598 144 189MB
German Pages 660 [162] Year 2004
Weltbild
DIE DEUTSCHE GESCHICHTE
DIE DEUTSCHE GESCHICHTE
DIE DEUTSCHE GESCHICHTE Band 2
I348- I755
WELTBILD
Impressum Die vorliegende Buchausgabe basiert auf dem Begleitmaterial zu einer Fernsehreihe zur deutschen Geschichte des W issenschaftsjournalisten Rüdiger Proske, die im Jahre 1989 bundesweit ausgestrahlt wurde. Das offizielle Begleitmaterial zur Sendereihe wurde unter der Leitung Rüdiger Proskes sorgfältig zusammengestellt und mit zahlreichen interes santen Abbildungen und Zusatzinformationen attraktiv gestaltet. Die nunmehr vorliegende Ausgabe wurde um die neuesten Kapitel der deutschen Geschichte erweitert. Mitarbeiter: W ilhelma von Albert, Dr. Jochen Gaile, Mathias Forster, Anke Meyer, JosefNyary, Dr. Joachim Rehork, Volker Schütte, Michael
Schulte, Ingrid Schulze-Bidlingmaier, Dr. Gerhard Steinborn, Guido Thiemeyer, Bettina von Wedel, Dr. Christian Zentner Gestaltung: Lutz Kober, St. Goarshausen Organisation der Neuauflage: Michael Schmidt, Braunschweig Einbandgestaltung: Studio Höpfner-Thoma, München Einbandmotive: AKG, Berlin Gesamtherstellung: Druckerei Appl, Wemding
Printed in Germany ISBN 3-8289-0413-0 Bildquellen: Archiv für Kunst und Geschichte 1;170;212;23 l; u.;235 o.; 246 u.; 259 r.;262 o.;267;270;272;277 o.;280;297; 30 l ;304;31 l; o.;316 o.; 317; 318 *Archiv Verlag 192 o.;21O; 227 o.;276 u. * Bayerische Staatsbibliothek, München 17 l o. * Bertelsmann Lexikothek Verlag GmbH 249 u. *Bibliotheque Royale Albert, Brüssel 17 l u. *Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz 169;173;181 o., u.;182;184;189 r.;192 u.;194 l.; 195 o., u.; 196;203 u.; 206; 207;208;213; 214; 216; 217;218; 219;220 o. r., o. l.;224; 225; 228; o.;229;230;231 o.;232;233;235;u.; 236; 237;o.;239;240;o.; 24 l; 243;245;246 o.;247;248;249 o.;250;253;255; 257; 258;260;264 o.; 266 u.;268;27 l; 274;275;276 o.; 278; 282; 283;285; 286; 289; 292 o.;295;296;300;302;305;306;308;310 l.;31 l u.;312;315 *Alfred Burkholz, W ürzburg 188 * Canisius-Konvikt, In golstadt 262 u. * Freiburger Stadtarchiv 177 u. *Erhard Hehl 176 * Herzog-August-Bibliothek, Wolfenbüttel 172 o.;186; 238 *Historisches Mu seum Frankfurt a.M. 269 *Jürgen Hodemacher, Braunschweig 193 *Kriminalmuseum Rothenburg 273 *Kunsthalle Bremen 187 *Landesmuse um Braunschweig 266 o. * Märkisches Museum, Berlin 189 l. * Dr. Uwe Muuß, Altenholz 174 o. *Österreichische Nationalbibliothek, W ien 240 u. *Österreichisches Staatsarchiv, Wien 259 l. *Rüdiger Proske, Hamburg 172 u.;174 u.;175;179;185 o„ u.; 191 r.;199;201;222;226;227 u.; 228 u.;237 u.; 242 o., u.; 244; 254; 256; 264 u.; 277 u.;279;287;290;292 u.; 293;294;298;303; 309; 310 r.; 313;316 u.; 319; 320 * Staatsar chiv Nürnberg 220 u. *Staatsbibilothek Berlin 284 *Staatsbibliothek Hamburg 156 *St. Annenmuseum, Lübeck 177 o.;190; 197 o. *St. Lorenz, Nürnberg 198 *Tiroler Volkskunstmuseum, Innsbruck 205 *Veste Coburg Kunstsammlung, Coburg 251 *Westfälisches Museum für Kundt und Kulturgeschichte, Münster 202 *Zentralbibliothek Luzern 204 * Zentralbibliothek Zürich 203 o. Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild, Augsburg Copyright der aktualisierten Ausgabe © 2001 by Archiv Verlag GmbH, Braunschweig
2004 2003 2002 Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Lizenzausgabe an.
Inhalt Zeittafel
166
Der Protestantismus im
167
Windschatten der Reichspolitik
247
Die Pest und ihre Folgen
168
Der Schweizer Protestantismus
253
Das Aufblühen der städtischen Kultur
173
Zeit des Überganges
179
Vom germanischen zum römischen Recht
183
Der Alltag
186
Die Revolution des Militärwesens Die Ausbreitung der Bildung Die mittelalterliche Frömmigkeit
Vorwort
Der Augsburger Religionsfrieden und das Ende des Habsburger hnperiums
256
Die Formierung der Gegenreformation
260
Die Lage der Juden in der Krise des 17. Jahrhunderts
265
190
Die Hexenverfolgung in Deutschland
270
193
Konfessionelle Fronten und der
196
Beginn des Dreißigjährigen Krieges
Die Entwicklung der Territorialstaaten
199
Kaiser Ferdinand II. auf dem
Das Ende des Mittelalters
202
Die Blüte der altdeutschen Kunst
206
und das Ende Wallensteins
283
Die Entdeckung der Erde
212
Der Westfälische Frieden
287
im 16. Jahrhundert
Westfälischen Frieden
224
Der höfische Absolutismus -
233
Der Kampf um die Stellung in der Gesellschaft
Die Intervention Schwedens
217
Die Auseinandersetzung mit Frankreich beginnt
280
Das Reich nach dem
Die wirtschaftliche Entwicklung Karl V. und Luther
Höhepunkt seiner Macht
274
239
29 1
Hegemonialkriege Frankreichs
295
Das Ende der Türkenkriege
302
Der Aufstieg Preußens
306
Der Beginn des deutschen Dualismus
3 14
Zeittafel 1348-1352 1356
»Schmalkaldischer Bund«
Blütezeit der altdeutschen Kunst
(25. September)
»Immerwährender
1492
Christoph Kolumbus
Augsburger Religions-
Reichstag« bis 1806
Königswahl und des
landet auf der Karibik-
und Landesfriede
Status der Kurfürsten)
Insel Guanahani (Entdeckung Amerikas)
1556-1564
Kaiser Ferdinand 1.
Maximilian I.;
1564-1576
Kaiser Maximilian II.
»Großes Abendländisches Schisma«
1493-1519
1663
Reichstag zu Regensburg einberufen; er tagte als
1555
Goldene Bulle (Regelung der
1378
1531
ca.
1490-1540
»Schwarzer Tod« (Pest)
1675
Schlacht bei Fehrbellin
1679-1681
Reunionskriege
König und Kaiser
1386
siegen bei Sempach
1400-1410
1566
Die Eidgenossen
1495
von den Türken belagerte Wien
1571-1630
Johannes Kepler; kaiserlicher Mathematiker
Der Hexenhammer
1688-1697
Pfälzischer Erbfolgekrieg
1701
Kurfürst Friedrich III.
und Hofastronom,
Niederlage des
erscheint; Beginn der
entdeckte die Gesetze der
Deutschen Ordens
Hexenverfolgung
Planetenbewegung
von Brandenburg krönt
»Schwabenkrieg«: unabhängig vom Reich
1415
1608
Gründung der protestantischen »Union«
1517
Belehnung Friedrichs VI.
Ablaß-Handel; Beginn
von Hohenzollern mit
der Reformation
1609
1518
1618
(Ulrich Zwingli) Konzil zu Basel
1440-1493
Friedrich ill.
1453
Konstantinopel von den Türken erobert. Ende des Byzantinischen
1519
Karl V.; König und Kaiser
1521
Reichstag zu Worms;
1473-1543
(23. Mai)
1713
Pragmatische Sanktion
30jährigen Krieges
1713-1740
1619-1637
Kaiser Ferdinand II.
1620
Schlacht
am
Friedrich Wilhelm I. (»Soldatenkönig«)
1717
Prinz Eugen besiegt bei Belgrad die Türken
Weißen Berg bei Prag
Zurücknahme seiner
1631
Tilly erobert Magdeburg
1740
Lehren; Ächtung Luthers; Scheinentführung auf
(und mit Dänemark
1467-1477
Kaiser Karl VI.
Luther verweigert die
vereinigt)
Regierungsantritt der Kaiserin Maria Theresia
1632
Schlacht bei Lützen;
die Wartburg; Beginn
König Gustav II. Adolf
seiner Bibelübersetzung
von Schweden fällt
von Österreich
1740
Regierungsantritt Friedrichs II. von Preußen
1522/1523
Ritteraufstand
1524-1525
Bauernkrieg
von Burgund
1527
Sacco di Roma
1637-1657
Nikolaus Kopernikus;
1529
Die Türken vor Wien
1648
erobern den Thurgau
1711-1740
Prager Fenstersturz;
Leipziger Disputation
1519-1556
Schleswig-Holstein
Die Eidgenossen
Kaiser Matthias
Luthers gegen Dr. Eck
»auf ewig ungeteilt«
1460
Kaiser Joseph 1.
Beginn des
Reiches
1460
1705-1711
Gründung der
Beginn der Reformation in der Schweiz
Hussitenkrieg
»König in Preußen«
Schlacht bei Höchstädt
katholischen »Liga«
1612-1619
der Mark Brandenburg
1431-1449
sich in Königsberg als Friedrich 1. zum
1704
Luther veröffentlicht 95 Thesen gegen den
1419-1436
Kaiser Rudolf II.
Jan Hus in Konstanz als Ketzer verbrannt
1417
1576-1612
Die Schweiz praktisch
Konzil zu Konstanz
Kahlenberg;
Gegenreformation
bei Tannenberg
1414-1418
am
Ewiger Landfriede,
Sigismund
1499
Schlacht
Leopold I. befreit das
Gemeiner Pfennig,
Ruprecht von der Pfalz
1497 1410
1683
Beginn der
Reichskammergericht
1410-1437
Reichstag zu Augsburg;
Reichstag zu Worms:
1634
Wallenstein wird in Eger ermordet
1740-1748
(25. Februar)
Österreichischer Erbfolgekrieg
Karl der Kühne
1740-1742
Erster Schlesischer Krieg
Der Westfälische Friede
1742-1745
Kaiser Karl VII.
Krieg (24. Oktober)
1744-1745
Zweiter Schlesischer Krieg
Kaiser Leopold 1.
1745-1765
Kaiser Franz I.
beendet den 30jährigen
begründet die bahnbrechende Lehre vom
Kaiser Ferdinand III.
1530
Reichstag zu Augsburg.
Planetensystem mit der
»Augsburger Bekenntnis«
Sonne als Mittelpunkt
(Confessio Augustana)
1658-1705
Vorwort ier große Pestwellen im 14. Jahrhundert
kurzerhand zum Fenster hinaus. Dieser »Prager
verheerten Deutschland und dariiber
Fenstersturz« von 1618 wurde zum letzten aus
deutschen Protestanten und trat mit eigenen
hinaus ganz West- und Mitteleuropa.
schlaggebenden Anlaß des Dreißigjährigen
Truppen offen gegen Habsburg in den Kampf.
Doch nicht der »schwarzer Tod«, sondern die
Krieges.
kirchlichen Mißstände wurden für die weitere
sehe Frankreich verbündete sich daraufhin mit
Auf deutschem Boden rangen Europas Mächte um politischen Einfluß.
Entwicklung bedeutsam. Als der deutsche Au
Der von den böhmischen Ständen zum König
gustinermönch Martin Luther (1483 - 1546)
gewählte Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz,
Nach langjährigen Verhandlungen unter Betei
den Verfall des Klerus anprangerte, führte sei
das Haupt der protestantischen »Union«, wur
ligung fast aller europäischen Mächte fand der
ne Kritik an Papst und Kirche- ursprünglich als
de 1620 in der Schlacht am Weißen Berg bei
Dreißigjährige Krieg 1648 mit dem Westfäli
»Reformation« gedacht - schließlich zur epo
Prag von dem kaiserlichen Feldherrn Tilly ge
schen Frieden von Münster und Osnabrück
chalen Zäsur der Glaubensspaltung.
schlagen und vom Thron vertrieben. Die füh
sein von dem leidgeprüften Volk herbeige
renden protestantischen Adligen wurden hin
sehntes Ende. Der Augsburger Religionsfrie
Für den Kaiser des Heiligen Römischen Rei
gerichtet, ihre Ländereien an Katholiken verge
den wurde jetzt auch unter Einschluß der Calvi
ches, den Habsburger Karl V., einen glaubens
ben. Tillys Truppen marschierten dann nach
nisten bestätigt. Damit war die Glaubensspal tung in Deutschland endgültig anerkannt und
eifrigen Christen, war die Erhaltung der Einheit
Nordwesten gegen die norddeutschen Staaten.
der Kirche sowohl Herzenssache als auch poli
Thnen stand der König von Dänemark bei. Der
das Zeitalter der Konfessionskriege beendet.
tische Notwendigkeit. Die Gemeinsamkeit des
böhmische Edelmann Albrecht von Wallen
Mit dem Westfälischen Frieden war auch die
Glaubens sollte die Völker seines Herrschafts
stein (1583 - 1634), ein glänzender Stratege
Idee des Kaisertums für immer verschwunden.
bereichs zusammenhalten. Doch schließlich
und Organisator, stellte dem bedrängten Kaiser
In Deutschland gab es nun mehr als 350 Herr schaftsgebiete.
dem zwischen
ein Heer auf. Der dänische König und seine
Lutheranern und Katholiken geschlossenen
mußte auch der Kaiser auf
deutschen protestantischen Verbündeten muß
Augsburger Religionsfrieden des Jahres 1555
ten vor Wallenstein und Tilly zurückweichen.
Auch das Fürstentum Brandenburg-Preußen
den Landesherren den Glaubenswechsel zubil
Sofort nutzte der Kaiser den Sieg. Ohne den
war beim Amtsantritt des Großen Kurfürsten
ligen. Sie waren es, die hinfort die Religion
Reichstag zu fragen, erließ er 1629 das soge
Friedrich Wilhelm im Jahre 1640 verwüstet
ihrer Untertanen bestimmten: »Cuius regio,
nannte Restitutionsedikt, das den deutschen
und machtlos. Doch gelang es ihm in zäher
eius religio« - »Wessen Herrschaft, dessen
Protestantismus zu vernichten drohte. Die Er
Aufbauarbeit, aus dem Vielerlei von weit aus
Religion«.
bitterung der Protestanten über das Edikt und
einanderliegenden Ländern die Voraussetzung
die Empörung der Katholiken über den Druck,
für den einheitlich regierten, zur europäischen
Das Reich war nach 1555 in einen protestanti
den Wallenstein im Reich ausübte, nötigten
Großmacht aufsteigenden preußischen Staat zu
schen Norden und einen katholischen Süden
den Kaiser, Wallenstein zu entlassen.
geteilt. Der Protestantismus machte unter dem
schaffen. Er drängte den Einfluß der Stände zurück und schuf ein stehendes Heer, ordnete
Schutz des Religionsfriedens weitere Fortschrit
Zu dieser Zeit trat der Schwedenkönig Gustav
das Steuerwesen und schulte die Beamten. Sein
te, doch litt die protestantische Bewegung an
Adolf auf protestantischer Seite in den Krieg
Nachfolger, König Friedrich Wilhelm 1. (1713
innerer Uneinigkeit, die durch das Vordringen
ein. Nach seinem Sieg über das kaiserliche
- 1740), wurde zum eigentlichen Begründer
des Calvinismus nach Deutschland noch zu
Heer bei Breitenfeld 1631 drangen die »Evan
des brandenburgisch-preußischen Staates. Sei
sätzlich vertieft wurde.
gelischen« bis nach Bayern und an die Grenze
ne größte Liebe galt dem Heer, das er gewaltig
der habsburgischen Erblande vor. In dieser
vergrößerte und zur Grundlage des Staates aus
gefährlichen Situation gelang es Wallenstein,
baute, was sich sein Nachfolger, Friedrich II.,
schlossen sich die protestantischen Fürsten
erneut mit dem Oberbefehl betraut, in kürzester
konsequent zunutze machte.
1608 zur »Union« zusammen. Die katholi
Zeit ein Heer aufzubieten und Gustav Adolf aus
Zur Sicherung ihres Besitzstandes im Reich
schen Landesherren bildeten daraufhin, unter
Süddeutschland zu verdrängen. In der Schlacht
stützt vom Haus Habsburg, die »Liga«.
bei Lützen (1632) blieben die Schweden Sie
Große« in die Geschichte einging, das überra
Eine unüberbrückbare Spannung herrschte
ger. Aber sie bezahlten den Sieg mit dem Tod
gende politisch-militärische Genie seines Jahr
Friedrich II. von Preußen, der als der »der
zwischen den beiden Parteien. Insbesondere
ihres Königs. Das »Kriegsglück« hielt sich nun
hunderts, ein Philosoph auf dem Thron und ein
die mächtigen Habsburger wollten der im
die Waage. Wallenstein mußte abermals seine
begnadeter Musiker dazu, war für die einen die
Religionsfrieden anerkannten Glaubensspal
Absetzung befürchten. Er ließ sich auf geheime
Lichtgestalt des aufgeklärten Absolutismus; für
tung nicht endgültig zustimmen. Thr Ziel war
Verhandlungen mit den Feinden des Kaisers
die anderen ein eiskalt kalkulierender Macht
ein und wurde 1634 in Eger im kaiserlichen
mensch. Kurz nach seinem Regierungsantritt
die Gegenreformation.
Auftrag ermordet.
1740 nutzte Friedrich die Gunst der Stunde und fiel unter dem Vorwand alter Erbansprüche
Als das kaiserliche Wien versuchte, das den böhmischen Protestanten zugesicherte Recht
Nach dem Tode Gustav Adolfs und Wallen
überraschend in Schlesien ein. Ein langes Rin
der freien Religionsausübung zu beseitigen,
steins traten die religiösen Motive der kämp
gen zweier Großmächte auf deutschem Boden
zogen die gewählten Vertreter der protestanti
fenden Parteien noch weiter zurück. Protestan
war damit eingeleitet- für eineinhalb Jahrhun
schen Stände zur Prager Burg, dem Hradschin.
tische und katholische deutsche Fürsten foch
derte sollte die deutsche Geschichte im Zeichen
Die kaiserlichen Räte Slavata und Schmesanski
ten jetzt unter kaiserlicher Führung gemeinsam
des preußisch-österreichischen Dualismus ste
blieben hartnäckig. Daraufhin warf man sie
gegen protestantische Schweden. Das katholi-
hen.
Hilflos sahen sich die Menschen des Mittelalters den verheerenden Zügen der Pest ausgeliefert. So suchten sie »Sündenböcke«. Aber die Seuche brachte auch tiefgreifende soziale und öko�ornische Umwälzungen.
DIe Pi t und ihre Folgen ns �
1
Die früheste Kunde vom Ausbruch der Pest haben wir von Karawansereien in Astrachan und Sarai an der unteren Wolga 1346. Der arabische Gelehrte IBN BArurA hörte auf seiner Rückreise aus Indien erstmals im Jahre 1347 oder 1348 in Aleppo (Syrien) von der Pest. Man nimmt an, daß Fallensteller kranke oder tote T iere einsammelten und in Astrachan und Sarai verkauften, wo die ausgehungerten Flöhe aus den Fellbündeln hüpften. Über die Krim trat die Pestseuche ihren makaberen Siegeszug an. Fast in jedem Hafen zwischen der Krim und Genua brach 1347 die Epide mie aus - verbreitet durch die Ratten auf den Segelschiffen. In Messina wurde der erste Ausbruch im Oktober 1347 registriert; zu
1
Beginn des Jahres 1348 trat der Schwarze Tod
n Europa, Nordafrika und in angrenzen
und vor dem Gesicht eine „Gasmaske" mit
den Regionen des Nahen Ostens lebten
einem großen Schnabel, der, mit aromati
in Tunis auf und verbreitete sich nach Sardi
um das Jahr 1346 ca. 100 Millionen
schen Kräutern gefüllt, als Luftfilter diente.
nien und Spanien. Als die Genueser ihren
Menschen. Innerhalb weniger Jahre starb ein
Die Augen wurden durch gläserne Linsen
Hafen sperrten, liefen Pestschiffe Marseille an.
