehr zu verteuern, da erfahrungsgemäß die Unternehmer ihre Unkostenzuschläge auch auf solche Mehrbewilligungen für Löhne legten, wurde in einzel-

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 Verhältnisse der Arbeitnehmer

nen Fällen erwogen, Lohnzulagen durch die Heeresverwaltung aus anderen Quellen zu decken, damit für die Fabrikanten keine Veranlassung vorliege, die Aufschläge zu ändern. Dieses Verfahren plante man z. B. gegenüber einer Forderung von 90 % Lohnerhöhung in der Kunstbaumwollindustrie. Wie dringend Überlegungen nach dieser Richtung waren, zeigt eine Mitteilung des B.B.A. vom 16.  Juni 1917, daß infolge der Erhöhung von Herstellungs- und Betriebsstoffen, Unkostenzuschlägen und Löhnen eine Decke, die im Frieden 4 M kostete, sich inzwischen auf 13 M stellte und nach der Bewilligung neuer Zuschläge für Lohnerhöhungen sich in Zukunft auf 15  M stellen werde. Schwierigkeiten entstanden bei Erhöhung der Übernahmepreise zum Zweck von Lohnerhöhungen dadurch, daß umfangreiche Verträge, bei denen die Kalkulation auf der alten Grundlage beruhte, noch nicht zur Auslieferung gekommen waren. Einer Abänderung einmal festgelegter Vertragspreise standen Bestimmungen entgegen, die es Heeresstellen verboten, ohne einen allerhöchsten Gnadenakt die Preise abgeschlossener Verträge zu erhöhen, und daß bisheriger Grundsatz bei Bewilligung nachträglicher Erhöhungen Nachweis des Unternehmers war, durch eintretende Verluste aus Erfüllung eines mit der Heeresverwaltung abgeschlossenen Vertrages in seiner Existenz gefährdet zu werden. Bei den Verhandlungen über Mindestlöhne trat nicht überall klar hervor, was eigentlich unter Mindestlöhnen verstanden sein sollte. Die Arbeiter meinten in der Regel nicht Mindest-Stundenlöhne für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden, sondern Mindesteinkommen für den Tag oder die Woche, unabhängig von Arbeitsunterbrechungen, auf die der Arbeiter keinen Einfluß hatte, ferner unabhängig von der Güte der Herstellungsstoffe und der Geübtheit des Arbeiters, also unabhängig von der Produktionsmenge. Nur wo dieses Ziel den Arbeitern unerreichbar erschien, begnügten sie sich mit der Forderung von Mindestlöhnen für die Stunde oder endlich auch von Mindestsätzen für bestimmte Garn- und Gewebemengen. Ferner war durchaus nicht immer klar, ob es sich nur um Mindestlöhne für die schlecht entlohnten Frauen oder auch für Männer, nur für Neueintretende oder für alle Alters- und Beschäftigungsstufen handeln sollte. Wenn das Ersatz- und Arbeits-Departement in einer Sitzung vom 6. September 1917 erklärte, es werde Mindestlöhne für weibliche Arbeiter befürworten, aber so niedrige, daß nicht etwa die Mindestlöhne ein auskömmliches Einkommen darstellten, so teilten die Arbeiter diese Auffassung von Mindestlöhnen nicht, sondern dachten an ein zum Lebensunterhalt voll ausreichendes Einkommen. Einige Bundesstaaten waren gegen Ende des Krieges der Meinung, daß die Einführung von Mindestlöhnen kaum zu umgehen sein werde. In Bayern erklärte in Verhandlungen vom Sommer 1917 ein Regierungsvertreter gegenüber dem Widerspruch der Unternehmer: „Ich gebe zu bedenken, daß die Militärverwaltung in vielfachen Fällen die Übertragung von Aufträgen von Mindestlöhnen abhängig gemacht hat.“ Gemeint waren damit offenbar die oben geschilderten Eingriffe in die Verhältnisse der Heimarbeit und Konfektion. Allerdings wurde auch in Bayern bei diesen Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Augsburg und bei ihrer Fortsetzung am 2. Juli 1917 vor dem Kriegsamt in München über die Lohnverhältnisse im



Angemessene Löhne und Mindestlöhne 

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Baumwoll- und Papiergarngewerbe die Gewährung von Mindestlöhnen nicht amtlich auferlegt, jedoch den Firmen der Baumwollindustrie empfohlen, nach Möglichkeit Mindestlöhne zu zahlen. Und zwar empfahl man für die Papiergarnspinnerei, -Zwirnerei und -Weberei einschließlich Teuerungszulagen für die Arbeitsstunde mindestens: Ortsklasse I männlich 14 bis 16 Jahre 16 bis 18 Jahre über 18 Jahre

25 Pfg. 38 „ 50 „

Ortsklasse I weiblich 25 Pfg. 32 „ 38 „

männlich 23 Pfg. 35 „ 47 „

weiblich 23 Pfg. 29 „ 35 „

Diese den Unternehmern empfohlenen Papierspinnlöhne hatten bei dem Anteil, den auch fast alle Faserspinnereien an der Papierspinnerei hatten, die Folge, daß ihre Sätze auch die Mindestlöhne für die Faserspinnerei werden mußten. Die vereinbarte Lohnhöhe stand übrigens zwischen den Sätzen, die im Rheinland, und denen, die im Königreich Sachsen damals tatsächlich gezahlt wurden. In einer bayrischen Weberei in Landeshut verdienten nach dem Stand vom April 1918 im Durchschnitt von vier Lohnperioden die Arbeiter schon ähnliche Sätze: Weber 50½ Pfennige in der Stunde, Weberinnen 44, Copserinnen 42, Legerinnen 40½, Putzerinnen 41, Andreherinnen 39, Treiberinnen 37. In Württemberg beabsichtigte man, sich dem bayerischen Vorgehen anzuschließen. Inzwischen war auch das sächsische Ministerium des Innern dazu geschritten, an die Kreishauptmannschaften, Amtshauptmannschaften und Städte ein Rundschreiben zu erlassen und diesen Stellen vorzuschreiben, aus gleichen Teilen von Unternehmern und Arbeitern zusammengesetzte Kommissionen zur Festsetzung von Mindestlöhnen zu bilden. Es sollte aber daran festgehalten werden, daß es sich nicht um Feststellung einer Mindesteinnahme handele, sondern um die Gewinnung von Grundlagen, nach denen die Angemessenheit des Arbeitslohns in jedem einzelnen Fall beurteilt werden könne. Der eigentliche Maßstab werde immer der gegenüberstehende Wert der Arbeitsleistung zu sein haben, bei dessen Anwendung aber diejenigen Umstände ausgeschaltet werden müßten, welche außerhalb der persönlichen Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit des einzelnen den Wert der Arbeitsleistung ungünstig beeinflußten. Der Mindeststundenverdienst besage also nicht, daß nun jeder Arbeiter unbedingt diese Summe verdienen müsse, sondern daß er sie verdienen könne. Die Unternehmer blieben durchweg bei ihrem grundsätzlichen Widerstand gegen Mindestlöhne auf den Kopf des Arbeiters. Sie empfahlen Bezahlung ausgefallener Stunden und Tage und Einzelzulagen, die leichter wieder abgebaut werden könnten, als tarifmäßige Lohnerhöhungen. Einige Unternehmer waren für Tariflöhne für die Einheit des Erzeugnisses (z. B. laufender Meter Tuch), wie solche im Frieden

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 Verhältnisse der Arbeitnehmer

schon innerhalb einzelner Werke und Gruppen mit den Arbeitern vereinbart oder von Unternehmerverbänden ihren Mitgliedern vorgeschrieben worden waren. Stücklöhne dieser Art erschienen manchem schon deshalb nicht bedenklich, weil im Frieden die ganz anders gearteten Erzeugnisse und Rohstoffmischungen der Kriegswirtschaft wieder verschwinden würden. Die allgemeine Befürchtung gegen ausgesprochene Mindestlöhne war die, keinen genügenden Einfluß auf die Leistung der Leute zu behalten. K.R.A. äußerte ebenfalls Bedenken gegen das Vorschreiben von Mindestlöhnen: Eine Festlegung von Mindestlöhnen für das gesamte Reich werde kaum durchführbar sein, da die Verhältnisse in den verschiedenen Landesteilen zu ungleich lägen. Aber auch bei Festlegung von Mindestlöhnen für einen bestimmten Bezirk sei zu erwägen, daß die Gewebe in einem Betriebe doppelt breit, im anderen einfach breit gearbeitet würden. Im einen Fall bediene ein Arbeiter nur einen Stuhl, im anderen mehrere Stühle. Einmal würden auf dem von einem Arbeiter bedienten Stuhl neben ungünstig entlohnten Waren auch günstig entlohnte verarbeitet, im anderen Fall nur ungünstig entlohnte Stoffe. Endlich seien die Webstühle qualitativ verschieden. Die Ausgleichung aller dieser Verhältnisse dürfte nur den einzelnen Unternehmern möglich sein. Allgemein wurde nur eine Beaufsichtigung der Löhne bei den Vergebungen der Beschaffungsstellen durchgeführt. Beim B.B.A. ging man so vor, daß an das Amt gelangende Lohnklagen der Arbeiter an die Liefererverbände zur Untersuchung und Äußerung weitergegeben wurden. Die Liefererverbände prüften dann, inwieweit nach Maßgabe der Lieferungsbedingungen der in die Kalkulation eingesetzte Weblohn zur ausreichenden Lohnzahlung verwendet wurde, bzw. ob die Preiserhöhungen von 1917 den Arbeitern ausschließlich zugute gekommen waren. Diese Preiserhöhungen und ihre Verwendung waren von den Werken gesondert zu verbuchen. Auf Grund des an B.B.A. gemeldeten Ergebnisses übte dieses eintretendenfalls einen Druck auf angemessene Entlohnung der Arbeiter aus oder suchte im Zusammenwirken mit der K.R.A. das Reichsschatzamt zur Erhöhung der Vertragspreise zu veranlassen.

Wirkung der Kalkulationserhöhungen Was die Wirkung der mehrfach erwähnten Kalkulationserhöhungen auf die Arbeitslöhne betrifft , dafür ein Beispiel: Den Baumwollspinnern wurden Mitte 1917 20 % und den Webern 10 % für ihre Erzeugnisse mehr bewilligt, mit der Maßgabe, daß die Erhöhungen nur den Arbeitern zugute kämen, und daß an diesen Lohnerhöhungen nicht nur die Weber und Spinner, sondern die Gesamtheit der in dem jeweiligen Betrieb beschäftigten Arbeiter beteiligt sein sollte. Welche Lohnerhöhung sich daraus für den Durchschnitt der Arbeiter ergeben werde, wurde sehr verschieden angenommen. In der „Christlichen Textilarbeiter-Zeitung“ schätzte man die Lohnerhöhungen für den einzelnen Arbeiter auf 25—40 %, während ein Reichstagsabgeordneter sie bei der Generalversammlung des Textilarbeiter-Verbandes im



Wirkung der Kalkulationserhöhungen 

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Juni 1917 mit 200 % erwarten zu müssen behauptete. Er fügte allerdings hinzu: „Die besonderen Kriegsumstände ändern ja die Sache, und ich betone nochmals, daß ich mir in Kalkulationsfragen ein maßgebendes Urteil nicht anmaße, daß ich lediglich aus der Gegenüberstellung glaube erkennen zu dürfen, daß 40 % Lohnerhöhung bei 20 % Erhöhung des Verkaufpreises das Minimum darstellen müßte.“ In einem Atem schätzte er also zwischen 40 und 200 %. Um die Wirkung stattgehabter Lohnregelungen der gedachten Art auf eine Gruppe schätzungsweise zu errechnen, sei die Leinenindustrie herausgegriffen. In ihr hatten die Unternehmer den Grundlohn gegenüber dem Frieden im Verhältnis von 7 : 6 gesteigert, bevor man seitens der Heeresverwaltung in die Kalkulationen statt wie bisher 400 % nunmehr 500 % des Weblohnes (Grundlohnes) als Geschäftsunkosten mit der Maßgabe einstellte, daß das Mehr von 100 % den Arbeitern zufließen mußte. Wären nur Weber an der Herstellung des Gewebes beteiligt gewesen, so würde in der Leinenindustrie sich demnach der Friedenslohn verdoppelt und außerdem in dem vorher erwähnten Verhältnis von 7 : 6 erhöht haben. Während sich aber der Zuschlag nur auf die Weblöhne bezog, waren tatsächlich an der Lohnzulage — mit Ausnahme der Ausrüster — auch die anderen Arbeitergruppen vom Meister bis zur geringsten Spulerin herunter beteiligt. Nach der üblichen Gruppierung der Arbeiterschaft entfielen von den erwähnten 100% des Weblohnes im Mittel 55 % auf den einzelnen Arbeiter, so daß bei Berücksichtigung der Grundlohnsteigerung von 7 : 6 in der Leinenindustrie der einzelne Arbeiter rund 65 % mehr verdienen mußte als im Frieden. Diese theoretische Rechnung erforderte mehrfache Berichtigungen: die Arbeitszeit in der Leinenindustrie ging ziemlich allgemein von etwa 58 auf 45 Stunden in der Woche zurück. Bei Stücklöhnen bedeutete andererseits verkürzte Arbeitszeit nach allen Erfahrungen durchaus nicht notwendigerweise eine gleiche Verringerung der Erzeugung. Es waren aber demgegenüber die Leistungen in der Arbeitsstunde durch Unterernährung und Entwöhnung der Arbeiter von straffer Arbeit, sowie durch schlechteres und ungewohntes Material zurückgegangen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände kommt man für die Leinenindustrie zu dem Ergebnis, daß die 65 % der theoretischen Rechnung tatsächlich auf etwa 45 % Aufschlag auf den Friedenslohn zurückgingen. Auf ähnlicher Grundlage errechnet waren im Durchschnitt die Löhne in der Tuchindustrie bis Mitte 1917 effektiv um 40 % über den Friedensstand gestiegen. Wenn also in Forst und im Greizer Bezirk Ende 1917 neue Lohnforderungen in der Tuchindustrie eine Steigerung des damaligen Lohnes um 75 % forderten, so bedeutete das die Forderung einer Lohnerhöhung um 150 % über den Friedensstand. Über die letzten Verhandlungen auf dem Gebiet der Löhne der Spinnstoffarbeiter vor dem durch den Ausbruch der Revolution bedingten Ende der Kriegswirtschaft berichtete der „Vorwärts“ unter dem 1. November 1918: „Am 24. Oktober verhandelten die Vorstände der drei bestehenden Textilarbeiterorganisationen mit den Vertretern der deutschen Tuchfabrikanten unter dem Vorsitz eines Vertreters des B.B.A. über neue Lohn- und Arbeitsbedingungen. Es kam zu fol-

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 Verhältnisse der Arbeitnehmer

gender Vereinbarung: Ab 4. November d. J. beträgt der Lohn für Weber und Weberinnen pro 1000 Schuß: In Orten mit Einwohnern bis 5000 Für Für

Tuch Decken

= =

23 31

Pf. „

5000— 25 000 25 33

Pf. „

über 100 000

25 000— 100 000 27 35

Pf. „

28 37

Pf. „

Allen übrigen in den Tuchfabriken in Akkord oder Zeitlohn beschäftigten Personen wird eine Lohnzulage von 30 % gewährt. Sonnabends ist mittags um 12 Uhr Betriebsschluß. Die Vereinbarung bedeutet den ersten Schritt zu einem Reichstarif. Zum mindesten hört es künftig auf, daß bei Lohnbewegungen immer die Verhältnisse eines Ortes gegen die des andern ausgespielt werden konnten. Die einheitlichen Akkordsätze werden in naher Zukunft auch zu einheitlichen Stundenlöhnen hinüberleiten.“

Sonstige Arbeiterforderungen Neben der Gestaltung des Lohnes spielten bei den Arbeiterforderungen die Zuständigkeit und die Zusammensetzung der Ausschüsse und Schiedsgerichte, bei denen die Arbeitnehmer beteiligt waren, eine große Rolle. Neben der allgemeinen Forderung immer weitgehenderer Beteiligung der Arbeiterorganisationen gab es dabei einen Kampf zwischen den verschiedenen Richtungen der Arbeiter. Beispielsweise forderte in einer Resolution zur Übergangswirtschaft der Deutsche Textilarbeiter-Verband, daß in alle Ausschüsse nur solche Arbeitervertreter berufen würden, die von den Facharbeiterorganisationen vorgeschlagen würden; diese Forderung richtete sich gegen die wirtschaftsfriedlichen („gelben“) Werkvereine, die die Arbeiterorganisation nicht fachlich, sondern nach Werken durchführen und die Lage der Arbeiter im Einvernehmen mit den Werksleitungen heben wollten. Zwischen den freien Gewerkschaften, den christlichen Gewerkschaften und den Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereinen war dagegen eine Verständigung über die Besetzung der Ausschüsse erfolgt. Ganz allgemein haben die Kriegsverhältnisse den Arbeitern auch im Spinnstoffgewerbe eine früher nicht geahnte Beteiligung an den sie betreffenden Verwaltungsangelegenheiten gebracht. Weiter forderten die Arbeitervertreter eine tätige Anteilnahme bei dem Ausbau der Arbeitsvermittlung, ferner bei etwaiger allgemeiner Arbeitslosenversicherung. Den Lohnfragen und Organisationsfragen gegenüber traten sonstige friedensübliche Arbeiterforderungen sehr zurück, z. B. die Fragen der Arbeitszeit , wie das ja bei der unerwünschten Minderbeschäftigung im Spinnstoffgewerbe kaum anders



Sonstige Arbeiterforderungen 

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zu erwarten war. Es wurde zwar bei der mehrfach erwähnten Generalversammlung des Deutschen Textilarbeiter-Verbandes ein Antrag auf Gewährung des freien Sonnabendnachmittages angenommen, aber ohne daß dieser Antrag besondere Beachtung fand, schon deshalb, weil stellenweise (z.  B. mehrfach in Schlesien) für die Spinnstoffarbeiter während des Krieges der Sonnabend ganz frei geworden war. Die Arbeitszeitkürzungen aber waren ein Ausfluß des Rohstoffmangels und der im allgemeinen immer noch vorhandenen Übersetzung der Werke mit Arbeitskräften und nicht ein Eingehen auf Arbeiterforderungen. In einer Beziehung spielte die Frage der Arbeitszeit bei den Lohnkämpfen des Krieges trotzdem eine Rolle, nämlich als nach Erlaß des Hilfsdienstgesetzes in den Höchstleistungsbetrieben die bequeme, wöchentlich auf 40—45 Stunden zurückgegangene Arbeitszeit nun wieder 58stündiger Arbeitszeit weichen sollte. Während die Arbeiterschaft bis dahin bei der stark verkürzten Arbeitszeit niedrige Entlohnung und mangelhafte Ernährung nicht so stark empfunden hatte, verlangten die Leute nun wenigstens dafür bedeutende Lohnerhöhungen. Das Verhalten der Unternehmer war gegenüber den aus Rohstoffmangel erzwungenen Kürzungen der Beschäftigungszeit insofern verschieden, als die einen die Kürzung der täglichen Arbeitsstunden, die anderen die Freigabe ganzer Tage vorzogen, damit nicht die Arbeiter den verkürzten Arbeitstag allmählich als den normalen betrachten lernten. Auch abgesehen von diesem Gesichtspunkt herrschte keine Einhelligkeit darüber, ob der freie Tag oder die kürzere Arbeitszeit eine bessere oder schlechtere Ausnutzung von Kohlen oder anderen Betriebsstoffen, Heizung, Licht usw. gewährleisteten. Der Arbeiterschutz hatte den Anforderungen des Krieges gegenüber, vor allem in den eigentlichen Rüstungsindustrien, zurücktreten müssen. Es sind zwar nicht, wie Unternehmerkreise anfangs gefordert hatten, die Bestimmungen des Arbeiterschutzes grundsätzlich aufgehoben worden, aber die Landeszentralbehörden oder die von ihnen bestimmten Behörden erhielten durch Gesetz das Recht, auf Antrag Ausnahmen von den Bestimmungen der Gewerbeordnung über Arbeitszeit, Überarbeit, Nacht- und Sonntagsarbeit für Frauen und Jugendliche und Kinderarbeit zu gewähren. Dieses Recht ist weitgehend benutzt worden, bis erst von Ende 1917 an wieder auf schärfere Handhabung der Bestimmungen gesehen wurde. In der Spinnstoffindustrie mit ihrer Minderbeschäftigung kamen solche Ausnahmen wesentlich nur in der Hochbeschäftigungszeit Ende 1914/Anfang 1915 allgemein in Frage, später wesentlich nur für einige stark beschäftigte Gruppen, z.  B. in Lumpenreißereien, reinen Papierspinnereien usw. Die Verschlechterung der Rohstoffe hatte in gesundheitlicher Beziehung manche bedenklichen Zustände geschaffen; so haben in der Vigognespinnerei sich Arbeiter teilweise mit Gasmasken gegen schädliche Staubentwicklung schützen müssen. Einen nicht unbedeutenden Raum in den Arbeiterforderungen im Spinnstoffgewerbe nahmen Ernährungswünsche ein. Der Beginn der großen Lohnbewegungen im Sommer 1917 fiel mit der Verkürzung der Brotration zusammen. Die Spinnstoffarbeiter forderten vielfach die Gleichstellung mit den Rüstungsarbeitern. Die Behörden

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 Verhältnisse der Arbeitnehmer

wehrten sich gegen die allgemeine und grundsätzliche Annahme dieser Forderung, da dann so gut wie alle Arbeiter in die Ernährungsgrundsätze für Schwerarbeiter hätten aufgenommen werden müssen. Manche Werkleitungen haben sich bemüht, unter großen Opfern Lebensmittel heranzubringen und Küchen für ihre Arbeiter einzurichten, Verhältnisse, an die übrigens auch bei Beurteilung des Geldlohnes gedacht werden muß. Hemmend war hierbei, daß im Frieden Wohlfahrtseinrichtungen größeren Umfangs im Spinnstoffgewerbe nicht die Rolle gespielt hatten wie in anderen Industrien, beispielsweise bei den großen chemischen Fabriken, bei Bergwerken und in der Eisenindustrie. Bei der Spinnstoffindustrie lag das Bedürfnis, die Arbeiterschaft an den Ort zu binden, das der Ausgangspunkt weitreichender Wohlfahrtsunternehmungen der Unternehmer zu sein pflegt, selten vor. Die Spinnstoffindustrie konnte sich in den großen Städten ansiedeln, wo sie sich auf unbeschäftigte Glieder vorhandener Haushaltungen stützte; sie konnte sich aber ebensogut in kleine Betriebseinheiten zerlegen und in dieser Form in die Kleinstadt und auf das Land gehen, um systematisch freie Arbeitskräfte aufzusuchen. Dieser Weg war erleichtert durch den geringen Anspruch an Maschinenkraft und Fracht, den das Spinnstoffgewerbe stellte. Ohne die Aufnahme der Spinnstoffarbeiter unter die Schwerarbeiter grundsätzlich anzuerkennen, wurden Mitte 1917 nach entsprechender Verständigung mit dem Kriegsernährungsamt die Kriegsausschüsse angehalten, ihre Mitglieder zu veranlassen, überall da, wo im Einzelfall ein wirkliches Bedürfnis hervortrete, bei den zuständigen Stellen zu beantragen, die Arbeiter — mit Ausnahme der leichten Arbeiten der Spuler, Haspler, Zwirner, Scherer, Ringspinner und Sortierer — besser zu stellen als die übrige bürgerliche Bevölkerung. Die Kriegsamtsstellen konnten die Spinnstoffarbeiter als in der Rüstungsindustrie tätig anerkennen, womit gewisse Bevorzugungen der Fettversorgung der Fabrikküchen verbunden waren. Nahm der Kommunalverband die Spinnstoffarbeiter in die Stufe der Schwerarbeiter auf, so stieg damit die Brotzulage um 20—50 % über die Grundration, während diese Steigerung bei der höchsten Stufe, der Schwerstarbeiter, um 50—100  % gestiegen sein würde. Auch die Kartoffel- und Fleischzulagen der Schwerarbeiter waren erheblich. Die Verteilung der Zulagen auf die Arbeiterschaft erfolgte durch einen beim Kommunalverband zusammengesetzten Ausschuß, bei dem sich auch die zuständige Kriegsamtsstelle vertreten lassen konnte. Die Aushändigung nahmen in der Regel die einzelnen Werksleitungen unter Mitwirkung von Arbeiter- und Lebensmittelausschüssen vor.

Verhalten der Arbeiterschaft Das Verhalten der Arbeiterschaft des Spinnstoffgewerbes im Verlaufe des Krieges hat sich unter den Einwirkungen der innerpolitischen Entwicklung, teilweise wohl auch durch Rückwirkung der von Rußland kommenden Gedankengänge allmählich gewandelt; der im Anfang des Krieges verkündete völlige Burgfriede bestand 1917 nicht mehr. Politische Beweggründe haben neben wirtschaftlichen bei den Lohnforderungen und



Verhalten der Arbeiterschaft 

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Streikandrohungen von 1917 ab ihre Rolle gespielt. Man muß natürlich schon bei der Stellungnahme der Arbeiterschaft vom August 1914 zu den Lohnkämpfen berücksichtigen, daß zwar patriotische Gefühle, von denen ein großer Teil der Arbeiterschaft erfaßt war, mitgesprochen haben, daß aber die Stellungnahme zum größten Teil auf sehr realer Erkenntnis der damaligen tatsächlichen Machtverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern beruht hat. Bezeichnend nach dieser Richtung sind Ausführungen, die der Arbeiterführer August Winnig in der „Glocke“ und in einigen Fachblättern, z.  B. in der Glaserzeitung, Karlsruhe, vom 2.  Februar 1918, veröffentlichte. Es hieß da (unter Auslassung weniger wichtiger Zwischensätze): In den ersten drei Kriegsjahren hatten die Gewerkschaften damit zu tun, ihre Einrichtungen und Arbeitsmethoden den Umständen der Kriegszeit anzupassen. Zuerst kam die Parole: alle Lohnbewegungen sind einzustellen; das war in anbetracht der schlagartigen Lähmung des Wirtschaftslebens der ersten Kriegsmonate eine Selbstverständlichkeit. Diese gleiche Lähmung legte dann auch ein Zusammenwirken mit den Unternehmerorganisationen nahe, um der Arbeitslosigkeit zu steuern. Aus dieser Lage bei Kriegsbeginn waren auch die Änderungen geboten, die fast alle Verbände in ihren Unterstützungseinrichtungen vornahmen. Bei der Größe der Arbeitslosigkeit und ihrem besonderen Charakter war es hier notwendig, die Höhe der Unterstützungssummen einzuschränken, anderseits aber den Bezug zu erleichtern, um möglichst allen Arbeitslosen eine Stütze zu bieten. Dieser Situation sahen sich die Gewerkschaften etwa während des ersten Kriegsjahres gegenüber. Dann vollzog sich jene Wandlung des Wirtschaftslebens, die sich für die Gewerkschaften in einer Abnahme der Arbeitslosigkeit bis zum fast völligen Aufhören bemerkbar machte. Der Arbeitsmarkt hatte ein ganz anderes Gesicht bekommen. Damit fiel zunächst die Notwendigkeit des Zusammenwirkens mit den Unternehmerverbänden zur Belebung der wirtschaftlichen Tätigkeit fort. Die gebildeten Arbeitsgemeinschaften lösten sich zwar nicht auf, aber sie stellten ihre Funktionen ein, weil sie überflüssig geworden waren. Gleichzeitig mit der Umschaltung des Wirtschaftslebens begann die Teuerung, die sich zwar schon mit Kriegsbeginn angekündigt hatte, aber erst gegen Ende des ersten Kriegsjahres jene fortschreitende Intensität erreichte, die sie alsbald zu einem Umwerter aller wirtschaftlichen Werte werden ließ. Was diese Entwicklung für den Lohn bedeutete, habe ich damals als die Katastrophe des Arbeitslohnes bezeichnet. Der Arbeitslohn, so verschieden er von Beruf zu Beruf und von Ort zu Ort auch war, er war doch eine geschichtliche Gewordenheit, das Ergebnis vieler aufeinanderwirkender Kräfte. Jetzt trat die Aufgabe in den Vordergrund, den Arbeitslohn der gesunkenen Kaufkraft des Geldes wieder anzupassen. Der Friedensschluß mit der ihm folgenden Demobilisation wird voraussichtlich eine sehr kritische Situation schaffen. Die Höhe der Kriegslöhne wird im wesentlichen gestützt von der Größe der Nachfrage nach Arbeitskräften, denen ein engbegrenztes Angebot gegenübersteht. Darin wird der Friedensschluß eine völlige Umkehrung bringen. Wo die gegenwärtigen Löhne nicht tariflich gebunden sind, werden sie schnell sinken. Industrie und Gewerbe erfreuten sich einer Rentabilität, bei der die wirtschaftliche Möglichkeit größerer Lohnsteigerungen von vornherein gegeben war. Diese Auffassung bedarf für die Zukunft einer Berichtigung. Die deutsche Industrie wird bei der Aufnahme des Wettbewerbs auf den Außenmärkten erheblich schlechter gestellt sein als ihre Konkurrenten. Diesen Tatsachen werden sich die Gewerkschaften nicht verschließen können und wollen. Ohne diese günstig arbeitende Industrie kann auch ihre Arbeit nicht erfolgreich sein. Gerade im Interesse ihrer Lohnpolitik müssen sie wünschen, daß die deutsche Industrie so schnell wie möglich ihre frühere glänzende Stellung auf dem Weltmarkt zurückerobert. Soll das nicht auf Kosten des Arbeitslohnes geschehen, so bleibt nichts anderes übrig als der Übergang zu rationelleren Betriebsmethoden.

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 Verhältnisse der Arbeitnehmer

Die Verschiebungen in der Zusammensetzung der Arbeiterschaft im Kriege mußten aber große Schwierigkeiten für die in den letzten Sätzen geforderte Rationalisierung der Betriebe bilden. Nach den damaligen Erwartungen mußte sich das Spinnstoffgewerbe nach Friedensschluß drei ganz verschiedenartigen Arbeitergruppen gegenübersehen: den während des Krieges zur Rüstungsindustrie übergetretenen Arbeitskräften, die zwar an straffe Arbeit, aber auch an hohe Verdienste und sonstige Ansprüche gewöhnt waren, und die sich nur schwer in ihre alten Arbeitsverhältnisse zurückfinden würden; zweitens den durchgeschleppten, straffer Arbeit entwöhnten, an die Spinnstoffindustrie gefesselten Leuten und drittens den aus der Front zurückkehrenden Leuten, die vielfach die Geschicklichkeit der Hände, die Arbeitsgewohnheit und die Gewöhnung an den Aufenthalt in geschlossenen Räumen verloren hatten. So wichtig, wie alle diese Unterschiede damals erscheinen mußten, traten sie tatsächlich später sehr rasch gegenüber der völligen wirtschaftlichen Umstellung und der ungeheuren sozialen Bewegung, welche der verlorene Krieg und die Revolution entfesselt haben, zurück.

Lage der Angestellten Die Lage der Angestellten des Spinnstoffgewerbes während des Krieges sei nur kurz gestreift. Im Anfang des Krieges wurden die an sich knappen Gehälter der Angestellten im Spinnstoffgewerbe sogar vielfach gekürzt, später sind sie wieder auf den Friedensstand, in bescheidenem Umfang auch darüber hinaus gestiegen. Die K.R.A. wies im Juli 1917 auf die Pflicht der Zentralbeschaffungsstellen hin, bei den Auftragsvergebungen ähnlich wie für die Arbeiter auch für die kaufmännischen Angestellten angemessene Entlohnungen sicherzustellen. Trotz der Minderbeschäftigung des Spinnstoffgewerbes hat sich später der allgemeine Menschenmangel auch bei den Angestellten langsam geltend gemacht, so daß ihre Gehälter bis Ende 1917 um rund 30 % gegen den Friedensstand gestiegen sein mochten. Freilich kamen andererseits, je länger der Krieg dauerte, um so mehr Fabriken und Geschäfte aus Rohstoff- und Warenmangel völlig zum Stillstand; daraus ergaben sich für manche Angestellte unerwünschte Folgen. Ein Teil der Angestellten trat zu anderen Beschäftigungen über oder gelangte in die zahlreichen mit der Spinnstoffbewirtschaftung befaßten Amtsstellen und Kriegsgesellschaften. Angaben, die einen einwandfreien Gesamtüberblick über die Lage der Spinnstoffgewerbe-Angestellten im Kriege geben könnten, sind nicht bekannt geworden. Die Forderungen gingen zuletzt auch bei den Angestellten auf Mindestgehälter. Die Arbeitsgemeinschaft der Angestelltenverbände, der 600  000Angestellte angeschlossen waren, erhob dahinzielende Forderungen, die dann auch in die große Umstellung der sozialen Revolution ausmündeten.

Kapitel VIII

Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918 Über wenige Gebiete der Kriegswirtschaft sind so viele allgemeine Gedanken geäußert worden, wie über die Organisation. Aber es fehlen vielfach eingehende Darstellungen der Gebilde, die zur Durchführung allgemeiner Organisationsgedanken erforderlich gewesen sind, und deren Aufbau im einzelnen erst die Schwierigkeiten der praktischen Organisationsarbeit klarzulegen imstande ist. Kein Gebiet der Kriegswirtschaft war organisatorisch so verwickelt, wie das des Spinnstoffgewerbes; daher muß die Darstellung seines Organisationsaufbaus besonders lehrreich sein. Die Verwaltungsstellen der Kriegs-Rohstoff-Abteilung für die Papierwirtschaft sind in meiner Darstellung in das Spinnstoffgewerbe einbezogen, sowohl wegen der Inanspruchnahme großer Mengen von Zellstoff und Papier für Spinnzwecke und von Lumpen zur Papierbereitung, als auch, weil die Sektion für Papier ein Glied der Unterabteilung Webstoffe der Kriegs-Rohstoff-Abteilung war.

Der Umfang der Organisation auf dem Gebiet der Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe und Spinnstofferzeugnisse, der Anfang August 1918 seinen Höhepunkt erreichte, spiegelt die Bedeutung dieser Gewerbegruppen für die Kriegführung, die erhebliche volkswirtschaftliche, sozialpolitische und privatwirtschaftliche Rolle, die das ausgedehnte Gewerbe spielt, und vor allem seine technisch-geschäftliche Verwickeltheit und Zersplitterung wider. Die Benutzung verschiedenartiger Rohstoffe: Wolle, Haare, Baumwolle, Jute, Flachs, Hanf, Seide, Kunstwolle, Kunstbaumwolle in ihren zahllosen Abarten, die Möglichkeit gegenseitiger weitgehender Vertretung und Mischung dieser Rohstoffe, die Heranziehung zahlreicher Ersatzstoffe, z. B. Zellstoff, Kunstseide, Papier, Brennessel, Torf, Schilf, Ginster, Weidenbast und die Unentbehrlichkeit der vielseitigen Erzeugnisse für Heer, Verkehrswesen, Kriegsindustrie und bürgerlichen Bedarf haben es mit sich gebracht, daß der Verwaltungsaufbau des Spinn- und Webstoffgewerbes und -Handels sich in eine fast unübersehbare Anzahl von Stellen gliederte. Es entfielen von den Fachsektionen (Stoff-Sektionen) der KriegsRohstoff-Abteilung etwa ⅓ auf das Spinnstoffgebiet, von den 2400 in Berlin befindlichen Beamten der K.R.A. 500. Von den 40 bis 50 der K.R.A. unterstehenden Kriegsgesellschaften, Abrechnungsstellen, Kriegsausschüssen und dergleichen waren ⅔ mit rund 5000 Angestellten (ohne Arbeiter) auf diesem Gebiet tätig. Das BekleidungsBeschaffungs-Amt (A.B.A.), die Hauptbeschaffungsstelle für Webstoffe, beschäftigte rund 1150 Beamte und Angestellte und folgte damit der Größe nach an zweiter Stelle hinter dem Waffen und Munitions-Beschaffungs-Amt mit 5000; es stand dem Ingenieur-Komitee mit rund 1100 Köpfen etwa gleich.

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

Allgemeines Die Rohstoffbewirtschaftung und das Beschaffungswesen von Spinn- und Webstoffen Für die Bedarfsdeckung des Heeres und der Marine an Spinn- und Webstoffen waren verfassungsmäßig die vier Kriegsministerien der Bundesstaaten und das Reichsmarineamt zuständig. Die bundesstaatlichen Kriegsministerien hatten sich aber schon in Verhandlungen vom Herbst 1914 grundsätzlich der Rohstoffbewirtschaftung durch das preußische Kriegsministerium angeschlossen, etwas später auch die Marine, doch blieben Teilbeschaffungen noch bestehen. Den wichtigsten Webstoff-Verbrauch bildeten die Bekleidung und Ausrüstung der Truppen. Art und Menge der zuständigen Bekleidung bearbeitete für das preußische Heer die Bekleidungs-Abteilung (B. 3) des Kriegsministeriums. Im Frieden nahm B. 3 nur bei Uniformtuchen einen unmittelbaren Einfluß auf die Beschaffung im übrigen beschafften die Bekleidungsämter, Intendanturen, Garnison-Verwaltungen und Truppen nach den allgemeinen Anweisungen selbständig. Im Kriege lag die Beschaffung anfänglich in der Hand derselben Stellen; die Kriegsbekleidungsämter beschafften bestimmungsgemäß auch die Tuche. Nebenher aber sicherte auch B. 3 besondere Vorräte an einzelnen Massenbedürfnissen und für Anforderungen der Verbündeten. Die zersplitterte Beschaffung durch zahlreiche Stellen ergab Schwierigkeiten. Es wurde daher anfangs 1915 die zusammengefaßte Beschaffung eingeführt, die allmählich ausgestaltet wurde und sich gegen Mitte 1916 im wesentlichen durchgesetzt hatte. Organe der zusammengefaßten Beschaffung der Webstoffe wurden die sogenannten Webstoffbeschaffungsstellen, die im allgemeinen als Militärverwaltungsbehörden in Berlin eingesetzt wurden. Die für Bekleidung wichtigste Webstoffbeschaffungsstelle wurde das im Kriege errichtete BekleidungsBeschaffungs-Amt (B.B.A.). Für mittelbaren Heeresbedarf, z.  B. Eisenbahnbedarf und Postbedarf, übten einige nichtmilitärische Stellen die Tätigkeit von Webstoffbeschaffungsstellen aus. Für die Fragen der Bereitstellung von Spinnrohstoffen und Garnen für die Bedürfnisse aller Webstoffbeschaffungsstellen war die im Kriege errichtete Kriegs-Rohstoff-Abteilung (K.R .A.) des preußischen Kriegsministeriums zuständig. Im Verein mit anderen zuständigen Abteilungen des Kriegsministeriums, mit den Webstoffbeschaffungsstellen, mit Kriegsgesellschaften und Kriegsausschüssen, verfolgte sie auch die Frage der Ersatz- und Sparwirtschaft und regelte im Zusammenhang damit die Beschäftigung von Handel, Industrie und somit auch der Arbeiterschaft in den Heeresindustrien. Die aus der Rohstoff-Bewirtschaftung mit ihren Beschlagnahmen und Herstellungsverboten folgende zwangsläufige Leitung des Wirtschaftslebens griff in das Zuständigkeitsgebiet verschiedener Reichsämter, vor allem des Reichsamts des Innern und des späteren Reichswirtschaftsamts über. Auch das Reichsschatzamt war vielfach beteiligt. Die Kriegsorganisationen der K.R.A. und des R.d.J. bzw. Reichswirtschaftsamts berührten sich z. B. bei der Tätigkeit der Reichsbekleidungsstelle und der Reichssackstelle. Durch A.K.O. vom 1.  Nov. 1916 wurde im preußischen Kriegsministerium das Kriegsamt (K) errichtet, dem die Beschaffungs- und Rohstoffabteilungen des Kriegsministeriums mit Einschluß des B.B.A. unterstellt wurden. Die Militärbefehlshaber waren in Preußen dem Kriegsministerium nicht nachgeordnet, wenngleich sie angehalten waren, die allgemeinen Richtlinien des Kriegsministeriums zu befolgen. In anderen Bundesstaaten mit eigenen Kriegsministerien waren die kommandierenden Generale dagegen unterstellt. Selbständig gegenüber dem Kriegsministerium waren auch die Generalgouvernements und sonstigen Verwaltungen in den besetzten Gebieten und die Militärbefehlshaber im Operationsgebiet, so daß grundsätzliche Anordnungen, die für alle Stellen Gültigkeit haben sollten, gleichzeitig auch durch die Oberste Heeresleitung (Generalquartiermeister) oder den Reichskanzler ergehen mußten. Im einzelnen sind Abmachungen mancherlei Art über die Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Verwaltungsstellen getroffen worden.

Allgemeines 

 281

Wichtigste an der Beschaffung und Verwaltung von Spinn- und Webstoffen beteiligte Zentralbehörden im Inland (und die Art ihrer Beteiligung)1 Reichsamt des Innern.

Reichsentschädigungskommission, seit 25 4.15. Regelung der Entschädigung für die im besetzten Gebiet enteigneten Güter.

Reichswirtschaftsamt, errichtet durch Erlaß vom 21. 8. 17.

Riemen-Freigabe-Stelle.* Reichsbekleidungsstelle mit Kriegswirtschafts-Aktien-Gesellschaft.* Reichssackstelle.* Reichsschiedsgericht für Kriegswirtschaft; unter Leitung eines Referenten aus dem Reichsjustizamt (eingesetzt als Reichsschiedsgericht für Kriegsbedarf am 24.6.15; umbenannt 1917 [vgl. Nr.  9 des Reichsanzeigers von 1917]). Entscheidung in Fragen der Entschädigungen für im Inland beschlagnahmte Güter ohne gesetzliche Höchstpreise. Reichskommissar für Ein- und Ausfuhr.*

Reichsschatzamt. a)

Mietszentrale beim Stat. Bureau des Reichsschatzamtes. Ermietung von Räumen der deutschen Kriegsgesellschaften. b) Mitwirkung bei der einheitlichen Regelung der Gehälter im Bereich der Kriegsgesellschaften welche der K.R.A., dem Reichswirtschaftsamt und dem Kriegsernährungsamt unterstanden.

Reichspostamt.

Post-Webstoffstelle (seit Juli 1916).

Rechnungshof des Reiches (vgl. Sektion BU. der K.R.A.) Reichsmarineamt.

Marine-Bekleidungsämter Kiel und Wilhelmshaven. Marine-Sanitätsämter Kiel und Wilhelmshaven. Marine-Intendanturen Kiel und Wilhelmshaven. Kaiserliche Werften Kiel, Wilhelmshaven, Danzig.

Stellvertretender Generalstab.

Abteilung für kriegswirtschaftliche Transporte (Krieweis).

Preußisches Kriegsministerium.*

Abteilungen des Preußischen Kriegsministeriums, die mit der Verwaltung und Beschaffung von Spinnstoffen und Webstoffen zu tun hatten (vgl. Schaubild).

1 Die mit einem Stern bezeichneten Amtsstellen finden sich weiter hinten ausführlicher dargestellt.

286 

 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

Preußisches Ministerium der öffentlichen Arbeiten, zugleich Chef des Reichsamts für die Verwaltung der Reichseisenbahnen. Eisenbahn-Webstoffstelle (seit Juli 1916).*

Die bundesstaatlichen Kriegsministerien und die für Handel und Gewerbe zuständigen Ministerien waren neben den Reichs- und preußischen Stellen teilweise unmittelbar, teilweise durch Erlaß von Ausführungsbestimmungen an der Spinn- und Webstoffbewirtschaftung mitbeteiligt.

Die Militärbefehlshaber im Inland Durch die infolge des Abänderungsgesetzes über den Kriegszustand (4. Dezember 1916) und der Ausführungsverordnung vom gleichen Tage verfügte Bestellung eines Obermilitärbefehlshabers (des Kriegsministers) als militärische Aufsichts- und Beschwerde-Instanz wurde an der selbständigen Zuständigkeit der Militärbefehlshaber in wirtschaftlichen Fragen nichts geändert; dagegen wurde später durch die Errichtung des Kriegsamts am 1. November 1916 und die von ihm eingerichteten Kriegsamtsstellen und Kriegsamtsnebenstellen ihre Zuständigkeit in wirtschaftlichen Dingen beschränkt. Die Revisoren blieben den Stellvertretenden Generalkommandos vorläufig unterstellt, auch blieb die Durchführung der Maßnahmen, die sich auf das Belagerungsgesetz stützten, z.  B. die Veröffentlichung der Verordnungen, bei den Generalkommandos. Die Wirtschaftsoffiziere der Generalkommandos und die von mehreren Generalkommandos errichteten Rohstoffstellen gingen zunächst auf die Kriegsamtsstellen über, bis in der weiteren Entwicklung ab Ende 1917 die Kriegsamtsstellen wieder in Unterstellung und nahe Verbindung mit den Generalkommmandos gebracht wurden.

Rohstoffbewirtschaftung durch das Pr. Kriegsministerium bzw. das Kriegsamt 1 Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung (K.R.A.) und ihre für das Spinnstoffgewerbe wichtigsten Sektionen Abteilungschef Oberstleutnant Dr.-Ing. E.-H. Koeth. Die erste Unterteilung der durch Verfügung vom 13.8.1914 begründeten K.R.A. in Sektionen erfolgte am 1.1.1915; für Spinnstoffe entstand damals die Sektion W. für Wolle und Baumwolle; weitere Teilungen folgten. Anfang 1916 wurden die für die Spinnstoffbewirtschaftung wichtigen Sektionen einer Unterabteilung  Z.W. unter Leitung des Majors Wolffhügel nachgeordnet. Außer den Fachsektionen hatten die Chefsektionen, wozu auch rechtliche und volkswirtschaftliche Beratung gehörten, sowie einige allgemeine Sektionen für die Spinnstoffbewirtschaftung noch besondere Bedeutung (vgl. weiter unten). Die den meisten Spinnstoff-Sektionen angegliederten Bedarfs-Prüfungsstellen hatten die Aufgabe, den Bedarf zu prüfen und Einzelanordnungen über die Art der Deckung zu geben. In fachlicher Unterstellung zu der K.R.A. befand sich später das Bekleidungs-BeschaffungsAmt (B.B.A.), eine formell selbständige militärische Verwaltungsbehörde unter K. (Vergleiche nähere Darstellung des B.B.A. unter „Beschaffungswesen“.) Die erwähnten allgemeinen Sektionen hatten folgende Au f gab e n :



Rohstoffbewirtschaftung durch das Pr. Kriegsministerium bzw. das Kriegsamt 

 287

1.

A.St. (Auslandstelle). Au f gab e n : Rohstoffbeschaffung im verbündeten und besetzten Gebiet, allgemeine Auslandsangelegenheiten, Lager usw. Leiter: Kriegsreferent Fabrikant Dr. Spiero. 2. Bst. (Beschlagnahmestelle siehe auch Sektion  F). Eigene Revisionen und Anleitung der den Generalkommandos unterstellten Revisoren, Drucksachenverwaltung, Zollstatistik usw. Leiter: Kriegsreferent Dr.-Ing. Philippi. 3. BU. (Buchhaltung). Leiter: Kriegsreferent Rentner Kaufmann Heimann. 4. Sektion F. Leiter: Hauptmann d. R. Kammergerichtsrat Gadow. Die Sektion wurde im Dezember 1917 von Bst. abgezweigt mit den Aufgaben der Beschlagnahmen und Enteignungen im Inland und der Reichsschiedsgerichtsangelegenheiten. Am 1. April 1918 trat F. (R.) als besondere Unterabteilung von Bst. zu F. über. Au f gab e n : Abfassung und Auslegung der Verordnungen usw., Rechtsabteilung. Leiter: Kriegshilfsreferent Rechtsanwalt Dr. Wertheim. 5. Sektion Z.R.O. Erhebungen über die Erzeugung, den Verbrauch und die Vorräte sämtlicher Rohstoffe und Nahrungsmittel im Wirtschaftsgebiet der Mittelmächte einschließlich der besetzten Gebiete. Leiter: Hauptmann d. L. Reg.-Rat Dr. Völcker. 6. Sektion Z.N.O. (Volkswirtschaft). Monatsberichte der K.R.A.; Allgemeine kriegswirtschaftliche Angelegenheiten; Überleitung zur Friedenswirtschaft. Leiter: Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Wiedenfeld.

2 Die Unterabteilung Webstoffe (Z.W.) der K.R.A. Nach dem Stand vom 1. 8.1918 (vgl. auch das Schaubild). Leiter: Major Wolffhügel, gleichzeitig Kommissar einer Reihe von Kriegsgesellschaften. Zugeteilt: Hauptmann d. R. Fabrikant Freiherr v. Müffling; insbesondere Vertreter des Leiters in allen Ersatzstofffragen; hierfür seit Juni 1918 bei Z.W. eine Spinnstoffersatz-Kommission. Z.W. unterstanden folgende Sektionen: A) Allgemeine Sektionen: Sektion W. G. Allgemeine Rechts- und Wirtschaftsfragen der Spinnstoffindustrie. Kriegshilfsreferent Landrichter Dr. Goldschmidt — 1.9.17 — 19 P.2. Sektion W. M. Allgemeine Textilfragen, die nicht in das Gebiet der Fachsektionen gehörten, z. B. Angelegenheiten des Bekleidungs-Beschaffungs-Amts, der Reichsbekleidungsstelle, der Verbündeten usw. Oberleutnant d. R. Kaufmann Staubt — 20 P. Webstoff-Meldeamt , W.M.A. Statistik über Bestände und Verbrauch an Rohstoffen, Garnen und Fertigwaren. Leutnant d. R. Kaufmann Fischbein — 22.11.17 aus der bis dahin gemeinsamen Sektion W.M. herausgelöst. — Rund 225 P. Sektion W.E. Textil- und Papier-Ein- und Ausfuhrangelegenheiten. Kriegshilfsreferent Kaufmann Ries. — 15.5.17. — 16 P. Bedarfs-Anmelde-Zentrale, B.A.Z. Die Zentrale war K.R.A. unterstellt. Sie diente als Verbindungsstelle zwischen der K.R.A. und dem B.B.A. und vermittelte vor allem die Übersicht über die Bestände des B.B.A. Leutnant d. L. Kaufmann Zöllner. — 1.3.17. — Rund 40 P.

2 Hier und späterhin an entsprechender Stelle Name des Leiters, Gründungsdatum, Personenzahl einschl. Leiter.

288 

 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

B) Fachsektionen3. Sektion W I. Bewirtschaftung von Wolle, Haaren, Torffasern, Kratzen und Olein. Am 1.1.1915 wurde eine gemeinsame Sektion für Wolle und Baumwolle innerhalb der K.R.A. ausgesondert; aus W. entstand am 1.4.15 die Sektion W.I., von der wiederum am 1.8.1915 die Sektion W.IV abgezweigt wurde. Angegliedert war die Wollbedarfs-Prüfungsstelle. Leiter: Wollgroßhändler Kommerzienrat Schönbach. Vertreter: Kriegshilfsreferent Volkswirt Dr. Lejeune-Jung. — 20 P. Nachgeordnete Stellen: Die Woll- und Wollgarn-Verwertungsstile; der Kommissar des K.M. zur Förderung der Wollerzeugung. Nachgeordnete Kriegsgesellschaften, Ausschüsse und dergleichen: KriegswollbedarfA.-G., Kammwoll-A.-G., Vereinigung des Wollhandels, Torffaser-Kriegsausschuß und Filzabteilung des Papiermacher-Kriegsausschusses. Sektion W II. Bewirtschaftung von Baumwolle, Kapok und Brennesseln. Leiter: zunächst Kriegsreferent Universitätsprofessor Bruck, ab August 1915 Rittmeister d. R. Legationsrat Marckwald, seit 1.7.1918 Leutnant d. L.-Kav. Kaufmann Hardt. Vertreter des Sektionsleiters: Kriegshilfsreferent Rechtsanwalt Dr. Isay. Leiter der Baumwollbedarfs-Prüfungsstelle: Kriegshilfsreferent Fabrikant Fleischer. Die Sektion entstand am 1.4.15 durch Teilung der ursprünglichen Sektion W. — 35 P. Nachgeordnete Stellen: Die Spinnstoff-Verwertungsstelle und die Garnverwertungsstelle beim Kriegsausschuß der deutschen Baumwollindustrie. Nachgeordnete Kriegsgesellschaften, Abrechnungsstellen, Ausschüsse usw.: Die Baumwoll-Abrechnungsstelle, der Kriegsausschuß der deutschen Baumwollindustrie und die Nesselanbau G. m. b. H. Sektion W III. Bewirtschaftung von Jute, Flachs und Hanf, sowie von Typha, Ginster, Weidenbast und anderen Ersatzfasern (mit Ausnahme von Haaren, Torffasern, Brennesseln, Kunstseide und Papiergarn). Leiter: Direktor der höheren Fachschule für Textilindustrie in Sorau, Kriegsreferent Prof. Stolzenburg. Vertreter des Sektionsleiters: Kriegshilfsreferent Kaufmann Dr. jur. Hertzog. Die Bastfaserbedarfs-Prüfungsstelle leitete Kriegshilfsreferent Fabrikdirektor Landwehr. Gegründet 6.8.15; bis dahin Verwaltung der Bastfasern zusammen mit Gummi und Asbest. Bei Sektion W III. lag die vorbereitende Bearbeitung der meisten Ersatzfasern, bis Brennessel und Torffaser später an die meistbeteiligten Fachsektionen übergingen. W III. bearbeitete anfänglich auch das ganze Papiergebiet, bis der Umfang der Arbeit zur Errichtung der besonderen Sektionen Pa. und Paga. führte. — 25 P. Nachgeordnete Stellen: Die Belegschein-Zentrale bei der Leinengarn-Abrechnungsstelle. Nachgeordnete Kriegsgesellschaften, Abrechnungsstellen, Ausschüsse: Bastfaser-Kriegsausschuß, Leinen-Kriegsausschuß, Jute-Kriegsausschuß, Hartfaser-Kriegsausschuß, Hanf-Kriegsausschuß, Leinengarn-Abrechnungsstelle A.-G., Leinengarn-Abrechnungsstelle, Abtl. Flachs, Bastfaser-Einkaufs-G.  m.  b.  H., Jute-Abrechnungsstelle, KriegsHanf-G.  m.  b.  H., Kriegsflachsbau-G.  m.  b.  H., Kriegskommission zur Gewinnung neuer Spinnfasern und die Abteilungen für Typha und Ginster der Nesselanbau-G. m. b. H.

3 Die Sektionsleiter (in einzelnen Fällen auch ihre Vertreter) pflegten Kommissare in den ihren Sektionen unterstellten Kriegsgesellschaften zu sein. Betreffs der „Ständigen Kommissare“ vergleiche die Angaben bei den einzelnen Sektionen und Kriegsgesellschaften.



Rohstoffbewirtschaftung durch das Pr. Kriegsministerium bzw. das Kriegsamt 

 289

Sektion W.S. Bewirtschaftung von Seide und Kunstseide4. Leiter: Rittmeister d. L. Fabrikant Schniewindt. Leiter der Seidenbedarfs-Prüfungsstelle: Rittmeister d. L. Fabrikant Lange. — Am 9.7.17 von W. IV. abgezweigt. — 14 P. Nachgeordnete Kriegsgesellschaften: Seidenverwertungs-G. m. b. H. Sektion W IV. Bewirtschaftung von Lumpen, Stoffabfällen, Kunstwolle usw., anfänglich auch Seide. Leiter: Kriegsreferent Kaufmann und Fabrikant Kayser. — Am 1.8.1915 von W I. abgezweigt. — 30 P. einschl. des Personals der angegliederten Lumpenbedarfs-Prüfungsstelle. Nachgeordnete Stellen: Die Lumpen-Verwertungs-Zentrale und die Reißerei-Zentrale; in beiden war Kommissar Rittmeister d. L.-Kav. Fabrikant Hoffmann. Nachgeordnete Kriegsgesellschaften, Ausschüsse u. dgl. Kriegs-Hadern-A.-G., AltstoffEinfuhr-G. m. b. H. und Abteilung Lumpen der Kriegswollbedarf-A.-G. Verbände, die sich in gewisser Weise der Sektion freiwillig untergestellt und dem Leiter der Sektion  W.  IV. Befugnisse ähnlich einem Kommissar eingeräumt hatten: Verband der Putzlappenhersteller E. V.; Verband deutscher Putzwollfabrikanten; Verband deutscher Wattefabriken; Vereinigung deutscher Verbandwattefabrikanten bzw. Vereinigung der Großbetriebe der deutschen Verbandstoff-Industrie, Berlin; Verband deutscher Kunstbaumwollfabriken E. V. und einige kleinere mehr. Sektion Pa. Bewirtschaftung von Zellstoff, Papier, Pappe und zugehörigen Hilfsstoffen. Leiter: Oberleutnant d. R. Fabrikant Schöller. — Am 10.2.1917 von der Sektion W. III abgeteilt. — 17 P. Nachgeordnete Stellen: Beauftragter der Heeresverwaltung bei der Kriegswirtschaftsstelle für das Zeitungsgewerbe. Nachgeordnete Kriegsgesellschaften, Ausschüsse u. dgl: Kriegsverwertungsstelle für das Papierfach; Papiermacher-Kriegsausschuß; Kriegsausschuß für Rohpappen und Dachpappen-Industrie; Kriegsausgleichstelle für Dachpappenteer und Spinnstoff-Einfuhr-G. m. b. H. Sektion Paga5. Bewirtschaftung von Spinnpapier und Papiergarn. Kriegshilfsreferent Fabrikant Dr. jur. Dierig. — Die Sektion wurde am 1.10.1917 von Sektion  W  III. abgeteilt. — 35  P. einschl. des Personals der angegliederten PapiergarnbedarfsPrüfungsstelle. Nachgeordneter Kriegsausschuß: Kriegsausschuß für Textilersatzstoffe.

4 Es erfolgte am 30. Juli 1918 eine Änderung in dem Sinne, daß nur die Bewirtschaftung der realen Seide bei W.S. verblieb, dagegen unter Übertritt von Rittmeister Lange zur Leitung von Paga bei dieser Sektion alle aus Zellulose hergestellten Spinnstoffe und Gespinste, also auch Kunstseide, Kunstschappe, Kunstbourette und Stapelfaser, vereinigt wurden. Da die Personalverschiebungen im einzelnen aber erst durchgeführt werden sollten, so beruhen die Angaben dieser Aufstellung über das Personal der Sektionen noch auf dem Stand vom 30. Juli. Als Folge dieser Änderung wurde auch die Seidenbedarfs-Prüfungsstelle (S.P.) ab 1.8.1918 aufgelöst. 5 Vgl. Anmerkung 4. An Stelle des für eine andere Verwendung in Aussicht genommenen Dr. Dierig hatte Rittmeister d. L. Fabrikant Lange ab 30.7.18 die Leitung der Sektion Paga übernommen.

290 

 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

3 Am 1. August 1918 auf dem Spinnstoffgebiet in Tätigkeit befindliche, auf Anordnung der K.R.A. von Kriegsgesellschaften finanzierte Amtsstellen und die der K.R.A. nachgeordneten Kriegsgesellschaften, Kriegsausschüsse usw. A. Verzeichnis Sektion

Lfd. Nr.

Name

W I.

1. 2.

Woll- und Wollgarn-Verwertungsstelle, Berlin…………………………………… Kommissar des Kriegsministeriums zur Förderung der Wollerzeugung (Schafzuchtstelle) Berlin…………….............................................……… Kriegswollbedarf-A.-G., Berlin…….............................................……… Kammwoll-A.-G., Berlin…………….....................................................… Ein- und Verkaufsstelle der K.R.A. bei der Vereinigung des Wollhandels, Leipzig…...............................................................................… Torffaser-Kriegsausschuß, Berlin…............................................……… Spinnstoff-Verwertungsstelle, Berlin…….........................................… Garnverwertungsstelle, Berlin ……….............................................…… Baumwoll-Abrechnungsstelle, Bremen….........................................… Kriegsausschuß der deutschen Baumwollindustrie, Berlin………..……… Nesselanbau-G. m. b. H., Berlin…………...........................................… Belegschein -Zentrale der Bastfaserbedarfs-Prüfungsstelle, Berlin…... Bastfaser-Kriegsausschuß, Berlin ………..........................................… Leinen-Kriegsausschuß, Berlin………...............................................… Jute-Kriegsausschuß, Berlin………..............................................……… Hanf-Kriegsausschuß, Berlin………….............................................…… Hartfaser-Kriegsausschuß, Berlin……...........................................…… Leinengarn-Abrechnungsstelle-A.-G., Berlin.…………………………….……… Leinengarn-Abrechnungsstelle, Abtlg. Flachs, Berlin……………….....…… Bastfaser-Einkaufs-G. m. b. H., Berlin…...........................................… Jute-Abrechnungsstelle, Berlin………….............................................… Kriegs-Hanf-G. m. b. H., Berlin……….............................................…… Kriegsflachsbau-G. m. b. H., Berlin…............................................…… Kriegskommission zur Gewinnung neuer Spinnfasern, Bamberg…..…… Seidenverwertungs-G. m. b. H., Berlin…..........................................… Lumpen-Verwertungs-Zentrale, Berlin…..........................................… Reißerei-Zentrale, Berlin…………................................................……… Kriegs-Hadern-A.-G., Berlin…………...............................................…… Altstoff-Einfuhr-G. m. b. H., Berlin…….............................................… Beauftragter der Heeresverwaltung bei der Kriegswirtschaftsstelle für das Zeitungsgewerbe, Berlin……..........................................…………… Kriegsverwertungsstelle für das Papierfach G. m. b. H., Berlin…………… Papiermacher-Kriegsausschuß, Berlin…..........................................… Kriegsausschuß der Rohpappen- und Dachpappen-Industrie G. m. b. H., Berlin….....................................................................…… Kriegsausgleichstelle für Dachpappenteer G. m. b. H., Berlin…….……… Spinnstoff-Einfuhr-G. m. b. H., Bremen…........................................... Kriegsausschuß für Textilersatzstoffe, Berlin……………………………………

3. 4. 5.

W II.

W III.

W.S. W IV.

Pa.

6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 7a. 7b. 8. 9. 10. 11. 1. 1. 2. 3. 4. 1. 2. 3. 4.

Paga

5. 6. 1.

Seite 291 291 292 293 294 294 295 295 295 296 298 298 299 299 300 300 301 301 302 302 303 303 304 304 304 305 305 306 306 307 307 308 308 309 309 309



Rohstoffbewirtschaftung durch das Pr. Kriegsministerium bzw. das Kriegsamt 

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B. Beschreibung der einzelnen Gesellschaften, Ausschüsse usw. Woll- und Wollgarn-Verwertungsstelle (W.G.B.), Berlin (334 P.)6 Entstehung und Zusammensetzung: Die Stelle entstand zunächst unter dem Namen Wollmusterlager im Januar 1915, gemeinsam getragen von der Kriegswollbedarf- und Kammwoll-A.-G. Am 1.6.1915 kam sie als W  I. — W.L. zur Sektion W  I. der K.R.A. Am 1.7.1916 wurde sie von K.R.A. räumlich wieder getrennt, in Woll- und Wollgarn-Verwertungsstelle umbenannt und der Aufsicht des „Kommissars des K.M. bei der Woll- und Wollgarn-Verwertungsstelle“ unterstellt. Ständiger Kommissar: Hauptmann d. R. Fabrikdirektor Kick7. Aufgaben: Bewirtschaftung (Einlagerung, Bemusterung, Veredelung und Verteilung) der der Heeresverwaltung gehörigen Woll- und Wollgarnbestände. Die der Woll- und Wollgarn-Verwertungsstelle unterstellten Wollkontore in Hamburg und Bremen hatten die Bemusterung und Überwachung der dort eingelagerten Wollen und Wollgarne. Ausschüsse, Kommissionen usw.: Es bestanden 10 bis 12 von der K.R.A. bei der Woll- und Wollgarn-Verwertungsstelle eingesetzte Abschätzungskommissionen für die verschiedenen Arten der Materialien.

Kommissar des Kriegsministeriums zur Förderung der Wollerzeugung (F.d.W.) (Schafzuchtstelle), Berlin (24 P.) Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Die Stelle wurde am 12.5.1917 unter Beteiligung des preußischen Landwirtschaftsministeriums, der Bundesstaaten und der Reichszentralbehörden errichtet. Die Arbeitsaufnahme erfolgte am 11.9.1917. Geschäftsführender Kommissar: Webschullehrer Reuff. Au f gab e n : Maßnahmen zum Schutz des Schafbestandes, Erschließung der Mittel und Wege zur Vermehrung der Schafhaltung (die direkte Beeinflussung der züchterischen Maßnahmen verblieb den landwirtschaftlichen Zentralbehörden); Propaganda zur Steigerung der Schafzucht (Wollkurse); Begutachtung der Wollen nach züchterischen Werten; Unterstützung bei Beschaffung von Weide und Futter; Ausnutzung der besetzten Gebiete zur Schafzucht; Zurückstellung von Schäfern vom Heeresdienst; Statistik der Wollablieferung gegen Strickgarnanträge; Bearbeitung der Berichte der Wollrevisoren. Au s s ch ü s s e , Ko m m i s s i o n e n usw.: Es bestand ein Beirat, gewählt auf Vorschlag der zuständigen Behörden. Mitglieder: Vertreter der Schafhalter, Gehilfen, Zuchtleiter, Wollhändler, Industrie, Landes-Fleischversorgungsstellen, dazu Vertreter der landwirtschaftlichen Zentralbehörden und der Militärverwaltungen der Bundesstaaten.

6 Hier und später an entsprechender Stelle Zahl der beschäftigten Personen, soweit nichts anderes angegeben, Mitte 1918. 7 Außer durch ständige Kommissare, die nur bei einigen Amtsstellen, Kriegsgesellschaften usw. bestellt waren, erfolgte die Überwachung durch von der K.R.A. beauftragte nebenamtliche Kommissare. Meist waren diese die Leiter der W.-Sektionen oder die Leiter derjenigen Einzelsektionen, welchen die betreffende Organisation je nach ihrer Sachzugehörigkeit unterstand.

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

Kriegswollbedarf-A.-G. (K.W.B.), Berlin (4,2 5 Mill. Aktienkapital; 2 12 6 P.) Entstehung und Zusammensetzung: Die Gesellschaft wurde von 2  Händlern und 30  Spinnwebern der Streichgarnindustrie (Militärtuchfabrikanten und einigen Ziviltuchindustriellen unter Ausschluß der Lohnspinner und her Damentuchweber) am 9.9.1914 gegründet. An der ursprünglichen Zusammensetzung hat sich nichts Wesentliches geändert; diese wurde auch von geringer Bedeutung, seit die Gesellschaft den Anweisungen der K.R.A. bis ins einzelne zu folgen hatte. Nur der Aufsichtsrat (zuletzt 14  Mitglieder) ist im Laufe der Zeit um einige Ziviltuchinteressenten und 2 Reichstagsabgeordnete verstärkt worden. Aufsichtsratsvors.: Kommerzienrat F. Rechberg; Vorstandsmitglieder: Pariser, Quandt, Hebel. Die Aufgaben der Gesellschaft sollten bestimmungsgemäß gemeinnützige sein; Ständiger Kommissar: Rittmeister d. L. Kammgarnspinnereibesitzer Schmidt. Das Personal der Gesellschaft bestand: Anfang 1916 aus 500, Anfang 1917 aus 1200 Angestellten; am 1.7.1918 aus 860 männlichen und 1266 weiblichen, zusammen 2126 Angestellten. Die Gesellschaft hatte eigene Abteilungen in Forst und Crimmitschau, ferner in Brüssel (die „Einkaufsstelle der Kriegswollbedarf-Aktien-Gesellschaft Brüssel“ wurde als erste Auslandsstelle im Juli 1915 errichtet), Warschau und Lodz, wobei in den besetzten Gebieten eine gleichzeitige Unterstellung unter die dortigen Verwaltungsbehörden Platz griff. Eigene Beamte hatte sie ferner entsandt zur Schwarzmeerstelle, nach Reval und Libau. Die Gesellschaft beschäftigte 150  Lohnreißereien, 9 Sortierbetriebe für Lumpen, 19 Lumpen- und Kunstwollsammellager, 2 Sammellager und 4 Aufbereitungsanstalten für Torf, 7  Sammellager für Garne, 23  Lager für Schmelzmittel und rund 240 Sammellager, Nebenlager, Übergangslager, Lager bei Tuchfabrikanten usw. für Wolle. Zum Teil befanden sich die Lager in eigener Bewirtschaftung der Gesellschaft. Da bei Gründung der Gesellschaft Banken nicht beteiligt waren, so hatte jede Abteilung ihre eigene Bankverbindung. Aufgaben: Erwerb, Einlagerung, Veräußerung der Wollen der einheimischen Schafschur, sonstiger Garne und Wolle aus Deutschland und den besetzten Gebieten, von Lumpen, Kunstwolle und Torffaser. Bis zur Übernahme der Geschäfte durch die Seidenverwertungs-Gesellschaft am 1.9.1917 erstreckte sich die Tätigkeit der Gesellschaft auch auf Seide. Die Herstellung von Kunstwolle betrieb die Gesellschaft in Lohnreißereien auf eigene Rechnung. Auch die Nebenproduktgewinnung (Fett z. B.) spielte eine Rolle, sowie gelegentlich die Zuteilung von Textilmaschinen. Ursprünglich hatte die Gesellschaft die selbständige Verteilung von Beutewollen an ihre Mitglieder, später wurde die Mengenverrechnung Sache der dem Bekleidungs-Beschaffungs-Amt unterstehenden Liefererverbände (Kriegs-Garn- und Tuchverband, Kriegs-Decken-Verband, Kriegs-Woilach-Verband, Kriegs-Wirk- und Strickverband). Die Tätigkeit der Gesellschaft in der Beschaffung, Übernahme, Lagerung, Sichtung, Bewertung und Verrechnung der Wolle erfolgte unter Anweisung und Aufsicht der K.R.A. Ausschüsse, Kommissionen usw.: 1. Überwachungskommission des Aufsichtsrats für die innere Geschäftsführung; 2. Kommission zur Abschätzung der deutschen Wolle; 3. Kommission zur Festsetzung der Preisrichtlinien zwecks Übernahme der Spinnstoffe; 4. Verteilungskommission der Wollabteilung, 5. Wollvorbewertungskommission (Hauskommission8; 6. KunstwollPrüfungskommission; 6 a) Kommission der Reißerei Zentrale; 7. Kunstwoll-Prüfungskommission (Hauskommission); 8. Preisprüfungskommission für Lumpen; 9. Bewertungskommission für Lumpen (Hauskommission); 10. Sachverständigen-Kommissionen der Garngruppe für Kammstickgarne, für Streich-, Strick- und Webgarne, für Web-Kammgarne, Mohair- und Weftgarne, für

8 Die „Hauskommissionen“ waren wesentlich aus den eigenen Beamten gebildete Kommissionen zur Vorbereitung regelmäßig wiederkehrender Aufgaben. Sie tagten täglich.



Rohstoffbewirtschaftung durch das Pr. Kriegsministerium bzw. das Kriegsamt 

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baumwollhaltige Mischgarne; 11. Interimskommission zur Verteilung von Textilmaschinen. Die Kommissionen Nr. 2, 3, 6 und 8 waren von der K.R.A. bestellt9. Bemerkungen: Kommissar in der Kunstwoll-Prüfungskommission der Kriegswollbedarf-A.-G. war Hauptmann d. L. Tuchfabrikant Schlief; Kommissar in der Prüfungskommission der Kriegswollbedarf-A.-G. für Lumpen Rittm. d. L.-Kav. Fabrikant Hoffmann. Außer den Kommissaren der K.R.A. wurden zu den Sitzungen des Aufsichtsrats regelmäßig geladen: das Reichsamt des Innern, Reichswirtschaftsamt, Reichsschatzamt, Reichsmarineamt und das preußische Ministerium für Handel und Gewerbe. Auf Anweisung der K.R.A. bezahlte die Kriegswollbedarf-A.-G. die Kosten, ohne auf die Geschäftsführung Einfluß zu haben, für mehrere Stellen, wie die Woll- und Wollgarn-Verwertungsstelle, den Torffaser-Kriegsausschuß usw. Alle diese Beträge wurden der K.R.A. in Rechnung gestellt, d. h. von den an das Reich abzuführenden Beträgen gekürzt. Beteiligt war die KriegswollbedarfA.-G. an der Altstoff-Einkauf-G. m. b. H.

Kammwoll-Aktien-Gesellschaft , Berlin (6,2 5  Mill. Mark Aktienkapital. 60 P.) Entstehung und Zusammensetzung: Die Gesellschaft wurde am 20.10.1914 als Kriegsgesellschaft gegründet. Sie ging aus dem Verein Deutscher Wollkämmer und Kammgarnspinner, Dresden, hervor, welchem übrigens die großen Lohnkämmereien nicht angehörten. Gründer: rund 100 Firmen (Kammgarnspinner, Kämmer, Kammzug- und Kammgarnhändler). Die wenigen dem Verein nicht angeschlossenen Kammgarnspinnereien nahmen an den Aufträgen der Gesellschaft teil. Der Geschäftsführer des Vereins Deutscher Wollkämmer und Kammgarnspinner gehörte zugleich dem Vorstand der Gesellschaft an. Aufsichtsratsvorsitzender: Kommerzienrat A. Kümmerle, Vorstandsmitglieder: Dr. Behnsen, Dr. Kuntze, Haack. Aufgaben: Die Gesellschaft hatte zuerst die selbständige Verwertung und Verteilung von Kammwollmaterial an die Kammgarn- und Strickgarnspinner, später Mitwirkung bei Auftragsund Rohstoffverteilungen an diese auf Grund der nach Anweisung des K.M. vom Kriegs-Garnund Tuchverband bzw. vom Kriegs-Wirk- und Strickverband ausgegebenen Aufträge. Sie hatte auch die Beratung des K.M. in Angelegenheiten der Kammgarnspinnereien. Ausschüsse, Kommissionen usw. Es bestand eine Verteilungskommission zur Unterverteilung der Spinnaufträge aus Händlern und Industriellen. Bemerkungen: Diejenigen Kammgarnspinnereien, welche Papiergarn herstellten, hatten sich zu einer Gruppe zusammengeschlossen. Zwischen den Kammgarnwebgarn-, Kammgarnpapiergarn- und den Strickgarnspinnern bestand eine Entschädigungsgemeinschaft mit Stillegungsund Entschädigungskommission (Ausdehnung auf die Papiergarnspinner erst seit 1.3.1918). Die Entschädigungsgelder verwaltete die Kammwoll-A.-G., im übrigen war die Entschädigungsgemeinschaft freie Veranstaltung der Industrie und der Kammwoll-A.G. nicht angegliedert.

9 Die Kommissionen waren aus Händlern, aus Industriellen oder aus beiden Gruppen unter Hinzuziehung von Kommissaren der K.R.A., von unabhängigen Sachverständigen und von Beamten der Gesellschaft zusammengesetzt.

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

Ein- und Verkaufsstelle der K.R .A. (Spinnstoffvertriebsstelle) bei der Vereinigung des Wollhandels, Leipzig (150 P.) Entstehung und Zusammensetzung: Die schon im Frieden bestehende Vereinigung war der größte Verband des deutschen Wollhandels. Bei Kriegsbeginn hatte er rund 70 Mitglieder. Die Übertragung der Geschäftsführung durch das K.M. erfolgte durch Schreiben vom 9.1.1915. Die Vereinigung traf ihrerseits vom K.M. genehmigte Abmachungen mit der Allgemeinen Kreditanstalt, Leipzig. Leitung: Schneichel, Vierweg. Aufgaben: Die Ein- und Verkaufsstelle der Vereinigung wurde gegründet zur Übernahme, Einlagerung und Verteilung von groben Wollen, Kunstwollen und Abfällen für Woilache (anfänglich auch für Unterkunftdecken). Später sind hinzugekommen: seit März 1915 die Filzversorgung, nämlich Übernahme und Einlagerung gebrauchter Filze der Zellstoff-, Holzschliff-, Papier- und Pappenindustrie, die Verwertung derselben für mittelbaren und unmittelbaren Heeresbedarf und die Lieferung von Rohstoffen zur Herstellung von Neufilzen für die genannten Industrien; seit März 1917 Verwertung der aus den besetzten Gebieten hereinkommenden Polier-, Sattelund Munitionsfilze, seit 14.11.1915 Bewirtschaftung der aus den besetzten Gebieten eingeführten Tierhaare; seit 31.12.1915 Alleinaufkauf von Körpertierhaaren im Inlande; seit Februar 1916 Herstellung von Streichgarn für Militärstrümpfe, Zivilstrümpfe und Westen; seit Dezember 1916 Bewirtschaftung von Säureloden und Pulvertuch; seit März 1917 Überwachung des Kratzenverbrauchs, Bewirtschaftung der aus den besetzten Gebieten abtransportierten und in Deutschland beschlagnahmten Kratzen; seit 1.7.1917 Bewirtschaftung der Mähnen- und Schweifhaare, Hasenund Kaninchenhaare, Borsten und Schweinshaare, sowie der Abfälle von Haarfellen, Wollfilzen und Pelzen; seit 11.9.1917 Zentralaufkauf für Frauenhaar; seit 23.12.1917 Förderung der Seidenkaninchenzucht zwecks Spinnstoffvermehrung, z.B. durch Anlage von Zuchtanstalten. Außer den oben genannten Gegenständen unterlagen noch ihrer Bewirtschaftung: Reisstroh ab Juli 1917, Seegras und Alpengras (gesponnen und angesponnen) ab August 1917; Preßspäne, Papierhülsen und sonstige technische Artikel für Wollspinnereien ab Oktober 1917; Spinnereimaschinen zur Herstellung von Halbkammgarn ab Dezember 1917, Holzwolle ab März 1918. Ausschüsse, Kommissionen usw.: Überwachungsausschuß: 2  Wollhändler aus dem Vorstand der Vereinigung des Wollhandels, ferner ein Überwachungskommissar der Handelskammer zu Leipzig. Sachverständigen-Kommissionen: 1. für Tierhaare, 2. für Roß- und Schweinshaare, 3. für Borsten, 4. für Pelz- und Fellabfälle, 5. für Filztuche (Papierfilze), 6. für Polier-, Sattel- und Munitionsfilze, 7. für Kratzen.

Torffaser-Kriegsausschuß, Berlin (5 P.) Entste h u ng u n d Zu s a m m e n s e t z u ng: Der Ausschuß wurde am 24.11.1916 gegründet. Mitgliederzahl  8, und zwar ein Vorsitzender (ein Universitätsprofessor), ein zweiter Vorsitzender und 5 Vertreter von Aufbereitungsanstalten und Sammelstellen, dazu ein Vertreter des Vereins zur Förderung der Moorkultur im Deutschen Reiche. Unabhängig vom Torffaser-Kriegsausschuß, aber in Fühlung mit ihm bestand eine „Abteilung Bayern“, deren Vorsitzender der Leiter der Kgl. bayrischen Moorkulturanstalt war. Leitung: Professor Dr. Magnus. Aufgab e n : Der Torffaser-Kriegsausschuß war beratende Stelle für die K.R.A. in Fragen der Sicherstellung der Torffaser. Er hatte die Sammlung zu organisieren und für die Aufbereitung der Rohfaser bis zum spinnfähigen Material zu sorgen. Aussch ü s s e , Ko m m i s s i o n e n usw.: Als besonderer Ausschutz war eine technische Kommission vorhanden.



Rohstoffbewirtschaftung durch das Pr. Kriegsministerium bzw. das Kriegsamt 

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Spinnstoff-Verwertungsstelle (S.V.) des Kriegsausschusses der deutschen Baumwollindustrie, Berlin (83 P.) Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Die Spinnstoff-Verwertungsstelle ist am 1.8.1916 gegründet und dem Kriegsausschuß der deutschen Baumwollindustrie angegliedert worden. In Werdau-Crimmitschau wurde eine Nebenstelle errichtet, um durch persönliche Fühlungnahme mit den Vigognespinnern die Erzeugung der Vigogne- und Zweizylindergarne zu heben. Ständiger Kommissar: Major d. L. Fabrikant Frommel. Leitung: Speidel. Aufgaben: Die beschlagnahmten und heereseigenen Bestände an Baumwollspinnstoffen zur Erzeugung aller Arten von Baumwollgarnen für Heeresbedarf waren einer planmäßigen Verwertung zuzuführen. Einzelausgaben waren: Gutachten über spinntechnische Fragen; Durchführung und Überwachung von Spinnversuchen; Buchführung über die an das Webstoffamt gemeldeten Bestände an Spinnstoffen unter Berücksichtigung der genauen Sortenverhältnisse; Erteilung von Spinnerlaubnissen für Baumwolle, Kunstbaumwolle und ähnliche Faserstoffe unter Zusammenstellung der anzuwendenden Mischungen; Zuteilung der Spinnstoffe, Bearbeitung der Freigabe- und Belegscheine für Herstellung von Baumwollgarnen; Überwachung der gesamten Garnherstellung; Statistik der abgelieferten Garne; Bearbeitung der Enteignungen von Spinnstoffen. Ausschüsse, Ko m m i s s i o n e n usw.: An Kommissionen und Unterausschüssen bestanden eine Baumwollbewertungskommission zur Feststellung des Preises von Spinnstoffen, deren Bewertung zweifelhaft war, und zweitens eine Kunstbaumwoll-Prüfungskommission zur Prüfung des Ausfalls der hergestellten Kunstbaumwolle.

Garnverwertungsstelle des Kriegsausschusses der deutschen Baumwollindustrie, Berlin (2 51 P.) Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Die Stelle wurde am 1.4.1916 begründet und dem Kriegsausschuß der deutschen Baumwollindustrie angegliedert. Ständiger Kommissar: Major d. L. Fabrikant Frommel. Leitung: H. Ernst. Aufgaben: Die beschlagnahmten Bestände der im Deutschen Reiche in Privatbesitz befindlichen Garne, sowie die Garne aus den heereseigenen Beständen nach Art und Nummer waren zusammenzustellen und für ihre zweckentsprechende Verwendung im Rahmen der Anforderungen der Heeres- und Marinebehörden war Sorge zu tragen. Besondere Au f gab e n : Preiskontrolle; Gutachten über Garnverwertung; Buchführung über die an das Webstoff-Meldeamt gemeldeten Garnbestände; Garnzuweisungen und Garnfreigaben für Heeres- und sonstigen kriegswirtschaftlichen Bedarf; Bearbeitung der Freigabe- und Belegscheine; Überwachung der Herstellung der Gewebe und deren Ablieferung; Bearbeitung der Enteignung von Garnen.

Baumwoll-Abrechnungsstelle (Bewa), Bremen (1051 P. einschl. 500 Arbeiter) Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Die Handelskammer Bremen bewirkte am 4.10.1916 die Eingliederung der bestehenden Rohbaumwoll-Abrechnungsstelle Berlin (Gründung: 8.1.1915) in die in Zusammenhang mit der Handelskammer Bremen am 18.2.1915 gegründete Baumwollgarn-Abrechnungsstelle Bremen zu einer Baumwoll-Abrechnungsstelle, Bremen. Von der K.R.A. aus war der Zweck der Zusammenlegung die „Verbilligung und Vereinfachung der Verwaltung“. Dazu kam folgender Grund: In einem die Geschäfte der Rohbaumwoll-Abrechnungsstelle über

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

wachenden Rohbaumwoll-Überwachungsausschuß waren anfänglich neben einem Vertreter der Diskontogesellschaft, einem Vertreter des Kriegsausschusses der deutschen Industrie und den staatlichen Kommissaren nur die Spinner, aber nicht der Rohbaumwollhandel vertreten. Ebenso gaben die Spinner den Ausschlag im Arbeitsausschuß und in der Sachverständigen-Kommission, welch letztere Vorschläge über Spinnmischungen ausarbeitete. In der Baumwollgarnabrechnungsstelle dagegen war infolge der Aufsicht der Handelskammer Bremen der Rohbaumwollhandel beteiligt. Die Verbindung mit der Handelskammer und der Bremer Baumwollbörse bestand bis zuletzt, die genauen Anweisungen ergingen aber von der K.R.A. Leitung: Kommerzienrat Fopp. Die Zahl der Angestellten betrug: 1.10.1916: 375  Angestellte und Arbeiter, Anfang Januar 1917: 350 Angestellte und 200 Arbeiter, 1.1.1918: 542 Angestellte und 519 Arbeiter, am 1.7.1918: 551 Angestellte und 500  Arbeiter (unter den 551  Angestellten waren 197  männlich und 354  weiblich). Aufgab e n : Lagerung, Sichtung, Bewertung, Abrechnung, Spedition der Beutebaumwolle und Beutegarne, Zwirne, Bänder; Übernahme beschlagnahmter Inlandbestände; Einkauf in den besetzten Gebieten. Aussch ü s s e , Ko m m i s s i o n e n usw.: Überwachungsausschuß, zusammengesetzt aus Interessenten aus Handel und Industrie. Es bestand je ein Unterausschuß für die Preisfestsetzung für amerikanische Baumwolle, sowie für ost-indische und Makkobaumwolle. Bemerkungen: Die Geschäfte der Rohbaumwoll-Abrechnungsstelle führte die Diskontogesellschaft Berlin, die der Baumwollgarn-Abrechnungsstelle die Rationalbank Bremen, die Geschäfte der vereinigten Baumwoll-Abrechnungsstelle die Nationalbank Bremen. Die Diskontogesellschaft blieb aber an den Überschüssen aus den Provisionen beteiligt und erschien auf den Briefbogen auch weiter als Bankverbindung. Die Baumwoll-Abrechnungsstelle arbeitete in mehreren getrennten Gebäuden Bremens. Umfangreiche Lager hatte sie in Bremen gemietet, welche sie in eigener Regie betrieb; daneben bestanden Lager bei Spediteuren und bei Fabriken.

Kriegsausschuß der deutschen Baumwollindustrie, Berlin (142 P.) 10 Entstehung und Zusammensetzung: Der Ausschuß wurde am 1.7.1915 als Selbstverwaltungskörper der Baumwollindustrie für kriegswirtschaftliche Aufgaben begründet, unterstand der Aussicht der K.R.A., und diente dieser als beratende und ausführende Stelle in Fragen der Kriegsbaumwollwirtschaft. Der Kriegsausschuß war rechtlich als ein gewöhnlicher Verein im Sinne des B.G.B. zu betrachten. Er entstand dadurch, daß etwa 25 hervorragende Baumwollindustrielle, fast durchgängig Vorsitzende der maßgebenden Baumwollindustriellen-Fachverbände der Spinnerei, Weberei, Wirkerei und Ausrüstungsindustrie und ferner Persönlichkeiten der Baumwollindustrie, welche mit dem Kriegsministerium bereits bei der Errichtung der RohbaumwollAbrechnungsstelle und der Baumwollgarn-Abrechnungsstelle zusammengearbeitet hatten, durch das K.M. berufen und zur Gründung des Ausschusses veranlaßt wurden. Später haben einige Zuwahlen stattgefunden. Zuletzt hatte das Plenum des Kriegsausschusses rund 30  Mitglieder. In der Gründungssitzung wurde der Vorsitzende des Arbeitsausschusses der Deutschen Baumwollspinnerverbände zum Vorsitzenden gewählt. Als Geschäftsführer wurde der damalige

10 Dazu gemeinsam mit der Spinnstoff-Verwertungs- und der Garnverwertungsstelle 29 Boten und sonstiges Hilfspersonal. Einschließlich Spinnstoff-Verwertungsstelle und Garnverwertungsstelle betrug das Personal am 9.7.1918: 505 Personen, davon 224 männliche und 281 weibliche.



Rohstoffbewirtschaftung durch das Pr. Kriegsministerium bzw. das Kriegsamt 

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Geschäftsführer des Vereins Süddeutscher Baumwollindustrieller und des Arbeitsausschusses der Deutschen Baumwollspinnerverbände vom K.M. berufen und von der Gründungsversammlung bestätigt. Aus dem Plenum des Ausschusses wurde ein aus 7 Personen bestehender geschäftsführender Ausschuß gebildet. Der Arbeitsbereich des Kriegsausschusses erstreckte sich ursprünglich auf die Spinnerei-, Weberei-, Wirkerei- und Strickereiindustrie. Im Frühjahr 1916 wurde für den Bereich der Wirkerei und Strickerei im Kriegs-Wirk- und Strickverband eine besondere Organisation geschaffen, womit die Auftragsbearbeitung für diese Gebiete vom Kriegsausschuß der Deutschen Baumwollindustrie abgetrennt wurde. Die zentrale Vergebung von Web- und Wirkaufträgen wurde bereits bei der Gründung des Kriegsausschusses eingerichtet. Mit den sonstigen Zweigen der Baumwollindustrie hatte der Kriegsausschuß hinsichtlich der Vergebung von Aufträgen nichts zu tun (z.  B. nicht mit Zwirn- oder Ausrüstungsaufträgen). Hinsichtlich dieser Industrien war er stets nur begutachtendes Organ der K.R.A. Solange eine gleichmäßige Vergebung von Aufträgen an die Webereiindustrie bestand, galten hierfür besondere, von der K.R.A. genehmigte „Grundsätze“, nach denen sich insbesondere die Beteiligung der sog. gemischten Betriebe, also der Halbwollwebereien und der Halbleinenwebereien, richtete. Dem Kriegsausschuß gehörten die weiter oben beschriebenen Garnverwertungsstelle und die Spinnstoff-Verwertungsstelle als Unterorganisationen an. Eine besondere Unterabteilung bearbeitete die Versorgung der Betriebe mit technischen Hilfsmitteln, z. B. mit Leim und Kartoffelmehl. Leitung des Kriegsausschusses: Hofrat Dr. Büttner, Behr, Speidel. Dem Kriegsausschuß waren etwa 1000  Baumwollbetriebe angeschlossen. Beschäftigt wurden von ihm am 1.1.1918: 40  Dreizylinderspinnereien, 140  Zweizylinderspinnereien und 58  Webereien, außerdem aushilfsweise noch eine Anzahl von Spezialwebereien. Aufgaben: Der Kriegsausschuß hatte: 1. bei Sicherstellung des Heeresbedarfs in Baumwolle und Baumwollerzeugnissen und bei der Aufstellung und Durchführung des Wirtschaftsplanes für Baumwolle und Baumwollgarne mitzuwirken, im besonderen auch die Bestandsmeldungen zu bearbeiten; 2. die Vorschläge für die Verteilung der Heeresaufträge an die Webereien, Bandwebereien und Posamentenfabriken nach vom K.M. genehmigten Grundsätzen auszuarbeiten und die Vergebungen vorzubereiten; 3. nach vom K.M. aufgestellten allgemeinen Grundsätzen die planmäßige Verteilung der Heeresaufträge in Verbandstoffen sowie der für den Privatbedarf und die Krankenanstalten freigegebenen Mengen an Verbandstoffen an die Verbandmittelhersteller (Ausrüster) vorzunehmen; 4. den von den Höchstleistungsbetrieben an die nicht mit Heeresaufträgen zu versehenden Unternehmungen zu leistenden Geldausgleich zu verrechnen, zu verwalten und auszuschütten; 5. durch die ihm angegliederte Spinnstoff-Verwertungsstelle nach vom K.M. aufgestellten allgemeinen Grundsätzen die Anfertigung der Garne für Heeresund kriegswirtschaftliche Zwecke zu überwachen, für die zweckmäßige Verwertung und für die rechtzeitige Zuweisung der Spinnstoffe an die Spinnereien Sorge zu tragen und Anweisung über die Herstellung der benötigten Garnsorten zu geben; 6. durch die ihm angegliederte Garnverwertungsstelle nach vom K.M. aufgestellten allgemeinen Grundsätzen für die zweckmäßigste Verwertung der beschlagnahmten Garnvorräte und der Bestände der Heeresverwaltung an Baumwollgarnen zu sorgen. Ausschüsse, Ko m m i s s i o n e n usw.: Der Kriegsausschuß hatte folgende Ausschüsse: 1.

Geschäftsführender Ausschuß;

2.

Verwaltungsrat: a) für die Entschädigungsgemeinschaft der Baumwollspinnerei-Industrie, b) für die Entschädigungsgemeinschaft der Baumwollweberei-Industrie.

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

Aufgabe: Festsetzung der Normen für die Entschädigung der stillgelegten Betriebe. Diese beiden Organe waren paritätisch aus Vertretern der Höchstleistungs- und der stillgelegten Betriebe zusammengesetzt. 3.

Je eine Berufskommission für die Entschädigungsgemeinschaften der Baumwollspinnerei und Weberei.

Angegliedert war dem Kriegsausschuß ein „Arbeitsausschuß der Verbandmittelhersteller“ für die Verteilung der Aufträge in Verbandstoffen. Ferner bestand eine Baumwoll-Bewertungskommission beim Kriegsausschuß.

Nesselanbau-G. m. b. H., Berlin (90 P.) Entste h u ng u n d Zu s a m m e n s e t z u ng: Die G.  m.  b.  H. wurde am 24.2.1917 errichtet; sie befand sich Ende 1918, vor allem wegen Hinzunahme der Typha- und Ginsterbewirtschaftung, noch in der Entwicklung; die Kapitalzeichnungen wurden erst September 1918 abgeschlossen. Auch die Beteiligungen des Reichs und der Bundesstaaten lagen noch nicht fest. An Kapital waren 15  Mill. Mark vorgesehen. Die am 6.7.1916 gegründete, aus der „Kommission zur Verwertung von Nesselfasern“ hervorgegangene „Nesselfaserverwertungs-G.  m.  b.  H.“ wurde am 28.1.1918 aufgelöst, und ihre Geschäfte gingen sachlich, aber nicht rechtlich, auf die Nesselanbau-G. m. b. H. über. Gesellschafter waren Industrielle aus allen Gruppen des deutschen Spinnstoffgewerbes. Leitung: Dr. Kahn, Wilde. Aufgab e n : Bewirtschaftung der Nessel (auch der wildgesammelten) bis zur Fasergewinnung, Ankauf und Sammlung von Nessel in den besetzten Gebieten. Nesselanbau. 1918 wurde der Nesselanbau-G. m. b. H. auch die Bewirtschaftung von Typha und Ginster übertragen. Aussch ü s s e , Ko m m i s s i o n e n usw.: Es bestanden je ein Sachverständigen-Ausschuß für Typha und Ginster.

Belegschein-Zentrale der Bastfaserbedarfs-Prüfungsstelle (2 5 P.) Entste h u ng u n d Zu s a m m e n s e t z u ng: Auf Grund der Verhandlungen in einer Sitzung des Leinen-Kriegsausschusses vom 9.12.1915 wurde durch Verfügung der K.R.A. am 29.12.1915 die Belegschein-Zentrale errichtet. Sie arbeitete nach Weisung und unter Verantwortung der K.R.A.; die Tätigkeit der Zentrale wurde auch auf Papiergarn, Kunstseide und Stapelfaser (also das Gebiet der Sektion Paga neben W III.) ausgedehnt. Aufgaben: Die Industrie sandte die auf Grund der Auftragsvergebungen durch die Kriegsausschüsse ausgefertigten Belegscheine an die Kriegsausschüsse, von dort gelangten sie an die bestellende Behörde, von dieser an die Belegschein-Zentrale. Diese prüfte die Belegscheine auf ihre rechnerische und fachtechnische Richtigkeit, ferner darauf, ob die Belegscheine sich im Rahmen der Auftragsverteilung hielten und nur von Höchstleistungsbetrieben eingingen. So vorgeprüft, gelangten die Belegscheine zur Genehmigung an die K.R.A. und von dort zurück an die Belegschein-Zentrale zur Zustellung an die Industrie. Die Belegschein-Zentrale hatte auch alle mit der Ausstellung der Belegscheine verbundenen Nebenarbeiten zu leisten (Statistiken über die Belegscheine, auch über Freigaben) mit Ausnahme des Schriftverkehrs mit den Beschaffungsstellen, den sich die K.R.A. vorbehalten hatte. Aus sch ü sse, Ko m m issio n en usw. bestanden nicht.



Rohstoffbewirtschaftung durch das Pr. Kriegsministerium bzw. das Kriegsamt 

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Der Bastfaser-Kriegsausschuß und seine Unterausschüsse: Bastfaser-Kriegsausschuß (Hauptausschuß) gegründet 14.8.1915. Er entstand unmittelbar nach Errichtung der Einzelausschüsse aus von diesen gewählten Delegierten; der Hauptausschuß wurde im Bedarfsfalle von K.R.A. berufen.

I. Leinen-Kriegsausschuß.

II. Jute-Kriegsausschuß.

III. Hanf-Kriegsausschuß.

Gegründet 14.8.1915.

Gegründet 14.8.1915.

Gegründet 14.8.1915.

IV. Hartfaser-Kriegsausschuß. Gegründet 14.8.1915.

Bastfaser-Kriegsausschuß, Berlin (2 P.) Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Der Ausschuß wurde am 14.8.1915 gebildet. Der Bastfaser-Kriegsausschuß bestand aus Mitgliedern des Leinen-, Jute-, Hanf- und Hartfaser-Kriegsausschusses. Sein Vorsitzender war ein Leinenspinner (Komm.-Rat Tiemann), sein Geschäftsführer zugleich der Geschäftsführer des Leinen-Kriegsausschusses, in dessen Räumen sich auch das Büro befand. Zu den Sitzungen entsandten Kommissare: K.R.A., Reichsamt des Innern, Reichswirtschaftsamt, Ministerium für Handel und Gewerbe, Kriegszentrale des Hansabundes, Kriegsausschuß der Deutschen Industrie, Bayrisches K.M., Württembergisches K.M.11 Aufgaben: Beratung des K.M. (K.R.A.) für die der gesamten Bastfaser-Industrie gemeinsamen Angelegenheiten. Ausschüsse, Ko m m i s s i o n e n usw.: Vgl. die folgenden Unterausschüsse: Leinen-, Jute-, Hanf- und Hartfaser-Kriegsausschuß.

I. Leinen-Kriegsausschuß (L.K.A.), Berlin (62 P.) Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Der Leinen-Kriegsausschuß wurde am 14.8.1915 gebildet. Er bestand ursprünglich aus einem Überwachungsausschuß von 22 Mitgliedern (Spinnern, Webern, Zwirnern, Ausrüstern), die vom Verbande deutscher Leinenwebereien gewählt worden waren. Vorsitzender: Georg Müller; Geschäftsführer: Thilo.

11 Einladungen von Kommissaren dieser oder anderer Amtsstellen fanden z.  T. auch bei anderen Stellen statt, sind aber aus Raummangel nicht überall angegeben.

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

Der Ausschuß hatte später 25 Mitglieder. Die Zahl der angeschlossenen Betriebe war 365; davon waren 183 Höchstleistungsbetriebe, 152 stillgelegte Betriebe. Aufgab e n : Beratung der K.R.A. in Angelegenheiten der Flachsindustrie; Vermittlung der Staatsaufträge in Leinengeweben und Gurten an die Industrie; Vorprüfung der Belegscheine; Erhebungen über die bei den dem L.K.A. angeschlossenen Betrieben lagernden Garne und deren Erfassung, sowie — in Verbindung mit der Leinengarn-Abrechnungsstelle — die Sicherstellung der für die Gewebe- und Zwirn-Aufträge benötigten Garne; Verwaltung der bei den angeschlossenen Betrieben vorhandenen Vorräte beschlagnahmter Leinenwaren; Zusammenarbeiten mit den anderen Kriegsausschüssen in gemeinsamen Angelegenheiten; Beschaffung der Unterlagen für die im übrigen private Entschädigungsgemeinschaft; Einkassierung der Beträge und Weiterleitung an die stillgelegten Betriebe. Aussch ü s s e , Ko m m i s s i o n e n usw.: Revisions-Kommission für Finanzangelegenheiten (Prüfung der Bilanz und der Gehälter); Stillegungsausschuß. Bemerkungen: Die Belegschein-Zentrale der Bastfaserbedarfs-Prüfungsstelle (siehe dort), die der K.R.A. unterstand, wurde auf Veranlassung des L.K.A. begründet und durch Beiträge der einzelnen Bastfaser-Kriegsausschüsse unterhalten. Der L.K.A. arbeitete in enger Fühlung mit der Leinengarn-Abrechnungsstelle; diese stellte in einem Delegierten ihres Aufsichtsrates den 1. Vorsitzenden und in einem Vorstandsmitglied den stellvertretenden Vorsitzenden des L.K.A. Die Geschäftsräume lagen in dem gleichen Gebäude. Der Geschäftsführer des L.K.A. war zugleich Vertrauensmann der Zentralstelle für Ausfuhrbewilligung der Leinen-Industrie. Eine Garn-Ausgleichstelle hatte die Aufgabe der Regelung der Garnlieferungen von den Spinnereien an die Webereien je nach der Dringlichkeit der erteilten Heeresaufträge.

II. Jute-Kriegsausschuß, Berlin (19 P.) Entste h u ng u n d Zu s a m m e n s e t z u ng: Der Ausschuß wurde am 14.8.1915 begründet und umfaßte 60 Firmen (Spinner und Weber). Der Geschäftsführer war zugleich Geschäftsführer der Jute-Abrechnungsstelle. Vorsitzende: Nickel, Jacobsen. Geschäftsführer: Dr.  Weber. Der Ausschuß hatte 12 Mitglieder. Aufgab e n : Beratung der K.R.A. in Angelegenheiten der Juteindustrie, Mitwirkung bei Auftragsverteilung. Aussch ü s s e , Ko m m i s s i o n e n usw.: Betreffs der ursprünglich dem Jute-Kriegsausschuß angegliederten Kriegskommission zur Gewinnung neuer Spinnfasern vgl. weiter unten.

III. Hanf-Kriegsausschuß, Berlin (19 P.) Entste h u ng u n d Zu s a m m e n s e t z u ng: Der Ausschuß wurde am 14.8.1915 gegründet; rund 25  Firmen waren angeschlossen. Der Ausschuß umfaßte 9  Mitglieder. Vorsitzender: Knispel, Geschäftsführer: Brandt. Aufgab e n : Beratung der K.R.A. in Angelegenheiten der Hanfindustrie; Mitwirkung bei der Auftragsverteilung und bei Zuweisung der Rohstoffe nach bestimmtem Schlüssel; Verteilung von Papierbindfäden. Seit dem 1.1.1918 besaß der Hanf-Kriegsausschuß eine Prüfungsstelle für HanfSchlauchbedarf (bürgerlicher Bedarf). Ausschü sse, Kom m ission en usw.: Eine Auftragsverteilungskommission diente der Nachweisung entsprechender Lieferanten. Unter dem Vorsitz eines Vorstandsmitgliedes dieser Kommission



Rohstoffbewirtschaftung durch das Pr. Kriegsministerium bzw. das Kriegsamt 

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wurde eine Auftragsverteilungsstelle der deutschen Hanfindustrie gegründet, die ihre Vorschläge unmittelbar der K.R.A. machte und zwei Unterabteilungen a) für Weichfaser, b) für Hartfaser (vgl. auch Hartfaser-Kriegsausschuß) besaß. Weitere Ausschüsse waren eine Verteilungsstelle für Papierbindfaden und ein gemeinsamer Überwachungsausschuß aus Weich- und Hartfaserspinnern zur Kontrolle der Geschäftsführung. Von der Industrie aus, aber mit Billigung der K.R.A., war ferner eine aus fünf vom Aufsichtsausschuß der Papierbindfaden-Verteilungsstelle gewählten Mitgliedern, bestehende Preisprüfungsstelle für den Handel in Seilerwaren und Bindfaden errichtet, welche Zeitungsangebote usw. auf übertriebene Forderungen prüfte und gegebenenfalls Anzeige an das Kriegswucheramt erstattete.

IV. Hartfaser-Kriegsausschuß, Berlin Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Der Ausschuß wurde am 14.8.1915 gegründet. Angeschlossen waren 48  Firmen. Tauwerkfabriken konnten nur diesem Ausschuß und nicht dem Hanf-Kriegsausschuß angehören. Anfänglich war der deutsche Seiler- und Reepschlägerverband korporatives Mitglied und verteilte die ihm überwiesenen Aufträge unter seine Angehörigen, später schied er aber wieder aus. Der Ausschuß hatte sieben Mitglieder; die Geschäftsstelle war die gleiche wie beim Hanf-Kriegsausschuß. Vorsitzender: Kirchert, Geschäftsführer: Müller. Aufgaben: Beratung der K.R.A. in Angelegenheiten der Hartfaserindustrie: Mitwirkung bei Auftragsverteilung und bei Aufstellung von Richtlinien. Ausschüsse, Ko m m i s s i o n e n usw.: a) Eine Auftragsverteilungskommission; die Verteilung von Rohstoffen erfolgte nach genehmigten Richtlinien durch die Rohstoff- und Auftragsverteilungskommission der Kriegs-Hanf-G.  m.  b.  H., so daß die Kommission nur die Überwachung hatte. b) Eine Höchstpreiskommission für fertige Erzeugnisse für Heer und Marine.

Leinengarn-Abrechnungsstelle, A.-G. (L.G.A.), Berlin (1 Mill. Mark Aktienkapital. 110 P.) Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Auf Anregung des K.M. wurde die L.G.A. vom Verbande Deutscher Leinenwebereien in Anlehnung an die Bank für Handel und Industrie, Berlin, am 5.11.1914 als Abrechnungsstelle begründet, und zwar zunächst ohne eigenes Kapital. Die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft wurde am 29.4.1915 beschlossen und am 28.6.1915 eingetragen. Die Leitung lag zuerst in der Hand eines Geschäftsführers, der einem Überwachungsausschuß unterstand. März 1918 erfolgte Übernahme der Geschäftsanteile der Bastfaser-Einkaufs-Gesellschaft, (am 1.4.1918 Angliederung der Flachs-Abrechnungsstelle. Vorstand: Bendix, Kubens, Dr. Schönback. Aufgaben: Beschaffung von Leinengarnen, Vorgespinsten und Abfällen im Inland und in den besetzten Gebieten, deren Verteilung bzw. Verwertung hauptsächlich für die Kriegslieferungen der Leinenweberei und Zwirnerei; seit Ende 1916 war außerdem die Finanzierung der Geschäfte der Bastfaser-Einkaufs-Gesellschaft m. b. H., Berlin, hinzugekommen, deren sämtliche Geschäftsanteile die L.G.A. Anfang 1918 erworben hatte. Ausschüsse, Ko m m i s s i o n e n usw.: Überwachungsausschuß siehe oben; Schätzungsausschuß (z. B. für Entschädigungen bei Enteignungen); Verteilungsausschuß. Aufgabe: Ausarbeitung von Verteilungsgrundsätzen mit Schlüsseln. Nach Genehmigung durch K.M. erfolgte die Verteilungsberechnung im einzelnen durch das Büro des Verteilungsausschusses. Bemerkungen: In enger Fühlung mit der L.G.A. arbeitete der Leinen-Kriegsausschuß.

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

Leinengarn-Abrechnungsstelle, A.-G., Abteilung Flachs, Berlin (14 P.) (Früher Flachs-Abrechnungsstelle, Berlin) Entste h u ng u n d Zu s a m m e n s e t z u ng: Die Abrechnungsstelle wurde am 20.10.1914 auf Veranlassung der Flachsindustrie errichtet, und zwar in Anlehnung an die Bank für Handel und Industrie, welche die Geschäfte der Flachsabrechnung finanzierte. Der Geschäftsführer der Flachs-Abrechnungsstelle war ein Flachshändler. Die Beaufsichtigung der Geschäfte besorgte ein Überwachungsausschuß, dem vier Industrielle, ein Vertreter der Bank und die behördlichen Kommissare angehörten. Am 1.4.1918 wurde die F.A. von der Leinengarn-Abrechnungsstelle als besondere Abteilung übernommen. Die L.G.A. finanzierte von diesem Zeitpunkt ab alle Geschäfte der F.A., und diese hatte aufgehört, als besondere Stelle zu bestehen. Geschäftsführer: Kühnemann. Aufgab e n : Bewirtschaftung von beschlagnahmtem und erbeutetem Flachs und Flachseinkauf in den besetzten Gebieten. Aussch ü s s e , Ko m m i s s i o n e n usw.: Formell bestanden eine Schätzungskommission und eine Verteilungskommission. Sie setzten sich aus Industriellen und Händlern unter Vorsitz eines Mitgliedes der Handelskammer Berlin zusammen, tagten aber später nicht mehr.

Bastfaser-Einkaufs-Gesellschaft  m.  b.  H. (B.E.G.), Berlin (2 5  000  M Kapital. 16 P.) Entste h u ng u n d Zu s a m m e n s e t z u ng: Die Gesellschaft wurde am 28.7.1916 gegründet; eingetragen am 8.8.1916. Die Gründung erfolgte auf Anregung des Hanfverbandes. Anfang 1918 wurde der B.E.G. auch die Einfuhr von Flachs, Hanf und deren Erzeugnissen aus Groß-Rußland und der Ukraine übertragen. Es wurde ein Deutsch-Österreich-Ungarischer Bastfaser-Ausschuß zwecks Zusammenarbeit der B.E.G. mit den österreichischen und ungarischen Zentralen der Flachs- und Hanf-Industrie errichtet. In diesem Ausschuß waren alle vier Bastfaser-IndustrieGruppen Deutschlands, Österreichs und Ungarns vertreten. Ferner gründete man als Unterausschüsse für Deutschland einen Flachsausschuß und einen Hanfausschuß. Die Geschäfte der Gesellschaft sollten nicht auf Erwerb gerichtet sein. Die Gesellschaft hatte fünf Gesellschafter mit gleichen Anteilen: 1. Leinengarn-Abrechnungsstelle, 2. Deutsche Flachsspinner-Gesellschaft m. b. H., 3. Verband Deutscher Jute-Industrieller, 4. Verband Deutscher Hanf-Industrieller, 5. Verband Deutscher Hartfaser-Spinner. Außer einem Aufsichtsrat mit den gesetzlichen Befugnissen bestand ein Verwaltungsrat. Zu seinen Aufgaben gehörten: Regelung der Geschäftsführung, Aufstellung des Verteilungsplanes für die Rohstoffe, Festsetzung der Preise. Vorsitzender: Kommerzienrat Dr. Schwerin, Geschäftsführer: Klose. Aufgab e n : Zusammenfassung des Flachseinkaufes im neutralen Ausland (hauptsächlich Holland) in Fühlung mit den österreichischen und ungarischen Flachs- und Hanfzentralen, Verteilung der eingeführten Flächse nach Verteilungsschlüsseln zwischen: 1. Deutschland, Österreich und Ungarn, 2. zwischen den einzelnen Bastfasergruppen Deutschlands. (Leinen, Jute, Hanf, Hartfaser.) Der Schlüssel für die erstere Verteilung wurde durch den Deutsch-Österreichisch-Ungarischen Vollzugsausschuß festgestellt und unterlag in Deutschland der Zustimmung der K.R.A. Für die Verteilung in den einzelnen Bastfasergruppen stellten die Beteiligten oder die zuständigen Kriegsausschüsse den Schlüssel auf.



Rohstoffbewirtschaftung durch das Pr. Kriegsministerium bzw. das Kriegsamt 

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Ausschüsse, Ko m m i s s i o n e n usw.: An Kommissionen bestanden eine Holland-EinkaufKommission und eine Inland-Verteilungs-Kommission. Der Verwaltungsrat konnte jederzeit weitere Sonderausschüsse errichten. Er selbst besaß als engeren Unterausschuß einen Verwaltungsausschuß. Die Gesellschaft arbeitete in enger Fühlung und in finanzieller Anlehnung an die Leinengarn-Abrechnungsstelle. Diese hatte am 11.3.1918 alle Geschäftsanteile der B.E.G. übernommen und war in deren Geschäftsführung durch eines ihrer Vorstandsmitglieder vertreten.

Jute-Abrechnungsstelle, Berlin Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Die Stelle wurde gegründet aus Veranlassung der K.R.A. am 26.9.1914 Die Abmachungen erfolgten zwischen dem Verband Deutscher Jute-Industrieller und der Diskontogesellschaft. Der Abrechnungsstelle schlossen sich 36 Industrielle an. Geschäftsführer: Dr. Weber. Ende 1916 betrug die Zahl der Angestellten sechs; zuletzt waren neben dem Geschäftsführer drei Angestellte tätig. Es bestand aber eine teilweise Personalunion mit dem Jute-Kriegsausschuß; ein anderer Teil der Geschäfte wurde durch die Diskontogesellschaft erledigt. Aufgaben: Bewirtschaftung der Beute an Jute und Jutegarn. Die Abrechnungsstelle hatte im Anfang des Krieges auch die Durchführung der Beschränkung der Juteindustrie und bis zur Gründung der Reichssackstelle die Bewirtschaftung der Säcke. Da neue Jutezugänge nicht in Frage kamen, hatte die Tätigkeit der Abrechnungsstelle später wenig Bedeutung mehr. Ausschüsse, Ko m m i s s i o n e n usw.: a) Ein Überwachungsausschuß unter Vorsitz des Vertreters der K.R.A., b) eine Abschätzungskommission für Festsetzung der Warenpreise unter Vorsitz eines früheren Bankdirektors.

Kriegs-Hanf-G. m. b. H., Berlin (2 0 000 M Kapital. 35 P.) Entstehung u n d Zu s a m m e n s e t z u ng: Der Verband Deutscher Hanf-Industrieller G.  m.  b.  H., der schon im Frieden zu Produktions- und Preisregelungen bestand (25  Mitglieder), übernahm im November 1914 gegenüber K.R.A die Aufgaben einer Abrechnungsstelle. Am 14.2.1917 wurde die Abrechnungsstelle unter dem Namen „Kriegs-Hanf-G. m. b. H.“ vom Verband abgetrennt. Gesellschafter waren der Verband Deutscher Hanf-Industrieller und der Verband Deutscher Hartfaserspinnereien und Tauwerkfabriken. Bankverbindung war die Deutsche Bank. Vorsitzender: Kirchert. Geschäftsführer: Brandt. Aufgaben: Bewirtschaftung der gesamten Kriegswirtschaftsgüter in Hanf und Hanffabrikaten; Ankauf von Hanf und Hanffabrikaten in den besetzten Gebieten; Bewirtschaftung von Tauwerk und Transmissionsseilen in Deutschland und den besetzten Gebieten, sowie die Versorgung der Heeresindustrie mit denselben; Umrechnung aller Spinnstoffe für die Weich- und Hartfaserindustrie zu Einheitspreisen nach Faserinhaltswert. (Außer den eigenen Beständen der Kriegs-Hanf-G.  m.  b.  H. flossen der Hanf- und Hartfaserindustrie Rohstoffe durch die FlachsAbrechnungsstelle, die Bastfaser-Einkaufs-G. m. b. H., die Kriegsflachsbau-Gesellschaft und die Deutsche Hanfbau-Gesellschaft zu.) Ausschüsse, Ko m m i s s i o n e n usw.: Anfänglich bestand eine Verteilungskommission aus drei Mitgliedern, die aber später hinfällig wurde, da nur noch nach Anweisung der K.R.A verteilt wurde.

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

Kriegsflachsbau-G.  m.  b.  H. (K.F.G.), Berlin (50  000  M Stammkapital. 80 P.) Entste h u ng u n d Zu s a m m e n s e t z u ng: Am 1.4.1916 wurde (nachdem schon am 27.1.1916 von 29 Firmen die Errichtung einer Kriegsflachsbau-Gesellschaft zu notariellem Protokoll beschlossen worden war, man aber die Gesellschaft noch nicht hatte eintragen lassen) von 42 Einzelfirmen und den beiden Verbänden der Hanf- und Jute-Industriellen die Kriegsflachsbau-G. m. b. H. endgültig gegründet. Gesellschafter waren 31 Leinenspinner, 33 Jutespinner und 16 Hanfspinner. Vertreter der Landwirtschaft beteiligten sich an der Kapitalaufbringung zwar nicht, wurden aber zu den wichtigsten Sitzungen und Ausschüssen zugezogen. Im Februar 1917 wurde eine Abteilung der K.F.G. nach München verlegt, später dann auch nach Schwäbisch-Gmünd und nach Karlsruhe. In Warschau befand sich eine Stelle der K.F.G. Bankverbindung war die Bank für Handel und Industrie. Vorsitzender: Hildebrandt, Geschäftsführer: Dr. Augustin, Kleich. Aufgab e n : Förderung des Flachsbaus, sowie Aufarbeitung und Verteilung der Flachsfaser nach Weisungen der K.R.A. nebst allen damit in Zusammenhang stehenden Geschäften. Auch der Flachsanbau und die Aufbereitung im Generalgouvernement Polen gehörten zu den Aufgaben. Weiter erwarb die K.F.G. freien Hanf in Deutschland und Polen, den sie zur Aufbereitung den Hanfröstanstalten zuführte, während die ausgearbeitete Hanffaser der Kriegs-Hanf-G. m. b. H. zur Verteilung zufloß. Aussch ü s s e , Ko m m i s s i o n e n usw.: Mitte 1918 waren folgende Ausschüsse und Kommissionen in Tätigkeit: 1. Der Ausschuß (Arbeitsausschuß). Er bestand zuletzt neben dem Aufsichtsrat aus 45  Mitgliedern. 2a. Der Ernteausschuß. 2b. Der Ernteausschuß (Unterkommission). 3. Der Ausschuß für Flachsbereitung. 4. Die Schätzungskommission. 5. Die Flachsbereitungs-Zuschußkommission, zur Verteilung der Reichszuschüsse zum Bau von Röstanstalten. 6. Die Schiedsrichter-Kommission, 7. Der Ausschuß für Faserverteilung (grundsätzliche Verteilungsfragen), 7b. Die Faser-Verteilungs-Kommission (zur gemeinsamen Disposition über die Verteilung der einzelnen angemeldeten Fasermengen).

Kriegskommission zur Gewinnung neuer Spinnfasern, Bamberg Entste h u ng u n d Zu s a m m e n s e t z u ng: Die Kommission wurde gegründet am 7.9.1915, ursprünglich dem Jute-Kriegsausschuß angegliedert und von ihm und dem Hanf-Kriegsausschuß finanziert. Eine besondere Geschäftsstelle bestand nicht. Die Geschäfte wurden von den Angestellten der Firma Mechanische Seilerwarenfabrik, Bamberg, des Kommerzienrat Barth erledigt. Au f gab e n : Verspinnungsmöglichkeiten solcher Ersatzspinnfasern zu prüfen, für die besondere Organisationen nicht bestanden. Bemerkungen: Die Kommission stellte sich wesentlich als persönliches Unternehmen des Kommerzienrats Barth-Bamberg dar.

Seidenverwertungs-Gesellschaft  m.  b.  H., Berlin (2 00  000  M Stammkapital. 2 14 P.) E nt s teh u ng u n d Zu sammen setz u ng: Seide, zunächst nur Seidenabfälle, wurden ab 1.9.1916 von der Kriegswollbedarf-A.-G. bewirtschaftet, welche am 1.10.1916 eine besondere Abteilung dafür errichtete. Nach Gründung der Seidenverwertungs-Gesellschaft  m.  b.  H. am 2.8.1917 infolge der Erweiterung der Seidenbewirtschaftung durch die Heeresverwaltung gingen die Geschäfte der Abteilung Seide der K.W.B. an die neue Gesellschaft über, und zwar zur



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Vermeidung doppelter Bestandsaufnahmen am 1.9.1917, dem Abschlußtage der K.W.B. Die Gesellschafter der Seidenverwertungs-Gesellschaft m. b. H. setzten sich zusammen aus: einem Seidenhändler, einem Ausrüster, zwei Nähseidenfabrikanten und acht Seidenwebern. Geschäftsführer: Backhaus, Dr. Esders, Klemm. Aufgaben: Beschaffung und Bewirtschaftung von Natur- und Kunstseide und Kunstfaser; Vergebung der Webgarnaufträge; Vermittlung der Aufträge auf alle aus Seiden-Spinnstoffen oder Garnen ganz oder teilweise hergestellten Gegenständen für die Beschaffungsstellen. Ausschüsse, Ko m m i s s i o n e n usw.: Abschätzungskommission für Beitreibungs- und Beutegarne. B emerkungen: Bei der Gesellschaft war im Unterschied von anderen Kriegsgesellschaften die Bewirtschaftung der Rohstoffe und die Auftragsvermittlung zusammengelegt; es wurde damit wieder der Versuch gemacht, ob dieser Weg zweckmäßiger war, als der Weg, mehrere getrennte Stellen dafür in Anspruch zu nehmen.

Lumpen-Verwertungs-Zentrale, Berlin (10 P.) Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Die Lumpen-Verwertungs-Zentrale war eine von der K.R.A. am 16.  5.  1916 eingesetzte, von einem Kommissar überwachte halbamtliche Stelle. Die Finanzierung erfolgte durch die Kriegs-Hadern-A.-G. und die Kriegswollbedarf-A.-G. gemeinschaftlich. Leiter: Hirsch. Aufgaben: Heranziehung, Entgegennahme und Zuteilung des Lumpenangebots auch von Heeresstellen (außer Front- und Beutelumpen) an die Kriegs-Wollbedarf-A.-G. (Woll- und Seidenlumpen) und an die Kriegs-Hadern-A.-G. (Baumwoll- und Leinenlumpen); Verrechnung (nicht Bezahlung) der Lumpen von Heeresstellen; Statistik der Angebote von Lumpen; Statistik der Anlieferungen von unsortierten Lumpen bei den Sortierbetrieben; Statistik der abgelehnten Angebote; Überprüfung der Bestandsmeldungen von Lumpen an das Webstoff-Meldeamt und Kontrolle der Anlieferung; Beantragung von Enteignungen; Verwaltung der Kautionen der beauftragten Sortierbetriebe. Auf besondere Veranlassung der K.R.A.: Aufnahme der von der K.R.A. bestätigten Sortierbetriebe; Berufung der von der K.R.A. bezeichneten Sachverständigen für die Bewertung der Lumpen in militärischen Pachtbetrieben; Anfertigung von Rundschreiben über Sortierung von Lumpen u. a. m. Ausschüsse, Ko m m i s s i o n e n usw.: 1. Gemeinsame Abschätzungskommissionen mit der Kriegswollbedarf-A.-G. und der Kriegs-Hadern-A.-G. 2. Eine Schuhlumpen-Bewertungskommission seit Dezember 1917.

Reißerei-Zentrale, Berlin (1 P.) Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Die am 12.2.1918 errichtete Reißerei-Zentrale trat an die Stelle der Verteilungskommission für die Herstellung von Kunstbaumwolle. Sie war eine von der K.R.A. eingesetzte und von einem Kommissar überwachte halbamtliche Stelle. Die Finanzierung geschah von der Kriegswollbedarf-A.-G. und Kriegs-Hadern-A.-G. gemeinschaftlich. Aufgaben: Beratung und Kontrolle bei der Verteilung der Reißaufträge durch die Kriegsgesellschaften; Inbetriebsetzung der Reißereibetriebe, wobei Aufnahme und Ausschaltung von Reißereibetrieben aller Kriegsgesellschaften nur im Einvernehmen mit der Reißerei-Zentrale geschehen durfte; Statistik der Reißereiaufträge und der technischen Verhältnisse in Reißereibetrieben.

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

Kriegs-Hadern-A.-G., Berlin (2494 P. einschl. 2 02 5 Arbeiter) Entste h u ng u n d Zu s a m m e n s e t z u ng: Die Gesellschaft wurde gegründet am 17.3.1915 aus Kreisen des Lumpenhandels und der Reißer unter Mitwirkung der Dresdner Bank, und zwar zunächst unter dem Namen „A.-G. zur Verwertung von Stoffabfällen, Kriegsrohstoffgesellschaft“. Die Bezeichnung „Kriegs-Hadern-A.-G.“ datiert vom 17.11.1916. Der erste Aufsichtsrat setzte sich aus Angehörigen des Lumpenhandels und der Lumpenreißerei zusammen. Diese fachmännische Zusammensetzung des Aufsichtsrates bestand später nur noch zum Teil; zugezogen wurden Bankleute, Reichstagsabgeordnete usw. Ständiger Kommissar: Hauptmann d. L. Fabrikant Holzhey. Vorstand: Borde, Dupont. Die Zahl der Lumpenlager betrug am 1.1.1917 32, am 1.1.1918 52. Lumpenankaufsstellen bestanden in Brüssel und Riga, zeitweilig auch in Warschau. Die Gesellschaft beschäftigte eigene Reibereien und Pachtbetriebe. Au f gab e n : Beschaffung, Bewirtschaftung (Einlagerung, Versendung und Verrechnung) und Bearbeitung von Baumwoll- und Bastfaserlumpen, sowie seit 22.12.1917 die Bewirtschaftung und Verarbeitung von neuen und gebrauchten Segeltuchen, Planen u. dgl. An besonderen Aufgaben kamen hinzu: Lumpeneinkauf in den besetzten Gebieten (zum Teil durch die Deutsch-orientalische Handelsgesellschaft; Verrechnung auch durch Z.E.G.); Herstellung von Säcken aller Art aus Sacklumpen (hauptsächlich von der Front) in 22 Betrieben; Verarbeitung von Segeln, Planen usw. zu Waggonplanen, Geschützkappen, Zelten u. dgl. Aussch ü s s e , Ko m m i s s i o n e n usw.: 1. Revisionskommission zur Überwachung der Bilanzen und der Buchführung. 2. Eine Lumpenbewertungskommission (sog. Hauskommission aus drei Angestellten der Gesellschaft) zur Bewertung der der Gesellschaft angebotenen Lumpenzusammensetzungen. 3. Eine Preisprüfungskommission bei der Kriegs-Hadern-A-G. als unanfechtbares Schiedsgericht für die Lumpenbewertung in allen Fällen, in denen eine Einigung über den Preis nicht erzielt werden konnte. Zusammensetzung: zwei Händler und ein Reißer. Bestätigung des Vorsitzenden durch die K.R.A. 4. Eine Kunstbaumwoll-Prüfungskommission. Zweck: Festlegung der Normalmuster, Prüfung der Vorausmuster als Grundlage für die Lieferung, Prüfung der Ausfallmuster. Zusammensetzung jeweils zwei Spinner und ein Reißer, darunter ein Vertreter der Spinnstoff-Verwertungsstelle beim Kriegsausschuß der deutschen Baumwollindustrie. 5. Eine Fädenabschätzungskommission. Zweck: Bewertung von Garn und Zwirnabfällen. 6. Eine Verteilungskommission für die Herstellung von Kunstbaumwolle. Aufgabe: Verteilung der Aufträge von Heeresstellen bez. Anfertigung von Kunstbaumwolle.

Altstoff-Einfuhr-G.  m.  b.  H. „Alse“, Berlin (40  000  M Stammkapital. 32 P.) Entste h u ng u n d Zu s a m m e n s e t z u ng: Die G. m. b. H. wurde errichtet am 29.1.1918. Gesellschafter waren zu gleichen Teilen: Kriegswollbedarf-A.-G., Berlin, Kriegs-Hadern-A.-G., Berlin, Hadernzentrale, Wien und Ungarische Textil-Hader-Import-Ges., Budapest. Im Aufsichtsrat von 12 Mitgliedern saßen: ein Direktor der Kriegswollbedarf-A.-G., ein Direktor der Kriegs-HadernA.-G., ein Präsident der Hadernzentrale, Wien, ein deutscher Reichstagsabgeordneter, ein deutscher Abfallspinner, ein deutscher Tuchfabrikant, ein Syndikus der Europäischen Handelsgesellschaft, ein österreichischer Lumpenhändler, ein österreichischer Papierfabrikant, ein Direktor der ungarischen Woll-Kriegs-Gesellschaft, ein ungarischer Tuchfabrikant aus einer Kriegsorganisation und ein Direktor einer ungarischen Tuchfabrik. Es befand sich je eine Geschäftsstelle in Berlin, Wien und Budapest.



Rohstoffbewirtschaftung durch das Pr. Kriegsministerium bzw. das Kriegsamt 

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Aufgaben: Kauf von Alt- und Neutextilien aus Rußland, Finnland, Ukraine und Rumänien. Es bestanden Teilungslager in Stettin, Breslau, Wien und Budapest, und zwar an jedem Ort je ein Lager für Lumpen und eins für Fertigwaren. Auf den Teilungslagern wurden die eingetroffenen Waren nach den bestehenden Schlüsseln unter Deutschland, Österreich, Bulgarien und Türkei geteilt und die für Deutschland bestimmten Mengen den zuständigen Behörden und Kriegsgesellschaften zugeführt. Ausschüsse, Ko m m i s s i o n e n usw.: Es bestanden ein Revisionsausschuß des Aufsichtsrats für die gesamte Geschäftsführung, ferner satzungsgemäße Aufsichtsratsausschüsse in Berlin, Wien und Budapest. Die Aufsichtsratsausschüsse der verschiedenen Länder waren befugt, sich gegenseitig zu überwachen. B emerkungen: Die Gesellschaft unterstand der Aufsicht der K.R.A., des k. und k. K.M. in Wien, des k. und k. Handelsministeriums in Wien und des kgl. ungarischen Handelsministeriums in Budapest.

Beauftragter der Heeresverwaltung bei der Kriegswirtschaftsstelle für das Zeitungsgewerbe, Berlin Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Am 15.9.1917 wurde ein Offizier (Rittmeister Rose) des Kriegspresseamts der Kriegswirtschaftsstelle für das Zeitungsgewerbe zugeteilt zur Förderung der Versorgung der Armeezeitungen mit Papier. Am 13.11.1917 wurde diesem Offizier durch Erlaß des Generalquartiermeisters die alleinige inländische Beschaffung von Papier für alle Kriegsschauplätze übertragen. Am 11.2.1918 wurde der Beauftragte der K.R.A. Sektion Pa angegliedert, weil die Beschaffung von Papier gegenüber dem Wettbewerb der inländischen Zeitungen auf Schwierigkeiten stieß, die sich nur durch die Verfügungsgewalt der K.R.A. beseitigen ließen. Aufgaben: Beschaffung und Bezahlung von maschinenglattem, holzhaltigem Zeitungs-Druckpapier aus dem Inland für Armeezeitungen, Maueranschläge usw. Die einzelnen Zentralvermittlungen (Ober-Ost, Beauftragter des Generalquartiermeisters-West, Heeresverwaltung in der Ukraine und Rumänien, Generalgouvernement Brüssel und Warschau) forderten bei dem Beauftragten das Papier gesammelt an, soweit es nicht in den besetzten Gebieten selbst beschafft werden konnte.

Kriegsverwertungsstelle für das Papierfach, G. m. b. H., Berlin (10 P.) Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Im Juli 1916 wurde aus Veranlassung der K.R.A. zur Durchführung geplanter Beschlagnahme-Maßnahmen eine „Kriegsverteilungsstelle für Altpapier“ gegründet. Aus ihr entstand unter Veränderung der Aufgaben am 1.1.1917 die Kriegsverwertungsstelle für das Papierfach. Gesellschafter waren drei Industrielle. Aufgaben: Verwertung von der Heeresverwaltung überwiesener, zumeist aus den besetzten Gebieten stammender neuer und alter Pappen, Papiere, Zellstoff und Spinnpapiere, auch von Maschinenteilen für die Papierindustrie usw. Die Verwertungsstelle übernahm unter anderem auch das bis dahin von der Kriegswirtschafts-A.-G. betriebene Lager in Riesa und mietete einige weitere Lager hinzu. Ferner hatte sie den Vertrieb der Erzeugung einer in Belgien wieder in Betrieb gesetzten Spinnpapierfabrik. Ausschüsse, Ko m m i s s i o n e n usw.: Kontingentierungskommission; Kommission zur Verwertung von Neupapier und Pappen; Kommission zur Verwertung von Altpapier; Zuteilungs- und Überwachungskommission für Neupapier. — Die Zuteilungs- und Überwachungskommission

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

war zur Feststellung von Preisen bei der Verteilung von Neupapier entstanden, als man den Absatz auf Grund von Preisangeboten durch Einschreibungen aufgegeben hatte, während bei Altpapier die freie Preisbildung noch bestehenblieb.

Papiermacher-Kriegsausschuß, Berlin (30 P.) Entste h u ng u n d Zu s a m m e n s e t z u ng: Der Ausschuß war am 11.5.1916 durch K.R.A. errichtet. Seine Mitglieder bestanden aus Zellstoff-, Pappe- und Papierfabrikanten, Weiterverarbeitern und Händlern. Vorsitzender war einer der Direktoren der größten deutschen Zellstoff-Fabrik. Aufgab e n : Der Ausschuß sollte bei der Sicherstellung der für die Heeresbedürfnisse im Kriege und die allgemeinen Staatsbedürfnisse nötigen Rohstoffe, Papiere und Pappen als Vertreter der gesamten Holzstoff- und Papierindustrie beratend mitwirken und bei der Aufstellung und Beratung eines Wirtschaftsplanes für diese Stoffe tätig sein; ferner sollte er Vorschläge über die Regelung von Preisen und Herstellung machen. Im einzelnen bestanden folgende Unterabteilungen: 1. Lumpenverteilungsstelle, 2. Nitrierstoff-Überwachungsstelle, 3. Abteilung für Filzversorgung, 4. Zellstoffverteilungsstelle, 5. Leimstoffverteilungsstelle, 6. Geschäftsstelle der Studienkommission für Spinnpapier. Aussch ü s s e , Ko m m i s s i o n e n usw.: Arbeitsausschuß für allgemeine Angelegenheiten, Papierarbeitsausschuß, Zellstoffarbeitsausschuß, Holzschliff-Arbeitsausschuß, Pappen-Arbeitsausschuß, Lumpenverteilungskommission, Kommission zur Regelung der Leimungsfrage, Kommission zur Versorgung der Papierindustrie mit Wollfilzen und Baumwolltüchern, Kommission für Ausarbeitung der Richtlinien für die Wollversorgung der Papierindustrie, Studienkommission für Spinnpapier12, Sonderkommission zur Aufstellung von Mindestanforderungen an Spinnpapier, Kommission zur Regelung der Nitrierstoffwirtschaft, Transportausschuß der Nitrierstoff-Überwachungsstelle. Vorsitzender: Dr. Klemm, Geschäftsführer: Dessauer, Lammers. B emerku nge n : Der Ausschuß unterstand der K.R.A. Sektion Pa. Kommissar war deren Leiter. Einzelne Unterabteilungen ressortierten aber auch von anderen Sektionen (z. B. von Paga und W. IV; die Nitrierstoff-Überwachungsstelle auch von Wumba). Der Papiermacher-Kriegsausschuß war durch Mitglieder in der Zentralstelle für Sodaverteilung und im Kriegsausschuß für Textilersatzstoffe vertreten. Er wurde auch bei Bildung und Besetzung der Reichswirtschaftsstelle (Übergangswirtschaftsorganisation) für Kunstspinnstoffe und Stoffabfälle (hervorgegangen aus dem deutschen Kunstspinnstoffausschuß) herangezogen.

Kriegsausschuß der Rohpappen- und Dachpappen-Industrie, G. m. b. H., Berlin (22 000 M Stammkapital. 82 P.) Entsteh u ng u n d Zu s a m m e n s e t z u ng: Am 9. 8. 1916 wurde die Errichtung des Ausschusses ins Auge gefaßt, die Satzungen als nicht eingetragener Verein im Oktober 1916 beschlossen; am 1. 7. 1917 wurde der Kriegsausschuß in eine G. m. b. H. umgewandelt. Er wurde aufgebaut auf den im Frieden bestehenden Vereinen: dem Verband der Rohpappen- und dem Verband der Dachpappen-Industriellen. Die Zahl der Gesellschafter betrug 22, und zwar aus jeder der Gruppen elf.

12 Die Studienkommission für Spinnpapier (Vorsitzender: Direktor der Zellstoff-Fabrik Waldhof) probierte die geeignetsten Koch-, Verarbeitungs- und Mischverfahren für den günstigsten Einheitstyp Spinnpapier aus.



Rohstoffbewirtschaftung durch das Pr. Kriegsministerium bzw. das Kriegsamt 

 309

Hauptgeschäftsführer war ein Reichstagsabgeordneter. Finanzierung erfolgte durch Stammkapital, sowie durch Abgaben für zugeteilte Rohpappe und freigegebene Fertigpappe. Aufgaben: Beratung und Mitwirkung bei der Bewirtschaftung der von der Heeresverwaltung (Ingenieur-Komitee, Pionierbeschaffungsamt) benötigten Dachpappe durch K.R.A., die Regelung des freien Verkehrs im Rahmen des Freigabewesens, die zentrale Regelung der Ausfuhr nach Polen und — unter Aufsicht des Reichswirtschaftsamts — die Entschädigung der stillgelegten Betriebe. Ausschüsse, Ko m m i s s i o n e n usw.: Es bestanden ein Rohpappen-Arbeitsausschuß und ein Dachpappen-Arbeitsausschuß, ein Lumpen-Verteilungs-Ausschuß des Rohpappen-Arbeitsausschusses und ein Kontingentierungsausschuß des Dachpappen-Arbeitsausschusses zur Verteilung der zugewiesenen Kontingente auf die einzelnen Werke. B emerkungen: Ein geplantes Zwangssyndikat mit einheitlichem Verkauf der Produktion kam nicht zustande, daher hatte der Ausschuß nur Überwachungsaufgaben.

Kriegsausgleichstelle für Dachpappenteer, G. m. b. H., Berlin (5 P.) Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Die Kriegsausgleichstelle für Dachpappenteer wurde am 1.1.1917 gegründet. Zu den Gründern gehörten u. a. die Wirtschaftliche Vereinigung deutscher Gaswerke, die Rütgers-Werke A.-G. und die Verkaufsvereinigung für Teererzeugnisse. Aufgaben: Versorgung der Dachpappenindustrie mit Imprägnierungsmasse.

Spinnstoff-Einfuhr-G. m. b. H., Bremen (4 Mill. Mark Stammkapital. 36 P.) Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Die am 23.  8.  1915 in Bremen als Kriegsgesellschaft gegründete Baumwoll-Import-G. m. b. H. wurde am 19.11.1917 in die Spinnstoff-EinfuhrG. m. b. H. umgewandelt. Gesellschafter waren zu gleichen Teilen vier Banken bzw. Bankfilialen Bremens und eine Hamburger Bank. Im Aufsichtsrat waren alle Zweige der Spinnereiindustrie vertreten. Kommissare mit Einspruchsrecht entsandten die beteiligten Ministerien. Aufgaben: Nach den Satzungen war Gegenstand des Unternehmens die Einfuhr und Bewirtschaftung von Spinnstoffen. Die Gesellschaft konnte sich als „Baumwoll-Import-Gesellschaft“ infolge der Unterbindung der Baumwollzufuhrmöglichkeiten nicht mehr genügend betätigen, daher übertrug man ihr, als sich dafür die Notwendigkeit einer Organisation ergab, unter entsprechender Umbenennung die Einfuhr von Spinnpapier aus den nordischen Ländern.

Kriegsausschuß für Textilersatzstoffe, Berlin (229 P.) Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Der Kriegsausschuß entstand am 7.4.1916 als dem Jute-Kriegsausschuß angegliederte Organisation. Kurze Zeit nach der Gründung wurde die Verbindung mit dem Jute-Kriegsausschuß gelöst. Anfänglich waren wesentlich die Textilit- und Textiloseinteressenten in ihm vertreten, später wurde die Tätigkeit auf das ganze Gebiet der Spinnpapierverarbeitung ausgedehnt. Vorsitzender: Meyer, Geschäftsführer: Dr. Weber, Weibel. Aufgaben: Der Ausschuß hatte das K.M. (K.R.A.) zu beraten und bei der Verteilung von Rohstoffen und Spinnpapieraufträgen mitzuwirken. Da für andere Textilersatzstoffe besondere Organisationen gebildet waren, lag die Tätigkeit des Kriegsausschusses für Textilersatzstoffe von jeher fast ausschließlich auf dem Gebiet des Spinnpapiers.

310 

 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

Aussch ü s s e , Ko m m i s s i o n e n usw.: Die bei der Leinengarn-Abrechnungsstelle A.-G. errichtete „Spinnpapier-Ausgleichskasse“ (ab 1.1.1918) erhielt auf Grund von Richtlinien der K.R.A. ihre Einzelweisungen durch den Kriegsausschuß für Textilersatzstoffe.

4 Amtsstellen und Verbände, die mit der Unterverteilung von Kontingenten befaßt waren

Art des Kontingents Im Bereich der Sektion W I. 1. Papiermaschinenfilze 2. 3. Im 1. 2. 3. 4.

Kratzentuch Tapetendrucktücher Bereich der Sektion W II. Sackstopfgarn Netze Scheuertücher Spindelschnüre

5. Kerzendochte 6. Elektroindustrie

7. Verbandstoffe 8. Packungen, Deckelriemen 9. 10. 11. 12. Im 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Filtertücher Treibriemen Preßfäden Zentrifugenschnüre für Molkereimaschinen Bereich der Sektion W III. Sackzwirn Schuhgarn Nähgarn für Treibriemen Aktenzwirn Stopfzwirn für Filtertücher Sattlerzwirn

7. Zwirn für verschiedene kleinere Kontingente (Stopfzwirn für Planen und Decken, Nähzwirn für Arbeiterschutzhandschuhe usw. 8. Näh- und Stopfzwirn für Zuckersäcke 9. Nähzwirn für Bandagen

Von der K.R.A. mit der Unterverteilung befaßte Stelle Vereinigung des Wollhandels, in Verbindung mit dem Papiermacher-Kriegsausschuß Vereinigung des Wollhandels Webstoffstelle für das graphische Gewerbe Reichssackstelle Ausschuß für Fischereibedarf Kriegsausschuß der deutschen Baumwollindustrie Verein der Spindelschnur- und Selfaktorseilfabrikanten Kriegsschmieröl-Ges., Abt. Paraffin Vereinigung Deutscher Elektrizitätsfirmen Verein zur Wahrung gemeinsamer Wirtschaftsinteressen der deutschen Elektrotechnik Arbeitsausschuß der Verbandmittelhersteller Beratungs- und Verteilungsstelle für Textilstoffe in Maschinenbetrieben Verteilungsstelle für Filtertücher Riemen-Freigabe-Stelle Papiermacher-Kriegsausschuß Reichsstelle für Speisefette G. m. b. H.

