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German Pages 660 [165] Year 2004
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.
WELTBILD
§
DIE DEUTSCHE GESCHICHTE
DIE DEUTSCHE GESCHICHTE
DIE DEUTSCHE GESCHICHTE ·
Band 1
I2. Jh.
V.
Chr.
WELTBILD
-
IJ47
Impressum Die vorliegende Buchausgabe basiert auf dem Begleitmaterial zu einer Fernsehreihe zur deutschen Geschichte des Wissenschaftsjournalisten Rüdiger Proske, die im Jahre 1989 bundesweit ausgestrahlt wurde. Das offizielle Begleitmaterial zur Sendereihe wurde unter der LeitungRüdiger Proskes sorgfältig zusammengestellt und mit zahlreichen interes santenAbbildungen und Zusatzinformationen attraktiv gestaltet. Die nunmehr vorliegendeAusgabe wurde um die neuesten Kapitel der deutschen Geschichte erweitert. Mitarbeiter: Wilhelma von Albert, Dr. Jochen Gaile, Mathias Forster,Anke Meyer, JosefNyary, Dr. Joachim Rehork, Volker Schütte, Michael
Schulte, Ingrid Schulze-Bidlingmaier, Dr. Gerhard Steinborn,Guido Thiemeyer, Bettina von Wedel, Dr. Christian Zentner Gestaltung: Lutz Kober, St. Goarshausen Organisation der Neuauflage: Michael Schmidt,Braunschweig Einbandgestaltung: Studio Höpfner-Thoma, München Einbandmotive: AKG, Berlin Gesamtherstellung: DruckereiAppl,Wemding
Printed inGermany ISBN 3- 8289-0413-0 Bildquellen: Aargauische Denkmalpflege 133*Archiv für Kunst undGeschichte l ;53;59;76 r., l.;77;83;89;94;98; l 06;112;119;126 u.;134 o.;140;144*Archiv Verlag 42 r.;99 r.;157 o.*BayerischesAmt für Denkmalpflege,Landeshut, München 27 u.*Bertelsmann Lexikothek Ver lag GmbH 88 l.* Bibliotheque Municipale, Dijon 82 o. * Bibliotheque Nationale, Paris 79 o. * Bildarchiv Foto Marburg 46;52 u.*Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz 13;14 o.;17;18;19 o.;21;22 o., 24;25 o., u.;29;36 o., u.;37 o.;38 o.;51 o., u.;54;57 l.;63;64;66 o.;73 l.;75;80; 84;86;90;91;95 u.;99 1.;101;104; l lOu.;116;121;124;1260.;127;139;151; l 57;u.;158; l59*BritishMuseum,London 85*Bürgerbi bliothek, Bern l 08, 110 o.* Eith Verlag, St.Goarshausen 93* Fotoagentur Schapowalow 45 o.; l 02; l03* Fotoarchiv Heinz Fröhlich 13 l u.*Ge meindeverwaltung Pforzen 8*Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg 95 o.*Erhard Hehl 82 u.;96 o.*Hofburg, Wien 71 l.* Interfoto, Mün chen 33 o.; 70 u.* Jürgens Photo, Köln 129*Rolf Kreuder, TannR / hön 50* Kulturamt Goslar 73 re. * Kultur- und Verkehrsamt V illingen 97* Kunsthistorisches Museum,Wien 68*LandbauamtRegensburg 141*Landesmuseum Johanneum, Graz IOo., u.*Landesmuseum Kärnten, Kla genfurt 11* Landeshauptarchiv Koblenz 128 u.;145;147 r.;149*Landesmuseum Stuttgart 9 o.* Landesmuseum Wien 12 l . o.* IngeborgLim mer, Bamberg 74*Leonard v.Matt, Buochs 45 u.*AnnMünchow,Aachen 61;76 m.*Museumsdorf Oerlinghausen 16* Niedersächsische Staats und Universitätsbibliothek, Göttingen 44*Rüdiger Proske, Hamburg 9 u.;12 r., o., r. m., u.;14 u.;15;20;28;37 u.;38 u.;43 o.;47;56;69;71 r.; 79 u.;88 r.; 92;96u.;107;111 u., o.;113;120; 122; 123;128 o.;130;131 o.;134 u.;135;136;137;138;142;150;152;153;156; 160*Lothar Ramm, Wolfsburg 155*Rheinisches Landesmuseum, Bonn 19 u.;40 l.;42 1. *Rheinisches Landesmuseum, Trier 30;32;33 u.*Römisch-Ger manisches Museum, Köln 43 u.* Saalburg Museum, Saalburg 26* Scala, Florenz 70 o.* Jerzy Sieczkowski, Gniezno 78* Toni Schneiders,Lin dau 39;40 r.;49;52 o.;55 u.;58;60* StaatlicheBildstelle Saarland, Saarbrücken 31 o.* Staatliche Münzsammlung, München 57 r.* Städt. Kur verwaltung Bad Gandersheim, 66 u.* Stadtverwaltung Iphofen 100* Süddeutscher Verlag,München 118* Universität Oldsaksaming, Oslo 62* Wagmüller,Regensburg 65*Westfälisches Museum für Archäologie, Münster 22 !.; 23;31 u.* Widukind Museum, Enger 55 o. Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild, Augsburg Copyright der aktualisiertenAusgabe© 2001 byArchiv Verlag GmbH, Braunschweig
2004 2003 2002 Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelleLizenzausgabe an.
Inhalt Zeittafel
6
Die Erneuerung des Kaiserreiches
71
Vorwort
7
Die Herrschaft der Kaiser über die Kirche
73
Die Anfänge bis zur Hallstattkultur
8
Das Weltbild des Hochmittelalters
75 78
Die Kelten
11
Der Investiturstreit
Die Anfänge im Norden
13
Im Zeichen des wirtschaftlichen und
Die Germanen
15
sozialen Wandels
81
Caesar am Rhein
18
Kreuzzüge und erste Judenpogrome
85
Die Schlacht im Teutoburger Wald
21
Adel und Rittertum
89
Die Geburt einer neuen Religion
24
Die Burgen im Hohen Mittelalter
93
Der Limes
26
Die Geburtsstunde der Städte
Das Leben im Schutze des Limes
29
im Mittelalter
Trier wird römische Kaiserstadt
32
Baukunst und Plastik der Stauferzeit
Die Völkerwanderung
35
Friedrich Barbarossa und
Das Reich Theoderichs des Großen
37
Heinrich der Löwe
97 101
104
Der Beginn des Frankenreiches
40
Heinrich VI. und die Krise
Die Folgen der Völkerwanderung
42
des Königtums
Die Christianisierung Germaniens
44
Die Anfänge der Inquisition
112
Die Geburt des Islam
47
Friedrich II. und das Ende der Stauferzeit
116
Auf dem Wege zum Reich Karls des Großen 50
Die Hanse
122
Karl der Große - Mehrer des Reiches
53
Der Deutsche Ritterorden
127
Die Verwaltung des Reiches
56
Die Anfänge der Habsburger
131
Die Kaiserkrönung
59
Die Geburtsstunde der Schweiz
135 139
Der Zerfall des karolingischen Reiches
62
Das Zeitalter der Gotik
Die ersten deutschen Könige
65
Der Kampf der mächtigen Familien
Die Abwehr der Ungarn Die Eroberung slawischen Landes
68
108
um das Königtum
144
KarlN.
153
Zeittafel 12.-8.Jh.v.Chr. Urnenfelderkultur
476
8.-5.Jh.v.Chr. Hallstattkultur ab 5.Jh.v.Chr.
Latenekultur in Mittelund Westeuropa im Siedlungsgebiet der Kelten
Odoaker König Italiens {Ende des Weströmisehen Reiches)
962
Kaiserkrönung Ottos I. in Rom
968
Gründung des Erzbistums Magdeburg, Slawenmission
482
Chlodwig begründet das Frankenreich
493-526
Theoderich der Große
973-983
Otto Il„ König und Kaiser
um400 v.Chr.
Große Keltenwanderung
558-561
Chlothar 1. vereint das Frankenreich
983-1002
Otto III„ König und Kaiser
387/86 v.Chr.
Plünderung Roms durch die Kelten
568-774
Langobardenreich in Norditalien
1002-1024
Heinrich II„ König und Kaiser
622
Flucht Mohammeds von Mekka nach Medina
1024-1125
732
Karl Martell siegt bei Tours und Poitiers über die Araber
Epoche der Fränkischen oder Salischen Könige und Kaiser
1033
Vereinigung des Königreichs Burgund (Arelat)
113-101 v.Chr. Kämpfe der Römer gegen die germanischen Kimbern und Teutonen 58-51 v.Chr.
Eroberung Galliens durch Caesar
55-53 v.Chr.
Caesar überquert zweimal den Rhein
ca.7 vor unserer Zeitrechnung 9 n.Chr.
um30
Geburt Jesu von Nazareth Schlacht im Teutoburger Wald. Der Cheruskerfürst Arminius besiegt ein römisches Heer unter Varus Kreuzestod Christi in Judäa; vermutlich im 15. Regierungsjahr des Kaisers Tiberius
zwischen 41-54
Trier (Augusta Treverorum) erhält italisches Stadtrecht
120-160
Ausbau des ca. 545 km langen obergermanischrätischen Limes
236
Goten erscheinen an der römischen Reichsgrenze an der unteren Donau
260
375
Die germanischen Alarnarmen überrennen den obergermanischen Limes Hunnen dringen über Wolga und Donau nach Westen vor (Beginn der »Völkerwanderung«)
406-409
Einbruch germanischer Stämme in Gallien und Spanien
451
Schlacht auf den Katalaunischen Feldern
6
751/752
Pippin der Kleine (Jüngere) erhebt sich zum König (Krönung 754 in Saint-Denis)
Synode von Sutri
1056-1106
Karl der Große, König und Kaiser
Heinrich IV„ König und Kaiser
1073/74
Aufstand der Sachsen
772-804
Sachsenkriege
1076
774
Karl erobert das Langobardenreich
Papst Gregor VIl. auf der Synode von Worms abgesetzt
789-796
Feldzüge gegen Slawen und Awaren
800
Karl zum Kaiser gekrönt
814-840
Ludwig der Fromme (816 von Papst Stephan IV. in Reims nochmals gekrönt).
843
Vertrag von Verdun. Kaiser Lothar I. erhält Italien und ein Gebiet nördlich der Alpen; Ludwig der Deutsche das Ostfrankenreich; Karl der Kahle das Westfrankenreich
843-911
Epoche der deutschen Karolinger
911
Konrad 1. von Franken wird auf deutschem Boden zum König gewählt
919-1024
Epoche der sächsischen Könige und Kaiser; Beginn der deutschen Reichsgeschichte (»regnum Teutonicorurn«)
955
Sieg Otto I. über die Ungarn bei Augsburg
Friedrich Il.
1220
Friedrich verleiht den geistlichen Reichsfürsten weitgehende landesherrliehe Rechte
1226
Goldene Bulle von Rimini; dem Deutschen Ritterorden wird das preußische »Heidenland« zugesprochen
seit 1235
Beginn des friihgotischen Stils in Deutschland (Beginn des Baus der Marburger Elisabethkirche)
1241
Deutsch-polnisches Heer von den Mongolen bei Liegnitz geschlagen, jedoch Rückzug der Mongolen
mit dem Deutschen Reich
1046
768-814
1212-1250
1254-1257
Rheinischer Städtebund
1254-1268
Ausgang des staufischen Kaiserhauses in Sizilien; der Staufer Konradin wird hingerichtet
1256-1273
Interregnum in Deutschland
1273-1291
König Rudolf I. von Habsburg
1282
Rudolfs Söhne werden mit Österreich belehnt
1291
»Ewiger Bund« der drei Waldorte Uri, Schwyz und Unterwalden
1077
Heinrich erscheint vor dem Papst als Büßer in Canossa
1122
Ende des Investiturstreites mit dem Wormser Konkordat
1125-1137
Lothar von Supplinburg (Lothar von Sachsen)
1138-1152
Konrad III„ der erste Staufer
seit Ende 13.Jh.
Entstehung der deutschen Hanse
1152-1190
Friedrich l. Barbarossa
1292-1298
Adolf von Nassau
1156
Heinrich der Löwe wird Herzog von Bayern
1298-1308
Albrecht 1. von Österreich
1158
Barbarossa kämpft gegen die lombardischen Städte
1308-1313
Heinrich VIl. von Luxemburg
ca.1170
Walther von der Vogelweide geboren (tnach 1229)
1314
1180-1181
Reichskrieg gegen Heinrich den Löwen
Doppelwahl infolge des Gegensatzes zwischen Habsburg und Luxemburg (Ludwig der ß. ayer und Friedrich von Osterreich)
1190
Barbarossa ertrinkt im Kalykadnos (Saleph)
1338
1190-1197
Heinrich VI.
Kurverein von Rhense; Absage an eine päpstliche Mitsprache bei der Königswahl
1209-1229
Die Albigenser-Kriege
1347-1378
Karl IV.
Vonvort
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egen jedwedes »kecke Antizipieren ei
spondierend zum Text und gleichwertig da
nes Weltplanes« (Jacob Burckhardt),
neben stehen reichhaltige und vielfältige illu
die »Salzburger Annalen« dann auch treffsi
strationen: Fotos, Grafiken, Skizzen und Kar
cher vom beginnenden »regnum Teutonico rum«, vom Königreich der Deutschen. Aus
wie es die mittelalterlich-christliche, die
herzog Heinrich zum König erheben, sprechen
neuzeitlich-rationalistische und schließlich die
ten. Sie unterstützen die Phantasie des Lesers,
historisch-materialistische Geschichtsschrei
erleichtern das Verständnis des Textes und
»deutsch« wird »Deutsch-Land«, d. h. die Bin
bung mit ihren jeweiligen Vorstellungen von
ermöglichen es, die in Geschichtsdarstellun
dung an politisch-geographische Räume mit
einer klaren Zielgerichtetheit des historischen
gen häufig zu einseitige Gewichtung auf die
vergleichsweise klar auszumachenden Gren
Prozesses betrieben, wandte sich im
politische Geschichte auszubalancieren: Die
zen. Die deutschen Könige und Kaiser hatten
hundert der sogenannte Historismus: Arbeits
Kunst, die Architektur, die Gegenstände des
die Nachfolge des (west-) römischen Kaiser
feld des Geschichtsforschers sei das Gestern,
täglichen Lebens eines Volkes lassen sich be
tums und des Reiches Karls des Großen ange
über das er so viel wie möglich in Erfahrung
sonders aufschlußreich durch einen großzügi
bringen müsse; es sei nicht seine Aufgabe, aus
treten. Aus der jahrhundertelangen Interessen
gen
19. Jahr
diesem Stoff auf die Zukunft zu schließen. Der
Bildteil
mit
ausführlichen
Bildunter
schriften vermitteln.
Historiker solle, schrieb der führende Reprä sentant dieser Denkschule, Leopold von Ran ke, schlicht und ergreifend »die Mär der Ge schichte« auffinden und untersuchen, »wie es eigentlich gewesen« sei: ein Anspruch, der wegen der naturgegebenen Zeitgebundenheit und Subjektivität des Wissenschaftlers niemals einzulösen sein wird, dem dennoch zu folgen
einheit zwischen Papst und Kaiser erwuchsen indes in der Folgezeit zunehmend Interessen konflikte um weltliche Machtpositionen. Ihr
Dieser erste Band aus der vierbändigen Reihe
Ringen um die Vormacht bestimmte das ganze
»Die Deutsche Geschichte« behandelt den Gang
Mittelalter; es endete mit der radikalen Schwä
der deutschen Geschichte von ihren prähistori
chung beider Institutionen.
schen Wurzeln und dem keltischen, germani schen und römischen Erbe über Christianisie
Dieser Band läßt die großen Gestalten, die
rung, Frankenherrschaft und die Blütezeit des
diesem Zeitalter den Stempel aufdrückten, wie
bis heute das Ethos des Historikers ausmacht.
römisch-deutschen Kaisertums im Hohen Mit
derauferstehen: Otto den Großen und Heinrich
telalter bis zur Epoche des Luxemburgers Karl
IV., den Papst Gregor VII. in den Staub von
IV. (1347 - 1378), der mit seiner hochherr
Canossa zwang, Friedrich 1. Barbarossa und
Diesem Ethos fühlt sich auch »Die Deutsche
schaftlichenMachtposition und seinem zugleich
den letzten Stauferkaiser Friedrich II., mit des
Geschichte« verpflichtet: darüber zu informie
modern anmutenden Politik- und Kulturver
sen Tod der Traum, wie im Altertum einen
ren, »wie es eigentlich gewesen ist«. Gleichzei
ständnis vor der Schwelle einer sich
zentral beherrschten Kosmos herzustellen, end
tig möchte sie dem Leser »die Mär der (deut
rischen Horizont abzeichnenden »neuen Zeit«
schen) Geschichte« zum Erlebnis machen;
gültig begraben werden mußte. Doch trotz des
steht.
Dualismus zwischen Papst und Kirche, trotz
Ist es für die »alten Zeiten« von den Anfängen
noch als eine einheitliche Welt zu verstehen,
am
histo
Grundprinzip der Darstellung ist es, in leicht verständlicher Form und spannender Darstel lungsweise über die wichtigsten Entwicklun gen und Ereignisse zu berichten. Der zusätzli chen Information dienen Zeitzeugnisse, Histo rikerurteile, Randnotizen, enzyklopädische Stichworte und vom Kontext abgehobene, in sich geschlossene Streiflichter auf besondere Aspekte des historischen Geschehens. Korre-
des Scheiterns der Reichsidee ist das Mittelalter
(t 814) etwas gewagt,
deren Bild in den verschiedenen Ausdrucksfor
von »deutscher Geschichte« zu sprechen, so
men menschlichen Geistes wiederzufinden ist;
entstand etwa 100 Jahre nach dem Tod Karls
in der Baukunst, der Malerei, der Dichtung, im
bis zu Karl dem Großen
dann tatsächlich eine deutsche Geschichte im
Handel und Gewerbe und im beginnenden
engeren Wortsinn: das Reich der Ottonen. Zum
Städtebau, womit das Bürgertum seine wach
Fürsten der Franken und Sachsen den Sachsen-
Epoche einleitet.
Jahre
919, als die in Fritzlar versammelten
sende Bedeutung untermauert und eine neue
7
Der erste Mensch, dessen Existenz auf deutschem Boden bezeugt ist, konnte von Deutschland noch 1 illchtcinmfilträumen.
D1e Anfange bis zur Hallstattkultur
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Auftreten des Homo Heidelbergensis.
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Auftreten des Neandertalers (Verbreitung bis nach Asien und Afrika).
„ o= 00 0 :!! in III
der Ortschaft Mauer unweit von Heidelberg
Menschen- und Kulturfunde auf deutschem
entdeckte und dessen Zeitgenossen Quarzit
Boden, ob es sich (um nur die wichtigsten zu
1952
am
Deutschen noch weit entfernt. Dies gilt auch
nennen) um das erste Neandertalerskelett handelt, das im August
Auftreten des Cro-MagnonMenschen (Typus des frühen Homo sapiens sapiens).
Kulturstufe des Magdalenien in Westeuropa (nach der Fundstätte La Madeleine, bis ca. 10 000 v. Chr.).
300 000 Jahre alten Urmen 1969 bei der kleinen Bilzingsleben, 45 Kilometer nörd
1856 in der „Kleinen Neandertal zwischen
Auch die rund
Erkrath und Mettmann (östlich von Düssel
schen, deren Reste
dorf) gefunden wurde, ob um das etwa
100 000
bis
50 000 Jahre alte eiszeitliche Salzgitter-Lebenstedt (gefun
lich von Erfurt, ans Licht kamen, ahnten von
Jägerlager von
Deutschland noch nichts. Dem Jetztzeitmen
den
schen näher war der Schädel, auf den man
Fundstätte
1933
in Steinheim an der Murr stieß.
1952),
ob um die jung-altsteinzeitliche
Fe/dkirchen-Gönnersdorf
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" .„aus dem Dunkel der Geschichte tauchen Menschen auf"
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Rentierjäger von
Ahrensburg (nordöstlich 10 000 Jahren
erstmals nachweislich Bogen und Pfeile als Jagdwaffe benutzten.
Beginn der Bandkeramik (älteste Kultur der Jungsteinzeit in Mittelund Südeuropa).
Beginn der Megalithkultur in Westeuropa, Skandinavien, Norddeutschland.
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8
Einwanderung der indogermanischen Frühgriechen auf dem griechischen Festland. „Ältere Palastzeit" der Minoischen Kultur auf Kreta. Beginn der Bronzezeit in Europa.
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von Hamburg), die vor rund
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12000
oder um die unmittelbar nacheiszeitlichen
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(Neu
wied) mit ihren Tausenden end-altsteinzeitli cher Kunstwerke (vor etwa
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noch für eine lange Reihe prähistorischer
Ortschaft
00 0•111 lt) äi C') Q.
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gen des Neckar-Nebenflüßchens Elsenz bei
Feldhofer Grotte" im
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„alten Germanen" und vollends von den
terkiefer man
Morsumkliff auf der Insel Sylt fand.
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500 000 Jahren. Wir Urmenschen, dessen Un 1907 in den Ablagerun
Doch auch diese Menschen waren von den
meinen jenen
werkzeuge hinterließen, die man
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r lebte vor rund
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Europa bis zum Erscheinen unserer Vorfahren
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Grabhügelfeld aus der Urnenfelderzeit (bei Rieden, Landkreis Ostallgäu).
Ein Phänomen besonderer Art bildete das Vordringen des sogenannten
„
Schnurkera
mik-Streitaxt-Einzelgrabkomplexes",
mit
dem die Einführung von Pferd und Wagen
Europa bis zum Erscheinen unserer Vorfahren
Hand in Hand ging, - dies in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts v. Chr.. Unter „Schnurkeramik" versteht man eine Tonware, die man vor dem Brand mit Abdrücken geflochtener Schnüre verzierte. Viele moder
„Jüngere Palastzeit" der Minoischen Kultur auf Kreta. Beginn der Mykenischen Kultur (bis ca. 1 200 v. Chr.).
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!:
ne Gelehrte schreiben die Kulturen dieses „Schnurkeramischen Kreises", wie man auch sagt, den Indogermanen (oder besser: „Indo europäern") zu - den ältesten Vertretern einer Sprachengruppe, zu der auch das Deutsche
Knossos auf Kreta durch Mykene besetzt. Zerstörung der minoischen Kultur.
gehört. Die weite Verbreitung der Schnur keramik deutet darauf hin, daß auch im Euro pa der Jungsteinzeit große Völkerwanderun
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Zerstörung Trojas in Kleinasien.
gen stattfanden.
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Beliebt ist zur Zeit die T hese, die „Schnurkera
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miker" seien gewissermaßen der „harte Kern"
!
der Indogermanen (Indoeuropäer) gewesen, ein Reitervolk, das sich - womöglich in mehreren Wellen - von Osten nach Westen ausgebreitet, die einheimische, vor-indoger
Einwanderung der Dorer und Ionier nach Griechenland und Kleinasien.
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manische Bevölkerung überlagert und sich mit
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ihr vermischt habe. So seien auf dem nördli
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chen Balkan, bzw. im Donauraum, die Illy
rier, in Böhmen, Bayern, Baden und Ostfrank Krieger von Hirschlanden. Am Fuße eines Grabhügels der Stadt Ditzingen (Kreis Ludwigsburg) wurde dieser männliche Torso aus Kalkstein gefunden. Er stellt eine der ältesten Zeugnisse der Großplastik aus der Hallstattzeit nördlich der Alpen dar. Landesmuseum Stuttgart.
reich die Kelten, östlich der Weichsel die
Slawen sowie an Nord- und Ostsee, desglei chen in Skandinavien, die Germanen entstan den. - Immerhin, auf jeden Fall hatten - und
Beginn der Villanova-Kultur in Mittel- und Oberitalien (bis etwa v. Chr.). Die Dorer gründen Sparta.
450
dies geht aus Grabfunden hervor - die Träger der
Schnurkeramik-Kulturen
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länglichere
Schädel als beispielsweise die zuvor in Nord-
Einwanderung der Etrusker nach Italien (Kerngebiet: Mittelitalien).
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!: 776: erste Olympiade. 753: Gründung Roms (traditionelles Datum). Entstehung der Epen llias und Odyssee.
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624:
Drakonische Gesetzgebung in Athen.
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!: Solon Gesetzgeber in Athen. Tyrannis des Peisistratos in Athen
(561 /60).
Herrschaft etruskischer Könige in Rom.
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!
Staffelberg bei Staffelstein. Hochplateau im Frankenland; besiedelt und befestigt um 2500v. Chr. 9
Bronzehelm und Panzer aus Klein-Klein in der Steiermark. Sie schützten einen Krieger des 6. Jahrhunderts v. Chr. vor gegnerischen Schlägen. Landesmuseum Johanneum, Graz.
deutschland
ansass1gen
Großsteingrab-Er
bauer, was allerdings darauf hindeutet, daß hier ein neues Volk eingedrungen sein könnte. Auch die ersten Bewohner des Staffelberges bei Staffelstein (Oberfranken) waren Men schen der Jungsteinzeit.
" Die größte technologische Leistung in der Hallstattzeit war die Einführung des Eisens als Nutzmetall "
Als sich die Schnurkeramik im nachmals deutschen Raum ausbreitete, trieb man hier schon seit etwa 5 000 v.Chr. Landwirtschaft, schuf Gebrauchskeramik, war seßhaft gewor den und fertigte hervorragende Werkzeuge aus geschliffenem Stein. Man befand sich mitten im Neolithikum (Jungsteinzeit). Im Gegensatz zu älteren Jungsteinzeit-Kulturen, die im Laufe ihrer Entwicklung ab etwa 4 000 v.Chr. dazu übergegangen waren, Megalith gräber (Großsteingräber, „Hünengräber") zu errichten, bestatteten die „Schnurkeramiker"
Kultwagen aus Strettweg in der Steiermark (6. Jh. v. Chr.). Auf Wagen bestatteten die Hallstatt-Leute auch ihre toten Fürsten. Der Kultwagen trägt auf einer in Höhe der Achsen angebrachten Platte eine Figurengruppe. Diese Kultwagen, deren Vorkommen in der Urnenfelder- und Hallstattzeit sehr verbreitet war, standen zumeist mit dem Totenkult in Verbindung.
ihre Toten einzeln. Doch wie man die Toten auch bettete - bis zur Mittleren Bronzezeit blieb man bei der Sitte der Körperbestattung. Erst in der Spätbronzezeit (ab dem
13.
Jh. v.Chr.) setzten sich Brandbestattungen und die Beisetzungen der Urnen auf ausge dehnten „Urnenfeldern" durch. Die Urnenfelder-Leute" (wer auch immer sie „
waren) trieben bereits Bergbau - so in Mühl bach-Bischofshofen in Österreich (Kupfer) und möglicherweise auch schon im gleichfalls österreichischen Salzkammergut (Hallstatt, Salz). In Hallstatt konservierte das Salz der Bergwerksstollen
Arbeitsgeräte,
Taschen,
Kappen, Fackeln - ja, vereinzelt sogar die Leichen verunglückter Bergleute. Hallstatt mit seinem vorgeschichtlichen Bergwerk und sei nem riesigen Gräberfeld ist aber nicht nur eine wichtige Fundstätte der spätbronzezeitlichen Urnenfelderkultur (etwa 12.-8. Jh. v.Chr.), sondern auch der früheisenzeitlichen Hall stattkultur (ca. 8.-5. Jh. v. Chr.). Man hat diese Kultur in einen Ost- und Westkreis geteilt. Hallstatt selbst liegt an der Grenze beider. Der Hallstatt-Westkreis um faßte Böhmen, das Donaugebiet, die Nordal pen,
Süd-
und
Südwestdeutschland,
die
Schweiz und Ostfrankreich. Zu seinen Merk malen gehören Ringwall-Anlagen und teil weise mit prächtigen Beigaben ausgestattete Fürstengräber
(„Hohmichele",
„Klein-As
pergle" oder das Grab von Hochdorf bei Schwieberdingen). Die Toten lagen hier in hölzernen Grabkammern. Träger des westli chen Hallstatt-Kulturkreises waren - zumin dest dürfte dies für die letzte, jüngste Hallstatt Phase gelten - allem Anschein nach bereits die uns bekannten Kelten. 10
Von vielen antiken Geschichtsschreibern erwähnt, von der Legende vereinnahmt und durch reiche archäologische Funde dokumentiert, prägten Menschen der Eisenzeit 1 Geschichte 1;1n� Kul�ur Europ� ?is weit ms Mittelalter hinem:
DJe Kelten
V
or allem schrieben Leichtgläubige dem
mit einer etwas verbreiterten Randzone. Na
keltischen Lehrer-, Priester- und Rich
men wie Halle, Hallstatt, Hallein und Schwä
terstand,
besondere
bisch Hall zeugen noch immer vom keltischen
Kenntnisse und Fähigkeiten zu. Ja, man
Salzbergbau und Salzhandel (hall= „Salz").
den
Druiden,
verglich die Druiden mit den Brahmanen
Vor allem in diesem Raum befinden sich auch
Indiens und leitete infolgedessen das ganze
relativ frühe Ringwallsiedlungen, wie die
Keltentum aus Indien her. Noch immer
Heuneburg („Hünenburg") zwischen Sigma
kann man es erleben, daß Exzentriker,
ringen und Riedlingen. Sie zeigen nicht zu
die sich als Nachfolger der Druiden
letzt, daß damalige Fürsten mit dem Mittel
fühlen, am Morgen des Tages der Som
meerraum Handel trieben . So fanden die
mersonnenwende an der mächtigen
Ausgräber der Heuneburg griechische Wein
Steinsetzung von Stonehenge mit seltsamen
amphoren und schwarzfigurige attische Va
Ritualen die aufgehende Sonne begrüßen.
sen, die die Burgbewohner allem Anschein nach über Marseille bezogen hatten, das
Rätselhaft ist auch der Widerspruch zwischen
seinerseits griechische Kolonie war. Um 600
dem „germanischen" Erscheinungsbild der
v. Chr. war die Heuneburg auch von der
Kelten in der antiken Literatur und dem eher
ältesten bekannten Ziegelmauer im Donau
heutigen Südländern entsprechenden Ausse
r aum umgeben, deren Bauweise ebenfalls auf
hen, das sie anthropologischen Befunden zu
Beziehungen zum Mittelmeerraum hindeutet.
folge gehabt haben dürften. Manche Gelehrte folgerten daraus, daß die Kelten gar kein
In der Nähe derartiger Fürstensitze befanden
„Volk" waren, sondern eine Mischbevölke
sich reich ausgestattete Fürstengräber. In ih
rung, die nicht durch biologische Faktoren,
ren hölzernen Grabkammern („Totenhäu
nicht durch irgendwelche sogenannten „Bluts
sern") ruhten die Toten anfangs auf vierräderi
bande", sondern durch gemeinsame Sprache
gen Wagen; ab dem S. Jahrhundert verwen
und Kultur zusammengehalten wurde. Ja,
dete man jedoch zweiräderige Streitwagen.
man spricht sogar von einem „kulturellen
Gleichzeitig zeichnet sich ein eigener kelti
Keltentum", das sich auf „volksmäßig" nicht
scher Kunststil ab. Nun spricht man nicht
keltischer Grundlage entfaltet habe.
mehr von der „Hallstatt-Kultur", sondern
Andererseits bilden die Kelten sprachlich
die Fundstätte „La Tene" am Nordostufer des
durchaus keine völlige Einheit, sondern dürf
Neuenburger Sees in der Westschweiz.
namensgebend für die folgende Phase wurde
ten sich schon früh in „P-Kelten" und „Q Kelten" gespalten haben: Es ist dies ein
Die Latene-Zeit ist der kulturelle Höhe
Unterschied, wie er auch zwischen dem Grie
punkt des Keltentums. Kelten dringen bis
chischen und Lateinischen besteht (vgl. grie
Britannien, Irland, Gallien und Portugal vor.
chisch pente = „fünf" mit lateinisch quinque =
Im Jahre 387 /386 plündern sie unter einem
ebenfalls „fünf", p -keltisch pimp, q-keltisch
König
coic). Der früheste antike Schriftsteller, der
wird der Ausspruch zugeschrieben:
die Kelten erwähnt, ist HEKATAIOS voN M ILET
den Besiegten " (lateinisch:
(um 500 v. Chr.). Allerdings hat es. schon
Jahre 279 stoßen Kelten bis zu dem griechi
früher Kelten gegeben, und manche moder nen Gelehrten bringen sie sogar schon mit der bronzezeitlichen Urnenfelderkultur (etwa 12. -8. Jh. v. Chr.) oder gar mit der noch älteren
Hügelgräberkultur in Verbindung. Die Heimat der Kelten befand sich wohl im Bereich Böhmen, Bayern, Bodensee, Baden
Bronzeplastik. Nachguß einer im Jahre 1502 gefundenen antiken Bronzeplastik vom Magdalensberg bei Klagenfurt. Der Fundort war erst keltische Fürstenresidenz, dann römische Provinzhauptstadt. Ob das verlorene Original aus der Kelten- oder Römerstadt stammte, ist bis heute ungewiß. Landesmuseum Kärnten.
