Die Deutsche Geschichte. Band 2. 1348 - 1755
 3828904130, 9783828904132

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Weltbild

DIE DEUTSCHE GESCHICHTE

DIE DEUTSCHE GESCHICHTE

DIE DEUTSCHE GESCHICHTE Band 2

I348- I755

WELTBILD

Impressum Die vorliegende Buchausgabe basiert auf dem Begleitmaterial zu einer Fernsehreihe zur deutschen Geschichte des W issenschaftsjournalisten Rüdiger Proske, die im Jahre 1989 bundesweit ausgestrahlt wurde. Das offizielle Begleitmaterial zur Sendereihe wurde unter der Leitung Rüdiger Proskes sorgfältig zusammengestellt und mit zahlreichen interes­ santen Abbildungen und Zusatzinformationen attraktiv gestaltet. Die nunmehr vorliegende Ausgabe wurde um die neuesten Kapitel der deutschen Geschichte erweitert. Mitarbeiter: W ilhelma von Albert, Dr. Jochen Gaile, Mathias Forster, Anke Meyer, JosefNyary, Dr. Joachim Rehork, Volker Schütte, Michael

Schulte, Ingrid Schulze-Bidlingmaier, Dr. Gerhard Steinborn, Guido Thiemeyer, Bettina von Wedel, Dr. Christian Zentner Gestaltung: Lutz Kober, St. Goarshausen Organisation der Neuauflage: Michael Schmidt, Braunschweig Einbandgestaltung: Studio Höpfner-Thoma, München Einbandmotive: AKG, Berlin Gesamtherstellung: Druckerei Appl, Wemding

Printed in Germany ISBN 3-8289-0413-0 Bildquellen: Archiv für Kunst und Geschichte 1;170;212;23 l; u.;235 o.; 246 u.; 259 r.;262 o.;267;270;272;277 o.;280;297; 30 l ;304;31 l; o.;316 o.; 317; 318 *Archiv Verlag 192 o.;21O; 227 o.;276 u. * Bayerische Staatsbibliothek, München 17 l o. * Bertelsmann Lexikothek Verlag GmbH 249 u. *Bibliotheque Royale Albert, Brüssel 17 l u. *Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz 169;173;181 o., u.;182;184;189 r.;192 u.;194 l.; 195 o., u.; 196;203 u.; 206; 207;208;213; 214; 216; 217;218; 219;220 o. r., o. l.;224; 225; 228; o.;229;230;231 o.;232;233;235;u.; 236; 237;o.;239;240;o.; 24 l; 243;245;246 o.;247;248;249 o.;250;253;255; 257; 258;260;264 o.; 266 u.;268;27 l; 274;275;276 o.; 278; 282; 283;285; 286; 289; 292 o.;295;296;300;302;305;306;308;310 l.;31 l u.;312;315 *Alfred Burkholz, W ürzburg 188 * Canisius-Konvikt, In­ golstadt 262 u. * Freiburger Stadtarchiv 177 u. *Erhard Hehl 176 * Herzog-August-Bibliothek, Wolfenbüttel 172 o.;186; 238 *Historisches Mu­ seum Frankfurt a.M. 269 *Jürgen Hodemacher, Braunschweig 193 *Kriminalmuseum Rothenburg 273 *Kunsthalle Bremen 187 *Landesmuse­ um Braunschweig 266 o. * Märkisches Museum, Berlin 189 l. * Dr. Uwe Muuß, Altenholz 174 o. *Österreichische Nationalbibliothek, W ien 240 u. *Österreichisches Staatsarchiv, Wien 259 l. *Rüdiger Proske, Hamburg 172 u.;174 u.;175;179;185 o„ u.; 191 r.;199;201;222;226;227 u.; 228 u.;237 u.; 242 o., u.; 244; 254; 256; 264 u.; 277 u.;279;287;290;292 u.; 293;294;298;303; 309; 310 r.; 313;316 u.; 319; 320 * Staatsar­ chiv Nürnberg 220 u. *Staatsbibilothek Berlin 284 *Staatsbibliothek Hamburg 156 *St. Annenmuseum, Lübeck 177 o.;190; 197 o. *St. Lorenz, Nürnberg 198 *Tiroler Volkskunstmuseum, Innsbruck 205 *Veste Coburg Kunstsammlung, Coburg 251 *Westfälisches Museum für Kundt und Kulturgeschichte, Münster 202 *Zentralbibliothek Luzern 204 * Zentralbibliothek Zürich 203 o. Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild, Augsburg Copyright der aktualisierten Ausgabe © 2001 by Archiv Verlag GmbH, Braunschweig

2004 2003 2002 Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Lizenzausgabe an.

Inhalt Zeittafel

166

Der Protestantismus im

167

Windschatten der Reichspolitik

247

Die Pest und ihre Folgen

168

Der Schweizer Protestantismus

253

Das Aufblühen der städtischen Kultur

173

Zeit des Überganges

179

Vom germanischen zum römischen Recht

183

Der Alltag

186

Die Revolution des Militärwesens Die Ausbreitung der Bildung Die mittelalterliche Frömmigkeit

Vorwort

Der Augsburger Religionsfrieden und das Ende des Habsburger hnperiums

256

Die Formierung der Gegenreformation

260

Die Lage der Juden in der Krise des 17. Jahrhunderts

265

190

Die Hexenverfolgung in Deutschland

270

193

Konfessionelle Fronten und der

196

Beginn des Dreißigjährigen Krieges

Die Entwicklung der Territorialstaaten

199

Kaiser Ferdinand II. auf dem

Das Ende des Mittelalters

202

Die Blüte der altdeutschen Kunst

206

und das Ende Wallensteins

283

Die Entdeckung der Erde

212

Der Westfälische Frieden

287

im 16. Jahrhundert

Westfälischen Frieden

224

Der höfische Absolutismus -

233

Der Kampf um die Stellung in der Gesellschaft

Die Intervention Schwedens

217

Die Auseinandersetzung mit Frankreich beginnt

280

Das Reich nach dem

Die wirtschaftliche Entwicklung Karl V. und Luther

Höhepunkt seiner Macht

274

239

29 1

Hegemonialkriege Frankreichs

295

Das Ende der Türkenkriege

302

Der Aufstieg Preußens

306

Der Beginn des deutschen Dualismus

3 14

Zeittafel 1348-1352 1356

»Schmalkaldischer Bund«

Blütezeit der altdeutschen Kunst

(25. September)

»Immerwährender

1492

Christoph Kolumbus

Augsburger Religions-

Reichstag« bis 1806

Königswahl und des

landet auf der Karibik-

und Landesfriede

Status der Kurfürsten)

Insel Guanahani (Entdeckung Amerikas)

1556-1564

Kaiser Ferdinand 1.

Maximilian I.;

1564-1576

Kaiser Maximilian II.

»Großes Abendländisches Schisma«

1493-1519

1663

Reichstag zu Regensburg einberufen; er tagte als

1555

Goldene Bulle (Regelung der

1378

1531

ca.

1490-1540

»Schwarzer Tod« (Pest)

1675

Schlacht bei Fehrbellin

1679-1681

Reunionskriege

König und Kaiser

1386

siegen bei Sempach

1400-1410

1566

Die Eidgenossen

1495

von den Türken belagerte Wien

1571-1630

Johannes Kepler; kaiserlicher Mathematiker

Der Hexenhammer

1688-1697

Pfälzischer Erbfolgekrieg

1701

Kurfürst Friedrich III.

und Hofastronom,

Niederlage des

erscheint; Beginn der

entdeckte die Gesetze der

Deutschen Ordens

Hexenverfolgung

Planetenbewegung

von Brandenburg krönt

»Schwabenkrieg«: unabhängig vom Reich

1415

1608

Gründung der protestantischen »Union«

1517

Belehnung Friedrichs VI.

Ablaß-Handel; Beginn

von Hohenzollern mit

der Reformation

1609

1518

1618

(Ulrich Zwingli) Konzil zu Basel

1440-1493

Friedrich ill.

1453

Konstantinopel von den Türken erobert. Ende des Byzantinischen

1519

Karl V.; König und Kaiser

1521

Reichstag zu Worms;

1473-1543

(23. Mai)

1713

Pragmatische Sanktion

30jährigen Krieges

1713-1740

1619-1637

Kaiser Ferdinand II.

1620

Schlacht

am

Friedrich Wilhelm I. (»Soldatenkönig«)

1717

Prinz Eugen besiegt bei Belgrad die Türken

Weißen Berg bei Prag

Zurücknahme seiner

1631

Tilly erobert Magdeburg

1740

Lehren; Ächtung Luthers; Scheinentführung auf

(und mit Dänemark

1467-1477

Kaiser Karl VI.

Luther verweigert die

vereinigt)

Regierungsantritt der Kaiserin Maria Theresia

1632

Schlacht bei Lützen;

die Wartburg; Beginn

König Gustav II. Adolf

seiner Bibelübersetzung

von Schweden fällt

von Österreich

1740

Regierungsantritt Friedrichs II. von Preußen

1522/1523

Ritteraufstand

1524-1525

Bauernkrieg

von Burgund

1527

Sacco di Roma

1637-1657

Nikolaus Kopernikus;

1529

Die Türken vor Wien

1648

erobern den Thurgau

1711-1740

Prager Fenstersturz;

Leipziger Disputation

1519-1556

Schleswig-Holstein

Die Eidgenossen

Kaiser Matthias

Luthers gegen Dr. Eck

»auf ewig ungeteilt«

1460

Kaiser Joseph 1.

Beginn des

Reiches

1460

1705-1711

Gründung der

Beginn der Reformation in der Schweiz

Hussitenkrieg

»König in Preußen«

Schlacht bei Höchstädt

katholischen »Liga«

1612-1619

der Mark Brandenburg

1431-1449

sich in Königsberg als Friedrich 1. zum

1704

Luther veröffentlicht 95 Thesen gegen den

1419-1436

Kaiser Rudolf II.

Jan Hus in Konstanz als Ketzer verbrannt

1417

1576-1612

Die Schweiz praktisch

Konzil zu Konstanz

Kahlenberg;

Gegenreformation

bei Tannenberg

1414-1418

am

Ewiger Landfriede,

Sigismund

1499

Schlacht

Leopold I. befreit das

Gemeiner Pfennig,

Ruprecht von der Pfalz

1497 1410

1683

Beginn der

Reichskammergericht

1410-1437

Reichstag zu Augsburg;

Reichstag zu Worms:

1634

Wallenstein wird in Eger ermordet

1740-1748

(25. Februar)

Österreichischer Erbfolgekrieg

Karl der Kühne

1740-1742

Erster Schlesischer Krieg

Der Westfälische Friede

1742-1745

Kaiser Karl VII.

Krieg (24. Oktober)

1744-1745

Zweiter Schlesischer Krieg

Kaiser Leopold 1.

1745-1765

Kaiser Franz I.

beendet den 30jährigen

begründet die bahnbrechende Lehre vom

Kaiser Ferdinand III.

1530

Reichstag zu Augsburg.

Planetensystem mit der

»Augsburger Bekenntnis«

Sonne als Mittelpunkt

(Confessio Augustana)

1658-1705

Vorwort ier große Pestwellen im 14. Jahrhundert

kurzerhand zum Fenster hinaus. Dieser »Prager

verheerten Deutschland und dariiber

Fenstersturz« von 1618 wurde zum letzten aus­

deutschen Protestanten und trat mit eigenen

hinaus ganz West- und Mitteleuropa.

schlaggebenden Anlaß des Dreißigjährigen

Truppen offen gegen Habsburg in den Kampf.

Doch nicht der »schwarzer Tod«, sondern die

Krieges.

kirchlichen Mißstände wurden für die weitere

sehe Frankreich verbündete sich daraufhin mit

Auf deutschem Boden rangen Europas Mächte um politischen Einfluß.

Entwicklung bedeutsam. Als der deutsche Au­

Der von den böhmischen Ständen zum König

gustinermönch Martin Luther (1483 - 1546)

gewählte Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz,

Nach langjährigen Verhandlungen unter Betei­

den Verfall des Klerus anprangerte, führte sei­

das Haupt der protestantischen »Union«, wur­

ligung fast aller europäischen Mächte fand der

ne Kritik an Papst und Kirche- ursprünglich als

de 1620 in der Schlacht am Weißen Berg bei

Dreißigjährige Krieg 1648 mit dem Westfäli­

»Reformation« gedacht - schließlich zur epo­

Prag von dem kaiserlichen Feldherrn Tilly ge­

schen Frieden von Münster und Osnabrück

chalen Zäsur der Glaubensspaltung.

schlagen und vom Thron vertrieben. Die füh­

sein von dem leidgeprüften Volk herbeige­

renden protestantischen Adligen wurden hin­

sehntes Ende. Der Augsburger Religionsfrie­

Für den Kaiser des Heiligen Römischen Rei­

gerichtet, ihre Ländereien an Katholiken verge­

den wurde jetzt auch unter Einschluß der Calvi­

ches, den Habsburger Karl V., einen glaubens­

ben. Tillys Truppen marschierten dann nach

nisten bestätigt. Damit war die Glaubensspal­ tung in Deutschland endgültig anerkannt und

eifrigen Christen, war die Erhaltung der Einheit

Nordwesten gegen die norddeutschen Staaten.

der Kirche sowohl Herzenssache als auch poli­

Thnen stand der König von Dänemark bei. Der

das Zeitalter der Konfessionskriege beendet.

tische Notwendigkeit. Die Gemeinsamkeit des

böhmische Edelmann Albrecht von Wallen­

Mit dem Westfälischen Frieden war auch die

Glaubens sollte die Völker seines Herrschafts­

stein (1583 - 1634), ein glänzender Stratege

Idee des Kaisertums für immer verschwunden.

bereichs zusammenhalten. Doch schließlich

und Organisator, stellte dem bedrängten Kaiser

In Deutschland gab es nun mehr als 350 Herr­ schaftsgebiete.

dem zwischen

ein Heer auf. Der dänische König und seine

Lutheranern und Katholiken geschlossenen

mußte auch der Kaiser auf

deutschen protestantischen Verbündeten muß­

Augsburger Religionsfrieden des Jahres 1555

ten vor Wallenstein und Tilly zurückweichen.

Auch das Fürstentum Brandenburg-Preußen

den Landesherren den Glaubenswechsel zubil­

Sofort nutzte der Kaiser den Sieg. Ohne den

war beim Amtsantritt des Großen Kurfürsten

ligen. Sie waren es, die hinfort die Religion

Reichstag zu fragen, erließ er 1629 das soge­

Friedrich Wilhelm im Jahre 1640 verwüstet

ihrer Untertanen bestimmten: »Cuius regio,

nannte Restitutionsedikt, das den deutschen

und machtlos. Doch gelang es ihm in zäher

eius religio« - »Wessen Herrschaft, dessen

Protestantismus zu vernichten drohte. Die Er­

Aufbauarbeit, aus dem Vielerlei von weit aus­

Religion«.

bitterung der Protestanten über das Edikt und

einanderliegenden Ländern die Voraussetzung

die Empörung der Katholiken über den Druck,

für den einheitlich regierten, zur europäischen

Das Reich war nach 1555 in einen protestanti­

den Wallenstein im Reich ausübte, nötigten

Großmacht aufsteigenden preußischen Staat zu

schen Norden und einen katholischen Süden

den Kaiser, Wallenstein zu entlassen.

geteilt. Der Protestantismus machte unter dem

schaffen. Er drängte den Einfluß der Stände zurück und schuf ein stehendes Heer, ordnete

Schutz des Religionsfriedens weitere Fortschrit­

Zu dieser Zeit trat der Schwedenkönig Gustav

das Steuerwesen und schulte die Beamten. Sein

te, doch litt die protestantische Bewegung an

Adolf auf protestantischer Seite in den Krieg

Nachfolger, König Friedrich Wilhelm 1. (1713

innerer Uneinigkeit, die durch das Vordringen

ein. Nach seinem Sieg über das kaiserliche

- 1740), wurde zum eigentlichen Begründer

des Calvinismus nach Deutschland noch zu­

Heer bei Breitenfeld 1631 drangen die »Evan­

des brandenburgisch-preußischen Staates. Sei­

sätzlich vertieft wurde.

gelischen« bis nach Bayern und an die Grenze

ne größte Liebe galt dem Heer, das er gewaltig

der habsburgischen Erblande vor. In dieser

vergrößerte und zur Grundlage des Staates aus­

gefährlichen Situation gelang es Wallenstein,

baute, was sich sein Nachfolger, Friedrich II.,

schlossen sich die protestantischen Fürsten

erneut mit dem Oberbefehl betraut, in kürzester

konsequent zunutze machte.

1608 zur »Union« zusammen. Die katholi­

Zeit ein Heer aufzubieten und Gustav Adolf aus

Zur Sicherung ihres Besitzstandes im Reich

schen Landesherren bildeten daraufhin, unter­

Süddeutschland zu verdrängen. In der Schlacht

stützt vom Haus Habsburg, die »Liga«.

bei Lützen (1632) blieben die Schweden Sie­

Große« in die Geschichte einging, das überra­

Eine unüberbrückbare Spannung herrschte

ger. Aber sie bezahlten den Sieg mit dem Tod

gende politisch-militärische Genie seines Jahr­

Friedrich II. von Preußen, der als der »der

zwischen den beiden Parteien. Insbesondere

ihres Königs. Das »Kriegsglück« hielt sich nun

hunderts, ein Philosoph auf dem Thron und ein

die mächtigen Habsburger wollten der im

die Waage. Wallenstein mußte abermals seine

begnadeter Musiker dazu, war für die einen die

Religionsfrieden anerkannten Glaubensspal­

Absetzung befürchten. Er ließ sich auf geheime

Lichtgestalt des aufgeklärten Absolutismus; für

tung nicht endgültig zustimmen. Thr Ziel war

Verhandlungen mit den Feinden des Kaisers

die anderen ein eiskalt kalkulierender Macht­

ein und wurde 1634 in Eger im kaiserlichen

mensch. Kurz nach seinem Regierungsantritt

die Gegenreformation.

Auftrag ermordet.

1740 nutzte Friedrich die Gunst der Stunde und fiel unter dem Vorwand alter Erbansprüche

Als das kaiserliche Wien versuchte, das den böhmischen Protestanten zugesicherte Recht

Nach dem Tode Gustav Adolfs und Wallen­

überraschend in Schlesien ein. Ein langes Rin­

der freien Religionsausübung zu beseitigen,

steins traten die religiösen Motive der kämp­

gen zweier Großmächte auf deutschem Boden

zogen die gewählten Vertreter der protestanti­

fenden Parteien noch weiter zurück. Protestan­

war damit eingeleitet- für eineinhalb Jahrhun­

schen Stände zur Prager Burg, dem Hradschin.

tische und katholische deutsche Fürsten foch­

derte sollte die deutsche Geschichte im Zeichen

Die kaiserlichen Räte Slavata und Schmesanski

ten jetzt unter kaiserlicher Führung gemeinsam

des preußisch-österreichischen Dualismus ste­

blieben hartnäckig. Daraufhin warf man sie

gegen protestantische Schweden. Das katholi-

hen.

Hilflos sahen sich die Menschen des Mittelalters den verheerenden Zügen der Pest ausgeliefert. So suchten sie »Sündenböcke«. Aber die Seuche brachte auch tiefgreifende soziale und öko�ornische Umwälzungen.

DIe Pi t und ihre Folgen ns �

1

Die früheste Kunde vom Ausbruch der Pest haben wir von Karawansereien in Astrachan und Sarai an der unteren Wolga 1346. Der arabische Gelehrte IBN BArurA hörte auf seiner Rückreise aus Indien erstmals im Jahre 1347 oder 1348 in Aleppo (Syrien) von der Pest. Man nimmt an, daß Fallensteller kranke oder tote T iere einsammelten und in Astrachan und Sarai verkauften, wo die ausgehungerten Flöhe aus den Fellbündeln hüpften. Über die Krim trat die Pestseuche ihren makaberen Siegeszug an. Fast in jedem Hafen zwischen der Krim und Genua brach 1347 die Epide­ mie aus - verbreitet durch die Ratten auf den Segelschiffen. In Messina wurde der erste Ausbruch im Oktober 1347 registriert; zu

1

Beginn des Jahres 1348 trat der Schwarze Tod

n Europa, Nordafrika und in angrenzen­

und vor dem Gesicht eine „Gasmaske" mit

den Regionen des Nahen Ostens lebten

einem großen Schnabel, der, mit aromati­

in Tunis auf und verbreitete sich nach Sardi­

um das Jahr 1346 ca. 100 Millionen

schen Kräutern gefüllt, als Luftfilter diente.

nien und Spanien. Als die Genueser ihren

Menschen. Innerhalb weniger Jahre starb ein

Die Augen wurden durch gläserne Linsen

Hafen sperrten, liefen Pestschiffe Marseille an.