Reichssackstelle; Kriegs-Hadern-A.-G. Reichsstelle für Schuhversorgung Riemen-Freigabe-Stelle Webstoffstelle für das graphische Gewerbe Verteilungsstelle für Filtertücher Verband Deutscher Sattler- und Polsterwaren-Großhändler Deutschlands Verband Deutscher Leinenzwirn-Großhändler

Verein der Deutschen Zuckerindustrie Reichsbekleidungsstelle



Rohstoffbewirtschaftung durch das Pr. Kriegsministerium bzw. das Kriegsamt 

 311

Art des Kontingents

Von der K.R.A. mit der Unterverteilung befaßte Stelle

10. Nähzwirn für künstliche Glieder und ähnliches 11. Nähzwirn für Keks-Maschinentücher 12. Bindfaden (Walkfaden, Wurstfaden usw.) 13. Ramiegarn für Glühstrümpfe 14. Garn und Tauwerk für Fischereibedarf

Verband der Chirurgie-Mechanik

15. Textilitgarn für Zündschnurherstellung 16. Bindegarn für Mähmaschinen 17. Tabakgarn a) für Baden b) für Württemberg c) für die Pfalz

Verband Deutscher Keksfabrikanten Verein der Bindfaden-Großhändler Deutschlands E. V. Reichswirtschaftsamt Ausschuß für Fischereibedarf beim Reichskommissar für Fischversorgung Verband der Zündschnurfabriken Bezugsvereinigung der deutschen Landwirte G. m. b. H.

Badische Landwirtschaftskammer, Karlsruhe Tabakverkaufsgenossenschaft, Heilbronn Landesverband Bayrischer Tabakbauvereine, Germersheim d) für Elsaß-Lothringen Landesverband der landwirtschaftlichen Kreisvereine von Elsaß-Lothringen, Straßburg e) für das übrige Deutschland Verein der Bindfaden-Großhändler Deutschlands E. V., Hannover 18. Dorschleinen (für den Dorschfang an der Kriegsausschuß für Öle und Fette norwegischen Küste) 19. Hopfenfaden Kgl. bayrischer Landesinspektor für Hopfenbau 20. Säcke Reichssackstelle 21. Klöppelspitzenzwirn Handelskammer Plauen 22. Rohstoff für landwirtschaftliche SeilerVerteilungsstelle für Papierbindfaden beim Hanfwaren Kriegsausschuß 23. Filtertücher a) für die Zuckerindustrie Verein der Deutschen Zuckerindustrie b) für die chemische und andere IndusVerteilungsstelle für Filtertücher trien 24. Garn für Hanfschläuche Prüfungsstelle für Hanfschlauchbedarf beim HanfKriegsausschuß 25. Gummileinen Zentralverein Deutscher Kautschukwaren-Fabriken 26. Garn für Treibriemenherstellung Riemen-Freigabe-Stelle 27. Gewebe für Bekleidungszwecke Reichsbekleidungsstelle 28. Garn für elektrotechnische Zwecke Sektion El. der K.R.A. Im Bereiche der Sektion W IV. 1. Verbandwatte Vereinigung Deutscher Verbandwattefabrikanten 2. Polster- und Sattlerwatte Verband Deutscher Wattefabriken 3. Putzlappen Verband der Putzlappenhersteller E. V. 4. Putzwolle Verband Deutscher Putzwollfabrikanten E. V. 5. Lumpen für die Pappenindustrie Kriegsausschuß der Rohpappen- und DachpappenIndustrie 6. Lumpen für Papiererzeugung Papiermacher-Kriegsausschuß Im Bereiche der Sektion Paga. 1. Säcke für Lebensmittel Reichssackstelle

312 

 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

Art des Kontingents

Von der K.R.A. mit der Unterverteilung befaßte Stelle

2. Oberleder, Sohlen und Gurte für die Schuhindustrie 3. Spindelschnüre

Reichsstelle für Schuhversorgung

4. Filtertuch für sämtliche Industrien mit Ausnahme der Zuckerindustrie 5. Segeltuchplanen, Seilerwaren und Geschirre für die Landwirtschaft 6. Kabelumspinnung und Füllgarn für die Kabelindustrie 7. Zündschnüre für Bergwerke 8. Filtertuch für die Zuckerindustrie 9. Treibriemen 10. Posamenten für die Posamentenindustrie 11. Bindfaden und Seilerwaren für Verpackungszwecke 12. Lampendochte 13. Packungen für die Maschinenindustrie 14. Nähgarne 15. Papiergarnerzeugnisse für den Zivilbedarf (Oberkleider-, Bett-, Leib- und Tischwäschestoffe) 16. Kerzendochte 17. Gummiersatzstoffe für die Maschinenindustrie 18. Papiergarnerzeugnisse für graphisches Gewerbe 19. Posamenten für die Heimindustrie im Erzgebirge 20. Isoliermaterial 21. Filztücher für Papierfabriken 22. Militäreffekten

Verband Deutscher Spindelschnur- und SelfaktorSeilfabriken Verteilungsstelle für Filtertücher Bezugsvereinigung der deutschen Landwirte Dr. Cassierer & Co. Verband Deutscher Zündschnurfabriken Vereinigung der Deutschen Zuckerindustrie Riemen-Freigabe-Stelle Verband Deutscher Posamentierinnungen Verteilungsstelle für Papierbindfaden Vereinigte Dochtfabriken G. m. b. H. Beratungs- und Verteilungsstelle für Textilstoffe in Maschinenbetrieben Deutscher Zwirnverband Reichsbekleidungsstelle

Kriegsschmierölgesellschaft Zentralverein Deutscher Kautschukfabrikanten Materialbeschaffungsstelle für das graphische Gewerbe, Abteilung Webstoffstelle Erzgebirgischer Posamentenverband Verein zur Wahrung gemeinsamer Interessen der Deutschen Elektrotechnik Vereinigung des Wollhandels 1. Verband Deutscher Fabrikanten goldener und silberner Uniformausrüstungsstücke 2. Fabrikantenverband für Militärposamenten 3. Verband für Uniform-Stickereien Deutschlands, vertreten durch Dr. Wittenberg



Rohstoffbewirtschaftung durch das Pr. Kriegsministerium bzw. das Kriegsamt 

 313

5 Mit der Untervergebung von Näh- und Strickarbeiten befaßte Wohlfahrts-Organisationen a) Kriegsausschuß für warme Unterkleidung, Berlin. (Laut Verfügung des Kriegsministeriums vom 7.4.1915 und des Stellvertretenden Militär-Inspekteurs der freiwilligen Krankenpflege vom 18.5.1915 selbständig unter Aufsicht des kaiserlichen Kommissars und Militär-Inspekteurs der freiwilligen Krankenpflege; als Verteilungsstelle für Strickwolle zur Anfertigung von Heeressocken der K.R.A. nachgeordnet.) b) Ausschuß für Konfektions-Notarbeit, Berlin. c) Zentralkomitee der deutschen Vereine vom Roten Kreuz, Berlin. d) Kriegsausschuß für Heimarbeit (Abteilung des deutschen Wohlfahrtsbundes E.  V., Berlin. Näheres vgl. im Kapitel VII „Verhältnisse der Arbeitnehmer“.) e) Deutsche Zentrale des nationalen Frauendienstes, Berlin.

6 Aufgelöste oder umbenannte Organisationen der K.R.A.

Lfd. Nr.

Ursprünglicher Name

Art der Änderungen

1.

Rohhaar-Abrechnungsstelle des Verbandes der Roßhaarspinner Deutschlands

2.

Wollmuster-Lager

3.

6.

Rohbaumwoll-Abrechnungsstelle, Berlin Baumwollgarn-Arechnungsstelle, Bremen Aktien-Gesellschaft zur Verwertung von Stoffabfällen Kommission zur Verwertung von Nesselfasern

Diese am 18.1.1915 gegründete Abrechnungsstelle wurde sehr bald wieder aufgelöst. Umbenannt in Woll- und WollgarnVerwertungsstelle.

7.

Nesselfaser-Verwertungs-G. m. b. H.

8.

Ankaufsabteilung für beschlagnahmte Webwaren (A.b.W.)

9.

Verband deutscher Hanf-Industrieller

10.

Baumwoll-Import-G. m. b. H.

11.

Kriegsverteilungsstelle für Altpapier G. m. b. H.

4. 5.

}

Vereinigt vom 4.10.1916 ab zur Baumwoll-Abrechnungsstelle, Bremen Seit dem 17.11.1916 umbenannt in Kriegs-Hadern-Aktien-Gesellschaft Daraus entstand die NesselfaserVerwertungs-G. m. b. H. Am 28.1.1918 aufgelöst und ihre Geschäfte auf die NesselanbauG. m. b. H. übertragen Sie wurde nach Erledigung ihrer Aufgabe als besondere Abteilung aufgelöst und B.B.A angegliedert Wurde in seiner Funktion als Abrechnungsstelle ersetzt durch die KriegsHanf-G. m. b. H. Wurde umbenannt in SpinnstoffEinfuhr-G. m. b. H. Umgewandelt in Kriegsverwertungsstelle für das Papierfach, G. m. b. H.

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

Militärisches Beschaffungswesen im Inland 1 Grundlegende Ordnung des Beschaffungswesens im Kriege13 Beschaffung von Garnen, Web-, Wirk-, Strick-, Filz- und Seilerwaren und ganz oder teilweise daraus hergestellten Gegenständen. Erlaß des Kriegsministeriums vom 15. April 1916 (A.V.-Bl. 1916, S. 179) in der Fassung vom 18. Januar 1918 (A.V.-Bl. 1918, S. 30): Jede unmittelbare Bestellung, jeder freihändige Ankauf irgendwelcher Garne, Web-, Wirk-, Strick-, Filz- und Seilerwaren und aller ganz oder teilweise aus ihnen hergestellten Gegenstände des Heeresbedarfs ist allen Dienststellen des Heeres verboten. Hierbei ist es gleichgültig, ob die bezeichneten Waren einer Beschlagnahme unterliegen oder frei im Handel erhältlich sind. Alle Dienststellen (auch die heimatlichen) haben ihren Bedarf an den vorbezeichneten Gegenständen auf dem vorgeschriebenen Anforderungswege bei den aus dem „Verzeichnis der Vermittlungs- und Beschaffungsstellen“ (herausgegeben von der Eisenbahn-Abteilung des Kriegsministeriums) ersichtlichen Beschaffungsstellen anzufordern. Von diesen werden die Anforderungen über die in dem Heft „Die Webstoffbeschaffung“ angegebenen Webstoffbeschaffungsstellen an das Kriegsministerium, Kriegsamt, Kriegs-Rohstoff-Abteilung, weitergeleitet. Die Kriegs-Rohstoff-Abteilung bestimmt unter möglichster Berücksichtigung der Wünsche der anfordernden Stellen, in welcher Weise der Bedarf zu decken ist. Für die Bedarfsanmeldungen sind die bei der Vordrucksverwaltung der Kriegs-Rohstoff-Abteilung, Berlin SW 48, Verl. Hedemannstraße 10, erhältlichen Vordrucke zu verwenden. Angebote der bezeichneten Waren, die den Dienststellen noch weiterhin zugehen, sind urschriftlich unmittelbar an das Webstoffmeldeamt der Kriegs-Rohstoff-Abteilung des Kriegsministeriums, gegebenenfalls mit kurzer Stellungnahme, weiterzuleiten. Auch soweit Waren genannter Arten von Lieferern anderer Gegenstände des Kriegsbedarfs zu deren Ausrüstung (z. B. bei Kraftwagen) gebraucht werden, sind die erforderlichen Mengen in der gleichen Weise zwecks Bereitstellung anzumelden. Die Bedarfsanmeldungen müssen unbedingt frühzeitig und möglichst mit langen Lieferfristen zu den jeweils im Armee-Verordnungsblatt bekanntgegebenen Zeiten erfolgen.

Auszug aus den Ausführungsbestimmungen zur kriegsministeriellen Verfügung. Von dem Erlaß betroffene Warenarten. Die obige Verfügung Nr. W.M. 700. 3. 16. K.R.A. (Beschaffung von Web-, Wirk-, Strick-, Filz- und Seilerwaren und ganz oder teilweise daraus hergestellten Gegenständen) betraf alle Arten Faserstoffe und Gegenstände, welche aus oder unter Mitverwendung von den nachstehend bezeichneten Fasern und Tierhaaren oder Abfällen oder Mischung derselben hergestellt waren.

13 Diese Ordnung hatte in ähnlichen, aber nicht so umfassenden Verordnungen und Beschaffungsverboten schon seit Ende 1914 einzelne Vorläufer.



Militärisches Beschaffungswesen im Inland 

 315

Rohstoffarten (auch Abfälle und Mischungen derselben)

Zuständige Bedarfs-Prüfungsstelle der K.R.A.14

Wolle (Schafwolle, Mohair, Kamelhaar, Alpakka, Kaschmir)…........................................................… Kunstwolle………….....................…………............… Tierhaare jeder Art……...........................…………… Borsten (tierische und pflanzliche jeder Art)…….... Torffasern…………………………

Wollbedarfs-Prüfungsstelle

}

Baumwolle, Kunstbaumwolle und Nesselfasern…. Bastfasern, Flachs, Hanf, Jute, Ramie oder sonstige Pflanzenfasern u. Textilit….................................... Lumpen, Stoffabfälle, Alttextilien (Putzwolle, Putzlappen Seide und Kunstseide, Papierstoffe, Textilose usw.

Baumwollbedarfs-Prüfungsstelle Bastfaserbedarfs-Prüfungsstelle Lumpenbedarfs-Prüfungsstelle Seidenbedarfs-Prüfungsstelle15 Papiergarnbedarfs-Prüfungsstelle

1415

Anforderungsweg. Die Bedarfsdeckung erfolgte jeweilig für den Zeitraum eines halben Jahres im voraus. Dementsprechend wurde durch das A.-B.-Bl. ein bestimmter Zeitpunkt bekanntgemacht, bis zu welchem einerseits die Beschaffungsstellen ihre Bedarfsanforderung für das kommende Halbjahr an die Webstoffbeschaffungsstelle, diese andererseits an die Kriegs-Rohstoff-Abteilung zu richten hatten. Diese Termine sollten auf das genaueste innegehalten werden. Die Berücksichtigung außerterminlicher Anforderungen sollte nur dann erfolgen, wenn terminmäßige Anforderung nach Lage des Falles unmöglich gewesen war. Bedarfsdeckung. Die Art der Deckung bestimmte die Kriegs-Rohstoff-Abteilung. Die Deckung erfolgte a) durch Zuweisung aus den zur Verfügung der KriegsRohstoff-Abteilung stehenden Vorräten, b) durch Neuherstellung. Hatte die KriegsRohstoff-Abteilung Neuherstellung angeordnet, so veranlaßte sie mittels der Kriegsorganisationen der Industrie die Vergebung der Aufträge an die dieser Organisation angeschlossenen Höchstleistungsbetriebe. Die zuständige Webstoffbeschaffungsstelle erteilte den Zuschlag. Die Lieferung erfolgte unmittelbar an die abnehmende Stelle. Erfolgte nicht die Zuweisung fertig konfektionierter Gegenstände, so hatte die Beschaffungsstelle für Konfektionierung zu sorgen. Die von der Bekleidungs-Abteilung (B. 3) des Armee-Verwaltungs-Departements des Kriegsministeriums erlassenen Verfügungen, betreffend Heeres-Näharbeiten waren hierbei zu beachten. Bei Konfektionsaufträgen durfte mit der betreffenden Firma nur der zu zahlende Arbeitslohn, aber nicht der Preis einschließlich der zu verarbeitenden Web-Waren usw. vereinbart 14 Der Bedarf an Gegenständen, welche aus mehreren Spinnstoffen bestanden, war nur einmal und bei derjenigen Bedarfs-Prüfungsstelle, die für den überwiegenden Spinnstoffanteil zuständig war, anzumelden. 15 Die Seidenbedarfs-Prüfungsstelle wurde Anfang August 1918 aufgehoben.

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

werden, wenn der auftragerteilenden Stelle und der Firma die Preise für die zuzuteilenden Webwaren noch nicht bekanntgegeben waren. Nähgarne mußten von der den Auftrag vergebenden Heeresstelle zu Verfügung gestellt werden. Belegscheine. Da die zur Herstellung benötigten Spinnstoffe und Garne nicht zur freien Verfügung des Fabrikanten standen, so durfte zum Nachweis, daß sie für Heeresaufträge ordnungsmäßig verwandt wurden, ihre Verarbeitung nur gegen den von der zuständigen Bedarfsprüfungsstelle der Kriegs-Rohstoff-Abteilung genehmigten Belegschein erfolgen. Die Ausstellung der Belegscheine erfolgte nach den Anweisungen, die von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung, den Webstoffbeschaffungsstellen und den Kriegs-Industrie-Organisationen für die einzelnen Rohstoffe gegeben wurden. Für Erzeugnisse aus verschiedenen Arten von Spinnstoffen war für jeden Spinnstoff ein besonderer Belegschein erforderlich. Zu demselben Auftrag gehörige Belegscheine waren zusammengeheftet derjenigen Bedarfs-Prüfungsstelle der Kriegs-Rohstoff-Abteilung einzureichen, die für den überwiegenden Spinnstoff zuständig war. Erst durch Rückgabe der Ausfertigung  B des mit Genehmigungsstempel versehenen Belegscheines seitens des Kriegsministeriums (der Bedarfs-Prüfungsstelle der Kriegs-Rohstoff-Abteilung des Kriegsamtes) wurde der Hersteller ermächtigt, die Ware herzustellen bzw. beschlagnahmte Spinnstoffe und Garne zu verarbeiten. Nichtabgenommene Waren. Wurden die Waren von einer abnehmenden Stelle als nichtabnahmefähig angesehen, so war der zuständigen Webstoffbeschaffungsstelle unter Angabe der Gründe unverzüglich Mitteilung zu machen. Die Webstoffbeschaffungsstelle führte die Entscheidung der Bekleidungs-Prüfungs-Kommission darüber herbei, ob die Lieferung überhaupt abnahmefähig war oder nicht, gab das Urteil an die abnehmende Stelle weiter und entschied gegebenenfalls, welcher Preisabzug zu machen war. Von einer erfolgten endgültigen Zurückweisung mußte der zuständigen Bedarfs-Prüfungsstelle der Kriegs-Rohstoff-Abteilung sofort unter Angabe der Gründe Kenntnis gegeben werden. Die Waren blieben trotz Zurückweisung beschlagnahmt und mußten vom Eigentümer zur Verfügung des Webstoffmeldeamtes der Kriegs-Rohstoff-Abteilung gehalten und dorthin gemeldet werden.

2 Die Stellung der Stellvertretenden Intendanturen, der Kriegsbekleidungsämter und Bekleidungs-Instandsetzungsämter im Rahmen des Beschaffungswesens von Spinn- und Webstoffen a) Die Stellvertretenden Intendanturen waren dem Kriegsministerium, ArmeeVerwaltungs-Departement (B.D.), unterstellt, nicht dagegen den Stellvertretenden Generalkommandos; nur die Intendanten als Chefs der Intendanturen waren persönlich den kommandierenden Generalen verantwortlich. Die Kriegsbekleidungsämter dagegen unterstanden umgekehrt unmittelbar den Generalkommandos und erhielten von K.M. B. 3, das zugleich die Personalangelegenheiten der Bekleidungs-



Militärisches Beschaffungswesen im Inland 

 317

amtsoffiziere bearbeitete, die sachlichen Anweisungen. Die Intendanturen hatten in Beziehung auf Verwaltung, Rechnungslegung und Einhaltung der Beschaffungsvorschriften gegenüber den Truppenteilen Befehlsbefugnis. Die gleiche Befugnis hatten sie gegenüber den Garnisonverwaltungen, Lazaretthaushalten und der Verwaltung der Bekleidungsbestände der Truppenteile. Zum Teil haben die Intendanturen selbst Beschaffungen vorgenommen; einige sind im Krieg für bestimmte Teilgebiete als Webstoffbeschaffungsstellen für die ganze Armee bestellt worden. b) Die Kriegsbekleidungsämter. Es bestanden nach Übernahme der früheren Reservebekleidungsämter auf den Etat zuletzt: 19 preußische; in Bayern 2 volle und 1 unvollständiges Amt (Nürnberg); in Sachsen 2 und in Württemberg 1 Amt. Sie hatten als Aufgaben: Halten eines Bestandes an Tuchen, Baumwoll- und Bastfasergeweben, sowie die Herstellung von Bekleidungsstücken in eigenen Werkstätten und durch Vergebung an die Konfektionsindustrie, das Handwerk und die Heimarbeit. In einzelnen zugelassenen Fällen nahmen die Kriegsbekleidungsämter auch Aufkäufe auf dem offenen Markt vor. Das Personal der Kriegsbekleidungsämter war verschieden zusammengesetzt: einige arbeiteten mehr mit Ökonomiehandwerkern, andere mehr mit Zivilarbeitern. Rund gerechnet kann man annehmen, daß ein Kriegsbekleidungsamt in seinen Geschäftszimmern, Werkstätten und Lagerräumen 2000—3000  Köpfe beschäftigte und eine Armee von 400  000 bis 500  000  Mann zu versorgen hatte. Z.  B. beschäftigte das Kriegsbekleidungsamt X.  Korps (Hannover) Ende September 1917 außer etwa 100  Bekleidungsamtsoffizieren und oberen Beamten 162  Unteroffiziere und 1188  Mannschaften (davon 1061  Ökonomiehandwerker), außerdem 1144  Zivilpersonen (davon 874 Frauen). c) Die Bekleidungs-Instandsetzungsämter. Seit Ende 1916 wurde mit ihrer Einrichtung begonnen; Mitte 1918 bestanden 17  preußische Ämter (die Korps  XVI und XXI hatten noch keine Instandsetzungsämter), 2  bayrische (Augsburg und Würzburg), 1 sächsisches (Chemnitz) und 1 württembergisches (Ludwigsburg). Sie hatten die Aufgabe, die von der Front zurückgeführten Bekleidungsstücke zu entlausen und wieder instand zu setzen. Die Instandsetzung erfolgte nur in geringem Umfang in eigenen Werkstätten, im übrigen durch Vergebungen an die Konfektion.

3 Die Bekleidungs-Abteilung (S. 3) des Kriegsministeriums Abteilungschef: Oberstleutnant v. Flotow. Bekleidung und Ausrüstung der Armee entsprechend den Anforderungen der Waffenabteilungen. Angelegenheiten der Kriegsbekleidungs- und Bekleidungs-Instandsetzungs-Ämter. Regelung der Heeresnäharbeiten. Gesamtpersonal rund 70 Köpfe.

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

Bekleidungs-Prüfungs-Kommission (B.P.K.). (verselbständigt seit 15.12.1916 als Folge der Unterstellung des Bekleidungs-Beschaffungs-Amts unter das Kriegsamt). Innerhalb der Bekleidungs-Abteilung bestanden folgende Referate für Beschaffungen: Ref. B: Beschaffungs- und Lieferungswesen, Verträge. Beschaffungspläne und Verbrauchsübersichten. Leder- und Webstoffbeschaffung allgemein. Mitwirkung bei Mobilmachungsvorarbeiten, Bereitstellung von Rohstoffen bei Anforderungen und Beteiligungen der Bundesstaaten und der Verbündeten. — Neuorganisation des Beschaffungswesens. Ref. C a: Bekleidungswirtschaft der Truppen (Bekl. O. I). Lieferung von Bekleidung und Ausrüstung an Bulgarien und an deutsche Truppen in der Türkei. Bedarf an Bekleidung und Ausrüstung für den einzelnen Mann, Etatspreise, Tragezeiten, Nebenkosten, Bekleidungsetats, Entseuchung, Altmaterial (soweit Truppenwirtschaft in Frage kam), Kriegsbeute, Stahlhelme, Stirnschilde. Personalangelegenheiten der B. 3. Ref. C b: Bekleidung und Ausrüstung der Offiziere. Mitwirkung bei Bekleidung und Ausrüstung der Beamten der Heeresverwaltung, der Schutztruppen, der Beamten der Zivilverwaltungen, freiwilligen Krankenpflege, Jungmannen und der Zivilmusikkapellen. Ausrüstung der Reitpferde der Kavallerie. Signal- und Musikinstrumente. Ausrüstungsstücke der Mannschaften und Bekleidung aus Leder, einschl. Schuhzeug. Häuteverwertung, Gerbstoffe, Leder. Lieferung von Bekleidung und Ausrüstung an Österreich-Ungarn. Ref. D. Organisation, Personal und Betrieb der Bekleidungs- und Bekleidungs-Instandsetzungsämter. Angelegenheiten der Bekleidungsamtsoffiziere des B.B.A. Bestand und Verbrauch an Woll-, Baumwoll- und Bastfasererzeugnissen. Beschaffungen für die Türkei. Bekleidung der polnischen Wehrmacht. Reichstagsmaterial, Uniformbestimmungen; Auszeichnungen und Abzeichen. Ref. E: Bau- und maschinentechnische Fragen der Bekleidungs- und Bekleidungs-Instandsetzungsämter. Ausstattung der Truppen mit Schneidermaschinen. Verwertung der Maschinen bei der Demobilmachung. Beschaffung von Textil- und Lederfabrikeinrichtungen für die Türkei. Maschinen- und elektrotechnisches Referat für alle Abteilungen des K.M. außer K. Ref. F: Ankäufe der B. 3 im In- und Ausland. Ausschließung und Wiederzulassung von Lieferern. Verkehr mit der Reichsentschädigungskommission; Devisenangelegenheiten. Ein- und Ausfuhr. Verdächtige und beschlagnahmte Waren. Ausstattung des Heeres mit wollener Unter- und Winterbekleidung, Pelzbekleidung, Filzschuhen und wollenen Decken16. Planmäßige Verteilung der Heeresnäharbeiten. Lohnangelegenheiten. Ausgleichstelle für Heeresnäharbeiten mit Beirat (vgl. weiter unten). Ref. H: Kriegsgliederung; Dienstvorschriften für die Armee-Bekleidungsdepots. Nachschub und Versand. Dringlichkeitsliste. Bekleidung der Kriegsgefangenen, auch der deutschen Kriegsgefangenen im Ausland. Bekleidung der griechischen Truppen in Deutschland. Holzschuhe.

16 Bei der dem Referat F zugewiesenen Aufgabe der Ausstattung mit Winterbekleidung usw. handelte es sich um eine Aufgabe, die sonst den Beschaffungsstellen zufiel. Sie ist versuchsweise von B. 3 übernommen worden, um die Fehler zu klären und zu beheben, die dadurch entstanden, daß 25  Bekleidungsämter diesen Bedarf bis dahin getrennt anforderten. B.  3 stellte verantwortlich den Bedarf fest und sorgte für die Deckung bei den zuständigen Beschaffungsstellen. Für Uniformtuche dagegen stellten wie bisher die Bekleidungsämter den Bedarf nach den Anforderungen der Truppen und Werkstätten fest.



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Vergebung der Heeresnäharbeiten.

Ausgleichsstelle für Heeresnäharbeiten des Referats F mit Beirat für Heeresnäharbeiten17 zur Anweisung der Verteilung auf die einzelnen Kriegsbekleidungsämter. Bezirksausschüsse für Heeresnäharbeiten bestanden bei jedem Stellvertr. Generalkommando zur Feststellung des Arbeitsbedarfs. Mitglieder: Beauftragter des Generalkommandos; je ein Vertreter der oberen Verwaltungsbehörde, der Handelskammer, der Handwerkskammer; Vertreter der Stadtgemeinden, der Wohlfahrtsorganisationen und Verteilungsstellen für Heeresnäharbeiten und der Berufsvereine für Arbeitnehmer. Unter den Bezirksausschüssen standen Ortsausschüsse für Heeresnäharbeit. Es blieb Sache der Kriegsbekleidungsämter: der Ausgleich der Heeresnäharbeit innerhalb der Korpsbezirke nach Anhörung der Bezirks- und Ortsausschüsse sowie die Vergebung an Auftragnehmer.

4 Die Webstoffbeschaffungsstellen (früher „Zentralbeschaffungsstellen“ genannt) Einige Arten von Gegenständen wurden immer noch gleichzeitig von mehreren Beschaffungsstellen beschafft, die meisten aber nur noch von einer Stelle. Die Einzelanforderungen der Truppen und Institute wurden zum Teil von Zwischenstellen gesammelt; für den Bereich des Bekleidungs-Beschaffungs-Amtes waren es in der Regel die Kriegsbekleidungsämter, für das Waffen- und Munitions-Beschaffungs-Amt die Waffenfabriken, Artilleriedepots und Traindepot-Inspektionen, für das IngenieurKomitee die Ersatzbataillone der Pioniere, für das Hauptsanitätsdepot die Sanitätsdepots usw.

17 Im Beirat für Heeresnäharbeiten waren vertreten: das Reichsmarineamt, die bayrischen, sächsischen und Württembergischen Kriegsministerien, das Reichsamt des Innern, das preußische Handelsministerium, das bayrische Ministerium des Kgl. Hauses und des Äußeren, die sächsischen und württembergischen Ministerien des Innern, ein Vertreter Ihrer Majestät der Kaiserin, der Handelstag, der Handwerker- und Gewerbekammertag, der deutsche Städtetag, der Verband der Schneider, Schneiderinnen und Wäschearbeiter Deutschlands, der Gewerkverein der Schneider und Schneiderinnen Deutschlands, der Verband christlicher Schneider und Schneiderinnen und der Gewerkverein der Heimarbeiterinnen. Deutschlands.

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

A. Allgemeine Webstoffbeschaffungsstellen:18 Webstoffbeschaffungsstelle

Die beschafften Gegenstände

1. Bekleidungs-Beschaffungs-Amt B.B.A. 1 8

a) Wollerzeugnisse: Ärmelabzeichen; Ärmelwesten; Borten; Feldzeichen; Filzschuhe für Wachtposten; Fingerhandschuhe; Flanell; Futterstoffe; Gefangenenbekleidung; Hausschuhe; Halstücher; Kniewärmer; Kopfschützer; Lanzenflaggen; Leibbinden; Offiziertuch; Pulswärmer; Säbeltroddeln; Salzbeutel; Schnur aller Art; Socken; Trikothemden; Trikotjacken; Trikotunterhosen; Tuche; Woilache; Wolldecken (diese auch für Depot- und Feldgerätverwaltungen, Ingenieur-Komitee, Fliegertruppen usw.); Wollgarn. b) Baumwollerzeugnisse: Ärmelabzeichen; Ärmelwesten; Arbeitsanzüge aus blauem Drell; Arbeitsanzüge, Kopftücher, Schürzen für Schlächter und Arbeiterinnen in Armeekonservenfabriken; Armbinden; Bindfaden; Baumwollstoffe für kirchliche Zwecke; Bekleidungssäcke; Badetücher; Deckenbezüge; Drilchhosen; Drilchjacken (soweit aus Baumwolle und Ersatzstoffen); Fingerhandschuhe; Flaggenstoffe; Flanellfußlappen; Futterstoffe; Gamaschen; Gefangenenbekleidung; Gurtband für Landsturmschulterklappen; Halsbinden; Halstücher; Helmüberzüge; Hemdenflanells und -köper; Heftbaumwolle; Kaliko; Kniewärmer; Kopfschützer; Krankenhosen; Krankenröcke; Leibbinden; Litzen; Lungenschützer; Läufer aller Art; Markisen; Meßband; Moskitonetze; Mützenüberzüge; Maschinengarn; Nähfäden und Zwirne; Nackenschützer; Netze für Fischereibedarf; Portepees; Pulswärmer; Putzlappen; Putzwolle; Rucksäcke; Säbeltroddeln; Socken; Sofastoffe; Scheuertücher; Schmirgelleinen; Schnürriemen; Schnur aller Art; Schürzen für Kasernen- und Lazaretthaushalt; Strippenband; Steppgarne; Taschentücher; Tornister; Tornisterstoff (diesen auch für technische Truppen); Trikothemden; Trikothosen; Trikotjacken; Teppiche; Unterhosen; Unterjacken; Wachstuchmützen; Wäschestücke und Vorhänge für Kasernen- und Lazaretthaushalt; Wagenplane; Watte; wasserdichte Bettunterlagen; Zeltbahnen; Zeltzubehörteile; Zwiebackbeutel; wasserdichtes Zwirntuch. c) Bastfasererzeugnisse: Ärmelabzeichen; Armbinden; Bänder; Bindfaden; Bekleidungssäcke; Bettlaken; Deckenbezüge; Drilchanzüge; Fleischsäcke; Fleischtücher; Gefangenenbekleidung; Gummidrell; Gurtband für Landsturmschulterklappen; Hängematten; Gurte und Gurtband; Hanfkordeln zu Zeltpflöcken; Handtücher; Hanfschläuche; Leinenstrippen für Zeltbahnen; Küchentücher; Kopfpolsterbezüge; Krankenhosen; Krankenröcke; Heftbaumwolle; Lanzenflaggen; Leinwand für kirchliche Zwecke; Leinwand zum Hängegerüst für kranke Pferde; Trockenleinen; Futterleinewand; Meßband; Matratzenschoner; Matratzenüberzüge; Mundtücher; Netze für Fischereibedarf; Neutralitätsabzeichen; Operationsanzüge; Packleinen; Rettungstücher Rettungstaue; Rolltücher; Roßhaarstoffe; Säcke; Sackbandschnur; Strickleitern; Steifleinen; Strohsäcke; Taue; Tränkeimer; Trageband für Karren; Taschentücher; Tellertücher; Tischtücher; Wagenplane; Stoffwaschbecken; Wischtücher; Wäsche für Kasernen- und Lazaretthaushalt; Maschinengarn; Nähfaden und Zwirne; Steppgarne; Zeltbahnen; Zeltleinen; Zwangshosen- und -jacken; Zwiebackbeutel aus Papierstoff.

18 Seit März 1918 war die Gesamtbeschaffung für die freiwillige Krankenpflege ähnlich eingerichtet wie ein Kriegsbekleidungsamt. Das Amt hieß: „Staatliche Bekleidungsstelle für die freiwillige Krankenpflege“ und unterstand vorläufig dem Sanitäts-Departement. Die Bedarfsstellen meldeten an die Delegierten, diese an den stellvertretenden militärischen Inspekteur der freiwilligen Krankenpflege; er überprüfte die Bedarfsanmeldungen und gab sie an die staatliche Bekleidungsstelle. Von dieser gelangten, wie von Kriegsbekleidungsämtern, die Anforderungen an das B.B.A. bzw. die K.R.A.



Webstoffbeschaffungsstelle

Militärisches Beschaffungswesen im Inland 

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Die beschafften Gegenstände

a) Wollerzeugnisse: Anzüge aus Wollstoffen; Filzscheiben; Filzschuhe; Filztafeln für Pulver- und Gewehrfabriken; Flaggenstoffe; Flanell für Gewehrfabriken und Artilleriedepots; Geschirrfilz; Haardecken; Handschuhe; Kommandoflaggen; Mantel; Mikrophonfilz; Polierfilz; wasserdichtes Tuch für Zünder; Wollfries; Wollgarn, b) Baumwollerzeugnisse: Arbeitsanzüge (blaue und schwarze); Arbeitsmäntel für Bäcker; Arbeitshosen und -blusen für Schlächter; Armierungskabel; Band; Barchent; Baumwolle; Bekleidungssäcke; Bleirohrkabel; Kanevas; Deckplanen; Dochtband; Drilchanzüge; Fingerhandschuhe; Flanell; Futterboy; Futtersäcke; Garn; Gewehrriemen; Glanzgarnkabel; Gurtband und Gurte; Heftbaumwolle; Hilfspacktaschen; Kambrikbinden für Pferdearzneikästen; Kartusche- und andere Beutel; Köperband; Kopfhauben für Arbeiterinnen; Kreuzleinen; Lastinganzüge; Magazinsäcke; Mäntelsäcke; Maschinenseile; Maschinistenanzüge; Müllertuche; Neutralitätsflaggen; Ölreinigungstwist; Packungsschoner; Patronentragegurte; Pelerinen aus Öltuch und aus Teertuch; Putzlappen; Putztücher: Putzwolle; Richtband; wasserdichte Säcke für Wolldecken und Überzüge für Maschinengewehre; Sandsackstoffe und Sandsäcke; Satinköper; Sattel-, Schwell- und Sitzkissen; Segeltuch; Segeltuchbeutel; Scheuertücher; Schirting; Schmirgelleinen; Schürzen für Arbeiterinnen, Bäcker, Schlächter und Sattler; Schutzkappen für Geschosse; Strippenband; Taschen für Drahtscheren; Tränkeimer; Treibriemen; Unterkumte; 2. Waffen- und MunitionsVerbandpackungen; Verbandwatte für Pferdearzneikästen; Verbindungsschnüre Beschaffungs-Amt ( Wumba) an den Fernsprechern und Kabeln; Vorhänge; Wachstuch; Wagenplanen; Wasserfrüher Feldzeugmeisterei tragesäcke mit Behälter; Werkzeugtaschen; Wollband; Back-, Brot- und Einheitsstallzelte; Zeltsäcke. c) Bastfasererzeugnisse: Abzugsleinen; Anker-, Zug- und andere Taue; Anzüge aus Leinewand; Bekleidungssäcke; Beutel für Teilladungen und Winkerflaggen; Bezüge für Pulvertragen; Bindfaden; Deckenbezüge; Deckengurte; Drilchanzüge; Eier- und Zwiebacksäcke für Feldküchen; Filtertücher; Flachsgarn; Futtersäcke; Geländerleinen; Geschirrtaue; Geschützrohrdecken; Gurte und Gurtband; Haardecken; Halfterstricke; Handtücher; Hanf; Hanfgarne; Hanfschläuche; Hanfseile; Hebegurte; Jutegarne; Jutepackleinen; Kokosmatten; Kreuzleinen; Leinewand (einschl. Packleinewand); Magazinsäcke; Mäntelsäcke; Munitionstragesäcke; Patronengurte; Planen für Fuhrparkkolonnen, Feldküchen und Munitionszüge; Putztücher; Putz- und Reinigungswerg für alle Arten von Waffen; Regendecken; Sackband; Säcke; Sandsäcke; Sattelkissenunterlagen; Segeltuch; Seidengarn; Seidentuch; Sitzkissen für Wagen; Schürzen; Stalleinen; Taschentücher; Tauwerk für Brückengeräte; Teerkordel; Tränkeimer; Tragevorrichtung für Speiseträger; Tropendecken; Überzüge zu Feuerleitungsplanen; Krankentragen; Patronen; Sensenblätter; Unterlagen für Batterie- und Meßplane; wasserdichte Bezüge für Maschinengewehre; Wassertragesäcke; Werg; Werg oder Karboljute für Pferdearzneikästen; Werkzeugbeutel; Zellstoffwatte; Backzelte; Brotzelte; Einheitszelte; Stallzelle; Zeltsäcke für Protzen; Zugstränge.

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

Webstoffbeschaffungsstelle

Die beschafften Gegenstände

a) Wollerzeugnisse: Filz für Leuchtpatronen; Filzeinlagen für Fahrzeuge; Filzscheiben; Filzschuhe; Geschirrfilz; Knieschützer; Sattelfilz; Sattelkissen; Tuch für Wurfminenzünder. b) Baumwollerzeugnisse: Schilffarbene Anzüge; Aufbewahrungstaschen für Flottenatmer; Ballonstoff für Atmungsbeutel; Baumwolltuch; Brustblätter; Baumwollerzeugnisse zu elektrischen Maschinen und Apparaten; Drilch; Feldkabel; Feld-, Fernsprech-, Minenzünd-, Schwachstrom- usw. -Kabel; Futtersäcke; Gewehrriemen; Hilfspacktaschen; Hufeisentaschen; Isolierband; Kreuzleinen; bewegliche Lüftungsrohre; Makkostoffe für Kabel; Nesselband; Putzlappen; Putzwolle; Richtband; Rohnessel für Kabel und elektrisches Leitungsmaterial; Rucksäcke; Sandsäcke; Sandsackstoffe; Sattel-, Schwell- und Sitzkissen; Segeltuch; Segel3.) Das Ingenieur-Komitee tuchbeutel; Sielengeschirre; Schanzzeugfutteral; Schutzanzüge; Schwimman( J.K.) züge; Taschen für Drahtscheren; Tauchanzüge; Teeranzüge; Treibriemen; Trensen; Überdecken für Maschinen und Scheinwerfergerät; Unterkumte; Wagenplane; Werkzeugtaschen. c) Bastfasererzeugnisse: Abzugs- und Zündschnüre; Anker-, Brücken-, Geschirr- und andere Taue; Bind- und Zugstränge; Bindfaden; Fußsäcke; Futterbeutel; Geländer-, Treidel- und Richtleinen; Gurte (auch für Minenkörbe und Flammenwerfer); Hanfkern für Kabel; Hanfschläuche; Hanfseile; Jutegarn; Leinwand; Maskenstoffe; Plane; Sandsäcke (auch aus Papierersatzstoffen); Segeltuch für Minenwerfer; Schnur für Drahtscheren; Teerkordel; Tornister für Fernsprecherund Scheinwerferformationen; Tränkeimer; Überdecken für Maschinen, Protzen, Scheinwerferlaffetten und Minenwerfer; Unterkumte; Werg. Aus Wolle: Decken; Filztafeln; Flaggenstoffe. A u s B a u m w o l l e : Arbeitsanzüge; Armbinden; Armee-, Feld-, Fernsprech- und Minenkabel; Blusen, Hosen und Schürzen für Schlächter; Dochte für Laternen und für Minen; Drilchhosen; Flaggenstoffe; Garn; Handtücher; Heftbaumwolle; Isolierband; Maschinistenanzüge; Putzlappen; 4. Eisenbahn-Ersatzpark. Putzwolle; Segeltuchbeutel; Scheuertücher; Treibriemen; Wagenplane; Werkzeugtaschen. A u s B a s t f a s e r n : Armbinden; Bindestränge; Bindfaden; Decken für Wasserstationen; Drilch; Geschirrtaue; Hanfschläuche; Hanfseile; Leinwand; Nivellierschnüre; Plane; Rammkränze; Rammleinen; Ramm-, Schwenk- und andere Taue; Richtleinen; Säcke; Schürzen. Aus Wolle: Futterstoffe für Lederanzüge; Strickjacken. Aus Baumwolle: blaue und schwarze Arbeitsanzüge; Autofülleimer; Automobilplan- und Verdeckstoffe; Fahranzüge für den Sommer; Gepäcksäcke; Gurte; Köper 5. Inspektion d. Kraftfahrfür Schmirgelleinen; Polsterstoffmaterial; Putzlappen; Riemen; Werkzeugtaschen. ertruppen (Idkraft) A u s B a s t f a s e r n : Bindfaden; Gurtriemen; Segeltuch; Packleinen; Plane; Polstergurte; Signalschnüre; Schlepptaue; Verdeckgardinen; Stricke; Wassereimer; Zelte; Zeltbahnen. Aus Wolle: Filzschuhe; Filztafeln; Flaggenstoffe; Futter für Lederanzüge. A u s B a u m w o l l e : Schwarze Arbeitsanzüge; Armeekabel; Ballonstoffe; Deckplanen; Feldkabel: Flaggenstoffe; Geschirrfilz; Isolierband; Molton; Putzlappen; 6. Inspektion d. Luftschif- Putzwolle; Segeltuch; Tränkeimer; Wagenplane; Wassertragesäcke; Zeltsäcke. fertruppen (Idluft) Aus Bastfasern: Ankertaue; Ballastsäcke; Bindestränge; Bindfaden; Drilch; Flachszwirn; Gummispiralschläuche; Hanfgarn; Hanfkordel; Hanfseile; Kernhanf; Leinwand; Plane; Tauwerk für Luftschiffer; Tränkeimer; Wagenfuttersäcke; Stallzelte; Zeltbahnen.



Webstoffbeschaffungsstelle

Militärisches Beschaffungswesen im Inland 

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Die beschafften Gegenstände

Aus Wolle: Kopfhauben; Wollfilz; Sportjacken; schwarze Arbeitsanzüge; Flaggenstoffe; Flanell; Ledertuchanzüge mit warmem Futter. A u s B a u m w o l l e : 7. Inspektion der Flieger- Futterkaliko; Futterstoffe; Isolierband; Khakianzüge; Putzwolle; Tropenmützen; truppen (Idflieg) Überziehjacken und -Hosen; Überziehstiefel aus Segeltuch mit Pelz; Wäschesäcke. Aus Bastfasern: Bindfäden; Flugzeugstoffe; Leinwand; Segeltuch; Wachsleinenzwirn; Ballonhüllenzelte. Aus Wolle: Armee- und Armierungskabel; Filze für Mikrophone, Polsterzwecke und Kopffernhörer; Flanell für Armeesprechbatterien. A u s B a u m w o l l e : Armeekabel; Barchent für Kopffernhörertaschen; Dochte für Kerzen; Feldkabel; 8. Inspektion d. Nachrich- Flußkabel; Glanzgarn für Kabelbeklöppelung; Gurtband für Meldekartentaschen; Isolierband; Makkostoff für Kabel und Fernsprechtornister; Nessel für Feldeletentruppen (Inach) mente; Nesselband; Verbindungs- und Leitungsschnüre für Fernsprecher; Wagenplane; Werkzeugtaschen. Aus Bastfasern: Ankerseile; Bindfäden; Drilchbeutel; Flaschenzüge; Hanfgarn für Kabel; Wagenfuttersäcke; Wagenplane. Aus Wolle: Flanelle und Flanellbinden. Aus Baumwolle: Faltenschläuche; Fliegennetze; Gazebinden; Gipsbinden; Gurtnetze; Jodoformgaze; Isolierband; Kambrick und Kambrickbinden; Leibgurte; Mull und Mullbinden; Operationstücher aus 9. ZentralbeschaffungsKöper; Segeltuch; Segeltuchbeutel; Schirting; Steifgaze; Trikotschlauchbinden; stelle für Webwaren des Tupfermull; Verbandpacktaschen; Verbandtücher; Watte; Zwirntuch. Hauptsanitätsdepots Aus Bastfasern: Band und Bindfaden; Gurtnetze; Häckselkissen; Handtücher; (H.S.D.) Hanfkordel; Hanfschläuche; Hanfseile; Operationsanzüge; Plombenschnur; Sandsäcke; Schürzen für Lazaretthaushalt; Zellstoffwatte. 10. Haupt-Gasschutzlager Atmungssäcke; Bindelitzen und Band für Gasschutzmasken; Makko-Perkal und (H.G.S.L.) Molton für Gasschutzmasken. Aus Wolle: Filzpantoffel; Filzstreifen für Veterinärsatteltaschen; Fries; Wollfilz für Wurfzeuge. A u s B a u m w o l l e : Band; Flanellbinden für Pferde; Kambrickbinden 11. Militär-Veterinär-Aka- für Pferde; breiter Köper. Aus Bastfasern: Drilch; Gurte und Gurtband; Handtüdemie (M.B.A.) cher für Operationsbestecke; Hanfseile für Wurfzeuge; Hanfstricke; Leineneinlage für Verbandtaschen; Leinewand und Leinenbinden; Operationsmäntel; Räuchersäcke für Pferde; Sackleinen für Hufverbände; graues und braunes Segeltuch. Aus Baumwolle und Bastfasern: Dochte- und Dochtband; Zelthallen; Maga12. Stellvertretende Intenzinzelte; Einheitsstallzelte und sonstige Zelte; Stoffe zur Instandsetzung von dantur XI. Korps 1 9 Zelten: wasserdichte Decken für Magazinzwecke. 13. Friedensverpflegungs- Neue Magazinsäcke aus Drilch, Jute, Leinen, Segelleinwand, Textilit; Sackband. Abteilung des Kriegsministeriums (B. 2) 14. Bekleidungsdepot der Sonderkleidungen und Ausrüstungen. Schutztruppen

19

19 Diese Beschaffungen sollten damals bald auf das B.B.A. übergehen.

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

B. Besondere Webstoffbeschaffungsstellen im Bereich der bundesstaatlichen Kriegsministerien: Kgl. Bayrische Feldzeugmeisterei, München, Inspektion des Ingenieur-Korps, München, Hauptsanitätsdepot, München, Stellvertretende Intendantur I.  bayr. Armeekorps, München (Sonderausrüstung für Gebirgstruppen), Feldzeugmeisterei, Dresden, Inspektion der Pioniere, Dresden, Hauptsanitätsdepot, Dresden, Kriegsbedarfs- und Rohstoffstelle des württ. K.M., Stuttgart.

C. Beschaffungen der kaiserlichen Marine: Das Reichsmarineamt forderte den gesammelten Bedarf an Spinn- und Webstoffen bei den Webstoffbeschaffungsstellen an. Es erhielt seinerseits die Anforderungen von: Marine-Bekleidungsamt Kiel, Marine-Bekleidungsamt Wilhelmshaven, Marine-Intendantur Kiel, Kaiserliche Werften in Kiel, Wilhelmshaven und Danzig. Marine-Sanitätsämter in Kiel und Wilhelmshaven.

D. Als Webstoffbeschaffungsstellen anerkannte nichtmilitärische Stellen: Eisenbahnwebstoffstelle, Berlin, Postwebstoffstelle, Berlin, Reichsbekleidungsstelle, Abteilung für Anstaltsversorgung, Berlin Reichssackstelle, Berlin

}

erhielten wesentlich nur Kontingente

Maschinenkonstruktionsamt der bayrischen Staatseisenbahnen, München, Friedrich Krupp, A.-G., Essen (für die Beschaffung der für die eigenen Werke erforderlichen Webstoffe),

Kgl. bayrisches Landeskomitee vom Roten Kreuz, München.



Militärisches Beschaffungswesen im Inland 

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5 Das Bekleidungs-Beschaffungs-Amt (B.B.A.), soweit es mit der Beschaffung von Spinn- und Webstoffen zu tun hatte (also ohne Leder- usw. Abteilung)

Stand vom 1. August 1918. Direktor: General Kalliese mit Bureauoffizier, juristischem und volkswirtschaftlichem Beirat und Kasse.

Direktionsabteilung

Vorstand: Oberstleutnant Dick. Unter der Direktionsabteilung standen die Bedarfs-AnmeldeZentrale (vgl. auch die Beschreibung der K.R.A.) und die Ankaufsabteilung für beschlagnahmte Webwaren (vgl. weiter unten), sowie die Referate: M. 9. Auslandstelle und Lagerverwaltung. M. 9 a. Verwaltung der Lagerangelegenheiten von Waren für die Kriegswirtschafts-A.-G.; Beschaffung steter Waren aus Nordfrankreich und Italien. M. 9 b. Warenbeschaffung des militärischen Textil-Beschaffungsamts Lodz und der Stellen in Rumänien, Riga und Reval. M. 9c. Warenbeschaffung aus der Schweiz und Schweden. M. 9d. Haupt-Abrechnungsstelle für die Abteilung M.  9. Warenbeschaffung der militärischen Textil-Beschaffungsämter in Gent und Brüssel. M. 9e. Enteignungsgut aus Nordfrankreich. M. 9f. Bearbeitung der Verzollung eingeführter und ausgeführter Güter. M. 9g. Färberei- und Veredlungs-Abteilung. (Unter ihr der Kriegs-Lohn-Veredlungs-Verband.) M. 9h. Abschätzungsstelle für Übernahme und Abgabe. Preise der Stoffe aus den besetzten Gebieten.

Webstoffabteilung

Vorstand: Oberst Bockmeyer (Bekleidungsamtsvorstand). M. 1. Beschaffung von Uniform-, Zünder-, Pulverbeuteltuchen. M. 1 unterstellt ist der KriegsGarn- und Tuchverband (K.G.T.)20. M. 2. Beschaffung von Decken, Woilachen, Filzen, Filzschuhen. M. 2 unterstellt sind die Liefererverbände21: Kriegs-Decken-Verband (K.D.V.) Kriegs-Woilach-Verband (K.Woi.V.) Kriegs-Filz-Verband (K.Fi.V.) M. 3. Beschaffung von Wirk- und Strickwaren. Kriegs-Wirk- und Strickverband (K.W.S.)22. M. 4. Beschaffung von Leinen- und Baumwollstoffen. M. 5. Beschaffung von Wäsche. M. 6. Beschaffung von wasserdichten Geweben und Stoffen zu Sonderzwecken. M. 7. Beschaffung von Posamenten und Bändern. M. 8. Beschaffung von Nähmitteln, Seilerwaren, Fischnetzen (Verkehr mit dem Ausschuß für Fischereibedarf, errichtet am. 24.11.1916 von K.R.A. in Gemeinschaft mit dem Reichskommissar für Fischversorgung). Preisprüfungsstelle zur Nachprüfung sämtlicher Preise. Preisberechnungsstelle für Vergebungen der Webstoff-Abteilung.

20 Der betr. Verband ist weiter hinten ausführlicher behandelt. 21 Der betr. Verband ist weiter hinten ausführlicher behandelt. 22 Der betr. Verband ist weiter hinten ausführlicher behandelt.

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

Lederabteilung

(steht hier nicht in Frage).

Das B.B.A. wurde am 20. November 1914 zuerst beim Unterkunfts-Departement errichtet, kam dann zum Armee-Verwaltungs-Departement und seit 15. Dezember 1916 zum Kriegsamt unter Abtrennung der Bekleidungs-Prüfungs-Kommission. Ursprüngliche Aufgabe war die Beschaffung von Tuchen für die Armee, die das Amt ab 1.  Februar 1915 übernahm. Später kamen die Beschaffungen an feldgrauen Tuchen für die Marine und die Spezialtruppen hinzu. Im weiteren Verlauf folgten Decken und Bourettgewebe und viele sonstige Webstoffe. Seit Anfang 1916 erhielt das B.B.A. auch die Beschaffung und Bewirtschaftung im Ausland und Inland gekaufter und enteigneter fertiger Stoffe. Im großen und ganzen war das B.B.A. zuletzt Hauptbeschaffungsamt für das ganze Spinn- und Webstoffgebiet. Durch Zusatzverfügung K.M.K. 786/12 K.R.A. vom 14. Januar 1917 wurde die Verfügung vom 15. Dezember 1916 93. 3 D dahin ergänzt, daß B.B.A. selbständige militärische Verwaltungsbehörde sei, die dem Kriegsamt unterstehe. Die Bearbeitung der Angelegenheiten des B.B.A. im Kriegsamt wurde der K.R.A. übertragen, soweit nicht der betreffende Gegenstand zur Zuständigkeit anderer Departements oder Abteilungen des K.M. gehörte. Die Abteilungen des B.B.A. verkehrten unmittelbar mit den Abteilungen und Departements des K.M.; der Direktor des B.B.A. hatte Vortrag beim Chef des K. Die Bekleidungsabteilung (93. 3) des K.M. war beteiligt, soweit die Kriegsbekleidungsämter und ähnliche Fragen in Betracht kamen; formell unterstanden 93. 3 die beim B.B.A. tätigen Bekleidungsamtsoffiziere, während die Angelegenheiten der kommandierten Offiziere die K.R.A. bearbeitete. Das Personal des Bekleidungs-Beschaffungs-Amts betrug einschließlich der Abteilungen für Leder- und Ausrüstungsstücke an Sollstärke: I.  Zentrale Berlin: 14  Bekleidungsamtsoffiziere (93.  3 unterstellt), 66  inaktive Offiziere, 30  Rendanten und Inspektoren, 70  Beamtenstellvertreter, 320  Unteroffiziere und Mannschaften, 200 Hilfsdienstpflichtige und weibliche Kräfte. II. Sammel- und Sortierungsläger und militärische Textilbeschaffungsämter: 27 inaktive Offiziere, 19 Beamtenstellvertreter, 351 Unteroffiziere und Mannschaften, 64  Unterbeamte. Von der Sollstärke waren einige Oberbeamten- und Inspektorenstellen bei den Lagern und Textil-Beschaffungsämtern nicht besetzt; im Unterpersonal war dagegen die Iststärke größer als die Sollstärke. Vermehrung der Stellen im Etat war in Bearbeitung. Das B.B.A. hatte 13 Haupt- und 2 Nebenlager in eigener Verwaltung, teils Sortierungs- und teils Sammellager. Die Lager waren: Bielefeld (Nebenlager in Windelsbleiche und Detmold), Gera, Mainz, Lublinitz, Danzig, Frankfurt a. M., Veiten, Pfullingen, Niedersedlitz, Hamburg, München, Meuselwitz, Wolgast. In Brüssel war auf Wunsch des General-Gouvernements die Zentral-EinkaufsGesellschaft (Z.E.G.) an den Aufkäufen des B.B.A. beteiligt.



Militärisches Beschaffungswesen im Inland 

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6 Die früher selbständige, der K.R.A. angegliederte, später dem B.B.A. eingeordnete Ankaufsabteilung für beschlagnahmte Webwaren (A.b.W.) Die Abteilung wurde am 21. Januar 1916 für die vorübergehende Aufgabe des Ankaufs der durch Verfügungen W.M. 1000/11. 15 und 1300/12. 15 K.R.A. beschlagnahmten Webwaren errichtet; außerdem erhielt sie den Ankauf freiwillig angebotener Anzüge, Hemden, Socken, Handschuhe usw. für Gefangene. Die bis dahin beim Webstoff-Meldeamt bestehende Materialprüfungsstelle trat zu A.b.W. über; ebenso erhielt A.b.W. die Nachbewertung der durch Verfügungen W. I. 1/5.15 und W.M. 231/9. 15 beschlagnahmten und vom Webstoff-Meldeamt übernommenen Mannschaftstücher und Decken. Die bundesstaatlichen Kriegsministerien, auch das Reichsmarineamt hatten sich A.b.W. angeschlossen. Die Haupttätigkeit der Ankaufsabteilung war Ende 1916 abgeschlossen. 1916 hatte das Amt folgenden Umfang und Einteilung: Mitte Juli 1916 = 254 Personen. Unter der Abteilungsleitung: Ref. A. Oberkleidung für Heer, Marine, Beamte, Gefangene; Decken, Deckenstoffe. Ref. B. Männertrikotagen. Ref. C. Wäsche-, Futter-, Drilchstoffe; Segeltuch und Sandsackstoffe. Ref. D. Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände für Heer, Marine und Feldpost. Ref. V. Verwaltung der auf Vorrat angekauften Bestände. Materialprüfungsstelle (früher beim Webstoff-Meldeamt). Druckschriftenstelle. Bei den Referaten A bis D bestanden besondere Preiskommissionen.

Das Webstoff-Meldeamt der K.R.A. ermittelte die Bestände und prüfte sie vor, A.b.W. kaufte sie an und überwies sie auf Entscheidung der K.R.A. zur Erfüllung bereits angemeldeten Heeresbedarfs an die Bedarfsstellen; die nicht gleich benötigten Gegenstände wurden Übernahmestellen (z. B. Kriegsbekleidungsämtern, Traindepots usw.) zugewiesen, dort übernommen, bezahlt und zur Verfügung der A.b.W. eingelagert. Diese Übernahmestellen wurden im Verein mit den preußischen und bundesstaatlichen Webstoffbeschaffungsstellen bzw. Kriegsministerien festgesetzt. Durch Verfügung vom 28.  Februar 1917 wurde die A.b.W. mit dem 1.  März 1917 als Abteilung des Kriegsministeriums aufgelöst und zum Bekleidungs-BeschaffungsAmt überführt. Der Abteilungschef (General z. D. von Obernitz) schied aus; Personal, Büroeinrichtungen und Räume wurden vom B.B.A. übernommen. Es wurden aber die Verrechnungen aus der früheren Tätigkeit zu Ende geführt und auch gelegentliche neue Käufe freiwillig angebotener inländischer beschlagnahmefreier Waren vorgenommen.

328 

 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

7 Die dem Bekleidungs-Beschaffungs-Amt unterstehenden Liefererverbände23

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Der Kriegs-Garn- und Tuchverband Der Kriegs-Decken-Verband Der Kriegs-Woilach-Verband Der Kriegs-Filz-Verband Der Kriegs-Wirk- und Strickverband Kriegs-Lohn-Veredelungs-Verband

}

unter einem gemeinsamen Kommissar der Heeresverwaltung

}

gemeinsames Bureau und Personal

}

jeder unter einem eigenen Kommissar der Heeresverwaltung.

Kriegs-Garn- und Tuchverband, E. V. (K.G.T.), Berlin (90 P.) Entste h u ng u n d Zu s a m m e n s e t z u ng: Am 15.11.1914 war ein Kriegsweberverband für die Hersteller von Ersatzkammgarnstoffen und am 16.12.1914 ein Kriegs-Tuchverband für die Streichgarntuchfabrikanten gegründet worden. Diese Verbände lösten sich auf, um am 16.7.1916 unter Beitritt der meisten bisherigen Mitglieder und Hinzunahme der reinen Spinner den Kriegs-Garnund Tuchverband zu bilden. Der Bedarf der Marine an feldgrauem Tuch war seit dem 4.8.1915 dem Verband angeschlossen. Die bayrischen und württembergischen Mitglieder des Verbandes hatten bis 1.4.1916 eine gewisse Sonderstellung; seitdem aber waren sie allen anderen gleichgestellt. Die Finanzierung erfolgte durch Abgaben bei Annahme der Aufträge. Die Mitgliederzahl betrug am 1.8.1918 829 Firmen, davon waren 292 reine Webereien, 65 reine Streichgarnspinnereien, 58  Kammgarnspinnereien und 414  gemischte Betriebe. Ständiger Kommissar im K.G.T. und den folgenden drei Verbänden: Hauptmann d. R. Rechtsanwalt Glänzel; Geschäftsführer: Richter, Schöllet. Au f gab e n : Der Verband hatte unter Aufsicht und nach Weisung des B.B.A. an der Beschaffung der für die Landesverteidigung benötigten Mannschaftstuche sowie der hierzu erforderlichen Spinnstoffe und Garne mitzuwirken. Zeitweise (bis zur Gründung der Seidenverwertungs-Gesellschaft) beschaffte er auch Pulverbeutelstoffe. Seitens der letzteren Gesellschaft wurden einzelne Mitglieder des Verbandes noch immer mit der Anfertigung von Pulverbeutelstoffen beschäftigt. Ferner wirkte der Verband bei der Beschaffung besonderer Stoffe für die Türkei und Bulgarien mit (Tyba-Aufträge) und zuletzt bei der Herstellung von Zivilstoffen, die durch Kriegswollbedarf-A.-G. und die K.R.A. für die Reichsbekleidungsstelle angefertigt wurden. Endlich führte der Verband die an sich nicht amtliche Entschädigungskasse der Entschädigungsgemeinschaft der Mitglieder für stillgelegte Betriebe. Die als besondere Abteilung ausgebaute Garnprüfungsstelle hatte die technische Prüfung und die Materialzuteilung. Aussch ü s s e , Ko m m i s s i o n e n usw. Der Vorstand bestand aus zwölf Industriellen. Als erweiterter Vorstand diente ein Verwaltungsausschuß. Daneben bestanden einige Sonderausschüsse für Einzelfragen; sie waren zum Teil gemeinschaftlich mit dem Kriegs-Decken-Verband. Ein Zusammenlegungs- und Entschädigungsausschuß (Z.E.A.) war paritätisch aus sechs Vertretern der weiterarbeitenden und fünf Vertretern der stillgelegten Betriebe zusammengesetzt. Besondere Überwachungsbeamte überwachten die Einhaltung der Verbandsvorschriften und der Auftragsausführungen (Zwangsmittel: Strafgelder und Preisminderungen).

23 Diese Liefererverbände hatten ähnliche Aufgaben wie die unmittelbar der K.R.A. unterstehenden Kriegsausschüsse. Der Unterschied in der Unterstellung erklärte sich aus der Entwicklung, nicht aus sachlich verschiedenen Aufgaben.



Militärisches Beschaffungswesen im Inland 

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Kriegs-Decken-Verband, E. V. (K.D.V.), Berlin (52 P.) Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Der Verband wurde gegründet am 15.11.1915 zugleich mit dem Kriegs-Woilach-Verband. Voraussetzung für die Aufnahme war, daß die betr. Firmen vor dem 15.8.1915 schon Decken hergestellt hatten. Die Finanzierung erfolgte durch Abgaben bei Annahme der Aufträge. Die Mitgliederzahl betrug rund 300. Der Verband hatte gemeinsames Personal und Büro mit dem Kriegs-Woilach-Verband. Au f gab e n : Unter Aussicht und nach Weisung des B.B.A Mitwirkung an der Beschaffung der für die Landesverteidigung benötigten Decken (Unterkunfts- und Lazarettdecken). Zeitweise beschaffte er auch Bourrettestoffe bis zur Gründung der Seidenverwertungs-Gesellschaft. Später kamen als neue Aufgaben hinzu: die Beschaffung von Säureloden und Oberlederersatzstoffen (letztere gingen über die Kriegswollbedarf-A.-G. an den Überwachungsausschuß der Schuhindustrie). Der Verband führte die an sich nicht amtliche Entschädigungskasse für die stillgelegten Betriebe. Ausschüsse, Ko m m i s s i o n e n usw.: Mitgliederversammlung, Vorstand und Ausschüsse waren getrennt von denen des Kriegs-Woilach-Verbandes. Neben der Mitgliederversammlung bestand ein Vorstand und ein Zusammenlegungs- und Entschädigungs-Ausschuß (Z.E.A). Besondere Überwachungsbeamte überwachten die Einhaltung der Verbandsvorschriften und die Auftragsausführung (Zwangsmittel: Strafgelder und Preisminderungen).

Kriegs-Woilach-Verband, E. V. (K.Woi.V.), Berlin Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Der Verband wurde gegründet am 15.11.1915 zugleich mit dem Kriegs-Decken-Verband. Voraussetzung für die Aufnahme war, daß die betr. Firmen vor dem 15.8.1915 schon Woilache hergestellt hatten. Die Finanzierung erfolgte durch Abgabe bei Annahme der Aufträge. Die Mitgliederzahl betrug 51. Geschäftsführung erfolgte gemeinsam mit dem Kriegs-Decken-Verband. Es hatten sich zuletzt so große Bestände an Woilachen angesammelt und wurden daher so wenig neue bestellt, daß eine Zusammenlegung des Verbandes mit dem Kriegs-Decken-Verband in Erwägung gezogen war. Aufgaben: Unter Aufsicht und nach Weisung des B.B.A. Mitwirkung an der Beschaffung der für die Landesverteidigung benötigten Pferdedecken. Ausschüsse, Ko m m i s s i o n e n usw. Die Mitgliederversammlungen und deren Organe waren getrennt von denen des Kriegs-Decken-Verbandes. Neben der Mitgliederversammlung bestand ein Vorstand und ein Zusammenlegungs- und Entschädigungsausschuß (Z.E.A.). Besondere Überwachungsbeamte überwachten die Einhaltung der Verbandsvorschriften und die Auftragsausführung (Zwangsmittel: Strafgelder und Preisminderungen).

Kriegs-Filz-Verband, E. V. (K.Fi.V.), Berlin (3 P.) Entstehung un d Zu s a m m e n s e t z u ng: Der Verband wurde gegründet am 27.4.1917. Mitglied konnte jede Herstellerfirma mit entsprechenden Einrichtungen werden. In Betracht kamen dabei Haarfilze, gemischte Filze und Ersatzfilze. Das B.B.A. hat auch einige Wollfilzhersteller aufgenommen. Die Mitgliederzahl betrug 10. Aufgaben: Unter Aufsicht und nach Weisung des B.B.A. Mitwirkung an der Beschaffung der für die Landesverteidigung benötigten Haarfilze (Kessel-, Walk-, Stiefel-, Ersatzsohlenfilz), gemischten Filze (Polster-, Geschirr-, Drucker-, Mikrophon-, Schleif- und Polierfilze), Merinound Haarwollfilze. Entschädigungsaufgaben bestanden nicht, da nur für die Bedarfsdeckung nötige Firmen von vornherein aufgenommen worden waren. Ausschüsse, Ko m m i s s i o n e n usw.: Außer der Mitgliederversammlung bestand nur ein Vorstand.

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

Kriegs-Wirk- und Strickverband, E. V., Berlin (102 P.) Entste h u ng u n d Zu s a m m e n s e t z u ng: Nach Vorarbeiten, die am 1.1. einsetzten, wurde der Verband am 17.2.1916 zunächst mit der Strickereiabteilung errichtet. Zufolge kriegsministerieller Anordnung vom 24.3.1916 trat im April 1916 die Wirkerei-Abteilung zum Verbande hinzu, wodurch die anfangs vom Kriegsausschuß der deutschen Baumwollindustrie vorgenommene Auftragserteilung in Trikotagen auf den Verband überging. Zur Deckung der Unkosten erhielt der Verband drei vom Tausend aller zur Verrechnung gelangenden Aufträge. Die Strickerei-Abteilung hatte rund 450 selbständige Mitglieder, denen einige Tausend Lohnstricker (Faktoren) angeschlossen waren. Mit Ausnahme weniger Betriebe war die gesamte deutsche Strickerei im Verband vereinigt. Die Wirkerei-Abteilung zählte rund 260 selbständige und 100 angegliederte Firmen (Lohnwirker); zusammen waren etwa 85 000 Mailleusen bzw. Maschinenköpfe der Wirkerei angeschlossen. Für jede der beiden Abteilungen war ein Geschäftsführer bestellt. Ständiger Kommissar: Rittmeister d. L.-Kav. Fabrikant Popp, Geschäftsführer: Kettler, Wagner. Aufgab e n : Unter Aufsicht und nach Weisung des B.B.A. Mitwirkung an der Beschaffung der für die Landesverteidigung benötigten Wirk- und Strickwaren. Zunächst bezog sich die Aufgabe auf Unterzeug, Strick- und Wirkwaren für die Armee; später kam der Bedarf der Marine und der Spezialtruppen hinzu. Außerdem wurde der Verband auch mit der Anfertigung von Zivilsocken, Frauen- und Kinderstrümpfen für die Reichsbekleidungsstelle betraut. Die Weitervergebung der Aufträge geschah durch Kontingentierung der Mitglieder auf Grund genau ermittelter Leistungsfähigkeit der Betriebe. Mit der Entschädigung stillgelegter Betriebe hatte der Verband amtlich nichts zu tun, wenn auch vielfach dieselben Persönlichkeiten in den entsprechenden Organen der Industrie saßen. Aussch ü s s e , Ko m m i s s i o n e n usw.: Der Verband hatte für jede Abteilung einen besonderen, von der Mitgliederversammlung nach Fachgruppen gewählten Vorstand. Zusammen bildeten diese Fachvorstände den Gesamtvorstand. Als erweiterten Vorstand besaß jede Abteilung einen Verwaltungsausschuß. Zur Beratung gemeinsamer Fragen beider Abteilungen diente ein Arbeitsausschuß aus vier Mitgliedern jeder Abteilung.

Kriegs-Lohn-Veredelungs-Verband, E. V., (K.Lo.V.), Berlin (30 P.) Entste h u ng u n d Zu s a m m e n s e t z u ng: Der Verband begann am 1.7.1917 seine Tätigkeit. Er umfaßte nicht alle Firmen, da sich trotz öffentlicher Aufforderung nicht alle angeschlossen hatten. Anfänglich sollte auch die Ausrüstung von Wirk- und Strickwaren einbegriffen werden, sie wurde aber dann ausgeschieden, da Heeresbeschäftigung auf diesem Gebiet kaum in Frage kam. Es handelte sich im Verband um Lohnbetriebe, von denen viele sehr kleinen Umfang hatten. Die Finanzierung erfolgte durch ½ % Abgabe vom Umsatz in Heeresaufträgen. Die Mitgliederzahl betrug 299 Stücklohnausrüstungsbetriebe (Industriefärbereien) und 48 Schönfärbereien; 160 waren Höchstleistungsbetriebe, die anderen stillgelegte. Hauptmitglieder waren die Industriefärbereien; die Schönfärbereien waren nur für Umfärbearbeiten für die BekleidungsInstandsetzungsämter unter Aufsicht des K.Lo.V. beschäftigt, während die Aufträge auf Waschen und Chemisch-Reinigen seitens der Ämter freihändig erfolgten. Ständiger Kommissar: Hauptmann d. L. Fabrikant Pungs, Leiter: Dr. Tschirschky. Aufgab e n : Die ursprünglich gedachte Aufgabe einer Kontingentierung und gleichmäßigen Beschäftigung der notleidenden Veredelungsindustrie mit Heeresaufträgen hatte sich nicht durchführen lassen; man mußte den Webereien die Auswahl ihrer Ausrüster wieder überlassen, da sonst der Verband die Verantwortung für die Güte der Arbeit hätte übernehmen müssen. Der K.L.B. hatte daher nur ein Aufsichtsrecht und die Aufgabe der Förderung der Betriebe. Durch



Militärisches Beschaffungswesen im Inland 

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Vermittlung der Kriegsausschüsse für Baumwolle, Leinen usw. war den Webern die Unterzeichnung eines Verpflichtungsscheines für den Verkehr mit den Veredlern auferlegt worden. Auf Grund dessen sorgte der K.Lo.V. für einen gewissen Ausgleich in der Beschäftigung, verhinderte nach den Vorschriften der K.R.A. die Vergebung von Aufträgen in mehr als 100 km Entfernung und unterstützte die Firmen bei der Beschaffung von Kohle und Hilfsstoffen. Das B.B.A., das unmittelbar mit großen Aufträgen für die Veredelung der beigetriebenen Rohwaren beteiligt war, setzte im Einvernehmen mit den anderen Webstoffbeschaffungsstellen und mit dem Vorstand des K.Lo.V. auf Grund von Indexzahlen, die von der Friedensbasis ausgingen, die Preise für alle Beschaffungsstellen fest. Ausschüsse, Ko m m i s s i o n e n usw.: Außer der Geschäftsführung bestanden an Organisationen des Verbandes: die Hauptversammlung und der Vorstands-Arbeitsausschuß. Ein „Beirat der Entschädigungskommission“ setzte die Grundlinien fest, nach denen die Entschädigungskommissionen die von der betreffenden Abteilung des K.Lo.B. berechneten Entschädigungsansprüche des einzelnen Betriebes prüften und genehmigten. Stillegungskommissionen (zur Feststellung der Höchstleistungsbetriebe) waren zwar aus Mitgliedern des K.Lo.B. errichtet, aber nicht beim Verband, sondern beim Kriegsausschuß der deutschen Industrie. Der Verband unterstand nicht wie die übrigen Liefererverbände des B.B.A. der Webstoffabteilung, sondern der Direktionsabteilung des Bekleidungs-Beschaffungs-Amtes. Weil das Amt selbst große Aufträge für Reichsware (Rohwaren aus den besetzten Gebieten) vergab, war ein engeres Dienstverhältnis zu B.B.A. gegeben, als es bei den anderen Liefererverbänden der Fall war.

8 Die Eisenbahn-Webstoffstelle als Beispiel einer als Webstoffbeschaffungsstelle anerkannten, nicht militärischen Stelle. Das Pr. Ministerium der öffentlichen Arbeiten, zugleich Chef des Reichsamtes für die Verwaltung der Reichseisenbahnen, das Pr. Eisenbahnzentralamt und die Militärgeneraldirektionen der Eisenbahnen Brüssel und Warschau errichteten gemeinsam die Eisenbahnwebstoffstelle (seit Juli 1916). Angeschlossen waren sämtliche Eisenbahnverwaltungen Deutschlands und der Militärgeneraldirektionen einschließlich derjenigen Bahnen, die dem Verein deutscher Straßenbahnen und Kleinbahnen angehörten, mit Ausnahme Bayerns. Für letzteres war das Maschinenkonstruktionsamt der bayrischen Staatseisenbahnen, dem die Privatbahnen und Wagenbauanstalten angeschlossen waren, die zuständige Webstoffbeschaffungsstelle. Aufgaben der Eisenbahn-Webstoffstelle und des Maschinenkonstruktionsamts München waren: Prüfung der von den Eisenbahnverwaltungen eingehenden Anträge auf Beschaffung von Web-, Wirk-, Strick-, Filz- und Seilerwaren. Nach Prüfung folgte entweder Vermittlung des Ankaufs nicht beschlagnahmter Waren oder Beschaffung beschlagnahmter Waren bzw. Neuanfertigung durch Vermittlung der K.R.A. Ferner hatten die Stellen die Mitwirkung bei der Ausprobung von Ersatzmitteln. Die Anforderungen an Uniformstoffen wurden für die Staatsbahnen gesammelt an die Reichs-

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

bekleidungsstelle weitergeleitet; von den Privatbahnen gelangten sie unmittelbar an die Reichsbekleidungsstelle.

Verschiedenes

Organisation der Beschaffung und Bewirtschaftung von Spinn- und Webstoffen für das deutsche Heer im Operationsgebiet, in den besetzten Gebieten, im verbündeten und neutralen Ausland Die wirtschaftliche Organisation im Operationsgebiet und im sonstigen Ausland gehörte zu den verwickeltsten Gebilden des Weltkrieges. Sie hatte sich den verschiedensten Wirtschaftsbedingungen und staatsrechtlichen Verhältnissen anpassen müssen. Als verschiedenartige Gebiete kamen nach dem Stand vom 1. August 1918 in Frage: a) nur von Deutschland besetzte Gebiete: Operationsgebiete im Inland (damals ein Teil des Elsaß), die besetzten Gebiete in Belgien und Frankreich (im Westen nur Generalgouvernement, Operationsgebiet und Etappe, im Osten außerdem das besondere Verwaltungsgebiet Oberost); b) nur von Verbündeten besetzte Gebiete: Operationsgebiete: z. B. Italien, Albanien, auch Montenegro (besetzt von Österreich), nichtgeorgischer Kaukasus (besetzt von der Türkei), Südteil von Polen (besetzt von Österreich); c) gemeinsam besetzte Gebiete: Serbien, Mazedonien (besetzt von Bulgarien und Deutschland), Ukraine (besetzt von Deutschland und Österreich), Rumänien (besetzt von Deutschland und Bulgarien). In der Ukraine und in Rumänien war die Besetzung lediglich zur Sicherstellung der vertraglichen Abmachungen mit beiden Ländern erfolgt; d) als verbündet zu betrachtende besetzte Gebiete: Finnland, Georgien und Krim (die staatsrechtliche Stellung der Krim war noch offen); e) altverbündete Gebiete: Österreich-Ungarn, Bulgarien, Türkei; f) angrenzende altneutrale Staaten: Schweiz, Holland, nordische Staaten; g) zum Frieden gezwungene neutrale Staaten: Groß-Rußland. Aus allen diesen Gebieten galt es, die erreichbaren Rohstoffe, also auch die Spinnstoffe, der gemeinsamen Kriegführung nutzbar zu machen. Organisation in den besetzten Gebieten Die Zuständigkeiten in den altbesetzten Gebieten regelte — nach dem Zugeständnis selbständiger Verwaltung an Oberost — ein Erlaß des Generalquartiermeisters (I b 39 506) vom 20. Dezember 1916 wie folgt: Die oberste Leitung der Verwaltung und wirtschaftliche Ausnutzung der besetzten Gebiete mit Ausnahme der Generalgouvernements erfolgt durch den Generalquartiermeister. Zur Vertretung des Generalquartiermeisters in allen laufenden Geschäften wird vom 1. Januar 1917 ab im Westen der Beauftragte des Generalquartiermeisters im Großen Hauptquartier West (B. d. G. West) eingesetzt. Die Armeegebiete des Ostens sind, soweit sie unter deutscher Verwaltung stehen, zu einem einheitlichen Verwaltungsgebiet unter dem Oberbefehlshaber Ost zusammengefaßt.

Verschiedenes 

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Das Verwaltungsgebiet des Generalquartiermeisters bzw. von Oberost schied sich wieder in Operationsgebiete, in denen die Armee-Oberkommandos (A.O.Ks.) die wirtschaftliche Verwaltung durchführten, und in Etappengebiete, bei denen diese Verwaltung in Händen der Etappeninspektionen mit ihren Wirtschaftsausschüssen lag. Die Funktionen des Generalquartiermeisters bei Oberost hatte der „General beim Stab Oberost“. Der Grund für die gesonderte Stellung von Oberost lag in der Absicht, die dortigen Gebiete von vornherein wegen der möglichen späteren Angliederung an Deutschland schonender zu behandeln. Nach Möglichkeit sollten hier Rohstoffe daher nicht enteignet, sondern gekauft werden. Der Einkauf erfolgte durch die Kriegsgesellschaften des Kriegsministeriums, auch des Kriegsernährungs- und Reichswirtschaftsamts, die durch Sachverständige und Einkäufer vertreten waren. Im Gebiet Oberost bestanden „Rohstoff- und Handelsabteilungen“ in den Städten Kowno, Mitau, Wilna, Bialystok, Grodno, sowie Rohstoffzweigstellen in Lida, Suwalki, Libau und Reval. In der Hauptsache wurden auch in Belgien und Polen die Rohstoffe durch Geschäftsstellen und Sachverständige der Kriegsrohstoffgesellschaften angekauft. Die Kriegsrohstoffstelle Warschau hatte eine Nebenabteilung in Lodz. Nach Errichtung des Kriegsamts wurden auch in den besetzten Gebieten Kriegsamtsstellen eingerichtet. In Rumänien bestanden die „Militärverwaltung in Rumänien“ und das „Oberkommando Mackensen“. Nach dem Friedensschluß mit Rumänien war für die zur Sicherung der Durchführung der Friedensbedingungen noch besetzte Walachei das Oberkommando Mackensen mit einem Wirtschaftsstab und für die Moldau und Bessarabien eine „Vertretung der verbündeten Mächte beim rumänischen Oberbefehlshaber“ ebenfalls mit einem Wirtschaftsstab zuständig. Bei diesem befanden sich von der Kriegs-Rohstoff-Abteilung zum Ankauf aus rumänischen Depots entsandte Offiziere. In dem zuletzt nur noch von Österreich besetzten Italien war eine „Deutsche Vertretung in Italien“ eingerichtet. In Neu-Bulgarien (Serbien und Mazedonien) stand neben Bulgaren die Armeeabteilung Scholz. Wirtschaftszentralen waren die Kriegsrohstoffstelle der Armeeabteilung und unter ihr die Kriegsrohstoffstelle Drama für Mazedonien. In den ganz von den Österreichern besetzten Gebieten außer Italien (Südpolen, Albanien, Montenegro) war Deutschland ohne unmittelbare Vertretung. Etwaige Verbindung ging durch die Abteilung A 8 über das K. u. K. Kriegsministerium in Wien. Die zugelassenen Zivilorganisationen beider Länder kauften Waren auf. Im Kaukasus waren zwei Teile zu unterscheiden. Georgien war als befreundeter Staat von Deutschland besetzt. Es sollten hier die mit Österreich-Ungarn gegründeten Kartellgesellschaften (für Textilien die „Europäische Handelsgesellschaft“) ähnlich wie in der Ukraine kaufen. Der andere Teil des Kaukasus (Batum) war von den Türken

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besetzt. Der Verkehr ging über Konstantinopel, doch verhandelte man über eine Regelung ähnlich wie in der Ukraine. In der Ukraine erfolgte der Aufkauf durch die mit Österreich-Ungarn gemeinsam errichteten Kartellgesellschaften (für Textilien durch die „Europäische Handelsgesellschaft“). Diese Europäische Handelsgesellschaft  m.  b.  H. Bremen, Wien, Budapest war typisch für die sog. Kartellgesellschaften, durch die der Einkauf von Spinnstoffen und Webstoffen in der Ukraine, Groß-Rußland usw. betrieben werden sollte. Sie hatte ein Kapital von einer Million Mark. Beteiligt waren die Deutsch-Orientalische Handelsgesellschaft, die Rohstoffgesellschaft in Wien und die Rohstoffzentrale in Budapest. In Deutschland unterstand sie der Aufsicht des Reichswirtschaftsamts. In der Krim befand sich in Sewastopol beim deutschen A.O.K. ein deutscher Generalstabsoffizier in wirtschaftlichen Angelegenheiten (Degowa), der unmittelbar mit der K.R.A. verkehrte. Verkehr mit den Verbündeten und den zum Frieden gezwungenen Vertragsgebieten (abgesehen von Rumänien und der Ukraine)

Der Verkehr mit den Verbündeten war im großen wie folgt geregelt: Deutschland und Österreich-Ungarn unterhielten gegenseitige Bevollmächtigte der Kriegsministerien. Bei der deutschen mit einem zahlreichen Stab ausgestatteten Vertretung in Wien befand sich die „Deutsche Kriegs-Rohstoff-Abteilung Wien“ (Dekra), während Österreich-Ungarn in Berlin die V.S.A. (Vertretung des K. u. K. Kriegsministeriums zur Sicherstellung von Armeebedürfnissen) unterhielt. Durch die Dekra liefen die Verhandlungen über gemeinsame Bewirtschaftung von Rohstoffen, über Teilungsund Kontingentsfragen. Abgezweigt von der deutschen Vertretung in Wien, aber ihr unterstellt, war die deutsche Vertretung bei der K. u. K. Rohstoff-Übernahme-Kommission (Rukom) in Budapest. Sie war, wie die Kriegs-Rohstoff-Abteilung, Wien, von der K.R.A. mit Offizieren und Sachverständigen besetzt. In Budapest wurden alle aus dem Balkan und auf dem Donauweg einlaufenden Rohstoffe nach den abgemachten Schlüsseln geteilt. Das wirtschaftliche Zusammengehen und der Austausch von Rohstoffen und Fabrikaten waren durch Abkommen und Staatsverträge geregelt. Im Preußischen Kriegsministerium entschied die Abteilung A 1 (T), ob aus militärischen Gründen einer Anforderung der Verbündeten zu entsprechen war. In Bulgarien befand sich ein Bevollmächtigter des Kriegsministeriums beim bulgarischen Kriegsministerium, dem ein K.R.A.-Bevollmächtigter zugeteilt war. Der Einkauf von Textilien (meist Kompensationsverkehr) erfolgte durch die gemeinsame deutsch-österreichisch-ungarische Einkaufsvereinigung (Dövung). Bei der bulgarischen Gesandtschaft in Berlin bestand eine „bulgarische Einkaufskommission“. In der Türkei lag es ähnlich. Auch da bestand die Dövung, welcher andere Gesellschaften, z. B. die Deutsch-Orientalische Handelsgesellschaft m. b. H., Bremen, die in der Türkei die Wolle und Seide aufkaufte, angeschlossen waren. Die Lieferun-

Verschiedenes 

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gen Deutschlands an die Türkei gingen durch eine „Zentrale für Kriegsbedarf“ in Konstantinopel. In Finnland befand sich ein „Bevollmächtigter des Kriegsministeriums für Finnland“. In Groß-Rußland hatte das Kriegsministerium vorerst nur einen Referenten in Petersburg. Der Einkauf war dort, wie in der Ukraine, durch die „Europäische Handelsgesellschaft“ gedacht. Verkehr mit den neutralen Staaten Über die Organisation in den angrenzenden neutralen Staaten ist in Kürze folgendes zu sagen: Aus Dänemark und Norwegen kam in späteren Kriegsjahren eine Ausfuhr von Textilien nicht mehr in Frage. Es sind daher in diesem Zusammenhang nur die Schweiz, Schweden und Holland erwähnenswert. In der Schweiz und in Schweden bestanden besondere deutsche Organisationen für das Textilgebiet, die ganz verschieden aufgebaut waren. Schweiz: Mittelpunkt der Organisation war die „Militärische Handelsabteilung“ genannte Vertretung der Aus- und Einfuhr-Abteilung (A.  8) des Kriegsministeriums bei der deutschen Gesandtschaft in Bern. Daneben stand die „Zivile Handelsabteilung“ bei der Gesandtschaft als beratende Stelle des Gesandten; endlich gab es einen Vertreter des Reichskommissars für Ein- und Ausfuhr bei der Einfuhrabteilung der Gesandtschaft in Bern. Grundsätzliche Verhandlungen — es sind mit der Schweiz generelle Textilabkommen getroffen worden — wurden gemeinsam von A.  8, dem Auswärtigen Amt und dem Reichswirtschaftsamt geführt und gezeichnet; alle Einzelverhandlungen erledigte im wesentlichen die Militärische Handelsabteilung. Die Militärische Handelsabteilung hatte drei Referate für Textilindustrie: ein allgemeines Textilreferat, eine Vertretung des Bekleidungs-Beschaffungs-Amts, eine Vertretung der Reichsbekleidungsstelle. Die Militärische Handelsabteilung hatte auch die Verwaltung des bei Schweizer Lagerhaltern eingelagerten, durch Vertrag vom 15. Mai 1918 geschützten deutschen Besitzes an Textilien (ungefährer Wert 250 Mill. Mark), sowohl des Staats- als des Privateigentums, da die Eigner auf eigene Verfügungsgewalt verzichtet und ihre Verfügungsvollmacht auf die Abteilung übertragen hatten. Der Vertreter des Ein- und Ausfuhrkommissars stellte die Einfuhrbewilligungen nach Deutschland für die Waren aus, für die die Textilabteilung der Schweizer Regierung die Ausfuhrerlaubnis erteilte. Der Schweizer Regierung stand mit ähnlichen Aufgaben, wie sie die deutschen Kriegsausschüsse hatten, eine „Baumwollzentrale“ in St. Gallen zur Seite. Verkäufe an Exporteure waren in der Schweiz verboten. Schweden. Bei der Gesandtschaft in Stockholm war ein Vertreter der Abteilung A. 8 des Kriegsministeriums als Legationsrat eingegliedert. Er führte grundsätzliche Austauschverhandlungen mit Schweden. Geschäfte machte er nicht; diese vermittelte ein vom Reichsmarineamt ressortierender, aber unmittelbar mit A.  8 verkehrender Herr, dem anfangs des Krieges die „Marine-Materialien-Beschaffung und Austausch“

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

übertragen war. Er war zugleich „Textilbeauftragter“ in Stockholm. Ihm zur Seite stand ein Fachsachverständiger der Textilindustrie. Letzterer gab die Art und Menge des Bedarfs an, hatte ein Vetorecht bei Käufen, war Abnahmebeamter und wirkte bei der Verteilung der Papierfilze an die schwedische Papierindustrie mit. Dieser Fachsachverständige war vom B.B.A. gestellt. Spinnpapier kaufte die Spinnstoff-EinfuhrGesellschaft; die Zellstoffeinkäufe waren allen früher an diesem Geschäft in Schweden beteiligten deutschen Firmen freigelassen. Auf schwedischer Seite waren die Staatens Handels-Kommission (Außenhandelsamt) und die Staatens Industrie-Kommission (Innenwirtschaftsbehörde) maßgebend. Die Ausfuhrbewilligungen erfolgten im Wege von Sonderkompensationsgeschäften, z. B. Drahtseile gegen Persenningtuch, Kohle gegen Tierhaare usw. Holland. Die Verhandlungen über Flachsausfuhrbewilligungen führte die „deutsche Handelsstelle im Haag“ (dem Reichswirtschaftsamt unterstellt) und der Handelsattaché der Gesandtschaft unter Hinzuziehung von deutschen Sachverständigen. Im übrigen war jede Ausfuhr von Textilien offiziell ausgeschlossen, weil England die Zufuhr von Spinn- und Webstoffen hiervon abhängig gemacht hatte (N.O.T.-Bedingungen). Doch hat der „Beauftragte des Kriegsamts bei der Gesandtschaft im Haag“ gelegentlich die Ausfuhr von für Spinnzwecke geeignetem Torf und von Kapok herbeiführen können. Ein Waren-Kompensationsverkehr bestand nicht, da Holland die Kohlen gegen finanzielle Gegenleistungen erhielt. Innere Organisation der Spinnstoffbewirtschaftung der Verbündeten Auch diese muß mit einem Wort gestreift werden, um die Abwicklung der Geschäfte zu verstehen. In Österreich war die Kriegsrohstoffwirtschaft nicht im selben Sinne militärisch aufgebaut wie in Deutschland. Die Industrien waren — getrennt für Österreich und Ungarn — zu Rohstoffzentralen zusammengefaßt, die keine Kriegsgesellschaften waren, sondern mehr den Charakter von Zwangssyndikaten trugen. Sie waren den Handelsministerien nachgeordnet. Sie überwölbte ein Syndikat der österreichischungarischen Rohstoffzentralen. Solche Rohstoffzentralen gab es getrennt für die Woll-, Baumwoll-, Leinen-, Hanf-, Jute- und Seidenindustrie. Sie hatten bei Bestandserhebungen, Verteilung und Verwertung der Rohstoffe, bei Preisfestsetzungen sowie bei Ein- und Ausfuhrangelegenheiten mitzuwirken. Kommissare der Behörden in den Rohstoffzentralen hatten das Recht, alle Beschlüsse bis zur Entscheidung des Handelsministers aufzuschieben. Die Wollzentrale in Wien, als älteste der Spinnstoffzentralen, bestand seit Anfang 1915. Sie war als Aktiengesellschaft mit 4  Mill. Kronen Kapital gegründet worden. Besonderheiten und Einzelheiten für Textilien im Rahmen der geschilderten Gesamtorganisationen In den angedeuteten Rahmen gliederten sich nun einige Einzelorganisationen von besonderer Bedeutung für die Spinn- und Webstoffe ein. Zunächst die Flachsbü-

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ros in Belgien, sodann die militärischen Textil-Beschaffungsämter in Gent, Brüssel, Lodz und Rumänien. Der Aufbau der Flachsbüros, die die Aufgabe hatten, den Flachsanbau und die Ausarbeitung der Faser zu fördern und sie für den deutschen Bedarf aufzukaufen, war folgender: Sie lagen im Operationsgebiet bzw. im Etappengebiet der IV. Armee; am Sitz des A.O.K. in Gent befand sich eine Flachsabrechnungsstelle; in Lokeren bei Gent und in Kortryk Flachsbüros. Die drei Stellen waren militärisch zusammengestellt. Der Genter Stelle war ein Zivilsachverständiger zugeteilt, der seine Weisungen von der Leinengarn-Abrechnungsstelle, Abteilung Flachs, erhielt, aber zugleich Mitglied des Wirtschaftsausschusses der IV.  Armee war und dessen Weisungen zu folgen hatte. Die Textil-Beschaffungsämter waren militärisch den an Ort und Stelle die Befehlsgewalt ausübenden Stellen unterstellt, im übrigen dem B.B.A. nachgeordnet, so daß sie ihre sachlichen Weisungen vom B.B.A. bzw. der K.R.A. erhielten (vgl. Organisation des B.B.A.). Zeitweise kaufte für das B.B.A. auch das Belgische Rote Kreuz in Brüssel Fertigbestände ein. Die militärischen Textil-Beschaffungsämter überwachten die auf Anregung der K.R.A. zur Beschäftigung zugelassenen Textilbetriebe, z. B. in Belgien einige Lumpenreißereien. Den Textil-Beschaffungsämtern waren auch die einzelnen Einkaufsstellen der Kriegsrohstoffgesellschaften nachgeordnet. Die Z.E.G. war auf Wunsch der Verwaltung in Belgien an den Spinn- und Webwarenaufkäufen und der Bewirtschaftung beteiligt, z. B. an Seilerwaren in ihrer Abteilung Bindegarn. Alle wichtigen Kriegsrohstoffe — außer kleinen Mengen für den persönlichen Bedarf — waren in den Generalgouvernements meldepflichtig. Beispiele von Einkaufsstellen der Kriegsrohstoffgesellschaften in den Generalgouvernements waren: die Einkaufsstelle Warschau der Kriegswollbedarf-A.-G.; die Einkaufsstelle Warschau, Abteilung Lodz, der Kriegswollbedarf-A.-G.; die Einkaufsstelle Warschau der Vereinigung des Wollhandels; die Einkaufsstelle Brüssel der Kriegswollbedarf-A.-G. In den Anfängen der Bewirtschaftung der besetzten Gebiete im Osten hatte man der Wareneinfuhr-G. m. b. H. Posen, der Ostpreußischen Landgesellschaft, Königsberg, und der Westpreußischen Landgesellschaft auf den Spinnstoff- und auf anderen Gebieten gewisse Monopoleinkaufsrechte übertragen, die aber später abgelöst worden sind.

Skizze der Kriegsbewirtschaftung des bürgerlichen Bedarfes Während alle Spinnrohstoffe, Garne und die heeresbrauchbaren Gewebe von der Heeresverwaltung beschlagnahmt waren, erstreckte sich die Aufgabe der Organisationen für den Bedarf der bürgerlichen Bevölkerung auf die Verwaltung der nicht heeresbrauchbaren Fertigbestände im Inland, auf die Einfuhr von nicht heeresbrauchbaren Stoffen aus dem Ausland und aus den besetzten Gebieten, sowie auf die Förderung von Neuanfertigungen aus freien Ersatzspinnstoffen.

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

In Betracht kamen vier Organisationen: A. der Reichskommissar für Ein- und Ausfuhr; B. die Reichsbekleidungsstelle; C. die Reichssackstelle; D. die Riemen-Freigabe-Stelle. Die drei ersten wurden von Reichskommissaren geleitet; alle unterstanden dem Reichswirtschaftsamt (ursprünglich Reichsamt des Innern); B, C und D befanden sich aber zugleich in einer gewissen Abhängigkeit von der Heeresverwaltung (K.R.A.), da sie bei der Abgrenzung der Heeresbrauchbarkeit der Bestände und bei Zuweisung von beschlagnahmten Spinnstoffen zur Linderung von Notständen auf die Heeresverwaltung angewiesen waren. Die Heeresverwaltung war entsprechend durch Kommissare bei den genannten Stellen vertreten.

A. Der Reichskommissar für Ein- und Ausfuhr, Berlin

(dem Reichswirtschaftsamt nachgeordnet)

1. Ausfuhr aus inländischem Handel. Es bestanden besondere dem Reichskommissar unterstellte „Zentralstellen für fachmännische Vorprüfung von Ausfuhrbewilligungsanträgen“. Für das Spinn- und Webstoffgewerbe waren von Bedeutung: a) Zentralstelle für Ausfuhrbewilligungen für Wollgewebe (seit 19. Juli 1915); b) Zentralstelle für Ausfuhrbewilligungen für Leitung und PersoWäscheindustrie, Putzwaren und verwandte nal das gleiche Gewerbe; c) Zentralstelle für Ausfuhrbewilligungen von Wollgarnen; d) Zentralstelle für Ausfuhrbewilligungen für die Leinenindustrie; e) Zentralstelle für Ausfuhrbewilligungen für Wirkwaren, auch Möbel- und Wandbekleidungsstoffe; f) Zentralstelle für Ausfuhrbewilligungen für weibliche Oberkleidung; g) Zentralstelle für Ausfuhrbewilligungen für Samt-, Seide- und Kurzwaren: h) Zentralstelle für Ausfuhrbewilligungen für Papiergarnerzeugnisse. (Eine Zentralstelle für Ausfuhrbewilligungen für Männer- und Knabenoberkleidung war wieder aufgelöst worden.) 2. Ein- und Wiederausfuhrverfahren. Es bestanden für Spinn- und Webstoffe: a) Ein- und Ausfuhrprüfungsstelle für die Textilindustrie; b) Ein- und Ausfuhrprüfungsstelle für den Textilhandel. Diese Stellen führten Konten über die zu Veredelungszwecken aus dem Ausland eingeführten Waren, die konfektioniert oder unkonfektioniert nach einer

}

Verschiedenes 

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bestimmten Zeit wieder ausgeführt sein mußten, und überwachten die Devisenabgabe. 3. Zur Prüfung von Einfuhranträgen gab es endlich einen Hilfsausschuß für Einfuhrbewilligungen von Rohseiden in Krefeld, der seit Sperrung der Rohseideausfuhr aus der Schweiz zwar noch formell bestand, aber nichts mehr zu tun hatte.

B. Die Reichsbekleidungsstelle und die Kriegswirtschaft-A.G., Berlin Die Reichsbekleidungsstelle (Reichsstelle für bürgerliche Kleidung) hatte mit Ausnahme von Säcken und Textilriemen den ganzen Bedarf an Webstoffen und fertigen Kleidern der bürgerlichen Bevölkerung zu bewirtschaften. Sie war durch Bundesratsverordnung am 10.  Juni 1916 gegründet worden. Reichskommissar für bürgerliche Kleidung (zuletzt übrigens zugleich für Faßbewirtschaftung) war der frühere Oberbürgermeister von Dresden, Geh. Rat Dr. Beutler; sein erster Vertreter und späterer Nachfolger war Stadtrat Dr. Temper, sein zweiter Oberregierungsrat Dr. Haselau. Die Reichsbekleidungsstelle erhielt zunächst die Aufgabe, den Vorrat an Web-, Wirk- und Strickwaren, soweit er nicht von der Heeres- und Marineverwaltung bewirtschaftet würde, zu bewirtschaften und nötigenfalls mit der Heeresverwaltung betreffs Freigabe nicht heeresverwendbarer Webstoffe in Verbindung zu treten. Am 22.  Mai 1917 wurden die Rechte der Reichsbekleidungsstelle entscheidend erweitert und sie ermächtigt, die im Deutschen Reiche vorhandenen Web-, Wirk- und Strickwaren und deren Ersatzstoffe für den Bedarf der bürgerlichen Bevölkerung in Anspruch zu nehmen und die zur Durchführung nötigen Verbrauchs- und Herstellungsregelungen, Bestandsaufnahmen, Beschlagnahmen und Enteignungen zu verfügen. Das Hauptmittel der Bewirtschaftung wurde das Bezugsscheinverfahren; die Durchführung im einzelnen legte man den Kommunalverbänden auf. An besonderen Aufgaben erhielt die Reichsbekleidungsstelle die Pflicht der Deckung des Bedarfs der öffentlichen Anstalten (Zivilkrankenhäuser, Stifte, Behörden). Die damit befaßte „Abteilung für Anstaltsversorgung“ wurde von der Heeresverwaltung wie eine zentrale Webstoffbeschaffungsstelle des Heeres behandelt. Später erhielt die Reichsbekleidungsstelle auch die Versorgung der Heimarmee (Hilfsdienstpflichtige und Rüstungsarbeiter). Die Reichsbekleidungsstelle zerfiel in eine Verwaltungsabteilung und eine Geschäftsabteilung. Letztere war die am 27. Januar 1915 vom Kriegsministerium (B.D., Zentrale für Kriegsbeute) errichtete, später erweiterte Kriegswirtschafts-AktienGesellschaft. Aus ihrer Vergangenheit erklärte sich, daß die Kriegswirtschafts-A.-G. außer Webstoffen auch andere Gegenstände, z.  B. Leergut (Fässer, Flaschen usw.), bewirtschaftete, und daß sie außer der Verwaltungsabteilung der Reichsbekleidungsstelle auch dem Kriegsministerium unterstand. Die Gesellschaft hatte ein Grundkapital von 16 Mill. Mark, von dem über 10 Mill. die Zentralbehörden, 2,5 die Städte und 2,8 Handel und Industrie gezeichnet hatten. 1918 rief die Reichsbekleidungsstelle eine

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

„Faserstoff-Vertriebs-Gesellschaft“ in Fühlung mit einem Konzern der Papierspinnerei-Interessenten ins Leben, welche die Einführung von Papiergeweben als Ersatz für die beschlagnahmten Vorhänge betreiben sollte. Die Reichsbekleidungsstelle gliederte sich nach dem Stand vom 1.  August 1918 wie folgt: Hauptabteilung  I: A.  Allgemeine Abteilung; E.  Ersatzabteilung; H.  Heimarmee-Abteilung; J.  Kommunalabteilung (Versorgung entlassener Mannschaften und Notstandsbelieferungen der Gemeinden); L. Abteilung für Aus- und Einfuhr (auch Modeangelegenheiten); N. Abteilung für Übergangswirtschaft. Hauptabteilung II: A.  I.  Bezugsscheinverfahren; A.  II.  Personal und Organisationsabteilung; B.  Abteilung für Anstaltsversorgung; C.  Abteilung für Uniformstoffe; D.  Auskunftsabteilung; F.  Volkswirtschaftliche Abteilung; P.  Presseabteilung; K.  Überwachungsabteilung (Einhalten aller Vorschriften der Reichsbekleidungsstelle durch den Handel); M.  Altbekleidungsabteilung (Aufsicht über die Altkleiderbewirtschaftung der Gemeinden); O. Garnabteilung (Verteilung von Nähgarn, Stopfgarn usw.); P. Vorhangabteilung (Beschlagnahme und Enteignung der Vorhänge); R. Reichskleiderlager (Verwaltung der eigenen Lager der Reichsbekleidungsstelle). Die Personal- und Organisationsabteilung, die volkswirtschaftliche, die Presseabteilung und auch die Poststelle und Drucksachenverwaltung bestanden in Gemeinschaft mit der Reichsfaßstelle, die sich aus der Leergutsverwaltung heraus entwickelt hatte. Die Reichsbekleidungsstelle und die Kriegswirtschafts-A.-G. besaßen folgende Hauptverwaltungsorgane, Beiräte und Ausschüsse: a) Reichsbekleidungsstelle: den Reichskommissar als obersten verantwortlichen Leiter des Ganzen; den Vorstand: Reichskommissar, 2 Vertreter desselben, 8 Abteilungsleiter der Reichsbekleidungsstelle und 2 Direktoren der Kriegswirtschafts-A.-G.; einen Beirat aus Regierungsvertretern, Vertretern der Städte, der Industrie, der Landwirtschaft, des Handels und der Verbraucher; einen Ausschuß der Abteilung für Anstaltsversorgung; einen Ersatzstoffausschuß; einen Ausschuß für Aus- und Einfuhr; einen Altbekleidungsausschuß. b) Kriegseirtschafts-A.-G.: den Vorstand: 6  Mitglieder, darunter 3  Beamte der Verwaltungsabteilung; den Aufsichtsrat: Vorsitzender der Reichskommissar für bürgerliche Kleidung und 28 Mitglieder; den Arbeitsausschuß: Vorsitzender der Reichskommissar. Die Reichsbekleidungsstelle, Verwaltungsabteilung, hatte am 1.  August 1918 336 weibliche und 178 männliche Angestellte. Die Kriegswirtschafts-A.-G. hatte zu gleicher Zeit 414 männliche und 860 weibliche Angestellte, außerdem 107 Boten und Botinnen. Die Reichsbekleidungsstelle und die Kriegswirtschafts-A.-G. besaßen eigene Lager und Geschäftsstellen im besetzten Gebiet (z. B. Lodz und Brüssel), Einkäufer

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bzw. Sachverständige im neutralen Ausland (z.  B. in Bern). (Betreffs gemeinsamer Einkäufe vgl. auch das Bekleidungs-Beschaffungs-Amt). Unter Mitwirkung der Reichsbekleidungsstelle war die Faserstoff-VertriebsGesellschaft  m.  b.  H. für die Lieferung von Papiergeweben im Austausch gegen die beschlagnahmten Vorhänge errichtet worden; sie unterstand aber nicht dem Reichswirtschaftsamt, sondern hatte sich nur vom Reichskommissar für bürgerliche Kleidung einen Kommissar bestellen lassen (den Leiter der Ersatzstoffabteilung der Reichsbekleidungsstelle). Im Aufsichtsrat der Gesellschaft waren neben Interessenten vertreten: der Leinen-Kriegsausschuß, der Baumwoll-Kriegsausschuß, der Kriegsausschuß für Textilersatzstoffe und die Kriegswirtschafts-A.-G. Die Gesellschaft hatte die Verzinsung ihres Kapitals auf 5 % beschränkt und sich verpflichtet, darüber hinausgehende Gewinne an das Reich abzuführen. Das Kapital von 3 Mill. Mark war von der Dresdner und Deutschen Bank zu gleichen Teilen gezeichnet worden. Die Gesellschaft nahm Mitte 1918 ihren Betrieb auf. Zu den genannten Zentralorganisationen der Reichsbekleidungsstelle traten für die Verwaltung des Bekleidungsbedarfs der bürgerlichen Bevölkerung die zahlreichen örtlichen Verwaltungsstellen der mit der Durchführung im einzelnen betrauten Gemeindeverbände. In Betracht kamen hauptsächlich die Bezugsscheinausgabestellen und die Altkleidersammelstellen. Bei den letzteren handelte es sich oft um große Organisationen. Beispielsweise beschäftigte Mitte 1918 die im März 1917 gegründete Berliner Kleiderverwertungs-G. m. b. H. (für Groß-Berlin) 785 gewerbliche und kaufmännische Angestellte und hatte im ersten Jahr einen Umsatz von annähernd 3 Mill. Mark. An Bezugsscheinausgabestellen besaß Berlin allein annähernd 100.

C. Die Reichssackstellc, Berlin Sie war durch Bekanntmachung des Bundesrats vom 27.  Juli 1916 zum 1.  August 1916 ins Leben gerufen worden. Reichskommissar war Eisenbahn-Direktions-Präsident a. D. Pedell. Die Aufgabe der Reichssackstelle war die Sicherstellung des gesamten Bedarfs der Zivilbevölkerung an Säcken aus den vorhandenen Beständen, ferner Aufkauf von Säcken im neutralen Ausland und in den besetzten Gebieten. Auch der Verkehr mit Leihsäcken war ihrer Kontrolle unterworfen. Die Reichssackstelle teilte sich in eine Verwaltungs- und eine Geschäftsabteilung. Die Verwaltungsabteilung war eine Behörde; sie bestand aus einem Vorsitzenden, einem stellvertretenden Vorsitzenden und einer vom Reichskanzler ernannten bestimmten Anzahl von Mitgliedern. Der Verwaltungsabteilung war ferner ein Beirat beigegeben, dessen Mitglieder vom Reichskanzler ernannt wurden. Die Geschäftsabteilung war eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Sie wurde durch Beschluß der Gesellschafterversammlung vom 19. September 1916 mit 3  Mill. Mark Stammkapital errichtet. Vom Stammkapital hatten Reich und Bundesstaaten 1,6, die Händler 0,6, die Hersteller 0,4, die Verbraucher 0,4 Mill. Mark gezeichnet. Die Zahl der Gesellschafter betrug 33. Sie war eine gemeinnützige Gesellschaft,

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

deren Dividenden sich auf 5 % beschränkten. Sie trug die Geschäftskosten der Reichssackstelle; etwaige Überschüsse bei der Auflösung sollten der Reichskasse zufließen. Die Organe der Gesellschaft waren: die Geschäftsführung, der Aufsichtsrat, die Gesellschafterversammlung. Der Aufsichtsrat bestand aus dem Vorsitzenden der Verwaltungsabteilung der Reichssackstelle und aus 18 Mitgliedern, von denen 11 auf Vertreter Preußens und der Bundesstaaten fielen, die vom Reichskanzler ernannt wurden, während die übrigen durch die Gesellschafterversammlung gewählt wurden. Das Geschäftsjahr lief vom 1. Juli. Außer den beiden Geschäftsführern beschäftigte die Geschäftsabteilung am 1. August 1918 rund 120 Angestellte. Es bestand eine Abnehmergesellschaft für die Reichssackstelle, Berlin.

D. Riemen-Freigabe-Stelle, R.F.St. (450 Personen),24 Berlin Entstehung und Zusammensetzung. Im Juni 1916 beantragte die für Leder zuständige Sektion der K.R.A. die Errichtung einer Stelle zur Gesamtbewirtschaftung des Treibriemengebiets. Die grundlegenden Verhandlungen fanden am 29. Juli 1916 statt. Vom 1. September 1916 ab begann die R.F.St. ihre Tätigkeit nach außen. Leiter: Bergassessor a. D. Direktor Hupfeld. Umfang. In den besetzten Gebieten bestanden den dortigen Kommandobehörden oder Generalgouvernements unterstellte, aber unmittelbar mit der R.F.St. verkehrende Treibriemensammellager und örtliche Riemenfreigabestellen (z. B. Charleroi, Brüssel, Warschau, Bukarest), ferner ein eigenes Lager der R.F.St. in Kowno (2 bis 3 Angestellte). Ferner waren zahlreiche Ausbesserungslager (rund 100) eingerichtet worden. Aufgaben. Die Aufgaben waren: Regelung der Herstellung und des Verbrauchs von Treibriemen. Die seitens der K.R.A. freigegebenen Spinnstoffe für Riemen wurden nur für die technisch unentbehrlichsten Zwecke verwendet: die Herstellung neuer Textilriemen war auf rund 15 Betriebe beschränkt. Die Verwendung von Papierriemen wurde gefördert. Begutachtung der Ein- und Ausfuhr von Riemen sowie die Mobilmachung der Treibriemenbestände gehörten ebenfalls zu den Aufgaben der R.F.St. Ausschüsse, Kommissionen usw. Ein Beirat (Sachverständigenausschuß) von 13 Mitgliedern stand der R.F.St. zur Seite, ferner ein Hilfsausschuß. Zur Vorprüfung der Anträge um Freigabe von Riemen seitens der Industrie waren teils örtlich begrenzte, teils nach Industriegruppen unterteilte Beratungsstellen und Großverbrauchergruppen errichtet. Ferner war die Mitte 1916 gegründete, dem Verein deutscher Maschinenbauanstalten angeschlossene Riemenersatz-Prüfstelle in Charlottenburg (ursprünglich „Beratungsstelle für Textilstoffe in Maschinenbetrieben“) der R.F.St. angegliedert worden.

24 Davon entfielen rund 350 auf die Bewirtschaftung von Leder- und 100 auf die von Spinnstoffriemen.

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Bemerkungen. Die R.F.St. war zunächst gedacht als eine „Behörde zur hilfsweisen Erledigung von Aufgaben des Reichsamts des Innern“ (später Reichswirtschaftsamts). Durch Bundesratsverordnung und Reichskanzlerbekanntmachung vom 17. Januar 1918 wurde die Herstellung und der Verbrauch von Riemen ganz allgemein der Genehmigung der R.F.St. unterstellt. Sachlich unterstand die R.F.St. zugleich der K.R.A., die neben dem Reichswirtschaftsamt durch einen Kommissar vertreten war. In den vorangehenden Aufstellungen nicht näher beschriebene einzelne private, halbamtliche und amtliche Stellen mit einzelnen Beziehungen zur Kriegsbewirtschaftung der Spinn- und Webstoffe. 1. Reichskommissar für Kohlenverteilung; anfänglich dem Kriegsamt angegliedert (laut Bekanntmachung vom 28. Februar 1917); zur Herbeiführung der Kohlenbelieferungen der Rüstungsindustrie war ein Verbindungsoffizier der K.R.A. in dauernder Fühlung mit dem Reichskommissar. 2. Zentralstelle für Sodaverteilung mit Soda-Anforderungsstelle für die Textilindustrie. 3. Kriegsausschuß für pflanzliche und tierische Öle und Fette G. m. b. H., mit Verteilungsstelle für die Textilindustrie (der Kriegsausschuß war auch an der Frage des Hanf- und Flachsanbaus wegen der Ölsaaten beteiligt): a) b)

Verband der Seidenwebereien Düsseldorf Verband der Seidenfärbereien Krefeld

}

Verteilung von Textilseife im Auftrag des Kriegsausschusses für Öle und Fette.

4. Zentral-Einkaufs-G. m. b. H. (war im Generalgouvernement Belgien am Einkauf und an der Bewirtschaftung von Spinnstoffen, z. B. Bindegarn, beteiligt). 5. Reichskommissariat für Übergangswirtschaft; dieses war seit der Errichtung des Reichswirtschaftsamts in diesem aufgegangen. 6. Kriegswucheramt, Berlin (angeschlossen Hessen, Mecklenburg-Schwerin, Oldenburg, Braunschweig, Sachsen-Altenburg, Anhalt, Schwarzburg-Rudolstadt, Reuß, Bremen, Lübeck, Elsaß-Lothringen). 7. Kriegswucherämter Bayerns, Sachsens, Württembergs und Badens. 8. Zentralstelle für Anstellung bei Kriegsorganisationen, Berlin (Arbeitsvermittlung für stellenlos gewordene Kaufleute usw.). 9. Feuerversicherungsstelle der Kriegsgesellschaften, Berlin. 10. Beratungsstellen der Metallfreigabestelle: a) Verband der Seidenfärbereien, E. V., Krefeld, als Verteilungsstelle für Chlorzinn und als Metallberatungsstelle für die Seidenfärbereien; b) Verein deutscher Zellstoffabrikanten, Charlottenburg; c) Vermittlungsstelle für den Metallbedarf der Papier- und Pappfabriken, Seehof bei Teltow. 11. Kriegsausschuß für Sammel- und Helferdienst, Berlin.

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 Amtlicher Verwaltungsaufbau nach dem Stande vom 1. August 1918

12. Kriegsausschuß der deutschen Industrie, Berlin (Mitwirkung bei Zusammenlegung der Betriebe usw.). 13. Kriegsausschuß der sächsischen Industrie, Dresden. 14. Kriegsausschuß für Truppenbedürfnisse, Dresden. 15. Landesbehörde für Stoffeinkaufsbewilligungen, Karlsruhe. 16. Hessische Verteilungsstelle für Heereslieferungen, Mainz. 17. Vermittlungsstelle für Heereslieferungen für das Herzogtum Braunschweig, Braunschweig. 18. Thüringische Kommission für Verteilung von Heereslieferungen, Weimar. 19. Vermittlungsstelle für Heereslieferungen für das Fürstentum Lippe-Detmold. 20. Vermittlungsstelle für Heereslieferungen bei der Handelskammer Offenbach a. M. 21. Verteilungsstelle für Wirkwaren, Berlin (Vertrauensmann des Vereins Deutscher Wirkwaren E. V.) errichtet zum Verkehr Zentralstelle für Wirkgarne mit KriegsgesellschafKriegseinkaufszentrale deutscher Wäschefabriten. kanten, Berlin.

}

Nachwort

zu Kapitel VI (statt eines Vorwortes) Die Abhandlung will das Preis- und Gewinnproblem des Krieges an dem Beispiel der Textilwirtschaft zeigen. Im Mittelpunkt steht der Unternehmer — aber nicht der verdienstvolle, aufbauende, Neuwert schaffende, sondern der eigennützige, preistreibende, gewinnsüchtige Unternehmer. Hier das Negative, welches das Positive voraussetzt. Aufgabe der wahrheitsforschenden Wissenschaft ist es, auch die negative Seite der Dinge kritisch zu prüfen. Die Träger der Preis- und Gewinnpolitik im Kriege sind Staat und Unternehmer. Die Kenntnis ihres Handelns ist wichtig auch noch nach Kriegsende, da eine mehr oder weniger „organisatorische“ Wirtschaft fortbesteht. Der Verlauf der Kriegspreispolitik wäre ein ganz anderer gewesen, wenn der Staat mit der Psychologie des Unternehmers besser vertraut gewesen wäre. Der Staat hat sich immer von der Rücksichtnahme auf die anständigen Unternehmer leiten lassen, auch dann noch, als diese immer seltener wurden. In der Absicht des Lernenwollens aus den Fehlern der Vergangenheit ist die ganze Abhandlung geschrieben. Jede Rücksichtnahme mußte das Bild trüben, die Erkenntnis mindern. Die Erkenntnismöglichkeit in diesem Kriege aber war groß, größer als vielleicht je zuvor. Ein Teil dessen, was gesagt ist, war zweifellos schon im Kriege zu erkennen, ohne daß die Übelstände beseitigt worden wären, ein anderer Teil läßt sich erst jetzt, mit historischem Blick, erkennen. In diesem Falle besteht für den Darsteller die Gefahr, dem Staat mangelnde Erkenntnis vorzuwerfen für eine Zeit, als die Erkenntnis sich

Nachwort 

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noch nicht so aufdrängte wie nach abgeschlossener Handlung. Der Darsteller bei Kriegsende hat erst den notwendigen Abstand, er weiß aus den gemachten Erfahrungen Nutzen zu ziehen, er wird nicht gedrängt durch dringliche Kriegsgeschäfte und hat ein geschlossenes Ganzes vor sich. Gefahren für den Darsteller bestehen also. Sie bestehen für diese Abhandlung jedoch nicht dort, wo der Darsteller die darzustellende Zeit beobachtend miterlebt hat, das Material noch vor dem Abschluß der Gesamthandlung gesammelt, zum Teil gleichzeitig mit der dargestellten Einzelhandlung selbst, zum Teil auch die Abhandlung noch im Kriege selbst geschrieben hat. Darin liegt ein Vorteil. Gewisse Fragen sind weniger eingehend behandelt, weil sie schon anderwärts eingehend erörtert worden sind, wie das Kettenhandelsproblem und die Arten der Preise. Ein bewußter Mangel der vorliegenden Untersuchungen ist, daß die Frage der Geldflüssigkeit im Zusammenhang mit der Preis- und Gewinnfrage nur gestreift werden konnte. Dieser Mangel wird erst nach Erscheinen des allgemeinen Teiles des Gesamtwerks beseitigt werden. Auf dem Gebiete der Organisation der Textilwirtschaft hat Hauptmann d. L. Professor Niemer, technischer Berater des Bekleidungs-Beschaffungs-Amtes, schon frühzeitig beachtenswerte Vorschläge gemacht. Für seine Auskünfte ist der Verfasser zu besonderem Dank verpflichtet. Die Terminologie der vorliegenden Abhandlung ist meist die in der Wirtschaftslehre übliche. Einige neue Begriffe sind jedoch eingeführt. Die Bezeichnungen „Kriegswirtschaft“, „kriegswirtschaftlich“ erwiesen sich in manchen Fällen als nicht brauchbar. Die Bezeichnung „Notwirtschaft“ als Ersatz kann irreführen. Die ungewohnte Bezeichnung „Mangelwirtschaft“ dürfte am genauesten sein und ist deshalb gewählt worden. Die Bezeichnungen „Vollbeschlagnahme“, „Teilbeschlagnahme“ und „Gesamtbeschlagnahme“ sind ebenfalls neu eingeführt und an den betreffenden Stellen näher erläutert. „Verfügungsmenge“ ist in Erweiterung von Vorrat gebraucht, also unter Einschluß der z. B. auch im Ausland verfügbaren Mengen. R . Schlösser.

Marcel Boldorf, Rainer Haus (Hrsg.) Die Ökonomie des Ersten Weltkriegs im Lichte der zeitgenössischen Kritik

Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918

Drei Studien der Wissenschaftlichen Kommission des Preußischen Kriegsministeriums und ein Kommentarband Herausgegeben von Marcel Boldorf und Rainer Haus

Band 4

Die Ökonomie des Ersten Weltkriegs im Lichte der zeitgenössischen Kritik

Herausgegeben von Marcel Boldorf und Rainer Haus

ISBN 978-3-11-044828-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-045112-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-044859-7 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Titelbild: Porträt Max Sering (Privatarchiv Dr. Wolf von Tirpitz) Satz: Michael Peschke, Berlin Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Gerd Hardach Einleitung   1 Rainer Haus Die Ergebnisse der Wissenschaftlichen Kommission beim Preußischen Kriegsministerium im Spannungsfeld divergierender Interessen Eine hundertjährige Editionsgeschichte   13 Marcel Boldorf Wirtschaftliche Organisation und Ordnungspolitik im Ersten Weltkrieg  Markus Pöhlmann Waffen- und Munitionswesen Eine kritische Einleitung in das Werk von Robert Weyrauch 

 139

 174

Rainer Haus „Die deutsche Eisenwirtschaft während des Krieges“ von Alfred Stellwaag Ein Standardwerk zur Eisen- und Stahlindustrie des Ersten Weltkriegs   193 Uwe Balder Spinnstoffwirtschaft im Ersten Weltkrieg Zum Hintergrund der Studie Otto Goebels   246

Abbildungsverzeichnis 

 247

Tabellenverzeichnis 

Literatur- und Quellenverzeichnis  Personenregister 

 261

Ortsregister 

 264

Sachregister 

 266

Die Autoren 

 272

 249

 222

Gerd Hardach

Einleitung 1 Der Erste Weltkrieg als Wirtschaftskrieg Der Erste Weltkrieg war nicht nur ein militärischer Konflikt, sondern auch ein Wirtschaftskrieg. In allen kriegführenden Staaten wurden Massenheere mobilisiert, Arbeitskräfte und materielle Ressourcen von der Friedensproduktion in die Rüstungsproduktion gelenkt und umfangreiche Planungssysteme eingerichtet, um die Produktion und Verteilung von Gütern zu organisieren. Die alliierte Blockadepolitik und der von Deutschland geführte U-Boot-Krieg sollten die Gegner wirtschaftlich isolieren und damit militärisch schwächen. Entscheidend für den Kriegsausgang war letztlich nicht eine besonders geschickte Strategie, sondern die überlegene Wirtschaftsmacht der Alliierten, die mehr Soldaten mobilisieren und mehr Waffen, Munition, Lebensmittel und andere kriegswichtige Produkte herstellen konnten als die Mittelmächte. Drei umfangreiche Bände zur deutschen Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg, die erstmals 1922 veröffentlicht werden sollten, aber nur in wenigen Exemplaren erhalten sind, werden nunmehr in einer neuen kommentierten Ausgabe vorgelegt, die Monographien von Robert Weyrauch über die Rüstungsindustrie, Alfred Stellwaag über die Eisen- und Stahlindustrie und Otto Goebel über die Textilindustrie.1 Die folgenden Bemerkungen sollen diese Arbeiten in die Forschung zur Wirtschaftsgeschichte des Ersten Weltkriegs einordnen.

2 Die frühen Projekte zur Wirtschaftsgeschichte des Weltkriegs Die ersten Untersuchungen zur deutschen Kriegswirtschaft gingen aus öffentlichen Aufträgen hervor. Den Anstoß für die nunmehr neu aufgelegten Bände von Weyrauch, Stellwaag und Goebel gab das Preußische Kriegsministerium, das im Herbst 1915 eine Wissenschaftliche Kommission unter der Leitung von Max Sering beauftragte, die „wirtschaftlichen Maßnahmen des Kriegsministeriums“ darzustellen und zu bewerten. Der ursprünglich geplante begrenzte Krieg hatte sich zu dieser Zeit bereits ungeheuer ausgeweitet, und das Preußische Kriegsministerium, die zentrale Institution 1 Robert Weyrauch, Waffen- und Munitionswesen. (Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918, Bd. 1) Berlin/Boston 2016; Alfred Stellwaag, Die deutsche Eisenwirtschaft während des Krieges. (Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918, Bd. 2) Berlin/Boston 2016; Otto Goebel, Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe. (Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918, Bd. 3) Berlin/Boston 2016.

2 

 Gerd Hardach

der deutschen Rüstungspolitik, hatte eine umfassende industrielle Mobilisierung zu organisieren. Auf diese Situation war man nicht vorbereitet. Vieles musste in Eile improvisiert werden, und das Kriegsministerium wollte im Rückblick die Entscheidungen nachvollziehen und bewerten, um daraus Konsequenzen für die weitere Politik zu ziehen. Die Kommission machte sich mit wissenschaftlicher Gründlichkeit ans Werk. Am Ende des Krieges lagen noch keine Ergebnisse vor. Einzelne Kommissionmitglieder führten ihre Arbeiten nunmehr als individuelle Forschungsprojekte weiter. Von den ursprünglich geplanten acht Bänden wurden aber nur drei Bände abgeschlossen. Sie wurden 1922 vom Verlag De Gruyter gedruckt. Mehrere Reichsministerien erhoben jedoch Einspruch gegen die Publikation. Es wurde befürchtet, dass die Öffentlichkeit im Inland und vor allem im Ausland zu viele Einzelheiten über die deutsche Kriegswirtschaft erfuhr. Die bereits gedruckten Bände wurden daher mit wenigen Ausnahmen eingezogen und vernichtet.2 Einzelne Exemplare sind aber erhalten geblieben. In den Monographien von Robert Weyrauch, Alfred Stellwaag und Otto Goebel werden für drei Bereiche der Kriegswirtschaft, die Rüstungsindustrie, die Eisen- und Stahlindustrie sowie die Textilwirtschaft, die wirtschaftspolitischen Lenkungsmaßnahmen und die wirtschaftlichen Verhältnisse umfassend und detailliert dargestellt. Die Autoren geben kaum Quellen an. Sie waren aber Experten auf ihren Gebieten und gut informiert. Während des Krieges hatten sie als Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission des Preußischen Kriegsministeriums Zugang zu amtlichen Dokumenten, und sie erhielten sowohl von staatlichen Stellen als auch aus den Unternehmen umfangreiche Auskünfte. Manche Informationen, Interpretationen und Bewertungen sind durch die spätere Forschung korrigiert worden. Aber aufgrund der unmittelbaren Kenntnisse der Autoren und der sehr ausführlichen Darstellung vermitteln die Bände nach wie vor wichtige Informationen zur Wirtschaftsgeschichte des Ersten Weltkriegs. Unabhängig von den Arbeiten der ehemaligen Kommissionsmitglieder des Preußischen Kriegsministeriums plante das Reichsarchiv in den 1920er Jahren eine umfangreiche Schriftenreihe zur Geschichte des Ersten Weltkriegs. Das Ziel war eine militärische Geschichte des Krieges, aber es waren auch Sonderbände zu wirtschaftlichen Themen vorgesehen.3 Ein erster Sonderband mit einer Darstellung der wirtschaftlichen Kriegsvorbereitungen von der Reichsgründung bis zum Beginn des

2 Rainer Haus, Die Ergebnisse der Wissenschaftlichen Kommission beim Preußischen Kriegsministerium im Spannungsfeld divergierender Interessen. Eine hundertjährige Editionsgeschichte, in: Marcel Boldorf/Rainer Haus: Die Ökonomie des Ersten Weltkriegs im Lichte der zeitgenössischen Kritik. (Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918, Bd. 4) Berlin/Boston 2016, S. 13–138. 3 Markus Pöhlmann, Kriegsgeschichte und Geschichtspolitik: Der Erste Weltkrieg. Die amtliche deutsche Militärgeschichtsschreibung 1914–1956. Paderborn 2002, S. 353–355.

Einleitung 

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Weltkriegs sowie ein Anlagenband mit Dokumenten wurden 1930 veröffentlicht.4 Von einem offiziellen Werk aus dieser Zeit darf man keine kritische Darstellung erwarten. Durch die vielen Informationen sowohl in der Darstellung als auch in dem Anlagenband ist die Veröffentlichung des Reichsarchivs jedoch bis heute für die Forschung relevant, zumal viele damals noch zugängliche Dokumente inzwischen verlorengegangen sind. Von den Vorarbeiten für diesen Band ist ein Beitrag von Hermann Pantlen, einem Mitarbeiter des Reichsarchivs, über die Vorgeschichte der finanziellen Mobilmachung erhalten.5 Weitere Bände zur Kriegswirtschaft wurden nicht mehr veröffentlicht. Da das Deutsche Reich seit 1933 den nächsten Krieg vorbereitete, wollte man keine Informationen über die Rüstungspolitik im Weltkrieg verbreiten, die auch von potenziellen Gegnern gelesen werden konnten. Es sind aber verschiedene Vorarbeiten für die geplanten Bände erhalten, so über die finanzielle Mobilmachung 1914, die Kriegsrohstoffbewirtschaftung, das Hindenburg-Programm, die Ernährungswirtschaft und den Außenhandel.6 Größeren Umfang hat eine von Pantlen verfasste Darstellung der finanziellen Mobilmachung von 1914 bis 1916. Der Text ist mehr der Verwaltungsgeschichte der finanziellen Mobilmachung gewidmet als den finanziellen und monetären Dimensionen, enthält aber viele interessante Details.7 Eine von amtlichen Aufträgen unabhängige Forschung zur Wirtschaftsgeschichte des Ersten Weltkriegs begann mit dem monumentalen Projekt der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden. Unter der Herausgeberschaft von James Shotwell wurden in mehreren Länderserien zahlreiche Bände zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Weltkriegs veröffentlicht.8 Max Sering, vormals Leiter der Wissenschaftlichen Kommission des Preußischen Kriegsministeriums, gehörte zu den Herausgebern der deutschen Serie und hatte damit auch Einfluss auf die Auswahl der Autoren. Zur deutschen Kriegswirtschaft erschienen Arbeiten von Friedrich Aereboe über die landwirtschaftliche Produktion, Otto Goebel über die Rohstoffwirtschaft, Walther Lotz über die Finanzpolitik, August Skalweit über die Ernährungswirtschaft, Paul Umbreit und Charlotte Lorenz über die Arbeitsverhältnisse sowie Waldemar Zimmermann über die Einkommens- und Lebensverhältnisse der Arbeiter.9 Es gab zu der Zeit noch nicht die 4 Reichsarchiv (Hrsg.), Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft, Bd. 1. Die militärische, wirtschaftliche und finanzielle Rüstung Deutschlands von der Reichsgründung bis zum Ausbruch des Weltkrieges. Berlin 1930; Reichsarchiv (Hrsg.), Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft. Anlagen zum ersten Band. Berlin 1930. 5 Hermann Pantlen, Die finanzielle Mobilmachung des Deutschen Reiches 1870–1914. Manuskript, 1929. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA-PK), I. HA Rep. 151 HB 970. 6 Pöhlmann, Kriegsgeschichte und Geschichtspolitik (wie Anm. 3), S. 255. 7 Hermann Pantlen, Finanzen 1914–1916. Manuskript, 1934. GStA-PK, I. HA Rep. 151 HB 970. 8 James Shotwell, Economic and Social History of the World War. Outline of Plan. Washington 1924. 9 Friedrich Aereboe, Der Einfluss des Krieges auf die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland, Stuttgart/Berlin/Leipzig 1927; Otto Goebel, Deutschlands Rohstoffwirtschaft im Weltkrieg, Stuttgart/ Berlin/Leipzig 1930; Walther Lotz, Die deutsche Staatsfinanzwirtschaft im Kriege, Stuttgart/Berlin/

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Möglichkeit zu quellenkritischen Untersuchungen. Die persönliche Nähe der Autoren zu ihren Themen und die gründliche Auswertung der zeitgenössischen Berichte machen die Bände der Carnegie-Stiftung aber immer noch lesenswert, auch wenn manche Ergebnisse inzwischen durch die neuere Forschung ergänzt oder korrigiert wurden.

3 Die wirtschaftshistorische Forschung Die wirtschaftliche Kriegsvorbereitung Als nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur die Archive zu der Zeit des Ersten Weltkriegs geöffnet wurden, waren die Voraussetzungen für quellenkritische Untersuchungen zur Kriegswirtschaft gegeben. Einige der von Weyrauch, Stellwaag und Goebel angesprochenen Themen wurden nunmehr unter neuen Perspektiven untersucht.10 Alle drei Autoren der Wissenschaftlichen Kommission beim Preußischen Kriegsministerium stimmten darin überein, dass die wirtschaftlichen Kriegsvorbereitungen sich schon in den ersten Kriegswochen als unzureichend erwiesen.11 Diese Ergebnisse wurden durch die spätere wirtschaftshistorische Forschung bestätigt. Eine industrielle Mobilmachung, um die Wirtschaft systematisch für die Kriegführung heranzuziehen, war vor dem Krieg nicht geplant. Ausschlaggebend war das vom Militär propagierte Dogma des kurzen Krieges. Im Westen sollten Frankreich und seine Verbündeten in wenigen Wochen besiegt sein. Danach sollten die deutschen Truppen und ihre österreichisch-ungarischen Bündnispartner sich mit ganzer Macht gegen Russland wenden, und in einigen weiteren Wochen – so meinte man – würde der Krieg beendet sein. Regierung und Militär vertrauten darauf, dass Waffen und Munition, anderes Kriegsgerät und Uniformen für die Millionenheere von den staatlichen Rüstungsbetrieben und von den wenigen Vertragsunternehmen, die vor dem Krieg für die Rüstungsproduktion herangezogen wurden, in ausreichender Menge geliefert werden konnten. Die Versorgung Deutschlands mit Rohstoffen, Lebensmitteln und Leipzig 1927; August Skalweit, Die deutsche Kriegsernährungswirtschaft. Stuttgart/Berlin/Leipzig 1927; Paul Umbreit/Charlotte Lorenz, Der Krieg und die Arbeitsverhältnisse. Stuttgart/Berlin/Leipzig 1928; Waldemar Zimmermann, Die Veränderungen der Einkommens- und Lebensverhältnisse der deutschen Arbeiter durch den Krieg. Stuttgart/Berlin/Leipzig 1932. 10 Marcel Boldorf, Wirtschaftliche Organisation und Ordnungspolitik im Ersten Weltkrieg, in: Marcel Boldorf/Rainer Haus (Hrsg.), Die Ökonomie des Ersten Weltkriegs im Lichte der zeitgenössischen Kritik. (Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918, Bd. 4) Berlin/Boston 2016, S. 139–173. 11 Weyrauch, Waffen- und Munitionswesen (wie Anm. 1), S. 37–56; Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 1), S. 4–6; Goebel, Spinnstoffe (wie Anm. 1), S. 1–8.

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Viehfutter wurde zwar diskutiert, und es wurde auch die Gefahr einer alliierten Blockade erkannt. Es gab aber keine konkreten Vorsorgemaßnahmen. Man hoffte, kriegswichtige Güter über neutrale Häfen importierten zu können.12 Entscheidend für die begrenzte wirtschaftliche Kriegsvorbereitung waren, wie bereits Weyrauch konstatierte, zum einen die enormen Kosten, die eine Verschärfung des Rüstungswettlaufs erfordert hätte, zum anderen der „Glaube an die Unmöglichkeit einer langen Kriegsdauer“.13 Die Spannungen zwischen dem Dogma des kurzen Krieges und einer realistischen wirtschaftlichen Kriegsvorbereitung wurden zuletzt noch bei einer Konferenz zu Fragen der wirtschaftlichen Kriegsbereitschaft deutlich, die der Staatssekretär des Innern Clemens Delbrück am 26. Mai 1914 mit Beteiligung von Vertretern der zivilen Regierungsstellen und Unternehmern einberufen hatte. Delbrück verwies einleitend auf die Unterschiede der aktuellen Lage zu der Situation am Vorabend des Krieges von 1870/71. Deutschland sei von einem Agrarstaat zu einem Industriestaat geworden, eng eingebunden in die Weltwirtschaft. Im Kriegsfall müsse mit einem Krieg an zwei Fronten und mit einer Blockade der Seehäfen gerechnet werden. Die Konferenzteilnehmer diskutierten ausführlich über die Versorgung Deutschlands mit Lebensmitteln und Rohstoffen und über die Folgen, die sich aus der Einberufung von Arbeitern zum Militär für die Landwirtschaft und die Industrie ergaben. Ganz offensichtlich waren die Regierungsvertreter und die Unternehmer nicht unbedingt überzeugt von dem schnellen Sieg, den die Militärs in einem künftigen Krieg versprachen. Beschlüsse wurden nicht gefasst. Es fällt auf, dass die Frage der Kriegsdauer, die ja eigentlich ein wichtiger Parameter der wirtschaftlichen Planung war, nicht explizit angesprochen wurde. Man hat den Eindruck, dass niemand es wagte, das Dogma des kurzen Krieges offen in Frage zu stellen.14 Staatssekretär Delbrück erklärte bei der Konferenz zur wirtschaftlichen Kriegsvorbereitung im Mai 1914, dass Fragen der finanziellen Kriegsbereitschaft ausgeschlossen sein sollten. Das hatte einen einfachen Grund: Die finanzielle Mobilmachung war schon seit langem unter strenger Geheimhaltung bis ins Detail geplant. Die Reichsregierung, die Reichsbank und die Regierungen der Bundesstaaten, wie die Länder damals genannt wurden, hatten sich bereits 1891 darüber verständigt, dass ein künftiger Krieg ausschließlich auf dem Kreditwege finanziert werden sollte. Die Reichsbank würde der Reichsregierung kurzfristige Kredite gewähren, die dann durch eine oder mehrere langfristige Anleihen konsolidiert werden sollten. Der „Reichskriegsschatz“, 120 Millionen Mark in Goldmünzen, der im „Juliusturm“ der Spandauer Zitadelle eingelagert war, würde nicht mehr für die Kriegsfinanzierung benötigt, sondern sollte im Mobilmachungsfall zur offiziellen Parität an die Reichsbank zur Stärkung ihrer Wäh12 Lothar Burchardt, Friedenswirtschaft und Kriegsvorsorge. Deutschlands wirtschaftliche Rüstungsbestrebungen vor 1914. Boppard 1968. 13 Weyrauch, Waffen- und Munitionswesen (wie Anm. 1), S. 52. 14 Stenographische Aufzeichnungen über die Verhandlungen des wirtschaftlichen Ausschusses, 26. Mai 1914. Bundesarchiv Berlin R 3101 / 7613.