» B RENNUS«
Rom. Ihrem Heerführer „
Wehe
„
vae victis
).
"
Im
schen Heiligtum Delphi vor. Auch ihr Anfüh rer hieß B RENNus, und man fragt sich daher, ob dieses Wort nicht vielleicht gar kein Name, sondern ein T itel war. Schließlich finden wir Kelten in Zentralanatolien, wo es künftig eine Landschaft namens
„
Galatien" gab. Siegrei
che Kämpfe gegen die keltischen Galater inspirierten die Herrscher von Pergamon zum 11
" Funde aus ganz Europa entreißen dem Vergessen Gesichter und Symbole eines längst vergangenen Volkes.„"
Bau des großen Pergamon-Altars (180-160 v. Chr.), und noch zur Zeit des Kirchenvaters HIERONYMUS (um 348 - ca. 420 n. Chr.) sprachen die Galater keltisch. Es dauerte lange, bis Roms wachsende Macht die Kelten zurückgedrängt hatte. 121 v. Chr. wird die römische Provinz Gallia Narbonensis
( die heutige Provence) eingerichtet. Im Jahre 51 v. Chr. ist Galliens Eroberung durch
Die Kelten O zogen im 7.-6. Jh. v. Chr. aus Böhmen und Bayern in die gesamte damals be kannte Welt
O waren in der Bearbeitung des Eisens über lange Zeit der gesamten südlichen Welt überlegen
O stiegen ohne politisch-ethnische Einheit über 2 Jahrhunderte zum bedeutendsten Volk Europas auf
O prägten die reiche Latt�ne-Kultur und waren vermutlich auch Träger der Hall statt-Kultur
O waren durch ihre „Qppida" die ersten Städtegründer im Süden Mitteleuropas
O entwickelten sich zum »gallorömischen Stützpfeiler" des kaiserlichen Weltrei ches
O führten ihre Kultur im außerrömischen Raum des christlich-frühmittelalterlichen Irland zu neuer Blüte.
lphigenie vom Magdalensberg bei
Gesichter aus Manching. Das Motiv der
Klagenfurt. Die griechische Königstochter legt Zeugnis ab von den Beziehungen zwischen Kelten und Griechen.
menschlichen Maske ist in der keltischen Kunst seit dem 5. Jh. v. Chr. verbreitet. Im zweiten Jh. v. Chr. setzte sich der plastische Stil mit Reliefornamentik durch. Prähistorisches Museum, München.
CAESAR abgeschlossen. Etwa 80 Jahre später beginnt die Eroberung Englands. Nur Schott land und Irland bleiben von den Römern unerobert. Wo Kelten sich niederließen, schu fen sie Städte, die CAESAR als oppida (Einzahl: oppidum) bezeichnete. Umgeben waren diese oppida von Ringwällen, deren Mauerwerk bei den Römern murus Gallicus hieß. Es bestand aus Steinlagen, denen waagrecht eingefügte Holzroste zusätzlichen Halt verliehen. Die bekannteste Siedlung dieser Art auf deut schem Boden ist bei Ingolstadt gelegen. Die archäologischen Grabungen östlich der Ge meinde Manching lassen den Schluß zu, daß sich hier ein keltisches oppidum befunden haben muß, wohl die Hauptstadt der Vindeli ker, einer keltischen Volksgruppe im A lpen vorland.
Etwas ausgesprochen Unheimliches hatte die keltische Religion: Sie kannte noch Men schenopfer und Schädelkult, als derart grausa me Bräuche in der damaligen Kulturwelt längst abgeschafft waren. Bis heute hängt den
Keltische Werkzeuge. Funde aus dem keltischen Oppidum bei Manching. Prähistorisches Museum, München. 12
Kelten daher das Odium des Okkulten an.
Sonnenanbeter und Amüsiergäste auf der nordfriesischen Insel Sylt ahnen es in der Regel kaum: Auf Sylt befindet sich eine der frühesten archäologischen Fundstätten des deutschen Raumes.
M
Die Anfänge im Norden
orsum ist Sylts östlichstes Inseldorf.
falls in Ahrensburg - das erste Beil hinzu:
An einem Steilabfall unweit davon, beim Morsumkliff, fand man 1952
Nach der Eiszeit begann sich Wald auszubrei
sehr grob wirkende Steingeräte aus Quarzit.
roden. Und da die sich langsam erwärmenden
ten, und man benötigte Beile, um ihn zu
Sie erwiesen sich als gleich alt wie der im
11 000),
ferner die ebenfalls nach einem
Gewässer immer fischreicher wurden, ge
Jahre
Hamburger Stadtteil so benannte »Rissener
wann auch die Fischerei an Bedeutung.
aus Mauer an der Elsenz - rund eine halbe
Kultur« (etwa
Prompt tauchen Zeugnisse dafür auf, daß man
Million Jahre alt. Die Formengruppe, die den
rensburger Kultur«
Morsumer Steingeräten am nächsten stand,
repräsentiert.
Hamburg fand man das älteste erhaltene
Die Ahrensburger Steinzeitleute, deren Op
v. Chr.).
1907 gefundene
früheiszeitliche Kiefer
10 000-9000) und (9000-8000
die »Ah v. Chr.)
Paddel
kam im Hamburger Stadtteil Wittenbergen zum Vorschein, wird als Altonaer Gruppe bezeichnet und könnte gut und gern
200 000
Gewässer befuhr: In Duvensee östlich von der
Menschheitsgeschichte
(7000
ferteich man im Stellmoor an der Bundesstra
Jahre alt sein (andere setzen diese Altonaer
ße
zwischen Hamburg und Ahrensburg
So blieb es jahrtausendelang. Das Großwild
Stufe erst um
aushob, hatten den ältesten uns erhaltenen
der Eiszeittundren war abgewandert oder
Kultpfahl. Mehr als zwei Meter hoch (aus
ausgestorben. Die Menschen trieben darum
30 000
v. Chr. an).
75
16
Fischfang und verlegten sich zunehmend auf
aufgedeckte Jägerlager bei Salzgitter-Leben
Jahre alten Rentierweibchens. Noch in der
die Jagd nach kleineren Landtieren. Zusätz
stedt südlich von Braunschweig. Jagdbeute
Neuzeit errichtete man in Sibirien ähnliche
lich machte man von dem immer reichhaltiger
waren Reh, Mammut, Wisent, Wildpferd
Kultpfähle an Opferstätten. Außerdem be
werdenden Angebot an wilder Pflanzenkost
In die Mittlere Altsteinzeit gehört das
1952
Kiefernholz), trug er den Schädel eines
und Wollnashorn. Das Ende der Altsteinzeit
nutzten die Ahrensburger erstmals nachweis
Gebrauch. - „Eines Tages" setzten sich Acker
und der Beginn der Nacheiszeit sind im
lich Pfeil und Bogen, ja, im achten Jahrtau
bau und Viehzucht durch. Diese umwälzen
Norden durch die Hamburger Stufe (um
send vor unserer Zeitrechnung kam - eben-
den Neuerungen waren im neunten bis achten
12 000-
" ... eines der eindrucksvollsten Zeugnisse früher nordischer Kunst"
Sonnenwagen aus Trundholm . . Das Pferd zieht die goldbelegte Sonnen scheibe über den Himmel. Ältere nordische Bronzezeit. National-Museum, Kopenhagen.
13
" ... zu Bauern entwickelt, die ihre Toten in Hünengräbern bestatteten "
Jahrtausend irgendwo zwischen Himalaja
deren Gehalt an Gerbsäure sogar organisches
und Mittelmeer eingeführt worden, dort, wo
Material konservierte.
wilde Getreide- und Haustier-Vorformen hei misch waren. Um 5 000 v. Chr. hatten diese
Gerbsäure war es auch, welche Leichen in den
Errungenschaften (in Verbindung mit der
Mooren so hervorragend erhielt, daß man bei
sogenannten Linienbandkeramik) die Nieder
einer von ihnen sogar den Mageninhalt unter
lande erreicht. Spätestens im vierten Jahrtau
suchen konnte. Er bestand aus rein pflanzli
send vor unserer Zeitrechnung gab es auch im
cher Nahrung wie Gerste, Leinsamen, Lein
Norden Europas die ersten Bauern. Auch hier
dotter, Senfkörnern, Knöterich, Feldspark,
- wie vielerorts - gingen Landwirtschaft und
weißem Gänsefuß und Runkelrübensamen.
Töpferei Hand in Hand. Im Norden schuf
Ob diese aber die damals übliche Normalkost
man eine Becherart mit trichterförmiger Mün
bildeten, läßt sich nicht genau sagen. Immer
dung. Man spricht daher von der» Trichterbe
hin hatte man den Toten (es handelt sich um
cherkultur«. Ein Monument der Trichterbe
den Toten aus dem Tollund-Moor, Dänemark)
cherleute ist der Denghoog bei Wennigstedt
mit einem Lederstrick erwürgt und dann ins
auf Sylt - ein flacher Hügel, der in seinem
Moor geworfen, - entweder als hingerichteten
Inneren ein Großsteingrab (Megalith-Kultur)
Verbrecher oder als Opfer für die Götter.
birgt.
Vielleicht hatte er deshalb zuvor eine besonde
Was die Menschen der damaligen Zeit bewog,
sich aus den genannten Bestandteilen zusam
trotz ihrer bescheidenen technischen Mittel
mensetzte.
re, rituelle „Henkersmahlzeit" erhalten, die
plötzlich tonnenschwere Findlinge aufzurich ten, um Gräber, Steinkreise und einzelne Steinsetzungen (Menhire; wörtlich: „lange Steine") zu schaffen, ist ungewiß. Nicht nur in
Auch Kostbarkeiten wie den sogenannten „
Sonnenwagen" von Trundholm (Seeland,
Dänemark), ein 57 cm langes, dreiachsiges
den Großsteingräbern des Megalith-Kulturen
Modell eines Pferdegespannes mit einer als
kreises fand man höchst aufschlußreiche
Sonne gedeuteten, goldbelegten Scheibe auf
Grabbeigaben, die den Übergang von der
dem Wagen, fand man in den Mooren. Dieser
Steinzeit zu den Metallzeiten zeigen und oft
„Sonnenwagen" erinnert an den Brauch,
sehr kostbar sind, eine Besonderheit des Nor
männlichen Toten Scheiben (Sonnensymbo
dens sind auch die Baumsärge aus Eichenholz,
le) mit ins Grab zu geben.
Das enzyklopädische Stichwort »Deutsche Vor- und Früh geschichte«, auch »Urge
Männliche Leiche aus Tollund. Die so gut wie unversehrt gebliebene Leiche eines Mannes, der vor ca. 2000 Jahren ums Leben gekommen ist. Der Fund stammt aus dem Tollundmoor bei Silkeborg (Dänemark). Der Tollund-Mann trägt einen Strick um den Hals und ist erdrosselt worden. Das Moor hat ihn so lebensnah konserviert, daß wir uns eine Vorstellung davon machen können, wie die Menschen ausgesehen haben mögen, die aus dieser nordischen Region gegen Ende des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts aufgebrochen waren und bald zum Schrecken der ganzen damals zivilisierten Welt wurden: die Kimbern und Teutonen. Museum Silkeborg, Dänemark. 14
schichte«, »Prähistorie« oder veraltet »Urzeit«. Die Be zeichnungen meinen den Abschnitt unserer Herkunft, der sich überwiegend oder ausschließlich nur aus nicht schriftlichen Quellen zur deutschen Geschichte, also aus archäologischen Fun den, erschließen läßt. So wie schon die Humanisten des 16. Jahrhunderts und später die Rationalisten und Naturrechtler des 18. Jahr hunderts die allgemeine an thropologische Frage nach der »Herkunft der Mensch heit« beschäftigt hatte, so hat insbesondere seit dem 19. Jahrhundert die Romantiker und Germanisten die beson dere Frage nach unserer »deutschen Herkunft« in den Bann gezogen. Heute wissen wir besser als noch vor 50 Jahren, daß sich
unsere deutsche Herkunft nicht ausschließlich aus der »germanischen Frühzeit« ab leiten läßt. Und wir wissen auch, daß der »nordische Einfluß« unsere Tradition kei neswegs übermächtig ge prägt hat. Lange hat man ge meint, diesen „nordischen Einfluß« besonders akzen tuieren zu müssen. Dabei hat man verkannt, daß sich die germanischen Stämme der Frühzeit, die - fast aus schließlich von Norden kom mend - in die damals zivili sierte Welt der Griechen und Römer eindrangen, kulturell und ethnisch assimilierten und damit auf ganzer Linie »ZU etwas anderem« wurden. Heute wissen wir besser als vor 50 Jahren, daß die Kelten aus ihren Siedlungs gebieten - im strikten Sinne des Wortes - niemals vertrie ben wurden. Die von den Römern »befriedete Welt«
( Pax Romana) hat das ihre dazu beigetragen, daß der »Ursprung der Deutschen« viele Wurzeln hat. Eine da von ist die nordisch-germani sche Wurzel, eine weitere die keltische, eine dritte die römi sche und eine vierte die sla wische, - und dies alles im Zusammenwirken mit dem sich ausbreitenden Christen tum, das auf einen Religions stifter zurückgeht, der aus dem Judentum kam„. So ist die »Herkunft der Deut schen« vielfältig. Die »deut sche Vor- und Frühgeschich te« kann von diesem »Ur sprung der Deutschen« be redt Zeugnis ablegen. Die »Stummen« archäologischen Zeitzeugnisse der deutschen Vor- und Frühgeschichte, die für die Forschung jeweils »Ar gument« sind, belegen Sach verhalte, die noch vor Jahr zehnten Widerspruch erzeugt hätten. =
Nach Jahrhunderten des Sich-Einrichtens in der Hinterlassenschaft der römischen Kultur war es für die Deutschen eine Entdeckung, germanische Vorfahren zu haben. Für diese
' ����:::: D1 e Germanen Romer Tac1tus Pate.
1
m Jahre
1531 verfaßte ßEATUS RHENANUS
ihren Pferden und Wagen in der zweiten
eine Deutsche Geschichte, die ihm den
Hälfte des dritten Jahrtausends v. Chr. im
„Urgermanen" zeugten. Dann hätte es schon
Beinamen
Ge
nachmals deutschen Raum auftauchten, „In
seit der späten Jungsteinzeit und während der
„Vater
der
deutschen
schichtsschreibung" eintrug. Zuvor
verschmolzen und mit ihnen sozusagen die
(1516)
dogermanen" (bzw. Indoeuropäer) waren.
gesamten Bronzezeit im Norden Europas Ger
hatte er die Germania neu herausgebracht, -
Möglich auch, daß sie sich mit den Bauernsip
manen gegeben. Bedauerlich ist nur, daß
eine Schrift des frühkaiserzeitlich-römischen
pen der bereits ortsansässigen Megalithgrab
Griechen und Römer hiervon keinerlei Notiz
Historikers Pusuus CoRNEuus TAc1rns (um 55
(Großsteingrab-,
nahmen.
„Hünengrab"-)
Erbauern
-ca. 120 n. Chr.), deren voller T itel lautet: De origine et situ Germanorum („Über den Ur
Immerhin erwähnt bekanntlich schon HEKA
sprung und das Siedlungsgebiet der Germa
TAIOS
nen").
Kelten. Alles aber, was nicht keltisch war, galt
voN MILET (um
500 v. Chr.) erstmals die
Griechen und Römern pauschal als „sky TACITUS verteilt Licht und Schatten, Lob und
thisch", und Völker, die sich nicht in das
Tadel, doch die Idealisierung der Germanen
Schema „Kelten im Westen, Skythen im
überwiegt, so daß man sein Büchlein auch als
Osten" pressen ließen, wurden zu „Keltosky
„Sittenspiegel" deuten konnte, den er seinen
then"
eigenen römischen Landsleuten vorgehalten
MAss1uA (Marseille), ein griechischer Astro
habe. Vieles freilich mag einfach mit der
nom, Geograph und Seefahrer, der um
seinerzeit
Wertschätzung
v. Chr. sehr weit nach Norden gelangte und
„edler Barbaren" zu tun gehabt haben, die
mit großem Erstaunen das heute jedem Nord
weitverbreiteten
erklärt.
Nicht
einmal
PYTHEAS Aus
325
schon Jahrzehnte vor TAc1rns den römischen
see-Touristen geläufige Phänomen beschrieb,
Politiker, Philosophen und Dichter Lucrns
daß Inseln vor der friesischen Küste bei Ebbe
ANNAEus SENECA (um
mit dem Festland verbunden, bei Flut jedoch
4-65 n. Chr.) von den
Germanen schwärmen ließ: Wenn jene unver
von diesem getrennt sind, kannte die Bezeich
bildeten und unverdorbenen Naturvölker im
nung „Germanen". Und da die „Ur-" oder
Norden,
denen
und
„Frühgermanen" noch nicht die Kulturtechni
Reichtum" unbekannt seien, nur ein wenig
„ Wollust,
Üppigkeit
ken des Lesens und Schreibens beherrschten,
mehr „ vernünftige Einsicht" und „regelnde
hinterließen sie keinerlei Selbstzeugnisse, aus
Zucht" besäßen, bliebe den Römern, um
denen ersichtlich würde, wie sie wirklich
gegen sie zu bestehen, die dringliche Aufgabe,
sprachen und woher sie selbst gekommen zu
„ die alte römische Sittenstrenge wieder zu
sein glaubten.
Ehren zu bringen". Man muß schon ihre erst in späteren Jahrhun Wer waren jene Menschen aus Europas Nor
derten aufgezeichneten religiösen Vorstellun
den, die nicht nur Römer des ersten, sondern
gen, ihre Mythen, zu Hilfe nehmen, um
auch Romantiker des neunzehnten Jahrhun
beispielsweise aus dem Kampf zweier Götter
derts unserer Zeitrechnung zum Schwärmen
geschlechter, der Asen und Wanen, zu rekon
hinreißen konnten und die schließlich in der
struieren, daß die Germanen wohl doch ein
„ Herrenmenschen" -Ideologie
„ Dritten
Mischvolk (aus ehemaligen Schnurkerami
Reiches" eine so verhängnisvolle Rolle spiel
kern und ehemaligen Großsteingräber-Leu
ten? Wer waren sie, und woher kamen sie?
ten) gewesen sein müssen, dessen unterschied
des
Diese Fragen strapazieren die Vorgeschichts
liche T raditionen in derartigen Götterkampf
Archäologie, die vergleichende Sprachfor
Mythen Niederschlag fanden. Auch betrach
schung und die biologische Anthropologie gleichermaßen bis aufs äußerste. Möglich ist, daß die „Schnurkeramiker", die mit ihren Streitäxten, ihren Einzelgräbern und
Götterfigur aus dem Aukamper Moor bei Braak (Kreis Eutin). Die Germanen verehrten aber nicht nur solche Lokalgottheiten, sondern die reiche indogermanische Götterwelt mit ihrer Vielfalt.
tet man die Verdrängung des alten Himmels gottes
Tiu (Ziu) durch den bisweilen etwas
schamanenhaften Wotan als mythische Spie gelung „innergermanischer" gesellschaftli cher Vorgänge. 15
" Sie hatten feste Wohnsitze und siedelten in Dörfern oder Einzelhöfen„. "
Auf jeden Fall tut man gut, bereits die nach
lieh unter dem Namen „ Germanen" rangier
einem Dorf im heutigen Landkreis Uelzen
ten. Schon die früheisenzeitlichen Vorfahren
benannte früheisenzeitliche JastorfKultur (7.
der Germanen waren Bauern, die das damals
Jahrhundert v. Chr.) als frühgermanisch anzu
etwas kälter gewordene Klima zwang, feste
sehen, denn von ihr aus führt ein ziemlich
Häuser, Stallungen und Wintervorräte anzule
ungebrochener
&�n. Ihre Expansion hing wohl teils mit der
kultureller
Entwicklungs
strang zu späteren Völkerschaften, die schließ-
Uberbevölkerung, teils mit der Auszehrung
ihrer Böden zusammen. Unvermeidlicherweise stießen die Auswande rer auf ihrerseits expandierende Kelten, deren kultureller, organisatorischer und gesellschaft licher Überlegenheit sie ihren Tribut zollten, indem sie zahlreiche keltische Lehnwörter aus der Rechtssphäre übernahmen. Beispielsweise sind »gute alte deutsche« Ausdrücke wie „Amt", „Bann", „Eid", „Erbe", „frei", „ge bieten", „Geisel", „leihen", „reich" und so weiter bis hin zur „Wahl" durchweg kelti schen Ursprungs. Andererseits aber lösten die sich ausbreitenden Frühgermanen die große Keltenwanderung erst aus. Sie trug diese bis nach Spanien, Gallien, Italien, Griechenland und Kleinasien und verhalf den Römern zu der schockierenden Erfahrung der Brand schatzung ihrer Stadt im Jahre 387 /386 vor unserer Zeitrechnung. Die Schreckensvision einer Wiederholung dieser Katastrophe plagte die Römer, als
Cheruskergehöft aus dem ersten Jh. Die Abbildung zeigt das Freilichtmuseum, Oerlinghausen.
218-215 v.Chr. der karthagische Feldherr
Siedlung und Hausbau bei den Germanen
Puniern und Kelten zusammengesetzten Heer
Zu jener Zeit wurde die Anla ge von Siedlungen noch weitgehend von geographi schen Faktoren bestimmt. Unsere germanischen Vor fahren mieden feuchte sowie beständig von Überschwem mungen bedrohte Niederun gen ebenso wie Hochflä chen. Man bevorzugte die Uferzonen der Bach- und Flußläufe oder auch die Hochflächenränder an den Niederungsgebieten. Besie delt wurden sowohl Sand und Lehm- wie auch Marsch böden. Äußerst schwierig sind Aus sagen über die Siedlungs dichte, da die Zahl der be kannt gewordenen Siedlun gen immer noch zu gering ist. Gleichwohl versuchen sich Vor- und Frühgeschichtler immer wieder daran, Besied lungskarten nach dem je weils jüngsten Stand der For schung zu entwerfen. Fest steht jedenfalls: Die Germa-
nen hatten auch in der vorrö mischen Zeit feste Wohnsitze und siedelten in Dörfern und auf Einzelhöfen. Für den mit teleuropäischen Raum las sen sich rechts und links der oberen, mittleren sowie un teren Elbe bestimmte Sied lungsschwerpunkte mit „ho her Bevölkerungsdichte" aus machen. Was den Hausbau der Ger manen anbelangt, so schei nen zwei Grundtypen vorherr schend gewesen zu sein: Es gab das langgestreckte „wohnstallhaus" mit einer Breite von 4 7 Meter und einer Länge von 10 - 30 Meter. In ihnen wohnten Mensch und Tier .unter ei nem Dach". Daneben ist das erheblich kleinere, rechtecki ge und in der Regel einräumi ge Gebäude verbreitet. Das germanische Haus, das wir uns vorstellen dürfen, hatte ein Giebeldach sowie lehm verstrichene Holzflecht- oder -
Grassodenwände. Darin wohnte sozusagen „Familie Jedermann«. Natürlich rich teten sich Größe und Bauart im einzelnen sowohl nach der unterschiedlichen geo graphischen Gegebenheit wie auch nach der Funktion und auch nach der sozialen Stellung im Verband. In Jemgum (Ostfriesland) lie ßen Grabungen Rückschlüs se auf ein 7,5 m langes und 4,5 m breites dreischiffiges Hallenhaus in Pfostenboh lenkonstruktion zu. Waage recht verlaufende Bohlen, von Zangenpfosten gehalten, bildeten die Wände. Das zweigeteilte Hausinnere mu tet geradezu komfortabel an: Es bot einen Wirtschaftsraum mit Herdstelle sowie einen kombinierten Wohnund Schlafraum, der mit Brettern ausgelegt war. Wir können diese Heimstätte getrost ei ner „arrivierten" Familie zu ordnen.
HANNIBAL (247-183 v.Chr.) mit seinem aus
auf italischem Boden einen Sieg nach dem anderen errang. Prompt reagierten die Römer besonders empfindlich, als sich gegen Ende des zweiten Jahrhunderts v. Chr. abermals die Gefahr einer derartigen Tragödie abzeichnete. Sturmfluten und Küstensenkung, vielleicht zusätzlich Bodenauszehrung und Überbevöl kerung hatten die Kimbern aus ihrer Heimat am Nordseestrand vertrieben, so daß sie sich auf die Landsuche begaben. Ob auch die Teutonen, die man immer zusam men mit den Kimbern zu nennen pflegt, aus dem Nordseeraum kamen, ist ungewiß. Viel leicht waren sie ein keltischer oder stark keltisch überfremdeter Stamm aus dem Al pengebiet. Jedenfalls lehrten Kimbern und
Teutonen die Römer das Fürchten. Den Rö mern zum Spott schlitterten sie nackt und johlend auf ihren Rundschilden verschneite Alpen-Berghänge hinab, ungeniert planschten sie im Jahre 102 v. Chr. bei Aquae Sextiae (Aix-en-Provence) angesichts des sie verfol genden römischen Heeres in heißen T hermal quellen herum, und höhnisch riefen sie den Römern zu, ob sie nicht einen „schönen Gruß
16
an ihre Frauen in Rom" zu bestellen hätten.
Verhüttungsprozesses des Eisenerzes dürften
derschaft, Kampf und die Tradition des ge
Bleiches Entsetzen packte die Römer jedoch,
die „Eisenwerker" bereits frühzeitig aus der
meinsamen Siedlungsraumes herausgebildet
als sie von der Niederlage zweier vereinigter
natürlichen bäuerlichen Produktionsgemein
hatte. Mit aller Vorsicht läßt sich sagen, daß
römischer Heere bei Arausio (Orange, 105
schaft ausgeschieden sein. Impulse zu dieser
zumindest Vor- und Frühformen dieses ger
v. Chr.) hörten und vernehmen mußten, daß
sozialen Ausdifferenzierung gingen mit Si
manischen Sozialgefüges bereits im Jahrhun
die Eindringlinge alle lebend in ihre Hände
cherheit von der Begegnung mit den höher
dert unserer Zeitenwende bestanden haben
gefallenen Römer getötet und wohl ihren
stehenden Kulturen der Kelten und Römer
müssen.
Göttern geopfert hatten. Als Juror teutonicus
aus. Nachweislich erreichten zum Beispiel die
(„teutonisches Wüten") aber galt ihnen nicht
keltischen Einflüsse auch den Norden der
Zum Zeitpunkt der Begegnung mit der mittel
zuletzt das Verhalten der teutonischen und
Germania sowie den Süden Skandinaviens.
meerischen Hochkultur hatte die Germania
Germanisten, Historiker und Archäologen
pen bezeugtes Aussehen: Es siedelten im
getöteter Kriegsgefangener die Zukunft weis
haben in Kenntnis der weiteren Entwicklung
Norden
sagten, sondern ihre eigenen Männer um
unserer germanischen Vorfahren Sippe, Haus,
Chauken, Sachsen), südlich anschließend die
insbesondere der kimbrischen Frauen, die nicht nur aus dem Blut und den Eingeweiden
brachten, wenn diese sich zur Flucht wandten.
folgendes, durch archäologische Fundgrup die
Nordsee-Germanen
(Friesen,
Gefolgschaft und Stamm als die sozialen
Rhein-Weser-Germanen (Tenkterer, Brukte
Grundformen der Germanen ermitteln kön
rer, Cherusker, Chatten), östlich davon die
Die Kimberngefahr hatte in Rom die Heeres
nen, - die »Sippe« als Schutz und Friedensver
Elb-Germanen
reform des Anführers der römischen „ Volks
band der einzelnen, durch „Blutsbande" ver
Hermunduren, Markomannen, Quaden), öst
partei", GArns MARIUS (um 155-86 v. Chr.),
bundenen Mitglieder, das »Haus« als enge
lich davon die Oder-Warthe-Germanen (Lu
ungeheuer beschleunigt. Aber mochten Kim
Gemeinschaftsform all derer, die zu ihm als
gier, Vandalen, Goten) sowie die Weichsel
(Langobarden,
Semnonen,
bern und Teutonen ihren Juror austoben -
Wirtschaftseinheit
»Gefolg
Germanen (Rugier, Burgunder) und schließ
schließlich siegte auf Jahrhunderte noch die
schaft« als erweiterte Hausgenossenschaft, be
lich im Süden Skandinaviens kleinere, süd
bessere Organisation der Römer. Ihre Gesell
gründet durch ein Treueverhältnis zwischen
skandinavische Stämme. - Die mitteleuropäi
schaftsstruktur und -verfassung war einfach
Gefolgsmann und Herrn und der »Stamm« als
sche Landkarte veränderte sich jedoch inner
differenzierter und höher entwickelt als die der
eine ethnische Einheit, die sich durch Wan-
halb weniger Jahrhunderte von Grund auf...
gehören,
die
Germanen. Diese Ausage ist ohne Zweifel richtig, auch wenn wir über ihre jeweilige Stammesstruktur insbesondere für den Zeit raum bis zum zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung im einzelnen auf Vermutungen
"„. läßt uns erfahren, wie wohl die Menschen gekleidet waren"
angewiesen bleiben. Zum Zeitpunkt, da hoch entwickelter Süden und rückständiger Norden aufeinanderprallten, waren Grund und Boden das
Hauptproduktionsmittel
der
germani
schen Stammesgesellschaft. Gemeineigentum an ihnen überwog. Das Land wurde lediglich zur Nutzung vergeben und aufgeteilt. Wer der „große Aufteiler" war, wissen wir nicht. Wir müssen uns damit begnügen, daß es sich dabei um »Organe der Stammesgemeinschaft« ge handelt hat. Die Germanen waren also Bauern. „Auf Ackerbau legen sie keinen Wert", läßt uns Caesar wissen, „und ihre Nahrung besteht zum größten
Teil aus Milch,
Fleisch". (Bellum Gallicum, VI,
Käse und
22). Doch
dürfen wir heute annehmen, daß sie - neben
Kleidung einer männlichen Moor leiche. Im Moor
regional und örtlich bedingtem Fischfang, der Jagd und auch begrenzter Sammeltätigkeit Ackerbau und Viehzucht, also eine Feldgras wirtschaft
betrieben.
Waren
die
Böden
schlecht, stellen wir uns die Germanen in erster Linie als Viehzüchter vor, waren die Böden gut, als Ackerbauern. Sie kannten das Eisen, doch ist uns nicht bekannt, daß sie es zur intensiven Bodennutzung einsetzen konn ten. Das Eisen wurde zur Herstellung ihrer Waffen benötigt. Wegen des komplizierten
-�-���----��-----' ------�
enthaltene Gerbsäure konserviert selbst leicht verderbliches Gewebe. Einer der reichsten Moorfunde stammt aus Thorsberg südlich von Süderbrarup (Schleswig Holstein). Hier fand man ein breites Spektrum von Opfergaben. 17
Gäbe es einen Orden für besondere Verdienste um die Verbreitung des Gerrnanennamens - niemand hätte ihn mehr verdient als der römische Diktator Gaius Julius Caesar. Man kann sich sogar vorstellen, daß heute niemand von Germanen spräche,
sra:::�:�� Caesar
D
I
am Rhein
abei ist CAESARS Germanenbe
Vielmehr hat wohl nie ein cleverer
griff durchaus nicht klar. Nach
Politiker mit klareren Worten klare
er
Sachverhalte gekonnter verunklart. In
manche Völkerschaften als „Gallier"
solchen Fällen muß man es verstehen,
welchen
Gesichtspunkten
(; Kelten) und wieder andere als „Ger
„zwischen den Zeilen zu lesen". Vor
manen" bezeichnete, bleibt absolut un
allem war CAESAR ein Meister der Kunst, seine bisweilen selbstherrlichen
gewiß.
Maßnahmen als unbedingt erforderlich hinzustellen. Er hatte stets nur reagiert, und
CAESAR war nun weder Völkerkundler
schuld waren immer die Kelten (Gallier) oder
noch Sprachwissenschaftler, sondern Poli tiker und Heerführer. Wenn er behauptet,
Germanen. Unter diesen Umständen muß
die Grenze zwischen „Galliern " und „Germa
man davon ausgehen, daß CAESAR auch seinen
nen" bilde der Rhein, so dürfte dies einzig
Hauptgegner im Keltenland, den suebischen
politische Gründe gehabt haben (etwa um
(germanischen) Heerkönig AR1ov1sT aus dem
militärische Maßnahmen im Rheingebiet zu
Stamm der Triboker, nicht objektiv porträtiert
rechtfertigen). Später räumt allerdings auch er
hat.
die Existenz von „ Germanen" (die freilich Er schilderte ihn als „selbstherrlich und
unter Umständen wiederum Kelten gewesen
grausam", ja als „jähzornigen und
sein können) westlich des Rheins ein.
unberechenbaren
Doch gleichviel, - ohne CAESAR, so
Barbaren ".