Viertel von ihnen an der Pest. In nur vier

geschützt. In der Hand trugen viele Ärzte

Bis Ende des Jahres 1348 hatte die Seuche die

Jahren verlor Europa damals ca. 20 Millionen

einen Stab mit Weihrauch, um „Unreinhei­

Atlantikküste erreicht. In Deutschland und

Menschen. Der Schwarze Tod des ausgehen­

ten" abzuwehren. Dieser Schutz bewahrte in

Dänemark wütete der Schwarze Tod seit 1350

den Mittelalters beendete das Bevölkerungs­

der Tat vor der Tröpfcheninfektion und hielt

und raffte ein Drittel der Bevölkerung dahin.

wachstum der vorhergegangenen Epoche.

die Flöhe besser fern, als Kleidung es ver­

135 1 erreichte er Polen und ein Jahr später

mochte. Neben dieser Miasmen-Theorie der

Rußland. Danach ging die Zahl der Toten

Im Mittelalter hatten die Menschen von der

Zeit gab es die Annahme, daß Krankheit

zurück, aber 1356 brach die Pest in Deutsch­

wahren Natur einer Krankheit keine rechte

durch absichtliche Vergiftung verursacht sei.

land neuerlich aus und flackerte in Europa

Vorstellung. Sie schrieben Krankheiten un­

Man beschuldigte Hexen und Andersgläubi­

immer wieder auf. Die Epidemien hemmten

heilvollen

oder

ge: in islamischen Ländern Christen, in christ­

das Wachstum und dezimierten die Bevölke­

„Miasmen" (krankheitsauslösenden Stoffen

lichen Moslems und überall die Juden. Da im

rung bis zum Ende des 14. Jahrhunderts.

in der Luft) zu. Dementsprechend trugen die

14. Jahrhundert 70-80 Prozent der Pestkran­

Ärzte ein dicht abschließendes Ledergewand

ken starben, suchte man nach Sündenböcken.

„Planetenkonstellationen"

Im Griechenbeisl, einem Lokal am Fleisch­ markt in Wien (Nr. 1 1), sang der liebe

Die Ausbreitung der Pest 1347-1350

Augustin, ein legendärer Bänkelsänger und Dudelsackpfeifer der Pestzeit, sein Lied „Alles ist hin ". Das Erlebnis dieses Massensterbens wurde in der Kunst zum T hema des Totentan­ zes stilisiert. Dem Tod konnte niemand entge­ hen, sei er nun reich und mächtig oder arm und unterdrückt. Überall in Europa entstan­ den Totentanz-Malereien, -Skulpturen und -Dichtungen. Vielleicht darf man diese Dar­ stellungen der „Gleichheit vor dem Tode" auch als Ansätze zur Überwindung der Gren­ zen zwischen den Ständen verstehen. Das Lebensgefühl der Spätgotik war zugleich End­ zeit {„Herbst des Mittelalters") und Aufbruch zu neuen Gedanken, Entdeckungen und Le­ bensformen.

" Die Infizierung edolgte zuletzt aus allen Himmelsrichtungen " 168

Die deutsche Ostkolonisation verlor wegen

Die Pestarten

des nachlassenden Bevölkerungsdrucks ihren Schwung. Es kamen keine deutschen Bauern mehr ins Baltikum. Die Überlebenden der Pestzeit erbten die Vermögen ihrer verstorbe­ nen Verwandten, viele rückten in Positionen auf, die ihnen vorher verschlossen waren. Die Grenzertragsböden wurden aufgegeben, die Landwirtschaft konzentrierte sich auf große Gehöfte inmitten fruchtbarer Äcker. Die ver­ lassenen Dörfer nennt man Wüstungen. Infol­ ge dieser Konzentration wurde der Getreide­ preis für lange Zeit auf einem niedrigen Niveau gehalten, was dem Aufschwung der Städte zugute kam. Für die weltlichen und geistlichen

Grundherren

begannen

nun

schwere Zeiten, da die auf ihren Ländereien verbliebenen Bauern weniger Abgaben er­ wirtschafteten. Einige Adlige wurden Raub­ ritter. Auf brachliegenden Äckern wuchsen neue Wälder, andere wurden zu Weiden. Die Wolle der vielen Schafe konnte wegen des

Unter der Bezeichnung "Pest" gingen im Alter­ tum und Mittelalter zahlreiche Züge ganz unter­ schiedlicher Seuchen in die Geschichte ein. Bei der Pest im engeren Sinne handelt es sich um eine Krankheit, die durch Flöhe von Ratten auf den Menschen übertragen wird. Es gibt zwei verschiedene "klassische" Verläufe. Der eine, harmlosere, ist die sogenannte "Beulenpest": Nach einer Inkubationszeit von 3-6 Tagen kommt es zu Schüttelfrost, Fieber, starker Ab­ geschlagenheit und Schwellungen der Lymph­ drüsen. Sehr viel schwerer ist die zweite Varian­ te, zu der es dadurch kommt, daß das Blut sehr viel stärker mit Pestbakterien überschwemmt wird. Sie wird durch Tröpfcheninfektion übertra­ gen. Und wer von ihr befallen war, für den gab es keinerlei Rettung. Im Mittelalter, das noch keine Antibiotika kannte, starben 100 Prozent der an Lungenpest Erkrankten! Heilung von der Beulenpest versprach man sich davon, daß Ärzte die angeschwollenen Lymphknoten auf­ schnitten. Unsere Abbildung, die diese Art der Pestbehandlung zeigt, stammt aus H. Folz' "Spruch von der Pestilenz" (1482).

Pestarzt beim Aufschneiden von Pestbeulen.

Mangels an Arbeitskräften nicht von Hand bearbeitet werden. So entstanden an vielen Wasserläufen Walkmühlen. Auch die Zahl

in denen Passagiere und Waren aus Übersee festgehalten wurden. Da aber die frei umher­

Selbstheilungskräfte aktivieren, mag dieses

der Hammerwerke mit wasserradgetriebenen Gebläsen nahm zu und konzentrierte sich in

laufenden Ratten die Seuche verbreiteten,

haben, die Pest zu überleben. Im Mittelalter

einigen Gegenden zu frühindustriellen Kom­

blieben diese Maßnahmen letztlich erfolglos.

vermochte man keine physiologischen Zu­

Ritual dem einen oder anderen geholfen

sammenhänge zu erkennen, vielmehr glaubte

plexen (z.B. gab es im Jahre 1492 in der Gegend von Siegen bereits 38 Roheisenwerke

Diese Erfolglosigkeit löste hysterische Reak­

und Stahlschmieden). So förderte die Entvöl­

tionen aus. Es entstanden Bruderschaften,

zu besänftigen, um so das Massensterben

kerung zugleich die Anfänge der Mechanisie­

deren Angehörige sich zweimal täglich mit

abzuwenden. Priester und Laien wurden

rung. Drehbänke sind erstmals im 14. Jahr­

Geißeln schlagen mußten. Da Schmerzreize

Geißler, aber auch Landfahrer, die von den

man, durch Massenbuße den göttlichen Zorn

hundert belegt, Rohrbohrwerke, Walz- und Schneidewerke zur Blechverarbeitung im 15.

1.eitzeugnis: Die Pest

Jahrhundert. Bis zum Jahre 1500 entwickel­ ten europäische Maschinenbauer zwei Arten von wassergetriebenen Pochwerken. Technische, wirtschaftliche und soziale Ent­ wicklungen, die zum Teil bereits im 11. Jahrhundert begonnen hatten, wurden nun also durch die Pest beschleunigt. Alte adlige Führungsgruppen sahen ihre alten Wirkungs­ möglichkeiten schwinden, und neue tech­ nisch-wirtschaftliche Eliten stiegen auf. Mit einsetzendem Fernhandel, Verlagswesen und Bankgeschäft entstand insgesamt eine neue Leistungshierarchie. Die Gelehrten stellten neue Fragen, besaßen aber weder Mittel noch Methoden, um neue Antworten zu finden. Da die Ärzte keine Medikamente gegen die Pest bereitstellen konnten, versuchten sie,

die

Krankheit durch eine rigorose Quarantäne einzudämmen. Pestopfer wurden in ihren Häusern eingeschlossen, mitunter wurden auch Gesunde zusammen mit den Kranken lebendig eingemauert oder sogar verbrannt!

„.„ Um so verheerender aber ward die Seuche, weil die Kranken, die Gesunden an­ steckend, sie täglich weiter ausbreiteten. Sie übertrug sich nicht nur, wenn ein Ge­ sunder mit einem Kranken sprach oder ihm nahekam, sondern, schon wenn er nur seine Kleider oder irgend et­ was, was der andere ange­ faßt hatte, berührte. Solche Ereignisse steigerten die Angst unter den Überleben­ den, und sie trafen mancher­ lei Vorkehrungen, sich zu ret­ ten. Viele gingen mit wohlrie­ chenden Kräutern und aller­ lei Spezereien umher, die sie an die Nase hielten; nach ih­ rer Ansicht mußte das Gehirn mit solchen Gerüchen ge­ stärkt werden. Andere be­ haupteten, das einzige Mittel gegen die Seuche sei, ihr ganz und gar zu entfliehen. In

diesem G1auben, nur von der Sorge um ihr eigenes Ich ge­ trieben, flohen Männer und Frauen in großer Zahl aus der Stadt, verließen ihre Häuser, ihre Habseligkeiten und flüch­ teten aufs Land. Die allgemei­ ne Angst war so groß, „ daß ein Weib den Mann verließ und daß die Eltern ihre Kinder im Stich ließen. Viele (Vorneh­ me) schieden aus dieser Welt ohne einen Zeugen. Nur sehr wenigen waren bei ihrem Hin­ scheiden die Tränen ihrer Freunde vergönnt. Selten nur war eine Leiche von mehr als zehn oder zwölf Männern be­ gleitet, und nicht die angese­ hensten Bürger trugen die Bahre, sondern gedungene Totengräber, die man Pest­ knechte nannte. Sie hoben die Bahre auf und trugen sie so schnell als möglich nach der nächsten Kirche, ohne .

den Wunsch des Verstorbe­ nen in dieser Beziehung zu beachten. Was die niederen Klassen und auch zum Teil den Mittel­ stand betrifft, so ging es hier noch jämmerlicher her. Man­ che hauchten ihr Leben auf den Straßen aus, andere wieder schlossen sich in ih­ ren eigenen Häusern ein, bis der herausdringende Stank den Nachbarn die erste Kun­ de von ihrem Tode brachte. Niemand gab den Toten das Geleit und weinte ihnen eine Träne nach, denn die Dinge waren jetzt so weit gediehen, daß das menschliche Leben nicht mehr galt, als wenn eine Ziege verreckte. Bei der gro­ ßen Menge von Toten reichte d � e g: weihte Erde nicht mehr hin„. (Glovanni Boccaccio über den Schwarzen Tod, 1348).

Es gab Pesthäuser und Quarantäne-Stationen, 169

Spenden der Bürger lebten, welche für den Kauf von Fahnen und Kerzen bestimmt wa­ ren. Sogenannte Geißlerprozessionen sind aus vielen Gegenden bezeugt, wohin die Pest noch gar nicht gekommen war - so zum Beispiel am 1. März des Jahres 1349 in Böhmen, wenige

Tage später in Sachsen, im April in Magde­ burg, am 6. Mai in Würzburg. Die Anführer dieser Umzüge machten auf den Marktplätzen den Geistlichen Vorwürfe wegen ihres beque­ men und zum Teil „sittenlosen Lebens". Auch mobilisierten sie die Armen zum Widerstand gegen die Behörden und unterstützten sie bei Ausschreitungen. Die Überlieferung bezeugt, daß sich diese Mobilisierung durch die Anfüh­ rer solcher Prozessionen aber vor allem gegen

Nu recket auf die euern Hände, daß Gott das große Sterben wende; nu recket auf die euern Arme, daß sich Gott über uns erbarme... nu schlaget euch sehre um Christes Ehre! Um Gott, so lasset die Hoffart fahren, so wöll sich Gott über uns erbarmen. (Geißler-Lied)

die Juden richtete.

Wir wissen: Judenverfolgungen gab es bereits zur Zeit der Kreuzzüge und während der T hronkämpfe zwischen AooLF und ALBRECHT

voN

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NASSAU

HABSBURG. Schon damals

warf man den Juden Brunnenvergiftungen vor. Dieser Vorwurf wurde in der Pestzeit erneuert. Man bezichtigte die Juden auch, sie hätten die Luft durch „Zauberei" verpestet. (Dies war auch ein Anklagepunkt in den Hexenprozessen der Zeit.) Ein weiterer Stan­

dard-Vorwurf gegen die Juden war Hostien­ schändung. Das eigentliche Motiv aber dürf­

ten Neid und Besitzgier gewesen sein. In Basel wurde der Stadtrat von den aufgewiegelten Massen gezwungen, die Juden zu verbrennen, in Straßburg versuchte der Rat, sich den Ausschreitungen zu widersetzen, aber nach der Absetzung des Bürgermeisters wurden die meisten der Straßburger Juden auf ihrem

Die mittelalterliche Krankenpflege Im Mittelalter lag die Kran­ kenpflege in den Händen geistlicher Frauenorden. Die im Bild zu sehende französi­ sche Buchillustration zeigt (wohl etwas idealisierend), wie es im Jahre 1482/83 im „Hotel Dieu" zu Paris zuging: umtriebige Ordensfrauen („Schwestern"), umgeben von Novizinnen, betreuen die Kranken, fühlen ihren Puls und verteilen Speisen bzw. Medikamente. Mit Sicherheit dürfte es in Häusern, wo

Pestkranke untergebracht waren, nicht so beschaulich­ gelassen zugegangen sein (in „normalen" Kliniken aller­ dings - davon darf man wohl ausgehen - in der Regel auch nicht). Denn bei den therapeutischen Möglichkei­ ten, die die mittelalterliche Medizin anzubieten hatte, war Krankheit in aller Regel ein hochdramatisches Ge­ schehen, das auch dem Pfle­ gepersonal viel abverlangte.

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......

Friedhof verbrannt. Die Schuldner erhielten

In Pestfällen bestand oft das Hauptproblem gar nicht dar­ in, die Patienten zu versor­ gen, sondern sich ihrer zu entledigen, koste es, was es wolle, um eine weitere Aus­ breitung der Epidemie zu verhüten. So verhielten sich nicht selten gerade noch Ge­ sunde gegen ihre bereits infi­ zierten nächsten Angehöri­ gen unvorstellbar brutal, und die einfachsten Grundregeln primitivster Ethik waren rasch vergessen.

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ihre Pfänder und Schuldbriefe zurück, und das Eigentum der Juden wurde verteilt. In Mainz starben im März 1349 vierhundert Juden. Das Kölner Judenviertel wurde von Mordbren­ nern erstürmt und geplündert. In Eßlingen, Speyer und Worms versammelten sich die jüdischen Gemeinden in den Synagogen und verbrannten sich selbst, als die Geißler zum Sturm ansetzten. Im frühen Mittelalter brauchte man die Juden für die Abwicklung der Geldgeschäfte. Sie hatten wegen des christlichen Zinsverbots ein Monopol. Mit der Entwicklung der Städte



änderte sich dies. Denn im späten Mittelalter

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entstand ein Kreditmarkt mit christlichen

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Geldgebern, den sogenannten Lombarden und Kawerschen (nach der französischen Stadt Cahors benannt). Die Juden wurden zu Gläubigern der kleinen Leute und darum zum Opfer des Volkszorns. Zum Teil wurden sie auch zu Sündenböcken gemacht, um die religiösen Eiferer mit sozialen Neidkomplexen von den wohlhabenden christlichen Familien abzulenken. Im späten 15. Jahrhundert beherbergten die rheinischen Städte keine Juden mehr, diese waren ermordet oder ausgewandert. Ihre Grabsteine wurden als Baumaterial verwen­ det. Die spätmittelalterliche Verfolgungs- und Vertreibungswelle führte zuletzt zur Abwan-

1 1

------

--

Versorgung der Kranken im ,Hotel Dieu" zu Paris.

170

·-�

"Das Krankenhaus eigentlich eine Schöpfung des östlichen Christentums"

Flagellanten bei ihren Bußübungen. Eine Möglichkei� auf den Schrecken zu reagieren, den das Massensterben des ,Schwarzen Todes' (der Pest) bei Menschen hervorrief, war die Flucht in einen religiösen Fanatismus, der in blutiger Selbstkasteiung, insbesondere durch Geißelhiebe (Peitschenhiebe), gipfelte. Die Flagellanten (,Geißler') hofften, durch die Peitschenhiebe, mit denen sie sich selbst oder gegenseitig marterten, ihre Sünden abzubüßen und Gott gnädig zu stimmen. - Aus einer Konstanzer Weltchronik des 14. Jahrhunderts.

"Judenhaß und Geißlertum sind die sozialpsychologischen Konsequenzen der Pestzüge.„ "

derung der Juden nach Osteuropa, wo sie einen

mittelalterlichen

deutschen

Dialekt

(Jiddisch) beibehielten. In diesen slawischen Ländern waren die Juden anfangs wichtig und willkommen für die Entwicklung der Wirt­ sind, KARL 1v., die geschichtliche Hauptfigur des Zeitalters, in den Mittelpunkt zu rücken.

Judenhaß und Geißlertum sind die sozialpsy­

Bürgertum ihre Konkurrenz loswerden wollte und die Juden in die Ghettos zwang. Andere

„Im Jahr 1349 war das größte Sterben, das je

wesen. Es waren dies die unmittelbaren Fol­

jüdische Auswanderer ließen sich in Italien

gewesen, es ging von einem Ende der Welt bis

gen der Pest. Die mittelbaren sind sozialöko­

nieder,wo sie sich in aschkenasischen (deut­

zum anderen, diesseits und jenseits des Mee­

nomischer Natur: Der „Schwarze Tod" raffte

schen) Gemeinden organisierten und in Me­

res„. ",sagt uns JAKOB TwINGER, ein Chronist

in einigen Regionen Deutschlands mehr als

morlisten, die in den Synagogen im Rahmen

dieses 14. Jahrhunderts. Seine Worte lassen

die Hälfte der Bevölkerung dahin. Das plötzli­

von Seelenfeiern vorgelesen wurden,der Mär­

erkennen,daß die Zeitzeugen dieser Pestepe­

che Massensterben ließ die städtische und

tyrer gedachten, die in Deutschland den Tod

demie furchtbar gelitten haben müssen und

landwirtschaftliche

gefunden hatten. In Böhmen schließlich ver­

daß ihre Sicht von Gott und der Welt eine

hend erlahmen. Geblieben aber war den

schaft. Dies änderte sich erst,als auch dort ein

hinderte KA RL

1v.

die Pogrome, im übrigen

Reich ließ er ihnen freilich ihren Lauf. Verein­

chologischen Konsequenzen der Pestzüge ge­

Produktion

vorüberge­

tiefgreifende Veränderung erfahren haben

Überlebenden die Kulturstufe,die der mittel­

muß.

alterliche Mensch des 14. Jahrhunderts er-

zelt wandten sich Fürsten und Städte gegen die Verfolgungen. - So wurden nach der Abwanderung der Juden aus dem deutschen Raum die Fugger und Welser, Imhoff und

Hochstetter zu den Finanziers der Städte und der Fürsten. Insgesamt und abschließend sei gesagt: Die Folgen der Pest von 1347-1352 waren äu­ ßerst vielfältig. Diese nachzuzeichnen ist nicht ganz einfach. Im Grunde war die Pest,aus der Rückschau betrachtet, das Hauptereignis ei­ ner ganzen Epoche, auch wenn wir geneigt

Judenverbrennung als Konsequenz der Pestzüge. Aus den Annalen des Gilles de Muisit. Miniatur, Königliche Bibliothek, Brüssel. 171

" ... beklemmendes Grausen und Todesgedanken folterten das Bewußtsein des spätmittelalterlichen Menschen. "

Weltuntergangsangst. Panische Weltuntergangsängste ließen die Menschen des Mittelalters besonders nach dem Wüten des »Schwarzen Todes« immer wieder an die apokalyptischen Visionen des Propheten Daniel und an die sogenannte Johannes-Apokalypse denken. Darstellungen, wie die hier abgebildete, zeigen, wie man sich die Verwirklichung des Verses 9 aus dem 12. Kapitel der „geheimen Offenbarung" vorstellte: ,Und es war ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt, und ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden auch dahin geworfen." Man fürchtete, der auf die Erde gestürzte Teufel werde ein Schreckensregiment errichten und es werde „alsdann eine große Trübsal sein, wie nicht gewesen ist von Anfang der Welt" (Daniel 12,1; Matthäus 24, 21), bevor Jesus als Weltenrichter käme und das endzeitliche Reich Gottes ausriefe.