Viertel von ihnen an der Pest. In nur vier
geschützt. In der Hand trugen viele Ärzte
Bis Ende des Jahres 1348 hatte die Seuche die
Jahren verlor Europa damals ca. 20 Millionen
einen Stab mit Weihrauch, um „Unreinhei
Atlantikküste erreicht. In Deutschland und
Menschen. Der Schwarze Tod des ausgehen
ten" abzuwehren. Dieser Schutz bewahrte in
Dänemark wütete der Schwarze Tod seit 1350
den Mittelalters beendete das Bevölkerungs
der Tat vor der Tröpfcheninfektion und hielt
und raffte ein Drittel der Bevölkerung dahin.
wachstum der vorhergegangenen Epoche.
die Flöhe besser fern, als Kleidung es ver
135 1 erreichte er Polen und ein Jahr später
mochte. Neben dieser Miasmen-Theorie der
Rußland. Danach ging die Zahl der Toten
Im Mittelalter hatten die Menschen von der
Zeit gab es die Annahme, daß Krankheit
zurück, aber 1356 brach die Pest in Deutsch
wahren Natur einer Krankheit keine rechte
durch absichtliche Vergiftung verursacht sei.
land neuerlich aus und flackerte in Europa
Vorstellung. Sie schrieben Krankheiten un
Man beschuldigte Hexen und Andersgläubi
immer wieder auf. Die Epidemien hemmten
heilvollen
oder
ge: in islamischen Ländern Christen, in christ
das Wachstum und dezimierten die Bevölke
„Miasmen" (krankheitsauslösenden Stoffen
lichen Moslems und überall die Juden. Da im
rung bis zum Ende des 14. Jahrhunderts.
in der Luft) zu. Dementsprechend trugen die
14. Jahrhundert 70-80 Prozent der Pestkran
Ärzte ein dicht abschließendes Ledergewand
ken starben, suchte man nach Sündenböcken.
„Planetenkonstellationen"
Im Griechenbeisl, einem Lokal am Fleisch markt in Wien (Nr. 1 1), sang der liebe
Die Ausbreitung der Pest 1347-1350
Augustin, ein legendärer Bänkelsänger und Dudelsackpfeifer der Pestzeit, sein Lied „Alles ist hin ". Das Erlebnis dieses Massensterbens wurde in der Kunst zum T hema des Totentan zes stilisiert. Dem Tod konnte niemand entge hen, sei er nun reich und mächtig oder arm und unterdrückt. Überall in Europa entstan den Totentanz-Malereien, -Skulpturen und -Dichtungen. Vielleicht darf man diese Dar stellungen der „Gleichheit vor dem Tode" auch als Ansätze zur Überwindung der Gren zen zwischen den Ständen verstehen. Das Lebensgefühl der Spätgotik war zugleich End zeit {„Herbst des Mittelalters") und Aufbruch zu neuen Gedanken, Entdeckungen und Le bensformen.
" Die Infizierung edolgte zuletzt aus allen Himmelsrichtungen " 168
Die deutsche Ostkolonisation verlor wegen
Die Pestarten
des nachlassenden Bevölkerungsdrucks ihren Schwung. Es kamen keine deutschen Bauern mehr ins Baltikum. Die Überlebenden der Pestzeit erbten die Vermögen ihrer verstorbe nen Verwandten, viele rückten in Positionen auf, die ihnen vorher verschlossen waren. Die Grenzertragsböden wurden aufgegeben, die Landwirtschaft konzentrierte sich auf große Gehöfte inmitten fruchtbarer Äcker. Die ver lassenen Dörfer nennt man Wüstungen. Infol ge dieser Konzentration wurde der Getreide preis für lange Zeit auf einem niedrigen Niveau gehalten, was dem Aufschwung der Städte zugute kam. Für die weltlichen und geistlichen
Grundherren
begannen
nun
schwere Zeiten, da die auf ihren Ländereien verbliebenen Bauern weniger Abgaben er wirtschafteten. Einige Adlige wurden Raub ritter. Auf brachliegenden Äckern wuchsen neue Wälder, andere wurden zu Weiden. Die Wolle der vielen Schafe konnte wegen des
Unter der Bezeichnung "Pest" gingen im Alter tum und Mittelalter zahlreiche Züge ganz unter schiedlicher Seuchen in die Geschichte ein. Bei der Pest im engeren Sinne handelt es sich um eine Krankheit, die durch Flöhe von Ratten auf den Menschen übertragen wird. Es gibt zwei verschiedene "klassische" Verläufe. Der eine, harmlosere, ist die sogenannte "Beulenpest": Nach einer Inkubationszeit von 3-6 Tagen kommt es zu Schüttelfrost, Fieber, starker Ab geschlagenheit und Schwellungen der Lymph drüsen. Sehr viel schwerer ist die zweite Varian te, zu der es dadurch kommt, daß das Blut sehr viel stärker mit Pestbakterien überschwemmt wird. Sie wird durch Tröpfcheninfektion übertra gen. Und wer von ihr befallen war, für den gab es keinerlei Rettung. Im Mittelalter, das noch keine Antibiotika kannte, starben 100 Prozent der an Lungenpest Erkrankten! Heilung von der Beulenpest versprach man sich davon, daß Ärzte die angeschwollenen Lymphknoten auf schnitten. Unsere Abbildung, die diese Art der Pestbehandlung zeigt, stammt aus H. Folz' "Spruch von der Pestilenz" (1482).
Pestarzt beim Aufschneiden von Pestbeulen.
Mangels an Arbeitskräften nicht von Hand bearbeitet werden. So entstanden an vielen Wasserläufen Walkmühlen. Auch die Zahl
in denen Passagiere und Waren aus Übersee festgehalten wurden. Da aber die frei umher
Selbstheilungskräfte aktivieren, mag dieses
der Hammerwerke mit wasserradgetriebenen Gebläsen nahm zu und konzentrierte sich in
laufenden Ratten die Seuche verbreiteten,
haben, die Pest zu überleben. Im Mittelalter
einigen Gegenden zu frühindustriellen Kom
blieben diese Maßnahmen letztlich erfolglos.
vermochte man keine physiologischen Zu
Ritual dem einen oder anderen geholfen
sammenhänge zu erkennen, vielmehr glaubte
plexen (z.B. gab es im Jahre 1492 in der Gegend von Siegen bereits 38 Roheisenwerke
Diese Erfolglosigkeit löste hysterische Reak
und Stahlschmieden). So förderte die Entvöl
tionen aus. Es entstanden Bruderschaften,
zu besänftigen, um so das Massensterben
kerung zugleich die Anfänge der Mechanisie
deren Angehörige sich zweimal täglich mit
abzuwenden. Priester und Laien wurden
rung. Drehbänke sind erstmals im 14. Jahr
Geißeln schlagen mußten. Da Schmerzreize
Geißler, aber auch Landfahrer, die von den
man, durch Massenbuße den göttlichen Zorn
hundert belegt, Rohrbohrwerke, Walz- und Schneidewerke zur Blechverarbeitung im 15.
1.eitzeugnis: Die Pest
Jahrhundert. Bis zum Jahre 1500 entwickel ten europäische Maschinenbauer zwei Arten von wassergetriebenen Pochwerken. Technische, wirtschaftliche und soziale Ent wicklungen, die zum Teil bereits im 11. Jahrhundert begonnen hatten, wurden nun also durch die Pest beschleunigt. Alte adlige Führungsgruppen sahen ihre alten Wirkungs möglichkeiten schwinden, und neue tech nisch-wirtschaftliche Eliten stiegen auf. Mit einsetzendem Fernhandel, Verlagswesen und Bankgeschäft entstand insgesamt eine neue Leistungshierarchie. Die Gelehrten stellten neue Fragen, besaßen aber weder Mittel noch Methoden, um neue Antworten zu finden. Da die Ärzte keine Medikamente gegen die Pest bereitstellen konnten, versuchten sie,
die
Krankheit durch eine rigorose Quarantäne einzudämmen. Pestopfer wurden in ihren Häusern eingeschlossen, mitunter wurden auch Gesunde zusammen mit den Kranken lebendig eingemauert oder sogar verbrannt!
„.„ Um so verheerender aber ward die Seuche, weil die Kranken, die Gesunden an steckend, sie täglich weiter ausbreiteten. Sie übertrug sich nicht nur, wenn ein Ge sunder mit einem Kranken sprach oder ihm nahekam, sondern, schon wenn er nur seine Kleider oder irgend et was, was der andere ange faßt hatte, berührte. Solche Ereignisse steigerten die Angst unter den Überleben den, und sie trafen mancher lei Vorkehrungen, sich zu ret ten. Viele gingen mit wohlrie chenden Kräutern und aller lei Spezereien umher, die sie an die Nase hielten; nach ih rer Ansicht mußte das Gehirn mit solchen Gerüchen ge stärkt werden. Andere be haupteten, das einzige Mittel gegen die Seuche sei, ihr ganz und gar zu entfliehen. In
diesem G1auben, nur von der Sorge um ihr eigenes Ich ge trieben, flohen Männer und Frauen in großer Zahl aus der Stadt, verließen ihre Häuser, ihre Habseligkeiten und flüch teten aufs Land. Die allgemei ne Angst war so groß, „ daß ein Weib den Mann verließ und daß die Eltern ihre Kinder im Stich ließen. Viele (Vorneh me) schieden aus dieser Welt ohne einen Zeugen. Nur sehr wenigen waren bei ihrem Hin scheiden die Tränen ihrer Freunde vergönnt. Selten nur war eine Leiche von mehr als zehn oder zwölf Männern be gleitet, und nicht die angese hensten Bürger trugen die Bahre, sondern gedungene Totengräber, die man Pest knechte nannte. Sie hoben die Bahre auf und trugen sie so schnell als möglich nach der nächsten Kirche, ohne .
den Wunsch des Verstorbe nen in dieser Beziehung zu beachten. Was die niederen Klassen und auch zum Teil den Mittel stand betrifft, so ging es hier noch jämmerlicher her. Man che hauchten ihr Leben auf den Straßen aus, andere wieder schlossen sich in ih ren eigenen Häusern ein, bis der herausdringende Stank den Nachbarn die erste Kun de von ihrem Tode brachte. Niemand gab den Toten das Geleit und weinte ihnen eine Träne nach, denn die Dinge waren jetzt so weit gediehen, daß das menschliche Leben nicht mehr galt, als wenn eine Ziege verreckte. Bei der gro ßen Menge von Toten reichte d � e g: weihte Erde nicht mehr hin„. (Glovanni Boccaccio über den Schwarzen Tod, 1348).
Es gab Pesthäuser und Quarantäne-Stationen, 169
Spenden der Bürger lebten, welche für den Kauf von Fahnen und Kerzen bestimmt wa ren. Sogenannte Geißlerprozessionen sind aus vielen Gegenden bezeugt, wohin die Pest noch gar nicht gekommen war - so zum Beispiel am 1. März des Jahres 1349 in Böhmen, wenige
Tage später in Sachsen, im April in Magde burg, am 6. Mai in Würzburg. Die Anführer dieser Umzüge machten auf den Marktplätzen den Geistlichen Vorwürfe wegen ihres beque men und zum Teil „sittenlosen Lebens". Auch mobilisierten sie die Armen zum Widerstand gegen die Behörden und unterstützten sie bei Ausschreitungen. Die Überlieferung bezeugt, daß sich diese Mobilisierung durch die Anfüh rer solcher Prozessionen aber vor allem gegen
Nu recket auf die euern Hände, daß Gott das große Sterben wende; nu recket auf die euern Arme, daß sich Gott über uns erbarme... nu schlaget euch sehre um Christes Ehre! Um Gott, so lasset die Hoffart fahren, so wöll sich Gott über uns erbarmen. (Geißler-Lied)
die Juden richtete.
Wir wissen: Judenverfolgungen gab es bereits zur Zeit der Kreuzzüge und während der T hronkämpfe zwischen AooLF und ALBRECHT
voN
voN
NASSAU
HABSBURG. Schon damals
warf man den Juden Brunnenvergiftungen vor. Dieser Vorwurf wurde in der Pestzeit erneuert. Man bezichtigte die Juden auch, sie hätten die Luft durch „Zauberei" verpestet. (Dies war auch ein Anklagepunkt in den Hexenprozessen der Zeit.) Ein weiterer Stan
dard-Vorwurf gegen die Juden war Hostien schändung. Das eigentliche Motiv aber dürf
ten Neid und Besitzgier gewesen sein. In Basel wurde der Stadtrat von den aufgewiegelten Massen gezwungen, die Juden zu verbrennen, in Straßburg versuchte der Rat, sich den Ausschreitungen zu widersetzen, aber nach der Absetzung des Bürgermeisters wurden die meisten der Straßburger Juden auf ihrem
Die mittelalterliche Krankenpflege Im Mittelalter lag die Kran kenpflege in den Händen geistlicher Frauenorden. Die im Bild zu sehende französi sche Buchillustration zeigt (wohl etwas idealisierend), wie es im Jahre 1482/83 im „Hotel Dieu" zu Paris zuging: umtriebige Ordensfrauen („Schwestern"), umgeben von Novizinnen, betreuen die Kranken, fühlen ihren Puls und verteilen Speisen bzw. Medikamente. Mit Sicherheit dürfte es in Häusern, wo
Pestkranke untergebracht waren, nicht so beschaulich gelassen zugegangen sein (in „normalen" Kliniken aller dings - davon darf man wohl ausgehen - in der Regel auch nicht). Denn bei den therapeutischen Möglichkei ten, die die mittelalterliche Medizin anzubieten hatte, war Krankheit in aller Regel ein hochdramatisches Ge schehen, das auch dem Pfle gepersonal viel abverlangte.
lil•n�
......
Friedhof verbrannt. Die Schuldner erhielten
In Pestfällen bestand oft das Hauptproblem gar nicht dar in, die Patienten zu versor gen, sondern sich ihrer zu entledigen, koste es, was es wolle, um eine weitere Aus breitung der Epidemie zu verhüten. So verhielten sich nicht selten gerade noch Ge sunde gegen ihre bereits infi zierten nächsten Angehöri gen unvorstellbar brutal, und die einfachsten Grundregeln primitivster Ethik waren rasch vergessen.
""""'-'-�
ihre Pfänder und Schuldbriefe zurück, und das Eigentum der Juden wurde verteilt. In Mainz starben im März 1349 vierhundert Juden. Das Kölner Judenviertel wurde von Mordbren nern erstürmt und geplündert. In Eßlingen, Speyer und Worms versammelten sich die jüdischen Gemeinden in den Synagogen und verbrannten sich selbst, als die Geißler zum Sturm ansetzten. Im frühen Mittelalter brauchte man die Juden für die Abwicklung der Geldgeschäfte. Sie hatten wegen des christlichen Zinsverbots ein Monopol. Mit der Entwicklung der Städte
�
änderte sich dies. Denn im späten Mittelalter
"''""'
� ..... �
entstand ein Kreditmarkt mit christlichen
""\ II
Geldgebern, den sogenannten Lombarden und Kawerschen (nach der französischen Stadt Cahors benannt). Die Juden wurden zu Gläubigern der kleinen Leute und darum zum Opfer des Volkszorns. Zum Teil wurden sie auch zu Sündenböcken gemacht, um die religiösen Eiferer mit sozialen Neidkomplexen von den wohlhabenden christlichen Familien abzulenken. Im späten 15. Jahrhundert beherbergten die rheinischen Städte keine Juden mehr, diese waren ermordet oder ausgewandert. Ihre Grabsteine wurden als Baumaterial verwen det. Die spätmittelalterliche Verfolgungs- und Vertreibungswelle führte zuletzt zur Abwan-
1 1
------
--
Versorgung der Kranken im ,Hotel Dieu" zu Paris.
170
·-�
"Das Krankenhaus eigentlich eine Schöpfung des östlichen Christentums"
Flagellanten bei ihren Bußübungen. Eine Möglichkei� auf den Schrecken zu reagieren, den das Massensterben des ,Schwarzen Todes' (der Pest) bei Menschen hervorrief, war die Flucht in einen religiösen Fanatismus, der in blutiger Selbstkasteiung, insbesondere durch Geißelhiebe (Peitschenhiebe), gipfelte. Die Flagellanten (,Geißler') hofften, durch die Peitschenhiebe, mit denen sie sich selbst oder gegenseitig marterten, ihre Sünden abzubüßen und Gott gnädig zu stimmen. - Aus einer Konstanzer Weltchronik des 14. Jahrhunderts.
"Judenhaß und Geißlertum sind die sozialpsychologischen Konsequenzen der Pestzüge.„ "
derung der Juden nach Osteuropa, wo sie einen
mittelalterlichen
deutschen
Dialekt
(Jiddisch) beibehielten. In diesen slawischen Ländern waren die Juden anfangs wichtig und willkommen für die Entwicklung der Wirt sind, KARL 1v., die geschichtliche Hauptfigur des Zeitalters, in den Mittelpunkt zu rücken.
Judenhaß und Geißlertum sind die sozialpsy
Bürgertum ihre Konkurrenz loswerden wollte und die Juden in die Ghettos zwang. Andere
„Im Jahr 1349 war das größte Sterben, das je
wesen. Es waren dies die unmittelbaren Fol
jüdische Auswanderer ließen sich in Italien
gewesen, es ging von einem Ende der Welt bis
gen der Pest. Die mittelbaren sind sozialöko
nieder,wo sie sich in aschkenasischen (deut
zum anderen, diesseits und jenseits des Mee
nomischer Natur: Der „Schwarze Tod" raffte
schen) Gemeinden organisierten und in Me
res„. ",sagt uns JAKOB TwINGER, ein Chronist
in einigen Regionen Deutschlands mehr als
morlisten, die in den Synagogen im Rahmen
dieses 14. Jahrhunderts. Seine Worte lassen
die Hälfte der Bevölkerung dahin. Das plötzli
von Seelenfeiern vorgelesen wurden,der Mär
erkennen,daß die Zeitzeugen dieser Pestepe
che Massensterben ließ die städtische und
tyrer gedachten, die in Deutschland den Tod
demie furchtbar gelitten haben müssen und
landwirtschaftliche
gefunden hatten. In Böhmen schließlich ver
daß ihre Sicht von Gott und der Welt eine
hend erlahmen. Geblieben aber war den
schaft. Dies änderte sich erst,als auch dort ein
hinderte KA RL
1v.
die Pogrome, im übrigen
Reich ließ er ihnen freilich ihren Lauf. Verein
chologischen Konsequenzen der Pestzüge ge
Produktion
vorüberge
tiefgreifende Veränderung erfahren haben
Überlebenden die Kulturstufe,die der mittel
muß.
alterliche Mensch des 14. Jahrhunderts er-
zelt wandten sich Fürsten und Städte gegen die Verfolgungen. - So wurden nach der Abwanderung der Juden aus dem deutschen Raum die Fugger und Welser, Imhoff und
Hochstetter zu den Finanziers der Städte und der Fürsten. Insgesamt und abschließend sei gesagt: Die Folgen der Pest von 1347-1352 waren äu ßerst vielfältig. Diese nachzuzeichnen ist nicht ganz einfach. Im Grunde war die Pest,aus der Rückschau betrachtet, das Hauptereignis ei ner ganzen Epoche, auch wenn wir geneigt
Judenverbrennung als Konsequenz der Pestzüge. Aus den Annalen des Gilles de Muisit. Miniatur, Königliche Bibliothek, Brüssel. 171
" ... beklemmendes Grausen und Todesgedanken folterten das Bewußtsein des spätmittelalterlichen Menschen. "
Weltuntergangsangst. Panische Weltuntergangsängste ließen die Menschen des Mittelalters besonders nach dem Wüten des »Schwarzen Todes« immer wieder an die apokalyptischen Visionen des Propheten Daniel und an die sogenannte Johannes-Apokalypse denken. Darstellungen, wie die hier abgebildete, zeigen, wie man sich die Verwirklichung des Verses 9 aus dem 12. Kapitel der „geheimen Offenbarung" vorstellte: ,Und es war ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt, und ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden auch dahin geworfen." Man fürchtete, der auf die Erde gestürzte Teufel werde ein Schreckensregiment errichten und es werde „alsdann eine große Trübsal sein, wie nicht gewesen ist von Anfang der Welt" (Daniel 12,1; Matthäus 24, 21), bevor Jesus als Weltenrichter käme und das endzeitliche Reich Gottes ausriefe.