Gleichzeitig aber verleiht er der
kann man pointiert sagen, keine „Ger manen" ! Jene Schrift, die die Germa-
Konfrontation mit ihm den Glanz
nen endgültig ins Rampenlicht der
einer Begegnung von weltgeschicht lichem Rang. Beides war ganz in
Geschichte rückt, sie sozusagen „ak
CAESARS Interesse: Je bösartiger der
tenkundig" macht, sind CAESARS com
Gegner, um so gerechtfertigter sein
mentarii de bello Gallico, seine „Auf
Vorgehen, je mehr „Statur" er aber
zeichnungen über den Gallischen Krieg".
andererseits besaß, desto bedeutender
Es handelt sich dabei um Rechenschafts
mußten seine Erfolge gegen ihn erscheinen.
berichte, die er dem römischen Senat sand
In all den Händeln, die der Eroberung
te. Ob er diese Rechenschaftsberichte nach
Galliens durch CAESAR vorangingen, spielte
träglich überarbeitete oder ob sie von vornher
die sogenannte „Hilfesuche" eine wichtige
ein zur Veröffentlichung bestimmt waren, ist unter den Gelehrten umstritten.
Gaius Julius Caesar. Marmorbüste. Vatikanisches Museum, Rom.
diese Bewunderung bringt man dem Autor der commentarii heute noch immer entgegen. Allerdings wäre es falsch, von der Klarheit des Stils auf die Klarheit des Inhalts zu schließen. 18
Sequaner mit den traditionell romfreundli chen Häduern zerstritten waren und deshalb
Schon CAESARS Zeitgenossen bewunderten die unübertreffiiche Klarheit seiner Sprache, und
Rolle. Es begann damit, daß die keltischen
den (germanischen) Sueben AR1ov1sT um
" Caesar baute den Germanen die Bühne für ihren Auftritt in der Geschichte„. "
Waffenhilfe baten . Tatsächlich griff AR1ov1sT um 70 v. Chr. ein und besiegte schließlich im Jahre 61 oder 60
v. Chr. die Häduer bei einem heute unbekann ten Ort namens Magetobriga. Damals wandte sich sogar der als besonders romtreu bekannte Häduerkönig D1v1T1Acus, der mit dem römi schen Politiker und Philosophen MARCus TuLLius CicERO (106-43 v. Chr.) bekannt war, seinerseits mit einem Hilfeersuchen an Rom. Doch die Römer wiesen ihn ab und arrangierten sich mit dem siegreichen Germa nen AR1ovrsT, der 59 v. Chr. (als CAESAR zum ersten Male Consul war) seinerseits zum amicus populi Romani (zum „Freund des römischen Volkes") erklärt wurde. Aber als CAESAR im März/April des Jahres 58 v. Chr. als Proconsul (Statthalter) in die Gallia Nar bonensis kam, änderten sich die Dinge. Nun wollten die zuletzt in der Schweiz ansäs sigen keltischen Helvetier, die unter germani schem Druck ihre bisherigen Wohnplätze verließen, um neues Land an der Garonne zu suchen, durch die römische Provinz ziehen. CAESAR verweigerte ihnen die Erlaubnis. Da her wanderten die Helvetier durch benachbar te Stammesgebiete, und dabei kam es zu Übergriffen, so daß DrvrTIAcus abermals um Hilfe bat. CAESAR war dies hochwillkommen, denn den Plan der Helvetier, nach Westen zu ziehen, hatte bereits Jahre zuvor der helveti sche Adlige ÜRGETORrx gefaßt, der sich mit Standesgenossen aus den keltischen Stämmen der Sequaner, j a, sogar der Häduerverschwor, um ein gemeinsames Königtum dieser drei Stämme zu schaffen. Dieses Komplott war in erster Linie gegen den Germanen ARrovrsT gerichtet gewesen, dessen germanischer Stämmebund sich immer mehr auf gallischem Boden breit zu machen begann, doch auch Rom hatte ÜRGETORIX' Absichten als Bedrohung verstanden. Freilich - ÜRGETO RIX war gescheitert und bereits seit einigen Jahren tot, aber die Helvetier wanderten nun trotzdem aus, und man konnte ja nicht wis sen... Außerdem erinnerte diese Wanderung eines landsuchenden Volkes auf beunruhigen de Weise an die Kimbern und Teutonen unseligen Angedenkens. CAESAR verfolgte da her die Helvetier unverzüglich und schlug sie im Jahre 58 v. Chr. bei dem Hauptorte der Häduer: Bibracte (heute: Mont-Bouvray westlich von Autun). Er zwang die Besiegten zur Rückkehr, um im Helvetierland kein politisches Vakuum entstehen zu lassen, und sorgte sogar dafür, daß sie mit Getreide versorgt wurden. Nach diesem Sieg war AR1ov1sT an der Reihe. CAESAR rief einen gesamtgallischen Landtag
Kampf der Römer gegen die Germanen. Germanische Befestigungsanlage mit Verschanzung aus Balken und Flechtwerk wird von römischen Legionären angegriffen. Meist taten sie dies in einer geschlossenen Formation, die sie „Schildkröte' nannten: Die Legionäre hielten die Schilde über den Kopf. Dies schützte sie vor Wurfgeschossen. Die Abbildung stammt von der Mark-Aurel-Säule (193 n. Chr.).
Grabstein eines Legionssoldaten. Caesar eroberte Gallien, aber auch Teile Germaniens. Aus seinem und den folgenden Jahrhunderten sind auf germanischem Boden zahllose römische Legionärsgräber erhalten, darunter auch dieser Gedenkstein von einem Gemeinschaftsgrab. Rheinisches Landesmuseum, Bonn.
" Ariovist war die erste geschichtlich greifbare Gestalt des Germanentums" 19
" Von Besan�on hinab ins Rheintal ... "
zusammen und ließ sich nach bewährtem Muster von D1v1T1Acus zum Eingreifen gegen den Eindringling AR1ov1sT auffordern, ande rerseits suchte er Verhandlungen mit dem Suebenkönig, - allerdings in einer Form, die diesen provozieren mußte. AR1ov1sT antworte te entsprechend schroff, und CAESAR setzte abermals seine Legionen in Marsch. Noch im selben Jahr konnte CAESAR die Sueben auch bezwingen, ließ aber die von AR1ov1sT west lich des Rheins angesiedelten germanischen Stammesleute
in
ihren
neuen
gallischen
Wohnsitzen, nur daß sie jetzt für die Römer Kriegsdienst leisten mußten. Ausführlich über die Germanen äußert sich CAESAR im sechsten Buch seiner schon mehr fach genannten commentarii. Was er über archäologisch nachprüfbare Einzelheiten be richtet, stimmt allerdings nicht mit den tat sächlichen archäologischen Befunden über ein. CAESAR entwarf wohl bewußt ein Bild roher, bedrohlicher Wilder, um einerseits den militärischen Aufwand zu rechtfertigen, den er in Gallien betrieb, andererseits aber auch, um zu begründen, warum er nicht einfach über den Rhein nach Germanien zog,um dort „für Ordnung zu sorgen". Schließlich setzte CAESAR dennoch zweimal über den Rhein einmal 55 v. Chr., das zweite Mal zwei Jahre
Römerreste in Besan�on
später. Vor seinem ersten Rheinübergang ließ Die Soldaten der sechs Le gionen, die Caesar im »bel lum gallicum« befehligte, hat ten vor den sagenumwobe nen Germanen Angst. In Be sanc;; on stießen sie aber zu nächst nur auf die Sequaner, also Gallier, die sie aus ihren
Feldzügen kannten. Der Kampf war kurz und heftig. Der Hauptort, das heutige Besancon, fiel. .. Die Bauten, die die Römer in der Nachfol ge Caesars schufen, prägen noch heute das Gesicht die ser Stadt.
Von Besancon aus stieß Caesar sodann ins Rheintal vor, und es kam zum Kampf. 36 000 Römer gegen 28 000 Germanen , - die Römer im Durchschnitt einen Meter fünfzig groß, die Germanen einen Meter siebzig„.
er die landsuchenden germanischen Stämme der Tenkterer und Usipeter zusammenschla gen, noch während ihre Fürsten und Ältesten mit ihm konferierten. Diese Hinterlist wurde ihm sogar von römischen Landsleuten ver übelt,ja,sein politischer Erzfeind in Rom,der konservative Senator MARcus PoRcrus CATO (der Jüngere, 95-46 v. Chr.), forderte gar, CAESAR den Germanen auszuliefern.
Einladung zur Spurensuche
Kaiseraugst ist eine kleine Gemeinde im schweizeri schen Kanton Aargau von ca. 2000 Einwohnern, direkt am Rhein gelegen. Sie liegt an der Stelle des berühmten »Gastrum Rauracense«. Tei-
le der Mauern sind bis heute erhalten geblieben„. Wer sich auf das »historische Wandern« versteht, findet in der sich unmittelbar südlich anschließenden Gemeinde Augst, welche kaum 1000 Einwohner zählt und zum Kanton Basel-Land gehört, Reste der römischen Bürger siedlung »Augusta Raurica« (u.a. ein T heater, drei Tempel sowie Thermenanlagen). Diese Bürgersiedlung geht auf einen Hauptmann des großen Julius Caesar zurück, der sie im Jahre 44 v. Chr. als eine Militärkolonie gründete.
Durch jenen Brückenkopf konnte Rom seine neuen Er oberungen in Gallien kontrol lieren. Wer in Gedanke und Tat den Spuren der Ausgra ber dieser Stätte folgt, wird erkennen, warum Augst in der späteren römischen Kai serzeit zu einem blühenden „Provinzstädtchen" gewor den sein muß: Die militäri sche Bedeutung von einst war dahin, und Handel, Wan del und Kultur konnten sich regen, waren doch die Gren zen des Weltreiches auf Jahrhunderte weit vorge schoben...
Den Schlag gegen Usipeter und Tenkterer führte CAESAR bei Koblenz. Kurz darauf ließ er etwa bei Neuwied eine 400 m lange Brücke über den Rhein schlagen. In nur zehn Tagen entstand dieses Meisterwerk römischer Pio niertechnik, das nicht auf Booten ruhte, son dern auf gespreizten Pfahljochen mit Streck pfählen. Doch CAESAR blieb nur kurze Zeit auf dem östlichen Rheinufer und drang nicht tief in Germanien ein. Das Unternehmen war nur eine Machtdemonstration. Dies gilt auch für den zweiten Brückenschlag, den er 53 v. Chr. ein wenig oberhalb des ersten unternahm. Aber die Römer standen nun am Rhein. Der Fluß trennte das von ihnen besetzte Gallien, dessen Eroberung im Jahre 51 v. Chr. abge schlossen war, von dem noch immer von ihnen unbesetzten Land östlich des Stromes...
20
Weder kennt man den Ort der Schlacht noch weiß man, wie der Sieger wirklich hieß. Und doch bemächtigte sich die Nachwelt des Ereignisses,
i��·:���;:
D1' e Schlacht im Teutoburger Wald
ci
schließlich em Denkmal.
M
heute das „Hermannsdenkmal" erhebt -,
Varus
lieh bedeutet „Teutoburger Wald" schlicht:
schlacht" bezeichneten Ereignis nur,
„Bewaldete Anhöhe mit einer ,Teutburg'" -
doch auch anderswo im gesamten Lande
daß es stattfand, und zwar im Jahre 9
einer „Volksburg" (d. h. einer frühgeschichtli
zwischen Porta Westfalica bis nach Siegen
an weiß von dem auch als
„
n. Chr.; und man weiß, daß dies eine empfind
chen Wallanlage).
war. Man kennt auch zahllose Details (die einander indes widersprechen). Fest steht nur, daß es der germanische Stamm der Cherusker
sind „Teutburgen" nicht eben selten. Als Schlachtort hat man vor allem auch den
liche Schlappe für die sieggewohnten Römer Eine derartige Wallanlage, die sogenannte
Galgenberg bei Hildesheim in Betracht gezo
„
Grotenburg", gibt es zwar auch auf dem
gen, wo im Jahre 1868 ein militärisches
„
Teutberg" bei Detmold - eben dort, wo sich
Arbeitskommando beim Ausheben einer Gru-
war, der den Römern damals so übel mitspiel te. Ungewiß ist vor allem der Schauplatz der Katastrophe. T ACITUS zufolge fand die Schlacht
„
nicht weit
vom Teutoburger Wa lde" statt. Was aber heißt schon nicht weit" und was verstand T Acrrus „
unter dem
-
„
Teutoburger Wald"? Das Gebir
ge, das heute so heißt, trägt diesen Namen erst seit der Amtszeit des gelehrten Paderborner Fürstbischofs
FERDINAND voN
FüRSTENBERG
(1626-1683), der im Jahre 1672 ein Werk mit dem T itel Monumenta Paderbornensia („Paderbornische Denkmäler") veröffentlich te. Der Bischof konnte sich auf etwas ältere
" ... die Schlacht im Teutoburger Wald wurde zum Mythos der Befreiung. "
gelehrte Zeitgenossen berufen, die sich ihrer seits an TAc1rns anlehnten und kurzerhand das Gebirge zum „Teutoburger Wald" erklärten, das zuvor
„
Osning" geheißen hatte. Der
Name des heutigen „Teutoburger Waldes" beruht also auf keiner gewachsenen Tradition, sondern ist ein „Gelehrtenstreich": Dem Os ning-Gebirge wurde ein neuer Name überge stülpt. Die willkürliche Namensänderung rief andere Gelehrte auf den Plan, und inzwischen gibt es zwischen Ruhr, Lippe, Ems und Weser, zwi schen Sauerland, Wiehengebirge, den Bek kumer Bergen und anderen Höhenzügen im fraglichen Bereich etwa drei Dutzend ernst zu nehmende: Ortsansätze für T Acrrus· „Teuto burger Wald" und die besagte Varusschlacht. Nimmt man die unseriösen Ortsansätze hinzu, kommt man auf etwa siebenhundert! Tatsäch-
Hermannsdenkmal auf der Groten burg bei Detmold im Osning, der erst in der Neuzeit in "Teutoburger Wald" umgetauft wurde. Das von dem Bildhauer Ernst von Bandei am 9.7.1839 be gonnene Monu ment wurde am 16.8.1875 einge weiht. Es mißt bis zu( Schwertspitze nicht weniger als 24,82 Meter.
21
be für einen Schießstand den berühmten
Grabstein eines Kriegers der Varus-Schlacht.
Hildesheimer Silberfund entdeckte. Beweisen läßt sich ein unmittelbarer Zusammenhang
Bei Xanten fand man diesen Gedenkstein eines römischen Offiziers. Er trägt die Inschrift: ,Cecidit bello Variano" - gefallen in der Varus-Schlacht. Nachbildung im Saalburg-Museum.
zwischen
diesem
Silberschatz
und
der
Schlacht im „Teutoburger Wald" aber nicht. Rätsel gibt weiterhin der Sieger der Schlacht auf. Erst der Reformator MARTIN LurnER machte seinen Namen zu „Hermann", und dabei blieb es. Überliefert ist jedoch Arminius oder seltener:
Armenius, und dies kann keine
latinisierte Form von „Hermann" sein (die hätte vielmehr
Chariomannus lauten müs
sen). Dem römischen Historiker VELLEIUs PATERcuws zufolge, der eine bis zum Jahre 30 n. Chr. reichende
Römische Geschichte ver
faßte, war ARMINIUS - ein Sohn des Cherus kerfürsten S1GIMER - VELLEIUS' Kampfgefährte, als die Römer
6 n. Chr. in Pannonien (etwa
dem heutigen Ungarn) einen Aufstand nieder schlugen. Weiter erfahren wir, daß ARMINIUS das römische Bürgerrecht besaß und in den (römischen) Ritterstand erhoben worden war. Ja, sogar sein Name - hierauf könnte die Form „Armenius" hindeuten - könnte ein Ehrenname sein, den er sich als Teilnehmer an Kämpfen der Römer in Armenien erworben hatte. Was ausgerechnet diesen Mann bewog, sich schließlich gegen die Römer aufzulehnen, darüber kann man nur spekulieren. Der Wunsch, ein „Germanien", das es als geschlossene Einheit noch gar nicht gab, von den Römern freizukämpfen, kann es kaum gewesen sein. Eine Art germanisches oder gar „deutsches" Zusammengehörigkeitsbewußt sein stellte sich erst sehr viel später ein und darf für die damalige Zeit noch nicht vorausgesetzt werden. Es gab in der damaligen Zeit nur Stämme und Stammesverbände, die von den Römern pauschal als „Germanen" bezeichnet wurden, ohne Rücksicht darauf, ob sie eine germanische Sprache sprachen oder sich als „Germanen" fühlten. Es läßt sich auch schwer sagen, ob ARMINIUS speziell als „Cherusker" eine Rechnung mit den Römern zu begleichen hatte. Seit dem Jahre
4 n. Chr. hatten die Cherusker mit Rom
einen Bündnisvertrag und bildeten seitdem als
foederati ( „ Verbündete") einen Puffer gegen =
Römischer Offiziersdolch im Westfälischen Museum in Münster, - vielleicht das Beutestück eines germanischen Kriegers aus der Varusschlacht? 22
romfeindliche Stämme. ARMIN1us· Vater S1m MER galt als ausgesprochen romfreundlich, auch ARMINIUS' jüngerer Bruder FLAvus diente im römischen Heer, und es ist nicht überliefert,
Porträt des Varus
daß einer der beiden diesen Dienst unter
Nur auf Münzen sind Bildnisse des gegen Arminius unterlegenen römischen Legaten Varus erhalten. Staatliches Museum zu Berlin, Münzkabinett.
Amtsführung des römischen Legaten für Ger
Zwang angetreten hätte. Mag sein, daß die manien,
Pueuus
Qu1NCT1uus
V ARUS
( 46
Modell des Haltener Römerlagers. War das römische Lager Haltern an der Lippe jenes Lager, wo nach dem byzantinischen Chronisten Zonaras (12. Jahrhundert), der ältere Quellen benutzt, die überlebenden der Varusschlacht Zuflucht fanden? westfälisches Museum für Archäologie, Münster.
Stammesfürsten den Zug, dann aber meldeten sie sich ab - sie wollten mit ihren Kriegern nacheilen, um den Römern gegen die „Auf rührer" zu helfen.
In Wirklichkeit aber hatten ihre Krieger den
v. Chr. - 9 n. Chr.), von dem Jahre 7 n. Chr.
lände zu locken. Also setzte sich VARus mit
an die Germanen bis aufs Blut reizte.
drei Legionen, drei Alen (Reiterabteilungen)
Zug der Römer bereits „beschattet". Nun
und sechs Kohorten in Marsch. Mit dem Troß,
begannen sie mit Zermürbungsangriffen, bis
Laut VELLEIUS PATERCULus hatte sich VARus
mit Frauen und Kindern quälte sich somit ein
sie mit den völlig erschöpften Römern ein
schon in den Jahren 6-4 v. Chr. als Legat in
Heerwurm von 20 000 bis 30 000 Menschen
leichtes Spiel hatten. Als es keinen Ausweg
Syrien gewisser „ Unregelmäßigkeiten" schul
auf Pfaden voran, die immer schlechter wur
mehr gibt und VARus· Leute beinahe schon
dig gemacht, und anderen Quellen zufolge
den. Möglich auch, daß VARus· Truppen
aufgerieben sind, geben sich die noch Leben
war er damals auch mit unglaublicher Brutali
bereits geschwächt waren, weil ARMINIUS ihm
den selbst den Tod. VARus stürzt sich in sein
tät gegen die Juden vorgegangen. Auf jeden
vorgeflunkert hatte, irgendwelche kleineren
Schwert, einige Stabsoffiziere versuchen, ihn
Fall erwies sich VARUS als ungewöhnlich
Stämme benötigten dringend römische Waf
zu verbrennen. Doch ARMINIUS läßt den ange
vertrauensselig, als er kurz vor der Katastro
fenhilfe, so daß er seine Mannschaften zer
kohlten Leichnam enthaupten und den abge
phe seine Truppen im Cheruskergebiet ihr
splitterte. Anfangs begleiteten noch germanische
soll er von den Cheruskern überfallen worden sein - dies behauptet wenigstens Lucws ANNAEUS FwRus, ein römischer Historiker des 2. Jahrhunderts n. Chr. CAssius Dio dagegen (um 150-235 n. Chr.), ein aus Kleinasien stammender Grieche, der es in Rom zu höchsten Würden brachte und eine 80 Bücher umfassende Römische Geschichte schrieb, schildert die Dinge anders: Ihm zufolge hatte ARMINius·
Schwiegervater,
der
romtreue
SEGESTES, den römischen Legaten gewarnt. Mag sein, daß SEGESTES den ARM1N1us haßte, denn dieser hatte ihm seine Tochter Tttus NELDA geraubt, obwohl - und dies war ganz gegen die Regel - TttuSNELDA bereits einem anderen versprochen war. Doch SEGESTES' Versuch, den ARMINius „auffliegen" zu lassen, scheiterte, denn VARus glaubte ihm nicht. Um so mehr verließ er sich auf ARMINIUS, der ihm die Erhebung eines ferner wohnenden Stam mes weismachte, um ihn von der normalen Rückmarschroute zu den römischen Rheinfe stungen abzubringen und in unwegsames Ge-
schlagenen Kopf dem Markomannenkönig MARBOD nach Böhmen senden, der ihn zu
Sommerlager beziehen ließ. In diesem Lager
Der mstoriker urteilt ""'überall also tritt die gleiche Wesensart zu Tage: eine prachtvoll urwüchsige, naturhafte Veranlagung, die ja auch die Römer so anzog und mit Neid erfüllte, aber auf der anderen Seite Eigensinn, Lässigkeit, Unge bärdigkeit gegenüber Ordnung und Autorität. Gerade das imponierte deshalb den Germa nen so sehr an dem höherstehenden Rom. So wie Hermann der Cherusker lernten viele Häuptlinge gern von der Organisationsweis heit des Imperiums und versuchten, meist vergebens, eine Disziplinierung ihrer Volks genossen„. Die Nummern der drei Legionen, die im Teutoburger Wald vernichtet wurden, er scheinen nie wieder im römischen Heer. So furchtbar wirkte dieses Ereignis nach. Aber es war doch so, daß das Imperium hier im Norden seine Grenze gefunden hatte, genau wie im Osten gegenüber den Parthern. Es war zunächst kein Versagen der Kraft, son dern ein weise scheinender Verzicht - solan ge die Grenze des Imperiums nicht zu bre chen war." (Veit Valentin)
Kaiser AuGusTus weiterschickt. Sechs Jahre später besucht GERMANicus (15 v. Chr.-19 n. Chr.) den Schauplatz der Katastrophe und läßt die Gebeine der gefallenen Legionäre begraben. Um 20 n. Chr. wird ARMINIUS von seinen Verwandten ermordet, und es ist über liefert, daß sein Bruder FLAvus, der den Römern treu blieb, dem Sieger der V arus schlacht Wortbruch vorwarf. Höher bewerteten ihn seine römischen Geg ner, und schon TAc1rus nannte ihn den „Be
freier Germaniens". Eintausendachthundert Jahre später, im Jahre
1809, feierte ihn
HEINRICH VON KLEIST in seinem Drama „Die Hermannsschlacht" als leuchtendes Vorbild für die Freiheitskriege gegen NAPOLEON. Etwas davon wirkte noch nach, als am 16. August 1875 das von ERNST VON BANDEL geschaffene Hermannsdenkmal auf der Grotenburg bei Detmold
eingeweiht
wurde,
-
war
das
Schwert HERMANNS doch aus Kanonen gegos sen, die die deutschen Soldaten als Beute aus dem deutsch-französischen Krieg von 1870/ 1871 mitbrachten. 23
Zwischen der Schlacht im „Teutoburger Wald" und der Heimat Jesu gibt es eine I direkte Verbindung in der Person des römischen Legaten Publius Quinctilius Varus.
DIe Geburt einer neuen Religion
T
atsächlich amtierte VARUS während der
ersten Familien Judäas stammte, und vor
letzten
allem war er König von Roms Gnaden, was
Politik und Religion mischten sich mehr als
ihm die Juden erst recht nicht verziehen.
anderswo, denn der Gott der Juden duldete
Lebensjahre
HERODES'
DES
GROSSEN (37-4 v. Chr.) als römischer
fort nach HERODES' Tod rapide verschlechterte.
keine anderen Götter neben sich. Die Römer
Statthalter in Syrien und war in dieser Eigen schaft auch für Judäa zuständig. Eine unheil
Seine Realpolitik gegenüber Rom, die die
aber verlangten kultische Verehrung für ihren
volle Rolle spielte er, als es nach HERODES' Tod
Römer zwar jahrzehntelang auf Distanz hielt,
Kaiser, - für uns um so unbegreiflicher, als der
zu Unruhen kam. Ganz nahe der Heimatstadt
galt seinen Untertanen aber noch immer als zu
„göttliche" AuGusTUs im übrigen peinlich alles
Jesu, Nazareth, plünderten VARus· Truppen
romfreundlich, und sie förderte in Judäa die
vermied, was an Monarchie erinnerte, und nicht müde wurde zu betonen, er habe nur die
HERODES' Sommerresidenz Sepphoris, und bei
Entwicklung radikaler Strömungen, die auf
Jerusalem ließ er den kleinen Ort Emmaus in
ihre Weise dazu beitrugen, daß sich das
Republik gerettet (deren Institutionen tatsäch
Schutt und Asche legen.
Verhältnis zwischen Jerusalem und Rom so-
lich weiterbestanden) und sei nichts als der erste Bürger des Staates.
Berüchtigt ist besonders seine Massenexeku tion von 2 000 Juden, die er auf einmal
Kurz bevor QuINCTiuus VARUS sein Amt in
kreuzigen ließ. HERODES freilich war nicht sehr
Syrien antrat, wurde in Bethlehem Jesus
viel besser gewesen. Traut ihm doch der
(hebräisch Jeschua bzw. Jehoschua
Evangelist Matthäus (2,16ff.) sogar den Be
ist Erlöser") geboren. Sein Geburtsjahr rech
fehl zu, sämtliche Kinder in Betlehem zu
nete sich ein halbes Jahrtausend später der in
töten, als er gehört hatte, dort sei der „König
Rom tätige skythische Abt DIONYSIOS ExIGuus
�
„Jahwe
der Juden" (Jesus) geboren worden. Er stem
(ca. 500 - 545 n. Chr.) aus. Er begründete
pelte ihn damit für alle Zeiten zum Erz
damit die christliche Zeitrechnung (532 erst
Christenverfolger ab! Aber auch der gar nicht christliche Kaiser AuGusTUs (27 v. Chr.-14 n. Chr.) hatte offen sichtlich Vorbehalte gegen seinen „Freund" HERODES. Er möchte lieber HERODES' Schwein
sein als HERODES' Sohn, soll er gewitzelt haben. Die Pointe: Als Jude aß HERODES kein Schweinefleisch. Schweine waren daher ihres Lebens vor ihm sicherer als seine eigenen Söhne, und überdies ergab dieser sarkastische Spruch
im
Griechischen,
dessen
sich
AuGusTus bediente, ein kalauerndes Wortspiel mit hjs („Schwein") und hyi6s („Sohn"). Auch die Juden mochten HERODES nicht,
Statue des Augustus. Kaiser Augustus und Jesus begründeten Kaisertum und Christentum, Jahrhunderte die stärksten Prägkräfte der euro päischen Geschichte. Vatikanische Sammlungen, Rom.
mals angewandt). Allerdings stellte sich später noch heraus: Der gelehrte Mönch hatte sich um ein paar Jahre vertan. Also müssen wir heute damit leben, daß Jesus gar nicht im „Jahre l" der auf ihn bezogenen christlichen Zeitrechnung geboren ist. Der Evangelist Lukas (2,1-7) bringt Jesu Geburt mit einem Steuerzensus in Verbin dung, der durchgeführt wurde, als Pueuus SuLPICIUS QuIRINIUS (alias CYRENIUS) Statthal
ter von Syrien war. Einen solchen Zensus gab es im Jahre 6 n. Chr., doch liegen Anhalts punkte dafür vor, daß Q u IRINius bereits um 11 v. Chr. einmal Legat in Syrien war, und für das
obwohl Judäa unter ihm eine ausgesprochene
Jahr 8 v. Chr. ist ein römischer Reichszensus
Blütezeit erlebte. Doch er stammte aus einer
durch AuGusTus selbst ausdrücklich bezeugt.
erst kurz zuvor zum Judentum zwangsbekehr
Dies fügt sich zu einer Reihe anderer Indizien,
ten Araberfamilie, und diesen Makel konnte
wonach Jesus schon um 7 „vor Christus"
nicht einmal der von ihm in Auftrag gegebene
geboren sein dürfte. Er war also vermutlich
prachtvolle Neubau des Jerusalemer Tempels
schon etwa sieben Jahre alt, als das später von
tilgen.
Außerdem
hatte
er
seine
Gattin
MARIAMNE töten lassen, die aus einer der 24
DIONYSIOS ExIGuus errechnete „Jahr 1" der
christlichen Zeitrechnung anbrach.
Jesus war(mindestens) 30 Jahre alt, als er in
Triumphzug der Römer. Die heiligen Geräte des Jerusalemer Tempels in Titus' Triumphzug (Relief am T itusbogen in Rom). Kaiser Titus eroberte als römischer Befehlshaber 70 n. Chr. Jerusalem, zerstörte den Tempel und brachte dessen Kultgeräte nach Rom.
die Öffentlichkeit trat (Lukas 3,23). Fast alles, was die Schriften der vier Evangelisten (Matthäus, Markus, Lukas und Johannes)
über ihn berichten, bezieht sich auf die kurze Zeit, die ihm bis zu seinem Kreuzestode (um das Jahr 30 n. Chr.) blieb. Jesu öffentliches Wirken begann mit seiner Taufe im Jordan durch den Bußprediger Johannes (Matthäus 3, 13-17, Markus 1, 9-11, Lukas 3, 21). Lukas gibt sogar einen Zeitansatz: „Im fünf
zehnten Regierungsjahr des TrnERIUS CAESAR (14-37 n. Chr.), als PONTIUS PILATUS Land pfleger(= Procurator) in Judäa war", der auf das Jahr 29/30 n. Chr. hindeutet. In seinen Predigten bewegt sich Jesus auf dem
Parodie auf Triumphzüge römischer Militär
Boden der biblischen Lehre von dem einen
befehlshaber) - als Friedensfürst auf einem
Universalgott Israels, der - was Heiden mit
Esel in Jerusalem einritt. Und sie schildern,
ihrer Göttervielfalt partout nicht verstehen
wie er im engsten Kreise seiner Gefährten, den
konnten - keine anderen Götter neben sich
Aposteln(griechisch: „Sendboten"), sein letz
duldete (Exodus, 2. Mos„ 20, 3) und sich
tes Sedermahl(Passahmahl, ein rituelles Mahl
nicht in irgendeinem Mythos, sondern - darin
vor dem Passahfest) feierte, wie man ihn
den Gottheiten der römischen Staatsreligion
folterte und wie er den ebenso qualvollen wie
seltsam ähnlich - in der Geschichte offenbar
schimpflichen Sklaventod am Kreuze erlitt, -
te. Dieser Gott stellte strenge Anforderungen
aber wir erfahren auch, wie er den Angaben
an seine Verehrer, und man hat oft gesagt,
nach wieder auferstand, seinen Anhängern
Jesus habe den unnachsichtigen Rachegott
erschien, gen Himmel fuhr und schließlich der
des sogenannten „Alten Testaments" (der
Versammlung seiner Anhänger den Geist Got
hebräischen Bibel) durch einen menschliche
tes sandte.
ren Gott der Liebe und Güte ersetzt. Viele schöpften hieraus Hoffnung. So erhielt Doch Jesus selbst betonte, er sei nicht als Gegner des jüdischen Gesetzes „in die Welt gekommen", sondern als dessen Vollender (Matthäus 5, 17). Er verurteilte das Gesetz
Luftaufnahme von Masada. Masadas Verteidiger hielten sich bis 73 n. Chr. Als ihre Lage aussichtslos wurde, begingen sie gemeinsam Selbstmord.
und schon um 40 n. Chr. gab es in Antiochien die erste Gemeinde, die sich ausdrücklich „
christlich" nannte, und besonders einer ihrer
beiden Vorsteher, Paulus, trug die christliche
nicht, wohl aber dessen starre, sich nur an den Buchstaben, nicht aber an den Geist haltende,
die neue religiöse Bewegung großen Zulauf,
Lehre weit in die damalige Welt hinaus.
lebensfremde Anwendung. In dieser Hinsicht
Kaum halb so groß wie die
ähnelt Jesu Lehre der der Pharisäer (einer
Schweiz und wesentlich kleiner
sche Sekte zu sein, und begann seinen Sieges
Strömung innerhalb des Judentums), doch
als Baden-Württemberg: Das
zug, der es nach schweren Verfolgungen schließlich unter KONSTANTIN DEM GROSSEN
tadelte Jesus die Pharisäer noch immer als zu engherzig. Mit den Anhängern der jüdischen
war der Lebenskreis des Jesus
Qumran-Sekte verband Jesus der Glaube an
von Nazareth. Von dieser klein
das bald bevorstehende Weitende. Im Zentrum der christlichen Lehre steht aber die Überzeugung, Jesus sei der von den Juden erwartete „Messias" (hebräisch: maschiach,
sten Provinz des Römischen Reiches und ihrer Tempelstadt Jerusalem, deren ummauerte
Damit hörte das Christentum auf, eine jüdi
(306 - 337 n. Chr.) zur tragenden Religion des römischen Weltreiches werden ließ. In Judäa spitzte sich die Situation immer mehr zu, und es kam zu den beiden großen Juden aufständen (66-70 und 131132 bis 135/36 n. Chr.), die mit der Zerstörung des Jerusale
griechisch: christ6s; beides bedeutet: „der
Altstadt bis heute die Vergan
mer Tempels (70 n. Chr.), dem Massenselbst
Gesalbte"), der auf Erden erschienene Sohn
genheit bewahrt hat, gingen
mord der Verteidiger Masadas (73 n. Chr.),
Gottes, der gekommen sei, um durch seinen Opfertod die Welt zu erlösen, und einst wiederkommen werde, um die Erlösten in sein ewiges messianisches Reich zu führen. So schildern die Evangelisten denn ausführlich, wie Jesus - peinlich darauf bedacht, messiani sche „Weissagungen" der Bibel wahr werden zu lassen (und gleichzeitig in einer bizarren
jene Kräfte aus, die unsere Welt und die Geschichte der
ja, der endgültigen „Zerstreuung"(griechisch: diaspora) der Juden endeten. - Schließlich
standen sich Juden und Christen auch in Deutschland gegenüber. Gleichsam in doppel
Menschheit verändert haben.
ter Brechung wirkten so die uralte Kultur und
(Gerd Prause)
prägend und mitprägend in die deutsche
die ehrwürdige
Eingottreligion Alt-Israels
Geschichte hinein. 25
»Weil die Germanen, treu ihrer Gewohnheit, aus ihren Wäldern und dunklen Verstecken heraus die Unsrigen überraschend anzugreifen pflegten und nach jedem Angriff eine sichere Rückzugsmöglichkeit in der Tiefe der Wälder besaßen, ließ Domitian einen Limes über 120 Meilen anlegen. Dadurch änderte sich nicht nur die gesamte strategische Lage, sondern er unterwarf seiner Macht auch die Feinde, deren I Schlupfwinkel ge
:��
befriedet", so bildeten jetzt Rhein und Donau die Grenzen der römischen Alpen- und Voral penprovinz Raetia (gegründet 16 v. Chr.) und der beiden Militärdistrikte Nieder- und Ober germanien ( Germania
inferior und superior), Belgica
die zunächst noch mit der Provinz
vereinigt waren. Im Gebiet des heutigen deutschen Südweststaates Baden-Württem
Der L1mes
berg allerdings griff das römische Territorium weit über den Rhein hinaus. Der Schwarz wald und sein östliches Vorland waren rö misch, und hier ließ VESPASIAN (Kaiser: 69-79 n. Chr.) vom Jahre 74 n. Chr. an Stützpunkte errichten, darunter Arae Flaviae (heute: Rott weil).