'

·

reicht hatte, - geblieben waren die Verkehrs­ wege, die Produktionsmittel, die Gütervorräte und schließlich der Reichtum im engeren Sinne des Wortes: die Edelmetalle. In die durch die Pest entvölkerten Städte zogen in rascher Folge ländliche Bevölkerungsschich­ ten, die den vorübergehend wirksamen Man­ gel an städtischen Arbeitskräften alsbald aus­ gleichen konnten. - Die Geschichte des Jahr­ hunderts stand darum nicht still... und die letzte »Folge« der Pest war deren Überwin­ dung. Der »Schwarze Tod« wütete bis zum Jahre 1352. Nur wenige Landstriche blieben verschont.

Dazu gehörten unter anderem

Franken, Böhmen und auch Polen. Wenn wir hier von „ Überwindung" der Folgen spre­ chen, heißt das nicht, daß diese Seuchen­ Geißel damit aus der europäischen Geschichte endgültig gewichen war. In den darauffolgen­ den 100 Jahren kehrte sie immer wieder zurück. Danach wurden die Zwischenräume ihres Auftretens größer und das »gefolterte Bewußtsein« des Menschen »freier«: Mit Re­ naissance und Humanismus zeigt sich der »europäische Geist« schließlich als Sieger. In den Jahren 1720/21 wütete die Pest ein letztes Mal. Die „Resistenten" der Seuchenzüge überlebten jeweils. Ihnen schulden wir unsere heutige Existenz.

Die Sicht vom menschlichen Körper Einer der Charakterzüge mit­ telalterlichen Denkens und Fühlens war eine von uns schwer nachzuvollziehende Weltverneinung. Schon Odo, der von der katholischen Kir­ che als einer ihrer Heiligen verehrte Abt von Cluny (927-942), hatte sich voller Verachtung über die Schön­ heit des menschlichen, ins­ besondere des weiblichen Körpers geäußert: „Die Schönheit des Körpers be­ steht allein in der Haut. Denn wenn die Menschen sähen, was unter der Haut ist, wenn sie ( ) das Inwendige sehen könnten, würden sie sich vor dem Anblick der Frauen „.

172

ekeln. Ihre Anmut besteht aus Schleim und Blut, aus Feuchtigkeit und Galle. Wenn jemand überdenkt, was in den Nasenlöchern, was in der Kehle und was im Bauch alles verborgen ist, dann wird er stets Unrat fin­ den." Aber erst, nachdem die Menschen das tausendfache Sterben der Pest-Epidemie erlebt hatten, begann auch die bildende Kunst, Tod, Ver­ wesung und Zerfall darzu­ stellen, - so bei den Toten­ tanz" -Darstellungen, die nun überall anzutreffen waren, aber auch wie auf dem abge­ bildeten Grabstein aus dem schweizerischen La Sarraz. •

Verwesender Leichnam. Grabstein aus dem schweizerischen La Sarraz.

Mögen auch die Chronisten der »Großen Pest« in ihrem Entsetzen über die Auswirkun­ gen der Seuche gelegentlich übertrieben ha­ ben, ihr »Entsetzen« als solches jedenfalls ist authentisch. Hier müssen wir heute ansetzen, um die Massenhysterie und Ausschreitungen gegen die Juden zu verstehen. Der Mensch des 14. Jahrhunderts stand bereits an der Schwel­

le zur Neuzeit und wird, einer Naturkatastro­ phe gleich, getroffen. In gewisser Weise wurde er Opfer eben dieser beginnenden »Moder­ ne«. Denn die Unaufhaltsamkeit und Schnel­ ligkeit, mit der der Bazillus durch Europa getragen

wurde,

hatten

selbstverständlich

auch mit den sich ausweitenden Handelswe­ gen zu tun. Die Pest war der Vorbote einer Zeitenwende, die durch den Aderlaß noch nicht hatte stattfinden können„.

Zwar hatte der »Schwarze Tod« das Land weitgehend entvölkert. Doch in den Städten blühten Handel und Wandel alsbald wieder auf. Der Katastrophe folgte ein regelrechtes kleines »Wirtschaftswunder«.

Das Aufblühen der städtischen Kultur

N

ach der Pestwelle mit einhergehender

ten. Kaufleute - insbesondere die Patrizier

Konzentration der Landwirtschaft auf

erwarben nach Möglichkeit vom Landesherrn

ser, Imhoff) sehr reich wurden, profitierten

rationelle Betriebsgrößen und gute Bö­

Tausende von Familien der mittleren, zum Teil

den verfielen die Getreidepreise. Dies kam

Lehnbesitz. In den Städten wurden Getreide­ speicher errichtet, die es dem Rat ermöglich­

dem Wachstum der Städte zugute. Gewöhn­

ten, in Notzeiten gehortetes Getreide verbilligt

des Handels und des Gewerbes, aber ihr

lich ernälute sich eine Stadt von den Dörfern

abzugeben. Damit war der Hungertod in den

politischer Einfluß war gering. In den Rat

im Umkreis, die zum Teil der Stadt gehör-

Städten im großen und ganzen besiegt.

wurden meist nur Bürger gewählt, die sich von

-

Während einige Unternehmer (Fugger, Wei­

auch der unteren Schichten vom Aufschwung

anderen Bürgern durch Grundbesitz und/ oder eine erfolgreiche Erwerbstätigkeit auszeichne­ ten. Nicht jeder Einwohner einer Stadt war zugleich Bürger. Der Erwerb des Bürgerrechts war an Voraussetzungen wie eheliche Geburt, Ehrbarkeit des Lebenswandels und gutes Ein­ kommen geknüpft. Damit waren abhängig arbeitende Personen in der Regel ausgeschlos­ sen. In der Frühzeit der Städte gehörte dazu der Besitz eines Grundstücks. Frauen erhielten das Bürgerrecht nur in Ausnahmefällen und unter. Auflagen, - zum Beispiel wenn eine Witwe das Gewerbe ihres Mannes fortführte. Schon seit dem 13. Jahrhundert entwickelte sich in der Stadt eine Schicht ratsfähiger Familien, das Patriziat. Es war in aller Regel identisch mit den reichen Kaufmannsfamilien. In vielen Städten waren die Groß- und Fern­ händler-Familien

ursprünglich

Gewand­

schneider (Tuchhändler), die alsbald auch andere Handelsgüter vertrieben. Im 14. Jahr­ hundert drängte das in Zünften organisierte Handwerk auf Mitbestimmung und setzte die Beteiligung am Rat durch, - in Berlin im Jahre 1346; in Hildesheim wurde den Zünften erstmals 1345 ein Drittel der Ratssitze ge­ währt. Der Innere Rat, der Nürnberg regierte, bestand aus 45 Patriziern und acht einfachen Bürgern. Die wichtigsten Mitglieder waren

Roland von Bremen. Wie ähnliche Statuen in anderen Städten (insbesondere Norddeutsch­ lands) zeugt auch der Roland von Bremen von der zunehmenden Selbständigkeit der Stadt. 173

die sieben A"ltesten und die drei Hauptmänner, von denen einer (der „Losunger") das Ober­ haupt der Stadtregierung stellte. Die Patrizier legten ihren Reichtum zum Teil in Landbesitz an und orientierten sich in ihrer Lebensweise am Adel. Denn sie hielten Tur­ niere ab, übten sich im Kampf mit ritterlichen Waffen, einige Familien führten Wappen und Siegel. Die Stadtregierungen strebten nun verständlicherweise auch danach, sich von den Gesetzen, Gerichten, Steuern, Zöllen und Streitkräften des Territorialherrn (bzw. des Bischofs) zu befreien. Wenn ihnen das einiger­ maßen gelungen war, suchten sie ihre Herr­

Ochsenweg in Schleswig­ Holstein. Trotz - oder gerade wegen - des Aussterbens großer Teile der Bevölkerung verschob sich das Bevölkerungsverhältnis von Stadt und Land erheblich zugunsten der Städte. Viele Dörfer waren ausgestorben und verfielen schließlich zu sogenannten ,Wüstungen". Die Bewohnerschaft der Städte aber nahm durch die Zuwanderung vom lande eher zu. Und die Stadtbewohner brauchten Fleisch. So trieb man scharenweise Ochsen zum Schlachten in die Städte.

schaft auf das Umland auszudehnen. Auch einzelne Personen und Gruppen erwarben

öffentlichen Ordnung. Sie vertraten ihre Stadt

kaufsstand. Der Einfuhrzoll für Nahrungsmit­

Rechte aller Art von verarmten oder schwa­

in Verhandlungen mit dem Landesherrn, mit

tel und Rohstoffe war gering, - für Fertigwa­

chen Herrschern. Die Machtverteilung in den

anderen Städten und mit dem Adel benach­

Städten war insgesamt kompliziert und mitun­

barter Landschaften. Sie konnten den Zusam­

schützen. Durchgangszölle waren höher als

ter verwirrend.

menschluß von Handwerkszweigen zu Innun­

Einfuhrzölle. Fremde, welche die Zufahrtstra­

gen, Gilden und Zünften erlauben oder ver­

ßen benutzten, waren gezwungen, ihre Waren

Dem Rat und dem Stadtgericht unterstanden

bieten, ihnen Statuten verleihen und diese

die Einwohner einer Stadt (Bürger und Nicht­

in der Stadt anzubieten

überwachen. Es gab eine Ressortverteilung.

oder sie mußten eine Gebühr entsprechend

bürger) mit Ausnahme des Adels, des Klerus,

Dabei war der Kämmerer vergleichbar mit

der Art und Menge der Waren entrichten.

der Beamten des Landesherrn oder des Kaisers

einem heutigen Stadtrat für Finanzen. Die

ren hoch, um das Handwerk der Stadt zu

( niederzulegen"), „

Die Bürgerschaft einer Stadt war eine Rechts­

und der Juden, die meist dem Landesherrn

Höhe der Markt- und Handelsabgaben, wel­

oder dem Kaiser unterstellt waren. Die Rats­

gemeinschaft, deren Mitglieder durch einen

mannen hatten die Aufsicht über die Märkte,

che die Haupteinnahmequelle der Städte war, richtete sich nach der Herkunft der Händler,

Eid miteinander verbunden waren. In einigen

die Bauten und die Aufrechterhaltung der

der Art und Menge der Ware und dem Ver-

alten Städten gibt es

noch heute

" Der Schwarze Tod entvölkerte das platte land. "

Wüstungskirche bei Göttingen. We�e Teile des Landes waren durch die Pest buchstäblich entvölkert worden. Und wer auf dem flachen lande überlebt hatte, den zog es oft genug nach dem Abklingen der Seuche in irgendeine Stadt, denn hier waren Arbeitskräfte knapp geworden. So hatten manche Dörfer plötzlich keine Einwohner mehr und verfielen zu ,,Wüstungen" (so lautet der offizielle wissenschaftliche Fachbegriff für derartige inzwischen in Trümmer gesunkene und we�gehend vom Erdboden verschwundene ehemalige Ansiedlungen). Eine solche Wüstung ist Moseborn bei Göttingen. Meist hielten sich die nicht mehr benutzten Kirchen am längsten, bestanden sie doch aus dem haltbarsten Baumaterial. Häuser, Scheunen und Ställe dagegen waren aus Baustoffen errichtet gewesen, die den Unbilden der Witterung weit weniger Widerstand entgegensetzten und wesentlich rascher zerfielen. 174

einen

„Schwurtag". Die Aufnahme von Neubür­ gern erfolgte in einer feierlichen Zeremonie im Rathaus; dabei zahlte der Bewerber eine Gebühr und leistete den Ratsmannen den Bürgereid, mit dem er sich zum Gehorsam und zur Einhaltung der städtischen Verord­ nungen verpflichtete. Danach hatte er Anteil an den der Stadt verliehenen Privilegien, vor allem am Marktrecht , an der Zollfreiheit, am Niederlagerecht, mitunter auch am Münz­ recht. Die ostelbischen Städte erhielten ihre Rechts­ ordnung nach dem Muster einer anderen älteren Stadt - meist direkt oder indirekt von Magdeburg. Frankfurt an der Oder erhielt seine Rechtsordnung nach Berliner Vorbild. In einer Urkunde von 1253 belehrte der Berliner Rat den Rat der neugegründeten

Städte in Europa am Ende des Mittelalters Großstädte in Euro�a {Einwohnerzahl} Paris

200 000

Brügge

Neapel

150 000

Gent

Venedig

90 000

Florenz

50 000 50 000 50 000

London

50 000

Rom

40 000

Häuser standen gewöhnlich mit dem Giebel zur Straße oder zum Platz. Sie waren zunächst aus Holz (in Fachwerkbauweise) errichtet. Anfänglich besaßen nur wenige reiche Fami­ lien Steinhäuser. Erst langsam begannen sich die städtischen Häuser von den ländlichen zu

erscheint. Charakteristisch dafür ist die Nut­

unterscheiden, und es entstand jenes Stadt­ bild, das uns heute als typisch mittelalterlich zung der Häuser sowohl für gewerbliche wie

Deutsche Städte (Einwohnerzahl)* Köln

40 000

Breslau

Straßburg

25 000

Ulm

Lübeck

25 000

Rostock

Danzig Nürnberg

22 000 Worms 22 000 Augsburg

Hamburg

22 000 Braunschweig 16 000

20 000 20 000 20 000

für Wohnzwecke. Im 15. Jahrhundert wur­ den viele in Giebelstellung angelegte Städte auf Traufenstellung umgestellt. Dabei wurden

20 000

die Giebel um 90° gedreht. In Frankfurt

20 000

wollte man trotz des Umbaus das gewohnte

*Gesamtzahl der Städte fast 3000 (geschätzt), davon ca . 2800 unter 1000 Einwohner.

Stadt über seine Rechte und Pflichten. Zu den

Bild beibehalten und setzte den Traufenhäu­ sern durchlaufende Zwerchgiebel auf. Die bedeutendsten Bauten einer Stadt, denen sie ihre charakteristische Silhouette verdank­ te, waren Kirchen und Rathäuser, Zunft- und

Organen der Verwaltung gehörte auch der

Dort wurde eingesperrt, wer keinen Bürgen

Stadtschreiber, der die Korrespondenz des

stellen konnte, und es saßen ein die zum Tode

Gildehäuser, in einigen Städten auch Stadttür­

Rates erledigte, ein Register der Einnahmen

Verurteilten vor ihrer Hinrichtung. Ferner gab

me, Burgen und Residenzen, Klöster und

und Ausgaben führte und mitunter auch als

es Wächter an den Stadttoren, berittene Boten

Adelshöfe.

Schulmeister tätig war. Ferner gab es den

für die Übermittlung von Nachrichten, Stadt­

Machtstrukturen erkennen: Die frühen Bi­

Gerichtsschreiber und einen Gerichtsboten ,

musikanten und Knechte für öffentliche Ar­

schofsstädte entstanden meist in den Ruinen

für die Exekution der Urteile einen Büttel, in

beiten...

römischer Städte oder Militärlager. Die Dome

einigen Städten auch einen Henker. Das Haus

Am

Stadtplan kann man die

waren umgeben vom Bischofspalais und von

des Büttels diente zugleich als Gefängnis,

Da die Städte ummauert waren, gab es wenig

Verwaltungsgebäuden, Ställen, Scheunen und

sofern es nicht Zellen im Rathauskeller gab.

Platz. Die Grundstücke waren schmal, die

Herbergen für die Gäste des Bischofs. Diese Bauten bildeten den bischöflichen Immuni­ tätsbezirk . Auch die Pfarrkirche war umbaut.

Landwehrtum bei Göttingen. Auch außerhalb der Stadtmauern befand sich Gelände (Weide- und Ackerland, Waldungen usw.), das den Stadtbewohnern gehörte. Um diese Ländereien zu schützen, errichtete man sogenannte ,Landwehren" mit T ürmen wie hier an der Straße zwischen Göttingen und dem Harz, deren Wächter vor allem die Aufgabe hatten, Viehdiebe zu verjagen, die es auf die Pferde und Rinder der Göttinger Bürger abgesehen hatten. Nicht selten haben sich bei derartigen Wachtürmen Überreste kleiner Gehöfte erhalten, die es dem Turmwächter ermöglichten, sich selbst zu versorgen. Unmittelbar daneben erblickt man bisweilen auch noch Reste der eigentlichen Landwehr, die aus Wall und Graben bestand.

Man hatte fast nie einen freien Blick auf diese herrliche Architektur... Die Märkte waren ursprünglich Stellplätze für Planwagen, dann für zerlegbare Marktbuden, denen feste Krambuden folgten. Es gab Marktprivilegien für weltliche und geistliche Grundherren, die später zum Teil von den Städten erworben wurden. So kam es, daß viele Märkte in der Nähe von Domen und Kirchen entstanden, zum Teil waren die Bu­ den - und später die Häuser der Händler an die Kirchen angelehnt; sie „klebten" an den Strebpfeilern. Das Wort Messe zeigt uns, daß Jahrmärkte häufig an einem kirchlichen Fei­ ertag stattfanden. Das Gewirr der Gassen entstand, als an den eher zufälligen Standorten von Krambuden Wohnhäuser (teils mit Ver­ kaufsbuden) errichtet wurden. Als die alten Marktplätze schließlich überbaut waren, legte man neue an anderen Stellen an. Es entstan­ den spezialisierte Märkte. Gelegentlich schu­ fen Brände und Kriegszerstörungen wieder Raum für neue Platzanlagen im Stadtzentrum, oder die Landeshe"en ließen, wenn sie eine Stadt unter ihre Kontrolle bekamen und eine Residenz anlegten, ganze Straßenzüge abrei175

Rothenburg ob der Tauber. Ein typisches Beispiel einer mittelalterlichen Stadt ist Rothenburg ob der Tauber. Klar läßt die Luftaufnahme den regelmäßigen Verlauf der Straßenzüge erkennen. In beherrschender Lage erhebt sich die Stadtkirche Sankt Jakob. Deutlich erkennt man jedoch auch den Markt mit dem Rathaus, - Symbol mittelalterlichen Bürgerstolzes.

" ...mit einem nach den Haupthimmels­ richtungen ausgerichteten Straßenkreuz. "

ßen. Nach den Judenpogromen nutzte der Rat

Mittelalter eine Heerstraße von Frankfurt

Die Hansestädte sind überwiegend planvoll

von Nürnberg die Gelegenheit zur Anlage

nach Norden war. Hier machten die Kaufleute auf dem Weg zur Frankfurter Messe halt. So

angelegte Hafenstädte. Da Lübeck im Jahre 1160 zum Bischofssitz erhoben wurde, gab es

entstand ein Straßenmarkt. Viele Stadtgrün­

das Nebeneinander von Bischofs- und Bürger­

eines repräsentativen Platzes. Bei befestigten Herrschaftssitzen entfaltete

dungen des 12. Jahrhunderts (Bern, Breisach,

stadt. Am Markt stand die Marienkirche der

sich das Wirtschaftsleben in einer Vorstadt,

Straubing, Freiburg im Breisgau) waren ur­

hohen Schauwand des Rathauses gegenüber -

die zur Altstadt wurde: Die Kaiserpfalzen

sprünglich Straßenmärkte mit einer durch

ein architektonisches Ensemble. Auch in Gos­

wurden unter den Hohenstaufern zum Teil in

zwei Tore begrenzten Marktstraße. Erst im

lar, Prenzlau und Stralsund befanden sich

14. und 15.

Rathaus und Pfarrkirche an einem Markt­

Friedberg, entstanden aus einem Römerka­

Jahrhunderts wurde die Stadtmauer durch

platz. Die Bürger fühlten sich ihren Pfarrkir­

stell, schützte eine alte Römerstraße, die im

vorspringende Rundtürme flankiert.

chen eng verbunden. An den Stiftungen für

Bürgerstädte

umgebaut.