'
·
reicht hatte, - geblieben waren die Verkehrs wege, die Produktionsmittel, die Gütervorräte und schließlich der Reichtum im engeren Sinne des Wortes: die Edelmetalle. In die durch die Pest entvölkerten Städte zogen in rascher Folge ländliche Bevölkerungsschich ten, die den vorübergehend wirksamen Man gel an städtischen Arbeitskräften alsbald aus gleichen konnten. - Die Geschichte des Jahr hunderts stand darum nicht still... und die letzte »Folge« der Pest war deren Überwin dung. Der »Schwarze Tod« wütete bis zum Jahre 1352. Nur wenige Landstriche blieben verschont.
Dazu gehörten unter anderem
Franken, Böhmen und auch Polen. Wenn wir hier von „ Überwindung" der Folgen spre chen, heißt das nicht, daß diese Seuchen Geißel damit aus der europäischen Geschichte endgültig gewichen war. In den darauffolgen den 100 Jahren kehrte sie immer wieder zurück. Danach wurden die Zwischenräume ihres Auftretens größer und das »gefolterte Bewußtsein« des Menschen »freier«: Mit Re naissance und Humanismus zeigt sich der »europäische Geist« schließlich als Sieger. In den Jahren 1720/21 wütete die Pest ein letztes Mal. Die „Resistenten" der Seuchenzüge überlebten jeweils. Ihnen schulden wir unsere heutige Existenz.
Die Sicht vom menschlichen Körper Einer der Charakterzüge mit telalterlichen Denkens und Fühlens war eine von uns schwer nachzuvollziehende Weltverneinung. Schon Odo, der von der katholischen Kir che als einer ihrer Heiligen verehrte Abt von Cluny (927-942), hatte sich voller Verachtung über die Schön heit des menschlichen, ins besondere des weiblichen Körpers geäußert: „Die Schönheit des Körpers be steht allein in der Haut. Denn wenn die Menschen sähen, was unter der Haut ist, wenn sie ( ) das Inwendige sehen könnten, würden sie sich vor dem Anblick der Frauen „.
172
ekeln. Ihre Anmut besteht aus Schleim und Blut, aus Feuchtigkeit und Galle. Wenn jemand überdenkt, was in den Nasenlöchern, was in der Kehle und was im Bauch alles verborgen ist, dann wird er stets Unrat fin den." Aber erst, nachdem die Menschen das tausendfache Sterben der Pest-Epidemie erlebt hatten, begann auch die bildende Kunst, Tod, Ver wesung und Zerfall darzu stellen, - so bei den Toten tanz" -Darstellungen, die nun überall anzutreffen waren, aber auch wie auf dem abge bildeten Grabstein aus dem schweizerischen La Sarraz. •
Verwesender Leichnam. Grabstein aus dem schweizerischen La Sarraz.
Mögen auch die Chronisten der »Großen Pest« in ihrem Entsetzen über die Auswirkun gen der Seuche gelegentlich übertrieben ha ben, ihr »Entsetzen« als solches jedenfalls ist authentisch. Hier müssen wir heute ansetzen, um die Massenhysterie und Ausschreitungen gegen die Juden zu verstehen. Der Mensch des 14. Jahrhunderts stand bereits an der Schwel
le zur Neuzeit und wird, einer Naturkatastro phe gleich, getroffen. In gewisser Weise wurde er Opfer eben dieser beginnenden »Moder ne«. Denn die Unaufhaltsamkeit und Schnel ligkeit, mit der der Bazillus durch Europa getragen
wurde,
hatten
selbstverständlich
auch mit den sich ausweitenden Handelswe gen zu tun. Die Pest war der Vorbote einer Zeitenwende, die durch den Aderlaß noch nicht hatte stattfinden können„.
Zwar hatte der »Schwarze Tod« das Land weitgehend entvölkert. Doch in den Städten blühten Handel und Wandel alsbald wieder auf. Der Katastrophe folgte ein regelrechtes kleines »Wirtschaftswunder«.
Das Aufblühen der städtischen Kultur
N
ach der Pestwelle mit einhergehender
ten. Kaufleute - insbesondere die Patrizier
Konzentration der Landwirtschaft auf
erwarben nach Möglichkeit vom Landesherrn
ser, Imhoff) sehr reich wurden, profitierten
rationelle Betriebsgrößen und gute Bö
Tausende von Familien der mittleren, zum Teil
den verfielen die Getreidepreise. Dies kam
Lehnbesitz. In den Städten wurden Getreide speicher errichtet, die es dem Rat ermöglich
dem Wachstum der Städte zugute. Gewöhn
ten, in Notzeiten gehortetes Getreide verbilligt
des Handels und des Gewerbes, aber ihr
lich ernälute sich eine Stadt von den Dörfern
abzugeben. Damit war der Hungertod in den
politischer Einfluß war gering. In den Rat
im Umkreis, die zum Teil der Stadt gehör-
Städten im großen und ganzen besiegt.
wurden meist nur Bürger gewählt, die sich von
-
Während einige Unternehmer (Fugger, Wei
auch der unteren Schichten vom Aufschwung
anderen Bürgern durch Grundbesitz und/ oder eine erfolgreiche Erwerbstätigkeit auszeichne ten. Nicht jeder Einwohner einer Stadt war zugleich Bürger. Der Erwerb des Bürgerrechts war an Voraussetzungen wie eheliche Geburt, Ehrbarkeit des Lebenswandels und gutes Ein kommen geknüpft. Damit waren abhängig arbeitende Personen in der Regel ausgeschlos sen. In der Frühzeit der Städte gehörte dazu der Besitz eines Grundstücks. Frauen erhielten das Bürgerrecht nur in Ausnahmefällen und unter. Auflagen, - zum Beispiel wenn eine Witwe das Gewerbe ihres Mannes fortführte. Schon seit dem 13. Jahrhundert entwickelte sich in der Stadt eine Schicht ratsfähiger Familien, das Patriziat. Es war in aller Regel identisch mit den reichen Kaufmannsfamilien. In vielen Städten waren die Groß- und Fern händler-Familien
ursprünglich
Gewand
schneider (Tuchhändler), die alsbald auch andere Handelsgüter vertrieben. Im 14. Jahr hundert drängte das in Zünften organisierte Handwerk auf Mitbestimmung und setzte die Beteiligung am Rat durch, - in Berlin im Jahre 1346; in Hildesheim wurde den Zünften erstmals 1345 ein Drittel der Ratssitze ge währt. Der Innere Rat, der Nürnberg regierte, bestand aus 45 Patriziern und acht einfachen Bürgern. Die wichtigsten Mitglieder waren
Roland von Bremen. Wie ähnliche Statuen in anderen Städten (insbesondere Norddeutsch lands) zeugt auch der Roland von Bremen von der zunehmenden Selbständigkeit der Stadt. 173
die sieben A"ltesten und die drei Hauptmänner, von denen einer (der „Losunger") das Ober haupt der Stadtregierung stellte. Die Patrizier legten ihren Reichtum zum Teil in Landbesitz an und orientierten sich in ihrer Lebensweise am Adel. Denn sie hielten Tur niere ab, übten sich im Kampf mit ritterlichen Waffen, einige Familien führten Wappen und Siegel. Die Stadtregierungen strebten nun verständlicherweise auch danach, sich von den Gesetzen, Gerichten, Steuern, Zöllen und Streitkräften des Territorialherrn (bzw. des Bischofs) zu befreien. Wenn ihnen das einiger maßen gelungen war, suchten sie ihre Herr
Ochsenweg in Schleswig Holstein. Trotz - oder gerade wegen - des Aussterbens großer Teile der Bevölkerung verschob sich das Bevölkerungsverhältnis von Stadt und Land erheblich zugunsten der Städte. Viele Dörfer waren ausgestorben und verfielen schließlich zu sogenannten ,Wüstungen". Die Bewohnerschaft der Städte aber nahm durch die Zuwanderung vom lande eher zu. Und die Stadtbewohner brauchten Fleisch. So trieb man scharenweise Ochsen zum Schlachten in die Städte.
schaft auf das Umland auszudehnen. Auch einzelne Personen und Gruppen erwarben
öffentlichen Ordnung. Sie vertraten ihre Stadt
kaufsstand. Der Einfuhrzoll für Nahrungsmit
Rechte aller Art von verarmten oder schwa
in Verhandlungen mit dem Landesherrn, mit
tel und Rohstoffe war gering, - für Fertigwa
chen Herrschern. Die Machtverteilung in den
anderen Städten und mit dem Adel benach
Städten war insgesamt kompliziert und mitun
barter Landschaften. Sie konnten den Zusam
schützen. Durchgangszölle waren höher als
ter verwirrend.
menschluß von Handwerkszweigen zu Innun
Einfuhrzölle. Fremde, welche die Zufahrtstra
gen, Gilden und Zünften erlauben oder ver
ßen benutzten, waren gezwungen, ihre Waren
Dem Rat und dem Stadtgericht unterstanden
bieten, ihnen Statuten verleihen und diese
die Einwohner einer Stadt (Bürger und Nicht
in der Stadt anzubieten
überwachen. Es gab eine Ressortverteilung.
oder sie mußten eine Gebühr entsprechend
bürger) mit Ausnahme des Adels, des Klerus,
Dabei war der Kämmerer vergleichbar mit
der Art und Menge der Waren entrichten.
der Beamten des Landesherrn oder des Kaisers
einem heutigen Stadtrat für Finanzen. Die
ren hoch, um das Handwerk der Stadt zu
( niederzulegen"), „
Die Bürgerschaft einer Stadt war eine Rechts
und der Juden, die meist dem Landesherrn
Höhe der Markt- und Handelsabgaben, wel
oder dem Kaiser unterstellt waren. Die Rats
gemeinschaft, deren Mitglieder durch einen
mannen hatten die Aufsicht über die Märkte,
che die Haupteinnahmequelle der Städte war, richtete sich nach der Herkunft der Händler,
Eid miteinander verbunden waren. In einigen
die Bauten und die Aufrechterhaltung der
der Art und Menge der Ware und dem Ver-
alten Städten gibt es
noch heute
" Der Schwarze Tod entvölkerte das platte land. "
Wüstungskirche bei Göttingen. We�e Teile des Landes waren durch die Pest buchstäblich entvölkert worden. Und wer auf dem flachen lande überlebt hatte, den zog es oft genug nach dem Abklingen der Seuche in irgendeine Stadt, denn hier waren Arbeitskräfte knapp geworden. So hatten manche Dörfer plötzlich keine Einwohner mehr und verfielen zu ,,Wüstungen" (so lautet der offizielle wissenschaftliche Fachbegriff für derartige inzwischen in Trümmer gesunkene und we�gehend vom Erdboden verschwundene ehemalige Ansiedlungen). Eine solche Wüstung ist Moseborn bei Göttingen. Meist hielten sich die nicht mehr benutzten Kirchen am längsten, bestanden sie doch aus dem haltbarsten Baumaterial. Häuser, Scheunen und Ställe dagegen waren aus Baustoffen errichtet gewesen, die den Unbilden der Witterung weit weniger Widerstand entgegensetzten und wesentlich rascher zerfielen. 174
einen
„Schwurtag". Die Aufnahme von Neubür gern erfolgte in einer feierlichen Zeremonie im Rathaus; dabei zahlte der Bewerber eine Gebühr und leistete den Ratsmannen den Bürgereid, mit dem er sich zum Gehorsam und zur Einhaltung der städtischen Verord nungen verpflichtete. Danach hatte er Anteil an den der Stadt verliehenen Privilegien, vor allem am Marktrecht , an der Zollfreiheit, am Niederlagerecht, mitunter auch am Münz recht. Die ostelbischen Städte erhielten ihre Rechts ordnung nach dem Muster einer anderen älteren Stadt - meist direkt oder indirekt von Magdeburg. Frankfurt an der Oder erhielt seine Rechtsordnung nach Berliner Vorbild. In einer Urkunde von 1253 belehrte der Berliner Rat den Rat der neugegründeten
Städte in Europa am Ende des Mittelalters Großstädte in Euro�a {Einwohnerzahl} Paris
200 000
Brügge
Neapel
150 000
Gent
Venedig
90 000
Florenz
50 000 50 000 50 000
London
50 000
Rom
40 000
Häuser standen gewöhnlich mit dem Giebel zur Straße oder zum Platz. Sie waren zunächst aus Holz (in Fachwerkbauweise) errichtet. Anfänglich besaßen nur wenige reiche Fami lien Steinhäuser. Erst langsam begannen sich die städtischen Häuser von den ländlichen zu
erscheint. Charakteristisch dafür ist die Nut
unterscheiden, und es entstand jenes Stadt bild, das uns heute als typisch mittelalterlich zung der Häuser sowohl für gewerbliche wie
Deutsche Städte (Einwohnerzahl)* Köln
40 000
Breslau
Straßburg
25 000
Ulm
Lübeck
25 000
Rostock
Danzig Nürnberg
22 000 Worms 22 000 Augsburg
Hamburg
22 000 Braunschweig 16 000
20 000 20 000 20 000
für Wohnzwecke. Im 15. Jahrhundert wur den viele in Giebelstellung angelegte Städte auf Traufenstellung umgestellt. Dabei wurden
20 000
die Giebel um 90° gedreht. In Frankfurt
20 000
wollte man trotz des Umbaus das gewohnte
*Gesamtzahl der Städte fast 3000 (geschätzt), davon ca . 2800 unter 1000 Einwohner.
Stadt über seine Rechte und Pflichten. Zu den
Bild beibehalten und setzte den Traufenhäu sern durchlaufende Zwerchgiebel auf. Die bedeutendsten Bauten einer Stadt, denen sie ihre charakteristische Silhouette verdank te, waren Kirchen und Rathäuser, Zunft- und
Organen der Verwaltung gehörte auch der
Dort wurde eingesperrt, wer keinen Bürgen
Stadtschreiber, der die Korrespondenz des
stellen konnte, und es saßen ein die zum Tode
Gildehäuser, in einigen Städten auch Stadttür
Rates erledigte, ein Register der Einnahmen
Verurteilten vor ihrer Hinrichtung. Ferner gab
me, Burgen und Residenzen, Klöster und
und Ausgaben führte und mitunter auch als
es Wächter an den Stadttoren, berittene Boten
Adelshöfe.
Schulmeister tätig war. Ferner gab es den
für die Übermittlung von Nachrichten, Stadt
Machtstrukturen erkennen: Die frühen Bi
Gerichtsschreiber und einen Gerichtsboten ,
musikanten und Knechte für öffentliche Ar
schofsstädte entstanden meist in den Ruinen
für die Exekution der Urteile einen Büttel, in
beiten...
römischer Städte oder Militärlager. Die Dome
einigen Städten auch einen Henker. Das Haus
Am
Stadtplan kann man die
waren umgeben vom Bischofspalais und von
des Büttels diente zugleich als Gefängnis,
Da die Städte ummauert waren, gab es wenig
Verwaltungsgebäuden, Ställen, Scheunen und
sofern es nicht Zellen im Rathauskeller gab.
Platz. Die Grundstücke waren schmal, die
Herbergen für die Gäste des Bischofs. Diese Bauten bildeten den bischöflichen Immuni tätsbezirk . Auch die Pfarrkirche war umbaut.
Landwehrtum bei Göttingen. Auch außerhalb der Stadtmauern befand sich Gelände (Weide- und Ackerland, Waldungen usw.), das den Stadtbewohnern gehörte. Um diese Ländereien zu schützen, errichtete man sogenannte ,Landwehren" mit T ürmen wie hier an der Straße zwischen Göttingen und dem Harz, deren Wächter vor allem die Aufgabe hatten, Viehdiebe zu verjagen, die es auf die Pferde und Rinder der Göttinger Bürger abgesehen hatten. Nicht selten haben sich bei derartigen Wachtürmen Überreste kleiner Gehöfte erhalten, die es dem Turmwächter ermöglichten, sich selbst zu versorgen. Unmittelbar daneben erblickt man bisweilen auch noch Reste der eigentlichen Landwehr, die aus Wall und Graben bestand.
Man hatte fast nie einen freien Blick auf diese herrliche Architektur... Die Märkte waren ursprünglich Stellplätze für Planwagen, dann für zerlegbare Marktbuden, denen feste Krambuden folgten. Es gab Marktprivilegien für weltliche und geistliche Grundherren, die später zum Teil von den Städten erworben wurden. So kam es, daß viele Märkte in der Nähe von Domen und Kirchen entstanden, zum Teil waren die Bu den - und später die Häuser der Händler an die Kirchen angelehnt; sie „klebten" an den Strebpfeilern. Das Wort Messe zeigt uns, daß Jahrmärkte häufig an einem kirchlichen Fei ertag stattfanden. Das Gewirr der Gassen entstand, als an den eher zufälligen Standorten von Krambuden Wohnhäuser (teils mit Ver kaufsbuden) errichtet wurden. Als die alten Marktplätze schließlich überbaut waren, legte man neue an anderen Stellen an. Es entstan den spezialisierte Märkte. Gelegentlich schu fen Brände und Kriegszerstörungen wieder Raum für neue Platzanlagen im Stadtzentrum, oder die Landeshe"en ließen, wenn sie eine Stadt unter ihre Kontrolle bekamen und eine Residenz anlegten, ganze Straßenzüge abrei175
Rothenburg ob der Tauber. Ein typisches Beispiel einer mittelalterlichen Stadt ist Rothenburg ob der Tauber. Klar läßt die Luftaufnahme den regelmäßigen Verlauf der Straßenzüge erkennen. In beherrschender Lage erhebt sich die Stadtkirche Sankt Jakob. Deutlich erkennt man jedoch auch den Markt mit dem Rathaus, - Symbol mittelalterlichen Bürgerstolzes.
" ...mit einem nach den Haupthimmels richtungen ausgerichteten Straßenkreuz. "
ßen. Nach den Judenpogromen nutzte der Rat
Mittelalter eine Heerstraße von Frankfurt
Die Hansestädte sind überwiegend planvoll
von Nürnberg die Gelegenheit zur Anlage
nach Norden war. Hier machten die Kaufleute auf dem Weg zur Frankfurter Messe halt. So
angelegte Hafenstädte. Da Lübeck im Jahre 1160 zum Bischofssitz erhoben wurde, gab es
entstand ein Straßenmarkt. Viele Stadtgrün
das Nebeneinander von Bischofs- und Bürger
eines repräsentativen Platzes. Bei befestigten Herrschaftssitzen entfaltete
dungen des 12. Jahrhunderts (Bern, Breisach,
stadt. Am Markt stand die Marienkirche der
sich das Wirtschaftsleben in einer Vorstadt,
Straubing, Freiburg im Breisgau) waren ur
hohen Schauwand des Rathauses gegenüber -
die zur Altstadt wurde: Die Kaiserpfalzen
sprünglich Straßenmärkte mit einer durch
ein architektonisches Ensemble. Auch in Gos
wurden unter den Hohenstaufern zum Teil in
zwei Tore begrenzten Marktstraße. Erst im
lar, Prenzlau und Stralsund befanden sich
14. und 15.
Rathaus und Pfarrkirche an einem Markt
Friedberg, entstanden aus einem Römerka
Jahrhunderts wurde die Stadtmauer durch
platz. Die Bürger fühlten sich ihren Pfarrkir
stell, schützte eine alte Römerstraße, die im
vorspringende Rundtürme flankiert.
chen eng verbunden. An den Stiftungen für
Bürgerstädte
umgebaut.
Die
Reichsburg
ausgehenden Mittelalter des
ihren Unterhalt, ihre Erweiterung und Aus stattung beteiligten sich Patrizier und Gilden.