D
iese
Worte
des
großen
römischen
Schriftstellers SEx rns Juuus FRONTINus,
Jahre später abspielte. Und erst im Zusam menhang damit fällt die Ortsangabe
Etwas Bewegung kam in die römisch-germa
eines Mannes, der als Konsul und dann
unweit des Teutoburger Waldes". Der römische Feld
nische Grenze, als DoMITIAN (81-96 n. Chr.)
auch Gouverneur Britanniens »mitten im
herr GERMANrcus (15 v. Chr. bis 19 n. Chr.)
Kaiser war. Er besiegte 83 n. Chr. die germani
Leben« stand, machen aus römischer Sicht
war bis zum Schauplatz der Varusschlacht
schen
überdeutlich, worum es letztlich ging.
vorgedrungen und ließ die Gefallenen bestat
der Wetterau sowie im württembergischen
ten. VARus· abgeschlagener Kopf war schon
Raum nach Osten vor und verlieh noch vor
Doch setzen wir zunächst ein, wo wir geendet
lange zuvor nach Rom gelangt und dort mit
dem Jahre 90 n. Chr. den bisherigen Militär
hatten: Die Germanen versäumten es, ihren
allen Ehren beigesetzt worden. Freilich, die
bezirken Ober- und Niedergermanien den
Sieg über VARus zu nutzen. Sie wären aber
Römer verzichteten auf weiteren Landgewinn
Status von Provinzen. Nach dem »freien«
auch gesellschaftlich-kulturell ebenso wie mi
in Germanien. Im Jahre 16 n. Chr. dann rief
Germanien hin schützte er die Grenzen durch
„
Chatten, schob die römische Grenze in
litärisch noch viel zu wenig entwickelt gewe
Kaiser TrnERIUS (14-37 n. Chr.) seinen Neffen
Beobachtungsstationen
sen, um gegen die Römer ein wirkliches
und Adoptivsohn GERMANrcus aus Germanien
miteinander in Sichtverbindung standen und
Gegengewicht zu bilden. Ebensowenig aber
zurück.
zwischen denen ein Flechtwerkzaun verlief.
Expansion des Römerreiches in Mitteleuropa
Waren noch wenige Jahre zuvor die Römer
um 55-120 n. Chr.) erstmals das Wort
- ja, die unruhigen Germanen zwangen die
bis an die Elbe vorgedrungen (so DRusus
in der Bedeutung „Reichsgrenze", „Grenzbe
Römer sogar, die Grenzen ihres Machtberei ches durch besondere Maßnahmen zu sichern.
9 v. Chr. bis in die Gegend von Magdeburg und der nachmalige Kaiser TrnERrus 5 n. Chr.
„
Die Varusschlacht hatte im Jahre 9 n. Chr.
bis an die Elbmündung) und konnte AuausTus
„
stattgefunden. TACITUS schilderte die Schlacht
sich in seinem Tatenbericht
selbst nicht. Aber er beschreibt, was sich sechs
rühmen, Germanien sei
kam es zu einer weiteren Ost- und Nord
(Wachtürme),
die
Nun taucht auch in der Literatur (bei TAcrrns,
„
(Res Gestae) bis zur Elbmündung
Limes
festigung" auf (ursprünglich bedeutete es:
Grenzweg zwischen zwei Grundstücken", T rampelpfad zwischen zwei .1fckern ").
Aber
erst
unter
den
Kaisern
HADRIAN
(117-138 n. Chr.) und ANTONINUS Pius (138-
161 n. Chr.) bekam der obergermanische Limes seine endgültige Gestalt. Er bestand nun aus einem Palisadenzaun mit Spitzgra ben,
Wall
und
Grenzwachtürmen.
Der
rätische Limes dürfte wohl erst nach Angriffen der Alamannen um 213 n. Chr. unter Kaiser CARACALLA (211-217 n. Chr.) eine zwei bis
drei Meter hohe und etwa einen Meter starke Mauer, die der Volksmund später
Teufels mauer" nannte, erhalten haben. Insgesamt „
erstreckte sich der Limes über etwa 545 km von (ungefähr) Rheinbrohl (nördlich von
Haupttor der Saalburg (»porta praetoria«). Die Saalburg ist ein römisches Kastell am obergermanischen Limes, nordwestlich von Bad Homburg gelegen. Es wurde in den Jahren 1868-1907 wiederaufgebaut. Das Kastell sollte einen wichtigen, durch Erdschanzen abgesicherten Taunuspaß kontrollieren helfen. 26
O 0 e 0
Festung vor 85 n. Chr. erbaute Festung nach 85 n. Chr. erbaute Festung Antoninische Festung
6
Feldlager einer Legion
+
größere zivile Niederlassung
-
Limes
- - - Provinzgrenze -
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römische Straße
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NORICUM
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" Mitten in unserer Landschaft ein steinernes Zeugnis für schwindende Expansionsbereitschaft ... "
Neuwied) bis etwa nach Kehlheim an der Donau. Vom Neuwieder Becken lief er in südöstlicher Richtung bis Zugmantel, ab dort in nordöstlicher bis Butzbach/ Arnsburg. Dann wandte er sich nach Süden und erreichte bei Seligenstadt den Main. Ein Stück weit bildete dieser Fluß nun die „nasse Grenze". Vom Main zweigte eine ältere Linie von Kastellen
der römischen Seite begleiteten. Denn um
ab, die sich südwärts bis nach Wimpfen am
diese Kastelle bildeten sich häufig „zivile"
Neckar erstreckte. Der spätere Haupt-Limes
Ansiedlungen, die man vicus nannte und die
verlief etwa 30 km weiter östlich auf der Linie
den Grundstock so mancher heutigen Stadt
Miltenberg, Walldürn, Osterburken, Jagst
oder manches heutigen Dorfes abgaben. Die
hausen fast schnurgerade südwärts bis Lorsch.
Kastelle selbst verwendete man nicht selten als
Bei Lorsch ging der obergermanische in den
„Steinbrüche" - d.h.: Man verwendete ihr
rätischen Limes über, welcher sich zuerst nach
Baumaterial, nachdem sie ihren militärischen Zweck verloren hatten und die Römer abge
Nordosten wandte, bis er bei Gunzenhausen seine Richtung änderte und schließlich, nach Südosten hin verlaufend, bei Kehlheim die Donau trreichte. All die genannten Ortschaf ten - und noch sehr viele mehr - sind aus Kastellen hervorgegangen, die den Limes auf
Limes bei Himstetten. Um 85 n. Chr. begann Kaiser Domitian mit dem Bau des ca. 545 km langen Limes. Bei Hirnstellen (Gemeinde Kipfenberg/Kreis Eichstätt) ist er noch gut zu erkennen.
zogen waren, um andere, zivile Bauten daraus zu errichten, oder man funktionierte sie zu Klöstern und Kirchen um. Heute befinden sich in ihren Ruinen bisweilen Hotels und/ oder Museen. 27
Eines der ältesten und zugleich bekanntesten Kastelle ist die
wurden „Pforte" und „Portal", aus lateinisch
Saalburg bei Bad Homburg
fenestra wurde unser deutsches „Fenster".
vor der Höhe im Taunus. Bei archäologischen
Der römische Einfluß erstreckte sich auch auf
Untersuchungen (ab
1870)
stellte es sich
Handel und Wandel: So wurde aus dem
heraus: Die Anlage bestand zuerst aus Erd
lateinischen
wällen, dann aus Holz- und schließlich aus
„Krämer") der Kaujinann", aus
caupo („Schankwirt", aber auch moneta die „
80
„Münze" und dergleichen mehr. Viele Le
an bis ungefähr 260 n. Chr., dann überrannten Alamannen den Limes, und dies war das
Einfluß der nicht nur militärisch, sondern
Steinbauten. Das Kastell stand vom Jahre
bensbereiche standen unter dem prägenden
Ende, - nicht nur der Saalburg, sondern dieser
auch kulturell überlegenen Besatzungsmacht,
gesamten römischen Grenzwehranlage. Seit
und dieser Einfluß strahlte auch über den
dem Mittelalter benutzte man auch die Saal
Limes hinweg ins freie
Germanien hinein.
burg als Steinbruch (z. B. verwendete man Steine aus dem römischen Kastell auch beim
Viele unserer Ortsnamen erinnern noch an die
1898
römischen Limeskastelle. Die typische Form
Bau des Schlosses Homburg), doch von
an wurde das Kastell auf Geheiß des letzten
Römischer Wachturm am Limes.
derartiger Kastelle war ein Quadrat oder
deutschen Kaisers WILHELMS 11. teilweise wie
Dieser Wachturm wurde rekonstruiert. Er stand bei Lorsch (Kreis Schwäbisch Gmünd).
Rechteck mit abgerundeten Ecken, umgeben
der aufgebaut.
von Wällen, einem Graben und Palisaden werk, - oder auch von regelrechten Wehr mauern. Zwei Hauptachsen verbanden das
Heute weiß man, daß römische Bauten dieser Art zwar im gesamten riesigen Römerreich
hat. Nicht nur Siedlungen entwickelten sich
einem einheitlichen Muster folgten, daß dieses
bei den -Limeskastellen, auch Straßen ent
Haupttor
(porta praetoriana) mit dem rück (porta decumana) sowie die „rechte" mit der „linken" porta principalis
wärtigen Tor
Muster jedoch regional bedingte, geringfügige
standen, die die strategisch wichtigen Punkte
Unterschiede aufwies. Als man die
Saalburg
untereinander und mit dem Hinterlande ver
(die beiden Seitentore). Im Zentrum lagen die
wieder aufbaute, war man allerdings noch
banden, aber auch der nichtmilitärischen In
Kommandantur (bzw. das „Stabsgebäude",
sehr viel unbekümmerter und orientierte sich
frastruktur dienten.
principia), das Kommandantenwohnhaus (praetorium), eine Stätte für den Staatskult,
an den Bauten des römischen Stützpunktes
Waffenkammern
und
dergleichen
mehr.
Lambaesis im römischen Numidien (Alge
Die Germanen, die in der
rien). Zwei Räume des ehemaligen Getreide
ansässig waren, wurden zwar nicht so stark
Außerdem gab es Unterkünfte, ein Getreide
Germania Romana
magazins der Saalburg sind heute Museum
romanisiert wie die Gallier, aber die lateini
magazin
und bergen die zahlreichen Kleinfunde (auch
schen Ausdrücke, die sie übernahmen, zeigen,
ein „Krankenrevier"
(horreum), eine Werkstatt (fabrica), (valetudinarium), Ställe
Gegenstände germanischer Herkunft), die bei
in welchem Umfange und in welchen Lebens
und Latrinen. Bäder lagen oft außerhalb des
den Ausgrabungen im Kastell selbst, aber
bereichen sie von ihren kulturell höher ent
Kastells, und bei manchen Kastellen gab es
auch in der zugehörigen „zivilen Ansiedlung"
wickelten neuen Herren lernten. So übernah
auch ein Amphitheater.
(vicus) zum Vorschein kamen. Unter ande
men sie z.B. den steinernen murus, der schließ
rem fanden sich ärztliche Instrumente und der
lich im Deutschen zur „Mauer" werden sollte
Außerhalb des Kastells ließen sich Angehöri
„Rezeptstempel" eines römischen Augenarz
(sie selbst hatten zuvor nur die „ge-wundene",
ge der Soldaten, Handwerker, Händler und
tes namens GA1us XANTHUS, der sich auf diese
aus Zweigen um Pfahlwerk herum geflochte
anderes Volk nieder, hinzu kamen Stätten für
Weise uns Nachfahren unsterblich gemacht
ne „Wand" gekannt), aus lateinisch
porta
inoffizielle Kulte. Um ihre Bäder (aber auch Häuser in den sich bildenden Städten) zu
Zeitzeugnis: Die Germanen „(„.)
Unmittelbar nach dem Schlaf, der sehr häufig bis in den Tag hinein ausgedehnt wird, waschen sich die Ger manen öfter warm, da ja bei ihnen der Winter den größten Teil des Jahres ausmacht. Nach dem Waschen nehmen sie das Frühstück ein, wobei jeder seinen Stuhl und ein besonderes T ischehen hat. Dann gehen sie an ihre Ge schäfte, doch ebensooft zu einem Gelage, und zwar stets in Waffen. Tag und Nacht durchzuzechen, ist für nie manden eine Schande. Strei tigkeiten, wie sie ja bei Be trunkenen leicht vorkommen,
enden selten mit bloßen Sehimpfreden, häufiger mit Verletzungen oder Totschlag. Doch auch wenn Verfeindete miteinander ausgesöhnt oder Ehen geschlossen werden sollten, wenn jemand unter die Edelinge aufgenommen, ja sogar wenn über Krieg und Frieden beraten werden soll, so geschieht das zumeist bei Becherklang, als wenn der Mensch gerade dann beson ders offenherzig und für edle Gedanken empfänglich wäre. Dieses Volk, nicht verschla gen noch durchtrieben, gibt in ausgelassener Fröhlichkeit auch heut noch die sonst tief
in der Brust gehüteten Ge heimnisse preis; daher liegt die Meinung aller unverhüllt und offen da. Am nächsten Tag wird die Beratung noch einmal wieder aufgenom men. Die Behandlung der gleichen Sache zu zwei so ganz verschiedenen Zeit punkten hat ihren guten Grund: Man hält Rat, wenn man sich nicht verstellen kann; man trifft die Entschei dungen, wenn man - wieder nüchtern - nicht irren kann." (Der römische Historiker Pub lius Cornelius Tacitus, 1 ./2. Jh. n. Chr.).
beheizen, wandten die Römer ein System an, das um 80 v. Chr. von einem gewissen SERG1us ÜRATA erfunden worden sein soll. Man be zeichnet es als Hypokausten (griechisch: „ U n terfeuerung", „ Unterbodenheizung"): Aus ei ner zentralen Feuerstelle leitete man Warm luft unter die leicht hochgesetzten, auf kleinen Säulen ruhenden Böden der zu beheizenden Räume. Die heißen Gase zogen sodann durch Hohlziegel im Mauerwerk der Wände ab, so daß die Räume auch von der Seite beheizt wurden. Römische Techniker bewiesen beim Bau solcher Heizungsanlagen großes Können: Bei der Konstantinsbasilika in Trier (heute evangelische Erlöserkirche) entsprach die Lei stung der spätantiken Heizung ziemlich genau dem Wärmebedarf, den moderne Fachleute errechneten, als eine neue Zentralheizung eingebaut werden sollte!
28
Auch im Schutze des Limes gelang es den Römern nicht, die in ihrer Provinz ansässigen Germanen so zu romanisieren wie die Kelten in Gallien.
Das Leben im Schutze des Limes
A
eigenen Grund und Boden und ihre eigenen
uf vielerlei Weise hat man zu erklären
im Verlauf der Kaiserzeit zunehmend Truppen
versucht, warum den Germanen die
aus den Provinzen stationiert, was zweifellos
Familien vor anstürmenden Feinden zu ver
römische Zivilisation fremder blieb als
seinerseits die Romanisierung erschwerte. -
teidigen hätten. So kam es im Grenzgebiet zu
den Galliern. Einer der Gründe war wohl, daß
Und doch versuchten die Römer, städtische
einer Mischbevölkerung (aber eben nicht zu
die Germanen noch auf der Stufe einer
Zivilisation zu importieren - nicht nur in
einer
Bauernkultur mit allenfalls dörflicher Sied
Mogontiacum (Mainz) und Augusta Vindeli
schon für die Zeit vor der Errichtung des
vollständigen Romanisierung),
und
lungsform standen, wogegen die Kelten (Gal
corum (Augsburg), den Hauptstädten Ober
Limes ist durch Pueuus CoRNELius TAc1rns ein
lier) bereits eine proto-urbane („früh-städti
germaniens und Rätiens, sondern auch in
keltischer Bevölkerungsrückstrom aus Gallien
sche")
in das alte keltische Mutterland östlich von
hatten.
vielen anderen Zentren. Vor allem im Umfeld
Zwischen den in Gallien lebenden Kelten und
der römischen Garnisonen (Kastelle) bildeten
Rhein und Schwarzwald (das „Dekumaten
ihren römischen Eroberern gab es mithin
sich Siedlungen aus Angehörigen jener Spa
land" ,agri decumates') bezeugt. Außerdem
mehr Berührungs- und Anknüpfungspunkte
nier, Briten, Gallier und T hraker, die als
gab es dort offensichtlich noch keltische Sied
für eine gemeinsame Weiterentwicklung als
römische Soldaten an der Grenze Dienst taten.
lungen. Eine davon war Brigobanne, beim
Entwicklungsstufe
erreicht
zwischen Römern und Germanen. Sicherlich
heutigen Hüfingen auf der Baar-Hochebene
hatten auch die Einheimischen Anteil an der
Rom erlaubte es diesen Grenzsoldaten, sich
Kultur, die sich hinter dem römischen Limes
dort, wo sie stationiert waren, niederzulassen
(westlich von Donaueschingen) gelegen. Bri gobanne ist ein keltischer Name, und in dem
entfaltete, doch war es offensichtlich nicht
und Familien zu gründen. Man erhoffte sich
kleinen Ort, der so hieß, entdeckte man nicht
leicht, sie zu urbanisieren. Zweitens war Gal
von diesen ansässig gewordenen Grenztrup
nur Reste von Römerbauten (insbesondere
lien schon erobert und kolonisiert worden, als
pen, daß sie im Fall eines Germanenangriffs
eines
das römische Heer noch aus Römern bestand.
um so erbitterter kämpfen würden, wenn sie
sondern barg auch Funde aus vorrömischer
In den germanischen Garnisonen aber wurden
an Ort und Stelle ihren eigenen Besitz, ihren
Keltenzeit.
Gebäudes
mit
Unterbodenheizung),
"···Wagen typ, der Rückschlüsse auf die Be schaffenheit der Straßen zuläßt"
Römischer Reisewagen.
r.;ijlJ��iji;�(i! I!
··
Zum Alltagsleben gehörte, daß man verreiste: Römischer Reisewagen (Relief aus Maria Saal bei Klagenfurt). 29
Das römische Straßennetz im Rheinland Seit der Steinzeit führten Ver kehrswege vom Norden Eu ropas nach Süden (.Bern steinstraßen"). Schon aus vorrömischer Zeit wissen wir einiges über die Beschaffen heit dieser Straßen, einer seits durch Grabungen, an dererseits durch Funde, die den Schluß zulassen, daß die Kelten und Germanen Wa gentypen entwickelt hatten, die einen bestimmten Stan dard der Beschaffenheit des „Fahrbelags" voraussetzten. Die Römer machten sich die ses Straßennetz zunutze, bauten es aus, verbesserten es und bezogen all dies auf ihre militärischen und wirt schaftlichen Ziele. Verallge meinernde Aussagen über die Anlage antiker Straßen züge sowie über die Be schaffenheit des Unter grunds sind für das römische Rheinland nicht möglich . Wir dürfen annehmen, daß es Wege mit und ohne Schotter-
schicht(en) gab, solche, die mit vertikal gesetzten Stein platten gesäumt wurden, sol che, die auf sandigem Unter grund kiesbelegt waren oder auch solche, die eine Unter lage hatten, welche man mit Kies und Sand überzog. Der Leser wird nun nach ei ner, modern gesprochen: „Straßenkarte" des römi schen Rheinlandes fragen wollen. Es gibt sie nicht, weil Historiker und Archäologen im Grunde bis heute auf Ver mutungen und Hochrech nungen angewiesen bleiben. Gleichwohl stehen uns Heu tigen eine Vielzahl literari scher und archäologischer Zeugnisse zur Verfügung, die nicht nur den Ehrgeiz der Forscher stimulieren, son dern zugleich die Phantasie des Laien anregen. In diesem Zusammenhang stellt die sog Peutinger-Ta fel" der Wiener Hofbibliothek eine einzigartige Rarität dar. .
•
Sie ist ein vermutlich aus dem vierten nachchristlichen Jahrhundert stammendes „Itinerarium", also ein Wege verzeichnis, das mit einiger Wahrscheinlichkeit selbst wiederum die Kopie einer frü heren römischen „Weltkarte" darstellte. Tafeln dieser Art erfüllten in der römischen An tike die Aufgabe unserer heutigen Kartenwerke. Man stellte sie öffentlich auf und aus. Es waren sozusagen die „Litfaßsäulen des Altertums". Wie es sich für eine „Weltkar te" gehört, ist das rheinische Segment der Peutinger-Tafel nur äußerst grob wiederge geben. Immerhin werden für den linksrheinischen Raum mehr als zwei Dutzend ein deutig identifizierbare Orte genannt, so daß wir auf die Struktur eines übergeordne ten Straßensystems schlie ßen können, wenn uns auch der tatsächliche Verlauf der Wege unbekannt bleibt...
Auch eine Verschmelzung keltischer Gotthei ten mit solchen der griechisch-römischen An tike gab es. Es liegen beispielsweise Zeugnisse dafür vor, daß man den keltischen Wasser und Heilgott antiken
Grannus mit dem klassisch Apoll gleichsetzte, zu dessen „Res
sorts" gleichfalls die Heilkunst gehörte. Unter anderem ist der Name dieses alten Keltengot tes im römischen Namen der Stadt Aachen
(Aquae Granni
=
„Grannuswasser") enthal
ten. Tatsächlich war ja Aachen wegen seiner T hermalquellen und Badeanlagen im Alter tum berühmt, und noch der Frankenkönig und spätere Kaiser KARL DER GRossE liebte es, in den altkeltisch-altrömischen „Grannuswas sern" ausgiebige Bäder zu nehmen. Zu den keltischen Gottheiten, die man im römischen
Germanien
verehrte,
gehörten
auch die sogenannten „Matronen , - Frucht "
barkeits- und Schutzgöttinnen, die man als Dreiergruppe mit Fruchtkörben oder Frucht schalen auf dem Schoß darstellte und unter verschiedenen Namen (darunter auch Namen germanischen Ursprungs) verehrte. Heiligtü mer dieser Göttinnen fand man beispielsweise bei Pesch, Zingsheim und Nettesheim (alle südwestlich von Bad Münstereifel gelegen). Diesen Keltengottheiten waren sogenannte „Umgangstempel" gallo-römischen Typs ge weiht. Sie bestanden aus einem turmartigen Allerheiligsten
(cella) mit einem breiten Um
gang. Tempel dieser gallo-römischen Bauwei se fand man unter anderem auch in Arae Flaviae (Rottweil) sowie ursprünglich auf dem Schönbühl bei Augst (Augusta Raurica) am schweizerischen Rheinufer zwischen Basel und Rheinfelden. Erst um die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. wurden diese Tempel keltischen Typs auf dem Schönbühl durch einen einzigen Bau ersetzt. Natürlich gab es daneben auch Heiligtümer der in der römischen Kaiserzeit so beliebten verschiedensten Mysterienreligionen - so bei spielsweise das „Haus mit dem Säulenkeller" (Haus Nr.
3) in der römischen Zivilsiedlung (vicus) beim heutigen Schwarzenacker (zwi schen Zweibrücken und Homburg, Saar). Unter anderem fand man hier Statuen ver schiedener römischer Götter und fragmentari sche Fresken mit Darstellungen aus der T he
Römerbrücke in Trier. Noch immer erfüllt die um das Jahr 140 n. Chr. errichtete Römerbrücke in Trier - ein Meisterwerk antiker Ingenieurkunst als einzige antike Brücke Westeuropas ihren Zweck. Sie genügt sogar den Anforderungen, welche die Belastung durch moderne Verkehrsmittel an sie steltt.
matik der
Dionysos-/Bacchusmysterien. Den
griechisch-römischen
Gott
Dionysos/Bac
chus zeigt auch das berühmte Dionysos Mosaik aus einem römischen Wohnhaus in Köln, über dem sich heute das Römisch Germanische Museum befindet. Mosaiken mit Darstellungen ganz anderer Art (aus der
30
Welt der Amphitheater) fanden sich beispiels weise in Bad Kreuznach und in der römischen Prunkvilla von Nennig nahe der luxemburgi schen Grenze. Natürlich gab es auch Amphi theater im römischen Germanien. Die noch immer eindrucksvollsten befinden sich in
" ...der Integrationskraft der mittelmeerischen Hochkultur konnten sich Kelten und Germanen nicht entziehen "
Xanten (teilrekonstruiert) und Trier. Zahlreiche Gutshöfe römischer
Veteranen
zeugen nicht nur davon, woher die Besatzun gen der Limeskastelle ihren Lebensmittel nachschub bezogen, sondern auch von der Besiedlungspolitik der Römer in den von ihnen besetzten Gebieten. Einer dieser Guts höfe liegt bei Hohlheim südwestlich von Nördlingen in unmittelbarer Nähe der vorge schichtlichen Ofnet-Höhlen. Zusammen mit den dunklen Höhlenmündungen und gähnen den Steinbrüchen im Hintergrund ergeben die Überreste dieser villa rustica ein archäologi sches Szenarium, das seinesgleichen sucht. Und doch lag der Hauptakzent der römischen Politik auf der Gründung von Städten. Nörd lich des Limes waren es vor allem die starken Garnisonen von Colonia Claudia Ara Agrip pinensium (Köln) und Castra Vetera (Xan ten), die diesen Teil der Grenze gegen Angrif fe aus
dem
Rechtsrheinischen
sicherten.
Köln, die Hauptstadt Niedergermaniens, war mit nahezu 20 000 Einwohnern für antike Begriffe recht groß. Schon um das Jahr 38 v. Chr. hatte A uGusTus· Freund MARcus V1r SANIUS
AGRIPPA (63-12 v. Chr.) die ursprüng
lich rechtsrheinischen Ubier hier angesiedelt sowie zwei römische Legionen in der Stadt stationiert, die - mit einem Altar für Roma und Augustus
-
als städtischer Kultmittel
punkt des neuen Ubier-Siedlungsgebietes ins Leben gerufen worden war. Doch als eigentli ches Gründungsjahr gilt das Jahr 50 n. Chr., als CLAumus (Kaiser: 41-54 n. Chr.) die Stadt, in der 15 n. Chr. seine Gemahlin,
Mosaik der Prunkvilla Nennig. Dieses Mosaikfeld aus der römischen Prunkvilla von Nennig (bei Remich) zeigt einen Orgelspieler und einen Hornbläser. Derartige Musiker untermalten Gladiatorenspiele.
AGRIPPINA die Jüngere, geboren war, zur römischen Veteranenkolonie erhob und ihr italisches Stadtrecht verlieh. Aber Köln hatte nicht nur als Garnison und Verwaltungszentrum militärische und politi sche Bedeutung. Es entwickelte sich auch zu einem wichtigen »Industriestandort«. Vor al lem stellte man hier künstlerisch und technisch hervorragende Gläser her, die Zeugnis vom hohen
Entwicklungsstand
des
römischen
Handwerks ablegen. Sie wurden auch in alle Gebiete des römischen Weltreiches exportiert. Wir können sie heute im Römisch-Germani schen Museum der Domstadt am Rhein bewundern.
Römisches Gebrauchsgeschirr. 31
Ge
] r1er Wird römische Kaiserstadt
Die mit ihren eindrucksvollen Römerbauten „römischste" Stadt auf deutschem 1 Boden lag nie im römischen
rm�e��;�����=r��
1
RollllSch-Germamens.
T
rier, eine der ältesten Städte Deutsch
Stadtrecht, und die neue Kolonie blieb auch
händlers im nahen Dorf Igel, stammen zahl
lands, an einem Knotenpunkt bedeuten
Sitz der römisch-germanischen Finanzverwal
reiche römische Grabsteine aus Neumagen (heute im Trierer Landesmuseum), deren
Handelswege
tung, als Kaiser D oMITIAN (81-96 n. Chr.) die
gelegen, verdankt seinen Namen dem Stamm
beiden Militärbezirke Ober- und Niederger
Darstellungen Szenen aus dem Alltagsleben
der Treverer, von denen man beim besten
manien in eigene Provinzen umwandelte.
einer blühenden römischen Provinzstadt zei
der
frühgeschichtlicher
Willen nicht mehr sagen kann, ob sie Germa
gen. Zur Zeit des gallorömischen Teilreiches
nen oder Kelten waren. Nach Ausweis spätla
Ab etwa dem Jahre 100 n. Chr. auch Versor
tenezeitlicher Funde müssen sie zumindest
gungszentrum der in Germanien stationierten
VICTORINus und TETRicus (259-274) war
„Kulturkelten" gewesen sein. Trier war ihr
römischen Truppen, erlebte Trier einen enor
Trier vorübergehend Residenz und Münzstät te dieser Gegenkaiser.