Die

Reichsburg

ausgehenden Mittelalter des

ihren Unterhalt, ihre Erweiterung und Aus­ stattung beteiligten sich Patrizier und Gilden.

Der Historiker urteilt „Die Verfassungs- und Wirt­ schaftsgeschichte des neun­ zehnten Jahrhunderts hat die Geschichte des Städtewe­ sens unter einem »bürgerli­ chen« Gesichtspunkt ge­ schrieben. Geldwirtschaft, Bür­ gertum und Stadt erschienen als die treibenden Kräfte, die die Unfreiheit der feudalen Herrschaftsformen auflockern und sprengen und zur »bür­ gerlichen Gesellschaft« im modernen Staat hinüberleiten. Städtische Verfassungsge­ schichte erscheint vor allem als das Ringen bürgerlichen

176

Autonomiestrebens mit der überkommenen, den freien Bürgergeist in Fesseln schla­ genden Stadtherrschaft, deren Uberwindung als selbstver­ ständlich galt. Darüber hat man freilich übersehen, daß der Erfolg, den die deutschen Städte auf diesem Wege er­ zielten, zum erheblichen Teil eine Folge der territorialen Zersplitterungen und des Ver­ falls der deutschen Königsge­ walt gewesen ist. Eine Betrachtung, die die Stel­ lung der Stadt in der Landes­ verfassung im Auge hat, muß

In Nürnberg gab es ein Nebeneinander von die Tatsache in den Vorder­ grund stellen, daß jede Stadt einen Herrn besitzt und des­ sen Hause zugeordnet ist. Keine, auch die landesfürstli­ che Stadt nicht, die schließlich die Landstandschaft erwirbt, steht so wie der adelige Herr unmittelbar im lande. Daher gehört die städtische Verfas­ sungsgeschichte in den Be­ reich der Verfassung der »Herrschaften« im lande. Die Herrschaft des Stadt­ herrn über die Bürgergemein­ de ist das Entscheidende". (Otto Brunner) „.

Reichsburg und Bürgerstadt. Die Städte Ber­ lin, Stralsund, Wismar und Rostock waren Konglomerate aus mehreren Zentren. Mit zunehmendem Reichtum der Städte leg­ ten sich ihre Rathäuser die gleichen Räum­ lichkeiten zu, die in der Burg oder dem Palast des Territorialherrn anzutreffen waren. Es gab einen großen Raum für die Ratsversammlun­ gen, einen kleineren für die Amtsträger, ein feuersicheres Gelaß für Akten und Schatztru­ hen und ein oder zwei Zimmer für die Schreiber. Aus Prestigegründen wurde das Rathaus so groß wie möglich gebaut und die Fassade mit Ornamenten und Skulpturen

Lübecker Armenstift. Die Entwicklung des menschlichen Zusammenlebens in den Städten führte auch dazu, daß soziale Aufgaben wie Krankenpflege und Armenbetreuung, die bisher von der Kirche wahrgenommen worden waren, nun in die Hände der Städte oder wohlhabender privater Bürger übergingen. Die Aufnahme zeigt ein Armenstift in Lübeck.

geschmückt. Die für die Verwaltung nicht benötigten Räume wurden vermietet. Das Rathaus von Thorn hatte im Erdgeschoß Läden und eine Markthalle und darüber die Halle für den Rat und die Räume für das Gericht. Zum Ratssaal gehörte meist eine Verkündigungslaube zur Bekanntmachung der Beschlüsse des Rates - zum Teil verbun­ den mit einer Freitreppe. Vor dem Rathaus stand der Pranger („Kaak"), im Keller befan­ den sich die finsteren Gefängnisse. Gerichts­ verhandlungen fanden oft in einer Gerichts­

Kornmarkt wurde später zum Zollhaus. Um

laube im Erdgeschoß statt. - Noch heute ist

einen Teil der für den Brückenbau ausgegebe­ nen Gelder wieder hereinzubekommen, bau­

das Rathaus von Lüneburg weitgehend im

ten viele Städte auf den Brücken Wohnhäuser

Originalzustand erhalten.

und Läden, die dann vermietet wurden. Auf Das Rathaus diente auch als Festsaal für die

den Kais standen öffentliche Kräne zum Ein­

Bürgerschaft. Reiche Städte bauten ein beson­

und Ausladen der Waren. Eine gute Rekon­

deres Hochzeits- oder Tanzhaus. In einigen

struktion eines solchen Krans, der einst auch

Gegenden gab es hohe Rathaustürme. Man­

Schiffsmasten bei Werftarbeiten in die richtige Position brachte, steht heute wieder in Dan­

cherorts finden wir vom Rathaus abgelöste Stadttürme. Der Marktplatz war gewisserma­

fromme Stiftungen für alte Leute, die ihren

zig. Die Kräne wurden durch Tretmühlen

ßen die „gute Stube" einer Stadt. Er wurde

Lebensunterhalt nicht selbst verdienen konn­ ten. Das Heiliggeistspital in Lübeck hat bis

Lüneburg zu besichtigen.

mit Brunnen geschmückt. Die Künstler, insbesondere Bildhauer und Bildschnitzer, die

heute den Charakter eines mittelalterlichen,

vorher Wanderhandwerker waren, begannen

kirchenähnlichen Schlafsaals bewahrt.

angetrieben, ein rekonstruiertes Beispiel ist in

Nur wenige Städte haben ihr mittelalterliches Stadtbild - zumindest im Stadtkern - erhalten,

sich mit festen Werkstätten in den Städten

dafür sind neben Kriegs- und Brandzerstörun­

niederzulassen, da sie von öffentlichen Aufträ­

Der Rat der Stadt mußte die Mittel für

gen und den Bestellungen wohlhabender Bür­

öffentliche Bauarbeiten bereitstellen: die Er­

gen vor allem Umhauten in Anpassung an

ger leben konnten. Sie organisierten sich wie

richtung und Befestigung von Straßen, die

veränderte wirtschaftliche und soziale Verhält­

alle Handwerker in Zünften (bzw. Gilden oder Ämtern). Bildhauer und Maler gehörten

Anlage oder Vergrößerung von Plätzen, den

nisse verantwortlich, - verbunden mit dem

Bau von Brücken, Kaianlagen, Kränen, Stadt­

architektonischen Stilwandel der Zeiten. Für

in aller Regel zum sogenannten Schilderamt.

mauern und Befestigungen. In Nürnberg bau­

Rothenburg war es aus heutiger Sicht ein

Die Goldschmiede-Innung von Braunschweig

te man zwischen den Jahren 1491 und 1502

Glück, daß sich die Verkehrsströme verlager­

erhielt bereits im Jahre 1231 ein Ratsprivileg.

drei große Lagerhäuser für Getreide (mit

ten und die Stadt sozusagen in einen „Dornrös­

Es bildeten sich lokale Kunsttraditionen. Ne­

sechs Stockwerken!), darunter eines bei der

chenschlaf" versank, um heute als komplettes

ben Stein und Holz gewann Ton als Werkstoff

Burg, das noch heute steht; das Kornhaus am

Ensemble bewundert werden zu können. Was

an Bedeutung. Die bedeutendsten Meister des Späten Mittelalters waren ADAM KRAFT (um

1460-1508), V EIT Smss (um 1448-1533) und TILMANN RIEMENSCHNEIDER (um 14601531). Im Zentrum der Städte standen neben den öffentlichen Bauten die Häuser der Patrizier (Fernhandelskautleute), die ihre Geschäfte vom Kontor aus führten. Manche Handwer­ ker waren in einzelnen Straßen oder Gassen im Umkreis konzentriert. Die Häuser dienten sowohl zum Wohnen wie auch als Arbeitsstät­ ten und/oder als Läden. Von Oberitalien aus verbreiteten sich die Laubengänge nach Süd­ deutschland - einerseits über Frankreich und die Schweiz, andererseits über Tirol, Bayern und Böhmen nach Schlesien und Preußen. Außer den Privathäusern gab es auch Miets­ Reihenhäuser und Bauten der sozialen Für­ sorge für Arme und Kranke, - zum Beispiel

Tretrad im Freiburger Münster Als eine der ältesten, noch betriebsbereiten großen Ma­ schinen aus dem Mittelalter treibt dieses (durch mehrere in ihm laufende Männer in Be­ wegung zu setzende) Tretrad eine Seilwinde an. Mit deren Hilfe konnte man einst schwe­ re Lasten, beispielsweise Steinquader, hochheben. Es befindet sich im Dachstuhl des Freiburger Münsters. Derarti­ ge Räder gibt es auch noch in anderen gotischen Kirchen, beispielsweise in Schwäbisch Gmünd und in Straßburg. Sie waren aber früher (seit dem 13. Jahrhundert) auch noch in vielen anderen mittelalterli­ chen Großbauten unterge­ bracht.

die Lübecker Gänge". Die Hospitäler waren „

177

Der Markt von Lübeck An­ fang des 14. Jahrhunderts. Lübeck war im Späten Mittel­ alter die zweitgrößte deutsche Stadt mit geschätzten 25 000 Einwohnern. Das erscheint wenig aus heutiger Sicht, ist aber viel, wenn man die mit­ telalterlichen Gegebenheiten und Voraussetzungen in Rücksicht stellt. Die neben­ stehend abgebildete Skizze des Marktes vermittelt einen guten Eindruck von der stren­ gen berufsständischen Glie­ derung des mittelalterlichen Marktaufbaus. Unschwer er­ kennt man die beherrschende Stellung der Marienkirche, die durch den Friedhof vom säku­ laren Stadtgeschehen abge­ schirmt scheint. Um sie her­ um gruppieren sich indes jün­ gere Verkaufsbuden. Das entspricht zumindest spätmit­ telalterlicher Sicht: Die Kirche ist der Mittelpunkt des stadt­ gesellschaftlichen Gesche­ hens.

isch-G.

M a r k t

der Urkunden, Briefe, Satzungen und Pet­ schaften aufbewahrt wurden. Auf der Mor­ gensprache wurde auch das Zunftgericht meist unter dem Vorsitz von zwei Zunftmei­ stem und oft im Beisein von zwei Ratsherren gehalten. Zur Repräsentation der

Zünfte

gehörten Fahnen, die bei Umzügen mitgeführt wurden. Auch am kirchlichen Leben nahmen die Zünfte als geschlossene Gruppen teil und stifteten teilweise eigene Altäre (ein Flügelal­ tar im Hamburger Dom wurde zum Beispiel vom „Amt" der Maler und Glaser der Lukas­ bruderschaft errichtet). Die Anwesenheit bei Kirchenfesten hatte eine standespolitische Be­ deutung, die Zünfte stritten sich um die vorderen Plätze in den Festtagsprozessionen, - dies zum Zeichen ihres Ranges. Die Aufnahme eines Lehrlings in die Meister­ familie und seine Lossprechung als Geselle waren feierliche Zeremonien. Die Gesellen gingen gewöhnlich auf eine mehrjährige Wan­ derschaft, um ihre Ausbildung bei fremden Meistern zu erweitern. Einige Zünfte errichte­ ten in Konkurrenz zu den patrizischen und städtischen Tanz- und Hochzeitshäusern Gil­ dehäuser für Versammlungen und Feste. Die Gesellen und Lehrlinge hatten eigene Verbän­

um 1300 ca. 250 einheimische Handwerker- u. Kleinkrämer­ buden (bewegliche Stände)

de, an deren Spitze die jährlich gewählten

Grundbesitz:

CD der Ratsfamilien CD anderer Bürger m::::::J der Stadt Verkaufsbuden am Markt („Bänke") haben kräftigeren Farbton Mehrstöckige Bauten sind durch stärkere Umrisse hervorgehoben

Meisterknechte standen. Die Gesellenvereine betreuten die wandernden Gesellen, deshalb bestanden Kontakte zu den Verbänden ande­ rer Städte. Die mächtigsten Zünfte waren jene der Tuch­ macher, Fleischer, Bäcker und Schuhmacher. Sie wurden

Viergewerke genannt und in

vielen Städten an den Entscheidungen des Rates beteiligt. Die Zahl der Zunftmeister war stets begrenzt, denn auf den Märkten wurde nur eine bestimmte Anzahl von Verkaufsstän­ den („ Scharren") zugelassen, deren Besitz

heute als malerisch empfunden wird, blieb

Voraussetzung für die Aufnahme in eine Zunft

erhalten, weil der Reichtum der Städte versieg­

fassungen in den einzelnen Städten: In einigen hatten sie teil am Stadtregiment, in Augsburg

war. Die Schuster verkauften ihre Waren

te. Die Ratsfamilien standen in einem „Zwei­

etwa hatten sie seit 1368 die Regierung zur

außerhalb der Markttage durch die Fenster

frontenkrieg" gegen die Territorialherren und

Hälfte fest in ihrer Hand, in Nürnberg aber

ihrer Werkstätten.

die Zünfte, die zugleich Kartelle und Gewerk­

war

ihre

politische

Betätigung

verboten.

schaften waren. Wegen der innerstädtischen

Selbstgegebene oder vom Rat erlassene Sat­

Gegensätze

Städtebünde

zungen (Statuten) regelten das Zunftleben.

waren

auch

die

nicht von Dauer und konnten den Machtzu­

Nicht zugelassen waren unehelich Geborene

Literatur

wachs der Territorialherren nicht aufhalten. So

und Leute mit „ unehrlichen " (d.h. verachte­

nimmt es nicht wunder: Im 15. Jahrhundert

ten) Berufen sowie Söhne von Geistlichen.

O Herbert

verloren viele Städte ihre Autonomie.

Die Zünfte überwachten die Qualität der Handwerksprodukte und die Ausbildung der

Grundmann:

Wahlkönigtum,

Territorialpolitik und Ostbewegung im 13. und 14. Jahrhundert. 10. Aufl„ München

1999.

selbständige Handwerker und Gewerbetrei­

schaftliche Gerichtsbarkeit. Die regelmäßigen

O Johann Huizinga: Herbst des Mittel­ alters. Stuttgart 1987.

bende in vielen Städten zu Zünften (Innun­

Versammlungen der Zunftmeister und Gesel­

O Heinrich

gen, Gewerken, Gilden oder Ämtern) zusam­

len wurden „Morgensprache" genannt. Sie

men - mit unterschiedlichen politischen Ver-

fanden vor der geöffneten Amts/ade statt, in

Seit dem

178

12.

Jahrhundert schlossen sich

Lehrlinge und Gesellen. Es gab eine genossen­

Pleticha (Hrsg.): Deutsche Geschichte, Bd. 4: Vom Interregnum zu Karl IV., 1254-1378. Gütersloh 1998.

z

Städte und Staaten wandelten sich, aber auch die Kirche. In vieler Hinsicht wurden die Weichen für die Entwicklungen in der Ne t gestellt.

:

D

Wasserversorgung. In anderen Städten muß­

I

e1t des Uberganges

ten Wasserträger reines Wasser häufig herbei­ schaffen, da die städtischen Brunnen durch benachbarte Sickergruben verseucht waren. Nur langsam setzten sich Vorschriften zur Beseitigung von Kot und Unrat durch. Die Probleme der Städte waren Wachstums­ krisen. In der Mitte des 15. Jahrhunderts war

der Bevölkerungsrückgang, durch die Pestzei­ ten verursacht, weitgehend ausgeglichen. Die städtische Obrigkeit kontrollierte den Zuzug der Bevölkerung; gleichwohl drängten die Menschen vom Land in die Städte, und diese

14. und 15. Jahrhundert war in

Anstöße zu Unruhen und Aufständen lieferten

vieler Hinsicht ein Zeitalter der Städte

meist neue Abgaben, die im 15. Jahrhundert

konnten sich wegen der bestehenden Mauem

und der Landesfürsten. Die Stadtge­

durch den Wandel der Kriegstechnik bedingt

kaum ausdehnen. Das immer engere Zusam­

as

sellschaft war mobil: Ein Zuwanderer konnte

waren: Man mußte die Stadtmauern erhöhen

menleben erforderte Bauordnungen. Der All­

Handwerksmeister werden; wenn seine Nach­

und verstärken, die städtischen Arsenale auf­

tag wurde reglementiert. Vorschriften für Be­

kommen ein großes Vermögen erwarben,

füllen sowie Kriegsknechte und Geschützmei­

kleidung, Speisen und Feierlichkeiten zeigen,

bestand die Möglichkeit, in den Kreis der

ster besolden. Auch die Kosten für »Sozial­

wie sich die Stände voneinander abgrenzten.

Ratsfamilien aufzusteigen. In vielen Städten

ausgaben« (städtische Almosen) sowie die In Nürnberg legte der Rat im Jahre 1521 fest,

kamen im 14. und 15. Jahrhundert die Räte

Infrastruktur stiegen. In Nürnberg erhob man

zumindest teilweise aus den Zünften. Beim

eine Vermögenssteuer nur, um bestimmte

welche Familien zum Tanz im Rathaus zuge­

Umsturz der Machtverhältnisse ging es um

Projekte zu finanzieren; zum Beispiel wurde

lassen waren. Es waren dies solche, die in der

eine Erneuerung der Oligarchien. Familien

der Fischbach auf einem Aquädukt in die

Stadtpolitik allein etwas zu sagen hatten. Seit

mit einer starken Machtstellung errangen An­

Stadt geleitet und in einem künstlichen, mit

dem Ende des Mittelalters gab es formelle

teil an der Stadtregierung, an der niemals alle

Sandsteinplatten eingefaßten Bett kanalisiert.

Überschreitungen der Grenzen zwischen Adel

Zünfte und alle Zunftmeister beteiligt waren.

Er diente zum Betreiben der Mühlen sowie zur

und Nichtadel in Form von sog. Nobilitie­ rungsurkunden

Papstpalast in Avignon. Die Stadt blühte im Mittelalter vor allem als Ort des rund 70 Jahre währenden ,Baby­ lonischen Exils der Päpste" auf, das von 1309 bis 1376/1377 dauerte. Während dieser Zeit war das Papsttum massivem Druck der französischen Könige ausgesetzt. Klemens V. (1306-1314) war der erste Papst, der hier residierte. Der monumentale Pa­

Ionischen Gefangenschaft" stand aber nicht etwa die triumphale Rückkehr des Papstes nach Rom, sondern das ,Große Abendländische Schisma". Nun regierten mehrere Päpste gleich­ zeitig, bekämpften sich gegenseitig, und noch immer gab es zwei Kardi­ nalskollegien ,römischer und französi­ scher Observanz" in Avignon und Rom. Um diesen Zustand zu beseiti­

last entstand unter den Päpsten Jo­ hann XXII. (1316-1334), Benedikt XII. (1334-1342) und Klemens VI. (1342-1352). Am Ende dieser.Baby-

gen, beschlossen 1408 die Vertreter beider Kardinalsfraktionen in Livorno, ein Generalkonzil abzuhalten. Dieses fand 1414-1418 in Konstanz statt.

und

Wappenbriefen.

Die

Machtentfaltung der Städte wurde vor allem dadurch behindert, daß sie sich auf Dauer nicht zu einer gemeinsamen Politik zusam­ menschließen konnten, während die Macht der Territorialfürsten wuchs. Ein dauerhafter Zusammenschluß entwickelte sich aber am Rande des Reiches in der Schweiz. Die Städte des Alpenvorlandes (Luzern, Zürich, Bern) verbanden sich mit den bäuerlichen Landge­ meinden ( Uri,

Schwyz,

Unterwalden) aus

freiem Willen und nach gleichem Recht. Ihre

Verfassung knüpfte an altes genossenschaftli­ ches Recht und an Landfriedensbündnisse

an, der Sache nach entstand etwas Neues. Die

Die deutschen Territorien um 1450

Schweizer wollten sich ursprünglich nicht vom Reich trennen, vielmehr sich innerhalb der Rechts- und Friedensordnung behaupten. Bald gelang es ihnen, ihrem Bund weite Nachbargebiete, zumal auf Kosten der Habs­ zu

burger,

unterwerfen.