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rungsreserve verkauft werden. Die Kreditfinanzierung bedeutete, dass der Goldstandard für die Kriegsdauer suspendiert werden musste. Die Fassade des Goldstandards sollte gleichwohl so weit wie möglich erhalten bleiben, um beim inländischen Publikum und im Ausland das Vertrauen in die Währung zu stärken. Die Gesetzentwürfe für die finanzielle Mobilmachung wurden fertig ausgearbeitet, und es wurden große Mengen an Papiergeld gedruckt, um im Ernstfall in Umlauf gebracht zu werden.15

Die Organisation der Kriegswirtschaft Ein Schwerpunkt der wirtschaftshistorischen Forschung wurde die Organisation der Kriegswirtschaft. Auf die Beschränkung kriegswichtiger Importe durch die alliierte Blockade reagierten die Reichsregierung und das Preußische Kriegsministerium mit ersten Ansätzen einer zentralen Planung. Der rasch steigende Bedarf an Waffen, Munition und anderem Kriegsmaterial veranlasste danach eine vom Staat organisierte industrielle Mobilmachung, die nach und nach alle Bereiche der Wirtschaft erfasste.16 Wegweisend für die historische Forschung zur deutschen Kriegswirtschaft war die Untersuchung von Gerald Feldman über das Zusammenwirken von Staat, Unternehmen und Gewerkschaften bei der Organisation der Rüstungsproduktion.17 Mehrere Monographien und Aufsätze wurden in der Folgezeit der Bewirtschaftung von Rohstoffen und anderen kriegswichtigen Produkten durch das Preußische Kriegsministerium und anderen Aspekten der Kriegswirtschaftspolitik gewidmet.18 Otto Goebel interpretierte in der Einleitung zu seiner Arbeit über die Textilindustrie die Kriegswirtschaft als „Beispiel einer gebundenen Wirtschaft innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftsorganismus“.19 Er bezog sich damit auf die Diskussion 15 Gerd Hardach, Die finanzielle Mobilmachung in Deutschland 1914–1918, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 56, 2015, H. 2, S. 359–365. 16 Boldorf, Wirtschaftliche Organisation (wie Anm. 10), S. 141ff. 17 Gerald Feldman, Army, Industry and Labor in Germany 1914–1918. Princeton 1966. Deutsche Ausgabe: Armee, Industrie und Arbeiterschaft in Deutschland 1914–1918. Berlin 1985. 18 Stefanie van de Kerkhof, Public-Private Partnership im Ersten Weltkrieg? Kriegsgesellschaften in der schwerindustriellen Kriegswirtschaft des Deutschen Reiches, in: Hartmut Berghoff/Jürgen Kocka/ Dieter Ziegler (Hrsg.), Wirtschaft im Zeitalter der Extreme. München 2010, S. 106–133; Stefanie van de Kerkhof, Rüstungsindustrie und Kriegswirtschaft, in: Thomas Kühne/Benjamin Ziemann (Hrsg.), Was ist Militärgeschichte? Paderborn 2000, S. 175–194; Stefanie van de Kerkhof, Von der Friedens- zur Kriegswirtschaft. Unternehmensstrategien der deutschen Eisen- und Stahlindustrie vom Kaiserreich bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Essen 2006; Regina Roth, Staat und Wirtschaft im Ersten Weltkrieg. Kriegsgesellschaften als kriegswirtschaftliche Steuerungselemente. Berlin 1997; Momme Roh­ lack, Kriegsgesellschaften (1914–1918). Arten, Rechtsformen und Funktionen in der Kriegswirtschaft des Ersten Weltkriegs. Frankfurt am Main 2001; Harald Wixforth, Die Gründung und Finanzierung von Kriegsgesellschaften während des Ersten Weltkrieges, in: Hartmut Berghoff/Jürgen Kocka/Dieter Ziegler (Hrsg.), Wirtschaft im Zeitalter der Extreme. München 2010, S. 81–105. 19 Goebel, Spinnstoffe (wie Anm. 1), S. VI.

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über die „Gemeinwirtschaft“, die während des Kriegs und in den Nachkriegsjahren geführt wurde. Vertreter des Gemeinwirtschafts-Konzepts wie Wichard von Moellendorff, Walther Rathenau, Rudolf Wissell und andere schlugen vor, dass die enge Zusammenarbeit von Wirtschaft und Staat unter Einbeziehung der Gewerkschaften nach dem Krieg fortgesetzt werden sollte. Das Ziel war eine Wirtschaftsordnung, die sich nicht an individuellen Interessen, sondern am gesamtgesellschaftlichen Wohl orientieren sollte.20 Die Unternehmer forderten jedoch in ihrer Mehrheit die Rückkehr zum Markt und lehnten die Fortsetzung der staatlichen Interventionen, die sie als „Staatssozialismus“ kritisierten, strikt ab.21 Gerald Feldman selbst hat nach vielen Einzelstudien den Ersten Weltkrieg und die Nachkriegsjahre als eine zusammenhängende Epoche des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umbruchs dargestellt.22 Zwei bekannte sozialistische Politiker interpretierten schon während des Ersten Weltkriegs die enge Zusammenarbeit von Staat und Industrie als Zeichen einer Epochenwende. W.I. Lenin nahm an, dass der Monopolkapitalismus durch die Verschmelzung von Staat und Konzernen in einen „Staatsmonopolistischen Kapitalismus“ überging. In der marxistisch-leninistischen Geschichtsschreibung der Deutschen Demokratischen Republik wurde das Konzept des „Staatsmonopolistischen Kapitalismus“ seit den 1960er Jahren zum Leitmotiv der Forschungen zur deutschen Kriegswirtschaft.23 Der dogmatische Begriff des Staatsmonopolistischen Kapitalismus war allerdings für die empirische Forschung wenig hilfreich und verschwand mit dem Ende der DDR aus der wissenschaftlichen Diskussion. Auch der Sozialdemokrat Rudolf Hilferding interpretierte den Ersten Weltkrieg als Beginn einer neuen Epoche. Der Finanzkapitalismus entwickelte sich seiner Ansicht nach durch die zunehmende Staatsintervention zu einem „Organisierten Kapitalismus“. Im Organisierten Kapitalismus nahm nach Hilferding die Steuerbarkeit der wirtschaftlichen Entwicklung nicht nur im Kriege, sondern auch in Friedenszeiten zu. In der westdeutschen Wirtschaftsgeschichtsschreibung der 1970er Jahre wurde dieser Ansatz aufgegriffen und weiterentwickelt. Die Kriegswirtschaft wurde als eine 20 Gerold Ambrosius, Staat und Wirtschaft im 20. Jahrhundert. München 1990, S. 70–75. 21 Hans Gotthard Ehlert, Die wirtschaftliche Zentralbehörde des Deutschen Reiches 1914 bis 1919. Das Problem der „Gemeinwirtschaft“ in Krieg und Frieden. Wiesbaden 1982; Wolfgang Michalka, Kriegsrohstoffbewirtschaftung, Walther Rathenau und die „kommende Wirtschaft“, in: Wolfgang Michalka (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse. München 1994, S. 485–500; Fried­ rich Zunkel, Industrie und Staatssozialismus. Der Kampf um die Wirtschaftsordnung in Deutschland 1914–1918. Düsseldorf 1974. 22 Gerald Feldman, The Great Disorder. Politics, Economics and Society in the German Inflation, 1914–1924. Oxford 1994. 23 Dieter Baudis/Helga Nussbaum, Wirtschaft und Staat in Deutschland vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1918/19. Eine Wirtschaftsgeschichte des staatsmonopolistischen Kapitalismus vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1945 in drei Bänden, Bd. 1. Berlin 1978; Alfred Schröter, Krieg – Staat – Monopol: 1914–1918. Die Zusammenhänge von imperialistischer Kriegswirtschaft, Militarisierung der Volkswirtschaft und staatsmonopolitischem Kapitalismus in Deutschland während des ersten Weltkriegs. Berlin 1965.

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konsequente Weiterentwicklung des „Organisierten Kapitalismus“ interpretiert, der im späten neunzehnten Jahrhundert den liberalen Kapitalismus abgelöst hatte. Verschiedene Aspekte der neueren kapitalistischen Entwicklung wie die Organisation der Unternehmen in Konzernen und Kartellen, die Organisation der Arbeiterschaft und die zunehmenden Staatseingriffe wurden als ein allgemeiner Trend zur Organisation interpretiert.24 Auf die Dauer hat sich das Konzept des Organisierten Kapitalismus aber nicht durchgesetzt. Die Wiederentdeckung von Hilferdings Theorie hing deutlich mit der Planungseuphorie der 1970er Jahre zusammen. Als seit den 1980er Jahren die Volatilität der wirtschaftlichen Entwicklung zunahm, ging die Plausibilität eines „organisierten“ Kapitalismus zurück. In den Arbeiten von Weyrauch und Stellwaag wird auf die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen in der Waffen- und Munitionsindustrie sowie in der Stahlindustrie hingewiesen. Da viele Arbeiter zum Militär einberufen wurden, stellte die Industrie Frauen für Tätigkeiten ein, die ihnen bisher versperrt waren, besonders in der Metallverarbeitung und in der Chemischen Industrie.25 Der Wandel der Arbeit in der Kriegswirtschaft sollte systematisch in dem ersten Band der Reihe der Wissenschaftlichen Kommission dargestellt werden, der aber nie erschienen ist.26 Charlotte Lorenz stellte in der Serie der Carnegie-Stiftung zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Weltkriegs den Wandel der Frauenerwerbstätigkeit während des Krieges dar.27 In der historischen Forschung sind seit den 1970er Jahren mehrere Untersuchungen zur Frauenerwerbstätigkeit in der Kriegswirtschaft erschienen. Der Bezugspunkt ist dabei aber nicht so sehr die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Ersten Weltkriegs, sondern die Frauengeschichte.28 Die Wirtschaftsgeschichtsschreibung hat sich wenig mit der Produktionssphäre der Rüstung beschäftigt, mit den neuen Verfahren der Massenproduktion und mit den neuen Waffen, die zu dem furchtbaren Ausmaß an Verstümmelung und Tod führten. Das ist eine auffällige Lücke. In der Geschichte der Industriellen Revolution etwa werden die neuen Maschinen und ihre Produkte dargestellt, und eine Geschichte der 24 Heinrich August Winkler (Hrsg.), Organisierter Kapitalismus. Voraussetzungen und Anfänge. Göttingen 1974. 25 Weyrauch, Waffen- und Munitionswesen (wie Anm. 1), S. 242–244; Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 1), S. 79–80. 26 Weyrauch, Waffen- und Munitionswesen (wie Anm. 1), S. 240. 27 Charlotte Lorenz, Die gewerbliche Frauenarbeit während des Krieges, in: Paul Umbreit/Charlotte Lorenz, Der Krieg und die Arbeitsverhältnisse. Stuttgart/Berlin/Leipzig 1928, S. 307–391. 28 Stefan Bajohr, Die Hälfte der Fabrik. Geschichte der Frauenarbeit in Deutschland 1914 bis 1945. 2. Aufl. Marburg 1984; Ute Daniel, Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft. Beruf, Familie und Politik im Ersten Weltkrieg. Göttingen 1989; Ute Daniel, Fiktionen, Friktionen und Fakten – Frauenlohnarbeit im Ersten Weltkrieg, in: Gunther Mai (Hrsg.), Arbeiterschaft 1914–1918 in Deutschland. Studien zu Arbeitskampf und Arbeitsmarkt im Ersten Weltkrieg. Düsseldorf 1985; Barbara Guttmann, Weibliche Heimatarmee. Frauen in Deutschland 1914–1918. Weinheim 1989; Anneliese Seidel, Frauenarbeit im Ersten Weltkrieg als Problem der staatlichen Sozialpolitik. Dargestellt am Beispiel Bayerns. Frankfurt am Main 1979.

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Automobilindustrie käme nicht aus ohne den Hinweis auf das Fließband und die Entwicklung des Autos vom Luxusgut zum Massentransportmittel. Die Entwicklung von Waffen und Munition, die in dem Buch von Robert Weyrauch ausführlich dargestellt wird, gilt aber offenbar nicht als wirtschaftshistorisches Thema, sondern wird der Militärgeschichte als besonderer Disziplin zugewiesen.29 Alle Darstellungen der deutschen Kriegswirtschaft stimmen darin überein, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion durch die Verpflichtung von Millionen Erwerbstätiger zum Kriegsdienst und durch die Einschränkung der Investitionen zurückging, und dass der Krieg einen erheblichen Teil des reduzierten Sozialprodukts absorbierte. Eine quantitative Schätzung wurde aber erst spät versucht. Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen wurden in Deutschland zehn Jahre nach dem Ersten Weltkrieg eingeführt. Im Rückblick waren daher Schätzungen über den Wert der landwirtschaftlichen Produktion, der Industrieproduktion und der Dienstleistuntgen erforderlich. Albrecht Ritschl kam zu dem Ergebnis, dass das Volkseinkommen zu konstanten Preisen 1918 nur noch 71 bis 77 Prozent des Niveaus von 1913 betrug. 36 bis 39 Prozent des Volkseinkommens wurden 1918 für den Krieg aufgewandt.30

Die finanzielle Mobilmachung Ein besonderes Feld der Kriegswirtschaft, das in den Arbeiten von Weyrauch, Stellwaag und Goebel nicht angesprochen wurde, war die finanzielle Mobilmachung. Nach zeitgenössischem Verständnis umfasste der Begriff alle finanzpolitischen und währungspolitischen Maßnahmen, die zur Finanzierung des Krieges erforderlich waren.31 Am 4. August 1914 wurde das vorbereitete Programm der finanziellen Mobilmachung umgesetzt. Der Goldstandard wurde suspendiert, die Reichsregierung erhielt unbegrenzte Kredite von der Reichsbank und die vorbereiteten großen Bestände an Reichsbanknoten und neuen Darlehnskassenscheinen wurden in Umlauf gebracht. Die finanzielle Mobilmachung war für einen kurzen Krieg geplant, war aber so flexibel, dass sie auch die Finanzierung des anhaltenden Krieges ermöglichte. Preiskontrollen, eine umfassende Bewirtschaftung und Wechselkurskontrollen sollten

29 Markus Pöhlmann, Waffen- und Munitionswesen. Eine kritische Einleitung in das Werk von Robert Weyrauch, in: Marcel Boldorf/Rainer Haus (Hrsg.), Die Ökonomie des Ersten Weltkriegs im Lichte der zeitgenössischen Kritik. (Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918, Bd. 4) Berlin/Boston 2016, S. 172–191. 30 Albrecht Ritschl, The Pity of Peace. Germany’s Economy at War, 1914–1918 and Beyond, in: Stephen Broadberry/Mark Harrison (Hrsg.), The Economics of World War I. Cambridge 2005, S. 41–76. 31 Der Stellvertreter des Reichskanzlers, Denkschrift über wirtschaftliche Massnahmen aus Anlass des Krieges, 23. November 1914. Verhandlungen des Reichstags, 13. Legislaturperiode, 2. Session, Band 135. Anlage 26, S. 4.

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die Inflation begrenzen.32 Die Folgen der finanziellen Mobilmachung reichten weit in die Nachkriegszeit. Carl-Ludwig Holtfrerich hat sowohl die Entscheidungsprozesse als auch die quantitativen Dimensionen der Inflation von der Kriegsinflation bis zur Hyperinflation von 1922/23 untersucht.33

Der Strukturwandel der Weltwirtschaft Zwar weisen Stellwaag und Goebel auf die Probleme hin, die sich aus der Isolierung der deutschen Wirtschaft vom Weltmarkt ergaben.34 Eine systematische Darstellung der Weltwirtschaft in der Zeit des Weltkriegs gehörte jedoch nicht zum Forschungsprogramm der Wissenschaftlichen Kommission des Preußischen Kriegsministeriums. In vier Jahren hat der Krieg nicht nur die Wirtschaftskraft fast aller wichtigen Industriestaaten der Zeit absorbiert, sondern hat auch die Struktur der Weltwirtschaft verändert. Es ist nun schon einige Zeit her, dass ein Buch über die Weltwirtschaft in der Zeit des Ersten Weltkriegs erschienen ist.35 Weitere Untersuchungen über den Strukturwandel der Weltwirtschaft während des Ersten Weltkriegs und die Folgen, die weit über das Kriegsende hinausreichten, sind bisher nicht erschienen. Vielleicht liegt es daran, dass die Wirtschaftsgeschichte sich eher mit dynamischen Themen wie Wirtschaftswachstum und internationaler Arbeitsteilung beschäftigt, als mit dem melancholischen Thema von Tod, Zerstörung und internationaler Desintegration. Einen besonderen Aspekt der internationalen Wirtschaftsbeziehungen hat GeorgesHenri Soutou in seiner formidablen Studie über die wirtschaftlichen Kriegsziele der Alliierten und der Mittelmächte untersucht. Soutou zeigt eindrucksvoll die zunehmende Realitätsverweigerung der militärischen und politischen Führung in Deutschland, die bis zum Frühjahr 1918 an einen Sieg glaubte. Auf der Seite der Alliierten versuchte die französische Regierung die wirtschaftliche Isolierung Deutschlands über das Kriegsende hinaus fortzuführen, konnte sich mit dieser Politik aber bei den

32 Theo Balderston, War Finance and Inflation in Britain and Germany, 1914–1918, in: Economic History Review 42, 1989, S. 222–244; Stephen Gross, Confidence and Gold: German War Finance 1914–1918, in: Central European History 42, 2009, S. 223–252; Gerd Hardach, Financial Mobilisation in Germany 1914–1918, eabh Papers, 14-08; Hardach, Finanzielle Mobilmachung (wie Anm. 15), S. 359–387; Konrad Roesler, Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg. Berlin 1967; Manfred Zeidler, Die deutsche Kriegsfinanzierung 1914 bis 1918 und ihre Folgen, in: Wolfgang Michalka (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkungen, Wahrnehmung, Analyse. München 1994, S. 415–433. 33 Carl-Ludwig Holtfrerich, Die deutsche Inflation 1914–1923 Ursachen und Folgen in internationaler Perspektive. Berlin 1980. 34 Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 1), S. 30–32, 37–38, 108–115; Goebel, Spinnstoffe (wie Anm. 1), S. 5–8, 15–27. 35 Gerd Hardach, Der Erste Weltkrieg. Geschichte der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert, Bd. 2. München 1973.

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Verbündeten nicht durchsetzen.36 Adam Tooze hat die Unterbrechung der internationalen Beziehungen durch den Ersten Weltkrieg und die Entstehung einer neuen Weltordnung von 1916 bis 1931 dargestellt.37

4 Zusammenfassung Insgesamt gibt es trotz der großen Bedeutung wirtschaftlicher Faktoren für den Kriegsausgang unter der unübersehbaren Zahl von Publikationen zur Geschichte des Ersten Weltkriegs in Deutschland nur relativ wenige wirtschaftshistorische Arbeiten.38 In neueren deutschen Gesamtdarstellungen des Ersten Weltkriegs kommen wirtschaftliche Fragen eher am Rande vor.39 Etwas besser sieht es bei neueren enzyklopädischen Werken zum Ersten Weltkrieg aus, in denen Beiträge zu verschiedenen Themen zusammengestellt sind. Zu der von Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz und Markus Pöhlmann herausgegebenen kurzen Enzyklopädie des Ersten Weltkriegs gehört ein Beitrag von Hans-Peter Ullmann über die Kriegswirtschaft in den wichtigsten Staaten.40 Aus Anlass des hundertsten Jahrestages des Kriegsbeginns wurden in einer umfangreichen online veröffentlichten internationalen Enzyklopädie des Ersten Weltkriegs in zahlreichen Einzelbeiträgen verschiedene Aspekte der Geschichte des Ersten Weltkriegs dargestellt. Der Schwerpunkt liegt auf der Militärgeschichte und der Mentalitätsgeschichte. Es gibt aber auch einige Beiträge über die deutsche Kriegswirtschaft, so von Belinda Davis über die Ernährung in Deutschland, von Stephen Gross und von Gerd Hardach über die finanzielle Mobilmachung, und von Hans-Peter Ullmann über die Organisation der deutschen Kriegswirtschaft.41 Der kurze Überblick zur Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im Ersten Weltkrieg konnte nur die wichtigsten Beiträge berücksichtigen. Er zeigt Schwerpunkte der Forschung, aber auch offene Fragen. Die wirtschaftshistorischen Arbeiten zum Ersten Weltkrieg haben sich vor allem auf die Wirtschaftspolitik konzentriert, auf die Planung 36 Georges-Henri Soutou, L’or et le sang. Les buts de guerre économiques de la Première Guerre mondiale. Paris 1989. 37 Adam Tooze, The Deluge. The Great War and the Remaking of Global Order, 1916–1931. London 2014. Deutsche Ausgabe: Sintflut. Die Neuordnung der Welt 1916–1921. München 2015. 38 Dieter Ziegler, Die Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg – Trends der Forschung, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 56, 2015, H. 2. S. 313–323. 39 Michael Epkenhans, Der Erste Weltkrieg 1914–1918. Paderborn 2015; Oliver Janz, Der Große Krieg. Frankfurt am Main 2013; Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs. München 2014; Herfried Münkler, Der Große Krieg. Die Welt 1914–1918. Berlin 2013. 40 Hans-Peter Ullmann, Kriegswirtschaft, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz/Markus Pöhlmann (Hrsg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn 2004, S. 220–232. 41 Ute Daniel/Peter Gatrell/Oliver Janz/Heather Jones/Jennifer Keene/Alan Kramer/ Bill Nasson (Hrsg.), 1914–1918-online. International Encyclopedia of the First World War, issued by Freie Universität Berlin. Berlin 2014–2015.

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von Produktion und Verteilung, auf die finanzielle Mobilmachung und auf die Neuordnung der Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit. In einigen Beiträgen wird ein Ausschnitt aus der Arbeitswelt dargestellt, die Erwerbstätigkeit von Frauen in zuvor männlich dominierten Branchen. Gelegentlich hat es auch einen Blick auf die Veränderungen der Weltwirtschaft im Krieg gegeben. Weniger Aufmerksamkeit hat in der wirtschaftshistorischen Forschung dagegen die Produktionssphäre der Kriegswirtschaft gefunden, die das Thema der Arbeiten von Otto Goebel, Alfred Stellwaag und Robert Weyrauch war. Die Neuauflage dieser lange Zeit vergessenen Bände ist daher geeignet, neue Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte des Ersten Weltkriegs anzuregen.

Rainer Haus

Die Ergebnisse der Wissenschaftlichen Kommission beim Preußischen Kriegsministerium im Spannungsfeld divergierender Interessen Eine hundertjährige Editionsgeschichte Am 18. März 1933, weniger als zwei Monate nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, suchten zwei Reichsarchivare Professor Max Sering, den international renommierten Agrar- und Nationalökonomen sowie Leiter der ehemaligen Wissenschaftlichen Kommission beim Preußischen Kriegsministerium, in seinem Haus in Berlin-Dahlem auf. Aus dem „Bericht über die Sicherstellung der Akten der Wissenschaftlichen Kommission, die bisher bei Geheimrat Professor Sering lagerten“ geht hervor, dass es sich bei den Archivaren um Oberregierungsrat Dr. Alfred Gemming und Archivrat Kurt Fischer handelte. 1

Abb. 1: Wohnhaus von Professor Sering in Berlin-Dahlem, ca. 1925

1 Bundesarchiv (BArch), RH 61/594.

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Die beiden Archivare nahmen die noch bei Sering befindlichen Unterlagen auf und fertigten dabei insgesamt drei Verzeichnisse der abgeschlossenen Arbeiten mit Nennung der Verfasser, der Entwürfe und Materialsammlungen mit Verfassernamen und der Materialzusammenstellungen ohne namentlich genannte Autoren. Max Sering erklärte sich zur Übergabe der Entwürfe und Materialsammlungen bereit, mit der Einschränkung, dass die abgeschlossenen Arbeiten noch bis zur Einverständniserteilung der Verfasser bei ihm verbleiben sollten. Die erste Abholung im Hause Sering erfolgte bereits eine Woche später durch Archivrat Fischer. Nach einem handschriftlichen Vermerk in dem genannten Bericht wurden anschließend auch die abgeschlossenen Arbeiten mit Angabe der Verfasser übernommen. Abschließend heißt es, dass die Unterlagen „nunmehr den bereits bei der Abteilung lagernden Beständen der Wissenschaftlichen Kommission zugeführt“ würden. Mit „Abteilung“ dürfte die Archivabteilung des Reichsarchivs in Potsdam gemeint sein. Mit der de facto zwangsweisen Abgabe der Unterlagen an das Reichsarchiv war für Sering ein großangelegtes Publikationsprojekt zu Beginn des „Dritten Reiches“ endgültig zunichte gemacht worden, das er mit großem persönlichem Engagement zwischen 1915 und den 1920er Jahren realisieren wollte. Als Herausgeber hatte er ein achtbändiges Reihenwerk vorgesehen, das zunächst von E.S. Mittler & Sohn verlegt werden sollte. Nachdem dieser Verlag zu Beginn der 1920er Jahre von dem Projekt abgerückt war, übernahm die Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co. das Werk zur Kriegswirtschaft des Weltkrieges und plante, bis August 1922 zunächst drei der acht Bände erscheinen zu lassen, die zwar gedruckt, aber auf Intervention des Auswärtigen Amts nicht ausgeliefert wurden. Ohne den Druck dieser drei Bände im August 1922 wären ihre Inhalte vermutlich als verloren anzusehen. Die Entwicklung des Publikationsprojektes im Jahre 1922 wird in dieser Editionsgeschichte besonders eingehend dargestellt, zeigt sich doch hier auf der einen Seite der höchst anerkennungswerte ‚Wille zum Erfolg‘ von Sering und auf der anderen Seite der kompromisslose Widerstand gegen das Publikationsprojekt durch das Reichswehrministerium und das Auswärtige Amt. Zugleich wird an der Person von Ministerialdirektor Arnold Brecht im Reichsministerium des Innern und seiner positiven Haltung gegenüber einer Veröffentlichung der Sering-Bände exemplarisch deutlich, auf welch schwierigem Feld „Exponenten der Demokratie“ (Brecht) bereits in den Anfangsjahren der Weimarer Republik standen. 1922 zeichnete sich schon deutlich ab, dass die kriegswirtschaftlichen Werke, wenn überhaupt, erst in unabsehbarer Zeit erscheinen würden.



Die Ergebnisse der Wissenschaftlichen Kommission 

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1 Die Anfänge des Publikationsprojektes Quellen im Verlagsarchiv von de Gruyter und in staatlichen Archiven und Institutionen Im Archiv der Walter de Gruyter GmbH ist der Schriftwechsel zwischen Sering und dem Verlag zwischen April 1921 und August 1922 teilweise überliefert. In hohem Maße überliefert sind die Vorgänge um die internen Erörterungen der Reichsressorts zur Frage der Veröffentlichung der Sering-Bände in den Jahren zwischen 1921 und 1931 im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts, die hier erstmals im gesamten Überlieferungszeitraum ausgewertet werden; zugleich wird damit ein weiterer Beitrag zur Tätigkeit des Schuldreferates des Auswärtigen Amts geleistet, dessen Aufgabe in der Zurückweisung der deutschen Kriegsschuld und dessen Bedeutung in den historischpolitischen Debatten der Weimarer Republik noch nicht vollständig aufgearbeitet ist, wie am Beispiel der Sering-Bände zur Kriegswirtschaft deutlich wird. Ebenfalls sehr aufschlussreich sind die Akten des Reichsministeriums des Innern über „Das Werk über die deutsche Kriegswirtschaft von Professor Dr. Sering“ aus dem Zeitraum von 1920 bis 1924 im Bundesarchiv Berlin und die einschlägigen Archivalien im Bundesarchiv Freiburg, die auch erhalten gebliebene Unterlagen der Wissenschaftlichen Kommission aus der Zeit des Ersten Weltkrieges umfassen. Historisch wertvoll sind ebenfalls einschlägige Unterlagen im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam, in dessen Bibliothek sich auch das einzige im deutschen Bibliothekswesen vorhandene Originalexemplar des von Sering herausgegebenen und von Stellwaag verfassten Buches „Die deutsche Eisenwirtschaft während des Krieges“ befindet, das den Ausgangspunkt für die Neuauflage der kriegswirtschaftlichen Bände und die Aufarbeitung der hundertjährigen Editionsgeschichte bildete. Von der Tätigkeit der Wissenschaftlichen Kommission beim früheren Preußischen Kriegsministerium erfuhr eine breite Öffentlichkeit bereits 1919 durch das Erinnerungsbuch des ehemaligen Kriegsministers Hermann von Stein (der vom 29. Oktober 1916 bis 9. Oktober 1918 amtierte) unter dem Titel „Erlebnisse und Betrachtungen aus der Zeit des Weltkrieges“. Hier heißt es: „Das Kriegsministerium hat keine Prüfung zu scheuen. Zur Behandlung der Kriegsarbeit hat es eine wissenschaftliche Kommission von Gelehrten und Fachmännern berufen. Dem Vorsitzenden, Professor Sering, hatte ich zur Pflicht gemacht, daß alle Bearbeiter ihre Ansicht rückhaltlos äußern sollten. Gegensätze zwischen militärischer und nichtmilitärischer Auffassung werden dabei hervortreten. Die militärischen Leiter der Arbeiten sollten Gelegenheit haben, zu den Ansichten der Kommission Stellung zu nehmen. Meine Absicht war, einer einseitigen Auffassung vorzubeugen und Gelegenheit zum Lernen zu bieten.“2 2 Hermann von Stein, Erlebnisse und Betrachtungen aus der Zeit des Weltkrieges. Leipzig 1919, S. 103.

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Hermann von Stein wollte offensichtlich keine Darstellung der Kriegswirtschaft im beschönigenden Stil einer offiziellen Kriegsberichterstattung. Ludendorff geht in seinem 1922 bei E.S. Mittler & Sohn erschienenen Buch „Kriegführung und Politik“ ebenfalls auf das kriegswirtschaftliche Werk von Sering ein. Einleitend schreibt er: „Über die Kriegswirtschaft selbst nähere Angaben zu machen, muß ich Berufeneren überlassen. Ich begrüße, daß Fachmänner es übernehmen, ein vielbändiges Werk über die Kriegswirtschaft zu schreiben.“ Er hege die Hoffnung, dass die Verfasser es nicht unterließen, auf die Folgen wirtschaftlicher Eingriffe „auf Volksgeist und Kriegführung“ sowie auf die Wechselwirkungen mit der Innen- und Außenpolitik einzugehen: „Nur dann wird ihr Werk zu einem lebendigen und zu einem Lehrbuch für die Zukunft, wenn alle Zusammenhänge auch auf diesem Gebiet lückenlos dargestellt werden.“3 In dem 1930 publizierten Buch „Deutsche Rohstoffwirtschaft im Weltkrieg“ von Otto Goebel erklärt – bezeichnenderweise in einer Fußnote – das ehemalige Mitglied der Wissenschaftlichen Kommission: „Erst Ende 1915 ist eine aus vier Volkswirten (Sering, Wiedenfeld, Voelcker und Goebel) unter Führung von Sering zusammengesetzte wissenschaftliche Kommission im Kriegsministerium errichtet worden, die später sehr erweitert, an sich nur für eine historische Aufgabe bestimmt war, die Kriegswirtschaft mitzuerleben und nach Kriegsschluß den wirtschaftlichen Teil des Generalstabswerks zu schreiben […]“.4 Ebenfalls 1930 – vermutlich vor dem Hintergrund des vom Reichsarchiv herausgegebenen Werkes „Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft“, Bd. I, der die Zeit bis 1914 behandelt, aber eventuell auch im Zusammenhang mit der Publikation des Goebelschen Werks, das im Rahmen der Veröffentlichungen der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden erschien – war von Reichsarchivar Ludwig Rüdt von Collenberg eine umfangreiche interne Denkschrift zur Arbeit der Wissenschaftlichen Kommission ab 1915 erstellt worden. Diese Arbeit basierte auf den damals noch vorhandenen amtlichen Akten sowie Unterlagen und Denkschriften der Kommission, soweit sie sich zu dieser Zeit bereits im Bereich des Reichsarchivs befanden. Die Darstellung endet mit dem Publikationsprojekt des Verlages E.S. Mittler & Sohn.5 Auf die Weiterführung des Projektes durch die Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co. ab 1921 wird hier nicht eingegangen. Im Zusammenhang mit der Ende Juli/Anfang August 1921 erfolgten Kontaktaufnahme von Professor James T. Shotwell von der Carnegie-Stiftung mit Sering und den sich hieran anschließenden Unterredungen hatte Sering unter dem Datum 10. September 1921 eine Denkschrift verfasst, die auf seinem persönlichen Erleben als Leiter der Wissenschaftlichen Kommission und Herausgeber des geplanten achtbändigen 3 Erich Ludendorff, Kriegführung und Politik. Berlin 1922, S. 157. 4 Otto Goebel, Deutsche Rohstoffwirtschaft im Weltkrieg einschließlich des Hindenburg-Programms. Stuttgart/Berlin/Leipzig 1930, S. 5, Anm. 2. 5 BArch, RH 61/594.



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Werkes zur deutschen Kriegswirtschaft fußte. Diese Darstellung war für Shotwell und die Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co. bestimmt, im Grunde ging es hier um eine inhaltliche Abgrenzung der beiden Publikationsprojekte. Sering verfasste sein Memorandum unter dem Titel „Denkschrift über die Erforschung der wirtschaftlichen und sozialen Geschichte des Krieges in Deutschland“.6 Das Ergebnis seiner im Sommer 1921 begonnenen Zusammenarbeit mit Shotwell war seine Gewinnung als deutscher Mitherausgeber für die Bücher der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden, die in Deutschland ab 1927 erschienen. Unter „Deutsche Serie“ wurde 1927 auch ein Buch von Sering unter dem Titel „Die deutsche Volkswirtschaft unter dem Einfluß des Krieges“ angekündigt, das aber ebenso wie die meisten der hier genannten Titel nicht erschien.7





Abb. 2: Ludwig Rüdt von Collenberg, ca. 1925

Max Sering bemerkt in seiner Denkschrift zur Wissenschaftlichen Kommission einleitend: „Mit der Organisation der wissenschaftliche Arbeit ist das Preussische Kriegsministerium allen anderen Behörden vorausgegangen. Der stellvertretende Kriegsminister Generalleutnant von Wandel richtete im August 1915 an mich die Frage, ob ich 6 Archiv Walter de Gruyter GmbH, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Dep. 42 (de Gruyter), Briefe: Sering, Max. 7 Siehe zum „Plan der Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Weltkrieges“ August Skalweit, Die deutsche Kriegsernährungswirtschaft. Stuttgart/Berlin/Leipzig 1927, S. 254 ff.

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bereit sei, ein wissenschaftliches Unternehmen zur Darstellung der kriegswirtschaftlichen Maßnahmen und Ereignisse zu leiten.“8 Tatsächlich hatte er selber schon im ersten Kriegsjahr den Gedanken zur Bildung einer wissenschaftlichen Kommission gefasst und sich bereits im Dezember 1914 auf die Suche nach Mitarbeitern begeben. So schreibt Goebel in seiner Autobiographie „Ein buntes Leben im zweiten Deutschen Reich“: „Um Weihnachten glaubte ich schon an das Ende der Lazarettarbeit. Mein früherer Doktor-Vater, Geheimrat Sering, fragte bei mir an, ob ich frei sei, um in einer Kommission zur Bearbeitung kriegswirtschaftlicher Aufgaben mitzuwirken, die er der obersten Heeresleitung angeboten habe.“ Zu dem anschließenden Stillstand heißt es: „Ich sagte natürlich zu, hörte aber zunächst nichts Weiteres.“9 Am 17. Juni 1915 hielt Sering in der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften einen Vortrag unter dem Titel „Die deutsche Volkswirtschaft während des Krieges 1914/15“ Dieser Vortrag erschien am 24. Juni 1915 als „Sonderdruck aus den Sitzungsberichten“. Das 100 Jahre später von dem Verfasser dieser Editionsgeschichte antiquarisch erworbene Exemplar des Sonderdruckes trägt auf dem Titel den Eindruck „Überreicht vom Verfasser“ und neben der Signatur die handschriftlichen Zusätze „Bibliothek des Ministeriums d. Innern“ und „Doppelt“. Dies lässt darauf schließen, dass Sering für eine weite Verbreitung seines kriegswirtschaftlichen Vortrages gesorgt hatte.

Frühe Beschäftigung mit kriegswirtschaftlichen Fragen Die Beschäftigung mit kriegswirtschaftlichen Fragen geht bei Sering und anderen Berliner Nationalökonomen bereits auf die Zeit der Jahrhundertwende zurück. 1900 erschienen in der Cotta’schen Buchhandlung in Stuttgart zwei Bände unter dem Obertitel „Handels- und Machtpolitik“ verschiedene „Reden und Aufsätze im Auftrage der ‚Freien Vereinigung für Flottenvorträge‘ herausgegeben von Gustav Schmoller/Max Sering /Adolph Wagner“. Abgedruckt ist hier auch ein Vortrag von Sering in der Berliner Philharmonie am 14. Februar 1900, in dem er den Ausbau der deutschen Kriegsflotte propagiert. 10 Gerhard Hecker erwähnt in seiner Arbeit „Walther Rathenau und sein Verhältnis zu Militär und Krieg“ eine von Nationalökonomen der Berliner Universität veranstaltete Konferenz zur „Lage der Deutschen Volkswirtschaft im Kriege“ an der Rathenau am 11. und 13. August 1914 teilnahm. Der Bericht über diese „Aussprache“, an der neben Nationalökonomen auch führende Industrie- und Bankenrepräsentanten aus Berlin teilnahmen, wurde von Professor Sering verfasst. Zur Rohstofflage heißt es 8 Archiv Walter de Gruyter GmbH. 9 Otto Goebel, Ein buntes Leben im zweiten Deutschen Reich. Bad Harzburg 1953, S. 281. 10 Max Sering, Die Handelspolitik der Grossstaaten und die Kriegsflotte, in: Gustav Schmoller/Max Sering/Adolph Wagner (Hrsg.), Handels- und Machtpolitik. Reden und Aufsätze im Auftrage der „Freien Vereinigung für Flottenvorträge“, Bd. 2. Stuttgart 1900, S. 1–44, hier S. 3ff.



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hier: „Die schlimmste Gefährdung der Industrie aber geht von der Unterbrechung der Einfuhr von Rohstoffen hervor. […] Schlimm sieht es in der Metallindustrie aus, weil die Metalle bald aufgezehrt sein werden. Bekommen wir kein neues Kupfer herein, so haben wir nur noch für höchsten 3–4 Monate Patronenmetall.“ Die von Rathenau durch Vorsprachen im Preußischen Kriegsministerium initiierte Kriegsrohstoffabteilung (KRA) nahm am 13. August 1914 unter seiner Leitung ihre Arbeit auf.11 In seiner Erinnerungsschrift „Die motorischen Kräfte der Kriegs-Rohstoffwirtschaft“ schreibt Richard Tröger zu den Anfängen: „Sämtliche Mitarbeiter der ersten Zeit entstammten der Industrie.“ Hierzu gehörte auch Wichard von Moellendorff, ein Ingenieur im Kabelwerk Oberspree der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG), der Rathenau zuvor mehrfach schriftlich auf den absehbaren Rohstoffmangel hingewiesen hatte.12 Nach Wiedenfeld hatten sich „bereits in der kritischen Zeit vor dem Ausbruch des Krieges zwei junge Ingenieure der AEG aufgrund ihrer Feststellung, daß selbst ein Werk solchen Umfangs nur verhältnismäßig geringe Mengen wichtigster Rohstoffe auf Lager hatte“, an Rathenau gewandt. Weiter erklärt Wiedenfeld: „Sie hatten sich auch nicht bei dessen ursprünglicher Ablehnung beruhigt und mehrfach ihn gedrängt, mit einem entsprechenden Vorschlag an das Kriegsministerium heranzutreten als diejenige Behörde, die von jeher die individuellen Bedürfnisse hinter die Allgemeininteressen besonders stark zurückgestellt hätte und entsprechend die jetzt erforderliche Energie besser als das Reichsamt des Innern entfalten könnte.“ Anschließend heißt es: „Nach dem Ausbruch des Krieges hat sich auch Rathenau von der Notwendigkeit einer solchen Bewirtschaftung überzeugen lassen, wie auch davon, dass zu deren Führung allein das Kriegsministerium geeignet sei.“ An anderer Stelle schreibt Wiedenfeld: „Als Mitarbeiter (Referenten) zog er außer jenen beiden Ingenieuren seiner Gesellschaft (v. Möllendorf und Tröger) noch einen dritten und bald auch einen Leipziger Großkaufmann heran, die sich in der Bearbeitung der Buntmetalle (Kupfer, Zinn usw.), der chemischen Rohstoffe, der Häute und Felle, der Rohwolle teilten.“13 Die Vorgeschichte des in der KRA etablierten kriegswirtschaftlichen Projektes wird in dem Bericht von Ludwig Rüdt von Collenberg unter dem Titel „Die Wissenschaftliche Kommission des Preussischen Kriegsministeriums 1915–1920.“ ausführlich dargestellt. Demzufolge ging aus den Akten hervor, dass eine „erste Anregung“ die infrage kommenden Unterlagen „kritisch zu sammeln“ und zu diesem Zweck einen Stab kompetenter Mitarbeiter zu bilden, von dem Syndikus der Handelskammer Hannover, Dr. Rocke, am 29. November 1914 gekommen und in folgenden „Eingaben“ noch verschiedentlich wiederholt worden sei. Vorerst waren jedoch die Behör11 Gerhard Hecker, Walther Rathenau und sein Verhältnis zu Militär und Krieg. Boppard 1983, S. 205ff. 12 Richard Tröger, Die motorischen Kräfte der Kriegs-Rohstoffwirtschaft. o.O. 1923, S. 2ff. 13 Kurt Wiedenfeld, Zwischen Wirtschaft und Staat. Lebenserinnerungen. Berlin 1960, S. 51ff. Dieses Buch wurde 2016 vom Verlag Walter de Gruyter neu aufgelegt.

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den durch die aktuellen Kriegsgeschehnisse „allzusehr in Anspruch genommen, um schon geneigt zu sein, sich der Frage der Geschichtsschreibung zuzuwenden.“14 Es waren aber wohl nicht allein die laufenden Ereignisse, die in der ersten Kriegszeit die staatlichen Entscheidungsträger in Atem hielten, sondern auch der Umstand, dass man sich erst im Frühjahr 1915 von der Vorstellung löste, „daß das Kriegsende in absehbarer Zeit bevorstünde“, wie Wiedenfeld in einem Vortrag vor „Aufklärungsoffizieren“ der stellvertretenden Generalkommandos am 7. August 1917 den Paradigmenwechsel erklärte: „ […] vom Frühjahr 1915 ab nimmt die Wirtschaftspolitik die Richtung an, daß man Vorrat und Bedarf jeweils miteinander ausgleicht, um vom Rohstoffstandpunkt her sozusagen ewig diesen Krieg fortführen zu können.“15 Rüdt von Collenberg zufolge erklärte der seit Anfang April 1915 amtierende neue Leiter der KRA, Major Koeth, unter dem Datum 26. Juni 1915, er erachte „die Aufnahme der Arbeiten, die sich zunächst auf die Sammlung des Materials beschränken müssen, für unbedingt nötig.“ Weiter heißt es in der Denkschrift von 1930: „Dabei wurde von vornherein daran gedacht, eine wissenschaftliche Autorität zu gewinnen, die diese Arbeiten leiten sollte […]“. Schon am 10. Juli 1915 leitete das Kriegsrohstoffamt die Etablierung eines „Wirtschaftsarchivs“ in die Wege. Dieses hatte die Aufgabe, alle Akten zur Tätigkeit der KRA zu sichern und sollte zugleich eine „Nachschlagestelle“ darstellen, die unverzüglich zu allen kriegswirtschaftlichen „Erfahrungen“ Stellung nehmen konnte. „Der leitende Gedanke war also: einerseits das Material für einen historischen Überblick festzuhalten, andererseits für das laufende Geschäft eine schnelle Orientierungsmöglichkeit zu schaffen.“ Etwa zur selben Zeit wurden nach Rüdt von Collenberg ähnliche Überlegungen auch vom preußischen Kriegsminister Adolf Wild von Hohenborn angestellt. So nahm der damalige Kriegsminister, wie aus einem handschriftlichen Vermerk von ihm deutlich wurde, für sich selber oder seine engere Umgebung in Anspruch, die Erstellung einer Studie über die kriegswirtschaftlichen Maßnahmen seines Ministeriums initiiert zu haben.

Max Sering und die Wissenschaftliche Kommission Vor diesem Hintergrund erfolgte am 10. Juli 1915, dem Tag der Einrichtung des „Wirtschaftsarchivs“, die interne Mitteilung, der stellvertretende Kriegsminister von Wandel vertrete die Auffassung, dass die einschlägige Ausarbeitung noch in der Kriegszeit „in rein wissenschaftlicher Form“ erstellt und für diese Aufgabe „ein Nationalökonom von Ruf“ gewonnen werden solle. Weiter heißt es hierzu in der Denkschrift von 1930: „Der Vorschlag, den Geheimrat Prof. Dr. Sering von der Universität Berlin in Aussicht zu nehmen, scheint von KRA ausgegangen zu sein.“16 Sering war 14 BArch, RH 61/594. 15 Kurt Wiedenfeld, Rohstoffversorgung. Als Manuskript gedruckt. Kriegspresseamt Berlin 1917, S. 12. 16 BArch, RH 61/594.



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für die Darstellung der Kriegswirtschaft wohl eine unumstrittene Idealbesetzung, galt er doch sowohl auf dem Gebiet der Eisenindustrie als auch des ebenfalls wichtigen Agrarwesens als ausgewiesener Experte. 1857 in Barby an der Elbe geboren, studierte er nach dem Abitur in Straßburg (sein Vater hatte dort eine Professur inne) und Leipzig Rechts- und Staatswissenschaften. Nach seinem juristischen Staatsexamen war er bis 1883 Referendar im elsässischen Justiz- und Verwaltungsdienst. 1881 wurde er mit einer Arbeit über die „Geschichte der preussisch-deutschen Eisenzölle von 1818 bis zur Gegenwart“ zum Dr. rer. pol. promoviert. Heinrich Hennemann von der Wirtschaftsredaktion der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“, vermutlich ein Schüler Serings, schreibt unter dem Titel „Max Sering 80 Jahre alt“ zu dessen Dissertation, dass sie „großes Aufsehen“ hervorrief, „zeigte er doch bereits in dieser Arbeit sein Streben, das stets aus einem Teilgebiet den Weg zum Ganzen gesucht hat.“ 17 1883 begab sich Sering im Auftrag des preußischen Landwirtschaftsministeriums auf eine Reise nach Nordamerika, um den dortigen landwirtschaftlichen Wettbewerb zu untersuchen. Nach seiner Rückkehr habilitierte er sich an der Universität Bonn und wurde dort 1885 außerordentlicher Professor der Staatswissenschaften und 1889 ordentlicher Professor an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin, 1897 zugleich ordentlicher Professor an der Berliner Universität, an der er von 1906 an ausschließlich lehrte und forschte. Sering veröffentlichte schon vor 1914 zahlreiche Aufsätze und Bücher, insbesondere zur Agrargeschichte und Agrarpolitik.18 Mit Gustav von Schmoller und Georg Friedrich Knapp war Sering Herausgeber der „Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen“. Sering unternahm vor dem Ersten Weltkrieg verschiedene weitere Studienreisen, insbesondere im Rahmen der Frühjahrskurse der Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung. Der Bedeutung der einwöchigen Exkursion „in das Moselland“ im Mai 1910, die in die Eifel, nach Trier, in das Großherzogtum Luxemburg und nach Lothringen führte, Rechnung tragend, wurden die hier im Vorfeld gehaltenen Vorträge noch im selben Jahr in einem zweibändigen Sammelwerk unter dem Titel „Das Moselland und die westdeutsche Eisenindustrie“ herausgegeben. Der einleitende Vortrag „Das Moselland in Vergangenheit und Gegenwart“ wurde von Sering selbst gehalten.19 Da die Kriegsgeschichtsschreibung im Grunde zu den Aufgaben des Generalstabs gehörte, setzte sich das Kriegsministerium zunächst mit ihm in Verbindung. Danach nahmen sowohl der Generalstab als auch Koeth „unverbindlich und rein informatorisch“, wie Rüdt von Collenberg bemerkt, mit Sering Kontakt auf. In einem Brief vom 27. Juli 1915 an General Helmuth von Moltke, Chef des stellvertretenden Generalstabs in Berlin und für die deutsche Ernährungssicherung zuständig, schreibt Sering 17 Universitätsarchiv Freiburg, C 100/677. 18 Deutscher Wirtschaftsverlag (Hrsg.), Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft, Bd. 2. Berlin 1931, S. 1772f. 19 Das Moselland und die westdeutsche Eisenindustrie. Vorträge herausgegeben von der Vereinigung für Staatswissenschaftliche Fortbildung zu Berlin, Erster Teil. Leipzig 1910, S. 3ff.

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nach Darstellung von Rüdt von Collenberg, dass auch die Kriegsgetreidegesellschaft ihn um die wissenschaftliche Begleitung ihrer Arbeit gebeten habe und dass bei der Zentral-Einkaufsgenossenschaft (ZEG) eine vergleichbare Arbeit im Entstehen sei. Unter Bezugnahme auf dieses Schreiben heißt es in einer Anmerkung: „Prof. Sering rechnete von vornherein mit Veröffentlichung […]“. Dieser Ausarbeitung zufolge führt Sering hier weiter aus, eine umfassende Dokumentation der Kriegswirtschaft erfordere auch, dass die „dem Grossen Generalstabe unterstellten und nach allen Nachrichten besonders erfolgreiche Wirtschaftsorganisation in den besetzten feindlichen Gebieten“ berücksichtigt werde. Er bat zunächst um die Genehmigung, im ersten Schritt die besetzten Gebiete im Osten bereisen zu dürfen, um sich vor Ort informieren zu können.20 Bei diesem Vorhaben kam es nach den Worten von Rüdt von Collenberg zu einem Problem. Der Generalstab habe den Antrag mit Zustimmung des Kriegsministeriums an die Oberste Heeresleitung (OHL) weitergeleitet, die ihn wiederum Generalquartiermeister Freiherr von Freytag-Loringhoven, dem „bekannte[n] u. verdiente[n] Kriegshistoriker des Generalstabes“ zur Genehmigung vorgelegt habe. Weiter heißt es: „General von Freytag antwortete am 18. August, dass er die Reise nicht zulassen könne, und dass der Oberbefehlshaber Ost gleicher Ansicht sei. Derartige Studienreisen hätten ‚sehr überhand genommen‘; Behörden und Truppen würden allzusehr durch sie beansprucht; auch sei festzustellen, dass die Besucher bei ihrem vorübergehenden Aufenthalt häufig doch keine zutreffenden Eindrücke bekämen. ‚Uebrigens‘ schliesst das Schreiben, ‚fällt auch die Darstellung der wirtschaftlichen Tätigkeit in den besetzten Gebieten aus dem Rahmen der dem Geheimrat Sering vom Stellv. Herrn Kriegsminister gestellten Aufgabe heraus und berührt ein Gebiet, worüber die Geschichtsschreibung sich der Generalstab vorbehalten muss.‘“ Ergänzend schreibt Rüdt von Collenberg hierzu in einer Anmerkung: „Bei KRA wurde hier mit einem Pfeilstrich nach der Unterschrift ‚Frhr. v. Freytag‘ am Rande vermerkt: ‚aha!‘“ Anschließend teilt er mit: „Professor Sering aber trat seine Reise dennoch an, da General von Falkenhayn ihm seine Zustimmung dazu unmittelbar gegeben hatte. Er wurde auch von den Befehlshabern im Osten offenbar durchaus freundlich empfangen und kehrte erst Mitte Oktober nach Berlin zurück.“ Es ist nicht überraschend, dass der Besuch von den „Befehlshabern im Osten“ positiv aufgenommen wurde und Sering wohl ein geschätzter Gesprächspartner war. Constantin von Dietze berichtet in seiner „Gedenkrede auf Max Sering anläßlich der 100. Wiederkehr seines Geburtstages“ dass dieser im Rahmen der von ihm abgehaltenen Kurse für staatswissenschaftliche Fortbildung jüngerer Verwaltungsbeamter 1912 mit seinen Kursteilnehmern eine Russlandreise unternommen hatte, „wohin ihn die Stolypinische Agrarreform zog, mit ihrer Neuausrichtung des agrarischen Privatrechts und ihren die mitteleuropäischen Ausmaße weit übersteigenden

20 BArch, R 61/594. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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Siedlungsmaßnahmen“21. Die Vorträge und Aufsätze wurden zusammengefasst in dem Buch ‚Rußlands Kultur und Volkswirtschaft‘.“ Der Sammelband erschien 1913 im Verlag G.J. Göschen in Leipzig, der sich seit 1896 im Besitz von Wilhelm von Crayen befand und an dem Walter de Gruyter seit 1911 beteiligt war. 1919 wurde die G.J. Göschen’sche Verlagshandlung Teil der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co.22 Somit bestand seit 1913 der Verlagskontakt, an den Sering 1921 im Hinblick auf die Publikation seines Reihenwerks zur Kriegswirtschaft anknüpfen konnte. In seinem Werk „Griff nach der Weltmacht“ schreibt Fritz Fischer, „daß die Reise von Geheimrat Sering in die besetzten nordöstlichen Gebiete im September 1915“ auf Veranlassung des Staatssekretärs von Jagow vom Auswärtigen Amt unternommen wurde. Der anschließende Bericht von Sering sei „grundlegend für die künftige deutsche Politik in den Nordostgebieten“ geworden. Unter der Voraussetzung der militärischen Durchsetzbarkeit forderte Sering nach Fischer „die Rückverlegung der russischen Westgrenze […] fast genau der Grenze entsprechend, wie sie 1919 und 1920 als Westgrenze Rußlands durch die neu entstandenen Randstaaten festgelegt wurde.“23 Irene Stoehr erklärt in ihrem Beitrag über den Generationenwechsel von Max Sering zu Konrad Meyer im Bereich der Agrar- und Siedlungswissenschaft zu den Aktivitäten von Sering im Ersten Weltkrieg: „Als Vorsitzender der wissenschaftlichen Kommission des preußischen Kriegsministeriums und als ‚Vordenker‘ der 1912 gegründeten ‚Gesellschaft zur Förderung der Inneren Kolonisation‘ hatte er während des Ersten Weltkrieges Siedlungskonzepte für die eroberten Ostgebiete entworfen, die in einer Kontinuitätslinie zu Konrad Meyers ‚Generalplan Ost‘ 1941/1942 gesehen werden müssen.“24 Trude Maurer zufolge unternahm Sering, die sich hier auf den Jahresbericht der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität bezieht, im Sommer 1915 im Rahmen von „Arbeiten zur Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln“ und „im amtlichen Auftrage“ seine Reise nach Kurland, Lettland und Polen. Die Marine hatte nach Maurer im Jahre 1915 „Stellungnahmen von Nationalökonomen und Juristen zum geplanten U-Boot-Krieg“ eingeholt, wobei sie für Berlin Max Sering und Heinrich Triepel nennt. Neben anderen hätten Triepel und Sering „die Wirksamkeit und völkerrechtliche Zulässigkeit bestätigt.“ Verwiesen wird auch auf eine Rede von Sering

21 Constantin von Dietze, Gedenkrede auf Max Sering anläßlich der 100. Wiederkehr seines Geburtstages, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 6, 1958, S. 1–19, hier S. 9. 22 Gerhard Lüdtke, Der Verlag Walter de Gruyter & Co. Berlin 1924, S. 36 f., 99f. 23 Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18. Düsseldorf 1967, S. 233ff. 24 Irene Stoehr, Von Max Sering zu Konrad Meyer – ein „machtergreifender“ Generationenwechsel in der Agrar- und Siedlungswissenschaft, in: Susanne Heim (Hrsg.), Autarkie und Ostexpansion. Pflanzenzucht und Agrarforschung im Nationalsozialismus. Göttingen 2002, S. 57–90, hier S. 59.

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vom 6. November 1914 im Rahmen einer Vortragsreihe Berliner Hochschullehrer unter dem Titel „Die Ursachen und die weltgeschichtliche Bedeutung des Krieges“.25 Ein erstes offizielles Schreiben des stellvertretenden Kriegsministers an Sering war nach Aufzeichnung Rüdt von Collenbergs unter dem Datum 17. August 1915 verfasst worden, es erreichte Sering nicht mehr vor seiner Abreise in die besetzten Gebiete und wurde ihm dort erst einige Zeit später zugestellt. Hierin waren die bereits besprochenen Fragestellungen zusammengefasst und die Kernaufgaben der Arbeit benannt. Primär sollte es um fünf Themenschwerpunkte gehen: die Rohstoffbewirtschaftung zur Sicherstellung des Heeresbedarfs, die Rohstoffversorgung der inländischen Industrie, die Organisation der Wirtschaftsverwaltung in den besetzten Gebieten, den Transport von erbeutetem Material in den inländischen Wirtschaftsraum und die gesamte Heeresausrüstung und -verpflegung sowie die hierzu durchgeführten „Maßnahmen“. 26 In dem Schreiben des stellvertretenden Kriegsministers war weiter ausgeführt, dass die Aufgabenstellung im Grunde eine Gesamtdarstellung der inländischen Wirtschaft bedinge, „insbesondere wohl auch die Massnahmen zur Sicherstellung des Nahrungsmittelbedarfs der Bevölkerung und zur Aufrechterhaltung der für den Bedarf der Bevölkerung arbeitenden Gewerbezweige einbezogen werden müssen.“ Schließlich wurde Sering hier aufgefordert, zu erklären, ob er als wissenschaftlicher Leiter eines solchen Projektes zur Verfügung stünde und im Falle seiner Zustimmung um die Vorlage eines „Arbeitsplans“ gebeten. Sering bekundete sein Einverständnis und legte den gewünschten Plan am 9. November 1915 vor: Die Kriegswirtschaft des Deutschen Reiches verdiene es, umfassend und übersichtlich sowie der Wirklichkeit entsprechend dargestellt zu werden. Jedoch könne dieses Werk nicht unmittelbar verfasst werden, da die Geschehnisse noch in vollem Gange seien, möglich und nötig sei es aber, mit den Vorarbeiten zu beginnen. Hierzu sei eine bei der KRA anzusiedelnde „Wissenschaftliche Kommission“ zu etablieren, für die vorerst „wenige Persönlichkeiten genügten“, wobei im Bedarfsfall eine personelle Verstärkung vorbehalten bleiben müsse. Wegen der Fülle des Materials sollten die infrage kommenden Abteilungen des Kriegsministeriums für die Kommissionsmitglieder „Geschäftsberichte“ anfertigen, was die Wissenschaftliche Kommission selbstverständlich nicht vom eigenen Aktenstudium befreie. Die Materialsammlung und Bewertung der Ereignisse sollte nach der Darstellung von Sering auch der Tagesarbeit der Verwaltung von Nutzen sein, wenngleich die „Rücksicht auf das wissenschaftliche Bedürfnis des später abzufassenden Gesamtwerkes“ an erster Stelle zu stehen habe. Die Ereignisse seien umfassend zu analysieren, die leitenden Motive der Akteure sowie die Zusammenarbeit zwischen der Staatsmacht und der Privatwirtschaft aufzuzeigen. Allein auf diese Weise sei es möglich, ein Bild davon zu bekommen, „inwieweit das Gemeinwohl und das Geschäftsinter25 Trude Maurer, „… und wir gehören auch dazu“. Universität und „Volksgemeinschaft“ im Ersten Weltkrieg, Bd. 1. Göttingen 2015, S. 420, 546, 584. 26 BArch, R 61/594. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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esse sich in Einklang bringen liessen, damit ein Urteil über den Wert der getroffenen Einrichtungen; nicht anders können die Kriegserfahrungen für die Zukunft nutzbar gemacht werden.“ General von Wandel erklärte nach Rüdt von Collenberg sein Einverständnis und Besprechungen mit verschiedenen Abteilungsleitern in der KRA hatten das Ergebnis, dass diese „bereitwillig Geschäftsberichte zusagten“. Direkt danach, „gegen Ende November“, nahm die Wissenschaftliche Kommission ihre Tätigkeit auf. Die sogenannte „Errichtungsverfügung“ erging jedoch erst unter dem Datum 31. Dezember 1915. Hier heißt es unter anderem: „Die Arbeit wird in streng geschichtlicher Auffassung den Verlauf und die Entwicklung der wirtschaftlichen Ereignisse zu schildern und zugleich klarzustellen haben, auf welche Beweggründe die getroffenen Maßnahmen sich stützten, welche Ergebnisse sie gezeitigt haben und welche Aenderungen sich als notwendig erwiesen haben.“ Der Aufgabenbereich der Wissenschaftlichen Kommission sei zuerst auf „die Wirtschaftsgeschichte des Kriegsministeriums“ beschränkt gewesen, wobei gleichwohl an „keine enge Behördengeschichte“ gedacht worden sei, sondern natürlich auch die mit dem Kriegsministerium in Verbindung stehende Kriegswirtschaft einbezogen werden sollte. Professor Sering erhielt den Vorsitz in der Wissenschaftlichen Kommission, die neben ihm zunächst aus drei wissenschaftlichen Mitarbeitern bestand. Hierbei handelte es sich um, wie bereits erwähnt, Professor Dr. Kurt Wiedenfeld, Dr. Heinrich (Henry) Voelcker und Dr. Otto Goebel. Hinzu kam ein „Beamtenstellvertreter“.

Ziele und Strukturen der Kommission In seiner Autobiographie schreibt Wiedenfeld einleitend zu seiner Tätigkeit als Kommissionmitglied in Berlin: „Die Wissenschaftliche Kommission des preußischen Kriegsministeriums (WK des KM), in die ich am 1. November 1915 als Stellvertreter des Vorsitzenden, meines alten Lehrers Sering, eingetreten bin, hatte die Aufgabe, die militärische Lenkung des deutschen Wirtschaftslebens in unmittelbarer Fühlung mit den militärischen Stellen zu verfolgen und so eine spätere Darstellung vorzubereiten.“ Ihm war zunächst „das große Gebiet der Buntmetall-Bewirtschaftung“ zugeteilt. Hinzugekommen seien anschließend noch die Arbeitsgebiete Eisen, Kohle und Erdöl. Für die einzelnen Wirtschaftszweige habe er je einen Assistenten gehabt, deren Aufgabe in der Anfertigung von Aktenauszügen, der Sammlung des anfallenden Aktenmaterials und der Anfertigung von Berichtsentwürfen nach seinen Richtlinien bestanden habe: „Die Besprechungen mit den Referenten des KM und sonstiger Behörden, wie namentlich mit den Leitern der allmählich geschaffenen Ausführungsorganen und den Privatinteressenten behielt ich mir selbst vor.“27

27 Wiedenfeld, Zwischen Wirtschaft und Staat (wie Anm. 13) , S. 50.

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Otto Goebel berichtet in seiner Autobiographie wesentlich detaillierter als Wiedenfeld über seine Tätigkeit in der Wissenschaftlichen Kommission. Am 1. Dezember 1915 habe ihn Sering am Eingang der KRA „mit fliegenden Rockschößen“ in Empfang genommen und ihn unmittelbar danach Major Koeth vorgestellt. Zur personellen Zusammensetzung der Wissenschaftlichen Kommission führt Goebel aus, dass diese „zunächst nur aus Geheimrat Prof. Dr. Sering als ehrenamtlichen Vorsitzenden, aus dem schon in der Abteilung befindlichen Hauptmann Regierungsrat Völcker als Verbindungsoffizier, aus Wiedenfeld und aus mir als hauptamtlichen Mitgliedern“ bestanden habe.28 Die Verbindung zwischen Voelcker und der Stahlindustrie bleibt bei Goebel unerwähnt.



Abb. 3: Heinrich Voelcker, 1920er Jahre

Voelcker war 1903 als Regierungsrat im Reichsamt des Innern Verfasser des „Bericht über das Kartellwesen in der inländischen Eisenindustrie für die im Reichsamt des Innern stattfindenden kontradiktorischen Verhandlungen über Kartelle der Eisenindustrie“ gewesen29. 1904 wurde er Vorstandsmitglied der im selben Jahr in Düsseldorf gegründeten Aktiengesellschaft Stahlwerks-Verband und war hier zuständig für „Allgemeine Wirtschaftsfragen“ und „Statistik“. Anfang 1906 schied Voelcker aus dem

28 Goebel, Ein buntes Leben (wie Anm. 9), S. 288, 300. 29 Heinrich (Henry) Voelcker, Bericht über das Kartellwesen in der inländischen Eisenindustrie für die im Reichsamt des Innern stattfindenden kontradiktorischen Verhandlungen über die Kartelle der Eisenindustrie. Berlin 1903.



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Vorstand dieses bedeutenden Verbandes mit rund 400 Mitarbeitern wieder aus.30 1907 erschien sein Werk „Die deutsche Eisen- und Stahlindustrie“31 und zwei Jahre später sein Buch „Die deutsche Volkswirtschaft im Kriegsfall“.32 Kurt Wiedenfeld erwähnt zwar in seiner Schrift „Die Organisation der Kriegsrohstoff-Bewirtschaftung im Weltkriege“ das Buch von Voelcker zum Kriegsfall und erklärt, dass dessen „Warnungsruf“ aus dem Jahre 1909 „völlig wirkungslos verhallt“ sei. Zur Person heißt es hier aber lediglich: „[…] ein früherer Referent des Reichsamtes des Innern und damaliger Privatdozent der Volkswirtschaftslehre […]“.33 Zu der doppelten Zielsetzung der Kommissionsarbeit schreibt Goebel: „Die uns gestellte Aufgabe war die Vorbereitung zur späteren Abfassung eines Werks über die Kriegswirtschaft als Parallele zu dem Generalstabswerk über den militärischen Ablauf, wie es nach jedem Krieg zur Festhaltung von Erfahrungen ausgearbeitet wird. Selbstverständlich sollten wir auch unmittelbare Anregungen in den Ablauf des Tages hineingeben dürfen.“ Die Aktivitäten der Kommission sollten mit der Sichtung der bereits umfangreich vorhandenen kriegswirtschaftlichen Unterlagen des Kriegsministeriums einsetzen und hieraus dann die wichtigsten Vorgänge in Form von Auszügen und Abschriften dokumentiert werden. Mit der Tätigkeitsaufnahme der Wissenschaftlichen Kommission ging deren Mitgliedern alle „laufende Post der Kriegsrohstoffabteilung vor dem Ablegen in die Akten zu.“ Nach Darstellung Goebels organisierte Sering Vorträge der Abteilungsreferenten über die seitherige Tätigkeit und die Arbeitsergebnisse ihrer jeweiligen „Sektionen“. Weiter berichtet er, dass die Angehörigen der Wissenschaftlichen Kommission gemeinsam die Entwicklung der Kriegswirtschaft verfolgten, sich jedoch, „mit Ausnahme von Geheimrat Sering“, arbeitsteilig weiter betätigen wollten. So habe Wiedenfeld den Bereich Kohle und Eisen, Voelcker „Leder und die restlichen Stoffe“ und er selber den Bereich Spinnstoffe übernommen.34 Erhellend zur Persönlichkeit und zum weiten Interessensspektrum von Sering sind die folgenden Ausführungen Goebels: „Koeth betrachtete die Wissenschaftliche Kommission als eine für die inneren Zwecke des Kriegsministeriums bestimmte Einrichtung, die Erfahrungen sammeln, sie niederlegen, auch Kritik üben sollte. Sering strebte weit über den Rahmen des Kriegsministeriums hinaus, suchte nahe Beziehungen auch zum Reichsamt des Innern, zum Kriegsernährungsamt und zum Reichsschatzamt. Er bemühte sich, unmittelbaren Einfluss auf den Gang der Dinge zu

30 Stahlwerks-Verband (Hrsg.), 25 Jahre Stahlwerks-Verband 1904–1929. Düsseldorf 1929, S. 7ff. 31 Heinrich (Henry) Voelcker, Die deutsche Eisen- und Stahlindustrie. Berlin 1907. 32 Heinrich (Henry) Voelcker, Die deutsche Volkswirtschaft im Kriegsfall. Leipzig 1909. 33 Kurt Wiedenfeld, Die Organisation der Kriegsrohstoff-Bewirtschaftung im Weltkriege. Hamburg 1936, S. 35. 34 Goebel, Ein buntes Leben (wie Anm. 9), S. 300f.

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gewinnen. Der stürmische Geheimrat wurde manchen Stellen im Kriegsministerium lästig.“35 Goebel zufolge ging Wiedenfeld auf andere Art und Weise als Sering „eigene Wege“: Jener habe die „überragende Bedeutung und entscheidende Stellung“ von Koeth gesehen und auf diesen schließlich „Einfluss“ ausgeübt. So sei er im weiteren Verlauf, unter Aufrechterhaltung seiner Position als Mitglied der Wissenschaftlichen Kommission, volkswirtschaftlicher Referent in der KRA geworden: „Eine ideale Zusammenarbeit der Kommission in sich und mit dem Kriegsministerium und eine dauernde gemeinsame Durchdenkung der uns aufstoßenden Probleme waren unter diesen Umständen nicht zu erreichen.“ Bereits nach kurzer Zeit habe er gegenüber Wiedenfeld geäußert: „Das einheitliche zusammenfassende Werk über die Kriegswirtschaft wird nie geschrieben werden.“ Mitunter habe er diskret dafür sorgen müssen, zwischen Sering und Wiedenfeld sowie zwischen diesem und Voelcker ein gutes Miteinander aufrechtzuerhalten.36 In seiner Würdigung von Koeth, der 1936 verstorben war, geht Goebel – in einer Zeit erneuter Kriegsvorbereitungen – auf dessen „Einstellung zur Wissenschaft“ und Wertschätzung der Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission ein: „Bei seiner Abteilung hatte sein Weitblick der von Geheimrat Prof. Dr. Sering der Heeresverwaltung angebotenen Wissenschaftlichen Kommission Heimatrecht gewährt.“ Die Wertschätzung Koeths gegenüber den Kommissionsmitgliedern kommt in den folgenden Ausführungen zum Ausdruck: „Sein Verhalten zu dieser Kommission, wenigstens zu den ursprünglichen engeren Mitgliedern dieses später zu sehr erweiterten Gebildes, kann man als Schule machendes Beispiel bezeichnen.“ Weiter heißt es hier: „Es war der erste erfolgreiche Versuch eines wirtschaftlichen Verwaltungschefs, sich ähnlich dauernd und eindringlich von der Wissenschaft beraten zu lassen, wie das auf technisch-naturwissenschaftlichem Gebiet schon geraume Zeit zu den Selbstverständlichkeiten gehört.“ Dabei habe Koeth einen wirklichen Gedankenaustausch gepflegt. Er habe den ursprünglichen Kommissionsmitgliedern tiefste „Einblicke“ gewährt, sie fortwährend an allen relevanten Besprechungen und „Entscheidungen“ beteiligt sowie „mit ihnen zahllose vertrauliche Aussprachen“ gehabt. Anschließend schreibt Goebel: „Er trat uns Wissenschaftlern, die wir ihm im Kriege nahestanden, oft mit einer uns beschämenden hohen Meinung gegenüber.“ Die „Wertschätzung der Volkswirtschaftslehre“ sei bei Koeth sehr ausgeprägt gewesen, wenngleich er „mehr konstruktiver Organisator und soldatischer Techniker“ gewesen sei.37

35 Ebd., S. 301. 36 Ebd. 37 Otto Goebel, Koeth, der Meister der deutschen Kriegswirtschaft im Weltkriege, in: Jahrbuch für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften 1937/1938, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften. Hamburg 1938, S. 111–124, hier S. 118.



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Konflikt um die Deutungshoheit zwischen Sering und Rathenau Für Sering stand nach der Bildung der Wissenschaftlichen Kommission wohl nicht das Binnenverhältnis der Kommissionsmitglieder im Vordergrund, sondern eine sich abzeichnende Einflussnahme durch Walther Rathenau. Zu Serings Arbeitsplan vom 9. November 1915 hatte von Wandel nach Rüdt von Collenberg bei der Erwähnung der Motive der handelnden Personen angemerkt: „Dr. Rathenau würde zu hören sein.“ Infolgedessen hatte Rathenau zu dem ersten Referentenvortrag im Rahmen der Wissenschaftlichen Kommission am 22. Dezember 1915 unter dem Titel „Die Organisation der Sektion Metalle“ eine Einladung bekommen. Allerdings war er an diesem Tag verhindert gewesen.38 In einem Schreiben Serings an Rathenau vom 4. Januar 1916 bezweifelte der Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission, dass die bereits geplanten weiteren Vorträge für Rathenau besonders interessant sein würden, zugleich bat er um eine Unterredung über die Bildung und Entwicklung der KRA. Rathenau hatte die Gründung einer solchen Einrichtung bereits Anfang August 1914 bei Kriegsminister von Falkenhayn vorgeschlagen und die neugeschaffene Organisation anschließend bis Ende März 1915 geleitet. Bei Rüdt von Collenberg heißt es: „Die Bildung der WK scheint seine Aufmerksamkeit erregt und den Wunsch bei ihm geweckt zu haben, sich an ihren Arbeiten unmittelbar und fortlaufend zu beteiligen. Es lag nahe, dass aus einer solchen Beteiligung leicht eine Beeinflussung und die wissenschaftliche Selbständigkeit und Urteilsmöglichkeit beeinträchtigt werden konnte. Der Widerstand, der sich daraus ergab, ist von Rathenau bald und offensichtlich unangenehm empfunden worden […]“. Als Beleg hierfür zitiert Rüdt von Collenberg aus einer Aktennotiz von Oberst Hoffmann vom 7. Januar 1916, in der dieser vermerkte, das „Mißtrauen des Dr. Rathenau, er solle beiseite geschoben werden“, trete bereits deutlich zutage. Wohl nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Konstituierung der Wissenschaftlichen Kommission hatte Rathenau in der Deutschen Gesellschaft 1914, der auch Sering als einer der Schriftführer angehörte, am 20. Dezember 1915 einen Vortrag über „Die Organisation der Rohstoffversorgung“ gehalten. Dieser Vortrag lag bereits am 16. Januar 1916 „als Manuskript gedruckt“ beim Verein Deutscher Eisenhüttenleute in Düsseldorf vor – offensichtlich ein Privatdruck von Rathenau. Einleitend heißt es: „Über einen Abschnitt unserer wirtschaftlichen Kriegführung möchte ich Ihnen berichten, der ohne geschichtliches Vorbild ist, der auf den Verlauf und Erfolg des Krieges von hohem Einfluß sein wird, und der voraussichtlich hinüberwirken wird in fernere Zeiten.“39 Rathenau hegte zu dieser Zeit wohl die Erwartung, dass die neu 38 BArch, R 61/594. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen. 39 Walther Rathenau, Die Organisation der Rohstoffversorgung. Vortrag gehalten in der Deutschen Gesellschaft 1914 am 20. Dezember 1915. Als Manuskript gedruckt, S. 3. Unter dem Titel „Deutschlands Rohstoffversorgung“ erschien der Vortrag vom 20. Dezember 1915 im Jahre 1916 mit dem Zusatz „Veröffentlicht mit Genehmigung des preußischen Kriegsministeriums“ im S. Fischer Verlag in

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geschaffenen kriegswirtschaftlichen Strukturen von anhaltender organisatorischer und mentaler Bedeutung bleiben könnten. Am 25. Januar 1916 fand zwischen Sering und Rathenau ein längeres Gespräch statt. Rathenau erklärte eingangs, so Rüdt von Collenberg, der Kriegsminister (gemeint war wohl General von Wandel) habe ihm „den Vorschlag zum ständigen Besuch der Referentenvorträge“ unterbreitet. Sering sei dies nicht bekannt und er damit auch nicht einverstanden gewesen. Er habe darauf hingewiesen, dass die Gegenwart von Rathenau bei den Referenten zu einer gewissen Befangenheit führen könne. Entscheidend sei, „das ganze unverfälschte Bild zu fixieren“, das die Referenten gewonnen hätten. Rathenau zog in Zweifel, dass seine Gegenwart zu den von Sering befürchteten Folgen führen könnte. Dennoch habe er sich in seiner anschließenden schriftlichen Stellungnahme darauf beschränkt, den Wunsch zu äußern, dass die Vortragsprotokolle, „sobald jedes einzelne fertiggestellt“ sei, ihm übermittelt werden, worauf er jedoch besonderen Wert“ lege.40 Rüdt von Collenberg zufolge beendete Rathenau seine Zeilen an Sering mit den Worten: „Da ich durch diese Neugestaltung naturgemäss mich von dem Gang der Arbeiten noch weiter entferne, so wäre es mir ganz besonders erwünscht, wenn diejenigen Beratungen, die Sie selbst über die Arbeiten und das Wesen der KRA anzustellen gedenken, mir nach ihrer Fertigstellung, jedoch noch vor der Drucklegung zugänglich gemacht werden könnten.“ Hierzu bemerkt Rüdt von Collenberg: „Der Vorsitzende konnte diesem Wunsche nicht nachkommen.“ In seiner Antwort an Rathenau erklärte Sering, dass die Protokolle unter das „Amtsgeheimnis“ fielen. Mitteilungen aus ihnen könnten nur erfolgen, soweit sie der Stärkung der Erinnerung dienten: „Nur in dieser Begrenzung, also soweit sie Vorgänge aus Ihrer Amtszeit betreffen, darf ich Ihnen Einblick gewähren.“ Weiter heißt es, sobald die Wissenschaftliche Kommission ein umfassendes Bild von den einzelnen Arbeitsgebieten wie beispielsweise der Metall- oder Textilbewirtschaftung gewonnen habe, werde man ihn um eine Stellungnahme bitten bzw. zu „wichtigeren“ Zusammenkünften, bei denen „allgemeine und grundsätzliche Fragen“ erörtert würden, einladen. Im Anschluss schreibt Rüdt von Collenberg: „Tatsächlich scheint ein wesentlicher Einfluß von Dr. Rathenau im weiteren Verlauf nicht ausgeübt worden zu sein.“ In seiner Einschätzung dieses Konfliktes versucht Rüdt von Collenberg sowohl der Interessenlage von Rathenau als auch derjenigen von Sering gerecht zu werden. Rathenau sei von dem Gedanken erfüllt gewesen, „die höchst wichtige Organisation der Rohstofferfassung vorgeschlagen, ins Leben gerufen und in ihre Bahnen gelenkt

Berlin. Im Anhang dieser Schrift werden je zwei Anerkennungsschreiben des Kriegsministers Wild von Hohenborn und seines Stellvertreters von Wandel sowie ein Anerkennungsschreiben des Reichskanzlers von Bethmann Hollweg veröffentlicht. In dem Schreiben von Bethmann Hollweg vom 15. Juli 1916 heißt es abschließend: „Da mir aber gemeldet wird, daß Ihre freiwillige Tätigkeit Angriffen und Mißdeutungen ausgesetzt war, stehe ich nicht an, Ihnen auch schriftlich noch zu sagen, wie hoch ich Ihre Tätigkeit bewerte.“ 40 BArch, R 61/594. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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zu haben.“ Er habe auch nach seinem Weggang aus dem Kriegsministerium „mitten in der Kriegswirtschaft“ gestanden und sei außerdem mit „den Methoden wissenschaftlicher Arbeit“ vertraut gewesen. Infolgedessen sei es verständlich, dass er den Wunsch gehabt habe, „dem Werk, das entstehen sollte, die Richtlinien zu geben.“ Auf der anderen Seite habe man im Kriegsministerium eine aus Wissenschaftlern bestehende Kommission „gerade deshalb gebildet […], dass sie unbeeinflusst sich ihr Urteil selbst bilde.“ Im Hinblick darauf „hatte man den Geheimrat Sering als Autorität berufen und es war klar, dass er seinerseits bestrebt sein musste, sich von vornherein von jeder Beeinflussung freizumachen.“ Bei einer anderen Ausrichtung der Wissenschaftlichen Kommission, so die Meinung Rüdt von Collenbergs, hätte Rathenau Mitglied oder sogar Kommissionsvorsitzender werden müssen.



Abb. 4: Walther Rathenau, ca. 1920

Ein weiterer Aspekt ist in diesem Zusammenhang zu sehen: Möglicherweise war Goebel nicht das einzige Kommissionsmitglied, das davon ausging, dass die Tätigkeit von Rathenau als Leiter der KRA in der Zeit von August 1914 bis März 1915 kritisch zu sehen sei. In einer Würdigung des Rathenau-Nachfolgers Koeth unter der Überschrift: „Koeth, der Meister der deutschen Kriegswirtschaft im Weltkriege“ bemerkt Goebel – bezeichnenderweise in der Zeit des „Dritten Reiches“ – zu Rathenau, dieser habe „in Aufbau und Leitung der Abteilung versagt.“ Rathenau habe „zunächst nur bei einigen wenigen Kriegsrohstoffen im engeren Sinne für erste Bestandserhebungen und für Bereitstellung der sofort greifbaren Vorräte und für ihre Zuweisung wesentlich an die großen Firmen zur Erfüllung von diesen übernommener Heeresaufträge gesorgt.“ Abschließend heißt es hier: „Alles das geschah unter reichlich privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten ohne systematischen Zusammenhang und in keine große Linie ein-

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geordnet. Wir wissen aus den Mitteilungen seiner damaligen Mitarbeiter, daß seine Lösungen immer nur Lösungen von Fall zu Fall waren.“41 Ein ungleich positiveres Bild von Rathenau als Begründer und Leiter der Kriegsrohstoffabteilung vermittelt dagegen sein ehemaliger Mitarbeiter Heinrich Spiero in seinem autobiographischen Werk „Schicksal und Anteil. Ein Lebensweg in deutscher Wendezeit“, das noch in der Zeit der Weimarer Republik erschien. Spiero geht zunächst auf die ganz besondere persönliche Ausstrahlung von Rathenau ein, zu der er schreibt: „Rathenau war kein Abteilungschef, kein Vorgesetzter, kein Kommandeur im üblichen Sinn – er war unser geistiger und seelischer Mittelpunkt, der Mann, von dem Forderung und Lösung ausstrahlten.“ Er habe „sich im Widerstreit von Interessen schließlich doch mit Glück auf das Menschliche, auf die Seele“ berufen. Zu den Erfolgen der KRA in der Ära Rathenau zählt Spiero insbesondere den „beschleunigte[n] Bau von acht großen chemischen Fabriken, mitten im Winter, für die von Emil Fischer und Fritz Haber erfundenen Explosivstoffe, die den Chilesalpeter zu ersetzen hatten. Und die Fabriken wurden so zeitig fertig, daß wir nicht, wie zu befürchten stand, im ersten Frühjahr verschossen waren.“42

Expansionsbestrebungen Serings Nach Rüdt von Collenberg war in der „Errichtungsverfügung“ vom 31. Dezember 1915 die Festlegung getroffen worden, dass die Tätigkeit der Wissenschaftlichen Kommission zunächst nur das Kriegsrohstoffamt umfassen solle, aber zu einem späteren Zeitpunkt auf „sämtliche Stellen“ des Kriegsministeriums ausgedehnt werden sollte. Bereits im März 1916 schien Max Sering diese Zeit gekommen. Er ersuchte um eine diesbezügliche Weisung, wobei er ausführte, die Bewirtschaftung der Rohstoffe stünde in einem Kausalzusammenhang mit dem Beschaffungswesen insgesamt, dem Ex- und Import von Gütern, der Nutzung der besetzten Gebiete sowie der Gesamtheit der Rüstungsindustrie und der gewerblichen Tätigkeit. Ebenso seien die Verpflegung der Truppe und der Kriegsgefangenen einzubeziehen, außerdem die Pferdebeschaffung zu berücksichtigen.43 In seiner Planung listete Sering fünf Hauptpunkte auf: den Bedarf an Rohstoffen für die Rüstung und dessen Deckung aus dem In- und Ausland vor Kriegsbeginn und hieran anschließend die monatliche Bedarfsentwicklung in der Zeit der Kriegswirtschaft; die wirtschaftlichen Blockademaßnahmen der Kriegsgegner; die einzelnen Maßnahmen zur Bedarfssicherung; die umfassende Darstellung der Ergebnisse der Kriegswirtschaft; die Bewertung der Organisation der Kriegswirtschaft und Leitlinien für die künftige Arbeit.

41 Goebel, Koeth (wie Anm. 37), S. 113f. 42 Heinrich Spiero, Schicksal und Anteil. Ein Lebensweg in deutscher Wendezeit. Berlin 1929, S. 242f. 43 BArch, R 61/594. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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Die Materialien für diese Ausarbeitungen zur Verfügung zu stellen wurde allen Abteilungen des Kriegsministeriums als Aufgabe gestellt, die für das Beschaffungswesen bis hin zu den Medikamenten zuständig waren, durch eine Verfügung wurden sie beauftragt, diesbezügliche Berichte bis Mitte Juli 1916 vorzulegen. Die Berichte der einzelnen Referenten sollten in ihrer Urfassung, eventuell mit Anmerkungen der jeweiligen Vorgesetzten, eingereicht werden. Rüdt von Collenberg bemerkt hierzu: „Dem Vorsitzenden der W K lag daran, die Berichte ungekürzt und nicht Zusammenstellungen der Abteilungen oder Departements zu erhalten.“ In diesem Kontext wurden für die Wissenschaftliche Kommission zwei Ziele definiert: Zum einen sollte im Sommer 1916 eine Darstellung der bisherigen „kriegswirtschaftlichen Maßnahmen“ vorgelegt und zum anderen „ein hohen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechendes Werk, welches die gesamte Kriegswirtschaft unter militärischen, volkswirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten behandelt“ vorbereitet werden, wobei die Intention darin bestand, dieses nach Kriegsende fertigzustellen. Weiter heißt es in diesem Zusammenhang, dass der Vorschlag von Sering, als zusätzliche Aufgabe der Wissenschaftlichen Kommission „eine Uebersicht der kriegswirtschaftlichen Maßnahmen seit Kriegsbeginn“ vorzulegen, „vielleicht im Zusammenhang mit der Bemerkung in seinem Schreiben vom 9. November 1915 [zu sehen sei], dass die Arbeiten der W K ‚auch der laufenden Verwaltung zu Gute kommen‘ würden.“ Rüdt von Collenberg kommentiert dies abschließend mit den Worten: „Damit begab sich die Kommission auf den Weg, die historische Aufgabe mit einer Kritik der laufenden Geschäfte zu verbinden.“ Zugleich ist hier wohl die Wurzel der bereits zitierten Bemerkung von Goebel zu sehen, dass der „stürmische“ Sering „manchen Stellen im Kriegsministerium lästig“ geworden sei. Überliefert ist ein Rundschreiben von Sering vom 7. März 1916 an die einzelnen Abteilungen der KRA, das als „Musterbrief“ für die späteren Anschreiben an die gesamte Organisation des Kriegsministeriums anzusehen sein dürfte. Einleitend schreibt der Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission: „Es besteht die Absicht, einen vorläufigen Tätigkeitsbericht über die verschiedenen Zweige der Kriegs-Rohstoff-Wirtschaft unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu verfassen und dem Herrn stellvertretenden Kriegsminister vorzulegen. Der Bericht ist für jede der grossen Abteilungen auf 1 bis 2 Druckbogen berechnet.“ Anschließend erklärt Sering in dem Rundschreiben: „In grossem Ueberblick und in streng geschichtlicher Auffassung ist die Tätigkeit der Kriegs-Rohstoff-Abteilung und der ihr angeschlossenen Organisationen, sowie der Verlauf der wirtschaftlichen Ereignisse zu schildern. Es werden die Beweggründe für die getroffenen Massnahmen und ihre Abänderungen darzulegen, die erzielten Ergebnisse an Hand der statistischen Erhebungen zu würdigen sein.“ Weiter heißt es hier: „Die Ergebnisse umfassen nicht blos das Mass der Sicherung für die Versorgung des Heeres und, soweit festzustellen, der Bevölkerung, sondern auch die Preise, welche die Heeresverwaltung und die Bevölkerung aufzuwenden hatten.“ Der wissenschaftliche Anspruch von Sering geht auch aus den folgenden Ausführungen hervor: Seiner Auffassung nach sollte sich die Darstellung „nicht mit der

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sorgfältigen Feststellung der Tatsachen begnügen, sie muss die Kausal-Zusammenhänge erforschen, den Motiven der Handelnden nachgehen, das Zusammenwirken der öffentlichen Gewalt mit den freien Kräften der wirtschaftlichen Gesellschaft zur Anschauung bringen.“ Zu seiner Zielsetzung schreibt er: „Aus der Summe der Erfahrungen wird schliesslich ein Urteil über den Wert der kriegswirtschaftlichen Organisationen abzuleiten und die Frage zu beantworten sein, inwieweit sich das Gemeinwohl und das Geschäftsinteresse in Einklang bringen liessen.“ Weiter heißt es, „das Urteil“ werde „besser in dem auf abgeschlossenen Aktenstudium beruhenden Hauptwerk seine Stelle finden.“ Zur Situation der Industrie sowie der Lage der Unternehmer und Arbeiter in der Kriegszeit werde es schwierig sein, „auf Grund des Materials der Kriegs-Rohstoff-Abteilung etwas Endgültiges zu sagen.“ Sofern jedoch Referenten der Meinung seien, hier über gesicherte Informationen zu verfügen, seien entsprechende Ausführungen sehr erwünscht. Unter dem Datum 29. April 1916 verfasste Sering ein Memorandum mit dem Titel „Denkschrift über die Tätigkeit der ‚Wissenschaftlichen Kommission‘ und über Gesichtspunkte für die Abfassung der von den Departements und Abteilungen eingeforderten Tätigkeitsberichte“. Hierbei handelte es sich um eine Erweiterung seines oben zitierten Rundschreibens vom 7. März 1916, das offensichtlich diesmal für die Gesamtorganisation des Kriegsministeriums bestimmt war. Zur allgemeinen Orientierung schreibt Sering in der Einleitung: „Die Kommission hat ihre Arbeit zunächst unter Beschränkung auf die Kriegs-Rohstoff-Abteilung gegen Ende November v. Js. in Angriff genommen.“ Den Mitgliedern der Wissenschaftlichen Kommission sei die „Teilnahme an wichtigeren, amtlichen Konferenzen“ gestattet worden. Erläuternd heißt es: „Hand in Hand damit geht die sorgfältige Einzelarbeit: das Ausziehen der Akten, das Sammeln der Auszüge und wichtigerer Abschriften in einem Archiv, das Zusammenstellen und Sichten des statistischen Materials. Diese Arbeiten sind nach Referaten auf die einzelnen Mitglieder der Kommission verteilt.“ Zur Zielsetzung erklärt Sering weiter: „Auf solche Weise entsteht allmählich ein zuverlässiges Bild von der seit Beginn des Krieges geführten Rohstoffwirtschaft; es werden die Grundlagen für ein sicheres Urteil über die kriegswirtschaftliche Organisation und Richtlinien für die wirtschaftliche Zukunft in Krieg und Frieden gewonnen.“ Danach wiederholt er seine bereits den Abteilungen der Kriegsrohstoffabteilung gegebenen „Richtlinien“ für die Abfassung der Berichte, wobei er jedoch abschließend einschränkend erklärt: „Die Eigenart der Aufgabe mancher Abteilungen wird Abweichungen notwendig machen.“ In einem Rundschreiben des stellvertretenden Kriegsministers von Wandel an verschiedene Abteilungen des Ministeriums vom 16. Mai 1916 heißt es, dass es für die Wissenschaftliche Kommission sinnvoll sei, wenn die Berichte, „der Abteilungen, die mit Beschaffungen zu tun haben“, erst kurz vor dem 15. Juli 1916 abgeschlossen würden und nicht bereits Wochen vorher. Er ordnete damit an, dass die Referentenberichte „mit etwaigen Bemerkungen der Abteilungschefs und Departements-Direktoren am Rande oder am Schlusse versehen, zur Vorlage kommen.“ Demnach sollten keine im Vorfeld mit den jeweiligen Leitern „abgestimmten“ Berichte abgegeben werden.



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Insbesondere die von Sering gewünschten „statistischen Erhebungen“ bedeuteten wohl für einzelne Abteilungen des Kriegsministeriums eine nicht geringe Hürde. Dies geht aus einem „Nachtrag“ zur Ende April 1916 verfassten Denkschrift von Sering hervor, der am 18. Mai 1916 von seinem Stellvertreter Wiedenfeld verfasst wurde. Hier heißt es einleitend, dass einige Abteilungen „auf einzelnen Gebieten schon ein ausgezeichnetes Material gesammelt haben, während andere, deren Organisation erst im Kriege geschaffen werden mußte und an die sich die Anforderungen von Tag zu Tag sprunghaft vermehrten, bei denen auch ein häufiger Wechsel der Referenten stattgefunden hat, infolge dieser Umstände nicht Zeit fanden, eine gute Statistik anzulegen.“ Anschließend wird erklärt: „Vielfach hat man auch andere Zeiteinteilung als die geforderte monatliche für die Statistik gewählt, sodass eine Umarbeitung eine erhebliche Mehrbelastung der Referenten in der noch vorhandenen kurzen Zeit ergeben würde und deshalb zur Zeit zunächst nicht möglich ist.“ Somit könne eine umfassende und alle Bereiche gleichermaßen behandelnde Darstellung „nicht erwartet werden; sie wird erst aufgrund der eingegangenen Tätigkeitsberichte in der endgültigen Arbeit anzustreben sein.“ Die gewünschte „umfassende Aufzählung in der Denkschrift“ bedeute, das bereits vorliegende sowie das einfach zu besorgende Material einzuarbeiten. Als Anleitung für ein möglichst weites Themenspektrum gibt Wiedenfeld anschließend konkrete Hinweise. So werde es der Mehrzahl der Referenten möglich sein, einen geschichtlichen Rückblick zur Entwicklung ihrer Referate zu verfassen und die Bedarfsanforderungen aufzuzeigen. Ebenso seien die Modalitäten der Bedarfsdeckung aus staatlichen Einrichtungen, aus Industrie und Handel vielen noch in relativ deutlicher Erinnerung. Manche Referenten hätten ihren Fokus auf der Preisentwicklung und deren Determinanten, andere hätten ein besonderes Augenmerk auf die Auswirkungen der Auftragsvergabe auf die Arbeits- und Lohnbedingungen, einschließlich Heimarbeit und Handwerk gelegt. Allen gemeinsam seien die Erfahrungen mit den Ersatzstoffen und ihren Wirkungen auf die Bedarfsdeckung und die Preisentwicklung. Auch verfügten einzelne Referenten wohl über Statistiken zu bedeutsamen Verbrauchsgegenständen. Außerdem seien die Erfahrungen und Beobachtungen auf dem Beschaffungssektor möglichst darzustellen: „Wenn Lücken nicht ohne besondere Vorarbeiten auszufüllen sind, so genügen Hinweise darauf.“ Stets sei zu bedenken, dass es primär um Unterlagen zur Erforschung der wirtschaftlichen Aspekte des Krieges gehe. Technische und militärische Entwicklungen seien immer nur dann einzubeziehen, soweit von ihnen ein Einfluss auf den Bedarf und seine Befriedigung ausgegangen sei. Zu Beginn der zweiten Jahreshälfte 1916 hatte die Wissenschaftliche Kommission insgesamt 27 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Differenziert wurde nach „Mitglieder“, „Mitarbeiter“, „Assistenten“ und „Schreibkräfte“. Die „Mitglieder“ waren, wie schon bei der Gründung Ende 1915, Sering, Wiedenfeld, Voelcker und Goebel, als „Mitarbeiter“ fungierten inzwischen Professor Franz, Professor Krahmann, Hauptmann Büsselberg und Dr. Helft als Protokollführer, zu den „Assistenten“ gehörten bereits

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die späteren Autoren Dr. Lindig (bei Wiedenfeld) und Leutnant Dipl.-Ing. Stellwaag (bei Krahmann). In einer Besprechung am 29. Juli 1916 erfolgte eine Abgrenzung der Arbeitsbereiche von Wiedenfeld und Krahmann. Hier wurde nach dem Ergebnisprotokoll festgelegt, dass dieser „die gesamte mitteleuropäische Lagerstätten-Wirtschaft, soweit sie Kriegswirtschaft“ sei, bearbeiten sollte, einschließlich der Kohlengewinnung, während jener die Erzverhüttung einschließlich der Handelsstufe behandeln sollte. Anschließend bat Sering darum, dass jedem „Vorbericht“ eine sehr detaillierte Inhaltsübersicht beigefügt und auch ein zusammenfassendes Schlusskapitel angehängt werden sollte. Auch sei ein besonderer Anlagenband vorgesehen, in welchen „die wichtigsten Vorgänge (Verfügungen usw.)“ aufgenommen werden sollten. Weiter erklärte Sering, dass er beantragen wolle, dass die Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission in ihren jeweiligen Sachgebieten am weiteren Archivaufbau mitwirken sollten. Schließlich sollten die Kommissionsmitglieder im Hinblick auf den vom Kriegsminister für die Wissenschaftliche Kommission „zu fordernden Fonds“ ihren finanziellen Bedarf mitteilen.

Professoren bei verschiedenen Reichsressorts im Dienste der Kriegswirtschaft In einer Kommissionssitzung am 31. August 1916 besprachen die Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission auch den „Wunsch“ des Reichsschatzamtes, „sich über die Eignung der Rohstoffgesellschaften für die Organisation des Einkaufs der Rohstoffe in der Übergangszeit zu unterrichten unter dem Gesichtspunkt der Nutzbarmachung des Rohstoffeinkaufs für finanzielle Zwecke.“ Das Reichsschatzamt hatte dieses Anliegen dem Kriegsminister unterbreitet, der wiederum Sering ermächtigt hatte, dem zuständigen Referenten des Reichsschatzamtes, Professor Alfred Weber, Einsicht „in das von der W.K. gesammelte Material zu gewähren, soweit es für die Absichten des Reichsschatzamtes erwünscht erscheint.“ Hierbei war jedoch festgelegt worden, „daß geheime Angelegenheiten dem Referenten des Reichsschatzamtes vorzuenthalten sind.“ Die Kommissionsmitglieder Sering, Goebel und Voelcker beschlossen, ein Schreiben an die mit Fragen der Rohstoffwirtschaft befassten Mitglieder und Mitarbeiter der Wissenschaftlichen Kommission zu richten und hier bekannt zu geben, „daß Privatauskünfte auf Anfrage auch von amtlicher Stelle zu vermeiden sind.“ Weiter wurde beschlossen, Weber solle vorerst „in einer Sitzung der W.K. unter Einschluß der betreffenden Mitarbeiter Gelegenheit zur Darlegung seiner Wünsche und zu einer Aussprache mit den Mitarbeitern gegeben werden, aus der sich dann die weitere Behandlung der Sache ergeben wird.“ Nach Rüdt von Collenberg hatte das Reichsschatzamt am 12. Juli 1916 um die Übermittlung „der kriegswirtschaftlichen Erfahrungsberichte“ der Wissenschaftlichen Kommission gebeten, die „unter dem Gesichtspunkt des Arbeitens und der finanziellen Verwertbarkeit zu Monopolen und ähnlichen Bildungen“ von erheblichem



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Interesse wären und auch in Zukunft für eine Reichsfinanzreform von Relevanz sein könnten. Weiter heißt es, eine Einsichtnahme in die einschlägigen Akten sei seitens des Kriegsministeriums „bereitwillig zugestanden“ worden. Bei dem Interesse des Reichsschatzamtes an der Arbeit der Wissenschaftlichen Kommission ging es nicht um ein Konkurrenzprojekt. Hans G. Nutzinger zufolge standen die „Kriegsgutachten“ von Alfred Weber (einem jüngeren Bruder von Max Weber) primär im Zusammenhang mit der Pariser Wirtschaftskonferenz der gegnerischen Mächte vom Juni 1916, auf der der Beschluss zur Fortführung der Blockade Deutschlands über den Krieg hinaus gefasst worden war. Drei in seinem Nachlass überlieferte „Kriegsgutachten“ sind in Alfred Webers Schriften zur Industriellen Standortlehre publiziert worden, die 1998 erschienen.44 Nach August Skalweit, einem früheren Schüler und zeitweisen Mitarbeiter Serings, war neben Alfred Weber auch der Nationalökonom Hermann Schumacher für das Reichsschatzamt tätig.45 Im Sommer 1916 hatte die Wissenschaftliche Kommission auch erste Versuche zur Heranziehung der kriegswirtschaftlichen Unterlagen anderer Behörden unternommen. Nach Darstellung von Rüdt von Collenberg teilte die Kriegsrohstoffabteilung am 10. Juli 1916 dem Reichsamt des Innern mit, das „Wirtschaftsarchiv“ der Abteilung sammele alle Unterlagen, die die in der Kriegszeit im Bereich der Rohstoffversorgung gesammelten Erfahrungen und Anordnungen umfassten. Aus dem gesamten Bereich der Kriegswirtschaft seien Informationen erwünscht, um deren Übersendung gebeten werde.46 Rüdt von Collenberg zufolge „erregte dies das Interesse des Staatssekretärs Helfferich, welcher seine Bereitwilligkeit zum Ausdruck brachte, dem Wunsche unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit nachzukommen […]“. Zugleich habe Helfferich erklärt, „er beabsichtige die gesamten wirtschaftlichen Vorgänge während des Krieges, von denen die Kriegsrohstoffversorgung nur ein Teilgebiet sei, und die sich daraus ergebenden Erfahrungen einer durchgreifenden wissenschaftlichen Bearbeitung unterziehen zu lassen.“ General von Wandel habe in seiner Antwort hierauf mitgeteilt, dass das Kriegsministerium hinsichtlich „der wissenschaftlichen Bearbeitung der Kriegswirtschaftlichen Maßnahmen bereits vor längerer Zeit eine besondere Kommission gebildet habe“, die bereits voll tätig sei. Der stellvertretende Kriegsminister habe angeboten, dieses Expertengremium, das gegebenenfalls noch erweitert werden könne, zu Rate zu ziehen. Weiter heißt es hierzu bei Rüdt von Collenberg: „Der Staatssekretär war unangenehm berührt, dass eine solche Einrichtung getroffen worden war, ohne das an der Kriegswirtschaft maßgebend beteiligte R A d J zu befragen.“ Helfferich habe an der Vorstellung, ein Werk zu publizieren, das die gesamte Kriegs44 Alfred Weber, Schriften zur Industriellen Standortlehre. (= Alfred Weber-Gesamtausgabe, Bd. 6) Marburg 1998, S. 11, 501ff. 45 Eberhard Gerhardt, August Skalweit 1879–1960. Nationalökonom, in: Hans-Georg Gundel/Peter Moraw/Volker Press (Hrsg.), Gießener Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Bd. 2. Marburg 1982, S. 885–894, hier S. 890. 46 BArch, R 61/594. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.

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wirtschaft umfasse und an welchem alle Reichsbehörden und die Regierungen der Länder zu beteiligen seien, festgehalten. Hieraus habe sich dann weiteres Konfliktpotenzial ergeben. Im Anschluss an die Besprechung des im August 1916 erst in Umrissen erkennbaren Vorhabens des Reichsschatzamtes berichtete Voelcker, „daß das Reichsamt des Innern bezw. der Reichskanzler beabsichtigt, ebenfalls eine Wissenschaftliche Kommission zur Bearbeitung der wirtschaftlichen Kriegsmaßnahmen einzusetzen und diese entweder mit der W.K. des K.M. zu verschmelzen oder letztere in die neue Gesamtorganisation einzugliedern.“ Ein entsprechendes Schreiben sei bereits auf dem Weg zur Kriegsrohstoffabteilung. Hierauf entgegnete Sering, „daß er vor längerer Zeit“ schon „mit dem Reichsamt des Innern […] Fühlung genommen“, sich jedoch dafür entschieden habe, die Angelegenheit spruchreif werden zu lassen, was inzwischen anscheinend geschehen sei. Im weiteren Verlauf der Besprechung erklärte sich Voelcker bereit, einen Bericht „über die innere Organisation der KriegsrohstoffGesellschaften“ zu verfassen. Zustimmung fand auch seine Anregung, in der Winterzeit „zwanglose Sitzungen“ der Wissenschaftlichen Kommission „über die einzelnen Vorberichte zu veranstalten, damit durch deren Besprechung die verschiedenen Mitarbeiter Anregung zu etwa notwendigen Ergänzungen“ bekommen sollten. Außerdem teilte Voelcker mit, dass er seinen Vorbericht zum Thema „Häute und Lederwirtschaft“ bereits in wenigen Tagen abschließen werde. Nach Regina Roth kamen die Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission im Herbst 1916 zu mehr als der Hälfte von Universitäten und Handelshochschulen, dennoch blieb „die Kommission […] nicht auf die Rolle eines Beobachters beschränkt, sondern nahm in wachsendem Ausmaß auf die Organisation von Bewirtschaftung und Beschaffung ebenso wie auf die Bedarfsplanung für die Produktion von Waffen und Munition Einfluß, indem sie Gutachten für diese Bereiche erstellte.“ Besonders offensichtlich sei dies bei den Erörterungen zum Hindenburg-Programm und seiner Durchführung geworden, wobei sich allerdings die Kommission auch bereits vorher schon einschlägig betätigt habe.47

Paradigmenwechsel durch das Hindenburg-Programm Offiziell über das Hindenburg-Programm informiert wurden die Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission in einer Referentenbesprechung am 16. September 1916 durch Koeth. In der Niederschrift hierzu heißt es einleitend: „Was der Feldmarschall fordere, bedeute eine völlige Änderung des bis jetzt von K.R.A. verfolgten Zieles. Statt eines mehrjährigen, auf dem Grundsatz der Sparsamkeit und des Durchhaltens aufgebauten Programms heiße es jetzt: Aufraffen aller Kräfte zu einer raschen Höchst47 Regina Roth, Staat und Wirtschaft im Ersten Weltkrieg. Kriegsgesellschaften als kriegswirtschaftliche Steuerungsinstrumente. Berlin 1997, S. 55f.



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leistung.“ Zum Paradigmenwechsel erklärte der Abteilungschef der Aufzeichnung zufolge weiter: „Erst wenn diese erreicht sei, komme in zweiter Linie die alte Aufgabe: Aufstellung eines Dauerprogrammes für die neuen Forderungen und schließlich als drittes Problem: Steigerung der Leistungen noch darüber hinaus. Wesentlich sei schnelles und großzügiges Vorgehen.“ Die Niederschrift endet mit den Sätzen: „Der Abteilungschef schließt mit der Mahnung: Man habe sich ein wenig ausgeruht und den Gegner unterschätzt und stehe jetzt vor einer ziemlich starken Überraschung. Diese dürfe aber nicht unruhig machen, sondern müsse erst recht zu äußerster Kraftanstrengung anfeuern.“ Zur Bedeutung der Arbeit der Kriegsrohstoffabteilung heißt es abschließend: „Gerade K.R.A. habe am schnellsten zu arbeiten, denn die Rohstoffe seien die Grundlage für alles übrige.“48



Abb. 5: Kurt Wiedenfeld, 1920er Jahre

Nach der Verkündung des Hindenburg-Programms verlor Sering seinen Mitarbeiter mit der größten Fachkompetenz, zumindest partiell. Kurt Wiedenfeld führt hierzu in seiner Autobiographie aus, dass es ihm vor dem Hintergrund des Hindenburg-Programms „nicht mehr angemessen“ erschienen sei, „meine Kenntnis des deutschen Wirtschaftsaufbaus und namentlich der rheinisch-westfälischen Rüstungsindustrie nur in einem wissenschaftlichen Werk auszunutzen, das erst nach dem Kriege an die Öffentlichkeit gelangen sollte und konnte.“ Er habe direkt „an der Erfüllung der wirtschaftlichen Kriegsaufgaben mitwirken“ wollen und deshalb Koeth, „der bisher schon öfter mich als Berater zu seinen Arbeiten hinzugezogen hatte“, gebeten, ihn „nunmehr als ständig beteiligten Referenten in seine Abteilung herüberzunehmen.“ 48 BArch, R 61/594.

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Dieser habe unter der Voraussetzung zugestimmt, dass Sering damit einverstanden sei und er auch weiterhin Mitglied der Wissenschaftlichen Kommission bleibe. Nach der Einverständniserklärung des Vorsitzenden der Wissenschaftlichen Kommission und einem „Erlaß“ des Generals von Wandel sei er als „Kriegsreferent“ in die KRA eingetreten und hier durch Koeth „zum wirtschaftlichen Generalreferenten bestellt“ worden. Bis zur Auflösung der Abteilung habe es sich dabei um sein primäres „Arbeitsfeld“ gehandelt.49 Goebel attestiert Wiedenfeld in seiner Autobiographie „neben seiner hervorragenden Begabung und wissenschaftlichen Bedeutung eine menschlich nette Art.“ Hinsichtlich der „engen Beziehungen zu Koeth“ habe er dessen Auffassung von Anfang an geteilt, allerdings habe er sich nicht entschließen können, „ebenfalls ganz zur K.R.A. überzutreten“, an anderer Stelle heißt es: „War ich auch nicht, wie Wiedenfeld, der Aufforderung Koeths, ganz in seine Abteilung überzutreten, gefolgt, so betrachtete er mich doch praktisch als einen seiner Mitarbeiter und ich habe diese Rolle auch bereitwilligst ausgefüllt. Koeth zog mich, gleich Wiedenfeld, zu den vertraulichsten Besprechungen heran.“ 50 Nach seiner Selbsteinschätzung trug Goebel 1916 auch erheblich zur Legitimation der Arbeit der Wissenschaftlichen Kommission bei. Hierzu schreibt er einleitend, „daß ich als erster mit einer Studie über die bisherige Kriegswirtschaft auf meinem Spinnstoffgebiet fertig war, die ich wie alle meine späteren Berichte und abgeschlossenen Einzelstudien zum späteren Gesamtwerk auch Koeth überreichte.“ Zu der Bedeutung dieser Arbeit erklärt er: „Der Bericht gefiel ihm so, daß er ihn dem stellvertretenden Kriegsminister als Beweis für die von manchen angezweifelten Wirkungsmöglichkeiten der Wissenschaftlichen Kommission überreichte.“ Die anschließende „Anerkennung“ durch den Kriegsminister habe dazu geführt, dass er Ende August 1916 „zum Kriegsreferenten im Stabsoffiziersrang“ ernannt worden sei.51 Nach Rüdt von Collenberg hatten die „Personalansprüche“ der Wissenschaftlichen Kommission erstmals im Sommer 1916 „den Widerstand“ des Zentraldepartements zur Folge gehabt. Ebenso habe General von Wandel erklärt, dass schon 55 Personen (einschließlich für die Wissenschaftliche Kommission „nebenher tätige Kräfte“ anderer Stellen des Kriegsministeriums) in dieser Abteilung beschäftigt seien. Der stellvertretende Kriegsminister habe angeordnet, „dass ihm bis auf weiteres keine Anträge auf Personalvermehrung bei W K mehr vorzulegen seien […]“. Ebenso waren „auch Neueinstellungen zu rein ehrenamtlicher Tätigkeit“ nicht erwünscht.52 Ursächlich für die neuen „Personalansprüche“ der Wissenschaftlichen Kommission dürfte gewesen sein, dass die von den einzelnen Abteilungen des Kriegsministeriums im Juli 1916 eingereichten Berichte im Hinblick auf statistische Erhebungen wohl nicht 49 Wiedenfeld, Zwischen Wirtschaft und Staat (wie Anm. 13), S. 51. 50 Goebel, Ein buntes Leben (wie Anm. 9), S. 302, 309. 51 Ebd., S. 303. 52 BArch, R 61/594. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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befriedigend waren. In einem Bericht vom 12. August 1916 erklärte Sering, „die statistische Darstellung der Entwicklung des Bedarfs an Verpflegung, Bekleidung, Waffen, Gerät usw. bilde die Grundlage für eine exakte Erfassung der kriegswirtschaftlichen Vorgänge […]“. Zur aktuellen Bedeutung heißt es weiter: „[…] solche Uebersicht diene aber nicht nur der historischen Forschung, sie besitze auch grosse Bedeutung für die Beurteilung der weiteren Bedarfsentwicklung während des Krieges.“ Zugleich bat Sering um Personalverstärkung, um diesen statistischen Notwendigkeiten nachkommen zu können. Zu der ablehnenden Haltung der Leitungsebene des Kriegsministeriums gegenüber Personalaufstockungen bei der Wissenschaftlichen Kommission nahm Sering nach Rüdt von Collenberg in seinem „Zusammenfassenden Bericht über die Arbeiten der W K, deren Personalbestand und die Anträge auf Einstellung neuer Kräfte“ unter dem Datum 26. September 1916 Stellung. Hier führte er u.a. aus: „Eine der üblichen amtlichen Denkschriften abzufassen, welche sich im wesentlichen damit begnügen, die getroffenen Maßnahmen zu schildern, und vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, war nicht beabsichtigt und würde weder mir noch meinen Mitarbeitern hinreichendes Interesse geboten haben“. In den folgenden Ausführungen kommt erneut der hohe wissenschaftliche Anspruch von Sering zum Ausdruck: „Sollte ein Werk mit der Grösse der zu schildernden Leistungen und Vorgänge und würdig der deutschen Wissenschaft entstehen, so mussten die erreichbar besten wissenschaftlichen Kräfte zur Mitarbeit herangezogen werden.“ Zum Arbeitsumfang und zum entsprechenden personellen Aufwand heißt es weiter: „Ein riesenhaftes, viele tausende von Aktenbänden umfassendes Material war gewissenhaft durchzuarbeiten und durch persönliche Erkundigungen zu ergänzen. Deshalb war von vornherein klar, dass eine grössere Zahl von zuverlässigen wissenschaftlichen Hilfsarbeitern und von Schreibkräften benötigt werden würde.“ Sering erklärte weiter, es müsse auch bedacht werden, dass ein schneller Arbeitsfortschritt unbedingt benötigt werde. Noch seien die Ereignisse allen handelnden Personen in frischer Erinnerung: „[…] vieles, und oft das Wichtigste, stehe nicht in den Akten und würde nach dem Kriege verloren sein […]“, außerdem stünden die notwendigen Fachkräfte lediglich während der Kriegszeit voll und ganz zur Verfügung. Nach Kriegsende würden sich die ehrenamtlich tätigen Kräfte und die Abkommandierten in aller Regel wieder ihren eigentlichen Tätigkeiten zuwenden müssen, „mit Sicherheit würde wohl nur bleiben, wer durch seine wissenschaftliche Ehre an der Vollendung des Werkes gebunden“ und darüber hinaus nicht durch seine beruflichen Verpflichtungen gehindert werde: „Unter diesen Umständen musste ich es für meine Pflicht halten, die notwendigen Kräfte so schnell wie möglich aufzufinden und zu gewinnen. Die Anträge konnten aber nicht auf einmal und in systematischer Ordnung, sondern immer nur gestellt werden, wenn gerade besonders tüchtige Kräfte erreichbar wurden.“ Vor den Hintergrund der ehrenamtlich geleisteten Mitarbeit und des Umstandes, dass der Sold der abkommandierten Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften ohnehin gezahlt werden müsse, könne konstatiert werden, dass die Wissenschaftliche Kommission mit einem sehr bescheidenen Budget auskomme.

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Gegen Jahresende 1916 kam die Vorstellung auf, außer dem umfassenden wissenschaftlichen Werk noch eine weitere Darstellung vorzubereiten, wobei Rüdt von Collenberg Sering aus dessen Schreiben an Wrisberg vom 21. März 1917 mit den Worten zitiert, dass hier an eine „knappere Zusammenfassung der Ergebnisse, die sich an eine breitere Oeffentlichkeit wenden soll“ gedacht sei. Als Basis hierfür sollten die so genannten „Vorberichte“ genutzt werden. Allerdings waren diese Berichte nach einem Schreiben vom 26. September 1916 als „hinreichend wissenschaftlich fundiert nur insoweit anzusehen, als sie sich auf ein abgeschlossenes Aktenstudium stützen […]“. In diesem Zusammenhang heißt es weiter: „Eine Gewähr, dass die wichtigeren Linien schon richtig erkannt und objektiv zutreffend gezogen worden sind, ist noch nicht zu übernehmen.“ Rüdt von Collenberg kommentiert dies mit den Worten, dass es demnach noch nicht möglich war und unter den herrschenden Umständen auch nicht möglich sein konnte, zu eindeutigen Urteilen zu kommen. Hier habe eine Schwachstelle in der Darstellung der noch nicht abgeschlossenen Arbeit der Abteilungen des Kriegsministeriums gelegen, wie die Wissenschaftliche Kommission sie intendiert habe. Als Erklärung heißt es: „Diese Absicht war in dem angesichts der Anforderungen der Zeit begreiflichen Wunsche begründet, nicht nur rückschauende Betrachtungen anzustellen, sondern auch an dem praktischen Geschehen mitzuwirken; jede sich hierfür bietende Gelegenheit wurde ausgenutzt.“ Vom Kriegsminister abgelehnt worden sei ein Antrag von Sering von Mitte Dezember 1916 auch die kriegswirtschaftlichen Unterlagen des Reichsmarineamtes in die Forschungen der Wissenschaftlichen Kommission einzubeziehen. Die Arbeiten der Kommission sollten sich auf das Kriegsministerium beschränken, allerdings könnten „Aussprache[n]“ mit anderen Stellen erfolgen, soweit hier die Interessen des Kriegsministeriums tangiert seien.

Unterschiedliche Bewertungen der Arbeit der Kommission Seit Mitte September 1916 hatte sich abgezeichnet, dass dem in Vorbereitung befindlichen Werk der Wissenschaftlichen Kommission im Kriegsministerium mit einem gewissen Argwohn begegnet wurde. Zu dieser Zeit kam es, mit Zustimmung des stellvertretenden Kriegsministers von Wandel, zu einem Schreiben des Zentraldepartements an die KRA, in dem erklärt wurde, dass diejenigen Abteilungen des Kriegsministeriums, die durch ihre Tätigkeitsberichte und andere Unterlagen das Material für die Arbeit der Wissenschaftlichen Kommission zur Verfügung gestellt hätten, die Ausarbeitungen vor Abschluss der Endfassungen „zur Durchsicht“ bekommen müssten. Rüdt von Collenberg bemerkt hierzu: „Welches die Veranlassung zu dieser, eigentlich eine Selbstverständlichkeit aussprechenden Verfügung war, hat sich nicht feststellen lassen; es muß dahingestellt bleiben, ob sie bereits ein leichtes Mißtrauen der K.M.-Stellen andeutet.“ Der mündlich seitens der Wissenschaftlichen Kommission geäußerten Bitte, mit dem Generalquartiermeister, dem Oberbefehlshaber Ost und den Generalgouvernements in direkten Kontakt treten zu dürfen, wurde vom Zentral-



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departement des Kriegsministeriums abschlägig beschieden. Als Begründung wurde angeführt, dass sich das Arbeitsgebiet der Wissenschaftlichen Kommission nicht auf den Dienstbereich und die Territorien dieser Stellen erstrecke. Nach der Etablierung des Kriegsamtes (mit Wirkung vom 1. November 1916) wurde die Wissenschaftliche Kommission am 6. Dezember 1916 dessen Leiter Wilhelm Groener direkt unterstellt, da die „Aufgaben“ innerhalb des Kriegsamtes „weit über den Rahmen der KRA hinausgehen“. Weiter heißt es: „Um diese Zeit ergaben sich ernste Schwierigkeiten für W K, die vielleicht sogar ihrem Wirken ein Ende gesetzt haben würden, wenn nicht General Groener und der neue Kriegsminister v. Stein für sie eingetreten wären.“ Sering hatte schon kurz nach der Amtsübernahme durch von Stein diesem „ganz kurze klare Uebersichten, die den Kern der Dinge herausschälen“ angeboten. Mit Datum vom 13. Dezember 1916 legte die Wissenschaftliche Kommission drei Ausarbeitungen vor. Es handelte sich dabei um die Themenbereiche „Arbeiterbeschaffung und Menschenoekonomie“, „Die Technischen Institute des K M und die deutsche Waffenindustrie“ sowie den „Bericht über Chemikalien“. Diese Denkschriften enthielten, wie aus einem 1930 noch vorliegenden Schreiben von Sering an das Allgemeine Kriegsdepartement vom 21. März 1917 hervorging, „einige kritische Aeußerungen“. Das Zentraldepartement leitete diese Memoranden zuerst dem Allgemeinen Kriegsdepartement mit der Bitte um Äußerung zu: „Bereits am 15. [Dezember 1916] kam eine lebhafte Abwehr des A D-Direktors, Oberst v. Wrisberg, die mit der Bemerkung schloss, am besten wäre es, die W K überhaupt eingehen zu lassen.“ Nach Rüdt von Collenberg zeigte der „Protest des Direktors“ beim Zentraldepartement eine so tiefe Wirkung, „dass in der Tat erwogen wurde, die W K dem A D zu unterstellen“. Kriegsamtschef Groener legte jedoch sein Veto ein und erklärte: „Die Aufträge, die ich zur Durchführung der dem K obliegenden Aufgaben der W K habe stellen müssen und in Zukunft noch stellen werde, sind so umfangreich und zahlreich und erfordern gleichzeitig eine so enge Verbindung und dauernde Zusammenarbeit mit mir und den nachgeordneten Departements und Abteilungen, dass ich auf Beibehalt der jetzigen Regelung, unmittelbare Zuteilung der W K zum Stabe des K, grössten Wert lege.“ Offensichtlich wurde die Arbeit der Wissenschaftlichen Kommission von Wilhelm Groener als für ihn so hilfreich eingeschätzt, das er mit ihren Mitgliedern in direkter Verbindung bleiben wollte. Der neuernannte Kriegsminister von Stein stand der Kommission ebenfalls positiv gegenüber. Er hatte eine weitere Ausarbeitung aus dem Kreis der Kommissionsmitglieder vorgelegt bekommen. Hierzu erklärte er Rüdt von Collenberg zufolge am 17. Januar 1917, die Ausarbeitung erfordere noch verschiedene Korrekturen und Ergänzungen, grundsätzlich müsse jedoch beibehalten werden, dass alle Unterlagen zur Verfügung zu stellen seien, sonst könne „nichts gelernt“ werden. Die jeweiligen Referenten werde er schon zu schützen wissen. Die Darstellungen würden selbstverständlich oftmals subjektiver Natur sein, deshalb seien die Abteilungen „zu hören“, nicht etwa um Einfluss auf das Werk zu nehmen, sondern um die Gelegenheit zur

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Äußerung zu erhalten. Wie diese „Stellungnahme“ dann umgesetzt werden könne, bleibe eine Frage weiterer Überlegungen. Die Wissenschaftliche Kommission hatte in Erfahrung gebracht, dass ihre ersten drei Übersichten nicht zur Kenntnis des Kriegsministers gekommen, sondern an das Allgemeine Kriegsdepartement gelangt waren. Als die Berichte nicht zurückkamen, übersandte die Kommission dem Zentraldepartement „neue Ausfertigungen zur nunmehrigen Vorlage bei General v. Stein.“ Das Zentraldepartement weigerte sich mit der Begründung, dass man den Minister nicht mit Berichten behelligen könne, die nicht vorher abgestimmt worden seien. Nunmehr kamen die ersten Fassungen der drei Übersichten an die Wissenschaftliche Kommission „mit kritischen Bemerkungen“ des Allgemeinen Kriegsdepartements zurück. Dies veranlasste Sering zu einer Stellungnahme gegenüber dessen Direktor. Der Kommissionsvorsitzende erklärte seine Bereitschaft, die vorgenommenen Anmerkungen, „soweit sie sachlicher Natur seien, sorgfältig zu verwerten, lehnt aber eine Kritik der Arbeits- und Darstellungsweise der W K ab.“ Bei den drei Übersichtsdarstellungen handele es sich lediglich um „kurze und vorläufige Abhandlungen“, die anlässlich des Ministerwechsels und der Etablierung des Kriegsamtes im Wesentlichen auf der Basis der Tätigkeitsberichte der einzelnen Abteilungen des Kriegsministeriums und durch Kontakte mit den Referenten kurzfristig zu verfassen gewesen seien. Bei der Darstellung von aktuellen oder erst kurz zurückliegenden Vorgängen sei es zwangsläufig, dass das subjektive Empfinden des Verfassers oder seiner Informanten eine stärkere Rolle spiele als bei einer wissenschaftlichen Ausarbeitung, die sich auf einen abgeschlossenen Vorgang beziehe und sich auf die komplette Erforschung aller Einzelheiten stütze. Rüdt von Collenberg weist darauf hin, dass es zwar naheliegend sei, zu meinen, dass es sich hier um Verständigungsprobleme zwischen Wissenschaftlern und Offizieren handele. Im Gegensatz zu dieser Sichtweise stehe aber, „dass der Chef der chemischen Abteilung des K M, Geheimrat Haber, mit den Offizieren des A D und Z D übereinstimmte“, „sodass“, so das Fazit, „eine Divergenz nicht zwischen Offizieren und Gelehrten, sondern zwischen Praktikern und Historikern entstanden war.“ Im Frühjahr 1917 bemerkte Sering in einer Sitzung der Wissenschaftlichen Kommission, dass man dem Minister künftig „keine laufenden Berichte mehr einreichen“ werde. Allerdings brachte er hier auch seine Beunruhigung darüber zum Ausdruck, dass das Zentraldepartement Ausarbeitungen der Kommissionsmitglieder nicht mehr weiterleiten wollte, wenn nicht zuvor, „durch Einverständnis mit den beteiligten Stellen die erforderliche Klärung über Inhalt und Fassung erfolgt“ sein würde. Man habe sodann darüber diskutiert, „ob man eine Zensur, die die Departements sichtlich in Anspruch nehmen wollten, zulassen könne.“ Innerhalb der Wissenschaftlichen Kommission habe Konsens darüber bestanden, „dass die letzte Entscheidung über Inhalt und Fassung bei W K liegen müsse, wenn das Werk nicht den wissenschaftlichen Charakter verlieren solle.“ Geteilter Meinung waren die Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission jedoch über das weitere Vorgehen, einige hatten Rüdt von Collenberg zufolge die



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Vorstellung, den Kriegsminister zu einer eindeutigen Stellungnahme zugunsten der „Auffassung“ der Wissenschaftlichen Kommission zu bewegen, wobei auch die Überlegung eine Rolle spielte, dass nach dem amtierenden Minister „ein ,weniger grossdenkender Nachfolger‘ kommen und die ganze Arbeit der W K nutzlos machen könne.“ Ein Teil der Kommissionsmitglieder meinte demgegenüber, es sei besser, sich zurückzuhalten, zumal der Minister im Januar 1917 anscheinend bewusst die Frage in der Schwebe gehalten habe, wie die Stellungnahmen im Rahmen des Werkes berücksichtigt werden sollten. Ein Engagement bei der Tagesarbeit des Kriegsministeriums sei für die Wissenschaftliche Kommission nicht empfehlenswert, „dass die Referenten sich gegen eine Kritik ihrer Handlungen wehrten, sei verständlich. Die W K müsse mit ihnen in verträglichen Verhältnissen bleiben, sonst werde sie überhaupt kein Material mehr erhalten und dadurch nicht mehr in der Lage sein, ihr Werk zu vollenden.“ Anschließend wurde für eine Eingabe an den Minister ein Redaktionskreis gebildet und das Dokument dann Ende Mai 1917 von Sering persönlich übergeben. Der Minister erklärte zu diesem Schriftstück in einer Randbemerkung, „Ich wünsche freie Forschung, aber sie muss den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen […]. Die vorläufigen Berichte, die ohnehin die Arbeit vermehren, sind lieber fortzulassen. Bei dem Hauptwerk sind die nicht zur Einigung gelangenden Ansichten der Abteilungen pp. in Fußnoten oder Anlagen aufzunehmen. Der militärische Gesichtspunkt muss gewahrt bleiben. Er wird sich nicht immer mit dem rein wissenschaftlichen decken können.“ Das Zentraldepartement beharrte jedoch auf seiner Auffassung, dass bei Publikationen Differenzen zwischen der Wissenschaftlichen Kommission und den Stellen des Kriegsministeriums nicht erkennbar werden dürften, vielmehr nur zur Veröffentlichung kommen könne, „worüber Einigkeit bestehe.“ Sering bemerkte hierzu, dies entspreche nicht der Auffassung des Kriegsministers, der auch erklärt habe: „Ich wünsche keine Kompanie-Arbeit; sie würde nur eine farblose Darstellung liefern.“ Die Wissenschaftliche Kommission verlangte einen weiteren Vortrag beim Minister im Beisein des Direktors des Zentraldepartements. Rüdt von Collenberg berichtet, dass diesem Vortrag, entsprechend der Geschäftsordnung, noch eine Unterredung zwischen Sering und dem Direktor des Zentraldepartements vorausging. Sering erklärte dabei sein Einverständnis, dass vor dem Druck der Kriegsminister das Werk vorgelegt bekomme, als Alternative hierzu unterbreitete er noch den Vorschlag, dass „ein besonders kluger, weitblickender militärischer Zensor für das für die Allgemeinheit bestimmte Werk“ benannt werden könnte. Der Leiter des Zentraldepartements äußerte sein Einverständnis hierzu und erklärte weiter, selbstverständlich müsse das Werk „wissenschaftlichen Wert haben, aber auch die Gründe für als fehlerhaft erkannte Maßnahmen bringen, die in den Verhältnissen lagen.“ In einer Anmerkung schreibt Rüdt von Collenberg, dass bei dem „militärischen Zensor“ an Koeth oder Groener gedacht worden sei. Einer weiteren Anmerkung zufolge, wies Sering in seinem Vortrag beim Kriegsminister auf Punkte hin, die er „bei dem wissenschaftlichen Werk herausarbeiten wolle“. Zunächst das Fehlen von wirtschaftlichen Mobilmachungsvorbereitungen, auf „Improvisationen“ wie beispielsweise bezüglich

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der Rohstoffe und „wie statt gemeinnützigen Wirtschaftsbetrieben sich Interessenverbände herausgebildet hätten“ sowie die Maßnahmen dagegen, schließlich auch das „Lieferungswesen“, das nach wie vor verbesserungswürdig sei. Der Kriegsminister beschied nach Rüdt von Collenberg: „Ich will die Fehler klar dargelegt haben, keine Beschönigungen. Ich scheue keine Kritik, doch darf im Werk keine Polemik betrieben werden. Aber Urteil und die Möglichkeit für die Zukunft Schlüsse zu ziehen, müssen frei sein. Es muss gesagt werden, was sich bewährt hat und was nicht.“ Weiter erklärte General v. Stein: „Eine Prüfung vom militärischen Standpunkt aus muss stattfinden. Ein gut Teil der Leser ist urteilslose Menge. Das bringt eine Gefahr, die vermieden werden muss.“ Er behalte sich vor, selber darüber zu entscheiden, was publiziert werden dürfe und werde unter Umständen „Sachverständige“ als Berater hinzuziehen. Die abschließende Anweisung lautete: „Eine offene Darstellung, die die Kritik nicht vermeidet, aber die Polemik ausschliesst“. In seiner abschließenden Bewertung zu dem Konflikt von 1916/17 schreibt Rüdt von Collenberg: „Man wird zugeben müssen, dass – ähnlich wie bei der Auseinandersetzung mit Dr. Rathenau – auch in diesem Falle beide Teile in ihrem Recht gewesen sind.“ Die Wissenschaftliche Kommission habe explizit die Aufgabe gestellt bekommen, eine Darstellung der kriegswirtschaftlichen Maßnahmen, ihrer Motive und Arbeitsergebnisse für die Departements und Abteilungen im Sommer 1916 zu erarbeiten. Die Einreichung der drei Abhandlungen könne man als innerhalb dieses Auftragsrahmens liegend ansehen. Andererseits seien aber auch der Direktor des Zentraldepartements und seine Abteilungen „zweifellos im Recht“ gewesen, wenn sie sich gegen als unberechtigt empfundene Kritik verwahrt und zu verhindern versucht hätten, dass der Minister in diesem Sinne unterrichtet wurde. Ebenso habe das Zentraldepartement „zweck- und bestimmungsgemäss“ gehandelt, als es das Allgemeine Kriegsdepartement zu einer „Stellungnahme“ aufforderte, bevor die Ausarbeitungen zur Kenntnis des Ministers kamen. Weiter führt Rüdt von Collenberg aus, dass es für an den unmittelbaren Geschehnissen nicht direkt Beteiligte nicht möglich sei, „eine wirklich richtige Darstellung und ein objektives Urteil über Dinge abzugeben, die noch in der Entwicklung sind.“ Der Verfasser einer Beurteilung könne nicht in jedem Fall erkennen, warum in einer bestimmten Weise verfahren werde, die er kritisch zu bewerten geneigt sei und was im Grunde die Ziele und Motive der handelnden Personen seien: „Ein wissenschaftliches Urteil kann nur über abgeschlossene Geschehnisse abgegeben werden. Man kommt zu dem Schluss, dass die Aufgaben der W K zu weit gespannt waren.“ Tatsächlich gingen die Aktivitäten von Sering in der Kriegszeit über den der Wissenschaftlichen Kommission gesteckten Radius hinaus. So schreibt Maurer in ihrem Werk „ … und wir gehören auch dazu“, 1917 habe Sering „eine Handreichung für die Zukunftsgestaltung der besetzten Gebiete“ veröffentlicht, „deren ‚Befreiung […] von der großrussischen Gewaltherrschaft und […] Angliederung an Mitteleuropa‘ er zum



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‚Kriegsziel‘ erklärte.“53 Maurer macht Sering zum Herausgeber der Schrift „Westrußland in seiner Bedeutung für die Entwicklung Mitteleuropas“54. Faktisch stammt hier aber nur die Einleitung von Sering.55 Es kann indessen kein Zweifel daran bestehen, dass er zu den Anhängern der weitverbreiteten „Mitteleuropa“-Konzeption unter deutscher Vorherrschaft gehörte. Vierzehn Jahre nach dem Tode seines Doktorvaters Sering äußert sich Goebel 1953 zu dessen weitgespannten Ambitionen in der Zeit des Ersten Weltkrieges durchaus kritisch: „Auch verführten ihn diese Ziele, die Wissenschaftliche Kommission ins Uferlose zu erweitern, als sie später von der Kriegsrohstoffabteilung losgelöst, unmittelbar dem neugebildeten Kriegsamt angegliedert wurde.“ Zur Personalpolitik Serings heißt es weiter: „Er zog als weitere ‚Mitarbeiter‘ vor allem nicht hauptberufliche heran, z. B. eine Reihe von Berliner Hochschullehrern. Da diese in kein engeres Verhältnis zum Kriegsministerium traten, nahmen sie der Kommission ihren intimen Charakter.“ Zu den Arbeitsergebnissen unter diesen Umständen erklärt Goebel: „Wirkliche Mitarbeit haben nur wenige geleistet, die meisten wurden nur von dem Ehrgeiz getrieben, mit dabei zu sein.“ Der subjektive Rückblick von Goebel wird in seinen folgenden Ausführungen deutlich: „Da auch Sering selber nichts schrieb, sondern wohl auf den Abschluss der Vorarbeiten mit seinen eigenen Darstellungen warten wollte, ist festzustellen, daß zwei Drittel dessen, was die Kommission an Ausarbeitungen hinterlassen hat, Wiedenfelds und vor allem meiner Feder entstammen. An dem restlichen Drittel haben sich dann noch seine und meine Assistenten beteiligt.“56 Sering hatte noch in der Zeit des Weltkrieges, am 28. Dezember 1917, einen umfangreichen, für die Kriegsverhältnisse erstaunlich detaillierten Zeitungsartikel über „Unsere Kriegswirtschaft im Jahre 1917“ in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ veröffentlicht. Dieser besteht nach der Einleitung aus drei informativen Abschnitten: „Ernährungswirtschaft“, „Rohstoffwirtschaft“ und „Industrie“. Bemerkenswert ist hier insbesondere, dass Sering auf die besetzten Gebiete und deren Ressourcenausbeutung im Rahmen der deutschen Kriegswirtschaft eingeht. Die Wissenschaftliche Kommission wird von ihm nicht erwähnt, aber zur KRA ausgeführt: „Es sind Wirtschaftspläne aufgestellt, welche uns die volle Sicherheit geben, den Krieg fortführen zu können, solange es militärisch und politisch notwendig erscheint – eine glänzende Leistung, die der im Kriegsministerium errichteten Kriegs-RohstoffAbteilung und den ihr angeschlossenen Rohstoff-Gesellschaften zu verdanken ist.“57

53 Maurer, Universität (wie Anm. 25), S. 420. 54 Ebd., Anm. 194. 55 Im Katalog der DNB ist das Buch unter dem Titel aufgenommen: Westrußland in seiner Bedeutung für die Entwicklung Mitteleuropas. Mit e. Einl. von M. Sering. 56 Goebel, Ein buntes Leben (wie Anm. 9), S. 301. 57 BArch, RH 61/860.

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2 Die Entwicklung in den ersten Nachkriegsjahren Erste Verlagsverhandlungen mit E.S. Mittler & Sohn Aus einem Schreiben von Sering an das Reichsministerium des Innern vom 29. Juli 1923 zu der Frage der Entschädigung für die Autoren der drei Bände und den Herausgeber geht hervor, dass zwischen ihm und Mittler & Sohn bereits im Oktober 1918 Verhandlungen über die Publikation des Werkes zur Kriegswirtschaft geführt wurden. In der Kriegszeit war von einer Auflage von 2 000 Exemplaren pro Band ausgegangen worden. Zu der eingetretenen Verzögerung beim Vertragsabschluss führt Sering aus: „Das der Vertrag das Datum von 19. April 1919 trägt, liegt nur an einer Verschleppung, welche die schon im Oktober 1918 beantragte Genehmigung durch den Kriegsminister infolge des damaligen allgemeinen Wirrwarrs erfuhr.“58 Es ist sicher kein Zufall, dass im Oktober 1918 von Sering Verlagsverhandlungen aufgenommen wurden – zu dieser Zeit war das Kriegsende schon absehbar. Rüdt von Collenberg stellt in seiner Ausarbeitung von 1930 die Entwicklung der Wissenschaftlichen Kommission bzw. des Seringschen Publikationsprojektes lediglich noch für den Zeitraum von Kriegsende bis Mitte 1921 dar. Die Erklärung hierfür ist wohl darin zu sehen, dass sich Unterlagen für die Zeit danach um 1930 noch in den Registraturen der involvierten Reichsministerien befanden. Einleitend schreibt Rüdt von Collenberg zu der Wissenschaftlichen Kommission in der Nachkriegszeit: „Bei dem unglücklichen Ausgang des Krieges und der alten Heeresorganisation ergab sich die Frage, was nun aus der W K werden solle.“ Das Kriegsamt und des Zentraldepartement „hielten die Beendigung des Werks für wünschenswert. Kriegsminister Reinhardt (der seit 3. Januar 1919 amtierte) gab am 24. Januar 1919 einen entsprechenden Erlass heraus, allerdings sollten die 1917 von Kriegsminister von Stein erteilten Weisungen berücksichtigt werden, „d.h. die Abteilungen des K.M. hatten zur ‚Wahrung des militärischen Gesichtspunktes‘ und um Stellung zu nehmen die Manuskripte vor ihrem endgültigen Abschluss mitzuprüfen.“59 Anfang März 1919 legte jedoch das Reichsfinanzministerium Einspruch ein, da bei ihm bis Ende des Jahres 1919 noch 100 000 Mark „als Mindestmaß“ für die Wissenschaftliche Kommission beantragt worden waren. Rüdt von Collenberg zufolge erklärte das Ministerium: „Bei der bekannten Finanzlage des Reiches müssen alle Ausgaben, die nicht unbedingt notwendig sind, unterbleiben […]. Es handelt sich hier um Aufgaben, die wohl wünschenswert sind, die aber auch unterbleiben können, ohne dass dadurch wichtige Interessen des Reiches auf Spiel gesetzt werden.“ Das Ministerium habe den Wunsch nach einer Auflösung der Wissenschaftlichen Kommission zum 1. April 1919 geäußert. Durch persönliche Intervention gelang es Sering, 58 BArch, R 1501/108980. 59 BArch, RH 61/594. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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im Finanzministerium einen Sinneswandel herbeizuführen. Er gab zu bedenken, dass „es sich um eine durchaus produktive Arbeit auch im wirtschaftlichen und finanziellen Sinne handele“. Der Neuaufbau der Volkswirtschaft sei nicht durchführbar „ohne genaue Kenntnis der Kriegswirtschaft und der tiefgreifenden Veränderungen, welche sie in unserem ganzen Wirtschaftsleben herbeigeführt habe.“ Diese Argumentation führte dazu, dass das Reichsfinanzministerium nunmehr einlenkte. Der von Sering erwähnte „Verlags-Vertrag“ trägt tatsächlich das Datum vom 19. April 1919. Einleitend heißt es in diesem, dass er zwischen E.S. Mittler & Sohn und Sering „mit Genehmigung des Herrn Kriegsministers“ abgeschlossen werde. Der erste Abschnitt zu der Thematik „Die deutsche Heereswirtschaft während des Weltkrieges, ihre volkswirtschaftlichen Voraussetzungen und Wirkungen“ sollte zwei bis drei Bände umfassen, bei einem Umfang von 60 bis 90 Druckbogen. Als „Ergänzungsbände“ waren vorgesehen: „Die Bewirtschaftung der Spinnstoffe und die Textilindustrie während des Krieges“, ferner „Die Bewirtschaftung der Metalle und des Eisens während des Krieges“ und schließlich „Die deutsche Waffen- und Munitionsindustrie im Kriege“. Diese Ergänzungsbände waren mit 20 bis 30 Druckbogen geplant. Den dritten und letzten Abschnitt sollte eine Schrift über „Die Munitionsgesetzgebung in England, Frankreich und Italien“ bilden, hier waren ca. sieben Druckbogen veranschlagt. Die Publikation sollte im März 1920 beginnen. Als Auflage waren für „Werk I“ 5 000 Verkaufsexemplare vorgesehen, für die drei Ergänzungsbände werden je 3 000 Exemplare genannt, ebenso für „Werk III“.60 Neben der Zahlung eines einmaligen Autorenhonorars von 240 Mark je Druckbogen verpflichtete sich der Verlag zur Entrichtung von weiteren Honoraren an einen „wissenschaftlichen Fond“, der vom Herausgeber und zwei Autoren unter der Kontrolle des Kriegsministeriums verwaltet werden sollte. Für jeden Druckbogen von Werk I sollten 110 Mark gezahlt werden, allerdings erst nach dem Absatz der Hälfte der Auflage, für jedes Tausend der folgenden Auflagen sollten 70 Mark (nach Abzug von Korrekturkosten und Autorenhonoraren) an das Kriegsministerium zugunsten der „Reichskasse“ gezahlt werden. Der entsprechende Betrag für die Werke II und III wurde mit 70 Mark beziffert. Weiter heißt es im Verlagsvertrag: „Ergibt sich aus der ersten Auflage aller drei Werke ein Reingewinn, der die Hälfte der für sie zusammen entrichteten Honorare übersteigt, so zahlen E.S. Mittler & Sohn die Hälfte dieses überschießenden Reingewinnes dem K.M. für die Reichskasse bar aus.“ Nach Rüdt von Collenberg stellte sich schon kurz nach der Bewilligung der 100 000 Mark durch das Reichsfinanzministerium heraus, dass dieser Betrag nicht ausreichen würde, da inzwischen allgemeine Gehaltssteigerungen eingetreten seien, die auch vom Kriegsministerium zu zahlen waren. Vor diesem Hintergrund sei Anfang April 1919 die Verfügung ergangen, dass die Angehörigen der Wissenschaftlichen Kommission, ihre Mitglieder sowie ihre „wissenschaftlichen und technischen Hilfskräfte“, mit Wirkung vom 15. Mai 1919 aus den Diensten des Kriegsministeriums ausscheiden sollten. Lediglich das „Büro“, das aus dem Vorsitzenden und den Angehörigen 60 BArch, R 1501/108980. Hierauf beziehen sich auf die folgenden Ausführungen.