Handels- und Kultzentrum. Kaiser Au o usTU s
men wirtschaftlichen Aufschwung. Damals
(27 v. Chr. - 14 n. Chr.) gründete hier das
besaß es bereits sein Amphitheater (ca. 100 n.
unter den Usurpatoren PosTUMus, M ARIUS,
römische Augusta Treverorum , das unter Kai
Chr.), seine „Römerbrücke " (ca. 140 n. Chr.),
Einen schweren Schlag erlitt die Stadt, als jene
ser T rnERIUS (14-37 n. Chr.) Finanzverwal
über die der moderne Verkehr rauscht, als
Franken und Alamannen sie im Jahre 275/
tungs-Sitz der Provinz Belgica sowie der
wäre sie eigens für ihn geschaffen, und die
276 verwüsteten, die 260 den Limes durch
beiden Militärdistrikte Ober- und Niederger
sogenannten
brochen
manien wurde. Kaiser C LAumus (41-54 n.
noch in fränkischer Zeit benutzt wurden. Aus
Westen überschritten hatten. Doch Triers
Chr.) erhob den Ort - wie auch Köln - zur
derselben Entwicklungsphase Triers stammt
große Zeit begann erst nach dieser Katastro
römischen Veteranenkolonie mit italischem
auch die etwas jüngere Grabsäule eines Tuch-
„Barbarathermen", die wohl
und
den
Rhein
in
Richtung
phe, als es abermals Kaiserstadt wurde, näm lich unter KoNSTANTIUS 1. C tt LO R u s dem Vater ,
K ONSTANTINS
DES
GRossEN. Um zu verstehen,
welche Funktion KoNSTANTIUs C ttLORus und seine Residenz innerhalb des Reichsganzen hatten, sollte man einiges über D roKLETIAN (Kaiser: 284-305) wissen. Einerseits machte D roKLETIAN aus dem römischen Kaisertum, dessen Begründer einst als „Retter der Repu blik" aufgetreten war, eine Despotie orientali schen Gepräges. Unter ihm gab es auch eine blutige Christenverfolgung. Andererseits aber bemühte er sich, das immer schwerer regier bare Riesenreich regierbarer zu machen. Des halb teilte er das Reich in eine Ost- und eine Westhälfte, die gleichzeitig von vier Kaisern regiert wurden, von denen zwei den Titel Augustus und zwei den Titel Caesar führten. Die beiden Augusti standen etwas höher als
Porta Nigra. Triers Wahrzeichen, die mächtige Porta Nigra (,Schwarzes Tor"), war das Nordtor der 6,5 km langen antiken Stadtmauer. Die Bezeichnung rührt von der Patina der Sandsteinquader. 32
Konstantinsbasilika. Blick von den drittgrößten T hermen des gesamten Römerreiches auf Triers „Konstantinsbasilika", um 305 n. Chr. erbaut.
"Ein monumentales Zeitzeugnis tritt in unser Leben.„ "
ihm Jesus den Sieg über den weströmischen Usurpator MAXENTIUS verheißen, wenn er die griechischen Anfangsbuchstaben des Wortes „ Christus", ein X ( Chi Lautwert: „ Ch") und =
ein P (
=
Rho Lautwert: „R"), kombiniert zu
dem Monogramm:l?oder
-F,
an die Feldzei
chen seiner Soldaten heften ließe. KONSTANTIN tat es - und fügte im Jahre 312 seinem Gegner
die beiden Caesares. DIOKLETIAN selbst war
seine Zuständigkeit fielen Gallien und Britan
einer der beiden Augusti, behielt sich aber vor,
nien. KoNSTANTius· Sohn von seiner ersten
an der Milvischen Brücke im Norden Roms
sozusagen „Oberkaiser" zu sein. Außerdem
Frau (oder Geliebten), Helena, war KONSTAN
eine vernichtende Niederlage zu.
reformierte er die Provinzialverwaltung und
TIN DER GRossE, der das Römerreich auf
unterteilte die beiden Teilreiche in
christlichen Kurs brachte. Ob KONSTANTIN
Danach überhäufte er die Christen, die unter
sen („Reichssprengel").
diese Wende aus innerer religiöser Überzeu
D10KLETIAN kurz zuvor noch grausam verfolgt
gung oder nur als kluger Realpolitiker herbei
worden waren, mit Beweisen kaiserlicher
KoNSTANTIUS CHLORus nun wurde im Jahre
führte, läßt sich nicht mehr sagen. Jedenfalls
Huld und ließ überall im Lande Kirchen
293 von seinem Schwieger- und Adoptivvater MAXIMIAN (286-305), DIOKLETIANS Mit Au
erklärte er später seinem Biographen, dem
errichten. Zwar machte er schließlich Kon
CAESAREA
stantinopel zu seiner neuen Hauptstadt, doch
gustus im Westen, zum Caesar ernannt. In
(um 260-339), in mehreren Visionen habe
setzte er auch in Trier die von seinem Vater
12 Diöze
-
Kirchenhistoriker
EusEsros voN
begonnene Bautätigkeit fort. Nun erst ent stand wohl die gewaltige Porta Nigra, das monumentale Nordtor der römischen Stadt (obwohl Triers Stadtbefestigung bereits aus dem späten
2.
Jahrhundert n. Chr. stammt),
und erst jetzt wurden vor allem die mächtigen Kaiserthermen (die drittgrößten im gesamten
Römerreich) sowie der Kaiserpalast geschaf fen.
Grundriß des Tempelbezirks im Altbachtal. Etwas im Südosten der Trierer Kaiserthermen liegt der Tempelbezirk im Altbachtal. Wie der Plan deutlich erkennen läßt, dominiert hier der quadratische Grundriß gallischer Umgangstempel. Klar erkennt man den quadratischen Zuschnitt der Tempel-cellae inmitten der gleichfalls quadratischen Umgänge. Hier wurden keltische Gottheiten verehrt, wie auch Einzelfunde bezeugen. Gallische Umgangstempel fanden sich keineswegs nur in Trier, sondern auch in vielen Teilen des römischen Germanien (wie z.B. in Rottweil und Augst bei Basel), besonders aber in der Eifel (Pesch, Zingsheim und Nettersheim). 33
" ... und es entstand eine unsichtbare Sogwirkung"
Von diesem steht noch immer eine aus Back steinen ausgeführte Repräsentationsaula, die sogenannte Konstantinsbasilika. Nach wech selvollen Schicksalen wird das noch immer eindrucksvolle, ursprünglich profane Bau werk heute als evangelische Kirche genutzt.
ER
Auch die „Römerbrücke" erhielt in Triers „Kaiserzeit" fünf neue Steinpfeiler. Viele der antiken Bauten Triers wurden zerstört, über baut oder umgestaltet (wie beispielsweise die konstantinische Doppelkirchenanlage, die in zwischen nahezu alle Stilrichtungen abendlän discher Kirchenbaukunst repräsentiert, heute Dom und Liebfrauenkirche), und ein ähnli ches Schicksal wäre auch beinahe der Porta
Nigra widerfahren. Schon riß man in den metallarmen Zeiten nach der sogenannten
„ Völkerwanderung" an ihren Quaderstößen, soweit erreichbar, die Bleivergüsse und die eisernen Krampen heraus, die die Steinblöcke zusammenhielten. Doch zu weiteren Zerstö rungen kam es nicht, weil sich der Überliefe rung nach ein christlicher Einsiedler namens
S1MEON hoch oben im Ostturm des Tores einmauern ließ.
AQUITANIEN
\
Nach seinem Tode wandelte man Triers altes,
FRANKEN
Stammesverbände und Großstämme
CHAUKEN
Einzelstämme, z.T., in Stammesverbände aufgegangen
patinageschwärztes Stadttor in eine Kirche um, und damit begann eine neue Phase in der Geschichte des Bauwerkes. Sie endete erst
1804, als NAPOLEON alle kirchlichen Zutaten (bis auf die romanische Ost-Apsis) entfernen ließ. Heute ist das ehemalige Stadttor Triers
ROmisches Reich mit Limes
0
100
Wahrzeichen und gleichzeitig Triers bedeu tendste Touristenattraktion, obwohl die noch
200 km
immer verkehrstaugliche Römerbrücke ei gentlich noch mehr Bewunderung verdient. Eine technische Glanzleistung waren schließ lich auch die Hypokausten ( Unterbodenhei =
" Trier wird Hauptstadt des Römischen Westreiches, aber die Germanen formierten sich zur großen Auseinandersetzung.„"
zung) der „Konstantinsbasilika ". Nach einer kurzen Spätblüte unter VALENTINIAN 1. (Kaiser:
364-375) und dessen Sohn GRATIAN (Kaiser: 367-383) wurde die kaiserliche Hofhaltung im Jahre 395 wegen der Gotengefahr - nach -
Die großen Sklavenaufstände der Republik erschütterten das Römische Reich von innen. In der frühen und hohen Kaiserzeit bis ins dritte Jahrhundert unserer Zeitrechnung herrschte im Westen des Weltreiches relative Ruhe. Die Wirtschaft blühte, und die gallorö mische Aristokratie errichtete prunkvolle Vil len, die in diesem Teil der Welt neue Maßstäbe setzten... Aber als seit dem Ende der großen Erobe rungskriege in der Mitte des zweiten nach christlichen Jahrhunderts der Nachschub an Sklaven versiegte, begann für viele Kolonen der soziale Abstieg. Sie verschulden sich an die Großgrundbesitzer. Demoralisiert ziehen sie zum Beispiel in den Jahren 285/6 (»Galli-
34
scher Bauernaufstand«) als plündernde Bau erntrupps durchs Land. Im Westen des Rei ches war die »Pax Romana" dahin... Es war dies die Zeit, da die germanischen Stämme in der Tiefe des mitteleuropäischen Raumes weit jenseits der römischen Grenz befestigungen ihren Status als römische .Klienten" aufgaben und damit ihre Funktion als vorgeschobene Puffervölker nicht mehr wahrnehmen wollten. Die Markomannen, Quaden, Hermunduren ..., sie alle gerieten in Bewegung und begannen, auf die römischen Grenzen zu drücken. Im Jahre 260 unserer Zeitrechnung überrennen die germanischen Alamannen den obergermanischen Limes. Ein neues Zeitalter war angebrochen...
Mediolanum (Mailand) und Arelate (Arles) verlegt. Trier hatte aufgehört, Kaiserstadt zu sein. Aber noch heute zehrt die Stadt von ihrer großen Vergangenheit...
Literatur Ernst Wahle: Ur- und Frühgeschichte im mitteleuropäischen Raum. In: Bruno Gebhardt, Handbuch der deutschen Ge schichte, Bd. 1, 9. Aufl., München 1999. Charles-Marie Ternes: Die Römer an Rhein und Mosel. Geschichte und Kultur. 4. Aufl., Stuttgart 1982.
Es war alles ganz anders. Nie war Geschichte so überschaubar, wie beispielsweise Schulbücher sie darzustellen pflegen. Sie spielte sich auch nicht zwischen „Lichtgestalten" und „Finsterlingen" ab, sondern Licht und Schatten 1 waren in der Regel gleichmäßig verteilt.
derten an der Tagesordnung. Kaiser DEc1us fiel 251 n. Chr. im Kampf gegen Goten, die die Donau überschritten und große Teile römi schen Reichsgebietes auf dem Balkan verwü stet hatten. Unter GALLIENUS (253-268) über
D1e Völkerwanderung
G
erade die markantesten Ereignisse
Ebenso steht es mit der üblichen Festsetzung
rannten Franken und Alemannen die römi schen Grenzbefestigungen an Rhein und Do nau, und im Osten kamen Goten und Heruler sogar zu Schiff über das Schwarze Meer und überfielen die Ostprovinzen des Reiches. Das Muster dieser Wanderzüge war stets gleich. Immer stand eine Notlage dahinter, wenn sich ganze Bevölkerungsgruppen auf Wanderschaft begaben. Und Rom setzte die sen Zuwanderern nicht nur militärische Ge
lassen sich zeitlich nicht festlegen.
des Beginns der „Völkerwanderung" auf das
walt entgegen, sondern zahlte ihnen auch
Oder wann endete beispielsweise das
Jahr 375 n. Chr. Tatsächlich gab es Völker
ungeheure „Entwicklungshilfen", wies ihnen
Römerreich, wann die Antike? Die eindeutige
wanderungsbewegungen, seit es Völker gab,
Siedlungsplätze zu und nahm sie schließlich
Beantwortung dürfte schwerfallen.
und auch in Europa waren sie seit Jahrhun-
alsfoederati („Verbündete") in die Pflicht: Die Weg der Goten
!ß .._o
/\/ 0
-
-
Weg der Ostgoten
- - - - - - - Weg der Westgoten Hunnenzüge
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-
----
Weg der Vandalen
c:
0 Caesarea
Damaskus 0
cc:!J Kreta rn
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OJerusalem
Die Völkerwanderung - • -
Grenze der Reichsteilung (um 395)
35
Neuankömmlinge
hatten
für
das
Nibelungen. Der Kampf zwischen Germanen und Hunnen ist das Hauptthema des um das Jahr 1200 entstandenen Nibelungenliedes. Die Abbildung aus einer Handschrift des 15 Jh. zeigt die Abfahrt der Burgunder ins Hunnenland.
Reich
Kriegsdienst zu leisten! Auf diese Weise wur de das römische Heerwesen immer stärker überfremdet, ja Einwanderer von Rang rück ten in die höchsten Dienstgrade auf.
" ... und ihre Wildheit übersteigt alles Maß "
Doch mehr noch: Ursprünglich warenfoede rati
militärdienstpflichtige
Klientel-Puffer
staaten am Rande des Römerreiches gewesen. Aber seit Kaiser VALENS (364 - 378) den vor den Hunnen geflohenen Westgoten inner
Katalaunische Felder. Im Juni 451 besiegte das überwiegend aus Franken und Westgoten bestehende Heer des römischen Feldherrn Aetius auf den ,Katalaunischen Feldern' bei Chälons-sur-Marne den Hunnenkönig Attila, auf dessen Seite gleichfalls Germanen (Franken, Sueben und Ostgoten) kämpften.
halb der Reichsgrenzen den foederati-Status gewährt hatte, entstanden - mit dem Segen der Kaiser in Ost und West - immer mehr fremde Staatsgebilde, die auf römischem Bo den durchaus nicht immer nur römische Politik trieben. Was aber hatte es mit dem Jahre 375 auf sich, dem angeblichen „Beginn der Völkerwanderung"? Nun - 375 überrann ten die Hunnen das Ostgotenreich am Nord ufer des Schwarzen Meeres. Ein Jahr später hatten sie den Dnjestr (westliche Ukraine) überschritten, die Westgoten vertrieben und standen an der römischen Donaugrenze. Für die Westgoten begann damit ein „langer Marsch", der sie nach manchem Umweg schließlich
nach
Südwest-Frankreich
und
Ost-Spanien führte. Um 393 verfaßte der Historiker AMMIANus MARCELLINus die älteste Schilderung der Hunnen. Sie läßt an den Eindringlingen aus dem Osten kein gutes Haar und prägte das Bild, das man sich von Hunnen machte, bis heute. Um das Jahr 436 zerschlugen hunnische Hilfstruppen des weströmischen Heermeisters Atrrns das kleine Burgunderreich, das damals in der Gegend von Worms bestand. Dies ist der historische Hintergrund der Nibelun
gensage, die allerdings AETIUS' hunnische Hee resabteilungen fälschlich mit dem Hunnenkö nig ATTILA in Verbindung bringt. ATTILA zeigt seinerseits, wie verfilzt die Verhältnisse zwi schen Römern und „Barbaren" waren. Ab 441 fiel er über das römische Ostreich her und erpreßte ungeheure Unterstützungssummen. Im Jahre 448 erhielt er auch Land zugewie sen. Aber 450 stellte Ostrom die Zahlungen ein, und nun wandte sich ATTILA gegen West rom, zumal HoNORIA, die Schwester Kaiser VALENTINIANS 111., ihn in einer privaten Angele genheit um Hilfe gebeten und ihm ihren Siegelring gesandt hatte. ATTILA hielt dies für ein Eheversprechen und wollte die Mitgift kassieren. Doch nun trat ihm der an sich sehr hunnenfreundliche AE11us
-
diesmal mit
germanischen (insbesondere westgotischen) Hilfstruppen - auf den Katalaunischen Fel dern (bei Chälons-sur-Mame) entgegen und 36
Zeitzeugnis: Die Hunnen .(„.) Das Volk der Hunnen, aus alten Berich ten nur wenig bekannt, wohnt über den Maiotischen See hinaus gegen das Eismeer hin, und ihre Wildheit übersteigt alles Maß. Da bald nach der Geburt den Kindern tiefe Einschnitte in die Wangen gemacht werden, damit der zu seiner Zeit einsetzende Haar wuchs durch die Runzeln der Narben ge hemmt werde, entbehren sie bis in ihr Alter jeglicher Zierde des Bartes, gleich den Ver schnittenen. Sie haben einen gedrungenen, starken Gliederbau und dicken Nacken, eine abenteuerliche, verzerrte Gestalt, daß man sie für zweibeinige Tiere oder für plump zugehauene Klötze halten könnte, wie man sie auf Brücken angebracht findet.' (Der römische Geschichtsschreiber Ammia nus Marcellinus um 393)
schlug ihn zurück. Das Ergebnis dieses Waf fengangs war die Eindämmung der hun nischen Expansion und in der Folge die Auf splitterung der Hunnen und ihr Aufgehen in anderen Völkerschaften, z.B. den Chasaren.
Man hat diese Schlacht zu einem Kampf „Europas" gegen „Asien" hochstilisiert. Es war aber auch einfach ein Kampf zwischen römischenfoederati aus Ost und West, ja auch eine Schlacht von Germanen gegen Germa nen, denn auch ATTILA rückte mit germa nischen Hilfstruppen an. Einen Versuch, Italien zu erobern, gab ATTILA kampflos auf, nach
dem 452 Papst LEo DER GRossE persönlich interveniert hatte. Im Jahre 453 starb ATTILA in der Hochzeitsnacht mit einer Germanen prinzessin namens ILDIKO.
Mit Attilas Tode endete nur ein folgenschwerer Abschnitt der Völkerwanderung, nicht aber die Völkerwanderung selbst. Ihr für die Römer schmerzlichstes Ergebnis war die Zerstörung des Mythos von der Unbezwingbarkeit Roms. 1
Palast des Theoderich. Dieses Mosaik aus der 500-504 errichteten, ehemals arianischen Bischofskirche San Apollinare Nuovo zeigt eine Abbildung des Theoderich-Palastes. Als die Katholiken 560 diese Kirche über nahmen, ersetzten sie die Darstellungen des ariänischen Gotenkönigs und seines Gefolges, die sich ursprünglich zwischen den Palastsäulen befunden hatten, durch Vorhänge.
Das Re1ch Theoderichs des Großen
E
Truppen in Rom stand. Zwar zogen die
twa zwei Jahre nach ArrILAS Tode schlugen bisherige Untertanen der
Westgoten schon nach drei Tagen wieder ab,
Hunnen, die ostgermanischen Gepi
und der Schaden in Rom hielt sich in Grenzen, doch der Schock saß tief.
den, ArnLAS Söhne am Fluß Nedao (vermut lich heutiges Ungarn). Zur selben Zeit
( 455)
erlebte Rom, nun schon zum zweiten Male
Warum? Es hatte sich die Unsitte eingebür
binnen kurzem, einen absoluten T iefpunkt
gert, daß Roms Prätorianergarde und Roms
seiner Geschichte. Seit 387 /386 v. Chr. hatte
Heer die Rolle von „Kaisermachern" spielten .
kein fremder Eroberer seinen Fuß auf den
Allmählich gehörte gewaltsamer Tod fast zum
Boden der „Ewigen Stadt" gesetzt, und noch
normalen „Berufsrisiko" der Römischen Kai
409 n. Chr. prägte man in Rom eine Münze
ser, und gar nicht selten führten die von
ewiges
schweren Gewalttaten begleiteten Regierungs
Rom«. - Doch welche Ironie: Der Herausge
wechsel zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen.
mit
der
Aufschrift:
»Unbesiegtes,
ber dieser Münze war eine Marionette von Gnaden des Westgotenkönigs ALARICH, der Ostia erobert hatte und schon
410 mit seinen
Goldmünze aus dem 6. Jh. Sie enthält das einzige überlieferte Porträt des Gotenkönigs.
Man versuchte, diesem Übel auf verschiedene Weise zu begegnen, indem man das Reich mehrmals teilte, um mehrere T hronbewerber 37
zur selben Zeit zufriedenzustellen und gleich zeitig das Riesenreich regierbarer zu machen. Ja, Kaiser D10KLETIAN
(284-305) setzte gar
ein Gremium von vier Herrschern ein, die West- und Ostrom gleichzeitig regierten und in verschiedenen
Hauptstädten residierten.
Kaiser KONSTANTIN 1.
(306-337) verlegte 330
den Schwerpunkt der Reichsverwaltung nach „Neu-Rom" („Ostrom", Konstantinopel), und seit
ARKAmos
(Ost,
HoNoR1us (West,
395-408) und seit 395-423) kann man von
einer mehr oder weniger endgültigen Reichs teilung sprechen (obwohl es noch immer Reichseinigungsträume gab). Hinzu kam, daß die Herrscher des Westrei ches meist gar nicht mehr in Rom residierten, sondern beispielsweise in Mailand, wenn die Situation in den Alpen- und Rheinprovinzen es erforderte, den Alpen und dem Rhein nahe zu sein, oder in Ravenna, das fast unangreifbar war. Dennoch war und blieb Rom der wich tigste Bezugspunkt, die geistige Hauptstadt des Reiches, dessen Herrscher sich allein „Kaiser" nennen durften. Wenige Jahrzehnte später
Kaiser Justinian. Theoderich der Große
und sein Werk waren auf Gedeih und Verderb mit Byzanz verbunden. Doch nach seinem
(455) wurde das
„unbesiegte Rom" abermals von Germanen geplündert - diesmal von den Vandalen des Königs GEISERICH, der sich als Rächer des kurz zuvor ermordeten West-Kaisers VALENTINIAN aufspielte. Nach GEISERICHS Romzug herrsch ten im Westreich chaotische Zustände, und der Hofdichter, AroLLINARIS SmoNius, der jeden neuen Kaiser mit Lobliedern feierte, hatte Hochkonjunktur. Schließlich kam es
475 zur Absetzung des Kaisers Juuus NEros,
Tode führte der Byzantinische Kaiser Justi nian 1.
(527-565) den Vernichtungskrieg gegen
das von Theoderich geschaffene Ostgoten reich
(535-553). Die Abbildung zeigt Justinian
und sein Gefolge in der 547 eingeweihten Kirche San Vitalo zu Ravenna. Kirche der Arianer mit Baptisterium im
Vordergrund. Ravenna, Italien. - Fast alle Völker, die damals in der Übergangs phase zwischen Altertum und Mittelalter ihre Reiche gründeten, waren Arianer.
Das enzyklopädische Stichwort »Spätantikecc. Der Zeitraum zwischen Al tertum und Mittelalter. Der Begriff steht im allgemeinen für den Zeitraum des zweiten bis sechsten nachchristlichen Jahrhunderts, also für die Zeit zwischen 150 n.Chr. bis zum Tode Theoderichs des Großen. Als das Römische Weltreich zum Zeitpunkt seiner größten territorialen Ausdehnung zu gleich dazu übergehen mußte, seine Gren zen zu sichern (z.B. Bau des Limes in Mitteleuropa), wurde deutlich, daß es sich zusehends schwertat, mit den in Bewegung geratenen Völkern militärisch fertig zu wer den. In kriegerischer Auseinandersetzung wie auch friedlichem Austausch haben nacheinander die Wandervölker Vandalen, West- und Ost-Goten sowie Langobarden das Römische Reich in seinen Grundfesten erschüttert, wie dies in anderer Weise, vom Zentrum aus, ebenso durch das Christentum geschah. Nachdem es zur Staatsreligion erhoben wor den war (391) und nach dem Fall des letzten weströmischen Kaisers (476), waren die Vor aussetzungen für eine erstaunliche Spätblü te antiken Lebens und antiker Kultur ge schaffen. Dafür steht insbesondere die Epo che T heoderichs des Großen. So zeigte sich, daß die germanischen Wandervölker zwar die Kraft zur politischen Erschütterung des Römischen Reiches besaßen, nicht aber die der Umgestaltung. Erst mit dem Entstehen des fränkischen Großreiches unter den Merowingern betre ten wir den Boden des Mittelalters. Neue historische Kräfte traten auf den Plan.
38
und RoMuLUs „AuousTuws" („Kaiserehen",
Das Leben Theoderichs
„Augustelchen") bestieg den weströmischen T hron. Sein Vater, der römische Heermeister mit dem klangvollen
klassischen
Namen
Um
455
Bis
470
0RESTES, stammte aus Pannonien (etwa Ost österreich, Westungarn und Nordjugosla wien) und war einst Sekretär und Gesandter
474
des Hunnenkönigs ATTILA gewesen. Aber auch F LAv1us OooAKAR, einer der höchsten Offiziere in 0REsrns
'
Germanenarmee, der
RoMuLUs schon 476 wieder absetzte, hatte als (germanischer) Skiren- oder Rugierprinz in
489 493
seiner Jugend ATTILA als Gesandter gedient. OooAKAR wurde von den germanischen Sol daten zum Heerkönig erhoben. Aber noch lebte ja J uuus NEros, der vertrie
497
bene Vorgänger des von Ostrom nie aner kannten R oMULUS Auousrnws, und in Ost
507
rom begnügte man sich mit der Fiktion, O ooAKAR habe den ursprünglichen Zustand wiederhergestellt und herrsche nur als NEros
523
'
Bevollmächtigter. Nun aber kam der Ostgo tenkönig THEODERICH 1. ins Spiel. Die Ostgoten
Grabmal Theoderichs
(6. Jh.). Ravenna, Italien.
526
Theoderich wird als Sohn von Thiu dimer, einem Teilkönig der Ostgo ten, geboren. Erziehung als Geisel am Hof Kaiser Zenons in Konstantinopel. Übernahme der Herrschaft nach dem Tod seines Vaters. Übersied lung ins oströmische Niedermösien (Bulgarien) als Föderal Kaiser Ze nons. Sieg über Odoaker. Vertrag zwischen Theoderich und Odoaker, der die gemeinsame Herr schaft in Italien vorsieht; Theoderich erschlägt Odoaker; er heiratet Audo fleda, die Schwester von Chlodwig 1. Anerkennung als König von Italien durch den oströmischen Kaiser Anastasios 1. Sendung eines Friedensbriefs an Chlodwig 1. Ausdehnung des Reichs bis an die lsere. Tod in Ravenna.
hatten später als die Westgoten im Römer reich Aufnahme gefunden. THEODERICH hatte
Mehrmals kam es zu Brüchen und Wiederver
vom 8. bis zum 13. Lebensjahre als Geisel in Konstantinopel gelebt und die Zuneigung
söhnungen, man ernannte ihn zum zweiten Reichsfeldherrn, zum Konsul für 484, ge
LEDs
währte ihm einen Triumphzug und errichtete
(457-474) gewonnen. Unter LEDs Nachfolger ZENO (474 49 1 ) aber war seine
ihm eine Ehrenstatue, doch schließlich spielte
Position
man
1.
-
im
Ostreich
recht
schwankend.
ihn
gegen
OooAKAR
aus,
indem
man ihn zum „Heermeister und Schutzherrn Italiens" ernannte und gegen OooAKAR in Marsch setzte. Nach einer ganzen Reihe von Niederlagen und mehr als zweijähriger Belagerung ergab sich dieser schließlich gegen die Zusage, den gleichen Ehrenrang wie THEODERICH zu genie
In Perspektive gerückt .„ Boethius, der und Vertraute
Ratgeber
.. .
T heoderich, der es fertig brachte, Odoakar eigenhän dig niederzustechen und dessen Gefolge beim Gast mahl niederschlagen zu las sen, hatte als Ratgeber und Vertrauten gleichwohl einen außerordentlich sensiblen Menschen und subtilen Geist, der zu den liebenswer testen Gestalten der römi schen Antike gehört: Anicius Manlius Torquatus Severinus Boethius (um 480-524), ei nen Staatsmann von senato rischem Rang und gleichzei tig dem letzten bedeutenden, stoisch geprägten Philoso phen des Altertums. Boethius, der im Gegensatz zu dem Arianer Theoderich katholischer Christ war, ver suchte nicht mehr und nicht weniger, als griechisches Gedankengut in der Geistes welt eines Rom einzuwur-
zeln, das kaum noch existier te, und gleichzeitig dem Chri stentum griechisch-philoso phische Fundamente zu ge ben. So wurde vieles von dem, was er dachte und schrieb, zur Grundlage mit telalterlicher Bildung. Seine persönlichste Schrift ist De consolatione philosophiae („Über den Trost der Philoso phie"). Er verfaßte sie im Ge fängnis, nachdem Theode rich ihn als angeblichen Mit wisser einer Verschwörung hatte einkerkern lassen. Er habe, so argwöhnte Theo derich, mit dem nachmaligen oströmischen Kaiser Justi nian 1. gegen Theoderichs Gotenreich in Italien konspi riert. Dieser Argwohn kostete ihn das Leben: Im Jahre 525 wurde Boethius hingerichtet.
und Prokopius, der Ge schichtsschreiber: .Seine „.
gewaltige Hand sorgte für
ßen. Doch THEODERICH lud ihn zu einem Gerechtigkeit allerwegen und war ein starker Schirm für Recht und Gesetz (... ). So war Theoderich dem Namen nach ein Tyrann, in Wirklich keit aber ein rechter Kaiser, nicht um Haaresbreite gerin ger als irgendeiner von de nen, welche sonst diese Würde bekleidet haben. Ob gleich es dem menschlichen Charakter zu widersprechen scheint, liebten und verehr ten ihn tatsächlich Goten und Italiker ohne jeglichen Unter schied(...). Nach einer Regierung von Jahren siebenunddreißig starb er, der Schrecken sei ner Feinde, von seinen Un tertanen aufs tiefste betrau ert".
(Prokopios von Kaisareia, 6. Jh„ in seiner Geschichte des Vandalen- und Goten krieges über Theoderich den Großen).
Gastmahl ein, bei dem er OooAKAR eigenhän dig erstach und sein Gefolge umbringen ließ. Nun herrschte THEODERICH selbst als König über Italien. Von römischen Senatoren bera ten, bemühte er sich um Verständigung mit der römischen Bevölkerung. Auch den Katho liken gegenüber erwies er sich als ungewöhn lich tolerant, obwohl er - wie die meisten Germanen - der arianischen Glaubenslehre (Arianismus) angehörte, wonach Christus keineswegs „eines Wesens mit dem Vater" war. Dem arianischen Kult waren die Kirche San Apollinare Nuovo und das Baptisterium der Arianer geweiht, die THEODERICH in Ra venna errichten ließ. Erst gegen Ende seiner Regierungszeit kam es zu schweren Spannungen mit Ostrom, mit den römischen Päpsten, dem römischen Senat und anderen germanischen Fürsten. Doch ehe sich diese Spannungen in einem Kriege entla den konnten, starb THEODERICH (526) und wurde in seinem monumentalen Grab bei Ravenna beigesetzt. Er ging als „Dietrich von Bern" in die Sage ein. 39
' Der Beg1 nn
Keine 30 Jahre überdauerte das Ostgotenreich T heoderichs Tod. Doch auf ehemals gallischem Boden hatte sich ein neues Germanenreich gebildet - das der Franken.
nach Marokko vorgedrungen. So sehr sich das Frankenreich auch allmählich ausdehnte und festigte - es blieb doch ein Konglomerat kleiner Gau- oder Teilfürsten, die allerdings eine gewisse Prachtentfaltung kannten. Dies zeigt unter anderem das bereits im Jahre
1653 entdeckte Grab C mwERICHS I. in Tournai (Belgien). Dieser C mLDERICH war Cttwow1as Vater. Beide gehörten einer Königsfamilie an,
ran enre1c es 1
m Jahre
553 besiegte N ARSES, der arme
nische Feldherr des oströmischen Kai
die man - nach C ttILDERICHS Vater MEROWECH
- als „Merowinger" bezeichnet. CttLODWIG war der erste Frankenkönig, der ein größeres Frankenreich schuf - und er traf eine Ent scheidung von weittragender politischer Be deutung: Er entschied sich nicht für den
Schon mehr als ein Jahrhundert vor jener
Arianismus, sondern er ließ sich katholisch
375, die wir nicht in
taufen und übernahm damit die Form des
ominösen Zeitmarke
(527-565), den letzten
jeder Hinsicht als „Beginn der Völkerwande
Chri s tentum s zu der sich auch die überwie
Ostgotenkönig TEJA am „Milchberg" (heute:
rung" akzeptieren können, als der sie uns
gende Mehrheit der romanisierten keltischen
Monte di Sant' Angelo) südlich des Vesuvs.
immer angedient wird, hatte der (vor
Einer seiner königlichen „Intimfeinde", mit
Niederrhein entstandene) Stämmebund der
sers Ju snNIAN
258 am
,
Bevölkerung Galliens bekannte.
dem er sich anfangs gut verstand, dann aber
Franken wie mit einem Paukenschlag die
Im Zusammenhang damit enthält die histori
überwarf, war sein Schwager, der Frankenkö
Bühne der Geschichte betreten. Er hatte den
sche Überlieferung eine rührende Geschichte:
nig Cttwowm
(482-511), dessen Schwester 493 TttEODERICH geheiratet hatte.
römischen Rhein-Limes durchbrochen und
Dem Einfluß seiner burgundischen Gemahlin
AuoEFLEDA
war schon
257 über Gallien und Spanien bis
CHRODEHILDE, die Katholikin war, sei es zu danken, daß er katholisch wurde. Zwar habe er anfangs die Ermahnungen seiner frommen Frau in den Wind geschlagen, sich jedoch 496 an sie erinnert, als er während einer Schlacht in schwere Bedrängnis geraten war. Damals habe er gelobt, sich „in Christi Namen" taufen zu lassen, wenn Gott ihm den Sieg verliehe. Doch rührende Geschichten passen schlecht zu Cttwow1a, selbst wenn der Bischof GREGOR voN TouRs
( 538-594) sie berichtet. C ttLODWIG
war ein berechnender, grausamer Macht mensch, der auch vor Greueltaten nicht zu rückschreckte, wenn es machtpolitische Ziele zu verwirklichen galt. Was er vom Christen tum erhoffte, geht aus einer Äußerung hervor, die er bei seiner Taufe getan haben soll: Das weiche Taufgewand, so soll er gesagt haben, Frankenhelm. Dieser fränkische Spangenhelm, der im Fürstengrab von Marken (Erft) gefunden wurde, stammt aus der Zeit um 605. Rheinisches Landesmuseum, Bonn.
möge ihm „die Kraft der starren Waffen mehren". Vielleicht aber wollte G REGOR voN TouRs ihn durch die Erzählung von seinem Taufgelübde, dessen Erfüllung an die Bedingung geknüpft war, daß Gott ihn siegen ließe, nur als eine Art
Grabplatte eines fränkischen Kriegers der Merowingerzeit aus Niederdollendorf/Königswinter (Ende des 7. Jh.). Das ,,Fürsten schwert", das der Abgebildete in der Hand hält, läßt den Schluß zu, daß der Bestattete einen hohen gesellschaftlichen Rang einge nommen haben muß. 40
„Konstantin der Franken" hinstellen, denn auch
die
GROSSEN
Hinwendung
K ONSTANTINS
DES
(306-337) zum Christentum war ja
mit der Hoffnung auf einen militärischen Sieg verbunden gewesen - den Sieg über seinen Rivalen M AXENT1us, den er am 28. Oktober 312 an der Milvischen Brücke im Norden Roms errang. Cttwow1G konnte durch einen solchen Vergleich nur gewinnen. GREGOR voN
TouRS, der eine Geschichte der Franken verfaß
Merowingische Geschichtsschreibung Gregor von Tours, ein Bischof, der unsterblich wurde, weil er zugleich Geschichtsschreiber war. Gregor (538-594) verfaßte eine Lebensbeschreibung seines berühmten Vorgängers, des aus Ungarn gekommenen Nationalheiligen der Franken , Martin, ebenfalls Bischof von Tours. Vor allem aber wurde Gregor von Tours durch seine "Frankengeschichte" (bis 591) bekannt. Sie ist das älteste Ge-
über Chlodwigs Gregor Taute: "Als er zur Taufe hin-
schichtswerk christlich-nationaler Prägung und die wichtigste Schilderung des Entstehens der Merowingermacht, - dies nicht zuletzt, weil diese auch Chlodlo andere Quellen, die heute verloren gegangen sind, heranzieht.
te, ist unsere Hauptquelle über dessen Leben und
trat, redete ihn der „Heilige Gottes also an: „ßeuge still deinen Nacken, Sicamber, verehre, was du verfolgtest, verfolge, was du verehrtest« Also bekannte der König den allmächtigen Gott als den dreieinigen und ließ sich taufen im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und wurd� gesalbt mit dem heiligen 01 unter dem Zeichen des Kreuzes Christi." „.