Im

Zürichkrieg

(1436-50) kam es zu einer Zerreißprobe, aus der der Bund gestärkt und gefestigt hervor­ ging. Vor allem in den Burgunderkriegen entwickelte sich ein Gefühl der Zusammenge­ hörigkeit und Andersartigkeit im Vergleich zu den Nachbarstaaten des Reiches. Während die Städte auf sich gestellt blieben und in ihrer Expansion behindert wurden, entfaltete sich »moderne Staatlichkeit« in den Fürstenstaa­ ten. Dort gingen gelehrte Juristen mit ihren

Finanzakten und dem Landfriedensgericht daran, einen Untertanenverband zu schaffen, der (im Gegensatz zu der aus dem Lehnswe­ sen hervorgegangenen Ständeordnung) alle Stände unter eine Verwaltung stellte. Adlige, Bürger und Geistliche traten in den Dienst des

Landesherrn. Vorbild war der Staat der

burgundischen Herzöge mit seiner effekti­ ven Verwaltung. In

Burgund entstand ein

Territorialstaat, der durch Heirat, Kauf und Eroberung Ländereien von unterschiedlicher Rechtsstellung zusammenbrachte, die teils zu

Frankreich, teils zum Reich gehörten. Nicht nur Städte und Staaten wandelten sich, sondern auch die Kirche. Es entstand eine

verinnerlichte Frömmigkeit. Schwärmer ta­ delten Mißstände und riefen das gemeine Volk zum Umsturz auf. Durch das Große Schisma (die Konkurrenz mehrerer Päpste) von

1378

verlor die Kirche an Ansehen, Einfluß und

LJ

Glaubwürdigkeit. Diese Verhältnisse gaben die Rahmenbedingungen ab für die Politik der Könige. König

WENZEL,

der Sohn

K ARLS 1v„

hatte Streit mit dem böhmischen Hochadel und mit der Kirche. Im Jahre 1400 setzten ihn die rheinischen Kurfürsten ab und wählten

RUPRECHT VON DER PFALZ zum neuen RUPRECHT setzte sich in Deutschland

Kurfürst König.

durch, hatte aber nicht die Mittel für einen

Romzug (wurde also nicht Kaiser). Es gelang ihm auch nicht, die Kirchenspaltung zu besei­ tigen. An den Universitäten gab es heftige Debatten um eine Kirchenreform. Die Ein­

Habsburgische lande Königreich Böhmen

LJ CJ LJ -

Hzm. Geldern Hzm. Lothringen Gll.Mark Hzm. Berg und Hzm. Jülich Lgft. Hessen

CJ CJ CJ

V

Kurpfalz Eidgenossen Hzm. Savoyen

� l_J

Hzm. Mailand

LJ CJ CJ CJ

Rep. Florenz

Hzm. Braunschweig-Lüneburg Kfsm. Brandenburg

LJ

Rap.Genua

� l_J � L_J

Rep. Venedig Kgr. Dänemark

-

Kfsm. Sachsen

Glt. Württemberg Hzm. Bayern München Bayern Landshut und Ingolstadt Hohenzollern (zu Brandenburg) Reichsstädtisches Gebiet

heit sollte nach den Vorstellungen der Zeit durch Konzilien wiederhergestellt werden.

kämpfer der Christenheit gegen die Türken.

chenreform offen. - In Böhmen erhielt der

Diese wurden zu den ersten (Kirchen-)Parla­

Auf dem Konzil von Konstanz gelang es ihm,

T heologenstreit um die Reform der Kirche eine

menten.

drei konkurrierende Päpste absetzen zu lassen

»nationalistische« Färbung, die theoretische

Nach dem Tode

WENZELS

Bruder

RUPRECHTS (1410) wurde S 1EGMUND deutscher König.

Als König von Ungarn war er zugleich Vor-

180

(bzw. zum Rücktritt zu bewegen): Im Jahre

Auseinandersetzung wurde in Prag zum Streit

1417 wählte das Konzil Papst

v.;

zwischen den „Universitätsnationen". In den

damit war das Schisma beendet, indes blieben

Hussitenaufständen bekam erstmals der Be­

weitergehende Bemühungen um eine Kir-

griff »Nation« eine politische Bedeutung.

M ARTIN

" ... und der Kaiser rief zum Kreuzzug gegen die Hussiten auf"

Kaiser Siegmund (Sigismund). Ulrich von Richental stellt in seiner Chronik des Konstan­ zer Konzils (1414-1418) den Luxemburger Siegmund (Si­ gismund) als einen Politiker von großem Einfluß und be­ deutendem diplomatischen Geschick dar. Im Interesse seiner Hausmacht betrachte­ te Siegmund (seit dem Jahre 1378 Markgraf von Branden­ burg, seit 1387 König von Un­ garn, seit 1410 Römischer König und seit 1420 auch Kö­ nig von Böhmen) die Beile­ gung der Kirchenspaltung (des „Großen Abendländi­ schen Schismas") als eines seiner Hauptanliegen. Als er nach Absetzung von drei ein­ ander bekämpfenden Päp­ sten die Wahl eines allgemein anerkannten Papstes (Martin V„ 1417-1431) durchsetzte, demonstrierte er damit die wiedergewonnene Macht des weltlichen über den geistli­ chen Regenten des Abend­ landes.

Als Antwort auf den an Hus verübten Wort­ bruch, welcher sich gut

100 Jahre später im

Falle MARTIN LUTHERS nicht wiederholen soll­ te, sandte denn auch der böhmische Adel unverzüglich eine scharfe Prostestnote an das Konzil. Sie trug die Siegel von

452 böhmi­

schen Edelleuten. Sie erklärten den in Kon­ stanz

versammelten

„Konzilsvätern",

der

tschechische Adel werde künftig Predigten und Gottesdienste im Sinne des ermordeten Reformators dulden. Vor allem aber wurde aus der religiösen Bewegung ein regelrechter Volksaufstand. In Prag vertrieb man reform­ feindliche Geistliche, wobei es auch zu Aus­ schreitungen kam, und ein neu eingesetzter antihussitischer Rat wurde am

30. Juli 1419

aus dem Fenster des Rathauses in die Spieße der erbitterten Menge gestürzt. Die gemäßigte Fraktion der Hussiten formu­ lierte im Juli

1420 die Prager Artikel. Weil

ihre Anhänger besonderen Wert auf eine JoHN W1cuFF (um

1330-1384 ), Professor für

der. Trotz der Kreuzzüge, die gegen die Ketzer

Spendung des Abendmahles in zweierlei Ge­

T heologie in Oxford, leugnete die Autorität

geführt wurden, blieb das Land Böhmen für

stalt (Brot und Wein) legten, nannte man sie

des Papstes, die nicht von Christus, sondern

König S1EGMUND zeitlebens ein Problem. Zur

Utraquisten (etwa: „Beidgestaltler") oder -

vom Römischen Kaiser stamme. Er wollte

Finanzierung der Feldzüge, mit denen er sein

wegen des Laienkelches -Kalixtiner („Kelch­

eine von Rom unabhängige Nationalkirche

Erbrecht dort durchzusetzen suchte, erließ er im

ner"). Die radikalere Fraktion gründete dage­

gründen und übersetzte die Bibel ins Engli­

Jahre 1427 ein Reichskriegssteuergesetz - ein

gen eine neue Stadt namens Tabor (nach dem

sche, denn sie sei „für alle Menschen der

erster Schritt zu einer Reichssteuer mit entspre­

Freiheitsbrief, die Magna Charta der Kirche".

chender Verwaltung. Von seinen tschechischen

Der Papst verdanke seiner Meinung nach

Landsleuten als Apostel und Nationalheld

seine Machtstellung nur der Unkenntnis der

verehrt, war Hus durch seinen Feuertod zum

Menschen. Die Prager Reformer Hus und

Märtyrer der Reform und - wie gesehen -

HIERONYMUS (um

auch seines T schechentums geworden.

1365-1416) übernahmen

seine antipäpstlichen Gedanken. Im Jahre

1402 wurde JAN Hus (um 1370-1415) Rek­ tor der Prager Universität, zugleich war er Prediger an der Bethlehem-Kapelle. Im Herbst

1412 wurde er unter dem Verdacht des Ketzertums nach Rom zitiert. Er weigerte sich und erklärte, für ihn sei nicht der Papst, sondern Christus das Oberhaupt der Kirche. Das Konzil von Konstanz

(1414-1418) ließ

Hus - trotz des freien Geleits, das ein Vertreter S1EGMUNDS versprochen hatte -, hinrichten.

Die Empörung über seinen Tod machte aus

Der Papst verunglückt in seinem Reisewagen. Johannes XXIII„ neben Gregor XII. und Benedikt XIII. einer der drei Päpste, die das Konstanzer Konzil (1414-1418) absetzte bzw. zum Rücktritt bewog, entzog sich einer Anklage wegen lasterhafter Lebensführung durch die Flucht. Allerdings wurde er verhaftet und am 29. Mai 1415 abgesetzt.

einer religiösen eine soziale und politische Bewegung. Die Heere der Böhmen waren gut organisiert und verwüsteten die Nachbarlän-

181

" Hus galt im Leben den T schechen als Apostel und Prophet, nach dem Tode verehrten sie ihn zugleich als Märtyrer"

biblischen „Berg der Verklärung" in Galiläa) und verwarfen alles, was nicht ausdrücklich in der Bibel begründet war. Es war diese radikale Fraktion, die auch das Banner der Revolution erhob, um eine neue, an der Bibel orientierte Gesellschaftsordnung zu erkämpfen. Unter ihrem volkstümlichen Anführer JAN

r-

----�-

---�--"'.71""---r-----__,__, Jan Hus erleidet i. den Feuertod. , � Am 6. Juli 1415 wurde der Reformator Jan (Johannes) Hus (Huß) vom Konstanzer Konzil zum Feuertode verurteilt. Noch am selben Tage vollstreckte man das grausame Urteil vor den Toren der Stadt. Sein Tod war das Signal für den Ausbruch schwerer Unruhen religiösen und sozialen Charakters. -

�����

ZYSKA (gestorben 1424), einem Angehörigen des niederen Adels, entwickelte dieser radika­ le Hussitenzweig, die Taboriten, eine beachtli­ che Dynamik, welche die Reichsheere in hellen Scharen vor ihren Dreschflegeln und Mistgabeln die Flucht ergreifen ließ, auch nachdem ZYSKA schon lange nicht mehr lebte wickeln sollte. - Durch die Wahl des Jahres

und PROKOP DER KAHLE die Bewegung anführ­

Im Jahre 1433 wurde SrnoMUND in Rom zum

te. Schließlich zerfleischten sich die Hussiten

Kaiser gekrönt. Er stützte sich auf Helfer aus

1438 ging die Krone

selbst: Der gemäßigte utraquistische Adel

dem Adel, die er mit Territorien belehnte: die

gersohn, den tatkräftigen Herzog ALBRECHT

an

SIEGMUNDS Schwie­

zeigte sich kompromißbereit, dafür wurde

Hohenzollern mit der Mark Brandenburg und

VON HABSBURG, über. Fortan, bis zum Ende

ihm in den„Prager Kompakten"(l433) auch

die Wettiner mit Sachsen. Damit stellte er auf

des alten Reiches im Jahre 1806, stellte, mit

der Laienkelch zugestanden. Die allein wei­

Jahrhunderte die Weichen für die Geschichte

kurzer Unterbrechung durch den Wittelsba­

terkämpfenden Taboriten dagegen wurden am

im östlichen Deutschland, welches sich, be­

cher Karl Vll.

30. Mai 1434 von einer Koalition von Utra­

ginnend in der Frühen Neuzeit, zu einem

der Habsburger jeweils die deutschen Kaiser

quisten und Katholiken geschlagen. Ihre Reste

politischen Schwerpunkt des Reiches ent-

und Könige.

(1742-45), das Geschlecht

lebten als „Böhmische Brüder" weiter und bildeten schließlich den Kern der Brüderge­

In Perspektive gerückt„.

meinde. Die Utraquisten wandten sich später meist der Lehre LUTHERS zu. Einige kehrten auch zum Katholizismus zurück. - Sowohl als nationale wie auch als religiös-soziale Bewe­ gung waren die hussitischen Taboriten ge­ scheitert. Weder war es zu einem tschechi­ schen »Nationalstaat«, noch zu einer an bibli­ schen Lehren orientierten »T heokratie« ge­ kommen. Aus den Hussitenkriegen geht das böhmische Königtum geschwächt hervor. Ein weiteres Ergebnis war die Zurückdrängung der deutschstämmigen Bevölkerung (mit Aus­ nahme der Randgebiete). Als eigentlicher Sieger behauptete sich der tschechische Adel auf der Walstatt. Er verstand es, sich am Kirchen- und Klostergut außerordentlich zu bereichern. Faktisch ist es dieser böhmische Herrenstand, der die politische Macht nun in der Hand hält. Die bäuerlichen Schichten verbleiben indes in bedrückender Hörigkeit. Aber die Ereignisse kündigten bereits das kommende Jahrhundert an. 182

.zwei Diener Herzog Lud­ wigs führten Hus, der eine zur Rechten, der andere zur Linken. Dieser war nicht ge­ fesselt; denn sie gingen nur neben ihm und riefen mich, Richental, zu sich. Vor und hinter ihm gingen die Rats­ knechte, und sie führten ihn zum Geltinger Tor hinaus. in­ folge des großen Gedränges mußten sie einen Umweg machen, und es wurden im­ mer mehr der gewappneten Leute, gegen dreitausend, ohne die Unbewaffneten und Frauen. Auf der Brücke am Geltinger Tor mußte man die Menschen zurückhalten. Nur truppweise wurden sie über die Brücke gelassen, weil man befürchtete, daß die Brücke zusammenbräche.

Man führte ihn auf das kleine äußere Feld in die Mitte. Während er hinausgeführt wurde, betete er beständig: ,Jesu Christe, fili dei vivi, mi­ serere mei !' Als er auf das äußere Feld kam und das Feuer, Holz und Stroh be­ merkte, fiel er dreimal auf seine Knie und sprach laut: ,Christe, fili dei vivi, qui pas­ sus es pro nobis, miserere mei.' (Jesus Christus, du Sohn des lebendigen Gottes, der du für uns gelitten hast, erbarme dich meiner!) Da­ nach fragte man ihn, ob er beichten wolle. Er sprach: ,Gern, obgleich es hier sehr enge ist.' Es war ein Priester da, Ulrich Schorand, den rief ich, Ulrich Richental. Dieser ging zu Hus hin und sprach

ihm zu: ,Lieber Herr und Mei­ ster, wollt Ihr dem Unglauben und der Ketzerei, um derent­ willen Ihr leiden müßt, entsa­ gen, so will ich gern Eure Beichte hören. Wollt Ihr das aber nicht tun, so wißt Ihr selbst wohl, daß in den geist­ lichen Vorschriften steht, daß man keinem Ketzer die Beichte hören soll.' Da erwi­ derte Hus: ,Es ist nicht nötig; ich bin kein Todsünder.' Als er darauf anfangen wollte, deutsch zu predigen, wollte das Herzog Ludwig nicht lei­ den und befahl, ihn zu ver­ brennen."

(Die Verbrennung des Jan Hus; aus: Ulrich von Richen­ tal, Chronik des Konzils von Konstanz).

Das mittelalterliche Recht wirkt ebenso grausam wie widerspruchsvoll. Vom Stammesrecht führte der Weg zum Territorialrecht, und die Wiederentdeckung der Antike brachte schließlich eine Wiederbelebung des römischen Rechts.

Recht bezogen, welches fortan das Rechts­

Viom

prinzip und somit auch den (rechts)politi­ schen Willen strikt und präzise ausdrückte. Mit diesem neuen Einheitsrecht war den vielen deutschen Obrigkeiten ein Instrument an die Hand gegeben, ihre jungen und im Entstehen begriffenen Territorien »regierbar« zu machen.

germanischen zum römischen Recht D

ie Rechtshi.storiker begreifen die all­ mähliche Ubernahme des römischen

Doch betrachten wir die gewachsenen histori­ schen Bedingungen für das anbrechende Spät­ mittelalter in chronologischer Anordung noch etwas genauer: In der Völkerwanderungszeit wurde das römische Recht zunächst einmal durch Rechtsbräuche des Stammesrechts zu­ rückgedrängt. Das Volks- und Königsrecht des Mittelalters hatte seine Wurzeln dann sowohl in germanischen wie in - kirchlich vermittelten - römischen Traditionen. Im Frankenreich wurde das Stammesrecht der Franken, Sachsen, Baiern usw. in den Leges Barbarorum als Gegenstück zu den Leges Romanorum festgelegt. (Aufzeichnungen des römischen Rechts für die romanische Bevöl­ kerung.) Die Kirche behielt das römische

teilsfinder auf. Und die Reichskammerge­

Recht bei und entwickelte es weiter. Die

richtsordnung von 1495 verfügte, daß die

Juden standen unter besonderem Königs­ schutz und lebten nach den Rechtsvorschrif­

Rechts in Deutschland als „Rezeption

Hälfte der Urteiler aus „ Gelehrten", die ande­

neuer Rechtsquellen", die das autochthone

re aus dem „Adel" bestehen solle. Es galt,

ten des Talmud. Es gab eine Koexistenz

germanische Recht überlagerten. Es wäre

„nach des Reichs gemeinem Recht" Uus

von Volksrechten und Kapitularien (königli­

irrig, diesen Vorgang, der in der europäischen

commune), d.h. in erster Linie nach dem

chen Anordnungen). Die ältesten Volksrechte

Mitte verstärkt im 15. Jahrhundert einsetzte,

römischen

Römisches

waren die »Lex salica«, die »Lex ripuaria«,

als Zäsur oder gar als Bruch der „nationalen

Recht konnte zwar bestehendes partikuläres

die »Lex Alamannorum« und die »Lex Baiu­

Recht,

zu

richten.

Rechtsentwicklung" zu begreifen. Vielmehr

Recht nicht brechen, dieses aber bedurfte nun

variorum«; dazu kamen in der Karolingerzeit

wurde die »vorgegebene« und »bestehende«

des ausdrücklichen Nachweises seiner Gel­

die»Lex Frisionum«, die»Lex Saxonum«, die

germanische Rechtstradition auf eine neue

tung. Im Vorgang gelehrter Urteilsfindung

»Lex T huringorum« und andere.

Basis gestellt. Was war der historische Sinn

wurde »bestehendes« auf das »gemeine« Im Verlaufe des Mittelalters löste das Territo­

dieses Vorgangs, und warum sollte er Platz greifen? Die Entwicklung und Herausbildung der spät­ mittelalterlichen Gesellschaft erbrachte eine Zunahme hoheitlicher T ätigkeiten, insbeson­

Landrecht der einzelnen Länder und auch die

es zu einer genaueren

Stadtrechte.

Kenntnis der fremden Rechte,

dere in der Verwaltung sowie in der Rechts­

des Corpus juris civilis

sprechung der Gerichte. Das deutsche Recht

Justinians, des Corpus juris

war aufgrund seiner starken Zersplitterung zu schwerfällig, um den neuen Aufgaben ver­

canonici und der Libri

mehrter „Staatstätigkeit" gewachsen zu sein.

feudorum. Gewonnen wurde

Die Obrigkeiten verlangten ein geschriebenes Einheitsrecht, - ein Recht, das wissenschaft­ lich durchgebildet war (jus certum et univer­ sale). Also benötigten sie, auf einen Nenner ge­ bracht, Juristen, die über eine wissenschaftli­ che Ausbildung im kanonischen beziehungs­ weise römischen Recht verfügten. Schon im Jahre 1418 treten gelehrte „Doktoren" im königlichen Kammergericht als juristische Ur-

rialrecht das Stammesrecht ab, und es gab das

Während des Mittelalters kam

die Kenntnis vornehmlich im Rechtsunterricht, zunächst auf den italienischen und französischen, dann seit dem

Rechtsbücher dokumentierten

Rechtssätze und Gewohnheiten einzelner Re­ gionen; die bekanntesten waren der »Sach­ senspiegel« (entstanden zwischen 1220 und

1235) und der »Schwabenspiegel« (ca. 1275 in Augsburg zusammengestellt). Nicht selten kam es zu einer Konkurrenz der Rechte und Rechtssysteme. Neues Recht wurde in Form von Privilegien für Personen und Gruppen geschaffen. Häufig versuchte man, eigene Rechtsansprüche durch gefälschte Urkunden zu untermauern. Es gab auch Privilegien für Juden, zunächst für einzelne, die von Kaisern, Königen und Fürsten ausgestellt wurden,

14. Jahrhundert auch auf

dann für jüdische Gemeinden, schließlich für

deutschen Universitäten.

alle Juden, die ein bestimmtes Territorium

(Hans Planitz)

bewohnten. Ein einheitliches Judenrecht für ganz Deutschland gab es ebensowenig wie ein einheitliches Recht für alle Christen.