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der Registratur bestand, sollte bei der Abwicklungsstelle des Kriegsamtes verbleiben. Sinn und Zweck dieser Maßnahme sei gewesen, Sering zu ermöglichen, das notwendige Personal „im freien Arbeitsvertrage, also unabhängig von den Gehaltssätzen des K M anzustellen […]“. Man habe gehofft, durch ehrenamtliche bzw. „nebenamtliche Mitarbeit gegen geringe Vergütung“ die Kosten senken zu können. Eine „Einwirkung“ des Kriegsministeriums auf die Wissenschaftliche Kommission hätte man „durch das Verbleiben des Vorsitzenden innerhalb der Abwicklungsstelle“ des Kriegsamtes sicherstellen wollen.61

Kritik der wissenschaftlichen Konkurrenz Der bereits seit der Kriegszeit bestehende Konflikt zwischen dem „Wissenschaftlichen Ausschuss zur Darstellung der deutschen Kriegswirtschaft“ und der Wissenschaftlichen Kommission unter der Leitung von Sering eskalierte noch einmal im dritten Quartal 1919. In einem Schreiben des Wissenschaftlichen Ausschusses vom 24. September 1919 an das Reichsfinanzministerium wird einleitend auf ein Schreiben des Vereins Deutscher Ingenieure Bezug genommen: „Die Denkschrift dieses Vereins steht offenkundig unter dem Einfluss des Leiters der ‚Wissenschaftlichen Kommission des Kriegsministeriums‘, Geheimrat Professor Dr. Sering.“62 Weiter heißt es in dem Schreiben des Wissenschaftlichen Ausschusses, auch wenn die „jetzt hier zu besprechende Eingabe“ nicht unterzeichnet sei, so könne doch von einer Urheberschaft von Sering ausgegangen werden: „In zahlreichen anderen Aeusserungen desselben finden sich die nämlichen Gedankengänge fast in genau derselben Wortfassung.“ Der Anlass für die Eingabe an das Reichsfinanzministerium war offenbar, dass die Wissenschaftliche Kommission in einer der Nationalversammlung eingereichten Denkschrift nicht erwähnt worden war. Der Grund für die Nichterwähnung sei, dass sie für das anstehende „Unternehmen keine andere Bedeutung“ habe, „als die in allen anderen Reichs- und gliedstaatlichen Ministerien für die Abfassung von Verwaltungsberichten tätigen Arbeitskräfte.“ In der Ursprungsfassung der Denkschrift sei die „Wissenschaftliche Kommission des Kriegsministeriums“ genannt worden. Hier habe man bei der Erwähnung der Behörden, die Verwaltungsberichte zugesagt hätten, hinsichtlich des Kriegsministeriums erklärt, „dieses werde keinen eigentlichen Verwaltungsbericht erstatten, sondern an dessen Stelle eine etwas weiter gefasste Darstellung über die deutsche Heereswirtschaft durch seine wissenschaftliche Kommission verfassen lassen.“ In der Endfassung sei dann die Nennung der Behörden und somit auch der Hinweis auf das Kriegsministerium und seine wissenschaftlichen Kommission entfallen.

61 BArch, RH 61/594. 62 BArch, RH 61/691. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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Besonders aufschlussreich ist die folgende Darstellung der Entwicklung in dem Schreiben an das Reichsfinanzministerium. Hiernach bemühten sich das Reichsamt des Innern als auch der Wissenschaftliche Ausschuss zur Darstellung der Deutschen Kriegswirtschaft seit der Jahresmitte 1917 mehrfach darum, die Wissenschaftliche Kommission des Kriegsministeriums zu integrieren, „womit auch gleichzeitig das von der ‚Wissenschaftlichen Kommission des Kriegsministeriums‘ geplante Werke über die Heereswirtschaft ein organischer Bestandteil des grossen Reichsunternehmens geworden wäre.“ Diese Initiativen seien im Grunde daran gescheitert, „dass der Kriegsminister Freiherr von Stein sich auf den Standpunkt stellte, es sei der Befehl zur Erstattung einer selbständigen Darstellung der deutschen Heereswirtschaft gegeben, und militärische Befehle würden nicht geändert oder zurückgenommen.“ Insofern sei weder das Innenministerium noch der Wissenschaftliche Ausschuss dafür verantwortlich zu machen, wenn Serings Untersuchung und das Konkurrenzprojekt Überschneidungen aufwiesen. Die Mitteilungen von Sering zu diesen Erörterungen seien „ausgesprochen irreführend.“ Zu keiner Zeit seien die Angehörigen der „Wissenschaftlichen Kommission des Kriegsministeriums“ genötigt worden, „sich dem Minister von Delbrück zu unterstellen.“ Eine solche „Zumutung“ hätte es insofern auch gar nicht geben können, da der Wissenschaftliche Ausschuss zur Darstellung der deutschen Kriegswirtschaft nicht Delbrück unterstellt sei, sondern als kollegiales Gremium nur unter ihm als Vorsitzenden tätig werden solle. In dem Schreiben an das Finanzministerium wird weiter ausgeführt: „Was die Auflösung der ‚Wissenschaftlichen Kommission des Kriegsministeriums‘ betrifft, so wäre das für sie als ein von einem Ressortminister eingesetztes Kollegium wohl keine Zumutung gewesen, sondern bei der Vereinigung mit einem vom Reichskanzler eingesetzten allgemeinen Ausschuss nur eine natürliche Selbstverständlichkeit.“ Dennoch habe Staatsminister von Delbrück sein Einverständnis damit zum Ausdruck gebracht, dass „die Wissenschaftliche Kommission des Kriegsministeriums“ als ein eigenständiger Teil des Wissenschaftlichen Ausschusses unter Sering weiter bestehen solle: „Der Grund für dieses Zugeständnis war allerdings kein sachlicher, sondern bestand in dem Wunsche, dem persönlichen Ehrgeiz von Geheimrat Sering entgegenzukommen.“ Nach eingehenden Verhandlungen habe der Kriegsminister die Zusage gegeben, dass die von seiner Wissenschaftlichen Kommission „zu erstattende Darstellung mindestens das umfassen solle, was die Verwaltungsberichte der anderen Ministerien bringen“, demzufolge werde das von Sering geleitete Projekt „die Stelle eines Verwaltungsberichtes des Kriegsministeriums einnehmen.“ Besondere Details führt das Schreiben an das Reichsfinanzministerium in seinen folgenden Ausführungen an. Sering trete in seiner „Zuschrift“ an das Ministerium „mit viel weitergehenden Ansprüchen auf.“ Er schreibe „von der unter seiner Leitung aus 20 angesehenen Gelehrten, Volkswirten und Technikern bestehenden Kommission, deren Werk in selbständiger wissenschaftlicher Erforschung die wichtigsten Gebiete der deutschen Kriegswirtschaft grundlegend untersucht.“ Seiner Kommission stünden nicht nur die Unterlagen des Kriegsministeriums zur Verfügung,

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sondern auch „die Auskünfte aller Referenten“ sowie von involvierten Personen. Hierzu sei zu konstatieren, „dass die angesehensten Mitglieder der ‚Wissenschaftlichen Kommission des Kriegsministeriums‘ sich an deren Arbeiten überhaupt nicht beteiligt haben, oder aber an dem geplanten Werke schriftstellerisch nicht teilnehmen.“ Andere Kommissionsmitglieder, die aufgrund ihrer beruflichen Position „zur Mitarbeit geneigt waren, sind durch die Art der Seringschen Geschäftsführung teils arbeitsunwillig geworden, teils in ihrer Betätigung behindert.“ Mit allen führenden Referenten sei Sering „in Konflikte“ geraten und habe infolgedessen „von wichtigen Abteilungen keine Akten und keine Auskünfte erhalten.“ Sowohl in Kreisen der „Wissenschaftlichen Kommission des Kriegsministeriums“ als auch unter den Referenten des Ministeriums und der ehemaligen KRA herrsche die Ansicht vor, „dass das Seringsche Unternehmen nicht zustande kommen werde.“ Auch habe eine Sitzung im April 1919 unter Teilnahme von Mitgliedern der „Wissenschaftlichen Kommission des Kriegsministeriums“ und der früheren Kriegsrohstoffabteilung erkennen lassen, dass das „Seringsche Werk“ allseits mit Skepsis gesehen werde. Dies mache „es unmöglich, sich in irgendeiner Beziehung darauf zu verlassen und notwendige Arbeiten in Erwartung Seringscher Beiträge zu unterlassen.“ De facto ging es bei dem neuerlichen Konflikt zwischen dem Wissenschaftlichen Ausschuss zur Darstellung der deutschen Kriegswirtschaft und der Wissenschaftlichen Kommission des früheren Kriegsministeriums um die Verteilung von knappen Haushaltsmitteln. So geht aus dem Schreiben vom 24. September 1919 weiter hervor, dass Sering vorgeschlagen hatte, die Hälfte des für den Wissenschaftlichen Ausschuss beantragten Geldbetrages für die weitere Bearbeitung der auf Initiative der Wissenschaftlichen Kommission unternommenen Betriebszählung einzusetzen. Hierzu heißt es, dies rühre „an einen der schlimmsten Punkte Seringscher Tätigkeit.“ Das einzig sinnvolle Vorgehen hätte hier darin bestanden, diese Aufgabe den statistischen Fachbehörden zu überlassen: „In seiner Sucht, alles an sich zu reissen, hat Geheimrat Sering diese Gewerbezählung zu einer Aufgabe der ‚Wissenschaftlichen Kommission des Kriegsministeriums‘ gemacht, und der Erfolg ist, dass das Unternehmen als vollkommen verfehlt bezeichnet werden muss.“ Um das große Vorhaben noch „zu retten“, habe das Preußische Statistische Landesamt schließlich die Weiterführung übernommen. Darüber hinaus wendet sich der Wissenschaftliche Ausschuss zur Darstellung deutschen Kriegswirtschaft auch gegen die Darstellung von Sering, dass es für die Vorlage „von Verwaltungs-und Verbandsberichten“ und für deren Lektorat „durch die Gelehrten“ mittlerweile, zumindest zumeist, „zu spät sei“ und dass lediglich die bereits vor Jahren gebildete Wissenschaftliche Kommission über die notwendige „Tatsachenkenntnis“ verfüge. Die Verwaltungsberichte seien seit Mitte 1917 in Arbeit, wenngleich durch die Einstellung zahlreicher Organisationen der Kriegswirtschaft eine Beeinträchtigung der Untersuchung zu konstatieren sei. Dennoch sei ein Wissensvorsprung der Sering-Kommission „durchaus zu bestreiten.“ Stattdessen sei die Wissenschaftliche Kommission „durch die Auflösung der Kriegsrohstoffabteilung in eine ganz besonders schlimme Lage versetzt.“



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Schließlich wird noch auf das Forschungsprojekt des Wissenschaftlichen Ausschusses zur Darstellung der deutschen Kriegswirtschaft eingegangen. Dieses werde „in seinen drei Abteilungen der Verwaltungsberichte, der Verbandsberichte und der freien wissenschaftlichen Erforschung allein sachlich-wissenschaftlichen Anforderungen gerecht“ und entspreche „der politischen Lage“, die auch zu berücksichtigen sei, „wenn grössere Geldmittel von der Volksvertretung verlangt werden.“ Es folgt die Feststellung: „Eine vom Kriegsministerium eingesetzte Kommission, die vornehmlich mit dessen Akten- und Referentenauskünften arbeitet, hätte nie das Vertrauen der Volksvertretung gefunden.“ Alle Minister des Reichs und Preußens sowie alle deutschen Staaten hätten ihre Zustimmung zu dem Arbeitsplan des „Wissenschaftlichen Ausschusses zur Darstellung der deutschen Kriegswirtschaft“ erteilt, ebenso „dem Wirtschafts- und Berufsleben nahestehenden Volksvertreter“. Konkret genannt werden Reichskanzler Bauer und die Abgeordneten Hitze, Legien, Risser, Schiffer. Zurückgewiesen wird der von Sering geäußerte Zweifel an der Gewähr „unparteiischer Kritik“ durch den Wissenschaftlichen Ausschuss zur Darstellung der deutschen Kriegswirtschaft, da diese sich unter der Führung von Minister von Delbrück befinde, der „in leitender Stellung an der Kriegswirtschaft beteiligt und heftigen Angriffen ausgesetzt war.“ Erneut wird die kollegiale Verfassung betont und darauf hingewiesen, dass die beteiligten Mitglieder „unbedingte Freiheit der Forschung und des Urteils“ genössen. Das Reichsministerium des Innern und der Wissenschaftliche Ausschuss stünden dem Seringschen Werk „fördernd gegenüber“, da ihnen sehr daran gelegen sei, „eine gute Darstellung über die Tätigkeit des Kriegsministeriums zu erhalten.“ Abschließend heißt es zu Sering: „Alle darüber hinaus von ihm erhobenen Ansprüche und gehegten Erwartungen beruhen auf Selbsttäuschung.“ Tatsächlich hatte der Wissenschaftliche Ausschuss zur Darstellung der deutschen Kriegswirtschaft im Herbst 1919 unrealistische Vorstellungen über die Realisierungschancen seines eigenen ‚Reichsunternehmens‘. Weniger als ein Jahr später teilte Staatssekretär Lewald vom Reichsministerium des Innern den beteiligten Ressorts, dem Büro des Reichspräsidenten und den Berliner Vertretungen der Länder in einem Schreiben vom 2. August 1920 mit, dass die Nationalversammlung die benötigten Mittel „mit Rücksicht auf die veränderte Lage des Reiches“ abgelehnt habe. Das bereits vorhandene Material solle dem Reichsarchiv in Potsdam übergeben werden: „Es muß einer späteren Zeit überlassen bleiben, die Bearbeitung des Materials, die für die Beurteilung der wirtschaftlichen Vorgänge während des Weltkrieges von so ausschlaggebender Bedeutung, sei es im Ganzen, sei es in Bruchstücken, vorzunehmen.“63 In der Dissertation von Matthias Herrmann über das Reichsarchiv von 1919 bis 1945 kommt es in diesem Zusammenhang zu einer Vermischung zwischen dem Wissenschaftlichen Ausschuss zur Darstellung der deutschen Kriegswirtschaft und der von Sering geleiteten Wissenschaftlichen Kommission, wobei Herrmann hier irr63 BArch, R 601/410.

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tümlich den Namen Severing nennt. Sering wird in der Arbeit von Herrmann lediglich als Doktorvater von Reichsarchivar Wilhelm Dieckmann erwähnt.64 Nach Karl Demeter war Dieckmann ein Schwiegersohn des ersten Präsidenten des Reichsarchivs, Hermann Ritter Mertz von Quirnheim, und hatte zu Beginn der 1920er Jahre bei Sering promoviert.65 Das Finanzministerium hatte im Frühjahr 1919 noch weitere 50 000 Mark für die Wissenschaftliche Kommission bewilligt. Die Personalanpassungsmaßnahmen wurden zeitlich nicht wie beabsichtigt umgesetzt, sondern vielmehr „allmählich“ vollzogen. Um den Jahreswechsel 1919/20 war die überwiegende Zahl der Mitarbeiter ausgeschieden und lediglich noch drei Referenten tätig. Unter der Leitung von Sering wurde die Arbeitsgruppe dem Reichsarchiv zugeordnet. 1920 trat der ehemalige Offizier Rüdt von Collenberg in das Reichsarchiv ein, zum Ende der amtlichen Tätigkeit von Sering bemerkt er: „Schließlich ging die Bearbeitung der Kriegswirtschaftsgeschichte unter Ausscheiden des Vorsitzenden der ehem. W.K. völlig an das Reichsarchiv über.“66

Der Präsident des Reichsarchivs als Förderer des Seringschen Publikationsprojekts Die zuletzt zitierte Darstellung Rüdt von Collenbergs wird durch ein Schreiben des Präsidenten des Reichsarchivs an den Reichsminister des Innern vom 4. Mai 1920 widerlegt. Einleitend heißt es hier: „Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Kommission sind während des Krieges unter dem allgemeinen Gesichtspunkte durchgeführt worden, dass die deutsche Heereswirtschaft auf ihre Mängel hin wissenschaftlich untersucht und die Ergebnisse für die künftige Heeres- und Kriegsorganisation nutzbar gemacht werden sollten.“ Dieses leitende Interesse sei nach dem Kriegsende mit seiner völlig veränderten Gesamtsituation obsolet geworden. Dafür sei jedoch der Aspekt in den Fokus geraten, „dass die Heereswirtschaft in ihrer Bedeutung für die Entwickelung unseres wirtschaftlichen und sozialen Lebens während des Krieges und in der späteren Zeit zu untersuchen ist.“ Vor diesem Hintergrund betrachtet, würden die Werke der Sering-Kommission, „abgesehen von ihrem grossen, rein wissenschaftlichen Werte für die Organisation und den Neubau unseres Wirtschaftslebens wichtige Anhaltspunkte geben.“ Selbstverständlich sei die „Veränderung des allgemeinen

64 Matthias Herrmann, Das Reichsarchiv 1919–1945. Eine archivische Institution im Spannungsfeld deutscher Politik. Dissertation, Humboldt-Universität Berlin 1994, S. 239, 556. 65 Karl Demeter, Das Reichsarchiv. Tatsachen und Personen, Frankfurt am Main 1969, S. 30, 48. Auch Reichsarchivar Otto Korfes, ebenfalls ein Schwiegersohn Mertz von Quirnheims, hatte nach Demeter Anfang der 1920er Jahre bei Sering promoviert. 66 BArch, RH 61/594.



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Zwecks, der den Arbeiten der wissenschaftlichen Kommission zu Grunde liegt“, nicht ohne Folgen für den Arbeitsfortschritt geblieben.67

Abb. 6: Hermann Ritter Mertz von Quirnheim, März 1930

Zu dem Stand des Projektes im Frühjahr 1920 führt Mertz von Quirnheim aus, dass ein Teil der Ausarbeitungen schon gegen Jahresende 1919 fertiggestellt und die Vollendung eines anderen Teils bereits weit fortgeschritten gewesen sei: „Alle diese Arbeiten mussten von dem neuen grundsätzlichen Gesichtspunkte aus umgeändert werden, und die Unterlagen waren zu vervollständigen.“ Nach Darstellung des Präsidenten war von den „Einzeluntersuchungen“ bereits „Die Bewirtschaftung der Webstoffe“ fertiggestellt, die Drucklegung werde in Kürze erfolgen. Von Band VI68 seien die Themen „Die Nutzbarmachung der Elektrizität für die Kriegführung“ und „Das Kraftfahrwesen“ abgeschlossen. Band IV69 „Die Bewirtschaftung des Eisens und der Metalle“ benötige bis zur Fertigstellung noch einige Wochen. Von der Fertigstellung des Bandes III70 zum „Waffen und Munitionswesen“ sowie des Abschnittes „Die Bewirtschaftung der Häute und der Lederindustrie“ sei in ca. drei Monaten auszugehen. Die Themen „Die Kriegschemikalienwirtschaft“, „Die Bewirtschaftung der Betriebsstoffe“ sowie 67 BArch, R 1501 /108980. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen. 68 Bd. 3 der vorliegenden Edition. 69 Bd. 2 der vorliegenden Edition. 70 Bd. 1 der vorliegenden Edition.

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„Die Bewirtschaftung des Kautschuks“ seien teilweise fertiggestellt und für die Drucklegung noch zu überarbeiten. Die anderen Einzeluntersuchungen befänden sich in Arbeit, das hierzu erforderliche Material werde gesammelt und ausgewertet. Nach den Mertz von Quirnheim vorliegenden Informationen lagen von den Bänden I und II des allgemeinen Teils die Themen „Das Beschaffungswesen“ und „Die Sicherung der Arbeitskräfte, die freien Arbeiter, die Gefangenen“ fertig vor. Der Unterpunkt „Die Sicherung von Kriegsrohstoffen, die mineralischen Lagerstätten, die vegetabilen und tierischen Rohstoffe von Mitteleuropa und der Türkei“ werde in einem Monat vollendet sein. Die Bände I und II könnten jedoch erst dann definitiv abgeschlossen werden, wenn die Einzeluntersuchungen vorlägen, da sie auf deren Inhalten basierten. Soweit absehbar, werde das komplette Werk binnen eines Jahres zum Abschluss kommen, wenn die Arbeiten planmäßig fortgesetzt würden. Zu den bis Anfang der 1920er Jahre beim Heeresabwicklungsamt und Reichswehrministerium eingereichten Manuskripten des Seringschen Werkes schreibt Rüdt von Collenberg einleitend: „Die Akten weisen nach, daß zwei Einzelbearbeitungen vorgelegt worden sind.“ Zunächst handelte es sich um die Mitte 1920 eingereichte „Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe“: „[…] gegen ihre Veröffentlichung hatte das Heeresabwicklungsamt Preussen keine Einwendungen zu erheben.“71 Am 13. Dezember 1920 verfasste Mertz von Quirnheim, als Antwort auf eine entsprechende Anfrage, einen weiteren Bericht für den Reichsminister des Innern zum Stand des Seringschen Projektes. Diese Darstellung beruhte auf schriftlichen und mündlichen Erklärungen des Herausgebers, wobei die schriftlichen Mitteilungen am 11. Oktober 1920 und am 1. Dezember 1920 erfolgten. Zu dieser Zeit gab es Bestrebungen, Sering von seiner Position als Herausgeber des Werkes zur Kriegswirtschaft zu verdrängen. Im Hinblick auf eine bevorstehende Sitzung der Historischen Kommission des Reichsarchivs berichtete Sering in seinem Schreiben vom 11. Oktober 1920 zunächst über den Stand des Vorhabens. Der Briefkopf des in Abschrift überlieferte Schreibens lautet: „Reichsarchiv Sichtungsabteilung für Wirtschaftsgeschichte“ und daneben die Seringsche Adresse Berlin-Dahlem, Luciusstraße 9. Nach Darstellung von Sering sollten die Satzarbeiten entsprechend einer Vereinbarung mit Mittler & Sohn Ende Oktober beginnen. Hierbei gehe es zunächst um die vier Bände „Die Beschaffung von Waffen und Munition“, „Die Bewirtschaftung der Webstoffe“, „Die Bewirtschaftung der Metalle“ und „Die Bewirtschaftung des Eisens“. Von den Autoren sei Dr. Voss vor der Ablieferung seines Manuskriptes über „Die Pferdebeschaffung während des Krieges“ verstorben. Auch sei es zu Verzögerungen durch Erkrankungen gekommen. Dies treffe insbesondere auf Professor Zimmermann von der Universität Hamburg zu, der die Verhältnisse der Arbeiter seit Erlass des Hilfsdienstgesetzes bearbeite.72 Zu der Tätigkeit der Wissenschaftlichen Kommission während des Krieges teilt Sering mit, dass man sich darauf beschränken musste, die höchst umfangreichen 71 BArch, RH 61/594. 72 BArch, R 1501/108980. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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Unterlagen zusammenzutragen, auszuwerten und in Besprechungen mit den Referenten und anderen Mitarbeitern zu diskutieren sowie „Zusammenfassungen, Gutachten etc. auszuarbeiten.“ Mit der definitiven „wissenschaftlichen Darstellung“ habe man erst nach Kriegsende beginnen können. Allerdings hätten „die Revolution und die Rückkehr der meisten Mitarbeiter in die bürgerlichen Berufe“ zu erheblichen Unterbrechungen der Arbeit geführt. Sollte es dennoch gelingen, den vorgesehenen Terminplan einzuhalten, sei diese Leistung der Autoren höchst anerkennenswert. Ganz besonders aufschlussreich sind die folgenden Erklärungen von Sering. Die Gewichtung der kriegswirtschaftlichen Darstellung habe durch den Kriegsausgang eine substanzielle Veränderung zur Folge gehabt: „Solange auf den Sieg gerechnet werden konnte, kam es unserem Auftrage gemäß darauf an, die wechselnden Maßnahmen der Heeresverwaltung, ihre Motive, Erfolge oder Mißerfolge zu schildern, damit in einem künftigen Kriege die gemachten Fehler vermieden würden.“ Konkretisierend heißt es weiter: „Gewisse besonders wichtige Zweige, namentlich die gesamte Rohstoffwirtschaft sollten bis in alle Einzelheiten geschildert werden, wiederum unter dem Gesichtspunkte der Nutzbarmachung für einen künftigen Krieg.“ Für diese spezielle Darstellung sei „der Druck einer beschränkten Anzahl von Exemplaren für den Behördengebrauch in Aussicht genommen“ gewesen. Parallel dazu sei „eine für den gebildeten Leser“ konzipierte, acht Bände umfassende Darstellung vorgesehen gewesen. Nach Kriegsende hätte „die von einzelnen Mitarbeitern vorbereitete umfassendere Darstellung aufgegeben, in der allein noch verbleibenden kürzeren Ausgabe aber das rein volkswirtschaftliche Interesse in den Vordergrund gerückt werden“ müssen. Abschließend zitiert Sering in seinem Schreiben vom 11. Oktober 1920 aus seiner Mitteilung vom 16. April 1920 an die Autoren. Hierin heißt es, der Krieg bedeute zwar für alle „Kulturländer“ eine tiefe Zäsur, insbesondere treffe dies jedoch auf Deutschland zu: „Die deutsche Industrie kann an den Zustand vor dem Kriege nicht mehr anknüpfen; der Zustand, der durch den Krieg und den Friedenszustand geschaffen worden ist, bildet den gegebenen Ausgangspunkt für die neue Wirtschaftsgeschichte.“ In Anbetracht dieser Entwicklung müsste in jeder Ausarbeitung der organisatorische Wandel dargestellt werden, der in der Kriegszeit in den jeweiligen Industriebranchen erfolgt sei. Es handele sich hier um Veränderungen auf technischem Gebiet sowie der Betriebsform (Relation zwischen Groß-, Mittel- und Kleinbetrieb, soweit erkennbar). Die Entwicklung der gewerblichen Verbände (Kartelle und Syndikate etc.) sei zu beschreiben, ebenso „die veränderten Arbeitsverhältnisse.“ Der Leser soll hieraus eine plastische Vorstellung „von den neuen Grundlagen für unsere wirtschaftliche und soziale Entwicklung“ gewinnen. In jedem Werk sollte auch die Preisgestaltung behandelt und untersucht werden, inwieweit es gelungen sei, den militärischen und zivilen Bedarf zu decken. Das zweite abschriftlich überlieferte Schreiben von Sering an Mertz von Quirnheim vom 1. Dezember 1920 trägt im Briefkopf nur noch Name und Adresse des Herausgebers. Einleitend heißt es hier, dass sich die „Haupt- und Nebenbände“ nicht unterschieden, vielmehr handele es sich um „acht gleichwertige Bände“, wobei die

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beiden ersten eher allgemein gehalten seien und sie ihre endgültige Fassung erst nach der Vollendung der übrigen Werke erhalten könnten. Interessant ist auch die Bemerkung, dass der von Major Wagenführ empfohlene Autor für die Flugzeugindustrie schließlich „zurückgetreten“ sei. Der von diesem vorgeschlagene Ersatzautor habe zunächst geklärt haben wollen, ob er seine Tätigkeit honoriert bekomme: „Er hebt mit Recht hervor, daß das kleine Schriftstellerhonorar von 240 Mark für den Druckbogen einer sehr gedrängten Darstellung nicht in Betracht komme.“ Dies bedeute „die Bewilligung eines Entgeltes“ in Erwägung zu ziehen oder man müsse hier eine andere Lösung finden. Hierbei dachte Sering an frühere Angehörige der Inspektion der Fliegertruppen, die inzwischen im Reichsarchiv tätig waren und bat Mertz von Quirnheim um Empfehlungen. Somit sollte offensichtlich auch die Flugzeugindustrie in das kriegswirtschaftliche Werk einbezogen werden. Nach Sering ergab sich eine Verzögerung des Projektes auch dadurch, dass er Dr. Böhmecke vom Reichsarchiv, der vor Kriegsausbruch in der Lederindustrie tätig gewesen sei, um eine „gründliche Umarbeitung“ des Themas „Bewirtschaftung der Häute und des Leders“ von Dr. Voelcker habe bitten müssen. Diese Überarbeitung sei sehr zeitaufwändig gewesen, nunmehr aber nahezu abgeschlossen. Wiedenfeld hatte in seinem bereits erwähnten Vortrag am 7. August 1917 vor Offizieren die „Kriegslederaktiengesellschaft“ schon als „Schmerzenskind unserer Rohstoffwirtschaft“ bezeichnet.73 Weiter führt Sering in seinem Schreiben vom 1. Dezember 1920 aus: „Die zum Druck eingelieferte ausgezeichnete Arbeit des Prof. Dr. Weyrauch erwies sich bei der Prüfung seitens der Verlagsbuchhandlung als um fünf Druckbogen gegenüber der einzuhaltenden Norm von 20 Druckbogen zu lang.“ Gegenwärtig erfolge die herausfordernde Kürzung der Arbeit um 20 Prozent. Die zu diesem Werk gehörenden „sehr schönen Kurven“ seien Mittler & Sohn zu kostenintensiv und man erwarte für eine Einbeziehung deshalb eine weitere Kürzung des Bandes um vier Druckbogen: „Dadurch würde aber der wissenschaftliche Wert des Werkes vernichtet werden. Ich habe deshalb jenen Wunsch abgelehnt. Es erhebt sich nun die Frage, ob das Reichsarchiv in der Lage ist, einen Zuschuß zu den Kosten der Kurventafeln zu leisten.“ Hierbei bezieht sich Sering auf eine Unterredung zwischen Mertz von Quirnheim und ihm am 18. August 1920 in der der Präsident 4 000 Mark für die graphischen Darstellungen in dem Werk über den Eisenbahn- und Straßenverkehr während des Krieges in Aussicht gestellt hatte. Im Hinblick auf die Übernahme von Sachkosten aus der Staatskasse weist Sering ausdrücklich darauf hin, „daß persönliche Kosten für das von mir herauszugebende Werk in nur minimalem Umfange entstehen, weil ich und die anderen Verfasser unentgeltlich tätig sind.“ Die ihm für das laufende Jahr bewilligten, vom Reichsminister des Innern mit Bescheid vom 24. Februar 1920 irrtümlich als „Vergütung“ deklarierte „Aufwandsentschädigung“ in Höhe von 150 Mark pro Monat stelle er für die Sachkosten der Publikation zur Verfügung.74 73 Wiedenfeld, Rohstoffversorgung (wie Anm. 15), S. 9. 74 BArch, R 1501/108980. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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Unter Berufung auf die Seringschen Mitteilungen schreibt der Präsident des Reichsarchivs, dass von dem vorgesehen achtbändigen Gesamtwerk vier Bände komplett oder weitgehend druckreif seien. Der Druck des ersten Bandes werde in absehbarer Zeit erfolgen. Sering gehe davon aus, die Druckvorbereitung von drei weiteren Bänden so forcieren zu können, dass die Herstellung der Bände kontinuierlich erfolgen könne. Für die verbleibenden vier Bände liege das Material bereits weitgehend vor, allerdings sei eine Fertigstellung bis Anfang April 1921 wohl nicht realistisch. Dies gelte ganz besonders für die beiden primär von Sering selber zu bearbeiteten Bände, die auf den anderen Werken aufbauten. Die folgenden Ausführungen von Mertz von Quirnheim stellen eine eindeutige Parteinahme für Sering dar: „Nach der ganzen Sachlage erachte ich es für ausgeschlossen, daß diese Arbeit von irgend jemand anderem als von Professor Sering, der jahrelang in der Atmosphäre dieser Wirtschaft lebte und wirkte geleistet wird.“ Gegenüber diesem Fakt sehe er es allerdings auch als in hohem Maße „bedauerlich“ an, dass Sering durch vielfältige anderweitige Inanspruchnahme nicht in der Lage sei, sich einem zügigen Abschluss des Gesamtwerkes widmen zu können. Der Herausgeber gehe von einem Abschluss „innerhalb Jahresfrist“ aus. Weiter schreibt der Präsident: „Nach dem Urteile des Professor Sering wird von industriellen wie volkswirtschaftlichen Kreisen das Werk oder einzelne Bände mit großer Spannung erwartet.“ Auch gehe Sering davon aus, dass sich der Absatz der Bände außerordentlich positiv entwickeln werde: „Der Eindruck, den ich bei meiner mündlichen Besprechung mit Professor Sering erhielt, war der, daß Professor Sering großen Wert darauf legt, dieses wissenschaftliche Unternehmen persönlich zu einem glücklichen Abschluß zu bringen.“ In einem weiteren Schreiben des Reichsinnenministeriums an den Präsidenten des Reichsarchivs vom 21. Dezember 1920 wird ausgeführt, dass es auf der einen Seite wünschenswert sei, „dass die zusammenfassende Darstellung der Aufgaben und Leistungen der deutschen Heereswirtschaft“ durch Sering vorgenommen werde, andererseits sei es „bedenklich“, sich hier auf ihn zu fixieren, wenn dadurch die Realisierung des Projektes insgesamt in Gefahr gerate. Nachdem Sering die von ihm selbst genannten Fertigstellungstermine mehrfach nicht eingehalten habe, müsse man „ernste Zweifel“ hegen, ob er bei seinen vielfältigen Inanspruchnahmen der Fertigstellung der Arbeit noch „das nötige Interesse entgegenbringen“ könne. Anschließend wurde Mertz von Quirnheim gebeten, Sering zur Abgabe einer Erklärung aufzufordern, deren Inhalt in der verbindlichen Zusage bestehen sollte, die Manuskripte für alle acht Bände spätestens am 1. Oktober 1921 vorzulegen und ihm zu erklären, dass bei erneuter Nichteinhaltung dieses Termins der Innenminister das Projekt „auf Grund des vorhandenen Materials einem anderen Gelehrten würde übertragen müssen.“ Hierbei sei primär an einen Reichsarchivar mit volkswirtschaftlicher Vorbildung gedacht. Der Präsident des Reichsarchivs antwortete dem Reichsminister des Innern hierauf mit Schreiben vom 3. März 1921, wobei er erneut Partei für Sering ergriff. Nach Mertz von Quirnheim lagen die Bände III bis VIII „zum großen Teil“ in Handschrift vor. Dagegen könnten die Bände I und II erst nach der Abgabe der übrigen Verfas-

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ser komplettiert werden; ein Fertigstellungstermin könne hier noch nicht genannt werden. Zu den jüngsten Schwierigkeiten des Seringschen Publikationsprojektes wird erklärt: „Die Drucklegung scheiterte bis jetzt daran, daß der Verlag wegen angeblich hohen geschäftlichen Wagnisses Absatzsicherheiten verlangte. Für den Band IV sind diese von der Industrie nunmehr gegeben, wegen der übrigen Bände schweben noch – anscheinend aussichtsvolle – Verhandlungen mit gewerblichen Verbänden.“ Vor diesem Hintergrund dürfte wohl fest davon auszugehen sein, dass das fragliche Werk, dessen „Ankündigung“ durch den Verlag E.S. Mittler & Sohn als Anlage beiliege, von Sering sobald als möglich vollendet werde. Mertz von Quirnheim spricht sich in diesem Schreiben mehrfach und mit großem Nachdruck für die Herausgeberschaft durch Sering aus: „Die Übertragung dieser Arbeiten auf einen anderen Wissenschaftler würde dagegen mit Sicherheit dazu führen, daß die Arbeit auf unabsehbare Zeit hinaus unerledigt bleibt.“ Hinzu käme, dass das profunde Wissen, das Sering sowohl durch persönliche Anschauung als auch durch seine „Mitarbeit bei den entscheidenden wirtschaftlichen Besprechungen usw.“ in der Kriegszeit gewonnen habe, „völlig verloren gehen würde.“ Falls Sering die Herausgeberschaft entzogen werden sollte, sei dieser wohl kaum mehr bereit, an dem Projekt weiter mitzuarbeiten. Vielmehr müsse damit gerechnet werden, dass er für die bisher vorliegenden Werke „in ihrer Überzahl“ die Urheberschaft geltend mache: „Die Akten allein würden aber zu einer genügend erschöpfenden Darstellung nicht ausreichen.“ Weiter erklärt der Präsident des Reichsarchivs, dass er erhebliche Bedenken dagegen habe, Konsequenzen anzudrohen: „Ich darf es nicht verschweigen, daß Prof. Sering in der Angelegenheit außerordentlich empfindlich geworden ist. Er fühlt sich seit langer Zeit mit Übelwollen behandelt. Eine Drohung, mit dem Entzug der Arbeiten, würde wohl einen Konflikt heraufbeschwören, der in weiteren Kreisen nicht unbekannt bliebe.“ Vor diesem Hintergrund dürfte es in jeder Hinsicht „das geringere Übel“ sein, wenn man Sering noch einige zusätzliche Monate für den Abschluss der Manuskripte gewähre, anstatt es zu einem sofortigen Stillstand der Arbeit und zu persönlichen Konflikten kommen zu lassen: „Den Herrn Reichsminister bitte ich daher von den beabsichtigten Maßregeln gegen Prof. Sering Abstand nehmen zu wollen.“ Abschließend teilte er mit, dass er wegen einer eventuellen Fortführung der Arbeit durch das Reichsarchiv mit Oberarchivrat Professor Rauers intensive Unterredungen geführt habe, deren Ergebnis in seiner Berichterstattung implizit enthalten sei. Die erwähnte „Ankündigung“ hatte der Verlag E.S. Mittler & Sohn sehr wahrscheinlich zu Jahresbeginn 1921 gedruckt, der Text geht sicherlich auf eine Vorlage von Sering zurück. In der Einleitung des Prospektes heißt es: „Nirgendwo gingen die Wandlungen der Volkswirtschaft mehr in die Breite und Tiefe als in Deutschland. Nach dem furchtbaren Zusammenbruch kann deshalb die Arbeit des Wiederaufbaus nur selten an die Verhältnisse vor dem Kriege anknüpfen. Den Ausgangspunkt



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bildet die aus der Not geborene Verfassung der Kriegszeit.“75 Die folgenden Ausführungen zu dem Publikationsprojekt sind inhaltlich weitgehend identisch mit dem Text in einem von Max Sering Anfang Juli 1922 verfassten Verlagsprospekt der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co. und dem Text der doppelseitigen Anzeige des Verlages im „Börsenblatt“ vom 7. August 1922, die in diesem Beitrag wiedergegeben ist (Abb. 10). Bei der „Übersicht über das Gesamtwerk“ in der „Ankündigung“ werden die vorgesehenen acht Bände mit ihren einzelnen Themen aufgeführt, allerdings nur bei den Werken über das Waffen- und Munitionswesen, die Bewirtschaftung des Eisens und der sonstigen Metalle sowie die Bewirtschaftung der Webstoffe auch die Verfasser genannt; diese Bände befanden sich nach dieser Darstellung bereits „im Druck“. Bei den Werken über die Bewirtschaftung des Eisens und der sonstigen Metalle (Band IV und V) werden als Verfasser Dr. Stellwaag und Dr. Lindig genannt und erklärend hinzugefügt, das es sich um „langjährige Mitarbeiter des durch sein neues Amt beanspruchten Professors Dr. Wiedenfeld“ handele. Lindig und Wiedenfeld standen zu dieser Zeit in den Diensten des Auswärtigen Amts, wie es an anderer Stelle in der „Ankündigung“ heißt, wobei Wiedenfeld als Ministerialdirektor tituliert wird (die Ernennung hatte er Anfang Januar 1920 erhalten). Zu den Gründen des Rückzuges von Mittler & Sohn, der „älteste[n] deutsche[n] Pflegestätte militärwissenschaftlichen Schrifttums“, wie es in einem Beiblatt zur Jubiläumsschrift des Verlages vom Februar 1939 heißt,76 können nur Vermutungen angestellt werden. Ein denkbares Motiv sind Widerstände gegen das Buch über das Waffen- und Munitionswesen von Weyrauch. Hierzu schreibt Rüdt von Collenberg, dass dieses rund ein Jahr nach der „Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe“ vorgelegte Werk beim Reichswehrministerium „eine kritische Aufnahme“ erfahren habe77. Ein weiterer denkbarer Aspekt findet sich in der Festschrift zum 150jährigen Verlagsjubiläum im Jahre 1939. Zu der Zeit nach dem Weltkrieg heißt es hier, es „mußten manche militärwissenschaftlichen Erscheinungen anderen Verlagen überlassen werden, um ihnen nicht einen ‚offiziellen oder offiziösen Charakter‘ allein durch ihr Erscheinen bei Mittler und Sohn zu geben.“78 Im Rahmen der von diesem Verlag herausgegebenen Heftreihe „Deutschlands Wiederaufbau“, in der von der Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung zu Berlin veranstaltete Vorträge gedruckt wurden, war Sering 1920 mit der Publikation „Das Friedensdiktat von Versailles und Deutschlands wirtschaftliche Lage“ auch Autor des Verlages E.S. Mittler & Sohn geworden.79 Ebenfalls 1920 hatte dieser Verlag das Werk „Wirtschaftskrieg und Kriegswirtschaft“ von

75 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts (PAAA), R 65238. In den Akten des Reichsministeriums des Innern ist der Verlagsprospekt von E.S. Mittler & Sohn nicht vollständig überliefert. 76 Einhundertfünfzig Jahre E.S. Mittler & Sohn Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei 1789–1939. Festschrift zum 3. März 1939, dem Gedenktage des 150jährige Bestehens. Berlin 1939. 77 BArch, RH 61/594. 78 Einhundertfünfzig Jahre (wie Anm., 76), S. 136. 79 Max Sering, Das Friedensdiktat von Versailles und Deutschlands wirtschaftliche Lage. Berlin 1920.

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Arthur Dix herausgegeben.80 In einem Verlagstext – auf dem Rücktitel der Schrift von Sering – heißt es zu dem Buch von Dix, der Verfasser beschränke „sich keineswegs auf Anklage und Kritik“, vielmehr sei es sein Anliegen, „den gewaltigen kriegswirtschaftlichen Leistungen des eingekreisten Deutschland gerecht zu werden“ und insbesondere „Ausblicke und Anregungen“ in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht und zu den Möglichkeiten des deutschen Wiederaufbaus zu geben.

Die Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co. Nach den im Verlagsarchiv von de Gruyter überlieferten Unterlagen zu dem Buchprojekt aus den Jahren 1921/22 fand die erste Unterredung zwischen Max Sering und Wilhelm von Crayen von der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co. am 27. April 1921 statt. Noch am selben Tag übersandte Sering das Manuskript von Stellwaag, eine Druckseite des mit Mittler & Sohn vereinbarten Formats und ein Exemplar des Buches von Friedrich Luckwaldt zur Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, dessen Gestaltung als Muster dienen sollte. Dem Schreiben Serings angefügt war eine Visitenkarte von Dr. Christian Böhmecke, Archivrat im Reichsarchiv.81 Der Hauptgegenstand des Gesprächs vom 27. April 1921 erschließt sich aus dem Entwurf eines Antwortschreibens des Verlages vom 3. Mai 1921. Demzufolge hatte Sering über das geplante Reihenwerk berichtet und dabei von „Schwierigkeiten“ gesprochen, in die das Vorhaben zu kommen drohe: „Die Firma E.S. Mittler & Sohn, mit der Sie als Leiter der wissenschaftlichen Kommission des Kriegsministeriums einen Verlagsvertrag über dieses Werk geschlossen, habe anscheinend die Neigung zu seiner Verwirklichung verloren und so richteten Sie vertraulich an mich die Frage, ob die V.w.V. unter Umständen zur Verlagsübernahme bereit sei.“ Dies war offenbar unter der Prämisse der Fall, dass der Wechsel im gegenseitigen Einvernehmen mit Mittler & Sohn vollzogen werde.82 Am 9. Mai 1921 übersandte von Crayen einen Vertrag an Sering, der ein Rücktrittsrecht für den Fall vorsah, dass es nicht gelingen sollte, „den zwischen Ihnen und der Firma Mittler geschlossenen Vertrag aufzulösen.“ Zugleich äußerte er die Hoffnung, dass man in Kürze „mit der Herstellung des ersten Bandes beginnen“ könne. In einem weiteren Schreiben vom 13. Mai 1921 erklärt er gegenüber Sering: „Seien Sie versichert, dass es mir stets ein grosse Ehre sein wird, gerade dieses Werk unter der Flagge der V.w.V. hinaussegeln lassen zu dürfen!“

80 Arthur Dix, Wirtschaftskrieg und Kriegswirtschaft. Zur Geschichte des deutschen Zusammenbruchs. Berlin 1920. 81 Zu Sering im Verlagsarchiv siehe Repertorium der Briefe aus dem Archiv Walter de Gruyter, ausgewählt von Otto Neuendorff, bearbeitet von Anne-Katrin Ziesak. Berlin/New York 1999, S. 276. 82 Archiv Walter de Gruyter GmbH. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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Abb. 7: Verlagskonferenz der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co., 1919/20; v.l.: Oscar Schuchardt, Otto von Halem, Wilhelm von Crayen, Gustav Adolf von Halem, Walter de Gruyter

In einer Mitteilung des Reichsfinanzministeriums an Sering vom 23. Juli 1921 heißt es: „Ich erteile hiermit die Genehmigung zur Aufhebung des mit der Buchhandlung Mittler & Sohn unter dem 17. April 1919 abgeschlossenen Verlagsvertrages unter der von Ihnen zugesicherten Bedingung, daß Sie die Druckgenehmigung nur dann erteilen werden, wenn die beteiligten Ressorts (Reichswehrmin., Reichsfinanzmin., Auswärtiges Amt, Wirtschaftsmin.) keine Bedenken gegen die Veröffentlichung vom Standpunkte der allgemeinen Reichsinteressen aus geltend machen.“ Abschließend wird Sering gebeten, in dem Verlagsvertrag mit der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger den Passus die „Genehmigung des Reichsfinanzministeriums“ wegzulassen und auch die für das Ministerium vorgesehenen Freiexemplare nicht zu erwähnen. Stattdessen solle Sering sich „persönlich dem Reichsfinanzministerium gegenüber […] verpflichten“, von seinen 30 Freiexemplaren dem Ministerium 20 zu überlassen.83 Das Schreiben an Sering wurde anschließend vom Reichsfinanzministerium den Reichsressorts in Abschrift zugesandt. In dem Begleittext heißt es, es handele 83 PAAA, R 65238. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.

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sich hier um das „nunmehr herauszugebende Werk, ‚Die deutsche Heereswirtschaft während des Weltkrieges, ihre volkswirtschaftlichen Voraussetzungen und Wirkungen‘ mit drei Ergänzungsbänden hierzu […]“. Weiter wird mitgeteilt, dass zu der Publikation „das Preußische Kriegsministerium die Genehmigung seinerzeit schon erteilt hatte.“ Sering habe sich damit einverstanden erklärt, den beteiligten Reichsressorts vor dem Druck die Möglichkeit einzuräumen „Bedenken gegen die Veröffentlichung vom Standpunkte der allgemeinen Reichsinteressen aus geltend zu machen“. Am 26. Juli 1921 schrieb Sering an die Vereinigung wissenschaftlicher Verleger, dass nach Mitteilung von Oberregierungsrat Peckert vom Finanzministerium „alle Hindernisse glücklich aus dem Weg geräumt“ seien und der Verlagsvertrag vom 10. Mai 1921 nunmehr wirksam werde. Die Übersendung der Fahnenabzüge an die Reichsressorts begründete er mit den Worten: „Die Finanzverwaltung hat auf meine Vorstellung hin zwar alle finanziellen Ansprüche fallen lassen, sie hatte aber auf Grund einer bestimmten Erfahrung den Wunsch, dass eine Sicherheit gegeben würde gegenüber der Gefahr, dass die Entente irgendwelche finanziellen Ansprüche aus unserer Darstellung gegen das Reich in unrechtmäßiger Weise ableitet.“ Infolgedessen „wollte sie den nächstbeteiligten Ämtern die Möglichkeit eines Widerspruchs offen lassen.“ Man habe ihm aber zugesichert, „dass die Aufsicht in grossem Sinne gehandhabt und nicht versucht werden wird, durch Schikane die wissenschaftliche Wahrheit zu beugen.“ Er zeigte sich „davon überzeugt, dass ein Einspruch von keiner Seite erfolgen wird.“84 Am selben Tag hatte sich Sering in gleichlautenden Schreiben an die beteiligten Ministerien gewandt. Nach Überwindung von „mancherlei Schwierigkeiten“ werde nunmehr die Drucklegung erfolgen. Von den geplanten acht Bänden des Werkes solle zunächst der Band über die Eisenwirtschaft erscheinen, dann der Band über das Waffen- und Munitionswesen und danach die Bände über die Bewirtschaftung der Webstoffe und der Metalle. Zur Orientierung fügte Sering die Ankündigung des Reihenwerkes durch E.S. Mittler & Sohn bei, diesen Verlagsnamen hatte er durchgestrichen und handschriftlich „Vereinigung wissenschaftlicher Verleger“ und deren Berliner Adresse hinzugefügt.85 Weiter führte Sering hier aus, dass er gegenüber dem Reichsfinanzministerium seine Bereitschaft erklärt habe, „den nächstbeteiligten Ministerien jeweils Fahnenabzüge zugehen zu lassen, um ihnen auf diese Weise Gelegenheit zu geben, etwaige Bedenken geltend zu machen, welche gegen diese Veröffentlichung vom Standpunkt der allgemeinen Reichsinteressen aus bestehen könnten.“ Optimistisch heißt es weiter: „Da die Darstellung durch wissenschaftliche Ruhe gekennzeichnet ist, glaube ich nicht, dass solche Bedenken obwalten werden.“ Bereits wenige Tage später ergab sich eine völlig neue Situation. In einer Unterredung zwischen Walter de Gruyter und Sering in dessen Haus am 4. August 1921, bei dem es eigentlich um die Beteiligung des Paul Parey Verlages an dem Verlagsvertrag gehen sollte, eröffnete Sering de Gruyter, dass ihn „vor einigen Tagen“ Professor Shot84 Archiv Walter de Gruyter GmbH. 85 PAAA, R. 65238. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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well aufgesucht „und ihm von einem gewaltigen Plan der Carnegie-Stiftung Kenntnis gegeben“ habe, wie es in der von Walter de Gruyter angefertigten Besprechungsniederschrift heißt.86 Nach Mitteilung von Sering publiziere die Stiftung unter dem Obertitel „Economics and Social History of the World War“ ein groß angelegtes Werk. Es sei beabsichtigt, die volkswirtschaftliche und soziale Entwicklung in der Zeit des Weltkrieges in einer Weise zur Darstellung zu bringen, dass in allen ehemals kriegführenden Ländern (und wohl auch in einigen bedeutenden neutralen Staaten) eine Arbeitsgruppe aus wissenschaftlichen Mitarbeitern konstituiert werde, welche unter der Leitung eines aus dem jeweiligen Land kommenden Herausgebers die Werke für die einzelnen Länder verfasse. Hierbei sei es eine absolute Selbstverständlichkeit, dass „die strengste wissenschaftliche Objektivität gewahrt, alles Verletzende oder Unparitätische gemieden werde.“87 Nach der Besprechungsniederschrift von Walter de Gruyter fanden in den Tagen vor seinem eigenen Besuch bei Sering weitere Gespräche zwischen diesem und Shotwell statt, dabei sei Sering gegenüber seinem Gast auch auf das geplante Werk „Die deutsche Heereswirtschaft während des Weltkrieges“ eingegangen. Bei diesen Unterredungen habe Shotwell „nicht ohne die Anerkennung der Ueberraschung“ zum Ausdruck gebracht, dass Deutschland das einzige Land sei, das sich dieser Aufgabe gestellt habe, doch sei auch erkannt und ausgesprochen worden, das beide Werke keineswegs in ihrem Stoffgebiet congruent seien. Das deutsche Werk wolle die militärische Oekonomie, das Werk der Carnegie-Stiftung die Volkswirtschaft im Kriege darstellen.“ Diese Differenz habe nicht nur Folgen bezüglich der „Art der Darstellung“ vielmehr auch im Hinblick auf den Umfang, die Auswahl und die Gliederung des Stoffes. Dennoch bestünden zwischen beiden Werken auch Gemeinsamkeiten, so dass man darüber reflektieren müsse, wie am sinnvollsten zu verfahren sei, um auf der einen Seite „nicht gegen die Gesetze der Arbeitsökonomie zu verstossen“ und um andererseits „das deutsche Werk nicht durch das internationale Werk in seiner Wirkung und in seinem Absatz beeinträchtigen zu lassen.“88 Vor diesem Hintergrund habe Sering nach seinen verschiedenen Gesprächen mit Shotwell „ein vorbereitendes Arbeitsprogramm für die deutsche Bände des internationalen Werkes entworfen und dabei auch den Satzungen der Carnegie-Stiftung Rechnung tragen müssen, die es verböten, fremdsprachige Werke auf dem Wege der englischen Uebersetzung unter 86 Die 1910 von dem Stahlmagnaten Andrew Carnegie gegründete Carnegie-Stiftung verfolgte das Ziel, für den Weltfrieden zu arbeiten und Konfliktlösungen auf internationaler Ebene auf dem Wege der friedlichen Verständigung zu unterstützen. Zur Umsetzung dieses Programms wurden drei Sektionen gebildet. Das 1917 begonnene Carnegie-Publikationsprojekt zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Weltkrieges wurde von James T. Shotwell von der Columbia Universität betreut. Siehe zu den Aktivitäten der Carnegie-Stiftung in Europa auch Katja Marmetschke, Feindbeobachtung und Verständigung. Der Germanist Edmond Vermeil (1878–1964) in den deutsch-französischen Beziehungen. Köln/Weimar/Berlin 2008, S. 241ff. 87 Archiv Walter de Gruyter GmbH. 88 Ebd. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.

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ihre Publikationen aufzunehmen.“ Somit werde es dahin kommen, „dass einzelne Partien unseres deutschen Werkes für das internationale Werk umgearbeitet werden müssten und zwar nach Möglichkeit durch die Verfasser des deutschen Originalwerkes.“ Da hieraus das deutsche Werk in seinem Absatz beeinträchtigt werden könne, habe Sering gegenüber Shotwell zum Ausdruck gebracht, „dass für solche Bände oder Bandteile dem deutschen Verleger des deutschen Werkes eine gewisse Entschädigung gezahlt werden müsse.“ Dieser Argumentation habe Shotwell zugestimmt. In der entsprechend der Bedeutung der Zusammenkunft sehr ausführlichen Niederschrift de Gruyters finden sich noch weitergehende Informationen zu dem Publikationsprojekt. So plane die Carnegie-Stiftung ein Gesamtwerk mit etwa 150 Einzelbänden, wobei wohl England und Frankreich besonders umfangreich dargestellt werden sollten. Drei englische Werke der Reihe seien bereits publiziert und aus ihnen gehe auch die Planung, soweit bisher feststehend, hervor. Die das jeweilige Land betreffenden Bände sollten auch in der Landessprache geschrieben und von einem heimischen Verlag betreut werden. Schließlich beabsichtige man, von Bänden mit besonderer Relevanz auch Übersetzungen herstellen zu lassen und diese Übersetzungen dem Verlag des Landes zur Publikation zu übertragen, in dessen Landessprache sie abgefasst seien. Für Deutschland habe man dabei, auf besondere Empfehlung von Sering, an die Vereinigung wissenschaftlicher Verleger gedacht. Hierzu erklärt Walter de Gruyter, dass er die Frage der Repräsentanten der Carnegie-Stiftung nach der Verlagsübernahme durch die Vereinigung wissenschaftlicher Verleger grundsätzlich bejaht habe, „da die vollste Objektivität und Parität (vom Umfang abgesehen) zugesichert sei“. In einem Nachtrag zu seiner Niederschrift der Besprechungen am 4. August 1921 im Hause Sering erwähnt Walter de Gruyter, dass Sering ihm mitgeteilt habe, dass die Manuskripte der Bände III, IV, V, und VI abgeschlossen seien, die Bände VII und VIII seien in Arbeit und die Bände I und II in Vorbereitung. Zu den noch in Vorbereitung befindlichen Bänden sei von Sering erklärt worden, dass er hieran „einen Hauptanteil“ habe. Hierzu bemerkt de Gruyter, „mit Rücksicht darauf scheint es mir, als ob es gut getan sei, gerade auf den Fortgang dieser beiden Bände hinzuwirken.“ Im August 1921 begannen die Satzarbeiten am Stellwaag-Band. Am 10. September 1921 beendete Sering seine bereits erwähnte, für Shotwell und die Vereinigung wissenschaftlicher Verleger verfasste, „Denkschrift über die Erforschung der wirtschaftlichen und sozialen Geschichte des Krieges in Deutschland“. Als erstes kriegswirtschaftliches Publikationsprojekt nach seinem eigenen befasste sich diese mit dem Vorhaben des Kriegsernährungsamts. Der erste Amtsleiter, Adolf Tortilowicz von Bartock-Friebe, hatte hiernach im Herbst 1916 den Gießener Professor der Nationalökonomie Dr. August Skalweit mit der Aufarbeitung der deutschen Kriegsernährungswirtschaft beauftragt, wobei ein aus mehreren Bänden bestehender „Verwaltungsbericht“ mit ausführli-



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chem Anhang geplant gewesen sei. Im August 1921 habe ihm Skalweit mitgeteilt, dass von einer Fertigstellung nicht mehr ausgegangen werden könne.89 In einer Unterredung zwischen Wilhelm von Crayen und Max Sering am 11. Oktober 1921 berichtete Sering von „Schwierigkeiten“, die bei der Arbeit von Stellwaag entstanden seien. Diese hätten ihre Ursache darin, „dass der Verfasser dem Thema nicht ganz objektiv gegenüberstände. St. wäre im Dienste der Grossindustrie, infolgedessen von dieser abhängig und verträte in der sehr heiklen Granatenstahlfrage deren Interessen.“ Weiter heißt es in der Gesprächsaufzeichnung, Stellwaag habe deshalb „in dem Manuskript wesentliche Abänderungen“ vorgenommen. Im Rahmen seiner Verantwortung als Herausgeber habe Sering „dem Verfasser das Ultimatum gestellt, entweder den von ihm gewünschten Aenderungen zuzustimmen oder sich dem auszusetzen“, dass er „entweder eine Vorrede oder ein besonderes Schlusswort schriebe, das die nötigen Aufklärungen gäbe.“ Nach der Gesprächsaufzeichnung von von Crayen ging Sering davon aus, dass Stellwaag auf seine Änderungswünsche eingehen werde. Auf alle Fälle werde diese Frage in einer Art und Weise geklärt werden, „die er als Herausgeber in vollem Umfange vertreten könne und die vor allen Dingen die Objektivität des ganzen Werkes wahren“ würde. Offensichtlich um Druck auf Stellwaag ausüben zu können, richtete Sering an von Crayen die Frage, ob ihn der Verlag nicht in der Weise unterstützen könne, parallel zu dem Werk von Stellwaag auch die anderen drei Manuskripte über das Textilwesen, das Waffen- und Munitionswesen sowie die Metalle in die Herstellung zu geben, „so dass diese gleichzeitig mit dem ersten Band des Stellwaagschen Buches erscheinen könnten. Dadurch wäre für das ganze Unternehmen von vornherein eine bessere Charakteristik gegeben als durch nur einen Band.“ Sollte das Werk von Stellwaag eher fertig sein, so müsse man es zunächst ruhen lassen, denkbar wäre aber auch, seine Fertigstellung zu verzögern und stattdessen die drei anderen Bände in der Herstellung zu forcieren. Als Sering auf Zustimmung stieß, erklärte er, sich unverzüglich um die Beschaffung der Manuskripte der drei anderen Autoren zu kümmern und für deren Druckreife zu sorgen. Die von der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co. mitgetragene Umstellung des Publikationsprojektes auf die gleichzeitige Herausgabe von mehreren Bänden kann rückblickend betrachtet nur als sehr positiv angesehen werden, da davon auszugehen sein dürfte, dass die Inhalte der parallel hergestellten Bände von Goebel und Weyrauch sonst vermutlich verloren gegangen wären. Unter Hinweis auf seine jüngste Unterredung mit von Crayen teilte Sering am 19. Oktober 1921 der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger mit, dass er es für angebracht halte, „den Satz des Manuskriptes Stellwaag zu unterbrechen bis der Verfasser das ihm zu nochmaliger Durchsicht übersandte Kapitel druckfertig gemacht hat.“ Er 89 Als erste deutsche Publikation der Carnegie-Stiftung erschien 1927 das Werk „Die deutsche Kriegsernährungswirtschaft“ von August Skalweit in der Deutschen Verlags-Anstalt. Sering gehörte dem deutschen Herausgeberauschuss an und wollte hier zu dieser Zeit selber einen Band unter dem Titel „Die deutsche Volkswirtschaft unter dem Einfluß des Krieges“ publizieren, der aber nicht erschien.

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habe zudem „die grosse Arbeit des Professor Goebel über die Bewirtschaftung der Webstoffe“ inzwischen redigiert und bitte, mit dem Satz des bei ihm zur Abholung bereit liegenden Bandes VI zu beginnen. Die inhaltlichen Differenzen zwischen Sering und Stellwaag waren auch Ende Oktober 1921 noch nicht beigelegt. Hierauf lässt ein Schreiben Stellwaags vom 28. Oktober 1921 an die Vereinigung wissenschaftlicher Verleger schließen, das Sering in einer fernmündlichen Unterredung am 31. Oktober 1921 durch von Crayen zur Kenntnis gebracht wurde. Sering erklärte hierzu, dass er fest davon ausgehe, das Alfred Stellwaag „die Umänderung in seinem Manuskript“ noch im Laufe des Monats November vornehmen werde. Außerdem teilte er von Crayen mit, dass das Manuskript von Robert Weyrauch „bis auf eine nochmalige Durchsicht auf völlig Druckreife fertig“ sei. Das Manuskript werde dem Verlag „baldigst zur Verfügung“ stehen und vom ihm zusammen mit dem Manuskript von Stellwaag übergeben werden. Zu dem Manuskript von Lindig über die Metallindustrie erklärte Sering, dass er es bei dem Autor anfordern werde, so dass auch mit der Herstellung dieses Bandes begonnen werden könne. Allerdings waren auch nach einer Überarbeitung der umstrittenen Passagen durch Stellwaag im November 1921 die inhaltlichen Differenzen zwischen Sering und dem Autor noch nicht gänzlich beigelegt. Dies wird an einem Schreiben an den Verlag vom 23. November 1921 deutlich, in dem Sering mitteilt, „dass die letzte Durchsicht meinerseits noch einige Anstände ergeben hatte.“ Stellwaag sei von ihm aufgefordert worden, „die Sache schleunigst zu erledigen, so dass nun der Umbruch in kürzester Zeit erfolgen kann.“

3 Die Verhinderung der Veröffentlichung Intervention der Reichsministerien Im Zusammenhang mit den geplanten Kriegswirtschaftsbänden gab es 1921 jedoch nicht nur Differenzen zwischen Sering und Stellwaag, sondern einen noch gravierenderen Konflikt zwischen Sering und Generaldirektor Plieninger von GriesheimElektron, dem ehemaligen Vorsitzenden der Kriegssäuren-Kommission90. Dieser weigerte sich, Stellwaag die Akten der Kommission vorzulegen.91 Der Konflikt eskalierte soweit, dass das Reichswirtschaftsministerium zu Jahresbeginn 1922 Aktivitäten zu seiner Lösung entwickelte. Mitte Januar 1922 lud es Vertreter des Auswärtigen Amts, des Reichsfinanzministeriums, des Reichswehrministeriums, des Reichsschatzministeriums und des Reichsministeriums des Innern zu einer Sitzung am 21. Januar 1922 ein, in der die Frage der Publikation des Werkes zur „Heereswirtschaft im Weltkriege“ 90 Zu Theodor Plieninger siehe Jens Ulrich Heine, Verstand & Schicksal. Die Männer der I.G. Farbenindustrie A.G. in 161 Kurzbiographien. Weinheim 1990, S. 232f. 91 PAAA, R 65238. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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behandelt werden sollte. Bereits in dem Einladungsschreiben wurde das erwartete Besprechungsergebnis mit den Worten präjudiziert: „Diese Veröffentlichung erscheint im jetzigen Zeitpunkt aus den verschiedensten Gründen als durchaus unerwünscht“ und es sollte hiervon „Abstand genommen“ werden. Das Auswärtige Amt und das Reichsschatzministerium entsandten zu der Sitzung keine Vertreter, hatten aber im Vorfeld durch Legationsrat de Haas und Regierungsrat Linnebach fernmündlich mitgeteilt, „daß sie sich der Anschauung des Reichswirtschaftsministeriums […] daß die Veröffentlichung des Sering’schen Werkes zurzeit durchaus unerwünscht erscheine, anschlössen, insbesondere, weil dagegen ihres Erachtens außenpolitische Gründe sprächen.“ Ministerialdirigent von Buttlar führte zunächst aus, das das Reichwirtschaftsministerium angesichts des Streits zwischen Plieninger und Sering die Klärung „der Frage notwendig erschienen sei, ob das Sering’sche Werk überhaupt zurzeit veröffentlicht werden dürfe.“ Weiter erklärte von Buttlar: „Das Reichswirtschaftsministerium glaube, daß nicht nur allgemein die Interessen der Industrie vor allem im Hinblick auf die Art. 168 und 172 des Friedensvertrages, sondern auch außen- und innerpolitische Gründe, darunter solche der Landesverteidigung, zurzeit gegen eine Veröffentlichung sprechen.“ Erst nachträglich habe das Reichswirtschaftsministerium erfahren, „daß das Reichsfinanzministerium unter Aufhebung eines früher zwischen Sering und dem Kriegsministerium zustande gekommenen Vertrages […] unter bestimmten Bedingungen Sering gegenüber erklärt habe, daß es keine Bedenken gegen die Veröffentlichung seines Werkes vom Standpunkt der allgemeinen Reichsinteressen aus geltend zu machen habe.“ Der Vertreter des Reichsfinanzministeriums, Ministerialrat Peckert, ging zunächst auf den oben bereits erwähnten Vertrag zwischen Sering, dem früheren Kriegsministerium sowie Mittler & Sohn vom April 1919 ein. Sering habe seinerzeit den Wunsch geäußert, „das Reich möge mit Rücksicht auf die veränderten und erschwerten Verhältnisse, welche für die Drucklegung und Veröffentlichung des Werkes bestünden, auf seinen Erlösanteil verzichten.“ Anschließend erklärte Peckert: „Das Finanzministerium als Rechtsnachfolger des Kriegsministeriums habe, da es sich für das Reich doch nur um geringfügige Beträge gehandelt hatte, geglaubt, dem Gesuche stattgeben zu können, habe es aber im Interesse des Reiches für notwendig erachtet, Sering […] Bedingungen aufzuerlegen, obwohl es an sich angesichts des vom Kriegsministerium geschlossenen Vertrages, die Frage der Zweckmäßigkeit der Veröffentlichung zu prüfen, keinen Anlaß mehr gehabt hätte.“ Im Übrigen habe man Abschriften des Schreibens an Sering vom 23. Juli 1921 sowohl dem Reichswehrministerium als auch dem Reichswirtschaftsministerium zukommen lassen. Ministerialrat Donnevert vom Reichsministerium des Innern informierte anschließend über die Entwicklung des Publikationsvorhabens anhand der Aktenlage und ging insbesondere auf den im früheren Reichsamt des Innern gebildeten „Wissenschaftlichen Ausschuß zur Darstellung der deutschen Kriegswirtschaft“ ein. Nach der Einstellung der Arbeit dieses Gremiums hätte das Kriegsministerium, „entgegen dem früheren Ressortbeschluß“, die Bearbeitung seines kriegswirtschaftlichen

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Projektes nicht weiterführen „und sogar einen Vertrag über seine Veröffentlichung mit Professor Sering abschließen dürfen“, wie es nach Mitteilung des Vertreters des Reichsfinanzministeriums geschehen sei. Das Innenministerium, das sich hier als „federführend“ verstehe, sei über die Verhandlungen zwischen dem Kriegsministerium und Sering sowie zwischen diesem und dem Reichsfinanzministerium nicht informiert gewesen, „sonst hätte es sich aller Voraussicht nach dagegen gewendet, daß das Sering’sche Werk, das nur ein Anhang des großen Werkes hätte werden sollen, auch ohne dieses erscheine.“ Der Vertreter des Reichswehrministeriums, Geheimer Admiralitätsrat Lehnert, eröffnete seine Ausführungen mit der Mitteilung, „daß er nur mit der Prüfung des Teiles des Sering’schen Werkes befaßt sei, welches in das Fachgebiet des Waffenamtes falle.“ Zur „Vorgeschichte“ könne er nichts beitragen. Der Niederschrift zufolge erklärte er weiter: „Der ihm bekannte Teil des Sering’schen Werkes gebe an sich, soweit seine Schilderung der Kriegswirtschaft und seine Kritik derselben in Betracht komme, zu Beanstandungen keinen Anlaß.“ Er möchte jedoch ausdrücklich darauf hinweisen, „daß ein Veröffentlichung des Werkes – wenn vielleicht auch zu Unrecht – doch wohl geeignet wäre, die Entente in ihrer derzeitigen irrigen Meinung zu bestärken, daß wir sie jeden Augenblick wieder mit Krieg überziehen könnten.“ In Anbetracht dessen, dass sein Ministerium größte Anstrengungen zu unternehmen habe, um von der Entente die Genehmigung zu erhalten, die „für den Friedensbedarf zugestandenen Munitionsmengen und deren Ersatz herzustellen“ und dies auch nur in Werken, die hierfür zunächst mit den entsprechenden Einrichtungen ausgestattet werden müssten, „so werde die Veröffentlichung des Werkes die Entente in ihren Bestrebungen, uns Schwierigkeiten zu bereiten, sicherlich noch bestärken. Es würde ihr auch einen Anlaß geben, die deutsche Industrie noch mehr zu kontrollieren, als sie es jetzt schon versucht.“ Als „bemerkenswert“ teilte Lehnert noch mit, daß vor längerer Zeit zwei Repräsentanten der Industrie, Geheimrat Sorge und Professor Haber, sein Ministerium darum ersucht hätten, „den dritten Band der Veröffentlichungen des Generals Wrisberg, der das Waffen- und Munitionswesen behandeln sollte, vor seiner Veröffentlichung, falls diese überhaupt erfolgen sollte, genau durchsehen zu dürfen.“ Zu dem Ergebnis der Besprechung der Reichsressorts zu dem kriegswirtschaftlichen Projekt heißt es: „Das Sering’sche Werk stützt sich auf amtliches Material. Es wird daher, auch wenn jeder Hinweis hierauf unterbleibt – insbesondere von der Entente – als amtliches Werk betrachtet werden.“ Vor diesem Hintergrund sei es bestimmt möglich, „auf Sering im Sinne einer Unterlassung oder einer Aufschiebung der Veröffentlichung hinzuwirken, von anderen Möglichkeiten abgesehen.“ Sering verlange nicht die Einhaltung der in dem Schreiben des Reichsfinanzministeriums vom 23. Juli 1921 genannten Frist von acht Tagen für die Durchsicht. Aus Zeitmangel der Referenten sei diese Durchsicht auch nach Monaten noch nicht erfolgt. Weiter wird erklärt: „Diese Bände enthalten zum Teil bekannte Tatsachen, und im allgemeinen keine Unrichtigkeiten, im einzelnen jedoch Stellen, die unbedingt entfernt werden müßten, wie z.B. die Ausführungen über die Kriegsgesellschaften in dem die Kriegstextilwirt-



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schaft behandelnden Bande.“ Das Seringsche Werk könne aber „nur in seiner Gesamtheit beurteilt werden.“ Seine Ausarbeitung sei unter gänzlich anderen Bedingungen und unter Zielsetzungen eingeleitet worden, „die nach dem unglücklich verlaufenen Kriege nicht mehr gegeben oder nicht mehr erfüllbar sind.“ Falls lediglich „einzelne Teile“ publiziert werden sollten, so sei zu erwarten, „daß der Reichsregierung vorgeworfen wird, sie habe nur das, was sie als unschädlich erachte, bekanntgeben wollen, und daß von der Entente dann auch die Veröffentlichung des übrigen Materials verlangt wird.“ Die Seringsche Arbeit wird hier als zweifellos „von außerordentlichem Interesse“ bezeichnet, ihrer Bedeutung entsprechend sollte sie vorerst von den Ministerien genutzt werden können. Unter den Ministerialbeamten bestand Konsens, „daß zum mindesten ein Hinausschieben der Veröffentlichung erfolgen müsse.“ Das Innenministerium solle hier nicht nur vor dem Hintergrund der Historie zuständig sein, vielmehr auch deshalb, „weil die Bearbeitung durch ein Zivilressort aus den verschiedensten Gründen zweckmäßiger sein dürfte als durch das Reichswehrministerium.“ Nach endgültiger Klärung der Federführung und nach weiteren Recherchen zu den „noch unklaren Rechtsverhältnissen zwischen dem früheren Kriegsministerium bezw. seinem Rechtsnachfolger“ und Herausgeber Sering werde „sich das Reichsministerium des Innern mit Sering wegen einer Hinausschiebung oder Unterlassung der Veröffentlichung seines Werkes ins Benehmen setzen und dann gegebenenfalls die beteiligten Ressorts wieder zu einer Besprechung einladen.“ In den abschließenden Erklärungen heißt es, dass Konsens darüber bestünde, daß Sering gegebenenfalls „eine Entschädigung“ zugestanden werden müsse. Der anwesende Vertreter des Reichsfinanzministeriums ging davon aus, „daß hiergegen vom Standpunkt seines Ressorts aus Bedenken nicht bestehen werden.“ Die Frage, ob ein Erwerb des Werkes in Betracht komme, sei „zweifelhaft“. Schließlich heißt es, das Reichsministerium des Innern werde beim Reichsarchiv darauf hinwirken, dass dieses Sering „vorläufig“ keinen Zugang zu amtlichen Unterlagen gestatte. Darüber hinaus sollten die Referenten der Ministerien, die von Sering bereits Fahnenabzüge „zur Durchsicht“ erhalten hatten, diesem unverzüglich Mitteilung machen, dass sie hierzu nicht Stellung nehmen könnten solange die mit dem Reichsministerium des Innern aufgenommenen Verhandlungen nicht zu einer Klärung gekommen seien. Die Referenten sollten „ihre Bedenken gegen die ihnen vorliegenden Druckentwürfe“ an das Innenministerium richten. Das Referat N des Auswärtigen Amts hatte sich schon eine Woche vor der Sitzung der Reichsressorts mit Schreiben vom 14. Januar 1922 mit zwei Änderungswünschen an Sering gewandt, die das Werk von Goebel zu den Spinnstoffen betrafen. Zum einen ging es hier um „die besondere Erwähnung von Spitzelgeldern“, die bei der Entente „zu unerwünschten Erörterungen Anlaß geben könnte“ und die entweder gestrichen oder umschrieben werden sollte und zum anderen um Ausfuhren aus Holland, entgegen „der von England gestellten Bedingungen“, deren Erwähnung in Holland missfal-

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len könnte.92 Am 30. Januar 1922 richtete der Reichsminister des Innern ein Schreiben an den Präsidenten des Reichsarchivs (das nach einem handschriftlichen Vermerk auf dem Briefentwurf vom Minister unterzeichnet werden sollte93), in dem eingangs mitgeteilt wurde, dass die Weiterführung des Seringschen Publikationsprojektes, „insbesondere die Veröffentlichung einzelner Teile“, in den tangierten Reichsressorts starken „Bedenken wirtschaftlicher und militärischer, außen- und innenpolitischer Natur“ begegne. In einer deshalb im Reichwirtschaftsministerium am 21. Januar 1922 anberaumten Referentenbesprechung habe man beschlossen, Sering aufzufordern, „bis zur endgültigen Entscheidung der Reichsregierung von einer Fortführung des Werkes, insbesondere aber von der Veröffentlichung und Drucklegung, Abstand zu nehmen.“ In der Besprechung sei erwähnt worden, dass wohl auch im Reichsarchiv ein kriegswirtschaftliches Werk in Vorbereitung sei. In seiner Antwort auf die entsprechende Anfrage teilte der Präsident des Reichsarchivs am 8. Februar 1922 mit, dass diese Annahme nicht zutreffe. Es sei lediglich vorgesehen gewesen, „in der zusammenfassenden Geschichte über den Weltkrieg die wirtschaftlichen Vorgänge insoweit zu berühren, als sie für das Verständnis der Gesamthandlungen und der Ereignisse von einschneidender Bedeutung sind.“94 Am 30. Januar 1922 hatte das Reichswirtschaftsministerium ein Schreiben an Sering gerichtet und ihm mitgeteilt, dass es im Hinblick auf die Publikation des Werkes „Die deutsche Heereswirtschaft während des Weltkrieges“ Kontakt mit den anderen tangierten Reichsressorts aufgenommen habe und die Zustimmung zu der Publikation von dem Verhandlungsergebnis abhängig gemacht werden müsse. Zugleich erging an Sering die Aufforderung, „zunächst von einer Veröffentlichung abzusehen.“ Das Reichsministerium des Innern werde ihm hierzu weitere Mitteilung machen.95 Sering spricht in seinem Antwortschreiben vom 3. Februar 1922 von einer „Verfügung“ und führt aus, dass diese „der Befürchtung Raum gebe, dass das Reichswirtschaftsministerium ein Recht der Zustimmung und des Verbietens gegenüber der Veröffentlichung des Werkes ‚Die deutsche Heereswirtschaft während des Weltkrieges‘ in Anspruch nimmt.“ Er könne „ein solches Recht nicht anerkennen“ und auch „dem generellen Wunsche, von einer Veröffentlichung zunächst abzusehen“, nicht nachkommen. Eine solche „Anordnung“ läge jenseits seiner Kompetenzen als Herausgeber und er würde damit gegenüber Verlag und Autoren „schadenersatzpflichtig“ werden. Demgegenüber sehe er der bereits am 19. Januar 1922 „in Aussicht gestellten alsbaldigen Äußerung zu den gegen die Fahnenabzüge 108–111 und 145 (welchen Bandes?) angekündigten Bedenken“ mit Interesse entgegen. Abschließend erklärt Sering sehr dezidiert: „Wie bisher werde ich jedem vom Standpunkt der allgemeinen Reichsinteressen 92 PAAA, R 65238. 93 Reichsinnenminister war seit 26. Oktober 1921 Adolf Köster (SPD), dessen Buch „Fort mit der Dolchstoßlegende. Warum wir 1918 nicht weitermachten konnten“ 1922 erschien. 94 BArch, R 1501/108980. 95 PAAA, R 65238.



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geltend gemachten Bedenken eines der beteiligten Ressorts – zu denen, wie ich bemerken darf, das Reichsministerium des Innern nicht gehört – bei Erteilung der imprimatur für die jeweils vorgelegten Fahnenabzüge sorgfältig Rechnung tragen.“ Am 8. Februar 1922 wandte sich Sering erneut an das Reichswirtschaftsministerium und bat noch einmal darum, ihm die „in Aussicht gestellte Aeusserung zu den gegen die Fahnenabzüge 108–111 und 145 eines nicht näher bezeichneten Bandes angekündigten Bedenken nunmehr zugehen zu lassen.“ Die Drucklegung des Werkes könne nicht von Fall zu Fall unterbrochen werden. Auf der anderen Seite könne er die von ihm „freiwillig übernommene Verpflichtung“, die Druckerlaubnis für die jeweiligen eingereichten Fahnenabzüge nur in dem Fall geben, „wenn von den vier beteiligten Ressorts keine Bedenken gegen die Veröffentlichung vom Standpunkt der allgemeinen Reichsinteressen aus geltend gemacht werden, nur dann nachkommen, wenn mir diese Bedenken selbst dargelegt werden.“ In einer Aktennotiz von Ministerialrat Donnevert vom Reichsministerium des Innern vom 11. Februar 1922 heißt es: „Die Zustimmung des Reichswehrministeriums zur diesseitigen Federführung ist inzwischen eingegangen.“ Erwähnt wird hier u.a., dass dem Reichsarchiv die Bedenken gegen die Fortführung der Publikation des Seringschen Werkes bereits mitgeteilt worden seien. Auf eine schriftliche Aufforderung des Reichsinnenministeriums vom 14. Februar 1922 zu einer Besprechung mit Donnevert in der folgenden Woche reagierte Sering zwei Tage später mit der Gegenaufforderung, ihm „die dortigen Wünsche“ entweder brieflich mitzuteilen oder ihm in seiner Sprechstunde im staatswissenschaftlichen Seminar der Universität persönlich zu überbringen. Hierauf teilte das Ministerium am 22. Februar 1922 mit, dass der Referent „durch starke dienstliche Inanspruchnahme insbesondere auch durch die derzeitigen Verhandlungen des Reichstages so in Anspruch genommen“ sei, dass er nicht in die Sprechstunde komme könne, aber bereit sei, „jedem Wunsch hinsichtlich des Termins der Besprechung“, wenn irgend möglich, entgegenzukommen.96

Die Kritik des Auswärtige Amts an den kriegswirtschaftlichen Untersuchungen Im Februar 1922 wurden die vorliegenden Fahnenabzüge des Publikationsprojektes von Sering im Auswärtigen Amt vom Referat III R „durchgeprüft“ und unter dem Datum 27. Februar 1922 vorgelegt. Dabei ging es generell um „Bedenken gegen die Veröffentlichung“, aber auch um die Identifizierung von einzelnen kritischen Passagen, falls es zu einer Publikation kommen sollte. Die Fahnenabzüge über die deutsche Eisenwirtschaft von Stellwaag werden hier nicht nur an erster Stelle behandelt, sondern mit Abstand auch am eingehendsten untersucht. Im Hinblick auf die Außen-

96 BArch, R 1501/108980.

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beziehungen wurde hierin eindeutig die weitreichendste Bedeutung gesehen.97 Das Werk von Stellwaag stelle eine ebenso ausführliche wie mit Zahlen fundierte Dokumentation der deutschen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auf dem eisenindustriellen Gebiet dar. Hier würden alle Möglichkeiten aufgezeigt, die vorhandenen produktionstechnischen Ressourcen zu nutzen sowie die hierbei eingetretenen Probleme und deren Ursachen dargestellt. Damit gebe die Monographie „der Wirtschaftsspionage eine gute Handhabe und lenkt die Aufmerksamkeit auf die deutsche Wirtschaftskraft die leicht bei der Beurteilung unserer Zahlungsfähigkeit zu unseren Ungunsten ausgebeutet werden könnte.“ Weiter heißt es hierzu in dem Prüfungsbericht des Auswärtigen Amts, sehr ausführlich habe in der Arbeit die Schrottversorgung dargestellt werden müssen. Aus den mitgeteilten Zahlen erhalte „man ein Bild davon, wie wir im Osten und Westen Fabriken ihrer Eisenteile beraubt haben.“ Hieraus ergebe sich „ein gutes Material für Ansprüche an die Rücklieferungskommission, das „zur Propaganda für deutsche Barbarei benützt werden“ könnte. Auch sei es als „bedenklich“ anzusehen, die Versorgung Deutschlands durch die neutralen Staaten aufzuzeigen; die Zahlenangaben hierzu, die das Statistische Reichsamt bislang unterlassen habe, dürften den betreffenden neutralen Ländern „nicht lieb sein.“ Als Empfehlung für das weitere Vorgehen zu dem Werk von Stellwaag wird ausgeführt: „Für den Gebrauch von deutschen Behörden liefert die Arbeit ein ganz vorzügliches Material. Man könnte daher vielleicht daran denken, einige einzeln nummerierte Exemplare ausdrucken zu lassen und diese dem Reichsarchiv in Verwaltung zu geben.“ Dagegen dürfe man die Ausarbeitung „in den freien Verkehr […] nicht geben.“ Für den Fall, dass man diese Einschätzung nicht teile, wäre zu untersuchen, „welche Stellen aus dem Druck entfernt werden müssen.“ Zu dem Satz „Nordamerika war […] seit der Torpedierung der ‚Lusitania‘ ganz offensichtlich zu Deutschlands Gegnern übergeschwenkt“ heißt es in dem Papier des Auswärtigen Amts: „Diese an sich richtige Tatsache könnte in einer halbamtlichen Schrift zu Widerspruch reizen.“ Ebenso wurde auch der folgende Satz in den Fahnenabzügen Stellwaags als kritisch angesehen: „Das gesamte Gebiet der Eisenwirtschaft etc. ist zu sehr verstrickt, als dass […] selbst eine mit grossen Machtmitteln versehene Behörde auf autoritativem Wege hätte Erfolge erzwingen können.“ Der Kommentar hierzu lautet: „Diese Feststellung kann das Misstrauen der Kontrollkommissionen verstärken.“ Hinsichtlich der in den Fahnenabzügen erwähnten „Beschäftigung von Gefangenen in der Eisenindustrie“ wird warnend vorgebracht: „Da diese überwiegend für Kriegszwecke arbeiteten, können gegen diese Art der Verwendung von Kriegsgefangenen völkerrechtliche Bedenken angemeldet werden.“ Als problematisch eingestuft wird vom Auswärtigen Amt auch der Satz: „Hier griff nun die Eisenzentrale ein, indem sie […] mit Schweizer Werken, norwegischen und schwedischen Firmen Lieferungsverträge abschloss und jeweils auf die weitere Produktion dieser Werke optierte.“ Diese Information könnte die neutralen Staaten „verstimmen“. Gleichfalls kritisch wird auch die Erwähnung gesehen, 97 PAAA, R 65238. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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dass „Mitte Januar 1917 die Gewinnung von Schrott durch Abbrüche in Belgien und Frankreich beschlossen“ worden sei. Besser unterbleiben sollten auch die Einfuhrziffern von schwedischem Eisenerz und die Erklärungen „über die Schrottaufbringungen und die Zerstörungen in Frankreich und Belgien […]“.

Abb. 8: Französische Kriegsgefangene im Kriegsgefangenenlager Gießen

In Bezug auf die Donaumonarchie wird zunächst der Satz moniert: „Immer weniger Boden fand dort der Bündnisgedanke noch vor – Verhandlungen wegen eines Sonderfriedens waren damals hoch im Gange […].“ Vor dem Hintergrund der aktuellen „Anschlussbewegung“ sei es nicht sinnvoll, „daran zu erinnern.“ Dies gelte auch für die Erklärung, dass bei dem Bündnispartner „der politisch-militärische Verrat immer offenbarer“ geworden sei. Ebenso wie die Tabelle über den deutschen Schrott-Import sollten auch die Darstellung der durchgeführten Maßnahmen zum Abbruch von Fabrikanlagen und konkrete Ziffern „über die Eisenaufbringung in Frankreich, Belgien, Rumänien und Serbien“ tunlichst entfallen. Dies betreffe gleichfalls die Zahlenangaben der niedergelegten Werke in den besetzten Ländern. Auch die Mitteilung, dass es der Eisenzentrale gelungen sei, „die schwedischen Industriellen zu einer Hebung ihrer Produktion an Ferromangan zu veranlassen“ dürfte dort als unangenehm angesehen werden. Als problematisch wird auch die Darstellung der Kooperation Bulga-

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riens mit Frankreich eingeschätzt. Außerdem sollte die Mitteilung der Einfuhrzahlen von Ferrosilizium aus den neutralen Staaten besser unterbleiben. Zu dem Werk von Robert Weyrauch zum Waffen- und Munitionswesen heißt es einleitend, in Bezug auf „diese Arbeit als Ganzes sind vom Standpunkt des Auswärtigen Amtes aus Einwendungen nicht zu erheben.“ Allerdings sei es vor dem Hintergrund, dass die Staaten der Entente der Industrie in Deutschland im Hinblick auf die mögliche Umstellung ihrer Produktion auf Kriegsmaterial misstrauisch gegenüberstünden, sinnvoll, verschiedene Passagen zu entfernen. Als erstes Beispiel wird hier die Mitteilung angeführt, dass sich nach Kriegsbeginn die großen Unternehmen der Chemieindustrie „überraschend schnell“ auf die Sprengstoffproduktion umstellen konnten, da die von ihnen in der Vorkriegszeit hergestellten Erzeugnisse, die hierfür notwendigen Anlagen und die gewonnenen Praxiserfahrungen sich nahtlos für die Sprengstofftechnik nutzbar machen ließen. Gleiches treffe auf die Bemerkung zu, „die AnilinfarbenIndustrie habe sich überraschend schnell dem neuen Arbeitsgebiet angepaßt.“ Ebenso problematisch sei die Darstellung der Produktionsumstellung bei der Magirus AG, die bereits drei Tage nach der Mobilmachung ihre Fertigung von Feuerwehrmaterial auf Heeresgerät umgestellt habe. Außerdem werde die Württembergische Metallwarenfabrik und deren Produktionsumstellung als Beispiel genannt, trotz fehlender Vorbildung der Belegschaft und einschlägiger Produktionsanlagen. Darüber hinaus sollte „aus rein politischen Gründen“ die Aussage unterbleiben: „Amerika trat dem Kriege bei, als die Maschinenbauer der Vereinigten Staaten sich im Herbst 1914 mobilisierten.“ Schließlich sei die Mitteilung „bedenklich“, dass Kriegsgefangene im Werkzeugmaschinenbau sowie in Hüttenwerken und bei der Herstellung von Stahlguss eingesetzt wurden, dies könne als Verstoß gegen das Völkerrecht interpretiert werden. Ebenso wenig wie gegen das Werk von Weyrauch werden gegen die Ausarbeitung von Goebel über die Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe grundsätzliche Einwände vorgebracht. Ausdrücklich verwiesen wird allerdings auf die „Einwände“ des Referates N des Auswärtigen Amts vom 14. Januar 1922. Abschließend heißt es unter Hinweis auf die Erwähnung in dem Goebelschen Werk, dass das Motiv für die zurückhaltende „Behandlung“ der Gebiete im Osten in der „voraussichtliche[n] spätere[n] Angliederung an Deutschland“ gelegen habe. Hierzu wird festgestellt: „Es erscheint nicht zweckmäßig, deutsche annexionistische Absichten besonders hervorzuheben.“ Mit Schreiben vom 1. März 1922 teilte Karl Ruppert, Leiter der Zentral- und Personalabteilung im Reichsarchiv, Ministerialrat Donnevert mit, dass er wunschgemäß die Abteilung Berlin des Reichsarchivs gebeten habe, Recherchen anzustellen, ob es einen Vertrag zwischen dem Kriegsminister und Sering zur Herausgabe seiner Publikation gebe; in den Akten habe sich kein Vertrag finden lassen. Auch sei dort kein Hinweis zu entdecken, dass Sering mit der „Abfassung der Geschichte der deutschen Heeresversorgung beauftragt wurde.“ Um die Frage zu klären, habe er sich im Reichsarchiv an einen Bekannten von Sering gewandt und um „Aufklärung“ über die seinerzeitige Entwicklung gebeten. Sering habe daraufhin erklärt, dass er am 15. August 1915 von von Wandel mit der Erstellung eines solchen Werkes und der Leitung der



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beim Kriegsministerium zu etablierenden wissenschaftlichen Kommission betraut worden sei. Weiter heißt es, Sering habe man „weitgehendste Freiheit zugesichert.“ Als Beleg hierfür zitierte Ruppert anschließend aus dem Erinnerungsbuch des früheren preußischen Kriegsministers von Stein dessen Ausführungen zur Wissenschaftlichen Kommission. Den Schreiben lagen als Anlagen Abschriften des Verlagsvertrages zwischen Mittler & Sohn und Sering sowie von Schreiben Serings und Mertz von Quirnheims aus 1920 und 1921 bei, auf die oben bereits eingegangen wurde.98

Ministerialdirektor Brecht vom Reichsinnenministerium als Befürworter des Publikationsprojektes Das Gespräch zwischen Ministerialrat Donnevert und Sering fand schließlich am 2. März 1922 im Reichsministerium des Innern statt. Diese Zusammenkunft ist insofern sehr bemerkenswert, als sie anschließend mit Ministerialdirektor Brecht fortgesetzt wurde, wobei der Wunsch zu dieser Unterredung von Brecht ausgegangen war. Arnold Brecht gehörte zu den wenigen Spitzenbeamten der Weimarer Republik, die dem neuen Staat auch innerlich positiv gegenüberstanden, sein Engagement wird seit den 1990er Jahren zunehmend aufgearbeitet und gewürdigt.99 Nach seiner Selbsteinschätzung war Brecht „eine Art demokratischer Reformator im Reichsinnenministerium“.100 Im November 1921 hatte er die Abteilung für „Politik und Verfassung“ übernommen, zuvor war er in der Reichskanzlei tätig gewesen. Seine positive Haltung gegenüber einer Veröffentlichung der Sering-Bände, auf die er selber im ersten Band seiner Autobiographie auch nicht andeutungsweise eingeht, wird hier erstmals dargestellt. Nach Donnevert erklärte Sering in der Unterredung mit ihm einleitend, dass er den Auftrag für die Herausgabe der Publikation von Wandel erhalten habe und ihm völlige Freiheit zugestanden worden sei. Es habe lediglich die mündliche Vereinbarung bestanden, dass beim Auftreten von unterschiedlichen Sichtweisen zwischen dem Angehörigen der Kommission und dem Vertreter des Kriegsministeriums, soweit hier kein Konsens zu erzielen war, das Recht zugestanden werden sollte, seine abweichende Meinung in Form einer Fußnote zu artikulieren.101 Auch betonte Sering nach 98 BArch, R 1501/108980. 99 Vgl. Hannah Bethke, Das politische Denken Arnold Brechts. Eine Transatlantische Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts. Berlin 2013; Volker Depkat, Lebenswenden und Zeitenwenden. Deutsche Politiker und die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts. München 2007; Claus-Dieter Krohn/Corinna Unger (Hrsg.), Arnold Brecht 1884–1977. Demokratischer Beamter und politischer Wissenschaftler in Berlin und New York. Stuttgart 2006; Michael Ruck, Patriotischer Institutionalismus und bürokratische Modernisierung – Arnold Brecht als Verwaltungsreformer in der Weimarer Republik, in: Eberhard Laux/ Karl Teppe (Hrsg.), Der neuzeitliche Staat und seine Verwaltung. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte seit 1700, Stuttgart 1998, S. 177–202. 100 Arnold Brecht, Aus nächster Nähe. Lebenserinnerungen 1884–1927. Stuttgart 1966, S. 10. 101 BArch, R 1501 /108980. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.

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der Aufzeichnung von Donnevert, das von ihm und „von der großen Zahl seiner Mitarbeiter“ vom Beginn der Arbeiten bis zur Gegenwart „ohne einigermaßen hinreichende Gegenleistung und mit Hintansetzung vieler eigener Interessen“ eine außerordentlich große Arbeitsleistung erbracht worden sei. Sechs Bände habe man bereits weitgehend fertiggestellt und teilweise auch schon gedruckt. Die ersten beiden Bände, die von ihm geschrieben würden, seien in Arbeit und teilweise schon fertiggestellt: „Es handele sich um ein Werk von außerordentlicher, wissenschaftlicher Bedeutung, dem in keinem Land irgend etwas näheres an die Seite zu setzen sei.“ Anschließend heißt es, in Nordamerika unternehme „die Rockefeller-Stiftung“ (gemeint ist die CarnegieStiftung) gegenwärtig den Versuch zur Herausgabe eines einschlägigen Werkes, das alle am Krieg beteiligten Länder umfasse. Der hiermit betraute Professor habe Sering gegenüber bereits eingestanden, „daß bei dem Mangel an Vorarbeiten in den einzelnen Ländern und bei der Tatsache, daß überall sonst fast die Benutzung der Akten nicht freigegeben sei, nur eine ziemlich mangelhafte und jedenfalls dem deutschen Werk in keiner Weise ebenbürtige Darstellung zusammengebracht werden könne.“



Abb. 9: Arnold Brecht, Anfang der 1920er Jahre

Nach der Aufzeichnung von Donnevert äußerte sich Sering bei ihm auch zu Fragen der Drucklegung bzw. der Freigabemodalitäten durch die Reichsressorts. Da in dem neuen Verlagsvertrag mit der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger „die Gewinnbeteiligung des Reichs“ entfallen sei, habe er sich mit dem Finanzministerium ins Benehmen gesetzt, das die Auflösung des alten Verlagsvertrages gebilligt habe, allerdings mit der Einschränkung, dass er den tangierten Reichsministerien vor der Drucklegung die Möglichkeit zur Äußerung gebe, „damit im beiderseitigen Einvernehmen etwaige Beanstandungen der Ministerien behoben werden können.“ Hierbei sei es um die Behebung von „einzelne[n] Beanstandungen“ gegangen, nicht jedoch die Möglichkeit



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zu eröffnen, die Publikation des gesamten Werkes zu verhindern. Die Art und Weise, in der das Wirtschaftsministerium im letzteren Sinne sich gegen ihn gewandt habe, hätte bei ihm „eine scharfe Verteidigungsstellung“ zur Folge gehabt. Für ihn bestehe kein Zweifel daran, und dies sei auch durch ein amtliches Gutachten bestätigt, „daß das Autorrecht nicht dem Kriegsministerium, sondern dem Verfasser zustehe. Von diesem Recht könnten sie ungehindert Gebrauch machen und wären geneigt, es auch zu tun.“ Weiter heißt es in dem Aktenvermerk, dass Sering erklärt habe, nachdem er von ihm „die wahren Gründe für den Wunsch der Reichsregierung auf zunächst vorläufige Einstellung der Veröffentlichungen erfahren und gehört habe, daß dieselben nationaler Natur seien und sich auf des Reichs Interessen bezögen“, bestehe bei ihm und, wie er vermute, auch bei seinen Autoren die Bereitschaft zu einem Entgegenkommen, allerdings unter der Bedingung, „daß ihnen der Standpunkt der Reichsregierung als zutreffend nachgewiesen werde.“ Zugleich habe Sering darauf hingewiesen, dass unter diesen Umständen dem Reich eine nicht geringe Entschädigungsverpflichtung gegenüber Verlag und Autoren entstehen könnte. Nach seiner eigenen Darstellung erwiderte Donnevert, dass man diese Verpflichtung sehe und nach Äußerungen des Finanzministeriums auch die Bereitschaft bestehe, hierfür einzustehen: „Jedenfalls sei es notwendig, den vom Auswärtigen Amt und von den übrigen Ministerien in der seinerzeitigen Referentenbesprechung geäußerten Bedenken ernsthaft nachzugehen und im Falle ihrer Berechtigung die Konsequenzen zu ziehen.“ Anschließend ging Donnevert mit Sering zu Brecht, da dieser „den Wunsch geäußert hatte“, ebenfalls mit Sering zu sprechen. Nach Donnevert erklärte Brecht zunächst gegenüber Sering, „daß das Reichsministerium des Innern durchaus das schwere Opfer verstehe, daß ihm ev. im Reichsinteresse zugemutet werde.“ Zugleich sagte er eine Prüfung zu, ob nicht doch die Möglichkeit bestünde, zumindest Teile, „sei es in der Form der beabsichtigten Veröffentlichung, sei es in der Form von Einzellieferungen, erscheinen zu lassen.“ Weiter führte Brecht aus, dass auf jeden Fall „eine angemessene Materialentschädigung“ erfolgen müsse, sollte das Werk nicht erscheinen. Auch bat er Sering um „den Arbeitsplan“ und die bisherigen Fahnenabzüge. Diese wolle er mit Donnevert durchsehen und auf dieser Grundlage Verhandlungen mit den anderen Reichsressorts aufnehmen und „eine Möglichkeit zur Erledigung in dem vorerörteten Sinne suchen.“ Möglicherweise ergebe die Lektüre, „daß ein Teil der gehegten Bedenken sich als weniger schwerwiegend“ darstelle, auf jeden Fall sei es empfehlenswert, zunächst die Druckvorbereitung nicht fortzusetzen. Sering erklärte sich damit einverstanden, die gewünschten Fahnenabzüge dem Innenministerium leihweise zukommen zu lassen. In der Unterredung mit Brecht wies Sering nach Donnevert ausdrücklich darauf hin, „daß die Ausarbeitung in absoluter Freiheit und zum Teil in sehr scharfer Stellungnahme gegen die Behörden erfolgt sei.“ Einzelne Abschnitte des Werkes seien auch für die Gegenwart von besonderer Relevanz, wie zum Beispiel die Ausarbeitung der „Arbeitsfrage“ und die Darstellung der industriellen Lieferverträge, „die ein außerordentlich helles Licht auf die unglaublichen Bereicherungstendenzen während des Krieges würfen.“

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In seinem Begleitschreiben zu den Fahnenabzügen von Stellwaag und Goebel sowie der Ankündigung der Fahnenabzüge des Werkes von Weyrauch vom 4. März 1922 unternahm Sering gegenüber Brecht erneut den Versuch, Argumente für die Publikation seines kriegswirtschaftlichen Werkes zu liefern, um bei dem von ihm offenbar geschätzten Ministerialdirektor weitere Überzeugungsarbeit zu leisten. Zunächst erklärt Sering, wer die Behauptung aufstelle, dass die kriegswirtschaftlichen Werke aufzeigten, in welcher Geschwindigkeit in Deutschland die Mobilmachung in wirtschaftlicher Hinsicht gelungen sei, habe die Werke entweder nicht richtig oder vorurteilsbehaftet gelesen. Die Darstellungen der deutschen Eisenwirtschaft sowie des Waffen- und Munitionswesens zeigten vielmehr, dass man in Anbetracht der unterlassenen wirtschaftlichen Mobilmachung im ersten Jahr des Weltkrieges mit größten Problemen konfrontiert worden sei. Auch werde aufgezeigt, dass das Hindenburg-Programm vom Herbst 1916 gescheitert sei, „weil es sich nicht mit der notwendigen Raschheit durchführen liess.“ Schließlich werde deutlich, dass Deutschland „einen grossen Krieg“ ohne die Verfügung über die lothringische Montanindustrie gar nicht mehr durchhalten könne. Die Untersuchungsergebnisse von Goebel zeigten, dass Deutschland nur durch die erbeuteten Vorräte an Spinnstoffen in Nordfrankreich, Belgien und Lodz in der Lage gewesen sei, trotz der Blockademaßnahmen das Heer über vier Jahre hinweg und gegen Kriegsende nur noch sehr eingeschränkt zu versorgen. Da in der Zukunft solche „Beutegewinne“ absolut unrealistisch seien, werde auch vor diesem Hintergrund Deutschland, bei einer entsprechenden Blockade, eine großangelegte Kriegführung nicht möglich sein. Abschließend geht Sering in seinem Schreiben an Brecht noch auf Fragen der „psychologischen Wirkungen auf den Feind“ ein. Hier müsse berücksichtigt werden, dass bereits andere Werke zur Kriegswirtschaft vorlägen. Hierzu gehöre insbesondere das von Generalleutnant a.D. Max Schwarte publizierte und auf zehn Bände konzipierte Reihenwerk über „den grossen Krieg“. Im 1921 erschienenen ersten Band sei beispielsweise ein Beitrag von Generalmajor Wurtzbacher zur „Versorgung des Heeres mit Waffen und Munition“ enthalten, der sich in Teilen an das Weyrauchsche Manuskript anlehne, das dem Autor vorgelegen habe. Die Arbeit von Wurtzbacher sei „mehr auf den Ton eingestellt […], den Ruhm der deutschen Heeresverwaltung zu verkünden, während Weyrauch scharfe, oft harte Kritik übt, ja besonderes Gewicht auf die allerorts hervortretenden Fehler und Mängel legt.“ Falls die Befürchtung berechtigt sei, dass durch Schriften den Kriegsgegnern Vorschub geleistet werde, treffe dies zumindest „mehr auf jene populäre Darstellung zu als auf unsere wissenschaftliche Kritik.“ Diese erscheine stattdessen dazu in der Lage, „den üblichen und gerade auch in Frankreich sehr verbreiteten übertriebenen Vorstellung von unserer kriegswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit die Spitze abzubrechen.“ In den Akten des Reichsinnenministeriums betreffend „Das Werk über die deutsche Kriegswirtschaft von Professor Dr. Sering“ findet sich nahezu im Anschluss an das Schreiben Serings vom 4. März 1922 und damit vermutlich von ihm übermittelt der Verlagsprospekt zu dem besagten Werk „Der große Krieg 1914–1918“. Dem Prospekt zufolge



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beruhte dieses Werk „auf der Grundlage der Akten und der Mitteilungen und Auskünfte von Persönlichkeiten, die an verantwortungsvoller Stelle standen […]“. Als militärische Autoren werden u.a. genannt Ernst von Wrisberg, früherer Direktor des Kriegs-Departements und Ludwig Wurtzbacher, amtierender Chef des Heereswaffenamtes. Im Hinblick auf eine geplante Unterredung zwischen Außenminister Rathenau und Sering wandte sich dieser in einem Schreiben vom 14. März 1922 an Legationsrat de Haas und erklärte hier einleitend: „Ehe ich Herrn Reichsminister Dr. Rathenau um eine Unterredung in Sachen über die deutsche Heereswirtschaft bitte, scheint es mir richtig, das Votum desjenigen Herrn abzuwarten, den Sie mit einer Durchsicht der eingereichten Fahnenabzüge betraut haben.“ Demnach war Sering nicht bereit, ohne vorherige Offenlegung der beanstandeten Stellen sich auf eine Diskussion mit dem Außenminister einzulassen. Weiter führte er aus, er sei der Auffassung, „dass jede sachliche Prüfung, zu dem Ergebnis führen muss, dass die Veröffentlichung unserer rein wissenschaftlichen Darstellung, die nichts weniger als eine Verherrlichung der deutschen Kriegswirtschaft ist, dem deutschen Interesse durchaus nicht widerspricht.“ Im Hinblick auf die Reaktionen der Staaten der Entente heißt es anschließend in dem Schreiben von Sering, dass es den „feindlichen Regierungen“ bezüglich „neue[r] Bedrohungen“ an weiteren „und viel wirksameren Vorwänden“ zu keiner Zeit mangeln werde. Abschließend ersuchte Sering de Haas, ihn über das „Ergebnis der von Ihnen angeordneten Durchsicht“ zu informieren.102 Ministerialdirektor Brecht hatte am 16. März 1922 zu einer Besprechung eingeladen, „in welcher über die Frage der Herausgabe der Geschichte der deutschen Heereswirtschaft durch Professor Sering in dessen Gegenwart verhandelt werden soll.“ Am 30. März 1922 referierte Sering in der Preußischen Akademie der Wissenschaften „über die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung“. Zunächst umriss er „die Ergebnisse der jetzt abgeschlossenen Arbeiten der Wissenschaftlichen Kommission des ehemaligen Kriegsministeriums“. In dem Kurzbericht hierzu heißt es, die unter der Leitung von Sering etablierte Kommission habe „mit rühmenswerter Liberalität“ umfassenden Zugang zu allen kriegswirtschaftlichen Vorgängen erhalten, „und sie arbeitete mit wissenschaftlicher Unabhängigkeit.“ Aufgrund dessen sei es ihr möglich gewesen, „ein streng geschichtliches Bild zu zeichnen und freie Kritik zu üben.“103 In der Sitzung der Reichsressorts am 31. März 1922 war das Reichswehrministerium als einziges Ministerium mit drei Angehörigen vertreten. Max Sering nahm bis zur Erörterung des weiteren Vorgehens teil. Eröffnet wurde die Besprechung von Brecht. Anschließend übergab er das Wort an Ministerialrat Donnevert, der im Reichsinnenministerium als Referent für künstlerische und wissenschaftliche Themen zuständig

102 PAAA, R 65238. 103 Sitzungsbericht der Preussischen Akademie der Wissenschaften, Jg. 1922. Berlin 1922, S. 88. Siehe hierzu auch Nachlass Sering im Bundesarchiv Koblenz, BArch, N 1210, Nr. 113.

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war104. Zunächst zitierte Donnevert den früheren preußischen Kriegsministers von Stein mit dessen Erklärung zur Wissenschaftlichen Kommission in seinem Erinnerungsbuch von 1919.105 Zu der bereits deutlich erkennbaren ablehnenden Haltung gegenüber einer Veröffentlichung der kriegswirtschaftlichen Bände erklärte Donnevert: „Bei einzelnen der beteiligten Ressorts entstanden nun Bedenken, die sich gegen die Zulässigkeit und Zweckmässigkeit der Veröffentlichungen nicht so sehr einzelner Stellen als ganzer Teile oder des Werkes im ganzen richteten“. Als Erklärung führte er aus: „Diese Bedenken, die vom Auswärtigen Amt, Reichswehrministerium, Reichsschatzministerium und Reichswirtschaftsministerium geteilt wurden, gründen sich insbesondere auf die zu erwartende Schädigung bestimmter Industrien (insbesondere der chemischen Industrie) wie des Reichs (Abrüstung, Beschlagnahmungen).“ Am Ende seiner Erläuterungen ging Donnevert auf die Haltung von Sering zu dieser Entwicklung ein. Der Herausgeber sei demgegenüber der Auffassung, dass er selber und seine Autoren „grundsätzlich einer Erlaubnis zur Veröffentlichung nicht bedürften und dass ebensowenig ein Verbotsrecht der Reichsregierung bestehe, sie besässen Autorenrechte an dem Werke, die nicht beschnitten werden könnten.“ Allerdings habe Sering seine Bereitschaft bekundet, „an einer Einigung mitzuwirken, wenn ihm das Vorliegen eines nationalen Interesses nachgewiesen werde.“ Weiter habe er darauf hingewiesen, dass bei Eintritt dieses Falles auch die finanziellen Folgen zu beachten seien, die sich bezüglich des Verlages und der Verfasser für das Reich unter Umständen ergeben könnten. Zu Abschluss seiner Ausführungen erklärte Donnevert, dass die anstehende Beratung vor diesem Hintergrund zu erfolgen habe. Sering erklärte sich mit der Darstellung von Donnevert im Wesentlichen einverstanden, gab allerdings noch ergänzende Erklärungen ab, die auch weiteren Aufschluss über die negative Haltung von industrieller Seite geben. Zunächst bemerkte er, „dass eine schriftliche Abmachung mit dem Preussischen Kriegsministerium sich seines Erachtens doch wohl finden lassen müsse“. Hierzu heißt es in der Niederschrift als Nachbemerkung, dass das Reichsarchiv bisher „keinerlei schriftliche Abmachungen“ habe finden können. Den weiteren Darlegungen Serings zufolge hätten die „Abmachungen“ mit dem Reichsfinanzministerium nicht zum Ziel gehabt, dass von den jeweiligen Referenten „die sachliche Richtigkeit im einzelnen“ festgestellt werde, „sondern vielmehr nur die Zweckmässigkeit bestimmter Teile der Veröffentlichung nachgewiesen werden könne.“ Probleme seien hierbei nicht entstanden und auch künftig nicht zu befürchten. Nach Darstellung von Sering befand sich „der Hort des Widerstands gegen die Veröffentlichungen“ nicht bei den Reichsressorts und noch „nicht einmal bei der Industrie im ganzen“, die sogar „zum Teil“ der Veröffentlichung positiv gegenüberstehe, „sondern in der Hauptsache bei der Chemieindustrie, die infolge ihrer schwierigen Lage sich zu einem, wenn auch unberechtigten 104 Vgl. Rüdiger Hachtmann, Wissenschaftsmanagement im „Dritten Reich“. Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Bd. 1. Göttingen 2007, S. 97. 105 BArch, R 1501/108980. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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Misstrauen veranlasste sehe.“ Er führte weiter aus, dass ihm und den Autoren „das geistige Eigentum am Werke“ zustehe: „Die einmal erteilte Erlaubnis könne ohne weiteres nicht zurückgezogen werden. Es handele sich um ein gewaltiges Werk, für manche seiner Mitarbeiter um ein Lebenswerk, das sie zum Teil mit uneinbringlichen Opfern zustande gebracht hätten; ein solches Werk könne man nicht ohne gewichtige Gründe zunichte machen.“ Zugleich äußerte er abermals seine Bereitschaft zu einer Kompromisslösung: „Lägen aber solche gewichtigen nationalen Gründe vor, so sei er und, er nehme an, auch seine Mitarbeiter zu entgegenkommen bereit.“ Aufschlussreich sind die folgenden Ausführungen in der Niederschrift, zeigen sie doch, dass Brecht – als einziger Repräsentant der vertretenen Reichsministerien – einer Veröffentlichung des Seringschen Reihenwerkes wohlwollend gegenüberstand. Brecht erklärte: „Es handele sich in der Tat um ein Werk von ausserordentlicher Bedeutung; es ganz oder teilweise an der Vollendung zu hindern, sei sowohl nach der persönlichen wie nach der wissenschaftlichen Seite hin ein sehr schwerer Entschluss.“ Seine positive Haltung kommt auch in den folgenden Worten zum Ausdruck: „Welches auch die Bedenken gegen die Veröffentlichung des Werkes seien, es müssten seines Erachtens alle Erwägungen von dem Gedanken beherrscht sein, wenn irgend die ernst zu prüfenden Bedenken es zuliessen, das Werk zur Vollendung und Veröffentlichung zu bringen.“ Der Vertreter des Auswärtigen Amts, Oberregierungsrat Bischoff, führte anschließend aus, dass sein Ministerium bezüglich der Bedenken gegen eine Publikation mit dem Reichswirtschaftsministerium völlig übereinstimme: „Eine ernste Prüfung nach dieser Richtung sei nötig.“ Oberregierungsrat Feldbausch vom Wirtschaftsministerium erinnerte daran, das unter der „Federführung des Reichsministeriums des Innern seinerzeit beschlossen worden sei, ein umfassendes Werk über die Kriegswirtschaft unter der Leitung von Prof. Spiethoff herauszubringen, und dass das Kriegsministerium sich bereit erklärt habe, das Seringsche Werk als Anhang zu diesem Werk erscheinen zu lassen. Nachdem die Durchführung des Spiethoffschen Werkes aufgegeben sei, werfe sich wohl die Frage auf, ob damit nicht auch die Herausgabe des Seringschen Werkes aufgegeben sei.“ Gegen diese Darstellung verwahrte sich Sering, indem er mitteilte, dass der Referent des Kriegsministeriums mit seiner Zustimmung zu diesem Vorhaben seine Kompetenzen überschritten und der Kriegsminister kurz danach die von seinem Referenten gegebene Zusage offiziell zurückgezogen habe. Nach diesem Disput erklärte Feldbausch weiter: „Die Auffassung des Geheimrat Sering, dass er mangels Einigung in seinen Entschlüssen frei sei, sei unzutreffend; er vergesse, dass ihm die Benutzung amtlicher Akten in amtlichen Interesse zu einer bestimmten Aufgabe freigegeben worden sei.“ Anschließend folgte eine kaum verhüllte Drohung: „Bei den völlig veränderten Verhältnissen sei das Reich als der Rechtsnachfolger der damaligen Vertragspartei frei, die nötigen Konsequenzen zu ziehen; dabei wolle er von der strafrechtlichen Seite der Frage zunächst absehen.“ Weiter führte Feldbausch aus, aufgrund der veränderten Situation hätten sich auf verschiedenen Ebenen „Bedenken“ ergeben. Diese beträfen weniger die Faktenseite, „wo es bisher in praxi immer

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gelungen sei, durch Beseitigung einzelner beanstandeter Stellen Abhilfe zu schaffen“, sondern gingen vielmehr „nach der allgemeinen, politischen wirtschaftlichen Seite“ hin. Anschließend gab Feldbausch folgende Erklärung für die ablehnende Haltung seines Ressorts, die sich in dieser Deutlichkeit in den überlieferten Akten sonst an keiner anderen Stelle findet: „So sei z.B. eine Darstellung der Kriegsgesellschaft, insbesondere der Z.E.G. als amtlicher oder halbamtlicher Stelle geradezu verhängnisvoll (Beschlagnahme ihres im Ausland liegenden Vermögens); ebenso sei eine Darstellung der leichten Umstellung der chemischen Industrie auf Sprengstofffabrikation vom wirtschaftlichen und militärischen Standpunkt aus höchst bedenklich.“ Als Begründung heißt es: „Hier liefere man geradezu der militärischen Kontrollkommission Wasser auf ihre Mühle.“ Sering stellte diese, von Feldbausch prognostizierte Auswirkung der Veröffentlichung in Abrede und führte weiter aus, „im Gegenteil werde dieselbe nicht nur den schlagenden Beweis der begangenen Fehler und Unzulänglichkeiten erbringen, sondern auch die glatte Unmöglichkeit ergeben, unter den heutigen Verhältnissen überhaupt auch einen Krieg in genügender Weise wirtschaftlich vorzubereiten und zu führen.“ Zugleich erinnerte er an die anderen einschlägigen Publikationen: „Das sei aber doppelt wertvoll gegenüber den bereits vorhandenen und künftig nicht ausbleibenden Veröffentlichungen, die die Dinge in glorifizierendem und wenig objektivem Sinne schildern.“ Regierungsrat Worbs vom Reichsfinanzministerium gab anschließend Erläuterungen zu dem „Abkommen“ zwischen seinem Ministerium und Sering und führte hierzu weiter aus, dass dieses „in Voraussicht der heute erhobenen Bedenken“ abgefasst worden sei. Ministerialdirektor Brecht konnten die Darlegungen von Worbs offenbar wenig beeindrucken, er erklärte hierauf: „Schriftlich sei wenig vereinbart; es komme also umsomehr auf ein loyales Zusammenwirken von jeder Seite an. Die erhobenen Bedenken seien spezieller und allgemeiner Natur.“ Was die „speziellen“ Bedenken betreffe, so bedeuteten diese „keine entscheidende Schwierigkeit“, problematischer seien dagegen die „allgemeinen Bedenken“, welche „sich hinsichtlich der Frage der Veröffentlichung eines solchen Werkes überhaupt erhöben.“ Weiter erklärte Brecht, in diesem Zusammenhang „sei eine Prüfung des Gesamteindrucks des Werkes nötig, wobei die Entscheidung letzten Endes bei dem Minister des Auswärtigen oder dem Gesamtministerium liege, die das Amt des Prüfers vielleicht einer besonders hierzu geeigneten Persönlichkeit, ev. einem früheren Minister übertragen könnten.“ Diese Ausführungen Brechts lassen erkennen, dass er dem kriegswirtschaftlichen Werk, das nach seiner Einschätzung „von außerordentlicher Bedeutung“ war, grundsätzlich zum Erscheinen verhelfen wollte: „Für die Entscheidung gebe es manche Möglichkeit; man könne [an] ein Hinausschieben der gesamten Veröffentlichungen oder einzelner Teile denken, ohne damit den alsbaldigen Druck hintan zu halten, auch an die Herausgabe einzelner Lieferungen und vor allem in Formen, die jeden Verdacht eines amtlichen Werkes ausschlössen.“ Die singuläre Gesamtsicht von Brecht kommt auch in seinen folgenden Worten zum Ausdruck: „Dabei sei zu erwägen, wie die Interessen des Her-



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ausgebers, der Autoren und des Verlags mit denen der Allgemeinheit tunlichst zu vereinigen seien.“ Berücksichtigt werden müsse auch, „dass die Entstehung grosser glorifizierender oder kritischer Werke über die Kriegswirtschaft im allgemeinen nicht gehindert werden könne und das solche Werke zweifellos entstehen würden.“ Sering teilte dazu mit, dass im Ausland einschlägige Werke erscheinen würden und insbesondere in den USA „schon für die nächste Zukunft die Herausgabe eines ähnlichen, auf alle kriegsführenden Länder sich beziehenden Werkes geplant sei.“ Diese Entwicklung sei nicht mehr aufzuhalten: „Da sei es besonders wertvoll, wenn in Deutschland ein Werk erscheine, dass die Dinge nicht im Sinne der Verherrlichung, sondern im Geiste nüchterner Kritik darstelle. Eine Behinderung der Veröffentlichung bedeute für die Autoren einen schweren Schlag; hier würden sich mancherlei Schwierigkeiten ergeben.“ Als Äußerung von Sering heißt es in der Niederschrift: „So habe Professor Stellwagen [sic] gegenüber der Möglichkeit der Nichtveröffentlichung sein Manuskript ins Ausland geschafft, um es ev. dort auf eigene Faust zu veröffentlichen.“106 Brecht bezeichnete die „Herausgabe einzelner Teile durch einzelne Autoren im Ausland“ als „höchst bedenklich und bedauerlich.“ Dieser Aspekt erfordere eine „besondere Prüfung“ und er bitte den Herausgeber, seinen ganzen Einfluss geltend zu machen, um ein solches Vorgehen zu verhindern. Oberregierungsrat Bischoff vom Auswärtigen Amt machte anschließend erneut „Bedenken“ gegen die geplante Publikation geltend indem er die Befürchtungen über Nachteile durch die Rezeption im Ausland wiederholte und wandte sich gegen die von Brecht befürwortete Drucklegung. Das Auswärtige Amt wollte – ebenso wie das Reichswehrministerium – auf jeden Fall eine völlige Geheimhaltung sicherstellen: „Die Vorschläge von Ministerialdirektor Brecht seien durchaus erwägenswert, er warne aber vor dem baldigen Druck, da eine wirkliche Geheimhaltung dann nicht mehr zu erwarten sei.“ Auch der Vertreter des Reichswehrministeriums, der Geheime Admiralitätsrat Lehnert, forderte unter nachdrücklicher Betonung der Bedenken seines Ministeriums, „dass die Veröffentlichung zur Zeit unterbleibe und vor allem geräuschlos unterbleibe, was allerdings schwierig sei.“ Weiter heißt es: „Auch er befürchte, dass eine Geheimhaltung nach erfolgtem Druck nicht möglich sei. Das Bestreben der Entente, uns militärisch zu knebeln, wäre unter Umständen durch die Veröffentlichung stark unterstützt.“ Oberregierungsrat Feldbausch vom Reichswirtschaftsministerium betonte zunächst nachdrücklich „die Wichtigkeit einer geeigneten Form“ der Publikation. Feldbausch wandte sich, ebenso wie der Vertreter des Außenministeriums, „gegen 106 Es ist nicht verwunderlich, dass Alfred Stellwaag von den Autoren der 1922 zum Druck vorgesehenen Werke offensichtlich am stärksten an einer Publikation seiner Arbeit interessiert war, da seine bereits an der Bergakademie Freiberg begonnene akademische Laufbahn durch den Krieg unterbrochen worden war und er sie auch in der Nachkriegszeit nicht fortsetzen konnte. Außerdem war seine Berliner Dissertation von 1920 über die Eisenindustrie am Ende des Weltkrieges nicht als Buch erschienen.

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Veröffentlichungen, wie Professor Stellwagen [sic] sie androhe und wies auf die etwaigen strafrechtlichen Folgen hin.“ Als Replik hierauf verwies Sering auf das Publikationsprojekt „des Generals Schwarte, das die gleichen Dinge unter Mitwirkung eines Staatssekretärs und eines Dezernenten des Reichswehrministeriums und zwar wie behauptet werde, unter teilweiser Benutzung von Teilen des Seringschen Werkes zur Darstellung bringe.“ Zur Frage der Gleichbehandlung bemerkte Sering weiter: „Einer solchen Veröffentlichung gegenüber sei das Bedenken gegen sein Werk nicht zu halten.“ Im Anschluss an Sering erklärte Brecht, dass ihm die Bedeutung eines Werkes wie desjenigen von Schwarte für den vorliegenden Fall bewusst sei: „Bei der Auswahl der Mitarbeiter dieses Werkes sei die Gefahr, dass es als amtliches angesehen werde, besonders gross.“ Auch der Vertreter des Reichswehrministeriums wies darauf hin, „dass die Entente ohne Rücksicht auf die Firmierung das Seringsche Werk als das amtliche betrachten werde, während das S[ch]wartesche Werk ein reines Privatunternehmen sei.“ Zugleich wandte sich Lehnert gegen die Andeutung von Sering, dass durch einen Angehörigen des Reichswehrministeriums „Anleihen“ bei seinem Werk gemacht worden seien. Brecht betonte, es sei zu berücksichtigen, dass gegenüber dem Schwarteschen Werk und vergleichbaren Publikationen eine Interventionsmöglichkeit der Regierung wie bei dem Seringschen Werk nicht gegeben sei: „Besonders wichtig bleibe für letzteres Werk die Form der Veröffentlichung.“ Sering erklärte diesbezüglich, dass vorgesehen sei, dem Werk etwa folgenden Titel zu geben: „Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung. Herausgegeben im Auftrag des ehemaligen preußischen Kriegsministeriums.“ Der Niederschrift zufolge wurden gegen diesen Titel von Brecht und den anderen Teilnehmern „ernsteste Bedenken“ geäußert. Zum einen würde so „die Änderung der staatsrechtlichen Verhältnisse“ nicht berücksichtigt, andererseits würde man den „amtlichen Charakter des Werkes geradezu unterstreiche[n].“ Es sei zudem nicht sinnvoll, „von der Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung“ zu sprechen, sondern es sei ratsam, sich allgemein auf die deutsche Kriegswirtschaft zu beziehen: „Dabei solle Professor Sering mit den übrigen Autoren bei den einzelnen Teilen des Werkes als Herausgeber bzw. Verfasser namentlich angegeben werden. Auch sei in einem Vorwort das Zustandekommen des Unternehmens und dessen nichtamtlicher Charakter zu erläutern.“ Sering stimmte diesen Forderungen zu und erklärte sich bereit, Kontakt mit Stellwaag aufzunehmen, um eine mögliche Publikation durch seinen Autor aufzuschieben. Nach der Verabschiedung von Sering wurde die Besprechung fortgesetzt, wobei zunächst der Sprecher des Reichswehrministeriums nochmals „die vorhandenen Bedenken vom Standpunkt seines Ressorts unterstrich“, wie in der Niederschrift ausgeführt wird. In der Ursprungsfassung heißt es weiter, „[…] ohne daß sich besondere neue Gesichtspunkte ergaben.“ Anschließend steht hier der Satz: „Betont wurde durch Ministerialdirektor Brecht die Notwendigkeit, daß das Auswärtige Amt das Werk einer genauen Prüfung unterziehe, wobei es wünschenswert sei, dass Reichsminister Rathenau die Möglichkeit finde, sich selbst ein Urteil zu bilden.“ Zu den abschlie-



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ßenden Äußerungen von Brecht in der Sitzung heißt es: „Hinsichtlich Titel und Form der Veröffentlichung stellte er die Veröffentlichung unter den Titel ‚Deutsche Kriegswirtschaft‘ und in einzelnen Sonderlieferungen zur Erwägung.“ Diese Zitate aus der Ursprungsfassung wurden von Brecht gestrichen und das Besprechungsergebnis von ihm handschriftlich unter der Überschrift „Es wurde beschlossen“ formuliert. Die Brechtsche Neufassung bildete dann im Wortlaut die Endfassung der Niederschrift. Hier heißt es, dass die „fachlich beteiligten Ministerien sowie das Auswärtige Amt“ die einzelnen Beiträge einer Prüfung unterziehen und dem Herausgeber Streichungen oder Modifizierungen vorschlagen sollten, die nach ihrer Ansicht notwendig seien. Maßgeblich sollte hierbei „nicht die abweichende Ansicht, sondern die Gefahr aussenpolitischer Schädlichkeit“ sein und berücksichtigt werden, „dass andere Schriften ohne solche Zensur“ publiziert würden: „Die Frage, ob das Gesamtwerk als ganzes auch bei Ausmerzung einzelner Beanstandungen vom Standpunkt der Reichsregierung zurückzuhalten ist, soll vom Auswärtigen Amt – vielleicht durch Beauftragung einer hervorragenden Persönlichkeit von aussenpolitisch- und wirtschaftspolitisch grosser Erfahrung und Übersicht mit der Begutachtung oder dem Amt geeignet scheinende Weise – geklärt werden.“ Die folgenden Ausführungen geben zu bedenken, „dass Werke über die Leistungen der deutsche Industrie und Wirtschaft im Kriege im allgemeinen der Zensur nicht unterliegen und tatsächlich ungehindert entstehen […]“. Außerdem seien „die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten einer Unterdrückung des ganzen Werkes“ als fraglich anzusehen. Auch müsse „aus moralischen, wissenschaftlichen und finanziellen Gründen in erster Linie das Streben dahin gehen“, den Autoren die Publikation „des mit vieler Mühe hergestellten Werkes zu ermöglichen.“ Statt des ursprünglich genannten Titelvorschlages heißt es nunmehr: „Titel und Vorwort müssen einwandfrei gefasst werden.“ Außer in dieser Neufassung des Besprechungsergebnisses durch Brecht gibt es keine weitere überlieferte Äußerung eines Ministerialbeamten, die auf eine ‚moralische‘ Sichtweise gegenüber dem Werk von Sering und seinen Mitarbeitern hindeutet. Sering appellierte am 6. April 1922 erneut schriftlich an Brecht und betonte die „große praktische Bedeutung“ seines Werkes „auch für die Aufgaben der Wirtschaftsund Sozialpolitik“ der Gegenwart. Anschließend schreibt der Herausgeber: „Mit welchen Argumenten wird das Verlangen begründet, unserem Volke die ihm eröffnete Erkenntnisquelle zu verschütten. Die Anregung ist vom Reichswirtschaftsministerium ausgegangen, dass seinerseits von Angehörigen der chemischen Industrie dazu veranlasst wurde.“ In der letzten Sitzung der Ressorts habe der Vertreter des Reichswirtschaftsministeriums eingeräumt, „dass aus dem Interesse der einzelnen Industrien“ Bedenken gegen die Publikation nicht mehr herzuleiten seien. Die Einwände gegen die Veröffentlichung bezögen sich noch auf die vage Annahme, dass die Publikation insgesamt eventuell der gegnerischen Seite neue Nahrung geben könne, soweit sie weitere „Vorwände zu verschärfter Kontrolle der Industrie mit der Begründung fänden, wir seien nach wie vor in der Lage, dank unserer hochentwickelten Technik rasch alles für einen grossen Krieg Erforderliche herzustellen. Auf diesen

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Standpunkt stellten sich die Vertreter des Auswärtigen Amts.“ Aus den Abhandlungen, besonders aber der nunmehr zur Veröffentlichung anstehenden Werke, gehe „die Unmöglichkeit“ zu einer großangelegten Kriegführung hervor. Als Begründung für die nicht mögliche Deckung des Kriegsmaterialbedarfs nennt Sering den Verlust des lothringischen Montanreviers, die umfangreichen Zerstörungen maschineller Anlagen und die Produktionsumstellungen bei den Sprengstoffherstellern. Bei einer Blockade der Grenzen durch die gegnerischen Mächte könne ein Massenheer und die Bevölkerung nicht mit Kleidung versorgt werden: „Eine volle Klarstellung der Verhältnisse gibt deshalb im Gegenteil uns sichere Handhaben, um neue Knebelungen mit ganz schlüssigen Argumenten abzulehnen“. Das unter dem Aspekt „der feindlichen Kontrolle“ mit Abstand als am relevantesten anzusehende Werk von Weyrauch über das Waffen- und Munitionswesen beinhalte „weniger an verfänglichen Dingen“ als der von Wurtzbacher, dem Chef des Waffenamts im Reichswehrministerium, verfasste Beitrag über die „Versorgung des Heeres mit Waffen und Munition“ in dem Schwarteschen Werk: „Diese mehr populäre Darstellung ist auch viel mehr auf den Ton eingestellt, den Ruhm der deutschen Heeresverwaltung und die wunderbaren Leistungen deutschen Erfindungsgeistes zu verkünden.“ Demgegenüber scheine die von Weyrauch geübte deutliche Kritik an der Heeresverwaltung ungleich mehr geeignet, den insbesondere in Frankreich verbreiteten überhöhten Vorstellungen von den deutschen kriegswirtschaftlichen Möglichkeiten entgegenzuwirken.“ Einige Mitarbeiter seien nicht bereit, schreibt Sering „eine längere Vertagung der Veröffentlichung“ hinzunehmen, stattdessen entschlossen, ihre Arbeiten auf jeden Fall, auch im Ausland, zu publizieren „oder auf andere Weise in die Oeffentlichkeit zu flüchten“, noch hinzu komme, dass das Publikationsprojekt durch den Verlagsprospekt der Öffentlichkeit bereits bekannt sei. Auch in der Fachliteratur habe man schon mehrfach hierauf verwiesen. Abschließend teilte Sering mit, dass er die bisher mitgeteilten Korrektur- und Streichungswünsche „einzelner Stellen der Darstellung restlos erfüllt habe.“ Seine Mitarbeiter und er seien nicht bereit, zusätzliche Hindernisse bei der Drucklegung unter Hinweis auf eine juristische Verpflichtung hinzunehmen. Dagegen sei er auch in Zukunft zu Entgegenkommen bereit: „Die Behörden dürfen überzeugt sein, dass das Wohl unseres Landes uns nicht weniger als ihnen selbst am Herzen liegt.“

Der Reichsverband der Deutschen Industrie als Kontrollinstanz Die Erklärung von Sering in der Sitzung von Ende März 1922, wonach im Wesentlichen die Chemieindustrie gegen eine Veröffentlichung seines Werkes sei und nicht etwa die Industrie insgesamt, führte wohl dazu, dass sich von Buttlar mit Schreiben vom 29. April 1922 an Hermann Bücher, geschäftsführendes Präsidialmitglied des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, wandte: Zu dem teilweise druckfertig vorliegenden Werk über die deutsche Kriegswirtschaft seien „von verschiedenen Seiten, insbesondere der chemischen Industrie Bedenken geäußert worden, ob die Veröffentlichung



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des Werkes zurzeit im Interesse Deutschlands und seiner Wirtschaft liege.“ Nach Darstellung von Sering werde das Werk von Teilen der Industrie sogar befürwortet. Weiter heißt es: „Soweit bekannt handelt es sich dabei um die eisenschaffende Industrie.“ Unter Hinweis auf eine Unterredung zwischen Oberregierungsrat Feldbausch vom Wirtschaftsministerium und einem Mitarbeiter des Reichsverbandes der Deutschen Industrie bat von Buttlar um eine baldige Äußerung „zu der Frage des derzeitigen Erscheinens des Sering’schen Werkes.“ Falls gewünscht, werde Professor Sering wohl die Fahnenabzüge überlassen. Allerdings sollten diese „nur einer sehr beschränkten Zahl von geeigneten Persönlichkeiten zugänglich“ gemacht werden.107 Obwohl Sering bereits zugesagt hatte, sich mit Stellwaag wegen der Unterlassung der Veröffentlichung in Verbindung zu setzen, wollte das Wirtschaftsministerium hier offensichtlich völlig sicher gehen. So wandte sich von Buttlar im April 1922 nicht allein über seinen Referenten Feldbausch an Stellwaag, sondern sandte ihm auch ein Schreiben, in dem er eine schriftliche Erklärung forderte. Zunächst bezog er sich auf die Mitteilung von Sering, dass das Manuskript von Stellwaag eventuell im Ausland publiziert werden würde. Weiter teilt er mit, dass die entsprechende Äußerung von Sering wohl „auf einem Irrtum“ beruhe. Stellwaag möge ihn dies „bestätigen“, so dass er „diese Richtigstellung im Interesse des Ansehens Ihrer Person“ den Empfängern der Sitzungsniederschrift mitteilen könne. Anschließend bezog sich von Buttlar auf die bereits zwischen Feldbausch und Stellwaag stattgefundene Unterredung und führte weiter aus, dass er darauf hinweise, „daß Ihr Werk sich auf amtliches Material stützt und seine Veröffentlichung daher ohne die Zustimmung der zuständigen Reichsstellen durchaus unzulässig wäre“ und gegebenenfalls zu Weiterungen führen könnte. Stellwaag antwortete am 2. Mai 1922 schriftlich, wobei er sich zunächst auf die Unterredung zwischen Oberregierungsrat Feldbausch und ihm bezog. Anschießend heißt es: „Mit dem von Herrn Geheimrat Sering übermittelten Hinweis auf die Möglichkeit einer Veröffentlichung meines Buches im Ausland wollte ich zum Ausdruck bringen, dass eine unterschiedliche Behandlung meines Buches gegenüber den bekannten Veröffentlichungen von Lichnowsky, Kautsky, Ludendorff u.a.“ nicht gerechtfertigt werden könne. Diese Werke seien trotz der Verwendung „amtliche[n] Material[s]“ ausnahmslos „ohne Einwilligung der zuständigen Ressorts“ publiziert worden. Weiter erklärt er, dass „dortseits bereits anerkannt“ sei, dass sein Buch „keinerlei Angaben, die dem Reichsinteresse politisch und wirtschaftlich schaden könnten“ enthalte. Konkrete Aktivitäten für eine Publikation seines Werkes außerhalb Deutschlands seien von ihm nicht ausgegangen: „Ich werde dies in Erwartung der mir von Herrn Oberregierungsrat Feldbausch in Aussicht gestellten für mich günstigen Regelung der Angelegenheit auch nicht tun.“ Abschließend folgt die gewünschte Erklärung Stellwaags, dass jedwede „anderweitige Interpretation der von Geheimrat Sering im Hinblick auf mein Buch gemachte Äusserung“ eine „irrtümliche Auffas-

107 PAAA, R 65238. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.

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sung“ darstelle. Hierzu teilte von Buttlar Stellwaag mit, dass er dessen „Erklärungen […] mit Befriedung“ gelesen habe.108 Möglicherweise führte das von von Buttlar an Bücher gerichtete Schreiben von Ende April 1922 auch zu entsprechenden Aktivitäten von Brecht, da Bücher und Brecht mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits dienstlich in Verbindung gestanden hatten. Als Vortragender Legationsrat im Auswärtigen Amt hatte Bücher erst 1921 nach langjähriger Tätigkeit den Staatsdienst verlassen. Brecht übersandte ihm am 9. Mai 1922, mit der Bitte um Rückgabe, das Protokoll der Sitzung vom 31. März 1922. Zugleich äußerte er den Wunsch, dass Bücher ihm zu „den hierin hervortretenden Problemen“ seinen „persönlichen Standpunkt, sei es mündlich, sei es schriftlich“ mitteilen möge. Die schriftliche Antwort Büchers vom 19. Mai 1922 trägt auf der ersten Seite den handschriftlichen Satz von Brecht: „Danach haben wir ja mit der Übersendung unseres Protokolls alles erreicht, was wir wollten!“ Einleitend teilt Bücher hier mit, dass schon das Reichswirtschaftsministerium an ihn herangetreten sei und es auch bereits ein Gespräch zwischen Sering und dem zuständigen Referenten des Reichsverbandes gegeben habe. Er könne sich zu dem Publikationsvorhaben von Sering nur „grundsätzlich“ äußern, weil er das Werk selbst nicht kenne. Seine grundsätzliche Meinung hierzu decke sich weitgehend mit dem Resümee des Protokolls der Sitzung: „Ich bin der Ansicht, dass unsere früheren Feinde und jetzigen wirtschaftlichen Gegner sehr viel mehr von unserer Kriegswirtschaft durch ihre Spionage während des Krieges und nach dem Kriege wissen […]“. Dies bedeute nicht, dass spezielle „Fabrikationsgeheimnisse“ bezüglich neuer „Kampfmittel und Ersatznahrungsmittel“, an denen primär die Chemieindustrie beteiligt gewesen sei, „im wesentlichen Umfange“ in die gegnerischen Hände gekommen seien. Außerdem gebe es bereits diverse Veröffentlichungen zur Kriegs- und Heereswirtschaft. Deshalb stimme er mit dem Ergebnis des Sitzungsprotokolls überein, dass ein Reihenwerk, das mit so umfangreicher Arbeit verbunden sei „und in dessen Fertigstellung eine große Anzahl von Mitarbeiter das Ziel jahrelanger praktischer und wissenschaftlicher Betätigung erblickt, an einem Erscheinen kaum verhindert werden könnte […]“. Allenfalls seien diejenigen Passagen zu streichen, die den gegnerischen Mächten vermutlich neue Informationen bringen würden, für den Fall, dass dadurch für die deutsche Seite ein Schaden verbunden wäre. In diesem Zusammenhang habe sich bereits die Geschäftsführung des Reichsverbandes während seiner Teilnahme an der Konferenz von Genua auf ein Schreiben des Reichswirtschaftsministerium hin bereitgefunden, von der zuerst in Betracht kommenden Chemieindustrie die Benennung von Experten zur „Vorprüfung“ des einschlägigen Textes zu veranlassen, „die im Einvernehmen mit den beteiligten Ministerien die Preisgabe der chemischen Industrie unerwünschten Veröffentlichungen hindern sollen.“ Sering habe sein Einverständnis erklärt und das Reichswirtschaftsministerium sei hierüber informiert worden.