-425bis-455
l llerowech -455
l
Chllclerlch 1.
Theudarlch 1.
Chlothar l.
Chlodomer
511-560/611Soissoos. 558 ganzes Frrielnieh)
511-524 IOl18nl
Slglbert !·
.
.
1
Theuclebakl
575-596 IAusnn.
584-629 INeusrief\ 613 ganzes Frankerreich)
Theudarlch II.
596-613 IBllVd. an. Austienl
l
Siglbert II.
613, t 613 IAumen, Burgird)
Theuclebert u. 596-612 IAustien)
„
Dagobertl. 623-638 IAustian. 629gwesF�)
.
Dagobertß.
675-679 IAuslrienl
Franken beset zt. Um andererseits jedoch auch seine fränkischen Gefolgsleute nicht zu enttäuschen, s chenkte er diesen Ländereien und Geld aus dem Besitz reicher Römer, so
„
daß durch dies e Maßnahme eine neue Adels
Ch8l1bert H.
schicht entstan d.
629-632 l�I
Vom Plan seines Schwagers THEODERICH, ein gesamtgermanisches
gegen
Lieber schuf er ein eigenes Reich, das von der
.
.
.
Chllclerlch II.
Chlothlr HI.
Theudarlch HI. 673-690/91
Nordsee bis zur Donau und von den Pyrenäen bis zum Ijsselmeer reichte. Als er im Jahre 507 die Westgoten angriff, leistete THEODERICH
662-675 IAustian. 673 ganzesF�)
657-673 INeusnn. Blrgllld)
l
.
.
.
Chllperlch H.
Chlodwlg UI.
Chlldebert IH.
ChlotlwlV.
690/91-694
Bündnissystem
Ostrom zu sc haffen, hielt CHLODWIG nichts.
638-657 INeusrier\ Blrgllld)
715/16-721 INeusöln)
INeuanr1. Burgood.
diesen sogar Hilfe, kam aber
679 ganzes FllVlkemich)
694-711
717-719/20
zu spät. Immerhin konnte er erreichen, daß den Goten das
Gebiet
zwischen
der
südlichen Rhöne und den Pyrenäen verblieb.
l
,!.
Chllderlch HI.
DagobertIII.
Nachdem CHLoow1G in Paris gestorben war,
711-715
herrschten sei ne Söhne als gleichberechtigte
743-751, t754
" Die Merowinger beseitigten die spätrömische Herrschaft in Gallien. "
waltungsbeamte und Geistliche durften wei
Chlodwlgll.
633-656 IAuslrien)
,!.
für die einheimische Bevölkerung. Auch Ver
.
Siglbert HI.
Beibehaltung des Lateins als Amtssprache und
ter amtieren. N ur neue Stellen wurden mit
ChlotharU.
.
Seine Hinwendung zum Katholizismus war ein solch strategischer Schachzug, ein anderer die die Weitergewährung angestammter Rechte
Guntram
,!.
.
·
(einschließlich des Rechtes, Waffen zu tragen)
Sl*Brlllrgllld)
Chllclebert II. eti.Blrg.lld)
511-5581Parisl
561-593 IOl16ens,
l 548-SSS IReinsl
Chllclebert 1.
„
561-584 ISoissonSI
561-567 IParisl
.
.
Chllperlch 1.
Charlbert 1.
561-575 IReins)
..m mit Broohilde
Galliens katholischem Episkopat, dem einzigen
haltung es erforderten.
.
534-547 IReins)
cherte sie ihm ein gutes Einvernehmen mit
und Taktik des Machtausbaus und der Machter
.
Theuclebert 1.
gallo-römischen Bewohner der von ihnen unter worfenen Gebiete akzeptabler! Außerdem si
so rücksichtsvol1 konnte er sein, wenn Strategie
Clodwlg 1.
.
Bedeutung, machte sie doch CHLODWIG und seine Franken für die ebenfalls katholischen
setzen konnte, sobald es um Machtpolitik ging,
'482-511 lganzes
.
Diese Mas.5enbekehrung der Franken zum ka tholischen Glauben war von enormer politischer
ten der ehemaligen römischen Provinz. In der
Frankerreich)
,!.
das einfache Volk.
Tat - so brutal CHLODWIG seinen Willen durch
l
511-533 IReins)
mit CHLODWIG die Taufe empfingen, später folgte
intakt gebliebenen Ordnungsfaktor in den Städ
457158-'482 (Toornai)
Stammtafel der Merowinger
Taten. Von ihm erfahren wir, daß angeblich mehrere tausend fränkische Adlige zusammen
,!. Theudarlch IV. 721-737
Frankenkönige, führten aber grausame Riva litätskämpfe: Als einer von ihnen starb, ver brannten die anderen seine drei kleinen Kin der, um zu ver hindern, daß diese eines Tages Machtansprüche erheben konnten
„.
41
üOO�;;.���fä�� Di
Wer hätte geglaubt, daß Rom, das den Mantel seiner Siege
CmnFÖigen der Völkerwanderung „
A
ls der Kirchenvater und Bibelüberset
man die Trümmer erst in der Neuzeit wieder
Weil nämlich Eisen fehlte, entfernte man aus
(340 oder 350 bis 419/420), der seit 386 als Einsiedler
entdeckte. Daneben gab es allerdings auch
der Porta Nigra, dem monumentalen Nordtor der antiken Stadt, die Eisenkrampen, die einst
zer HIERONYMUS
Kontinuität, wie die Stadt Trier zeigt, die wohl
in Bethlehem lebte, diese Worte der Klage
nie gänzlich unbewohnt war, - auch nicht in
das Mauerwerk zusammengehalten hatten,
niederschrieb, war das für einen Römer Uner
der langen Zeit des Übergangs. Freilich: Gera
um sie einzuschmelzen. Auch auf andere
hörte geschehen: die Eroberung und Plünde
de sie zeigt auf ihre Art den Niedergang der
Weise zeigt Trier, daß es in dieser Stadt - trotz
Wirtschaft.
aller Kontinuität - einen Bruch mit der
rung der „Ewigen Stadt" durch Westgoten im Jahre
ALARICHS
410. Doch Rom lebte
weiter. Noch der Germanenkönig OnoAKAR
(476-493) gab in Rom eine Münze mit dem Bildnis des in Ostrom als rechtmäßig gelten den West-Kaisers Juuus NEros
Am Anfang stand der Verlust der Schriftkenntnis„.
(474-480)
heraus, welche, die - inzwischen freilich zur leeren Formel erstarrte - Aufschrift »unbe siegtes Rom« trug! Wie lebendig der Romgedanke noch war, zeigte sich nicht nur in Konstantinopel, dessen Kaiser J usnNIAN
1.
(527-565) ganz und gar
„römisch" dachte und noch einmal das römi sche Gesamtreich vom Kaukasus bis Gibraltar und vom ersten Nilkatarakt bis zum Drau Ursprung wiederherzustellen versuchte, son dern es zeigte sich auch im Fortleben römi scher Gesetze und Institutionen bei den „Bar baren", die ihre Reiche auf ehemals römi schem Boden errichtet hatten. Vor allem aber zeigte es sich, als am Weihnachtstage des Jahres 800 in Rom ein neues Kaisertum
entstand. Freilich mag es bisweilen schwerge fallen sein, an ein Fortleben Roms, in welcher Form auch immer, zu glauben. Denn jahrhun dertelange Kämpfe mit „barbarischen" Ein dringlingen, die schließlich, wenn auch teil weise ihrerseits romanisiert, die Oberhand behielten, konnten am Römerreich nicht spur
Hauptstadt der römischen Provinz Noricum
Fränkische Grabsteine ver raten, wie im frühen Mittelal ter die Kenntnisse der lateini schen Grammatik, Recht schreibung, ja schließlich so gar die Kenntnis der Schrift überhaupt zurückgingen. So weist der aus dem 6. Jh. stammende Grabstein aus
(Kärnten) - wurde von den Invasoren buch
dem merowingischen Grä-
los vorübergehen. Die literarischen Zeugnisse werden lücken haft, mancherorts holte sich der Wald zurück, was in römischer Zeit Bauernland gewesen war, und mancher Ort - wie Teurnia, die
stäblich dem Erdboden gleichgemacht, so daß 42
berfeld (links) von Brühl-Vo chem (Erftkreis) zahlreiche Fehler auf. Seine merkwürdi ge Form erklärt sich daraus, daß es sich um ein wieder verwendetes römisches Ge simsstück aus Kalkstein han delt. Im übrigen zeigt er be kannte christliche Symbole (Christusmonogramm, stili-
sierte Pflanzen und Tauben). Der Grabstein aus Mainz Kastel (rechts) zeigt, ganz abgesehen von dem Chri stusmonogramm, im Grunde nur noch .sinnlose" Zeichen und Zeichenfolgen; keine Frage, unser Steinmetz konnte weder lesen noch schreiben!
Vergangenheit gegeben hatte: Vor der Wall
mit der Inschrift: „Ich was geehret als ein gott
fahrtskirche St. Matthias am Südrand der
/ itz stehen ich hier der weit zum spott".
Grabgaben - einschließlich wertvoller Gläser
Stadt, die zwar erst aus dem 12. Jahrhundert
Kompliziert verhielt es sich mit dem wichtigen
- gehörten), ging die Herstellung derartiger
heidnischer Sitte zu bestatten (wozu kostbare
stammt, aber zu einer in ihren Anfängen bis
Industriezweig der Glasherstellung. So war
Gläser drastisch zurück. Doch gab es nun
auf frühchristliche Zeit zurückgehenden Anla
Köln ein blühendes Zentrum spätrömischer
einen neuen Schwerpunkt: In der Völkerwan
ge gehört, steht eine bis zur Unkenntlichkeit
Glasproduktion. Auch nach der Eroberung
derungszeit waren viele römische Kirchen in
verstümmelte Steinfigur. Sie stellte einst die
Kölns durch die Franken nach 450 ging die
Trümmer gesunken, und nach der Christiani
heidnische Göttin Venus dar, wurde jedoch
Glasherstellung zunächst in begrenztem Um
sierung der Franken baute man zahlreiche
nach dem Sieg des Christentums als „ Götzen
fang weiter, und Kölns Museen zeigen prächti
neue, für die man farbige Glasfenster benötig
bild" zur Steinigung freigegeben. Sehr viel
ge Beispiele fränkischen Glases. Erst als die
te. In vielen Teilen Europas kam es zu einem
später, im 16. Jahrhundert, versah man sie
Franken davon abkamen, ihre Edlen nach
Niedergang des Geldwesens, der schließlich geradezu zu einem Rückfall in vormonetäre Zustände führte, denn man benutzte Hacksil ber - zu kleinen Stücken zerhackte Münzen und Schmuckstücke, die man nach Gewicht in Zahlung gab - als Zahlungsmittel. Eine letzte „Atempause" hatte die antike Kultur
unter
TttEODERICH DEM
GRoSSEN
(493-526) erlebt. Zu dessen engsten Beratern gehörte auch der römische Senator CAss1000R.
. . . Wir kennen diese Revolu tion als Völkerwanderung. Frische Stämme haben sich über die alte römische Welt ergossen und sich darin festgesetzt; sie haben so auf den Trümmern der alten Welt Hacksilber. Nicht nur Eisen war nach der Völkerwanderungszeit Mangelware geworden, es fehlte auch Edelmetall, um Münzen zu prägen. So,zerhackte' man vielerorts alte Silbermünzen und Schmuckstücke und gab das so erhaltene Metall nach Gewicht in Zahlung. In manchen Gegenden, besonders im Norden und Osten Deutschlands, bediente man sich dieser,Währung' bis ins 11. Jh. Die Aufnahmen zeigen einen Hacksilberfund.
ihre neue Welt erbaut, - ein Bild, was uns noch jetzt der Anblick Roms gewährt, wo die Pracht der christlichen Tempel zum Teil Reste der alten sind und die neuen Paläste auf und unter Ruinen stehen. (G. W. Fr. Hegel)
„,„ und die Edelmetalle wurden zur Mangelware"
Er überlebte den Gotenkönig und zog sich 540 in ein von ihm gegründetes Kloster in Kalabrien zurück. Er förderte auf seine Weise das Fortleben antiken Kulturguts, nämlich die Pflege der antiken Literatur durch christliche Mönche. Hierin beeinflußte er seinen Zeitge nossen, den Ordensgründer BENEDIKT voN
Fränkische Glaserzeugnisse. Seit dem ersten Jh. war Köln ein Zentrum römischer Glasindustrie. Auch nach der Eroberung der Stadt durch die Franken und Alemannen im Jahre 3531356 bestand die Glaserzeugung noch eine Weile weiter.
NuRSIA, der um 529 das Kloster Monte Cassino gründete und dem allgemeinen Chaos der ausgehenden Völkerwanderungszeit aske tische Wertvorstellungen, aber auch- modern ausgedrückt - die »Pflege humanistischer Ideale« entgegenstellte.
43
„Ganz Europa ist den Barbaren in die Hände gefallen. Die Städte sind zerstört, die Felder verwüstet, die Provinzen 1 entvölkert, und kein Bauer bestellt mehr seinen Acker".
DJe Christianisierung Germaniens
A
Der Heilige Bonifatius tauft Heiden und erleidet den Märtyrertod. Handschrift aus einem um 975 in Fulda entstandenen Sakramentar. Göttingen, Universitätsbibliothek.
sich - gemäß germanischen Grundanschauun gen - im Frankenreiche stärker mit dem grundbesitzenden Adel. Eine der sicherlich problematischen Konsequenzen, die sich hier aus ergaben, war die Entstehung des Eigenkir chenwesens. Dies bedeutete: Ein Germane, der über Ver mögen verfügte, konnte auf seinem Grund und Boden „eigene" Kirchen errichten. Er
GRossE
Gast vor, wie zwei Hunde ein ihnen völlig
war es, der den Geistlichen anstellte und für
(590-604) sein ganzes Herz gegen
hilflos ausgeliefertes T ier zerrissen. Der Graf
dessen Unterhalt sorgte, und er behielt sich die
über dem oströmischen Kaiser PHo
lachte pflichtschuldig, doch
Nutznießung der Kirchengüter vor.
ls
Papst
G REGOR
DER
„darauf",
so be
KAS (602-610) ausschüttete, schrieb man
richtet
nach der im Jahre 532 erstmals angewandten
„schwang ein Mann, sobald er sah, daß der Gast mit dem Schauspiel beschäftigt war, seinem Auftrag gemäß seine Axt und spaltete ihm den Schädel, worauf man den Leichnam aus dem Fenster warf".
christlichen Zeitrechnung des in Rom tätigen skythischen Mönches DIONYSIOS ExIGuus (um 500-545) das Jahr 603. Tatsächlich waren die Zeiten - gemessen an unseren modernen
GREGOR voN
TouR s
(538-594),
Maßstäben - sehr hart. Welch rauhen Stil politischer
allerdings war er zum lohnabhängigen Diener seines Hofuerrn degradiert, der im übrigen nicht selten bei der Auswahl der Gottesmän ner, die er einsetzte, den Maßstab der Willfäh
trotz
Christliche Ethik hatte also aus den Franken keine „Lämmer" gemacht. Auch in anderer
wäre gefügiger gewesen als jemand, der froh
Frankenreich noch immer bevorzugte, zeigt
Hinsicht konnte Rom mit dem Wege nicht
war, überhaupt noch eine Stelle zu bekom
nicht zuletzt das Verhalten des Chlodwig
zufrieden sein, den das Christentum bei den
men? So wurde dieser niedere Klerus zum
Sohnes CmLDEBERT (511-558) gegenüber ei
Franken nahm. War Christentum im ausge
Sammelbecken aller möglichen zwielichtigen
„Bekehrung"
im
man
che gewissermaßen als Vertreter des Grund herren vor Gott fungierte. In der Praxis
katholischen
Cttwowros
Auseinandersetzung
Man
könnte dies so umschreiben, daß der Geistli
rigkeit und Gefügigkeit anlegte. Wer aber
nem Grafen, den er in seinen Palast zu Metz
henden Römerreich vorwiegend an die Städte
Existenzen, die durch Beflissenheit gegenüber
eingeladen hatte. CmLDEBERT führte seinem
und an deren Bischöfe geknüpft, so verband es
ihren Dienstherren auszugleichen suchten,
44
die sich um sein bewegtes Leben rankt, schildert, wie er einst - psychologisch durch aus verständlich - in der Waldeinsamkeit darüber nachgrübelte, was wohl leichter zu ertragen wäre: die Ungerechtigkeit der Men schen oder die wilde Wut Beute reißender Raubtiere. Es kam, wie es kommen mußte: Der fromme Missionar geriet mitten in ein Rudel Wölfe. Doch als er in seiner höchsten Not Gott anrief, kamen die Tiere herbei, rieben beruhigend ihre Schnauzen an seinem Gewand und troll ten sich davon. Reißende Wölfe auf freier Wildbahn hatten den Gottesmann getröstet! Sie hatten - so will es wenigstens die Legende - mehr Herz bewiesen als angeblich fromme Mitchristen! CoLUMBAN beendete seine Wan derschaft in dem von ihm gegründeten Kloster Kloster Montecassino in der süditalienischen Provinz Frasinone. Im 2. Weltkrieg zerstört, danach wieder aufgebaut. Um 529 hatte Benedikt von Nursia hier ein Kloster gegründet, dessen geistiger Einfluß auf das europäische Mittelalter gar nicht hoch genug angesetzt werden kann.
" Das Mutterkloster des abendländischen Mönchtums„. "
Bobbio (im Apennin an der Strada Statale Nr. nen, doch schon vor 590 entsandte die irische
45, ziemlich genau in der Mitte zwischen
Kirche, die sehr stark von den Idealen des
Piacenza und Genua). Freilich - auch den
abendländischen Mönchtums geprägt war,
Mitgliedern
ihrerseits den ersten Missionar ins Franken
schließlich seine Mönchsregel zu streng. Ge
reich: Es war dies SANKT CoLUMBAN (um
stand sie doch den Mönchen nur gerade so viel
dieses
„seines"
Klosters
war
543-615). Er zog nach Burgund, wo er drei
Nahrung und Schlaf zu, wie unbedingt nötig
Klöster gründete - insbesondere das Kloster
war. Dabei mußten sie tagtäglich mehr als 80
Luxeuil am Westhange der Vogesen. Doch
Psalmen singen, und wer sich dabei auch nur
bald erregte sein radikales Eifern Anstoß -
geringfügig vertat, wurde ausgepeitscht. An
Streit mit einheimischen Bischöfen, Streit
dererseits aber waren es ebenfalls irische und
auch mit Angehörigen des Merowingerhau
angelsächsische Mönche, die die bloßstellende
ses, deren Machenschaften er durchkreuzte
öffentliche Beichte abschafften und durch die
was ihnen an anderen Qualitäten fehlte. Und
und deren Lebenswandel er kritisierte. Ergeb
für die Beichtenden weniger peinliche indivi
man darf sich nicht wundern, daß diese
nis: Er mußte Luxeuil verlassen. Die Legende,
duelle „Ohrenbeichte" ersetzten.
Geistlichen keinerlei Achtung genossen. Ähnlich wie kleinere Grundherren zu den Priestern ihrer Eigenkirchen verhielten sich Fürsten, wenn es um die Besetzung höherer Kirchenämter ging. So kam es schließlich
Der Heilige Benedikt übergibt den Mönchen von Montecassino seine Ordensregel. Miniatur. Sie umfaßte Weisungen für alle wichtigen Aspekte des Klosterlebens.
dazu, daß Äbte „besser mit Pfeil und Bogen
umzugehen" wußten „als mit der Heiligen Schrift", daß Bischöfe käuflich waren und Dorfgeistliche hohe Vorstrafenregister auf wiesen. Keine Frage: Die Kirche befand sich in einer Krise, bevor sie bei den Franken und den von ihnen abhängigen Stämmen der Baiern und Alemannen wirklich Wurzeln geschlag�n hatte. Denn dies kam hinzu: Viele der getauften Germanen waren im Grunde noch keineswegs Christen, sondern hingen noch immer vorchristlichen, heidnischen Kul ten an, deren Spuren im Volksbrauchtum, besonders im Volksaberglauben, vielerorts sogar bis heute weiterleben. Es waren Iren, die die Dinge im Frankenreich einigermaßen ins Lot brachten. Erst 432 hatte der in Schottland geborene HEILIGE PATR1c1us (Sankt Patrick) Irland zu missionieren begon-
45
Ein unermüdlicher Klostergründer war auch der in Wessex geborene angelsächsische Bene diktiner WINFRIED (um 675-754), der am 14. Mai 718 den Namen B oNrFAnus annahm. Er ging als „Apostel der Deutschen" in die Kirchengeschichte ein, und an seinem Grabe im Dom zu Fulda versammeln sich noch heute zweimal jährlich die katholischen Bi schöfe zu den Vollversammlungen ihrer Bi schofskonferenz. Im Jahre 716 zum Abt seines heimischen Klosters Exeter vorgeschla gen, lehnte er die Wahl ab und wurde 719 von Papst GREGOR 11. (715-731) mit der Germa nenmission betraut. B oNIFATius erlangte höch ste kirchliche Ehren: 722 wurde er Bischof, 732 Erzbischof und päpstlicher Vikar für die
Der Historiker urteilt: „Das finstere Mittelalter ist keine Epoche, auf die der Wahrheitsstrebende mit überlegener Verachtung herabblicken kann. Die Zeit ist vorbei, da er die Unwissenheit, den Aberglauben, die politische Zerrissen heit, die wirtschaftliche und kulturelle Armut dieser Periode brandmarkt... Er kann nur Bewunderung empfinden ange sichts ... eines Benedikt, Gregor, Bonifatius, Columban, Alkuin ... , welche mit so viel Geduld die Gesittung und Geistestätigkeit über ie Verwilderung ihrer Zeit hinausho ben... (Will Durant)
?.
germanischen Missionsgebiete. Man kennt seine spektakuläre, allerdings nicht sicher verbürgte Fällung der Donar-Eiche im hessi schen Geismar, die den zwar bereits „christia nisierten", in Wirklichkeit aber an ihren alten Göttern festhaltenden Hessen die Ohnmacht ihrer Heidengötter sinnfällig vor Augen füh ren sollte. Man weiß auch, daß er „an vorderster Front" am 5. Juni 754 mit 52 Begleitern den Märty rertod erlitt - es war an dem Flüßchen Dorne bei Dokkum ( in den Niederlanden unweit der Nordseeküste).
Und man weiß, daß sein
Leichnam nach Fulda überführt wurde, in jene Stadt, deren später so reiches Kloster am 12. März 744 von seinem Schüler S1uRM1us gegründet worden war. Viel weniger Gedan ken macht man sich in der Regel darüber, welche Mühe es gekostet haben mag, die von den fränkischen Hausmeiern K ARLMANN und Prrr1N „dem Jüngeren" gewünschte Reform des fränkischen Klerus durchzuführen - die Reform eines Klerus, dessen Angehörige es gewohnt waren, Waffen zu tragen und Blutra che zu praktizieren! Fulda, die Gründung 46
Frühmittelalterliche Verkündigung der Lehre Christi. Mittelalterliche Künstler ver setzten auch biblische Szenen in ihre ei gene Welt. Die Abbildung zeigt Moses, der auf dem von Flammen umzüngelten Berge Sinai die Zehn Gebote empfangen hat. Er tritt vor die Kinder Israels hin wie einer der irischen oder britischen Glaubensboten, die den Germanen die Lehre Christi verkündeten. Buchmalerei aus der sog. Alkuin- oder Grandval-Bibel. Tours, um 850.
" ... Kult- und Kultur stätten zur Absicherung der Mission"
seines Schülers SruRMIUS, sollte ein Modell werden, das weit in das damalige Franken reich hineinwirkte: ein Modell vorbildlicher geistlicher Lebensweise. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Die von BoNIFATius geschaffenen zahlreichen Bischofs sitze und Klöster erlangten als Kult- und Kulturzentren größte Bedeutung für die weite re Entwicklung im fränkischen und nachmals deutschen Raum. Die durch die irischen und angelsächsischen Missionare ausgelöste „reli giöse Aufbruchsstimmung" führte schließlich auch zur Gründung zahlreicher Frauenklöster.
Der oströmische Kaiser Justinian hatte verkündet, das von ihm weitgehend wiederhergestellte Römerreich ruhe auf so soliden Fundamenten, daß es die Ewigkeit überdauern werde. Nur rund 100 Jahre später I brachten die Araber den Beweis, daß es keinesfalls für die Ewigkeit bestimmt war...
D1e Geburt des Islam
schilderten, wuchs in einem Umfeld auf, das religiöse Grübelei begünstigte. Zwar hatte er vier Jahre seiner Kindheit als Waise in Taff zugebracht, einem kleinen Bergstädtchen süd östlich von Mekka, und bis an sein Lebensen de erinnerte er sich gern an die Apfelbäume, Pfirsichbäume und Weingärten dieser Oase, doch er war Mekkaner, und dies prägte ihn. Mekka war schon in vorislamischer Zeit eine heilige Stadt, und ihr Haupt-Heiligtum, der angeblich vom Mond herabgefallene „schwar ze" Stein der heiligen Kaaba, erfreute sich bereits in heidnischer Zeit tiefer Verehrung. Eifrig nahm MoHAMMED an allen Kulthand
M
it allen Zeichen des Entsetzens
lungen teil, doch prägten ihn auch Einflüsse ganz anderer Art: MOHAMMED bewegte sich in
alter Araber aus einer Höhle auf
Der die Feder gelehrt, Gelehrt den Menschen, was er nicht wußte. " Und während er sich zitternd in alle Him
dem Berge Harra bei Mekka. Angstgeweitet
melsrichtungen wandte, hörte er den Engel
wurde, was seinerzeit die Welt außerhalb
starrten seine riesengroßen Augen ins Leere,
sagen:„ Ya muhammad(,0 Gepriesener'), ich
Mekkas bewegte, und im Alter von 25 Jahren
und seine bebenden Lippen murmelten unab
bin Dschebrail, der Erzengel Gabriel, und du
heiratete dieser die vierzigjährige reiche Kauf
lässig: „Ich kann ja gar nicht rezitieren! Was
bist er-rasut Allah, der Gesandte Gottes /"Dies
mannswitwe CHADIDSCHA, deren Vetter WA
soll ich denn?" Doch wohin er auch blickte
war die Geburtsstunde des Islam, einer neuen
RAQA
Religion der „Hingabe an Gott". In der
Außerdem gab es zahlreiche Juden in Mekkas
nicht das Dunkel der Nacht, sondern die
vierten Sure des Koran heißt es: „Gott hat
Nachbarstadt Jathrib. Somit hatte er immer
strahlende Erscheinung eines Erzengels blen
diejenigen, die mit ihrem Vermögen und mit
hin in gewissem Umfang Zugang zur Vorstel
dete ihn. Seltsame Worte dröhnten in seinen
ihrer eigenen Person Krieg führen, gegenüber
lungswelt der großen monotheistischen Reli
MOHAMMED
taumelte ein etwa vierzig Jahre
ABU'L KASIM IBN-ABDALLAH
-
sah
Händlerkreisen, wo ihm manches zugetragen
eine
gewisse
Bibelkenntnis
besaß.
Ohren:
denjenigen, die daheim bleiben, um eine Stufe
gionen, die es zu seiner Zeit - er lebte von 570
„Rezitiere!
höher bewertet..'" MOHAMMED IBN-ABDALLAH,
bis 632 - bereits gab. Doch mehr noch: Im
Im Namen deines Herrn, der erschuf,
ihr Künder, den alle, die ihn kannten, als einen
Lande zogen Asketen umher, die man Hanifen
Erschuf den Menschen aus geronnenem Blut.
gutaussehenden Menschen von unvergeßli
nannte. Sie hatten sich von der Götterwelt
Rezitiere, denn dein Herr ist allgütig,
cher,
Altarabiens abgewandt und predigten nicht
unwiderstehlicher
Liebenswürdigkeit
Der Felsendom in Jerusalem. Der nach sei ner Bauinschrift 691 /92 unter Mitwirkung by zantinischer Künstler vollendete Sakralbau er hebt sich nach der Legende über jenem Felsen, von dem Mohammed über das Tal Kidron in den Himmel ritt. Zuvor soll auf eben jenem Felsen der biblische Erzvater Abraham Gott seinen Sohn Isaak zum Opfer dargeboten haben. Der Felsendom steht auf der Plattform des Herodia nischen Tempels, unter der sich einst auch der Tempel Salomos befunden haben soll. Nach dem die Kreuzritter 1099 Jerusalem erobert hatten, wandelten sie den herrlichen Bau in eine christliche Kirche um.
"Der Felsendom ist das monumentale Symbol der wechselvollen Geschichte zwischen Orient und Okzident." 47
Das Vordringen des Islam im 7. und 8. Jahrhundert X
Talas 751
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•
Hauptorte der Kalifen
•
Arabische Heerlager
-
Allah
il
Allah, so lautete der Kernsatz der Lehre MOHAMMEDS Allah ist Gott. „Es gibt keinen Gott außer Allah", verkündete er, „ keiner ist neben ihm". Fast mutet es wie bittere Ironie an, daß es ausgerechnet Juden waren, die
MoHAMMED
mit offenen Armen aufnahmen, als es nach anfänglichen Erfolgen in Mekka um ihn und
Zweite Sure des Koran Euch ist vorgeschrieben, gegen die Ungläubigen zu kämpfen, obwohl es euch zuwider ist. Aber vielleicht ist euch etwas zuwider, während es gut für euch ist, und vielleicht liebt ihr etwas, während es schlecht für
seine Lehre schlecht stand. Tatsächlich hatte er
euch ist. Gott weiß Bescheid,
die Mekkaner gegen sich aufgebracht. Infolge
ihr aber nicht. Diejenigen, die
dessen mußte er im Jahre 622 Mekka verlas sen. Die „Flucht" (arabisch
hedschra) wurde
glauben, und diejenigen, die
zum Beginn der islamischen Zeitrechnung. Es
ausgewandert sind und um
waren jüdische Bewohner der nördlich von
Gotteswillen Krieg geführt
MOHAM MOHAMMED
Mekka gelegenen Stadt Jathrib, die nun Zuflucht gewährten.