183

Landfriedensbestimmungen aus dem Sachsenspiegel. Im 12. und 13. Jahrhundert traten überall in Europa an die Stelle des mündlich überlieferten Gewohnheitsrechtes neu in den Landessprachen kodifizierte Rechtsnormen. Das älteste und zugleich bekannteste Rechtsbuch in deutscher Sprache ist der „Sachsenspiegel" (um 1220) des Eike von Repgow (ca. 1180-1235). Irrtümlich schrieb man diese private Aufzeichnung geltenden Rechts Karl dem Großen zu, erklärte sie zum „Kaiserrecht" und benutzte sie daher als Gesetzbuch. So behielt sie Gültigkeit, bis sie im 18./19. Jahrhundert durch neu kodifiziertes Recht ersetzt wurde.

Im 1 1. Jahrhundert wurden die Digesten, der wichtigste Text des »Corpus Juris Civilis« Kaiser JusTINIANS, wiederentdeckt und kom­ mentiert. Aus Vorlesungen des IRNERius ent­ stand die Rechtsschule in Bologna, die auch von Studenten aus Deutschland besucht wur­ de. Hier und in den anderen oberitalienischen Rechtsschulen wurden die Grundlagen dafür geschaffen, daß das römische Recht in wach­ sendem Maße angewendet wurde. Zur glei­ chen Zeit wurde das kanonische Recht der Kirche durch den Mönch GRATIAN zusammen­ gefaßt und redigiert (Decretum Gratiani). Schon damals war man sich bewußt, daß sowohl das römische wie auch das geistliche Recht wegen ihrer wissenschaftlichen Grund­ lagen auf vielen Gebieten moderner und leistungsfähiger waren als das traditionelle mittelalterliche Recht. Auch das Stadtrecht war im Vergleich zum Landrecht modern und effektiv. In den Städten konnte ein Delinquent aus den Mauern und den bewachten Toren kaum entkommen. Er wurde von den bewaffneten Stadtknechten er�riffen. Ein Landrichter hatte es schwerer, der Ubeltäter habhaft zu werden. Die Rechtspraxis war oft milder als der Wortlaut der Gesetze. Todesurteile gegen Bür­ ger wurden in Geldbußen umgewandelt. Ge­ gen Ende des Mittelalters führte die Moderni­ sierung der Territorialstaaten zu einer weitrei­ chenden Kriminalisierung des Strafrechts. Die Wahrheitsfindung mit Hilfe der Folter ersetzte den Eid. Da in den Städten die Folterwerkzeuge häufiger erhalten geblieben sind, gewinnen die heutigen Besucher von Heimatmuseen den falschen Eindruck, das städtische Recht sei besonders grausam gewe­

" ...nur ein relativ schmaler gemeinsamer Rechtskörper verbindet alle Bewohner des Landes zu einer wenigstens fiktiven Landrechtsgemeinschaft "

Seite die Grausamkeit der öffentlichen Stra­ fen, auf der anderen die von Kirchen, Klöstern und anderen Orten geübte Praxis; auf der einen Seite harte Strafgesetze, auf der anderen Sühneverhandlungen und ein „Richten nach Gnade". Von der Todesstrafe bedroht waren unter anderem Diebe, Räuber, Münzfälscher, Mordbrenner

und

Landesverräter.

Adlige

wurden mit dem Schwert statt mit dem Strick hingerichtet; straffällige Frauen ertränkt oder

sen. - Das mittelalterliche Recht macht auf

lebendig begraben. Tagediebe wurden ent­

den modernen Betrachter überhaupt einen

hauptet, Nachtdiebe gehängt. Ketzer und

widersprüchlichen Eindruck: auf der einen

Hexen, getaufte Juden, die zum Judentum

184

Juristische Vorlesung in Bologna. An der Universität Bologna 1 Norditalien) befand sich seit etwa 1100 das wichtigste Zentrum juristischer Studien: die wohl von lrnerius gegründete „Glossatorenschule". Wer, aus Deutschland stammend, römisches Recht studieren wollte, hatte bis zum Ende des 14. Jahrhunderts keine andere Wahl - er mußte sich über die Alpen nach Bologna begeben, weil es im deutschen Raum noch keine entsprechenden Fakultäten gab. Es fehlte nicht an deutschen Rechtsgelehrten, die sich in Bologna mit römischem und kanonischem !kirchlichem) Recht vertraut machten, und nicht zuletzt dies trug zu dem Nebeneinander von zählebigen überhängen germanischen Rechts und kodifiziertem römischen Recht bei, welches für das spätmittelalterliche Deutschland so charakteristisch war.

"Wissenschaftliche Vernunft und Folter traten zur selben Zeit auf"

zurückkehrten, Kirchen- und Grabräuber,

lieh eine harte Behandlung, damit sie geläutert

mitunter auch Falschmünzer wurden auf dem

ins Jenseits gelangen könnten. Neben den

Scheiterhaufen verbrannt. Die qualvollste

grausamen Strafen gab es auch erträgliche, bei

Strafe für Mörder, Räuber und Landesverräter

denen die Missetäter dem Spott der Öffent­

war das Rädern.

lichkeit preisgegeben wurden: Zumeist mußte

Ähnlich wie heute noch im islamischen Recht

en mit unsolidem Lebenswandel waren gehal­

gab es Verstümmelungsstrafen: Blenden, Ab­

ten, Kopf und Hände in eine hölzerne „Hals­

schneiden von Fingern, Händen oder Füßen,

geige" zu stecken, um so eine Zeitlang neben

Herausschneiden oder Durchbohren der Zun­

dem Pranger zu stehen. „Böse Zungen"

man am Pranger stehen. Mädchen und Frau­

ge, Abschneiden oder Einkerben der Ohren

(Klatschweiber und Leute, die andere belei­

(„Schlitzohr") oder Prügelstrafen. Die Strafe

digten) mußten eine Schandmaske aus Eisen

wurde im Denken der mittelalterlichen Men­

aufsetzen, und Adlige zwang man, mit einem

schen mit der Buße gleichgesetzt. Viele Men­

Schwert am Hals zu erscheinen. Fürsten ließ

schen glaubten, daß Schmerzen ihre Seele

man Hunde tragen, was eine symbolische

reinigen. Deshalb erbaten Missetäter gelegent-

Erniedrigung war. Falschspieler und zank­ süchtige Frauen wurden in einem Lattenkäfig auf einer Wippe wiederholt ins Wasser ge­ taucht und wieder emporgeschnellt. Der Krei­ sel war ein ähnliches.Lattengestell, in dem der Verbrecher gedreht wurde, bis er bewußtlos niederstürzte. Bei der Übernahme des (römi­ schen) staatlichen Prozeßrechts trennte man das Straf und Zivilrecht. Die Gottes- und Landfriedensbewegung gab dem Strafrecht das

Folterkammer in Nürnberg. Auch die Folterkammern des späten Mittelalters sind ein Stück Rechtsgeschichte. Sie entstanden, als an die Stelle des frühmittelalterlichen Eides und des Gottesurteils als neues Mittel der Wahrheitsfindung die Folter entdeckt wurde und als im Zuge der Landfriedensgesetze an die Stelle von Geldbußen Körper- und Todesstrafen traten. So gesehen sind sie das Ergebnis einer Reform des Rechtes gewesen, einer Reform, die das Leid nur vermehrte.

Übergewicht. Denn die Aufrechterhaltung der Ordnung wurde für wichtiger erachtet als die Wiedergutmachung eines Schadens. Mit Ein­ führung der Schriftlichkeit setzte sich im Spät­ mittelalter dann auch der Beistand durch Advokaten durch. - Der Kreis schließt sich: Die Herausbildung des Rechts und der Rechts­ praxis erzwang, zunächst langsam, aber insge­ samt unaufhaltsam, die Einführung neuer Nor­ men. Wir benennen somit den Übergang vom germanischen zum römischen Recht. 185

Gefahren der Straße. Für Fern- und Großhändler bestand durchaus das Risiko, auf unwegsamen Straßen Schaden zu nehmen oder gar tödlich zu verunglücken. Noch größer aber war die Gefahr, von Wegelagerern aller Bevölkerungsschichten überfallen, ausgeplündert und eventuell gar erschlagen zu werden. Bauern, an deren Dörfern Fernstraßen vorbeiführten, vor allem aber ,Raubritter' betrachteten die Waren der verachteten Kaufleute (,Pfeffersäcke') als eine Beute, die ihnen zustand. In der Tat waren Brutalitäten gegen Kaufleute an der Tagesordnung und fanden Zustimmung großer Teile vor allem der ärmeren Bevölkerung.

Bauten wirklich Könige ihre Burgen selbst? Errichteten Bischöfe eigenhändig ihre Kathedralen? Und besteht Geschichte nur aus triumphalen Höhepunkten und blutigen Tragödien? Gab es nicht auch den »grauen«, vielleicht j a sogar »bunten« Alltag? Und wie sah dieser Alltag aus, - für Kaiser, Könige, Fürsten, Ritter, Kaufleute sowie für die zahllosen »kleinen Leute« überall im Land?

D

D

er

Alltag

ie Städte des Mittelalters waren durch

gesellschaftlichen Gruppen gemeinsam . Die

Gassen«, die eng und finster waren, weil die

Fernhandelsstraßen miteinander ver­

häufigste Fortbewegungsart waren das Gehen

oberen Stockwerke auskragten. Nur selten

bunden. Die Königsstraßen von über­

und das Reiten; das Fahren war auf den

waren Straßen und Plätze gepflastert, und

„so breit sein, daß ein Wagen dem anderen ausweichen könne. Der leere Wagen soll dem beladenen

holprigen Straßen äußerst unbequem. Herber­

man blieb im Morast stecken, denn Haus- und

regionaler Bedeutung mußten

ausweichen, der minder beladene dem schwe­ reren", heißt es im Sachsenspiegel.

gen gab es nur wenige. Gesellen und Meister

Küchenabfälle sowie anderer Unrat wurden

Zunfthaus, Bischöfe in den Pfarreien, Kaufleute bei Geschäftspart­ nern, Adlige in Burgen und Stadthäusern

auf die Straßen geschüttet. Man mußte hölzer­ ne

befreundeter Familien oder beim Bürgermei­

zu vergrößern. Der Unrat bot Ratten und

fanden Unterkunft im

Die Wirklichkeit sah anders aus: Befestigte

ster. Für eine große Reise informierte man sich

Straßen gab es nicht. Auf dem Wasserweg

in

konnte man Massengüter billiger transportie­

Strecken und Entfernungen.

handschriftlichen

Itinerarien über die

Überschuhe (Trippen) tragen, um den

Abstand zwischen Fuß und Straßenoberfläche anderem Ungeziefer Nahrung. Nur anläßlich großer

öffentlicher Festlichkeiten wurden

einige Straßen und Plätze gereinigt. In einigen Städten gaben die

ren. Die reichsten Städte lagen an Schnitt­

Ratsherren häufig als Ent­

punkten von Straßen und Wasserwegen. Die

Das älteste gedruckte Reisehandbuch erschien

schuldigung für ihr Zuspätkommen zu Proto­

Kaufleute reisten in Geschäften, die Handwer­ ker auf .der Suche nach Arbeitsstellen, die Adligen, um Politik zu machen oder zu

1563 in Augsburg. Es gibt die Abstände

koll, sie seien im Schmutz hängengeblieben -

zwischen den Stationen in Meilen an. Bevor

ähnlich wie man heute im Autostau festsitzt.

man in eine Stadt gelangte, mußte man

Pünktlichkeit gibt es erst seit dem Aufblühen

heiraten, was in der Regel dasselbe war. Nur

Gräben und Wälle passieren, Ausfallbrücken

der Städte. Dort war die Arbeitszeit ebenso

Pilger/ahrten reisten Menschen aller

und Stadttore, dann kam man in »krumme

geregelt wie in den Klöstern die Zeit für

bei 186

Frauenbad von Albrecht Dürer. Im Gegensatz zu aller Askese und Lebensverneinung war das Mittelalter durchaus nicht immer prüde. Schon seit dem Ende des 12. Jahrhunderts gab es öffentliche Bäder: saunaähnliche Anlagen mit hohem Holzverbrauch, in denen man sich bei kaltem Wetter auch aufwärmte. Die Kirche hielt das Baden allerdings für unvereinbar mit dem Ideal asketischer Selbstkasteiung. Aus heutiger Sicht stellten - bei den hygienischen Verhältnissen des Mittelalters - derartige öffentliche Bäder, in denen man gemeinsam badete, wohl auch gefährliche Infektionsherde dar.

'�

"Die . .. �. Auswe1tung der .'..-,?{'\, spätmittelalterlichen '/:"/ ·. ·\. 1 Badekultur in Stadt und Land ist nicht nur eine Frage der Hygiene. " •

,

sums. Seit Beginn des 15. Jahrhunderts gab es

Ein Marktkreuz symbolisierte den Frieden,

auch Zimmeruhren in den Wohnungen weltli­

der eingehalten werden mußte. Mit dem

cher und geistlicher Würdenträger sowie rei­

„Marktwisch" (einem Strohbüschel) wurde

T ätigkeiten und Gebete. Die Stunden der

cher Bürger (gewichtsgetriebene Uhren an

das Zeichen für den Beginn des Verkaufs

Sonnenuhren veränderten mit den Jahreszei­

den Wänden und T ischuhren mit Spiralfeder­

gegeben. Wochenmärkte dienten der Versor­

ten ihre Länge, und auch Sanduhren ließen

antrieb). In Familienchroniken des 14. Jahr­

gung der Einwohner mit dem täglichen Be­

nur ein ungefähres Maß der verstrichenen Zeit

hunderts trug man die Geburtsstunde ein.

darf. Treffpunkte der Händler und Handwer­

erkennen. Im letzten Drittel des 13. Jahrhun­ derts wurden die Räderuhren mit Gewichts­

ker waren vor allem die Jahrmärkte. Die Märkte waren Treffpunkte der Händler,

antrieb und mechanischer Hemmung erfun­

Käufer und Schaulustigen. Sie bestimmten

Im 12. Jahrhundert verdrängten Münzen end­

den. Durch ihre Einführung wurden genormte

den mittelfristigen Rhythmus im Leben einer

gültig das sogenannte »Hacksilber« (zerhack­

Stunden üblich. Seit etwa 1340 gab es überall

Stadt. Dort tauschte man Nachrichten aus,

te Silberbarren) als Zahlungsmittel. Das kö­

in Europa Turmuhren an Kirchen, Rathäu­

und Gaukler traten auf. Die Waren wurden

nigliche Recht, Münzen zu prägen, ging seit

sern und Palästen. Ein mit dem Uhrwerk

auf den in Reihen errichteten Ständen oder

dem 9. Jahrhundert an Bischöfe, Reichsäbte

verbundenes Hebelwerk bewegte den Schlag­

Bänken zum Verkauf ausgebreitet. Der Rat

und an weltliche Fürsten, die es durch Münz­

hammer der Stundenglocke. Einige Turmuh­

erließ Marktordnungen, und der vom Rat

meister verwalten ließen. Seit dem 12. Jahr­

ren schlugen auch die Viertelstunden.- Über­

bestellte Marktaufseher überprüfte die geeich­

hundert erwarben einige Städte das Münz­

haupt richtete sich das städtische Leben nach

ten Maße und Gewichte. Verstöße gegen die

recht und richteten städtische Münzstätten ein.

dem Glockenschlag. Man begann, die Uhren

Marktordnung wurden vom Marktgericht

durch Glockenspiele zu ergänzen (in Straß­

meist mit Geldbußen - geahndet. In einigen

nige,

burg 1352/54). Die Monumentaluhren des

Städten (z.B. in Braunschweig) gab es ein

mit unterschiedlichem Gewicht und Wert,

-

Bis ins 14. Jahrhundert gab es nur Silberpfen­ -

allerdings Hunderte von Prägungen

14. und 15. Jahrhunderts zeigten häufig die

Waghaus, in anderen (z.B. in Lüneburg) eine

denn dieser hing selbstverständlich vom Edel­

Bewegungen und Konstellationen der Gestir­

öffentliche Waage im Rathaus. Kirchen- oder

metallgehalt der Münzen ab. Als Rechnungs­

ne an, - als mechanische Modelle des Univer-

Rathausglocken

werte gab es die Mark oder das Pfund (Talen-

läuteten

den

Markt

ein.

187

Turmwächteruhr. Nachdem man gelernt hatte, mit mehr oder weniger präzisen mechanischen Instrumenten (Räderuhrwerken mit Gewichten) »mehr oder weniger" genau die Zeit zu messen, entdeckte man im 14. Jahrhundert auch die Wichtigkeit

des Faktors „Zeit'. Wie früher nur bei den Mönchen, deren Tagesablauf durch die Ordensregel genauestens eingeteilt war, so hielt jetzt auch im Leben der Bürger Pünktlichkeit Einzug, konnte doch jeder an den Uhren der Türme ablesen, was die Stunde geschlagen hatte! Die abgebildete Uhr ist nun allerdings keine Turmuhr, sondern eine Uhr, die dem Turmwächter die Zeit angab.

Die Ernährung im Mittelalter Im Mittelalter war die Ernäh­ rung - vor allem auf dem lande - in aller Regel weit weniger vielfältig, als wir es heute gewohnt sind. Insbe­ sondere war die Zahl der ver­ wendeten Gemüsesorten er­ heblich geringer. Man verfüg­ te über Pferdebohnen (Boh­ nen, wie wir sie heute zu essen pflegen, wurden erst später aus Amerika einge­ führt), Erbsen, Kohl und Rü­ ben. Allerdings spielten Rü­ ben eine untergeordnete Rol­ le, weil sie nicht in das im Mittelalter übliche System »Dreifelderwirtschaft« der paßten. Die Hauptgrundlage der pflanzlichen Ernährung bildeten im Mittelalter die Ge­ treidesorten, deren Artenviel­ falt freilich noch größer war als heute. Öle gewann man aus Lein, aus (heute nicht mehr ange­ bautem) Leindotter, aus Raps sowie Rüben. Ein Problem war das Süßen der Speisen. Erst seit dem ausgehenden Mittelalter lernte man allmäh­ lich Rohrzucker kennen. Al­ lerdings war dieser kaum er­ schwinglich und gehörte da­ her lange Zeit zu den Luxus­ gütern, welche sich nur die gutbetuchte Oberschicht lei-

sten konnte. Hauptsächlich süßte man mit Honig, dessen verfügbare Menge allerdings begrenzt war. Vermutlich konnten sich daher nur wirk­ lich Reiche die Süßspeisen leisten. Wer dagegen arm war, hatte sich buchstäblich damit ab­ zufinden, daß ihm das Da­ sein „sauer" gemacht wurde. Heutigen Vorstellungen nä­ her kam die Fleischnahrung. Hier bildeten Schafe, Ziegen, Schweine, Rinder, aber auch - anders als heute - Pferde die Hauptnahrungsquellen. Hinzu kamen Wild, Geflügel und Fisch. Charakteristisch war ein ge­ radezu drastischer Unter­ schied zwischen den Ernäh­ rungsgewohnheiten auf dem lande und in der Stadt. Er ergab sich zwangsläufig dar­ aus, daß auf dem lande das Prinzip der Selbstversorgung herrschte. Wie reichhaltig der Speisenzettel war, hing also von den Umweltbedin­ gungen, mit anderen Worten: von den lokalen Möglichkei­ ten der Nahrungsmittelpro­ duktion ab. Anders lagen die Dinge in den Städten: Wie man sich hier ernährte, das war ab-

hängig von der sozialen Schicht, der man angehörte. Denn die Städte waren nicht auf Eigenproduktion ange­ wiesen, sondern bezogen Nahrungsmittel von aus­ wärts. infolgedessen war die Nahrungsmittelvielfalt erheb­ lich größer als auf dem lan­ de, sofern man nur über die Mittel verfügte, die nötig wa­ ren, um seinen Speisenzettel abwechslungsreich zu ge­ stalten. An Getränken zog man Fleischbrühe oder Bier dem Wasser vor, das man meist ohnehin nicht unabgekocht zu sich nehmen konnte, ohne die Gefahr einer Erkrankung zu riskieren. Selbstverständlich gab es auch Wein, der aber vorwiegend bei Klerikern und in Hofkreisen Zuspruch fand. Das gemeine Volk trank Bier. Allerdings konnte der Bierge­ nuß in Extremfällen auch zu schweren Schäden wie Er­ blinden, ja sogar zum Tode, führen, da man das Bier häu­ fig nicht mit Hopfen, sondern mit dem aromatischen Gagel würzte, der als weidenähnli­ ches Strauchgewächs ge­ deiht. In der Neuzeit wurde mit Gagel versetztes Bier daher schließlich verboten.

turn), als Münzen den Schilling (»Solidus«)

ße Teile Norddeutschlands und Skandinaviens

den Pfennig, seit dem 13. Jahrhundert

umfaßte. Pfennig-Münzen waren weder zur

den Halbpfennig (»Obolus«). Zwölf Pfennige

Kapitalansammlung (man hätte Geldspeicher

ergaben einen Schilling, zwanzig Schillinge

riesigen

eine Mark. Durch den Wertverfall des Geldes

Transport über Land geeignet. Also legte man

--� und

Ausmaßes

benötigt!)

noch

zum

im 13. Jahrhundert änderten sich die Umrech­

sein Geld in Grundbesitz an, welchen man

nungsverhältnisse. Im 14. Jahrhundert wurde

verpfänden konnte. Einige Patrizierfamilien

eine Silbermünze mit höherem Wert in Um­

stiegen dadurch in den Adel auf. Pfand- und

lauf gesetzt: der Groschen. In Italien und

Schuldscheine waren die „Schecks" des Mit­

Frankreich gab es Goldmünzen (Gulden).

telalters. Zum Schutz gegen Verlust und Be­

Auch die Kaiser prägten im Späten Mittelalter

trug wurden sie amtlich registriert.

höherwertige Münzen in Gold; im Jahre 1356 bekamen auch die Kurfürsten dieses Recht.