108 BArch, R 1501/108980. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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Analog dazu unterbreitet Bücher den Vorschlag, dass so auch mit den anderen Teilen des kriegswirtschaftlichen Werkes durch den Reichsverband verfahren werden könnte. Hierzu führt er weiter aus, dass es „zweckmässig“ wäre, „wenn die Gesamtleitung dieser von amtlichen und privatwirtschaftlichen Vertretern zusammengesetzten Prüfungskommissionen in den Händen einer hervorragenden Persönlichkeit von aussenpolitischer und wirtschaftlichen Erfahrung liegen würde.“ Abschließend erklärt er, dass er zur rechtlichen Seite „einer Unterdrückung des ganzen Werkes“ nicht Stellung nehmen, vielmehr auf das Werk von General Schwarte hinweisen möchte. Nach Aussage von Sering behandele dieses den gleichen Themenkomplex wie sein Projekt. Ebenso wie die gegnerische Seite bei dem Werk von Sering schon allein wegen des vorgesehenen Titels „Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung“ eine „amtliche“ Quellenbasis voraussetze, würde sie auch bei dem Schwarteschen Werk davon ausgehen, „daß ein General sich bei einem derartigen Werk wohl auch auf amtliche Mitteilungen gestützt hat.“ Oberregierungsrat Bischoff vom Auswärtigen Amt richtete am 17. Mai 1922 eine Mitteilung an die Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co. Unter Bezugnahme auf das geplante „große Werk von Geheimrat Sering“ wies er auf die Besprechung einer bei E.S. Mittler & Sohn erschienen Schrift in Frankreich hin. Die „Deutsche Wirtschaftspropaganda im Weltkrieg“ von Rudolf Wichler habe der „Petit Parisien“ am 17. April 1922 ausführlich besprochen. Hier werde deutlich, mit welch großem Interesse alle Publikationen beobachtet würden, „die von deutscher Seite über Organisationsfragen jeglicher Art, soweit sie die deutsche Wirtschaft in und nach dem Kriege betreffen“ herausgebracht würden. Da im Auswärtigen Amt nur ein Exemplar des Artikels vorhanden und dieser aktuell nicht verfügbar sei, wird abschließend empfohlen, dass sich der Verlag den Artikel besorgen und ihn Sering zukommen lassen möchte.109

Die Realisierungsphase zur Publikation im fragilen Kontext Die erste Überlieferung zu dem kriegswirtschaftlichen Publikationsprojekt von Sering im Archiv von Walter de Gruyter stellt für das erste Halbjahr 1922 eine Telefonnotiz von Ende Juni dar. Sering und von Crayen verständigten sich in einem Telefonat am 28. Juni 1922 auf den Titel des vor dem Druck stehenden Weltkriegswerkes und einigten sich auf die Formulierung: „Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914 bis 1918. Unter Mitarbeit der Mitglieder der ehem. Wirtschaftskommission des Königl. Preuss. Kriegsministeriums herausgegeben von Max Sering“. Weiter heißt es in der Notiz, die „Differenz“ zwischen Weyrauch und Wurtzbacher stünde „vor der Beilegung“. Es habe sich herausgestellt, dass es sich nicht um „ein wissenschaftliches Plagiat“ handele, vielmehr ginge die festgestellte Übereinstim109 PAAA, R 65238.

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mung auf den Umstand zurück, „dass beide dieselben Quellen, insbesondere die gleiche Denkschrift benutzt haben, aus der sie verschiedene Stellen wörtlich entnommen haben.“110 Am 29. Juni 1922 wandte sich Sering schriftlich an Ministerialdirektor Brecht. Einleitend nahm er Bezug auf die Sitzung im Innenministerium von Ende März 1922. Dort habe er erklärt, „daß die von Herrn Generalmajor Wurtzbacher für das Schwarte’sche Werk über den großen Krieg (Die Organisation der Kriegführung, I. Teil) verfaßte Darstellung über die Versorgung des Heeres mit Waffen und Munition in einzelnen Teilen eine auffällige Übereinstimmung mit dem Weyrauch’schen Werke über die Beschaffung von Waffen und Munition zeige, dessen Manuskript ihm dienstlich vorgelegen habe.“ Eine anschließend von Wurtzbacher veranlasste eingehende Prüfung durch zwei Experten habe „für die Mehrzahl der gerügten Fälle“ gezeigt, „daß eine Anlehnung zweifelsfrei nicht stattgefunden haben kann“, ursächlich für die übereinstimmende Darstellung sei, dass beide Autoren das gleiche Quellenmaterial benutzt hätten. Weiter heißt es in dem Schreiben von Sering: „Ich nehme an, daß die Übereinstimmung auch in den anderen Fällen auf ähnliche Weise zustande gekommen ist, und erkläre gerne, daß die Vermutung einer unzulässigen Entlehnung auf einem Irrtum beruht, den ich bedaure.“ Abschließend richtete Sering an Brecht die Bitte, seine Mitteilung allen Teilnehmern der Sitzung zugänglich zu machen.111 Am Sonnabend, den 1. Juli 1922 fand im Berliner Haus von Sering ein Gespräch zwischen ihm und von Crayen statt, in dem es nahezu ausschließlich um das Buchprojekt „Deutsche Kriegswirtschaft“ ging. Nach der Besprechungsnotiz von Crayens hat Sering hier zunächst, „die Zumutung der einzelnen industriellen Verbände sehr energisch zurückgewiesen […]“. Allerdings war Sering inzwischen von seinem Autor Professor Ernst Heymann bezüglich der Einwirkungsmöglichkeiten der Reichsbehörden auf das Reihenwerk wohl durchaus verunsichert worden. So heißt es in der Gesprächsnotiz, Sering habe „sich sicherheitshalber aber noch einmal ein juristisches Gutachten von seinem Kollegen, Herrn Geheimrat Heymann, über den ganzen Fall geben lassen.“ Die aktuelle Einschätzung von Heymann klang nach der Besprechungsnotiz inzwischen wenig optimistisch: „H. kommt nun freilich im Gegensatz zu seiner früheren Meinung doch zu dem Schluss, dass unter Umständen die Veröffentlichung des Werkes verboten werden könnte, denn die Genehmigung des amtlichen Materials wäre seinerzeit unter anderen Verhältnissen erteilt worden, als sie jetzt sind, und die Judikatur des Reichsgerichts gebe den Reichsbehörden das Recht zu einer ungeheuer weiten Auffassung des Begriffes ‚Nationales Interesse‘“. Abschließend heißt es im Kontext des Gutachtens von Heymann: „Worüber aber kein Zweifel bestehen könnte, wäre die Verpflichtung des Reiches, Verleger und Autoren schadlos zu halten.“112

110 BArch, R 1501/108980. 111 Ebd. 112 Archiv Walter de Gruyter GmbH. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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Nach von Crayen erklärte Sering zu der Situation des Publikationsprojektes am 1. Juli 1922, er werde „sich nicht irre machen lassen und mit allem Nachdruck das möglichst baldige Erscheinen der ersten Bände herbeizuführen suchen […]“. Zu seinen nächsten Schritten teilte er mit, dass er bereits in Kürze dem Verlag „den Entwurf zu der erforderlichen Ankündigung des Werkes zugehen lassen“ werde. Außerdem wolle er, „parallel zu seinen sonstigen Schritten, in der allernächsten Zeit beim Finanzminister vorsprechen […] um diesen darauf aufmerksam zu machen, wie unter Umständen Reichsmittel verschleudert würden […]“. Beim Finanzminister erhoffte sich Sering vermutlich auch deshalb Rückhalt, weil der amtierende Finanzminister, der Zentrumspolitiker Andreas Hermes, Landwirtschaft studiert hatte, im Krieg einschlägig wissenschaftlich und beratend tätig war, 1920/21 als Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft amtiert und in dieser Position höchstwahrscheinlich auch Kontakte mit Sering hatte. Allerdings war der Herausgeber zum Zeitpunkt seiner Unterredung mit von Crayen am 1. Juli 1922 wohl selber bereits von einer gewissen Skepsis erfüllt. So empfahl er dem Verlagsrepräsentanten, sich „für alle Fälle“ schon einmal mit der Frage von „Schadenersatzansprüche[n]“ zu befassen „und diese ja nicht zu gering“ zu veranschlagen, auch die Verfasser würden „in ihren evtl. Schadenersatzansprüchen nicht kleinlich sein.“ Von Crayen gab Sering die Zusage, dass der Verlag die Frage möglicher Regressansprüche „in Erwägung ziehen und alle Vorbereitungen treffen würde, um gegebenenfalls sofort mit der Forderung hervortreten zu können, und zwar nicht nur dann, wenn das Erscheinen des Werkes überhaupt verboten würde, sondern auch wenn es nur irgend gehemmt werden sollte.“ Sering stimmt von Crayen hier mit Nachdruck zu und kündigte an, den Finanzminister außerdem darauf hinzuweisen, „dass jede Hinausschiebung der Vollendung des Werkes nur mit unnötiger Verschwendung verknüpft wäre, weil nicht nur der Satz inzwischen unbenutzt brach liegen müsste, sondern auch die Löhne geradezu täglich steigen, die Bände also nur immer teurer würden.“ Anschließend wurde zwischen Sering und von Crayen die Frage des Honorars für die Autoren erörtert, wobei der Verleger gegenüber Sering nach seinen eigenen Worten zugestand, „dass wir natürlich die Honorarfrage im gegenwärtigen Augenblick einer Revision unterziehen würden, ich hielte es aber für verfrüht, dies jetzt schon zu tun, weil wir ja gar nicht wüssten, wie sich die Verhältnisse bis zum Erscheinen der einzelnen Bände gestaltet hätten.“ Bemerkenswerterweise verfasste Sering sein inhaltlich identisches Vorwort für alle drei Bände zur Kriegswirtschaft am ersten Juliwochenende 1922. Der gegenüber dem Prospekt von E.S. Mittler & Sohn erheblich modifizierte Textentwurf zur „Ankündigung des Projektes“ dürfte etwa um dieselbe Zeit entstanden sein. Die weitere Entwicklung des Publikationsprojektes im Sommer 1922 ist nicht nur voller Spannung und Dramatik, sondern zeigt auch den Willen und die Bereitschaft von Max Sering, die Drucklegung seines kriegswirtschaftlichen Werkes gegen alle Widerstände durchzusetzen. Am 1. Juli 1922 verfasste Lehnert vom Waffenamt des Reichswehrministeriums einen Entwurf unter dem Titel „Veröffentlichungen über Kriegswirtschaft“, der

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sowohl dem Reichswehrminister als auch dem Staatssekretär vorgelegt werden sollte. Einleitend heißt es hier, dass nach den Besprechungen „über Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission“ das Reichswehrministerium vorschlage, dass das Reichsministerium des Innern die Federführung hinsichtlich Publikationen zur Kriegswirtschaft und angrenzenden Themen übernehme, „insbesondere auch auf die Benutzung amtlicher Unterlagen.“ Dies beinhalte, dass alle Reichsministerien sämtliche an sie herangetragenen oder von ihnen ausgehenden einschlägigen Wunschvorstellungen an das Innenministerium weiterleiteten, wobei zugleich auch eine „Stellungnahme“ erfolgen sollte.113 Zur Begründung heißt es in dem Entwurf von Lehnert, dass man die „Wahrnehmung“ gemacht habe, „daß Wünsche wegen Überlassung amtlichen Materials zu kriegswirtschaftlichen Arbeiten an verschiedene Ministerien herantreten“ und es deshalb einer zentralen Stelle bedürfe, die hier als Clearingstelle fungiere. Hierzu erscheine das Innenministerium prädestiniert, „weil ihm das Reichsarchiv und die Historische Kommission nachgeordnet sind.“ Diese Sichtweise wurde allerdings nicht von allen Abteilungen des Reichswehrministeriums geteilt. In einem handschriftlichen Vermerk vom 12. August 1922 heißt es, „[…] da die Veröffentlichungen über Kriegswirtschaft von großer Bedeutung auch für künftige Vorbereitung für den Ernstfall“ seien, könne „die Übertragung der Federführung an eine nichtmilitärische Stelle […] immerhin zu militärischen Nachteilen führen.“ Die von Sering gegenüber von Crayen in dem Gespräch am 1. Juli 1922 angesprochenen „Zumutungen“ der industriellen Verbände gehen aus seinem Schreiben an Brecht vom 3. Juli 1922 und dessen Anlagen deutlich hervor. Zunächst erklärt Sering, er habe sich am 19. Juli 1921 verpflichtet, die Druckgenehmigung nur dann zu erteilen, wenn von den vier tangierten Reichsministerien keine Bedenken gegen die Publikation der ihnen zur Prüfung vorgelegten Fahnenabzüge hinsichtlich „der allgemeinen Reichsinteressen“ geäußert würden. Daraufhin habe er die Fahnenabzüge der bislang gesetzten Bände über das Waffen- und Munitionswesen, die Eisenbewirtschaftung und die Bewirtschaftung der Spinnstoffe jedem Ministerium zukommen lassen „und die mir dagegen mitgeteilten Bedenken sorgfältig durch Abänderung oder Streichung der bemängelten Stellen berücksichtigt.“ Nachdem mittlerweile auch die Autorenkorrekturen erfolgt seien, halte er sich „für befugt und der Verlagsbuchhandlung gegenüber verpflichtet, die Druckgenehmigung für jene drei Bände zu erteilen.“ Dem Verlag entstünden sonst erhebliche Verluste, da „der gebundene Satz nicht anderweitig verwandt werden kann, und vor allem auch weil die Druck- und Papierpreise in unaufhörlichem Steigen begriffen sind.“ So erhöhten sich die Selbstkosten und der Ladenpreis monatlich. Weiter schreibt Sering: „Einen Wunsch des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, seinen Verbänden Gelegenheit zur Geltendmachung etwaiger Bedenken gegen einzelne Stellen zu geben, habe ich abgelehnt.“ Die Motive für diese Ablehnung gingen aus dem beigefügten Schreiben hervor. Abschließend betont Sering nochmals, 113 Handakten Dr. Markus Pöhlmann, Wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Abteilung Forschung.



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dass er „eine rechtliche Befugnis zum Verbieten der Publikation nicht anzuerkennen“ vermöge. Sollte die Reichsregierung die Herausgabe des Gesamtwerkes oder einzelner Bände unterbinden, werde sie schadenersatzpflichtig, „da die Arbeit in ihrem Auftrage ausgeführt worden ist.“ Nach seinen bisherigen Feststellungen handele es sich hier um einen Betrag in der Größenordnung von mehreren Millionen Mark. Dieses Schreiben führte dazu, dass Brecht eine weitere Besprechung der Reichsressorts unter Einbeziehung von Sering und Bücher für den 14. Juli 1922 ansetzte.114 Abschriftlich beigefügt war ein Schreiben Serings vom 3. Juli 1922 an den Reichsverband der Deutschen Industrie in dem Sering zunächst auf die vorgesehenen Kommissionen einging, die feststellen sollten, „welche Stellen“ des kriegswirtschaftlichen Werkes „im deutschen Interesse zu ändern oder fortzulassen seien.“ Wenngleich er als Herausgeber den geplanten Kommissionen angehören solle, sei er vor dem Versand des Rundschreibens an die Fachverbände nicht informiert worden. Er sehe dies als „eine Unfreundlichkeit“ an, die ihn umso mehr erstaune, „als ich dem Reichsverband in der Berücksichtigung industrieller Interessen jedes mit den wissenschaftlichen Aufgaben vereinbare Entgegenkommen zu erweisen bereit war und erwiesen habe.“ Er habe sich vor einem Jahr „aus patriotischen Gründen“ dazu bereitgefunden, insgesamt vier Reichsministerien durch die Übermittlung der Fahnenabzüge Gelegenheit zu geben, Bedenken zu artikulieren, „welche gegen einzelne Stellen ,im allgemeinen Reichsinteresse‘ zu erheben sind.“ Den geäußerten Einwänden habe er „durch Änderungen oder Auslassungen ausnahmslos und vollständig Rechnung getragen. So erscheinen die allgemeinen Reichsinteressen vollkommen gewahrt und weitere Kautelen überflüssig.“ Bei aller Wertschätzung der Sachkenntnis der Fachverbände sei es ihm nicht möglich, deren objektive Haltung anzuerkennen: „Aus diesen Gründen muss ich es ablehnen, meine Mitarbeiter und mich selbst unmittelbar oder mittelbar unter die Aufsicht von Interessenvertretungen zu stellen und deren Entscheidung als verbindlich anzusehen.“ Ebenfalls am 3. Juli 1922 übersandte Sering sein Schreiben an den Reichsverband der Deutschen Industrie auch an die einzelnen Fachverbände. Die Mitteilung an die Fachverbände war um den Passus gekürzt, in welchem Sering ausführt, dass seine „aus besonderen Gründen“ hinsichtlich der Chemieindustrie erklärte Bereitschaft, „etwaige Wünsche entgegen zu nehmen“ nach wie vor bestehe. Der „Benennung des oder der Vertrauensmänner dieser Industrie“ sehe er alsbald entgegen. In seinem an die Fachverbände adressierten Schreiben spricht Sering zunächst von der „Beunruhigung“, die das Rundschreiben des Reichsverbandes ausgelöst habe. Die entstandene Irritation sei jedoch umso unbegründeter, als das kriegswirtschaftliche Werk etliche Industriezweige, deren Repräsentanten sich an den Verlag oder an ihn gewandt hätten, gar nicht beträfen. Außerdem würde in der volkswirtschaftlichen Darstellung weder auf die spezifischen Bedingungen einzelner Unternehmen eingegangen noch „Geheimnisse des Produktionsprozesses“ tangiert: „Die Technik im Weltkriege wird 114 BArch, R 1501/108980. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.

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in einem schon fertig gedruckten Werk des Vereins Deutscher Ingenieure behandelt.“ Schließlich gäben „die Gesinnung und die Sachkunde der Bearbeiter unseres Werkes, ganz abgesehen von der den Ministerien eingeräumten Befugnis, jede Gewähr dafür, dass Allgemeininteressen durch unsere Veröffentlichung nicht geschädigt werden.“ Stattdessen sei sie durchaus im Allgemeininteresse, „weil sie mit allen Sicherungen wissenschaftlicher Objektivität und Unabhängigkeit Vorgänge und Zusammenhänge darstellt, deren Kenntnis für den jetzigen Zustand der deutschen Volkswirtschaft und der deutschen Industrie von grundlegender Bedeutung ist.“ Am 8. Juli 1922 lud Brecht Vertreter des Reichswirtschaftsministerium, des Reichsfinanzministeriums, des Reichsarbeitsministeriums, des Reichswehrministeriums, das Auswärtige Amts und den Herausgeber „zur Fortsetzung der Beratung vom 31. März 1922 über kriegswissenschaftliche Veröffentlichungen durch Herrn Professor Sering“ in das Reichsinnenministerium für den 21. Juli 1922 ein. Der Reichsverband der Deutschen Industrie mit seinem geschäftsführenden Präsidialmitglied gehörte nicht zum Empfängerkreis, obwohl die Einladung Büchers von Brecht noch wenige Tage zuvor vorgesehen gewesen war. Zum Verlauf der Zusammenkunft am 21. Juli 1922 sind der Entwurf eines Schriftstückes des Reichsministeriums des Innern an das Auswärtige Amt vom 26. Juli 1922 sowie ein Schreiben Serings vom 22. Juli 1922 an Brecht überliefert. Einleitend heißt es in dem Entwurf des Reichsinnenministeriums an das Auswärtige Amt, das „infolge der Abwesenheit des dortigen Vertreters eine erschöpfende Besprechung des Gegenstandes nicht möglich“ gewesen sei. Ebenso wie in der Sitzung am 31. März 1922 habe Professor Sering seine Rechtsauffassung vertreten, „daß nur die Zweckmäßigkeit bestimmter Teile der Veröffentlichung, nicht der ganzen Veröffentlichung, von den beteiligten Ressorts nachgeprüft werden könne.“ Weiter habe er erklärt, „daß er die den Ressorts zustehende Genehmigung nunmehr als erteilt und sich als befugt betrachte, das Werk nunmehr zu veröffentlichen.“ In dem von Donnevert angefertigten und von Brecht ergänzten und abgezeichneten Entwurf heißt es anschließend, sein Referent habe Sering widersprochen und bemerkt, dass die definitive Stellungnahme des Auswärtigen Amts „unter allen Umständen abgewartet werden müsse“. Auch habe der Vertreter des Reichswehrministeriums den Standpunkt eingenommen, „daß die Veröffentlichung zur Zeit nicht genehmigt, für eine spätere Zeit aber wohl ins Auge gefaßt werden könne.“ In Anbetracht dessen erfolgte die Aufforderung an das Auswärtige Amt „bald endgültig zur Sache Stellung nehmen zu wollen.“ Wenn die Veröffentlichungsgenehmigung nicht alsbald erteilt würde, bliebe nur, die Publikation generell oder „auf bestimmte Zeit zu untersagen“. In diesen Fällen sei ein finanzieller Ausgleich in erheblicher Größenordnung für den Verlag und die Mitarbeiter unvermeidlich „und die Höhe der Entschädigung wächst, je länger der Satz steht.“ Brecht fügte an diesen Entwurf seines Referenten noch handschriftlich an, dass er es nach wie vor für wünschenswert halte, „daß die Genehmigung im ganzen erteilt“ werde und wies abschließend auf das Protokoll der Sitzung vom 31. März 1922 hin.



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Bereits kurz nach der Sitzung am 21. Juli 1922 erhielt Brecht von Sering „das allgemeine Titelblatt mit dem jedem Bande vorzudruckenden Vorwort des Herausgebers zur gefälligen Kenntnisnahme.“ In seinem Begleitschreiben vom 22. Juli 1922 nahm Sering auch zu dem Verlauf der Zusammenkunft am Vortag Stellung und führte zunächst aus, dass er es sehr bedauert habe, dass Brecht hier nicht als Vorsitzender die Sitzung geleitet habe: „Ich hatte den Eindruck, dass keiner der anwesenden Herren für eine quellenmässige Arbeit über die deutsche Volkswirtschaft während des Krieges Interesse und für den ideellen und praktischen Wert lebendige Empfindung hat.“ Vor diesem Hintergrund seien auch die Äußerungen der in der Sitzung im Zentrum gestandenen Frage des Rechtes der Regierung, trotz bereits zweimaliger Genehmigung, die Veröffentlichung zu genehmigen oder zu verbieten, zu sehen. Ministerialrat Donnevert habe (ebenso wie er selber) bereits in der vorangegangenen Sitzung „die Befugnisse“ der Ressorts lediglich im Hinblick auf das Recht, konkrete Bedenken geltend zu machen, gesehen. Demgegenüber habe Ministerialrat von Zahn (ein Angehöriger der Kulturabteilung, der von Brecht zu seinem Arbeitsgebiet „hinzugezogen“ wurde) die Auffassung geäußert, dass es ein „generelle[s]“ Genehmigungs- oder Verbotsrecht gebe. Auch Oberregierungsrat Feldbausch vom Reichswirtschaftsministerium habe diesen Standpunkt vertreten, „und zwar in Widerspruch zu der Entscheidung des Herrn Reichswirtschaftsministers Schmidt, der mir in seiner Gegenwart Tage zuvor erklärt hatte, die Arbeit müsse in voller Unabhängigkeit zu Ende geführt werden. Er habe ein Interesse nur an dem Aufsatz über die chemische Industrie.“ Diese Abhandlung solle von Professor Stock gelesen werden und zu dessen „Einwände[n]“ im gegenseitigen Einvernehmen eine „Verständigung“ erfolgen: „also kein Befehlsrecht!“. Sehr aufschlussreich sind auch die anschließenden Mitteilungen Serings an Brecht. Der Vertreter des Reichswehrministeriums habe in der Sitzung festgestellt, das Werk über das Waffen- und Munitionswesen dürfe nicht publiziert werden: „In dieser Sache steht indessen das Wehrministerium unter dem dringenden Verdacht der Befangenheit, weil die entscheidenden Herren dem WUMBA [Waffen- und Munitions-Beschaffungsamt, RH] angehörten, und dessen Tätigkeit von Professor Weyrauch scharf kritisiert wird.“ Dagegen habe er die Erklärung abgegeben, dass er ein generelles Recht zur Zustimmung oder Ablehnung keinesfalls anerkennen könne. Es habe ihn verwundert, dass die Ressortvertreter mitgeteilt hätten, „die Entschädigungsfrage spiele keine Rolle“, zumal deren Größenordnung auf sechs bis sieben Millionen Mark beziffert worden sei, letztlich aber noch höher ausfallen dürfte. Ministerialdirektor Brecht erklärte sich am 31. Juli 1922 sowohl mit dem „neuen Titelblatt“ als auch mit den „Herausgebervorwort“ einverstanden. Allerdings wies er in seinem Schreiben an Sering darauf hin, dass zu Beginn der Sitzung am 21. Juli 1922 Einvernehmen darüber erzielt worden sei, dass unter Punkt 2 des Vorwortes die Aussage „aus den erzielten Erfolgen oder Mißerfolgen für die Zukunft Lehren ziehen“ entfallen sollte. Weiter führte Brecht aus, dass sein Referent von Zahn in der Sitzung bezüglich der umstrittenen Thematik, ob von einem allgemeinen oder nur von einem partiellen Genehmigungs- oder Verbotsrecht der Reichsressorts ausgegangen werden

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könne, nach seiner eigenen Darstellung weder einen Standpunkt habe einnehmen wollen noch eingenommen habe: „Er hat lediglich betont, daß er sich Ihrem Standpunkt, die Genehmigung sei als erteilt anzusehen, nicht anschließen könne.“ Anschließend teilte Brecht Sering mit, er habe das Auswärtige Amt über dessen Standpunkt informiert „und es um baldige endgültige Stellungnahme gebeten.“115 In seiner Antwort an Brecht vom 2. August 1922 erklärt Sering unter Bezugnahme auf die Anlagen, dass Brecht hieraus ersehen könne, dass er auf dessen „wiederholten Wunsch die kleine Streichung im Herausgebervorwort vorzunehmen keine Bedenken getragen“ habe, „da sie den Inhalt des mir vom Kriegsministerium erteilten Auftrages nicht abändert.“ Anschließend kommt Sering auch hier auf seine „Auffassung“ zur Publikationserlaubnis zu sprechen. Er müsse nicht nur aus formaljuristischen Gründen, daran festhalten, dass die Veröffentlichungsgenehmigung „im Ganzen ein für allemal erteilt“ sei, sondern auch deshalb, „weil ohne die Sicherheit dass das Werk erscheint, die Fortführung der opfervollen Arbeiten weder den Verfassern noch dem Herausgeber zugemutet werden kann, vielmehr alles ins Stocken geraten würde.“ Weiter heißt es in dem Schreiben an Brecht, das Werk des Vereins Deutscher Ingenieure über die Technik im Weltkrieg sei nunmehr „fertig gedruckt und unterliegt ebensowenig wie die Schwartesche Publikation amtlichen Anfechtungen, obwohl die eine wie die andere Schrift ebenfalls auf Kenntnissen beruht, welche die Verfasser in amtlicher Tätigkeit erworben haben.“ Das von ihm herauszugebende Werk gebe der Reichsregierung, „ganz abgesehen von dem Recht, im Einzelnen Bedenken geltend zu machen“, bereits durch die volkswirtschaftliche Herangehensweise ein größere Gewähr gegenüber der Gefahr einer Instrumentalisierung durch die gegnerischen Mächte: „Aus diesem Grunde würde die Beanspruchung des Rechts, das zweimal genehmigte Werk noch nachträglich ganz oder teilweise zu verbieten, dem deutschen Reich sachlich keinerlei Nutzen bringen können.“ Im Bewusstsein des Wertes seiner Arbeit erklärt Sering abschließend: „Dem deutschen Volke aber würde daraus ein sicherer Schaden in geistiger und volkswirtschaftlicher Hinsicht erwachsen.“ In einem handschriftlichen Vermerk vom 3. August 1922 bat Brecht seinen Referenten Donnevert darum, dem Auswärtigen Amt Abschriften hiervon zukommen zu lassen. Am 16. August 1922 teilte der Chef des Stabes des Heereswaffenamtes dem Reichsinnenministerium mit, dass das Heereswaffenamt „von seinem Buchhändler“ den Prospekt des Seringschen Werkes erhalten habe, den man als Anlage beifüge: „Aufgrund der bisher gepflogenen Verhandlungen bestehen hier ernstliche Zweifel, ob die Herausgabe dieses Prospektes zulässig ist. Das Amt bittet demnach um gefällige weitere Veranlassung.“ Der in den Akten des Reichsinnenministeriums überlieferte Prospekt des kriegswirtschaftlichen Werkes von Sering trägt den Stempel der Berliner Buchhandlung Max Spielmeyer, die auf Architektur und Kunstgewerbe spezialisiert war.

115 BArch, R 1501/108980. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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Im Archiv von Walter de Gruyter stellt ein Schreiben von Prokurist Elster an Sering vom 17. August 1922 den Abschluss der einschlägigen Überlieferung dar. Der Verlag habe „nunmehr die drei Bände des ‚Kriegswirtschaftswerks‘ endgültig kalkuliert und den Ladenpreis auf 300 Mark für einen Band bei Subskription auf alle Neuerscheinungen und auf 360 Mark beim Kauf eines Bandes festgelegt. Man habe hier die fortschreitende Inflation berücksichtigen müssen, „da wir sonst von vornherein mit Verlust arbeiten.“ Ministerialdirektor Brecht war wenige Tage nach dem Verfassungstag am 11. August 1922 mit Reichspräsident Ebert und Reichsinnenminister Köster zur ÜberseeWoche nach Hamburg (vom 17. bis 27. August 1922) gefahren116, so dass sich Ministerialrat Donnevert am 19. August 1922 an Sering wandte. Einleitend schreibt er, dass nach Mitteilung des Reichswehrministeriums gegenwärtig ein Prospekt über das kriegswirtschaftliche Werk durch die Vereinigung wissenschaftlicher Verleger verbreitet werde. Er halte den Prospekt „zur Zeit mindestens für verfrüht“ und forderte Sering nachdrücklich auf, für die „Einstellung der Versendung“ zu sorgen.117 In seinen weiteren Ausführungen erklärt Donnevert: „Wie Ihnen mündlich und schriftlich eröffnet, unterliegt die Frage der Zulässigkeit einer derzeitigen Veröffentlichung Ihres Werkes zur Zeit noch der Prüfung des Auswärtigen Amtes, das ich gleichzeitig um eine Beschleunigung seines Entscheides gebeten habe.“ In eindeutiger Missbilligung des Seringschen Vorgehens heißt es: „Die Anpreisung und der Vertrieb des Werkes vor Eingang der Stellungnahme des Auswärtigen Amts würde dem Sinne und dem Wortlaut der Verhandlungen widersprechen, die in dieser Sache mit Ihnen geführt wurden.“ Schließlich forderte Donnevert den Herausgeber auf, zu den von ihm veranlassten Schritten kurzfristig Stellung zu nehmen und behielt sich selber „weitere Schritte“ vor. Kopien dieses Schreibens erhielten das Reichswehrministerium, das Reichswirtschaftsministerium sowie das Auswärtige Amt, das zusätzlich „um eine baldgefällige Stellungnahme“ gebeten wurde. Die Sensibilität, mit der das kriegswirtschaftliche Publikationsprojekt im Reichsinnenministerium spätestens seit August 1922 behandelt wurde, geht auch aus der Antwort auf ein Gesuch von Professor Seeßelberg von der Technischen Hochschule Charlottenburg hervor. Friedrich Seeßelberg, der als Bearbeiter für das Kriegsbauwesen von Sering verpflichtet gewesen war, hatte sich am 3. August 1922 unter Bezugnahme auf seine Korrespondenz mit dem Heereswaffenamt und dessen Verweis an das Reichinnenministerium an den Innenminister gewandt und um Genehmigung zur Akteneinsicht beim Heereswaffenamt gebeten. Der Antwortentwurf trägt das Datum 23. August 1922 und ist von Staatssekretär von Welser unterzeichnet. Zunächst heißt es hier, dass seitens des Ministeriums keine „Bedenken gegen die Gewährung der Akteneinsicht“ bestünden. Hiermit solle jedoch der Thematik, „ob und wann die Veröffentlichung des Seringschen Werkes über die Deutsche Heereswirtschaft 116 Brecht, Aus nächster Nähe (wie Anm. 100), S. 396. 117 BArch, R 1501/108980. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.

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während des Weltkrieges, innerhalb dessen Sie das Kriegsbauwesen bearbeiten ohne Gefährdung wirtschaftlicher, militärischer oder politischer Interessen erfolgen kann, nicht vorgegriffen werden.“

Die Intervention des Auswärtigen Amts Am 18. August 1922 hatte Oberregierungsrat Bischoff vom Auswärtigen Amt in einer Mitteilung an das Reichsinnenministerium seine Abwesenheit bei der Besprechung am 21. Juli 1922 zur Publikation der Seringschen Werke nachträglich begründet. Die Teilnahme des Auswärtigen Amts sei nicht sinnvoll gewesen, „da die maßgebende Stellungnahme eines Reichsressorts über die in Frage stehende Veröffentlichung noch ausstand.“ Hierbei handele es sich um die wissenschaftliche Abteilung, die dem Staatsvertreter bei den Gemischten Schiedsgerichtshöfen attachiert sei, diese habe im Frühjahr den Wunsch geäußert, von dem Seringschen Werk Kenntnis zu erhalten. Die Korrekturfahnen seien der Abteilung daraufhin „mit der Bitte um eine prinzipielle Stellungnahme“ übermittelt worden. Wegen Abwesenheit des Abteilungschefs sei die gewünschte Beurteilung nicht mehr vor dem 21. Juli 1922 im Auswärtigen Amt eingetroffen. Eine alsbaldige Zusendung an das Reichsinnenministerium „mit den anderen Voten nach politischen und kulturpolitischen Gesichtspunkten“ könne angekündigt werden. Allerdings sei bereits zum jetzigen Zeitpunkt abzusehen, dass alle Stellungnahmen der involvierten „Abteilungen des Auswärtigen Amts und das Votum des Staatsvertreters bei den Gemischten Staatsgerichtshöfen dahin lauten werden, dass eine Veröffentlichung selbst nur eines Teiles des Werkes von Sering für die nächste Zeit keineswegs in Frage kommen könne.“ Das Auswärtige Amt könne der Mitteilung des Reichsinnenministeriums an Sering, dass eine definitive Stellungnahme der Reichsressorts vor einer Druckgenehmigung unbedingt abzuwarten sei, nur voll und ganz beipflichten. Weiter heißt es, sollte es inzwischen nicht mehr möglich sein, „Professor Sering länger hinzuhalten“, müsse eruiert werden, „auf welchem anderen Wege eine Veröffentlichung des Werkes zum mindesten in der nächsten Zeit verhindert werden kann.“ Anschließend wird eine in der Sitzung der Reichsressorts Ende März 1922 in Erwägung gezogene Möglichkeit erwähnt, die in dem von Brecht redigierten Protokoll nicht vorkommt: „Der in der vorletzten Sitzung geplante Ausweg, Professor Sering durch den damaligen Reichsminister des Äußern, Dr. Rathenau, in diesem Sinne auf gütlichem Wege beeinflussen zu lassen, ist durch den Tod von Minister Rathenau leider vereitelt worden.“ Nach Auffassung des Auswärtigen Amts sollte Sering vom Reichsministerium des Innern „noch einmal in gütlicher Weise bestimmt werden“, sein Publikationsprojekt „zurückzustellen“. Andernfalls müsste erwogen werden, „in welcher Weise das Verbot der Veröffentlichung für dauernd oder für bestimmte Zeit erzielt werden kann.“ Die Lösung, die Veröffentlichungsgenehmigung grundsätzlich zu erteilen und allenfalls noch einzelne Korrekturauflagen zu machen und Streichungen zu verlangen, sei „nach der hiesigen Auffassung nicht



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ratsam.“ Abschließend heißt es, unter welchen Modalitäten „bei einem dauernden oder nur für bestimmte Zeit angesetzten Verbot der Veröffentlichung“ die notwendig werdende bedeutende finanzielle Entschädigung des Verlages und der Autoren zu regeln sei, „dürfte wohl nur durch einen Kabinettsbeschluß zu erreichen sein.“ In einer Mitteilung Donneverts an den Leiter der Abteilung I im Reichsinnenministerium, von Welser, vom 24. August 1922 heißt es einleitend, dass er, „dem telephonischen Ersuchen des Auswärtigen Amts entsprechend“, Sering und die Referenten der tangierten Reichsressorts zu einer Besprechung einladen wollte. Dies habe sich aber als nicht durchführbar herausgestellt, da Sering bis Ende September auf Reisen sei: „Die Angelegenheit ist ziemlich dringlich.“ Abschließend bat Donnevert von Welser um eine kurzfristige Rücksprache. Vor diesem Hintergrund begann die Intervention des Auswärtigen Amts zu den vor der Auslieferung an den Buchhandel stehenden drei kriegswirtschaftlichen Werken noch am 24. August 1922 mit einer Besprechung mit Prokurist Elster. In der von Oberregierungsrat Bischoff am selben Tag angefertigten Aufzeichnung heißt es zunächst, „daß eine Verständigung mit dem Verlag, der das Werk herausbringen sollte, der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger, angebahnt“ worden sei. Nach Darstellung des Verlages sei Sering nach der Sitzung im Reichsinnenministerium am 21. Juli 1922 davon ausgegangen, die den Ressorts zustehende Genehmigung für die Publikation als erteilt und sich als berechtig ansehen zu können, dem Verlag die Druckgenehmigung mitteilen zu können. Daraufhin habe der Verlag im Börsenblatt die ersten drei Bände angekündigt und auch schon „eine Reihe von Bestellungen“ erhalten.118 Welche Bedeutung das kriegswirtschaftliche Werk für die Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co. zum Zeitpunkt des geplanten Erscheinens hatte, geht schon allein daraus hervor, dass der Verlag im „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ vom 7. August 1922 eine doppelseitige Anzeige platziert hatte. In der Aufzeichnung des Auswärtigen Amts heißt es weiter, dass Prokurist Elster „über den tatsächlichen, im Gegensatz zu der Ansicht von Geheimrat Sering“ stehenden Sachstand informiert und ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, „dass keineswegs die sämtlichen an der Veröffentlichung interessierten Reichsressorts ihre Genehmigung erteilt hätten.“ Vielmehr seien „der deutsche Staatsvertreter am französisch-deutschen Gemischten Schiedsgerichtshof, das Auswärtige Amt, das Reichswirtschaftsministerium und das Reichswehrministerium nach wie vor einheitlich der Ansicht […] daß von einer, wenn auch nur gekürzten Veröffentlichung der Bände des Werkes im gegenwärtigen Augenblick keine Rede sein könne.“119 Der promovierte Jurist Elster erklärte zu diesen Mitteilungen, dass er aufgrund des bestehenden Vertrages mit Sering „rechtlich an die Weisungen von Geheimrat Sering gebunden sei.“ Zugleich bekundete er „aus Entgegenkommen gegen das Auswärtige Amt“ die Bereitschaft, die Auslieferung der bereits vorbestellten Bücher um zwei Wochen zu 118 PAAA, R 65238. 119 Ebd. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.

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Abb. 10: Verlagsanzeige im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel vom 7. August 1922

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verschieben, „um den Reichsressorts die Gelegenheit zu geben, eine nochmalige Verständigung und Stellungnahme von dem zurzeit nach Finnland verreisten Geheimrat Sering zu geben.“ Weiter heißt es, dass ohnehin seitens des Innenministeriums und des Auswärtigen Amtes vorgesehen gewesen sei, kurzfristig eine „Verständigung“ mit Sering zu erreichen, dies aber wegen dessen reisebedingter Abwesenheit nicht möglich gewesen sei. Elster führte nach der Aufzeichnung abschließend aus, dass der Verlag im Hinblick „auf seine rechtlichen Verpflichtungen dem Autor und den Bestellern gegenüber“ die Auslieferung der Bücher nicht länger als zwei Wochen hinauszögern könne. Vor diesem Hintergrund wurde vom Referat VI D des Auswärtigen Amts die Überlegung angestellt, „in welcher Weise die endgültige Stellungnahme der Reichsressorts, vor allem des deutschen Staatsvertreters am Gemischten Schiedsgerichtshof, Herrn Geheimrat Sering mitzuteilen wäre […]“. Außerdem müsse geklärt werden, wie der Verlag bzw. Sering an der Publikation gehindert werden könnte, falls der Herausgeber nicht bereit sein sollte, „die Veröffentlichung des Werkes zunächst zu verschieben“, als letztes Mittel, „vermutlich durch einen Kabinettsbeschluss […]“. In einem Vermerk von Donnevert vom 26. August 1922 an von Welser heißt es einleitend, dass das Auswärtigen Amt mitgeteilt habe, „die Bedenken des Staatskommissars für Auslandsschäden gegen jede Veröffentlichung des Seringschen Werkes seien außerordentlich groß und gerechtfertigt. Er befürchte schwere materielle Schädigungen des Deutschen Reichs im Falle der Veröffentlichung.“ Weiter habe Oberregierungsrat Bischoff fernmündlich darüber informiert, dass der Verlag seine Bereitschaft erklärt habe, weitere Schritte zur Publikation in den nächsten beiden Wochen nicht zu unternehmen, „insbesondere will er nicht die bereits fertiggestellten Bände der Anweisung des Prof. Sering entsprechend an eine Reihe von Adressen zur Versendung bringen.“ Da es unbedingt notwendig sei, mit Sering in dieser Angelegenheit in Kontakt zu treten, werde die Deutsche Gesandtschaft in Helsingfors versuchen, mit ihm in Verbindung zu kommen und ihm empfehlen, seine Zustimmung „zur einstweiligen Nichtveröffentlichung“ zu erklären. Als Antwort auf ein Telegramm vom 25. August 1922 teilte die Deutsche Gesandtschaft in Helsingfors dem Auswärtigen Amt mit: „Geh. Rat Sering bittet Verlagsvereinigung wissenschaftlicher Verleger mitteilen, daß Veröffentlichung und Auslieferung bisher gedruckter Bände über Kriegswirtschaft auf Ersuchen Reichsregierung bis zu seiner Rückkehr aufgeschoben werden möchte“, die einen Monat später erfolgen sollte: „Geheimrat Sering kehrt am 25. September nach Berlin zurück und wird dann sofort eine nochmalige endgültige Fühlungnahme mit den verschiedenen Ressorts der Reichsregierung aufnehmen.“ Dieses Schreiben Bischoffs an die Vereinigung wissenschaftlicher Verleger wurde abschriftlich von Bischoff an Donnevert gesandt, der die anderen Ressorts unterrichten sollte.120 Das Reichswehrministerium hatte sich im August 1922 wegen des Seringschen Publikationsprojektes sogar an den Reichskanzler gewandt und gebeten, bei dem Reich120 BArch, R 1501/108980. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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sinnenminister darauf hinzuwirken, „daß die Veröffentlichung des Weyrauch’schen Buches im jetzigen Zeitpunkt unterbleibt“, wie aus einem Schreiben des Staatssekretärs Hemmer in der Reichskanzlei an den Reichsminister des Innern vom 30. August 1922 hervorgeht. Abschließend heißt es hier: „Mit Rücksicht auf die vom Reichswehrministerium befürchteten schweren Folgen, die eine Veröffentlichung des Buches nach sich ziehen würde, wäre der Herr Reichskanzler vor weiterem für eine baldgefällige Mitteilung der dortigen Stellungnahme dankbar.“ Als erste Reaktion auf die ablehnende Haltung des Reichswehrministeriums wandte sich das Reichsfinanzministerium bereits am 6. September 1922 an das Reichsinnenministerium. Regierungsrat Worbs erklärt hier einleitend: „Die Würdigung der Frage, ob die Befürchtungen des Reichswehrministeriums nicht zu weitgehend sind, bitte ich mich zu beteiligen.“ Überaus bemerkenswert ist der folgende Satz des Schreibens: „Mir erscheint es fraglich, ob die dargelegten Schlussfolgerungen berechtigt sind und Anlass geben sollen, die Veröffentlichung zu verhindern.“ Außerdem sollten die mit der Unterdrückung der Publikation für die Reichskasse verbundenen Ausgaben berücksichtigt werden. Am 7. September 1922 informierte Donnevert den Reichswirtschaftsminister, den Reichsarbeitsminister, den Reichswehrminister, den Reichsschatzminister und den Reichsfinanzminister darüber, dass der Verlag sich mit dem „Ersuchen“ von Sering um Aufschiebung bis zu seiner Rückkehr am 25. September 1922 einverstanden erklärt habe. Zur Legitimation der einschlägigen Aktivitäten heißt es hier, bei den Verhandlungen mit dem Herausgeber sei vereinbart worden, „daß vor endgültiger Stellungnahme des Auswärtigen Amts die weitere Veröffentlichung und die Auslieferung der bisher gedruckten Bände aufzuschieben sei.“ De facto seien durch die Vereinigung wissenschaftlicher Verleger auf Weisung von Sering dem entgegenstehende Fakten geschaffen worden: „Da inzwischen seitens des Auswärtigen Amts außerordentlich schwere Bedenken gegen die Veröffentlichung erhoben wurden, wurde Geheimrat Sering durch Vermittlung der Gesandtschaft in Helsingfors ersucht, den Verlag umgehend anzuweisen, die weitere Veröffentlichung und die Auslieferung der bisher gedruckten Bände bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland aufzuschieben.“ Am 8. September 1922 antwortete das Reichsministerium des Innern Staatssekretär Hemmer mit einem Schreiben von Ministerialrat Kaisenberg aus der Abteilung von Brecht. Bei dem Werk von Weyrauch handele es sich um einen Band des von Sering „herausgegebenen Gesamtwerkes über die Kriegswirtschaft“, das schon mehrfach Gegenstand von Erörterungen der tangierten Reichsressorts gewesen sei: „Neuerlich sind seitens des Auswärtigen Amts und seitens des Reichswehrministeriums erneut erhebliche Bedenken gegen die Veröffentlichung des Gesamtwerkes oder einzelne Teile desselben geltend gemacht worden; zur Erörterung derselben beabsichtige ich, demnächst die beteiligten Ressorts einzuladen.“ In der Zwischenzeit sei es gelungen, sowohl vom Herausgeber als auch vom Verlag die verbindliche Zusicherung zu erreichen, dass bis zur Rückkehr von Sering aus Finnland Ende September und bis zur definitiven Stellungnahme der Ressorts eine Publikation und Auslieferung der Werke nicht erfolge: „Sollten sich die erhobenen Bedenken nicht beseitigen oder eine gütliche Einigung

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mit dem Herausgeber und Verlag nicht erreichen lassen, so werde ich mich mit entsprechenden Anträgen an das Kabinett wenden.“ Am 8. September 1922 traf auch das in Finnland verfasste Antwortschreiben von Sering im Reichsinnenministerium ein, in dem er zu der Aufforderung von Donnevert vom 19. August 1922, die weitere Prospektverteilung zu unterlassen, Stellung nahm: „Das demnächstige Erscheinen des Werkes über die deutsche Kriegswirtschaft ist schon vor längerer Zeit von der Firma Mittler, und zwar unter Mitteilung der ganzen Disposition und unter Hervorhebung der drei zuerst erscheinenden durch Versenden von Prospekten bekannt gemacht worden.“ Weiter schreibt Sering: „Die nochmalige Ankündigung teilt also nichts Neues mit.“ Der Verlag sei hierzu nach seiner Auffassung völlig berechtigt gewesen, zumal die Genehmigung zur Publikation des Werkes bereits zweimal erteilt worden sei: „Die Verpflichtung, eine neue generelle Genehmigung einzuholen, habe ich stets bestritten. Die Frist zur Anmeldung spezieller Bedenken ist vom Auswärtigen Amt nicht eingehalten worden.“ In der jüngsten Besprechung mit den beteiligten Reichsressorts sei ein Vertreter des Auswärtigen Amts nicht anwesend gewesen. Dennoch habe er „aus gutem Willen, nicht aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung“ zugestimmt, den Verlag zu bitten, mit der Auslieferung der gedruckten Bände bis zu seiner Rückkehr Ende September zu warten. Er werde dann ein weiteres Gespräch mit den Vertretern der Reichsressorts führen und bitte darum, hierzu auch Herrn von Crayen als Vertreter der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger einzuladen. In einer weiteren Stellungnahme Serings vom 28. September 1922 teilte dieser Ministerialrat Donnevert mit, dass für ihn ein Besprechungstermin ab Mitte Oktober möglich sei. Zugleich ersuchte er darum, das Auswärtige Amt zu bitten, ihm bis dahin diejenigen Stellen zukommen zu lassen, „gegen welche sich seine Bedenken richten.“ Weiter bat er „für den allerdings unwahrscheinlichen Fall“, dass seine Autoren und er von der „Notwendigkeit“ überzeugt werden sollten, auf eine Herausgabe des Werkes zu verzichten, beim Finanzministerium zu sondieren, welche „Entschädigung“ für die Beteiligten zur Verfügung stünde. Hierbei gehe es „um einen großen Betrag“. Was ihn selber anbelange, so falle „der Verlust des geringen Herausgeberhonorars wenig ins Gewicht“, jedoch habe er „sieben Jahre der Kriegswirtschaft und dem Zustandekommen des Werkes gewidmet, dessen Leitung ich auf Ersuchen des Kriegsministeriums übernommen hatte.“ Die Durchführung dieses Auftrages habe ihn zum Verzicht auf das schon lange geplante Vorhaben, in einem großen agrarwissenschaftlichen Werk „die Summe meines eigentlichen Lebenswerkes zu ziehen“ gezwungen. Dieses Werk werde nun von Professor Skalweit, einem seiner Schüler, verfasst, der sich hierbei nach eigener Aussage in hohem Maße auf seine „Vorarbeiten“ stütze. Wäre er nicht durch die zeitaufwändige Arbeit an dem kriegswirtschaftlichen Werk verhindert gewesen, so hätte er selber für sein „geistiges Erbe sorgen können“ und seinen Erben noch gute Einkünfte verschafft. Auch sah Sering bereits für sich einen Ansehensverlust im Falle der Unterdrückung des kriegswirtschaftlichen Werkes. Abschließend bat Sering darum, neben von Crayen auch Weyrauch, Goebel und Stellwaag zu



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der Sitzung einzuladen. In einer erneuten Mitteilung an Donnevert vom 3. Oktober 1922 bezifferte Sering den Gesamtbetrag der Entschädigungssumme auf 150 bis 180 Millionen Mark, wobei die Ansprüche des Verlages noch nicht berücksichtigt seien. Handschriftlich fügte Sering hinzu: „Unser Ziel ist nicht die Entschädigung, sondern die Veröffentlichung“.

Die Reichsressorts und die „Verschiebung“ des Publikationsprojektes Mit Schreiben vom 9. Oktober 1922 wurden die Vertreter der tangierten Reichsressorts sowie Sering, von Crayen, Weyrauch, Goebel und Stellwaag vom Innenministerium zu einer Sitzung am 16. Oktober 1922 eingeladen. Am selben Tag bat Brecht Donnevert um „Bericht über die Stellung des AA.“ In der Sitzung im Reichsministerium des Innern waren das Reichswehrministerium, das Reichsfinanzministerium, das Reichsschatzministerium, das Reichswirtschaftsministerium, das Reichsarbeitsministerium und das Auswärtige Amt vertreten. Die Sitzungsleitung hatte Ministerialrat Donnevert inne, zeitweise auch Ministerialdirektor Brecht, wie es in der Aufzeichnung des Auswärtigen Amts heißt. Dieses war mit zwei Angehörigen, Oberlandesgerichtsrat Froelich, der dem Referat der Rechtsabteilung für Schiedsgerichte angehörte, und Oberregierungsrat Bischoff vertreten.121 Anwesend war zudem der Jurist Josef Partsch, der von der Bonner Universität seit Februar 1922 zum Auswärtigen Amt in Berlin als fachwissenschaftlicher Berater der Staatsvertretungen des Deutschen Reiches bei den Gemischten Schiedsgerichten beurlaubt war.122 Einleitend erklärte Donnevert, seit der letzten Besprechung der Ressorts, „die eine gewisse Aussicht hinsichtlich der Ermöglichung der Veröffentlichung gegeben habe, seien seitens des Auswärtigen Amts neue schwere Bedenken gegen die Veröffentlichung geltend gemacht, von Seiten des Reichswehrministeriums die alten erneut unterstrichen worden.“ Hiermit sei die Frage der Verschiebung der gesamten Publikation „neuerdings akut geworden.“ Vor diesem Hintergrund sollten zunächst die Bedenken noch einmal diskutiert und sodann die Frage geprüft werden, welche Rechtsmittel für eine „Hinausschiebung“ oder eines Verbots gegeben seien und welche rechtlichen Verpflichtungen für den Staat sich eventuell stellen könnten. Danach könne die Unterredung mit Sering, seinen Mitarbeitern und dem Vertreter des Verlages beginnen. Als Sprecher des Auswärtigen Amts trugen anschließend Froe­ lich und Partsch „die schweren Bedenken vor, die vom Standpunkt der Vertretung Deutschlands bei den gemischten Kriegsgerichtshöfen einer Veröffentlichung des Sering’schen Werkes entgegenständen.“ Nach deren Auskunft bildete die Kriegsroh121 PAAA, R 65238. 122 Mitteilung von Herrn Dr. Gerhard Keiper vom Politischen Archiv des Auswärtigen Amts vom 13. Juli 2016.

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stoffbewirtschaftung in den besetzten Gebieten eine zentrale Frage bei den Schiedsgerichten. Hierzu sei die Frage aufgekommen, ob die vom Deutschen Reich aufzubringenden Entschädigungen für Beschlagnahmungsmaßnahmen und dergleichen unter die Reparationsverpflichtungen zu subsummieren seien oder separat gelöst werden müssten. Die Publikationen von Sering, besonders jedoch die Werke über die Bewirtschaftung der Spinnstoffe und über das Waffen- und Munitionswesen gäben der gegnerischen Seite „sehr erhebliche Waffen in die Hand und entzögen der Verteidigung des deutschen Standpunkts zum Teil völlig den Boden.“ Die Folgen könnten Milliardenzahlungen durch das Reich sein. Aus wissenschaftlicher Sicht betrachtet sei das Werk „unzweifelhaft von höchster Bedeutung.“ Nicht nur aus der persönlichen Perspektive der Autoren, „sondern auch vom wissenschaftlichen Standpunkt wäre seine Nichtveröffentlichung außerordentlich zu beklagen und schwer zu ertragen.“ Im Hinblick auf die deutschen Interessen in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht müsse aber auf jeden Fall eine Verschiebung der Publikation bis zur abschließenden Klärung der beschriebenen Sachverhalte verlangt werden. Die Sprecher des mit fünf Vertretern in der Sitzung anwesenden Reichswehrministeriums, Wurtzbacher und Michelis, führten aus, dass die Vorbehalte des Reichswehrministeriums nicht allein wirtschaftlicher, sondern primär militärischer Art seien: „In dieser Hinsicht müsse gerügt werden, daß dem Gegner nicht nur das Material der Vergangenheit, sondern auch umfassendes Material hinsichtlich der künftig möglichen Entwicklung geliefert werde. Die wichtigsten technischen Einzelheiten würden ihm in die Hand gegeben.“ Das Werk über das Waffen- und Munitionswesen enthalte beispielsweise bezüglich „der Munitionsverordnung Kurventabellen, die ganz geheim und während des Krieges nur in fünf Geheimexemplaren vorhanden gewesen seien; es sei nicht bekannt, wie diese Tabellen in den Besitz des Prof. Sering gekommen seien.“ Diese gäben „der Entente außerordentlich wichtige und für die Zukunft höchst bedenklich Aufschlüsse.“ Insbesondere sei aber auch auf den Umstand hinzuweisen, dass die andere Seite auf eine Verlängerung der Arbeit der militärischen Kontrollkommission hinarbeite. Dies betreffe insbesondere auch die Thematik des nicht zerstörten Kriegsgeräts bzw. dessen Verbleib. Hier sei die Kontrollkommission besonders bestrebt, die produzierten Waffen- und Munitionsmengen zu ermitteln: „Zu dem deutschen Vortrag, daß die diesbezüglichen Unterlagen nicht mehr zu beschaffen seien, unternehme das Sering’sche Werk zum Teil den gegenteiligen Nachweis.“ Der Vertreter des Reichsschatzministeriums, Linnebach, erklärte anschließend, dass sowohl aus der Sicht seines Ministeriums als auch vom Standpunkt des Ministeriums für Wiederaufbau die gegenwärtige Publikation des Werkes von Sering „unter allen Umständen bekämpft werden“ müsse. Oberregierungsrat Feldbausch vom Reichswirtschaftsministerium teilte mit, dass seinem Haus die Fahnenabzüge der Werke von Goebel, Weyrauch und Stellwaag „zur Prüfung“ eingereicht worden seien „und dass vom Standpunkt seines Ministeriums Bedenken gegen die Veröffentlichung nicht zu erheben seien. Eine Gefahr für die deutsche Wirtschaft bestehe durch die Veröffentlichung nicht.“ Andererseits könnten dem Wirtschaftsmi-



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nisterium die Einwände der anderen Reichsressorts nicht gleichgültig sein und man schließe sich ihnen deshalb an. Der Sprecher des Reichsfinanzministeriums, Ministerialrat Peckert, führte aus, dass das Werk zum 1. April 1920 abgeschlossen sein sollte. Die bis dahin angefallenen Sach- und Personalkosten (die Mitarbeiterzahl habe bis zu 68 Personen betragen) seien in Höhe von rund 150 000 Mark vom Reich übernommen worden. De facto sei das Werk von Sering zum 1. April 1920 nicht abgeschlossen gewesen und der Verlag E.S. Mittler & Sohn „habe keine Neigung zur Ausführung des Vertrages mehr begründet.“ Daraufhin habe Sering mit der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger einen neuen Verlagsvertrag abgeschlossen und die Bedingung des Reichsfinanzministeriums akzeptiert, vor der Publikation des Werkes dieses „einer Durchsicht und Druckgenehmigung seitens der beteiligten Reichsressorts [zu] unterwerfe[n] “, wobei zunächst eine Frist von acht Tagen bestanden habe. Später habe Sering in eine Fristverlängerung „ohne genauere Umgrenzung derselben eingewilligt.“ Hieraus ergebe sich nach seiner Auffassung, dass zumindest für die Zeit bis 1920 ein Entschädigungsanspruch des Herausgebers und seiner Autoren nicht bestehe. Ebenso sehe er für die folgende Zeit bei einer Verschiebung oder Unterbindung der Publikationen keinen Rechtsanspruch auf Entschädigungszahlungen. Anschließend nahm der Jurist Donnevert eine Differenzierung vor, indem er erklärte: „Es sei der strafrechtliche und zivilrechtliche Standpunkt zu unterscheiden.“ An erster Stelle gehe es um Paragraph 92 des Strafgesetzbuches, „dessen Abschnitt unbestreitbar das Mittel zur Unterdrückung oder Hinausschiebung der Veröffentlichungen an die Hand gebe, wobei natürlich dieses Mittel nur als ultima ratio in Betracht käme und eine gütige Regelung unter allen Umständen vorzuziehen sei.“ Zur „zivilrechtlichen Seite“ stellte Donnevert, abweichend von der Stellungnahme des Vertreters des Reichsfinanzministeriums, fest, dass der Herausgeber „die Druckfahnen in weitem Umfang, wenigstens dem Reichswirtschaftsministerium, vorgelegt und dessen Plazet erhalten habe.“ Weiter erklärte er: „Er habe daher, zumal andere Ressorts zur Kontrolle sich nicht meldeten, sich vielleicht zur Inangriffnahme der Veröffentlichung berechtigt fühlen können, jedenfalls liege hier ein schwacher Punkt in der zivilrechtlichen Stellung des Reichs vor.“ Zutreffend sei jedenfalls die Einschätzung des Reichsfinanzministeriums, „daß etwaige Rechte nur dem Geheimrat Sering und seinen Mitarbeitern, nicht aber dem Verlag zuständen.“ Auch wenn man unter diesem Aspekt eine gewisse Entschädigungspflicht nicht von der Hand weisen könne, so seien dennoch die von Sering genannten Summen als überhöht zurückzuweisen. Seitens des Reichswehrministeriums wurde danach erklärt, dass Sering sich beim Kriegsministerium zu ehrenamtlicher Tätigkeit angeboten habe. Zugleich wurde darauf verwiesen, dass außer dem Paragraphen 92 des Strafgesetzbuches ebenfalls „das Gesetz über den Verrat militärischer Geheimnisse“ infrage käme. Für den Fall, dass eine einvernehmliche Lösung nicht erreicht werden könne, müsse das Reichswehrministerium „sofort und unter Inanspruchnahme des Oberreichsanwalts die nötigen Schritte zur Verhinderung der Veröffentlichung tun.“

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Der anwesende Vertreter des Reichsarbeitsministeriums, Regierungsrat Dr. Foth, erinnerte daran, dass bereits in einer früheren Sitzung von seinem Ministerium der Vorschlag unterbreitet worden sei, „die Zensur des Werkes einer geeigneten Persönlichkeit zu übertragen“, diese Lösung halte er nach wie vor für sinnvoll. Zu der Frage, ob im Falle von Korrekturen oder Streichungen „die drei bisher fertiggestellten Bände erscheinen könnten“, gingen die Vorstellungen der Sitzungsteilnehmer auseinander. Bei den Werken von Stellwaag und Weyrauch war die Meinung vorherrschend, dass eine Publikation „bei „entsprechender Streichung oder Änderung“ erfolgen könne. Dagegen bestand bei dem Band über die Bewirtschaftung der Spinnstoffe von Goebel die Auffassung, dass die Korrekturen so weitgehend erfolgen müssten, dass dann weder für die Leser noch für den Autor eine Veröffentlichung noch von Interesse sei. Donnevert fasste das Ergebnis des bisherigen Sitzungsverlaufs in der Feststellung zusammen, dass eine Publikation der bereits vorliegenden Bände gegenwärtig ohne Änderungen und Streichungen nicht möglich sei, „und daß dem Kabinett, falls eine Einigung mit Prof. Sering nicht zu erzielen sei, das Verbot der Veröffentlichungen vorgeschlagen werden müsse.“ Im Anschluss an die internen Erörterungen wurden Sering und seine Mitarbeiter Stellwaag, Büsselberg („Die Heeresverpflegung“), Weyrauch und Goebel sowie Prokurist Elster von der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger hinzugezogen. Nach einem Kurzbericht von Donnevert übergab dieser das Wort an Froelich und Partsch zu näheren Erläuterungen, wie es in der Niederschrift heißt. Zu diesen Ausführungen drückte Sering sein Bedauern darüber aus, dass man inzwischen „wieder mit ganz neuen Argumenten komme“, wenngleich er deren „Gewicht“ gegenwärtig nicht in Abrede stellen könne, jedoch sei deren „Stichhaltigkeit“ noch genauer zu prüfen. Unter Umständen gehe es so wie bei den Einsprüchen, die zunächst von der Industrie gekommen und mittlerweile komplett erledigt seien: „Er habe die Empfindung, dass besonders seitens des Auswärtigen Amtes mehr mit allgemeinen Befürchtungen operiert als mit tatsächlichen Verhältnissen gearbeitet werde.“ Man dürfe auch nicht übersehen, dass der Großteil dessen, was hier zur Publikation komme, schon anderweitig „veröffentlicht oder sonst zur Kenntnis des Feindes gekommen sei.“ Jedenfalls bitte er um Mitteilung der beanstandeten Passagen. Falls sich „einzelne Bedenken“ als stichhaltig darstellen, seien er und seine Autoren hier zu „Streichungen“ bereit, wobei er jedoch auf eine finanzielle Kompensation hinwies. Nachdem Froelich und Partsch ihre Argumente vorgetragen hatten, erklärte Goebel, „dass in seinem Buche nichts enthalten sei, was der Feind nicht bereits wisse.“ Beispielsweise seien die kompletten Akten der Rohstoffstelle in Brüssel in die gegnerischen Hände gefallen, damit könne er über Belgien keine unbekannten Tatsachen bringen: „Er sei im Gegenteil der Auffassung, dass das Werk Deutschland nur nützen könne insofern es nachweise, dass trotz dringender Not Deutschland die besetzten Gebiete milder als das eigene Land behandelt habe.“ Auch werde in seinem Buch nachgewiesen, dass die Beschlagnahmungen „zur Sicherung der Bestände“ erfolgten, nicht jedoch im deutschen industriellen Interesse, „das Interesse der besetzten Gebiete“ sei „tun-



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lichst gewahrt“ worden. Partsch wiedersprach Goebel am Beispiel „spezieller Fälle“, wie es in der Aufzeichnung des Reichsinnenministeriums heißt. Zur Frage, wann die aktuellen, gegen eine Publikation sprechenden Vorbehalte nicht mehr bestünden, ließ sich nach den Aussagen der verschiedenen Ressortvertreter nichts Konkretes sagen. Es sei denkbar, dass einige Bedenken erst in Jahren, andere aber bereits in wenigen Monaten nicht mehr relevant seien. Weyrauch äußerte danach sein Einverständnis mit dem Wegfall der vom Reichswehrministerium beanstandeten Tafeln, womit die Vertreter dieses Ministeriums einen ihrer wesentlichen Kritikpunkte als erledigt betrachteten. Darüber hinaus bekundete Weyrauch explizit seine Bereitschaft zu weiteren Konzessionen. Die Seringsche Frage, ob Bedenken gegen das Buch von Stellwaag bestünden, wurde verneint. Das Reichswehrministerium und das Auswärtige Amt teilten mit, sie wollten das Werk „einer schleunigen Nachprüfung unterziehen und berichten.“ Auch hinsichtlich des Buches von Goebel sollten weitere Besprechungen mit den tangierten Ressorts stattfinden. In der Aufzeichnung wird bemerkt, dass hier eine Einigung weniger wahrscheinlich sei, da die Streichung der umstrittenen Passagen „nach Auffassung des Professor Göbel sozusagen das Rückgrat des Buches wegnimmt.“ Zu dem für die Reichsressorts wichtigsten Ergebnis der folgenden Unterredung heißt es in der Aufzeichnung von Froelich: „Es ergab sich, dass von den sämtlichen Beteiligten ein loyales Vorgehen erwartet werden darf. Der Verlag wird dafür sorgen, dass die vorhandenen Exemplare nicht in die Öffentlichkeit gelangen, bis die Frage der Genehmigung zu dieser Veröffentlichung gelöst ist.“ In einem ersten Schritt sollten die Autoren Stellwaag und Goebel mit Partsch und Weyrauch mit Wurtzbacher Kontakt aufnehmen. Weiter ist zu lesen: „Da die Beiträge noch der Prüfung bedürfen, so richteten die Vertreter der einzelnen Ressorts an die Vertreter des Verlags die Bitte, ihnen zu treuen Händen insgesamt 10 Exemplare zu überlassen, 6 davon sollten zur Verfügung des Auswärtigen Amts gestellt werden […]“. Von dort aus werde man mit dem Wiederaufbauministerium und seinen nachgeordneten Stellen in Verbindung treten.123 Abschließend heißt es in der internen Aufzeichnung von Froelich, die Federführung solle auch weiterhin beim Reichsministerium des Innern liegen. Zu prüfen sei, ob die anderen Werke zur Kriegswirtschaft, die sich noch in Vorbereitung befänden, von der Publikation auszuschließen seien und ob die Arbeiten an dem gesamten Reihenwerk aufgegeben werden sollten oder nicht.

Der vergebliche Kampf von Herausgeber und Autoren Bereits einen Tag nach der Sitzung der Reichsressorts nahm das Auswärtige Amt gegenüber dem Reichsinnenministerium zu dem Werk über das Waffen- und Munitionswesen schriftlich Stellung. Der Hintergrund ist sicher darin zu sehen, dass Reichs­ 123 PAAA, R 65238.

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innenminister Köster hierzu von Arbeits- und Ernährungsminister Keil des Landes Württemberg einen Brief erhalten hatte, der wiederum auf eine persönliche Vorsprache Weyrauchs zurückging.124 Einleitend heißt es in dem Schreiben vom 17. Oktober 1922, dass gegen eine Publikation des Buches von Weyrauch auch seitens des Amts „erhebliche Bedenken“ bestünden: „Sie würde insbesondere den interalliierten militärischen Überwachungsausschüssen Material liefern, das ihnen erwünschte Veranlassung gäbe, ihre Tätigkeit noch weiter zu verlängern, und weitere Forderungen auf Abrüstung und Umstellung in der Industrie zu stellen.“ In Übereinstimmung mit dem Reichswehrministerium müsse konstatiert werden, „dass die Veröffentlichung des Weyrauch’schen Werkes und der Kurven bis auf weiteres verhindert werden muss.“ Zugleich seien konkrete Schritte zu unternehmen, um zu gewährleisten, dass nicht „auf irgendwelchen Umwegen Bürstenabzüge dieses Werkes in unberufene Hände geraten.“ Der in Stuttgart lehrende Weyrauch hatte sich eine Woche vor der Sitzung der Reichressorts mündlich und schriftlich an Minister Keil gewandt. In seiner schriftlichen Erklärung vom 9. Oktober 1922 heißt es, sein Manuskript habe „monatelang beim Reichswehrministerium zur Durchsicht“ gelegen, die Änderungswünsche seien von ihm komplett ausgeführt worden. Anschließend sei sein Werk noch um ein Fünftel gekürzt „und dabei überall auf möglichst ruhige Fassung aller Urteile“ geachtet worden. Zu den „Einwänden“ gegen die Publikation seines Werkes führt Weyrauch aus, dass sich hiergegen zunächst das Waffenamt gewandt habe: „Eine sachlich ausreichende Begründung hat es nie gegeben.“ Allerdings komme seine Arbeit zu völlig unterschiedlichen, „für die Rüstungsfähigkeit Deutschlands viel ungünstigeren Ergebnissen als die populäre etwas ruhmrednerische Darstellung“ des heutigen Chefs des Heereswaffenamts, Wurtzbacher in dem Reihenwerk von Schwarte. Auch vom Reichswirtschaftsministerium sei Widerstand gekommen, „das hierzu von Angehörigen der chemischen Industrie veranlasst war.“ Am 11. März 1922 habe ihm Sering schriftlich erklärt: „Ihre Darstellung ist ganz ausserordentlich lehrreich und wird zu einem Standardwerk werden.“ Weyrauch führt weiter aus, die Fahnenabzüge seines Werkes hätten vier Reichsministerien zur Prüfung vorgelegen und er habe die „übermittelten Bedenken“ vollständig berücksichtigt. So bleibe zur Unterdrückung der Veröffentlichung in sachlicher Hinsicht „nur die unbestimmte scheinbar auch vom Auswärtigen Amt geteilte Befürchtung, das Werk könne der Entente zu verschärfter Kontrolle der Industrie oder zu Schädigungen vor den internationalen Ausgleichsgerichten Vorwände geben.“ Wenn hierzu eine Arbeit dienen könne, dann diejenige von Wurtzbacher und nicht seine, „deren scharfe Kritik im Gegenteil unseren Feinden zeigen muss, wieviel weniger leistungsfähig wir waren als sie glaubten.“ Auch zeige er auf, welche Bedingungen eine „industrielle Mobilmachung“ erfüllen müsse „und beweise damit aufs Klarste, dass wir zu einer solchen auf absehbare Zeit überhaupt nicht in der Lage sind.“ Vom Frühjahr 1918 bis Herbst 1922 habe er an seiner Darstel124 BArch, R 1501/108980. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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lung als „Privatmann und Gelehrter gearbeitet, trotz schwerer Belastung an der Hochschule.“ Abschließend erklärt Weyrauch: „Bisher habe ich für meine Arbeit seitens der Reichsbehörden nur Hemmungen und rücksichtslose Verschleppungen ohne den leisesten Versuch einer Begründung dieser Hemmungen erfahren.“ In dem von Ministerialrat Kaisenberg verfassten Entwurf des Antwortschreibens an Arbeits- und Ernährungsminister Keil in Stuttgart, das zur Unterzeichnung durch Reichsinnenminister Köster vorgesehen war, wird zunächst darauf hingewiesen, dass „gegen die derzeitige Veröffentlichung“ des kriegswirtschaftlichen Werkes von Sering verschiedene Reichsministerien, besonders aber vom Auswärtigen Amt und vom Reichswehrministerium gravierende Vorbehalte bestünden, „die im Falle der unveränderten alsbaldigen Veröffentlichung ernstliche wirtschaftliche, militärische und finanzielle Schädigungen in Aussicht stellen.“ Da auf der anderen Seite die wissenschaftliche Relevanz des Gesamtwerkes und die Autoreninteressen gegen die Verzögerung der Publikation sprächen, werde gegenwärtig der Versuch unternommen, „durch entsprechende Änderungen und Kürzungen im Text die Veröffentlichung doch möglich zu machen.“ In dieser Hinsicht hätten sich in der letzten Sitzung besonders für das Weyrauchsche Werk „günstige Aussichten eröffnet.“ Grundsätzlich wird erklärt: „Jedenfalls geschieht seitens meines Ministeriums alles, um in dieser Frage die Interessen des Reichs mit denen der Wissenschaft und der Autoren in Einklang zu bringen.“ Abschließend heißt es, der „von Ihnen erwähnte General Wurtzbacher“ habe sich gegenüber Professor Weyrauch „durchaus entgegenkommend hinsichtlich der Beseitigung der der Veröffentlichung entgegenstehenden Schwierigkeiten gezeigt.“ Brecht fügte auf dem Antwortentwurf noch handschriftlich hinzu: „Meine Referate bemühen sich weiter in dieser Richtung.“ Ebenfalls einen Tag nach der Sitzung hatte sich Sering schriftlich an Donnevert gewandt und sprach hier einleitend die in der Besprechung vertagte Entschädigungsfrage an: „Da wir im Auftrage des Reichs die Arbeit ausgeführt haben, macht sich, wie mir scheint, das Reich entschädigungspflichtig, wenn es nunmehr das Erscheinen des Werkes verbietet.“ Beruhe die Nichtveröffentlichung auf der Basis einer Vereinbarung, so hänge die Entschädigungshöhe natürlich von der Vereinbarung ab. Er und seine Mitarbeiter seien nur für den Fall einer Entschädigung zu einer Vereinbarung bereit: „Der Schaden besteht viel weniger in dem Wegfall des Honorars, als darin, dass wenn das Buch nicht in den Handel kommt, wir der Früchte von vielen Jahren unseres Lebens in Bezug auf unser Ansehen als Schriftsteller und Gelehrte beraubt werden.“ Offensichtlich hatte Sering zu dieser Zeit die Hoffnung auf eine Realisierung seines großen Publikationsprojektes bereits aufgegeben. Weniger als einen Monat später erhielt Donnevert von Sering die telefonische Mitteilung, dass Goebel bei einer „Rücksprache“ mit seinem Professorenkollegen Partsch die Überzeugung gewonnen habe, „daß seine Bearbeitung nicht ohne Schädigung des Reichs erscheinen könne. Damit sei diese Angelegenheit erledigt.“ Weiter teilte Sering mit, dass nach seinem Eindruck die Bedenken von Partsch gegenüber der Publikation von Stellwaag nicht mehr bestünden und es sich deshalb empfehle,

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so schnell wie möglich „die formellen Hindernisse“ für eine Publikation aus dem Weg zu räumen. Bezüglich des Werkes über das Waffen- und Munitionswesen stellte Sering fest, dass das Reichswehrministerium „Beschleunigung“ zugesagt habe, de facto aber nichts geschehe. Donnevert erklärte gegenüber Sering, sich beim Reichswehrministerium um eine schnellere Bearbeitung zu bemühen. Abschließend heißt es in dem Vermerk von Donnevert, dass ihm kurz danach Partsch die telefonische Mitteilung habe zukommen lassen, dass dessen „Bedenken wegen der Veröffentlichung von Stellwaag“ noch nach wie vor bestünden. Eine weitere Sitzung der Reichsressorts zu dem Seringschen Werk, zu der der Herausgeber nicht geladen war, fand am 6. November 1922 statt. Ein Vertreter des verhinderten Donnevert nahm hier teil und berichtete ihm. Zunächst heißt es, dass Konsens darüber erzielt worden sei, dass das Buch über das Waffen- und Munitionswesen bis auf weiteres nicht publiziert werden dürfe und das „Maßnahmen“ getroffen werden müssten, „um die schon gedruckten Exemplare sicherzustellen.“ Das Werk über die Spinnstoffe dürfe ebenfalls nicht publiziert werden, „solange noch Prozesse vor den gemischten Gerichtshöfen über Vermögensansprüche ehemals feindlicher Ausländer wegen Eigentumsverletzungen während des Krieges schweben […]“. Durch seine präzise Darstellung des organisatorischen Aufbaus der deutschen Kriegsrohstoffwirtschaft, besonders der für Beschlagnahmungen zuständigen Stellen, könnte es „als Prozeßinstruktion“ dienen. Das Werk von Stellwaag zur Eisenwirtschaft sei bisher noch nicht Beratungsgegenstand gewesen, die übrigen Reichsressorts erwarteten vom Innenministerium, dass dies erfolge und je ein Buchexemplar den anderen Ressorts „zur Prüfung“ zugesandt werde. Die Haltung des Auswärtigen Amts zu dem Werk von Stellwaag gehe aus einer Stellungnahme von Partsch vom 21. Oktober 1922 hervor. Nach allgemeiner Ansicht der Ressorts sollte das Reichsinnenministerium nach einem halben bis einem Jahr zu einer weiteren Ressortbesprechung einladen, um zu klären, „ob die heute vorliegenden Bedenken noch fortbestehen.“ Partsch hatte Froelich vom Auswärtigen Amt zu dem Werk von Stellwaag mitgeteilt, dass dieses „nach einem Überblick weniger Anlass zu Bedenken als die Arbeit von Göbel“ gebe. Als kritisch anzusehen seien die Ausführungen ab Seite 287125 und der hierzu gehörende Exkurs, hier müsse insbesondere die Reichsrücklieferungskommission ein Augenmerk darauf haben, ob diese Darlegungen zu „Schwierigkeiten“ führen könnten. Er selber sei nicht der Meinung, dass es sich hier um neue Informationen handele. Das Werk von Stellwaag scheine ihm als „nicht gefährlich“, allerdings sollte man den Autor auffordern, „den Organisationsfaden der Eisenwirtschaft“ in der Anlage nicht beizubehalten. Dieser sei kritisch, „da nach Massgabe dieser Pläne, wenn sie in irgendeinem der Bände auftreten, die ganze Prozessinstruktion eines vom Gegner geführten Prozesses gemacht werden kann.“

125 Kapitel „Sondermaßnahmen zur Erhöhung des Schrottaufbringens in den besetzten Gebieten“; S. 210ff. der vorliegenden Edition.



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Unter Hinweis auf die übereinstimmende Stellungnahme aller Reichsressorts, dass die Publikation des Seringschen Werkes „in dem beabsichtigten Umfange nicht angängig“ sei, forderte das Reichswehrministerium das Innenministerium am 15. November 1922 auf, die vom Verlag übersandten Fahnenabzüge und Bücher bei allen Ressorts wieder einzufordern und sicher zu verwahren bzw. die Bearbeiter der noch benötigten Exemplare darauf hinzuweisen, „dass sie persönlich dafür haften.“ Diese Maßnahme erscheine vor dem Hintergrund „der Bedeutung, die nach übereinstimmendem Urteil die geplanten Veröffentlichungen für das Staatswohl haben“, unbedingt geboten. Weiter ‚empfahl‘ das Reichswehrministerium dem Innenministerium auch bei der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass der Verlag die Verpflichtung eingegangen sei, „nichts von den geplanten Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission in die Öffentlichkeit gelangen zu lassen und alle Sicherungen zu treffen, die eine Entwendung des Materials verhindern können.“ Am 24. November 1922 teilte Froelich dem Reichsinnenministerium mit, dass sich im November das Reichsministerium für Wiederaufbau und die ihm unterstehende Reichsrücklieferungskommission gegen die Publikation der Bände III, IV und VI des Werkes von Sering ausgesprochen hätten. Ebenso habe sich die Staatsvertretung bei den Gemischten Schiedsgerichtshöfen „mit umfangreicher Begründung gegen die Veröffentlichung ausgesprochen.“126 Im November 1922 verfasste Sering sein Vorwort zu den Bänden „Technische Kriegserfahrungen für die Friedenswirtschaft“, herausgegeben vom Verein Deutscher Ingenieure: „Es gereicht den ehemaligen Mitgliedern der Wissenschaftlichen Kommission des Kriegsministeriums zur Genugtuung, daß das Werk des Vereines deutscher Ingenieure im Rahmen der volkswirtschaftlichen Untersuchungen dieser Kommission vor die Öffentlichkeit tritt.“ Die beiden Bände wurden 1923 unter der neuen Verlagsfirmierung Walter de Gruyter & Co. gedruckt. Robert Weyrauch war hier mit Beiträgen zu den Themen „Beschaffung und Verteilung“ sowie „Technik in der Kriegsführung beim Feindbund“ vertreten. Eine Publikation dieser Bände durfte jedoch ebenfalls nicht stattfinden. Zu dem Buch über das Waffen- und Munitionswesen fand am 27. November 1922 eine Sitzung im Reichswehrministerium unter der Leitung von Wurtzbacher statt. Vertreten waren hier neben dem Reichsinnenministerium das Reichsschatzministerium, das Wiederaufbauministerium und die Heeresfriedenskommission, eingeladen war auch der Autor, nicht aber der Herausgeber.127 Wie es in der Aufzeichnung des Innenministeriums heißt, bestand das Ziel darin, Weyrauch „durch sachliche Gründe davon zu überzeugen, dass z.Z. gegen die Veröffentlichung seines Buches […] so grosse Bedenken bestehen, dass sie z.Z. nicht in Betracht kommen kann.“ Partsch erklärte, dass alles getan werden müsse, um „die militärische Kontrolle der Alliierten“ nicht noch zu verschärfen. Die Kontrollkommissionen würden durch das Werk 126 PAAA, R 65238. 127 BArch, R 1501/108980. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.

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noch ermuntert, weitere Fragen zu stellen. Kritisch zu sehen sei auch, „die an sich sehr wertvolle Uebersicht über die deutschen Wirtschaftsorganisationen“ auf den Seiten 132 bis 162128. Außerdem sei die Gefahr zu berücksichtigen, „dass die Alliierten die Listen der Kriegsbeschuldigten auf Grund des Buches erweitern.“ Nicht angenehm sei auch, dass in dem Werk Deutschland und die besetzten Länder „als ein Gesamtgebiet“ dargestellt werde, was gegenüber den Alliierten stets negiert werde. Der anwesende Vertreter des Wiederaufbauministeriums erklärte der Aufzeichnung zufolge: „Das Buch gibt vielen Behauptungen unserer Feinde, wenn auch vielleicht nicht ausdrücklich, recht.“ Falls die Kontrollkommission in Garantiekommissionen umgewandelt würde, müsse bedacht werden, dass diese nicht ein neues Betätigungsfeld aufgrund der in dem Buch gemachten Angaben fänden. Den früheren Kriegsgegnern sei die Zahl der zur Kriegsmaterialproduktion eingesetzten Werke nicht bekannt, durch das Buch würden sie hierauf explizit aufmerksam gemacht. Auch sei das Handwerk bislang von den Kontrollkommissionen nicht in den Blick genommen worden. Als Vertreter des Innenministeriums führte von Zahn aus, „daß die Gründe für das derzeitige Nichterscheinen des Buches sich immer mehr verdichten“ würden. Auch könne nicht geltend gemacht werden, daß der Inhalt des Buches sich weitgehend aus bereits publizierten Werken erschließen lasse; bisher hätte sich noch niemand die Arbeit gemacht, hier eine Zusammenfassung zu erstellen. Im Anschluss an diese „Generalaussprache“ habe Weyrauch die Erklärung abgegeben, „dass er sich den vorgebrachten Argumenten füge und es für ihn nicht zweifelhaft sei, dass das Buch jetzt nicht erscheinen könne.“ Danach fand mit Weyrauch noch eine Erörterung zu Details seines Werkes statt. In einem von dem seit 22. November 1922 amtierenden Reichsinnenminister Oeser unterzeichneten Schreiben an die Vereinigung wissenschaftlicher Verleger vom 10. Dezember 1922 wird zunächst darauf hingewiesen, dass die „derzeitige Veröffentlichung“ der Bücher von Weyrauch und Goebel „aus Gründen des Staatswohls untunlich sei“ und eine Entscheidung über die „Freigabe“ des Buches von Stellwaag noch ausstehe. Er müsse unter Bezugnahme auf die in der Sitzung vom 16. Oktober 1922 von Dr. Elster abgegebene Versicherung den Verlag ausdrücklich darauf aufmerksam machen, „dass die Herren Bearbeiter für die Sicherheit ihrer Manuskripte, Fahnenabzüge und Handexemplare persönlich haftbar“ seien. Ebenso sei der Verlag dafür haftbar, dass kein Werk oder einzelne Abschnitte „durch Indiskretion der Buchdrucker, Buchbinder oder aller sonstigen bei der Herausgabe beteiligten Personen vor Erteilung meiner Zustimmung in die Öffentlichkeit gelangt.“ Zu den finanziellen Aspekten des gesamten Vorganges behalte er sich weitere Äußerungen vor. In seiner Antwort auf das Schreiben des Reichsinnenministers wandte sich Elster am 15. Dezember 1922 gegen die Forderung „einer unbedingten Haftung des Verlages dafür, dass kein Exemplar durch Indiskretion an die Öffentlichkeit gelangt.“ Selbstverständlich halte man daran fest, dass alles unternommen werde, „um eine etwaige Indiskretion“ 128 S. 101–126 der vorliegenden Edition.



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zu verhindern und man werde mit den Inhabern der Buchdruckerei und der Buchbinderei in Verbindung treten, „damit diese zum Zwecke der Sicherung der Bestände alles Erforderliche tun.“ Eine totale Haftung sei jedoch nicht zu gewährleisten, aber man gehe davon aus, „dass es gelingen wird, völlige Diskretion zu bewahren, und die Zusage grösstmöglicher Leistung in dieser Hinsicht wird selbstverständlich gegeben.“ Abschließend kündigt Elster die baldige Anmeldung von Schadenersatzansprüchen an. Am 13. Dezember 1922 richtete Sering ein Schreiben an den Reichsinnenminister, in dem er forderte, „dass für den Fall einer nachträglichen Unterdrückung einer genehmigten Arbeit eine hohe, vielleicht durch Schiedsrichter festzusetzende Summe als Schadensersatz geleistet wird.“ Seine Autoren wünschten dringend eine Klärung. Es sei nicht angängig, sie zu weiterer Mitarbeit zu bewegen, wenn keine Gewähr für die Publikation ihrer Werke gegeben sei, „und nicht einmal die Gewissheit besteht, dass bei nachträglicher Unterdrückung eines Werkes eine anständige Entschädigung geleistet wird.“ Die angekündigte Schadenersatzberechnung wurde am 28. Dezember 1922 von Elster an das Reichsinnenministerium gesandt. Hieraus geht hervor, dass die Werke von Goebel und Weyrauch in einer Auflage von jeweils 2 000 Exemplaren gedruckt worden waren. Die beiden Bände hätten Herstellungskosten von insgesamt rund 400 000 Mark verursacht, der Verkaufspreis dieser Bände sei mit 300 Mark berechnet worden, dieser Wert müsste inzwischen 4 000 Mark betragen. Selbst wenn man davon ausginge, dass von den 2 000 Exemplaren nur 1 500 abgesetzt würden, hätte der Verlag nach Abzug des Buchhandelsrabatts Einnahmen in Höhe von 7,5 Millionen Mark. Von diesen Büchern hätte man zahlreiche Exemplare im Ausland absetzen und „sicherlich“ auch Einnahmen durch den Verkauf von Übersetzungsrechten gehabt. Außerdem hätte die Aussicht auf weitere Auflagen bestanden. Hinzu komme, dass in späteren Zeiten das „Gesamtwerk von vornherein entwertet“ sei. Hierfür einen Betrag in Höhe von fünf Millionen Mark anzusetzen sei wohl überaus „bescheiden“ veranschlagt. Nicht berücksichtigt sei hier die Entschädigung der Verfasser, deren Entschädigungsforderungen am besten in direkten Verhandlungen zwischen Staat und Autoren geregelt würden. In einem weiteren Schreiben an den Reichsinnenminister vom 1. Februar 1923 beklagt sich Sering, dass immer noch keine Entscheidung bezüglich einer Veröffentlichung des Buches von Stellwaag getroffen worden sei und er auch keine Antwort auf sein Schreiben vom 13. Dezember 1922 erhalten habe: „Ich habe die Empfindung, dass ein grosses wissenschaftliches Unternehmen, das im Auftrage der Reichsregierung unternommen worden ist, mit einer überraschenden Missachtung geistiger Arbeit behandelt wird.“ Die Aussicht auf eine baldige Publikation des Buches von Stellwaag war im Frühjahr 1923 weitgehend geschwunden. Das Reichswirtschaftsministerium teilte dem Innenministerium am 23. März 1923 mit, dass „Bedenken wirtschaftlicher Art gegen die Veröffentlichung des Werkes“ nicht bestünden: „Der gegenwärtige Zeitpunkt der Ruhrbesetzung erscheint mir jedoch für die Veröffentlichung nicht geeignet.

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Es muss angenommen werden, dass der französische Presse- und Informationsdienst in Düsseldorf das Buch als willkommenes Quellenmaterial benutzen würde, um in entstellter Form tendenziöse Nachrichten über die Wirtschaftskraft Deutschlands und die Notwendigkeit weiterer Kontrolle des Ruhrgebiets zu verbreiten.“ Vor diesem Hintergrund müsse sich das Ministerium „vorläufig gegen die Veröffentlichung“ des Werkes aussprechen. Reichswehrminister Geßler betont in einem von ihm unterzeichneten Schreiben von 7. April 1923 an den Reichsinnenminister zwar, dass „aus rein militärischen Gründen Bedenken nicht zu erheben“ seien. Anschließend heißt es jedoch: „Aus der Stellwaagschen Darstellung vermögen unsere Gegner durch ihre Sachverständigen ohne weiteres zu entnehmen, wie sie es anfangen müssen, um uns wirtschaftlich im Frieden auf das Ernsteste zu gefährden und im Kriege vollständig in kürzester Zeit lahmzulegen.“ Konkret wird die Mitteilung moniert, dass die bei Kriegsausbruch vorhanden gewesenen sieben Presswerke auf „über 380 Pressenpaare“ gesteigert worden seien. Als ebenso fragwürdig wird die Darstellung der verschieden Ferro-Silizium-Werke und die Nennung der Ferro-Mangan-Silizium-Werke bezeichnet. Auch die Erwähnung der Aufbringung von Schrott in den besetzten Gebieten sei fraglich. Ebenso sollte die Erwähnung der wissenschaftlichen Kommission und ihres amtlichen Auftrags besser nicht erfolgen. In einer Besprechung zwischen Vertretern des Reichsfinanzministeriums und des Reichsinnenministeriums am 4. April 1923 wies Ministerialrat von Zahn vom Innenministerium darauf hin, „daß man sich wohl nicht mehr darauf berufen könne, dem Professor Sering sei die Druckgenehmigung nicht erteilt worden […]“. In der Sitzung am 31. März 1922 habe Ministerialdirektor Brecht ausdrücklich erklärt, „man könne an ein Hinausschieben der gesamten Veröffentlichungen, oder einzelner Teile denken, ohne damit den alsbaldigen Druck selbst hintan zu halten.“ Zugleich unterbreitete von Zahn den Vorschlag, hier einen Sachverständigen einzuschalten. Dieser wurde anschließend in Heinrich Worms, Handelsrichter und vereidigter Sachverständiger für das graphische Gewerbe gefunden. Ende Mai 1923 wandte sich Sering wegen der stockenden Veröffentlichung des Werkes von Stellwaag über die Eisenwirtschaft während des Krieges schriftlich an den Reichsinnenminister. Hierbei geht er zunächst kurz auf die positive Entwicklung seines Publikationsprojekts seit Juli 1921 ein: „Im Oktober 1922 meldete aber wider Erwarten das Auswärtige Amt Bedenken gegen die Schriften von Weyrauch und Goebel an. Gegen die Stellwaagsche Arbeit wurden solche Bedenken nicht geltend gemacht, aber der Wunsch geäußert, sie noch einer genaueren Prüfung zu unterwerfen.“ Mitte Januar 1923 habe das Innenministerium die Zusendung von zehn broschierten Exemplaren des Stellwaagschen Buches zur Weiterleitung an die tangierten Reichsressorts angefordert. Seitdem seien mehr als vier Monate vergangen, „ohne dass wir über das Ergebnis der Prüfung unterrichtet worden wären.“ Etwas sarkastisch heißt es weiter: „Ich erkenne an, dass es sehr schwer fällt, sachliche Bedenken gegen die Stellwaagsche Arbeit geltend zu machen.“ Sollte er in den kommenden beiden Wochen keine Nachricht erhalten, gehe er davon aus, „dass der Ausgabe des Stellwaagschen Werkes nichts mehr im Wege steht.“



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Bezüglich der noch nicht gedruckten Bände teilt Sering mit, dass deren weitere Bearbeitung seit Herbst 1922 völlig ins Stocken geraten sei. Am 1. Juni 1923 teilte das Reichswirtschaftsministerium dem Reichsinnenminister mit, dass, wie bereits am 23. März 1923 erklärt, die gegenwärtigen Umstände nicht für eine Veröffentlichung des Stellwaagschen Buches „geeignet“ seien. Auch der Reichsverband der deutschen Industrie habe schon vor einiger Zeit „schwere Bedenken“ geäußert. In einem abschriftlich beigefügten Schreiben des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller an das Reichswirtschaftsministerium vom 16. Mai 1923, das von Geschäftsführer Reichert unterzeichnet war, wird erklärt, dass zur Zeit die Publikation des Stellwaagschen Werkes „mit Rücksicht auf die französische Propaganda unerwünscht“ sei. Mit diesen Stellungnahmen war auch die Publikation des Werkes von Stellwaag nicht mehr realisierbar.

Neue Anläufe zur Veröffentlichung In einem Einladungsschreiben von Ministerialdirektor Hans Posse vom Reichswirtschaftsministerium an das Reichswehrministerium vom 30. September 1926 zum „Sammelwerk über die deutsche Kriegswirtschaft im Bereiche der Heeresverwaltung 1914–1918“ wird in Verbindung mit den Büchern von Weyrauch, Stellwaag und Goebel auch das Werk „Technische Kriegserfahrungen für die Friedenswirtschaft“ genannt, wobei beide Werke als „zusammengestellt von Professor Dr. Sering“ bezeichnet werden. Weiter wird erklärt, diese Bücher seien „seinerzeit trotz Fertigstellung nicht veröffentlicht worden, weil gewisse in den bezeichneten Werken enthaltene Ausführungen für die Öffentlichkeit, speziell des ehemals feindlichen Auslandes nicht geeignet erschienen.“ Abschließend teilt Posse mit, in der Zwischenzeit hätten mittlerweile abgeschlossene „Besprechungen innerhalb der beteiligten Industrien stattgefunden“. Wegen „einer endgültigen Entschliessung“ zur Frage der Publikation der Werke (zu denen auch ein Manuskript über die Holzwirtschaft aus dem Jahre 1920 von Weber gehörte) lade er deshalb zu einer Besprechung am 11. Oktober 1926 in das Reichswirtschaftsministerium ein und fügte hinzu: „Die Vertreter der in Frage kommenden industriellen Verbände haben gleichfalls eine Einladung bekommen. Exemplare der bezeichneten Werke werden in der Besprechung vorliegen.“129 Den Anstoß zu einer erneuten Beschäftigung der Reichsministerien mit den umstrittenen Werken zur Kriegswirtschaft hatte Sering gegeben, indem er an den seit Mitte Januar 1925 amtierenden neuen Innenminister Schiele mit zwei „Bitten“ herangetreten war. So bat er zunächst um Mitteilung, „ob die erwähnten drei Bände nunmehr freigegeben werden“ und zweitens, ob „die ungedruckten Bände des von ihm herauszugebenden Werkes demselben Prüfungsverfahren unterworfen werden

129 Handakten Dr. Markus Pöhlmann.

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wie die Schriften der Carnegie-Stiftung“.130 Zugleich hatte Sering dem Minister mitgeteilt, dass Dr. Heinrich Weber, Professor der Forstwirtschaft in Freiburg im Breisgau, bereits 1920 ein Manuskript für das Kriegswirtschaftswerk mit dem Titel „Die Holzwirtschaft Deutschlands während des Krieges“ abgeliefert habe, aber „wegen der Schwierigkeiten, unter denen die übrigen Bände des Sammelwerkes zu leiden gehabt hätte[n], beabsichtige, das Buch selbständig zu veröffentlichen.“ Er, Sering, würde es vorziehen, wenn die Arbeit in dem Reihenwerk publiziert würde. Mit Schreiben vom 30. März 1925 teilte der Innenminister dem Reichswirtschaftsminister, dem Reichsminister der Finanzen, dem Reichsarbeitsminister, dem Reichswehrminister, dem Reichsminister für die besetzten Gebiete, dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft sowie dem Auswärtigen Amt nach Schilderung der Sachlage mit, dass er beabsichtige, zu einer Besprechung der Angelegenheit „demnächst“ in sein Ministerium einzuladen. Im Hinblick auf die Sitzungsvorbereitung bat er um Mitteilung, „ob die früher vorgebrachten Bedenken gegen die Veröffentlichung der drei oben erwähnten Bände jetzt fallen gelassen werden“ und ob das 167 Seiten umfassende Manuskript zur Holzwirtschaft „vor der Drucklegung dort zu prüfen sein würde.“ Abschießend erfolgte das Angebot, dass „Abdrucke der drei gedruckten Bände“ beim Ministerium des Innern angefordert werden könnten. Bereits einleitend erklärte der Reichsminister des Innern in seinem Schreiben, dass von 1922 bis 1924 „langwierige Verhandlungen mit Herrn Geheimrat Prof. Dr. Sering wegen der Veröffentlichung einzelner Bände des von ihm geplanten Sammelwerkes: Die Deutsche Kriegswirtschaft im Bereiche der Heeresverwaltung 1914–1918 stattgefunden“ hätten. Gegen die Publikation „der drei fertig ausgedruckten Bücher“ von Weyrauch, Stellwaag und Goebel seien „von einzelnen Reichsressorts vom Standpunkt des Staatswohls aus lebhafte und zahlreiche Bedenken“ erhoben worden: „Die Verhandlungen führten im März 1924 zum Abschluß des Vertrages, wonach sowohl der Verlag als die Verfasser und der Herausgeber eine Zahlung aus Reichsmitteln erhielten und sich dagegen verpflichteten, mit der Veröffentlichung der drei Bände [bis] zur Freigabe durch die Reichsregierung zu warten.“ Der Vertrag war zwischen dem Reichsminister des Innern und dem Verlag Walter de Gruyter am 29. März 1924 geschlossen worden. Er beinhaltete „die vollständige Abgeltung sämtlicher gegen das Reich erhobener Ansprüche“ des Verlages, des Herausgebers und der drei Autoren „wegen Abfassung, Drucklegung und bis zur Freigabe durch das Reich unterbleibenden Veröffentlichung des Gesamtwerkes über die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung […]“. Die Autoren erhielten nach Umfang ihrer Werke berechnete Beträge. So waren für Goebel 832,50 Goldmark, für Stellwaag 757,50 Goldmark und für Weyrauch 615,00 Goldmark festgelegt. Das „Herausgeberhonorar“ war mit 600,00 Goldmark beziffert und der Verlag erhielt den Betrag von „6.129 Goldmark für alle hinsichtlich des Werkes gemachten und kommenden Aufwendungen vom Reiche gezahlt.“ Die Beträge waren „als Vorschüsse des Reichs“ deklariert und mit 130 PAAA, R 26352. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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sechs Prozent Zinsen nach der Freigabe der Werke zurückzuzahlen. Die Zahlungen sollten „lediglich aus dem vom Verlage tatsächlich erzielten Erlöse der Bücher“ erfolgen, wobei 50 Prozent an die Kasse des Innenministeriums abgeführt werden sollten. Fünf Jahr nach der Freigabe der Bücher für den Verkauf ende die Rückzahlungsverpflichtung des Verlages. Der Verlag Walter de Gruyter musste nach dem Vertrag „die unentgeltliche Verwahrung der bisherigen Auflagen mit der Verpflichtung strengster Geheimhaltung bis zur Freigabe“ übernehmen; nach der Freigabe, die durch das Innenministerium „im Benehmen mit den beteiligten Ressorts erklärt“ würde, auch den Buchvertrieb auf eigene Rechnung vornehmen. Offensichtlich war der Vorstoß von Sering im ersten Quartal 1925 der erste Versuch nach Abschluss des Vertrages vom März 1924, eine Veröffentlichung nicht nur der drei bereits gedruckten Bände, sondern auch der bisher ungedruckten Bände zu erreichen, mit dem Buch über die wohl weniger umstrittene Forstwirtschaft als „Türöffner“. Möglicherweise spielte hier eine Rolle, dass Innenminister Schiele aus einer Landwirtsfamilie kam und als praktizierender Landwirt einen persönlichen Bezug zur Land- und möglicherweise auch zur Forstwirtschaft hatte. Am 23. April 1925 teilte das Reichswehrministerium in einem von Wurtzbacher unterzeichneten Schreiben dem Reichsinnenminister mit: „Die früher geäußerten Bedenken gegen die Veröffentlichung der drei Bände […] bestehen noch im gleichen Maße fort.“ Auch sehe man es als „notwendig“ an, dass das Manuskript von Professor Weber über die Holzwirtschaft Deutschlands im Weltkrieg vom Reichswehrministerium „vor der Drucklegung geprüft“ werde. Zu der vorgesehenen Besprechung werde ein Vertreter entsandt. In einem weiteren Schreiben des Reichswehrministeriums vom 14. Mai 1925 wurde beim Reichsministerium des Innern um Zusendung „je eines Abdruckes der drei fertig gedruckten Bücher von Weyrauch, Stellwaag und Goebel erg. ersucht.“131 Das Auswärtige Amt hatte am 30. April 1925 die Werke von Weyrauch, Stellwaag und Goebel bei der Bibliothek des Reichsministeriums des Innern angefordert und die Bände am 7. Mai 1925 mit der Bemerkung übersandt bekommen: „Die Druckschriften sind als ‚Geheim‘ zu behandeln“ und wieder zurückzugeben. Mit Schrei­­ben vom 21. Juli 1925 an das Innenministerium wiederholte Friedrich Stieve, Leiter des Schuldreferats des Auswärtigen Amts, die Bedenken gegen eine Veröffentlichung, die sich auch auf das Werk zur Holzwirtschaft bezogen.132 In dem Einladungsschreiben von Ministerialdirektor Posse vom Reichswirtschaftsministerium vom 30. September 1926 wurde die Beratung zum „Sammelwerk über die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918, wie erwähnt, auf den 11. Oktober 1926 terminiert. Der Chef des Stabes des Heereswaffenamtes, Soldan, erklärte in einer internen Mitteilung vom 7. Oktober 1926 hierzu, dass mit dem Reichswirtschaftsministerium die Vereinbarung getroffen worden sei, dass an der Sitzung im Reichswirtschaftsministeriums „die Vertreter der in Frage kommen131 Handakten Dr. Markus Pöhlmann. 132 PAAA, R 26352.

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den Industrieverbände nicht teilnehmen, sondern daß nur die Ressorts der verschiedenen Ministerien beteiligt werden.“ Zugleich wurde darum gebeten, dem Verhandlungsführer des Ministeriums, Lehnert, unverzüglich Mitteilung zu machen, „welche Bedenken auch jetzt noch gegen die Veröffentlichung der genannten Werke sprechen, damit ein einheitliches Vorgehen seitens des Reichswehrministeriums gewahrt bleibt“, auch sollte mitgeteilt werden, ob beabsichtigt sei, einen weiteren Vertreter des Ministeriums zu der Besprechung zu entsenden.133 Aus dem im Reichswirtschaftsministerium angefertigten Besprechungsvermerk geht hervor, dass in der Sitzung drei Vertreter des Heereswaffenamtes des Reichswehrministeriums, ein Vertreter der Heeres-Friedenskommission des Reichswehrministeriums (die für die Zusammenarbeit mit der Interalliierten Militär-Kontrollkommission zuständig war), ein Vertreter der Marineleitung, fünf Vertreter des Reichswirtschaftsministeriums sowie je ein Vertreter des Reichsfinanzministeriums und des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft teilnahmen. Das Auswärtige Amt und das Reichsministerium des Innern waren hier nicht vertreten gewesen.134 Auf diese Besprechung geht erstmals Ernst Willi Hansen in seiner 1978 erschienenen Dissertation „Reichswehr und Industrie“ ein, indem er in einer Anmerkung zunächst auf die Klassifizierung des Vermerks als „streng vertraulich“ hinweist und dann ausführt: „Da von den etwa 40 000 während des Krieges zu Rüstungszwecken eingesetzten Firmen den Ententemächten nur etwa 7 000 bekannt waren, wurde die Veröffentlichung des Bandes, der eine Fülle von den Alliierten nicht bekannter Firmennamen enthielt, so nicht gestattet. Er erschien niemals.“135 In dem von Hansen herangezogenen, im Archiv des Auswärtigen Amts überlieferten Vermerk über diese Besprechung heißt es einleitend, dass bei den anwesenden Vertretern der „interessierten Reichsressorts“ Konsens darüber bestanden habe, „daß eine Veröffentlichung der Werke nicht erfolgen könne.“ Hierfür seien „eine Reihe von Gründen“ maßgeblich.136 Das Sammelwerk nenne „eine große Anzahl“ von Firmennamen, die im Krieg Rüstungsmaterial produziert hätten. Für die 33 000 den Ententemächten unbekannten Rüstungsbetriebe „würde durch eine Veröffentlichung die Gefahr der Durchsuchung und Kontrollierung entstehen.“ Gegenüber den Ententestaaten habe man bisher immer erklärt, „daß der größte Teil der auf die Kriegswirtschaft bezüglichen Dokumente verbrannt oder sonst vernichtet sei.“ Eine Publikation der Werke zur Kriegswirtschaft würde diese Darstellung konterkarieren. Nach der abermaligen Problematisierung der Kurvenblätter und der Thematisierung der Beziehungen Deutschlands zu den neutralen Staaten heißt es weiter, dass eine Publikation auch vor dem Hintergrund nicht möglich erscheine, dass alle Autoren 133 Handakten Dr. Markus Pöhlmann. 134 PAAA, R 33167. 135 Ernst Willi Hansen, Reichswehr und Industrie. Rüstungswirtschaftliche Zusammenarbeit und wirtschaftliche Mobilmachungsvorbereitung 1923–1932. Boppard 1978, S. 28, Anm. 140. 136 PAAA, R 33167. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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der zur Diskussion stehenden Werke in Ausübung ihres Dienstes zu ihrem Wissen gekommen seien und sie von ihrer „Schweigepflicht“ nicht befreit worden seien: „Man kann sogar daran denken, daß eine Veröffentlichung Anlaß zum Einschreiten auf Grund des Gesetzes über den Verrat militärischer Geheimnisse geben könnte.“ In den abschließenden Ausführungen wird zunächst hervorgehoben, dass eine „Nichtveröffentlichung“ nach einhelliger Auffassung aller Besprechungsteilnehmer „eine Abfindung der Mitarbeiter und des Verlages de Gruyter & Co. notwendig erscheinen“ lasse. Weiter heißt es, dass „wegen des Teils des Werks, der vom V.D.I. herausgegeben werden sollte“ bereits „Entschädigungsansprüche“ des Verlages geltend gemacht worden seien und es hier ein „Abgeltungsverfahren“ zwischen Verlag und Reichsfinanzministerium gegeben habe: Im Hinblick auf „etwaige Ansprüche des Verlages wegen des anderen Teils des Kriegswirtschaftswerks (Professor Sering und Mitarbeiter) werden nach einstimmiger Meinung der Anwesenden Verhandlungen mit dem Verlag durch das Reichsministerium des Innern aufzunehmen sein.“ Die Abfindung der Autoren, neben Sering werden hier Stellwaag, Goebel und Weber namentlich genannt, werde gleichfalls „durch besondere Verhandlungen“ durch das Reichsministerium des Innern zu regeln sein. Der Aktenvermerk endet mit den Worten, dass das Reichswehrministerium den Gesamtaufwand der Abfindung auf rund 45 000 Mark veranschlage. Als Vertreter der Marineleitung hatte Geheimrat Weißmüller teilgenommen. In einem handschriftlichen Vermerk vom 1. Dezember 1926 schreibt er zu dem Ausgang der Besprechung am 11. Oktober 1926 lediglich, dass die Teilnehmer „einstimmig“ der Auffassung gewesen seien, „daß von einer Veröffentlichung der Werke abgesehen werden müsse, u. daß höchstens ein Ankauf der bereits gedruckten Werke in Frage käme.“137

Die letzte vergebliche Initiative von Verlag und Herausgeber Nachdem offenbar mehr als drei Jahre lang zu den kriegswirtschaftlichen Werken von Sering keine weiteren Aktivitäten erfolgt waren, starteten Prokurist Elster und Herausgeber Sering im Frühjahr 1930 noch einmal eine Initiative zur Veröffentlichung.138 Den Hintergrund hierfür dürften mit hoher Wahrscheinlichkeit das 1930 vom Reichsarchiv herausgegebene Werk „Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft“, Bd. I, und das im selben Jahr im Rahmen der Veröffentlichungen der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden publizierte Buch „Deutsche Rohstoffwirtschaft im Weltkrieg“ von Otto Goebel gebildet haben, bei dem Sering zum deutschen Herausgeberausschuss gehörte. Am 28. Mai 1930 teilte Elster dem Innenministerium schriftlich mit, dass die Leipziger Buchdruckerei, „bei welcher das gedruckte Material der Bücher ‚Techni137 Handakten Dr. Markus Pöhlmann. 138 PAAA, R 26465. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.

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sche Kriegserfahrungen‘ in Ballen lagert, heute schreibt, dass sie ihren Raum nicht mehr für die Aufbewahrung der Bücher zur Verfügung stellen könne und uns dringend ersuche, die Ballen dort wegzunehmen und anderswo unterzubringen.“ Dies sei jedoch nicht nur ein logistisches Problem, sondern betreffe auch die Verpflichtung des Verlages, „für die Geheimhaltung dieses Materials bis zur eventuellen Freigabe zu sorgen.“ Um eine Verlagerung möglichst zu vermeiden, wäre man sehr zu Dank verbunden, „wenn ein Entschluss in dieser Angelegenheit möglichst bald herbeigeführt werden könnte.“ Als Reaktion auf das Schreiben des Verlages De Gruyter richtete Ministerialdirektor Pellengahr, Leiter der kulturpolitischen Abteilung im Reichsministerium des Innern, am 6. Juli 1930 Einschreiben an das Reichswirtschaftsministerium, das Reichsfinanzministerium, das Reichswehrministerium, den Reichsminister für die besetzten Gebiete, den Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft sowie an das Auswärtige Amt. Hierbei weist er zunächst darauf hin, dass 1926 von den „beteiligten Reichsministerien“ einem Antrag des Herausgebers auf die Freigabe seiner Bände zur Kriegswirtschaft nicht entsprochen worden war. Inzwischen habe der Verlag Walter de Gruyter „um neuerliche Entschliessung in dieser Angelegenheit gebeten.“ Diesem „Antrage“ habe sich Professor Sering angeschlossen. Die anderen Reichsressorts werden um Mitteilung ersucht, ob die vor Jahren geäußerten Bedenken gegen die Veröffentlichung noch bestünden. Im Falle von divergierenden Auffassungen sollte eine erneute Besprechung im Innenministerium stattfinden. Als einzige Antwort auf das Schreiben vom 6. Juli 1930 ist eine Stellungnahme des Reichswirtschaftsministeriums vom 23. Juli 1930 überliefert. Hier heißt es, dass die einschlägigen Verhandlungen bereits mehrere Jahre zurücklägen, anschließend wird festgestellt: „Die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse haben sich seitdem geändert.“ Von daher werde empfohlen, die Frage in einer „neuerlichen Aussprache“ zwischen den beteiligten Reichsressorts zu entscheiden. Am 10. Oktober 1930 übersandte das Reichsministerium des Innern „je ein Stück der hier geheim aufbewahrten, von Geheimrat Sering herausgegebenen Werke über die Deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918“ an Legationsrat Schwendemann, den damaligen Leiter des Schuldreferats im Auswärtigen Amt. Bereits am 20. Oktober 1930 wurden die drei Bände an Wilhelm Schaer weitergeleitet. Schaer gehörte dem Arbeitsausschuss deutscher Verbände an, war Chefredakteur der verbandseigenen, vierzehntägig erscheinenden Schrift „Der Weg zur Freiheit“ und arbeitete eng mit dem Schuldreferat des Auswärtigen Amts zusammen.139 Nach einer am 17. Dezember 1930 im Auswärtigen Amt angefertigten Aufzeichnung fand die Sitzung der Reichsressorts am 15. Dezember 1930 im Innenministerium statt. Der Verfasser, Legationsrat Schlimpert, schreibt einleitend, dass er eine „Stellungnahme“ abgegeben habe. Sämtliche Ressortvertreter hätten sich gegen „eine Freigabe 139 Mitteilung von Herrn Dr. Gerhard Keiper, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts vom 23. März 2016.



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der fraglichen Werke“ ausgesprochen und die Meinung geäußert, „daß die ganze Angelegenheit am besten durch Aufkauf dieser Werke aus der Welt geschafft würde […]“. Indessen sei kein Beschluss darüber gefasst worden, welches Ministerium die Kosten hierfür übernehmen solle. Schließlich habe sich der Vertreter des Finanzministeriums zu einer Prüfung der Frage bereiterklärt, „ob der für den Aufkauf in Frage kommende Betrag von 9 000 RM etwa aus dem Abgeltungsfonds seines Ministeriums bereitgestellt werden könnte.“ Eine Mitteilung hierzu stehe noch aus.140 In einem weiteren, undatierten Aktenvermerk des Auswärtigen Amts von Ende 1930 oder Anfang 1931 heißt es, dass Ministerialdirektor von Zahn vom Innenministerium auf Anfrage mitgeteilt habe, dass die „fragliche Zahlung“ wahrscheinlich vom Finanzministerium übernommen werde, er gehe davon aus, hierüber und „über das Ergebnis seiner Verhandlungen mit dem Verlag de Gruyter im Laufe des kommenden Monats den Ressorts Mitteilung machen zu können.“ Am 7. Februar 1931 schloss Schaer seine „Kritische[n] Betrachtungen zu dem Sammelwerk über die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914– 1918“ ab, nachdem er zuvor vom Auswärtigen Amt aufgefordert worden war, „die Durchsicht d. Bände zu beschleunigen“. Einleitend führt der Gutachter aus: „Zunächst fällt auf, dass die ersten beiden Bände – enthaltend den allgemeinen Teil – nicht vorliegen. Sie scheinen mir noch für die Einzelbearbeitung einer kritischen Betrachtung notwendig, wenn das gesamte Werk jetzt doch noch erscheinen soll.“ Aus den folgenden Ausführungen von Schaer wird deutlich, dass auch er die Darstellung der Chemie im Weltkrieg als überaus sensibel ansah: „Es liegen gar nicht vor Band 5, 7 und 8, von denen namentlich Band 7 über die Kriegschemikalienwirtschaft äusserst wichtig sein dürfte.“ Die Publikation der bereits vorliegenden drei Bände erscheine ihm auch in der Gegenwart „noch bedenklich“. Als Begründung führt Schaer an, dass „eine derart bis ins einzelne gehende Offenlegung der geradezu einzigartigen und hervorragenden organisatorischen und materiellen Massnahmen zum Aufbau der deutschen Kriegswirtschaft allen Staaten ein ausgezeichnetes Mittel in die Hand gibt, nicht nur selbst im Bedarfsfalle eine solche Kriegswirtschaft aufzubauen“, sie vielmehr auch dazu nutzen zu können, „mit den aus der deutschen Kriegswirtschaft gewonnenen Erkenntnissen ihre wirtschaftliche Mobilmachung vorzubereiten.“ Die von Ausnahmen abgesehene „schnelle und erfolgreiche Umstellung der deutschen Wirtschaft von der Friedensarbeit auf die Bedürfnisse des Krieges“ sei auch gegenwärtig noch insbesondere im Hinblick auf die bevorstehenden Abrüstungsverhandlungen den anderen Mächten „eine treffliche Unterstützung ihrer These vom potentiel de guerre […]“. Der sachlich richtige Einwand, dass sich die wirtschaftliche Situation gegenüber 1914 nachhaltig verschlechtert habe, „würde nach bekannten Erfahrungen in der Welt und namentlich bei unseren Gegnern wenig Eindruck machen […]“. Schließlich sei es „wohl nicht opportun“ der Weltöffentlichkeit „erneut und gewissermassen selbstanklagend die Beschlagnahmemassnahmen in den besetzten Gebieten vor Augen zu 140 PAAA, R 26465. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.

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führen. Weiter erklärt Schaer, dass es nach seiner Erinnerung „mit ein Hauptgrund“ gewesen sei, „weshalb 1922 die Herausgabe der Bände unterblieb.“ Es seien insbesondere die deutschen Vertreter bei den Schiedsgerichten gewesen, „die in den Angaben über die in den besetzten Gebieten gemachten Beutezügen eine schwere Belastung ihrer Arbeit erblickten.“ Wenngleich in der Gegenwart der Konflikt um die Entschädigungen „praktisch“ wohl als beigelegt betrachtet werden könne, dürfe die moralische Dimension dieser Frage nicht gering veranschlagt werden. Demgegenüber wäre die Publikation der Bände „wünschenswert“, weil aus ihnen deutlich werde, „dass die deutsche Wirtschaft gänzlich unvorbereitet in den Krieg hineinzog und dass zu einer wirtschaftlichen Mobilmachung vor dem Kriege auch nicht ein Schritt getan worden ist.“ Als überaus „interessant“ bezeichnet Schaer die Mitteilungen über die amerikanischen Kriegsmateriallieferungen an die Entente in Band III, „die unter Umständen zur Beantwortung der Frage der Kriegsverlängerung von Interesse sein können.“ Konkret empfiehlt Schaer bezüglich der Ausrüstung mit Waffen und Munition im Jahre 1914 die Klärung widersprüchlicher Aussagen durch das Reichsarchiv. In Band IV über die Eisenwirtschaft werde „das hohe Lied auf die Umstellung der deutschen Industrie von der Friedens- auf die Kriegswirtschaft gesungen.“ Weitere Kritik an dem Buch von Stellwaag wird nicht geübt. In Band VI seien die Ausführungen über die Bewirtschaftung der Wolle in den besetzten Gebieten überaus „bedenklich“. Abschließend schreibt Schaer, dies habe „wohl in erster Linie mit dazu beigetragen, dass 1922 eine Herausgabe für untunlich gehalten wurde.“ In einem undatierten Aktenvermerk des Auswärtigen Amts aus den ersten Monaten des Jahres 1931 heißt es, dass Legationsrat Schlimpert von Ministerialdirektor Zahn nochmals „bestätigt“ bekommen habe, dass das Finanzministerium die notwendige Summe „zum Ankauf des Werkes“ zur Verfügung stellen wolle. Bezeichnend ist der folgende Satz: „Bereits heute bestehe keine Gefahr mehr, daß die Bände in unberufene Hände gelangen“ könnten. Das Reichsministerium des Innern werde das Auswärtige Amt über den Abschluss der Verhandlungen informieren und zugleich Mitteilung machen, „welche Bücher zum internen Gebrauch zur Verfügung gestellt werden können.“ Der letzte hierzu überlieferte Aktenvermerk wurde am 14. März 1931 handschriftlich verfasst und enthält die Information, dass „die Angelegenheit“ entsprechend der Aufzeichnung vom 17. Dezember 1930 „erledigt“ sei. Die letzte überlieferte Notiz zu dem kriegswirtschaftlichen Werk von Sering vor der Übernahme der noch in seinem Haus in Berlin-Dahlem befindlichen Unterlagen der Wissenschaftlichen Kommission im März 1933 durch Archivare des Reichsarchivs stellt eine ebenfalls handschriftliche Mitteilung von Reichsarchivar Bernhard Poll an Direktor Foerster dar, die mit 9. Mai datiert ist. Da Foerster 1931 zum Direktor der historischen Abteilung des Reichsarchivs befördert wurde, kann es sich hier wohl nur um das Jahr 1931 oder um das Jahr 1932 handeln. Zu dem Seringschen Werk heißt es in der Information über den Personalbestand der Wissenschaftlichen Kommission und über eine Unterredung zwischen Groener und Rüdt von Collenberg abschließend: „Es dürfte sich bei dem Material, das evtl. Geh. Rat Sering dem Reichswehrministerium



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zur Verfügung stellen (bzw. verkaufen) wollte, auch um Arbeiten handeln, die für die Darstllg. des Reichsarchivs von Interesse sind.“141

4 Rezeption nach 1933 Würdigungen der Kommission und ihres Leiters im „Dritten Reich“ Die erste Erwähnung der unterdrückten Werke zur Kriegswirtschaft des Weltkrieges in einer Abhandlung während des „Dritten Reiches“ erfolgte 1934 in der unveröffentlichten „Geschichte des Vereines Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller“ von Clemens Klein. Diese Darstellung dürfte zumindest den Repräsentanten der Schwerindustrie zugänglich gewesen sein.142 In diesem Manuskript heißt es zu der Schrift von Alfred Stellwaag unter dem Titel „Die deutsche Eisenwirtschaft während des Krieges“, das diese „das ‚Licht der Welt‘ […] wohl schwerlich mehr erblicken“ werde. Eine weitere, diesmal öffentliche Erwähnung fand die Arbeit der Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission des Preußischen Kriegsministeriums nur knapp drei Monate nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland, die Mitte März 1935 erfolgt war. Durch einen Vortrag von Generalmajor Hans von Haeften (von 1931 bis 1934 Präsident des Reichsarchivs und führend bei dem seit 1924 erscheinenden Weltkriegswerk des Reichsarchivs) in der Preußischen Akademie der Wissenschaften am 6. Juni 1935 erlangte auch eine einschlägig interessierte Öffentlichkeit Kenntnis von dem kriegswirtschaftlichen Sammelwerk, da der Vortrag noch 1935 in der Zeitschrift „Wissen und Wehr “ publiziert wurde. Nach seiner Erklärung zur Entstehung und Zusammensetzung der Kommission sowie der ihr von damaligen stellvertretenden Kriegsminister zugesicherten Unabhängigkeit führte von Haeften weiter aus: „Die Kommission hat außerordentlich wertvolle Arbeit geleistet, bereits im Jahre 1922 lag der größte Teil dieser Arbeiten druckfertig und zum Teil schon gedruckt vor. Da erhob wider Erwarten eine zentrale Reichsbehörde aus hier nicht näher zu erörternden Gründen Einspruch gegen deren Veröffentlichung. Die behandelnden kriegswirtschaftlichen Erfahrungen behalten indes ihren bleibenden Wert für alle Fragen kriegswirtschaftlicher Organisation und für das Verständnis der volkswirtschaftlichen Neugestaltungen nach dem Kriege.“143 Tatsächlich wurden die Forschungsergebnisse der Wissenschaftlichen Kommission in der Zeit der forcierten Kriegsvorbereitung von der Wehrmachtsführung als sehr relevant angesehen und fanden zu Beginn des Zweiten Weltkrieges auch bei den 141 BArch, RH 61/594. 142 BArch, R 13 I/13. 143 Hans von Haeften, Neuzeitliche kriegsgeschichtliche Forschungsmethoden, in: Wissen und Wehr 16, 1935, H. 8, S. 507–521, hier S. 521.

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Spitzen der Eisen- und Stahlindustrie erneut Beachtung und Interesse, wie noch zu zeigen sein wird. In seinem Beitrag „Siedlung und Landvolk. Die agrarpolitischen Annäherungen zwischen Edgar Salin und der ‚Sering-Schule‘“ weist Willi Oberkrome darauf hin, dass die „erheblichen Verdienste“ Serings als Kommissionsleiter während des Ersten Weltkriegs noch zu seinem 80. Geburtstag 1937 von Reichskriegsminister Werner von Blomberg und dem Oberbefehlshaber der Kriegsmarine Erich Raeder in ihren Geburtstagsadressen besonders gewürdigt worden seien.144 Während Generaladmiral Raeder in einem Telegramm vom 18. Januar 1937 (nach einem von Sering im Februar 1937 herausgegebenen Druck der Glückwunschadressen) von Reichsbankpräsident und Reichswirtschaftsminister Schacht, Raeder und von Blomberg lediglich an die „der Marine geleisteten wertvollen Dienste“ von Sering erinnerte, die dieser „im Zusammenwirken mit Großadmiral von Tirpitz“ erbracht habe, ging Generalfeldmarschall von Blomberg in seinem im Nachlass von Constantin von Dietze in Abschrift überlieferten Schreiben vom 16. Januar 1937 auf die kriegswirtschaftliche Dimension ein.145 Einleitend sprach er seine Glückwünsche „im Namen der deutschen Wehrmacht“ aus. Im Anschluss hieran heißt es: „Ihre Arbeit als Leiter der Wissenschaftlichen Kommission im Preussischen Kriegsministerium während des Weltkrieges ist von der Wehrmacht nicht vergessen. Aus Gründen der Staatssicherheit ist diese Tätigkeit nicht in ihrem ganze[n] Umfang bekannt geworden.“ Der in dem Vortrag von von Haeften bereits angesprochene „bleibende Wert für alle Fragen kriegswirtschaftlicher Organisation“ kam auch in dem Glückwunschschreiben des Oberbefehlshabers der Wehrmacht an Sering überaus klar zum Ausdruck: „Es wird Ihnen aber am heutigen Tage eine Befriedigung sein zu wissen, daß die heutige Wehrmacht auf Ihrer damaligen Arbeit aufbaut und diese somit eine der Grundlagen für die derzeitigen wehrwirtschaftlichen Arbeiten bildet.“ In der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ vom 17. Januar 1937 (im Vorgängerblatt „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ hatte Sering schon 1917 seinen bereits erwähnten Artikel zur Kriegswirtschaft veröffentlicht) erschien unter dem Titel „Max Sering 80 Jahre alt“ eine ausführliche Würdigung von Heinrich Hennemann, der hier die „kriegswissenschaftliche Forschung“ als „wesentliche Erweiterung der Seringschen Arbeit“ bezeichnet: „Er war einer der ersten, der die Wichtigkeit engster Zusammenarbeit aller wirtschaftlichen Kräfte in der Kriegswirtschaft erkannte und diese Idee mit seinem ganzen wissenschaftlichen Rüstzeug in die Praxis umzusetzen versuchte. Sering war mit seiner Sachkenntnis und seinem Organisationsvermögen ein wichtiger Kämpfer an der Seite des Kriegsministeriums.“ Anschließend schreibt Hennemann: „Im Kriege entstand bereits eine Studie über das Wesen der Kriegswirtschaft, die in ihrer Formulierung der Ziele und Begriffe den wissenschaftlichen Kopf und 144 Willi Oberkrome, Siedlung und Landvolk. Die agrarpolitischen Annäherungen zwischen Edgar Sallin und der „Sering-Schule“, in: Karin Wilhelm/Kerstin Gust (Hrsg.), Neue Städte für einen neuen Staat. Bielefeld 2013, S. 237–251, hier S. 243. 145 Universitätsarchiv Freiburg, C 100/677. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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das warme Herz des Verfassers kennzeichnete.“ Vermutlich sind hier nicht die in den 1920er Jahren unterdrückten Werke zur Kriegswirtschaft gemeint, sondern der 1915 publizierte Vortrag von Sering in der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Hennemann erwähnt auch, dass Sering anlässlich seines 75. Geburtstages von Reichspräsident von Hindenburg den Adlerschild des Deutschen Reiches verliehen bekommen hatte. Hierbei handelte es sich um die höchste Auszeichnung der Weimarer Republik, die von 1922 bis 1932 an nur 20 Persönlichkeiten, darunter Max Liebermann und Robert Bosch, verliehen worden war. Sering verstarb am 12. November 1939 in seinem Haus in Berlin-Dahlem. Sein Enkel, Dr. Wolf von Tirpitz, der als Kind an der Feier zum 80. Geburtstag seines Großvaters teilgenommen hatte, teilte dem Verfasser mit, dass die letzten Worte von Max Sering nach Mitteilung seiner Mutter waren: „Autokratie, Wahnsinn“. Nach dem Tode von Sering veröffentlichte Constantin von Dietze, der ebenso wie Max Sering in der Zeit des „Dritten Reiches“ Repressalien ausgesetzt war – die bei Sering bis zum erzwungenen Austritt aus der Preußischen Akademie der Wissenschaften im Dezember 1938 reichten –, in der „Frankfurter Zeitung“ vom 22. November 1939 einen Nachruf, in dem er zur Leitung der Wissenschaftlichen Kommission im Preußischen Kriegsministerium durch Sering erklärte, dass diese „die Vertiefung in die drängenden Fragen der Rohstoffwirtschaft“ bedeutet habe, um dann ohne weitere Erläuterung fortzufahren: „[…] für deren Beurteilung Sering auch in den letzten Monaten seines Lebens wieder tätig war.“ 146 An anderer Stelle seines Nachrufes schreibt von Dietze in der Reichsausgabe der „Frankfurter Zeitung“: „Als vor zweieinhalb Jahren dem Achtzigjährigen mit dem jungen Herzen und der schier unversiegbaren Kraft Dank und Wünsche ausgesprochen wurden, da antwortete er: Die ganze Ehrung habe nicht seiner Person gegolten, sondern das Bewußtsein ausgedrückt, daß für Deutschlands Wohl eine freie Wissenschaft unentbehrlich sei.“ Weiter heißt es: „Mehrfach hat er die Ueberzeugung ausgesprochen, daß sich jede wahrhaftige und gute geistige Leistung gerade im deutschen Volke irgendwie und irgendwann durchsetze. So hat er ständig – wie Plato es von Sokrates sagte – als Mann auf dem als richtig erkannten Posten ausgeharrt, und das auf jede Gefahr hin.“

Sering-Denkschrift für Walther Funk In seiner „Gedenkrede auf Max Sering anläßlich der 100. Wiederkehr seines Geburtstages“ am 21. Juni 1957 in München konnte Constantin von Dietze auch auf seine in der „Frankfurter Zeitung“ 1939 nur ganz vage angedeutete „kriegswirtschaftliche Denkschrift“ vom Oktober 1939 eingehen. Mit ihr habe er versucht, „dazu beizutragen, daß dem deutschen Volk die gräßlichsten Leiden erspart werden möchten.“ Diese Denkschrift habe Sering dem neuernannten Reichsbankpräsidenten und 146 Universitätsarchiv Freiburg, C 100/679.

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Reichswirtschaftsminister Walther Funk zugesandt, „der ihm gegenüber mehrfach eine dankbare Verbundenheit bekundet hatte.“ Zu der anvisierten mündlichen Unterredung sei es dann nicht mehr gekommen. Abschließend erklärte von Dietze hierzu: „Die militärischen und politischen Entscheidungen sind über Serings Ratschläge hinweggegangen.“147 Max Sering verfasste seine Denkschrift vom Oktober 1939 unter dem Titel: „Auswertung der Erfahrungen des Weltkrieges für die deutsche Heeres- und Volkswirtschaft der Gegenwart unter besonderer Berücksichtigung von Eisen und Nahrung“. Nach einem Rückblick auf die Entwicklung in den Jahren des Weltkrieges, in dem er sich auch auf das Buch von Stellwaag bezieht, erklärt er als Quintessenz seiner Weltkriegserfahrungen für die Gegenwart: „Die Besorgnis ist aber nur allzu begründet, daß ein großer Feldzug gegen die Westmächte zu einer Überspannung der Kräfte führt.“ 148 In seinen folgenden Ausführungen warnt Sering vor einem Angriff auf Frankreich: „Der von einer weitblickenden Staatsführung geschaffene Westwall hat die Aufgabe, nicht nur deutsches Blut zu schonen, sondern auch Arbeitskräfte und Material zu erhalten, deren Einsatz die deutsche Volkswirtschaft befähigt, den Aushungerungskrieg gut zu überstehen. Dazu reichen allerdings nicht die Erträgnisse des eigenen Bodens aus.“ Sering plädiert dafür, „durch freundschaftliches Verhalten für die Lieferungswilligkeit der neutralen Völker“ zu sorgen und so gleichzeitig „den Aufbau eines mitteleuropäischen Großwirtschaftsraumes“ zu fördern, „dessen Bedeutung über die Kriegszeit weit hinausreicht“. Die Vision von Sering im zweiten Kriegsmonat war eine Allianz von „Mitteleuropa“ mit Russland. So schreibt er, sollte es gelingen, mit Russland zu „einem intensiveren Verkehr und eine[r] dauernde[n] außenpolitische[n] Interessengemeinschaft zu kommen“, erlange der „eurasische Block“ die Fähigkeit, „unter allen Umständen eine autonome Existenz zu führen und für alle Zukunft eine kritische Blockade unschädlich zu machen.“ Das von Sering herausgegebene Werk von Stellwaag fand zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, wie schon erwähnt, auch bei der Eisen- und Stahlindustrie erneut Interesse und konnte von dem langjährigen Interessenvertreter Jakob Wilhelm Reichert im Frühjahr 1940 sogar erfolgreich zur Abwehr von Kritik an der Schwerindustrie eingesetzt werden. In dem Reihenwerk „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“ schreibt Rolf-Dieter Müller einleitend zu Alfred Stellwaag, dass der Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsgruppe Eisenschaffende Industrie (vormals Verein Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller) Reichert, die „vorsichtige Kritik“ von Rüstungsminister Fritz Todt „an der Rüstungspolitik der Eisenschaffenden Industrie“ abgefedert habe, „indem er die Militärs zum Sündenbock machte.“149 Hierzu führt Müller weiter aus, 147 Dietze, Gedenkrede (wie Anm. 20), S. 19. 148 BArch, R 3101/32168. 149 Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 5/1. Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs. Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen 1939–1941. Stuttgart 1988, S. 473.



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Reichert „übergab einen Auszug aus dem Buch des Ingenieurs Alfred Stellwaag über die Eisenwirtschaft im Ersten Weltkrieg, das wegen seiner heftigen Kritik an den Maßnahmen der militärischen Stellen im Jahre 1923 vom Reichswehrministerium ebenfalls vor seinem Erscheinen beschlagnahmt worden war. Bei Todt stießen diese Feststellungen verständlicherweise auf offene Ohren. Er machte Stellwaag sogleich zum Leiter einer neuen Abteilung Eisen und Metall in seinem Ministerium und zu seinem ‚Aufpasser‘ im Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt.“ In einer Anmerkung schreibt Müller zu dem Auszug aus dem Stellwaagschen Werk, „er kursierte auch innerhalb der Wirtschaftsgruppe und war häufig Gesprächsgegenstand zwischen den Eisenindustriellen in den ersten Kriegsmonaten.“

Die „Wiederentdeckung“ der Bände 1944 fanden die drei Bände zur Kriegswirtschaft mit Sering als Herausgeber und die beiden Bände des Vereins Deutscher Ingenieure – eher zufällig – erneut Interesse. Diese „Wiederentdeckung“ sollte dann Ende der 1950er Jahre die Basis für die Aufnahme der Werke in die Geschichtsschreibung der Abteilung Militärarchiv des Bundesarchivs bilden – zusammen mit dem ebenfalls 1944 in Kopie „gesammelten“ Verlagsprospekt der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co. zu den Sering-Bänden. Die Recherchen im vorletzten Kriegsjahr gingen von Dipl.-Ing. Ludwig Cordes aus, der seit 1930 im technischen Dienst der Kriegsmarine tätig war und 1940 in das Oberkommando der Kriegsmarine kommandiert wurde. Ende 1943 erhielt Cordes den Chefposten der Amtsgruppe für Marineartillerie-Konstruktion und Anfang 1944 wurde er zum Ministerialdirigenten befördert.150 Seit Frühjahr 1944 stand er in Kontakt mit Oberregierungsrat Dipl.-Ing. Wilhelm Hassenstein, der als Militärbaumeister Betriebsleiter in den Heereswerkstätten in Spandau gewesen und ab 1906 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges als Betriebsdirektor in der staatlichen Gewehrfabrik Danzig tätig und nach dem Krieg in das Reichspatentamt gewechselt war. Als namhafter Autor auf dem Feld der Geschichte der Waffentechnik war Hassenstein für Cordes eine wertvolle Quelle. So wurde Cordes auch auf die in den 1920er Jahren unterdrückten Bücher aufmerksam, da Hassenstein Mitautor an dem ihm bis dahin unbekannten zweibändigen Werk des Vereins Deutscher Ingenieure gewesen war.151 Im Herbst 1944 ließ Cordes aus den Schriften von Weyrauch und Stellwaag 120 bzw. 43 Seiten reproduzieren, außerdem wurde im Oberkommando der Kriegsmarine das Werk des Vereins Deutscher Ingenieure auszugsweise kopiert. Komplett kopiert wurde der Prospekt zu den Sering-Bänden der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co. aus dem Jahre 1922. Cordes gelang es, die Kopien 150 Ludwig Cordes (1896–1958), Familiengeschichtliche Sammlung Dietmar Bödecker, Delmenhorst. 151 BArch, MSG 2/16117 bis MSG 2/16120. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.