N
635 Jahr der Eroberung
Ausgreifen der Omaijaden bis 750
die Verehrung eines einzigen Gottes.
E
0 Assuan 641
Ausgreifen der Kalifen bis 656
nur das Ideal der Einsamkeit, sondern auch
MED
641
Kaluran •)
Dschawan 0
[=:J [=:J
Mosul
P
�
Ghadamis 0
LLl
0 Ba Ich
0 Hera!
::J"
Reichsverwaltung servitium regis (Königsdienst) Heeresdienst
O bauen die königliche Zentralgewalt ge
a.
genüber den partikularen Stammesge walten aus
r
O erneuern den »imperialen" Anspruch der Karolinger und sichern dem Reich die Kaiserkrone
Königstreue Kirchenpolitik
i c:
Königstreue Domschulen
sie als Gegengewicht zu den Stammes herzögen
Königstreuer Nachwuchs
O begründen die ltalienpolitik deutscher
�cfi/
Könige und Kaiser und sichern so den Einfluß im Süden
O schieben die Grenze des Reiches nach
Reichs-Äbte Bischöfe �--�1
1
Einnahmen auch besser als weltliche Große in
O bauen die Reichskirche aus und nutzen
Osten vor und legen die Basis für des sen Christianisierung
1 1.___
O besiegen die Ungarn militärisch und __,
__
stellen die bayerische Ostmark wieder her (»Ostarriche«).
Zu seinem Nachfolger wählte man LED
der Lage waren, die ungeheuren Kosten für
Schwäche des Papsttums interessiert sein müs sen. Doch die Entscheidung wurde ihm abge
der freilich seinerseits schon bald fliehen
die Beherbergung des riesigen kaiserlichen
nommen: Papst JoHANN XII. rief ihn zu Hilfe.
mußte, als JOHANNES zurückkehrte und furcht
bzw. königlichen Hofstaates zu verkraften.
Und so marschierte Orro im Jahre
961 in Italien ein und wurde am 2. Februar 962 zum
bare Rache übte. Wie man derartige Dinge im
Dieses in noch manch anderer Hinsicht nütz
Kaiser gekrönt. Dem Papst gegenüber erneu
Orro 111„ der
liche Reichskirchensystem funktionierte um
erte er alle Schenkungszusagen, die fränkische
von Kärnten als Papst einsetzte. Doch die
so reibungsloser, je geringer die Gefahr eines
und deutsche Herrscher bisher den Päpsten
Römer wählten, kaum daß Orro den Rücken
Loyalitätskonfliktes mit dem höchsten Kir
gemacht hatten. Aber unmittelbar darauf
gekehrt hatte, einen Gegenpapst. Als aber
chenoberhaupt, dem Papst in Rom, war.
schmiedete der Papst ein Komplott gegen den
Orro
Allerdings muß es damals gerade integeren
Kaiser, so daß dieser eine Synode einberief,
man diesen Gegenpapst gefangen, riß ihm die
Kirchenmännern schwergefallen sein, sich
die am
dem Papsttum gegenüber loyal zu verhalten,
geflohenen Papst für abgesetzt erklärte.
6. November 963 den inzwischen
v111„
damaligen Rom regelte, zeigte sich unter
996 seinen Vetter BRUNO (Brun)
997 nach Rom zurückkehrte, nahm
Zunge heraus, schnitt ihm die Nase ab, stach ihm die Augen aus und führte den so grausam Verstümmelten auf einem Esel durch die
war dieses doch zum Spielball römischer Adelsparteien geworden. Eine besonders un
Stadt. Seinen adligen Förderer köpfte man auf
heilvolle Rolle als Papstmätresse, Papstmutter
der Engelsburg und stellte seinen Leichnam
und Papst-„Macherin" spielte im ersten Drit
zur Schau. Schließlich wandte sich
tel des
römische Volkszorn gegen Orro 111. selbst. Er
10. Jahrhunderts eine ehrgeizige Ari
1002 der
mußte fliehen und starb in Paterno.
stokratin namens MAROZIA, die sich „Senato rin" nannte und über das Wohl und Wehe
einer ganzen Reihe von Päpsten entschied,
Weit mehr noch als die drei Ottonen stützte
welche ihr dermaßen ergeben und willfährig
sich deren Nachfolger, HEINRICH
waren, daß spätere Kirchengeschichtler diese
Bischöfe des Reichs; und dies hieß nicht nur,
II„
auf die
Zeit als Pornokratie („Hurenherrschaft") be
daß er sich ihrer bediente. Vor allem wird mit
zeichneten.
seinem Namen stets der Name Bamberg
Der
langobardische
Chronist
920-970), der
verbunden bleiben, dessen Bistum er gründete
die Intrigen, Mord- und Greueltaten (bis hin
und dessen Dom er erbauen ließ. Am Morgen
zur Leichenschändung) schildert, war durch
seines Hochzeitstages hatte er die Stadt seiner
LIUTPRAND VON CREMONA (um
aus kein antiklerikaler, antikatholischer oder
Gemahlin KuNIGUNDE geschenkt, und als ihm
gar antichristlicher Kirchenhasser, sondern
klar wurde, daß er kinderlos sterben werde,
selbst einer jener Bischöfe, welche Orro DER
setzte er „ Christus zum Erben ein", dem er
GRossE eingesetzt hatte.
Bistum und Dom „vermachte". Welche Be
Als Herrscher in der Nachfolge KoNSTANTJNS und KARLS DES GROSSEN mußte Orro hier wohl eingreifen. Als Realpolitiker freilich hätte er an einer möglichst langen Fortdauer der 74
Heinrich und Kunigunde. Heinrich II. und seine Gemahlin Kunigunde von der Adamspforte des Bamberger Doms. Das Dom Modell weist Kunigunde als eigentliche Stifterin des Domes aus.
deutung er seiner Neugründung beimaß, geht daraus hervor, daß er dem Bamberger Bischof das Amt des Reichskanzler verlieh, wel ches zuvor Erzbischof W1LLJG1s von Mainz bekleidet hatte.
Die Zeit der Reichskirche war auch die Zeit des Entstehens gewaltiger Dorne. Sie waren die Repräsentationsbauten der mit hohen weltlichen Machtbefugnissen ausgestatteten und an der Reichsverwaltung beteiligten Bischöfe.
Das Weltbild des Hochmittelalters
A
llerdings waren diese Bischofsdome kei
ters sahen es nicht als ihre Aufgabe an, neue
rend des gesamten Mittelalters als maestro die
neswegs nur steingewordene Demon strationen der Verquickung geistlicher
Weltbilder zu entwerfen. Vielmehr fühlten sie sich berufen, zur größeren Ehre Gottes im
color' chi sanno (als „Meister derer, die da wis sen"), und an der Autorität seiner im sogenann
und weltlicher Macht, sondern nicht zuletzt
Kollektiv mit anderen gleichsam an einer Art
ten organon zusammengefaßten erkenntnis
Zeugen eines Denkens, das ausschließlich um
von geistigem Dombau zu arbeiten, wie auch
theoretischen Schriften wurde erst gerüttelt, als
Gott kreiste.
die Dombaumeister ihrer Zeit nach den Regeln
sich eine Richtung durchzusetzen begann, für
ihrer Kunst die gewaltigen Gotteshäuser aus
die die Erkenntnis ein Akt der „Liebe" war.
Es ist zu einfach, verachtungsvoll auf die
Stein schufen. Die Quadern und Fundamente,
„Rückständigkeit" des mittelalterlichen Den
aus und auf denen der »geistige Dom« der
Amor ipse intellectus („Liebe selbst ist das
kens herabzublicken. Schließlich war ganz
Scholastik errichtet war, sind unterschiedlichen
Erkennen") lautete dann das Leitwort, und
Europa barbarisiert. Kaum jemand, sieht man
Ursprungs. Es waren einmal die Lehrsätze der
ihre von byzantinischer Theologie beeinfluß
einmal von einer ganz kleinen Bildungselite
Kirche, dann die Schriften der Kirchenväter
ten Anhänger beriefen sich auf PLATO. Erst
ab, konnte lesen und schreiben. Oft be
und schließlich die Erkenntnisse antiker Phi
ganz allmählich wurde so die Scholastik von
herrschten nicht einmal Kaiser, Könige und
losophen, soweit diese christlichen Ansichten
einem neuen Denken abgelöst, welches zwar
Reichsfürsten diese so wichtigen Kulturtech
nicht widersprachen. Eine besondere Rolle
noch immer nicht den Rahmen der christli
niken. Dafür hatten sie ihre Berater. Diese,
spielte dabei der griechische Philosoph ARISTO
chen Dogmatik sprengte, aber doch Möglich
meist geistlichen Standes,
gehörten jener
TELES (384-322 v. Chr.). Er galt - nach einem
keiten eröffnete, die letztlich zur europäischen
Schicht an, die das Weltbild des Mittelalters
Wort des Dichters DANTE (1265-1321 )- wäh-
Renaissance führten.
am nachhaltigsten prägte.
Das Mönchstum ist in dem
Dieses Weltbild aber war keine eigenständige Schöpfung der auf der historischen Bühne des
charismatischen Stadium sei
Mittelalters agierenden Völker. Vielmehr trägt
ner Entwicklung eine antiöko
es alle Zeichen des „Erborgten", und es war
nomische Erscheinung, der
erborgt - erborgt vom Altertum, gefiltert durch das Prisma des Christentums mit dessen
»Asket« der Gegenpol des
Vorstellungen vom Schöpfer und der Schöp
bürgerlichen Erwerbsmen
fung, von Sünde, Erlösung und vom Heilwir
schen sowohl wie des seinen
ken Gottes. Die Kirchenväter hatten versucht, die Schlichtheit frühchristlicher Lehren mit
Besitz ostensibel genießenden
der Komplexität griechischer Philosophie in
Feudalherrn. Er lebt einsam
Einklang zu bringen. Nun versuchten die Vertreter
der
mittelalterlichen
oder in frei sich bildenden
Scholastik
Herden, ehe- und also verant
(wörtlich: „Schullehre") die Realität der nach ihrer festen Überzeugung von Gott regierten
wortungslos, unbekümmert um
Schöpfung zu deuten, - einer Schöpfung,
politische oder andere
deren göttlicher Ursprung für sie außer Frage
Gewalten, von gesammelten
stand. „Erkenntnis" bedeutete in diesem Rahmen nichts anderes, als Folgerungen aus einer für unumstößlich gehaltenen Schöpfer-Welt-Be ziehung zu ziehen. Philosophen des Mittelal-
Schriftgelehrter. Bei we�em nicht jeder konnte im Mittelalter lesen und schreiben... Einen Schriftkundigen zeigt diese Abbildung aus einer Florentiner Handschrift. Miniatur aus dem Codex Amiatinus, 7. Jh.
Früchten oder vom Bettel und hat keine Stätte in der» Welt«. (Max Weber) 75
Ekklesia und Synagoge. Allegorische Darstellungen der »Ekklesia" („Kirche") links und der »Synagoge" rechts vom Straßburger Münster. Der triumphierenden Kirche mit Kreuzstab und Krone steht die trauernde Synagoge mit zerbrochenem Zepter und verbundenen Augen gegenüber, die ihr Buch (offenbar das Alte Testament) nach unten hält, weil nach christlicher Lehre der ,Alte Bund' durch den „Neuen Bund' abgelöst worden war.
"Das Weltbild des Mittelalters trägt alle Zeichen des »Er borgten«"
Lotharkreuz mit Augustusgemme. Christentum und Romidee - verkörpert durch das Symbol des Kreuzes und die ihm zentral eingefügte Augustusgemme im sogenannten „Lotharkreuz', einem Geschenk Ottos III. an die Kirche zu Aachen. Doch nicht nur die großen Philosophen des
an Originalität; Experimente vermied man
die Normannenherrscher Siziliens
Altertums vereinnahmte man, sondern auch
tunlichst. Statt dessen begnü�te man sich mit
und natürlich der große Hohenstauferkaiser
andere Gestalten aus der Antike, etwa, den „Dichter der Römer"
-
(12.
Jh.)
doch wer im ara
VERGIL
der Systematisierung des Uberkommenen.
FRIEDRICH II.
v.
Baumeister, Ä"rzte, Mathematiker und Astro
bischen Spanien Naturwissenschaften studiert hatte, konnte nicht dem Verdacht entgehen,
(70-19
(1212-1250),
Chr.), dessen vierte Ekloge man als Prophe
nomen galten gewissermaßen als Inhaber
zeiung der Geburt Jesu auffaßte. Sogar der
schamanischer Konzessionen, deren Kunst
ein großer Magier zu sein und „Schwarze
Apostel Paulus soll an VERGILS Grabe in
fertigkeiten den Argwohn des Umganges mit
Künste" zu treiben.
Neapel geweint haben...
dunklen Mächten erwecken konnten. Hinzu kam: Das antike Wissen um die Naturwissen
Dabei war zum Beispiel der naturwissen
Aber wie es unter den Skulpturen mittelalter
schaften war nicht durch Christen übermittelt
schaftlich hoch gebildete SILVESTER
licher Dome nicht an Teufelsfratzen mangelte,
worden, sondern durch islamische Araber,
Freund des jungen Kaisers Orro m„ ein Papst,
so fehlte es auch am Dombau des mittelalterli
„Sarazenen ", von denen alle Heldenlieder des
der seine kirchlichen Aufgaben bei alledem
chen Weltbildes nicht an Traditionen, die ihre
Mittelalters nur das Schlimmste zu berichten
sehr viel ernster nahm als andere Päpste der
Wahrer in den Ruch des Paktierens mit
wußten. Zwar wußten eine ganze Reihe
Ottonenzeit. Er war einer der gelehrtesten
unheilvollen Mächten brachten. Gemeint sind
abendländischer Fürsten die Annehmlichkei
Männer seiner Zeit und dazu ein glänzender
die Naturwissenschaften. Auch hier fehlte es
ten der arabischen Kultur zu schätzen: so
Literat. Er hatte ein Werk über Geometrie
76
-
11„
ein
verfaßt, das ganz von arabischem Einfluß
Die Anfänge der deutschen Literatur
zeugt. So konnte es nicht ausbleiben, daß sich Legenden um ihn rankten: Er wurde zum Urbild des Doktor Faust, der seine Seele dem Teufel verschrieb. Und daß eine Legendenbil dung dieser Art möglich war, sagt eine ganze Menge über das Weltbild des Hochmittelal ters aus. Viele Denker des Mittelalters beschäftigte intensiv die Frage, was wirklicher und und dauerhafter sei: das
Universal (der Allgemein
begriff) oder der einzelne Bestandteil des Ganzen. Was war beispielsweise dauerhafter und wirklicher - der Mensch „an sich" (als
Die schriftliche Aufzeichnung von Texten in deutschen Mundarten begann mit der Einführung des Christen tums. Vor der Ottonenzeit, deren Autoren lateinisch schrieben, gab es vor allem Gebets- und Schultexte. Von der vorchristlichen Germa nendichtung sind nur das Hil debrandslied (aufgezeichnet im 9. Jh.) und die Mersebur ger Zaubersprüche (aufge zeichnet im 10. Jh.) erhalten. Christliche Stabreimdichtun-
gen sind das Heilands-Epos „Heliand", das „Wessobrun ner Gebet" (neun Stabreim verse über die Weltschöp fung plus Prosagebet) und das „Muspilli-Lied" über die Schicksale der Seele nach dem Tode (alle drei 9. Jahr hundert.). Ebenfalls im 9. Jahrhundert aber führte der Benediktiner mönch Otfri(e)d von Weißen burg in seinem Jesus-Gedicht Kris! in Anlehnung an christ lich-lateinische Hymnen den
Endreim ein, der bis in unsere Gegenwart dominiert. Endrei me verwendet auch das rhein fränkische Ludwigslied, das den Sieg des westfränkischen Königs Ludwigs III. (879-882) bei Saucourt (881) verherr licht. Im 10./11. Jh. schuf der Sankt Gallener Mönch Notker Labeo(etwa950-1022)dieer sten volkssprachlichen Über setzungen antiker Schriften, darunter die der berühmten Schrift »Trost der Philosophie« des BOOthius.
Gattung) oder das Individuum, die Einzelper sönlichkeit? Worauf kam es an? Auf das Individuum oder war nicht die
Menschheit
das wahre Wesen? War das Individuum nur
Formel:
,,Ich erkenne, damit ich glaube".
Dahinter verbarg sich nichts anderes als die
Außerordentliche Verbreitung fanden die Werke des PETRUS ABÄLARD (1079-1142),
eine zufällige Ausprägung der „gattungsmäßi
Forderung, die Lehren der Kirche zu hinter
des vielleicht brillantesten Gelehrten seiner
gen" Gesamtwirklichkeit? Wer derartige Fra
fragen. A NS E LM VON CANTERBURY argumentier
gen mit einem „Ja" beantwortete, sich also für
te: Gott sei das vollkommenste Wesen, das
die reale Existenz der Universalien aussprach,
Menschen sich vorzustellen vermögen. Zur
Zeit. Unter anderem lehrte ABÄLA Ro : „Man kann erst etwas glauben, wenn man es begrif fen hat". Doch diese Formel, so sehr sie uns
Vollkommenheit gehöre aber die reale Exi
einleuchtet, stieß im hohen Mittelalter auf
stenz. Wäre er also eine bloße Idee, würde
heftige Kritik. Der Irrlehre beschuldigt, bat
galt im Mittelalter als
„Realist".
Im Gegensatz zu diesen „Realisten" standen die
„Nominalisten" (von lateinisch nomen
;
Sens, eine Syn
ihm diese reale Existenz fehlen und er wäre
ABÄLARD den Erzbischof von
dann eben nicht vollkommen. Diesem „onto
ode einzuberufen, die ihm Gelegenheit geben sollte, sich öffentlich zu verteidigen. BERNHARD
„Name".) Tatsächlich betrachteten sie Allge
logischen Gottesbeweis" hielt man schon da
meinbegriffe als reine Namen, als Worte.
mals entgegen, ebenso überzeugend könne
VON CLAIRVAUX (um
Gattung existiere, sondern nur der oder das einzelne, - die Einzelperson oder der
man die Existenz einer vollkommenen Insel in
herausragendste Persönlichkeit des religiösen
den noch unerforschten Weiten des Ozeans
Lebens, schrieb daraufhin an mehrere Bischö
einzelne Gegenstand. - Aber war dies nicht
„beweisen". Der Streit, ob die Allgemeinbe
fe, um sie zur Teilnahme an diese Synode zu
gefährlich für die Kirche und ihre Lehre? Wie,
griffe lediglich „Worte" oder nicht doch
wenn es gar keine „Christenheit" gab, sondern
„Realität" seien (der sogenannte
Nicht die
Universa
nur einzelne Christen? Welche Macht blieb
lienstreit), dauerte lange und wurde teilweise
der Kirche noch, wenn nur der einzelne Christ
mit großer Vehemenz ausgetragen.
zählte, nicht aber die Gesamtheit aller Gläubi gen? Was blieb von der göttlichen Dreifaltig keit? Wenn der Sammelbegriff der göttlichen Natur nicht mehr galt, sondern nur noch die einzelne,
individuelle
dann der „eine
Ausprägung,
zerfiel
Gott in drei Hypostasen " (drei
Ausprägungen) nicht in eine Götterdreiheit, wie es sie auch in den heidnischen Religionen
1090-1153), damals die
bewegen und gleichzeitig gegen ABÄLARD ein zunehmen. Bernhard argumentierte: „Petrus Abaelardus versucht, den christlichen Glauben seines Inhaltes zu berauben, wenn er sich für fähig hält, ihn ganz und gar mit menschlicher Vernunft zu begreifen (. ..)Der rechte Glaube glaubt, er diskutiert nicht. Dieser Mann (Abä lard) hat aber gar nicht im Sinn zu glauben, was er nicht zuvor mit seiner Vernunft zerglie dert hat." Wir sehen: Diese Kritik konnte
des Altertums gegeben hatte? Und konnte
kaum vernichtender ausfallen. Man kann sich
dann das Christentum noch immer den An
vorstellen, was diese Worte des einflußreichen
spruch erheben, eine monotheistische Reli
Kirchenmannes bewirkten: Als ABÄLARD im
gion zu sein? Lehrte die Kirche dann nicht
Juni
vielmehr Vielgötterei (Polytheismus)?
Mauer von Feindseligkeiten gegenüber. Die
Man erkennt, welchen hochbrisanten Spreng
nen Büchern, und Papst INNOZENZ
stoff die im Vergleich zum sogenannten „Rea
1143) bestätigte in einem Dekret das in Sens
1140 in Sens eintraf, sah er sich einer
Synodalen verurteilten
16 Kernsätze aus sei n. (1130-
moderne nominalistische Denkweise
gefällte Urteil, verbot ABÄLARD darüber hin
enthielt. Die Vertreter der „alten" Auffassung
aus jegliche weitere Lehrtätigkeit und befahl
hatten mit dem Kirchenvater AuGusnNus
ihm, sich in ein Kloster zurückzuziehen.
(354-430) und dem Scholastiker ANsELM VON CANTERBURY (1033/34-1109) der Formel
Daraufhin floh ABÄLARD zu seinem Freund
lismus"
angehangen: ,,Ich glaube, damit ich erkenne". Die „Modemen" aber setzten dagegen die
(1092 oder 1094-1156), 1122 Abt von Cluny war. Hier starb ABÄLARD am 21. April 1142. PETRUS VENERABILIS
Roswitha von Gandersheim. Darstellung aus dem 19. Jahrhundert.
der seit
77
Investitur eines Bischofs durch den König, der ihm den Bischofsstab überreicht. Relief der Bronzetür des Domes zu Gnesen (Polen).
Ein Gespenst ging um in Europa Gespenst der Angst: das Gespenst der Angst vor dem Weltuntergang im Jahre 1000 nach Christi Geburt.
-
das
Der Investiturstreit
tage zu den „Auserwählten" zu gehören. Ganz sicher förderte diese Prophezeiung entschie den die Reformbewegungen, die noch vor der ersten Jahrtausendwende aufkamen. Ausgang und Mittelpunkt einer umfassenden Erneuerung des Mönchtums, der Weltgeistli chen, aber auch der Laienwelt wurde das im Jahre 910 gegründete burgundische Kloster Cluny, dessen Äbte als geistliche Oberherren zahlloser Tochterklöster (auf dem Höhepunkt der Macht Clunys waren es mehr als l 000)
m Jahre 525 hatte der in Rom wirkende
schon seit der Frühzeit Christen immer wieder
zeitweise mehr Macht besaßen als die damali
skythische Mönch D10NYSIUS Exmuus in
auf ein „ tausendjähriges Reich" messiani
gen Päpste. Es mutet paradox an, daß ausge
seinem „Osterbuch" (liber de paschale)
schen Heils gehofft? Lag es nicht nahe, das
rechnet die Ottonen, die alles taten, um die
die Zeitrechnung „ab Christi Geburt" vorge
Heraufziehen der neuen Epoche zu erwarten,
von den Reformern bekämpfte Verquickung
1
schlagen und entsprechende Berechnungen
nachdem das erste Jahrtausend verstrichen
von Staat und Kirche unter staatlicher Regie
angestellt. Im Jahre 532 wandte man die neue
war? Doch dem Anbruch der neuen, besseren
zu fördern, andererseits den Reformen von
Zeitrechnung erstmals an, und im 8. Jahrhun
Zeit sollte eine „große Drangsal" vorangehen,
Cluny wohlwollend gegenüberstanden. Jener
dert (ab 742) setzte sie sich allgemein durch.
„ wie es von Anbeginn der Erde noch keine
deutsche Herrscher, der am härtesten mit
gegeben "hatte (Matthäus 24, 21 ). Und hatte
Cluny kollidierte, HEINRICH
Nun näherte man sich dem Jahre 1000 der
nicht Jesus, laut Lukas 21, 26, prophezeit: „In
war sogar Patenkind eines der bedeutendsten
1v.
( 1056-1106),
neuen Zeitrechnung und der christlichen Ära
Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis
Äbte von Ouny: des Abtes Huoo, der von 1049-
- einer Zeitmarke, die etwas Unheimliches
kommen werden, werden die Menschen vor
1109 amtierte.
hatte! Spielte nicht die Jahreszahl 1000 in der
Angst vergehen"? Endzeiterwartung, - das
Apokalypse, dem letzten und jüngsten Buch
bedeutete angstvolle Erwartung des „Jüngsten
Vor allem gegen drei Dinge wandten sich die
der Bibel, eine wichtige Rolle (Apokalypse
Gerichts", und auf jeden Fall empfahl es sich,
Reformer aus Cluny: erstens gegen die Prie
20, 2-5 und 7)? Und hatten daher nicht
in sich zu gehen, um am erwarteten Gerichts-
sterehe, zweitens gegen den Kauf geistlicher
78
Ämter und drittens gegen die sogenannte
ltKqL. mun\TO ud OJdtm duum mtdtsmmo lim: ·mcb_gntm1 .:tf foa.uu:r:'mt olun moru©mn 1--..l.nr1o:mnq; monaftmi buutf.fttb __onmo ,\c ummdnti bu.gone-
„Laieninvestitur ". Den Handel mit geistlichen Ämtern bezeichnete man als Simonie" dies „
-
nach einem Magier namens S1MON, der den Aposteln die Priesterwürde abkaufen wollte (vgl. Apostelgeschichte
8, 18-20).
Während
des Mittelalters war „Simonie" eine begehrte Einnahmequelle Mächtiger, die kirchliche Ämter zu vergeben hatten. Für die deutschen Könige bedeutete es eine erhebliche Einbuße, auf derartigen Ämterverkauf zu verzichten. Noch viel schwerer aber traf sie das Verbot der „Laieninvestitur", das heißt: der „Beklei dung" (Investitur) eines zu weihenden Abtes oder Bischofs mit Ring und Stab, seinen Amtsinsignien, durch den weltlichen Landes herrn. Denn die Verleihung der Amtsinsignien bedeutete die eigentliche Amtseinführung, und ihr Verbot degradierte die Herrscher zu bloßen Laien ohne jegliche sakrale Würde. Vor allem aber beraubte es die Könige und Kaiser ihres wirksamsten Instrumentes im Kampf gegen die nichtgeistlichen Reichsfür
Cluny. Weihe der dritten Klosterkirche von Cluny - damals der größten Kirche der Welt.
sten, die bisher durch die mächtigen geistli chen Funktionsträger in Schach gehalten wor
"Das eigentlich ursächliche Problem war die Frage nach der Vormachtstellung in der christlichen Gesellschaft... "
den waren. Man versteht daher, mit welcher Erbitterung
der
sogenante
Investiturstreit
(1075-1122) ausgefochten wurde. Fast tragikomisch mutet es deshalb an, daß ausgerechnet deutsche Könige und Kaiser es waren, die, persönlich von den Reformen aus Cluny begeistert, den neuen Reformideen dazu verhalfen, überall, so auch in Rom, Fuß n., der Heilige ( 10021024), hatte zwar die Kirche fest in der Hand
zu fassen. HE INR I CH
Burgruine Canossa: Die Felsenburg wurde im 10. Jh. erbaut und 1255 zerstört.
und griff auch energisch durch, wenn er es für nötig hielt, andererseits aber war er mit dem
Der Historiker urteilt
gleichfalls als Heiligen verehrten Abt Omw voN
C LUNY befreundet, der in den Jahren
994-1049 amtierte, und er ließ viele Abteien durch Abgesandte aus Cluny reformieren. Als HEINRICH am 13. Juli 1024 in der Pfalz Grona bei Göttingen starb, hinterließ er keine Nach kommen. Man bestattete ihn in „seinem" Dom zu Bamberg und wählte einen Verwand ten, KONRAD 11.
(1024-1039),
zum Nachfol
ger. In Rom herrschte unterdessen große Verwir rung: Päpste und Gegenpäpste kauften und verkauften Ämter und Würden. Dies änderte sich erst, als der getaufte Sproß einer jüdischen Familie, JOHANNES G RATIANUS P1ERLEON1, die Papstwürde kaufte und am GREGOR
v1.
5.
Mai
1045
als
den Thron Petri bestieg. GREGOR
war reformwillig, doch ausgerechnet er kam wegen des Ämterkaufs zu Fall: Auf der Synode zu Sutri
(20.-23.
Dezember
„So ist denn nicht zu bestrei ten, in dem Spiel der Staats kunst, das in Canossa ge spielt wurde, war Heinrich der Gewinner. Er hatte den Priester Gregor zu einem Schritt genötigt, den der Poli tiker Gregor hätte verweigern müssen. Mit diesem Schach zug hatte er dem Gegner ei ne wichtige Figur geraubt. Aber wer daraufhin von Hein rich als dem Sieger von Ca nossa spräche, würde der Bedeutung des Ereignisses nicht gerecht. Als Gregor ge gen Heinrich den Fluch ge schleudert hatte, mußte er sich sogleich gegen den Wi derspruch wehren, einen Kö nig dürfe auch der Papst nicht ausschließen. So dach-
ten unter den Zeitgenossen die meisten, der Schritt des Papstes war unerhört, ohne Vorgang, darum für Men schen, denen für Recht galt, was althergebracht und üb lich war, ein Unrecht. Noch zwei Menschenalter später schreibt ein Enkel Heinrich IV., Bischof Otto von Freising, als er in seiner Weltchronik bei diesen Ereignissen ange langt ist, kopfschüttelnd: „wieder und wieder lese ich die Geschichte der römi schen Könige und Kaiser, und nirgends finde ich, daß einer von ihnen vor diesem von einem römischen Bi schof ausgeschlossen sek Der Widerspruch verlor viel von seiner Kraft, seit ein Kö-
nig selbst durch die Tat, wenn auch widerwillig und ge zwungen, anerkannt hatte, daß die Strafgewalt der Kir che vor seinem T hron nicht haltzumachen brauchte. Dar um wird Canossa, mag es für den Augenblick dem König einen Gewinn gebracht ha ben, in der Kette der Jahr hunderte doch der Name für eine der schwersten Nieder lagen des Königsgedankens bleiben. Der hehre An spruch, auf Gottes weiter Er de keinem Richter, auch nicht der Kirche und dem Papst, unterworfen zu sein, das wahre Gottesgnaden tum, ist in Canossa preisge geben worden." (Johannes Haller)
1046) 79
Verbot der Einsetzung von Bischöfen und
Heinrich bittet um Fürsprache. König Heinrich IV. (kniend) bittet am 27. Januar 1077 die Markgräfin Mathilde von Tuscien und den Abt Hugo von Cluny um Fürsprache bei seinem Gegner, Papst Gregor VII.
Äbten auf einer Reichssynode zu Worms (1076). Sie erklärten GREGORS Wahl zum Papst für ungültig und den „falschen Mönch Hildebrand" daher für abgesetzt.
GREGOR
schlug zurück und verhängte über den König den Kirchenbann. Dies blieb nicht ohne Wirkung. Auf einem Fürstentag zu Tribur mußte HEINRICH dem Papst Gehorsam ver sprechen, und GREGOR drehte den Spieß um: Hatten bisher Könige und Kaiser in die Angelegenheiten der Kirche eingegriffen, so
" Ich, König Heinrich, werde innerhalb der Frist, die Herr Papst Gregor festsetzt, ... nach seinem Rat Frieden schließen "
behielt sich der Papst jetzt im Falle einer Neuwahl des Herrschers ein Bestätigungsrecht vor. Und die Fürsten beschlossen, HEINRICH werde seinen T hron einbüßen, wenn es ihm nicht gelänge, sich binnen Jahr und Tag vom päpstlichen Bannfluch zu befreien. So blieb HEINRICH keine andere Wahl, als sich 1077 im Büßergewande in das norditalieni sche Städtchen Canossa zu begeben, wo sich der Papst im Schloß der Markgräfin MATHILDE voN T usc1EN aufhielt, und sich unter der Bedingung vom Bann lösen zu lassen, daß er
setzte König HEINRICH 111. (1039-1056) ihn
und Reichsverweserin AGNES
war auf der
im Streit mit den deutschen Fürsten dem Papst
und seine beiden Gegenpäpste ab. Die folgen
Seite der Gegner oder verhielt sich zumindest
die Entscheidung überließe. Dennoch wähl
den zwölf Jahre waren geprägt von einer
unschlüssig. -Auf der Seite der Reformfreun
ten die Fürsten Herzog RuDOLFVON SCHWABEN
Reihe deutscher Reformpäpste. Die Wende
de dagegen stand in erster Linie der Clunia
zum Gegenkönig, und es kam zum Bruder
kam, als 1058 ein Franzose namens GERHARD
zensermönch HILDEBRAND voN SoANA, der frü
krieg (1077-1080). Schließlich wurde Ru
voN BuRGUND Papst wurde. Unter ihm setzte
her HEINRICH
sowie die von diesem einge
DOLF durch Abhauen der Schwurhand tödlich
sich ein Rigorismus durch, welcher nicht
setzten reformfreundlichen Päpste beraten
verwundet, und GREGOR v11. verhängte über
mehr nur Mißbräuche verurteilte, sondern
hatte, und nun der Hauptgegner der Reform
HEINRICH abermals den Kirchenbann. Nun
auch die gewachsenen Rechtsvorstellungen in
feinde war. Im Jahre 1073 bestieg HILDEBRAND
aber unterwarf HEINRICH sich nicht mehr. Er
Frage stellte, die dem deutschen Eigen- und
als GREGOR v11. den Heiligen Stuhl, und im
setzte einen Gegenpapst ein und marschierte
Reichskirchenwesen zugrunde lagen.