Der Historiker urteilt „Die Verfassungs- und Wirt schaftsgeschichte des neun zehnten Jahrhunderts hat die Geschichte des Städtewe sens unter einem »bürgerli chen« Gesichtspunkt ge schrieben. Geldwirtschaft, Bür gertum und Stadt erschienen als die treibenden Kräfte, die die Unfreiheit der feudalen Herrschaftsformen auflockern und sprengen und zur »bür gerlichen Gesellschaft« im modernen Staat hinüberleiten. Städtische Verfassungsge schichte erscheint vor allem als das Ringen bürgerlichen
176
Autonomiestrebens mit der überkommenen, den freien Bürgergeist in Fesseln schla genden Stadtherrschaft, deren Uberwindung als selbstver ständlich galt. Darüber hat man freilich übersehen, daß der Erfolg, den die deutschen Städte auf diesem Wege er zielten, zum erheblichen Teil eine Folge der territorialen Zersplitterungen und des Ver falls der deutschen Königsge walt gewesen ist. Eine Betrachtung, die die Stel lung der Stadt in der Landes verfassung im Auge hat, muß
In Nürnberg gab es ein Nebeneinander von die Tatsache in den Vorder grund stellen, daß jede Stadt einen Herrn besitzt und des sen Hause zugeordnet ist. Keine, auch die landesfürstli che Stadt nicht, die schließlich die Landstandschaft erwirbt, steht so wie der adelige Herr unmittelbar im lande. Daher gehört die städtische Verfas sungsgeschichte in den Be reich der Verfassung der »Herrschaften« im lande. Die Herrschaft des Stadt herrn über die Bürgergemein de ist das Entscheidende". (Otto Brunner) „.
Reichsburg und Bürgerstadt. Die Städte Ber lin, Stralsund, Wismar und Rostock waren Konglomerate aus mehreren Zentren. Mit zunehmendem Reichtum der Städte leg ten sich ihre Rathäuser die gleichen Räum lichkeiten zu, die in der Burg oder dem Palast des Territorialherrn anzutreffen waren. Es gab einen großen Raum für die Ratsversammlun gen, einen kleineren für die Amtsträger, ein feuersicheres Gelaß für Akten und Schatztru hen und ein oder zwei Zimmer für die Schreiber. Aus Prestigegründen wurde das Rathaus so groß wie möglich gebaut und die Fassade mit Ornamenten und Skulpturen
Lübecker Armenstift. Die Entwicklung des menschlichen Zusammenlebens in den Städten führte auch dazu, daß soziale Aufgaben wie Krankenpflege und Armenbetreuung, die bisher von der Kirche wahrgenommen worden waren, nun in die Hände der Städte oder wohlhabender privater Bürger übergingen. Die Aufnahme zeigt ein Armenstift in Lübeck.
geschmückt. Die für die Verwaltung nicht benötigten Räume wurden vermietet. Das Rathaus von Thorn hatte im Erdgeschoß Läden und eine Markthalle und darüber die Halle für den Rat und die Räume für das Gericht. Zum Ratssaal gehörte meist eine Verkündigungslaube zur Bekanntmachung der Beschlüsse des Rates - zum Teil verbun den mit einer Freitreppe. Vor dem Rathaus stand der Pranger („Kaak"), im Keller befan den sich die finsteren Gefängnisse. Gerichts verhandlungen fanden oft in einer Gerichts
Kornmarkt wurde später zum Zollhaus. Um
laube im Erdgeschoß statt. - Noch heute ist
einen Teil der für den Brückenbau ausgegebe nen Gelder wieder hereinzubekommen, bau
das Rathaus von Lüneburg weitgehend im
ten viele Städte auf den Brücken Wohnhäuser
Originalzustand erhalten.
und Läden, die dann vermietet wurden. Auf Das Rathaus diente auch als Festsaal für die
den Kais standen öffentliche Kräne zum Ein
Bürgerschaft. Reiche Städte bauten ein beson
und Ausladen der Waren. Eine gute Rekon
deres Hochzeits- oder Tanzhaus. In einigen
struktion eines solchen Krans, der einst auch
Gegenden gab es hohe Rathaustürme. Man
Schiffsmasten bei Werftarbeiten in die richtige Position brachte, steht heute wieder in Dan
cherorts finden wir vom Rathaus abgelöste Stadttürme. Der Marktplatz war gewisserma
fromme Stiftungen für alte Leute, die ihren
zig. Die Kräne wurden durch Tretmühlen
ßen die „gute Stube" einer Stadt. Er wurde
Lebensunterhalt nicht selbst verdienen konn ten. Das Heiliggeistspital in Lübeck hat bis
Lüneburg zu besichtigen.
mit Brunnen geschmückt. Die Künstler, insbesondere Bildhauer und Bildschnitzer, die
heute den Charakter eines mittelalterlichen,
vorher Wanderhandwerker waren, begannen
kirchenähnlichen Schlafsaals bewahrt.
angetrieben, ein rekonstruiertes Beispiel ist in
Nur wenige Städte haben ihr mittelalterliches Stadtbild - zumindest im Stadtkern - erhalten,
sich mit festen Werkstätten in den Städten
dafür sind neben Kriegs- und Brandzerstörun
niederzulassen, da sie von öffentlichen Aufträ
Der Rat der Stadt mußte die Mittel für
gen und den Bestellungen wohlhabender Bür
öffentliche Bauarbeiten bereitstellen: die Er
gen vor allem Umhauten in Anpassung an
ger leben konnten. Sie organisierten sich wie
richtung und Befestigung von Straßen, die
veränderte wirtschaftliche und soziale Verhält
alle Handwerker in Zünften (bzw. Gilden oder Ämtern). Bildhauer und Maler gehörten
Anlage oder Vergrößerung von Plätzen, den
nisse verantwortlich, - verbunden mit dem
Bau von Brücken, Kaianlagen, Kränen, Stadt
architektonischen Stilwandel der Zeiten. Für
in aller Regel zum sogenannten Schilderamt.
mauern und Befestigungen. In Nürnberg bau
Rothenburg war es aus heutiger Sicht ein
Die Goldschmiede-Innung von Braunschweig
te man zwischen den Jahren 1491 und 1502
Glück, daß sich die Verkehrsströme verlager
erhielt bereits im Jahre 1231 ein Ratsprivileg.
drei große Lagerhäuser für Getreide (mit
ten und die Stadt sozusagen in einen „Dornrös
Es bildeten sich lokale Kunsttraditionen. Ne
sechs Stockwerken!), darunter eines bei der
chenschlaf" versank, um heute als komplettes
ben Stein und Holz gewann Ton als Werkstoff
Burg, das noch heute steht; das Kornhaus am
Ensemble bewundert werden zu können. Was
an Bedeutung. Die bedeutendsten Meister des Späten Mittelalters waren ADAM KRAFT (um
1460-1508), V EIT Smss (um 1448-1533) und TILMANN RIEMENSCHNEIDER (um 14601531). Im Zentrum der Städte standen neben den öffentlichen Bauten die Häuser der Patrizier (Fernhandelskautleute), die ihre Geschäfte vom Kontor aus führten. Manche Handwer ker waren in einzelnen Straßen oder Gassen im Umkreis konzentriert. Die Häuser dienten sowohl zum Wohnen wie auch als Arbeitsstät ten und/oder als Läden. Von Oberitalien aus verbreiteten sich die Laubengänge nach Süd deutschland - einerseits über Frankreich und die Schweiz, andererseits über Tirol, Bayern und Böhmen nach Schlesien und Preußen. Außer den Privathäusern gab es auch Miets Reihenhäuser und Bauten der sozialen Für sorge für Arme und Kranke, - zum Beispiel
Tretrad im Freiburger Münster Als eine der ältesten, noch betriebsbereiten großen Ma schinen aus dem Mittelalter treibt dieses (durch mehrere in ihm laufende Männer in Be wegung zu setzende) Tretrad eine Seilwinde an. Mit deren Hilfe konnte man einst schwe re Lasten, beispielsweise Steinquader, hochheben. Es befindet sich im Dachstuhl des Freiburger Münsters. Derarti ge Räder gibt es auch noch in anderen gotischen Kirchen, beispielsweise in Schwäbisch Gmünd und in Straßburg. Sie waren aber früher (seit dem 13. Jahrhundert) auch noch in vielen anderen mittelalterli chen Großbauten unterge bracht.
die Lübecker Gänge". Die Hospitäler waren „
177
Der Markt von Lübeck An fang des 14. Jahrhunderts. Lübeck war im Späten Mittel alter die zweitgrößte deutsche Stadt mit geschätzten 25 000 Einwohnern. Das erscheint wenig aus heutiger Sicht, ist aber viel, wenn man die mit telalterlichen Gegebenheiten und Voraussetzungen in Rücksicht stellt. Die neben stehend abgebildete Skizze des Marktes vermittelt einen guten Eindruck von der stren gen berufsständischen Glie derung des mittelalterlichen Marktaufbaus. Unschwer er kennt man die beherrschende Stellung der Marienkirche, die durch den Friedhof vom säku laren Stadtgeschehen abge schirmt scheint. Um sie her um gruppieren sich indes jün gere Verkaufsbuden. Das entspricht zumindest spätmit telalterlicher Sicht: Die Kirche ist der Mittelpunkt des stadt gesellschaftlichen Gesche hens.
isch-G.
M a r k t
der Urkunden, Briefe, Satzungen und Pet schaften aufbewahrt wurden. Auf der Mor gensprache wurde auch das Zunftgericht meist unter dem Vorsitz von zwei Zunftmei stem und oft im Beisein von zwei Ratsherren gehalten. Zur Repräsentation der
Zünfte
gehörten Fahnen, die bei Umzügen mitgeführt wurden. Auch am kirchlichen Leben nahmen die Zünfte als geschlossene Gruppen teil und stifteten teilweise eigene Altäre (ein Flügelal tar im Hamburger Dom wurde zum Beispiel vom „Amt" der Maler und Glaser der Lukas bruderschaft errichtet). Die Anwesenheit bei Kirchenfesten hatte eine standespolitische Be deutung, die Zünfte stritten sich um die vorderen Plätze in den Festtagsprozessionen, - dies zum Zeichen ihres Ranges. Die Aufnahme eines Lehrlings in die Meister familie und seine Lossprechung als Geselle waren feierliche Zeremonien. Die Gesellen gingen gewöhnlich auf eine mehrjährige Wan derschaft, um ihre Ausbildung bei fremden Meistern zu erweitern. Einige Zünfte errichte ten in Konkurrenz zu den patrizischen und städtischen Tanz- und Hochzeitshäusern Gil dehäuser für Versammlungen und Feste. Die Gesellen und Lehrlinge hatten eigene Verbän
um 1300 ca. 250 einheimische Handwerker- u. Kleinkrämer buden (bewegliche Stände)
de, an deren Spitze die jährlich gewählten
Grundbesitz:
CD der Ratsfamilien CD anderer Bürger m::::::J der Stadt Verkaufsbuden am Markt („Bänke") haben kräftigeren Farbton Mehrstöckige Bauten sind durch stärkere Umrisse hervorgehoben
Meisterknechte standen. Die Gesellenvereine betreuten die wandernden Gesellen, deshalb bestanden Kontakte zu den Verbänden ande rer Städte. Die mächtigsten Zünfte waren jene der Tuch macher, Fleischer, Bäcker und Schuhmacher. Sie wurden
Viergewerke genannt und in
vielen Städten an den Entscheidungen des Rates beteiligt. Die Zahl der Zunftmeister war stets begrenzt, denn auf den Märkten wurde nur eine bestimmte Anzahl von Verkaufsstän den („ Scharren") zugelassen, deren Besitz
heute als malerisch empfunden wird, blieb
Voraussetzung für die Aufnahme in eine Zunft
erhalten, weil der Reichtum der Städte versieg
fassungen in den einzelnen Städten: In einigen hatten sie teil am Stadtregiment, in Augsburg
war. Die Schuster verkauften ihre Waren
te. Die Ratsfamilien standen in einem „Zwei
etwa hatten sie seit 1368 die Regierung zur
außerhalb der Markttage durch die Fenster
frontenkrieg" gegen die Territorialherren und
Hälfte fest in ihrer Hand, in Nürnberg aber
ihrer Werkstätten.
die Zünfte, die zugleich Kartelle und Gewerk
war
ihre
politische
Betätigung
verboten.
schaften waren. Wegen der innerstädtischen
Selbstgegebene oder vom Rat erlassene Sat
Gegensätze
Städtebünde
zungen (Statuten) regelten das Zunftleben.
waren
auch
die
nicht von Dauer und konnten den Machtzu
Nicht zugelassen waren unehelich Geborene
Literatur
wachs der Territorialherren nicht aufhalten. So
und Leute mit „ unehrlichen " (d.h. verachte
nimmt es nicht wunder: Im 15. Jahrhundert
ten) Berufen sowie Söhne von Geistlichen.
O Herbert
verloren viele Städte ihre Autonomie.
Die Zünfte überwachten die Qualität der Handwerksprodukte und die Ausbildung der
Grundmann:
Wahlkönigtum,
Territorialpolitik und Ostbewegung im 13. und 14. Jahrhundert. 10. Aufl„ München
1999.
selbständige Handwerker und Gewerbetrei
schaftliche Gerichtsbarkeit. Die regelmäßigen
O Johann Huizinga: Herbst des Mittel alters. Stuttgart 1987.
bende in vielen Städten zu Zünften (Innun
Versammlungen der Zunftmeister und Gesel
O Heinrich
gen, Gewerken, Gilden oder Ämtern) zusam
len wurden „Morgensprache" genannt. Sie
men - mit unterschiedlichen politischen Ver-
fanden vor der geöffneten Amts/ade statt, in
Seit dem
178
12.
Jahrhundert schlossen sich
Lehrlinge und Gesellen. Es gab eine genossen
Pleticha (Hrsg.): Deutsche Geschichte, Bd. 4: Vom Interregnum zu Karl IV., 1254-1378. Gütersloh 1998.
z
Städte und Staaten wandelten sich, aber auch die Kirche. In vieler Hinsicht wurden die Weichen für die Entwicklungen in der Ne t gestellt.
:
D
Wasserversorgung. In anderen Städten muß
I
e1t des Uberganges
ten Wasserträger reines Wasser häufig herbei schaffen, da die städtischen Brunnen durch benachbarte Sickergruben verseucht waren. Nur langsam setzten sich Vorschriften zur Beseitigung von Kot und Unrat durch. Die Probleme der Städte waren Wachstums krisen. In der Mitte des 15. Jahrhunderts war
der Bevölkerungsrückgang, durch die Pestzei ten verursacht, weitgehend ausgeglichen. Die städtische Obrigkeit kontrollierte den Zuzug der Bevölkerung; gleichwohl drängten die Menschen vom Land in die Städte, und diese
14. und 15. Jahrhundert war in
Anstöße zu Unruhen und Aufständen lieferten
vieler Hinsicht ein Zeitalter der Städte
meist neue Abgaben, die im 15. Jahrhundert
konnten sich wegen der bestehenden Mauem
und der Landesfürsten. Die Stadtge
durch den Wandel der Kriegstechnik bedingt
kaum ausdehnen. Das immer engere Zusam
as
sellschaft war mobil: Ein Zuwanderer konnte
waren: Man mußte die Stadtmauern erhöhen
menleben erforderte Bauordnungen. Der All
Handwerksmeister werden; wenn seine Nach
und verstärken, die städtischen Arsenale auf
tag wurde reglementiert. Vorschriften für Be
kommen ein großes Vermögen erwarben,
füllen sowie Kriegsknechte und Geschützmei
kleidung, Speisen und Feierlichkeiten zeigen,
bestand die Möglichkeit, in den Kreis der
ster besolden. Auch die Kosten für »Sozial
wie sich die Stände voneinander abgrenzten.
Ratsfamilien aufzusteigen. In vielen Städten
ausgaben« (städtische Almosen) sowie die In Nürnberg legte der Rat im Jahre 1521 fest,
kamen im 14. und 15. Jahrhundert die Räte
Infrastruktur stiegen. In Nürnberg erhob man
zumindest teilweise aus den Zünften. Beim
eine Vermögenssteuer nur, um bestimmte
welche Familien zum Tanz im Rathaus zuge
Umsturz der Machtverhältnisse ging es um
Projekte zu finanzieren; zum Beispiel wurde
lassen waren. Es waren dies solche, die in der
eine Erneuerung der Oligarchien. Familien
der Fischbach auf einem Aquädukt in die
Stadtpolitik allein etwas zu sagen hatten. Seit
mit einer starken Machtstellung errangen An
Stadt geleitet und in einem künstlichen, mit
dem Ende des Mittelalters gab es formelle
teil an der Stadtregierung, an der niemals alle
Sandsteinplatten eingefaßten Bett kanalisiert.
Überschreitungen der Grenzen zwischen Adel
Zünfte und alle Zunftmeister beteiligt waren.
Er diente zum Betreiben der Mühlen sowie zur
und Nichtadel in Form von sog. Nobilitie rungsurkunden
Papstpalast in Avignon. Die Stadt blühte im Mittelalter vor allem als Ort des rund 70 Jahre währenden ,Baby lonischen Exils der Päpste" auf, das von 1309 bis 1376/1377 dauerte. Während dieser Zeit war das Papsttum massivem Druck der französischen Könige ausgesetzt. Klemens V. (1306-1314) war der erste Papst, der hier residierte. Der monumentale Pa
Ionischen Gefangenschaft" stand aber nicht etwa die triumphale Rückkehr des Papstes nach Rom, sondern das ,Große Abendländische Schisma". Nun regierten mehrere Päpste gleich zeitig, bekämpften sich gegenseitig, und noch immer gab es zwei Kardi nalskollegien ,römischer und französi scher Observanz" in Avignon und Rom. Um diesen Zustand zu beseiti
last entstand unter den Päpsten Jo hann XXII. (1316-1334), Benedikt XII. (1334-1342) und Klemens VI. (1342-1352). Am Ende dieser.Baby-
gen, beschlossen 1408 die Vertreter beider Kardinalsfraktionen in Livorno, ein Generalkonzil abzuhalten. Dieses fand 1414-1418 in Konstanz statt.
und
Wappenbriefen.
Die
Machtentfaltung der Städte wurde vor allem dadurch behindert, daß sie sich auf Dauer nicht zu einer gemeinsamen Politik zusam menschließen konnten, während die Macht der Territorialfürsten wuchs. Ein dauerhafter Zusammenschluß entwickelte sich aber am Rande des Reiches in der Schweiz. Die Städte des Alpenvorlandes (Luzern, Zürich, Bern) verbanden sich mit den bäuerlichen Landge meinden ( Uri,
Schwyz,
Unterwalden) aus
freiem Willen und nach gleichem Recht. Ihre
Verfassung knüpfte an altes genossenschaftli ches Recht und an Landfriedensbündnisse
an, der Sache nach entstand etwas Neues. Die
Die deutschen Territorien um 1450
Schweizer wollten sich ursprünglich nicht vom Reich trennen, vielmehr sich innerhalb der Rechts- und Friedensordnung behaupten. Bald gelang es ihnen, ihrem Bund weite Nachbargebiete, zumal auf Kosten der Habs zu
burger,
unterwerfen.