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über das Kriegsende zu „retten“. 1955 verfasste er hierzu Erläuterungen, in denen er ausführte: „Im Herbst des Jahres 1915 erreichte der Industrielle Walther Rathenau (durch Einschaltung des Kaisers), daß im preußischen Kriegsministerium eine wissenschaftliche Kommission eingesetzt wurde. Den Vorsitz dieser Kommission erhielt Universitäts-Professor Max Sering.“ Bei der Erwähnung von Rathenau und der „Einschaltung des Kaisers“ kann es sich nur um eine mündliche Überlieferung handeln, wobei die Vermutung naheliegen dürfte, dass Hassenstein, der nicht der Wissenschaftlichen Kommission angehörte, hier der Gewährsmann war. Die folgenden Ausführungen von Cordes dürften dagegen partiell dem Verlagsprospekt von 1922 entlehnt sein: „Die Erfahrungen und Erkenntnisse der Mitglieder dieser Kommission wurden nach Kriegsende 1918 niedergeschrieben und im Jahre 1922 bezw. 1923 als achtbändiges Werk von Professor Sering herausgegeben unter dem Titel: ‚Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918‘ Verlag



Abb. 11: Ludwig Cordes, 1940er Jahre

Walter de Gruyter, Berlin“. Zu der weiteren Entwicklung des Publikationsprojektes heißt es: „Bei der Herausgabe im Jahre 1923 wurde das Werk auf Veranlassung des Reichswehr-Ministeriums beschlagnahmt (unter der Begründung der Geheimhaltung seines wertvollen Inhalts) und dann dem Ministerium zugewiesen. Kurze Zeit später ließ das Reichswehr-Ministerium die ganze Auflage (bis auf einige wenige Exemplare) einstampfen. Auf diese Weise wurden Erfahrungen, Kritiken und Reform-Vorschläge vernichtet.“ Im Anschluss hieran erklärt Cordes, dass alle seitherigen „Versuche das verlorengegangene Werk beim Verlag Walter de Gruyter Berlin oder sonstwie ausfindig zu machen“, ohne Ergebnis geblieben seien: „Somit sind die vorliegenden im Jahre



Die Ergebnisse der Wissenschaftlichen Kommission 

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1944 hergestellten Fotokopien 133 und 134 zurzeit die einzige Unterlage aus dem achtbändigen Werk von Professor Sering.“ Zu dem Weltkriegswerk des Vereins Deutscher Ingenieure erläutert Cordes im gleichen Wortlaut wie bei den Sering-Bänden: „Das zweibändige Werk ‚Technische Kriegserfahrungen für die Friedenswirtschaft‘ (1080 Seiten) wurde bei seiner Herausgabe im Jahre 1923 auf Veranlassung des ReichswehrMinisteriums beschlagnahmt (unter der Begründung der Geheimhaltung seines wertvollen Inhaltes) und dem Ministerium zugewiesen. Kurze Zeit später ließ das Reichswehr-Ministerium die ganze Auflage (bis auf einige wenige Exemplare) einstampfen. Auf diese Weise wurden Erfahrungen, Kritiken und Reform-Vorschläge vernichtet.“ Und weiter: „Alle bisherigen Bemühungen das verloren gegangene Werk beim Verlag (Walter de Gruyter) oder sonstwie zu beschaffen blieben erfolglos. Somit sind die vorliegenden im Jahre 1944 hergestellten Fotokopie-Auszüge die einzige Unterlage aus diesem Werk.“ Am 1. September 1956 übersandte Cordes, der auch Kontakte zu seinen früheren Kollegen im Amt Blank unterhielt, Abschriften seiner Korrespondenz mit Hassenstein aus dem Jahre 1944 an Georg Tessin, stellvertretender Leiter der Abteilung Militärarchiv im Bundesarchiv Koblenz, wobei Cordes gegenüber Tessin bemerkte, dass dieser Briefwechsel „zur ‚Entdeckung‘ der beiden Werke führte.“ Im November des Folgejahres wurde Ludwig Cordes Referent in der Unterabteilung Marinetechnik des Bundesverteidigungsministeriums. Als kommissarischer Abteilungsleiter „Marine“ beim 1958 gebildeten Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung verstarb er am 30. März 1958 in Koblenz.152 In seiner 1959 publizierten Abhandlung über „Die amtliche deutsche Geschichtsschreibung über den Ersten Weltkrieg“ geht Erich Murawski, Leiter der Abteilung Militärarchiv beim Bundesarchiv Koblenz, auch auf die Sering-Bände ein und führt zu deren Verbleib aus: „Von diesen Publikationen befinden sich heute nur noch Auszüge in Form von 300 Seiten Fotokopie im Besitz des Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung.“153 Cordes wird von Murawski nicht erwähnt, obwohl er sich ganz offensichtlich sowohl bei seiner Darstellung der Sering-Bände als auch des Weltkriegswerkes des Vereins Deutscher Ingenieure im Wesentlichen auf dessen Vorarbeiten stützt. In dem Abschnitt „Kriegswirtschaftliche und kriegstechnische Erkenntnisse“ geht Murawski zunächst auf die einschlägigen Publikationen des Reichsarchivs ein und erklärt weiter: „Es dürfte aber so gut wie unbekannt geblieben sein, daß es eine umfangreiche halbamtliche Schriftenreihe über diese Fragen gegeben hat, die heute fast ganz verschollen ist.“ Es handele sich hierbei „um eine breit angelegte Gemeinschaftsarbeit“. Der Titel laute „Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918“. Das Werk beruhe auf „volkswirtschaftlichen Untersu152 Ludwig Cordes (wie Anm. 150). 153 Erich Murawski, Die amtliche deutsche Kriegsgeschichtsschreibung über den Ersten Weltkrieg, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 9, 1959, H. 9, S. 513–531 und H. 10, S. 584–598, hier S. 591ff. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.

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chungen“ der früheren Angehörigen der Wissenschaftlichen Kommission beim Preußischen Kriegsministerium mit Professor Max Sering als Herausgeber. In eindeutiger Anlehnung an die Darstellung von Cordes heißt es weiter: „Diese wissenschaftliche Kommission war im Herbst 1915 auf Drängen des Industriellen Walter Rathenau gegen den militärischen Widerstand, der mit Hilfe Kaiser Wilhelms II. überwunden wurde, vom damaligen stellvertretenden Kriegsminister, Generalleutnant von Wandel, im Preußischen Kriegsministerium unter Vorsitz von Prof. Sering eingesetzt worden.“ Die Ausführungen von Murawski zu der personellen Zusammensetzung der Wissenschaftlichen Kommission und der Fertigstellung der begonnenen Ausarbeitungen durch die früheren Kommissionsangehörigen nach Kriegsende sind weitgehend dem von Cordes in Kopie „geretteten“ Verlagsprospekt aus dem Jahre 1922 entnommen. Anschließend gibt Murawski drei Passagen aus dem Verlagsprospekt wieder und nennt hierzu als Quelle: „Vorwort zu Band III“. Danach erklärt Murawski, dass das Reihenwerk „bei der Herausgabe […] auf Veranlassung des Reichswehrministeriums mit der Begründung der gebotenen Geheimhaltung seines wertvollen Inhalts beschlagnahmt und dann dem Reichswehrministerium zugewiesen“ worden sei. Auch die folgenden Ausführungen gehen nahezu wörtlich auf Cordes zurück: „Kurze Zeit später ließ dieses die ganze Auflage bis auf einige wenige Stücke einstampfen. Auf diese Weise wurde Erfahrungen, Kritiken und Reformvorschläge vernichtet.“ Im Gegensatz zu Cordes geht Murawski allerding auch auf die einschlägigen Ausführungen von von Haeften zu den Sering-Bänden ein. Dieser erwähne „den ‚Einspruch einer zentralen Reichsbehörde‘, ohne das Reichswehrministerium selber zu nennen.“ Murawski beziffert die „Gesamtauflage“ auf 25 000 Exemplare und bemerkt hierzu, dass sich die „zunächst erhalten gebliebenen 10 Bände“ in der Bibliothek des Heereswaffenamts befunden hätten: „Sie sind nach den bisherigen Feststellungen später ebenfalls verlorengegangen.“ Abschließend führt Murawski zu den Sering-Bänden aus: „Die Beschlagnahme ist zwar offiziell aus Gründen der Geheimhaltung erfolgt, in Wirklichkeit anscheinend jedoch, weil die Bearbeiter an den militärischen Maßnahmen der Rüstung teilweise recht offene und scharfe Kritik geübt hatten. Diese Kritik erstreckte sich auch auf den mangelhaften Ingenieureinsatz und falsche militärische Organisation auf technischen Fachgebieten. Um so bedauerlicher ist es, daß diese wertvolle Reihe anscheinend völlig verloren gegangen ist.“ Anfang der 1980er Jahre, stieß der Verfasser bei den Recherchen zu seinem Promotionsprojekt über die Montanreviere von Lothringen und Salzgitter im Bundesarchiv Koblenz auf die unveröffentlichte „Geschichte des Vereines Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller“ von Clemens Klein aus dem Jahre 1934, in der das Werk „Die deutsche Eisenwirtschaft während des Krieges“ von Alfred Stellwaag gewürdigt wird. Dank familiengeschichtlich bedingter Kontakte zur Stahlindustrie in Düsseldorf, Vater und Großvater waren im Mannesmann-Konzern tätig, gelang es in den 1980er Jahren ein fotokopiertes Exemplar des Buches von Stellwaag beim Verein Deutscher Eisenhüttenleute ausfindig zu machen und dort eine Kopie zu erhalten. So konnte „Die deutsche Eisenwirtschaft während des Krieges“ – erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik



Die Ergebnisse der Wissenschaftlichen Kommission 

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Deutschland – in der 1989 abgeschlossenen und 1991 als erweiterte Druckfassung in Salzgitter erschienenen Dissertation „Lothringen und Salzgitter in der Eisenerzpolitik der deutschen Schwerindustrie von 1871–1940“partiell ausgewertet werden. In den ersten Nachkriegsjahren hatte allerdings bereits Reichert das Buch von Stellwaag zu seiner lediglich als Manuskript vorliegenden Geschichte der deutschen Eisen- und Stahlindustrie herangezogen. Bereits in den 1980er Jahren nahm der Verfasser wegen des unterdrückten Buches von Stellwaag mit Dr. Rolf-Dieter Müller vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg Kontakt auf. In seiner Dissertation führte er dann unter Bezugnahme auf den Beitrag von Müller in dem 1988 erschienenen Werk ‚Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg‘, Bd. 5/1, aus: „Rolf-Dieter Müller zufolge ist das Buch ‚wegen seiner heftigen Kritik an den Maßnahmen der militärischen Stellen‘ auf Veranlassung des Reichswehrministeriums vor Erscheinen beschlagnahmt worden.“154 Aus Unterlagen im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam geht hervor, dass Rolf-Dieter Müller in den 1980er Jahren bei verschiedenen Verlagen wegen einer erneuten Drucklegung der Sering-Bände zur Kriegswirtschaft des Ersten Weltkrieges anfragte, aber lediglich Absagen erhielt.155 Thomas Wölker führt in seiner 1992 erschienenen Dissertation „Entstehung und Entwicklung des Deutschen Normenausschusses 1917 bis 1925“ unter Hinweis auf die Korrespondenz von Cordes mit Hassenstein und die Veröffentlichung von Murawski die Gründung der Wissenschaftlichen Kommission auf eine „Anregung“ von Walther Rathenau zurück.156 Regina Roth geht in ihrer Dissertation „Staat und Wirtschaft im Ersten Weltkrieg. Kriegsgesellschaften als kriegswirtschaftliche Steuerungselemente“, die 1997 erschien, auf die Wissenschaftliche Kommission und einige ihre Mitglieder ein, ohne jedoch die unterdrückten kriegswirtschaftlichen Werke zu erwähnen.157 Markus Pöhlmann behandelt in seiner 2002 publizierten Dissertation „Kriegsgeschichte und Geschichtspolitik: Der Erste Weltkrieg. Die amtliche deutsche Militärgeschichtsschreibung 1914–1956“ nicht nur die Wissenschaftliche Kommission, sondern nennt auch alle drei Autoren und ihre unterdrückten Werke.158 Ebenfalls 2002 erwähnt RolfDieter Müller in seinem Beitrag „Kriegführung, Rüstung und Wissenschaft. Zur Rolle des Militärs bei der Steuerung der Kriegstechnik unter besonderer Berücksichtigung des Heereswaffenamtes 1935–1945“ gleichfalls die Kommission unter der Leitung von Sering und weist hier darauf hin, dass „eine späte Edition der Schriften“ inzwischen

154 Rainer Haus, Lothringen und Salzgitter in der Eisenerzpolitik der deutschen Schwerindustrie von 1871–1940. Salzgitter 1991, S. 47. 155 Mitteilung von Herrn Dr. Markus Pöhlmann. 156 Thomas Wölker, Entstehung und Entwicklung des Deutschen Normenausschusses 1917 bis 1925. Berlin/Köln 1992, S. 92, Anm. 99. 157 Roth, Staat und Wirtschaft (wie Anm. 47), S. 55ff. 158 Markus Pöhlmann, Kriegsgeschichte und Geschichtspolitik: Der Erste Weltkrieg. Die amtliche deutsche Militärgeschichtsschreibung 1914–1956. Paderborn 2002, S. 353f.

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„durchaus möglich“ wäre.159 Sören Flachowsky geht in seinem Beitrag „Krisenmanagement durch institutionalisierte Gemeinschaftsarbeit. Zur Kooperation von Wissenschaft, Industrie und Militär zwischen 1914 und 1933“, der 2010 erschien, relativ ausführlich auf die Wissenschaftliche Kommission, allerdings nicht auf die Titel und Inhalte der unterdrückten Werke ein.160 In den 2014/15 zum Ersten Weltkrieg erschienenen deutschsprachigen Büchern findet sich kein Hinweis auf das Werk von Stellwaag. Die hundertste Wiederkehr des Kriegsbeginns war für den Verfasser Anlass, sich erneut mit der deutschen Eisen- und Stahlindustrie im Ersten Weltkrieg zu befassen. Als Unternehmenshistoriker von Bosch Thermotechnik in Wetzlar, zu deren Marken Buderus gehört, plante er eine Ausstellung zu Buderus in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, einschließlich der 1915 im Rahmen der Kriegswirtschaft von Buderus in Wetzlar aufgenommenen Stahlproduktion. Als Höhepunkt dieser Ausstellung war vorgesehen, auch die drei 1922 unterdrückten Bücher zur Kriegswirtschaft des Ersten Weltkrieges im Original oder, wenn nicht anders möglich, zumindest in Kopie zu präsentieren. Im Vorfeld der Ausstellung stellte sich heraus, dass das Buch von Stellwaag zwar in deutschen Bibliotheken mehrfach nachgewiesen ist, beispielsweise in der Universitätsbibliothek Freiberg, dort jedoch lediglich in Form von Kopien vorlag. Auf seiner Suche nach einem Original wurde der Verfasser nach langer Suche schließlich in Potsdam fündig. Zwar befand sich in der Bibliothek und Fachinformationsstelle des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr 2014 ebenfalls lediglich eine Kopie des Buches, in der Außenstelle der Bibliothek in Strausberg jedoch ein Originaldruck, der allerdings nicht die Anlagen enthält. In der am 4. Dezember 2014 in Wetzlar eröffneten Ausstellung konnte das Buch von Stellwaag aus Strausberg gezeigt werden und darüber hinaus ein Original des Werkes von Robert Weyrauch zum Waffen- und Munitionswesen (das der Verfasser antiquarisch erwerben konnte) sowie ein Original des Buches von Otto Goebel zu den Spinnstoffen aus der Universitätsbibliothek Regensburg. Am 2. April 2015 berichtete Georg Giersberg von der Wirtschaftsredaktion der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ über die Präsentation der drei unterdrückten und weitgehend vernichteten Bücher in der Ausstellung und nannte in seinem ganzseitigen Artikel unter der Überschrift „Der Fund“ auch den Verlag Walter de Gruyter. Unmittelbar nach dieser Veröffentlichung nahm Dr. Anke Beck von der Geschäftsführung des Verlages mit dem Verfasser Kontakt auf und wies ihn dabei auf das noch

159 Rolf-Dieter Müller, Kriegführung, Rüstung und Wissenschaft. Zur Rolle des Militärs bei der Steuerung der Kriegstechnk unter besonderer Berücksichtigung des Heereswaffenamtes 1935–1945, in: Helmut Maier (Hrsg.), Rüstungsforschung im Nationalsozialismus. Organisation, Mobilisierung und Entgrenzung der Technikwissenschaften. Göttigen 2002, S. 52–71, hier S. 56, Anm. 10. 160 Sören Flachowsky, Krisenmanagement durch institutionalisierte Gemeinschaftsarbeit. Zur Kooperation von Wissenschaft, Industrie und Militär 1914–1933, in: Michael Grüttner et al. (Hrsg.), Gebrochene Wissenschaftskulturen. Universität und Politik im 20. Jahrhundert. Göttingen 2010, S. 83–106, hier S. 88ff.



Die Ergebnisse der Wissenschaftlichen Kommission 

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vorhandene Verlagsarchiv hin. 2015 entschied sich der Verlag Walter de Gruyter zu einer Neuauflage der drei Bände und der Publikation eines Kommentarbandes.

5 Schlussbetrachtung zur hundertjährigen Editionsgeschichte Schon im ersten Kriegsjahr hatte Professor Max Sering die Vorstellung entwickelt, „den wirtschaftlichen Teil des Generalstabswerks“ (Goebel) herauszugeben, wie aus einer entsprechenden Anfrage bei seinem früheren Schüler Otto Goebel gegen Jahresende 1914 deutlich wird. Rüdt von Collenberg zufolge dachte Sering schon 1916 „an Veröffentlichung“. Dank Unterstützern wie insbesondere dem Kriegsminister von Stein gelang es ihm, erhebliche Widerstände gegen sein Projekt bei militärischen und zivilen Stellen abzuwehren. Ein weiterer sehr beachtlicher Erfolg von Sering besteht darin, dass es ihm gelang, Manuskripte seiner Mitarbeiter Büsselberg, Seeßelberg und Thieme über „Die Sicherstellung der Heeresverpflegung“, „Die Kriegsbauwirtschaft an der Front“ und „Das Militär-Veterinärwesen während des Weltkrieges vom wirtschaftlichen Standpunkt“ in seinen Unterlagen zu bewahren, die sich heute im Bundesarchiv Koblenz befinden. Außerdem sind in seinem Nachlass auch seine Vorarbeiten für den ersten und zweiten Band überliefert,ebenso Auszüge aus dem Manuskript von Weyrauch.161 Die in den ersten Nachkriegsjahren entstandenen vielfältigen Schwierigkeiten bei der Realisierung des Publikationsvorhabens unter der Herausgeberschaft von Sering konnten mit Hilfe des Präsidenten des Reichsarchivs und der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co. in den Jahren 1920/21 zunächst gelöst werden. Nach einer Intervention von Seiten der Chemieindustrie befassten sich dann jedoch im Januar 1922 die tangierten Reichsministerien mit dem Projekt und nahmen auf Initiative des Reichwirtschaftsministeriums von Anfang an eine ablehnende Haltung gegenüber einer Veröffentlichung ein. Unter der Federführung des Reichsinnenministeriums nahm das Publikationsvorhaben im Frühjahr 1922 erneut eine positive Wendung. Ausschlaggebend hierfür war Ministerialdirektor Brecht, der den Sering-Bänden grundsätzlich zum Erscheinen verhelfen wollte. Volker Depkat sieht Arnold Brecht in einer Reihe mit anderen Repräsentanten der Weimarer Republik wie Ferdinand Friedensburg, die sich von ihrem Selbstverständnis her „ostentativ als Speerspitzen der Demokratie in einer von antidemokratischen Wertideen durchsetzten Umwelt“ sahen. An anderer Stelle zitiert Depkat Brecht mit den Worten, dass ihm in der Revolutionszeit 1918/19 nichts mehr

161 BArch, N 1210/84, N1210/99, N1210/101, N1210/113, N1210/157.

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beschäftigt habe als die „Überdenkung der Prinzipien, nach denen man in Deutschland regiert und gelebt hatte.“162 Obwohl Herausgeber Sering und seine Autoren Stellwaag und Weyrauch auch noch nach dem Druck der Bände im August 1922 bereit waren, allen staatlichen Änderungswünschen voll nachzukommen, um doch noch die Publikation ihrer Werke zu erreichen, kam es insbesondere aufgrund der Haltung des Reichswehrministeriums und des Auswärtigen Amts nicht mehr dazu. Während die Interessen der militärischen Führung von ihr klar benannt wurden, muss die Haltung des Auswärtigen Amts natürlich auch vor dem Hintergrund der überaus schwierigen außenpolitischen Gesamtsituation des Deutschen Reiches und insbesondere der umstrittenen Reparationsfrage gesehen werden. Zugleich muss aber auch die besondere Rolle des Schuldreferates des Auswärtigen Amts besonders berücksichtigt werden, wobei in den bisher vorliegenden Untersuchungen hierzu die Sering-Bände nicht thematisiert werden.163 Die Unterdrückung der Bände von Goebel, Stellwaag und Weyrauch in der Zeit der Weimarer Republik resultiert im Grunde daraus, dass in der Ministerialbürokratie, aber auch auf der Ebene der industriellen Verbände, eine weitgehend ungebrochene personelle, geistige und mentale Kontinuität bestand. Nach 1918 gab es nur wenige Spitzenbeamte, die – wie Arnold Brecht – ganz bewusst einen Neuanfang in jeder Hinsicht erreichen wollten. Bezeichnend hierfür ist, dass Brecht Ende Juli 1922 von Sering in seinem Herausgebervorwort die Streichung der Aussage, dass „aus den erzielten Erfolgen oder Mißerfolgen für die Zukunft Lehren [zu] ziehen“ seien, zum wiederholten Male forderte. Zu dem Gros seiner Kollegen im Reichsministerium des Innern schreibt Brecht in seinen Lebenserinnerungen: „Sie waren aus langjährigen treuen Diensten für die Monarchie hervorgegangen, ausgesucht im Hinblick auf ihre königstreue Gesinnung, meist konservativ in ihren Grundanschauungen, wenn nicht Wilhelminisch, so doch Bismarckisch bis in die Knochen [...].“ Weiter heißt es: „Wie konnte man mit einem solchen Beamtenstab den Geist der Verwaltung und durch ihn den Geist des deutschen Bürgertums aus alten Geleisen herausführen?“164 Letztlich wurden die höchst akribischen Darstellungen in den kriegswirtschaftlichen Bänden der Mitarbeiter Serings in den tangierten Kreisen weitgehend als eine Art „Herrschaftswissen“ angesehen, das man für sich behalten wollte. Hierbei spielte der Gedanke an einen künftigen „Ernstfall“ eine nicht zu unterschätzende Rolle.

162 Volker Depkat, Lebenswenden und Zeitenwenden. Deutsche Politiker und die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts. München 2007, S. 379ff. 163 Siehe hierzu Ulrich Heinemann, Die verdrängte Niederlage. Politische Öffentlichkeit und Kriegsschuldfrage in der Weimarer Republik. Göttingen 1983; Wolfgang Jäger, Historische Forschung und politische Kultur in Deutschland. Die Debatte 1914–1980 über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Göttingen 1984; Sacha Zala, Geschichte unter der Schere politischer Zensur. Amtliche Aktensammlungen im internationalen Vergleich. München 2001. 164 Brecht, Aus nächster Nähe (wie Anm. 100), S. 379.

Marcel Boldorf

Wirtschaftliche Organisation und Ordnungspolitik im Ersten Weltkrieg Die folgenden Ausführungen zur Ordnungspolitik im Ersten Weltkrieg folgen der Auffassung, dass die Entscheidung über Sieg und Niederlage in diesem Krieg maßgeblich auf wirtschaftlichem Felde fiel. Der Hauptunterschied zwischen den Mittelmächten und den Alliierten beruhte demnach auf ihrem jeweiligen wirtschaftlichen Potenzial. Die Anhänger eines „Siegfriedens“ im Deutschen Reich suchten aufgrund der materiellen Unterlegenheit nach Möglichkeiten zur maximalen Ressourcenmobilisierung, um den Kriegsgegnern möglichst lange Paroli bieten zu können. Im Blickpunkt stehen weniger die politischen und strategischen Fehleinschätzungen, die der gewünschten Totalmobilisierung entgegenstanden, sondern vielmehr die Wirtschaftsordnung und die Organisation der Wirtschaft im kriegführenden Kaiserreich. In ökonomischer Hinsicht verlief die grundlegende Konfliktlinie zwischen Industrie und Heer, die sich antagonistisch gegenüberstanden.1 Staatliche Stellen, die teilweise erst während des Krieges entstanden, versuchten lenkend in die Konfrontation zwischen militärischer Rekrutierung und Mobilisierung sowie der Wahrung unternehmerischer Interessen einzugreifen. Dies wirft vor allem die Frage auf, inwieweit der Staat in der Lage war, als vermittelnde oder gar planende Autorität in der Wirtschaft aufzutreten. In der Forschung wird übereinstimmend von einer Zweiteilung des behandelten Zeitraums ausgegangen. Einer ersten Phase, die vom unvorbereiteten Kriegseintritt und einer Anpassung an die neuen wirtschaftlichen Anforderungen gekennzeichnet war, stand eine zweite Phase gegenüber, die sich durch Machtkonzentration und den Versuch einer vollständigen wirtschaftlichen Ausrichtung auf die Rüstungsproduktion auszeichnete. Den Wendepunkt bildete die durch die neu gebildete dritte Oberste Heeresleitung (OHL) im August 1916 eingeleitete administrative Umgestaltung und die Durchsetzung des sogenannten Hindenburg-Programms.2 Jüngst wurde eine Dreiteilung des Kriegsverlaufs vorgeschlagen: Einer zweimonatigen Phase der Illusion eines kurzen Krieges mit einer begrenzten Rüstung, die bis September 1914 andauerte, folgte die Umstellung auf einen längeren Krieg mit einer industriellen Mobilisierung

1 Vgl. zu dieser Grundthese auch Markus Pöhlmann, Waffen- und Munitionswesen. Eine kritische Einleitung in das Werk von Robert Weyrauch, in: Marcel Boldorf/Rainer Haus (Hrsg.), Die Ökonomie des Ersten Weltkriegs im Lichte der zeitgenössischen Kritik. (Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918, Bd. 4) Berlin/Boston 2016, S. 174–192, hier S. 191. 2 Vgl. Harald Wixforth, Die Gründung und Finanzierung von Kriegsgesellschaften während des Ersten Weltkriegs, in: Hartmut Berghoff/Jürgen Kocka/Dieter Ziegler (Hrsg.), Wirtschaft im Zeitalter der Extreme. Beiträge zur Unternehmensgeschichte Österreichs und Deutschlands. Im Gedenken an Gerald D. Feldman. München 2010, S. 81–105, hier S. 82.

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von Oktober 1914 bis 1916. Mitte diesen Jahres begann mit dem Übergang zur totalen Mobilisierung die letzte Kriegsphase.3

1 Ausgangslage Zeitgenössisch wurde die Kriegswirtschaft als eine Art Störung der Volkswirtschaft angesehen. Die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts machten Veränderungen in der Wirtschaftspolitik und eine Wirtschaftsregulierung notwendig. Die vom Staat nach Möglichkeit zu steuernden Umstellungen betrafen die Produktion, den privaten und öffentlichen Verbrauch, die Märkte sowie die Preise. Während in Friedenszeiten die optimale Bedarfsdeckung und ein facettenreicher Konsum im Zentrum des Wirtschaftens standen, suchte sich der kriegführende Staat ein Maximum an Rüstungsgütern zu beschaffen und sich mit militärischen Machtmitteln zu versorgen. Die Erkenntnis, dass nur staatliche Eingriffe die Wirtschaft auf den Krieg einstellen konnten, war auf theoretischer Ebene durchaus vorhanden, allein folgte ihr die politische Praxis im Sommer 1914 kaum.4 Eingedenk dieser Erwägungen herrschte in führenden militärischen Kreisen die Annahme vor, ein langwieriger Krieg sei ökonomisch nicht führbar, weil der moderne Industriestaat zu sehr auf den ungebrochenen Fortgang von Handel und Industrie angewiesen sei. Dem folgte die Taktik des Schlieffenplans als militärischem Königsweg.5 Im Vertrauen auf eine schnelle militärische Entscheidung vernachlässigte man die planenden und wirtschaftsstrategischen Vorbereitungen nicht nur im Deutschen Reich, sondern zum Beispiel auch beim Hauptkriegsgegner Frankreich sträflich. In einer Wirtschaftskonferenz vom Mai 1914 diskutieren Regierungsvertreter und Unternehmer verschiedene Apekte der wirtschaftlichen Durchführung eines längeren Krieges, vermieden es aber, die an sich naheliegende Frage der Kriegsdauer anzusprechen. Offensichtlich beherrschte die Vorstellung eines kurzen Krieges als Dogma die wirtschaftliche Kriegsvorbereitung, weil es der einzige Krieg war, den Deutschland vielleicht gewinnen konnte. Über einen längeren Krieg mochte man nicht sprechen, weil ihn Deutschland kaum gewinnen konnte. Die politische Führung des Deutschen Reiches überschätzte seine militärische Stärke wegen des gewaltigen Aufrüstungsprogramms, das seit der Jahrhundertwende andauerte. Der Flottenbau, der sich nach Fritz Fischer als außenpolitisch aggressi-

3 Gerd Hardach, Die finanzielle Mobilmachung in Deutschland 1914–1918, Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 56, 2015, H. 2, S. 359–387. 4 Vgl. Hans-Peter Ullmann, Kriegswirtschaft, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hrsg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg. 2. Aufl. Paderborn 2014, S. 220. 5 Vgl. Alfred Stellwaag, Die deutsche Eisenwirtschaft während des Krieges. (Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918, Bd. 2) Berlin/Boston 2016, S. 4.



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ver Akt einschätzen lässt,6 gab zur Hoffnung Anlass, den militärischen Rückstand gegenüber der führenden Seestreitmacht Großbritannien aufgeholt zu haben. Das Vertrauen in die eigene Ressourcenausstattung gründete auch auf der industriellen Entwicklung, die Deutschland zu einer der weltweit führenden Industrienationen gemacht hatte. Der für den Krieg besonders relevante schwerindustrielle Sektor war ein treffliches Beispiel: In der Wachstumsperiode zwischen 1880 und 1913 versiebenfachte sich die deutsche Roheisenproduktion.7 Die aus solchen Fehlperzeptionen folgenden Versäumnisse hielt Alfred Stellwaag, der den Band zur deutsche Eisenwirtschaft verfasste, mit den Worten fest, dass das Deutsche Reich „völlig blind für die gewaltigen Aufgaben der wirtschaftlichen Kriegführung in den Krieg hineingetreten“8 sei.

Abb. 12: Mobilmachung in Berlin, 1914

6 Vgl. Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18. Düsseldorf 1961. 7 Vgl. Social Science Open Access Repository, Dokumentation zum Zeitreihendatensatz für Deutschland, 1834–2012. Online unter: www.nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-437224 (Reihe X829) (letzter Zugriff: 13. Juni 2016). 8 Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 5), S. 4.

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Robert Weyrauch legte eine detailreiche Aufstellung vor, inwiefern das deutsche Heer unvorbereitet in den Krieg zog.9 Die Mengen der in Spandau gelagerten Munition lesen sich zwar recht beachtlich, z.B. waren für die Infanterie 220 000 kg Pulver, 18 Millionen Hülsen, 12 Millionen Geschosse und 35 Millionen Zündhütchen vorgesehen. Jedoch wurden diese Vorräte angesichts der Höhe des Materialverbrauchs gleich in den ersten Kriegsmonaten aufgebraucht. Auch die seit 1900 erfolgten Gründungen und Kapazitätserweiterungen einiger Rüstungsfirmen konnten zwar die Zuversicht in die eigene Fähigkeit zur Aufrüstung stärken, erwiesen sich aber vor dem Hintergrund der unvorhergesehenen Kriegserfordernisse als keineswegs ausreichend. Weitere Argumente, die den Glauben an die Unmöglichkeit einer langen Kriegsdauer bestärkten, waren die zu erwartenden großen finanziellen Lasten und die Einsicht, dass der „Zusammenprall von Massenheeren“ angesichts der „Wirkungen der neuzeitlichen Kriegsmittel“ eben zu einer Verkürzung des Konflikts führen würde.10 Deshalb schätzten die militärischen Experten den Materialverbrauch vorab völlig falsch ein. Der im Frieden aufgebaute Bestand an Waffen, Munition, Geräten und Bekleidung schien ihnen für den Fall der Mobilmachung ausreichend zu sein, und gleiches nahm man von den Kapazitäten der Rüstungsindustrie an. Die rudimentären kriegswirtschaftlichen Planungen sahen vor, das verbrauchte Material zu ersetzen, doch rechnete man nicht mit einem ständig wachsenden Verbrauch. Es wurde nicht antizipiert, dass Unternehmen außerhalb des eigentlichen Rüstungssektors für die Produktion kriegswichtigen Materials unentbehrlich werden könnten. Erschwerend kam hinzu, dass sich die Rüstungsproduktionsstätten auf die deutschen Einzelstaaten verteilten. Preußen, Bayern oder Sachsen unterhielten sogenannte Heereswerkstätten, die der Serienfertigung von Kriegsmaterial dienten. Die preußischen staatlichen Werkstätten, die in Spandau konzentriert waren, beschäftigten vor dem Krieg 16 000 Arbeiter. Sie produzierten zu dieser Zeit rund 40 Prozent der Kriegsgüter, d.h. trotz eines starken staatlichen Engagements lag bei Kriegseintritt der größte Teil der Rüstungsproduktion in privater Hand.11 Für eine planende Gestaltung der Kriegswirtschaft fehlte es sowohl an einer geeigneten Wirtschaftsdoktrin als auch einem allgemein anerkannten ordnungspolitischen Konzept. Mit dem Kriegsausbruch trat über Nacht die Notwendigkeit auf, die Wirtschaft auf die neuen militärischen und logistischen Erfordernisse einzustellen. Die Umstellung des ordnungspolitischen Gefüges auf den Krieg bedeutete für die staatliche Wirtschaftspolitik die Übernahme einer völlig unbekannten Aufgabe. Allgemein herrschte Skepsis gegenüber dem zu starken Eingreifen des Staates in den Wirtschaftsablauf. Walther Rathenau, der Mitinitiator der Rohstoffbewirtschaf9 Robert Weyrauch, Waffen- und Munitionswesen. (Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918, Bd. 1) Berlin/Boston 2016, S. 26–30. 10 Ebd., S. 40. 11 Gerd Hardach, Der Erste Weltkrieg. (Geschichte der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert, Bd. 2) München 1973, S. 65.



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tung, bekannte sich eindeutig zu wirtschaftlicher Liberalität: Es sei „eine Selbstverständlichkeit, daß Handel und Industrie ein wohlerworbenes Recht auf Verdienen und möglichst freie Bewegung“12 hätten. Theoretisch waren zwar Möglichkeiten zur Beschränkung der Eigentumsrechte der Unternehmer oder zum Erlass von Zwangsmaßnahmen bekannt, doch machte die Regierung zunächst kaum davon Gebrauch. Die Militär- und Staatsbehörden mussten daher mit den Unternehmen in Verhandlung treten und ihnen das benötigte Kriegsgerät, Waffen und Munition abkaufen.13

2 Wirkungen des Kriegsausbruchs Der Krieg begann mit einer Wirtschaftskrise. Nach dem Hochkonjunkturjahr 1913 hatten sich Anzeichen einer leichten Rezession bereits angedeutet.14 Ein tiefer Fall der Produktion ereilte beispielsweise die Eisen- und Stahlindustrie: Die erzeugte Menge an Roheisen fiel von Juli auf August 1914 um mehr als 62 Prozent und diejenige an Stahl um mehr als 65 Prozent.15 Aus dem Bündel an Problemlagen standen die meisten mit den Bereichen der Zulieferung und des Transports in Zusammenhang. Engpässe bei der Belieferung mit Rohstoffen traten auf, weil die Verbindungen über den Seeweg zusammenbrachen. Den tiefen Einbruch gegenüber der Friedenswirtschaft verursachte auch der plötzliche Wegfall von Exportmöglichkeiten.16 Die stark ansteigende Nachfrage des Militärs nach Eisen und Stahl sorgte für eine komplizierte Situation: Die Lager der Eisenhändler leerten sich durch Verkäufe an staatliche Stellen rasch, während die Transportkapazitäten der Eisenbahn nicht ausreichten, um die Belieferung der weiterverarbeitenden Produzenten zu gewährleisten. Bei manchen Herstellern türmten sich infolge dessen sogar Vorräte an Eisen und Stahl auf.17 Die Transportkrise war auch ein Effekt der Mobilisierung selbst, z.B. litt die Eisenindustrie an der Saar und in Lothringen besonders daran, dass die frontnahen Regionen für die deutschen Truppen als Aufmarschgebiet dienten.18 Allgemein galt, dass 12 Otto Goebel, Deutsche Rohstoffwirtschaft im Weltkrieg einschließlich des Hindenburg-Programms. Stuttgart 1930, S. 23. Auch zitiert von Hardach, Weltkrieg (wie Anm. 11), S. 69. 13 Werner Plumpe, Die Logik des modernen Krieges und die Unternehmen: Überlegungen zum Ersten Weltkrieg, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 56, 2015, H. 2, S. 325–357, hier S. 337. 14 Jürgen Kocka, Klassengesellschaft im Krieg. Deutsche Sozialgeschichte 1914–1918. (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 8) 2. Aufl. Göttingen 1978, S. 21. 15 Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 5), S. 8. Vgl. dort auch Anlage 2: Roheisen- und Rohstahlerzeugung. 16 Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung beider deutscher Staaten 1914–1949. München 2003, S. 48. 17 Stefanie van de Kerkhof, Von der Friedens- zur Kriegswirtschaft. Unternehmensstrategien der deutschen Eisen- und Stahlindustrie vom Kaiserreich bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Essen 2006, S. 328. 18 Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 5), Anlage 4: Monatliche Roheisenerzeugung nach Bezirken.

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die Transportkapazitäten durch die militärische Nutzung der Verkehrsmittel und Verkehrswege stark eingeschränkt waren. Insbesondere war die Eisenbahn durch militärische Transporte überbeansprucht. Die deutsche Reichsregierung untersagte die Aus- und Durchfuhren kriegswichtiger Produkte. In Industriezweigen wie der Elektrobranche, die sich während der Phase der Hochindustrialisierung international ausgerichtet hatten, sorgte dies für einen jähen Einbruch des Auslandsabsatzes. Der auswärtige Nachfragerückgang erforderte eine Umorientierung auf die Binnennachfrage und damit eine unerwartete Anpassungsleistung.19 Ein zweiter Problembereich betraf den Abzug der Arbeitskräfte aus der Industrie. Kurz nach Kriegsbeginn schnellte die Arbeitslosigkeit als Folge der militärischen Mobilisierung von 2,7 Prozent im Juli 1914 auf 22,7 Prozent im September 1914 empor.20 Diese eruptiv entstehende Arbeitslosigkeit war ein deutlicher Ausdruck des unvorbereiteten Kriegseintritts Deutschlands. Der durchaus vorher erwartbare Umschichtungsprozess von Arbeitskräften begann erst nach Ausbruch des Krieges. Im Bergbau führte der massive Abzug von Arbeitskräften zu einem raschen Produktionseinbruch.21 Ebenso schnell sank in diesem Sektor die Produktivität, denn die Personalverluste betrafen größtenteils den qualifizierten Facharbeiterstamm, der nicht ohne Weiteres zu ersetzen war. Auf dieselbe Weise rissen die unvermittelt einsetzenden Rekrutierungen von Soldaten in anderen Wirtschaftssektoren tiefe Lücken in die Belegschaften, sodass überall starke Produktivitätsrückgänge zu beklagen waren. Zu dieser Fehlplanung betonte Stellwaags Darstellung, dass „bei der Einziehung zum Heeresdienst […] auf das Fortbestehen der Wirtschaft zu wenig Wert gelegt“ worden sei. Der durch den Mobilmachungsplan gesetzte Rahmen sei gesprengt worden. Nur wenige Rüstungsbetriebe wurden vor dem Verlust großer Teile ihrer qualifizierten Fabrikarbeiterschaft durch Einzelverordnungen geschützt.22 Der Konflikt zwischen dem Heer, das nach immer mehr Soldaten verlangte, und der Industrie, die qualifizierte Arbeitskräfte benötigte, flammte bereits in den ersten Kriegstagen auf. Das Drängen der Industrie auf Verbleib der Arbeitskräfte in den Betrieben verkörperte vor allem ein neuer Dachverband, der „Kriegsausschuss der deutschen Industrie“.23 Seine Bemühungen waren indes vergeblich, denn je nach Industriebranche schrumpften die Belegschaften um ein Viertel oder gar ein Drittel, wie z.B. im Ruhrbergbau.24 Das Heer nahm keine Rücksicht auf die industriellen Interessen, noch nicht einmal die der Rüstungsindustrie. Beseelt vom Willen einer raschen militärischen Ent19 Ulrich Kreutzer, Von den Anfängen zum Milliardengeschäft. Die Unternehmensentwicklung von Siemens in den USA zwischen 1845 und 2001. Stuttgart 2013, S. 97. 20 Ullmann, Kriegswirtschaft (wie Anm. 4), S. 226. Erfasst wurde die Zahl der aus Gewerkschaftskassen unterstützten Arbeitslosen. 21 Plumpe, Logik des modernen Krieges (wie Anm. 13), S. 341. 22 Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 5), S. VII, 7. 23 Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4 (wie Anm. 16), S. 48. 24 Christian Böse/Dieter Ziegler, Die Ruhrkohle in der kriegswirtschaftlichen Regulierung, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 56, 2015, H. 2, S. 421–449, hier S. 427.



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scheidung wurden alle verfügbaren Männer rekrutiert. Obgleich die Militärs durchaus Überlegungen zur Intensivierung der Rüstungsproduktion anstellten, wiegten sie sich in der Hoffnung, dass man sich auf die staatlichen Rüstungsfirmen verlassen könne und nur wenige größere Privatunternehmen, etwa Krupp, einbeziehen müsse. Schon die ersten Gefechte wie die Marneschlacht zeichneten sich durch einen unerwartet hohen Verbrauch an Kriegsmaterial aus. Als die Nachfrage nach Kriegsgerät, Munition und Waffen rasch anstieg, musste sich die Wirtschaft binnen kurzer Zeit in eine riesige Kriegsmaschinerie verwandeln. Der Materialmangel betraf nicht Deutschland allein, sondern auch seine Kriegsgegner: In Frankreich drohten schon im September 1914 die Granaten auszugehen, während sich das deutsche Heer einen Monat später dem gleichen Problem gegenüber sah. Die sogenannte Munitionskrise von 1914/15 gebot eine stärkere Indienstnahme der Wirtschaft für den Krieg und leitete die eigentliche Phase der kriegswirtschaftlichen Mobilisierung mittels einer Umgestaltung der Wirtschaftsordnung ein.25 Die sprunghaft steigende Nachfrage der militärischen Beschaffungsbehörden nach Rüstungsgütern vervielfachte die Aufträge. Infolge dieser Kriegskonjunktur suchten die rüstungsrelevanten Industrien nach Arbeitskräften. Diese folgten den Angeboten, und die Arbeitslosigkeit sank rapide.26 Spätestens zur Jahreswende 1914/15 trat eine allgemeine Arbeitskräfteknappheit ein, die die Konfrontation zwischen Industriellen und Heeresleitung zu einem Dauerzustand werden ließ. Der Konflikt um die Verwendung der Arbeiter sollte den Krieg weiterhin durchziehen, denn die Industrie wollte möglichst ihre Facharbeiter sichern, während das Militär auf größtmögliche Rekrutierung von Soldaten pochte. Jedoch wurden Fachkräfte ungeachtet ihrer beruflichen Qualifikation weiterhin aus den Werken abgezogen.

3 Wirtschaftliche Ordnungspolitik in den ersten beiden Kriegsjahren Die fehlende Einsicht in die Notwendigkeit der wirtschaftlichen Mobilmachung stand in eklatantem Widerspruch zur Wirtschaftskrise bei Kriegsbeginn. Aufgrund der starken Abhängigkeit Deutschlands vom Weltmarkt hätte den politisch Verantwortlichen die Notwendigkeit eines raschen Übergangs zu kriegswirtschaftlichen Vorkehrungen durchaus bewusst sein können: Insbesondere machten Rohstoffe zwischen 1910 und 1913 rund 43 Prozent der deutschen Importe aus.27 Dennoch waren 25 Ullmann, Kriegswirtschaft (wie Anm. 4), S. 221; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4 (wie Anm. 16), S. 50. 26 Anselm Faust, Arbeitsmarktpolitik im Deutschen Kaiserreich. Arbeitsvermittlung, Arbeitsbeschaffung und Arbeitslosenunterstützung 1890–1918. Stuttgart 1986, S. 195. 27 Hardach, Weltkrieg (wie Anm. 11), S. 66.

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die Vorkehrungen trotz einiger Unterredungen der Reichsregierung mit führenden Industriellen auch in diesem Bereich unzureichend geblieben.28 Walther Rathenau, der Präsident der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG), sowie sein leitender Hauptreferent Wichard von Moellendorff gehörten zu den wenigen, die frühzeitig ein Verständnis für die prekäre Rohstofflage entwickelten. Sie können als „Erfinder“ des Bewirtschaftungssystems des Ersten Weltkrieges gelten.29 Eine vom Reichsamt des Innern bei 900 Industrieunternehmen durchgeführte Umfrage bestätigte ihre Annahme, dass die vorhandenen Rohstoffvorräte der Industrie nur für kurze Zeit reichen würden.30 Für die Versorgung mit Rohstoffen sowie deren Verteilung standen keine geeigneten Lenkungsstrukturen zur Verfügung. Der Aufbau entsprechender Institutionen stieß auch an die Grenzen des föderalen Dualismus: Seit der deutschen Reichsgründung von 1871 war eine Reihe hoheitlicher Aufgaben keiner gesamtstaatlichen Regelung zugeführt worden, sodass sie im Kompetenzbereich der Einzelstaaten verblieben. Insbesondere fehlte es an einem Kriegsministerium, das als zentrale Steuerungsinstanz hätte auftreten können. In Ermangelung einer solchen Reichsbehörde nahm sich die preußische Regierung der Aufgabe an. Das preußische Kriegsministerium leistete die kriegswichtige Koordination, und die entsprechenden Ministerien in Dresden, Stuttgart und München ordneten sich unter.31 Mit Erfolg bemühten sich Rathenau und von Moellendorff um die Gründung einer Kriegsrohstoffabteilung (KRA) im preußischen Kriegsministerium. Sie wurde im August 1914 eingerichtet und widmete sich, nachdem der britische Kriegsgegner eine Seeblockade verhängt hatte, der Rohstoffbewirtschaftung, dem sensibelsten Faktor der deutschen Kriegswirtschaft. Der KRA wuchsen zahlreiche Verwaltungs- und Kontrollaufgaben zu: zunächst die Erfassung der verfügbaren Rohstoffbestände, dann die Schätzung des Verbrauchs und daraus abgeleitet die Festlegung des Bedarfs und die Zuweisung der Rohstoffe. Darüber hinaus führte die Behörde begleitende Maßnahmen zur Sicherung des Rohstoffangebots durch, z.B. Beschlagnahmen von Vorräten bei nicht rüstungswichtigen Betrieben, die Sicherung ausländischer Rohstoffvorkommen und den Ausbau von Ersatzstoffindustrien.32 Die KRA sollte marktkonform agieren: Die geschäftliche Grundidee war, dass sie Rohstoffe erwarb und nach kriegswirtschaftlichen Zielen an die Produzenten veräußerte.

28 Wixforth, Gründung und Finanzierung (wie Anm. 2), S. 84. 29 Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. München 2014, S. 137. 30 Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4 (wie Anm. 16), S. 48; vgl. auch: Dieter Ziegler, Die Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg. Trends der Forschung, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 56, 2015, H. 2, S. 313–324, hier S. 315. 31 Wilhelm Dieckmann, Die Behördenorganisation in der deutschen Kriegswirtschaft 1914–1918. Hamburg 1937, S. 36. 32 Plumpe, Logik des modernen Krieges (wie Anm. 13), S. 340; Hardach, Weltkrieg (wie Anm. 11), S. 67.



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Rückblickend stellte Kurt Wiedenfeld, ein seit 1915 in der KRA angestellter Ökonom, hinsichtlich der Leistungsfähigkeit seiner früheren Behörde fest, dass ihr System der Güterbeschaffung nicht zu verallgemeinern wäre. Es habe sich „nur auf Wirtschaftszweige anwenden [lassen], in denen es nur je eine verhältnismäßig kleine, jedenfalls nicht größere Zahl an Betrieben gibt, als daß sie von einer Stelle her kontrolliert werden können; und es müssen Arbeitsstätten sein, die je in sich einfach und einander ähnlich organisiert sind. Nicht zuletzt muß ein Personal vorhanden sein, und zwar sowohl bei den Werken als auch bei den nachprüfenden Behörden, das nicht nur technisch-rechnerisch eine ,Kostenkalkulationʻ gewohnterweise aufzustellen vermag, sondern auch für die sachgemäße Verteilung der rechnerisch nicht erfaßbaren und doch für die Preisfestsetzung sehr bedeutsamen Kostenbestandteile, der sog. Generalunkosten ein sicheres Gefühl besitzt.“33 Beide Argumente, die begrenzte Zahl an Betrieben einer Branche und ihre strukturelle Ähnlichkeit sowie die Unterschiedlichkeit der Produktionskosten von Werk zu Werk, begründeten den Zweifel an dem Einsatz geeigneter Steuerungsinstrumente in der Kriegswirtschaft. Darüber hinaus lässt das Zitat erkennen, dass es der KRA an den erforderlichen Kapazitäten mangelte, sowohl hinsichtlich der Anzahl und der Qualifikation der Mitarbeiter als auch der statistischen Datenlage. Um die umfassenden Aufgaben einer Lenkungsbehörde wahrzunehmen, reichte die personelle Ausstattung der KRA, die sich von 100 Beschäftigten (1. Januar 1915) auf 350 Beschäftigte (1. Juli 1915) erhöhte, nicht aus.34 Die KRA setzte den ordnungspolitischen Rahmen für die Kriegswirtschaft. Die am häufigsten angewandte Art der Preisregulierung war die Festsetzung eines Höchstpreises.35 Die meisten Festsetzungen bezogen sich auf Rohstoffverkaufspreise. Aus den von Wiedenfeld genannten Gründen verzichtete man auf weitergehende Eingriffe in das Preissystem. Jedoch bemühte sich die KRA um eine Überwachung der Importe und Exporte, meist aber lediglich durch Regelungen für den grenzüberschreitenden Warenverkehr. Aus den außenwirtschaftlichen Einbußen leitete sich die Notwendigkeit einer Außenwirtschafts- und Substitutionspolitik ab.36 Anfängliche Maßnahmen bezogen sich auf die Unterstützung der Privatindustrie zur Beschaffung von Rohstoffvorräten. Wegen der anhaltenden Lieferungslücken und Materialengpässe entwickelte sich eine systematische Spar- und Ersatzstoffwirtschaft, z.B. im Textilsektor die 33 Kurt Wiedenfeld, Die Raumbeziehungen im Wirtschaften der Welt. Die Grundformen des Wirtschaftens in der Gegenwart. Berlin 1939, S. 149. 34 Goebel, Rohstoffwirtschaft (wie Anm. 12), S. 113. Bis 1918 stieg der Personalstand auf 2 500 (ohne Personal der Kriegsgesellschaften), was vor allem mit der wachsenden Kontrolltätigkeit zusammenhing. 35 Zweiter Bericht der Kriegsrohstoffabteilung des Preußischen Kriegsministeriums für die Zeit von Anfang Oktober 1914 bis Anfang Januar 1915. Geheimes Staatsarchiv-Preußischer Kulturbesitz (GStAPK). I. HA Rep. 90A 4651. Vgl. zum Erlass des ersten Höchstpreisgesetzes am 4. August 1914 auch Goebel, Rohstoffwirtschaft (wie Anm. 12), S. 106f. 36 Weyrauch, Waffen- und Munitionswesen (wie Anm. 9), S. 46.

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Herstellung von Kunstfasern.37 In militärischer Hinsicht am bedeutendsten war die Entwicklung des Haber-Bosch-Verfahrens zur Herstellung von Ammoniak aus Stickstoff und Wasserstoff, um den Ausfall von chilenischem Salpeter zu kompensieren. Die Maßnahmen einer direkten Wirtschaftsaufbauhilfe erfolgten nur punktuell in besonders kriegswichtigen Bereichen. Um sich einen allgemeinen Zugriff auf die Unternehmen zu sichern, konzipierte die KRA als Verbindungsglied sogenannte Kriegsgesellschaften, die wegen ihres Entstehungshintergrunds zuweilen auch als Kriegsrohstoffgesellschaften bezeichnet werden. Sie wurden als private Organisationen gegründet, die die wichtigsten Rohstoffverbraucher einer bestimmten Branche vereinigten. Bis Ende September 1914 entstanden die Kriegschemikalien AG, die Kriegsmetall AG, die Kriegswollbedarf AG, im Oktober die Kammwoll AG, im November die Kriegsleder AG. Während der ersten Monate des Jahres 1915 folgten weitere Gründungen in anderen wichtigen Industriezweigen. Anfangs lag der Schwerpunkt auf Importgütern wie Rohchemikalien, Baumwolle oder Buntmetallen wie Kupfer, deren Verteilung prioritär organisiert wurde. Erst allmählich wurden andere, auch inländisch produzierte Rohstoffe in die Bewirtschaftung einbezogen.38 Kennzeichnend für das damit entstehende kriegswirtschaftliche System war, dass für Steinkohle und Roheisen als wichtigen Vorprodukten für zahlreiche weiterverarbeitende Branchen keine eigenen Kriegsgesellschaften gegründet wurden. Man erachtete beide Basisrohstoffe als so wesentlich für den wirtschaftlichen Gesamtablauf, dass man sie nicht der Verfügungsgewalt einer einzelnen Gesellschaft unterstellen wollte. In den Aufsichtsräten der als Aktiengesellschaften organisierten Kriegsgesellschaften saßen Ministerialbeamte, sodass sich die Reichsbürokratie eine gewisse Kontrolle über ihre Geschäftspraxis sicherte.39 Die Vorstände der Kriegsgesellschaften stammten dagegen aus den Großunternehmen. Auch die wichtigsten Kapitalgeber waren Privatfirmen, die sich den Kriegsgesellschaften anschlossen. Obwohl sie vielfach gegen den Zusammenschluss eingestellt waren, beteiligten sie sich, weil sie befürchten mussten, dass eine Weigerung ihren Ausschluss aus der Rohstoffzulieferung bedeuten könne.40 Faktisch gehörten alle großen Firmen einer Branche den Kriegsgesellschaften an. So waren 22 Großunternehmen in der Kriegsmetall AG und 26 in der Kriegschemikalien AG organisiert. Innerhalb des gesteckten Rahmens ergaben sich Diskussionen um den Zweck der Gesellschaften, die Organisationsform, die Finanzierung und die Risikoverteilung.41 Je nach Branche entwickelten sich völlig 37 Vgl. die Ausführungen zu „Kunstspinnstoffen“; Otto Goebel, Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe. (Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918, Bd. 3) Berlin/Boston 2016, S. 113ff. 38 Hardach, Weltkrieg (wie Anm. 11), S. 68. 39 Wixforth, Gründung und Finanzierung (wie Anm. 2), S. 91. 40 Carsten Burhop, Wirtschaftsgeschichte des Kaiserreichs 1871–1918. Göttingen 2011, S. 198. 41 Stefanie van de Kerkhof, Public-Private Partnership im Ersten Weltkrieg? Kriegsgesellschaften in der schwerindustriellen Kriegswirtschaft des Deutschen Reiches, in: Berghoff/Kocka/Ziegler (Hrsg.), Wirtschaft im Zeitalter der Extreme (wie Anm. 2), S. 106–133, hier S. 119.



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unterschiedliche Praktiken, gemäß den in den Gesellschaften vertretenen „privatwirtschaftlichen Sonderwünschen einzelner Gewerbegruppen.“42 Für die KRA war allerdings entscheidend, dass die privaten Gesellschafter nicht nur Kapital, sondern auch Know-how in die Gesellschaften einbrachten.

Organisation der Regulierung Die Kriegsgesellschaften sollten dafür sorgen, dass Rohstoffe nach kriegswirtschaftlichen Zielen zur Verteilung kamen und entsprechend effizient eingesetzt wurden. Jede Kriegsgesellschaft erhielt von der KRA die Verfügungsrechte über ein Kontingent von Rohstoffen und verteilte es an die Unternehmen. Die Priorität der Zuteilung sollte nach Kriegswichtigkeit festgelegt werden, doch blieben Lieferungen in den zivilen Bereich möglich.43 Um diese Aufgaben zu erfüllen, waren allerdings Informationen über die Produktion unerlässlich. Im Auftrag der KRA führten die Kriegsgesellschaften daher auch die statistische Erhebung der vorhandenen Rohstoffbestände durch und übermittelten den industriellen Bedarf nach Berlin. Auf Basis dieser Angaben stellte die KRA Belegscheine aus, die erstmals im Dezember 1914 für die Metallbewirtschaftung eingeführt wurden. Die Scheine genehmigten, meist für Heeresaufträge, die Zuteilung der Rohstoffe auf allen Produktionsstufen. Der Anforderer hatte an Eides statt zu versichern, dass er die gewünschten Metalle zur Ausführung eines Kriegsauftrags benötigte.44 Derartige Freigabescheine wurden auch für den mittelbaren Heeresbedarf oder in Form von Exportgenehmigungen ausgestellt. Für den zivilen Bedarf gab die Reichsbekleidungsstelle beispielsweise Bezugscheine für „berechtigte Entnahmen für den bürgerlichen Bedarf“ aus. Die Rechtmäßigkeit der Zuteilungen überprüfte ein immer weiter ausgebautes amtliches Revisorensystem.

Problematik des Lenkungssystems Bei der Rohstofflenkung durch die Kriegsgesellschaften tauchte eine in der Ökonomie als „Principal-Agent-Problem“ bezeichnete Informationsasymmetrie auf: Um eine sinnvolle Verteilung der Rohstoffe vornehmen zu können, war die KRA auf die Informationen der Kriegsgesellschaften angewiesen. Diese führten nicht nur die Statistik der vorhandenen Rohstoffbestände, sondern ermittelten auch die Angaben über den industriellen Bedarf. Damit gaben sie (als Agent) das Wissen, das zur Bestimmung der Kontingenthöhe notwendig war, an das KRA (den Principal) weiter. Unterstützt durch die innere Struktur der Kriegsgesellschaften gelang es den tonangebenden Unterneh42 Goebel, Rohstoffwirtschaft (wie Anm. 12), S. 114. 43 Wixforth, Gründung und Finanzierung (wie Anm. 2), S. 91. 44 Vgl. Goebel, Rohstoffwirtschaft (wie Anm. 12), S. 101.

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men, sich in den wichtigen geschäftlichen Punkten wie der Frage der Rohstoffverteilung durchzusetzen. Ein eindrucksvolles Beispiel, das der vorliegenden Edition entnommen ist, war die Kriegswollbedarf AG. Die Militärtuchfabrikanten beherrschten die Gesellschaft, weil sie anfänglich die einzigen Zulieferer des Heeres im Wollgewerbe waren.45 Bereits zeitgenössisch wurde die Existenz der Kriegsgesellschaften im Zusammenhang mit dem Konzept der Gemeinwirtschaft diskutiert, das ihre Gründungsväter von Moellendorff und Rathenau in verschiedenen, teilweise bereits während des Kriegs erschienenen Schriften vertraten.46 Aus dem Umstand, dass die Aufsichtsräte der Kriegsgesellschaften staatlich kontrolliert wurden und ihre Vorstände den Privatunternehmen entstammten, wurde abgeleitet, dass sich die Kriegsgesellschaften als „neuartige Kooperation von Staat und Wirtschaft“ verstehen ließen. Im Rahmen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse finde eine Verflechtung der Industrien mit dem staatlichen Apparat statt.47 Bereits die zeitgenössischen Kommentare Goebels betonten daher Gemeinnützigkeit der Kriegsgesellschaften und ihr Agieren als Treuhänder der KRA.48 Unabhängig von der Diskussion, ob sich um die korporativen Gesellschaften ein neues Wirtschaftssystem aufbauen lassen könnte, war ihre kriegswirtschaftliche Bedeutung von Interesse. Die Kriegsgesellschaften wiesen Defizite auf, selbst unternehmerisch aktiv zu werden, weil zentrale Geschäftskompetenzen bei den einzelnen Unternehmen verblieben. Gleichzeitig waren ihre Möglichkeiten zum unternehmerischen Agieren durch die staatliche Preisregulierung limitiert. Die Gewinnerzielung war ebenso beschränkt, weil für die Rohstofftransaktionen keine Ausschüttungen in Form von Dividenden oder Kapitalrenten erlaubt waren. Deshalb verfolgten die kapitalgebenden Unternehmen innerhalb der Kriegsgesellschaften kaum Gewinn-, sondern lediglich Verteilungsinteressen. Auch verfehlten die Kriegsgesellschaften oft ihre Aufgabenerfüllung im Sinne der staatlichen Vorgaben, weil sie vorrangig die Interessen ihrer wichtigsten Aktionäre wahrnahmen. Die personelle Aufstellung und Machtverteilung innerhalb der Kriegsgesellschaften hatte einen erheblichen Einfluss auf das Ergebnis der Rohstofflenkung. In den Bereichen Chemie und Elektronik gab es einflussreiche Kriegsgesellschaften, die unter maßgeblichem Einfluss von Rathenau und dem Chemieindustriellen Carl Duisberg eng mit den Führungsetagen der Großunternehmen zusammenarbeiteten.49 45 Goebel, Spinnstoffe (wie Anm. 37), S. 30; vgl. auch: Goebel, Rohstoffwirtschaft (wie Anm. 12), S. 114. 46 Wolfgang Michalka, Kriegsrohstoffbewirtschaftung, Walther Rathenau und die „kommende Wirtschaft“, in: Wolfgang Michalka (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse. München 1994, S. 485–505, hier S. 489–500; vgl. Wichard von Moellendorff, Die Gemeinwirtschaft. Berlin 1916. 47 Ullmann, Kriegswirtschaft (wie Anm. 4), 223; Hardach, Weltkrieg (wie Anm. 11), S. 69. 48 Goebel, Spinnstoffe (wie Anm. 37), S. 28f. 49 van de Kerkhof, Public-Private Partnership (wie Anm. 41), S. 132; ausführlich auch: Wixforth, Gründung und Finanzierung (wie Anm. 2), S. 91–95.



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Als politische Akteure dürfen die Kriegsgesellschaften nicht überbewertet werden. In kriegsstrategischen Fragen waren sie kaum an der rüstungspolitischen Entscheidungs- und Willensbildung beteiligt, d.h. sie befanden sich gegenüber der Heeresleitung in einer nachgeordneten Position. Einen größeren politischen Einfluss vermochten Lobbygruppen wie der „Kriegsausschuss der deutschen Industrie“ auszuüben, der kurz nach Kriegsbeginn durch Fusion der beiden Industrieverbände „Bund der Industriellen“ und „Centralverband deutscher Industrieller“ entstanden war.50 Teilweise gab es zwar eine personelle Deckungsgleichheit, wichtige Industrielle spielten in Personalunion eine führende Rolle in den Kriegsgesellschaften, manchmal sogar in der Kriegsverwaltung sowie in den korporativen Organen. Jedoch blieben die Protagonisten in erster Linie Unternehmer, die ihre erheblichen Freiräume ausnutzten, um eigene Ziele und Strategien zu verfolgen. Somit war mit der Gründung der zur Steuerung bestimmten KRA keineswegs der Übergang zu einer geplanten Lenkungswirtschaft verbunden. Es fehlte nicht nur an entsprechenden Konzepten und am Willen zum staatlichen Eingriff in die Wirtschaft, sondern auch an den fachlichen Voraussetzungen der beteiligten Beamtenschaft, die solche Aufgaben hätten durchführen können. Zur präzisen Durchführung der Bewirtschaftung waren vor allem statistische Grundlagen erforderlich, an denen es durchweg mangelte. Weil sich auch die Kriegsgesellschaften kaum als gesamtwirtschaftliches Lenkungsinstrument eigneten, blieb die KRA den ganzen Krieg über auf die enge Verbindung mit der Industrie angewiesen.

4 Finanzielle Mobilmachung Im Ersten Weltkrieg „traten Staat und Wirtschaft in ein Nahverhältnis, wie es in den Jahrzehnten vor 1914 undenkbar gewesen wäre. Der Einfluss des Staates wuchs, neue Institutionen entstanden, die staatlichen Interventionen dehnten sich aus.“51 Aus der deutlich zunehmenden Staatsaktivität ergab sich die Notwendigkeit der Erschließung neuer Finanzquellen.52 Die Kriegsfinanzierung ist als Basisproblem anzusehen, weil sie dem Staat erst die Mittel in die Hand gab, um sein Ziel der Umstrukturierung der Wirtschaft auf die Rüstungsproduktion zu erreichen. Ökonomisch betrachtet zeichnete sich die Kriegswirtschaft durch eine starke Erhöhung der staatlichen Nachfrage nach Rüstungsgütern, Rohstoffen und anderen kriegsrelevanten Leistungen aus. Die Staatsausgaben lassen sich in vier Kategorien einteilen, die während des Krieges alle anstiegen: die eigentlichen Militärausgaben für Waffen, Rüstung, Heeresausstattung, Rohstoffe und Leistungen; Mehrausgaben in der zivilen Verwaltung, vor allem für 50 Michalka, Kriegsrohstoffbewirtschaftung (wie Anm. 46), S. 487. 51 Ullmann, Kriegswirtschaft (wie Anm. 4), S. 222. 52 Vgl. zum Folgenden: Hardach, Finanzielle Mobilmachung (wie Anm. 3), S. 359–387.

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neu geschaffene Behörden, z.B. für Bewirtschaftung wie die KRA oder im Bereich des Transportwesens; Subventionen auf die Staatsschuld; Kredite an Verbündete.53 Da die Gesamtausgaben des Deutschen Reiches für den Krieg nicht verlässlich zu rekonstruieren sind, kann auf die Staatsquote zurückgegriffen werden, d.h. die Entwicklung der Gesamtheit der öffentlichen Ausgaben, gemessen am Sozialprodukt. Ähnlich wie in Frankreich stieg der Anteil der Staatsausgaben in bisher unbekannte Höhen, wie die folgende Tabelle dokumentiert.54 Tabelle 1: Staatsquoten der kriegführenden Länder (in %) 1913–1918

1913 1914 1915 1916 1917 1918

Deutsches Reich

Frankreich

England

USA

9,8 23,9 43,8 50,3 59 50,1

10 22,3 46,4 47,2 49,9 53,5

8,1 12,7 33,3 37,1 37,1 35,1

1,8 1,9 1,9 1,5 3,2 16,6

Vor dem Krieg lag die Staatsquote der wichtigsten kriegführenden Staaten noch nicht über der Zehn-Prozent-Marke, erreichte in Deutschland und Frankreich infolge der stark gestiegenen Rüstungsausgaben aber bereits eine beachtliche Höhe. Diese beiden Länder verzeichneten im ersten Kriegsjahr gewaltige Zunahmen der Gesamtausgaben, die sich bis 1918 fortsetzten. Der deutsche Höchstwert von 59 Prozent im Jahr 1917 hob sich klar von den übrigen Ländern ab. Er beruhte auf der ungebremsten Steigerung der Rüstungsausgaben, dem Ausbau der Kriegsverwaltung und der besonderen Belastung durch Finanztransfers an die Verbündeten. Anknüpfend an die Erfahrungen des 19. Jahrhunderts und in Erwartung eines schnellen, siegreichen Krieges hatte die Regierung im Spandauer Juliusturm einen „Kriegsschatz“ angelegt. Die dort deponierte Reserve war bei weitem zu gering, um einen nennenswerten Beitrag zur Kompensation der zunehmenden Ausgaben zu leisten.55 Allerdings war die Reichsregierung im Ersten Weltkrieg nicht mehr ernsthaft der Ansicht, den Krieg durch diese Geldsumme finanzieren zu können. Für die Ausgaben war eine Vorfinanzierung der Reichsbank vorgesehen. Schließlich brauchte das Deutsche Reich 123 Millionen Mark seiner Goldreserven auf; das war fast fünfmal so viel wie Frankreich und rund dreimal so viel wie Großbritannien.56 Die von der britischen und französischen Regierung gewählte Möglichkeit der Kreditaufnahme bei 53 Hardach, Weltkrieg (wie Anm. 11), S. 162–167. 54 Die von Ullmann genannten Werte liegen noch höher mit 17 Prozent (1914) und 70 Prozent (1917) für das Deutsche Reich, vgl. Ullmann, Kriegswirtschaft (wie Anm. 4), S. 222. 55 Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4 (wie Anm. 16), S. 64. 56 Volker Berghahn, Der Erste Weltkrieg. 4. Aufl. München 2009, S. 52.



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US-amerikanischen Privatbanken entfiel. Für die deutsche Regierung standen neben dem Aufbrauchen des Staatsschatzes und der Goldreserven zwei weitere Wege zur Finanzierung des Krieges offen: Steuererhebung bzw. -erhöhung und Geldschöpfung durch Staatsanleihen. Die Möglichkeiten zur Erschließung neuer Steuerquellen waren begrenzt.57 Vor 1914 wurden Reichssteuern überwiegend über Zölle und Verbrauchssteuern eingenommen, die vor allem auf Genussmittel wie Kaffee, Alkohol oder Tabak erhoben wurden. Dieses Aufkommen ging wegen der Blockade extrem zurück. Das Einkommensteuersystem war wenig entwickelt und die Erhebung den Einzelstaaten vorbehalten. Die Regierung ging bei der Besteuerung vorsichtig vor und kündigte erst im Dezember 1915 eine Kriegsgewinnsteuer an, die dann im Juni 1916 eingeführt wurde. Sie bezog sich auf Gewinne, die über das Normalmaß zu Friedenszeiten hinausgingen. Der sogenannte Mehrgewinn wurde progressiv besteuert (mit 10–50 Prozent, ab Februar 1917 mit 12–60 Prozent). Für die Steinkohle als wichtigsten Kriegsrohstoff führte die Regierung erst 1917 eine Verbrauchssteuer ein, die kaum ertragreich war. Den überwiegenden Teil der Steuerleistung erbrachte das Reich selbst, weil es der Hauptabnehmer von Industriewaren und Kriegsgerät war. Die Anleihepolitik begann im Deutschen Reich nicht erst mit dem Krieg, sie hatte im Kaiserreich eine Vorgeschichte. Die außerordentlichen Staatsausgaben, vor allem für die Aufrüstung, waren immer wieder über Staatsanleihen finanziert worden. Dadurch wuchs die Reichsschuld zwischen 1900 und 1913 von 2,3 auf 5 Milliarden Mark.58 Die als modern angesehene Kriegsfinanzierung erfolgte über die Notenbank: Der Staat beschaffte sich Geld mittels der Ausgabe von Schuldentiteln. Während des Krieges gab es neun Anleihen: Sie wurden immer wieder im März und September aufgenommen, zum ersten Mal im September 1914. Die Kriegsanleihen wurden in der Geschichtsschreibung stark diskutiert, weil die SPD dieser Form der Staatsfinanzierung im Reichstag immer wieder zustimmte und damit ein Votum für die Weiterführung des Krieges abgab. Ebenso wie Steuererhebungen hatte die Ausgabe von Staatspapieren den erwünschten Effekt, dass Kaufkraft bei den privaten Haushalten abgeschöpft wurde und damit die Nachfrage nach Konsumgütern sank. Der Hauptnachteil war, dass ein monetärer Überhang entstand, der nach dem Krieg aufgelöst werden musste.59 In der öffentlichen Propaganda äußerte z.B. Karl Helfferich in seiner viel zitierten Reichstagsrede im August 1915 die Hoffnung, man könne die Kriegsgegner durch Erhebung von Reparationen für die Kosten bezahlen lassen. Intern herrschte jedoch die realis-

57 Vgl. zum folgenden Absatz: Hardach, Weltkrieg (wie Anm. 11), S. 170f. 58 Zur Kriegsanleihepolitik vgl. Hardach, Weltkrieg (wie Anm. 11), S. 173; Berghahn, Der Erste Weltkrieg (wie Anm. 56), S. 52. 59 Vgl. zur Inflation ausführlich: Carl-Ludwig Holtfrerich, Die deutsche Inflation 1914–1923. Ursachen und Folgen in internationaler Perspektive. Berlin 1980.

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tischere Ansicht vor, dass man die Kriegsausgaben aus eigenen Mitteln werde tragen müssen.60

5 Produktionsergebnisse der Kriegswirtschaft Die amtliche Statistik liefert nur für einige ausgewählte Produktionsbereiche über den Krieg hinweg jährliche Angaben. Die in der Literatur vorherrschenden Daten gehen auf die Publikation Rolf Wagenführs von 1930 zurück und sind bislang nicht revidiert worden. Sie lassen erkennen, wie die Umstellung auf die Kriegswirtschaft einen Wandel der Produktionsstruktur im Industriesektor mit sich brachte. Die Werte der verschiedenen Industriezweige entwickelten sich auseinander, je nachdem ob es sich um eine sogenannte Kriegsindustrie (Bergbau, Eisen und Stahl, nichteiserne Metalle) oder um eine Friedensindustrie, hier z.B. den Textilsektor, handelte. Tabelle 2: Produktion wichtiger Industriebereiche (1913=100)

Eisen & Stahl Bergbau NE-Metalle Baustoffe Textilien

1914

1915

1916

1917

1918

78 84 89 88 87

68 78 72 69 65

81 86 113 59 27

83 90 155 58 22

53 83 234 35 17

In Bezug auf die in dieser Edition interessierenden Sektoren fällt auf, in welchem Maße der als nicht kriegswichtig eingestufte Textilsektor gegenüber der Eisen- und Stahlindustrie an Bedeutung verlor. Die nichteisernen Metalle waren einer der wenigen Industriesektoren, die in der zweiten Kriegshälfte eine beachtliche Produktionssteigerung verzeichnen konnten. Die schrumpfende Produktion von Baustoffen lässt erkennen, wie die immer stärker forcierte Rüstungsproduktion zu Lasten der Gesamtwirtschaft ging. Auf eine statistische Besonderheit wird dagegen seltener verwiesen. Die Indexbildung, basierend auf 1913 als letztem Friedensjahr, herrschte nicht nur zeitgenössisch, sondern auch in den meisten wirtschaftshistorischen Standardwerken vor. Wie die folgende Tabelle zu den jährlichen Produktionsmengen der Eisen- und Stahlindustrie ab 1910 erkennen lässt, birgt diese Berechnung ein methodisches Problem.

60 Hardach, Finanzielle Mobilmachung (wie Anm. 3), S. 368f.



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Tabelle 3: Deutsche Jahresproduktion in Montansektor (1910 bis 1920) Steinkohle

1910 1913 1914 1915 1916 1917 1918 1919 1920

Roheisen

Rohstahl

Menge [in 1000 t]

Index

Menge [in 1000 t]

Index

Menge [in 1000 t]

Index

151073 190109 161385 146868 159170 167747 160822 116707 140766

100 126 107 97 105 111 106 77 93

14794 19309 14390 11529 13314 13142 11755 6284 7044

100 131 97 78 90 89 79 42 48

[12998] 17148 15620 13288 16183 15288 13871 7021 8404

100 132 120 102 125 118 107 54 65

Sichtbar wird, dass zwischen 1910 und 1913 die Produktionsergebnisse in den hier untersuchten Wirtschaftszweigen stark stiegen, sodass 1913 – wie in vielen anderen Industriesektoren – eine Rekordproduktion erzielt wurde. Die Produktion ging nach Kriegsbeginn zwar zurück, wobei die beiden ersten Kriegsjahre hervorzuheben sind. Als Hauptursache lässt sich der Arbeitermangel nach den Rekrutierungen ausmachen. 1916/17 konnten im Zuge des Hindenburg-Programms sogar wieder Produktionsmengen erreicht werden, die nicht weit unterhalb des Ergebnisses von 1913 lagen, aber die 1910 produzierte Menge deutlich überstiegen, wie die Indexwerte in der Tabelle zeigen. Insofern rückt die Erstellung eines Index auf der Basis des Jahres 1910 die Ergebnisse der Kriegsproduktion in ein anderes Licht. Dennoch reichten die produzierten Mengen nicht aus, um den wachsenden Kriegsbedarf zu decken. Die Langzeitbetrachtung Hoffmanns zeigt im Übrigen, dass die deutsche Steinkohle- und Roheisenjahresproduktion zu keinem Zeitpunkt bis Ende 1950er Jahre – auch nicht im „Dritten Reich“ – über derjenigen von 1913 lag.61 In Ermangelung von Statistiken für das inländische Aufkommen an wichtigen Rohstoffen bietet die Transportstatistik der deutschen Eisenbahnen eine gute Möglichkeit, vorhandene Lücken zu schließen. Zudem gibt diese eine Vorstellung über den inländischen Verbrauch, denn manche der hier erfassten Rohstoffe, insbesondere die Baumwolle, aber auch das überwiegend aus Schweden stammende Eisenerz, wurden während des Krieges nach Deutschland importiert.

61 Allein 1943 lag der Wert für die deutsche Steinkohleproduktion auf derselben Höhe wie 1913 (1913=100, 1943=100,2), jedoch unter Einbeziehung der unter dem NS-Regime erfolgten Gebietserweiterungen (im Vergleich mit 1913 vor allem Österreich und das Sudetenland), vgl. Walter Hoffmann, Das Wachstum der deutschen Volkswirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Berlin/Heidelberg 1966, S. 342.

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Tabelle 4: Transport wichtiger Rohstoffe durch die deutschen Eisenbahnen (1913=100)

Baumwolle Wolle Farbhölzer Eisenerz

1914

1915

1916

1917

1918

82 100 90 70

65 69 120 65

19 48 50 77

13 42 20 71

10 33 35 69

Die Tabelle reflektiert nicht nur die Importrückgänge, z.B. bei Baumwolle, sondern auch die zurückgehende Leistungsfähigkeit des im Krieg überbeanspruchten Transportsystems. Lediglich für Güter mit höchster Priorität, hier das Eisenerz, ist kein nennenswerter Abfall der Transportleistung zu erkennen. Auf diese Punkte wird im Folgenden zurückzukommen sein. Die Produktionsleistung hing stark mit der Verfügbarkeit und der Qualifikation der Arbeitskräfte zusammen. Die Ersetzung der an die Front geschickten Arbeiter bereitete organisatorisch noch größere Schwierigkeiten als die Meisterung der Engpässe in der Rohstoffversorgung. Die zeitgenössischen Beobachter sprachen von einer „Menschenökonomie“, die sich „zu einer fast unerträglichen Spannung zwischen Heeresbedarf und Wirtschaftsbedarf“62 gesteigert habe. Im Kern ging es um den rationalen Einsatz der Arbeitskraft, allerdings nicht zu rein wirtschaftlichen Zwecken, sondern aufgeteilt nach militärischem Einsatz und kriegswirtschaftlicher Nutzung.

„Menschenökonomie“ Durch die Einberufungen sank die Zahl der deutschen männlichen Arbeitskräfte um vier Millionen. Dank einiger Kompensierungseinstellungen ging die Gesamtzahl der Arbeitskräfte um ca. 3,5 Millionen auf 36 Millionen zurück. Dieses Niveau konnte dann trotz kontinuierlich steigender Einberufungen gehalten werden. Die Hauptverluste an Arbeitskräften betrafen die ersten beiden Kriegsjahre. Nach 1916 nahm die Zahl der industriellen Arbeitskräfte aufgrund von zwei Effekten leicht zu: Zum einen stieg die Zahl der industriellen Arbeiterinnen deutlich über den Vorkriegsstand, zum anderen gab es die Tendenz, dass Arbeitskräfte aus anderen Wirtschaftsbereichen in den Industriesektor abwanderten.63 Dennoch sank über den Krieg hinweg die Zahl der industriell Beschäftigten um acht Prozent. Dabei ist auf den bedeutenden Wandel der Beschäftigtenstruktur nach Industriesektoren zu verweisen: Die Zu- bzw. Abnahme 62 Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 5), S. 237. 63 Kocka, Klassengesellschaft (wie Anm. 14), S. 12; vgl. auch detailliert Ute Daniel, Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft. Beruf, Familie und Politik im Ersten Weltkrieg. (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 84) Göttingen 1989, S. 44–50.



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der Beschäftigten zwischen 1913 und 1918 betrug in der chemischen Industrie plus 170 Prozent, im Maschinenbau plus 49 Prozent, in der Metallverarbeitung plus 8 Prozent, im Bergbau minus 5 Prozent, im Bereich Steine und Erden minus 59 Prozent.64 Für den letztgenannten Sektor vermag dies die Entwicklung der Produktionsleistung (vgl. Tabelle 2 = „Produktion wichtiger Industriebereiche (1913=100)“) zu erklären. Manchen Bereichen wie dem Bergbau gelang es trotz hoher Priorität in der Kriegswirtschaft nicht, das Ausgangsniveau an Arbeitskräften zu halten. Dies galt, obwohl aus Belgien geworbene oder zwangsweise rekrutierte Bergleute eingesetzt wurden. Die Grundlage für die relative Konstanz der Beschäftenzahlen im Industriesektor war ein massiver Beschäftigungsrückgang im Agrarsektor. Dies blieb nicht ohne Folgen, denn die Agrarproduktion reduzierte sich im Verlauf des Krieges auf rund die Hälfte, was die Ernährungsprobleme im Wesentlichen erklärt. In einem Umschichtungsprozess wurden männliche durch weibliche Arbeitskräfte ersetzt: Waren 1913 rund 5,8 Millionen Männer in der Industrie beschäftigt, sank diese Zahl bis 1918 auf 4,5 Millionen, d.h. um 23 Prozent. Das umgekehrte Bild bot die Frauenbeschäftigung in der Industrie: Sie stieg von etwa 1,6 Millionen auf 2,3 Millionen, d.h. um 46 Prozent.65 Die weibliche Beschäftigung in der Industrie stieg schon vor Mitte 1916 und war kein spezifischer Effekt des Hindenburg-Programms. Zwischen März 1914 und September 1916 erhöhte sich die Frauenbeschäftigung in der chemischen Industrie um das Doppelte, in der Metall- und Elektroindustrie um das Sechsfache und im Maschinenbau um das 23-fache.66 Den Umschichtungsprozess begleitete eine hohen Fluktuation auf dem Arbeitsmarkt. Die öffentlichen Arbeitsnachweise der Kommunen, d.h. die Arbeitsvermittlungsstellen, wiesen schon 1915 hohe Vermittlungszahlen auf.67 Besonders in den Industriestädten überstieg die Zahl der offenen Stellen häufig diejenige der Arbeitsuchenden. Zum Beispiel verzeichneten zwei große Eisenwerke im Raum Düsseldorf während des Krieges eine Zahl von Abgängen, die ihre durchschnittliche Belegschaft um das Vier- bis Fünffache überstieg.68 Im rechnerischen Durchschnitt verblieb jeder Arbeiter dieser Werke nur für ungefähr ein Jahr auf seinem Arbeitsplatz. Der Umschichtungsprozess führte auch zu einem Mangel an Qualifikation; besonders schmerzlich war der Engpass an Facharbeitern.69 Der starke Anstieg der bisher nicht erwerbstätigen Frauen und Jugendlichen stellte die Industrie vor beson64 Wolfram Fischer, Bergbau, Industrie und Handwerk 1914–1970, in: Hermann Aubin/Wolfgang Zorn (Hrsg.), Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 2: Das 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 1976, S. 796–844, hier S. 800. 65 Kocka, Klassengesellschaft (wie Anm. 14), S. 12. Die Statistik bezog sich auf Industriebetriebe mit mehr als zehn Beschäftigten. 66 Daniel, Arbeiterfrauen (wie Anm. 63), S. 52. 67 Statistisches Reichsamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 38, 1917, S. 143–145; vgl. auch Faust, Arbeitsmarkt (wie Anm. 26), S. 194. 68 Kocka, Klassengesellschaft (wie Anm. 14), S. 13. 69 Weyrauch, Waffen- und Munitionswesen (wie Anm. 9), S. 227f.

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dere berufliche Integrationsaufgaben. Demnach hatten Maßnahmen zur Anlernung oder Umschulung von Arbeitskräften eine größere Bedeutung. Die großen Industriebetriebe errichteten Lehrwerkstätten und entwickelten spezielle Aus- und Weiterbildungsprogramme.70 In den Spandauer Rüstungsbetrieben fanden z.B. Kurzlehrgänge statt, zu denen Meister aus anderen Firmen entsandt wurden. Derlei Maßnahmen, über die im Band von Weyrauch an mehreren Stellen berichtet wird, 71 wurde beratend vom Verein Deutscher Ingenieure unterstützt. Sie lehnten sich teilweise an die modifizierte Sozialpolitik der Kriegsjahre an, die sich mit der beruflichen Reintegration von Kriegsbeschädigten einem neuen Aktionsfeld zuwandte.

6 Haltung der Unternehmen und Unternehmer Eine ältere Sichtweise auf das Unternehmertum war bereits in den zeitgenössischen Werken Lenins oder Rosa Luxemburgs angelegt, wurde von der DDR-Historiographie aufgegriffen und in der westdeutschen Literatur in einer moderateren Version weiterverfolgt:72 Die großen Unternehmen hätten aus wirtschaftlichen Interessen gezielt auf den Krieg hingearbeitet und dank ihres Engagements in der Rüstungsproduktion große Gewinne erzielt. Nicht nur Bekundungen von Unternehmerpersönlichkeiten wie Carl Duisberg, Walther Rathenau oder Hugo Stinnes lassen Zweifel an dieser Interpretation aufkommen, sondern auch das Handeln der Unternehmer selbst. Wie im Folgenden geschildert wird, ist einer neueren Sichtweise der Vorzug zu geben, nach der sich die Unternehmen auf eine Kriegswirtschaft einließen, die sie im Grunde nicht wollten. Sie betrachteten den Krieg als „eine Art Überlebenskampf“, in dem sie wenig gewinnen, aber viel verlieren konnten.73 Die Industriellen hatten wenig Interesse an einer umfassenden Rüstungsproduktion für die Zwecke des Heeres. Die Phase seit der Jahrhundertwende hatte ihnen gezeigt, dass die deutsche Industrie insbesondere durch das Flottenbauprogramm in lukrativer Weise am Welthandel partizipieren konnte. Insofern kam der Krieg ungelegen, weil er den Außenhandel störte. Das Risiko erschien hoch: Im Falle einer Niederlage war zu befürchten, dass die Kriegsgegner alles Erdenkliche in die Wege leiten würden, um die ungeliebte deutsche Konkurrenz von den Weltmärkten zu verdrängen.74 Diese Einschätzung galt vornehmlich für Industrien wie die Chemie, die auf

70 Kocka, Klassengesellschaft (wie Anm. 14), S. 157. 71 Weyrauch, Waffen- und Munitionswesen (wie Anm. 9), S. 56, 172, 227ff. 72 Vgl. dazu ausführlich Plumpe, Logik des modernen Krieges (wie Anm. 13), S. 327–333. 73 Ebd., S. 333. 74 Ebd.



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einen weltweiten Absatz orientiert waren,75 oder die Textilindustrie, die als Rohstoffimporteur stark vom Außenhandel abhing. Abgeschwächte Gültigkeit besaß das skizzierte Muster für die Eisen- und Stahlindustrie, die in dieser Zeit zum einen auf Standortfaktoren, d.h. die Nähe zu den Rohstoffvorkommen, zum anderen auf den inländischen oder innereuropäischen Absatz fixiert war. Mit Kriegsbeginn hatte der Industriezweig den Wegfall der Erzimporte aus der französischen Normandie sowie aus Chile, Brasilien und Russland zu beklagen. Da lediglich Schweden als wichtiger Zulieferer erhalten blieb, lassen sich die frühen Aussagen der Ruhrindustriellen zur politischen Kontrolle der lothringischen Erzvorkommen nicht als Lippenbekenntnisse abtun. Schon vor dem Krieg hatten sie in Frankreich Erzfelder erworben, und nun zielten ihre Expansionsabsichten auf die Annexion des französisch-lothringischen Erzreviers Longwy-Briey-Nancy.76 Trotz dieser partikularen Interessen der Montanindustriellen, die allerdings politisch ein hohes Gewicht besaßen, hatte die KRA erhebliche Schwierigkeiten, die deutsche Industrie für die Kriegsunterstützung zu motivieren. Eine ablehnende Haltung belegt auch das Unternehmerverhalten in den Kriegsgesellschaften. Viele dieser Gründungen stießen keineswegs auf die Zustimmung der führenden Großunternehmen, manchmal erfolgten sie trotz des Widerstandes der betroffenen Privatfirmen.77 Am mangelnden Willen zur Unterordnung scheiterte auch die Übertragung weiterreichender Aufgaben an die Kriegsgesellschaften. Außerdem herrschten ständig Konflikte zwischen dem Reich und den Unternehmen bei der Organisation der Rohstoffbewirtschaftung.78 Die Industriellen in der Schwerindustrie waren nicht geneigt, ihre Produktionskapazitäten zu erhöhen, um in ihrer Sichtweise unrentable Mengen zu produzieren. Vielmehr behielten sie auch im Krieg eine langfristige Perspektive.79 Die Unternehmen zogen es vor, ihre Kapitalanlagen aus den Kriegsgewinnen selbst zu finanzieren, um eine mögliche staatliche Einflussnahme auf die Unternehmensführung auszuschließen. Zu Investitionen waren sie aber nur unter der Bedingung bereit, dass der Staat für die zu liefernden Produkte Preise zugestand, die es den Unternehmen erlaubten,

75 Vgl. Gottfried Plumpe, Chemische Industrie und Hilfsdienstgesetz am Beispiel der Farbenwerke, vorm. Bayer & Co., in: Gunther Mai (Hrsg.), Arbeiterschaft 1914–1918 in Deutschland. Studien zu Arbeitskampf und Arbeitsmarkt im Ersten Weltkrieg. Düsseldorf 1985, S. 179–210, hier S. 185. 76 Rainer Haus, Lothringen und Salzgitter in der Eisenerzpolitik der deutschen Schwerindustrie von 1871–1940. Salzgitter 1991, S. 40–53. 77 Burhop, Wirtschaftsgeschichte (wie Anm. 40), S. 198. 78 van de Kerkhof, Public-Private Partnership (wie Anm. 41), S. 133, vgl. auch Regina Roth, Staat und Wirtschaft im Ersten Weltkrieg. (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 51) Berlin 1997, S. 211ff. 79 Gerald D. Feldman, Die sozialen und politischen Grundlagen der wirtschaftlichen Mobilmachung Deutschlands 1914–1916, in: Gerald D. Feldman (Hrsg.), Vom Weltkrieg zur Weltwirtschaftskrise. Studien zur deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1914–1932. Göttingen 1984, S. 13–35, hier S. 21.

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die neu errichteten Anlagen bereits während des Krieges abzuschreiben.80 Das Militär konnte eine Beteiligung an den entsprechenden Ergänzungs- oder Erweiterungsprojekten weder durchsetzen noch kompetent betreuen. Die Kriegsgesellschaften vermochten nur wenig Einfluss auf die Geschäftspolitik ihrer Großaktionäre auszuüben.81 Der KRA gelang es über die korporativen Organe allenfalls, die Angebotsseite zu kontrollieren, während Absatzentscheidungen in der Hand der einzelnen Unternehmen blieben. Um die Unternehmen zu Verkäufen gemäß der staatlichen Interessen zu veranlassen, musste die KRA anreizkompatible Methoden anwenden indem sie z.B. Friedensaufträge in Aussicht stellte, hohe Vorschüsse und Verdienste gewährte oder Kriegsaufträge mit einem so großen Volumen erteilte, z.B. bei Pressstahl-Granaten, dass die Auftragshöhe den Firmen die Abschreibung der hierfür nötigen Neuanlagen ermöglichte.82 Gerald Feldman resümiert zum Verhalten der Unternehmerschaft, dass sich diese kaum bändigen ließ und das Heer stark von den führenden Schwerindustriellen abhing.83 Schon eine Prüfung des Kriegsministeriums nach der Munitionskrise vom November 1914 ergab, dass die Unternehmen zu ihrem Vorteil handelten, der sich nicht unbedingt mit den kriegswirtschaftlichen Bedürfnissen deckte. Sie wollten nicht zulassen, dass Konkurrenten ihr Monopol durchbrachen und trachteten nach Ausschaltung alternativer Anbieter, die Aufträge der Beschaffungsstellen ebenso gut erfüllen konnten. In vielen Sektoren der militärischen Produktion gab es eine Tendenz zur Monopolisierung in den Händen einer Clique führender Unternehmer. Insbesondere die Eisen- und Stahlindustriellen nutzten ihre Position aus, um beim Staat hohe Preise zu fordern. Es wurde üblich, kleinere Firmen bei Zugestehung niedrigerer Preise als Subunternehmer zu beschäftigen. Auch hinsichtlich der Außenwirtschaft behielten die Industriellen den Erhalt ihrer strategischen Position im Blick. Bereits zu Beginn des Krieges wussten sie den Erlass von Ausfuhrbeschränkungen in neutrale Länder zu verhindern. Ihre Begründung war, dass die existierenden Syndikate dafür Sorge trugen, dass die Produktion nicht in die Hand des Kriegsgegners falle. In Wirklichkeit war der Hauptzweck der monopolistischen Zusammenschlüsse die Bildung von Preissyndikaten zur Erzielung von Höchstpreisen. Die zugesagte Kontrolle über die weitere Verwendung der Eisen- und Stahlexporte erwies sich als Illusion. Als Großbritannien 1916 die Stahlexporte an die neutralen Länder stark einschränkte, um die eigene Rüstungsproduktion zu steigern, stieg die Nachfrage nach deutschem Stahl. Deutsches Eisen gelangte über diese Kanäle sogar nach Frankreich und Italien. Einige Stahlindustrielle zogen über das ganze Jahr

80 Plumpe, Logik des modernen Krieges (wie Anm. 13), S. 338. 81 van de Kerkhof, Public-Private Partnership (wie Anm. 41), S. 133. 82 Weyrauch, Waffen- und Munitionswesen (wie Anm. 9), S. 46. 83 Zum folgenden Absatz vgl. Feldman, Die sozialen und politischen Grundlagen (wie Anm. 79), S. 21f.



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1916 hinweg den Außenhandel gegenüber dem Binnenabsatz vor.84 Stellwaags Ausführungen dokumentieren die Erwägungen der Reichsbehörden zur Regulierung der Exporte in die Schweiz.85 Das Kriegsministerium forderte vehement eine viel schärfere Kontrolle über die Ausfuhr von Eisen und Stahl ein. Das zeitgenössisch stark kritisierte Unternehmerverhalten gehörte zu den Auslösern der kriegswirtschaftlichen Umorientierung im Sommer 1916.

7 Kriegswirtschaftliche Wende 1916/17 Die kriegswirtschaftliche Wende stand unter dem Eindruck der Schlacht an der Somme, die zwischen Juli und November große Verluste an Menschen und Material brachte. Trotz des militärisch unentschiedenen Ausgangs führte sie die materielle Überlegenheit der Alliierten klar vor Augen.86 Das Deutsche Reich befand sich wie im Herbst 1914 in einer Munitionskrise. Ohne eine Steigerung der Rüstungsproduktion schien der Krieg nicht weiter führbar zu sein. Die institutionellen Reformen begannen mit der Neubildung der OHL, die im August 1916 unter die Leitung der Generäle Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff gestellt wurde. Angesichts der wirtschaftlichen Verteilungs- und Machtkämpfe schwebte der neuen militärischen Führung, aber auch den einflussreichen Industriellen, die Installation eines wirtschaftlichen Generalstabs vor, dessen Befehle für eine straffe militärische Leitung der Kriegswirtschaft sorgen sollen.

Konzeptionierung des Hindenburg-Programms Konkretisiert wurden die Vorstellungen durch ein Rüstungsprogramm, das auf eine Mobilisierung aller verfügbaren Ressourcen zielte. Generalfeldmarschall Hindenburg forderte bis Frühjahr 1917 eine Verdopplung der Munitionsproduktion sowie eine Verdreifachung der Artillerie und der Maschinengewehre, eine Erhöhung der Kohleförderung um eine Million sowie der Erzförderung um 800  000 Tonnen.87 Mehr „Maschinen“ sollten die zahlenmäßige Überlegenheit der feindlichen Truppen wettmachen, wie Hindenburg im November 1916 kommentierte: „Im Verlauf des Krieges ist der Einfluß der Maschine immer mehr in den Vordergrund gerückt; die Bedeutung der lebenden Kräfte hat sich dagegen verringert; entscheidend ist nicht mehr allein 84 Feldman, Die sozialen und politischen Grundlagen (wie Anm. 79), S. 21. Vgl. auch: Gerald D. Feld­ man, Army, Industry and Labor in Germany 1914–1916. Princeton 1966, S. 157. 85 Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 5), S. 50. 86 Feldman, Army, Industry and Labor (wie Anm. 84), S. 152. 87 Wolfgang Mommsen, Die Urkatastrophe Deutschlands. Der Erste Weltkrieg 1914–1918. Stuttgart 2002, S. 89.

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der höhere Wert der Truppe, der nie hoch genug gestellt werden kann, sondern in steigendem Maße die Überlegenheit an Kanonen, Munition und Maschinengewehren.“88 Die wirtschaftliche Machbarkeit des Programms wurde niemals überprüft, seine für das Frühjahr 1917 formulierten Zielpunkte basierten rein auf militärischen Erwägungen.89 Die organisatorischen Planungen des Hindenburg-Programms standen im Einklang mit den Leitgedanken einer Denkschrift der Industriellen an Helfferich vom 23. August 1916.90 Angesichts des aktuellen Rückgangs der Aufträge für Thomasstahl beklagten sie, dass das Kriegsministerium nicht über ein geeignetes Programm verfüge, um die Kriegsproduktion zu steigern. Sie wandten sich gegen die Bürokratie des Kriegsministeriums und regten die Schaffung einer allein verantwortlichen Instanz an, mit der Verhandlungen über Preise, Liefermengen und Kapazitätsausbau leichter zu führen seien. Außerdem forderten die Industriellen eine Änderung der Bewirtschaftungspraxis, eine Zusammenlegung der Beschaffungsstellen, die Stellung von Arbeitskräften sowie ein Munitionsprogramm, das den Anforderungen an der Front entsprach. Sie brachten ihre Vorschläge als Ausweis patriotischer Gesinnung vor, verfolgten aber letztlich das Eigeninteresse, Regierungsmaßnahmen zur Beschränkung ihrer Gewinne abzuwehren.91 Politisch bedeutete das Hindenburg-Programm die Zubilligung weitreichender Kompetenzen in der wirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Kriegführung an die neue Doppelspitze der OHL. Die Durchführung setzte eine strukturelle Neuorganisation der kriegswirtschaftlichen Behörden voraus, sowie „organisatorisch den Versuch der Zusammenfassung der gesamten deutschen Kriegswirtschaft und darüber hinaus der der besetzten Gebiete.“92 Nach Goebel diente das anderthalb Jahre zuvor gegründete britische Munitionsamt als Vorbild für die Reform. Das neu geschaffene Kriegsamt wurde ins preußische Kriegsministerium eingegliedert, um dem Verdacht der Errichtung einer militärischen Wirtschaftsdiktatur vorzubeugen. Unter der Führung von Generalleutnant Wilhelm Groener übernahm das Kriegsamt ab 1. November 1916 nicht nur die Aufsicht über die KRA, sondern hatte auch Abteilungen für Ein- und Ausfuhr, für Volksernährung und für Kleiderbeschaffung sowie ein Kriegsersatz- und Arbeitsdepartement. Zur Koordination der Nachfrage diente das bereits einen Monat vorher gegründete Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt, das dem Kriegsamt gleichfalls unterstellt war. Das Ziel einer Überwindung der bisheri88 Denkschrift von Hindenburgs am 2. November 1916 an den Reichskanzler. Erstabdruck in: Erich Ludendorff (Hrsg.), Urkunden der OHL über ihre Tätigkeit 1916/18, Berlin 1920, S. 83f., zitiert in: Rü­ diger vom Bruch/Björn Hofmeister (Hrsg.), Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung, Bd. 8: Kaiserreich und Erster Weltkrieg 1871–1918. Stuttgart 2000, S. 402. 89 Feldman, Army, Industry and Labor (wie Anm. 84), S. 154. 90 Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 5), S. 53f. 91 Feldman, Army, Industry and Labor (wie Anm. 84), S. 155; Hardach, Weltkrieg (wie Anm. 11), S. 73; Plumpe, Chemische Industrie (wie Anm. 75), S. 184. 92 Goebel, Rohstoffwirtschaft (wie Anm. 12), S. 84.



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gen Zersplitterung der militärischen Einkaufsstellen erreichte man nur teilweise, weil Heer, Marine und Luftwaffe ihre eigenen Beschaffungsstellen weiter unterhielten.93 Wie bei der vorher tonangebenden KRA litt die effiziente Koordination des Kriegsamtes an seiner Doppelstruktur: Einerseits war es über personelle Besetzungen in die militärische Hierarchie eingegliedert, andererseits entsprach ein großer Teil seiner Aufgaben denjenigen einer zivilen Verwaltungsbehörde.94 Den Konflikt zwischen kaufmännischer und militärischer Handlungslogik empfand auch Weyrauch als grundlegendes Hemmnis: „Man kann nicht gleichzeitig Offizier und auf der Höhe stehender kaufmännischer oder technischer Fachmann sein. Offizier sein ist nicht nur eine Sache der Dienstzeit, sondern auch der Gesinnung. Ingenieur oder Kaufmann sein ist nicht nur eine Sache der Begabung, sondern langjähriger Ausbildung und des Einlebens in die Fragen der Technik und Wirtschaft sowie dauernder enger persönlicher Fühlung mit denselben.“95 Trotz seiner zentralen Funktion konnte das Kriegsamt die Konflikte mit anderen kriegswichtigen Instanzen, etwa mit dem Reichsamt des Innern oder den Kriegsministerien der anderen deutschen Bundesstaaten, kaum entscheidend entschärfen. Seine Aufgabe der Steuerung der Kriegswirtschaft vermochte es nur unzureichend zu erfüllen. Nach wie vor bildete die Rohstoffversorgung das Rückgrat der Kriegswirtschaft, sodass entscheidend war, ob es dem Kriegsamt besser als zuvor der KRA gelang, die Verteilungsprobleme zu lösen. Die Lenkungsfrage stellte sich ganz besonders in der Eisen- und Stahlindustrie. Im Herbst 1916 zeigte die Gründung der Eisenzentrale die Grenzen bei der Errichtung eines staatlichen Lenkungsmonopols auf. Zu Kriegsbeginn hatte die KRA den Kernbereich der Eisen- und Stahldistribution ganz bewusst aus der Bewirtschaftung herausgelassen, was die relativ große Freiheit der Industriellen in den ersten beiden Kriegsjahren erklärt. Um eine allgemeine Kontrolle und Leitung der Eisen- und Stahlindustrie zu erreichen, gründete sich die Eisenzentrale als GmbH mit einem Kapital, das zu drei Vierteln vom Staat und zu einem Viertel vom Roheisenverband, dem Kartell der Produzenten, aufgebracht wurde. Ebenso wie die parallel gegründete Manganerzzentrale wurde sie einem staatlichen Kommissar unterstellt.96 Wie Stellwaag betont,97 entstand ein Spannungsverhältnis zwischen dem Bekenntnis zur Marktordnung und den der Eisenzentrale zugedachten Aufgaben, die der Regulierung und Überwachung der Wirtschaft dienen sollten. In der Praxis scheiterte die Institution daran, dass ihre Aufgaben zu umfangreich waren. Ihre Planungskapazitäten waren wegen der „ungeheuren Mengen“, die produziert wurden, unzu93 Hardach, Weltkrieg (wie Anm. 11), S. 74; Wixforth, Gründung und Finanzierung (wie Anm. 2), S. 88. 94 Gerald D. Feldman, Armee, Industrie und Arbeiterschaft in Deutschland: 1914 bis 1918. Berlin 1985, S. 166. 95 Vgl. Weyrauch, Waffen- und Munitionswesen (wie Anm. 9), S. 243f. 96 van de Kerkhof, Friedens- zur Kriegswirtschaft (wie Anm. 17), S. 223–225. 97 Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 5), S. 57f.

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reichend, und die Planungsanforderungen waren zu komplex, weil beispielsweise auch Halbfabrikate oder Fertigwaren einzubeziehen waren, die ihrerseits wieder als Vorleistungen in die Produktion eingehen konnten. Die Bürokratie war sich auch der Gefahr einer Fehlperzeption der eigentlichen Nachfrage bewusst, was Stellwaag mit dem Hinweis auf die „Mannigfaltigkeit des Bedarfs“ andeutete. Für eine umfassende Planung fehlte zudem das statistische Material aus den Betrieben. Da die Administratoren wenig Erfahrung hinsichtlich der Planungsanforderungen besaßen, schätzten sie ihre regulierenden Eingriffe als „Experimentieren“ ein, das man sich in der Kriegssituation nicht erlauben könne. Schließlich verhinderte aber auch die oppositionelle Haltung der Industriellen einen Machtzuwachs der Eisenzentrale. All diese Punkte sorgten für eine Abschwächung der ursprünglichen Konzeptionen zur wirtschaftlichen Steuerung. Als eigentlicher Geschäftszweck blieb der Eisenzentrale die Zufuhr von Stahlspänen sowie der Auslandseinkauf von Schrott erhalten, von denen alle beteiligten Unternehmen gleichermaßen profitierten.98 Das Kommissariat der Eisenzentrale baute administrative Stellen in den besetzten Gebieten – insbesondere in Lothringen (Longwy), Brüssel, Warschau und Bukarest – auf, die die sogenannten Verwertungsgesellschaften zur Beschaffung von Rohstoffen anleiteten.99 Die Kriegs-Kohlen-Gesellschaft, deren Einfluss im Inland als marginal einzustufen war, glich der Eisenzentrale in manchen Punkten.100 Sie wurde bereits 1915 gegründet, war vergleichbar mit anderen Kriegsgesellschaften organisiert und „gemeinnützigem“ Agieren verpflichtet. Die Gründungsurkunde hielt als ihren eigentlichen Daseinszweck explizit fest: „die Beschaffung, Verfrachtung, Verteilung und Verwertung von Brennstoffen […] für die Provinz Ostpreußen und die im Ausland besetzten Gebiete“.101 Diese Gebietseinschränkung des Gründungsvertrags wurde bislang von der Forschung nicht beachtet, denn sie legte den Wirkungsbereich der Gesellschaft explizit auf die besetzten Gebiete sowie Ostpreußen fest. Dadurch ist zu erklären, dass die Macht des Rheinisch-Westfälischen Kohlen-Syndikats (RWKS) im Inland durch die Installation der Kriegsgesellschaft nicht beeinträchtigt wurde. Es gelang dem Syndikat, die Regulierungstätigkeit des preußischen Staates weitgehend von den kartellierten Kohlemärkten des Ruhrgebiets fernzuhalten.102 Allerdings errang Ernst Stutz als Vorsitzender der Kriegs-Kohlen-Gesellschaft sowie als Reichskommissar für die Kohlenverteilung eine gewisse Machtbasis. Bei98 Kim Christian Priemel, Flick. Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. 2. Aufl. Göttingen 2008, S. 65. Vgl. die ausführlichen Passagen bei Stellwaag zur Schrottbewirtschaftung und zur Schrottaufbringung in den besetzten Gebieten: Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 5), S. 26ff., 66ff., 87ff., 95ff., 136ff. 99 van de Kerkhof, Friedens- zur Kriegswirtschaft (wie Anm. 17), S. 224. 100 Zur Marginalität vgl. Eva-Maria Roelevink, Staatliche Intervention und kartellierte Handlungslogik: Die Absatzgewinne des deutsch-niederländischen Kohlehandels während des Ersten Weltkrieges, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 56, 2015, H. 2, S. 451–478, hier S. 456. 101 Gesellschaftsvertrag. Kriegs-Kohlen-Gesellschaft AG (Sitz in Berlin), Berlin [1915]. 102 Vgl. Böse/Ziegler, Ruhrkohle (wie Anm. 24), S. 422f.



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spielsweise verfügte er am 15. August 1917 eine Maßnahme zur Verminderung des Kohlen- und Koksverbrauchs der Industrie, nach der die Kokereien ihren Betrieb um sechs Prozent, die Hochofenwerke ihren Koksverbrauch und damit die Roheisenproduktion um zehn Prozent einzuschränken hatten.103 Diese Ad-hoc-Maßnahme hatte offensichtlich ernste Konsequenzen, obwohl die Anordnung vielen betroffenen Unternehmen erst verspätet bekannt wurde. Auch in anderen Bereichen erreichten Reichskommissare eine Machtstellung, die ihnen punktuelle, aber weitreichende Eingriffe in den Wirtschaftsablauf gestattete.104 Während die behördlichen Fähigkeiten zur gesamtwirtschaftlichen Lenkung beschränkt blieben, können Einzelmaßnahmen zur industriellen Steuerung genauer unter die Lupe genommen werden. Hierzu zählte der Industrieausbau durch den Bau neuer Fabriken oder die Erweiterung bestehender Anlagen. Ein Beispiel für eine Firmenneugründung war die Zünder- und Apparatebau GmbH (Zündapp), eine 1917 in Nürnberg gegründete Fabrik, die Zünder für Artilleriegeschosse herstellte. Der Luftkrieg gewann im Laufe des Weltkriegs an Bedeutung. Folglich entstand mit der Flugzeugindustrie ein neuer Gewerbezweig, der bis Kriegsende 140 000 Arbeitskräfte in 124 Fabriken zählte.105 Ferner gab es Projekte zum infrastrukturellen Ausbau, die vom Bau neuer Rheinbrücken bis zur Erweiterung des Streckennetzes der Eisenbahn und anderer Verkehrsträger reichten.106 Der Staat förderte große Programme zum Neubau von Industrieanlagen.107 Beispielsweise legte die chemische Industrie 1916 ein gewaltiges Ausbauprogramm auf. Die Farbenfabrik F. Bayer plante Investitionen in Höhe von zwei Dritteln ihres Anlagevermögens von 1913.108 Auch Krupp, Deutschlands größter Rüstungskonzern, verfolgte über den Krieg hinweg ein Expansionsprogramm in Millionenhöhe. Im November 1915 gab der Aufsichtsrat größere Beiträge zum Ausbau von Rüstungswerken wie der Geschossdreherei oder den Artilleriewerkstätten frei. Die Kriegsgewinne wurden reinvestiert, ohne dass eine abwägende Strategie in Bezug auf die Friedenszeit sichtbar war. Mit dem Hindenburg-Programm intensivierte sich der Expansionskurs. Als besondere Organisationsform wurden öffentlich-private Gemeinschaftsunternehmen projektiert, z.B. ab Mai 1916 mit dem Bayerischen Kriegsministerium zum Bau einer Geschützfabrik.109

103 Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 5), S. 131. 104 Vgl. zu Julius Bueb, Reichskommissar für Stickstoff und Leiter der entsprechenden Beschaffungsstelle, Roth, Staat und Wirtschaft (wie Anm. 78), S. 205. 105 Friedrich-Wilhelm Henning, Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands. Bd. 3,1: Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik 1914 bis 1932. Paderborn 2003, S. 77. 106 Hardach, Weltkrieg (wie Anm. 11), S. 78. 107 Feldman, Die sozialen und politischen Grundlagen (wie Anm. 79), S. 27. 108 Plumpe, Chemische Industrie (wie Anm. 75), S. 188. 109 van de Kerkhof, Friedens- zur Kriegswirtschaft (wie Anm. 17), S. 251–255.

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Das Modell der Public-Private-Partnerships wurde auch im preußischen Kriegsministerium hoch geschätzt.110 Ihre Bedeutung stieg, als die OHL im Februar 1917 ihr Investitionsverhalten einer Revision unterzog. Sie stellte den Bau von Neuanlagen, in die viel Arbeitszeit und Material investiert worden war, zurück und suchte stattdessen nach anreizkompatiblen Wegen zur Industriefinanzierung.111 Stellwaag beschreibt das Beispiel des Erzbergbaus im Raum Ilsede-Peine, dessen Beitrag zur deutschen Erz- und Roheisenversorgung gesteigert werden sollte.112 Das seit September 1916 verfolgte Projekt nahm Anfang 1917 konkrete Züge an, als das preußische Kriegsministerium einen Vertrag ausarbeitete, der die Erhöhung der Erzförderung von einer Million auf acht Millionen Tonnen jährlich vorsah. Die Eisenzentrale wollte einen großen Teil der für die Kapazitätserweiterung notwendigen Investitionen tragen. Der parallel projektierte infrastrukturelle Ausbau bezog sich auf ein fertigzustellendes Teilstück des Mittellandkanals sowie die Hafenanlagen in Hannover. Zwar begannen die Arbeiten 1917, doch erfolgte kein Vertragsabschluss, weil das Reich keine Garantie für die Brennstoffversorgung des Betriebes geben konnte. Ohne eine solche Zusage schätzte die Ilseder Hütte das Risiko als zu groß ein. Zudem befürchtete das Privatunternehmen wohl eine zu große staatliche Einflussnahme auf seine Geschäftsführung. Der Fall Peine zeigt im Detail, wie der Staat auf die Industrie Einfluss zu nehmen suchte, macht aber zugleich deutlich, wie groß die Entscheidungsspielräume der als Vertragspartner angesprochenen Unternehmen blieben. Weitere Projekte dieser Art konzipierte die Manganversorgungsstelle zur Substituierung von importiertem Ferrosilizium.113 In den Gießereien sollte die Verwendung des hochwertigen Ferrosiliziums anstelle von Ferromangan gefördert werden, weil seine Herstellung ohne bestimmte Erzsorten möglich war, an denen in Deutschland Mangel herrschte. Allerdings war dafür der Bau einer spezialisierten Anlage erforderlich, weil Ferrosilizium bisher fast ausschließlich importiert wurde. Die KRA unternahm im Zuge des Hindenburg-Programms den Versuch, vorhandene Betriebsanlagen zu erweitern und neue Produktionsstätten zu errichten. Der industrielle Ansprechpartner war die Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG (RWE). Zur Erweiterung der Ferrosiliziumanlage in Knappsack bei Köln gewährte das Reich durch die Eisenzentrale einen Vorschuss von 16 Millionen Mark. Zur Durchführung des Projekts bildete sie mit Privatfirmen Konsortien, bei denen sie eine Kapitalmehrheit hielt. Weitere Vereinigungen dieser Art entstanden zum Bau eines Werkes im westfälischen Altena sowie zur Erweiterung der Anlage Weisweiler bei Düren, um eine andere Ersatzstoffherstellung zu erproben. Auch pachtete die Eisenzentrale eine Anlage bei den elektrochemischen Werken in Laufen zu günstigen Konditionen. All diese Projekte begannen 1916/17, also erst in der zweiten Kriegshälfte. Die 110 Vgl. grundlegend van de Kerkhof, Public-Private Partnership (wie Anm. 41). 111 Hardach, Erster Weltkrieg (wie Anm. 11), S. 80. 112 Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 5), S. 83. 113 Ebd., S. 253ff.



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meisten Vorhaben stockten, weil die Bewirtschaftung von hochwertigem Ferrosilizium sich schließlich ungünstiger als die der ursprünglich gefährdeten Manganversorgung darstellte. Auch litt der Anlagenbau unter dem Frost des Winters und der laufende Betrieb unter den Engpässen in der Braunkohle- und Stromversorgung. Schließlich hatte das Hindenburg-Programm noch eine arbeitsmarktorientierte Komponente, insofern es eine Dienstverpflichtung der gesamten arbeitsfähigen Bevölkerung für die Rüstungsproduktion vorsah. Als konkrete Maßnahmen erwähnte es die Ausweitung der Militärpflicht, die Einbeziehung der Frauen in die Dienstpflicht, die Umleitung von Arbeitern in kriegswichtige Industrien sowie die Schließung der Universitäten. Als das Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst am 5. Dezember 1916 nach innenpolitischen Kontroversen in Kraft trat, beschränkte es sich auf die Zwangsverpflichtung aller arbeitsfähigen Männer zwischen 17 und 60 Jahren. Weitergehende Forderungen der OHL, insbesondere der Zwangsarbeitseinsatz von Frauen, scheiterten am Parlament.114 Da die Last der Produktion auf den Arbeitern lag, mussten die Gewerkschaften die Kriegs- und Rüstungspläne mittragen und die Reichsregierung hatte auf ihre Interessen Rücksicht zu nehmen.115 Dies trug auch langfristig zu einer Veränderung der industriellen Beziehungen bei. Im Deutschen Reich existierte keine zentrale Lenkungsstelle für Arbeitskräfte, noch nicht einmal eine systematische Beobachtung des Geschehens auf dem Arbeitsmarkt. Die schon vor 1914 gegründete Deutsche Arbeiterzentrale in Berlin war kein entsprechendes Organ, denn sie blieb auf ihre ursprüngliche Aufgabe der Rekrutierung ausländischer, vornehmlich aus Osteuropa stammender Arbeitskräfte festgelegt.116 Auch die 1914/15 gegründete Abteilung für Zurückstellungswesen im preußischen Kriegsministerium agierte relativ wirkungslos, weil sie keine Weisungsbefugnis gegenüber militärischen Stellen besaß.117 Selbst vom Kriegseinsatz freigestellte Facharbeiter unterstanden der Kontrolle der Militärbehörden. Der Konflikt zwischen industrieller und militärischer Nutzung der Arbeitskräfte blieb bestimmend: Die Rückstellung vom Militärdienst nahmen die mobilen Kommandostellen des Heeres vor. Ihre vor Ort getroffenen Ad-hoc-Entscheidungen wiesen aber keinerlei überregionale Koordination auf.118 Die Arbeitsnachweise waren stark zersplittert und befanden sich mitunter in der Hand der Interessenten, d.h. der Gewerkschaften und der Arbeitgeber, sodass sie meist gegen- oder nebeneinander arbeiteten.119 Obwohl das Hilfsdienstgesetz den Stellenwert der öffentlichen Arbeitsvermittlung erhöhen sollte, gingen die Ver114 Vgl. Mommsen, Urkatastrophe (wie Anm. 87), S. 89. 115 Ullmann, Kriegswirtschaft (wie Anm. 4), S. 226. 116 Daniel, Arbeiterfrauen (wie Anm. 63), S. 52; vgl. zur Rolle der Arbeiterzentrale vor dem Krieg: Jochen Oltmer, Migration und Politik in der Weimarer Republik. Göttingen 2005, S. 150. 117 Daniel, Arbeiterfrauen (wie Anm. 63), S. 54. 118 Ebd. mit Verweis auf: Ernst von Wrisberg, Heer und Heimat 1914–1918. (Erinnerungen aus dem Königlich Preußischen Kriegsministerium, Bd. 2) Leipzig 1921, S. 109. 119 Dieckmann, Behördenorganisation (wie Anm. 31), S. 57.

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mittlungszahlen der kommunalen Arbeitsnachweise zwischen 1916 und 1917 insgesamt zurück.120 Lediglich die deutschen Großstädte zeigten ein uneinheitliches Bild. Während rheinische Städte wie Düsseldorf oder Essen einen erheblichen Einbruch der Vermittlungszahlen verzeichneten (minus 42,8 bzw. 26,6 Prozent), nahmen sie in Dortmund ganz erheblich zu (plus 72 Prozent). In Berlin, Köln und Frankfurt stiegen die Vermittlungserfolge um vier bis neun, in Hamburg sogar um 21 Prozent; in München, Leipzig und Hannover (minus fünf, acht und 23,5 Prozent) gingen sie in entsprechender Höhe zurück. Trotz punktueller lokaler Erfolge blieb das Gewicht der öffentlichen Arbeitsvermittlung gering, sodass allein Unternehmerentscheidungen für die Anstellung maßgeblich blieben.121 Im Zuge der Winterkrise 1916/17 mehrten sich die allgemeinen Probleme auf dem Arbeitsmarkt, die zu einem Absinken der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit führten.

Scheitern des Hindenburg-Programms Wenn man beurteilen will, wie erfolgreich das Hindenburg-Programm war, reicht eine Beschränkung auf eine rüstungswirtschaftliche Sichtweise nicht aus. Isoliert man das militärische Rüstungsinteresse, kann man in der Tat zu einem verhalten positiven Urteil kommen, denn Weyrauchs Zahlen zur Rüstungsproduktion weisen starke Steigerungen aus, besonders bei Pulver, Sprengstoffen und Maschinengewehren.122 Zur Vermehrung der Rüstungsgüter in wichtigen Bereichen trug das erwähnte Umdenken der OHL in ihrer grundlegenden Entscheidung vom Februar 1917 bei. Die Heeresleitung stellte ihr großzügiges Investitionsprogramm, durch das in den Bau von Neuanlagen viel Arbeitszeit und Material geflossen war, zugunsten der laufenden Produktion zurück.123 Dieser Entschluss deckte sich nicht unbedingt mit den Interessen der Industrie, die den Kapazitätenausbau für die Friedenswirtschaft zu nutzen hoffte. Immerhin gelang so eine Konsolidierung der Rüstungsproduktion. Um kriegsunwichtigen Betrieben und Einrichtungen die Ressourcen zu entziehen, entstand im Dezember 1916 der „Ständige Ausschuss für die Zusammenlegung von Betrieben“. Seine Gründung bedeutete eine Abkehr von dem bis dahin geltenden Grundsatz, die Betriebe möglichst weiterarbeiten zu lassen, teilweise mit Einschränkung ihrer herkömmlichen Produktionspalette, doch ohne Zugriff auf die unternehmerischen Eigentumsrechte. Das Hauptziel war die Freistellung dringend benötigter Arbeitskräfte durch eine weitgehende Einstellung der Produktion der vermeintlichen Friedensindustrien. Eine konkret verfolgte Linie betraf die Stilllegung weniger 120 Statistisches Reichsamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 40, 1919, S. 117–121. 121 Daniel, Arbeiterfrauen (wie Anm. 63), S. 53. 122 Vgl. Pöhlmann, Waffen- und Munitionswesen (wie Anm. 1), S. 189; Weyrauch, Waffen- und Munitionswesen (wie Anm. 9), Kurvenblätter 1 und 3. 123 Hardach, Weltkrieg (wie Anm. 11), S. 80.



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leistungsfähiger Kleinbetriebe, um ihre Arbeitskräfte, Rohstoffe und Maschinen für die Großbetriebe der Rüstungsindustrie zu gewinnen.124 Die Textilindustrie schien wegen ihrer anhaltenden Rohstoffknappheit für eine solche Art des staatlichen Eingriffs besonders geeignet. Doch hatten in diesem Segment des Arbeitsmarktes bereits unmittelbar nach Kriegsbeginn nennenswerte Verschiebungen eingesetzt: Der Zuwachs an jungen Arbeitskräften war kontinuierlich zurückgegangen, die Einziehungen zum Militärdienst hatten sich verschärft, sodass viele Arbeitskräfte aus dem Textilsektor bereits in die Landwirtschaft und in die Rüstungsindustrie gewechselt waren.125 In dieselbe Richtung weist eine Statistik zum Mittelstand, die zum Ende des Jahres 1916 eine Zahl von rund 250 000 stillstehenden Betrieben im Kleingewerbe festhielt.126 Kleine und mittlere Unternehmen hingen oft von einem einzelnen Handwerksmeister oder Geschäftsleiter ab, dessen Einberufung zum Kriegsdienst die Schließung oder Stilllegung des Geschäfts nach sich ziehen konnte. Wegen der Machtverhältnisse in den Kriegsgesellschaften waren die kleinen Gewerbebetriebe bezüglich der Rohstoffverteilung benachteiligt. Ihre Produktion war meist kriegswirtschaftlich weniger relevant, sodass ihre Absatzmöglichkeiten aufgrund der Verbrauchsbeschränkungen im Rationierungssystem zurückgingen. Beide Aspekte der hier konstatierten Arbeitsmarktentwicklung lassen erkennen, warum vom Betriebsstilllegungsgesetz nicht die erhofften Impulse ausgingen. Folgerichtig gab der „Ständige Ausschuss für die Zusammenlegung von Betrieben“ seine Arbeit, die auch von starken inneren Richtungskämpfen beeinträchtigt war, nach einem knappen Jahr wieder auf.127 Ursächlich für die Winterkrise 1916/17, die als Wendepunkt zu einer Verschlechterung der ökonomischen Gesamtlage gelten muss, war die „Überhitzung der Wirtschaft“ durch das Hindenburg-Programm.128 Der Auslöser der nachfolgenden Krisenphänomene war die als „Verkehrsnot“ bezeichnete Krise des Transportsystems. Wegen der Überbeanspruchung durch das Militär herrschte auf den deutschen Bahnstrecken insbesondere seit Herbst 1916 ein permanenter Waggonmangel. Die Transportbedürfnisse veränderten sich während des Krieges in mehrerlei Hinsicht. Militärische Material- und Personentransporte gingen in Richtung der Front, die sich außerhalb des deutschen Bahnnetzes befand und 1916 durch den Kriegseintritt Rumäniens noch einmal in den Südosten Europas verschoben hatte. Es waren weite Strecken zurückzulegen und am Ziel angekommen fehlte es meist an Gütern für die Rücktransporte, sodass die Waggons zeitweise dort stehen blieben.

124 Hardach, Weltkrieg (wie Anm. 11), S. 76. 125 Goebel, Spinnstoffe (wie Anm. 37), S. 262. 126 Karl Korthaus, Die Förderung der Erwerbstätigkeit der in die Heimat zurückgekehrten Kriegsteilnehmer aus dem gewerblichen Mittelstande. Berlin 1916, S. 16; vgl. auch: Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4 (wie Anm. 16), S. 80, der Schätzungen in ähnlicher Größenordnung belegt. 127 Goebel, Rohstoffwirtschaft (wie Anm. 12), S. 89f. 128 Mommsen, Urkatastrophe (wie Anm. 87), S. 90.

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Abb. 13: Waggons mit Stacheldraht für die Front, 1915

In Bezug auf die Kohleversorgung wirkte sich der Wegfall der Einfuhren über die deutschen Nordseehäfen negativ aus.129 Folglich musste der kriegsbedingt angestiegene Bedarf fast ausschließlich über die inländischen Reviere, vor allem das Ruhrgebiet, gedeckt werden. Dadurch kam es ebenfalls zu einer ungewollten regionalen Nachfrage nach Waggons. Die Transportkrise mündete in eine Kohlekrise, die ihren Ausgang bei den Schwierigkeiten der Verteilung dieses für die Kriegswirtschaft unentbehrlichen Basisrohstoffs nahm. Im Winter 1916/17 verschärfte sich die Krisenlage, weil die zugefrorenen Binnenwasserstraßen über Monate für den Transport ausfielen. Zudem ging die Kohleförderung selbst in dieser Periode wegen kältebedingter Produktionsschwierigkeiten und der anhaltenden Verringerung der Belegschaften erheblich zurück. Schließlich machte sich der Transportengpass auch bei der Personenbeförderung bemerkbar, sodass die Ziele der überbezirklichen Arbeitskräftevermittlung behindert wurden.130 Außerdem wirkte die Transportkrise auf die inländische Verteilung von Lebensmitteln zurück. Die Nahrungsmittelengpässe beruhten ferner auf schlechten Ernteergebnissen, insbesondere dem Mangel an Kartoffeln. Der Winter 1916/17 ging ins kollektive Gedächtnis als Steckrübenwinter ein. Die rationierten Kohl- bzw. Steckrüben wurden als Ersatz für Kartoffeln ausgegeben. Sie galten als widerstandsfähig, 129 Vgl. Böse/Ziegler, Ruhrkohle (wie Anm. 24), S. 424–433. 130 Feldman, Army, Industry and Labor (wie Anm. 84), S. 253–255.



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weil sie selbst bei widrigen Wetterverhältnissen gediehen und für ihr Wachstum kaum Kunstdünger benötigten, der im Krieg ohnehin nicht mehr in ausreichendem Maße zur Verfügung stand.131 Die allgemeine Überforderung der Wirtschaft war für die Zuspitzung der Krise entscheidender als die Mängel in der bürokratisierten zentralen Lenkung. Zum Problemfeld der Überbeanspruchung gehörte auch die sinkende physische und psychische Leistungsfähigkeit der arbeitenden Bevölkerung.132 Sie hing ursächlich mit der Ernährungskrise zusammen, denn die Mangelernährung war ein wesentlicher Punkt zur Erklärung der sinkenden Arbeitsproduktivität. Die Einbußen bei der Ernährung ließ bei den Gewerkschaften die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung aufkommen. Nachteilig auf die Entwicklung der Arbeitsproduktivität wirkte sich auch der Einsatz ungelernter oder schnell angelernter Arbeitskräfte aus. Zudem schädigten die eingesetzten Ersatzstoffe die angestrebte optimale Produktion, z.B. die Ersatzschmiermittel, die anstelle von industriellen Fetten Verwendung fanden und die Leistung von Maschinen beeinträchtigten.133 Selbst nach Abklingen der Transportkrise blieb die Kohlesituation prekär, insbesondere wegen der Güterwagenkonzentration im Ruhrgebiet.134 Der Kohlemangel hing immer mehr mit Produktionsschwierigkeiten zusammen, sodass die OHL im Mai 1917 der Rückkehr von 50  000 Bergarbeitern an ihren Arbeitsplatz zustimmte. In eine ähnliche Richtung wiesen die intensiven Beratungen, die die Heeresleitung mit den Stahlindustriellen führte. Im Ergebnis wurden 125 000 Stahlarbeiter von der Front zurückgezogen, um die Lücken in der Produktion zu schließen.135 In diesem Sektor blieb ebenso wie in der Chemieindustrie der Mangel an qualifiziertem Personal virulent, und die Industriellen beklagten, dass sich ihr Facharbeiterstamm aufgelöst habe. Zum Beispiel benötigten die Farbenfabriken F. Bayer als das Hilfsdienstgesetz erlassen wurde gerade keine Arbeitskräfte. Obwohl im Laufe des Jahres 1917 der Beschäftigtenstand stieg, konnten sie das Facharbeiterproblem nicht zufriedenstellend lösen.136 Die Kriegs- und Militärbehörden schenkten der Kohleverteilung große Aufmerksamkeit, weil sie sich der Kriegswichtigkeit dieses Basisrohstoffs voll bewusst waren. Umso schlechter stand es um die Binnenverteilung anderer Güter, zumal immer größere Ausfälle im Bereich der zivilen Produktion auftraten. Das radikale Mittel der Betriebsschließung hatte den Effekt, dass Versorgungslücken auftraten, mit denen die Bürokratie vorher nicht gerechnet hatte. Die über das Jahr 1917 anwachsenden

131 Henning, Handbuch (wie Anm. 105), 83f.; Plumpe, Chemische Industrie (wie Anm. 75), S. 189. 132 Hardach, Weltkrieg (wie Anm. 11), S. 79, 196f. 133 Kocka, Klassengesellschaft (wie Anm. 14), S. 22; Plumpe, Chemische Industrie (wie Anm. 75), S. 207. 134 Feldman, Army, Industry and Labor (wie Anm. 84), S. 262. 135 Feldman, Die sozialen und politischen Grundlagen (wie Anm. 79), S. 28. 136 Plumpe, Chemische Industrie (wie Anm. 75), S. 195–197.

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Rüstungsstatistiken belegen, wie stark sich die Volkswirtschaft trotz allgemein sinkender Produktionswerte auf die Kriegsindustrien konzentrierte. Dabei ging das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht immer mehr verloren.

Fazit Die häufig wiederholte These des unvorbereiteten Kriegseintritts137 findet sich durch eine nähere Untersuchung der staatlichen Wirtschaftspolitik bestätigt. Als der Krieg ausbrach, standen dem Reich keine ordnungspolitischen Konzepte zur Verfügung und die Erwartungen hinsichtlich der Notwendigkeit einer Wirtschaftslenkung bewegten sich in eine falsche Richtung. Nach der Anfangsinitiative Rathenaus und von Moellendorffs wurde die Kriegswirtschaftsbürokratie zwar sukzessive ausgebaut, doch trotz eines stetig ansteigenden Personaleinsatzes gelang die ökonomische Lenkung und Kontrolle nur unzureichend. Selbst die Reorganisations- und Zentralisierungsbestrebungen im Zuge der Umsetzung des Hindenburg-Programms 1916 änderten nur wenig an den Defiziten hinsichtlich der Steuerbarkeit der Wirtschaft. Gleichwohl drängte das Militär, besonders nach Einsetzung der dritten OHL im Sommer 1916, mit Macht in die Wirtschaftspolitik. Durch den Einsatz von leitenden Offizieren im Kriegsamt bewegte sich diese neue Behörde zwischen einem militärischen und einem zivilwirtschaftlichen Anforderungsprofil. Nachdem manches kostspielige industrielle Aus- oder Neubauprojekt scheiterte, sollte eine verstärkte militärische Komponente für eine Erhöhung der wirtschaftlichen Durchschlagskraft sorgen. Die Einsetzung von Reichskommissaren stellte vermeintlich die Möglichkeit zur Korrektur der Ineffizienz mancher bürokratischer Steuerungsmaßnahme dar. Allerdings sorgten die Ad-hoc-Eingriffe häufig noch für weitaus größere Störungen des Wirtschaftsablaufs. In diesem Sinne sollte das Hindenburg-Programm auch nicht unter dem Schlagwort der „totalen Mobilisierung“ diskutiert werden, denn damit folgt man der Propaganda Ludendorffs und Hindenburgs.138 Die Eigendarstellung der OHL suggerierte, dass man in der Lage sei, das Land vor der unzureichenden wirtschaftlichen Mobilisierung zu retten und die Heimatfront zu zwingen, endlich gemäß den militärischen Notwendigkeiten zu denken und zu handeln. Gegen diese Darstellung ist insbesondere einzuwenden, dass die dritte OHL im Hindenburg-Programm ihre Rüstungsziele mit einer deutlich erkennbaren Wirtschaftsferne formulierte. 137 Vgl. z.B. Hardach, Weltkrieg (wie Anm. 11), S. 63–65; Feldman, Die sozialen und politischen Grundlagen (wie Anm. 79), S. 15; Mommsen, Urkatastrophe (wie Anm. 87), S. 78; Ullmann, Kriegswirtschaft (wie Anm. 4), S. 221; Wixforth, Gründung und Finanzierung (wie Anm. 2), S. 84; Ziegler, Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg (wie Anm. 30), S. 313 sowie auch Hans G. Ehlert, Die wirtschaftliche Zentralbehörde des Deutschen Reichs, 1914 bis 1919. Das Problem der „Gemeinwirtschaft“ in Krieg und Frieden. Wiesbaden 1982, S. 34. 138 Feldman, Army, Industry and Labor (wie Anm. 84), S. 149.



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Insgesamt stellt sich die Frage, ob es im Ersten Weltkrieg eine gesteuerte oder gelenkte Wirtschaft gab. Gemessen an den Eingriffen in den Wirtschaftsablauf vor dem Krieg herrschte sicherlich ein hohes Maß an Lenkung und Steuerung. Dennoch darf die Planung nicht überschätzt werden: Wenn z.B. Goebel von „Wirtschaftsplänen“139 schrieb, waren damit reine Festsetzungen von Produktionsmengen gemeint, die binnen eines gewissen Zeitraums herzustellen waren. Die Regulierungstätigkeit entwickelte sich im Ersten Weltkrieg ad hoc aus den Erfordernissen des Kriegsverlaufs und bewegte sich fast ausschließlich im privatwirtschaftlichen Rahmen. Die Beschränkungen bezogen sich auf einzelne Felder, vor allem in Form von Eingriffen in die Preissetzung, Zuteilung durch Bewirtschaftung oder außenwirtschaftlichen Reglementierungen. Zweifellos dienten manche institutionellen Regelungen als Modell und wirkten sich dann auf nachfolgende Lenkungssysteme aus, insbesondere als das nationalsozialistische Deutschland die Wirtschaftslenkung im Zweiten Weltkrieg vorbereitete. Gemessen an dem, was im 20. Jahrhundert an zentraler Staatsplanung folgte, handelte es sich im Ersten Weltkrieg keinesfalls um eine Planwirtschaft, sondern um den spontan entstandenen Typus einer dirigistischen Marktwirtschaft.

139 Goebel, Rohstoffwirtschaft (wie Anm. 12), S. 73.

Markus Pöhlmann

Waffen- und Munitionswesen Eine kritische Einleitung in das Werk von Robert Weyrauch In einem Klassiker der Spionageliteratur, Robert Erskine Childers „The Riddle of the Sands“ von 1903, errichtet der Erzähler dem Deutschen Kaiserreich in Bezug auf dessen organisatorische, technische und industrielle Fähigkeiten ein literarisches Denkmal: She [Germany] has a peculiar genius for organization, not only in elaborating minute detail, but in the grasp of a coherent whole. She knows the art of giving a brain to a machine, of transmitting power to the uttermost cog-wheel, and at the same time of concentrating responsibility in a supreme centre.1

Das landläufige Bild vom Kaiserreich ist bis heute eines, in dem die gesellschaftliche Dominanz des Militärischen und die effiziente, maschinenartige Organisation der Kriegführung auf eine – je nach politischem Blickwinkel – bewundernswerte oder beängstigende Art einher gingen. Eine zentrale Voraussetzung für die Kriegführung bildete die Bereitstellung der Werkzeuge derselben, also der Waffen, des militärischen Geräts und der Munition. Robert Leo Weyrauchs Buch von 1922, das hier zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit vorgelegt werden kann, ist ein Bericht aus dem Inneren dieser großen Kriegsmaschine und es ist eine schonungslose Abrechnung, wie man sie selten gelesen hat. Der Autor wurde am 20. August 1874 in Ludwigsburg, Königreich Württemberg, geboren.2 Er absolvierte ein Studium des Wasserbaus, das er als Dr. Ing. abschloss. Bis 1906 war er als Stadtbauingenieur in Charlottenburg (heute Berlin) tätig. Am 22. August 1906 erhielt er einen Ruf als Professor für Wasserbau und Melioration an die Technische Hochschule Stuttgart, an der schon sein Vater Jakob Johann von Weyrauch Professor und Rektor gewesen war. Bei Beginn des Ersten Weltkrieges wurde Weyrauch als Oberleutnant der Landwehr in Stuttgart einberufen und tat bis zu einer Erkrankung im November 1914 Dienst in mehreren Bahnhofkommandanturen. Am 13. Mai 1915 wurde er – mittlerweile Hauptmann – in das Ingenieur-Komitee des Preußischen Kriegsministeriums versetzt, wo er als Beschaffungsreferent arbeitete. Am 4. 1 Zitiert nach Daniel Pick, War Machine. The Rationalisation of Slaughter in the Modern Age. New Haven/London 1993, S. 116. 2 Grundlage für die biografische Skizze bilden Bestandssplitter im Universitätsarchiv Stuttgart sowie Akten zu seiner Kriegstätigkeit. Siehe Universitätsarchiv Stuttgart: SA2/478 (Slg. Kommerell) sowie Bundesarchiv, Abt. Militärarchiv Freiburg im Breisgau: RH 61/634 und 860. Im Württembergischen Hauptstaatsarchiv Stuttgart liegt außerdem seine militärische Personalakte vor (M 430/3 Bü. 12398).



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November 1916 wechselte Weyrauch in die Wissenschaftliche Kommission desselben Ministeriums, der er bis zu seiner Entlassung aus dem Militärdienst am 30. September 1918 angehörte. Für die Jahre 1917/18 ist zusätzlich seine Tätigkeit für die Zwischenamtliche Kommission für volkswirtschaftlichen Nachrichtendienst nachgewiesen, bei der es sich um eine Stelle für die Auswertung der Wirtschaftsnachrichten der Auslandspresse gehandelt hat. Nach dem Krieg nahm Robert Weyrauch seine Lehrtätigkeit an der TH Stuttgart wieder auf. Im Juli 1923 wurde er Mitglied der Preußischen Akademie des Bauwesens in Berlin. Seine Publikationsliste umfasst Fachbücher zum Wasserbau, aber auch Beiträge zur Berufskunde und zum Technikverständnis.3 Robert Weyrauch verstarb am 15. September 1924 in Bad Cannstatt (heute Stuttgart).



Abb. 14: Robert Weyrauch

Sein Buch ist ein Text von Experten für Experten. Ohne eine historische Kontextualisierung ist es schwierig, seine Kritik einzuordnen. Diesem Zweck dient diese Einführung. In ihr soll zunächst bestimmt werden, was historisch unter Rüstung überhaupt zu verstehen ist und wie sich die Forschungslage zur Rüstung des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg heute präsentiert. Darauf aufbauend sollen die Phasen und wichtigsten Merkmale dieser Rüstung benannt werden. Dabei beschränken wir uns auf die Heeresrüstung, die von der Marinerüstung getrennt organisiert war und mit ersterer budgetär und im Hinblick auf das Kriegsbild in direkter Konkurrenz stand; ein erstes Kennzeichen der Epoche ist damit schon benannt. Die vorgeschlagene Periodisierung 3 Der Wasserbau. Gemeinverständliche Übersicht seiner Gebiete und Probleme. Stuttgart 1908; Hydraulisches Rechnen. Formeln und Zahlenwerte aus dem Gebiete des Wasserbaus für die Praxis. Stuttgart 1909; Wasserversorgung der Ortschaften. Leipzig 1910; Beiträge zur Berufskunde des Ingenieurs. Stuttgart 1919; Die Technik. Ihr Wesen und ihre Beziehung zu anderen Lebensbereichen. Stuttgart 1922.

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soll der inhaltlichen Strukturierung dienen, gewissermaßen den roten Faden einer historischen Erzählung zu bilden, der in dem eigentümlich gegliederten Text von Weyrauch mitunter verloren geht. Die Einführung schließt mit der kritischen Würdigung des Buches. Die Geschichte der Entwicklung und Fertigung von Waffen ist ein chronisch unterbeforschtes Feld. Was materielle Rüstung überhaupt ist und welche Rolle sie bei der Vorbereitung und im Verlauf des Ersten Weltkrieges gespielt hat, müssen sich Leserinnen und Leser bis heute aus einem überschaubaren und wissenschaftlich heterogenen Korpus von Literatur erlesen. Gesamtdarstellungen und Studienbücher sucht man vergebens. In der ihm eigenen Apodiktik hat der Historiker Michael Geyer vor nunmehr über dreißig Jahren festgestellt: „Rüstung gibt es nur in Form von Rüstungspolitik.“4 Als Untersuchungsgegenstand für Technik-Fans ist Rüstung also nur ganz unzureichend beschrieben. Stattdessen beschreibt der Begriff die Bereitstellung von Gewaltmitteln, und damit die Aneignung gesellschaftlicher Ressourcen. Dieser Prozess ist, auch darauf hat Geyer hingewiesen, in der Regel umkämpft.5 Dass das Politikfeld Rüstung nicht die wissenschaftliche Beachtung erfahren hat, die ihm gebührt, hat zwei Gründe. Das liegt einmal daran, dass man es hier mit Vorgängen zu tun hat, die sich in zwei ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Aggregatzuständen vollziehen müssen, nämlich Frieden und Krieg. Zum anderen fällt Rüstung zwischen die Stühle von Technik-, Wirtschafts- und Militärgeschichte. Für die Technikgeschichte bildet materielle Rüstung vor allem die Folie für die Diskussion um das Phänomen der Innovation; die Akteure sind meist die Ingenieure. Die Wirtschaftsgeschichte hat sich bislang für die Organisationsformen der Rüstungsindustrie und der Kriegswirtschaft interessiert. Auch hier überwiegt die Fokussierung auf die zivilen Akteure, insbesondere die Unternehmer. Die militärgeschichtliche Perspektive hat sich auf den militärischen Nutzungszusammenhang von Waffen konzentriert; die Akteure waren hier vornehmlich die Soldaten. Für den Ersten Weltkrieg als der Wendemarke zum industrialisierten und damit zum gesamtgesellschaftlichen Krieg lässt sich schon an dieser Stelle feststellen, dass es mit der Trennung zwischen ziviler und militärischer Sphäre nicht mehr weit her war. Das Verschmelzen beider, die hybriden Protagonisten und Organisationsformen, haben allerdings die historische Klärung des Politikfeldes Rüstung nicht unbedingt erleichtert.