Die wichtigste Quelle für die Handelsbezie­

Die Kurfürsten von Brandenburg machten

hungen in Norddeutschland ist das Hambur­

davon allerdings erst 1513 Gebrauch.

ger Schuldbuch, in dem alle Kreditgeschäfte der Zeit von 1288 bis 1323 notiert sind. Der

188

Auf den Märkten konnte man gewöhnlich nur

bargeldlose Zahlungsverkehr war in Italien

mit einheimischem Geld bezahlen, man muß­

entstanden und dann auch in Deutschland

te also sein Geld beim Münzmeister umtau­

weit verbreitet. Grundlage des städtischen

schen. Die Städte bemühten sich um großräu­

Reichtums werden somit Papiere, die vom

mige Währungsgebiete. Der 1381 gegründete

Landesherrn nicht zu kontrollieren waren. In

Wendische Münzverein (Hamburg, Lübeck,

Augsburg galt als reich, wer 250 Gulden

Lüneburg und Wismar) entwickelte sich zu

jährlich verdiente; eine Handvoll nahm mehr

einem einheitlichen Währungsgebiet, das gro-

als 2000 ein. Wer Geld hatte, der wollte sich

Bürger dienten. Der Wandel der Mode angeregt durch Kontakte mit Byzanz, dem Orient und Südeuropa

-

bestimmten die Wahl

der Stoffe, Farben und Schnittformen. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts wurde der Rock der Herren immer kürzer, darunter trugen sie Strumpfhosen; die Damen bevorzugten aus­ geschnittene Kleider, bei denen man die Hälfte des Busens sah. Auf dem Kopf balancierten sie hohe, tütenförmige Kopfbedeckungen. Zur Ausstattung der Braut gehörte die Brauttruhe mit dem persönlichen Besitz. Die Truhen der Patriziertöchter waren aufwendiger gearbeitet als jene der Handwerker. Eine Hochzeit wur­ de je nach Reichtum der Familie drei bis acht Tage lang gefeiert. Aus Ratsverordnungen, die

Ziehbrunnen. Die Trinkwasserversorgung deutscher Städte des Mittelalters beruhte auf der Nutzung von Grund- bzw. Quellwasser. Die überwiegende Zahl der privaten Haushalte besaß eigene Hausbrunnen. Daneben aber richtete man vom 14. Jahrhundert an auch auf Marktplätzen städtische Brunnen ein. Beispielsweise gab es in Nürnberg zu Ende des 15. Jahrhunderts 120 öffentliche Ziehbrunnen. Dennoch kam es während des gesamten Mittelalters immer wieder zu Infektionen durch verschmutztes Trinkwasser.

den Aufwand einzuschränken suchten, sind wir über die Hochzeitsfeierlichkeiten gut in­ formiert. Auch beim Wohnen gab es Unterschiede. Einfache Häuser hatten im Erdgeschoß nur einen Wohn- und Arbeitsraum mit einer Herdstelle. Im 14. und 15. Jahrhundert wurde die Küche abgetrennt. Eine auf Holzböcke gestellte Tafel ließ sich bei Bedarf aufheben. Es gab hölzerne Truhen. An den Wänden stan­ den Bänke; diese gehörten auch zur Küchen­

Straßenhändler. Während der Handel in den Städten meist in den Händen ortsansässiger Kaufleute lag, zogen auf dem freien lande fahrende Händler von Dorf zu Dorf und von Hof zu Hof, von Jahrmarkt zu Jahrmarkt oder von Turnierplatz zu Turnierplatz. Die Grenzen zum ,fahrenden Volk' der Gaukler waren oft fließend, weil man seine Ware nicht selten durch Gaukeleien an die Kunden zu bringen suchte. Wohlhabende Hausierer versorgten vor allem Adlige mit Luxusartikeln wie bunten Bändern und anderem Schmuck.

einrichtung, dazu auf Holzborden Holz- und Tongeschirr. Im Obergeschoß schlief die ganze auch etwas leisten und repräsentieren. Kleider­

Familie in einem breiten mit Stroh gefüllten

luxus und Wohlleben ergriffen breite Bevöl­

Bett. Die Fenster wurden durch Läden ge­

Tuch gedeckt, es gab Gefäße aus Zinn und

kerungskreise . Sie wollten mithalten, ohne es

schlossen. Die Häuser der Patrizier dagegen

Glas. Im Nürnberger Dürerhaus kann der

sich leisten zu können. Weil sie sich ruinierten,

waren mit Glasfenstern und Kachelöfen aus-

Besucher die Raumeinteilung und Einrichtun­

gestattet. Die Tafel war mit einem weißen

erließen die meisten Städte Verordnungen

gen eines Bürgerhauses um 1500 noch heute

(Göttingen 1354, Zürich 1357), die dem

besichtigen.

entgegenwirken sollten. So war es zum Bei­

Der Mensch des Mittelalters

spiel nach einer Vorschrift von 1335 den Frauen in Berlin verboten, goldene Schleier, goldgestreifte Stoffe,

Zobelpelze und Ge­

schmeide oder Perlen von mehr als einer halben Mark Gewicht zu tragen. (Die mittel­ alterliche Mark wog zwischen 186 und 281 Gramm, die gebräuchlichste Einheit war die »Kölner Mark«: 234 Gramm.) In Göttingen war das Tragen von Schmuck von der Steuerleistung abhängig. Bildliche Darstellungen, Kleiderordnungen und einige originale Kleidungsstücke zeigen den Wan­ del der mittelalterlichen Kleidung. Die Ein­

Warenverzeichnisse, Notizen von Kaufleuten,

O hatte ein anderes Zeitgefühl. Die Zeit war in erster Linie ein Naturphänomen. Erst als die Uhren aufkamen, änderte sich dies allmählich

O lebte in ehelicher- und Hausgemein­ schaft. In Theorie und Praxis war diese soziale Grundform von der Herrschaft des Mannes bestimmt

dungsstücken und Kopfbedeckungen, die der Selbstdarstellung des Adels und der reichen

im der

Roggen als Brot und Brei, Gerste, Hirse und Hafer als Grütze und Mehlsuppe. Aus Rüben, Erbsen, Spinat und Kohl bereitete man ein „

mus . Mittags aß man Fleisch oder Fisch und "

seit dem 14. Jahrhundert auch Kartenspiele.

O lebte mehrheitlich auf dem lande, das

O lebte zu einem geringeren Teil in städti­

eine Vielzahl von unterschiedlichen Klei­

war

einem strikten religiösen Leben gehal­ ten. Dabei wurde die Lebensform der Mönche auch für die Kleriker- und Laiengemeinschaften zum Vorbild

bei: Leibchen bis zum Knie und Hosen. Vom 13. bis zum 16. Jahrhundert entwickelte sich

Hauptnahrungsmittel

trank dazu Bier oder Wein. Zum häuslichen

behielten eine ärmliche Form dieser Kleidung

lich eine hemdartige Tunika. Die Bauern

Mittelalter.

O war durch den Einfluß der Kirche zu

die Ernährungsquelle und Existenz­ grundlage schlechthin bildete. Die Ar­ beit war dabei der Hauptinhalt des bäu­ erlichen Lebens

heitskleidung aller Schichten war ursprüng­

Fastenverordnungen und archäologische Fun­ de geben Auskunft über die Ernährung

scher Lebensgemeinschaft. Die deut­ sche Stadt war ein Wirtschafts- und Schwurverband ohne soziale Gleichheit der Bevölkerungsschichten.

Zeitvertreib gehörten Würfel- und Brettspiele, Neben der menschlichen Arbeitskraft bedien­ te man sich der Kraft der T iere und suchte diese mit immer höherem Wirkungsgrad zu nutzen. Beispielsweise erhöhte das schon früh erfundene Kummet die Zugkraft der Pferde ganz erheblich. Im 11„ 12. und 13. Jahrhun­ dert aber setzte sich darüber hinaus in einem solchen Maße die Nutzung der Energiequellen Wasser und Wind durch, daß man auch von einer „ersten mechanischen Revolution" des Abendlandes gesprochen hat. 18 9

Militärtechnischen Entwicklungen entsprach der Wandel des Heerwesens. Wie Armbrüste durch Feuerwaffen abgelöst wurden, so traten schließlich Landsknechte an die Stelle früherer Ritterheere. 1 Der eingeschlagene Weg führte vom Ritter zum Soldaten.

DJe Revolution des Militärwesens

brust die wichtigste Distanzwaffe, sie hielt

Angreifer von Burgen, Städten und Schiffen fern. Der erste Einsatz einer Armbrust ist in einer chinesischen Quelle für das Jahr 341 v. Chr. belegt. Archäologische Funde sind zum Teil älter. Von den antiken chinesischen Arm­ brüsten blieben nur die bronzenen Abzugsvor­ richtungen erhalten. Die Griechen erfanden um 400 v. Chr. ein ähnliches, allerdings viel größeres Gerät: den Katapult. Doch gab es bereits im Altertum kleinere Geräte von Arm­ brustgröße. Frühmittelalterliche Armbrüste hatten eine Reichweite von ca. 100 m, dann übernahm die Armbrust das Prinzip des arabi­ schen Kompositbogens: Eine Verstärkungs­ schicht aus T iersehnen wurde über den Rand des Bogens gelegt, man erzielte so eine für damalige Verhältnisse beachtliche Reißfestigkeit. Solch eine Armbrust konnte nicht mit der Hand gespannt werden, man bediente sich eines Spannhakens und seit Anfang des 15.

D

as Militärwesen des Mittelalters hatte

Jahrhunderts auch eines Zahnspangengewin­

zwei Aspekte: einen statischen (die

des mit einer Kurbel. Die Kompositarmbrust

Burg zur Sicherung des eigenen Territo­

war leichter als die seit etwa 1400 gebaute

riums) und einen dynamischen (die Reiterei

Stahlarmbrust, schoß bei gleicher Spannung

zur

Die

weiter und war weniger bruchanfällig. In

Schlachten lösten sich häufig in Einzelkämpfe

Westeuropa lag der Bolzen gewöhnlich in

Eroberung

fremder

Territorien).

auf, die nach Turnierregeln geführt wurden. Es

einer Rinne, östlich des Rheins auf einem

kam darauf an, möglichst viele ritterliche

ausgekehlten Beinplättchen.

Gefangene zu machen, um sie gegen ein Lösegeld oder eine Burg einzutauschen, deren

Die Bolzen wurden mit der Spitze nach

Erstürmung als zu schwierig oder zu verlust­

oben im Köcher rechts am Gürtel getra­

reich erschien.

gen,

und

mit

Hobelmaschinen

Massenproduktion

hergestellt.

in

Zwi­

Diese Taktik änderte sich mit dem Aufkom­

schen 1233 und 1293 produzierte die

men neuer Waffen. Die Ritter und Reisigen

Familie MALEMORT im Wald von Dean

schützten sich mit Helmen, Kettenhemden,

(England) fast eine Million Bolzen.

Spangenharnischen und schließlich mit Plat­

Die Befehlshaber der Festung Calais

tenpanzern, Arm- und Beinschienen sowie

kauften Bolzen jeweils in Stückzahlen

einem Schild. Einige Originalwaffen blieben

bis zu 20 000! Versuche im Wind­

erhalten (zum Beispiel im Royal Scottish

kanal haben heute ergeben, daß die

Museum, Edinburgh; im Bayerischen Natio­ nalmuseum, München, und in der Rüstkam­

Armbrustbolzen

von 250

m

eine

Reichweite

bei einer Anfangsge­

mer der Churburg, Südtirol); andere kennen

schwindigkeit von 80 m pro Sekun­

wir von zeitgenössischen Miniaturen und

de hatten. Die Durchschlagskraft ent­

Grabmälern der Adligen, einige wurden bei

sprach der eines lnfanteriegewehrs des

Ausgrabungen gefunden. An der Heimzier (Kronen, Federn), dem Zierat des Waffen­ rocks und an den bemalten Schilden konnte man die Kämpfer unterscheiden und identifi­ zieren - ähnlich wie heute Autos an ihren Kennzeichen, um einen Vergleich zu wählen. Die Heere der Städte kämpften überwiegend zu Fuß. Die Kriegsknechte und die kämpfen­ den Bürger besaßen meist nur einen Brusthar­ nisch und einen Eisenhut, von dem es ver­

schiedene lokale Varianten gab. Vom 11. Jahrhundert an bis zum Aufkommen wir­ kungsvoller 190

Feuerwaffen

war

die

Arm-

Reiterharnisch (sogenannter Küraß). Je größer die Durchschlagskraft der Armbrust­ Geschosse, desto schwerer die Panzer, mit denen sich die Ritter vor derartigen Geschossen zu schützen suchten. Zwangsläufig wurden die Träger derartiger Rüstungen immer unbeweglicher, und auch die bedauernswerten Pferde dieser Ritter hatten immer größere Lasten zu schleppen. Gegen Feuerwaffen halfen aber nicht einmal derartige eiserne ,Schutzbekleidungen".

Die Armbrust Die Armbrust ist eine Fern­ waffe, die sich aus dem Bo­ gen entwickelt hat. Der Bo­ gen konnte aus Holz, Horn oder Stahl sein, die Sehne bildete eine Flechtschnur aus tierischen oder pflanzli­ chen Stoffen, und die Säule war aus Holz. Die Sehne der Armbrust spannte man von Hand oder durch einen Spannhaken. Als wirksame­ re Spannvorrichtung setzte sich schließlich auch die Kur­ beiwinde durch. Die Ge­ schosse der Armbrust waren Pfeile, Bolzen oder Kugeln. Die Armbrust trat mit der Ent­ wicklung der Handfeuerwaf­ fen in den Hintergrund. Ihr allmähliches Verschwin­ den aus dem Kriegshand­ werk lag weniger an man­ gelnder Durchschlagskraft, sondern mehr an ihrer auf­ wendigen darum und schwerfälligen Bedienung.

Fensterbilddarstellung einer Armbrust.

Armbrust mit Kurbeiwinde.

19. Jahrhunderts. Um sich dagegen zu schüt­ zen, trugen die Ritter Plattenpanzer, in denen sie so langsam und unbeweglich wurden, daß einfache Fußsoldaten sie mit Stangenwaffen angreifen und besiegen konnten. LEONARDO

DA

V 1Nc 1 experimentierte mit der

Armbrust und entdeckte dabei Gesetzmäßig­ keiten, die noch heute für die Luft- und Raumfahrt von Bedeutung sind. Für Belage­

" Die Entwicklung der Armbrust ist eine watlentechnische Evolution gewesen, die Entwicklung der Feuerwaffen dagegen eine Revolution "

stammt aus dem Besitz des Raubritters H ART­ CRONENBERG, der von seiner Burg Tannenberg bei Frankfurt aus jahrelang die

MUD voN

Kaufleute überfallen und ausgeraubt hatte, bis die Truppen König W ENZELS zusammen mit denen der Stadt die Burg 1399 stürmten. Bei Ausgrabungen des Jahres 1847 fand man im Schutt das Rohr einer Handbüchse von 32 cm Länge und einem Kaliber von ca. 1,43 cm. Solche Rohre waren auf einem hölzernen

rungen gab es wie auch im Altertum große

Schaft, ähnlich einer Armbrust, montiert. Die

steinschleudernde

geraden Schäftungen wurden wie Armbrüste

Wurfmaschinen, die beson­ ders von den Byzantinern gebaut und nach

an die Wange gelegt, der Rückstoß traf so nicht die Schulter, sondern verpuffte ins Leere.

den Kreuzzügen auch in West- und Mitteleu­

funktionieren bekanntlich nach dem Rück­

ropa eingesetzt wurden.

stoßprinzip, die Kugeln der Kanonen und

Da sich die Bleikugeln beim Laden verform­

Gewehre werden dagegen durch Überdruck

ten, wirkten sie wie Dumdum-Geschosse.

Die ersten Feuerwaffen übernahmen von den

aus einem Rohr geschleudert, Sektkorken

Selbst Streifschüsse konnten Arme oder Beine

Armbrüsten Konstruktionselemente wie die

einer Flasche gleich. Vermutlich erfolgte die

abreißen. Die gebräuchlichsten

Abzugsstangen und die Anschlagart. Die älte­

Erfindung, als Alchimisten explosive Stoffe

ste Abbildung einer Kanone im Milimete Manuskript von 1326 zeigt ein flaschenförmi­ ges Rohr auf einer tischartigen Lade; aus der

im Mörser mischten und ihnen der Stößel

Handfeuer­ waffen des 15. und frühen 16. Jahrhunderts waren Hakenbüchsen mit Luntenschnapp­

durch den Explosionsdruck aus der Hand

schloß, bei denen ein unter Federspannung

geschleudert wurde. Nun mußte man nur

stehender Hahn in die Pfanne schlug. Davor

Mündung kommt keine Kugel, sondern ein

noch dem Metallgefäß eine Form geben, die

verwendete man einfache Schlösser mit einge­

großer Armbrustbolzen. Das älteste erhaltene

geeignet war, ein Geschoß in eine bestimmte

klemmter Lunte.

Geschützrohr

Richtung zu schleudern, und die revolutionäre

(Naturhistorisches Museum,

Stockholm) hat die gleiche Form.

Erfindung des Schwarzpulvers war perfekt. -

Militärische Handbücher wie der

Am einfachsten waren

von KONRAD K YESER (1402) enthalten zahlrei­

Mörser-Geschütze zu

Bel/ifortis

Die Chinesen kannten schon im Altertum

bauen. Aber bald gab es auch Handfeuerwaf­

che Vorschläge für

Schwarzpulver als Antriebsmittel für Rake­ ten, die nicht nur für das Feuerwerk, sondern auch als Brandsätze gebaut wurden. Raketen

fen. Die älteste datierbare ist ein Bronzerohr

Kriegsgerät. Allerdings ist unklar, inwieweit

Feuerwaffen und anderes

(mit der Inventarnummer W 2034 im Germa­ nischen Nationalmuseum, Nürnberg). Es

diese der gängigen Praxis entsprachen oder vielmehr theoretische Konstruktionen waren wie 191

Wie andere Militäringenieure seiner Zeit spielte Leonardo da Vinci mit der Möglichkeit von Panzerwagen mit Hand­ antrieb, nicht zu reden von rotierenden Sensen, vor einem von Pferden gezogenen Wagen angebracht, um den Feind niederzumähen. Man beginnt zu verstehen, wie kräftig der alte Mythos von unbegrenzter Macht in der Neuzeit wiedererwachte. (Lewis Mumford) Die große Bombarde von Steier (15. Jh.). auch die meisten der von LEONARDO DA V1Nc1 erfundenen Kriegsmaschinen, welche mit den damaligen technischen Mitteln nicht zu reali­ sieren waren oder schlicht nicht funktionier­ ten. Es gibt eindrucksvolle Nachbauten sol­ cher Geräte. Auf umstrittene Angaben über die Leistungsfähigkeit der mittelalterlichen

Aus den ersten Pulvergeschützen entwickelten sich bald auch großkalibrige schwerfällige Rohre. Sie bestanden aus der Flug- sowie der Pulverkammer. Da die wirksame Reichweite solcher Geschütze recht gering war, mußte man möglichst nahe an die Befestigung herangehen.