Im
Zürichkrieg
(1436-50) kam es zu einer Zerreißprobe, aus der der Bund gestärkt und gefestigt hervor ging. Vor allem in den Burgunderkriegen entwickelte sich ein Gefühl der Zusammenge hörigkeit und Andersartigkeit im Vergleich zu den Nachbarstaaten des Reiches. Während die Städte auf sich gestellt blieben und in ihrer Expansion behindert wurden, entfaltete sich »moderne Staatlichkeit« in den Fürstenstaa ten. Dort gingen gelehrte Juristen mit ihren
Finanzakten und dem Landfriedensgericht daran, einen Untertanenverband zu schaffen, der (im Gegensatz zu der aus dem Lehnswe sen hervorgegangenen Ständeordnung) alle Stände unter eine Verwaltung stellte. Adlige, Bürger und Geistliche traten in den Dienst des
Landesherrn. Vorbild war der Staat der
burgundischen Herzöge mit seiner effekti ven Verwaltung. In
Burgund entstand ein
Territorialstaat, der durch Heirat, Kauf und Eroberung Ländereien von unterschiedlicher Rechtsstellung zusammenbrachte, die teils zu
Frankreich, teils zum Reich gehörten. Nicht nur Städte und Staaten wandelten sich, sondern auch die Kirche. Es entstand eine
verinnerlichte Frömmigkeit. Schwärmer ta delten Mißstände und riefen das gemeine Volk zum Umsturz auf. Durch das Große Schisma (die Konkurrenz mehrerer Päpste) von
1378
verlor die Kirche an Ansehen, Einfluß und
LJ
Glaubwürdigkeit. Diese Verhältnisse gaben die Rahmenbedingungen ab für die Politik der Könige. König
WENZEL,
der Sohn
K ARLS 1v„
hatte Streit mit dem böhmischen Hochadel und mit der Kirche. Im Jahre 1400 setzten ihn die rheinischen Kurfürsten ab und wählten
RUPRECHT VON DER PFALZ zum neuen RUPRECHT setzte sich in Deutschland
Kurfürst König.
durch, hatte aber nicht die Mittel für einen
Romzug (wurde also nicht Kaiser). Es gelang ihm auch nicht, die Kirchenspaltung zu besei tigen. An den Universitäten gab es heftige Debatten um eine Kirchenreform. Die Ein
Habsburgische lande Königreich Böhmen
LJ CJ LJ -
Hzm. Geldern Hzm. Lothringen Gll.Mark Hzm. Berg und Hzm. Jülich Lgft. Hessen
CJ CJ CJ
V
Kurpfalz Eidgenossen Hzm. Savoyen
� l_J
Hzm. Mailand
LJ CJ CJ CJ
Rep. Florenz
Hzm. Braunschweig-Lüneburg Kfsm. Brandenburg
LJ
Rap.Genua
� l_J � L_J
Rep. Venedig Kgr. Dänemark
-
Kfsm. Sachsen
Glt. Württemberg Hzm. Bayern München Bayern Landshut und Ingolstadt Hohenzollern (zu Brandenburg) Reichsstädtisches Gebiet
heit sollte nach den Vorstellungen der Zeit durch Konzilien wiederhergestellt werden.
kämpfer der Christenheit gegen die Türken.
chenreform offen. - In Böhmen erhielt der
Diese wurden zu den ersten (Kirchen-)Parla
Auf dem Konzil von Konstanz gelang es ihm,
T heologenstreit um die Reform der Kirche eine
menten.
drei konkurrierende Päpste absetzen zu lassen
»nationalistische« Färbung, die theoretische
Nach dem Tode
WENZELS
Bruder
RUPRECHTS (1410) wurde S 1EGMUND deutscher König.
Als König von Ungarn war er zugleich Vor-
180
(bzw. zum Rücktritt zu bewegen): Im Jahre
Auseinandersetzung wurde in Prag zum Streit
1417 wählte das Konzil Papst
v.;
zwischen den „Universitätsnationen". In den
damit war das Schisma beendet, indes blieben
Hussitenaufständen bekam erstmals der Be
weitergehende Bemühungen um eine Kir-
griff »Nation« eine politische Bedeutung.
M ARTIN
" ... und der Kaiser rief zum Kreuzzug gegen die Hussiten auf"
Kaiser Siegmund (Sigismund). Ulrich von Richental stellt in seiner Chronik des Konstan zer Konzils (1414-1418) den Luxemburger Siegmund (Si gismund) als einen Politiker von großem Einfluß und be deutendem diplomatischen Geschick dar. Im Interesse seiner Hausmacht betrachte te Siegmund (seit dem Jahre 1378 Markgraf von Branden burg, seit 1387 König von Un garn, seit 1410 Römischer König und seit 1420 auch Kö nig von Böhmen) die Beile gung der Kirchenspaltung (des „Großen Abendländi schen Schismas") als eines seiner Hauptanliegen. Als er nach Absetzung von drei ein ander bekämpfenden Päp sten die Wahl eines allgemein anerkannten Papstes (Martin V„ 1417-1431) durchsetzte, demonstrierte er damit die wiedergewonnene Macht des weltlichen über den geistli chen Regenten des Abend landes.
Als Antwort auf den an Hus verübten Wort bruch, welcher sich gut
100 Jahre später im
Falle MARTIN LUTHERS nicht wiederholen soll te, sandte denn auch der böhmische Adel unverzüglich eine scharfe Prostestnote an das Konzil. Sie trug die Siegel von
452 böhmi
schen Edelleuten. Sie erklärten den in Kon stanz
versammelten
„Konzilsvätern",
der
tschechische Adel werde künftig Predigten und Gottesdienste im Sinne des ermordeten Reformators dulden. Vor allem aber wurde aus der religiösen Bewegung ein regelrechter Volksaufstand. In Prag vertrieb man reform feindliche Geistliche, wobei es auch zu Aus schreitungen kam, und ein neu eingesetzter antihussitischer Rat wurde am
30. Juli 1419
aus dem Fenster des Rathauses in die Spieße der erbitterten Menge gestürzt. Die gemäßigte Fraktion der Hussiten formu lierte im Juli
1420 die Prager Artikel. Weil
ihre Anhänger besonderen Wert auf eine JoHN W1cuFF (um
1330-1384 ), Professor für
der. Trotz der Kreuzzüge, die gegen die Ketzer
Spendung des Abendmahles in zweierlei Ge
T heologie in Oxford, leugnete die Autorität
geführt wurden, blieb das Land Böhmen für
stalt (Brot und Wein) legten, nannte man sie
des Papstes, die nicht von Christus, sondern
König S1EGMUND zeitlebens ein Problem. Zur
Utraquisten (etwa: „Beidgestaltler") oder -
vom Römischen Kaiser stamme. Er wollte
Finanzierung der Feldzüge, mit denen er sein
wegen des Laienkelches -Kalixtiner („Kelch
eine von Rom unabhängige Nationalkirche
Erbrecht dort durchzusetzen suchte, erließ er im
ner"). Die radikalere Fraktion gründete dage
gründen und übersetzte die Bibel ins Engli
Jahre 1427 ein Reichskriegssteuergesetz - ein
gen eine neue Stadt namens Tabor (nach dem
sche, denn sie sei „für alle Menschen der
erster Schritt zu einer Reichssteuer mit entspre
Freiheitsbrief, die Magna Charta der Kirche".
chender Verwaltung. Von seinen tschechischen
Der Papst verdanke seiner Meinung nach
Landsleuten als Apostel und Nationalheld
seine Machtstellung nur der Unkenntnis der
verehrt, war Hus durch seinen Feuertod zum
Menschen. Die Prager Reformer Hus und
Märtyrer der Reform und - wie gesehen -
HIERONYMUS (um
auch seines T schechentums geworden.
1365-1416) übernahmen
seine antipäpstlichen Gedanken. Im Jahre
1402 wurde JAN Hus (um 1370-1415) Rek tor der Prager Universität, zugleich war er Prediger an der Bethlehem-Kapelle. Im Herbst
1412 wurde er unter dem Verdacht des Ketzertums nach Rom zitiert. Er weigerte sich und erklärte, für ihn sei nicht der Papst, sondern Christus das Oberhaupt der Kirche. Das Konzil von Konstanz
(1414-1418) ließ
Hus - trotz des freien Geleits, das ein Vertreter S1EGMUNDS versprochen hatte -, hinrichten.
Die Empörung über seinen Tod machte aus
Der Papst verunglückt in seinem Reisewagen. Johannes XXIII„ neben Gregor XII. und Benedikt XIII. einer der drei Päpste, die das Konstanzer Konzil (1414-1418) absetzte bzw. zum Rücktritt bewog, entzog sich einer Anklage wegen lasterhafter Lebensführung durch die Flucht. Allerdings wurde er verhaftet und am 29. Mai 1415 abgesetzt.
einer religiösen eine soziale und politische Bewegung. Die Heere der Böhmen waren gut organisiert und verwüsteten die Nachbarlän-
181
" Hus galt im Leben den T schechen als Apostel und Prophet, nach dem Tode verehrten sie ihn zugleich als Märtyrer"
biblischen „Berg der Verklärung" in Galiläa) und verwarfen alles, was nicht ausdrücklich in der Bibel begründet war. Es war diese radikale Fraktion, die auch das Banner der Revolution erhob, um eine neue, an der Bibel orientierte Gesellschaftsordnung zu erkämpfen. Unter ihrem volkstümlichen Anführer JAN
r-
----�-
---�--"'.71""---r-----__,__, Jan Hus erleidet i. den Feuertod. , � Am 6. Juli 1415 wurde der Reformator Jan (Johannes) Hus (Huß) vom Konstanzer Konzil zum Feuertode verurteilt. Noch am selben Tage vollstreckte man das grausame Urteil vor den Toren der Stadt. Sein Tod war das Signal für den Ausbruch schwerer Unruhen religiösen und sozialen Charakters. -
�����
ZYSKA (gestorben 1424), einem Angehörigen des niederen Adels, entwickelte dieser radika le Hussitenzweig, die Taboriten, eine beachtli che Dynamik, welche die Reichsheere in hellen Scharen vor ihren Dreschflegeln und Mistgabeln die Flucht ergreifen ließ, auch nachdem ZYSKA schon lange nicht mehr lebte wickeln sollte. - Durch die Wahl des Jahres
und PROKOP DER KAHLE die Bewegung anführ
Im Jahre 1433 wurde SrnoMUND in Rom zum
te. Schließlich zerfleischten sich die Hussiten
Kaiser gekrönt. Er stützte sich auf Helfer aus
1438 ging die Krone
selbst: Der gemäßigte utraquistische Adel
dem Adel, die er mit Territorien belehnte: die
gersohn, den tatkräftigen Herzog ALBRECHT
an
SIEGMUNDS Schwie
zeigte sich kompromißbereit, dafür wurde
Hohenzollern mit der Mark Brandenburg und
VON HABSBURG, über. Fortan, bis zum Ende
ihm in den„Prager Kompakten"(l433) auch
die Wettiner mit Sachsen. Damit stellte er auf
des alten Reiches im Jahre 1806, stellte, mit
der Laienkelch zugestanden. Die allein wei
Jahrhunderte die Weichen für die Geschichte
kurzer Unterbrechung durch den Wittelsba
terkämpfenden Taboriten dagegen wurden am
im östlichen Deutschland, welches sich, be
cher Karl Vll.
30. Mai 1434 von einer Koalition von Utra
ginnend in der Frühen Neuzeit, zu einem
der Habsburger jeweils die deutschen Kaiser
quisten und Katholiken geschlagen. Ihre Reste
politischen Schwerpunkt des Reiches ent-
und Könige.
(1742-45), das Geschlecht
lebten als „Böhmische Brüder" weiter und bildeten schließlich den Kern der Brüderge
In Perspektive gerückt„.
meinde. Die Utraquisten wandten sich später meist der Lehre LUTHERS zu. Einige kehrten auch zum Katholizismus zurück. - Sowohl als nationale wie auch als religiös-soziale Bewe gung waren die hussitischen Taboriten ge scheitert. Weder war es zu einem tschechi schen »Nationalstaat«, noch zu einer an bibli schen Lehren orientierten »T heokratie« ge kommen. Aus den Hussitenkriegen geht das böhmische Königtum geschwächt hervor. Ein weiteres Ergebnis war die Zurückdrängung der deutschstämmigen Bevölkerung (mit Aus nahme der Randgebiete). Als eigentlicher Sieger behauptete sich der tschechische Adel auf der Walstatt. Er verstand es, sich am Kirchen- und Klostergut außerordentlich zu bereichern. Faktisch ist es dieser böhmische Herrenstand, der die politische Macht nun in der Hand hält. Die bäuerlichen Schichten verbleiben indes in bedrückender Hörigkeit. Aber die Ereignisse kündigten bereits das kommende Jahrhundert an. 182
.zwei Diener Herzog Lud wigs führten Hus, der eine zur Rechten, der andere zur Linken. Dieser war nicht ge fesselt; denn sie gingen nur neben ihm und riefen mich, Richental, zu sich. Vor und hinter ihm gingen die Rats knechte, und sie führten ihn zum Geltinger Tor hinaus. in folge des großen Gedränges mußten sie einen Umweg machen, und es wurden im mer mehr der gewappneten Leute, gegen dreitausend, ohne die Unbewaffneten und Frauen. Auf der Brücke am Geltinger Tor mußte man die Menschen zurückhalten. Nur truppweise wurden sie über die Brücke gelassen, weil man befürchtete, daß die Brücke zusammenbräche.
Man führte ihn auf das kleine äußere Feld in die Mitte. Während er hinausgeführt wurde, betete er beständig: ,Jesu Christe, fili dei vivi, mi serere mei !' Als er auf das äußere Feld kam und das Feuer, Holz und Stroh be merkte, fiel er dreimal auf seine Knie und sprach laut: ,Christe, fili dei vivi, qui pas sus es pro nobis, miserere mei.' (Jesus Christus, du Sohn des lebendigen Gottes, der du für uns gelitten hast, erbarme dich meiner!) Da nach fragte man ihn, ob er beichten wolle. Er sprach: ,Gern, obgleich es hier sehr enge ist.' Es war ein Priester da, Ulrich Schorand, den rief ich, Ulrich Richental. Dieser ging zu Hus hin und sprach
ihm zu: ,Lieber Herr und Mei ster, wollt Ihr dem Unglauben und der Ketzerei, um derent willen Ihr leiden müßt, entsa gen, so will ich gern Eure Beichte hören. Wollt Ihr das aber nicht tun, so wißt Ihr selbst wohl, daß in den geist lichen Vorschriften steht, daß man keinem Ketzer die Beichte hören soll.' Da erwi derte Hus: ,Es ist nicht nötig; ich bin kein Todsünder.' Als er darauf anfangen wollte, deutsch zu predigen, wollte das Herzog Ludwig nicht lei den und befahl, ihn zu ver brennen."
(Die Verbrennung des Jan Hus; aus: Ulrich von Richen tal, Chronik des Konzils von Konstanz).
Das mittelalterliche Recht wirkt ebenso grausam wie widerspruchsvoll. Vom Stammesrecht führte der Weg zum Territorialrecht, und die Wiederentdeckung der Antike brachte schließlich eine Wiederbelebung des römischen Rechts.
Recht bezogen, welches fortan das Rechts
Viom
prinzip und somit auch den (rechts)politi schen Willen strikt und präzise ausdrückte. Mit diesem neuen Einheitsrecht war den vielen deutschen Obrigkeiten ein Instrument an die Hand gegeben, ihre jungen und im Entstehen begriffenen Territorien »regierbar« zu machen.
germanischen zum römischen Recht D
ie Rechtshi.storiker begreifen die all mähliche Ubernahme des römischen
Doch betrachten wir die gewachsenen histori schen Bedingungen für das anbrechende Spät mittelalter in chronologischer Anordung noch etwas genauer: In der Völkerwanderungszeit wurde das römische Recht zunächst einmal durch Rechtsbräuche des Stammesrechts zu rückgedrängt. Das Volks- und Königsrecht des Mittelalters hatte seine Wurzeln dann sowohl in germanischen wie in - kirchlich vermittelten - römischen Traditionen. Im Frankenreich wurde das Stammesrecht der Franken, Sachsen, Baiern usw. in den Leges Barbarorum als Gegenstück zu den Leges Romanorum festgelegt. (Aufzeichnungen des römischen Rechts für die romanische Bevöl kerung.) Die Kirche behielt das römische
teilsfinder auf. Und die Reichskammerge
Recht bei und entwickelte es weiter. Die
richtsordnung von 1495 verfügte, daß die
Juden standen unter besonderem Königs schutz und lebten nach den Rechtsvorschrif
Rechts in Deutschland als „Rezeption
Hälfte der Urteiler aus „ Gelehrten", die ande
neuer Rechtsquellen", die das autochthone
re aus dem „Adel" bestehen solle. Es galt,
ten des Talmud. Es gab eine Koexistenz
germanische Recht überlagerten. Es wäre
„nach des Reichs gemeinem Recht" Uus
von Volksrechten und Kapitularien (königli
irrig, diesen Vorgang, der in der europäischen
commune), d.h. in erster Linie nach dem
chen Anordnungen). Die ältesten Volksrechte
Mitte verstärkt im 15. Jahrhundert einsetzte,
römischen
Römisches
waren die »Lex salica«, die »Lex ripuaria«,
als Zäsur oder gar als Bruch der „nationalen
Recht konnte zwar bestehendes partikuläres
die »Lex Alamannorum« und die »Lex Baiu
Recht,
zu
richten.
Rechtsentwicklung" zu begreifen. Vielmehr
Recht nicht brechen, dieses aber bedurfte nun
variorum«; dazu kamen in der Karolingerzeit
wurde die »vorgegebene« und »bestehende«
des ausdrücklichen Nachweises seiner Gel
die»Lex Frisionum«, die»Lex Saxonum«, die
germanische Rechtstradition auf eine neue
tung. Im Vorgang gelehrter Urteilsfindung
»Lex T huringorum« und andere.
Basis gestellt. Was war der historische Sinn
wurde »bestehendes« auf das »gemeine« Im Verlaufe des Mittelalters löste das Territo
dieses Vorgangs, und warum sollte er Platz greifen? Die Entwicklung und Herausbildung der spät mittelalterlichen Gesellschaft erbrachte eine Zunahme hoheitlicher T ätigkeiten, insbeson
Landrecht der einzelnen Länder und auch die
es zu einer genaueren
Stadtrechte.
Kenntnis der fremden Rechte,
dere in der Verwaltung sowie in der Rechts
des Corpus juris civilis
sprechung der Gerichte. Das deutsche Recht
Justinians, des Corpus juris
war aufgrund seiner starken Zersplitterung zu schwerfällig, um den neuen Aufgaben ver
canonici und der Libri
mehrter „Staatstätigkeit" gewachsen zu sein.
feudorum. Gewonnen wurde
Die Obrigkeiten verlangten ein geschriebenes Einheitsrecht, - ein Recht, das wissenschaft lich durchgebildet war (jus certum et univer sale). Also benötigten sie, auf einen Nenner ge bracht, Juristen, die über eine wissenschaftli che Ausbildung im kanonischen beziehungs weise römischen Recht verfügten. Schon im Jahre 1418 treten gelehrte „Doktoren" im königlichen Kammergericht als juristische Ur-
rialrecht das Stammesrecht ab, und es gab das
Während des Mittelalters kam
die Kenntnis vornehmlich im Rechtsunterricht, zunächst auf den italienischen und französischen, dann seit dem
Rechtsbücher dokumentierten
Rechtssätze und Gewohnheiten einzelner Re gionen; die bekanntesten waren der »Sach senspiegel« (entstanden zwischen 1220 und
1235) und der »Schwabenspiegel« (ca. 1275 in Augsburg zusammengestellt). Nicht selten kam es zu einer Konkurrenz der Rechte und Rechtssysteme. Neues Recht wurde in Form von Privilegien für Personen und Gruppen geschaffen. Häufig versuchte man, eigene Rechtsansprüche durch gefälschte Urkunden zu untermauern. Es gab auch Privilegien für Juden, zunächst für einzelne, die von Kaisern, Königen und Fürsten ausgestellt wurden,
14. Jahrhundert auch auf
dann für jüdische Gemeinden, schließlich für
deutschen Universitäten.
alle Juden, die ein bestimmtes Territorium
(Hans Planitz)
bewohnten. Ein einheitliches Judenrecht für ganz Deutschland gab es ebensowenig wie ein einheitliches Recht für alle Christen.
183
Landfriedensbestimmungen aus dem Sachsenspiegel. Im 12. und 13. Jahrhundert traten überall in Europa an die Stelle des mündlich überlieferten Gewohnheitsrechtes neu in den Landessprachen kodifizierte Rechtsnormen. Das älteste und zugleich bekannteste Rechtsbuch in deutscher Sprache ist der „Sachsenspiegel" (um 1220) des Eike von Repgow (ca. 1180-1235). Irrtümlich schrieb man diese private Aufzeichnung geltenden Rechts Karl dem Großen zu, erklärte sie zum „Kaiserrecht" und benutzte sie daher als Gesetzbuch. So behielt sie Gültigkeit, bis sie im 18./19. Jahrhundert durch neu kodifiziertes Recht ersetzt wurde.