1 Forschungsüberblick Die Geschichtsschreibung zu Waffen, militärischem Gerät und Munition im Ersten Weltkrieg hat unmittelbar mit dem Ende des Konfliktes begonnen. Dabei ist zu 4 Michael Geyer, Deutsche Rüstungspolitik 1860–1980. Frankfurt am Main 1984, S. 21. 5 Ebd., S. 14, 16.



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berücksichtigen, dass es sich um die Geschichte einer Niederlage handelte. Fehler und Versäumnisse bei der Heeresrüstung stellten in der Jahrzehnte andauernden Diskussion um die Ursachen der Niederlage einen wichtigen Themenkomplex dar.6 Am Anfang der Rüstungsgeschichte stand dann auch die amtliche, die Verbands- und die Erinnerungsliteratur. So bedeutete der Plan des Reichsarchivs, im Rahmen des amtlichen Reihenwerkes zur Geschichte des Krieges auch Sonderbände zur Rüstung und zur Kriegswirtschaft aufzunehmen, durchaus eine ambitionierte Weiterentwicklung der Generalstabshistoriographie, in der das Reichsarchiv personell und auch konzeptionell stark verwurzelt war.7 Die Umsetzung des Plans gelang jedoch nur zum Teil: Bis 1930 erschienen ein Text- und ein Anlagenband zur Heeresrüstung bis Kriegsbeginn. Die Folgebände zur Kriegszeit selbst konnten allerdings bis 1945 nicht mehr publiziert werden. Schon die lange Dauer der Arbeiten an den Folgebänden deutet darauf hin, dass der Schwerpunkt des Reichsarchivs dann doch auf der Geschichte der Operationen lag. Man liegt allerdings wohl auch nicht falsch, wenn man davon ausgeht, dass die Rüstungsgeschichte auch für die Reichsarchivare ein heißes Eisen darstellte. Institutionell und teilweise auch durch persönliche Loyalitäten waren sie der 3. Obersten Heeresleitung (OHL) unter Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und General Erich Ludendorff verbunden. Diese war allerdings in den Jahren 1916–18 über die Rüstung in teilweise starken Gegensatz zum preußischen Kriegsministerium geraten, sodass in einer amtlichen Rüstungsgeschichte am Ende vor allem binnenmilitärische Konfliktlinien sichtbar werden mussten. Weil das Reichsarchiv die Rüstungsgeschichte aber einmal zu seinem Arbeitsgebiet erklärt hatte, bestand dort auch wenig Interesse, das Thema durch andere Stellen bearbeiten zu lassen. Die obstruktive Haltung der Reichswehr zu den Publikationen aus dem Umfeld der Wissenschaftlichen Kommission des preußischen Kriegsministeriums (Sering-Kommission) und zu dem vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) lancierten Buchprojekt „Technische Kriegserfahrungen für die Friedenszeit“ erklärt sich somit teilweise auch durch die Wahrnehmung dieser Forschungen als Konkurrenz.8 Konkurrenz erwuchs dem Reichsarchiv allerdings auch durch das privatwirtschaftlich finanzierte Projekt eines Weltkriegswerkes unter der Herausgeberschaft des Generals a.D. Max Schwarte, einem der damals führenden militärischen Technikpublizisten. Mit Blick auf die Rüstungsgeschichte ist dieses bis heute wichtig, weil hier auch den Entscheidungsträgern aus dem Umfeld des Kriegsministeriums Raum 6 Vgl. Ulrich Heinemann, Die verdrängte Niederlage. Politische Öffentlichkeit und Kriegsschuldfrage in der Weimarer Politik. Göttingen 1983. 7 Vgl. Markus Pöhlmann, Kriegsgeschichte und Geschichtspolitik. Der Erste Weltkrieg. Die amtliche deutsche Militärgeschichtsschreibung 1914–1956. Paderborn 2002, S. 79–157. 8 Neben den drei im Rahmen des vorliegenden Projektes edierten Bändern bietet das VDI-Werk einen unerschöpflichen Fundus für kriegswirtschaftliche und Rüstungsfragen zu 1914–18. Siehe Verein Deutscher Ingenieure (Hrsg.), Technische Kriegserfahrungen für die Friedenswirtschaft. Im Rahmen der volkswirtschaftlichen Untersuchungen der ehemaligen Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission des Preußischen Kriegsministeriums. Berlin/Leipzig 1923.

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eingeräumt wurde.9 Großen Einfluss auf die folgenden Debatten gewannen schließlich die früh vorgelegten Kriegserinnerungen einiger militärischer Entscheidungsträger aus dem Rüstungsbereich, etwa Erich Ludendorff, Max Bauer oder Ernst von Wrisberg.10 Doch auch auf der zivilen Rüstungsseite bestand angesichts der geschilderten Kontroversen früh das Interesse, den eigenen Beitrag zur Heeresrüstung historisch aufzuarbeiten.11 Blickt man auf die akademischen Beiträge zur Geschichte der Heeresrüstung aus der Zwischenkriegszeit, so sind diese rar, aber interessant: Die Hallenser Habilitation von Hans Herzfeld zur deutschen Rüstungspolitik vor 1914 ist Zeitgeschichtsschreibung avant la lettre, allerdings eine, die sich durch eine zweifelhafte Nähe zur „Kriegsschuldforschung“ dieser Jahre auszeichnet. Die eher verstreuten Texte des früh verstorbenen Wirtschafts- und Sozialhistorikers Eckart Kehr deuten auf das Potenzial hin, das eine Rüstungsgeschichte gehabt hätte.12 Der wissenschaftliche Paradigmenwechsel nach 1945 hat dann dazu geführt, dass Militärgeschichte in der Bundesrepublik insgesamt lange Zeit als akademisch inopportun erachtet wurde; eine Haltung, die natürlich bis Mitte der 1980er Jahre auf die Rüstungsgeschichte und die Wirtschaftsgeschichte des Krieges abstrahlte.13 Wer sich trotzdem mit einem derartigen Thema befasste, musste seine kritische Haltung durch den methodischen Ansatz nach außen hin besonders augenfällig machen: Gerald Feldman gelang dies in seiner bahnbrechenden Studie durch den Fokus auf die arbeits- und sozialpolitischen Aspekte von Rüstung im Weltkrieg. Michael Geyers deutsche Rüstungsgeschichte funktionierte vor allem über die eher großessayistische Konzeption und die Weiterführung des Themas bis in die tagespolitische Rüstungsdebatte der 1980er Jahre. Bei Stig Försters Geschichte der Heeresrüstung zwischen 1890 und 1913 war es der Hinweis auf die divergierenden Interessen der militärischen Akteure im Rüstungsprozess. Volker Mollin unternahm den Versuch, das Modell des 9 Max Schwarte (Hrsg.), Der Große Krieg 1914–1918. 10 Bde. Berlin 1921–1933 (inhaltsgleich vertrieben unter dem Titel „Der Weltkampf um Ehre und Recht“). 10 Erich Ludendorff, Meine Kriegserinnerungen 1914–1918. Berlin 1919; Erich Ludendorff (Hrsg.), Urkunden der Obersten Heeresleitung über ihre Tätigkeit 1916/18. Berlin 1920; Oberst [Max] Bauer, Der große Krieg in Feld und Heimat. Erinnerungen und Betrachtungen. 3. Aufl. Tübingen 1922; Ernst von Wrisberg, Wehr und Waffen 1914–1918. Leipzig 1922. 11 Siehe die vorliegende Edition und Verein Deutscher Ingenieure, Technische Kriegserfahrungen (wie Anm. 8). 12 Hans Herzfeld, Die deutsche Rüstungspolitik vor dem Weltkriege. Bonn 1923; Eckart Kehr, Der Primat der Innenpolitik. Gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. und eingel. von Hans-Ulrich Wehler. Berlin 1965; ferner aus dem Umfeld des Reichsarchivs Wilhelm Dieckmann, Die Behördenorganisation der deutschen Kriegswirtschaft 1914– 1918. Hamburg 1937. 13 Als zwei frühe Ausnahmen und Pionierstudien sind zu nennen Gerald D. Feldman, Armee, Industrie und Arbeiterschaft in Deutschland 1914 bis 1918. Berlin/Bonn 1985 (amerik. 1966) und Lothar Burchardt, Friedenswirtschaft und Kriegsvorsorge. Deutschlands wirtschaftliche Rüstungsbestrebungen vor 1914. Boppard am Rhein 1968.



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„militärisch-industriellen Komplexes“ auf die Verhältnisse einer einzelnen Waffengattung herunterzubrechen.14 Seitdem haben die Zahl und die Bandbreite der Untersuchungen deutlich zugenommen. Dazu zählen heereskundliche Beiträge, die in ihrer militärtechnischen Engführung mitunter durchaus Qualitäten besitzen.15 Die breiter angelegten militärgeschichtlichen Untersuchungen sind zu ergänzen.16 Die Wirtschaftsgeschichte hat sich mit spezifischen kriegswirtschaftlichen Organisationsformen und den Handlungsspielräumen der Unternehmen befasst.17 Die Zahl der biografischen Forschungen zu den Offizieren, Ingenieuren und Unternehmern hält sich – sieht man von der Festschriftliteratur ab – weiterhin in Grenzen.18 Forschungen, die sich mit einzelnen Waffen oder Waffensystemen des Ersten Weltkrieges in teilweise kulturwissenschaftlicher Erweiterung beschäftigen, stammen in der Masse aus der englischsprachigen Forschungslandschaft.19 Die Forschungslage zur materiellen Rüstung bleibt also auch nach 100 Jahren lückenhaft.

14 Feldman, Armee (wie Anm. 13); Stig Förster, Der doppelte Militarismus. Die deutsche Heeresrüstungspolitik zwischen Status-quo-Sicherung und Aggression 1890–1913. Stuttgart 1985; Geyer, Rüstungspolitik (wie Anm. 4); Volker Mollin, Auf dem Wege zur „Materialschlacht“. Vorgeschichte und Funktionieren des Artillerie-Industrie-Komplexes im Deutschen Kaiserreich. Pfaffenweiler 1986. 15 Als Auswahl sind ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu nennen Hans Linnenkohl, Vom Einzelschuß zur Feuerwalze. Der Wettlauf zwischen Technik und Taktik im Ersten Weltkrieg. Koblenz 1990; Heinrich Kaufhold-Roll, Der deutsche Panzerbau im Ersten Weltkrieg. Osnabrück 1995; Wolfram Funk/ Karl-Theodor Schleicher/Rolf Wirtgen (Hrsg.), Sturmpanzerwagen A7V. Vom Urpanzer zum Kampfpanzer Leopard 2. Ein Beitrag zur Militär- und Technikgeschichte. 2. Aufl. Bonn 2003; Dieter Storz, Gewehr & Karabiner 98. Die Schußwaffen 98 des deutschen Reichsheeres 1898 bis 1918. Wien 2006. 16 Dieter Storz, Kriegsbild und Rüstung vor 1914. Europäische Landstreitkräfte vor dem Ersten Weltkrieg. Herford 1992; Oliver Stein, Die deutsche Heeresrüstungspolitik 1890–1914. Das Militär und der Primat der Politik. Paderborn 2007. 17 Regina Roth, Staat und Wirtschaft im Ersten Weltkrieg. Kriegsgesellschaften als kriegswirtschaftliche Steuerungsinstrumente. Berlin 1997; Momme Rohlack, Kriegsgesellschaften (1914–1918). Arten, Rechtsformen und Funktionen in der Kriegswirtschaft des Ersten Weltkrieges. Frankfurt am Main 2001; Stefanie van de Kerkhof, Von der Friedens- zur Kriegswirtschaft. Unternehmensstrategien der deutschen Eisen- und Stahlindustrie vom Kaiserreich bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Essen 2006. 18 Margit Szöllösi-Janze, Fritz Haber. 1868–1934. Eine Biographie. München 1998; Walther Rathenau, Schriften der Kriegs- und Revolutionszeit 1914–1919. Hrsg. von Alexander Jaser (in Vorbereitung als Bd. 3 der Walther Rathenau-Gesamtausgabe). 19 Darunter John Ellis, The Social History of the Machine Gun. London 1976; Michael L. Hadley, Count Not the Dead. The Popular Image of the German Submarine. Montreal 1995; Guillaume de Syon, Zeppelin! Germany and the Airship, 1900–1939. Baltimore 2002; Markus Pöhlmann, Der Panzer und die Mechanisierung des Krieges. Eine deutsche Geschichte 1890 bis 1945. Paderborn 2016.

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2 Grundzüge der Rüstung im Weltkrieg Das taktisch-technische Grundproblem des preußisch-deutschen Heeres vor 1914 bildeten das waffentechnisch bedingte Anwachsen der Feuerkraft und der stetig wachsende Abstand zum letzten Großkrieg. Es ergab sich die paradoxe Situation, dass der militärische Abschreckungserfolg das Militär selbst zu schwächen begann. Denn je länger Frieden herrschte, desto mehr schwanden der praktische Erfahrungsschatz und die Kriegsgewöhnung, desto unsicherer wurde das Militär bei der Bewertung neuartiger Technologien und desto unklarer wurde überhaupt das Bild eines zukünftigen Krieges. Ein Ausweg aus diesem Dilemma war die Beobachtung der Kriege der anderen Militärmächte, was die Deutschen auch intensiv und mit mehr Erfolg betrieben haben, als das gemeinhin bis heute wahrgenommen wird.20 Den mit Abstand bedeutendsten Konflikt dieser Art bildete der Russisch-Japanische Krieg von 1904/05, auch deshalb, weil hier, anders als bei den Kolonialkriegen, in großem Umfang modernes Kriegsgerät zum Einsatz kam. Namentlich die Dauer des nächsten militärischen Konfliktes warf spätestens seit diesem Krieg für die Bevorratung mit Waffen, Munition, Gerät und Rohstoffen erhebliche Fragen auf. Die Unsicherheit über den Charakter des kommenden Krieges fiel seit 1911 mit einer Phase der internationalen Verkrisung zusammen.21 Das sich hieraus entwickelnde Wettrüsten betraf jetzt vornehmlich die Heeresrüstung. Denn das Wiedererstarken Russlands nach der Niederlage gegen Japan 1905 und die Pläne zur Anhebung der Wehrdienstzeit in Frankreich gaben dem für die Heeresrüstung zuständigen preußischen Kriegsministerium Argumente an die Hand, die staatlichen Rüstungsausgaben, die seit der Jahrhundertwende in erheblichem Maße von der Flottenrüstung absorbiert worden waren, in die Rüstung zu Land umzusteuern. Getrieben wurde das Kriegsministerium dabei vom Großen Generalstab, der in keiner parlamentarischen Verantwortung stand und in der Regel erheblich höhere Forderungen stellte. Dass die Vorstellungen dieser beiden militärischen Institutionen traditionell divergierten, hat nach dem Ersten Weltkrieg zu dem Vorwurf geführt, das Kriegsministerium habe die Rüstung aus Scheu vor dem Reichstag, aus Sorge um die ständisch-monarchische Zuverlässigkeit der Streitkräfte und aus einer konservativen Technikhaltung heraus nicht entschlossen genug vorangetrieben. Alle drei Punkte haben sicher eine Rolle gespielt, sie spiegeln die Komplexität der rüstungspolitischen Auseinandersetzung aber nicht ausreichend wider.22 Wichtig für diesen Zusammenhang ist aber die Einsicht, dass der Heeresrüstung im Kaiserreich politisch und haushälterisch deutliche Grenzen gesetzt waren und diese erst kurz vor Kriegsbeginn erweitert wurden. 20 Storz, Kriegsbild (wie Anm. 16), 55–61, S. 136–159. 21 Diese letzten Friedensjahre beleuchtet Christopher Clark, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. München 2013, S. 408–471. 22 Siehe die divergierenden Interpretationen der Kontroverse zwischen Kriegsministerium und Generalstab bei Förster, Militarismus (wie Anm. 14) und Stein, Heeresrüstungspolitik (wie Anm. 16).



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Die internationale Verkrisung resultierte schließlich im Juni 1912 und Juli 1913 in der Verabschiedung von zwei Heeresvermehrungen. Im Kern sahen diese die Aufstockung der Mannschaftszahlen um 146  157 Mann vor. Dazu kam ein Ausbau der technischen Truppen, z.B. der Flieger, der Pioniere, Maschinengewehr- und der Nachrichtentruppen.23 Diese Beschlüsse verhießen insgesamt einen erheblichen Mehrbedarf an Rüstungsgütern, denn allein die neu aufzustellenden Truppenkörper mussten bewaffnet und ausgerüstet werden. Darüber hinaus bedeutete aber die besondere Verstärkung der technischen Truppen einen entsprechend hohen Anteil an technischen Rüstungsgütern. Wie war nun die Industrie strukturiert, die diesen Bedarf decken sollte? Auf staatlicher Seite waren zunächst einmal die Technischen Institute des Heeres, auch Heereswerkstätten genannt, für die Entwicklung und Fertigung von Waffen, Munition und Gerät zuständig. Diese gliederten sich nach den einzelnen Waffengattungen, wobei zusätzlich militärische Reservatrechte der Bundesstaaten Bayern, Sachsen und Württemberg bestanden. Die Einrichtung einer Feldzeugmeisterei am 1. April 1898 kann als erster, wenngleich zögerlicher Schritt hin zu einer Zentralisierung der militärischen Beschaffung im Kaiserreich gewertet werden.24 Diese Heereswerkstätten deckten den laufenden Friedensbedarf. Für einen eventuellen Mehrbedarf, etwa bei Umbewaffnungen oder bei den erwähnten Heeresvermehrungen von 1912/13, wurden private Unternehmen hinzugezogen. Dieses System sollte auch im Falle eines Krieges weitergeführt werden, wobei die Schaffung eines ausreichenden Vorrats an Waffen und Munition und die Vereinbarung von Mobilmachungsverträgen mit ausgewählten Betrieben der Privatwirtschaft die Versorgung für die Kriegszeit oder aber den Übergang in eine Kriegsrüstung sicherstellen sollte. Dieser Struktur der Rüstungsindustrie lag von Seiten des Militärs (und des Reichsschatzamtes) zunächst einmal die Annahme zu Grunde, dass Staatsbetriebe grundsätzlich preiswerter produzierten.25 Die tatsächlichen Gründe lagen allerdings tiefer und sie waren viel politischer. Denn in der Verfügung über eigene Produktionsmittel sah das Militär ein Moment der Autonomie im Rüstungsprozess, und damit eine politische Machtstellung.26 Tatsächlich aber hatte das Heer in einem Kernbereich seiner Rüstung, der Geschützherstellung, diese Autonomie im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts längst verloren. Nur aus der exklusiven Fähigkeit zur Massenfertigung des 23 Zahlen ohne Unteroffiziere und Offiziere nach Ludwig Freiherr Rüdt von Collenberg, Die deutsche Armee von 1871–1914. Berlin 1922, S.  122. Siehe auch Reichsarchiv (Hrsg.), Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft. Bd. 1. Die militärische, wirtschaftliche und finanzielle Rüstung Deutschlands von der Reichsgründung bis zum Ausbruch des Weltkrieges. (Der Weltkrieg 1914–1918, Sonderbd.) Berlin 1930, S. 117–222. 24 Zu den Heereswerkstätten siehe ebd., S. 389–394. 25 Das Argument der Preiswertigkeit findet sich in ebd., S. 389. Weyrauch widerlegt diese Annahme allerdings recht überzeugend. 26 Geyer, Rüstungspolitik (wie Anm. 4), S. 46.

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für die Geschützherstellung erforderlichen Stahls und der folgenden Bearbeitung desselben erklärt sich der Aufstieg der ersten großen Oligopolisten in der deutschen Heeresrüstung, der Fried. Krupp AG und der Rheinischen Metallwaren- und Maschinenfabrik (Rheinmetall).27 In diesem, an den anstaltsmäßigen Verfahren und an den militärischen Größenordnungen des 19. Jahrhunderts ausgerichteten Rüstungssystem taten sich freilich schon vor 1914, und zwar im Zuge der Vergrößerung und der Technisierung des Heeres, Risse auf. Weyrauchs beißende Kritik an den Heereswerkstätten ist aus der Rückschau zwar wohlfeil, sie entbehrt aber nicht der Grundlage. Blickt man auf die Privatindustrie im Kaiserreich, so stellt man fest, dass Waffen und militärisches Gerät aus unternehmerischer Perspektive keine besonders attraktiven Produkte darstellten. Das erklärte sich zum einen aus den bürokratischen Verhältnissen beim eigentlichen Hauptkunden, der Heeresverwaltung, zum anderen aus den strukturellen Besonderheiten dieses Marktes. Die Produktpalette bildeten Handwaffen (Gewehre, Karabiner, Pistolen), Blankwaffen (Säbel, Degen, Seitengewehre und Lanzen), die Geschütze und das Material der Artillerie, die damals noch bei der Pioniertruppe ressortierenden Sonderwaffen Minenwerfer und Handgranaten, Munition für alle Waffengattungen sowie neue militärische Hightech wie Telefon und Funk, Kraftfahrzeuge und Flugzeuge mit dem dazu gehörigen Gerät. Neben den genannten Oligopolisten aus der Stahlindustrie können allenfalls die beiden Kartelle Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik AG und Vereinigte Köln-Rottweiler Pulverfabriken AG als Rüstungsunternehmen im eigentlichen Sinne angesprochen werden. Zu den von der Heeresverwaltung ad hoc für Aufträge herangezogenen Firmen zählten vor allem die Waffenfabriken in Suhl und Solingen, in zunehmendem Maße auch die Elektroindustrie (Nachrichtenmittel), Maschinenbauer (Motoren), Wagenbauer sowie mittelständische Präzisionsbetriebe für Optik und Messtechnik.28 Eine umfassende Vorbereitung der deutschen Wirtschaft für den Mobilmachungsfall existierte, über die erwähnten Mobilmachungsverträge hinaus, nicht. Dass der Privatindustrie aber in einem zukünftigen Krieg eine bedeutende Rolle zufallen würde, erschloss sich schon aus den Beschäftigungszahlen der letzten Friedensjahre: Diese beliefen sich in 1913/14 auf rund 16 000 Mitarbeiter in den staatlichen Heereswerkstätten, 74 400 Mitarbeiter allein bei Krupp (davon 39 342 in der Gussstahlfabrik und auf den Schießplätzen) sowie 8 000 bei Rheinmetall.29 In seiner Untersuchung der Vorkriegsrüstung benennt Weyrauch zweifellos die kritischen Punkte: die ungenügende Fühlungnahme zwischen Heeresverwaltung und Privatwirtschaft in den Friedensjahren; die unzureichende technische und kaufmännische Qualifikation der militärische Mitarbeiter im Beschaffungswesen; die institutionelle Dominanz derselben gegenüber den (vermeintlich) besser qualifizierten 27 Dazu weiterführend Mollin, Wege (wie Anm. 14). 28 Zur Struktur der Privatwirtschaft siehe Reichsarchiv, Kriegsrüstung (wie Anm. 23), S. 383–388; außerdem Stein, Heeresrüstungspolitik (wie Anm. 16), S. 89–98. 29 Reichsarchiv, Kriegsrüstung (wie Anm 23), S. 385, 387, 394.



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zivilen Mitarbeitern. Was das Buch jedoch nicht leistet, ist deutlich zu machen, dass die Situation von 1914 als Momentaufnahme eines laufenden Wandlungsprozesses des Militärs und der Rüstungsindustrie zu begreifen ist. Natürlich wurden Fragen wie die Bedeutung der Feuerkraft, die Einsatzmöglichkeiten für Maschinengewehre, Flugzeuge oder Automobile, der Einfluss der Technik auf das Offizierkorps, die Folgen einer Abschneidung vom Überseehandel im Falle eines Krieges oder die Dauer eines Krieges und die Folgen für die Rüstung diskutiert. Einige dieser Debatten waren zum Kriegsbeginn noch nicht abgeschlossen, für andere ließ sich unter Friedensbedingungen schlicht keine verbindliche Antwort finden.30 Die zeitgenössischen Diskussionen und die rüstungspolitische Dynamik der Heeresvorlagen von 1912/13 deuten aber darauf hin, dass die Heeresrüstung organisatorisch und im Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit auch ohne den Kriegsbeginn im Sommer 1914 in den folgenden Jahren an ihre Grenzen gestoßen und restrukturiert worden wäre. Der quantitative Aufbau des Heeres in Verbindung mit einer mittlerweile raumgreifenden Technisierung lässt diese Vermutung durchaus zu.

Vom Kriegsbeginn bis Ende 1916 Die erste Phase der Heeresrüstung setzte mit der Mobilmachung im August 1914 ein und endete im September 1916 mit der Errichtung des Waffen- und Munitionsbeschaffungsamtes. In dieser Zeit vollzog sich zunächst der Übergang vom Bewegungskrieg zum Stellungskrieg, auch wenn sich an der Front gegen Russland und auf dem Balkan immer wieder Phasen des Bewegungskrieges einstellen sollten. Diese Entwicklung war rüstungsmäßig deshalb von Bedeutung, weil die neue Art des Krieges auch teilweise neuartige Waffen, vor allem aber mehr Waffen verlangte.31 Die Unterbrechung des deutschen Überseehandels durch die alliierte Fernblockade schlug sich unmittelbar auf die Rüstung nieder, wobei der gefährlichste Mangel bei dem für die Pulverherstellung unentbehrlichen Chile-Salpeter eintrat. Die noch 1914 erreichte Synthese von Ammoniak gilt als eines der frühesten und mit Abstand als wichtigstes Beispiel für die Ersatzstoffgewinnung im Krieg. Hierdurch wuchs auch die Bedeutung der chemischen Industrie innerhalb der Rüstungssparte.32 30 Für das internationale Gesamtbild siehe weiterhin Storz, Kriegsbild (wie Anm. 16); die deutsche Fachdiskussion findet sich mit Beschränkung auf die Periodika bei Markus Pöhlmann, Das unentdeckte Land. Kriegsbild und Zukunftskrieg in deutschen Militärzeitschriften, in: Stig Förster (Hrsg.), Vor dem Sprung ins Dunkle. Die militärische Debatte über den Krieg der Zukunft 1880–1914. Paderborn 2016, S. 21–131. 31 Für eine lesenswerte Interpretation von materieller Rüstung und militärischer Innovation siehe Frédéric Guelton, Technology and Armaments, in: Jay Winter (Hrsg.), The Cambridge History of the First World War, Bd. 2. Cambridge 2014, S. 240–265. 32 Siehe Sandro Fehr, Die „Stickstofffrage“ in der deutschen Kriegswirtschaft des Ersten Weltkrieges und die Rolle der neutralen Schweiz. Nordhausen 2009.

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Die oben erwähnten Veränderungen des Waffenarsenals durch den Stellungskrieg waren nun keine einmaligen. Zwar war das Ende der Schlachtenkavallerie von Dauer, und die Artillerie hatte im Grabenkrieg einen Bedeutungszuwachs erlangt, der bis zum Ende des Krieges anhalten sollte. Aber innerhalb der Artillerie verschob sich der Rüstungsbedarf in der Folge immer wieder nach den taktischen Konjunkturen. So war die Standardwaffe der Feldartillerie, die Feldkanone 96 n./A., ursprünglich als Geschütz für den Bewegungskrieg konzipiert gewesen und musste bis 1916 durch ein Nachfolgemodell ersetzt werden. Der Bedarf an Steilfeuergeschützen, einschließlich der Minenwerfer, wuchs insgesamt. Schwere Flachbahngeschütze wurden zum Teil von der Marine und aus Festungen übernommen. Russische Beutegeschütze bildeten seit 1915 einen festen Bestandteil des deutschen Artillerieparks.33 Mit der Herstellung und dem Umbau von Geschützen war es freilich nicht getan. Die Munitionsfertigung musste auf sehr viel breitere fabrikatorische Basis gestellt werden, ein Prozess, der bei Weyrauch in außergewöhnlicher Anschaulichkeit dargestellt wird. Auch hier schwankte die Fertigung je nach taktischer Lage, und bis 1917 sollten die Produktionszahlen bei der Munition – und damit die Kampfkraft der Artillerie insgesamt – von der Pulverproduktion abhängen.34 Mit dem Gas trat 1915 ein völlig neues Kampfmittel auf, das nicht nur hergestellt, sondern auch in die laufende Munitionsfertigung implementiert werden musste. Das Flugzeug entwickelte sich in dieser Phase von einem Beobachtungs- zu einem Kampfmittel und musste entsprechend ausgerüstet werden. Insgesamt gestaltete sich das Jahr 1915 als eine Zeit des Übergangs und des verlustreichen Experimentierens mit improvisierten und zahlenmäßig unzureichenden militärischen Mitteln. Die taktische und operative Konsequenz, welche die Militärführung daraus zog, war eine Überwindung des Stellungskrieges durch Massierung der personellen und materiellen Kriegsmittel in der sprichwörtlich gewordenen Materialschlacht. Diese lange anhaltenden Abnutzungskämpfe sollten das folgende Kriegsjahr 1916 kennzeichnen und zu einer bis dahin ungekannten Anspannung der Rüstung führen. In Deutschland mag dieses militärisch-industrielle Phänomen oft mit dem deutschen Angriff bei Verdun ab Ende Februar 1916 in Verbindung gebracht

33 Ludwig Wurtzbacher, Die Versorgung des Heeres mit Waffen und Munition, in: Max Schwarte (Hrsg.), Die Organisation der Kriegführung. 1. Teil. Die für den Kampf unmittelbar arbeitenden Organisationen. Berlin 1921, S. 69–146, hier S. 100. Gegen den Aufsatz erhob der Herausgeber der Reihe „Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918“, Max Sering, den Vorwurf des Plagiats. Wurtzbacher habe, so Sering, dienstlich Kenntnis vom Manuskript von Robert Weyrauch gehabt. Nachdem Wurtzbacher daraufhin eine Untersuchung gegen sich angestrengt hatte, ließ Sering den Vorwurf fallen. Siehe Bundesarchiv, Abt. Militärarchiv (Freiburg; im Folgenden BArch): RH 61/1032: Schreiben Max Sering an Reichsministerium des Innern, Arnold Brecht, vom 29.06.1922, sowie „Bericht über die Besprechung in der Angelegenheit Weyrauch – Wurtzbacher im Reichswehrministerium“ (o.V., 1.6.1922). 34 Wurtzbacher, Versorgung (wie Anm. 33), S. 91.



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werden. Tatsächlich trug aber erst der alliierte Angriff an der Somme ab Juli alle Züge der Materialschlacht.35

Abb. 15: Frauen in einer Dreherei für Granathülsen (zwischen 1914 und 1918)

Die Umstellung auf Kriegsrüstung war 1914 zunächst über die Ausweitung der Produktion bei den Heereswerkstätten und den Kernunternehmen der Rüstung eingeleitet worden. Noch bis Ende 1914 blieb das Engagement beim Militär wie den Unternehmen aber erstaunlich zurückhaltend. Dies erklärt sich durch die Vorstellung, dass der Krieg bald vorüber sein würde – eine Täuschung wie sich bald herausstellen sollte. Als klar wurde, dass der Krieg ins nächste Jahr gehen würde und sich die Vorräte erschöpften, mussten die Unternehmen durch Druck und Aussicht auf hohe Gewinne zum Einstieg in die Rüstungsproduktion veranlasst werden. Nun verschob sich das Verhältnis zwischen privaten und staatlichen Anteilen an der Rüstung weiter zugunsten der ersteren. Für diese Anfangsphase weist Weyrauch auch auf ein aus der Friedenszeit geerbtes Standortproblem hin, den hohen Anteil an Rüstungsfirmen in und 35 Aus der Vielzahl von Publikationen zu den Materialschlachten von 1916 empfehlen sich als Einführungen Olaf Jessen, Verdun 1916. Urschlacht des Jahrhunderts. München 2014 sowie Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hrsg.), Die Deutschen an der Somme 1914–1918. Krieg, Besatzung, Verbrannte Erde. 4. überarb. und erw. Aufl. Essen 2016.

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um Berlin. Namentlich bei der Munitionsfertigung stiegen die Fertigungskosten und kam es zu Verzögerungen, weil sich die Presswerke um die Hauptstadt herum gruppierten, die Stahlwerke aber mehrheitlich im Rheinland und in Westfalen angesiedelt waren. Bei der Beschaffung hielt das Kriegsministerium am System der Friedenszeit fest; die einzelnen Waffengattungen beschafften ihren Bedarf selbst. Das führte nun umgehend zu einer Konkurrenz der Bedarfsträger untereinander, resultierend in einem starken Preisanstieg und dem Aufkommen eines Zwischenhandels. Freie Vergabe, telefonische Absprachen waren an der Tagesordnung. Selbst einzelne Großverbände an der Front begannen, Waffeneinkäufer mit Prokura in die Heimat zu schicken. Das anstaltsmäßige Beschaffungswesen geriet unter diesen Bedingungen unter extremen Druck. Erst im Lauf des Jahres gelang es, diese „wilde“ Phase der Beschaffung zu kanalisieren und einigermaßen in Richtung auf eine geordnete Massenfertigung umzustellen. Dazu musste allerdings der dezentrale und teilweise dysfunktionale Apparat reorganisiert werden. Dieser Prozess begann im Februar 1916 mit der Gründung einer Beschaffungsabteilung in der Feldzeugmeisterei. Im Mai desselben Jahres wurde dort eine Technische Zentralabteilung eingerichtet, in der Weyrauch so etwas wie den Nukleus einer modernen, zentralen Beschaffungsorganisation erkennt. Für ihn spielte diese auch deshalb eine besondere Rolle, weil er in ihrem Leiter, dem Berliner Professor Friedrich Romberg (1871–1956), den Typus des zivilen Experten sah, der Ordnung in das von ihm kritisierte untaugliche System brachte.36 Schon im September ging diese Reorganisation mit der Gründung des freilich immer noch innerhalb der Feldzeugmeisterei angesiedelten Munitionsbeschaffungsamtes (MBA) einen weiteren Schritt. Die Geschwindigkeit, mit der diese unzweckmäßig organisierte Dienststelle wieder verworfen wurde, weist auf die mittlerweile unter dem existenziellen Druck der Materialschlachten erreichte Anpassungsfähigkeit des Kriegsministeriums hin.37 Denn am 30. September 1916 wurde das Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt (Wumba) gegründet, dessen Aufstellung das Ende der ersten Phase der deutschen Kriegsrüstung symbolisiert. Dieses nahm die Feldzeugmeisterei, das MBA und die Fabrikenabteilung des Kriegsministeriums auf, womit erstmals eine weitgehend zentrale Beschaffungsbehörde entstand. Gut einen Monat später, am 1.  November, wurde das Wumba seinerseits in das neu geschaffene und im nächsten Abschnitt beschriebene Kriegsamt eingegliedert.38 36 Zu Romberg siehe Sören Flachowsky, Krisenmanagement durch institutionalisierte Gemeinschaftsarbeit. Zur Kooperation von Wissenschaft, Industrie und Militär zwischen 1914 und 1933, in: Michael Grüttner u.a. (Hrsg.), Gebrochene Wissenschaftskulturen. Universität und Politik im 20. Jahrhundert. Göttingen 2010, S. 83–106, hier S. 87. 37 Das MBA wird bei Weyrauch kaum thematisiert. Seine (kurze) Entwicklung wird skizziert in BArch, PH 2/76: Generalstab des Heeres, 7. Abteilung, Studie Rudolf Zesch, Bewährung der Organisation und zentralen Arbeitsweise des Wumba. 1. Teil, Berlin 1934, Bl. 13. 38 Dieckmann, Behördenorganisation (wie Anm. 12), S. 24–25.



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Vom Ende 1916 bis zum November 1918 Die im zweiten Halbjahr 1916 beginnende Reorganisation der deutschen Heeresrüstung bleibt unverständlich, wenn dabei die Veränderungen auf der obersten militärischen Entscheidungsträgerebene nicht berücksichtigt werden. Am 29. August 1916 war der bisherige Chef der 2. Obersten Heeresleitung, General Erich von Falkenhayn, wegen fehlender Aussicht auf militärischen Erfolg von seinem Posten abgelöst worden. Falkenhayn hatte den Posten im Herbst 1914 zusätzlich zu seiner Funktion als preußischer Kriegsminister übernommen, was zur Folge gehabt hatte, dass sein Vertreter, General Franz Gustav von Wandel, in Berlin die Geschäfte mit weitreichenden Kompetenzen führte, während sein Vorgesetzter dauerhaft im Großen Hauptquartier verblieb.39 Das änderte sich auch nicht als das Ministeramt im Januar 1915 zur Entlastung Falkenhayns an dessen Vertrauten General Adolf Wild von Hohenborn übertragen wurde.40 Aufgrund dieser Personalkonstellation war es unwahrscheinlich, dass es über zentrale Rüstungsentscheidungen zu Konflikten zwischen Generalstab und Kriegsministerium kommen konnte. Der Generalstabschef war ja gleichzeitig Kriegsminister, und als er es nicht mehr war, hatte er durch die Personalentscheidung entsprechend Vorsorge getroffen. Zum Nachfolger Falkenhayns wurde nun Ende August 1916 Paul von Hindenburg berufen, dem Erich Ludendorff zur Seite gestellt wurde. Beide hatten seit Monaten gegen Falkenhayn intrigiert, und mit Ludendorff trat ein Offizier an die Spitze des Heeres, der in den Jahren 1911–13 im Generalstab maßgeblich am Zustandekommen der letzten Heeresvorlagen beteiligt gewesen war. Für die Übernahme der Heeresleitung hatte sich das Duo beim Kaiser und beim Reichskanzler weitreichende Kompetenzen im Hinblick auf die politische, wirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Kriegführung zusichern lassen. Mit dem für die schwere Artillerie zuständigen Abteilungschef in der OHL, Oberstleutnant Max Bauer, stand ihnen ein Mitarbeiter zur Verfügung, der als rühriger kriegswirtschaftlicher Organisator und als politischer Schattenmann bekannt war. In der konkreten Situation qualifizierte diesen außerdem seine enge Verbindung zur westdeutschen Schwerindustrie im Allgemeinen und zur Fried. Krupp AG im Besonderen.41 Die folgenden Ereignisse können nur als eine Usurpation der Zuständigkeiten des Kriegsministeriums durch den Generalstab verstanden werden. Als erstes schickten die neuen Herren im Hauptquartier den Kriegsminister zurück nach Berlin und ent39 Das Große Hauptquartier bestand aus dem Kaiser als dem Obersten Kriegsherrn, den wichtigsten politischen und militärischen Entscheidungsträgern (bzw. deren Vertretern) und dem Gefolge. Den operativen Kern bildete die Oberste Heeresleitung. Das Hauptquartier befand sich für die gesamte Kriegsdauer hinter der Front, je nach Kriegslage in Luxemburg, Frankreich, Deutschland und Belgien. 40 Holger Afflerbach, Falkenhayn. Politisches Denken und Handeln im Kaiserreich. München 1994, S. 233–242. 41 Siehe die ältere Studie von Adolf Vogt, Oberst Max Bauer. Generalstabsoffizier im Zwielicht. 1869– 1929. Osnabrück 1974.

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fernten ihn damit aus dem strategischen Entscheiderkreis.42 Als zweites legte die OHL ohne Beratung durch das Ministerium ein Rüstungsprogramm auf und beschloss die Einrichtung einer zentralen Dienststelle für die „Leitung aller mit der Gesamtkriegsführung zusammenhängenden Angelegenheiten der Beschaffung, Verwendung und Ernährung der Arbeiter, sowie der Beschaffung von Rohstoffen, Waffen und Munition“ – das am 1. November 1916 errichtete Kriegsamt.43 Das Wumba trat, wie erwähnt, mit diesem Tag unter das Kriegsamt. Dessen Leiter, der vormalige Chef des Feldeisenbahnwesens der OHL, General Wilhelm Groener, stand allerdings dafür, dass das Kriegsamt nach den Vorgaben der OHL arbeiten würde. Damit hatte das Kriegsministerium die faktische Kontrolle über den Rüstungsprozess an diese verloren. Die Leistungen des Kriegsamtes sind in der Literatur durchaus umstritten. Die Autoren aus dem Umfeld des Kriegsministeriums haben in der Institution einen zum falschen Zeitpunkt und ohne die Expertise der ministeriellen Fachleute geschaffenen bürokratischen „Wasserkopf“ gesehen.44 Gerald Feldman hat es in Anlehnung an diese Bewertung als einen völligen „Fremdkörper“ bezeichnet, „der einem Netzwerk von Verwaltungsämtern unerwarteterweise aufgepfropft wurde und von diesem nicht assimiliert werden konnte.“45 Für die Rohstoffbewirtschaftung und die Arbeitsmarktpolitik des Kriegsamtes mag das zutreffen. Allerdings lag der Bedarf an einer Neuorganisation und Zentralisierung der Produktion von Waffen, Gerät und Munition rückblickend auf der Hand. Das Problem waren beim Kriegsamt weniger die Umstände seiner Gründung und seine Kompetenzen, als vielmehr der Charakter und der Umfang des Rüstungsprogramms, für das das Kriegsamt letztlich aus dem Boden gestampft worden war. Schon am 31. August hatte die neue OHL nämlich vom Kriegsminister die umfassende Forcierung der Heeresrüstung gefordert. Im Rahmen dieses „Hindenburg-Programms“ sollte bis Frühjahr 1917 die Fertigung von Munition und Minenwerfern verdoppelt und die Zahl der Geschütze und Maschinengewehre verdreifacht werden.46 In der ultimativen Forderung nach einem massiven und in einem Zug zu leistenden Rüstungsschub erkennt man die Abkehr von der Planungspraxis des Kriegsministeriums. Auch blieben die Grundlagen der Bedarfsrechnung der OHL unklar. Zu leisten war das Programm nur über umfangreiche Neubauten, auch die Zahl der Maschinen war ungenügend, ganz zu schweigen von den Arbeitskräften, namentlich den Fach42 Siehe Feldman, Armee (wie Anm. 13), S. 148. 43 Aus der Allgemeinen Kabinettsordre vom 1.11.1916, zit. n. BArch, PH 2/76: Generalstab des Heeres, 7. Abteilung, Studie Rudolf Zesch, Bewährung der Organisation und zentralen Arbeitsweise des Wumba. 1. Teil, Berlin 1934, Bl. 22. 44 Wrisberg, Wehr (wie Anm. 10), S. 143. 45 Feldman, Armee (wie Anm. 13), S. 242. 46 Zum Hindenburg-Programm siehe Kriegsgeschicht­liche Forschungsanstalt des Heeres (Hrsg.), Die Kriegführung im Herbst 1916 und im Winter 1916/17. Vom Wechsel in der Obersten Heeresleitung bis zum Entschluß zum Rückzug in die Siegfriedstellung. (Der Weltkrieg 1914–1918, Bd. 11) Berlin 1938, S. 32–41; Feldman, Armee (wie Anm. 13), S. 133–168.



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arbeitern. Die negativen Folgen der rüstungspolitischen Hauruck-Aktion stellten sich über den Winter 1916/17 rasch ein: Kohlemangel, Rohstoffmangel, eine Transportkrise im Reich und ein militärisch wie innenpolitisch gravierender Zielkonflikt über die Gewinnung der Arbeitskräfte. Im Ergebnis erreichte das Programm bei der Munition und den Geschützen die geplanten Zahlen nicht, bei Minenwerfern und Maschinengewehren wurden sie hingegen sogar übertroffen. Schon im Februar 1917 musste die OHL die Forderungen anpassen und das arbeitskräfteintensive Neubautenprogramm stoppen. Selbst die Hindenburg und Ludendorff sehr gewogene amtliche Geschichte des Reichsarchivs kritisiert den „Schaden“, den das Sofortprogramm angerichtet habe und kommt zu dem Schluss: „Man kehrte zurück zu dem bisherigen Verfahren des Kriegsministeriums“, zu einer „den tatsächlichen Erzeugungsverhältnissen angepassten schrittweisen Steigerung“ der Rüstungsgüter.47 Das Hindenburg-Programm wird daher heute in der Regel als Ausdruck eines rüstungspolitischen Voluntarismus der Operateure des Krieges gesehen, der selbst bei den militärischen Rüstungsfachleuten auf Kritik stieß. Die Heeresleitung hatte auf eine Beiziehung ihrer Expertise bewusst verzichtet, sie hatte das Kriegsministerium auf die Rolle eines ausführenden Organs reduziert und die Komplexität der kriegswirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Rüstungssteuerung unterschätzt.48 Die Lektüre von Weyrauch regt nun aber dazu an, darüber nachzudenken, ob diese vornehmlich ideologiekritische Interpretation wirklich ausreichend ist. Denn so richtig die Kritik an der Konzeption und den negativen Effekten des Programms auch ist, und so wenig sympathisch einem die Oberste Heeresleitung in historischpolitischer Hinsicht heute erscheinen mag, die in den Anlagen präsentierten Fertigungszahlen weisen doch für das erste Halbjahr 1917 eine teilweise dramatische Steigerung auf. Hatte das Programm also eine – außergewöhnliche – Vermehrung der Rüstungsgüter erbracht? Diese wäre aus rein militärischer Perspektive zunächst mal als ein Aktivum zu berücksichtigen. Auf der Basis der Weyrauch-Zahlen sollte dieser Frage in der wissenschaftlichen Debatte im Detail nachgegangen werden.49 Zu prüfen wäre dann auch, inwieweit der enorme Druck des Programms das Rationalisierungsdenken in der Industrie, vielleicht sogar über die Laufzeit des Programms hinaus, gefördert hat.50 Bei aller rüstungs- und gesamtwirtschaftlichen Problematik des Programms darf schließlich auch der indirekte, moralische Effekt nicht unterschätzt werden. Im Militär, in der Industrie und in Teilen der Bevölkerung hatte die Ernennung der 3. OHL zunächst einmal eine positive Aufbruchstimmung ausgelöst. Die Argumentationslinie der Propaganda lautete von nun an: Der Weg 47 Kriegsgeschicht­liche Forschungsanstalt des Heeres (Hrsg.), Die Kriegführung im Frühjahr 1917. (Der Weltkrieg 1914–1918, Bd. 12) Berlin 1939, S. 24. 48 Feldman, Armee (wie Anm. 13), S. 133. 49 Hier danke ich Dieter Storz für wertvolle Hinweise. 50 Darauf deuten z. B. die Forschungen von Thomas Wölker, Entstehung und Entwicklung des Deutschen Normenausschusses 1917 bis 1925. Berlin/Köln 1992.

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zum Frieden führt über den Sieg; und der Weg zum Sieg führt über eine letzte große, gesamtgesellschaftliche Anstrengung. Das Rüstungsprogramm hat also möglicherweise in diesem Gesamtzusammenhang der Totalisierung des Krieges auch wichtige außerwirtschaftliche Effekte gezeitigt.51 Auch für die Jahre 1917/18 muss man sich vergegenwärtigen, dass die Rüstung grundsätzlich weiter an der militärischen Strategie ausgerichtet bleiben sollte. So war die OHL Ende 1916 zu dem Schluss gekommen, den Krieg 1917 im Westen in der Abwehr zu führen und dafür den U-Boot-Krieg gegen Großbritannien zu forcieren. Damit standen Rüstungsgüter der Defensive – Geschütze, Maschinengewehre und Beton – oben auf der Prioritätenliste. Die Verstärkung der Luftwaffe und der chronisch unterentwickelten Heeresmotorisierung oder aber der konsequente Aufbau einer ausgesprochenen Angriffswaffe wie dem Tank, den die Briten im September 1916 eingeführt hatten, blieben 1917 dagegen nachrangig. Überhaupt hätte die Geschichte des Tanks Weyrauch einige Argumente an die Hand gegeben. Denn bei diesem Rüstungsprodukt, an dessen Entwicklung ja erst unter den erschwerten Bedingung des Krieges selbst herangetreten wurde, lassen sich noch einmal altbekannte organisatorische Defizite der Heeresverwaltung, wie die Schwierigkeiten mit der Massenproduktion, aber auch der Rüstungsinterventionismus der OHL aufzeigen, der in eine Vielzahl von Entwicklungsprojekten mündete, die sich gegenseitig beim Brainpool und bei den Ressourcen kannibalisierten.52 Das Beispiel des Tanks verweist auch symbolisch auf das Dilemma des letzten Kriegsjahres: 1917 hat man den Tank nicht recht brauchen können und 1918, als das Heer im Frühjahr zur letzten großen Offensive antreten sollte, hat man ihn sich nicht mehr leisten können. So traten am 21. März 1,4 Mio. Mann an, die zwar kriegserfahren und gut geschult waren. Den Übergang in den Bewegungskrieg konnten sie aber auch deshalb nicht mehr bewältigen, weil ihnen die dafür erforderlichen Waffen nicht zur Verfügung standen. Am ersten Tag der Offensive standen ihnen nämlich ganze neun Panzer zur Verfügung (von denen fünf britische Beutefahrzeuge waren). Ganz anders gestaltete sich die Lage bei den Alliierten, die seit April 1917 von dem Kapital, den Rüstungsgütern und den Soldaten aus den Vereinigten Staaten profitieren konnten.53 Ab Mitte Juli war die Offensive der deutschen Armee vorüber. Es begann eine Phase der militärischen Auszehrung, mit der die industrielle einherging. Nicht allein der Rohstoffmangel und der Transportinfarkt ließen die Fertigungszahlen zurückgehen – es gab schlicht immer weniger Soldaten, die noch zu bewaffnen gewesen wären.

51 Für die Mehrdimensionalität der Mobilisierungsrhetorik und -politik siehe Richard Bessel, Mobilizing German Society for War, in: Roger Chickering/Stig Förster (Hrsg.), Great War. Total War. Combat and Mobilization on the Western Front, 1914–1918. Cambridge 2000, S. 436–451. 52 Siehe Pöhlmann, Panzer (wie Anm. 19). 53 Weiterführend David Stevenson, With Our Backs to the Wall. Victory and Defeat in 1918. London 2011.



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Fazit Welche Relevanz könnte also Weyrauchs lang verschollene Arbeit für die Weiterentwicklung des Forschungsfeldes haben? Kurz gesagt liegt seine Bedeutung darin, dass er das Bild von der Effizienz der militärischen Rüstung des Deutschen Reiches, wie es sich eingangs in dem Zitat von Erskine Childers gezeichnet findet, mit einer bislang ungekannten Schärfe und Detailkenntnis dekonstruiert. Dabei erwächst die Brisanz aus dem Umstand, dass Weyrauch sich die Verhältnisse ja nicht aus der Position eines politischen Gegners vornimmt. Er schreibt vielmehr als ein desillusionierter Insider – kein Entscheidungsträger, sondern ein Rädchen im Getriebe des Beschaffungswesens. Vor wenigen Jahren erst hat Paul Kennedy diese Ebene der „Problemlöser“, das mittlere Management des Krieges, mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg untersucht.54 Mit Weyrauch eröffnen sich uns die waffentechnischen, ingenieurmäßigen und organisatorischen Problemlagen sowie die institutionellen Frontstellungen dieser Ebene für das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg. Der Insiderblick bringt allerdings auch Mängel mit sich. Dass der Autor ein Parteigänger in einem institutionellen Konflikt ist, erschließt sich schon auf den ersten Seiten. Eine abgewogene, kritische Analyse liefert er nicht. Dass Weyrauch kein Historiker ist, wird ebenfalls schnell deutlich. Seine Quellenbasis bleibt weitgehend im Dunklen. Einleitend deutet er an, dass seine Informationen aus Befragungen von anderen Problemlösern, von Unternehmen und Industrieverbänden sowie der Auswertung der in- und ausländischen Tagespresse stammen. Ob ihm nach 1918 noch die Akten des Kriegsministeriums oder gar des Generalstabes zur Verfügung gestanden haben, ist aber eher fraglich. Relativierende Aussagen wie „möglicherweise“, „wahrscheinlich“ oder „sollen“ finden sich zuhauf. In der strengen funktionalen Gliederung geht die Chronologie der Ereignisse hie und da verloren. Der Leser muss im Text hin und her springen, wenn er etwa die Entwicklung bei einer bestimmten Waffe oder einer bestimmten Institution im Auge behalten möchte. Dieselbe Struktur führt auch zu Redundanzen. Das hybride Format aus Rechenschaftsbericht und Kampfschrift lässt auch die Rolle der Persönlichkeiten nicht besonders deutlich werden. Die Darstellung der Behördenorganisation krankt daran, dass der Autor mehrfach auf den entsprechenden Einzelband des Reihenwerkes verweist, der dann freilich nie erschienen ist. Vor allem aber entbehrt der Text einer militärgeschichtlichen Kontextualisierung. Gleichwohl überwiegt der Wert des Buchs. Mit seiner Schilderung der Unverbundenheit und gegenseitigen Unkenntnis von Industrie und Heer vor 1914 liefert Weyrauch wichtige Anhaltspunkte für eine weitere Beforschung dieser militär-, sozialund wirtschaftsgeschichtlich hochinteressanten Frage. Denn die Rüstung war das politische Feld, in dem es eben auch um gesellschaftliche Kontrollgewalt ging. Wir 54 Paul Kennedy, Engineers of Victory. The Problem Solvers Who Turned the Tide in the Second World War. New York 2013.

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vergessen oft zu schnell, dass sich Streitkräfte und Wirtschaft in dieser historischen Phase noch keineswegs auf den Herrschaftskompromiss geeinigt hatten, den wir heute schlagwortartig als ‚militärisch-industriellen Komplex‘ kennen.55 Die scharfe Kritik an der militärischen Behördenorganisation liefert Material für weitere historische Überlegungen, wobei die Bemühungen der organisatorischen Anpassung im Krieg vom Autor nicht wirklich konsequent untersucht werden. An die Untersuchung des binnenmilitärischen Kampfes zwischen Ministerium und Generalstab wagt er sich nicht heran und verharrt in der Ingenieursperspektive. Ausgesprochen wichtig sind mit Blick auf die Produktion die Fallbeispiele, weil hier heute oftmals die archivalische Überlieferung aussetzt. Die Probleme der Massenfertigung des fertigungstechnisch komplexen Maschinengewehrs stechen heraus, ebenso die Munitionsfertigung, deren Komplexität sich in der Verschränkung von taktischen und industriellen Sachzwängen zeigt (Abkehr vom Einheitsgeschoss der Friedenszeit, Umstellung von der Graugussgranate auf Stahlguss- bzw. Pressstahlgeschosse und generelle Abhängigkeit der Munitionsfertigung von der Pulverlage). Bei der Entwicklung des Beschaffungsvorgangs besticht vor allem die Darstellung der „wilden“ Phase von 1915/16. Für die innenpolitisch heiklen Fragen der Preisentwicklung und der Kriegsgewinne liefert der Autor Einblicke in die Praxis der Kalkulation. Weiterführend ist auch sein Hinweis, dass sich das anfangs zögerliche Engagement auf Seiten der Wirtschaft durch die Erwartung einer kurzen Kriegsdauer erklärt hat. Bislang ist diese Frage vornehmlich mit Blick auf das Militär untersucht worden.56 Die Untersuchung der mittelständischen Betriebe und des Handwerks weisen auf die wachsende Totalität der Kriegsrüstung hin. Aufbau der Massenfertigung und Rationalisierung des Entwicklungs- und Fertigungsablaufs schildert Weyrauch als zentrale Herausforderungen. Nach der Lektüre des Buchs hat man verstanden, warum der Reichswehr 1922 eine Publikation des Buches nicht gelegen kam. Denn es handelt es sich nicht nur um einen Frontalangriff auf das anstaltsmäßige Rüstungswesen im Kaiserreich.57 Vielmehr formuliert das Buch aus dieser historischen Erfahrung heraus auch einen deutlichen Anspruch der technischen Wissenschaften und der Wirtschaft auf die zukünftige Ausgestaltung der Rüstung – und damit auf die Kriegführung.

55 Siehe hierzu Dieter H. Kollmer (Hrsg.), Militärisch-Industrieller Komplex? Rüstung in Europa und Nordamerika nach dem Zweiten Weltkrieg. Freiburg 2015. 56 Siehe Stig Förster, Der deutsche Generalstab und die Illusion des kurzen Krieges, 1871–1914. Metakritik eines Mythos, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 54, 1995, H. 1, S. 61–95. 57 Darauf verweist Rolf-Dieter Müller, Kriegführung, Rüstung und Wissenschaft. Zur Rolle des Militärs bei der Steuerung der Kriegstechnik unter besonderer Berücksichtigung des Heereswaffenamtes 1935–1945, in: Helmut Maier (Hrsg.), Rüstungsforschung im Nationalsozialismus. Organisation, Mobilisierung und Entgrenzung der Technikwissenschaften. Göttingen 2000, S. 52–71, hier S. 55–56. Müller hatte sich bereits in den 1980er Jahren vergeblich um eine Edition der Erträge der Sering-Kommission bemüht.

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„Die deutsche Eisenwirtschaft während des Krieges“ von Alfred Stellwaag Ein Standardwerk zur Eisen- und Stahlindustrie des Ersten Weltkriegs In der unveröffentlichten Geschichte des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller von Clemens Klein aus dem Jahre 1934 heißt es zur Entwicklung dieser bedeutenden Industriebranche in der Zeit zwischen 1914 und 1918: „Eine zusammenfassende Darstellung der deutschen Eisenwirtschaft während des Krieges liegt der Öffentlichkeit nicht vor.“ Weiter wird erklärt: „Sie ist aber geschrieben und sogar gedruckt worden, im Rahmen einer umfassenden Publikation ‚Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918‘, die von einer wissenschaftlichen Kommission des preußischen Kriegsministeriums unter dem Vorsitz von Professor Max Sering veranstaltet, aber infolge von Bedenken der zuständigen Behörden in ihren wesentlichsten Teilen zurückgehalten worden ist.“ Zu dem konkreten Werk heißt es: „Als vierten Band1 dieser Reihe hat Dr.-Ing. Alfred Stellwaag ‚Die deutsche Eisenwirtschaft während des Krieges‘ behandelt, als industrieller Praktiker und Mitarbeiter der Kriegsrohstoffabteilung bzw. der ihr angegliederten Eisenzentrale sowie als Assistent bei der wissenschaftlichen Kommission des Kriegsamtes ein genauer Kenner des Stoffes.“2 Zwischen dem Werk von Stellwaag und einer Verbandspublikation während der Kriegszeit deutlich differenzierend führt Klein weiter aus: „Ein äußeres Bild der ‚Kriegsorganisationen der Eisen- und Stahlindustrie‘ gibt eine unter diesem Titel im Mai und in zweiter Auflage im September 1917 ausgegebene Schrift des Geschäftsführers Dr. Reichert.“3 Von dem Geschäftsführer des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller wurde während des Krieges indessen nicht allein diese Schrift publiziert; in seiner Veröffentlichungsliste finden sich für die Kriegszeit insgesamt 15 Publikationen und mehr als 30 unveröffentlichte Vorträge, Manuskripte und Denkschriften.4 Die publizistischen Aktivitäten des Verbandes in der Zeit des Ersten Weltkrieges beschränkten sich jedoch nicht auf die Veröffentlichungen seines Geschäftsführers Jakob Wilhelm Reichert und, in wesentlich geringeren Maße, seines Assistenten Karl Dittmar, sondern umfassten auch die Ende 1917/Anfang 1918 gegründete „Roh1 Bd. 2 der vorliegenden Edition. 2 Bundesarchiv (BArch), R 13 I/13. 3 Ebd. 4 Die 122 Seiten umfassende Publikationsliste von Dr. Jakob Wilhelm Reichert wurde dem Verfasser dankenswerterweise von seinem Sohn Dr. Karlheinz Reichert 1981 zur Verfügung gestellt.

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stoffstelle“ des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller „und ihm nahestehender Gruppen.“ Hierzu führt Klein in seiner unveröffentlichten Verbandshistorie aus: „Eine große Zahl von Broschüren, Denkschriften, Vorträgen, Zeitungsaufsätzen wurden diesem vornehmlichen Kriegsziele der deutschen Eisenindustrie gewidmet.“5 Mit hoher Wahrscheinlichkeit dürfte auch die Publikation von Stellwaag aus dem Jahre 1918 in Verbindung mit der vom Verein Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller etablierten und nach den Worten von Klein „ungemein rührige[n]“ Rohstoffabteilung entstanden sein. Die Broschüre erschien unter dem Titel „Die Rohstoffgrundlagen der Deutschen Eisenindustrie im XX. Jahrhundert (Eine Friedensfrage) von Dipl.-Ing. A. Stellwaag“ im Berliner Bedazet Buchverlag. Die in der Fachzeitschrift „Stahl und Eisen“ am 12. September 1918 publizierte Besprechung der Kriegszieldenkschrift fasst die Zielrichtung der Schrift von Stellwaag in dem Satz zusammen: „Seine Forderung läuft deshalb darauf hinaus, bezüglich der deutschen Erzgrundlage Vorratswirtschaft zu betreiben und diese dadurch zu stärken, dass im Friedensschluss dem deutschen Reichsgebiete vor den Toren liegende Erzgebiete einverleibt werden.“6 Verfasst wurde diese Besprechung von dem 1918 zum Syndikus des Verbandes avancierten Assessor Karl Dittmar.

1 Zur Vita Alfred Stellwaags



Abb. 16: Alfred Stellwaag, Juni 1966

Zur Berufsbiographie von Alfred Stellwaag, der am 28. März 1977 in Hamburg verstarb, findet sich nur ein kurzer Nachruf in der Zeitschrift „METALL“ vom Mai 1977. Seine Laufbahn beginnt hier bemerkenswerterweise erst mit der Erwähnung, dass er bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges „letzter Hauptgeschäftsführer der damali5 BArch, R 13 I/13. 6 Bücherschau, in: Stahl und Eisen 38, 1918, S. 859.



„Die deutsche Eisenwirtschaft während des Krieges“ von Alfred Stellwaag 

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gen Wirtschaftsgruppe Metallindustrie in Berlin“ gewesen sei. Anschließend heißt es, dass die britische Militärregierung Stellwaag gegen Jahresende 1945 als deutschen Sachverständigen für Metall zu ihrem Berater machte: „An dieser schwierigen Stelle versuchte er, im Rahmen des Möglichen, die Besatzungsmacht über die deutsche Metallindustrie aufzuklären und, mit Erfolg, zahlreiche beabsichtigte Demontagen zu verhindern.“ Auch habe er sich bei den Bemühungen um die Lizenzerteilung für die Zeitschrift „METALL“ im Jahre 1947 große Verdienste erworben und „wertvolle und konstruktive Mitarbeit“ in ihren Anfangsjahren geleistet. Dieser Darstellung zufolge ging Stellwaag 1950 nach Essen, um dort in die Geschäftsführung eines Stahlverbandes einzutreten, für den er bis zum Beginn seines Ruhestandes im Jahre 1956 arbeitete.7 Nach Meldeunterlagen der Stadt Frankfurt wurde Alfred Stellwaag am 2. April 1890 in der Mainstadt als Sohn des Kaufmanns Heinrich Stellwaag und seiner Ehefrau Marie geboren. Sein Vater war als Commis im Jahre 1876 von Ansbach, südwestlich von Nürnberg, nach Frankfurt gekommen, seine Mutter stammte aus Nürnberg.8 Am Wöhler Realgymnasium in Frankfurt legte Stellwaag das Abitur ab. Anschließend nahm er im Sommersemester 1908 an der Freiberger Bergakademie ein Doppelstudium auf. Seine Diplomprüfung als Markscheider fand am 19. Juli 1913 statt, die Diplomprüfung als Bergingenieur legte er am 21. März 1914 ab.9 Aus dem Ende 1915 erschienenen „Jahrbuch für das Berg- und Hüttenwesen im Königreiche Sachsen“ geht hervor, dass Stellwaag an der Bergakademie Freiberg Assistent am Institut für Bergbaukunde gewesen war. Weiter heißt es, dass er inzwischen „beim Heere“ und mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet worden sei.10 Nach den Meldeunterlagen der Stadt Frankfurt kam er als Leutnant der Reserve am 10. April 1916 nach Fulda.11 Dort war das 2. Kurhessische Feldartillerie-Regiment Nr. 47 stationiert. Die Regimentsgeschichte von 1920 erwähnt Stellwaag in der „OffizierStellenbesetzungsliste“ am Tage der Mobilmachung in der Abteilung „Ersatz-Batterie und Rekruten-Depot“ unter der Rubrik „Ueberzählig.“12 Als Mitarbeiter der Wissenschaftlichen Kommission in der Kriegsrohstoffabteilung (KRA) wird Stellwaag erstmals zu Beginn der zweiten Jahreshälfte 1916 genannt.13 Die Hintergründe des Wechsels von dem Feldartillerie-Regiment zum Preußischen 7 Alfred Stellwaag †, in: METALL 31, 1977, H. 5, S. 456. 8 Mitteilung des Institutes für Stadtgeschichte Frankfurt am Main vom 23. Oktober 2014. 9 Mitteilung des Universitätsarchivs der TU Bergakademie Freiberg vom 29. Oktober 2014. 10 Carl Menzel (Hrsg.), Jahrbuch für das Berg- und Hüttenwesen im Königreiche Sachsen. Jahrgang 1915. Freiberg 1915, S. 225. 11 Mitteilungen des Institutes für Stadtgeschichte vom 23. Oktober 2014. 12 Richard Uhde, Geschichte des 2. Kurhessischen Feldartillerie-Regiments Nr. 47 1899–1919, Fulda 1920, S. 240. 13 Siehe auch Rainer Haus: Die Ergebnisse der Wissenschaftlichen Kommission beim Preußischen Kriegsministerium im Spannungsfeld divergierender Interessen. Eine hundertjährige Editionsgeschichte, in: Marcel Boldorf/Rainer Haus (Hrsg.), Die Ökonomie des Ersten Weltkriegs im Lichte der

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Kriegsministerium nach Berlin sind nicht mehr eindeutig zu klären. Naheliegend ist aber die Vermutung, dass dieser Wechsel in Verbindung mit dem Mitte 1916 erfolgten Eintritt seines späteren Mentors bei der Gelsenkirchener Bergwerks-Aktiengesellschaft in die KRA steht. Bergassessor a.D. Franz Burgers, Leiter der Hochöfen, Gießereibetriebe und Erzgruben der Abteilung Schalke der Gelsenkirchener Bergwerks-Aktiengesellschaft, war bis Mitte 1916 Hauptmann in einem Artillerieregiment und wurde dann „auf Empfehlung befreundeter Kreise im rheinisch-westfälischen Industriebezirk“ in die KRA „berufen“, wie es in seinem Nachruf in „Stahl und Eisen“ heißt.14 Hier trat er später die Nachfolge von Bergassessor a.D. Alphons Horten als Leiter der Sektion Eisen an.15 Bereits Ende 1917 legte Stellwaag ein 200 Seiten umfassendes Manuskript zur „Eisenbewirtschaftung im Kriege“ vor (einschließlich der Zeit vor der Gründung der KRA). Der zweite Teil der Arbeit umfasste 255 Seiten und trug den Titel „Das Eisen in der Rohstoffwirtschaft“. Der Titel eines weiteren zehn Seiten mit Anlagen umfassenden Manuskripts von ihm lautete: „Die mutmassliche Entwicklung des deutschen Eisenerzbergbaus“.16 Die drei Manuskripte sind nicht überliefert. Jedoch ist im Russischen Staatlichen Militärhistorischen Archiv im Bestand Kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt des Heeres ein 30 Seiten umfassender Text von Stellwaag aus dem Jahre 1917 unter dem Titel „Die Bedeutung der Eisenerzlagerstätte von Longwy-Briey für Deutschland“ nachgewiesen.17 Die bereits erwähnte, im Bedazet Verlag erschienene Kriegszieldenkschrift aus dem Jahre 1918 war die erste Veröffentlichung von Alfred Stellwaag. In dieser Broschüre geht er für den deutschen Eisenerzbergbau in den Grenzen von 1914 davon aus, dass bereits vor der Mitte des 20. Jahrhunderts der Höhepunkt der Förderentwicklung überschritten und sich gegen Ende des Jahrhunderts die Erschöpfung der Erzlagerstätten abzeichnen werde. Stellwaag resümiert, dass nur eine „restlos gesicherte Verfügung über die französischen Minetteerze“ es ermögliche, „dass wenigstens im XX. Jahrhundert und bis in das XXI. Jahrhundert hinein ein lebensfähiger deutscher Eisenerzbergbau aufrechterhalten werden kann.“18 Aus der im Universitätsarchiv Freiberg überlieferten Promotionsakte von Stellwaag geht hervor, dass er Ende 1918 bei der Technischen Hochschule Dresden seine Dissertationsschrift unter dem Titel „Die deutsche Eisenindustrie am Ende des Welt-

zeitgenössischen Kritik. (Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918, Bd. 1) Berlin/Boston 2016, S. 13–138, hier S. 35. 14 Franz Burgers †, in: Stahl und Eisen 50, 1930, S. 752. 15 BArch, RH 61/689. 16 BArch, RH 61/860. 17 Fond 545, Kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt des Heeres, Berlin. Online unter: www.sonderarchiv.de/fonds/fond0545.pdf (letzter Zugriff: 23.08.2016). 18 Alfred Stellwaag, Die Rohstoffgrundlagen der deutschen Eisenindustrie im XX. Jahrhundert. (Eine Friedensfrage), Berlin 1918, S. 54.



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krieges“ vorlegte.19 Die Bergakademie Freiberg verfügte 1918 noch über kein eigenständiges Promotionsrecht und konnte dieses bis 1920 nur in Verbindung mit der Technischen Hochschule Dresden ausüben. Erstgutachter Professor Johannes Galli, Direktor des Freiberger Eisenhütteninstitutes, sprach sich in seinem am 12. März 1919 erstatteten Gutachten trotz verschiedener Kritikpunkte für die Annahme der Arbeit Stellwaags aus. Dagegen erklärte der Zweitgutachter Hans Gehrig, Professor für Volkswirtschaftslehre in Dresden, in seinem Gutachten vom 22. April 1919, dass er sich „für eine Annahme“ der Dissertation „in der vorliegenden Form“ nicht erklären könne: „Es erscheint mir zu gewagt, da zu viele volkswirtschaftliche Änderungen vorzunehmen sind, mich auf das Versprechen einzulassen, dass die beanstandeten Mängel vor dem Druck abgestellt werden.“ Am 15. August 1919 teilte die Technische Hochschule Dresden mit, dass Stellwaags Promotionsschrift, die er am 20. Dezember 1918 eingereicht hatte, von ihm zurückgezogen worden sei. Stellwaag wollte seine Bemühungen daraufhin in Berlin fortsetzen.20 Nach Meldeunterlagen der Stadt Würzburg traf Stellwaag dort am 4. Oktober 1919 „von Berlin kommend“ ein. Unter der Rubrik „Zweck und Dauer des Aufenthalts“ ist hier „z. Studium“ vermerkt.21 In der Rubrik „Militärverhältnisse“ steht: „Leutn. d. Res. Preuß. Kriegsminist. (Feld-Art. Nr. 47).“ Zu dem Werk „Die deutsche Eisenwirtschaft während des Krieges“ verfasste er im November 1919 in Würzburg das Vorwort. Danach sandte er sein Manuskript zur erneuten Durchsicht an Kurt Wiedenfeld, unter dessen Ägide er seine große Arbeit geschrieben hatte. Seit 1. Mai 1920 in Düsseldorf ansässig,22 wurde Stellwaag zunächst Autor bei der Fachzeitschrift „Stahl und Eisen“, herausgegeben vom Verein Deutscher Eisenhüttenleute, dem auch sein Mentor Burgers als Vorstandsmitglied angehörte. Bereits Mitte Juni 1920 veröffentlichte er einen fundierten Beitrag unter dem Titel „Wiederaufbau (Theorie und Wirklichkeit)“.23 De facto handelt es sich hier um eine Entgegnung auf

19 Universitätsarchiv der TU Bergakademie Freiberg, UAF, 364 S39 (Doktorandenakte), hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen. 20 Die Promotionsakte von Stellwaag im Universitätsarchiv Freiberg endet mit einem Schreiben von ihm an den Dekan vom 16. September 1919 und dessen handschriftlichem Antwortentwurf vom 17. September 1919. Stellwaag teilt hier abschließend mit: „Ich habe in der Zwischenzeit hier in BerlinCharlottenburg Fühlung genommen und hoffe in nicht allzu ferner Zeit hier zu promovieren.“ Das Universitätsarchiv der Technischen Universität Berlin verfügt nicht mehr über die Promotionsakten aus der Zeit um 1920. Auch eine Dissertation von Alfred Stellwaag ist in der dortigen Bibliothek nicht vorhanden; die maschinenschriftlich vorgelegene Arbeit von Stellwaag muss bedauerlicherweise als verschollen angesehen werden. 21 Mitteilung des Stadtarchivs Würzburg vom 29. Oktober 2014. 22 Mitteilung des Stadtarchivs Düsseldorf vom 29. Oktober 2014. 23 Alfred Stellwaag, Wiederaufbau (Theorie und Wirklichkeit), in: Stahl und Eisen 40, 1920, S. 805– 812.

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Sozialisierungsforderungen im Bereich der Eisen- und Stahlindustrie durch den Vorgänger von Burgers in der KRA, Horten.24 Am 1. Oktober 1920 trat Stellwaag als „Verwaltungs-Ingenieur“ in den Dienst der Gelsenkirchener Bergwerks-Aktiengesellschaft, Abteilung Schalke. Laut seinem Arbeitsvertrag, den Burgers unterzeichnete, hatte er im Stinnes-Konzern auch besondere Aufträge wahrzunehmen. Aus einem überlieferten Schreiben Stellwaags an Burgers vom 29. August 1922 geht hervor, dass Burgers ihm „seinerzeit“ erklärt hatte, seinen „Posten“ in der Abteilung Schalke „nicht als Dauerstellung zu betrachten.“ Burgers blieb auch weiterhin sein primärer Ansprechpartner im Unternehmen.25 In einer Unterredung mit Wilhelm von Crayen von der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger berichtete Herausgeber Max Sering am 11. Oktober 1921 von inzwischen aufgetretenen „Schwierigkeiten“ mit dem Buch über die Eisenwirtschaft im Weltkrieg. Stellwaag sei in die „Dienste der Grossindustrie“ getreten und vertrete „in der sehr heiklen Granatenstahlfrage deren Interessen“ und habe daher im Manuskript gravierende Änderungen vorgenommen. Sering war nicht bereit, diese Änderungen hinzunehmen. Um Druck auf Stellwaag auszuüben, gingen anschließend auch die Werke über das Waffen- und Munitionswesen sowie die Spinnstoffe in die Druckvorbereitung, um sie parallel erscheinen zu lassen. Ursprünglich sollte als erstes Werk der Reihe nur das Buch von Stellwaag erscheinen. Somit blieben im Grunde wegen der Tätigkeit von Stellwaag im Stinnes-Konzern die Inhalte der Bände von Weyrauch und Goebel erhalten, da sie ohne den Druck 1922 wohl kaum überliefert worden wären.26 Mitte 1924 wurde Stellwaag Geschäftsführer der Physicochemischen Werke GmbH in Gelsenkirchen, worin er jedoch offenbar keine berufliche Lebensaufgabe sah, sodass er bereits zum 31. Juli 1925 wieder aus dem Unternehmen ausschied. Der weitere Berufsweg Stellwaags auf dem Gebiet des Straßenbaus bis in die zweite Hälfte der 1930er Jahre lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren. Seine erste Veröffentlichung auf diesem Feld, der bis 1937 sechs weitere einschlägige Publikationen folgen sollten, erschien bereits 1926 bei Bagel in Düsseldorf unter dem Titel „Der Wiederaufbau der deutschen Landstraßen und seine Finanzierung“.

24 Vgl. auch Gerald D. Feldman/Heidrun Homburg, Industrie und Inflation. Studien und Dokumente zur Politik deutscher Unternehmer 1916–1923. Hamburg 1977, S. 276ff. 25 ThyssenKrupp Archiv TSV/1289. 26 Siehe auch Haus, Ergebnisse der Wissenschaftlichen Kommission (wie Anm. 13).



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2 Expansionsstrategien der deutschen Schwerindustrie seit Ende des 19. Jahrhunderts Die Kriegszielpolitik der deutschen Eisen- und Stahlindustrie im Ersten Weltkrieg, für die in der zweiten Kriegshälfte auch Stellwaag seinen publizistischen Beitrag leistete, und deren Kernziel noch im Sommer 1918 das Erzgebiet von Longwy-Briey darstellte, ist wesentlich vor dem Hintergrund des Aufstieges dieser Industriebranche zur „Weltstellung“ in der Zeit vor 1914 zu sehen. Ferdinand Friedensburg, der an der Berliner Bergakademie studiert hatte und von den Nationalsozialisten als Regierungspräsident in Kassel beurlaubt und noch 1933 aus dem Staatsdienst entlassen worden war, geht in seinem 1934 erschienenen Buch „Kohle und Eisen im Weltkriege und in den Friedensschlüssen“ konkret auf den „Erwerb“ Lothringens ein: Deutschland habe nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 „an seiner neuen Grenze westlich der Mosel einen Streifen Landes“ erhalten, „in dem seit einiger Zeit Eisenerze bekannt waren und auch in kleinem Umfange gefördert wurden.“ Man habe die Ausdehnung der Erzvorkommen zu gering eingeschätzt. Außerdem sei der hohe Phosphorgehalt dieser Erze seinerzeit noch ihrer Verwendung zur Stahlerzeugung abträglich gewesen, so dass man sie nur zur Gusseisenherstellung habe einsetzen können: „Aber die deutschen Geologen, insbesondere der damalige Direktor der Bergakademie in Berlin, Hauchecorne, wussten Bismarcks Interesse für die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten des Reviers zu erregen.“ Anschließend erklärt der Autor, Bismarck habe „die Abtretung des allein als wertvoll angesehenen Oststreifens“ erreicht, „ein Teil wurde noch zwischen dem Präliminarvertrag und dem endgültigen Friedensschluss gegen Gebietszugeständnisse in der Umgebung von Belfort ausgetauscht.“ Hierzu bemerkt Friedensburg, welche Bedeutung „dieser unscheinbare Zuwachs“ gehabt habe, hätten auch die Experten „damals noch nicht voraussehen können.“27 Zu dem Resultat der Grenzveränderung von 1871 erklärt Reichert 1918 in seiner Kriegszieldenkschrift „Was sind uns die Erzbecken von Briey und Longwy?“ unmissverständlich: „Schon für diese Tat allein ist Bismarcks Ehrenname ‚Der eiserne Kanzler‘ begründet.“ Zu den Folgen heißt es in Reicherts Schrift: „Denn mit diesem Land- und Bodengewinn, den er dem jungen deutschen Reich verschaffte, wurden die Daseinsbedingungen der deutschen Eisen- und Stahlindustrie, des wichtigsten Zweiges unserer Rüstungsindustrie von Grund auf geändert und gewaltig gekräftigt.“28

27 Ferdinand Friedensburg, Kohle und Eisen im Weltkriege und in den Friedensschlüssen. München/ Berlin 1934, S. 28. Zu dem Erfolg dieses Buches siehe Ferdinand Friedensburg, Lebenserinnerungen. Frankfurt am Main/Bonn 1969, S. 241. 28 Jakob Wilhelm Reichert, Was sind uns die Erzbecken von Briey und Longwy? Berlin 1918, S. 5.

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Abb. 17: Jakob Wilhelm Reichert

Die Grundbedingung für eine unbegrenzte Nutzung der Minette in der Hüttenindustrie war 1878 von dem Engländer Sidney Gilchrist Thomas eröffnet worden, indem es ihm gemeinsam mit Percy Carlyle Gilchrist gelungen war, durch eine Konverter-Auskleidung mit gebranntem Dolomit aus phosphorhaltigem Roheisen weitgehend phosphorfreien Flussstahl bzw. Thomasstahl zu erzeugen. Im rheinisch-westfälischen Montanrevier und damit in Deutschland überhaupt konnten die ersten Thomas­ chargen bereits am 22. September 1879 in Meiderich und Hörde erblasen werden.29 Am 23. September 1879 wurde dort erstmals Roheisen aus lothringischer Produktion mit einem Phosphorgehalt von 2,59 Prozent eingesetzt, das in Thomasstahl mit einem Phosphorgehalt von 0,03 Prozent umgewandelt und in einem Schienenwalzwerk weiterverarbeitet wurde.30 Obwohl die Betriebskosten beim Thomasverfahren höher lagen, wurden diese Mehrkosten durch die niedrigeren Roheisenkosten mehr als ausgeglichen. In der Anfangszeit der Anwendung des Thomasverfahrens kostete Bessemer-Hämatiteisen im Raum Dortmund 70 bis 90 Mark pro Tonne, während die Einstandskosten für phosphorhaltiges Roheisen lediglich 46 Mark erreichten.31 Josef Massenez, der Leiter des Hörder Bergbau- und Hüttenvereins, erklärte schon am 28. Oktober 1879, dass durch das neue Thomasverfahren „so ziemlich alle bisherigen Grundsätze auf dem Gebiete der Flussstahlfabrikation“ in ihr Gegenteil verkehrt 29 Vgl. Otto Johannsen, Geschichte des Eisens. Düsseldorf 1953, S. 469ff. 30 Vgl. 30 Jahre Thomasverfahren in Deutschland, in: Stahl und Eisen 29, 1909, S. 1465–1490, S. 1477. 31 Vgl. Ludwig Beck, Geschichte des Eisens, Bd. 5. Braunschweig 1903, S. 998.



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würden. Zur veränderten Rohstofflage ergänzte er: „Von dem englischen HämatiteRoheisen sowie von den afrikanischen und spanischen Erzen sind wir mit einem Schlage unabhängig geworden; da es unmöglich ist, aus diesen Erzen mit hiesigem Koks ein Roheisen zu erblasen, welches weniger als bis % Phosphor enthält, so wird man auf dem Wege des gewöhnlichen Bessemerprozesses nicht imstande sein, ein so phosphorarmes Produkt herzustellen, als aus den schlechtesten einheimischen Erzen.“32 Max Schlenker geht 1931 ausführlich auf „Das Eisenhüttenwesen in Elsaß-Lothringen“ und auf die große Bedeutung der lothringischen Erze nicht allein für die regionale Hüttenindustrie nach der Einführung des Thomasverfahrens ein: „Die an sich unabweisliche Durchführung des Bessemerverfahrens hatte nämlich die deutsche Eisenindustrie im Erzbezug in großem Umfange vom Auslande abhängig gemacht. Ende der 1870er Jahre musste der Eisenerzbedarf zu 60 % aus dem Auslande gedeckt werden, während die gewaltigen Minettevorräte größtenteils unbenutzt im lothringischen Boden ruhten.“ Für die schwerindustriellen Auswirkungen auf internationaler Ebene bedeute dies: „Deutschland war auf dem besten Wege, als Eisenland jede größere Bedeutung zu verlieren, insbesondere wie in früheren Zeiten auf das Wohlwollen Englands angewiesen zu sein, das wie auch die Vereinigten Staaten durch das Bessemerverfahren eine besonders hoch zu bewertende, fest begründete technische Überlegenheit gewonnen hatte.“ Dank des Thomasverfahrens sei es gelungen, einen phosphorfreien, „dem Bessemerstahl grundsätzlich gleichwertige[n] Flussstahl“ herzustellen.33 Nach Schlenker sicherten sich 1880 drei lothringische Werke das für das Minettegebiet äußerst wichtige Patent: de Wendel in Hayingen, de Dietrich in Mutterhausen und die Lothringer Eisenwerke in Ars an der Mosel. Eisenhistoriker Ludwig Beck stellt in seiner „Geschichte des Eisens“ die „neue Wirtschaftspolitik Deutschlands“ und die „Einführung des Thomasverfahrens sowie die Gründung des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute 1880 auf eine Stufe.34 Am 1. Oktober 1873 waren die Zölle für Roheisen und Schrott aufgehoben und für andere Eisen- und Stahlprodukte deutlich reduziert worden. Diese Maßnahme fiel zeitlich mit dem Einsetzen einer lang anhalten Wirtschaftskrise im Deutschen Reich zusammen, die bis Mitte der 1890er Jahre anhalten und später als „Große Depression“ bezeichnet werden sollte. Auf einer Versammlung von Eisenindustriellen am 12. November 1873 in Dortmund waren die Weichen für die Gründung des Vereins Deutscher Eisen- und Stahl­ industrieller gestellt worden, der schließlich am 21. Oktober 1874 in Berlin offiziell gegründet wurde. Im Vorfeld hatten sich die Nordwestliche Gruppe (durch Umwandlung des seit 1870 nicht mehr aktiven Zollvereinsländischen Hüttenvereins in Düs32 Zitiert nach 30 Jahre Thomasverfahren in Deutschland (wie Anm. 30), S. 1477. 33 Max Schlenker (Hrsg.), Die wirtschaftliche Entwicklung Elsass-Lothringens 1871–1918. Frankfurt am Main 1931, S. 180. 34 Beck, Geschichte des Eisens (wie Anm. 31), S. 992.

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seldorf) und die Schlesische Gruppe gebildet, womit „der feste Kern“ entstanden war.35 Der in der Satzung festgelegte Vereinszweck unterschied sich von der Zielrichtung des 1858 gebildeten „Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen im Rheinland und Westfalen“ im Wesentlichen durch das Postulat nach „Gründung solcher Einrichtungen in einzelnen Bezirken, welche geeignet erscheinen, den Verkehr und die Verständigung zwischen den Eisen- und Stahlindustriellen und einerseits deren Lieferanten von Rohmaterialien, andererseits den Abnehmern deren Produkte zu erleichtern.“36 Hier handelte es sich aus schwerindustrieller Perspektive um eine Idealvorstellung zur Bildung eines nationalen Eisenkartells, die allerdings bei anhaltendem Wettbewerb durch ausländische Produzenten nicht umgesetzt werden konnte. Zur Erreichung dieses Ziels wurde ebenso systematisch wie effizient vorgegangen. Der Beeinflussung der öffentlichen Meinung wurde größte Bedeutung beigemessen und hierfür erstmals Instrumentarien entwickelt. Klein schreibt dazu in seiner bereits erwähnten unveröffentlichten Geschichte des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller von 1934: „Eine umfassende Aufklärungstätigkeit für die Presse und ihre Leser wurde mit dem auch später üblichen Erfolge durchgeführt, in der Hauptsache nur die von vornherein willigen Blätter und Kreise zu erfassen.“ Parallel dazu wurde Meinungsbildung durch Denkschriften, Eingaben an Organisationen der Wirtschaft, Regierungen und Parlamente sowie durch persönliche Ansprachen von Abgeordneten und „einflussreichen Persönlichkeiten in allen Teilen des Reiches“ unternommen.37 Die Führung im Verein Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller lag in den Händen der Nordwestlichen Gruppe mit Sitz in Düsseldorf, deren Geschäftsführer Henry Axel Bueck sich „zum Hauptorganisator des ‚Umbaues‘ der deutschen Handelspolitik“ entwickelte.38 Der ehemalige großagrarische Interessenvertreter Bueck verkörperte mit seiner Person die Mitte der 1870er Jahre aufkommende Allianz zwischen der Schwerindustrie und den Großagrariern. Es deutet bereits auf ein abgestimmtes Vorgehen hin, dass sich zu Jahresbeginn 1876 der von Bueck und dem schlesischen Magnaten Wilhelm von Kardorff initiierte „Centralverband deutscher Industrieller“ und die von Großagrariern getragene „Vereinigung der Steuer- und Wirtschaftsreformer“ fast zur selben Zeit konstituierten.39 Nach der völligen Abschaffung der Zölle auf Eisen- und Stahlprodukte zum 1. Januar 1877 organisierte der Centralverband eine Protestkundgebung der deutschen Industriellen, die unter dem Slogan „Schutz der nationalen

35 BArch, R 13 I/12. 36 Ebd. 37 Ebd. 38 Heinz Böhme, Deutschlands Weg zur Großmacht. Köln 1972, S. 365. 39 Ebd., S. 398ff.



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Arbeit“ in Frankfurt am Main stattfand. Die Versammlungsteilnehmer erhoben die Forderung nach einer Enquete zur Situation „der vaterländischen Industrie“.40 Der Bundesrat fasste am 25. Juni 1878 den Beschluss zur Einsetzung einer Eisen­ enquetekommission, der auch Stumm als damaliger „Führer der Eisenindustriellen“ angehörte.41 Zu der Bedeutung Stumms erklärt Max Sering in seiner Dissertation, „dass das eine oder andere Kommissionsmitglied wie in diesem Falle Herr Stumm, vermöge seiner Gewandtheit und Fachkunde einen besonderen Einfluss auf die Verhandlungen erlangte, wird sich nie vermeiden lassen.“42 Stumm fiel auch in der Reichstagssitzung am 16. Mai 1879 die Aufgabe zu, „auf Grund der Eisenenquete die Motive der schutzzöllnerischen Mehrheit“ zu begründen, „die zum Schutz gegen die englische Konkurrenz einen Zoll von 10 Mark auf die Tonne Roheisen für nötig erachtete.“43 Die „Zollmauern von 1879“ begünstigten eine zunehmende Kartellierung ganz wesentlich. Der Hintergrund der Kartellbewegung wurde von Friedrich Hammacher, Reichstagsabgeordneter, Bergbauunternehmer und führender Interessenvertreter des Ruhrbergbaus, als das „einzige Mittel, unsere Industrie aus der Krise zu befreien“, dargestellt. Mitte der 1880er Jahre konnte er feststellen: „Wunderbarerweise erfasst jetzt der Gedanke der Organisation der Produktion zur Vermeidung von Überproduktionskrisen die weitesten, […] auch die politischen Kreise.“44 Die einzelnen Etappen der sogenannten Organisation der Produktion reichten von Preis- und Kontingentierungskartellen bis zur Bildung des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats 1893,45 dem 1896 auf eisenindustriellem Gebiet das Rheinisch-Westfälische Roheisen-Syndikat folgte.46 Obgleich die Hochofenwerke im Minette-Revier schon 1886 ein Syndikat für den Verkauf von Thomasroheisen gebildet hatten, geriet ein großer Teil dieser Werke in eine existenzbedrohende Lage. Hierzu heißt es in einer Denkschrift der Nordwestlichen Gruppe des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller aus dem Jahre 1927, dass die permanente Erhöhung der Kokspreise in den 1880er und 1890er Jahren die meisten reinen Roheisenproduzenten auf der Basis der Minette kurz vor den wirtschaftlichen Zusammenbruch brachten. Zu der einzigen Lösungsmöglichkeit in dieser Situation heißt es: „So entstand der Zwang, sich Kohlenbesitz an der Ruhr zu verschaffen. Als Beispiele seien der Erwerb eigener Kohlenfelder durch die Rombacher Hüttenwerke, der Ankauf der Gewerkschaften Ickern, Victor und General durch den 40 Fritz Hauenstein, Die ersten Zentralverbände, in: Bundesverband der Deutschen Industrie (Hrsg.): Der Weg zum industriellen Spitzenverband. Darmstadt 1956, S. 1–73, hier S. 23f. 41 Georg Goldstein, Die Entwicklung der deutschen Roheisenindustrie seit 1879, in: Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleisses 87, 1908, S. 175–214, hier S. 210. 42 Max Sering, Geschichte der preussisch-deutschen Eisenzölle. Leipzig 1882, S. 238. 43 Fritz Hellwig, Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg. Heidelberg/Saarbrücken 1936, S. 175. 44 Zitiert nach Hans-Ulrich Wehler, Bismarck und der Imperialismus. Köln 1973, S. 98. 45 Ebd., S. 98f. 46 Wilhelm Treue, Die Feuer verlöschen nie. August Thyssen-Hütte 1890–1926. Düsseldorf 1966, S. 137.

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Lothringer Hüttenverein, die Anlage eigener Schächte durch de Wendel bei Hamm, der Kauf der Zeche Minister Achenbach durch die Familie Stumm genannt.“47 Die Flussstahlerzeugung im deutschen Zollinland (einschließlich Luxemburg) war von 347 000 Tonnen im Jahre 1873 auf 6 646 000 Tonnen im Jahre 1900 gestiegen und hatte sich damit nahezu verzwanzigfacht. In der Jubiläumsschrift „25 Jahre Stahlwerks-Verband 1904–1929“ wird zu dieser Entwicklung erklärt: „Zwar blieben zeitweilige Rückschläge nicht aus, konnten auch nicht ausbleiben, weil Erzeugung und Verbrauch nicht immer gleichen Schritt miteinander hielten.“48 Mehrfach sei der Versuch unternommen worden, „die Folgen solcher Rückschläge durch mehr oder weniger straffe Zusammenschlüsse zu mildern, die aber von dauerndem Bestand nicht waren.“ Die stets voran schreitende „Individualwirtschaft“ habe nach „freier Betätigung“ verlangt, sich aber schließlich doch nicht der Einsicht verschließen können, „dass am Ende eines ungezügelten Wettbewerbes der Zusammenbruch stehen würde und deshalb eine gewisse Anpassung an die Bedürfnisse und die Aufnahmefähigkeit der Märkte gesucht und gefunden werden müsse.“ Infolgedessen seien gegen Ende des 19. Jahrhunderts neben den Schienen-, Schwellen-, Laschen- und Unterlegsplatten-Gemeinschaften, die bereits „lange Jahre vorher eine zwar stille, aber für die Beteiligten ersprießliche Tätigkeit ausgeübt hatten“, der Halbzeug-Verband in Düsseldorf und ein Rheinisch-Westfälischer Formeisen- bzw. Träger-Verband ebenfalls mit Sitz in Düsseldorf entstanden. Dieser Verband habe sich schließlich mit dem süddeutschen Träger-Verband in Saarbrücken zu einem deutschen Träger-Verband zusammengeschlossen, der seinen Sitz in Wiesbaden nahm. Diese Verbände, aus denen sich der spätere A-Produkte-Verband (Halbzeug, Eisenbahnoberbaumaterial, Formeisen) entwickelte, hätten bereits „Vorgänger in loser Form“ aufzuweisen gehabt, denen aber keine längere Existenzdauer beschieden gewesen sei. Auch den neu errichteten Verbänden hätte ein baldiges Ende gedroht, als in Deutsch-Lothringen und Luxemburg neue Eisenwerke errichtet und deren Produkte auf den Markt gedrängt seien, der „sich als nicht genügend aufnahmefähig erwiesen“ habe. Schließlich sei „in der Ferne ein neues Gespenst“ aufgetaucht in Form „einer stark gesteigerten Erzeugung der geschlossen auftretenden amerikanischen Stahlindustrie.“ Es sei „von großen Verladeeinrichtungen in amerikanischen Häfen, von einer eigenen Schiffsflotte, die auch den europäischen Kontinent versorgen sollte, zu Preisen, die der deutschen Industrie verhängnisvoll werden würden“, die Rede gewesen. Diese Berichte hätten zunächst eine gewisse Plausibilität gehabt und bei den deutschen Eisenindustriellen eine, wie sich anschließend gezeigt habe, allerdings nicht ganz berechtigte Befürchtung ausgelöst. In diesem Kontext sei „erstmalig der Gedanke“ aufgekommen, die komplette Rohstahlproduktion im deutschen Zollin47 BArch, R 13 I/287. 48 Stahlwerks-Verband (Hrsg.), 25 Jahre Stahlwerks-Verband 1904–1929. Düsseldorf 1929, S. 2ff. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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land zusammenzulegen, „um in einer großen gemeinsamen Front die Förderung des Absatzes der sogenannten schwerindustriellen Erzeugnisse zu betreiben und den Kampf um diejenigen Märkte aufzunehmen, die man für den Absatz nicht glaubte entbehren zu können.“ Zwar sei es seinerzeit nicht gelungen, „dem Ideal eines allgemeinen deutschen Stahlbundes Gestalt und Inhalt zu geben“, doch sei es möglich geworden, 1904 durch die Bildung eines Verkaufs-Verbandes für die A-Produkte unter zeitgleicher Kontingentierung der B-Produkte (Stabeisen, Walzdraht, Grobbleche, Röhren, Eisenbahnachsen etc.) den Stahlwerks-Verband als Träger zu etablieren. Die Verbandsgründung wurde sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der nationalen und internationalen Presse „als ein Ereignis von größter wirtschaftlicher Bedeutung“ angesehen. Die Relevanz des Verbandes zeigt sich auch an den rund 400 Mitarbeitern, für die im Gründungsjahr in Düsseldorf kein geeignetes Gebäude zur Verfügung stand und die zunächst dezentral untergebracht werden mussten. Erst mit dem 1908 bezogenen „Stahlhof“ konnte ein repräsentativer eigener Verwaltungsbau bezogen werden, „ein Monumentalgebäude mit rund 4000 qm Grundfläche, ein äußeres Wahrzeichen der Bedeutung der deutschen Eisen- und Stahlindustrie“.49 Bereits der Übergang zum Thomasverfahren war mit einer Förderung des Konzentrationsprozesses auf dem Eisen- und Stahlsektor verbunden, weil er die Ausnutzung der Hitze des Roheisens bei der Stahlproduktion und eine Zusammenlegung von Hochofen- und Stahlwerken ermöglichte. Wirtschaftlich positiv wirkte sich die neue Technik der Nutzung der Gichtgase der Hochöfen aus, die eine Versorgung der angeschlossenen Stahl- und Walzwerke mit elektrischer Energie ermöglichte.50 Die Festlegung der Preise und der Produktionsmengen durch die dem einzelnen Unternehmen zugestandene Verkaufsquote bedeutete, dass nur über die Reduzierung der Selbstkosten die individuelle Rentabilität gesteigert werden konnte. Hierfür kam zunächst eine Intensivierung der innerbetrieblichen Rationalisierung in Betracht und darüber hinaus eine verstärkte horizontale und vertikale Konzentration der Branche.51 Zu den Folgen dieser Entwicklung schreibt George W. F. Hallgarten: „Kartellierung und Konzentration sind es, was die deutsche Entwicklung von dem Verlauf der Dinge in England unterscheidet, Deutschland leistungsfähiger, aber auch imperialistisch aggressiver werden ließ als den Inselstaat.“52 Die englische Roheisenerzeugung war 1871 noch höher gewesen als in allen übrigen Staaten der Erde zusammen. Die Entwicklung der deutschen Eisen- und Stahlindustrie zur „Weltstellung“ wird daran deutlich, dass es möglich war, England in der Eisenerzgewinnung (1893), der Rohstahlerzeugung (1896) und der Roheisenproduktion (1901) zu überflügeln.53 Im Jahre 49 Ebd., S. 9. 50 BArch, R 13/287. 51 Treue, Die Feuer verlöschen nie (wie Anm. 46), S. 138. 52 George W. F. Hallgarten, Imperialismus vor 1914. Die Soziologischen Grundlagen der Außenpolitik europäischer Großmächte vor dem Ersten Weltkrieg, Bd. 1. München 1963, S. 553. 53 Johannsen, Geschichte des Eisens (wie Anm. 29), S. 549.

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1911 gelang es der deutschen Schwerindustrie erstmals die englische in ihrer bisherigen Position als größter europäischen Eisen- und Stahlexporteur zu übertreffen.54

3 Der „Zug nach dem Westen“ In der „Gemeinfasslichen Darstellung des Eisenhüttenwesens“, die 1901 vom Verein Deutscher Eisenhüttenleute in der vierten Auflage herausgegeben wurde, wird zum ersten Mal „auf den unwiderstehlichen Zug nach dem Westen, dem die deutsche Eisenindustrie seit 2 Jahrzehnten unterliegt“ hingewiesen.55 Während die Schwerindustrie im Saarrevier schon vor dem Übergang zum Thomasverfahren kieselige und kalkige Minette-Erze im Hochofenbetrieb einsetzte,56 begannen die entsprechenden Erzbezüge der Rhein-Ruhr-Hütten erst 1879/80. Sie hatten aber „in der Regel eher Versuchscharakter“.57 Als erstes rheinisch-westfälisches Montanunternehmen hatte sich die Gutehoffnungshütte bereits 1872/73 die Hälfte eines noch unerschlossenen Grubenfeldes in deutschen Teil Lothringens gesichert.58 Zwischen 1873 und 1875 erwarben diese Gesellschaft und die Aktiengesellschaft Phoenix in Ruhrort gemeinsam Grubenfelder im Minettegebiet. Neben diesen beiden großen Unternehmen besaßen auch Firmen mittlerer Größe wie Poensgen in Düsseldorf bereits seit den 1870er Jahren Minettefelder.59 Nach der Einführung des Thomasverfahrens kam es zu einem verstärkten Erwerb von Minette-Konzessionen durch rheinisch-westfälische Werke. 1876 und damit noch Jahre vor der Einführung des Thomasverfahrens hatte die Dillinger Hütte unter Führung Stumms im Norden des französischen Teils von Lo­­ thringen bei Hussigny-Godcourt mit dem Bau eines Hochofenwerks begonnen. Auch in Anbetracht einer „starken französischen Kapitalbeteiligung“ an dem Dillinger Montanunternehmen erwies es sich als notwendig, das neue Werk noch während der Bauphase an französische Unternehmer zu veräußern. Nach van Ham gingen die „Schwierigkeiten mit den lokalen Verwaltungsstellen“ der „Hüttenüberlieferung“ zufolge, „auf die politische Gegensätzlichkeit, speziell zu der Persönlichkeit

54 Vgl. Wilhelm Born, Die Entwicklung der Saar-Großindustrie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Tübingen 1919, S. 26f. 55 Verein Deutscher Eisenhüttenleute (Hrsg.), Gemeinfassliche Darstellung des Eisenhüttenwesens. Düsseldorf 1901, S. 83. 56 Vgl. Alexander Tille, Hundert Jahre Neunkircher Eisenwerk unter der Firma Gebrüder Stumm. Saarbrücken 1906, S. 51. 57 Diether Döring, Die deutschen schwerindustriellen Interessen in Lothringen bis 1914. Frankfurt am Main 1971, S. 119. 58 Die Gutehoffnungshütte Oberhausen, Rheinland. Zur Erinnerung an das 100jährige Bestehen 1810–1910. Oberhausen 1910, S. 34f. 59 Döring, Schwerindutrielle Interessen (wie Anm. 57), S. 101.



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des Freiherrn v. Stumm“, zurück.60 Stattdessen errichtete die Dillinger Hütte 1881 bei Redingen ein Hochofenwerk. Als Schlüsselfrage in der Standortdiskussion bezeichnet van Ham die „Frachtkostenfrage“, da zur Herstellung von einer Tonne Roheisen ein Erzeinsatz von rund drei Tonnen Minette erforderlich war, jedoch nur etwa eine Tonne Koks als Brennstoff benötigt wurde. Der Bau neuer Hochofenwerke im deutschen Teil Lothringens wurde 1890 durch das Stummsche Neunkircher Eisenwerk bei Ückingen und 1897 durch die Gebr. Röchling in Völklingen unter der Leitung von Hermann Röchling bei Diedenhofen fortgeführt. Friedensburg geht auch auf den, wie er es nennt, „geologischen Irrtum“ von deutscher Seite ein, „der die westliche Erstreckung der Erzvorkommen für ganz beschränkt gehalten und infolgedessen die neue Grenze schon wenige Kilometer jenseits des Ausgehenden der Erzlager angesetzt hatte.“ In den 1880er Jahren habe man im französischen Teil Lothringens die Fortsetzung der Erzlager untersucht und dabei festgestellt, dass sich die Lagerstätten nach Westen hin zwar absenkten, aber quantitativ zunähmen: „Im französisch gebliebenen Teil lag der Menge nach noch wesentlich mehr Erz als in Deutschland, der billigen Gewinnbarkeit und vor allem der Beschaffenheit nach aber der bei weitem wertvollere Teil des Gesamtvorkommens.“61 Nach Otto Krupp sinke „der Eisengehalt namentlich der deutschen Minette in den letzten Jahren stetig“ und erreiche oft lediglich noch 30 Prozent. Die Zunahme der Erzbezüge der Rhein-Ruhr-Hütten aus dem französischen Teil Lothringens, insbesondere aus dem Raum Briey, liege nicht nur an einer Tarifsenkung für den Bahntransport, sondern insbesondere daran, dass „deren höherer Eisengehalt im Vergleich zu der deutschen Minette die zunehmende Beliebtheit dieses Eisenerzes leicht erklärlich macht.“62 Auf die Bedeutung der Roheisenselbstkosten beim Einsatz von Briey-Erzen gegenüber anderen ausländischen und inländischen Erzen geht Theodor Sehmer ein, der aus einer Saarbrücker Eisenindustriellenfamilie stammte. Nach seiner Darstellung wiesen die Briey-Erze damals einen Eisengehalt zwischen 36 und 40 Prozent auf. Die Roheisenselbstkosten der Hüttenwerke am Niederrhein lagen nach Darstellung von Sehmer bei einem Erzmöller aus Briey-Erzen eigener Förderung bei 38,40 Mark pro Tonne, dagegen bei einem Erzmöller aus spanischen, schwedischen und deutschen Erzen aus dem Siegerland bei rund 53 Mark. Auf der Basis von Marktpreisen für Erze aus dem Raum Briey bezifferte er die Selbstkosten pro Tonne Roheisen als um 3,20 Mark bis 5,50 Mark höher liegend. Demnach war „das aus Brieyerz gewonnene Eisen billiger als jedes andere.“63 60 Hermann van Ham, Beiträge zur Geschichte der Aktiengesellschaft Dillinger Hüttenwerke. Saarbrücken 1935, S. 179. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen. 61 Friedensburg, Kohle und Eisen (wie Anm. 27), S. 29. 62 Otto Krupp, Die Versorgung der niederrheinisch-westfälischen Hochofenwerke mit Eisenerz und die schwedische Erzfrage. Aachen 1910, S. 5ff. 63 Theodor Sehmer, Die Eisenerzversorgung Europas. Kiel 1911, S. 145.

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Der Bergwirtschaftler Ferdinand Friedensburg weist darauf hin, dass „die Sicherung der zukünftigen Erzversorgung“ bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts die deutschen Eisen- und Stahlindustriellen nachhaltig beschäftigte. So seien in Schweden deutliche Tendenzen vorhanden gewesen, „in dem Abbau und der Ausfuhr, namentlich der reichsten Erze, hauszuhalten, um nicht die Preise auf dem Weltmarkt zu drücken und um den einträglichen Bergbau auf möglichst lange Zeit zu strecken.“ In dieser Situation habe es nahegelegen, im deutschen Teil Lothringens Grubenfelder zu erwerben und in dieser Region Eisenwerke zu errichten: „Man sprach zeitweilig geradezu von einer ‚Abwanderung‘ der westdeutschen Industrie nach Lothringen, wo auch im Gegensatz zum engbesiedelten Ruhrgebiet Raum genug für großzügige Werksplanungen zur Verfügung stand.“ Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die folgenden Ausführungen von Friedensburg: „Der Staat suchte einem allzu großen Ausmaß dieser Entwicklung entgegenzuwirken, schon um des strategischen Nachteils willen, dem eine so wichtige Industrie unmittelbar an der Grenze unterlag.“ Überaus prägnant konstatiert Friedensburg schließlich: „Die deutsch-lothringische Eisenindustrie war 1914 zum größeren Teil ein riesiges Zweigunternehmen der altdeutschen Hütten.“ Nach Friedensburg reichten die Erzvorräte (bezogen auf die Förderzahlen von 1913) in Luxemburg noch für 37 Jahre, im deutschen Teil Lothringens noch für 87 Jahre und im französischen Teil Lothringens für einen Zeitraum von mehr als 150 Jahren. Der Gewinn der französischen Bergbauunternehmen im Revier von Briey habe in der Vorkriegszeit annähernd 100 Prozent pro Tonne verkauften Erzes betragen. Infolge dessen hätte es für ausländische Erzbezieher auf der Hand gelegen, selber Grubenfelder zu erwerben und die Erzgewinnung in Eigenregie zu betreiben.64 Markus Nievelstein beschreibt in seiner Dissertation den zunehmenden französischen Widerstand gegen das Engagement deutscher Eisen- und Stahlindustrieller im Raum Briey in den letzten Vorkriegsjahren. So habe die bedeutende „Beunruhigung in der französischen Öffentlichkeit“ dazu geführt, dass „die politisch Verantwortlichen zu verschiedenen Maßnahmen gegen diese sogenannte Invasion“ veranlasst worden seien. Die negative öffentliche Meinung gegenüber der Entwicklung im französischen Teil Lothringens war auch vor dem Hintergrund der Marokko-Krise und dem Engagement von Thyssen, der Gutehoffnungshütte, Stinnes und Krupp im Eisenerzbergbau der Normandie zu sehen. August Thyssen wurde in der Öffentlichkeit „quasi als Inbegriff der drohenden deutsche Hegemonie in der französischen Eisen- und Stahlindustrie angesehen“. In dieser Situation habe sich die französische Regierung darum bemüht, unter Rücksicht auf industrielle Kreise des eigenen Landes, die wegen ihrer Koksbezüge aus Deutschland „zur Zurückhaltung“ mahnten, „den deutschen Einfluss weitgehend zu beschränken.“65

64 Friedensburg, Kohle und Eisen (wie Anm. 27), S. 41ff. 65 Markus Nievelstein, Der Zug nach der Minette. Deutsche Unternehmen in Lothringen. Bochum 1993, S. 237.



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4 Die deutsche Montanindustrie im Ersten Weltkrieg als Forschungsgegenstand in den 1930er Jahren Mit dem Einsetzen der Rüstungsbestrebungen der 1930er Jahre gewannen die Arbeiten zur Kriegsbedeutung des Montanbereichs einen aktuellen Wert. Es erschien eine Reihe von Büchern, die sich mit dem zurückliegenden Weltkrieg beschäftigten. Noch in der Weimarer Republik, und somit nicht mit den Publikationen in der Zeit des „Dritten Reiches“ auf eine Stufe zu stellen, erschien im Herbst 1930 das Buch von Otto Goebel, Mitglied der früheren Wissenschaftlichen Kommission beim Preußischen Kriegsministerium, zur Rohstoffwirtschaft. Der Schwerpunkt lag auf der Textilwirtschaft, die er als Autor innerhalb der Wissenschaftlichen Kommission bearbeitet hatte. Das Buch erschien im Rahmen der „Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Weltkrieges“ der amerikanischen Carnegie-Stiftung, zu deren deutschen Herausgebern auch Max Sering gehörte. Als Stellwaag das Werk 1931 in „Stahl und Eisen“ besprach, kritisierte er, dass die Darstellung der Eisenbewirtschaftung, „dieses wichtigsten aller Kriegsrohstoffe“, recht knapp ausgefallen sei.66 Die erste wissenschaftliche Veröffentlichung zur nationalen und internationalen Montanwirtschaft im „Dritten Reich“ legte Ferdinand Friedensburg 1934 vor. Die bevorstehende Saarabstimmung war für Friedensburg bei seiner Publikation eines der Hauptanliegen. Zu dem damaligen Forschungsstand erklärte er, dass „die Zusammenhänge […] vielfach noch wenig bekannt und von Legenden und Zweckbehauptungen verhüllt“ seien.67 Bezeichnenderweise gehörte Stellwaags Buch nicht zu den 286 Schriften, die Friedensburg für sein Werk heranzog. Ebenfalls 1934 erschien in der „Encyclopaedia of the Social Sciences“ ein Beitrag des im Mai 1933 in den Vereinigten Staaten verstorbenen deutschen Historikers und Politikwissenschaftlers Eckart Kehr zur Entwicklung der internationalen Rüstungsindustrie von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis Anfang der 1920er Jahre. Auf Deutschland in der Zeit des Weltkrieges bezogen betont Kehr hier u.a. den „hohe[n] Entwicklungsstand seiner metallurgischen Industrie und die Sorgfalt, die man bei der Mobilisierung angewandt hatte, um die notwendigen Facharbeiter in den Kriegsbetrieben zurückzuhalten“.68 Im Oktober 1936 erschien zum Beginn des Vierjahresplans das zweite montanwirtschaftliche Werk von Friedensburg. Auf einen in der Zwischenzeit eingetretenen, bemerkenswerten Paradigmenwechsel hindeutend, erklärt er zwei Jahre nach seinem einschlägigen Erstlingswerk, das Buch wende „sich vor allem an den Soldat und den Politiker, den Wirtschaftler und den Ingenieur, darüber hinaus aber auch an jeden politisch oder wirtschaftlich interessierten Leser.“ Das Abschlusskapitel thematisiert 66 Alfred Stellwaag, Buchbesprechung Otto Goebel, in: Stahl und Eisen 51, 1931, 315f. 67 Friedensburg, Kohle und Eisen (wie Anm. 27), Vorwort. 68 Eckart Kehr, Der Primat der Innenpolitik. Gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Herausgegeben und eingeleitet von Hans-Ulrich Wehler. Berlin 1970, S. 191.

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unter der Überschrift „Bodenschätze und Kriegsführung“ die kriegswirtschaftlichen Erfahrungen des Weltkrieges.69 1933 begann die amtliche kriegswirtschaftliche Aufarbeitung des Weltkrieges mit einer dreibändigen Ausarbeitung von Major a.D. Franz unter dem Titel „Für welche Werkstoffe mussten Ersatzstoffe verwendet werden“. Oberregierungsrat Christian Hildebrand von der Forschungsanstalt für Kriegs- und Heeresgeschichte begann etwa um die Jahresmitte 1936 seine „aktenmäßige Darstellung der Kriegsmetall-Bewirtschaftung“, aus der ab 1937 mindestens drei Ausarbeitungen für den Dienstgebrauch entstanden.70 Unter Hinweis auf eine Unterredung mit Richard Tröger, ehemaliger Sektionsleiter in der KRA, teilte Hildebrand am 17. Dezember 1936 Sering mit: „Im Verlauf des Gespräches äußerte er die Vermutung, ob nicht im Jahre 1920 beim Auswärtigen Amt eine druckfertige Ausarbeitung über die deutsche Rohstoffbewirtschaftung im Kriege von Ihrer Hand niedergelegt worden wäre. Der damalige Minister des Auswärtigen, Dr. Walter Rathenau, habe jedoch der Veröffentlichung nicht zuzustimmen vermocht.“ Wenngleich im Reichsarchiv die Arbeiten der Wissenschaftlichen Kommission vorlägen, sei diese Frage dennoch von erheblicher Relevanz und er bitte um Nachricht, ob die Vermutung von Tröger zuträfe. Sering antwortete eine Woche später mit der Mitteilung, dass die Wissenschaftliche Kommission drei der geplanten acht Bände drucken ließ und erklärte weiter: „Nach dem verlorenen Krieg erschien es aber bedenklich, diese Bände buchhändlerisch zu vertreiben. Wie mir vom Reichskriegsministerium mitgeteilt wurde, ist jedoch Fürsorge getroffen, dass sie für wissenschaftliche Zwecke und vor allem für die Heereswirtschaft im Kriege nutzbar gemacht werden können.“ Zum Verbleib der Bücher heißt es weiter: „Von den nicht vernichteten Exemplaren sind einige der Deutschen Heeresbücherei, andere der Forschungsanstalt für Kriegs- und Heeresgeschichte überwiesen worden.“ In dem überlieferten Schreiben Serings wurden anschließend die drei Bände nach einer Bewertung durch Dieckmann, der bei Sering anderthalb Jahrzehnte zuvor promoviert hatte, handschriftlich klassifiziert: das Buch von Weyrauch über das Waffen- und Munitionswesen als „nicht gut“, das Werk von Stellwaag über die Eisenwirtschaft als „gut“ und der Band über die Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe von Goebel als „dünn“. Eine von Wilhelm Dieckmann, Oberregierungsrat bei der Forschungsanstalt für Kriegs- und Heeresgeschichte, verfasste, äußerst detailreiche Ausarbeitung wurde 1937 veröffentlicht. Zu der Wissenschaftlichen Kommission heißt es hier, dass ihr „die wissenschaftliche Erforschung und Darstellung der gesamten Kriegswirtschaft im

69 Ferdinand Friedensburg, Die mineralischen Bodenschätze als weltpolitische und militärische Machtfaktoren. Stuttgart 1936, S. 203ff. 70 BArch, RH 61/689. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.



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Bereiche der Heeresverwaltung sowie die wissenschaftliche Bearbeitung praktischer Wirtschaftsfragen oblagen.“71 Weniger der Forschung als vielmehr dem Wissenstransfer in der Zeit der forcierten Aufrüstung ab 1936 dienten Aufsätze und Buchpublikationen von zwei „Gründungsmitgliedern“ der Wissenschaftlichen Kommission, der Professoren Goebel und Wiedenfeld. 1933 hatten beide auch zu den Unterzeichnern des Bekenntnisses der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat gehört. Im Rahmen der „Schriften zur kriegswirtschaftlichen Forschung und Schulung“ veröffentlichte Wiedenfeld bereits 1936 eine Broschüre unter dem Titel „Die Organisation der Kriegsrohstoff-Bewirtschaftung im Weltkriege“.72 Goebel legte 1937 ebenfalls eine Broschüre vor, die den Titel trug „Das Wirtschaftsganze im Blickfeld des Ingenieurs“. Ein Kapitel über „Wehrwirtschaft und Rohstoffunabhängigkeit“ bildet den Abschluss dieser Schrift, wobei der Verfasser ausführlich auf die kriegswirtschaftlichen Erfahrungen des Weltkrieges eingeht.73 Ebenfalls 1937 hatte Sering, der bereits seit 1934 durch die neuen Machthaber zunehmend Repressalien wie der Beschlagnahmung seiner kritischen Denkschrift zum Erbhofgesetz durch die Geheime Staatspolizei ausgesetzt war,74 offensichtlich die Genugtuung – darauf lässt sein Privatdruck der Glückwunschadressen schließen –, dass ihm Reichskriegsminister von Blomberg zu seinem 80. Geburtstag mitteilte, „daß die heutige Wehrmacht auf ihrer damaligen Arbeit aufbaut und diese somit eine der Grundlagen für die derzeitigen wehrwirtschaftlichen Arbeiten bildet.“75 Im „Jahrbuch für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften“ 1937/38 veröffentlichte Goebel in dem Abschnitt „Wehrtechnik und Wehrwirtschaft“ zwei Aufsätze: „Koeth, der Meister der deutschen Kriegswirtschaft im Weltkriege“ und „Wege zur Durchführung einer Wehrwirtschaft“.76 Wiedenfeld publizierte Anfang 1939 sein Werk „Die Raumbeziehungen im Wirtschaften der Welt“, das auch ein mehr als 30 Seiten umfassendes Kapitel über „Die Kriegswirtschaft“ enthält. Drei Unterkapitel stellen lehrbuchartig

71 Wilhelm Dieckmann, Die Behördenorganisation der deutschen Kriegswirtschaft 1914–1918. Hamburg 1937, S. 52. 72 Kurt Wiedenfeld, Die Organisation der Kriegsrohstoff-Bewirtschaftung im Weltkriege. Hamburg 1936. 73 Otto Goebel, Das Wirtschaftsganze im Blickfeld des Ingenieurs. Eine Einführung in die Volkswirtschaft. Berlin 1937, S. 95ff. 74 Vgl. Constantin von Dietze, Gedenkrede auf Max Sering, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 6, 1958, S. 1–19, hier S. 16ff. 75 Universitätsarchiv Freiburg, C 100/677. 76 Otto Goebel, Koeth, der Meister der deutschen Kriegswirtschaft im Weltkriege, in: Deutsche Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften (Hrsg.), Jahrbuch für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften. 1937/1938, S. 111–124; Otto Goebel, Wege zur Durchführung einer Wehrwirtschaft, in: Deutsche Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften (Hrsg.), Jahrbuch für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften. 1937/1938, S. 155–166.

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„Die Organisation der Kriegswirtschaft“, „Die Güterbeschaffung in der deutschen Kriegswirtschaft“ und „Die Güterverteilung in der Kriegswirtschaft“ dar.77 Bedauerlicherweise keine Beachtung fand die von Sering im Oktober 1939 unter dem Titel „Auswertungen der Erfahrungen des Weltkrieges für die deutsche Heeresund Volkswirtschaft der Gegenwart unter besonderer Berücksichtigung von Eisen und Nahrung“ für Reichsbankpräsident und Reichswirtschaftsminister Funk verfasste Denkschrift. Diesem Memorandum, zu dem Sering auch das Buch von Stellwaag herangezogen hatte, lag die Absicht zugrunde, vor einem Angriff auf Frankreich zu warnen.78 Für den Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsgruppe Eisenschaffende Industrie, Reichert, war das Buch zur deutschen Eisenwirtschaft im Ersten Weltkrieg zu Beginn des Zweiten Weltkrieges sogar die primäre Quelle für eine Denkschrift, die er im Frühjahr 1940 Rüstungsminister Todt übergab. Diese Denkschrift kursierte zu Kriegsbeginn auch in den Führungszirkeln der Eisen- und Stahlindustrie und führte dazu, dass Stellwaag zum eisenwirtschaftlichen Fachexperten von Todt avancierte.79 Auf diese Weise waren die Schriften der ehemaligen Kommission des preußischen Kriegsministeriums auf vielfältige Weise – zumeist über personelle Verbindungen – mit der Vorbereitung und sogar der Durchführung der Kriegswirtschaft des Zweiten Weltkriegs verknüpft. Von Interesse ist daher die Rezeption der Stellwaagschen Darstellung durch führende zeitgenössische Experten.

5 Kritik an Stellwaags Buch Eine scharfe Kritik an dem Stellwaagschen Werk übte bereits Anfang 1920 Kurt Wiedenfeld, damals Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt. Wegen der außerordentlichen Brisanz der Frage hatte Wiedenfeld damals bei seinem früheren Assistenten Stellwaag allerdings nicht auf eine Änderung gedrungen. So ging die Manuskriptfassung von Ende 1919 in diesem Punkt wohl unverändert in die Druckfassung des Werkes von 1922 ein. Stellwaag erklärt in seinem einleitenden Kapitel zu dem Machtgefüge zwischen Oberster Heeresleitung (OHL) und Kriegsministerium: „Als ein besonders offenkundiger Nachteil muss es aber angesehen werden, dass das Kriegsministerium seine unabhängige Stellung in allen Fragen der Kriegswirtschaft gegenüber der Obersten Heeresleitung nicht immer voll zu wahren gewusst hat und andererseits in der Obers-

77 Kurt Wiedenfeld, Die Raumbeziehungen im Wirtschaften der Welt. Die Grundformen des Wirtschaftslebens in der Gegenwart. Berlin 1939, S. 130ff. 78 Vgl. Haus, Ergebnisse der Wissenschaftlichen Kommission (wie Anm. 13), S. 130. 79 Vgl. ebd., S. 131.



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ten Heeresleitung die Kriegswirtschaft nur unzulänglich vertreten war.“80 Die zurückhaltende Beschreibung des Verhältnisses kritisierte Wiedenfeld als unmittelbar Beteiligter mehr als anderthalb Jahre vor dem Druck des Buches nachdrücklich. Am 3. Januar 1920 sandte der Volkswirtschaftler Wiedenfeld das Stellwaag-Manuskript an Sering und teilte in einem Begleitschreiben mit, dass er zumindest ihm seine „abweichende Meinung“ darlegen möchte: „Meines Ermessens ist die Verantwortung, welche die O.H.L. für die Durchführung des Hindenburg-Programms zu tragen hat, nicht annähernd scharf genug herausgehoben worden.“81 Die OHL habe sich keineswegs darauf beschränkt, der Heeresverwaltung Ziele zu setzen, die im Rahmen des Beschaffungswesens umgesetzt werden sollten. Vielmehr habe man sich, immer „mit dem ganz formellen apodiktischen Anspruch auf absolute Massgeblichkeit“, mit den Anweisungen ganz auf Detailfragen kapriziert: „Da es aber ihren Organen an jeder Sachverständigkeit fehlte, so ließ sie sich natürlich von allen möglichen Einflüsterungen bestimmen, die von diesem oder jenem Besucher an sie herangebracht wurden, und sie widersprach sich in den rasch aufeinander folgenden Erlassen gar nicht selten, ohne es selbst zu merken.“ Dies sei so weit gegangen, dass er dem Leiter der KRA die Wette angeboten habe, „ihm nach jedem wirtschaftlichen Erlass genau zu sagen, wer von unseren Wirtschaftsleuten vorher bei der O.H.L. vorgesprochen habe.“ Wenn die Konfusion offenkundig geworden sei, habe sich die OHL regelmäßig auf den Standpunkt gestellt, „dass sie die Verantwortung für diese Seite der Kriegführung nicht trüge.“ Er habe sogar den „Versuch einer Protokollfälschung“ erlebt, der lediglich daran gescheitert sei, dass er es nachdrücklich abgelehnt habe, „das neue Protokoll mit meinem Namen als Protokollführer zu decken.“ Zur Darstellung seines früheren Assistenten erklärt Wiedenfeld in seinem Brief an Sering: „Die Entschuldigung, die Stellwaag für diese ungeheuerlichen Vorgänge und für das unverantwortliche Einmischen in Dinge, von denen kein Organ der O.H.L. wirklich etwas verstand, in eben seiner viel zu sanften Kritik findet, kann ich nicht gelten lassen.“ Insbesondere die Auseinandersetzungen um die Realisierung des HindenburgProgramms zwischen OHL und Kriegsministerium im Zuge der „unselige[n] Errichtung des Kriegsamtes“ hätten gezeigt, dass die OHL auch in Verwaltungsdingen die letzte Entscheidungshoheit für sich beanspruchte. Der Fehlschlag des HindenburgProgramms, den das Kriegsministerium, sachlich begründet, ebenso wie die Verwaltung der Eisenbahnen, von Beginn an prognostiziert habe, zeige indessen vollkommen nachvollziehbar, „wie verhängnisvoll dieser Anspruch gewirkt hat.“ Gerade auf dem Gebiet der Eisenwirtschaft trete dies so deutlich wie auf kaum einem anderen Feld zutage – abgesehen von der „Oelwirtschaft“ im Verfügungsbereich des Reichs80 Alfred Stellwaag, Die deutsche Eisenwirtschaft während des Krieges. (Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918, Bd. 2) Berlin/Boston 2016, S. 6. 81 Handakten Dr. Markus Pöhlmann, Wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Abteilung Forschung. Hierauf beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.

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marineamtes. Nach den Worten von Wiedenfeld sei „eine matte und geradezu verwaschene Darstellung nicht am Platze“. Als Quintessenz seiner Erfahrungen erklärte Wiedenfeld prägnant: „Es ist das falsche Grundprinzip, das in allen diesen Dingen zutage tritt – der Anspruch des Militärs, in politische und sonst nicht-militärische Dinge massgeblich hineinzureden.“ Zu dem Manuskript „Die deutsche Eisenwirtschaft während des Krieges“ heißt es in dem Schreiben von Wiedenfeld abschließend, dass er es nachempfinden könne, dass Stellwaag eine Scheu davor habe, „in diesen allgemeinen Fragen ein ganz bestimmtes Urteil abzugeben, und deshalb habe ich mich auch damit einverstanden erklärt, dass es bei der jetzigen Fassung bleibt.“ Er wolle es aber nicht versäumen, seine Sicht der Vorgänge etwas eingehender darzustellen, „zumal ich es natürlich nicht für angebracht halten kann, etwa in der Öffentlichkeit schon jetzt auf diese Dinge einzugehen.“ Exemplarisch wird hier der Unterschied zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich, in der es keine sakrosankte Militärführung mehr gab, deren Handeln vermeintlich nicht kritisiert werden durfte. Besonders deutlich wird der Unterschied in der Offenheit der Darstellung der Munitionskrise seit Herbst 1914 und der anschließende Übergang zur Graugussgranate mit ihren gravierenden Folgen in dem 1919 weitgehend abgeschlossenen Werk von Stellwaag und in einem kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von Reichert, dem ehemaligen führenden Verbandsvertreter der Schwerindustrie, verfassten Manuskript zur Entwicklung der deutschen Eisen- und Stahlindustrie seit 1870. Offensichtlich war nach 1945 selbst bei dem früheren Cheflobbyisten nicht mehr in allen Dingen die „Schere im Kopf“ vorhanden, und er konnte nun die „Rohrkrepierer“ beim Namen nennen. Stellwaag merkte hierzu schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg an: „Die Krisis in der Munitionsversorgung des Heeres kam mit überraschender Schnelligkeit. Schon im Oktober 1914 mussten Anweisungen an die Batterien auf schonenden Munitionsverbrauch ergehen; manches harte Urteil über die Leistungsfähigkeit der Artillerie wurde damals von denen geprägt, die den Mangel an Eisen mit ihrem Blut bezahlen mussten.“ An anderer Stelle seines Buches schreibt Stellwaag hierzu: „Es dachte 1915 niemand daran, eine großzügige Erweckung der Produktion wie in England zu entwerfen.“ Stattdessen habe man „sich auf eine unglückselige Sparpolitik“ verlegt und für die Geschütze nur noch sechs bis zehn Schuss pro Tag erlaubt.82 Reichert weist in seinem Manuskript aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst darauf hin, dass in den ersten Kriegsmonaten 1914 die Situation entstanden sei, „dass es ebenso an Aufträgen für den allgemeinen Bedarf wie an Bestellungen für den Rüstungsbedarf wie Munition und sonstiges Kriegsgerät fehlte. Jeder Hüttenbetrieb wartete auf Aufträge. Aber weder der Eisenhandel noch die öffentlichen Vergebungsstellen regten sich.“ Im Anschluss hieran folgt eine geradezu vernichtende Kritik von Reichert am Kriegsministerium: „Die behördlichen Organisation[en] des 82 Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 80), S. 13, 18.



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preussischen Kriegsministeriums mit der Feldzeugmeisterei und den sonstigen Vergebungsstellen waren ihren Aufgaben nicht gewachsen.“ Weiter heißt es: „So kam, was kommen musste. Die angeblich großen Munitionsvorräte erreichten bald ihr Ende. Auf den Schlachtfeldern musste über jeden Schuss Buch geführt werden.“ Als schließlich „nach monatelangem Warten“ Munitionsaufträge erteilt worden seien, habe sich gezeigt, dass es auch an Produktionsanlagen fehlte. So habe es weder Pressen noch ausreichend Drehbänke für die Herstellung von Stahlgranaten gegeben.83 Stellwaag schreibt in diesem Zusammenhang: „Die Erkenntnis der Munitionskrisis setzte sich selbstverständlich sofort in erhöhte Anforderungen der Heeresleitung an die Beschaffungsstellen um. In weitestgehendem Maße wurden von diesen die Mobilmachungsverträge erweitert und der Versuch gemacht, auch bisher unbeteiligte Unternehmungen zur Deckung des Munitionsbedarfs heranzuziehen.“ Lediglich wenige Werke seien jedoch in der Lage gewesen, „der dringenden Anforderung der Obersten Heeresleitung auf Steigerung oder auf Neuaufnahme der Munitionsherstellung schnell zu entsprechen.“ Der Mehrzahl der Betriebe habe es sowohl an Pressen zur Granatenherstellung als auch an produktionstechnischen Erfahrungen gemangelt. In dieser Situation musste man nach den Worten von Stellwaag „auf das technisch einfachste Verfahren der Herstellung von Artilleriemunition zurückgreifen, welches es erlaubte, ohne besondere Neueinrichtungen an möglichst vielen Produktionsstellen zu gleicher Zeit und nach einer leicht anwendbaren Methode Geschosse in möglichst grossen Mengen herzustellen: man schritt zur Verwendung von Graugussgranaten.“84 Reichert stand dem Übergang zur Graugussgranate höchst kritisch gegenüber: „Es gab weder Pressen noch genug Drehbänke für die Stahlgranatenfabrikation. In der schweren Not fasste man den verhängnisvollen Entschluss, zur Herstellung von Eisengussgranaten überzugehen.“85 Bereits Stellwaag hatte nach dem Ersten Weltkrieg eine kritische Sichtweise entwickelt. Er sah es als bedeutenden Schwachpunkt an, „dass die geringere Festigkeit des Eisengusses eine stärkere Wanddicke der Graugußgranaten gegenüber dem Stahlguss verlangte“, hierdurch habe sich das Volumen für den Sprengstoff verringert und die Wirkung somit reduziert. Die Schlachten des Jahres 1915 seien im Wesentlichen mit solcher Behelfsmunition ausgetragen worden. Zwar hätten sich die Munitionsprobleme auch auf der gegnerischen Seite bemerkbar gemacht, doch durch die amerikanischen Munitionslieferungen relativ schnell beseitigt worden. Dennoch habe die drohende Gefahrenlage „eines kriegsentscheidenden Munitionsmangels“ durch den Einsatz der Graugussgranate umgangen werden können.86 Reichert fand wesentlich 83 Jakob Wilhelm Reichert, Der Erste Weltkrieg. Typoskript überliefert im thyssenkrupp Konzernarchiv, Bestand WVS 0179, S. 2. 84 Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 80), S. 13f. 85 Reichert, Der Erste Weltkrieg (wie Anm. 83), S. 3. 86 Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 80), S. 14.

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deutlichere Worte, indem er von einem „verhängnisvollen Entschluss zur Herstellung von Eisengussgranaten“ schrieb. Die Zuflucht zu Graugussgranaten erfolgte in der Eile, wenngleich sie für die abschiessenden Kanoniere gefährlicher waren als für den Gegner: „Waren doch Rohrkrepierer an der Tagesordnung.“87 Reicherts Denkschrift zu Beginn des Zweiten Weltkrieges maß dem Mangel an Stahlgranaten eine unter Umständen kriegsentscheidende Bedeutung bei. Aufgrund der Erschöpfung der Munitionsvorräte „im ersten Kriegsherbst“ sei es zu einer „Sparpolitik im Munitionsverbrauch“ gekommen, während „Großzügigkeit“ notwendig gewesen wäre.88 Das nicht nur in Industriellenzirkeln in der Zeit des Ersten Weltkrieges beherrschende Thema waren die Erzvorkommen im französisch gebliebenen, aber bereits zu Beginn des Ersten Weltkrieges von deutschen Truppen besetzten Teil Lothringens. Reichert äußerte sich nach 1945 – im Gegensatz zu Stellwaag – zu den französischen Minetteerzen lediglich ganz knapp. Nach seiner Darstellung konnten die Gruben im deutschen Teil Lothringens unverzüglich, diejenigen im französischen Teil Lothringens teilweise erst später die Erzgewinnung aufnehmen, wobei einzelne Grubenbetriebe durch die kriegsbedingte Einstellung der Wasserhaltung unter Tage nicht mehr zugänglich waren: „An Minette fehlte es weder in Lothringen und Luxemburg selbst, noch an der Saar. Auch die Hochöfen an der Ruhr konnten wie früher ihren Anteil an Minetteerz bekommen, sei es aus Deutsch- oder Französisch-Lothringen.“89

6 Detailreiche Darstellung zur deutschen Montanindustrie Stellwaags Darstellung zur Entwicklung des Montanwesens zwischen 1914 und 1918 im französischen und deutschen Teil Lothringens leistet einen faktenreichen Beitrag zur Kriegswirtschaft. Schon im ersten Kapitel geht Stellwaag auf die Bildung der „Schutzverwaltung der französischen Bergwerke und Hütten“ beim Leiter der Zivilverwaltung in Metz ein: „Die siegreiche Entscheidung der Schlacht bei Longwy hatte in der letzten Augustwoche 1914 das wertvolle Erzbecken von Longwy und Briey in deutsche Hand gebracht.“ Die „ungeheure Größe der Lagerstättenvorräte“ bezifferte er für den deutschen Teil Lothringens auf 2,1 Milliarden Tonnen und für den französischen Teil Lothringens auf 2,3 Milliarden Tonnen. Aufgrund der ersten Kriegshandlungen gelangte auch dieser Teil in deutsche Hände: „Die Verfügung über den 87 Reichert, Der Erste Weltkrieg (wie Anm. 83), S. 3. 88 Jakob Wilhelm Reichert, Die deutsche Eisenwirtschaft im Weltkrieg 1914–1918, hrsg. von der Wirtschaftsgruppe Eisen schaffende Industrie, Berlin o.D., überliefert im thyssenkrupp Konzernarchiv, Bestand Fschr. 89 Reichert, Der Erste Weltkrieg (wie Anm. 83), S. 4.



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Minettebergbau war aber für Deutschlands Kriegführung lebenswichtig, da ohne das lothringische Erz und ohne die hierauf aufgebaute Eisenindustrie eine Erfüllung des Eisenbedarfs für Heer und Volkswirtschaft nicht entfernt möglich gewesen wäre.“ Zudem habe der Entzug des französischen Grubenbesitzes der französischen Eisenindustrie einen „geradezu vernichtender Schlag“ versetzt, denn rund 92 Prozent der französischen Erzgewinnung entfielen auf die östlichen Landesteile: „Nur das Einspringen Amerikas und Englands hat die französische Rüstungsindustrie trotz dieses gewaltigen Verlustes an Rohstoffgrundlagen über den Krieg hinweg leistungsfähig erhalten.“90 Die Errichtung der „Schutzverwaltung“, die nach Stellwaag seit Ende August 1914 „auf Anregung deutscher Industrieller“ erfolgte, um die Grubenbetriebe vor einem Volllaufen mit Wasser zu bewahren, sollte außerdem noch „eine sachkundige Beaufsichtigung der ausgedehnten Eisenhüttenanlagen“ gewährleisten. Darüber hinausgehende Aufgaben waren nach Stellwaag für die Schutzverwaltung zunächst nicht vorgesehen, „zeigte doch die deutsche Eisenindustrie wenig Interesse für eine Wiederinbetriebnahme der Werke.“ Vielmehr habe in der ersten Kriegsphase die Nachfrage nach Minette in Deutschland ganz erheblich an Bedeutung verloren, verbunden mit einem Preisverfall für dieses Erz. Die Roheisengewinnung sei zunächst zurückgegangen und man habe auf den Hüttenwerken über „reichliche“ Erzvorräte verfügt, außerdem „das Risiko großer Erzkäufe ebenso wie die Ingangsetzung feindlicher Gruben“ gescheut. Allerdings habe die Schutzverwaltung im weiteren Kriegsverlauf für die Eisenindustrie einen erheblichen Bedeutungsgewinn erlebt. Bereits im ersten Kriegsjahr sei sie durch unmittelbare Kontakte mit der Schwerindustrie bzw. durch die Bildung eines industriellen Beirats „zur Trägerin erster Organisationen“ geworden. Stellwaag zufolge wurden seit dem 5. März 1915 auch engere Verbindungen zwischen der Schutzverwaltung und der KRA hergestellt und dadurch ein abgestimmtes Vorgehen im Rahmen der Kriegswirtschaft ermöglicht. An anderer Stelle schreibt Stellwaag, dass die deutsche Eisenindustrie durch die Blockademaßnahme der gegnerischen Mächte über zwei Drittel ihrer Erzimporte verloren habe. Dies habe umso schwerer gewogen, als es sich hierbei weitgehend um Qualitätserze gehandelt habe, die nicht einfach durch eine Fördersteigerung im Inland hätten kompensiert werden können.91 Besondere Bedeutung hat auch die Darstellung der zunehmenden Relevanz des Auslandsabsatzes der Eisen- und Stahlindustrie bei Walzprodukten in das neutrale Ausland ab 1915 infolge der im Inland anhaltenden „Übersättigung des Marktes mit Walzprodukten“. Nach den Worten von Stellwaag „fand in dem Verhältnis von Auslandmarkt und Inlandmarkt von Eisen eine völlige Umkehrung statt. Der Außenhandel brachte nunmehr den Werken die Möglichkeit guten Absatzes und reichlicher Ver-

90 Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 80), S. 11f. 91 Ebd., S. 15.

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dienste, während er im Frieden zumeist durch den Inlandmarkt hatte gestützt werden müssen.“92 In Bezug auf die militärische Führung findet sich bei Stellwaag bemerkenswerte Kritik im Zusammenhang mit der Sommeschlacht ab Anfang Juli 1916. So heißt es bei ihm, dass die Intensität dieser Schlacht „die damalige Oberste Heeresleitung völlig überrascht“ habe, wenngleich ihr Beginn für sie nicht unerwartet gekommen sein dürfte: „Man hatte es dem Gegner überlassen, die Initiative zur Materialschlacht zu ergreifen.“ Sogar die Champagneschlacht habe die verantwortlichen Militärs noch nicht erkennen lassen, „in welcher Richtung sich mit Naturnotwendigkeit die weitere Kriegführung entwickeln musste.“93

Abb. 18: Eisenmanganerzgrube Abendstern im nordwestlich von Gießen gelegenen Biebertal. 1917 von Mannesmann erworben, um „dem dringenden Manganerzbedürfnis“ der konzerneigenen Stahlwerke nachkommen zu können. Aufnahme 1920.