Bis zur Herausbildung der Stehenden Heere des Absolutismus bestimmten sie hüben wie drüben das Kriegsgeschehen. Der Lands­ knecht stellte die besoldete Infanterie dar, an deren Spitze sich der Kriegsherr einen tüchti­ gen Feldhauptmann wünschte. Ihre Stoßkraft auf dem Schlachtfeld war der berittener Va­

Feuerwaffen wollen wir hier nicht näher

sallenscharen früherer Zeit weit überlegen.

eingehen. Worauf es ankommt, ist die gesell­

Die Unbotmäßigkeit und Disziplinlosigkeit

schaftliche Wirkung: Die Ritter waren in

Volk anzuwerben. In Stadt und Land wurde

der Landsknechtsheere ist später sprichwört­

ihren Burgen nicht mehr sicher, Städte und

alsdann die Werbetrommel gerührt, die Söld­

lich geworden. Sie hin letztlich damit zusam­

Territorialherren konnten diese mit Geschüt­

linge hatten sich an Ort und Tag den kaiserli­

men, daß der Kriegsherr selten imstande war,

zen zerstören. Mächtig war nur noch, wer

chen Musterherren zu stellen... MAXIMILIAN

seinen

Heere und Ge­

ließ also eingeborene Kriegsleute anwerben,

»Sold« pünktlich zu zahlen, nachkommen

schützmeister in

im Solddienst stehende Landeskinder, die

konnte. Oft waren Abzüge im Spiel sowie

seinen Diensten halten

Landsknechte. So rüstete er für seinen Krieg

Betrügereien des Feldhauptmanns und ande­

und bezahlen konnte. So be­

in Flandern und Burgund.

rer an der Tagesordnung.

gann das Zeitalter der Landsknechte.

g

Vertragspflichten,

das

heißt,

den

... � ·

Der Adel mußte sich mit dem Landesherrn oder den Städten arrangieren, selbst in Solddienst gehen oder auf dem Lande in ärmlichen Verhältnissen leben. Deshalb auch sollten sich später einige Ritter den Bauern­ aufständen anschließen. Die Söldnerheere mit ihren Landsknechtshau­ fen begannen sich schon im 13. und 14. Jahrhundert durchzusetzen. Der Landsknecht - das war der gemietete Söldner zu Fuß und zu Roß. Der Kriegsdienst leitete sich nicht aus dem Rechtstitel der Lehnspflicht ab. Vielmehr beruhte der Söldnerdienst auf einem Vertrag: Der Kriegsherr hatte den Sold zu entrichten, der Söldner den Kriegsdienst. Den entschiedenen Neuaufbau des Heereswe­ sens betrieb Kaiser MAXIMILIAN 1. Er erteilte bewährten Heeresführern im Range eines Obersten den Auftrag, eine bestimmte Anzahl 192

Schießprügel. Eine der frühesten Vorformen heutiger Feuerwaffen waren sogenannte .Schießprügel' wie das hier abgebildete Feuerrohr, dessen einfache Bedienungsweise die Abbildung zeigt. Wegen des Rückstoßes mußte es mit dem Stock fest auf den Boden gestemmt werden.

Mittelalterliches Wis.5en war Buchwissen. Das ursprüngliche Bildungsmonopol der Geistlichkeit wurde schließlich durch den Bildungsdrang der Bürger gebrochen. Juden 1 konnten fast ausnahmslos lesen und schreiben.

1 De

Nach

den Klosterschulen

entstanden

die

Domschulen, die einer Bischofskirche ange­

schlossen waren. Der Ruf eines berühmten Lehrers zog Schüler aus nah und fern an, und sie folgten ihm, wenn er an eine andere Schule ging. Da Latein die Unterrichtssprache war, spielten Sprach- und Staatsgrenzen keine Rol­ le. Es gab nur eine gesamteuropäische Bil­ dung. Im 11. und 12. Jahrhundert waren die

Ausbreitung der Bildung

Bologna und die Medizinschule von Salerno,

m frühen Mittelalter waren die Klöster die

barkeiten. Die Kleriker wurden zu Beratern

welche die Studenten aus ganz Europa anzo­

einzigen Bildungsanstalten. Im Frühmit­

der Könige und Kaiser, als Erzieher am Hofe

gen. Beide standen mit einer Kathedrale in

telalter bewahrten sie allein die Evange­

schufen sie die höfischen Umgangsformen der

Verbindung. Die Studenten der Rechtswis­

lien und die Reste der antiken Bildung. Nur

»civilitas«. In den Schreibstuben der Kloster­

senschaften schlossen sich in

dort wurden Lehrer, Schreiber und Diploma­

bibliotheken wurden die Handschriften ko­

(Zünften) und landsmannschaftlichen Grup­

ten ausgebildet. „Bücher" waren seltene Kost-

piert und mit Miniaturen verziert.

1

Schulen von Paris am angesehensten. Im 13.

Jahrhundert organisierten sich dort die Scho­ laren und Magister zu einer zunftähnlichen

Gemeinschaft, der »universitas magistrorum et scholarium«, daher das Wort „Universität"

für eine Stätte höherer Bildung. Vorlesungen fanden in den Häusern der Professoren, in Klöstern oder auf öffentlichen Plätzen statt. In Italien entstanden die Rechtsschule von



Universitäten"

pen (nationes) zusammen. Sie wurden im 13. Jahrhundert auf zwei beschränkt: die »cis­ montani« für die Italiener und die »ultramon­ tani« für die Ausländer. An den Universitäten

konnte man die Grade des Baccalaureus, Magisters, Lizentiaten und Doktors erwerben.

Ein abgeschlossenes Studium dauerte 8 bis 10 Jahre und war sehr teuer. Wer Doktor der Theologie werden wollte, brauchte noch län­

gere Zeit. Allerdings gaben die älteren Studen­ ten auch Unterricht. Die Scholaren stammten überwiegend aus dem Adel und den Patrizier­ familien, aber es gab auch Stipendien.

Priester mit Brille. Wenn man davon ausgeht, daß Sehstörungen als altersbedingte Verschleißerscheinungen etwa im Alter von 45 Jahren einsetzen, verlängerte die Erfindung der Augengläser die Zeit uneingeschränkter geistiger Aktivität um ungefähr 15 Jahre. Dies bleibt eine beachtenswerte Tatsache, wenn auch die Ansicht mancher Gelehrter, durch das Brillentragen habe eine gestiegene Zahl der Leser zum geistigen Aufschwung der sich ankündigenden Renaissance beigetragen, möglicherweise etwas übertrieben ist. Im übrigen war die Fähigkeit, Sehhilfen für Sehbehinderte zu schaffen, nur der erste Schritt auf einem Wege, der über den Schliff immer besserer Linsen und deren Kombination schließlich zur Schaffung moderner Teleskope führte. - Unser Bild zeigt einen Ausschnitt aus dem Van-der-Paele-Altar des Jan van Eyck (um 1438). 193

Frauen lernten Lesen und Schreiben und etwas Latein. So heißt es zum Beispiel von

(t 1179),

HILDEGARD VON BINGEN

nichts gelernt als den Psalter,

„sie habe

wie es bei

adligen Mädchen üblich war". Nur wenige hochgebildete Frauen sind bezeugt, so zum Beispiel Königin JUDITH voN BöHMEN (t 1140). Die Laienbildung wurde gefördert durch die Ausbreitung der höfischen Kultur sowie deren Einfluß auf das reiche Stadtbürgertum, zuerst übrigens in Frankreich. Gebildete Adli­ ge waren gewöhnlich jüngere Söhne, die in

Hof der Universität Krakau. Im Jahre 1364 wurde sie gegründet. Es war die Zeit Kasimirs III„ des Großen (1333-1370). Die Universitätsgründung ist als Teil seiner inneren Reformen des Landes­ ausbaus zu verstehen. Das Bild zeig!Teile des erhaltenen gotischen Zie­ gelbaus mit Arkadenhof.

Wachstafel aus der Lübecker Stadtschule. Zu Beginn der Reforma­ tion-also um 1517konnten etwa zwei bis sechs Prozent aller Deutschen lesen und schreiben. Als Lernmittel dienten unter anderem die hier abgebildeten Wachstafeln, auf denen die Kinder ihre ersten Buchstaben malten.

einem Kloster erzogen wurden, um Kleriker zu werden. Beim Tode ihrer Brüder traten sie als Erben in den Laienstand zurück (zum Beispiel

der

SACHSEN).

Pfalzgraf

Der

FRIEDRICH

entscheidende

voN

n.

Schritt

zur

Schriftlichkeit war die Einrichtung von Kanz­ leien an den Fürstenhöfen seit der Mitte des 12. Jahrhunderts. Auch die Städte richteten eine Verwaltung ein. Im letzten Jahrzehnt des

13.

Jahrhunderts gingen die fürstlichen und städti­ schen

Kanzleien

allmählich

dazu

über,

deutschsprachige Urkunden auszufertigen. In Straßburg war der Stadtschreiber HESSE (Leiter der Kanzlei von

1230-40) ein respek­

tierter Kenner und Kritiker der Literatur.

194

Die ersten Universitäten in Europa (1000) (1065) (1119) (1163) (1175) (1218) (1222) (1224) (1229) (1229) (1253)

Salerno Parma Bologna Oxford Modena Salamanca Padua Neapel Cambridge Toulouse Paris

(1290) (1303) (1348) (1364) (1365) (1386) (1388) (1389) (1392) (1402) (1409)

Coimbra Avignon Prag Krakau Wien Heidelberg Köln Budapest Erfurt Würzburg Leipzig

Im 15. Jahrhundert kamen zahlreiche Neu­ gründungen hinzu.

Ratsschreiber waren in einigen Städten auch die Leiter der städtischen Elementarschulen (in Lübeck und Hamburg im späten Jahrhundert bezeugt, in Braunschweig im

13. 15.

Jahrhundert). Sie nahmen auch Mädchen auf und konkurrierten mit den Pfarrschulen (La­ teinschulen). Die Schüler lernten Latein, Deutsch und Rechnen. Bei Ausgrabungen in Lübeck fand man beschriebene Wachstafeln mit lateinischen Schreibübungen, Griffel und Tintenfässer aus der Zeit um

1390.

städtischen Schreib- und Leseschulen des

Die

15.

Jahrhunderts waren billiger als die kirchli­ chen. Sie nahmen mehr Kinder auf und unterrichteten in deutscher Sprache. Die Bür­ gerkinder mußten Schulgeld zahlen. Neben den von der Kirche und vom Rat geführten Schulen gab es „Klipp "- und „ Winkel"-Schu­ len für Kinder einfacherer Schichten. Eine der ältesten uns bekannten Fibeln in deutscher Sprache stammt aus dem Besitz des Augsbur­ ger Kaufmanns CLAUS SrAuN, entstanden in den Jahren

1486-93.

Das verbreitetste Ele­

mentarbuch war die lateinische Grammatik des AEuus DoNArus aus dem vierten nach­ christlichen Jahrhundert. Von ihr ist bis etwa

1500

die kaum glaubhafte Zahl von

Ausgaben nachweisbar.

355

Aushängeschild eines Schulmeisters. Neben die traditionelle Klosterschule trat im Spätmittelalter die für Laien offene Pfarrschule (Lateinschule) und schließlich die meist private ,deutsche" Schule mit der Unterrichtssprache Deutsch. Das Bild zeigt die Werbetafel einer solchen privaten Schule zu Basel aus dem Jahre 1516.

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·

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rer und Studenten aus Paris und Prag abwan­ derten, - hier, weil der Papst von Avignon aus einen viel zu starken Einfluß ausübte, dort wegen der inzwischen ausgebrochenen Hussi­ tenunruhen. Grundlage der Studien waren die Artes libera­ les, die „Sieben Freien Künste" - bestehend

aus dem Trivium (Grammatik, Rhetorik und Logik) und dem Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie). Das Schwergewicht lag beim Trivium. An das Studium der Artes konnte sich der Besuch einer

höheren

Fakultät

anschließen.

Die

Theologie galt als die Königin der Wissen­ schaften. Die Heilige Schrift war mit einem riesigen Apparat von Kommentaren versehen, die alles Wissen in Einklang mit der biblischen Überlieferung bringen sollten. Am stärksten besucht war die juristische Fakultät, wo man überwiegend das kanonische Recht studierte.

"Mit den Universitäten begann in Europa ein Prozeß der Verweltlichung der Wissenschaften."

Alle Wissenschaft des Mittelalters war Buch­ wissenschaft, alles mußte durch Zitate belegt

Bildung im Prinzip auch „kleinen Leuten" zugänglich. Seit einsetzendem Spätmittelalter

und begründet werden. Im

begann man, das Wissen in Enzyklopädien

wurden in Spanien die in arabischer Überset­

zusammenzufassen. Die bekannteste („Spe­

zung bewahrten Schriften des ARISTOTELES ins

12.

Jahrhundert

culum maius") ist das Werk des Dominika­

Lateinische übersetzt. Seine Gedankengänge

ners VINCENT DE BEAUVAIS (gestorben

waren den damaligen Klerikern so fremd, daß

1264).

1210

und

1215

den Lehrern der „Freien

In der Regel waren die Bürger mehr an

Universitätsbildung war im Späten Mittelalter

es

Bildung interessiert als der Adel. Die Juden

bereits die Voraussetzung für Karrieren in der

Künste" in Paris verboten wurde, Vorlesun­

konnten fast ausnahmslos lesen und schrei­

Verwaltung der Territorien und Städte. Im

gen über die Physik und Metaphysik des

ben. Die meisten Bücher befanden sich in

Jahre

ARISTOTELES zu halten. Erst mit T ttoMAS voN

1348

gründete Kaiser KARL 1v. die

Kloster-, Rats- und Pfarrbibliotheken. Zu den

Universität von Prag (die »Carolina«); in den

ältesten Bibliotheksgebäuden in Deutschland

folgenden Jahrzehnten wurden Universitäten

gehört jenes der Pfarrei St. Andreas in Braun­

in Wien, Heidelberg, Köln, Erfurt, Leipzig,

Die mittelalterliche Hochschulbildung war

schweig. Nur wenige Bücher waren von der

Greifswald,

im

eine Kunst der Interpretation. Forschung und

Mitte des

Jahrhunderts an in privater

Breisgau, Ingolstadt, Trier, Tübingen und

Lehre bedienten sich der scholastischen Me­

Hand, erst die gedruckten Bücher machten die

Mainz gegründet, als nämlich deutsche Leh-

15.

Rostock,

Basel,

Freiburg

AQ u IN änderte sich dies.

thode: Ein Text (bzw. ein Problem) wurde

vorgetragen und diskutiert. Die Naturwissen­ schaften wurden von metaphysischen und

magischen Denkweisen und Überzeugungen beherrscht, Experimente (z.B. der Alchemi­

Hierarchie der Wissenschaften. Dem hierarchischen Weltbild des mittelalterlichen Menschen mit seinem „Oben" und ,Unten" entsprach auch die Vorstellung von einer Hierarchie der Wissenschaften, die dieser allegorischen Darstellung zugrunde liegt. Man erblickt eine Allegorie der Grammatik. Sie hält dem Schüler eine Tafel mit dem Alphabet entgegen und schließt ihm den Turm der Wissenschaft auf. In dessen untersten Geschossen erblickt man zwei Unterrichtsszenen. Darüber schauen Symbolfiguren der Logik, Rhetorik und Grammatik aus den Turmfenstern heraus. Über ihnen sieht man entsprechende Verkörperungen der Musik, der Astronomie und Geometrie, noch weiter oben hausen Physik und Ethik, und an alleroberster Stelle thront die T heologie.

sten) von den darauf gegründeten Erwartun­

gen bestimmt. Die Mathematik stand der Logik nahe und wurde daher besonders ge­ schätzt. RooER BACON (um

1214-92)

sah in

Gemeinsamkeiten von mathematischen und 1

experimentellen Methoden den Schlüssel für die Naturwissenschaft. - Es liegt in der Natur der Sache, daß sich die Dombaumeister und alle anderen Handwerker gleichfalls von die­ sem Grundsatz leiten ließen: Sie stießen durch Versuch und Irrtum auf physikalische Gesetz­ mäßigkeiten. Übrigens wurden im wirtschaft­ lich hochentwickelten Norditalien die sozia­ len Schranken zwischen Künstlern, Ingenieu­ ren und Handwerkern in der Weise abgebaut,

daß alle voneinander lernen und profitieren konnten.

195

Inbrunst und Aberglaube, Frömmigkeit und Hysterie, intoleranter Dogmatismus und Almosen - im Spannungsfeld zwischen diesen Polen befand sich die Frömmigkeit des Mittelalters, eines Zeitalters, in dem ganz anders I noch als heute in allen Ländern Europas Religion ein Massenphänomen war.

DJe mittelalterliche Frömmigkeit

1

m Mittelalter versuchte man, die christli­ che Lehre zur Lebensnorm zu machen. Die Geistlichkeit war für die Interpreta­

tion zuständig und geriet in Versuchung, ihre Autorität zum Selbstzweck zu machen und für nichtkirchliche Ambitionen auszunutzen. An­ dererseits trachteten weltliche Machthaber danach, kirchliche Institutionen und Personen zu Werkzeugen ihrer Interessen zu machen, sich also auf eine religiöse Autorität zu stüt­ zen. Ähnlich ist es noch heute in islamischen Ländern des Nahen Ostens.

Religion war eine kollektive Angelegenheit. Besondere Formen der Frömmigkeit bildeten sich bei den Pilgern, Wallfahrern, Mönchen,

Nonnen sowie religiösen Laiengruppen ( Bru­ „

derschaften") heraus. Einzelne Gruppen von Christen suchten den Weg zum Heil außer­ halb der kirchlichen Lehre und wurden als

Ketzer verfolgt. Seit der Spätantike pilgerten fromme Menschen nach Jerusalem und Rom; seit dem

10.

Jahrhundert auch nach Santiago

de Compostela zum Grab des Apostels Jaco­ bus d. Ä. Im

14. Jahrhundert entstanden viele

Wallfahrtsorte von regionaler Bedeutung. Seit dem 13. Jahrhundert gab es fast keinen wichtigen Ort in Europa ohne eine Niederlas­ sung der Bettelorden (Franziskaner, Domini­ kaner). Allein die Franziskaner hatten etwa

Weltgeschichte in mystisch-religiösem Gewand.

1500

196

200

Kustodien, die 34 Provinzen

zugeordnet waren. Für das Jahr

Die um 1400 entstandene Weltchronik des Heinrich von München orientiert sich in ihrer Darstellung der Reichsgeschichte an christlich-mystischen Vorstellungen, wie sie einst der Dichter Wolfram von Eschenbach (um 1170 bis vermutlich um 1220) u.a. in seinem späten Epos „Willehalm" zum Ausdruck gebracht hatte. Dessen Held befindet sich in einem ständigen Entscheidungskampf zwischen Christentum und Heidentum. Die Abbildung zeigt, wie Willehalm, der unerschrockene Glaubensstreiter, im Kampf um das Reich Christi Widerspenstige zum Gehorsam zwingt.

Ordensniederlassungen, zusammenge­

faßt in

1297

wissen

wir von allein 600 Konventen der Dominika­

ner. Die Geistlichen schlossen sich zu Bruder­

schaften zusammen, die man Kalande nannte, weil sie sich jeweils am ersten Tag des Monats, den »Calendae«, versammelten. Sie widme­ ten sich der Armenfürsorge und der Unterstüt­ zung notleidender Amtsbrüder.

1344

Im Jahre

wurde in Berlin die „Kalandebrüder­

schaft der vertriebenen Priester" gegründet. Sie unterstützte mittellose Geistliche und sorg­ te für ein würdiges Begräbnis. Bald war der

Berliner Kaland reich genug, um mit dem Rat der Stadt ins Pfandgeschäft zu kommen. Am Ende des Mittelalters besaß er einen ansehnli­ chen Hof mit einer Kapelle in der Nachbar­ schaft der Stadthäuser der Bischöfe von Bran­ denburg und von Lebus. In Lüneburg und ,._.,....,.a:... . .,..„�.;.;,� luU � fB1!" t8tlot8 n.lß..

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