Im 1 1. Jahrhundert wurden die Digesten, der wichtigste Text des »Corpus Juris Civilis« Kaiser JusTINIANS, wiederentdeckt und kom mentiert. Aus Vorlesungen des IRNERius ent stand die Rechtsschule in Bologna, die auch von Studenten aus Deutschland besucht wur de. Hier und in den anderen oberitalienischen Rechtsschulen wurden die Grundlagen dafür geschaffen, daß das römische Recht in wach sendem Maße angewendet wurde. Zur glei chen Zeit wurde das kanonische Recht der Kirche durch den Mönch GRATIAN zusammen gefaßt und redigiert (Decretum Gratiani). Schon damals war man sich bewußt, daß sowohl das römische wie auch das geistliche Recht wegen ihrer wissenschaftlichen Grund lagen auf vielen Gebieten moderner und leistungsfähiger waren als das traditionelle mittelalterliche Recht. Auch das Stadtrecht war im Vergleich zum Landrecht modern und effektiv. In den Städten konnte ein Delinquent aus den Mauern und den bewachten Toren kaum entkommen. Er wurde von den bewaffneten Stadtknechten er�riffen. Ein Landrichter hatte es schwerer, der Ubeltäter habhaft zu werden. Die Rechtspraxis war oft milder als der Wortlaut der Gesetze. Todesurteile gegen Bür ger wurden in Geldbußen umgewandelt. Ge gen Ende des Mittelalters führte die Moderni sierung der Territorialstaaten zu einer weitrei chenden Kriminalisierung des Strafrechts. Die Wahrheitsfindung mit Hilfe der Folter ersetzte den Eid. Da in den Städten die Folterwerkzeuge häufiger erhalten geblieben sind, gewinnen die heutigen Besucher von Heimatmuseen den falschen Eindruck, das städtische Recht sei besonders grausam gewe
" ...nur ein relativ schmaler gemeinsamer Rechtskörper verbindet alle Bewohner des Landes zu einer wenigstens fiktiven Landrechtsgemeinschaft "
Seite die Grausamkeit der öffentlichen Stra fen, auf der anderen die von Kirchen, Klöstern und anderen Orten geübte Praxis; auf der einen Seite harte Strafgesetze, auf der anderen Sühneverhandlungen und ein „Richten nach Gnade". Von der Todesstrafe bedroht waren unter anderem Diebe, Räuber, Münzfälscher, Mordbrenner
und
Landesverräter.
Adlige
wurden mit dem Schwert statt mit dem Strick hingerichtet; straffällige Frauen ertränkt oder
sen. - Das mittelalterliche Recht macht auf
lebendig begraben. Tagediebe wurden ent
den modernen Betrachter überhaupt einen
hauptet, Nachtdiebe gehängt. Ketzer und
widersprüchlichen Eindruck: auf der einen
Hexen, getaufte Juden, die zum Judentum
184
Juristische Vorlesung in Bologna. An der Universität Bologna 1 Norditalien) befand sich seit etwa 1100 das wichtigste Zentrum juristischer Studien: die wohl von lrnerius gegründete „Glossatorenschule". Wer, aus Deutschland stammend, römisches Recht studieren wollte, hatte bis zum Ende des 14. Jahrhunderts keine andere Wahl - er mußte sich über die Alpen nach Bologna begeben, weil es im deutschen Raum noch keine entsprechenden Fakultäten gab. Es fehlte nicht an deutschen Rechtsgelehrten, die sich in Bologna mit römischem und kanonischem !kirchlichem) Recht vertraut machten, und nicht zuletzt dies trug zu dem Nebeneinander von zählebigen überhängen germanischen Rechts und kodifiziertem römischen Recht bei, welches für das spätmittelalterliche Deutschland so charakteristisch war.
"Wissenschaftliche Vernunft und Folter traten zur selben Zeit auf"
zurückkehrten, Kirchen- und Grabräuber,
lieh eine harte Behandlung, damit sie geläutert
mitunter auch Falschmünzer wurden auf dem
ins Jenseits gelangen könnten. Neben den
Scheiterhaufen verbrannt. Die qualvollste
grausamen Strafen gab es auch erträgliche, bei
Strafe für Mörder, Räuber und Landesverräter
denen die Missetäter dem Spott der Öffent
war das Rädern.
lichkeit preisgegeben wurden: Zumeist mußte
Ähnlich wie heute noch im islamischen Recht
en mit unsolidem Lebenswandel waren gehal
gab es Verstümmelungsstrafen: Blenden, Ab
ten, Kopf und Hände in eine hölzerne „Hals
schneiden von Fingern, Händen oder Füßen,
geige" zu stecken, um so eine Zeitlang neben
Herausschneiden oder Durchbohren der Zun
dem Pranger zu stehen. „Böse Zungen"
man am Pranger stehen. Mädchen und Frau
ge, Abschneiden oder Einkerben der Ohren
(Klatschweiber und Leute, die andere belei
(„Schlitzohr") oder Prügelstrafen. Die Strafe
digten) mußten eine Schandmaske aus Eisen
wurde im Denken der mittelalterlichen Men
aufsetzen, und Adlige zwang man, mit einem
schen mit der Buße gleichgesetzt. Viele Men
Schwert am Hals zu erscheinen. Fürsten ließ
schen glaubten, daß Schmerzen ihre Seele
man Hunde tragen, was eine symbolische
reinigen. Deshalb erbaten Missetäter gelegent-
Erniedrigung war. Falschspieler und zank süchtige Frauen wurden in einem Lattenkäfig auf einer Wippe wiederholt ins Wasser ge taucht und wieder emporgeschnellt. Der Krei sel war ein ähnliches.Lattengestell, in dem der Verbrecher gedreht wurde, bis er bewußtlos niederstürzte. Bei der Übernahme des (römi schen) staatlichen Prozeßrechts trennte man das Straf und Zivilrecht. Die Gottes- und Landfriedensbewegung gab dem Strafrecht das
Folterkammer in Nürnberg. Auch die Folterkammern des späten Mittelalters sind ein Stück Rechtsgeschichte. Sie entstanden, als an die Stelle des frühmittelalterlichen Eides und des Gottesurteils als neues Mittel der Wahrheitsfindung die Folter entdeckt wurde und als im Zuge der Landfriedensgesetze an die Stelle von Geldbußen Körper- und Todesstrafen traten. So gesehen sind sie das Ergebnis einer Reform des Rechtes gewesen, einer Reform, die das Leid nur vermehrte.
Übergewicht. Denn die Aufrechterhaltung der Ordnung wurde für wichtiger erachtet als die Wiedergutmachung eines Schadens. Mit Ein führung der Schriftlichkeit setzte sich im Spät mittelalter dann auch der Beistand durch Advokaten durch. - Der Kreis schließt sich: Die Herausbildung des Rechts und der Rechts praxis erzwang, zunächst langsam, aber insge samt unaufhaltsam, die Einführung neuer Nor men. Wir benennen somit den Übergang vom germanischen zum römischen Recht. 185
Gefahren der Straße. Für Fern- und Großhändler bestand durchaus das Risiko, auf unwegsamen Straßen Schaden zu nehmen oder gar tödlich zu verunglücken. Noch größer aber war die Gefahr, von Wegelagerern aller Bevölkerungsschichten überfallen, ausgeplündert und eventuell gar erschlagen zu werden. Bauern, an deren Dörfern Fernstraßen vorbeiführten, vor allem aber ,Raubritter' betrachteten die Waren der verachteten Kaufleute (,Pfeffersäcke') als eine Beute, die ihnen zustand. In der Tat waren Brutalitäten gegen Kaufleute an der Tagesordnung und fanden Zustimmung großer Teile vor allem der ärmeren Bevölkerung.
Bauten wirklich Könige ihre Burgen selbst? Errichteten Bischöfe eigenhändig ihre Kathedralen? Und besteht Geschichte nur aus triumphalen Höhepunkten und blutigen Tragödien? Gab es nicht auch den »grauen«, vielleicht j a sogar »bunten« Alltag? Und wie sah dieser Alltag aus, - für Kaiser, Könige, Fürsten, Ritter, Kaufleute sowie für die zahllosen »kleinen Leute« überall im Land?
D
D
er
Alltag
ie Städte des Mittelalters waren durch
gesellschaftlichen Gruppen gemeinsam . Die
Gassen«, die eng und finster waren, weil die
Fernhandelsstraßen miteinander ver
häufigste Fortbewegungsart waren das Gehen
oberen Stockwerke auskragten. Nur selten
bunden. Die Königsstraßen von über
und das Reiten; das Fahren war auf den
waren Straßen und Plätze gepflastert, und
„so breit sein, daß ein Wagen dem anderen ausweichen könne. Der leere Wagen soll dem beladenen
holprigen Straßen äußerst unbequem. Herber
man blieb im Morast stecken, denn Haus- und
regionaler Bedeutung mußten
ausweichen, der minder beladene dem schwe reren", heißt es im Sachsenspiegel.
gen gab es nur wenige. Gesellen und Meister
Küchenabfälle sowie anderer Unrat wurden
Zunfthaus, Bischöfe in den Pfarreien, Kaufleute bei Geschäftspart nern, Adlige in Burgen und Stadthäusern
auf die Straßen geschüttet. Man mußte hölzer ne
befreundeter Familien oder beim Bürgermei
zu vergrößern. Der Unrat bot Ratten und
fanden Unterkunft im
Die Wirklichkeit sah anders aus: Befestigte
ster. Für eine große Reise informierte man sich
Straßen gab es nicht. Auf dem Wasserweg
in
konnte man Massengüter billiger transportie
Strecken und Entfernungen.
handschriftlichen
Itinerarien über die
Überschuhe (Trippen) tragen, um den
Abstand zwischen Fuß und Straßenoberfläche anderem Ungeziefer Nahrung. Nur anläßlich großer
öffentlicher Festlichkeiten wurden
einige Straßen und Plätze gereinigt. In einigen Städten gaben die
ren. Die reichsten Städte lagen an Schnitt
Ratsherren häufig als Ent
punkten von Straßen und Wasserwegen. Die
Das älteste gedruckte Reisehandbuch erschien
schuldigung für ihr Zuspätkommen zu Proto
Kaufleute reisten in Geschäften, die Handwer ker auf .der Suche nach Arbeitsstellen, die Adligen, um Politik zu machen oder zu
1563 in Augsburg. Es gibt die Abstände
koll, sie seien im Schmutz hängengeblieben -
zwischen den Stationen in Meilen an. Bevor
ähnlich wie man heute im Autostau festsitzt.
man in eine Stadt gelangte, mußte man
Pünktlichkeit gibt es erst seit dem Aufblühen
heiraten, was in der Regel dasselbe war. Nur
Gräben und Wälle passieren, Ausfallbrücken
der Städte. Dort war die Arbeitszeit ebenso
Pilger/ahrten reisten Menschen aller
und Stadttore, dann kam man in »krumme
geregelt wie in den Klöstern die Zeit für
bei 186
Frauenbad von Albrecht Dürer. Im Gegensatz zu aller Askese und Lebensverneinung war das Mittelalter durchaus nicht immer prüde. Schon seit dem Ende des 12. Jahrhunderts gab es öffentliche Bäder: saunaähnliche Anlagen mit hohem Holzverbrauch, in denen man sich bei kaltem Wetter auch aufwärmte. Die Kirche hielt das Baden allerdings für unvereinbar mit dem Ideal asketischer Selbstkasteiung. Aus heutiger Sicht stellten - bei den hygienischen Verhältnissen des Mittelalters - derartige öffentliche Bäder, in denen man gemeinsam badete, wohl auch gefährliche Infektionsherde dar.
'�
"Die . .. �. Auswe1tung der .'..-,?{'\, spätmittelalterlichen '/:"/ ·. ·\. 1 Badekultur in Stadt und Land ist nicht nur eine Frage der Hygiene. " •
,
sums. Seit Beginn des 15. Jahrhunderts gab es
Ein Marktkreuz symbolisierte den Frieden,
auch Zimmeruhren in den Wohnungen weltli
der eingehalten werden mußte. Mit dem
cher und geistlicher Würdenträger sowie rei
„Marktwisch" (einem Strohbüschel) wurde
T ätigkeiten und Gebete. Die Stunden der
cher Bürger (gewichtsgetriebene Uhren an
das Zeichen für den Beginn des Verkaufs
Sonnenuhren veränderten mit den Jahreszei
den Wänden und T ischuhren mit Spiralfeder
gegeben. Wochenmärkte dienten der Versor
ten ihre Länge, und auch Sanduhren ließen
antrieb). In Familienchroniken des 14. Jahr
gung der Einwohner mit dem täglichen Be
nur ein ungefähres Maß der verstrichenen Zeit
hunderts trug man die Geburtsstunde ein.
darf. Treffpunkte der Händler und Handwer
erkennen. Im letzten Drittel des 13. Jahrhun derts wurden die Räderuhren mit Gewichts
ker waren vor allem die Jahrmärkte. Die Märkte waren Treffpunkte der Händler,
antrieb und mechanischer Hemmung erfun
Käufer und Schaulustigen. Sie bestimmten
Im 12. Jahrhundert verdrängten Münzen end
den. Durch ihre Einführung wurden genormte
den mittelfristigen Rhythmus im Leben einer
gültig das sogenannte »Hacksilber« (zerhack
Stunden üblich. Seit etwa 1340 gab es überall
Stadt. Dort tauschte man Nachrichten aus,
te Silberbarren) als Zahlungsmittel. Das kö
in Europa Turmuhren an Kirchen, Rathäu
und Gaukler traten auf. Die Waren wurden
nigliche Recht, Münzen zu prägen, ging seit
sern und Palästen. Ein mit dem Uhrwerk
auf den in Reihen errichteten Ständen oder
dem 9. Jahrhundert an Bischöfe, Reichsäbte
verbundenes Hebelwerk bewegte den Schlag
Bänken zum Verkauf ausgebreitet. Der Rat
und an weltliche Fürsten, die es durch Münz
hammer der Stundenglocke. Einige Turmuh
erließ Marktordnungen, und der vom Rat
meister verwalten ließen. Seit dem 12. Jahr
ren schlugen auch die Viertelstunden.- Über
bestellte Marktaufseher überprüfte die geeich
hundert erwarben einige Städte das Münz
haupt richtete sich das städtische Leben nach
ten Maße und Gewichte. Verstöße gegen die
recht und richteten städtische Münzstätten ein.
dem Glockenschlag. Man begann, die Uhren
Marktordnung wurden vom Marktgericht
durch Glockenspiele zu ergänzen (in Straß
meist mit Geldbußen - geahndet. In einigen
nige,
burg 1352/54). Die Monumentaluhren des
Städten (z.B. in Braunschweig) gab es ein
mit unterschiedlichem Gewicht und Wert,
-
Bis ins 14. Jahrhundert gab es nur Silberpfen -
allerdings Hunderte von Prägungen
14. und 15. Jahrhunderts zeigten häufig die
Waghaus, in anderen (z.B. in Lüneburg) eine
denn dieser hing selbstverständlich vom Edel
Bewegungen und Konstellationen der Gestir
öffentliche Waage im Rathaus. Kirchen- oder
metallgehalt der Münzen ab. Als Rechnungs
ne an, - als mechanische Modelle des Univer-
Rathausglocken
werte gab es die Mark oder das Pfund (Talen-
läuteten
den
Markt
ein.
187
Turmwächteruhr. Nachdem man gelernt hatte, mit mehr oder weniger präzisen mechanischen Instrumenten (Räderuhrwerken mit Gewichten) »mehr oder weniger" genau die Zeit zu messen, entdeckte man im 14. Jahrhundert auch die Wichtigkeit
des Faktors „Zeit'. Wie früher nur bei den Mönchen, deren Tagesablauf durch die Ordensregel genauestens eingeteilt war, so hielt jetzt auch im Leben der Bürger Pünktlichkeit Einzug, konnte doch jeder an den Uhren der Türme ablesen, was die Stunde geschlagen hatte! Die abgebildete Uhr ist nun allerdings keine Turmuhr, sondern eine Uhr, die dem Turmwächter die Zeit angab.
Die Ernährung im Mittelalter Im Mittelalter war die Ernäh rung - vor allem auf dem lande - in aller Regel weit weniger vielfältig, als wir es heute gewohnt sind. Insbe sondere war die Zahl der ver wendeten Gemüsesorten er heblich geringer. Man verfüg te über Pferdebohnen (Boh nen, wie wir sie heute zu essen pflegen, wurden erst später aus Amerika einge führt), Erbsen, Kohl und Rü ben. Allerdings spielten Rü ben eine untergeordnete Rol le, weil sie nicht in das im Mittelalter übliche System »Dreifelderwirtschaft« der paßten. Die Hauptgrundlage der pflanzlichen Ernährung bildeten im Mittelalter die Ge treidesorten, deren Artenviel falt freilich noch größer war als heute. Öle gewann man aus Lein, aus (heute nicht mehr ange bautem) Leindotter, aus Raps sowie Rüben. Ein Problem war das Süßen der Speisen. Erst seit dem ausgehenden Mittelalter lernte man allmäh lich Rohrzucker kennen. Al lerdings war dieser kaum er schwinglich und gehörte da her lange Zeit zu den Luxus gütern, welche sich nur die gutbetuchte Oberschicht lei-
sten konnte. Hauptsächlich süßte man mit Honig, dessen verfügbare Menge allerdings begrenzt war. Vermutlich konnten sich daher nur wirk lich Reiche die Süßspeisen leisten. Wer dagegen arm war, hatte sich buchstäblich damit ab zufinden, daß ihm das Da sein „sauer" gemacht wurde. Heutigen Vorstellungen nä her kam die Fleischnahrung. Hier bildeten Schafe, Ziegen, Schweine, Rinder, aber auch - anders als heute - Pferde die Hauptnahrungsquellen. Hinzu kamen Wild, Geflügel und Fisch. Charakteristisch war ein ge radezu drastischer Unter schied zwischen den Ernäh rungsgewohnheiten auf dem lande und in der Stadt. Er ergab sich zwangsläufig dar aus, daß auf dem lande das Prinzip der Selbstversorgung herrschte. Wie reichhaltig der Speisenzettel war, hing also von den Umweltbedin gungen, mit anderen Worten: von den lokalen Möglichkei ten der Nahrungsmittelpro duktion ab. Anders lagen die Dinge in den Städten: Wie man sich hier ernährte, das war ab-
hängig von der sozialen Schicht, der man angehörte. Denn die Städte waren nicht auf Eigenproduktion ange wiesen, sondern bezogen Nahrungsmittel von aus wärts. infolgedessen war die Nahrungsmittelvielfalt erheb lich größer als auf dem lan de, sofern man nur über die Mittel verfügte, die nötig wa ren, um seinen Speisenzettel abwechslungsreich zu ge stalten. An Getränken zog man Fleischbrühe oder Bier dem Wasser vor, das man meist ohnehin nicht unabgekocht zu sich nehmen konnte, ohne die Gefahr einer Erkrankung zu riskieren. Selbstverständlich gab es auch Wein, der aber vorwiegend bei Klerikern und in Hofkreisen Zuspruch fand. Das gemeine Volk trank Bier. Allerdings konnte der Bierge nuß in Extremfällen auch zu schweren Schäden wie Er blinden, ja sogar zum Tode, führen, da man das Bier häu fig nicht mit Hopfen, sondern mit dem aromatischen Gagel würzte, der als weidenähnli ches Strauchgewächs ge deiht. In der Neuzeit wurde mit Gagel versetztes Bier daher schließlich verboten.
turn), als Münzen den Schilling (»Solidus«)
ße Teile Norddeutschlands und Skandinaviens
den Pfennig, seit dem 13. Jahrhundert
umfaßte. Pfennig-Münzen waren weder zur
den Halbpfennig (»Obolus«). Zwölf Pfennige
Kapitalansammlung (man hätte Geldspeicher
ergaben einen Schilling, zwanzig Schillinge
riesigen
eine Mark. Durch den Wertverfall des Geldes
Transport über Land geeignet. Also legte man
--� und
Ausmaßes
benötigt!)
noch
zum
im 13. Jahrhundert änderten sich die Umrech
sein Geld in Grundbesitz an, welchen man
nungsverhältnisse. Im 14. Jahrhundert wurde
verpfänden konnte. Einige Patrizierfamilien
eine Silbermünze mit höherem Wert in Um
stiegen dadurch in den Adel auf. Pfand- und
lauf gesetzt: der Groschen. In Italien und
Schuldscheine waren die „Schecks" des Mit
Frankreich gab es Goldmünzen (Gulden).
telalters. Zum Schutz gegen Verlust und Be
Auch die Kaiser prägten im Späten Mittelalter
trug wurden sie amtlich registriert.
höherwertige Münzen in Gold; im Jahre 1356 bekamen auch die Kurfürsten dieses Recht.