Das Werk von Stellwaag zur deutschen Montanwirtschaft im Ersten Weltkrieg bietet eine Fülle an Details und damit Ansatzpunkte für weitere nationale und internationale Forschungen, aber auch für regionalgeschichtliche Ansätze wie dem im Ersten Weltkrieg rüstungswirtschaftlich sehr relevanten Eisenmanganerzbergbau im Raum 92 Ebd., S. 218. 93 Ebd., S. 24.



„Die deutsche Eisenwirtschaft während des Krieges“ von Alfred Stellwaag 

 219

Gießen oder am Mittelrhein bei Bingerbrück. Stellwaag war von dem Anspruch erfüllt, auf seinem Arbeitsfeld alle möglichen Aspekte bis zur „Wirtschaftspolitik der Behörden“ aufzuzeigen. Es ist nachvollziehbar, dass sein Buch sowohl von den Reichsministerien in den 1920er Jahren („ganz vorzügliches Material“) als auch von der Eisenund Stahlindustrie bzw. ihren Vertretern noch zu Beginn des Zweiten Weltkrieges als wertvolle Informationsquelle angesehen wurde. Im dritten Kriegsjahr, im Juli 1941, wurde das Werk von Stellwaag sogar noch vom Generalstab des Heeres angefordert.94 Indessen ist nicht zu übersehen, dass Stellwaag zur Zeit der Druckvorbereitung 1921/22 in den Diensten der Gelsenkirchener Bergwerks-Aktiengesellschaft stand und nach Aussage des Herausgebers Sering gegenüber dem Verlagsrepräsentanten von Crayen bemüht war, Modifizierungen im Sinne seines Arbeitgebers vorzunehmen.95 Während Friedensburg 1934 die Notwendigkeit der Briey-Erze für die deutsche Kriegswirtschaft in Zweifel zieht und auf die potenziell vorhanden gewesene Alternative hinweist, durch höhere Kohlelieferungen nach Schweden aus diesem Land mehr Erze zu beziehen,96 bleibt Stellwaag in seinem 1922 gedruckten Buch durchgängig den Denkmustern der schwerindustriellen Vertreter in der Zeit des Weltkrieges verhaftet. An anderer Stelle erklärt Friedensburg im Bezug auf Briey, dass „ein Teil des Ausfalls sicherlich von den deutschen Vorkommen unter gesteigerter Leistung hätte übernommen werden können. Sogar von dem Verlust Deutsch-Lothringens, so schwer er die deutsche Eisenwirtschaft erschüttert hätte, wäre eine wirklich entscheidende Wirkung nicht zu befürchten gewesen.“97 Unter Hinweis auf eine gemeinsame Denkschrift des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller sowie des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute vom Dezember 1917 unter Einbeziehung eines Gutachtens der Geologen Beyschlag und Krusch über die deutschen Erzvorräte und die Notwendigkeit der Verfügung über die Erze im französischen Teil Lothringens in einem künftigen Krieg findet sich bei Friedensburg die denkwürdige Feststellung: „Zweifellos waren derartige Gedankengänge im deutschen Volke damals weitverbreitet und haben auch, schon weil sie die rechtzeitige Beendigung des Krieges gefühlsmäßig unmöglich machten, einen sehr ernsten Einfluss auf die Gesamtentwicklung ausgeübt.“98

7 Die Rezeption Stellwaags Stellwaags Manuskript enthielt auch Ausführungen zur Nichtbeherrschbarkeit der Eisen- und Stahlindustrie durch staatliche kriegswirtschaftliche Organisationen. 94 BArch, RH 61/689. 95 Vgl. Haus, Ergebnisse der Wissenschaftlichen Kommission (wie Anm. 13), S. 67. 96 Friedensburg, Kohle und Eisen (wie Anm. 27), S. 119. 97 Ebd., S. 182. 98 Ebd., S. 50.

220 

 Rainer Haus

Bezeichnenderweise wurde diese Textpassage vor der Drucklegung im Jahre 1922 bei der ‚Durchprüfung‘ durch das Auswärtige Amt als kritisch angesehen. Im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts ist diese aus mehr als zweijähriger Praxiserfahrung in der staatlichen Kriegswirtschaft von Stellwaag gewonnene Erkenntnis in der ursprünglichen Fassung mit den Worten überliefert: „Das gesamte Gebiet der Eisenwirtschaft etc. ist zu sehr verstrickt, als dass […] selbst eine mit grossen Machtmitteln versehene Behörde auf autoritativem Wege hätte Erfolge erzwingen können.“99 In der 1929 erschienenen Schrift des Stahlwerks-Verbandes zum 25jährigen Bestehen findet sich ein Hinweis, der – bis hin zur räumlichen Integration – die Dominanz der Schwerindustrie in der kriegswirtschaftlichen Organisationshierarchie klar zum Ausdruck bringt: „Einer besonderen Abteilung (Deutscher Stahlbund), durch Personalunion dem Stahlwerks-Verbande angegliedert, fiel die Aufgabe zu, in engster Zusammenarbeit mit den behördlichen Beschaffungsstellen, sowie später der Kriegsrohstoff-Abteilung, die in den Räumen des Stahlhofes ein besonderes Kommissariat einrichtete“. Dieses habe unter der Leitung des damaligen Hauptmanns Florian Klöckner gestanden.100 Reichert erläuterte nach dem Zweiten Weltkrieg, man habe es behördlicherseits wohl im Hinblick „auf die grossen Organisationen des StahlwerksVerbandes und des Roheisenverbandes und die grosse Kapazität der Eisen schaffenden Werke“ unterlassen, „Berliner Kriegsgründungen auf dem Eisen- und Stahlgebiet“ zu etablieren. Stattdessen habe man in den Stahlwerks-Verband und in den Roheisenverband „besondere Beauftragte“ als Verbindungsoffiziere entsandt.101 In der Bundesrepublik fanden die Werke der Sering-Kommission und somit auch Stellwaags Band im Grunde nur noch geringe Beachtung in Forschung und Literatur. 2013 ging das Buch von Stellwaag über „Die deutsche Eisenwirtschaft während des Krieges“ dann jedoch in das vierbändige Werk zur „Geschichte des deutschen Bergbaus“ ein. Dieter Ziegler, Herausgeber des Bandes zum deutschen Bergbau im 20. Jahrhundert, nutzt hier das Buch von Stellwaag insbesondere als Quelle zu den Minetteerzen im Raum Longwy-Briey.102 So ging Stellwaag bezeichnenderweise mit jenem Themenfeld in die nationale Bergbauliteratur ein, mit dem er sich bereits während des Ersten Weltkrieges im Rahmen der Kriegszielpolitik der deutschen Eisen- und Stahlindustrie intensiv beschäftigt hatte. Es wäre zu wünschen – und die vorliegende Neuauflage mag dazu beitragen – dass die Ergebnisse der Wissenschaftlichen Kommission künftig eine stärkere Beachtung für die historische Kriegswirtschaftsforschung erfahren. Denn die deutsche Eisen- und Stahlindustrie im Ersten Weltkrieg ist mehr als ein Kapitel der Branchengeschichte dieser traditionellen Leitindustrie. Das Buch von Alfred Stellwaag 99 PAAA, R 65238. 100 Stahlwerks-Verband, 25 Jahre Stahlwerks-Verband (wie Anm. 48), S. 16. 101 Reichert, Der Erste Weltkrieg (wie Anm. 83), S. 7. 102 Dieter Ziegler (Hrsg.) Rohstoffgewinnung im Strukturwandel. Der deutsche Bergbau im 20. Jahrhundert. (Geschichte des deutschen Bergbaus, Bd. 4) Münster 2013, S. 44f.



„Die deutsche Eisenwirtschaft während des Krieges“ von Alfred Stellwaag 

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rückt weitere Forschungsfelder in den Fokus. Aufgrund ihrer kriegswirtschaftlichen Bedeutung, ihres hohen Organisationsgrades nach innen und außen, der Wirkungsmächtigkeit ihrer Organisationen und nicht zuletzt des politischen Einflusses führender Montanindustrieller seit der Zeit von „König Stumm“ war die Schwerindustrie die führende Industriebranche des deutschen Kaiserreichs im Frieden und im Krieg. Zumindest einzelne, auch in der Montanindustrie tätige Zeitgenossen, sahen die deutsche Schwerindustrie schon in der Zeit des Weltkrieges mit kritischem Blick. So erinnert sich der Verfasser sehr deutlich an die Worte seines verstorbenen Großvaters Ludwig Scherer, dessen Berufslaufbahn im Berg- und Hüttenwesen vor 1914 auf einer Erzgrube von Buderus begonnen und im Mannesmann-Konzern zum Abschluss gekommen war, der zu seinen Lebzeiten sagte: „Ich hätte mich im Ersten Weltkrieg nie freiwillig gemeldet, ich hatte keine Lust für Krupp zu sterben“. Zu den Höhepunkten des Werkes Stellwaags zählt seine bemerkenswerte Feststellung zu den letzten Kriegsmonaten: „Es kam in der Tat für die Entscheidung des Krieges nicht mehr in Betracht, ob die Eisenproduktion sich hielt oder fiel [...]. Im August war nicht nur die Entscheidung auf dem Kriegsschauplatz gefallen, sondern auch die Kriegswirtschaft entscheidend getroffen worden.“103 Allein anhand dieser Tatsachenfeststellung wird deutlich, weshalb seine äußerst gründliche Darstellung der deutschen Eisenwirtschaft im Weltkrieg nie das Licht der Welt erblicken sollte.104

103 Stellwaag, Eisenwirtschaft (wie Anm. 80), S. 237. 104 Für ihre wertvolle und verständnisvolle Unterstützung danke ich zunächst meiner Frau Ulrike Haus. Ebenfalls danke ich Frau Dr. Anke Beck von der Geschäftsführung des Verlages Walter de Gruyter für ihren Hinweis auf das Verlagsarchiv und ihr Interesse an den 1922 unterdrückten Bänden des Herausgebers Max Sering. Besonderer Dank gebührt auch Herrn Dr. Markus Pöhlmann vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam für seine substanziellen Informationen und Hinweise. Herrn Dr. Gerhard Keiper und Herrn Dr. Martin Kröger vom Politischen Archiv des Auswärtigen Amts in Berlin danke ich sehr für ihre überaus hilfreiche Unterstützung. Stellvertretend für die Damen und Herren an den verschiedenen Standorten des Bundesarchivs möchte ich mich bei Herrn Kurt Erdmann und Frau Andrea Meier in Freiburg und Herrn Michael Schelter in Berlin bedanken. Besonderen Dank verdienen auch Herr Prof. Dr. Manfred Rasch und Herr Andreas Zilt vom thyssenkrupp Konzernarchiv in Duisburg. Sehr dankbar bin ich ebenso Frau Dr. Eva-Marie Felschow vom Universitätsarchiv in Gießen, Herrn Dr. Herbert Kaden vom Universitätsarchiv in Freiberg und Herrn Alexander Zahoransky vom Universitätsarchiv in Freiburg. Auch danke ich Frau Rosemarie Riedel-Quart und Herrn Olivier Netter in Berlin für ihre liebenswürdige Unterstützung sowie Herrn Dr. Wolf von Tirpitz und Herrn Dietmar Bödecker. Dank gebührt gleichfalls den Damen und Herren der Bibliothek des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam, der Bibliothek der Archivschule Marburg, besonders Frau Monika Oehme sowie der Bibliothek des Stahlinstitutes VDEh in Düsseldorf, hier insbesondere Frau Marina Lopez und Frau Petra Svenson. Für ihr Engagement bei der Realisierung des Publikationsvorhabens danke ich Herrn Konstantin Götschel und Herrn Florian Hoppe vom Verlag Walter de Gruyter. Darüber hinaus danke ich allen, die mich durch Hinweise oder die Zurverfügungstellung von Fotos unterstützt haben sehr herzlich.

Uwe Balder

Spinnstoffwirtschaft im Ersten Weltkrieg „Zum Hintergrund der Studie Otto Goebels“1 Im Jahr 1922, vier Jahre nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg, erschien der sechste Band2 aus der Reihe „Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918“. Otto Goebel untersuchte unter Mitarbeit von Robert Schlösser3 und Ernst Wiedemann4 die „Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe“. Der studierte Volkswirt Goebel (1872–1955) begann seine Laufbahn als Handelssachverständiger im deutschen Generalkonsulat in St. Petersburg, wurde danach Handelsattaché und Ende 1915 in die Wissenschaftliche Kommission des preußischen Kriegsministeriums berufen, wo er als Kriegsreferent tätig war.5 Die vom Kriegsministerium in Auftrag gegebene und finanzierte Reihe sollte „in streng geschichtlicher Darstellung die wirtschaftlichen Maßnahmen des Kriegsministeriums während des Krieges schildern“ sowie „die volkswirtschaftlichen Voraussetzungen und Wirkungen der deutschen Heereswirtschaft untersuchen.“ Band 6 war „in der Absicht des Lernenwollens aus den Fehlern der Vergangenheit […] geschrieben“ und sollte die Vorgänge der Kriegszeit schonungslos aufarbeiten. Im Verständnis der Autoren sollte die vorliegende Darstellung keine politischen Rücksichten nehmen, keiner Interessengruppe dienen. Nur wenn die Analyse ergebnisoffen gestaltet

1 Ich danke meiner Kollegin Julia Schnaus für wertvolle Hinweise zu den Ursprüngen der deutschen Bekleidungsindustrie. Am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Regensburg promoviert sie derzeit über die Geschichte der deutschen Bekleidungsindustrie seit dem Ersten Weltkrieg. 2 Bd. 3 der vorliegenden Edition. 3 Der Diplom-Kaufmann Schlösser wurde 1892 geboren (Sterbedatum unbekannt) und publizierte zwischen 1916 und 1939 durchweg zu verschiedenen Aspekten des deutschen Konsumgenossenschaftswesens. Biographische Angaben und Publikationsliste online unter: d-nb.info/gnd/117329711 (letzter Zugriff: 8. April 2016). 4 Vermutlich handelt es sich um den promovierten Bayreuther Bankdirektor und Heimatkundler Ernst Wiedemann (1880–1968). Biographische Angaben, Publikationsliste und Nachlässe online unter: d-nb.info/gnd/1031581286 sowie www.deutsche-biographie.de/pnd1031581286.html (letzter Zugriff: 8. April 2016). 5 Geboren wurde Otto Heinrich Goebel in Reusrath (Rheinland) und starb in Bad Harzburg. Zwischen 1910 und 1945 publizierte Goebel zunächst über die sibirische Volkswirtschaft und die Lage der deutschen Kriegsgefangenen in Russland. 1917 erschien ein kurzer Vortrag über die „Rohstoffversorgung im Kriege“. 1930 fasste Goebel seine Erkenntnisse in der Monographie „Deutsche Rohstoffwirtschaft im Weltkrieg“ (hrsg. von der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden) zusammen. Nach Kriegsende 1918 lehrte Goebel bis 1937 an der Technischen Hochschule zu Hannover und widmete sich volkswirtschaftlichen Fragestellungen zum Taylorismus und der Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung. Biographische Angaben, Publikationsliste und Nachlässe online unter: d-nb.info/gnd/118695665 (letzter Zugriff: 8. April 2016) sowie Bundesarchiv (BArch) N 1678 (Nachlass Otto Goebel).



Spinnstoffwirtschaft im Ersten Weltkrieg 

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werde, könnten die gewonnen Erkenntnisse im Falle einer erneuten Krisensituation in effektivere kriegswirtschaftliche Maßnahmen einfließen.6 Der Band untergliedert sich in acht Großkapitel. Ausgehend von einem kompakten Überblickskapitel (Seite 1 bis 56) vertiefen die folgenden Kapitel die aufgezeigten Problemlinien in den Bereichen „Besetzte Gebiete“ (S. 57 bis 85), deutscher Rohstoffbedarf und dessen Deckung (S. 86 bis 118), verbandliche Struktur der Branche (S. 119 bis 146) und kriegsbedingte Betriebsschließungen (S. 147 bis 172). Abschließend untersuchen die Autoren die Frage nach Preisen und Gewinnen (S. 173 bis 310), Arbeitsverhältnissen (S. 311 bis 364) sowie Aufbau und Effizienz der Kriegswirtschaftsverwaltung (S. 365 bis 443). Die im Überblickskapitel angesprochenen Probleme und praktizierten Lösungsversuche sollen hier kontextualisiert und das publizistische und wissenschaftliche Ergebnis des Bandes evaluiert werden.

1 Vom Rohstoff zur Kleidung – die textile Wertschöpfungskette am Vorabend des Ersten Weltkrieges Zum besseren Verständnis der Regulierungs- und Lenkungsmaßnahmen während des Ersten Weltkrieges soll in einem ersten Schritt versucht werden, die in diesem Band recht schematische Einteilung der Textilwirtschaft in Industrie und Handel (etwa Kap. I, IV, VIII) entlang der Wertschöpfungskette Textilindustrie, Bekleidungsindustrie und Textileinzelhandel zu differenzieren. Die Textilwirtschaft, oder nach älterem Sprachgebrauch die Spinnstoffwirtschaft, beschreibt die mehrstufige, lineare Wertschöpfungskette „von der Fasererzeugung bis zum Verkauf des textilen Endprodukts an den Konsumenten.“7 Bis zum verkaufsfertigen Kleidungsstück sind sechs Stufen zu durchlaufen. Nach der Aufbereitung der natürlichen oder chemischen Spinnstoffe (Stufe 1) werden die Fasern zu Garnen versponnen (Stufe 2) und zu Geweben, Gewirken und Gestricken (Stufe 3) weiterverarbeitet. Nach der Textilveredlung (Stufe 4) werden die Textilien entsprechend ihrer Verwendung zu Bekleidung, Haustextilien oder technischen Textilien weiterverarbeitet (Stufe 5). Hier überlappen sich Textil- und Bekleidungsindustrie. Die Kernaufgabe der Bekleidungsindustrie bleibt die Verarbeitung der Textilien und Gewebe zum verkaufsfertigen Bekleidungsstück (Stufe 6). Das letzte Glied der Wertschöpfung bildet die Handelsstufe, über welche die textilen Fertigwaren an den Verbraucher gelangen. Obwohl die Textilindustrie mit ihren nach Rohstoffen klassifizierten Hauptbereichen Baumwoll-, Woll-, Jute-, Flachs-, Leinen-, Hanf- und Seidenindustrie zu einem der ältes6 Otto Goebel, Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe. (Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918, Bd. 3) Berlin/Boston 2016, S. 344. 7 Vgl. Dieter Ahlert, Handelsmanagement in der Textilwirtschaft. Einzelhandel und Wertschöpfungspartnerschaften. (Textilwirtschaft Management) Frankfurt am Main 2009, S. 41.

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 Uwe Balder

ten Gewerbe zählt und elementare Güter herstellt, bleibt ein wirtschaftsgeschichtlicher Branchenüberblick bislang ein Desiderat.8 Unbestritten ist, dass der Textilsektor eine Art Schrittmacherfunktion der frühen europäischen Industrialisierung übernahm. Er war eine der ersten Branchen, in der Schlüsselinnovationen die Produktionsprozesse nachhaltig vereinfachten und beschleunigten. Zunächst in Großbritannien und leicht verzögert im Deutschen Reich gelang der Übergang von Handarbeitsstuben zu maschineller Fabrikproduktion, der teilweise nur ein gradueller war, teilweise systematisch forciert wurde. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts verlor die Textilindustrie allerdings ihre Rolle als Taktgeber an die Eisen- und Stahl-, Maschinenbau-, Elektro- und Chemieindustrie.9 Am Vorabend des Ersten Weltkrieges stagnierte die deutsche Textilindustrie und verlor gerade im Vergleich zu Großbritannien an Boden. Auf der Insel arbeiteten in nur 6 000 Betrieben 1,2 Millionen Arbeiter an 67 Millionen Spindeln und einer Million mechanischer Webstühle; sie erzeugten Textilwaren im Wert von 4 Milliarden Mark. Das Deutsche Reich beschäftigte zwar fast ebenso viele Arbeiter, setzte diese aber in 27mal so vielen Betrieben ein. An 16 Millionen Spindeln und 500 000 mechanischen Webstühlen wurde eine Jahresproduktion im Wert von zwei Milliarden Mark erwirtschaftet. In Hinblick auf die Mechanisierungstiefe, Produktivität und Produktionsausstoß war das Deutsche Reich zwar an Frankreich vorbeigezogen, doch der Abstand zu Großbritannien war auch 1914 noch enorm. Wie Tabelle 5 zeigt, wirkten Konzentration und Mechanisierung in der deutschen Textilindustrie nur auf gewisse Sparten, andere blieben arbeitsintensiv und lockten Geringqualifizierte – insbesondere Frauen – vom Land in die Ballungsräume. Die deutsche Textilindustrie blieb vor 1914 durch hausgewerblich geführte Allein- und Kleinstbetriebe, besonders in den Bereichen Weberei, Strickerei und Posamenten, dominiert. Am stärksten mechanisiert waren die baumwollverarbeitenden Spinnereien. Hier gehörte jeder zweite Betrieb zu den Mittel- und Großbetrieben. Diese Gleichzeitigkeit von Fabrikindustrie und Hausgewerbe schlug sich auch in der Struktur 8 Grundlegend bleibt Alwin Oppel, Die deutsche Textilindustrie. Entwicklung – Gegenwärtiger Zustand – Beziehungen zum Ausland und zur deutschen Kolonialwirtschaft. Leipzig 1912. Eine konzise Darstellung bis Ende des 19. Jahrhunderts bietet – im Rahmen der DDR-Geschichtswissenschaften – Horst Blumberg, Die deutsche Textilindustrie in der industriellen Revolution. (Veröffentlichungen des Instituts für Wirtschaftsgeschichte an der Hochschule für Ökonomie, Bd. 3) Berlin 1965. Für die Zeit des Nationalsozialismus umfassend (jedoch ohne Beleuchtung der historischen Wurzeln der Branche) Gerd Höschle, Die deutsche Textilindustrie zwischen 1933 und 1939. Staatsinterventionismus und ökonomische Rationalität. (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beih. 174) Stuttgart 2004. Einen transnationalen Vergleich für die Nachkriegszeit als eine Art „Niedergangsgeschichte“ bietet Stephan H. Lindner, Den Faden verloren. Die westdeutsche und die französische Textilindustrie auf dem Rückzug (1930/45–1990). (Schriftenreihe der Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Bd. 7) München 2001. Daneben gibt es eine Vielzahl (Regional-)Studien zu (jüdischen) Textilindustriellen und ihren Unternehmen, etwa Jacob Toury, Jüdische Textilunternehmer in Baden-Württemberg 1683– 1938. (Wissenschaftliche Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts, Bd. 42) Tübingen 1984. 9 Christoph Buchheim, Einführung in die Wirtschaftsgeschichte. München 1997, 29ff., 45ff.; Hubert Kiesewetter, Industrielle Revolution in Deutschland. Regionen als Wachstumsmotoren. Stuttgart 2004, S. 162ff.



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Spinnstoffwirtschaft im Ersten Weltkrieg 

der Betriebsformen nieder. Im Geschäftsjahr 1911 zählte die Textilindustrie 357 Aktienund Kommanditgesellschaften – damit vereinigte die Branche knapp fünf Prozent des gesamtindustriellen deutschen Aktienkapitals auf sich. Die sich punktuell intensivierende Mechanisierung der Textilproduktion verstärkte zum ausgehenden 19. Jahrhundert auch die geographische Verlagerung der textilindustriellen Zentren von strukturschwachen (lohnniedrigen) Regionen in (lohnhöhere) Ballungsräume. Zwar arbeiteten noch 70 Prozent aller Beschäftigten in Preußen oder Sachsen, doch verloren diese Bundesstaaten allmählich ihre Dominanz. Aufsteigerregionen wie das Elsass, Bayern, Württemberg und Baden beschäftigten fast jeden vierten Beschäftigten der Textilindustrie.10 Tabelle 5: Betriebsstruktur der Textilindustrie im Jahr 1907 Branche/Zweig Gewerbe Textilindustrie, davon: Zubereitung Spinnerei Weberei Gummi- und Haarflechterei Strickerei und Wirkerei Häkelei, Stickerei, Spitzenfabrikation Bleicherei, Färberei, Druckerei, Appretur Posamentenfabrikation Seilerei Filzfabrikation

Gewerbebetriebe

AB

4 059 919 161 218 1 012 3 545 67 484 653 30 842 27 334 12 191 11 570 5 976 6 11

1 463 518 82 812 285 962 31 373 398 20 347 15 009 4 983 6 794 2 375 286

AB %

Personal

36 14 436 258 51 1 088 280 28 22 798 27 207 025 46 486 456 61 4 462 66 103.996 55 79 229 41 118 085 59 35 315 40 23 616 47 7 298

AB: Alleinbetriebe; AB %: Prozentualer Anteil der Alleinbetriebe an Gesamtzahl der gezählten Betriebe

Die historischen Wurzeln der nachfolgenden Produktionsstufe – der deutschen Bekleidungsindustrie – sind bis heute verhältnismäßig unerforscht.12 Kleidung und Schuhe wurden seit dem Mittelalter meist aus eigenen Ressourcen, eigener Arbeitskraft und ausschließlich für den Bedarf im eigenen Hause von Dienstmägden oder Hausfrauen gefertigt. In den Städten arbeiteten nicht selbstständige Schneider in Lohnarbeit, zuweilen 10 Oppel, Textilindustrie (wie Anm. 8), S. 2ff., 9f., 15ff., 24ff., 36ff. 11 Die Verarbeitung des Rohstoffes zum fertigen textilindustriellen Produkt (Garn, Gewebe) vollzieht sich in sechs unterschiedlichen Arbeitsschritten: Zubereitung, Spinnen (Spindel), Weben (Webstuhl), Färben/Bleichen, Drucken/Appretieren und Veredelung. 12 Ausnahmen bleiben beispielsweise die Darstellungen von Friedrich-Wilhelm Döring, Vom Konfektionsgewerbe zur Bekleidungsindustrie. Zur Geschichte von Technisierung und Organisierung der Massenproduktion von Bekleidung. (Europäische Hochschulschriften, Bd. 530) Frankfurt am Main 1992; Bruno Brie/Paul Schulze/Kurt Weinberg (Hrsg.), Kleidung und Wäsche in Herstellung und Handel. (Wissenschaft und Bildung, Bd. 24) Leipzig 1909.

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 Uwe Balder

im Auftrag von Privatpersonen oder öffentlichen Anstalten. Während die Handwerker in Kleinstbetrieben mit eigenen Werkstätten die Kleidung auf Bestellung produzierten, kann die Uniformherstellung in den preußischen Manufakturen, die bereits halbindustriell und in rationeller Arbeitsteilung arbeiteten, als Keimzelle der serienmäßigen Herstellung von Kleidung gelten.13 Steigende Löhne, eine Zunahme der Angestelltenverhältnisse und der Frauenerwerbsarbeit schufen die Voraussetzungen für eine nachfragestarke Konsumentenschicht in den Städten und machten eine Versorgung breiter Bevölkerungsschichten mit preisgünstiger, einheitlicher (Arbeits-)Kleidung möglich. Technische Errungenschaften, wie die seit Mitte des 19. Jahrhunderts fabrikmäßig hergestellten Singer-Nähmaschinen, verstärkten den Strukturwandel des Schneiderhandwerks hin zur industriellen Fertigung. Etwa seit den 1830er Jahren kann man von einer deutschen Bekleidungsindustrie – zeitgenössisch Konfektion genannt – sprechen, die die textilindustriellen Fabrikate der Webereien, Spinnereien und Veredler zu Bekleidungsgegenständen verarbeitete.14 Wie in der Textilindustrie schrumpfte die Zahl der Betriebe im Bekleidungsgewerbe während der Industrialisierungsphase von über einer Million auf rund 732 000, während die Beschäftigtenzahl um 1,3 Millionen schwankte, wobei etwa 200 000 Frauen als Heimarbeiterinnen arbeiteten. Insgesamt blieb auch die Bekleidungsindustrie zu knapp zwei Dritteln von Kleinstbetrieben dominiert (Tabelle 6). Da die Grenzen zwischen Handwerk, Bekleidungsherstellung und Verkauf an Letztverbraucher bis zum Ersten Weltkrieg fließend waren, unterschied die Statistik nicht genau zwischen fabrikmäßigen (Konfektion) und handwerklichen Betrieben (Schneider). Dies lag nicht zuletzt an den unterschiedlichen Entstehungskontexten bekleidungsindustrieller Betriebe. Manche Handwerksschneider vollzogen den Sprung in die industrielle Produktion. An den Standorten Bielefeld, Herford oder Mönchengladbach entschieden sich viele textilindustrielle Unternehmer und Großhändler eigene Bekleidungsfabriken zu gründen, und an anderen Orten sahen Einzelhändler die Chance ihren Betrieb auf Bekleidungsproduktion zu erweitern oder umzustellen. Die Bekleidungsindustrie war also eher dezentral organisiert, differenziert nach Qualitäten und Gebrauchszweck und oft geographisch günstig zwischen textilindustriellen Zentren und handelsintensiven Ballungsräumen gelegen. Die Damenoberbekleidung hatte ihre Zentren in Berlin und Breslau. Arbeitskleidung wurde in Mönchengladbach und Rheydt hergestellt, Wäsche in Bielefeld, Herford und dem sächsisch-thüringischen Vogtland. Herrenoberbekleidung entstand in Berlin (hochpreisig), Stettin, Breslau, Aschaffenburg, Elberfeld, Mönchengladbach (mittelpreisig) sowie dem Rheinland und Süddeutschland (preiswert). Die 13 Susan P. Ashdown (Hrsg.), Sizing in Clothing. Developing Effective Sizing Systems for Ready-towear Clothing. (Woodhead Publishing Series in Textiles, Bd. 64) Boca Raton 2007. 14 Brie verortet die Ursprünge der Konfektion in dem Bestreben der Manufakturwarenhändler, in Konkurrenz zu den Schneidern Paletots und Mäntel in eigenen Werkstätten auf Kundenwunsch und auf Lager zu produzieren. Die untereinander abgegrenzten Bereiche waren Damenmäntel, Mädchenmäntel- und Backfisch, Herren- und Knaben, Blusen, Kostüme, Jupons und Schürzen, Weißwaren und Pelze. Wäsche war eine eigene Kategorie neben der Konfektion. Siehe Brie/Schulze/Weinberg, Kleidung und Wäsche (wie Anm. 12) , S. 41–65.



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Spinnstoffwirtschaft im Ersten Weltkrieg 

Lodenfabrikation hatte ihren Mittelpunkt in Bayern, während Gummimäntel im Norden nachgefragt und in Berlin und Hamburg produziert wurden.15 Tabelle 6: Betriebsstruktur der Bekleidungsindustrie im Jahr 190716 Gewerbe Bekleidungsgewerbe, davon: a) Wäsche, Kleidung, Kopfbedeckung, Putz Näherei Schneiderei, Kleiderkonfektion Wäschekonfektion Putzmacherei Puppen Federschmuck Filzhut und Mützen Kürschnerei und Pelzwaren Handschuhmacher Krawatten und Hosenträger Korsett b) Schuhmacherei

Gewerbebetriebe

AB

AB %

Personal

732 650 510 655 110 429 334 059 9 637 15 695 1 798 7 918 3 014 5 070 19 383 2 463 1 189 221 995

482 844 342 754 90 938 213 244 5 795 7 444 1 118 4 855 1 309 2 197 13 424 1 734 696 140 090

66 67 82 64 60 47 62 61 43 43 69 70 59 63

1 303 853 934 247 128 424 600 128 48 233 42 743 3 788 23 062 20 641 18 232 32 767 7 585 8 644 369 606

AB: Alleinbetriebe; AB%: Prozentualer Anteil der Alleinbetriebe an Gesamtzahl der gezählten Betriebe

Um sich einen Eindruck vom Gewicht der Bekleidungsindustrie in Bezug auf Umsatz und Absatzmarkt zu machen, lohnt ein Blick auf Berlin, dem alles überragenden Fixpunkt der deutschen Konfektion.17 Am Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich die Berliner Bekleidungsindustrie zur Vorzeigeindustrie entwickelt, die mit ihren Produkten mit Paris und London auf dem Weltmarkt konkurrieren konnte. Neben Kostümen, Blusen, Schürzen, Jacken und Wäsche verband sich mit dem Begriff „Berliner Konfektion“ vornehmlich die Produktion von Damenmänteln. Bereits um die Jahrhundertwende differenzierte sich dann auch die Herrenkonfektion nach Qualität, Anlass und Mode ähnlich stark aus wie die Damenkonfektion. Allein die Berliner Damenmantelkonfektion umfasste 1906 rund 40 000 Heimarbeiterinnen mit einem durchschnittlichen Monatsverdienst von 83 Mark sowie bis zu 4 000 Zwischenmeister. Die Berliner Herrenkonfektion beschäftigte im gleichen Jahr 7 000 Arbeiter, davon jeweils 15 Ebd., S. 54f., 56ff. 16 Statistisches Reichsamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich (1909). Digitale Ausgabe. Göttingen 2006. Online unter: www.digizeitschriften.de/dms/toc/?PID=PPN514401303 (letzter Zugriff: 8. April 2016), S. 75–84. 17 Zur Geschichte und Ansiedlung der Berliner Konfektion: Nora Fiege, Berliner Mode und Konfektion in den 1920er Jahren. Neue Kleider für Neue Frauen? München 2009; Werner Dopp, 125 Jahre Berliner Konfektion. Berlin 1962; Erwin Wittkowski, Die Berliner Damenkonfektion. Leipzig/Berlin 1928; Moritz Loeb, Berliner Konfektion. 5. Aufl. Berlin 1905.

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 Uwe Balder

die Hälfte in eigenen Fabriken oder über Zwischenmeister. In der Knabenkonfektion waren 15  000 Heimarbeiter und 800 Zwischenmeister tätig.18 Berücksichtigt man, dass die Grenzen zwischen fabrizierenden Einzelhändlern und detaillierenden Fabrikanten schwerlich zu ziehen ist, entwickelte sich die Berliner Konfektionsindustrie in den drei Jahrzehnten seit 1880 sehr dynamisch. Die Umsätze der Berliner Damenkonfektion stiegen von 22,5 Millionen Mark (1872) über 100 Millionen Mark (1896) auf 200 Millionen Mark (1906).19 Im Jahr 1906 erwirtschaftete die gesamte Berliner Konfektionsindustrie mit mindestens 610 Firmen mehr als 400 Millionen Mark (Tabelle 7). Tabelle 7: Betriebe und Umsätze in Millionen Mark der Berliner Konfektion zwischen 1879 bis 1906 Konfektionsbranche Damen- und Mädchenkleidung Jupons, Blusen und Schürzen Weißwaren Kostüme, Röcke und Trikottaillen Herrenwäsche Damenwäsche Herren- und Knabenkleidung GESAMT

1879

1896

1906

Umsatz (1896)

Umsatz (1906)

55 71 46 23 35 42

171 151 75 68 45 55 82

200* 100**

100

200 50

272

200***

75

110****

80

647 mind. 610

mind. 405

(*) Damen- und Mädchenmäntel-Engroskonfektion; (**) Schürzen- und Juponkonfektion; (***) Kostüm-, Rock- und Blusenkonfektion; (****) 70 Herrenkonfektion und 40 Knabenkonfektion

Die entstandenen Kapazitäten der Textil- und Bekleidungsindustrie, die gestiegene inländische Nachfrage der Industriegesellschaft und die im Ausland nachgefragte Konfektion „made in Germany“ machten das Deutsche Reich zur Textilwerkstatt, die Textilrohstoffe gegen textile Fertigprodukte am Weltmarkt handelte. Zwischen 1875 und 1910 verdreifachte sich die Menge der eingeführten Rohbaumwolle.20 Der Anteil gewerblicher Fertigerzeugnisse am deutschen Export stieg von 50 auf 70 Prozent, wobei die Ausfuhr von Kleidung und Textilien absolut stieg, aber relativ gegenüber

18 Brie beziffert die Jahreslohnsumme von 40 000 Berliner Heimarbeitern (36 000 weiblich, 4 000 männlich) auf 40 Millionen Mark (1 000 Mark pro Heimarbeiter pro Jahr). Siehe Brie/Schulze/Wein­ berg, Kleidung und Wäsche (wie Anm. 12), S. 65. 19 Diese Umsatzzahlen beziehen sich vermutlich auf einen Bericht der Berliner Handelskammer über die Heimarbeit in Berlin im Jahr 1906. Siehe Brie/Schulze/Weinberg, Kleidung und Wäsche (wie Anm. 12), S. 65, Anm. 1. Für das Jahr 1896 benennt Hagen für die Damenkonfektion einen Umsatz von 120 Millionen mit 50 000 Beschäftigten nach Zahlen der Berliner Gewerbeausstellung. Siehe Eric G. Hagen, Die Geschichte des Verlages L. Schottlaender & Co. und der Zeitschrift „Der Konfektionär“. New York 1965, S. 2. 20 Cornelius Torp, Die Herausforderung der Globalisierung. Wirtschaft und Politik in Deutschland 1860–1914. (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 168.) Göttingen 2005, S. 86.



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 229

anderen Fertigerzeugnissen zurückging.21 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschlechterte sich das Außenhandelsklima deutlich. Zwischen 1901 und 1907 stiegen die Weltmarktpreise für Rohstoff- und Halbwarenimporte um 25 Prozent, während sich die im Export erzielbaren Preise im selben Zeitraum deutlich weniger stark, etwa um 10 Prozent, erhöhten und spätestens im Zuge der Marokko- und Balkankrisen (1904/06, 1911) deutlich fielen (Abbildung 19). Für die Berliner Konfektionsindustrie liegen konkrete Zahlen vor. Der Wert der Exporte nach Großbritannien brach von 63,1 (1901) auf 41,2 Millionen Mark (1904) ein. Die Ausfuhr an Kinder- und Damenkleidung in die USA verringerte sich von 102,8 (1890) auf 34,8 Millionen Mark (1904).22 Im Ergebnis schrumpften am Vorabend des Ersten Weltkrieges die Erlöse der exportorientierten Textil- und Bekleidungsindustrie auf dem Weltmarkt, die erhöhten Bezugskosten von Rohstoffen äußerten sich im Inland durch steigende Großhandels- und Verbraucherpreise.23

Abb. 19: Deutsche Import- und Exportpreise von Rohstoffen, Textilien und Kleidung, 1913=10024

Mit Blick auf die textile Handelsbilanz des letzten Vorkriegsjahres 1913 blieb das mengenund wertmäßige Handelsbilanzdefizit im Bereich Rohstoffe, Gewebe und Garne wie auch der Exportüberschuss im Bereich Fertigwaren (Kleidung und Wäsche) bestehen (Tabelle 8). Das Deutsche Reich war nach wie vor auf die Rohstoffversorgung durch seine 21 Buchheim, Wirtschaftsgeschichte (wie Anm. 9), S. 119ff. 22 Loeb, Berliner Konfektion (wie Anm. 17), S. 43. 23 Alfred Jacobs/ Hans Richter, Die Großhandelspreise in Deutschland von 1792 bis 1934, in: Sonderhefte des Instituts für Konjunkturforschung 37, 1935, S. 74–75. 24 Walther G. Hoffmann, Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1965, S. 606–609, 612–615.

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späteren Kriegsgegner USA, Britisch-Indien, Großbritannien und Russland angewiesen, besonders im Bereich der Rohbaumwolle, die 61 Prozent der Textilrohstoffimporte ausmachte. Die Textilindustrie exportierte Woll- und Baumwollgewebe nach Großbritannien, in die Niederlande oder die Schweiz. Knapp 30 Prozent aller Textilexporte entfielen auf die von der Bekleidungsindustrie produzierte Kleidung und Wäsche. Unterkleider, Strümpfe und Socken aus Baumwolle sowie Papier-, Seiden- und Wolllumpen gehörten zu den Hauptexportartikeln. Deutsche Exporte gingen in über 60 Länder weltweit, vor allem nach Großbritannien, in die USA und die Schweiz. Da die Exporterlöse deutscher Textilien und Kleidung sanken, wandte sich die Textil- und Bekleidungsindustrie unmittelbar vor Ausbruch des Weltkrieges stärker dem Inland zu.25 Der Großteil der produzierten Gewebe und Kleidung gelangte also in den inländischen Textileinzelhandel, der wirtschaftshistorisch bis auf Ausnahmen für das 20. Jahrhundert schlecht untersucht ist.26 Die Handelsstufe, zeitgenössisch Kleinhandel genannt, war ebenfalls im Laufe des 19. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Weltkrieges von einem Modernisierungsdruck erfasst worden. Wechselseitig beeinflusst von zunehmend industriell gefertigter Ware und einer wachsenden, kaufkräftigen Kundschaft, wandelte sich das deutsche Warendistributionssystem in einem ersten Schritt bis in die 1860er Jahre von einem handwerklich strukturierten zu einem zunehmend spezialisierten und differenzierten Verteilersystem unterschiedlicher Betriebsformen und Betriebsgrößen. In Großstädten und Ballungsräumen existierten neben den vorindustriellen Gemischtwarenhandlungen und Handwerksbetrieben nun auch kleine Fachgeschäfte, die sich auf bestimmte Textilgruppen spezialisierten und zunächst fast ausschließlich auf das kaufkräftige Bürgertum zielten. Die Mehrheit der Bevölkerung versorgte sich vornehmlich mit Alt- und Gebrauchtkleidung auf Märkten, ließ sie umnähen oder aufbessern, kaufte nur gelegentlich Garn, Gewebe oder manchmal einen Sonntagsanzug.

25 Zu den wenigen Importwaren gehörten Blusen, Schürzen, Unterröcke, Frauenkleider, Mieder, Hemden, Vorhemden, Hemdeneinsätze, Halskragen, Manschetten, Männer- und Knabenkleider, Putzwaren, sonstige genähte Baumwoll-, Woll- oder Seidenstücke. Vgl. Oppel, Textilindustrie (wie Anm. 8), S. 56f. 26 Grundlegende Studie zum Einzelhandel des 19. Jahrhunderts: Uwe Spiekermann, Basis der Konsumgesellschaft. Entstehung und Entwicklung des modernen Kleinhandels in Deutschland 1850–1914. München 1999; Weitere Arbeiten zur Entstehung des modernen Einzelhandels im 19. Jahrhundert: Heinz-Gerhard Haupt, Konsum und Handel. Europa im 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen 2003; Ulrich Pfister, Vom Kiepenkerl zu Karstadt: Einzelhandel und Warenkultur im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 87, 2000, H. 1, S. 38–66. Demnächst erscheint eine in die Branchengeschichte des Textileinzelhandels eingebettete Unternehmensstudie Mark Spoerer, C&A. Ein Familienunternehmen in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien 1911–1961, geplant 2016; zudem laufendes Dissertationsprojekt des Autors Uwe Bal­ der, Der deutsche Textileinzelhandel 1914 bis 1961 (Arbeitstitel), geplant 2017.



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 231

Tabelle 8: Textile Ein- und Ausfuhren im Jahr 1913 Gesamteinfuhr Tonnen in 1000 M 1 089 035 1 516 028

TEXTILBILANZ

Gesamtausfuhr Tonnen in 1000 M 485 368 1 208 832

Hauptpartner Import

Rohstoffe GESAMT Rohbaumwolle Jute und Jutewerg Flachs Hanf Kammgarn ungefärbte Rohseide Kunstwolle Kunstseide

783 982 1 042 260 477 945 607 124 162 063 93 997 71 633 58 785 48 651 35 567 14 837 69 919 3 895 154 691 3 395 3 394 1 563 18 783

117 483 48 371 7 822 36 184 7 903 11 356 88 4 962 797

178 961 56 003 4 122 19 119 5 950 75 685 3 020 5 178 9 884

USA BI R R GB I Ö-U B

113 454 44 461 12 552 1 191 23 387 31 863

387 083 26 163 31 255 3 391 200 234 126 040

GB GB B/Ö-U GB GB

Gewebe und Garne GESAMT Abfälle2 Baumwollgarn Leinengarn Wollgewebe1 Baumwollgewebe3

115 908 62 088 32 941 16 309 2 859 1 711

224 172 35 390 114 822 35 158 28 722 10 080

Kleidung und Wäsche (Baumwolle) GESAMT Mieder Männer-, Frauen-, Kinderwäsche Unterkleider Blusen, Schürzen, Unterröcke Frauen- und Mädchenkleider Strümpfe, Socken Männer- und Knabenkleider

245 60 57 32 31 29 24 12

2 752 961 568 155 344 434 203 87

18 291 696 908 6 746 825 389 8 267 460

144 091 4 798 9 404 36 128 8 310 5 372 76 595 3 484

Kleidung und Wäsche (Wolle, Seide, Sonstiges) GESAMT Papierlumpen Seiden- und Wolllumpen Putzwaren Männer- und Knabenkleider4 Frauen-, Mädchenkleider, Blusen, Schürzen, Unterröcke, Mieder4

72 992 61 732 10 998 104 54 43

22 672 12 964 4 399 1 273 760 733

122 686 82 655 34 107 1 644 751 2 797

111 614 16 106 21 017 14 673 8 547 41 982

F F

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 Uwe Balder

Frauen-, Mädchenkleider, Blusen, Schürzen, Unterröcke, Mieder4 Kleider, Wäsche, Putz5

33

2 231

64

3 662

28

312

668

5 627

F

(1) Kleiderstoffe, (2) bearbeitete Baumwolle, (3) gefärbt, bedruckt, bunt bewebt, (4) Wolle, (5) andere pflanzliche Spinnstoffe. Länderkürzel: R = Russland, Ö-U = Österreich-Ungarn, GB = Großbritannien, BI = Britisch-Indien; I = Italien; B = Belgien; F = Frankreich; CH = Schweiz, NL = Niederlande; USA = Vereinigte Staaten von Amerika

Zwischen 1860 und 1890 überstieg das Wachstum der Einzelhandelsbetriebe deutlich das Bevölkerungswachstum, der Wettbewerb zwischen alten und neuen Betriebsformen intensivierte sich. Die steigende Nachfrage durch die fortschreitende Urbanisierung und die Lockerung des Gewerberechts ließen neben kleinen Läden bald neue Betriebsformen entstehen. Konsumvereine, Filialgeschäfte, Magazine, Kauf- und Warenhäuser weckten gleichzeitig einen neuen Bedarf und bedienten die hohe Nachfrage nach Textilprodukten. Dem extensiven folgte ab den 1890er Jahren ein intensives Wachstum. Die von Großbetrieben vorgeführte innerbetriebliche Rationalisierung (Einkaufszentralisierung, hoher Lagerumschlag, Sortimentsschwerpunkte, Barzahlung, Buchführung) löste einen Modernisierungsschub in manchen Betrieben des Kleinhandels aus, der in Teilen auch in die Textil- und Bekleidungsindustrie zurückwirkte. Diese differenzierten Handelsstrukturen und die neuen Wettbewerbsimpulse halfen, den entstehenden Massenmarkt mit industriell gefertigten Waren schneller, zielgerichteter und günstiger zu versorgen.27 Ungeachtet dieser Tendenz zur Modernisierung blieb der Textileinzelhandel vor 1914 mehrheitlich ein Handel mit Stoffen und losen Textilien. Konfektionierte Kleidung und Wäsche hatten ihren Anteil jedoch steigern können. Tabelle 9: Betriebe und Personal im Textileinzelhandel im Jahr 1907 Einzelhandel mit Handelsgewerbe Groß- und Einzelhandel (mit Saarland) Spinnstoffe, Textilwaren, Bekleidung, Schuhwaren, Teppiche und Tapeten, davon: Manufaktur-(Schnitt-)waren Strümpfen, Trikotagen, Kurz- und Galanteriewaren Wäsche Männer-, Frauen- und Kinderkleidung Hüte und Mütze Putzwaren Posamenten

27 Spiekermann, Konsumgesellschaft (wie Anm. 26), S. 614–621.

Betriebe

Personal

1 088 298 2 063 634 925 117 1 723 499 104 517 307 807 51 801 18 324 8 172 6 853 3 173 3 055 2 432

176 187 57 850 24 440 22 143 7 188 11 145 9 420



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 233

Jedes zweite Geschäft im Textileinzelhandel bezeichnete sich als Manufaktur- und Schnittwarenhändler. Jedes vierte Geschäft handelte mit konfektionierten Trikotagen-, Strumpf- oder Wäschewaren. Von über 100 000 in der Statistik erfassten Textileinzelhandelsbetrieben waren nur knapp sieben Prozent reine Konfektionsgeschäfte für Oberbekleidung. Über 57 Prozent aller Beschäftigten im Textileinzelhandel arbeiteten in Manufaktur- und Schnittwarengeschäften. Aber schon jeder dritte Beschäftigte verkaufte konfektionierte Waren in Strumpf-, Trikotagen-, Wäsche- oder Konfektionshäusern (Tabelle 9). Die Grenzen zwischen Einzel- und Großhandel verschwammen, Produzenten übernahmen Handelsaufgaben, Einzelhändler umgingen den Großhandel oder integrierten Produktionsabläufe. Besonders die Handelsgroßbetriebe übten auf die Lieferanten ungekannten Preisdruck aus. In der Folge tendierte die Textil- und Bekleidungsindustrie zu preisgebundenen Markenartikeln oder Preiskartellen (Konventionen) die Lieferungs- und Zahlungsmodalitäten betreffend. Auf diese Entwicklung und auf den Wettbewerbsdruck neuer Betriebsformen reagierte der mittelständische Handel ab den 1890er Jahren mit zunächst lokaler, später überregionaler Verbandsarbeit. Diese war jedoch regional zu zersplittert und zwischen den Fachsparten und den Betriebsformen zu zerstritten, als dass von einer einheitlichen Interessenvertretung des Textileinzelhandels vor 1914 gesprochen werden kann. Die Probleme des Bezugscheinsystems, der Warenzuteilung und der eskalierende Konditionenstreit im Verlauf des Ersten Weltkrieges führten letztlich zum entscheidenden Anlauf zum Zusammenschluss des Einzelhandels unter Führung des Textilhandels.28

2 „Textile Kriegswirtschaft“ – Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe Nach Jahren des Schattendaseins gerät die Wirtschaftsgeschichte des Ersten Weltkriegs wieder zunehmend in den Fokus aktueller Forschung. Dabei ist der ökonomische Zäsurcharakter dieser „Urkatastrophe“ unumstritten.29 Der Ausbruch des Krieges beendete eine stetige Wachstumsphase mit Raten um zwei Prozent. Die mit Beginn der Mobilmachung eingeleiteten Umstellungs- und Anpassungsprozesse führten trotz Rationalisierungsmaßnahmen zu einem Einbruch bei Produktion und Produktivität. Dem Deutschen Reich gelang es über die gesamte Kriegsphase deutlich 28 Josef Wein, Die Verbandsbildung im Einzelhandel. Mittelstandsbewegung, Organisationen der Großbetriebe, Fachverbände, Genossenschaften und Spitzenverband. (Untersuchungen über Gruppen und Verbände, Bd. 8) Berlin 1968. 29 Sammelbände neueren Datums etwa Dieter Ziegler (Hrsg.), Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg. Trends der Forschung, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 56, 2015, H. 2, S. 313–324; Stephen N. Broadberry (Hrsg.), The Economics of World War I. Cambridge 2005.

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 Uwe Balder

schlechter als seinen Kriegsgegnern, die eigenen Arbeitskräfte, Rohstoffe, Maschinen und Unternehmen zielgerichtet einzusetzen bzw. genügend auszulasten. Produktionssteigerungen in wenigen kriegsrelevanten Bereichen standen dramatische Produktionseinbrüche in vielen kriegsunwichtigen Bereichen entgegen. So ging das deutsche Sozialprodukt pro Kopf um 30 Prozent zurück, die Produktionsleistung der Textilindustrie brach um mehr als 80 Prozent ein.30 Mit dem vorliegenden Band von Goebel verfügen wir nun erstmals über eine umfassende, zeitgenössische Untersuchung der Einwirkungen der regulativen Maßnahmen auf die deutsche Textilwirtschaft. Eingehend bestätigen die Autoren den wissenschaftlichen Befund, dass es für den Textilsektor kein konsistentes Konzept zur ökonomischen Vorbereitung eines langen Krieges gab. Zwar überraschte nicht der Ausbruch des Krieges selbst, wohl aber seine Dauer und Intensität, die das Deutsche Reich bald zu überfordern drohten.31 Die Umstellung auf textile Kriegswirtschaft vollzog sich zunächst auf Grundlage der Erfahrungen vorangegangener Kriege. Mit Kriegsbeginn lag die exekutive Gewalt beim preußischen Kriegsministerium sowie den ihm untergeordneten Generalkommandos auf lokaler Ebene. Der Zugriff jener Stellen auf Unternehmen und deren Bestände war auch hier zunächst „weich“, d.h. es wurden keine Waren beschlagnahmt, die Unternehmen bestimmten über ihre Produktion und verhandelten mit den militärischen Beschaffungsstellen zu Kriegsbeginn relativ frei über Preis und Menge. Den Behörden fehlte es zu Kriegsbeginn an einem Gesamtüberblick. Zwar waren Ein- und Ausfuhrmengen statistisch erfasst, doch über die lagernden Mengen und Qualitäten im Land selbst, den Anteil der entbehrlichen Vorräte oder den konkreten Bedarf zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Verwaltung, Landwirtschaft und der Zivilversorgung hatte man keinerlei Anhaltspunkte. In den ersten Kriegswochen explodierte indes die staatliche Nachfrage nach Uniformen, Wäsche und Wolldecken, denn die eingezogenen Männer wollten eingekleidet werden. Die Beschaffung für das erste Halbjahr lief dezentral und ungesteuert über lokale Kriegsbekleidungsämter. Eine Preisobergrenze oder eine Bevorzugung von Heeresaufträgen existierte nicht, Lieferanten mussten ihre Leistungsfähigkeit nicht nachweisen. Die militärischen Beschaffungsstellen kauften dort wo Ware vorhanden war, zunächst ohne Rücksicht auf Preise. Nutznießer waren Industrielle, die ihre Produktion schnell hochfahren konnten und Händler, die ausreichende Bestände auf Lager hatten. Der Band unterstellt hier ein insgesamt gutes Geschäft für Industrie und Handel. Dieses mag in Ausnahmen zutreffen, doch heute wissen wir, dass die Unternehmen mehrheitlich versuchten, die gestiegenen Kosten für Inputs durch entspre-

30 Mark Spoerer/Jochen Streb, Neue deutsche Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts. München 2013, S. 29f.; Albrecht Ritschl, The Pity of Peace. Germany’s Economy at War, 1914–1918 and beyond, in: Broadberry (Hrsg.), World War I (wie Anm. 29), S. 41–76. 31 Vgl. Christopher Clark, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. München 2013.



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chende Preiserhöhungen zu kompensieren.32 Der Band schärft unseren Blick dafür, dass die Bekleidungsindustrie und der Handel zunächst deutlich bessere Geschäfte gemacht zu haben scheinen, denn die Textilindustrie saß aufgrund der hohen Rohstoffpreise auf niedrigen Lagerbeständen, während die Kaufzurückhaltung der Bevölkerung in den vorangegangenen Jahren in der nachgelagerten textilen Wertschöpfungskette für gut gefüllte Lager gesorgt hatte. Wie die Autoren herausarbeiten, kam erschwerend hinzu, dass die Angaben der Unternehmen über lagernde Vorräte 50 Prozent über den tatsächlich brauchbaren Mengen lagen. Entweder waren sie für militärische Zwecke ungeeignet, wurden nicht beschlagnahmt, blieben dem Export vorbehalten oder Handel und Industrie deklarierten ihre Stoffvorräte erfolgreich als „für Heeresbedarf ungeeignet“, da die bei privaten Konsumenten zu erzielenden Preise höher waren. Neben dem Aufkauf im Inland befindlicher Textilien und Kleidung über den Privatmarkt blieb die Sicherung der Rohstoffbasis die größte Aufgabe der Textilbewirtschaftung. Der Kriegsausbruch schnitt den deutschen Textilsektor von seinen Haupthandelspartnern Großbritannien und dessen überseeischen Kolonien sowie Frankreich und Russland ab. Zunächst milderten die Einfuhren aus den USA und Italien die Knappheit, doch die britische Seeblockade belastete die Textilimporte übermäßig stark.33 Die Ersatzlieferungen durch neutrale Staaten waren – wie die Autoren nachweisen – nicht in der Lage, diesen Ausfall zu kompensieren. Diese Textilgeschäfte beschränkten sich auf illegalen Tauschhandel (Rohstoff gegen Kohle) oder den Rohstoffimport gegen den Export von Fertigbekleidung (Türkei, Bulgarien). Vor dem Hintergrund des verminderten Rohstoffzuflusses wurde Mitte August 1914 unter Mithilfe der Privatwirtschaft ad hoc die Kriegsrohstoffabteilung (KRA) eingerichtet. Die Kriegsrohstoffbewirtschaftung gilt angesichts des zu dieser Zeit unzureichenden staatlichen Lenkungsapparates als eine Art Notmaßnahme auf Initiative der Industrie- und Handelsunternehmen, mit Hilfe derer über sogenannte Kriegsgesellschaften die verbliebenen Rohstoffbestände erhoben und in kriegswichtige Produktionsbereiche gelenkt werden sollten.34 Auf dem Textilsektor, so zeigt der Band, wirkte sich die Einrichtung der KRA deutlich positiv aus. Es gelang, die Bestände exakter zu erheben und den Produktions- und Beschaffungsprozess zu harmonisieren. Dafür setzte die KRA ab Dezember 1914 Höchstpreise fest und monopolisierte zunehmend den Rohstoffankauf. Wie die Autoren darlegen, waren Höchstpreise seitens des KRA zunächst nicht geplant, aber angesichts der Preisexplosion von Textilrohstoffen schließlich unausweichlich.35 32 Werner Plumpe, Die Logik des modernen Krieges und die Unternehmen. Überlegungen zum Ersten Weltkrieg, in: Ziegler, Kriegswirtschaft (wie Anm. 29), S. 336f. 33 Gerd Hardach, Der Erste Weltkrieg. 1914–1918. München 1973. 34 Vgl. Marcel Boldorf, Wirtschaftliche Organisation und Ordnungspolitik im Ersten Weltkrieg, in: Marcel Boldorf/Rainer Haus (Hrsg.), Die Ökonomie des Ersten Weltkriegs im Lichte der zeitgenössischen Kritik. (Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918, Bd. 4) Berlin/Boston 2016, S. 139–173. 35 Goebel, Spinnstoffe (wie Anm. 6), S. 58ff., 142ff.

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 Uwe Balder

Tabelle 10: Textile Rohstoffpreise in Mark zwischen 1908 bis 1917 1908 Wolle Wolle2 Baumwolle3 Baumwollgarn4 Baumwollgarn5 Leinengarn6 Rohseide7 Hanf8 Rohjute9 Rohkautschuk10 1

1909

1910

1911

1912

1913

1914

1915

316,3 348,3 336,7 330,0 344,2 169,6 446,3 640,0 375,9 407,8 434,2 405,8 406,6 445,7 612,5 930,0 107,2 119,8 151,7 134,8 120,2 129,5 131,1 – 6,0 6,1 7,2 6,8 6,3 6,6 6,8 10,0 16,6 15,4 16,9 15,8 15,0 14,8 15,1 21,2 2,5 2,1 2,4 2,6 2,5 2,6 2,6 3,7 45,8 47,4 46,6 45,5 42,8 46,8 50,3 55,7 67,0 68,0 72,6 76,1 87,5 88,5 94,4 66,5 52,7 48,8 64,2 69,2 78,0 91,7 5,2 7,0 10,8 7,1 7,2 4,6 3,7

1916

1917

25,4 4,4 6,12 94,4 145,7

(1) 1dz, Berlin, norddeutsch; (2) 1dz, Bremen, argentinisch; (3) 1dz, Bremen, englisch; (4) 1kg, Krefeld, Nr. 40–120; (5) 1kg, Krefeld, englisch, Nr. 130–200; (6) 1kg, Bielefeld, englisch Nr. 30; (7) 1kg, Krefeld, italienisch, 18/20; (8) 1dz, Lübeck, russisch; (9) 1dz, Hamburg; (10) 1kg, Hamburg, Kamerun

Im Vergleich mit 1913 waren die Weltmarktpreise für Wolle, Baumwollgarn oder Rohseide zum Jahresende 1914 enorm angestiegen (Tabelle 10). Zunächst entschied sich die Militärbürokratie über die KRA nur Mengenkontingente festzulegen, aber nicht Preise zu regulieren und verband dies mit einem moralischen Appell an die Textilindustrie, die Preise nur „in normalen Grenzen“ zu erhöhen. Der nachgeordneten Bekleidungsindustrie waren Appelle zu wenig. Man befürchtete, dass Rohstofflieferanten und Verarbeiter die Kriegssituation einseitig ausnutzen könnten, um die Preise zu erhöhen und forderte daher bereits im Sommer 1914 staatliche Eingriffe, etwa Höchstpreise oder eine stärkere Besteuerung. Die sprunghafte Nachfrage der militärischen Bekleidungsämter und die Angstkäufe der Zivilbevölkerung wirkten unmittelbar auf die Rohstoffpreise zurück. Die einsetzende Rohstoffknappheit, geringe Lagerbestände, der Kriegsausbruch und die große Nachfrage führten zu deutlichen Preissteigerungen. Die Folge war das Entstehen eines Schwarzmarktes: „Wucher“ und „Schiebertum“ wurden bereits im Herbst 1914 zu Schlagworten, die die öffentliche Debatte bestimmten. Die ersten Höchst- und Richtpreise für Rohstoffe galten ab Weihnachten 1914, im Frühjahr 1916 erreichte der Preisstopp auch die Einzelhandelspreise. Die KRA gilt als „undoubtedly the most successful economic organization created by Germany during the war“36, auch weil es ihr gelang, die Folgen des Weltmarktabschnitts zumindest zu mildern – einerseits durch den Aufbau von Ersatzstoffindustrie, andererseits durch Umleitung des Handels in neutrale Nachbarstaaten.37 Für die Versorgung mit Textilien, so zeigt der Band, gilt dies nur bedingt. 36 Gerald D. Feldman, Army, Industry, and Labor in Germany, 1914–1918. Providence 1992, S. 51. 37 Grundlegend dazu Gerald D. Feldman, Armee, Industrie und Arbeiterschaft in Deutschland 1914–1918. Berlin 1985; Harald Wixforth, Die Gründung und Finanzierung von Kriegsgesellschaften



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In bislang ungekannter Deutlichkeit stellen die Autoren fest, dass der Zusammenbruch der Textilproduktion und -versorgung im Deutschen Reich bereits Ende 1914 kurz bevorstand. Eine Textilkrise mit allumfassenden Beschlagnahmen inländischer Bestände oder gar der Verstaatlichung deutscher Unternehmen konnte nur durch einen systematischen Textilraub in den besetzten Gebieten verhindert werden. Die textile Beutepolitik in Belgien (Verviers, Antwerpen, Gent) und Nordfrankreich (Lille, Roubaix-Tourcoing) war – wie die Autoren überzeugend nachweisen – überlebenswichtig für die deutsche Kriegs- und Zivilwirtschaft.38 In gewissem Sinne verschaffte also zunächst nicht die kriegswirtschaftliche Neuorganisation der Spinnstoffwirtschaft, sondern die Textilentnahme aus den besetzten Gebieten dem Deutschen Reich Ende 1914 eine „Atempause“ zur dringenden Erfassung und Koordinierung der eigenen inländischen Textilkapazitäten. Mit Jahresbeginn 1915 waren jedoch systematischere Eingriffe – angesichts von Rohstoffverknappung, Lohnkosten- und Verbraucherpreissteigerungen sowie dem eklatanten Fachkräftemangel – unausweichlich. Vor allem die Schwerindustrie und Rüstungsunternehmen drängten auf die Vereinheitlichung und Zentralisierung des Beschaffungs- und Produktionsprozesses. Für die Textilwirtschaft begann ein mehrstufiger Entmündigungsprozess. Der Band beschreibt zunächst detailliert den Übergang von der anfänglichen „Beutewirtschaft“ hin zu einer kombinierten „Beute- und Sparwirtschaft“.39 Sparen bedeutete Rationalisierung und Verzicht gleichermaßen. Der Zivilmarkt wurde bei der Belieferung benachteiligt, Schnittformen vereinheitlicht; Reparaturen, Ersatzstoffe und der schonende Umgang mit Kleidung waren Teil einer öffentlichen Propagandakampagne. Der Kriegswirtschaftsplan für Spinnstoffe leitete Anfang 1916 – nach Lesart des Bandes – den Übergang zur „vollen Planwirtschaft“ ein, die die Erzeugung und Verwendung einheimischer Alt-, Abfall- und Ersatzstoffe ins Zentrum stellte.40 Wolle, Flachs und Hanf wurden nun massiv als „heimische Ersatzstoffe“ beworben, die Baumwolle und Seide halbwegs gleichwertig ersetzten

während des Ersten Weltkrieges, in: Hartmut Berghoff (Hrsg.), Wirtschaft im Zeitalter der Extreme. Beiträge zur Unternehmensgeschichte Deutschlands und Österreichs im Gedenken an Gerald D. Feldman. München 2010, S.  81–105.; Momme Rohlack, Kriegsgesellschaften (1914–1918). (Rechtshistorische Reihe, Bd. 241) Frankfurt am Main 2001; Regina Roth, Staat und Wirtschaft im Ersten Weltkrieg. (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 51) Berlin 1997. Für den schwerindustriellen Sektor ausführlich: Stefanie van de Kerkhof, Public-Private Partnership im Ersten Weltkrieg? Kriegsgesellschaften in der schwerindustriellen Kriegswirtschaft des Deutschen Reiches, in: Hartmut Berghoff (Hrsg.), Wirtschaft im Zeitalter der Extreme. Beiträge zur Unternehmensgeschichte Deutschlands und Österreichs im Gedenken an Gerald D. Feldman. München 2010, S. 106–132. Zu Zusammenhängen vor dem Hintergrund sozialistischer Geschichtsschreibung Alfred Müller, Die Kriegsrohstoffbewirtschaftung 1914–1918 im Dienste des deutschen Monopolkapitals. Berlin 1955. 38 Goebel, Spinnstoffe (wie Anm. 6), S. 17. 39 Ebd., S. 13. 40 Ebd.

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Abb. 20: Aufruf zur Sammlung von Brennnessel als Ersatzspinnstoff, 1918

könnten. Die Autoren arbeiten jedoch detailliert heraus, dass die mit hohem propagandistischem Aufwand ausgeweitete Schafzucht die Nahrungssicherheit bedrohte. Millionen Reichsmark flossen in ertragsarme Flachsanbaugebiete in Schlesien, Bayern und Sachsen, wobei finanzieller Aufwand und rohstofflicher Ertrag in einem deutlichen Missverhältnis zueinander standen. Forschungsinstitute arbeiteten unter hohem Ressourceneinsatz an der Entwicklung von Spinnstoffen aus Torffasern, Typhaschilf,



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Ginster, Weidenbast und Alpengras. Holzfasern (Papiergarn) und Beimischungszwänge vermieden zwar eine garvierende textile Mangelversorgung, doch diese Neuund Weiterentwicklungen banden enorme Ressourcen an Kapital, Menschen und Energie. Sie waren damit der Zivilversorgung entzogen und brachten durchweg qualitativ minderwertige Baumwoll- oder Wollsubstitute auf den Markt.41 Die letzte Phase („Notwirtschaft“) markierte das Hilfsdienstgesetz Ende 1916. Mangel – an Rohstoffen, Produktionskapazitäten, Arbeitern – wurde nun der Antrieb allen Handelns. Die großflächigen Programme zur Zusammen- und Stilllegung von Betrieben trafen die Textilund Bekleidungsindustrie hart.42 Der Band zeigt darüber hinaus ausführlich, wie es Textilunternehmen gelang, sich den behördlichen Empfehlungen zu widersetzen, Entscheidungen in den Gremien zu verzögern und Gegensätze zwischen kriegswirtschaftlichen und lokalpolitischen Interessen geschickt auszunutzen, sodass schließlich der ambitionierte Plan am Gegeneinander „aller Interessensträger“ scheiterte.43 Obwohl Endglied jeder Spinnstoffwirtschaft, bleibt der Textileinzelhandel in diesem Band stark unterbelichtet. Damit folgt die zeitgenössische Analyse der kriegswirtschaftlichen Logik. Spinnstoffbewirtschaftung und Kriegswirtschaft hatten jedoch gravierende Auswirkungen auf die Bevölkerung, daher sollen hier auch die Einschränkungen des Konsumsektors für Kleidung und Textilien Beachtung erfahren. In den ersten Kriegswochen war einfache, robuste, billige Bekleidung gefragt. Jene Betriebe, die über ein breites Einkaufsnetzwerk und Sortiment verfügten – große Spezial- oder Warenhäuser – bemerkten die Folgen der stark erhöhten privaten Nachfrage im Zuge der Mobilisierung junger Männer bereits im September 1914. Der Einzelhandel mit modischer Bekleidung, teuren Stoffen und maßgefertigten Stücken erlebte dagegen einen Umsatzrückgang. Angesichts des Warenmangels und Preisdrucks limitierten die Behörden ab Sommer 1915 die unternehmerische Freiheit auf dem Markt schrittweise. Analog zur graduellen Einschränkung der Textil- und Bekleidungsindustrie lässt sich für den inländischen Handel mit Textilien und Bekleidung ein stufenweiser Bewirtschaftungsprozess erkennen. In einer ersten Phase zwischen Mai und Dezember 1915 mussten Handelsunternehmen ihre Bestände an ausrüstungsrelevanten Textilstoffen melden und Konfiskationen hinnehmen, weil Baumwoll- und Wollstoffe nur noch an das Militär gegeben werden durften. Mit der Einrichtung von Preisprüfungsstellen wurden die Händler bald in ihrer Preisgestaltungsfreiheit eingeschränkt. Das verhängte Ausverkaufsverbot für alle Arten von Textilien mitten im Weihnachtsgeschäft 1915 führte zu massiven Umsatzeinbrüchen, da es sich erstmals auch auf Fertigkleidung bezog. Die zweite Phase von Februar bis Juni 1916 war durch die Beschlagnahme sämtlicher Bekleidung ohne Rücksicht auf Rohstoff, Farbe oder Herstellung zur Sicherstellung der Ausstattung von Militär und öffentlichen Einrichtungen gekennzeichnet. Die Verschärfung betraf angesichts eines drohenden Winterkrieges hauptsächlich Winterstoffe aus den 41 Goebel, Spinnstoffe (wie Anm. 6), S. 19ff., 23f. 42 Feldman, Armee (wie Anm. 37), S. 223ff. 43 Goebel, Spinnstoffe (wie Anm. 6), S. 13, 118ff.

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Lagern der Bekleidungsfabrikanten. Dem Einzelhandel wurden geringe Mindestvorräte gewährt. Zeitgleich verhängten die Behörden einen Preisstopp, um Preissteigerungen infolge der Beschlagnahmen zu unterbinden, was jedoch nicht gelang. In der dritten Phase ab Juni 1916 beseitigten die Behörden die Reste des freien Marktes und räumten der zivilen Grundversorgung größeren Stellenwert ein. Die neugeschaffene Reichsbekleidungsstelle war berechtigt, alle beschlagnahmten Bestände, die das Militär nicht benötigte, gleichmäßig unter den zivilen Bezugsberechtigten zu verteilen. Zu diesen gehörten Krankenhäuser, verarmte Arbeiter oder uniformierte Beamte. Daneben lag die Hauptaufgabe in der Streckung der vorhandenen Vorräte. Streckung bedeutete, neben Aufrufen zu Sparsamkeit, das Verbot für Unternehmen „auf Lager“ zu arbeiten. Damit wollten die Behörden der verbreiteten Tendenz zur Zurückhaltung („Hortung“) von Textilwaren begegnen. Bezugscheine für den Verkauf von Textilien und Bekleidung für Endkunden wurde zum 1. August 1916 eingeführt. Händler verkauften weiterhin gegen Geld, doch die Kunden bekamen den Artikel nur gegen Vorlage eines Bezugscheins. Ausgenommen vom Bezugschein blieben Waren der „Freiliste“. Dies waren lagernde Damenkonfektion und alle modischen und hochpreisigen Textilien, Kunstfasern, Heimtextilien oder gebrauchte Kleidung. Mit diesen Maßnahmen war im Herbst 1916 das regulative System etabliert, welches durch zahlreiche Verordnungen angepasst, aber bis Kriegsende nicht grundlegend geändert wurde. Der Band unterschlägt, dass das Bezugscheinsystem alles andere als effektiv funktionierte. Während die Einführung der Bezugscheine in Großstädten gelang, kam es in den ländlichen Gebieten zu erheblichen Verzögerungen. Die Ausgabestellen waren mit der Ausgabe überfordert und wenig sachkundig. Der ländliche Handel erlebte einen dramatischen Umsatzeinbruch. Der Bezugschein war jedoch sehr erfolgreich in der Lenkung des Konsums auf hochwertige Konfektionskleidung. Da deutlich weniger Kunden die Geschäfte aufsuchten, waren die Händler gezwungen, Artikel in höheren Preislagen zu verkaufen, um ihre Umsätze stabil zu halten. Die beabsichtigte Steigerung der Nachfrage nach hochwertiger Konfektion konnte aber nur ein kleiner Teil des Textileinzelhandels bedienen. Die großen Spezialgeschäfte und Warenhäuser hatten durch ihr Berliner Kontaktnetzwerk frühzeitig von den Regulierungsplänen erfahren und entsprechend große Warenlager angelegt, die nicht unter die Bezugscheinpflicht fielen. Die beabsichtigten Wirkungen des Bezugscheins erfüllten sich damit auf Kosten der kleinen und mittleren Spezialfachgeschäfte. Wie der Band deutlich macht, war diese Verbrauchslenkung intendiert. Doch auch das Bezugscheinsystem sowie Rationalisierung und Lagerbereinigungen der Händler konnten nicht verhindern, dass bereits 1915 auf dem zivilen Textilmarkt Knappheit und Teuerung herrschten.44 Wie bewertet der Band nun die Erfolge der ergriffenen Bewirtschaftungsmaßnahmen? Die im Verlauf des Jahres 1915 einsetzende Beschlagnahme und Bewirtschaf44 Diese Kurzdarstellung ist dem Manuskript meiner Dissertation entnommen. Siehe Balder, Textileinzelhandel (wie Anm. 26).



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tung aller Spinnstoffe machte den Textilsektor von der Heeresverwaltung abhängig. Der Band weist immer wieder klar auf die fehlende Kompetenzabgrenzung zwischen Kriegsrohstoffgesellschaften, Beschaffungsstellen, Kriegsausschüssen und Lieferverbänden hin, die zu einer Aufblähung der Verwaltung des Verteilungsapparates führte. Es herrschte ein Durcheinander sich ergänzender oder widersprechender Gesetze, Verordnungen und Abmachungen. Die Textilwirtschaft sah sich Verkaufszwängen, Enteignungen, Bearbeitungs-, Preis- und Lohnvorschriften sowie monatlichen Bestandsaufnahmen ausgesetzt. Unternehmen mussten eigene interne Kriegswirtschaftsbürokratien aufbauen, die Belegscheine für Entnahmen und Verarbeitungen über alle Herstellungsstufen, Freigabescheine und Ausfuhrgenehmigungen beantragten. Das kriegswirtschaftliche System war, so das Fazit des Bandes, gekennzeichnet von einem strukturell intendierten Machtkampf zwischen dem Kriegsministerium und den halb privatwirtschaftlich organisierten Kriegsorganisationen. Damit wurde eine Konkurrenzsituation zwischen öffentlichem und zivilem Bedarf bewusst in Kauf genommen. Die Autoren waren sich darüber im Klaren, dass die in den Kriegsgesellschaften engagierten Unternehmer offen ihre im Markt agierenden Konkurrenten bei der Zuteilung von Kontingenten oder der Warenverteilung übervorteilten. Diesen strukturellen Nachteil des Public-Private-Partnership-Modells betrachtete man jedoch in Hinblick auf Flexibilität und Finanzierung als alternativlos. Nichtsdestotrotz kritisierten die Autoren immer wieder die Schwerfälligkeit der aufgeblähten Bewirtschaftungsbürokratie des Textilsektors als entscheidenden Grund für deren Ineffizienz. Trotz der Zentralisierungsprozesse existierte eine Vielzahl militärischer Beschaffungsstellen einfach weiter. Intendanturen, Kriegsbekleidungsämter, Bekleidungsinstandsetzungsämter und die Bekleidungsabteilung des Kriegsministeriums agierten oftmals auf eigene Rechnung, am tatsächlichen Bedarf vorbei oder gegen bestehende Vorschriften, wenn sie Textilwaren und Kleidung bezogen oder in Auftrag gaben.45 Der zivilen Reichsbekleidungsstelle mangelte es dagegen an politischer und struktureller Durchschlagskraft, und somit blieb der der zivile Bedarf über die gesamte Dauer des Krieges dem militärischen Bedarf nicht nur ideologisch, sondern auch organisatorisch untergeordnet.46 Entscheidend für die öffentliche Akzeptanz der regulativen Einschränkungen war die Frage nach der Höhe der Verbraucherpreise für Textilien sowie den erzielten Gewinnen der Industrie- und Handelsunternehmen. Mit Kriegsausbruch standen der gestiegenen Nachfrage unzureichende Produktionskapazitäten der Textil- und Bekleidungsindustrie gegenüber, die zugleich mit steigenden Betriebskosten konfrontiert war. Der Band bleibt gegenüber dem Erfolg der kriegswirtschaftlichen Preisregulierung zu Recht kritisch. Einerseits war es gelungen, die offiziellen Preise für Rohstoffe und Gewebe auf das Vier- bis Zehnfache des Friedensniveaus (1913) zu begrenzen. Dies galt den Regulatoren wie dem Autorenteam um Goebel bereits als 45 Goebel, Spinnstoffe (wie Anm. 6), S. 28–34, 316–27. 46 Ebd., S. 34, 339–341.

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Erfolg. Doch es gelang den Preisbehörden nie, die Kalkulation der Textilwirtschaft wirklich nachzuvollziehen und damit effektiv zu regulieren. Diese wurde entweder wie ein Staatsgeheimnis gehütet, oder es existierten – gerade im mittelständischen Einzelhandel – keine statistischen Grundlagen. Die Kalkulation blieb das Arkanum des Inhabers. Letztlich verursachte die Preisregulierung ein Wirrwarr an gültigen Preisen zu Lasten der Verwaltungseffizienz und des zivilen Konsumenten. Sie kostete den Staatshaushalt „hunderte Millionen Mark“ für Ankäufe, Umarbeitungen und Produktionsanreize.47 Die kriegswirtschaftliche Regulierung, so das zentrale Argument des Bandes, schuf immerhin bestimmte Anreizstrukturen für Industrielle und Händler, den Krieg als „Konjunkturperiode“ zu nutzen und dadurch Kriegsgewinne durch Übervorteilung von Staat und Kundschaft zu erzielen. Obwohl die Beschäftigung in der Textilindustrie während des Krieges um 90 Prozent sank, stiegen die Gewinne und Dividenden wesentlich. Die im Band dokumentierten Reingewinne und Dividenden von über 200 Textilaktiengesellschaften zeichnen ein deutliches Bild, auch wenn die fortschreitende Aufblähung der nominalen Geldwerte bedacht werden muss. Unter den hier untersuchten Branchen profitierte die Woll- und Bastfaserindustrie im Verhältnis zu anderen Textilbranchen überdurchschnittlich stark. Ihre (nicht preisbereinigten) Reingewinne lagen 1917 gegenüber dem Friedensjahr 1913 um über das Doppelte höher. Die Baumwollindustrie konnte nach anfänglichen Ertragssteigerungen ihr Friedensniveau bis 1917 halten. Diesem Trend folgten auch die ausgeschütteten Dividenden (Tabelle 11). Tabelle 11: Absolute Reingewinne und Dividenden der Textilindustrie in Millionen Mark 1913 bis 1917 sowie Steigerungen, 1913=100 1913

1914

1915

Reingewinn in Mill M 16,1 22,7 32,2 23,6 20,7 39,5 15,5 17,2 23,3 Dividende in Mill M Wollindustrie 10,8 11,0 14,1 Baumwollindustrie 13,0 10,5 15,6 Bastfaserindustrie 9,4 9,2 11,3 Wollindustrie Baumwollindustrie Bastfaserindustrie

1916

1917 1913

30,7 35,8 26,5

37,1 35,0 30,9

13,2 14,3 11,9

16,2 15,5 13,2

1914

1915

1916

Reingewinn 1913 = 100 141 200 190,7 87,7 167,4 151,7 111 150,3 171 Dividende 1913=100 100 101,9 130,6 122,2 100 80,8 120 110 100 97,9 120,2 126,6 100 100 100

1917 230,4 148,3 199,4 150 119,2 140,4

Das Nachsehen hatten nicht spezialisierte und nicht an Kriegsgesellschaften beteiligte oder mit ihnen assoziierte Betriebe. Dagegen machten hochspezialisierte Unternehmen im Bereich der Papierspinnerei oder Kunstseide, stark mechanisierte oder umfangreich lagernde Betriebe enorme Profite. Dabei bleibt einzuschränken, dass profitable Textilunternehmen ihre Gewinne – in Erwartung steigender Preise nach 47 Vgl. zur Vielfalt der Preisbildung und Preisregulierung ebd., S. 35–40, 141ff.



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Kriegsende – bewusst zurückstellten, um sich eine gute Ausgangsposition für den Frieden zu sichern. Die Autoren konnten auch zeigen, dass die Zahl der stillgelegten Betriebe in Industrie und Handel zwar signifikant war, doch fast alle durch hohe staatliche Zahlungen entschädigt wurden. Besonders die intransparenten Kalkulationsgrundlagen schufen eine Informationsasymmetrie zwischen Produzent (Industrie) und Abnehmer (Staat), die viele Betriebe zur Erzielung hoher Preise ausnutzten.48 Anders als in der Schwerindustrie waren verschleiernden Preisstellungen aber engere Grenzen gesetzt, weil die Endproduktpreise im hohen Maße vom regulierten Rohstoffpreis und weniger als etwa im Maschinen- oder Bergbau von Arbeitslohn und Betriebskosten abhingen. Rohstoff- und Fachkräftemangel, gesunkene Arbeitsproduktivität, mangelnde Innovationsimplementierung und Maschinenabnutzung durch Kunstfaserbearbeitung unterbanden zudem dringend notwendige Rationalisierungsschritte und belasteten das Textilgewerbe in den Jahrzehnten nach Kriegsende. Letztlich, so könnte man den Befund der Autoren zusammenfassen, gelang es den Produktionsbetrieben große Teile der Kosten der Bewirtschaftung an die nachgelagerten Wertschöpfungs- und Handelsstufen weiterzureichen. Die höheren Beschaffungskosten gaben die Textilunternehmen an die deutsche Bekleidungsindustrie weiter. Diese reagierte mit drastischen Lohn- und Arbeitszeitkürzungen sowie Entlassungen. Den einsetzenden Arbeitskräftemangel versuchte die deutsche Wirtschaft mit dem Einsatz von bis zu 2,5 Millionen Kriegsgefangenen und etwa 500 000 zivilen Zwangsarbeitern zu kompensieren. Konkrete Zahlen für das Textil- und Bekleidungsgewerbe sind allerdings nur bruchstückhaft überliefert.49 Im Hinblick auf die Erträge erlitt der Einzelhandel größere Einbußen als das produzierende Gewerbe. Handelsunternehmen befanden sich am Ende der textilen Wertschöpfungskette und bekamen die Produktions- und Absatzregulierungen über verschärfte Liefer- und Zahlungskonditionen zu spüren. Der Textileinzelhandel und die zivile Textilversorgung litten massiv unter dem Vorrang von Heeresaufträgen gegenüber zivilen Bestellungen in der Textil- und Bekleidungsindustrie. Spezialisierte Textilhändler (Abfall-, Lumpenoder Seidenhandel) oder solche mit hohen Lagerbeständen erzielten anfangs hohe Gewinne, manchen gelang es sogar als Heereslieferanten anstelle von Industriebetrieben öffentliche Aufträge zu akquirieren. Mit Einschränkung des freien Marktes verlor der Textileinzelhandel seine grundlegende Funktion als Vermittler zwischen Angebot und Nachfrage. Er wurde, so das Fazit des Bandes, zum technischen Erfüllungsgehilfen der Kriegswirtschaft. Textil- und Bekleidungsindustrie, nicht der Textileinzelhandel, waren die Hauptlieferanten der behördlichen und militärischen 48 Zur Principal-Agent-Problematik vgl. Marcel Boldorf, Wirtschaftliche Organisation und Ordnungspolitik im Ersten Weltkrieg, in: Marcel Boldorf/Rainer Haus (Hrsg.), Die Ökonomie des Ersten Weltkriegs im Lichte der zeitgenössischen Kritik. (Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918, Bd. 4) Berlin/Boston 2016, S. 139–173, hier S. 149f. 49 So setzte die Berliner Bekleidungsindustrie im Jahr 1915 etwa 1 600 vornehmlich polnische Arbeiter ein. Siehe Der Konfektionär, Nr. 37, 9.6.1915, 3. Beilage, 1/III.

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Beschaffungsstellen. Handelsunternehmen verloren ihre kaufmännische Freiheit in Bezug auf Lieferantenwahl, Wareneinkauf und Kalkulation und mussten sich nach Maßgabe der Kriegsgesellschaften auf Lagerung, Abrechnung und Verteilung der Vorräte beschränken. Während sich die Mehrheit der Händler auf die Versorgung des Zivilmarktes konzentrierte, versuchten einige wenige ihr Fachwissen als Angestellte, Sachverständige oder Kommissionäre der Kriegsbürokratie zur Verfügung zu stellen.50 Den Autoren des Bandes zufolge bereitete die Desorganisation der Kriegswirtschaft den Nährboden für opportunistisches, gewinnmaximierendes Verhalten der Industrie- und Handelsbetriebe auf Kosten der Allgemeinheit bzw. des Staates. Damit, so der implizite Vorwurf, verabschiedete sich auch die Spinnstoffwirtschaft vom Ideal des „ehrbaren Kaufmanns“, der nach zeitgenössischer romantisierender Vorstellung zuallererst der Gemeinschaft dienen sollte. Gerade in Kriegszeiten hätten Egoismen beiseite und die Einheit der Spinnstoffwirtschaft in den Vordergrund gerückt werden müssen. Industrie und Handel, so der Befund, handelten mit zunehmender Kriegsdauer immer weniger wie ehrbare Kaufleute, sondern erkannten die Chance der Profitmaximierung durch Klagen über die Verwaltungspraxis bei gleichzeitiger Zurückhaltung qualitativ guten Materials für Friedenszeiten oder illegaler Beimischung qualitativ schlechterer Stoffe bei Heeresaufträgen.51 Tatsächlich war die Textilwirtschaft als Teil der Konsumgüterindustrie in Hinblick auf Umsatz, Gewinn sowie Arbeitskräfte- und Rohstofflenkung im Vergleich mit der Rüstungsgüterindustrie benachteiligt. Doch innerhalb der Textilwirtschaft gelang es den Rohstoffimporteuren und der Textilindustrie, wie der Band überzeugend zeigen kann, durch Kartellierung und Verbandsarbeit die kriegswirtschaftliche Regulierung deutlich mehr in ihrem Interesse zu beeinflussen, als dies etwa in der nachgelagerten Bekleidungsindustrie oder dem Textileinzelhandel der Fall war.52 Diese waren deutlich weniger integriert. Eine nahezu unüberschaubare Anzahl von Verbänden, Vereinen, Kriegsausschüssen, Interessengemeinschaften von Kommunal- bis Reichsebene erschwerten eine akzentuierte Artikulierung der Brancheninteressen gegenüber den Behörden. Tatsächlich wirkten erst die Widrigkeiten der Kriegswirtschaft solidarisierend und erzwangen eine Annäherung. Und so war, wie der Band resümiert, die „Schulung der führenden Unternehmer zu gemeinsamer Arbeit im Sinne des Gemeinwohls, so schwer sie sich im steten Kampfe mit Einzelinteressen auch durchsetzte, eines der wichtigsten und bleibendsten Ergebnisse der Kriegswirtschaft.“53

50 Goebel, Spinnstoffe (wie Anm. 6), S. 41ff., 112, 192ff. 51 Die Anschuldigungen reichten von „unsolide“ und „unreell“ über „illegitim“, „wild“ und „spekulativ“ bis hin zu „gewissenlos“. Man warf sich gegenseitig vor, dass „Nichtfachleute“ die Branche durchdrungen hätten und damit einem „Schieberunwesen“ Vorschub leisteten. Siehe ebd., S. 152. 52 Ebd., S. 98ff., 112, 117ff. 53 Ebd., S. 44.



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Der Verdienst dieser Studie liegt in der offenen Sprache, die zu einer klaren Analyse der Mechanismen, Wirkungsweisen, Leistungen, aber auch Fehler der Regulierung des Textilsektors beiträgt. Das Resümee ist eindeutig: „Die Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe und Spinnstofferzeugnisse war reich an ungewohnten Aufgaben, an Versuchen, an Umwegen und an Fehlgriffen, ebenso reich aber auch an Erfahrungen und Erfolgen.“54 Das Deutsche Reich verabschiedete sich bewusst von freien Marktbedingungen und nahm eine textile Mangelwirtschaft in Kauf. Diese basierte auch auf der Ausbeutung ausländischer Gebiete und Zwangsarbeiter. Nur ein derartiger Ausgleich von Material und Personal verhinderte den totalen Kollaps. Goebel hält fest, dass „auf dem Spinnstoffgebiet jedenfalls die Kriegswirtschaft bis zum Kriegsende erfolgreich durchgeführt worden [ist]. Nicht ein Versagen der Spinnstoffbewirtschaftung [habe] zum vorzeitigen Kriegsabbruch geführt.“ Wie „erfolgreich“ die Bewirtschaftung war, hängt letztlich von der Perspektive ab. Aus Sicht der regulierenden Behörden gelang es trotz Weltmarktabschottung den Heeresbedarf, wie sich Goebel ausdrückt, „ohne bedenkliche Einschränkungen“ sicherzustellen. Das Resultat dieser Bevorzugung, des bürokratischen Nebeneinanders und der Lenkungs- und Verteilungsineffizienz sahen die Arbeiter- und Soldatenräte nach Öffnung der prall gefüllten Kleiderkammern am Kriegsende. Vom textilen Bewirtschaftungssystem profitierten maßgeblich die auf die kriegswirtschaftlichen Anforderungen umgestellten Produktionsbetriebe mit guten Verbindungen zu den behördlichen Regulierungsbehörden. Zugleich kämpfte die Textil- und Bekleidungsindustrie ungleich härter als der Handel um Fachkräfte und gegen Entlassungen und Stilllegungen. Die Zivilbevölkerung, als Konsumenten und Arbeitnehmer, sowie der durch die Kriegswirtschaft auf seine Verteilerfunktion reduzierte Textileinzelhandel bezahlten „in außerordentlich einschneidender Weise“ für diese Strategie.55 Die regulierenden Stellen nahmen damit die Folgekosten für den zivilen Einzelhandel in Kauf, der die erhöhten Bezugskosten nur unter Verlust in die Verkaufspreise kalkulieren durfte, da diese immer deutlicher unter den Einkaufspreisen lagen. Es war nicht der staatlichen Bewirtschaftung, sondern eher dem Grau- und Schwarzmarkt sowie den eigenen Reserven der bürgerlichen Haushalte zu verdanken, dass die textile Zivilversorgung letztlich nicht zusammenbrach.

54 Ebd., S. 14. 55 Ebd., S. 45.

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Wohnhaus von Professor Sering in Berlin-Dahlem, ca. 1925 © Privatarchiv Dr. Wolf von Tirpitz   13 Abb. 2: Ludwig Rüdt von Collenberg, ca. 1925 © Rüdt von Collenbergsches Familienarchiv   17 Abb. 3: Heinrich Voelcker © Universitätsarchiv Frankfurt am Main, UAF Abt. 854 Nr. 1780   26 Abb. 4: Walther Rathenau © Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, BS 20   31 Abb. 5: Kurt Wiedenfeld © Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, BS 2345   39 Abb. 6: Hermann Mertz von Quirnheim, März 1930 © Bundesarchiv, Bild 102-09425   55 Abb. 7: Verlagskonferenz der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger, 1919/20; v.l.: Oscar Schuchardt, Otto von Halem, Wilhelm von Crayen, Gustav Adolf von Halem, Walter de Gruyter © Anne-Katrin Ziesak, Der Verlag Walter de Gruyter 1749–1999. Berlin/New York 1999, S. 202   63 Abb. 8: Kriegsgefangenenlager Gießen während des Ersten Weltkrieges © Broschüre Kriegsgefangenenlager Gießen, Archiv des Kulturrings Heuchelheim-Kinzenbach e.V.   75 Abb. 9: Arnold Brecht, Anfang der 1920er Jahre © Fam. Brecht – Tessmer   78 Abb. 10: Verlagsanzeige im Börsenblatt des deutschen Buchhandels vom 7. August 1922   103 Abb. 11: Ludwig Cordes © Sammlung Dr. Rainer Haus   132 Abb. 12: Mobilmachung in Berlin, 1914 © Bundesarchiv, Bild 183-R19089   141 Abb. 13: Waggons mit Stacheldraht für die Front, 1915 © Bundesarchiv, Bild 183-R39605   170 Abb. 14: Robert Weyrauch © Württembergische Landesbibliothek Stuttgart Graphische Sammlungen, Por. Weyrauch, Rob.   175 Abb. 15: Frauen in einer Dreherei für Granathülsen (zwischen 1914 und 1918) Quelle: bpk – Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte, Bildnummer 50170593    185 Abb. 16: Alfred Stellwaag, Juni 1966 © Günter Kobbelt   194 Abb. 17: Jakob Wilhelm Reichert © Bildarchiv des Stahlinstituts VDEh, Düsseldorf, Bild A16.74   200 Abb. 18: Grube Abendstern © Sammlung Otmar Kippenberger   218 Abb. 19: Deutsche Import- und Exportpreise von Rohstoffen, Textilien und Kleidung, 1913=100 © Walther G. Hoffmann, Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1965, S. 606–609, 612–615   229 Abb. 20: Aufruf zur Sammlung von Brennnessel als Ersatzspinnstoff, 1918 © Bundesarchiv, Plak 001-010-030   238

Tabellenverzeichnis Tab. 1: Staatsquoten der kriegführenden Länder (in %) 1913–1918 Quelle: Stephen Broadberry/Mark Harrison, The Economics of World War I: An Overview, in: Stephen Broadberry/Mark Harrison (Hrsg.), The Economics of World War I. Cambridge 2005, S. 15   152 Tab. 2: Produktion wichtiger Industriebereiche (1913=100) Quelle: Wolfram Fischer, Bergbau, Industrie und Handwerk 1914–1970, in: Hermann Aubin/ Wolfgang Zorn (Hrsg.), Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 2: Das 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 1976, S. 798; Friedrich-Wilhelm Henning, Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands. Bd. 3,1: Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik 1914 bis 1932. Paderborn 2003, S. 75; Jürgen Kocka, Klassengesellschaft im Krieg. Deutsche Sozialgeschichte 1914–1918. (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 8) 2. Aufl. Göttingen 1978, S. 21; Stefanie van de Kerkhof, Von der Friedens- zur Kriegswirtschaft. Unternehmensstrategien der deutschen Eisen- und Stahlindustrie vom Kaiserreich bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Essen 2006, S. 244; alle bezugnehmend auf Rolf Wagenführ, Die Industriewirtschaft. Berlin 1933, S. 22ff.   154 Tab. 3: Deutsche Jahresproduktion in Montansektor (1910 bis 1920) Quelle: Paul Wiel, Wirtschaftsgeschichte des Ruhrgebiets. Tatsachen und Zahlen. Essen 1970,S. 127, 227, 238. Die Tendenz der Jahreswerte wird bestätigt bei Walther G. Hoffmann, Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Berlin 1965, S. 342, 354 (Jahreswert 1910 errechnet nach Hoffmann, Wachstum, S. 354). Vgl. auch: Gerald Feldman, Iron and Steel in the German Inflation, 1916–23. Princeton 1977, S. 52   155 Tab. 4: Transport wichtiger Rohstoffe durch die deutschen Eisenbahnen (1913=100) Quelle: Wolfram Fischer, Bergbau, Industrie und Handwerk 1914–1970, in: Hermann Aubin/ Wolfgang Zorn (Hrsg.), Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 2: Das 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 1976, S. 798   156 Tab. 5:  Betriebsstruktur der Textilindustrie im Jahr 1907 Quelle: Statistisches Reichsamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 30, 1909. Digitale Ausgabe. Göttingen 2006. Online unter: www.digizeitschriften.de/dms/ toc/?PID=PPN514401303 (letzter Zugriff: 8. April 2016), S. 75–84   225 Tab. 6: Betriebsstruktur der Bekleidungsindustrie im Jahr 1907 Quelle: Statistisches Reichsamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 30, 1909. Digitale Ausgabe. Göttingen 2006. Online unter: www.digizeitschriften.de/dms/ toc/?PID=PPN514401303 (letzter Zugriff: 8. April 2016), S. 75–84   227 Tab. 7: Betriebe und Umsätze in Millionen Mark der Berliner Konfektion zwischen 1879 bis 1906 Quelle: Moritz Loeb, Berliner Konfektion. 5. Aufl. Berlin 1905; Bruno Brie/Paul Schulze/Kurt Weinberg (Hrsg.), Kleidung und Wäsche in Herstellung und Handel. (Wissenschaft und Bildung, Bd. 24) Leipzig 1909   228 Tab. 8: Textile Ein- und Ausfuhren im Jahr 1913 Quelle: Statistisches Reichsamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 36, 1915. Digitale Ausgabe. Göttingen 2006. Online unter: www.digizeitschriften.de/dms/ toc/?PID=PPN514401303 (letzter Zugriff: 8. April 2016), S. 185–186, 201–224   231 Tab. 9: Betriebe und Personal im Textileinzelhandel im Jahr 1907 Quelle: Statistisches Reichsamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 30, 1909. Digitale Ausgabe. Göttingen 2006. Online unter: www.digizeitschriften.de/dms/ toc/?PID=PPN514401303 (letzter Zugriff: 8. April 2016), S. 75–84   232

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 Tabellenverzeichnis

Tab. 10: Textile Rohstoffpreise in Mark zwischen 1908 bis 1917 Quelle: Statistisches Reichsamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 39, 1918. Digitale Ausgabe. Göttingen 2006. Online unter www.digizeitschriften.de/dms/  236 toc/?PID=PPN514401303 (letzter Zugriff: 8. April 2016), S. 55  Tab. 11: Absolute Reingewinne und Dividenden der Textilindustrie in Millionen Mark 1913 bis 1917 sowie Steigerungen, 1913=100 Quelle: Otto Goebel, Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe. (Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918, Bd. 3) Berlin/Boston 2016., S. 42   242

Literatur- und Quellenverzeichnis 1 Unveröffentlichte Quellen Bundesarchiv Berlin

R 13 I/12. VDEh, Geschichte des Vereines Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller 1874–1934, von Dr. C. Klein, Manuskript (Reinschrift) [1934], Bd. 1 R 13 I/13. VDEh, Geschichte des Vereines Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller 1874–1934, von Dr. C. Klein, Manuskript (Reinschrift) [1934], Bd. 2 R 13 I/287. VDEh, Erhebungen des Enquête-Ausschusses über die binnenwirtschaftliche Verflechtung der deutschen Wirtschaft R 601/410. Präsidialkanzlei, Errichtung und Auflösung, Bezeichnung und Zuständigkeiten der obersten Reichsbehörden R 1501/108980. Reichsministerium des Innern, Werk über die deutsche Kriegswirtschaft von Prof. Dr. Sering, Bd. 1 R 3101/7613. Reichswirtschaftsministerium, Stenographische Aufzeichnung über die Verhandlungen des Wirtschaftlichen Ausschusses

Bundesarchiv Koblenz

N 1210. Nachlass Max Sering, Büsselberg: Die Sicherstellung der Heeresverpflegung N 1210/99. Nachlass Max Sering, Kriegswirtschaft, Sicherung der Rohstoffe N 1210/101. Nachlass Max Sering, Kriegsbauwirtschaft an der Front N 1210/113. Nachlass Max Sering, Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung, Vortrag in der Akademie N 1210/157. Nachlass Max Sering, Das Militär-Veterinärwesen während des Weltkrieges vom wirtschaftlichen Standpunkt N 1678. Nachlass Otto Goebel

Bundesarchiv, Abt. Militärarchiv, Freiburg i. Br.

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Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin

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Staatsbibliothek zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz Dep. 42 Archiv des Verlags Walter de Gruyter

thyssenkrupp Konzernarchiv, Duisburg

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Universitätsarchiv der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg C 100/677. 80. Geburtstag von Max Sering C 100/679. Nachruf auf Max Sering

Universitätsarchiv der TU Bergakademie, Freiberg UAF, 364 S 39. Promotionsakte Stellwaag



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Personenregister Friedrich Aereboe 3 Adolf Tortilowicz von Bartock-Friebe 66 Gustav Bauer 53 Max Bauer  178, 187 Ludwig Beck 200f. Theobald von Bethmann Hollweg  186 Ernst Bischoff 83, 85, 91, 100f., 104, 107 Otto von Bismarck 138, 199, 203 Werner von Blomberg 128, 211 Christian Böhmecke 58, 62 Robert Bosch 129 Hermann Bücher 88, 90f., 95 Henry Axel Bueck 202 Büsselberg (Hauptmann) 35, 110, 137 Franz Burgers 196–198 von Buttlar (Ministerialdirektor) 69, 88–90 Arnold Brecht 14, 77–81, 83–87, 90, 92, 94–100, 105, 107, 113, 118, 137f., 184 Robert Erskine Childers  174, 191 Ludwig Cordes 131–135 Belinda Davis 11 Clemens von Delbrück 5, 51, 53 Volker Depkat 77, 137 Wilhelm Dieckmann 54, 146, 167, 178, 186, 210f. Constantin von Dietze 22f., 128–130, 211 Karl Dittmar 193f. Carl Duisberg 150, 158 Friedrich Ebert 99 Alexander Elster 99, 101, 104, 110, 116f., 123 Erich von Falkenhayn 22, 29, 187 Feldbausch (Oberregierungsrat) 83–85, 89, 97, 108 Gerald Feldman 6f., 139, 159–163, 165, 170–172, 178f., 188f., 198, 236f., 239 Emil Fischer 32, 140f. Fritz Fischer  23, Kurt Fischer 13f. Sören Flachowsky 136, 186 Stig Förster 179f., 183. 190, 192 Wolfgang Foerster 126 Fritz Foth  110 Franz (Professor) 35 Franz (Major a.D.) 210 Hugo von Freytag-Loringhoven 22 Ferdinand Friedensburg 137, 199, 207–210, 219 Walther Funk 129f., 212

Johannes Galli 197 Hans Gehrig 197 Alfred Gemming 13 Otto Geßler 118 Michael Geyer 176, 178f., 181 Georg Giersberg 136 Percy Carlyle Gilchrist 200 Wilhelm Groener 43, 45, 126, 162, 188 Stephen Gross 10f. Otto Goebel 1–4, 6, 9f., 12, 16, 18, 25–28, 31–33, 35f., 40, 47, 67f., 71, 76, 80, 106–108, 110f, 113, 116–121, 123, 136–138, 143, 147–150, 162, 169, 173, 198, 209–211, 222f., 234f., 237, 239, 241, 244f. Walter de Gruyter 23, 63–66 Walter de Haas 69, 81 Fritz Haber 32, 44, 70, 169 Hans von Haeften 127f., 134 Gustav Adolf von Halem 63 Otto von Halem 63 George W.F. Hallgarten 205 Hermann van Ham 206f. Friedrich Hammacher 203 Ernst Willi Hansen 122 Gerd Hardach 6, 10f., 140, 142f., 145f., 148, 150–154, 162f., 165f., 168f.171f., 235 Wilhelm Hassenstein 131–133, 135 Wilhelm Hauchecorne 199 Gerhard Hecker 18f. Karl Helfferich 37, 153, 162 Helft (Protokollführer bei der WK) Heinrich Hemmer 105 Heinrich Hennemann 128f. Andreas Hermes 93 Matthias Herrmann 53f. Hans Herzfeld 178 Ernst Heymann 92 Christian Hildebrand 210 Rudolf Hilferding 7f. Paul von Hindenburg 129, 161f., 172, 177, 187, 189 Franz Hitze 53 Gerhard Hirschfeld 11, 140, 185 Adolf Hitler 13, 211 Adolf Wild von Hohenborn 20, 30, 187 Carl-Ludwig Holtfrerich 10, 153 Alphons Horten 196, 198

262 

 Personenregister

Gottlieb von Jagow 23 Georg Kaisenberg 105, 113 Wilhelm von Kardorff 202 Karl Kautsky 89 Eckart Kehr 178, 209 Wilhelm Keil 112f. Paul Kennedy 191 Clemens Klein 127, 134, 193f., 202, Georg Friedrich Knapp 21 Max Krahmann 35f. Otto Krupp 207 Adolf Köster 72, 99, 112f. Joseph Koeth 20f., 26–28, 31, 38–40, 45, 211 Gerd Krumeich 11, 140, 185, Carl Legien 53 Lehnert (Geheimer Admiralitätsrat) 70, 85f., 93f., 122 Wladimir Iljitsch Lenin 7, 158 Theodor Lewald 53 Max Liebermann 129 Karl Max von Lichnowsky 89 Lindig (Assistent bei der WK) 35, 61, 68 Linnebach (Regierungsrat) 69, 108 Charlotte Lorenz 3f., 8 Walther Lotz 3 Friedrich Luckwaldt 62 Erich Ludendorff 16, 89, 161f., 172, 177f., 187, 189 Rosa Luxemburg 158 Trude Maurer 23f., 46f. Hermann Ritter Mertz von Quirnheim 54–60, 77 Konrad Meyer 23 Josef Massenez 200 Wichard von Moellendorff 7, 19, 146, 150, 172 Volker Mollin 178f., 182 Helmuth von Moltke 21 Rolf-Dieter Müller 130f., 135f., 192, Erich Murawski 133–135 Markus Nievelstein 208 Hans G. Nutzinger 37 Willi Oberkrome 128 Rudolf Oeser 116 Peckert (Oberregierungsrat) 64, 69, 109 Hermann Pantlen 3 Josef Partsch 107, 110f., 113–115 Ludwig Pellengahr 124 Theodor Plieninger 68f. Markus Pöhlmann 2f., 9, 11, 135, 168, 177, 179, 183, 190

Bernhardt Poll 126 Hans Posse 119, 121 Erich Raeder 128 Walther Rathenau 7, 18f., 29–32, 46, 81, 86, 100, 132, 134f., 142, 146, 150, 158, 179, 210 Johann Friedrich Rauers 60 Jakob Wilhelm Reichert 119, 130f., 135, 193, 199f., 212, 214–216, 220 Walther Reinhardt 48 Irina Renz 11, 140, 185 Risser (Reichstagsabgeordneter) 53, 182 Albrecht Ritschl 9, 234 Paul Rocke 19 Hermann Röchling 207 Friedrich Romberg 186 Regina Roth 6, 38, 135, 159, 165, 179, 237 Ludwig Rüdt von Collenberg 16f., 19–22, 24f., 29–33, 36f., 40–46, 48f., 54, 56, 61, 126, 137, 181 Karl Ruppert 76f. Wilhelm Schaer 124–126 Ludwig Scherer 221 Eugen Schiffer 53 Martin Schlimpert 124, 126 Robert Schlösser 222 Robert Schmidt 97 Gustav von Schmoller 18, 21 Hjalmar Schacht 128 Oscar Schuchardt 63 Hermann Schumacher 37 Max Schwarte 80, 86, 91, 112, 177f., 184 Karl Schwendemann 124 Friedrich Seeßelberg 99 Theodor Sehmer 207 Max Sering 1, 3, 13–18, 20–54, 56–73, 76–101, 104–110, 112–115, 117–121, 123f., 126, 128–135, 137f., 177, 184, 192f., 198, 203, 209–213, 219–221 James T. Shotwell 3, 16f., 65f. August Skalweit 3f., 17, 37, 66f., 106 Georg Soldan 121 Kurt Sorge 70 Georges-Henri Soutou 10f. Heinrich Spiero 32 Arthur Spiethoff 83 Hermann von Stein 15f., 43f., 46, 48, 51, 77, 82, 137 Alfred Stellwaag 1f., 4, 8–10, 15, 35, 61f., 66–68, 73f., 80, 85f., 89f., 106–108, 110f.,

Personenregister 



113f., 116–121, 123, 126f., 130f., 134–136, 138, 140f., 143f., 156, 161–166, 193–199, 209–221 Heinrich Stellwaag 195 Marie Stellwaag 195 Hugo Stinnes 158 Friedrich Stieve 121 Alfred Stock 97f. Irene Stoehr 23 Carl Ferdinand von Stumm-Halberg 203f., 206f., 221 Ernst Stutz 164 Georg Tessin 133 Sidney Gilchrist Thomas 200 Alfred von Tirpitz 128, Wolf von Tirpitz 129 Heinrich Triepel 23 Fritz Todt 130f., 212 Adam Tooze 11 Richard Tröger 19, 210 Hans-Peter Ullmann 11, 140, 144f., 150–152, 167, 172 Paul Umbreit 3f., 8 Heinrich (Henry) Voelcker 25–28, 35f., 38, 58 Voss (Autor von Sering) 56 Rolf Wagenführ 58, 154

 263

Adolph Wagner 18 Gustav von Wandel 17, 20, 25, 29f., 34, 37, 40, 42, 76f., 134 Alfred Weber 36f. Heinrich Weber 119–121, 123 Max Weber 37 Weißmüller (Geheimrat Marineleitung) 123 Johann Michael Freiherr von Welser 99, 101, 104 Jakob Johann von Weyrauch 174 Robert Weyrauch 1f., 4f, 8f., 12, 58, 61, 67f., 76, 80, 88, 91, 97, 105–108, 110–113, 115–121, 131, 136, 138f., 142, 147, 157f., 160, 163, 168, 174–176, 181f., 184–186, 189–192, 198, 201, 205, 208–210, 217 Rudolf Wichler 91 Ernst Wiedemann 222 Wilhelm II. 132, 134, 187 Rudolf Wissell 7 Wölker, Thomas 135, 189 Worbs (Regierungsrat) 84, 105 Heinrich Worms 118 Ernst von Wrisberg 42f., 70, 81, 167, 178, 188 Ludwig Wurtzbacher 80f., 88, 91f., 108, 111–113, 115, 121, 184 Karl von Zahn 97, 116, 118, 125f. Waldemar Zimmermann 3f., 56

Ortsregister Altena 166 Ansbach 195 Antwerpen 237 Aschaffenburg 226 Bad Cannstatt 175 Baden 225 Balkan 183 Bayern 142, 181, 225, 227, 238 Belfort 199 Belgien 75, 80, 110, 157, 187, 232, 237 Berlin 13, 18, 21–23, 25, 53, 56, 64, 92, 98, 104, 107, 126, 129, 149, 167f., 174f., 186f., 195–197, 199, 201, 220, 226–229, 236, 240 Biebertal 218 Bielefeld 226, 236 Brasilien 159 Breslau 226 Briey 159, 196, 199, 207f., 216, 219f. Bukarest 164 Bulgarien 235 Charlottenburg  99, 174, 197 Chile 148, 159, 183 Deutsches Reich, Deutschland 1, 3–5, 9–11, 17f., 24, 37, 57, 60, 62, 65f., 74, 76, 80, 85, 89, 98, 104f., 107f., 110, 112, 116, 118, 120, 122, 127, 129f., 137–141, 144f., 148, 152f., 155, 161, 166f., 173, 175, 184, 191, 196, 199–201, 224, 228f., 233f, 237, 245 Diedenhofen 207 Dortmund 168, 200f. Düsseldorf 26, 29, 118, 134, 157, 168, 197, 202, 204–206 Elberfeld 226 Elsass 21, 201, 225 England: s. Großbritannien Essen 168, 195 Finnland 104–106 Frankfurt am Main 168, 195, 203 Frankreich 4, 49, 66, 75f., 80, 88, 91, 130, 140, 145, 152, 159f., 180, 187, 212, 224, 232, 235, 237 Fulda 195 Gent 237 Gießen 75, 218f. Großbritannien 49, 66, 71, 141, 152, 160, 162, 190, 201, 205, 214, 217, 224, 229f., 232, 235

Hamburg 56, 99, 168, 194, 227, 236 Hannover 19, 166, 168, 222 Helsinki, Helsingfors 104f. Herford 226 Holland: s. Niederlande Ilsede-Peine 166 Italien  49, 160, 232, 235 Japan 180 Köln 166, 168, 182 Leipzig 19, 21, 123, 168 Lille 237 Lothringen 21, 80, 88, 134f., 143, 159, 164, 199–201, 204, 206–208, 216f., 219 Longwy 159, 164, 196, 199, 216, 220 Ludwigsburg 174 Luxemburg 21, 187, 204, 208, 216 Mitteleuropa 46f., 56, 130 Mönchengladbach 226 München 129, 146, 168 Niederlande 71, 230, 232 Nordamerika 21, 74, 78 Normandie 159, 208 Norwegen 74 Nürnberg 165, 195 Preußen 56, 91, 142, 225f., — Ostpreußen 164 Redingen 207 Rheinland  186, 202, 222, 226 Rheydt 226 Rottweil 182 Roubaix 237 Rumänien 75, 169 Russland 4, 23, 130, 159, 180, 183, 196, 230, 232, 235f. Saar 143, 206, 216 Sachsen 142, 181, 195, 225f., 238 Schlesien 202, 238 Schweden 74f., 155, 159, 207f., 219 Schweiz 74, 161, 230, 232 Serbien 75 Siegerland 207 Solingen 182 Somme  161 Stettin 226 Stuttgart 112f., 146, 174f. Suhl 182 Thüringen 226

Ortsregister 

Tourcoing 237 Ückingen 207 Verdun  184 Verviers 237 Vereinigte Staaten von Amerika (USA) 62, 76, 85, 126, 144, 152f., 190, 201, 204, 209, 215, 229–232, 235

 265

Warschau 164 Weisweiler 166 Westfalen 39, 166, 186, 196, 200, 202, 206 Württemberg 112, 174, 181, 225 Würzburg 197

Sachregister Abnutzungskämpfe 184 Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) 19, 146 Agrarsektor: s. Landwirtschaft Allgemeines Kriegsdepartement  43f., 46 Alpengras: s. Ersatzstoffe Alt- und Gebrauchtkleidung 230 Ammoniak 148, 183 Amt Blank 133 Angstkäufe 236 Anilinfarben-Industrie 76 Anleihen 5, 86, 153 Arbeiter, Arbeiterinnen 3, 5, 8, 34, 56, 142, 145, 156f., 167, 171, 188, 224, 227, 239f., 243 Arbeiter- und Soldatenräte 245 Arbeitermangel 155 Arbeitskräfte 1, 50, 56, 130, 144, 156f., 165, 167–169, 171, 189, 234, 244 Arbeitsmarkt 157, 167–169 — Arbeitsmarktentwicklung 169 — Arbeitsmarktpolitik 188f. Arbeitsproduktivität 171, 243 Arbeitsvermittlung 157, 167f. Arbeitszeitverkürzung 171 Artillerie  161f., 165, 179, 182, 184, 187, 214 Aufrüstung 142, 153, 211 Ausfuhrbeschränkungen 160f., 208 Ausverkaufsverbot 239 Außenhandel 3, 6, 32, 75, 145, 147, 158–161, 217, 228–231, 235 Auswärtiges Amt 14f., 23, 61, 63, 68f., 71, 73f., 76, 79, 82–88, 90f., 96, 98–101, 104–107, 110–114, 118, 120–122., 124–126, 138, 144, 210, 212, 220 — Politisches Archiv des Auswärtigen Amts 15, 220 Automobilindustrie 9, 182f. Baumwolle 148, 155f., 223, 230–232, 237, 239 — Baumwollgarn 231, 236 — Rohbaumwolle 228, 230f. Baustoffe 154 Bayer: s. Farbenfabrik F. Bayer Bayerisches Kriegsministerium 165 Bedazet Buchverlag 194, 196 Behelfsmunition 67,192, 214f–216 Bekleidungsinstandsetzungsämter 241

Berliner Bekleidungsindustrie 226–229, 240, 243 Bergakademie Berlin 199 Bergakademie Freiberg 85, 195, 197 Bergarbeiter 171, 221 Bergbau 80, 144, 154, 157, 166, 171, 195f., 200, 203, 208f., 216, 217f., 220f., 243 Beschaffung, Beschaffungswesen 32–35, 38, 56, 92, 115, 145, 147, 160, 162–164, 181f., 186, 188, 191f., 212f., 215, 220, 234f., 237, 241, 243f. Besetzte Gebiete 22–24, 32, 46f., 75, 108, 110, 116, 118, 120, 124–126, 162, 164, 216, 223, 237 Bessemerstahl, Bessemerverfahren  201 Betriebsschließung 171, 223 Betriebsstilllegungsgesetz 169 Beutewirtschaft 24, 80, 126, 237 Bewegungskrieg 183f., 190 Bewirtschaftungsbürokratie 241 Bewirtschaftungsprozess 229 Bewirtschaftungssystem 245 Bezugschein, Bezugscheinsystem 149, 233, 240 Binnenabsatz 144, 161 Blankwaffen 182 Blockade  Bosch Thermotechnik 136 Briey-Erze 159, 196, 199, 207f., 216, 219f. Buderus 136, 221 Bund der Industriellen 151 Bundesarchiv  15, 131, 133f., 137 — Abteilung Militärarchiv des Bundesarchivs 131, 133 Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden 3f., 8, 16f., 65–67, 78, 120, 123, 209 Centralverband deutscher Industrieller 151, 202 Chemieindustrie 76, 82, 88, 90, 95, 137, 150, 158, 171, 224 Chile-Salpeter 32, 148, 183 Cotta‘sche Buchhandlung 18 De Dietrich 201 De Wendel 201, 204 Deutsche Arbeiterzentrale 167 Deutsche Gesandtschaft in Helsingfors 104f. Deutsche Gesellschaft 1914 29 Deutscher Träger-Verband 204

Sachregister 

Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik AG 182 Dienstverpflichtung 167 Dillinger Hütte 206f. Dirigistische Marktwirtschaft 173 Donaumonarchie 75 Einzelhandel 223, 230, 232f., 236, 239f., 242–245 Eisenbahn 58, 143f., 155f., 165, 169, 207, 213 Eisenenquetekommission 203 Eisenerz 75, 155f., 163, 166f., 196, 199, 201, 205–208., 217–219 Eisengussgranaten: s. Behelfsmunition Eisenmanganerze 75, 118, 163, 166f., 218 Eisen- und Stahlexporte 160f., 206, 208 Eisen- und Stahlindustrie, Eisenbewirtschaftung 2, 15, 21, 25–27, 49, 74f., 80, 89, 114, 119, 130f., 141, 143, 154–157, 159f., 163, 165f. 196, 198–203, 205–209, 212, 214, 217, 219–221, 224, Eisenzentrale 74f., 163f., 166, 193 Elektrochemische Werke Laufen 166 Elektroindustrie 144, 150, 157, 182, 224 Entente 64, 70f., 76, 81, 85f., 108, 112, 122, 126 Ernährungskrise 157, 171 Ersatzstoffe 35, 166, 171, 183, 210, 223, 231, 236–239 Ersatzstoffindustrie 146f., 166, 171, 236 Erzgebiet von Longwy-Briey 159, 196, 199, 207f., 216, 219f. Export: s. Außenhandel Facharbeiter 144f., 157, 167, 171, 209 Farbenfabrik F. Bayer 165, 171 Farbhölzer 156 Feldzeugmeisterei 181, 186, 215 — Beschaffungsabteilung in der Feldzeugmeisterei 186 Feldkanone: s. Artillerie Ferromangan 75, 118, 166 Ferrosilizium 76, 118, 166f. Finanzministerium: s. Reichsfinanzministerium Flachs: s. Ersatzstoffe Flottenbau 18, 140, 158, 180 Forschungsanstalt für Kriegs- und Heeresgeschichte 196, 210 Französischer Presse- und Informationsdienst 118 Freiliste: s. Bezugscheinsystem Friedensindustrie, Friedenswirtschaft 1, 115, 119, 126, 133, 143, 154, 160, 168

 267

Fried. Krupp AG  145, 165, 182, 187, 208, 221 Gebr. Röchling 207 Geheime Staatspolizei (Gestapo) 211 Gelenkte Wirtschaft 1, 173 Gelsenkirchener Bergwerks-Aktiengesellschaft, Abteilung Schalke 196, 198, 219 Gemeinwirtschaft 7, 150 Gemischte Schiedsgerichte 100f., 104, 107f., 115, 126 — Französisch-deutscher Gemischter Schiedsgerichtshof 101 Generalstab 21f., 180, 187, 191f., 219 Generalstabshistoriographie 27, 137, 177 Geschütze: s. Artillerie  Gesellschaft zur Förderung der Inneren Kolonisation 23 Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst 56, 167, 171, 239 Gewerkschaft  6f., 167, 171, 203 Ginster: s. Ersatzstoffe Goldreserven 5, 152f. Goldstandard 6, 9 Grauer Markt 245 Graugussgranate: s. Behelfsmunition Griesheim-Elektron 68 Große Depression 201 Grube Abendstern 218 Gutehoffnungshütte 206, 208 Haber-Bosch-Verfahren 148 Halbzeug-Verband 204 Handwaffen 182 Handwerk 35, 116, 169, 192, 226, 230 Hanf: s. Ersatzstoffe Heeresbedarf 24, 149, 156, 235, 245 Heeresfriedenskommission 115 Heereslieferanten 234, 243 Heeresmotorisierung 190 Heeresvermehrungen 181 Heeresverwaltung 28, 33, 57, 80, 88, 182, 190, 211, 213, 241 Heereswerkstätten: s. Technische Institute des Heeres Heimatfront 172 Hilfsdienstgesetz: s. Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst „Hindenburg-Programm“ 3, 38f., 80, 140, 155, 157, 161f., 165–169, 172, 188f., 213 Höchstpreise, Richtpreise 147 160, 235f. Hörder Bergbau- und Hüttenverein 200

268 

 Sachregister

Holzfasern: s. Ersatzstoffe Ilseder Hütte 166 Import: s. Außenhandel Inflation 10, 99 —Hyperinflation 10 — Kriegsinflation 10 Innenministerium: s. Reichsministerium des Innern Interalliierte Militär-Kontrollkommission 74, 84, 108, 115f., 122 Juliusturm: s. Spandauer Zitadelle Kammwoll AG 148 Kapitalismus 7f. — Monopolkapitalismus 7 — Organisierter Kapitalismus 8 —Staatsmonopolistischer Kapitalismus 7 Kartellierung 26, 57, 164, 182, 202f., 205, 233, 244 Kleinhandel 230, 232 Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften 18, 81, 127, 129 Kohle, Kohlewirtschaft 25, 36, 148, 153, 155, 161, 164f., 167, 170f., 189, 203, 219, 235 Kohlemangel 170f., 189 Kohleverteilung 170f., 219 Kolonialkriege 180 Konsumgüterindustrie 153, 239, 244 Konsumvereine 232 Kontrollkommission: s. Interalliierte MilitärKontrollkommission Kriegsamt 43f., 47f., 50, 162f., 172, 186, 188, 193, 213 Kriegsaufträge 149, 160 Kriegsausgaben 154 Kriegsausschuss der deutschen Industrie 144, 151 Kriegsbekleidungsämter 234, 241 Kriegsbeschädigte 158 Kriegschemikalien AG 148 Kriegsernährungsamt 27, 66 Kriegsersatz- und Arbeitsdepartement 162 Kriegsfinanzierung 5, 151, 153; s. auch Anleihen Kriegsgefangene 32, 74–76, 243 Kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt des Heeres 196 Kriegsgesellschaften 70, 84, 135, 148–151, 159f., 164, 169, 235, 241f., 244 Kriegsgewinne  153, 159, 165, 192, 242 Kriegsgewinnsteuer 153

Kriegsindustrie 154, 172 Kriegsleder AG 58, 148 Kriegsmetall AG 148 Kriegsminister: s. Preußischer Kriegsminister Kriegsministerium: s. Preußisches Kriegsministerium Kriegsrohstoffabteilung (KRA) 19f., 22, 24–34, 37–40, 42f., 47, 52, 146–152, 159f., 162f., 166, 193, 195f., 198, 210, 213, 217, 220, 235f. Kriegsrohstoffgesellschaften 148, 241 Kriegssäuren-Kommission 68 Kriegsschuldfrage, Kriegsschuldforschung 15, 178 Kriegsverwaltung 151f. Kriegswollbedarf AG 148, 150 Kriegswirtschaft 1f., 6–9, 11f., 14, 16, 20, 24f., 27, 30–32, 36f., 47, 52f., 62, 70, 80f., 88, 90, 106, 122, 125, 128, 133, 135f., 140, 142, 145–151, 154, 156–158, 160–163, 169f., 172, 176, 179, 187, 189, 210–213, 217, 219–221, 223, 234, 237, 239, 241–245 Kriegsziele 10, 47, 194, 196, 199, 220 Kunstdünger 171 Kunstfasern 148, 240, 243 Kunstseide 231, 242 Landwirtschaft  5, 9, 21f., 93, 157, 169, 234 Landwirtschaftliche Hochschule Berlin 21 Lehrwerkstätten 158 Lenkungswirtschaft: s. Gelenkte Wirtschaft Lieferverbände 241 Lothringer Eisenwerke 80, 143, 201, 204, 208 Lothringer Hüttenverein 204 Luftwaffe 163, 190 Lusitania 74 Magirus AG 76 Manganerzzentrale 163 Manganversorgung 75, 163, 166f. Mannesmann 134, 218, 221 Manufaktur 226, 232f. Marneschlacht 145 Marokko-Krise 208, 229 Maschinenbau 76, 157, 182, 224 Maschinengewehre 161f., 168, 181, 183, 188–190, 192 Massenproduktion 6, 181, 186, 190, 192 Materialschlacht 184–186, 218 Menschenökonomie 156–158 Metallverarbeitung 8, 157

Sachregister 

Militärgeschichtliches Forschungsamt 135 Militärisch-industrieller Komplex 179, 192 Militärtuchfabrikanten 150, Minenwerfer 182, 184, 188f. Minette 196, 200f., 203, 206f., 216f., 220 Mittellandkanal 166 Mittelmächte 1, 10, 139 Mittelständische Betriebe 169, 182, 192, 233, 242 Mobilmachung  45, 76, 80, 125f., 142, 144f., 181–183, 195, 215 —finanzielle Mobilmachung 3, 5f., 9–12, 125f., 144f., 151f. —industrielle Mobilmachung 4, 112 Mobilmachungsverträge 181f., 215 Montanwirtschaft: s. Bergbau Munition 1, 4, 6, 8f., 38, 49, 70, 80, 108, 126, 142f., 145, 161f., 175f., 180–182, 184, 186, 188f., 192, 214–216 Munitionskrise 145, 160f., 214, 216 Munitionsbeschaffungsamt (MBA) 162, 186 Nationalversammlung 50, 53 NE-Metalle 154 Neubautenprogramm 165, 188f. Neunkircher Eisenwerk 207 Notenbank 153 Notwirtschaft 239 Oberkommando der Kriegsmarine 128, 131 Oberste Heeresleitung (OHL) 18, 22, 139, 161f.,166–168, 171f., 177, 187–190, 212f., 215, 218 — Zweite OHL 187 — Dritte OHL 139, 177 Öffentlich-private Gemeinschaftsunternehmen: s. Public-Private-Partnership Panzer 190 Papierspinnerei 242 Pariser Wirtschaftskonferenz 37 Paul Parey Verlag 64 Phoenix (Aktiengesellschaft) 206 Planwirtschaft 173, 237 Poensgen 206 Posamente 224f., 232 Preisbehörden, Preisprüfungsstellen 239, 242 Preisentwicklung  35, 192 Preisregulierung 147, 150, 173 236, 240–242 Pressen, Presswerke  118, 186, 215 Pressstahl-Granaten: s. Stahlgranaten Preußische Akademie des Bauwesens 175

 269

Preußischer Kriegsminister, Preußisches Kriegsministerium 1–4, 6, 15, 17, 19, 20–22, 24f., 27–30, 31–37, 40–53, 64, 69–71, 76f., 79, 82f., 98, 106, 109, 127f., 132, 134, 137, 146, 160–162, 165–167, 174, 177, 180, 186–189, 191, 212–215, 222, 234, 241 —Abteilung für Zurückstellungswesen im Preußischen Kriegsministerium 167 — Bekleidungsabteilung des Preußischen Kriegsministeriums 241 — Fabrikenabteilung des Preußischen Kriegsministeriums  186 — Ingenieur-Komitee des Preußischen Kriegsministeriums 174 Preußisches Statistisches Landesamt 52 Principal-Agent-Problem 149 Public-Private-Partnership 165f., 241 Pulver 142, 168, 183f., 192 Rationalisierung 189, 192, 205, 232f., 237, 240 243 Regulierung 140, 147, 149f., 163f., 173, 223, 236, 240–245 Reichsamt des Innern 19, 26f., 37f., 51, 53, 69, 146, 163 Reichsarbeitsminister, Reichsarbeitsministerium 96, 105, 107, 110, 120 Reichsarchiv 2f., 13f., 16, 53f., 56, 58–60, 62, 71–74, 76, 82, 94, 123, 126f., 133, 137, 177, 189, 210 — Historische Kommission des Reichsarchivs 56, 94 — Sichtungsabteilung für Wirtschaftsgeschichte 56 Reichsbank, Reichsbankpräsident 5, 9, 128f., 152, 212 Reichsbekleidungsstelle 149, 240f. Reichsfinanzminister, Reichsfinanzministerium 48–51, 63f., 68–71, 82, 84, 96, 105, 107, 109, 118, 122–124 Reichsfinanzreform 36 Reichskanzler 13, 38, 51, 53, 104f., 187 Reichskommissare 164f., 172 Reichskriegsschatz 5 Reichsmarineamt 42, 213f. Reichsminister des Innern, Reichsministerium des Innern 14f., 18, 48, 54, 56, 58f., 68f., 71–73, 77, 79, 83,94, 96, 100, 105, 107, 111, 120–124, 126, 138 Reichsminister für die besetzten Gebiete 120, 124

270 

 Sachregister

Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft 93, 120, 122, 124 Reichsministerium für Wiederaufbau 108, 111, 115f. Reichspatentamt 131 Reichsschatzamt 27, 36–38, 181 Reichsschatzminister, Reichsschatzministerium 68f., 82, 105, 107f., 115 Reichsschuld 153 Reichsverband der Deutschen Industrie 88–91, 94–96, 119 Reichswehr  122, 177, 192 Reichswehrminister, Reichswehrministerium 14, 56, 61, 63, 68–71, 73, 81f., 85f., 88, 93f., 96f., 99, 101, 104f., 107–109, 111–115, 118–124, 126, 131–135, 138 Reichswirtschaftsminister, Reichswirtschaftsministerium 68f., 72f., 82f., 85, 87, 90, 96f., 99, 101, 105, 107–109, 112, 117, 119–122, 124, 128, 130, 212 Rheinische Metallwaren- und Maschinenfabrik (Rheinmetall) 182 Rheinmetall: s. Rheinische Metallwaren- und Maschinenfabrik Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG (RWE) 166 Rheinisch-Westfälischer Formeisen- bzw. TrägerVerband 204 Rheinisch-Westfälisches Kohlen-Syndikat (RWKS) 164, 203 Rheinisch-Westfälisches RoheisenSyndikat 203 Rhein-Ruhr-Hütten 206f. Roheisen 141, 143, 148, 155, 165f., 200f., 203, 205, 207, 217 Roheisenverband 163, 220 Rohrkrepierer 214, 216 Rohseide 231, 236 Rohstahl 155, 204f. Rohstoffbewirtschaftung 3–6, 16, 18–20, 24, 27, 29–34, 36–39, 46f., 56–58, 114, , 123, 129, 142f., 145–151, 153, 155f., 159, 163f., 169–171, 180, 188f–190, 201, 209–211, 217, 219, 223, 228–231, 234–237, 239, 241, 243f. Rohstoffimporte 19, 145, 159, 229–231, 235f., 239, 243 Rohstoffmangel 19, 143, 145f., 156, 169, 189f., 236f. Rohstoffstelle Brüssel 110

Rombacher Hüttenwerke 203 Rücklieferungskommission 74, 114f. Ruhrbergbau 144, 164, 170f., 203, 207f., 216 Ruhrbesetzung 117 Russisches Staatliches Militärhistorisches Archiv 196 Russisch-Japanischer Krieg 1904/05 180 Rüstung, Rüstungsindustrie 1–6, 8, 24, 32, 39, 112, 122, 125f., 130f., 134f., 139f., 142, 144–146, 151–154, 158, 160f., 165, 167–169, 172, 175–192, 199, 209, 211f., 214, 217f., 237, 244 Saarabstimmung 209 Sering-Kommission: s. Wissenschaftliche Kommission des Preußischen Kriegsministeriums Schlacht an der Somme 161 Schlieffenplan 140 Schriften zur kriegswirtschaftlichen Forschung und Schulung 211 Schuldreferat 15, 121, 124, 138 Schutzverwaltung der französischen Bergwerke und Hütten 216f. Schwarzmarkt 236, 245 Schwedisches Eisenerz 75, 155, 159, 207f., 219 Sering-Kommission: s. Wissenschaftliche Kommission des Preußischen Kriegsministeriums Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) 7, 153 Sozialisierung 198, 237 Sozialpolitik 87, 158, 178 Spandauer Zitadelle 5, 152 Spinnstoffwirtschaft 6, 30, 70, 80, 108, 110, 114, 147f., 154, 159, 169, 222–245 Sprengstoffe 76, 84, 88, 168, 215 Staatliche Gewehrfabrik Danzig 131 Staatsanleihen: s. Anleihen Staatskommissar für Auslandsschäden 104 Staatsquote 152 Staatsschatz 153 Staatssozialismus 7 Staatsvertreter bei den Gemischten Staatsgerichtshöfen 100f., 104, 107, 115 Stahlgranaten 160, 215f. Stahlguss 76, 215 — Stahlguss-, Pressstahlgeschosse 192 Stahlwerk 186, 205 Stahlwerks-Verband 26, 204f., 220

Sachregister 

Ständiger Ausschuss für die Zusammenlegung von Betrieben 168f. Statistisches Reichsamt 74 Steine und Erden 157 Steinkohle: s. Kohle, Kohlewirtschaft Stellungskrieg 183f. Stinnes 158, 198, 208 Stolypinische Agrarreform 22 Strickerei: s. Spinnstoffwirtschaft Süddeutscher Träger-Verband 204 Tank: s. Panzer Tauschhandel 235 Technische Institute des Heeres 131, 142, 181f., 185 Technische Zentralabteilung 186 Textilwirtschaft: s. Spinnstoffwirtschaft Thomasverfahren 162, 200f., 203, 205f. Thyssen 208 Torffasern: s. Ersatzstoffe Totalisierung des Krieges 139f., 172, 190, 192 Transportkrise 140, 143f., 169–171, 189f. Typhaschilf: s. Ersatzstoffe U-Boot-Krieg  1, 23, 190 Überseehandel 183, 235 Uniformen 4, 226, 234 Verbände, Verbandsarbeit 27, 46, 60, 88–92, 94f., 119, 124, 138, 144, 151, 163, 186, 193f., 202, 204f., 214, 220, 233, 241, 244 Verbrauchslenkung 140, 146, 153, 169, 240f. Verlag E.S. Mittler & Sohn 14, 16, 48f., 56, 58, 60–64, 69, 77, 91, 93, 109 Verlag G.J. Göschen 23 Verlag Walter de Gruyter 151, 115, 120f., 124, 132f., 136f. Verein Deutscher Eisenhüttenleute (VDEh) 29, 119, 134, 197, 201, 206 Verein Deutscher Eisen-und Stahlindustrieller 127, 130, 134, 193f., 201–203, 219 Verein Deutscher Ingenieure (VDI) 50, 96, 98, 115, 131, 133, 158, 177 Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen im Rheinland und Westfalen 202 Vereinigte Köln-Rottweiler Pulverfabriken AG 182 Vereinigung der Steuer- und Wirtschaftsreformer 202

 271

Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung 61 Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co. 14, 16f., 23, 61–63, 66–68, 78, 91, 99, 101, 104–106, 109f., 115f., 131, 137, 198 Verwaltung der Eisenbahnen 213 Verwertungsgesellschaften 164 Volkseinkommen 9, 152, 234 Waffenprodktion: s. Rüstung, Rüstungsindustrie Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt (Wumba) 97, 162, 183, 186, 188 Weberei: s. Spinnstoffwirtschaft Weidenbast: s. Ersatzstoffe Weltmarktabschottung 10, 158, 245 Weltwirtschaft 145, 158, 208, 227–229 Wettrüsten 180 Winterkrise 1916/17 168f. Winterstoffe 239 Wirtschaftsgruppe Eisenschaffende Industrie 130f., 212 Wirtschaftskrise 143, 145, 201 Wirtschaftsministerium: s. Reichswirtschaftsministerium Wirtschaftspläne 47, 173, 237 Wirtschaftspolitik 2, 6, 11, 20, 87, 140, 142, 172, 201, 219 Wissenschaftliche Kommission des Preußischen Kriegsministeriums 1–4, 8, 10, 13–19, 23–38, 40–56, 62, 77, 81f., 86, 91, 94, 115, 118, 126–129, 132, 134–136, 175, 177, 193, 195f., 209–212, 220, 222 Wissenschaftlicher Ausschuss zur Darstellung der deutschen Kriegswirtschaft 50–53, 69 Wolle 126, 156, 223, 230–232, 234, 236f., 239, 242 Württembergische Metallwarenfabrik 76 Zentraldepartement 40, 42–46, 48 Zentral-Einkaufsgenossenschaft 22 Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr 15, 135f. Zivilmarkt 237, 244 Zoll 21, 153, 201–204 Zollvereinsländischer Hüttenverein 201 Zünder- und Apparatebau GmbH (Zündapp) 165 Zwangsarbeiter 167, 243, 245 Zwischenamtliche Kommission für volkswirtschaftlichen Nachrichtendienst 175

Die Autoren Uwe Balder, M.A., leitet seit September 2016 das Unternehmensarchiv Brose in Coburg. Nach seinem Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Sprachwissenschaften und Informatik an der TU Dresden absolvierte er eine Ausbildung zum Wirtschaftsarchivar bei der UniCredit AG in München. Danach arbeitete er bis August 2016 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Regensburg. Hier promoviert er über die Geschichte des deutschen Textileinzelhandels vom Ersten Weltkrieg bis in die 1960er-Jahre. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Einzelhandels- und Bankengeschichte.  Prof. Dr. Marcel Boldorf ist seit 2013 Professor für deutsche Geschichte und Kultur an der Universität Lyon 2 Lumière. Er promovierte 1996 in Mannheim mit einer Arbeit über die Sozialfürsorge in der SBZ/DDR. Seine Habilitation mit einem Thema zur vergleichenden Industrialisierungsgeschichte schloss er 2003 ebenfalls in Mannheim ab. Seine Forschungen behandeln die Wirtschafts- und Sozialgeschichte vom 18. bis zum 21. Jahrhundert. Gegenwärtige Schwerpunkte sind die Kriegswirtschaft des Ersten und Zweiten Weltkriegs sowie die deutsche Sozialpolitik im internationalen Kontext. Prof. Dr. Gerd Hardach studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Münster, der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris und der Freien Universität Berlin. Von 1972 bis 2006 war er Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Marburg. Er nahm Gastprofessuren an der Universität Tokyo und an der Freien Universität Berlin wahr. Sein wissenschaftlicher und publizistischer Schwerpunkt liegt in der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit. Dr. Rainer Haus stammt aus einer Bergbaufamilie. Von Jugend an betreibt er Quellenforschungen zum Berg- und Hüttenwesen im Lahn-Dill-Gebiet. Seit Anfang der 1980er Jahre forschte er im Rahmen seiner Gießener Dissertation über Lothringen und Salzgitter auch zur deutschen Montangeschichte. Nach einer beruflichen Station bei Exploration und Bergbau zur Bong Mining Company war er von 1994 bis 2004 Unternehmenshistoriker von Buderus und danach bis 2015 von Bosch Thermotechnik. Gegenwärtig forscht er zu Sering und den VDI-Bänden zum Ersten Weltkrieg. Dr. habil. Markus Pöhlmann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam und Lehrbeauftragter an der dortigen Universität. Seine Forschungsschwerpunkte sind die deutsche Militärgeschichte im Zeitalter der Weltkriege, militärische Nachrichtendienste und das Verhältnis von Militär und Medien. Zu seinen Publikationen gehören u.a. Kriegsgeschichte und Geschichtspolitik: Der Erste Weltkrieg. Die amtliche deutsche Militärgeschichtsschreibung, 1914–1956 (2002) und Der Panzer und die Mechanisierung des Krieges. Eine deutsche Geschichte 1890 bis 1945 (2016).