Die wichtigste Quelle für die Handelsbezie
Die Kurfürsten von Brandenburg machten
hungen in Norddeutschland ist das Hambur
davon allerdings erst 1513 Gebrauch.
ger Schuldbuch, in dem alle Kreditgeschäfte der Zeit von 1288 bis 1323 notiert sind. Der
188
Auf den Märkten konnte man gewöhnlich nur
bargeldlose Zahlungsverkehr war in Italien
mit einheimischem Geld bezahlen, man muß
entstanden und dann auch in Deutschland
te also sein Geld beim Münzmeister umtau
weit verbreitet. Grundlage des städtischen
schen. Die Städte bemühten sich um großräu
Reichtums werden somit Papiere, die vom
mige Währungsgebiete. Der 1381 gegründete
Landesherrn nicht zu kontrollieren waren. In
Wendische Münzverein (Hamburg, Lübeck,
Augsburg galt als reich, wer 250 Gulden
Lüneburg und Wismar) entwickelte sich zu
jährlich verdiente; eine Handvoll nahm mehr
einem einheitlichen Währungsgebiet, das gro-
als 2000 ein. Wer Geld hatte, der wollte sich
Bürger dienten. Der Wandel der Mode angeregt durch Kontakte mit Byzanz, dem Orient und Südeuropa
-
bestimmten die Wahl
der Stoffe, Farben und Schnittformen. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts wurde der Rock der Herren immer kürzer, darunter trugen sie Strumpfhosen; die Damen bevorzugten aus geschnittene Kleider, bei denen man die Hälfte des Busens sah. Auf dem Kopf balancierten sie hohe, tütenförmige Kopfbedeckungen. Zur Ausstattung der Braut gehörte die Brauttruhe mit dem persönlichen Besitz. Die Truhen der Patriziertöchter waren aufwendiger gearbeitet als jene der Handwerker. Eine Hochzeit wur de je nach Reichtum der Familie drei bis acht Tage lang gefeiert. Aus Ratsverordnungen, die
Ziehbrunnen. Die Trinkwasserversorgung deutscher Städte des Mittelalters beruhte auf der Nutzung von Grund- bzw. Quellwasser. Die überwiegende Zahl der privaten Haushalte besaß eigene Hausbrunnen. Daneben aber richtete man vom 14. Jahrhundert an auch auf Marktplätzen städtische Brunnen ein. Beispielsweise gab es in Nürnberg zu Ende des 15. Jahrhunderts 120 öffentliche Ziehbrunnen. Dennoch kam es während des gesamten Mittelalters immer wieder zu Infektionen durch verschmutztes Trinkwasser.
den Aufwand einzuschränken suchten, sind wir über die Hochzeitsfeierlichkeiten gut in formiert. Auch beim Wohnen gab es Unterschiede. Einfache Häuser hatten im Erdgeschoß nur einen Wohn- und Arbeitsraum mit einer Herdstelle. Im 14. und 15. Jahrhundert wurde die Küche abgetrennt. Eine auf Holzböcke gestellte Tafel ließ sich bei Bedarf aufheben. Es gab hölzerne Truhen. An den Wänden stan den Bänke; diese gehörten auch zur Küchen
Straßenhändler. Während der Handel in den Städten meist in den Händen ortsansässiger Kaufleute lag, zogen auf dem freien lande fahrende Händler von Dorf zu Dorf und von Hof zu Hof, von Jahrmarkt zu Jahrmarkt oder von Turnierplatz zu Turnierplatz. Die Grenzen zum ,fahrenden Volk' der Gaukler waren oft fließend, weil man seine Ware nicht selten durch Gaukeleien an die Kunden zu bringen suchte. Wohlhabende Hausierer versorgten vor allem Adlige mit Luxusartikeln wie bunten Bändern und anderem Schmuck.
einrichtung, dazu auf Holzborden Holz- und Tongeschirr. Im Obergeschoß schlief die ganze auch etwas leisten und repräsentieren. Kleider
Familie in einem breiten mit Stroh gefüllten
luxus und Wohlleben ergriffen breite Bevöl
Bett. Die Fenster wurden durch Läden ge
Tuch gedeckt, es gab Gefäße aus Zinn und
kerungskreise . Sie wollten mithalten, ohne es
schlossen. Die Häuser der Patrizier dagegen
Glas. Im Nürnberger Dürerhaus kann der
sich leisten zu können. Weil sie sich ruinierten,
waren mit Glasfenstern und Kachelöfen aus-
Besucher die Raumeinteilung und Einrichtun
gestattet. Die Tafel war mit einem weißen
erließen die meisten Städte Verordnungen
gen eines Bürgerhauses um 1500 noch heute
(Göttingen 1354, Zürich 1357), die dem
besichtigen.
entgegenwirken sollten. So war es zum Bei
Der Mensch des Mittelalters
spiel nach einer Vorschrift von 1335 den Frauen in Berlin verboten, goldene Schleier, goldgestreifte Stoffe,
Zobelpelze und Ge
schmeide oder Perlen von mehr als einer halben Mark Gewicht zu tragen. (Die mittel alterliche Mark wog zwischen 186 und 281 Gramm, die gebräuchlichste Einheit war die »Kölner Mark«: 234 Gramm.) In Göttingen war das Tragen von Schmuck von der Steuerleistung abhängig. Bildliche Darstellungen, Kleiderordnungen und einige originale Kleidungsstücke zeigen den Wan del der mittelalterlichen Kleidung. Die Ein
Warenverzeichnisse, Notizen von Kaufleuten,
O hatte ein anderes Zeitgefühl. Die Zeit war in erster Linie ein Naturphänomen. Erst als die Uhren aufkamen, änderte sich dies allmählich
O lebte in ehelicher- und Hausgemein schaft. In Theorie und Praxis war diese soziale Grundform von der Herrschaft des Mannes bestimmt
dungsstücken und Kopfbedeckungen, die der Selbstdarstellung des Adels und der reichen
im der
Roggen als Brot und Brei, Gerste, Hirse und Hafer als Grütze und Mehlsuppe. Aus Rüben, Erbsen, Spinat und Kohl bereitete man ein „
mus . Mittags aß man Fleisch oder Fisch und "
seit dem 14. Jahrhundert auch Kartenspiele.
O lebte mehrheitlich auf dem lande, das
O lebte zu einem geringeren Teil in städti
eine Vielzahl von unterschiedlichen Klei
war
einem strikten religiösen Leben gehal ten. Dabei wurde die Lebensform der Mönche auch für die Kleriker- und Laiengemeinschaften zum Vorbild
bei: Leibchen bis zum Knie und Hosen. Vom 13. bis zum 16. Jahrhundert entwickelte sich
Hauptnahrungsmittel
trank dazu Bier oder Wein. Zum häuslichen
behielten eine ärmliche Form dieser Kleidung
lich eine hemdartige Tunika. Die Bauern
Mittelalter.
O war durch den Einfluß der Kirche zu
die Ernährungsquelle und Existenz grundlage schlechthin bildete. Die Ar beit war dabei der Hauptinhalt des bäu erlichen Lebens
heitskleidung aller Schichten war ursprüng
Fastenverordnungen und archäologische Fun de geben Auskunft über die Ernährung
scher Lebensgemeinschaft. Die deut sche Stadt war ein Wirtschafts- und Schwurverband ohne soziale Gleichheit der Bevölkerungsschichten.
Zeitvertreib gehörten Würfel- und Brettspiele, Neben der menschlichen Arbeitskraft bedien te man sich der Kraft der T iere und suchte diese mit immer höherem Wirkungsgrad zu nutzen. Beispielsweise erhöhte das schon früh erfundene Kummet die Zugkraft der Pferde ganz erheblich. Im 11„ 12. und 13. Jahrhun dert aber setzte sich darüber hinaus in einem solchen Maße die Nutzung der Energiequellen Wasser und Wind durch, daß man auch von einer „ersten mechanischen Revolution" des Abendlandes gesprochen hat. 18 9
Militärtechnischen Entwicklungen entsprach der Wandel des Heerwesens. Wie Armbrüste durch Feuerwaffen abgelöst wurden, so traten schließlich Landsknechte an die Stelle früherer Ritterheere. 1 Der eingeschlagene Weg führte vom Ritter zum Soldaten.
DJe Revolution des Militärwesens
brust die wichtigste Distanzwaffe, sie hielt
Angreifer von Burgen, Städten und Schiffen fern. Der erste Einsatz einer Armbrust ist in einer chinesischen Quelle für das Jahr 341 v. Chr. belegt. Archäologische Funde sind zum Teil älter. Von den antiken chinesischen Arm brüsten blieben nur die bronzenen Abzugsvor richtungen erhalten. Die Griechen erfanden um 400 v. Chr. ein ähnliches, allerdings viel größeres Gerät: den Katapult. Doch gab es bereits im Altertum kleinere Geräte von Arm brustgröße. Frühmittelalterliche Armbrüste hatten eine Reichweite von ca. 100 m, dann übernahm die Armbrust das Prinzip des arabi schen Kompositbogens: Eine Verstärkungs schicht aus T iersehnen wurde über den Rand des Bogens gelegt, man erzielte so eine für damalige Verhältnisse beachtliche Reißfestigkeit. Solch eine Armbrust konnte nicht mit der Hand gespannt werden, man bediente sich eines Spannhakens und seit Anfang des 15.
D
as Militärwesen des Mittelalters hatte
Jahrhunderts auch eines Zahnspangengewin
zwei Aspekte: einen statischen (die
des mit einer Kurbel. Die Kompositarmbrust
Burg zur Sicherung des eigenen Territo
war leichter als die seit etwa 1400 gebaute
riums) und einen dynamischen (die Reiterei
Stahlarmbrust, schoß bei gleicher Spannung
zur
Die
weiter und war weniger bruchanfällig. In
Schlachten lösten sich häufig in Einzelkämpfe
Westeuropa lag der Bolzen gewöhnlich in
Eroberung
fremder
Territorien).
auf, die nach Turnierregeln geführt wurden. Es
einer Rinne, östlich des Rheins auf einem
kam darauf an, möglichst viele ritterliche
ausgekehlten Beinplättchen.
Gefangene zu machen, um sie gegen ein Lösegeld oder eine Burg einzutauschen, deren
Die Bolzen wurden mit der Spitze nach
Erstürmung als zu schwierig oder zu verlust
oben im Köcher rechts am Gürtel getra
reich erschien.
gen,
und
mit
Hobelmaschinen
Massenproduktion
hergestellt.
in
Zwi
Diese Taktik änderte sich mit dem Aufkom
schen 1233 und 1293 produzierte die
men neuer Waffen. Die Ritter und Reisigen
Familie MALEMORT im Wald von Dean
schützten sich mit Helmen, Kettenhemden,
(England) fast eine Million Bolzen.
Spangenharnischen und schließlich mit Plat
Die Befehlshaber der Festung Calais
tenpanzern, Arm- und Beinschienen sowie
kauften Bolzen jeweils in Stückzahlen
einem Schild. Einige Originalwaffen blieben
bis zu 20 000! Versuche im Wind
erhalten (zum Beispiel im Royal Scottish
kanal haben heute ergeben, daß die
Museum, Edinburgh; im Bayerischen Natio nalmuseum, München, und in der Rüstkam
Armbrustbolzen
von 250
m
eine
Reichweite
bei einer Anfangsge
mer der Churburg, Südtirol); andere kennen
schwindigkeit von 80 m pro Sekun
wir von zeitgenössischen Miniaturen und
de hatten. Die Durchschlagskraft ent
Grabmälern der Adligen, einige wurden bei
sprach der eines lnfanteriegewehrs des
Ausgrabungen gefunden. An der Heimzier (Kronen, Federn), dem Zierat des Waffen rocks und an den bemalten Schilden konnte man die Kämpfer unterscheiden und identifi zieren - ähnlich wie heute Autos an ihren Kennzeichen, um einen Vergleich zu wählen. Die Heere der Städte kämpften überwiegend zu Fuß. Die Kriegsknechte und die kämpfen den Bürger besaßen meist nur einen Brusthar nisch und einen Eisenhut, von dem es ver
schiedene lokale Varianten gab. Vom 11. Jahrhundert an bis zum Aufkommen wir kungsvoller 190
Feuerwaffen
war
die
Arm-
Reiterharnisch (sogenannter Küraß). Je größer die Durchschlagskraft der Armbrust Geschosse, desto schwerer die Panzer, mit denen sich die Ritter vor derartigen Geschossen zu schützen suchten. Zwangsläufig wurden die Träger derartiger Rüstungen immer unbeweglicher, und auch die bedauernswerten Pferde dieser Ritter hatten immer größere Lasten zu schleppen. Gegen Feuerwaffen halfen aber nicht einmal derartige eiserne ,Schutzbekleidungen".
Die Armbrust Die Armbrust ist eine Fern waffe, die sich aus dem Bo gen entwickelt hat. Der Bo gen konnte aus Holz, Horn oder Stahl sein, die Sehne bildete eine Flechtschnur aus tierischen oder pflanzli chen Stoffen, und die Säule war aus Holz. Die Sehne der Armbrust spannte man von Hand oder durch einen Spannhaken. Als wirksame re Spannvorrichtung setzte sich schließlich auch die Kur beiwinde durch. Die Ge schosse der Armbrust waren Pfeile, Bolzen oder Kugeln. Die Armbrust trat mit der Ent wicklung der Handfeuerwaf fen in den Hintergrund. Ihr allmähliches Verschwin den aus dem Kriegshand werk lag weniger an man gelnder Durchschlagskraft, sondern mehr an ihrer auf wendigen darum und schwerfälligen Bedienung.
Fensterbilddarstellung einer Armbrust.
Armbrust mit Kurbeiwinde.
19. Jahrhunderts. Um sich dagegen zu schüt zen, trugen die Ritter Plattenpanzer, in denen sie so langsam und unbeweglich wurden, daß einfache Fußsoldaten sie mit Stangenwaffen angreifen und besiegen konnten. LEONARDO
DA
V 1Nc 1 experimentierte mit der
Armbrust und entdeckte dabei Gesetzmäßig keiten, die noch heute für die Luft- und Raumfahrt von Bedeutung sind. Für Belage
" Die Entwicklung der Armbrust ist eine watlentechnische Evolution gewesen, die Entwicklung der Feuerwaffen dagegen eine Revolution "
stammt aus dem Besitz des Raubritters H ART CRONENBERG, der von seiner Burg Tannenberg bei Frankfurt aus jahrelang die
MUD voN
Kaufleute überfallen und ausgeraubt hatte, bis die Truppen König W ENZELS zusammen mit denen der Stadt die Burg 1399 stürmten. Bei Ausgrabungen des Jahres 1847 fand man im Schutt das Rohr einer Handbüchse von 32 cm Länge und einem Kaliber von ca. 1,43 cm. Solche Rohre waren auf einem hölzernen
rungen gab es wie auch im Altertum große
Schaft, ähnlich einer Armbrust, montiert. Die
steinschleudernde
geraden Schäftungen wurden wie Armbrüste
Wurfmaschinen, die beson ders von den Byzantinern gebaut und nach
an die Wange gelegt, der Rückstoß traf so nicht die Schulter, sondern verpuffte ins Leere.
den Kreuzzügen auch in West- und Mitteleu
funktionieren bekanntlich nach dem Rück
ropa eingesetzt wurden.
stoßprinzip, die Kugeln der Kanonen und
Da sich die Bleikugeln beim Laden verform
Gewehre werden dagegen durch Überdruck
ten, wirkten sie wie Dumdum-Geschosse.
Die ersten Feuerwaffen übernahmen von den
aus einem Rohr geschleudert, Sektkorken
Selbst Streifschüsse konnten Arme oder Beine
Armbrüsten Konstruktionselemente wie die
einer Flasche gleich. Vermutlich erfolgte die
abreißen. Die gebräuchlichsten
Abzugsstangen und die Anschlagart. Die älte
Erfindung, als Alchimisten explosive Stoffe
ste Abbildung einer Kanone im Milimete Manuskript von 1326 zeigt ein flaschenförmi ges Rohr auf einer tischartigen Lade; aus der
im Mörser mischten und ihnen der Stößel
Handfeuer waffen des 15. und frühen 16. Jahrhunderts waren Hakenbüchsen mit Luntenschnapp
durch den Explosionsdruck aus der Hand
schloß, bei denen ein unter Federspannung
geschleudert wurde. Nun mußte man nur
stehender Hahn in die Pfanne schlug. Davor
Mündung kommt keine Kugel, sondern ein
noch dem Metallgefäß eine Form geben, die
verwendete man einfache Schlösser mit einge
großer Armbrustbolzen. Das älteste erhaltene
geeignet war, ein Geschoß in eine bestimmte
klemmter Lunte.
Geschützrohr
Richtung zu schleudern, und die revolutionäre
(Naturhistorisches Museum,
Stockholm) hat die gleiche Form.
Erfindung des Schwarzpulvers war perfekt. -
Militärische Handbücher wie der
Am einfachsten waren
von KONRAD K YESER (1402) enthalten zahlrei
Mörser-Geschütze zu
Bel/ifortis
Die Chinesen kannten schon im Altertum
bauen. Aber bald gab es auch Handfeuerwaf
che Vorschläge für
Schwarzpulver als Antriebsmittel für Rake ten, die nicht nur für das Feuerwerk, sondern auch als Brandsätze gebaut wurden. Raketen
fen. Die älteste datierbare ist ein Bronzerohr
Kriegsgerät. Allerdings ist unklar, inwieweit
Feuerwaffen und anderes
(mit der Inventarnummer W 2034 im Germa nischen Nationalmuseum, Nürnberg). Es
diese der gängigen Praxis entsprachen oder vielmehr theoretische Konstruktionen waren wie 191
Wie andere Militäringenieure seiner Zeit spielte Leonardo da Vinci mit der Möglichkeit von Panzerwagen mit Hand antrieb, nicht zu reden von rotierenden Sensen, vor einem von Pferden gezogenen Wagen angebracht, um den Feind niederzumähen. Man beginnt zu verstehen, wie kräftig der alte Mythos von unbegrenzter Macht in der Neuzeit wiedererwachte. (Lewis Mumford) Die große Bombarde von Steier (15. Jh.). auch die meisten der von LEONARDO DA V1Nc1 erfundenen Kriegsmaschinen, welche mit den damaligen technischen Mitteln nicht zu reali sieren waren oder schlicht nicht funktionier ten. Es gibt eindrucksvolle Nachbauten sol cher Geräte. Auf umstrittene Angaben über die Leistungsfähigkeit der mittelalterlichen
Aus den ersten Pulvergeschützen entwickelten sich bald auch großkalibrige schwerfällige Rohre. Sie bestanden aus der Flug- sowie der Pulverkammer. Da die wirksame Reichweite solcher Geschütze recht gering war, mußte man möglichst nahe an die Befestigung herangehen.
Bis zur Herausbildung der Stehenden Heere des Absolutismus bestimmten sie hüben wie drüben das Kriegsgeschehen. Der Lands knecht stellte die besoldete Infanterie dar, an deren Spitze sich der Kriegsherr einen tüchti gen Feldhauptmann wünschte. Ihre Stoßkraft auf dem Schlachtfeld war der berittener Va
Feuerwaffen wollen wir hier nicht näher
sallenscharen früherer Zeit weit überlegen.
eingehen. Worauf es ankommt, ist die gesell
Die Unbotmäßigkeit und Disziplinlosigkeit
schaftliche Wirkung: Die Ritter waren in
Volk anzuwerben. In Stadt und Land wurde
der Landsknechtsheere ist später sprichwört
ihren Burgen nicht mehr sicher, Städte und
alsdann die Werbetrommel gerührt, die Söld
lich geworden. Sie hin letztlich damit zusam
Territorialherren konnten diese mit Geschüt
linge hatten sich an Ort und Tag den kaiserli
men, daß der Kriegsherr selten imstande war,
zen zerstören. Mächtig war nur noch, wer
chen Musterherren zu stellen... MAXIMILIAN
seinen
Heere und Ge
ließ also eingeborene Kriegsleute anwerben,
»Sold« pünktlich zu zahlen, nachkommen
schützmeister in
im Solddienst stehende Landeskinder, die
konnte. Oft waren Abzüge im Spiel sowie
seinen Diensten halten
Landsknechte. So rüstete er für seinen Krieg
Betrügereien des Feldhauptmanns und ande
und bezahlen konnte. So be
in Flandern und Burgund.
rer an der Tagesordnung.
gann das Zeitalter der Landsknechte.
g
Vertragspflichten,
das
heißt,
den
... � ·
Der Adel mußte sich mit dem Landesherrn oder den Städten arrangieren, selbst in Solddienst gehen oder auf dem Lande in ärmlichen Verhältnissen leben. Deshalb auch sollten sich später einige Ritter den Bauern aufständen anschließen. Die Söldnerheere mit ihren Landsknechtshau fen begannen sich schon im 13. und 14. Jahrhundert durchzusetzen. Der Landsknecht - das war der gemietete Söldner zu Fuß und zu Roß. Der Kriegsdienst leitete sich nicht aus dem Rechtstitel der Lehnspflicht ab. Vielmehr beruhte der Söldnerdienst auf einem Vertrag: Der Kriegsherr hatte den Sold zu entrichten, der Söldner den Kriegsdienst. Den entschiedenen Neuaufbau des Heereswe sens betrieb Kaiser MAXIMILIAN 1. Er erteilte bewährten Heeresführern im Range eines Obersten den Auftrag, eine bestimmte Anzahl 192
Schießprügel. Eine der frühesten Vorformen heutiger Feuerwaffen waren sogenannte .Schießprügel' wie das hier abgebildete Feuerrohr, dessen einfache Bedienungsweise die Abbildung zeigt. Wegen des Rückstoßes mußte es mit dem Stock fest auf den Boden gestemmt werden.
Mittelalterliches Wis.5en war Buchwissen. Das ursprüngliche Bildungsmonopol der Geistlichkeit wurde schließlich durch den Bildungsdrang der Bürger gebrochen. Juden 1 konnten fast ausnahmslos lesen und schreiben.
1 De
Nach
den Klosterschulen
entstanden
die
Domschulen, die einer Bischofskirche ange
schlossen waren. Der Ruf eines berühmten Lehrers zog Schüler aus nah und fern an, und sie folgten ihm, wenn er an eine andere Schule ging. Da Latein die Unterrichtssprache war, spielten Sprach- und Staatsgrenzen keine Rol le. Es gab nur eine gesamteuropäische Bil dung. Im 11. und 12. Jahrhundert waren die
Ausbreitung der Bildung
Bologna und die Medizinschule von Salerno,
m frühen Mittelalter waren die Klöster die
barkeiten. Die Kleriker wurden zu Beratern
welche die Studenten aus ganz Europa anzo
einzigen Bildungsanstalten. Im Frühmit
der Könige und Kaiser, als Erzieher am Hofe
gen. Beide standen mit einer Kathedrale in
telalter bewahrten sie allein die Evange
schufen sie die höfischen Umgangsformen der
Verbindung. Die Studenten der Rechtswis
lien und die Reste der antiken Bildung. Nur
»civilitas«. In den Schreibstuben der Kloster
senschaften schlossen sich in
dort wurden Lehrer, Schreiber und Diploma
bibliotheken wurden die Handschriften ko
(Zünften) und landsmannschaftlichen Grup
ten ausgebildet. „Bücher" waren seltene Kost-
piert und mit Miniaturen verziert.
1
Schulen von Paris am angesehensten. Im 13.
Jahrhundert organisierten sich dort die Scho laren und Magister zu einer zunftähnlichen
Gemeinschaft, der »universitas magistrorum et scholarium«, daher das Wort „Universität"
für eine Stätte höherer Bildung. Vorlesungen fanden in den Häusern der Professoren, in Klöstern oder auf öffentlichen Plätzen statt. In Italien entstanden die Rechtsschule von
„
Universitäten"
pen (nationes) zusammen. Sie wurden im 13. Jahrhundert auf zwei beschränkt: die »cis montani« für die Italiener und die »ultramon tani« für die Ausländer. An den Universitäten
konnte man die Grade des Baccalaureus, Magisters, Lizentiaten und Doktors erwerben.
Ein abgeschlossenes Studium dauerte 8 bis 10 Jahre und war sehr teuer. Wer Doktor der Theologie werden wollte, brauchte noch län
gere Zeit. Allerdings gaben die älteren Studen ten auch Unterricht. Die Scholaren stammten überwiegend aus dem Adel und den Patrizier familien, aber es gab auch Stipendien.
Priester mit Brille. Wenn man davon ausgeht, daß Sehstörungen als altersbedingte Verschleißerscheinungen etwa im Alter von 45 Jahren einsetzen, verlängerte die Erfindung der Augengläser die Zeit uneingeschränkter geistiger Aktivität um ungefähr 15 Jahre. Dies bleibt eine beachtenswerte Tatsache, wenn auch die Ansicht mancher Gelehrter, durch das Brillentragen habe eine gestiegene Zahl der Leser zum geistigen Aufschwung der sich ankündigenden Renaissance beigetragen, möglicherweise etwas übertrieben ist. Im übrigen war die Fähigkeit, Sehhilfen für Sehbehinderte zu schaffen, nur der erste Schritt auf einem Wege, der über den Schliff immer besserer Linsen und deren Kombination schließlich zur Schaffung moderner Teleskope führte. - Unser Bild zeigt einen Ausschnitt aus dem Van-der-Paele-Altar des Jan van Eyck (um 1438). 193
Frauen lernten Lesen und Schreiben und etwas Latein. So heißt es zum Beispiel von
(t 1179),
HILDEGARD VON BINGEN
nichts gelernt als den Psalter,
„sie habe
wie es bei
adligen Mädchen üblich war". Nur wenige hochgebildete Frauen sind bezeugt, so zum Beispiel Königin JUDITH voN BöHMEN (t 1140). Die Laienbildung wurde gefördert durch die Ausbreitung der höfischen Kultur sowie deren Einfluß auf das reiche Stadtbürgertum, zuerst übrigens in Frankreich. Gebildete Adli ge waren gewöhnlich jüngere Söhne, die in
Hof der Universität Krakau. Im Jahre 1364 wurde sie gegründet. Es war die Zeit Kasimirs III„ des Großen (1333-1370). Die Universitätsgründung ist als Teil seiner inneren Reformen des Landes ausbaus zu verstehen. Das Bild zeig!Teile des erhaltenen gotischen Zie gelbaus mit Arkadenhof.
Wachstafel aus der Lübecker Stadtschule. Zu Beginn der Reforma tion-also um 1517konnten etwa zwei bis sechs Prozent aller Deutschen lesen und schreiben. Als Lernmittel dienten unter anderem die hier abgebildeten Wachstafeln, auf denen die Kinder ihre ersten Buchstaben malten.
einem Kloster erzogen wurden, um Kleriker zu werden. Beim Tode ihrer Brüder traten sie als Erben in den Laienstand zurück (zum Beispiel
der
SACHSEN).
Pfalzgraf
Der
FRIEDRICH
entscheidende
voN
n.
Schritt
zur
Schriftlichkeit war die Einrichtung von Kanz leien an den Fürstenhöfen seit der Mitte des 12. Jahrhunderts. Auch die Städte richteten eine Verwaltung ein. Im letzten Jahrzehnt des
13.
Jahrhunderts gingen die fürstlichen und städti schen
Kanzleien
allmählich
dazu
über,
deutschsprachige Urkunden auszufertigen. In Straßburg war der Stadtschreiber HESSE (Leiter der Kanzlei von
1230-40) ein respek
tierter Kenner und Kritiker der Literatur.
194
Die ersten Universitäten in Europa (1000) (1065) (1119) (1163) (1175) (1218) (1222) (1224) (1229) (1229) (1253)
Salerno Parma Bologna Oxford Modena Salamanca Padua Neapel Cambridge Toulouse Paris
(1290) (1303) (1348) (1364) (1365) (1386) (1388) (1389) (1392) (1402) (1409)
Coimbra Avignon Prag Krakau Wien Heidelberg Köln Budapest Erfurt Würzburg Leipzig
Im 15. Jahrhundert kamen zahlreiche Neu gründungen hinzu.
Ratsschreiber waren in einigen Städten auch die Leiter der städtischen Elementarschulen (in Lübeck und Hamburg im späten Jahrhundert bezeugt, in Braunschweig im
13. 15.
Jahrhundert). Sie nahmen auch Mädchen auf und konkurrierten mit den Pfarrschulen (La teinschulen). Die Schüler lernten Latein, Deutsch und Rechnen. Bei Ausgrabungen in Lübeck fand man beschriebene Wachstafeln mit lateinischen Schreibübungen, Griffel und Tintenfässer aus der Zeit um
1390.
städtischen Schreib- und Leseschulen des
Die
15.
Jahrhunderts waren billiger als die kirchli chen. Sie nahmen mehr Kinder auf und unterrichteten in deutscher Sprache. Die Bür gerkinder mußten Schulgeld zahlen. Neben den von der Kirche und vom Rat geführten Schulen gab es „Klipp "- und „ Winkel"-Schu len für Kinder einfacherer Schichten. Eine der ältesten uns bekannten Fibeln in deutscher Sprache stammt aus dem Besitz des Augsbur ger Kaufmanns CLAUS SrAuN, entstanden in den Jahren
1486-93.
Das verbreitetste Ele
mentarbuch war die lateinische Grammatik des AEuus DoNArus aus dem vierten nach christlichen Jahrhundert. Von ihr ist bis etwa
1500
die kaum glaubhafte Zahl von
Ausgaben nachweisbar.
355
Aushängeschild eines Schulmeisters. Neben die traditionelle Klosterschule trat im Spätmittelalter die für Laien offene Pfarrschule (Lateinschule) und schließlich die meist private ,deutsche" Schule mit der Unterrichtssprache Deutsch. Das Bild zeigt die Werbetafel einer solchen privaten Schule zu Basel aus dem Jahre 1516.
lllrr )rmanbt �ir brr grrn wrlr lrfürn llittfd} fmribm unb larm ufi brm allrr Mrl3illrn grJtnllt ()m 1nnan rrtrml\m tum i)o �uni)._ rin lrin brr uor mt rin lnidJlinbm han ·mr IDf!O. �urt)iidJ unb baltJ brsrtffm rin grJJDb r bo ilurdJ rr mau u011 1m OOl!l lrmm fin fdJulil ulf fdJmlI vub Uünn:mb Wrl' m nit grlrmm lian so unorfdJilkt wrrr i:>m will ldJ uiii nllt unb urrg:bm girrt �abm unb g�n uon jm 3u lon nniim rt fig wrr n wrlt burwr obT �annurrdl& or frllm fumwm UUb )Undlfiouwm Wrr fm brbmf brr m bar JD·ltr \Uil'I' brinufütj lJint uiii rin JiptlidJm Ion· abrr lrir mnif l\uabi unb mritlin nodJ brn ftouwtftm \Uir grwonbrit ift J 5 J G ·
·
·
.·
rer und Studenten aus Paris und Prag abwan derten, - hier, weil der Papst von Avignon aus einen viel zu starken Einfluß ausübte, dort wegen der inzwischen ausgebrochenen Hussi tenunruhen. Grundlage der Studien waren die Artes libera les, die „Sieben Freien Künste" - bestehend
aus dem Trivium (Grammatik, Rhetorik und Logik) und dem Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie). Das Schwergewicht lag beim Trivium. An das Studium der Artes konnte sich der Besuch einer
höheren
Fakultät
anschließen.
Die
Theologie galt als die Königin der Wissen schaften. Die Heilige Schrift war mit einem riesigen Apparat von Kommentaren versehen, die alles Wissen in Einklang mit der biblischen Überlieferung bringen sollten. Am stärksten besucht war die juristische Fakultät, wo man überwiegend das kanonische Recht studierte.
"Mit den Universitäten begann in Europa ein Prozeß der Verweltlichung der Wissenschaften."
Alle Wissenschaft des Mittelalters war Buch wissenschaft, alles mußte durch Zitate belegt
Bildung im Prinzip auch „kleinen Leuten" zugänglich. Seit einsetzendem Spätmittelalter
und begründet werden. Im
begann man, das Wissen in Enzyklopädien
wurden in Spanien die in arabischer Überset
zusammenzufassen. Die bekannteste („Spe
zung bewahrten Schriften des ARISTOTELES ins
12.
Jahrhundert
culum maius") ist das Werk des Dominika
Lateinische übersetzt. Seine Gedankengänge
ners VINCENT DE BEAUVAIS (gestorben
waren den damaligen Klerikern so fremd, daß
1264).
1210
und
1215
den Lehrern der „Freien
In der Regel waren die Bürger mehr an
Universitätsbildung war im Späten Mittelalter
es
Bildung interessiert als der Adel. Die Juden
bereits die Voraussetzung für Karrieren in der
Künste" in Paris verboten wurde, Vorlesun
konnten fast ausnahmslos lesen und schrei
Verwaltung der Territorien und Städte. Im
gen über die Physik und Metaphysik des
ben. Die meisten Bücher befanden sich in
Jahre
ARISTOTELES zu halten. Erst mit T ttoMAS voN
1348
gründete Kaiser KARL 1v. die
Kloster-, Rats- und Pfarrbibliotheken. Zu den
Universität von Prag (die »Carolina«); in den
ältesten Bibliotheksgebäuden in Deutschland
folgenden Jahrzehnten wurden Universitäten
gehört jenes der Pfarrei St. Andreas in Braun
in Wien, Heidelberg, Köln, Erfurt, Leipzig,
Die mittelalterliche Hochschulbildung war
schweig. Nur wenige Bücher waren von der
Greifswald,
im
eine Kunst der Interpretation. Forschung und
Mitte des
Jahrhunderts an in privater
Breisgau, Ingolstadt, Trier, Tübingen und
Lehre bedienten sich der scholastischen Me
Hand, erst die gedruckten Bücher machten die
Mainz gegründet, als nämlich deutsche Leh-
15.
Rostock,
Basel,
Freiburg
AQ u IN änderte sich dies.
thode: Ein Text (bzw. ein Problem) wurde
vorgetragen und diskutiert. Die Naturwissen schaften wurden von metaphysischen und
magischen Denkweisen und Überzeugungen beherrscht, Experimente (z.B. der Alchemi
Hierarchie der Wissenschaften. Dem hierarchischen Weltbild des mittelalterlichen Menschen mit seinem „Oben" und ,Unten" entsprach auch die Vorstellung von einer Hierarchie der Wissenschaften, die dieser allegorischen Darstellung zugrunde liegt. Man erblickt eine Allegorie der Grammatik. Sie hält dem Schüler eine Tafel mit dem Alphabet entgegen und schließt ihm den Turm der Wissenschaft auf. In dessen untersten Geschossen erblickt man zwei Unterrichtsszenen. Darüber schauen Symbolfiguren der Logik, Rhetorik und Grammatik aus den Turmfenstern heraus. Über ihnen sieht man entsprechende Verkörperungen der Musik, der Astronomie und Geometrie, noch weiter oben hausen Physik und Ethik, und an alleroberster Stelle thront die T heologie.
sten) von den darauf gegründeten Erwartun
gen bestimmt. Die Mathematik stand der Logik nahe und wurde daher besonders ge schätzt. RooER BACON (um
1214-92)
sah in
Gemeinsamkeiten von mathematischen und 1
experimentellen Methoden den Schlüssel für die Naturwissenschaft. - Es liegt in der Natur der Sache, daß sich die Dombaumeister und alle anderen Handwerker gleichfalls von die sem Grundsatz leiten ließen: Sie stießen durch Versuch und Irrtum auf physikalische Gesetz mäßigkeiten. Übrigens wurden im wirtschaft lich hochentwickelten Norditalien die sozia len Schranken zwischen Künstlern, Ingenieu ren und Handwerkern in der Weise abgebaut,
daß alle voneinander lernen und profitieren konnten.
195
Inbrunst und Aberglaube, Frömmigkeit und Hysterie, intoleranter Dogmatismus und Almosen - im Spannungsfeld zwischen diesen Polen befand sich die Frömmigkeit des Mittelalters, eines Zeitalters, in dem ganz anders I noch als heute in allen Ländern Europas Religion ein Massenphänomen war.
DJe mittelalterliche Frömmigkeit
1
m Mittelalter versuchte man, die christli che Lehre zur Lebensnorm zu machen. Die Geistlichkeit war für die Interpreta
tion zuständig und geriet in Versuchung, ihre Autorität zum Selbstzweck zu machen und für nichtkirchliche Ambitionen auszunutzen. An dererseits trachteten weltliche Machthaber danach, kirchliche Institutionen und Personen zu Werkzeugen ihrer Interessen zu machen, sich also auf eine religiöse Autorität zu stüt zen. Ähnlich ist es noch heute in islamischen Ländern des Nahen Ostens.
Religion war eine kollektive Angelegenheit. Besondere Formen der Frömmigkeit bildeten sich bei den Pilgern, Wallfahrern, Mönchen,
Nonnen sowie religiösen Laiengruppen ( Bru „
derschaften") heraus. Einzelne Gruppen von Christen suchten den Weg zum Heil außer halb der kirchlichen Lehre und wurden als
Ketzer verfolgt. Seit der Spätantike pilgerten fromme Menschen nach Jerusalem und Rom; seit dem
10.
Jahrhundert auch nach Santiago
de Compostela zum Grab des Apostels Jaco bus d. Ä. Im
14. Jahrhundert entstanden viele
Wallfahrtsorte von regionaler Bedeutung. Seit dem 13. Jahrhundert gab es fast keinen wichtigen Ort in Europa ohne eine Niederlas sung der Bettelorden (Franziskaner, Domini kaner). Allein die Franziskaner hatten etwa
Weltgeschichte in mystisch-religiösem Gewand.
1500
196
200
Kustodien, die 34 Provinzen
zugeordnet waren. Für das Jahr
Die um 1400 entstandene Weltchronik des Heinrich von München orientiert sich in ihrer Darstellung der Reichsgeschichte an christlich-mystischen Vorstellungen, wie sie einst der Dichter Wolfram von Eschenbach (um 1170 bis vermutlich um 1220) u.a. in seinem späten Epos „Willehalm" zum Ausdruck gebracht hatte. Dessen Held befindet sich in einem ständigen Entscheidungskampf zwischen Christentum und Heidentum. Die Abbildung zeigt, wie Willehalm, der unerschrockene Glaubensstreiter, im Kampf um das Reich Christi Widerspenstige zum Gehorsam zwingt.
Ordensniederlassungen, zusammenge
faßt in
1297
wissen
wir von allein 600 Konventen der Dominika
ner. Die Geistlichen schlossen sich zu Bruder
schaften zusammen, die man Kalande nannte, weil sie sich jeweils am ersten Tag des Monats, den »Calendae«, versammelten. Sie widme ten sich der Armenfürsorge und der Unterstüt zung notleidender Amtsbrüder.
1344
Im Jahre
wurde in Berlin die „Kalandebrüder
schaft der vertriebenen Priester" gegründet. Sie unterstützte mittellose Geistliche und sorg te für ein würdiges Begräbnis. Bald war der
Berliner Kaland reich genug, um mit dem Rat der Stadt ins Pfandgeschäft zu kommen. Am Ende des Mittelalters besaß er einen ansehnli chen Hof mit einer Kapelle in der Nachbar schaft der Stadthäuser der Bischöfe von Bran denburg und von Lebus. In Lüneburg und ,._.,....,.a:... . .,..„�.;.;,� luU � fB1!" t8tlot8 n.lß..
� j,al}l a„ 11q1;:,;��� "'t'W-�f �-� 'lau!' rurf'!"11 .Juf�· �'"� ....„ .,.
::,�=�"�5 'f,li!'ib-��� .tC�� "4
tntrbil� -� tM>� .,.. tli io tn�f.... rc Gtfft!t mrfJdJtß; tvtl�ß &n>•fd>m M �tu6ifcbtn u�I> Ot(ttrm