Jahre 1075 sprach die von ihm geleitete
vor Rom, das er 1083 einnahm. Hier krönte
römische Fastensynode dem deutschen König
ihn der Gegenpapst zum Kaiser. GREGOR hatte
Außerdem verletzte er Reichsrecht, indem er
(bzw. Kaiser) jedes Mitspracherecht bei der
sich in der Engelsburg verbarrikadiert und
den in Süditalien gelandeten Normannen das
Einsetzung von Äbten und Bischöfen ab und
blieb dort eingeschlossen, bis ihn die von ihm
von ihnen eroberte Gebiet zum Lehen gab, -
drohte bei Zuwiderhandlungen mit dem Kir
herbeigerufenen Normannen unter ROBERT
dazu noch Sizilien, das die Normannen noch
chenbann. So scharf hatte sich noch kein
Gu1scARD befreiten. Nach diesen Ausschrei
gar nicht erobert hatten! In Deutschland war
Papst gegen das in Deutschland bestehende
tungen seiner Verbündeten gab es für GREGOR
HEINRICH 111. inzwischen gestorben und mit ihm
Reichskirchensystem gewandt. - Ende des
kein Bleiben mehr. Er verließ Rom und starb
eine Epoche zu Ende gegangen. Für seinen
selben Jahres ereignete sich ein schwerer
im Gefühl totaler Unterlegenheit in Salerno.
erst im Jahre 1050 geborenen Sohn HEIN
Zwischenfall: Am Heiligen Abend wurde
m.
RICH IV„ führte dessen Mutter, AGNES VON
GREGOR überfallen, während er die Messe
HEINRICH 1v. erging es nicht besser: Sein gleich
Po1rou, die Regierungsgeschäfte mit recht
zelebrierte. Die Angreifer zerrten ihn an den
namiger Sohn (HEINRICH v.), der seine Politik
unglücklicher Hand.
Haaren vom Altar, schlugen ihn, bis er blutete,
mißbilligte, nahm ihn 1105 gefangen und
kerkerten ihn ein und beschimpften ihn. Am
zwang ihn auf einem Fürstentag zu Ingelheim
Im Jahre 1062 wurde HEINRICH durch den
folgenden Tage gelang es der aufgebrachten
(1106) zur Abdankung. Der Vater entkam
Kölner Erzbischof ANNO aus der Kaiserpfalz
Volksmenge, den Papst wieder zu befreien.
und starb in Lüttich. Den Investiturstreit ins
von der Rheininsel Kaiserswerth entführt.
Man führte ihn im Triumphzuge zur Kirche
gesamt beendete erst das Wormser Kon
ANNO übernahm die Prinzenerziehung, doch
Santa Maria Maggiore, wo GREGOR die so
kordat des Jahres 1122, das die Rechte der
später überwog der Einfluß des Bremer Erzbi
gewaltsam unterbrochene Messe des Vortages
deutschen Herrscher erheblich beschnitt, -
schofs ADALBERT. Etwa zur gleichen Zeit gab
zu Ende zelebrierte.
und zwar in Italien und Burgund noch mehr als in Deutschland selbst. Insgesamt jedoch
es in Italien wieder Tumulte im Zusammen
hatten sich durch den jahrzehntelangen Streit
hang mit der Besetzung des Papstthrons. Noch
HEINRICH 1v. und die über Roms Forderung
einmal versuchten die Reformgegner, die
aufgebrachten deutschen Bischöfe erteilten die
die Gewichte zugunsten des Papsttums verla
Macht an sich zu reißen. Die Kaisermutter
Antwort auf das von GREGOR ausgesprochene
gert. Ein neues Zeitalter war angebrochen„.
80
Der Investiturstreit brachte eine viel bedeutendere Wende, als es auf den ersten Blick scheinen will. Zur gleichen Zeit trat erstmals ein neues Element im politischen Kräftespiel des Mittelalters auf: das Volk".
Im Zeichen des wirtschaftlichen und sozialen Wandels „
Z
war waren die untersten Schichten der
zu leistenden Arbeiten und Abgaben -Abstu
damaligen Bevölkerung noch weit da
fung der feudalen
Hörigkeit bzw. Leibeigen
Ostens, ansiedeln zu lassen. Dort erhielten sie
von entfernt, schon ein Machtfaktor zu
Land zugewiesen, das vererbbarer Eigenbesitz
sein. Noch blieben sie Objekt der Politik, -
schaft: Es gab den landlosen Unfreien, den Inhaber kleiner, aber mit vielen Dienstleistun
andere handelten. Aber man hatte mit fort
gen behafteter Güter sowie den fast nur
ihren Familien frei. - Übrigens erschloß man
schreitender Zeit immerhin entdeckt, daß es
Abgaben leistenden „Hofbauern ".
nicht nur Kolonisationsland, sondern machte
Doch die „Stadtluft" der aufblühenden Städte
lich unerschlossene Gebiete wie Wälder und
sie gab und daß sie nicht nur
Spanndienste
neue Sichtweise ging von der Kirche aus. So empfahl der radikal reformistische Kardi nal HuMBERTVON MoYENMOUTIER
wurde, und von Stund an waren sie mitsamt
auch im Landesinnern bisher landwirtschaft
Hand- und
zu leisten vermochten. Diese
ten, namentlich in den großen Räumen des
war für die Bauern nicht die einzige Chance,
Sümpfe
ihren Status aufzubessern: Es gab für sie auch
Anbauflächen
die Möglichkeit, sich in Kolonisationsgebie-
wandte man eine ganze Reihe neuer Erkennt
et 1061) die
urbar,
und um bereits vorhandene besser
nutzen
zu
können,
nisse an: Man lockerte den Boden mit Eggen,
Aufwiegelung der Massen, um die Ziele der
wendete ihn mit tiefer als bisher greifenden
kirchlichen Reformpartei durchzusetzen. Tat
Scharpflügen,
sächlich kam es in Oberitalien zur Volksbewe gung der pataria (frei übersetzt: des „Lumpen packs"), die sich ganz besonders gegen den Handel mit geistlichen Ämtern richtete. In Deutschland zogen die zunächst stark von
Cluny
beeinflußten, dann aber eigene Wege
einschlagenden Reformklöster wie Hirsau bei Calw viele Fromme an sich und begannen große Rodungen, die den Siedlungswilligen Freiheitsrechte brachten. Allmählich entwickelten sich auch die Städte auf Reichsboden. Ihre Bewohner, noch um 1100 Hörige der Stadtherren (des Kaisers,
Königs, Fürsten, Bischofs, Abtes usw.), setz ten vielerorts Befreiung von den alten Aufla gen durch, um die städtische Zuwanderung
Seismographen des Wandels O (1100) Der Benediktinermönch Theo philus beschreibt als erster die Technik des Glockengusses
O (1105) In einer juristischen Schrift des Benediktinerordens wird erstmals im Abendland der Betrieb von Windmühlen dargelegt O (1113) Im Kloster Klosterroda im Her zogtum Limburg wird der Steinkohle bergbau betrieben
O ( 1190) In Ravensburg arbeitet die erste deutsche Papiermühle
O (1250) Der Franziskanermönch Roger
Verpflichtungen gegenüber ihren Grundher
arbeitet die erste Uhr mit mechanischem Schlagwerk
nannte man
Masse der Bevölkerung weiterhin in Unfrei heit. Allerdings gab es - nach Maßgabe der
wirtschaft
„Dreifelder
. Dies bedeutete: Man bebaute den
"
Boden nicht, bis er erschöpft war, sondern gab ihm Gelegenheit, sich zu erholen, denn man bepflanzte je ein Drittel mit Sommerfrucht, ein Drittel mit Winterfrucht, und ein Drittel ließ
O ( 1288) Auf Westminister Hall in London
macht frei",
Bessere landwirtschaftliche Erträge garantierte nicht zuletzt die Einführung der
man brach liegen. Dadurch, daß man dies in
wohner waren im allgemeinen nach einjähri
das später. - Auf dem Lande dagegen lebte die
schaft als Zugtiere verwenden zu können.
pagne nennt erstmals die schwimmen de Magnetnadel zur Bestimmung der Himmelsrichtung
gem Aufenthalt in einer Stadt ihrer alten ren ledig. „Stadtluft
versah Pferde mit Hufeisen und verpaßte ihnen Kummets, um sie auch in der Landwirt
O ( 1181) Guiot de Provins aus der Cham
Bacon beobachtet, daß Feuerwerkssät ze durch Beimischung von Salpeter ex plosive Eigenschaften haben
vom platten Lande her zu fördern. Landbe
die den alten, noch aus der
Römerzeit stammenden Hakenpflug ablösten,
O (1300) Von Italien ausgehend werden konvex geschliffene Augengläser ge bräuchlich.
regelmäßigem
Zyklus
umschichtig betrieb,
konnte jedes Stück Land in gleichmäßigen Zeitabständen neue Kräfte für den Anbau sammeln. Auf diese Weise konnte man den Ertrag von zwei Korn Ernte pro Saatkorn fast verdoppeln. Und dies war nötig, denn die Zahl der Münder, die essen wollten, war mit fort schreitendem
Mittelalter größer geworden.
Zwar war Deutschland, verglichen mit heute, noch immer dünn besiedelt. Immerhin aber erhöhte sich die Zahl seiner Bewohner von rund vier Millionen um die Jahrtausendwende auf über das Dappelte im
11./12. Jahrhundert. 81
Mönch schlägt Baum.
Körperliche Arbeit gehörte ebenso zu den idealen des Zisterzienserordens wie Gebet und Betrachtung. Diese realistische Darstellung entstand 1111 im Kloster Citeaux unter dem englischen Abt Harding.
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c-o.pifua�n:- u1dmmWL1 .
Auf Waldrodung und Landarbeit konzentrier
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te sich auch ein als Reaktion auf Cluny gegründeter neuer Zweig der benediktini
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schen Ordensfamilie: die Zisterzienser (nach
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ihrem Kloster Citeaux in der Nähe von Dijon). Cluny verlor langsam, aber stetig seinen reformatorischen Schwung und war in der Entfaltung eines ungeheueren Prunkes erstarrt. Deshalb suchten einige Cluniazenser
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eigene Brust gelenkt und so seinen Eid- und Kampfgenossen zum Siege verholfen. Tat sächlich fließt in dieser Erzählung keine Milch, sondern Blut. Es ist auch ein anderer
Aspekt schweizerisch-frommer Denkart, den die Geschichte belegen soll. Aber letztlich läuft es doch auf das gleiche hinaus - auf eine Schweizer Variante des „Einer für alle - alle für einen!" Und wirklich wurde die Solidarität der Eidge nossen auf manche harte Probe gestellt, denn die Geschichte der Schweizerischen Eidgenos
senschaft ruht keineswegs nur auf dem „Bun desschluß" der Urkantone, auf Morgarten,
" ...sich gegenseitig beizustehen mit Hilfe, Rat und Förderung jeder Art"
Sempach und Reformation. Es mußte eine 137
Menge Kleinarbeit geleistet werden, der Bund hatte Belastungen zu ertragen, die seine Wi
.„
derstandskraft auf manch schwere Probe stell ten. Doch er wuchs ständig, und unter Kaiser FRIEDRICH III. (1440-1493) verloren die Habs
1315:
burger fast all ihre früheren Besitzungen süd lich des Bodensees bzw. links des Rheines. Von den Jahren 1443 bis 1450 dauerte der Krieg, den das Aussterben der Grafen von Toggenburg (1436-1439) auslöste. Im Streit
für die Verbreitung des Bundes tätig 1351 :
III. um Hilfe wandte. FRIEDRICH wiederum erhoffte sich von seinem Eingreifen in diesen
1353:
Streit die Rückgewinnung des 1415 von den Eidgenossen eroberten Aargaus. Auch der französische König, KARL
v11.
1386:
(1422-1451),
griff an der Seite Habsburgs in den Kampf ein und setzte seinen Dauphin (Kronprinzen), den späteren König LUDWIG XI„ gegen Basel in Marsch. Das Unternehmen endete jedoch mit
1460:
und
Frankreich.
1450
senschaft bei, die im übrigen nicht nur den größten Teil des Aargaus behielt, sondern 1460 sogar noch den T hurgau dazugewann.
1499:
freundliche Berner Schultheiß NIKOLAUS
voN
DIESSBACH durch die Großmachtpläne KARLS DES KÜHNEN (1467-1477), des ebenso energi schen wie chaotischen Herzogs von Burgund. DrnssBACH und seine Anhänger setzten sich durch, und die Schweizer waren alsbald dermaßen beunruhigt, daß sie sogar ihren Erz und Stammkonflikt, - jenen Konflikt, dem sie gleichsam ihre Existenz verdankten und von dem sie noch immer zehrten, den Konflikt mit den Habsburgern nämlich, begruben, um für den Kampf gegen KARL DEN KüHNEN freie
Bern tritt der Eidgenossenschaft bei
1478, dauerte der „Burgunderkrieg", der
Schlacht bei Sempach. Die Eidgenossen besiegen Herzog Leopold III. von Österreich Die Eidgenossen erobern den Habsburgischen T hurgau Eidgenossen besiegen Karl den Kühnen in den Schlachten von Grandson, Murten und Nancy.
trat
schließlich auch Zürich wieder der Eidgenos
Ernstlich bedroht fühlte sich der frankreich
Zürich tritt der Eidgenossenschaft bei
1474-77: Burgunderkriege: Die
einem Freundschaftsvertrag zwischen den Eidgenossen
Uri, Schwyz, Unterwalden besiegen Leopold 1. von Österreich am Berge Morgarten (am Aegerisee)
1331 Freiherr Hans von Attinghusen, ca. 1357: Landamtmann in Uri, führend
um deren Erbe siegten die Schwyzer über Zürich, das sich daraufhin 1442 an FRIEDRICH
und die Weiterentwick lung im Überblick
Schwabenkrieg: Der Sieg der Eidgenossen bedeutet die faktische Loslösung vom Deutschen Reich.
Hand zu haben. Drei Jahre, von 1475 bis KARL DEM KüHNEN die Niederlagen bei Grand son (2. März 1476) und Murten (26. Juni 1476) und bei Nancy (5. Januar 1477) sogar
den Tod einbrachte. Im Jahre 1481 kamen die Kantone Freiburg und Solothurn zu der schon bestehenden Eidgenossenschaft hinzu, und 1497/1498 schloß sich Graubünden- vorerst nur locker den Eidgenossen an. Die neuen Bundesgenos sen hatten sofort Gelegenheit, sich zu bewäh ren: Gemeinsam siegten Eid�enossen und Bündner im Jahre 1499 über Osterreich und den Schwäbischen Bund. Erst dieser Sieg brachte die endgültige faktische Loslösung der Schweizer Eidgenossenschaft aus dem Ver band des Reiches, über das nun MAXIMILIAN 1., „der letzte Ritter" (1493-1519), als „erwähl ter Römischer Kaiser" herrschte. Wenn auch im wahrhaft weltumspannenden Reich seines Sohnes, KARLS
v.
(1519-1556), „die Sonne
nicht unterging", so konnte doch keine Macht der Welt- bis zu NAPOLEON- den Schweizern ihre de-facto-Souveränität mehr nehmen, ob wohl deren staatsrechtliche Festschreibung (wir sagten es bereits) erst im Westfälischen Frieden von 1648 erfolgte. Die Schlacht bei Sempach.
Ähnlich wie im Norden die Hanse, bildeten sich auch im des deutschen Süden Sprach- und Siedlungsrau mes (allerdings nur ver gleichbar kurzlebige) Städte bünde, um die Interessen der Stadtbewohner zu sichern. Einige dieser Städtebünde umfaßten auch Städte auf heute schweizerischem Ter ritorium und machten mit den Eidgenossen gemeinsame Sache. Dies mußte zwangs läufig zu neuen Kollisionen mit dem Hause Habsburg führen, und tatsächlich zog im Bunde mit den süddeut-
138
sehen Fürsten - Herzog Leo pold III. von Österreich gegen die unbotmäßigen Eidgenos sen und ihre Verbündeten zu Felde. Das fürstliche Ritter heer erlitt jedoch bei Sem pach (nördlich von Luzern) am 9. Juli 1386 eine vernich tende Niederlage. Das Bild zeigt die Schlacht (links die Eidgenossen) am Ufer des Sempacher Sees. Einer Le gende zufolge verdanken die Eidgenossen ihren glänzen den Sieg dem Selbstopfer des Helden Arnold Winkel ried, der so viele Speerspit zen der feindlichen Ritter mit seinen Armen umfaßte und
auf seine eigene Brust lenkte, daß im habsburgischen Heer eine Lücke entstand, die ei nen Durchbruch der Eidge nossen ermöglichte und so die Voraussetzung zum Sie ge schuf. Keine Legende ist jedoch, daß Leopold selber in der Schlacht fiel. Sie führte dazu, daß Habsburg 1389 beim Friedensschluß mit der inzwischen auf „Acht Orte" angewachsenen Eidgenos senschaft deren Unabhän gigkeit vom habsburgischen Territorialstaat anerkennen mußte ( was freilich noch nicht die volle Unabhängig keit vom Reich bedeutete).
Das aus dem „Ewigen Bunde" der „drei Waldstätten" Uri, Schwyz und Unterwalden hervorgegangene
staatliche
Gemeinwesen
hatte seine ersten Stürme hinter sich gebracht und seine ersten, harten Bewährungsproben bestanden. So ernst und tiefgreifend die Zer würfnisse sein mochten, zum Bruch hatten sie nicht geführt! Im Gegenteil: Das Zusammen gehörigkeitsgefühl stieg im Laufe der Jahr hunderte, auch durch die kriegerischen Aus einandersetzungen, die das entstehende Ge meinwesen durchzustehen hatte. Die Schweiz schuldet ihre Existenz dem im Mittelalter verbreiteten Schwurgedanken, der sich so gemeinschaftsbildend
erwies,
daß
staatsbildende Kräfte erwuchsen.
daraus
„Schwer ist's dem Menschengeist, wenn seines Bruders Werk so hoch erhoben ist, daß er nur (sich) beugen und anbeten muß."
ehe. Sie verherrlichte an dieser Stilepoche das
Das Zeitalter der Gotik
S
Mystische,
Hirnrnelanstrebende,
himmel
wärts Weisende dieser Bauten, die noch im mer unsere Stadtbilder prägen. Letztlich auf dieser neuen Einschätzung des »Gotischen« fußend, reklamierten noch spä ter Germanentümler die gotische Bauweise für die deutsche Kunst, obwohl der Ursprung der gotischen Baukunst eindeutig in Frankreich zu suchen ist und gerade die deutsche Gotik im Vergleich zur französischen ein uneinheitli ches Bild darbietet. Diese deutschtümelnden Verherrlicher unserer Gotik rühmten ihre himmelstürmende Dynamik als Ausdruck der angeblich
überlegenen
Kreativität
eines
„nordischen Menschen".
o äußerte sich G OETHE angesichts des
schwer von der Gotik zu lösen vermochte,
Technisch gesehen war der gotische Baustil
Straßburger Münsters. Für ihn, den
das Ergebnis eines ingeniösen Spiels mit den
ganz vom Geist der deutschen »Klassik«
und GroRaro VASARI (1511-1574) war die Gotik Ausdruck eines von den »Gotenkrie
Durchdrungenen, ein wahrhaft erstaunliches
gen« eingeleiteten nachklassischen Zeitalters
brochenen Mauerwerks. Dieses Spiel erfor
Urteil! In der Tat war man über die Gotik als
voller Barbarei, und die Bezeichnung „go
derte komplizierte Verstrebungen und beding
Stilepoche - insbesondere der Baukunst -
tisch" wurde gleichbedeutend mit „überla
te auch die typisch gotischen Spitzbögen, die weniger Seitenschub ausüben als die romani
durchaus unterschiedlicher Auffassung. Für
den", „bizarr" „klassischem Formensinn wi
Künstler und Kunsttheoretiker wie loRENZO
dersprechend".
G ttIBERTI (1378-1455), der sich selbst nur
wieder den Reiz der gotischen Formenspra-
-
Erst die Romantik entdeckte
Möglichkeiten aufgelöster Massen und durch
schen Rundbögen zuvor. Gotischer Baustil also nur eine Frage der Funktionalität?
Die deutsche Frühgotik Während in Frankreich längst die reifste Hoch gotik blühte, entstand in Deutschland erst die frühgotische Elisabethkirche zu Marburg an der Lahn. Man begann mit dem Bau im Jahre 1235. Die Weihe erfolgte allerdings erst 1283, und die T ürme wurden erst um 1340 vollendet. Neben der Trierer Marienkirche war dieses Marburger Gotteshaus das erste in rein gotischen Formen errichtete sakrale Bauwerk auf deutschem Bo den. Es war der von Papst Gregor IX. (1227-1241) im Mai 1235 heiliggesprochenen, jung gestorbenen Landgräfin Elisabeth von Thüringen und Hessen (geb. 1207, t 1231) geweiht, die sich ganz der Fürsorge für Arme und Kranke gewidmet und dadurch so inbrün stige Verehrer erworben hatte, daß man ihrem Leichnam Haare, Ohren, ja sogar die Brustwar zen abschnitt, um sie als „wundertätige Reli quien" aufzubewahren. Als .Landgrafenchor" d.h. als Grablege hessischer Landesfürsten ist der südliche Kreuzarm dieser Kirche von besonderer Bedeutung für die Geschichte der deutschen Bildhauerkunst.
" Die gotische Baukunst war die höchste Errungenschaft der mittelalterlichen Seele " Elisabethkirche in Marburg.
139
Tatsächlich läßt sich die gotische Bauweise
schiffe mit Natur- und Backsteinen zu über
auch auf einen sehr einfachen Nenner bringen
wölben. Im Grunde brauchte man hierzu nur
Bögen auf Stützpfeiler ab. Allerdings gingen
und als Lösung bautechnischer Probleme ver
auf Techniken zurückzugreifen, die bereits in
sie noch lange nicht so weit wie die Baumei ster der Gotik unserer Epoche.
Räume, sondern leiteten ihn punktuell über
stehen, die auf ganz banale, aber einleuchten
der Antike bekannt und von den Römern zur
de Ursachen zurückzuführen sind. Beispiels
Vollkommenheit entwickelt worden waren.
weise auf die Angst vor Feuersbrünsten.
Denn schon die Römer verteilten den Druck
Die Baumeister der Gotik hatten ein zusätzli
Hölzerne Kirchendecken, wie sie bis dahin
(die Last, das Gewicht, den „Schub", wie es
ches Problem zu bewältigen: die gewaltige
gang und gäbe waren, brannten viel zu leicht.
terminologisch korrekt heißt) ihrer Gewölbe
Höhe ihrer Bauten. Römische Bauten erreich
Infolgedessen ging man dazu über, Kirchen-
nicht einfach auf die Mauern der überwölbten
ten, was ihre Höhe betraf, nur selten jenen kritischen Bereich, in dem das Mauerwerk so instabil wird, daß der Schub eines Gewölbes
"Die hierarchische Ordnung des Kosmos ... "
die Mauern unweigerlich zur Seite drückt und
Thomas von Aquin. Die Ab
umstürzen läßt. Hinzu kam der ungeheure
bildung zeigt das um 1380 geschaffene Fresko des An drea di Bonaiuto in der Kirche Santa Maria Novella zu Flo renz, das den Triumph des Heiligen Thomas von Aquin (1224/25-1274) darstellt. Entsprechend dem Weltbild des Zeitalters der Gotik, thront Thomas als begnade ter Lehrer mitten unter En geln und Heiligen, und die Heiligen hören ihm ehrerbie tig zu. Der Kirchenlehrer sitzt auf einem Thron mit goti scher Schnitzerei, gotischen Zierat weisen auch die - al lerdings rundbögigen - Arka den der unteren („irdischen") Reihe des Gemäldes auf.
Wie sein Lehrer Albertus Magnus (um 1193-1280) war auch Thomas von adli ger Herkunft. Und wie Mei ster Ekkehard (um 12601327) hatte auch er teil an der Sehnsucht seiner Zeit nach mystischem Einswerden mit Gott. Und wie die Baumeister der Gotik ihr Können ganz in den Dienst am Bau riesiger Kathedralen stellten, be trachtete auch Thomas sein Philosophieren gleichsam als einen "religiösen" Dienst am Bau einer gewaltigen Ka thedrale. Doch wie für Albertus Mag nus war auch für ihn der Verstand das „Organ" des Strebens nach Erkenntnis.
Für ihn bestand das Ziel des Philosophierens nicht im Verstehen dessen, was an dere bereits vorgedacht hat ten, sondern im eigenen Rin gen um die Erkenntnis der Wahrheit. Besondere Be deutung erlangte Thomas wenn auch sicher wider Wil len - als Vermittler der Ge danken jüdischer und arabi scher Philosophen, mit de nen er sich zwar - in der Hoffnung, durch seine Wi derlegung Moslems für den christlichen Glauben zu ge winnen - kritisch auseinan dersetzte, die er aber gerade dadurch erst im „christlichen Abendlande" und damit uns Heutigen bekanntmachte.
Winddruck, der, wie neueste Berechnungen ergeben haben, ab 30 Meter über Grund im Quadrat der Windgeschwindigkeit zunimmt. Die Baumeister des Mittelalters stellten noch keine entsprechenden Berechnungen an. Aber sie sammelten (mitunter bittere) Erfahrungen und lernten durch Versuch und (bisweilen schmerzlichen) Irrtum, derartige Faktoren zu berücksichtigen. Beispielsweise hätte man einfach die Mauern verstärken können. Doch dann wären sie zu dick geworden, so daß die Fenster, die man wegen des auf den Mauern lastenden Drucks ohnehin hätte auf ein Minimum reduzieren müssen, noch darüber hinaus von den dicken Steinmassen beschattet worden wären und viel zu wenig Licht eingelassen hätten. Also griff man zu einer anderen Lösung und entla stete die Mauern durch Rippengewölbe und Streben. Diese Lösung bewährte sich derma ßen, daß sogar eine Vergrößerung der Fenster fläche möglich wurde. Das Ergebnis war von den eindrucksvollen Lichtwirkungen ein mal abgesehen - die immer wieder gepriesene
„Auflösung der Massen", die vielgerühmte „Schwerelosigkeit" des gotischen Kirchenrau mes. Die großen, gegliederten Fensterflächen boten der Glasmalerei Gelegenheit, sich zu entfalten und den Kirchenraum in mystisches, farbiges Licht zu tauchen; und die steinernen Fensterrahmen führten zur Entwicklung des
„Maßwerkes". Dieser Ausgleich der Belastungen und die sich daraus ergebende neue Ästhetik waren für die
Gotik viel charakteristischer als jenes Detail, der Spitzbogen, der als ihr „Markenzeichen" gilt. Zwar fügte sich auch der Spitzbogen mit seinem im Vergleich zum romanischen Rund bogen viel geringeren Seitenschub funktional hervorragend in das gotische System der Lastenverteilung, doch war er, wie oben gesagt, viel weniger eine Erfindung der Gotik
Sankt Thomas' Triumph, ein Triumph der Gotik.
140
als das Zusammenspiel aller anderen Elemen te gotischer Architektur.
Möglicherweise war der Spitzbogen eine An
überladen wirkende, an Zierat so überreiche
leihe bei der Formenwelt orientalischer Archi
neue Monumentalstil- er ging von der Ile-de
tektur, die man aus funktionalen Gründen
France aus, dem Kronland der französischen
übernahm.
Könige. Dieses Kronland war bereits zum
Ein weltbekannter islamischer
Bau, wenn auch bei weitem nicht der älteste,
Kernland eines geeinten Frankreich gewor
der Spitzbögen aufweist, ist die Al-Aqsa
den, und hier kam auch jener Reichtum
Moschee auf der Tempelplattform in Jerusa
zusammen, den die neuen Kathedralen buch
lem. Diese Moschee stammt aus dem siebten
stäblich widerspiegeln.
Jahrhundert unserer Zeitrechnung, wurde je doch 780 durch einen Neubau ersetzt und
Im Jahre 1133 rief der mächtige Benediktiner
1035 (nach einem Erdbeben im Jahre 1033)
abt SuoER (1081-1151) alles zusammen, was
abermals neu errichtet. Auch die Arkaden der
Frankreich an fähigen Handwerkern aufzu
876-879 erbauten Ahmed-lbn-Tulun-Moschee
bieten hatte, um eine neue Kirche für den
in Kairo weisen Spitzbögen auf, ja - das
Schutzheiligen von Paris, den Bischof und
Brunnenhaus (hanafija) dieses islamischen
Märtyrer D10NYSIUS (Saint-Denis), zu errich
Heiligtums enthält über seinen gleichfalls spitz
ten. Elf Jahre später, im Jahre 1144, wurde
bogigen Eingängen ebensolche dreigegliederte
das richtungweisende Bauwerk mit großem
Fensteröffnungen, die auf frappierende Art gotisches Maßwerk vorwegnehmen.
Pomp eingeweiht. Den wenigen Resten nach
Glasfenster im Regensburger Dom.
zu urteilen, die von ihm im Nachfolgebau dieser Kirche (zwischen 1231-1281) erhalten
Fraglich ist, wie der Spitzbogen ins christliche
Druck des klassisch-antiken Kulturerbes ge
sind, muß es sich um ein Gotteshaus gehandelt
Europa kam. Man ist nicht sicher, ob dies über
standen zu haben als der Norden, der sich -
haben, das neben neuen, frühgotischen noch immer zahlreiche Merkmale der romanischen
das maurische Seanien geschah oder ob
frei von solchem Druck - sehr viel innova
Kreuzfahrer die Ubermittler waren. Nicht
tionsfreudiger, sehr viel offener gegenüber
Bauweise aufwies. Zwölf Jahre nach SuoERS
unmöglich ist allerdings auch, daß man ihn in
Neuerungen, zeigen konnte. Auch in Italien
Tode, also bereits 1163, begann der Bau der
Europa einfach neu erfand, weil er auf seine
spielte ja die Gotik nur eine geringere Rolle.
Kathedrale Notre Dame de Paris. Als er 1235
Weise zur Entlastung des Mauerwerks beitra
Offenbar war auch hier der gleiche Druck der
vollendet war, besaß die Welt eines der
gen konnte. - Unbestritten ist Frankreich das
antiken Tradition zu verspüren.
ausgereiftesten Meisterwerke gotischer Bau
Doch es gab noch einen zweiten Grund für das
Bauwerk der Menschheit« feierten.
Mutterland der Gotik. Nicht einmal die Kün der „germanischer Dynamik" und „deutscher
kunst, das Bewunderer sogar als »edelstes
Innerlichkeit", die die gotische Bauweise gern
Entstehen der Gotik in den eher nördlich
für die Deutschen in Anspruch genommen
gelegenen Landesteilen Frankreichs: Der auf
Sehr zögerlich faßte die Gotik dann auf
hätten - wir sagten es oben bereits-, konnten
eingeschworene Anhänger der Klassik so
deutschem Boden Fuß. Auch hierfür hatte man eine Erklärung: So eifrig man auch
dies leugnen. Doch behalfen sie sich mit der Feststellung: Schließlich sei es Nordfrank
bestrebt war, die Gotik als „typisch deutsche"
reich, wo die Gotik zu Hause sei. Und dort, so
Kunst zu vereinnahmen, - nun fand man
schlossen sie, habe es wohl - nicht zuletzt seit der Ansiedlung der Normannen in diesem Raum - mehr „germanisches Blut" gegeben als im eher „keltisch-romanisch" verbliebenen Süden. Kelten hin, Normannen her- tatsächlich trifft
es zu, was die Verfechter einer „blutsbeding ten" Gotik-Auffassung über die geographi sche Verbreitung gotischer Kathedralen ins Feld führten. Aber da wir uns nicht vorzustel len vermögen, was die Anwendung irgend welcher Bautechniken und die Erfindung irgendeines Baustils mit menschlichem Blut und biologischer Vererbung zu tun haben soll, müssen wir nach einer anderen, plausibleren Erklärung suchen, - einer Erklärung, die es uns gestattet, fernab vom ganz und gar unwis senschaftlichen Mythos des Blutes auf dem Boden solider Argumente zu bleiben. Tatsäch lich scheint der Süden Frankreichs, der ja sehr viel früher und intensiver römischem Kultur , einfluß ausgesetzt war, stärker unter dem
Treibende Kräfte waren vorrangig nicht mehr die land erschließenden Klöster und deren künstlerische Leistun gen, sondern die städtischen Zentren, in denen die bedeu tenden und charakteristischen sakralen Kunstwerke dieser Zeit entstanden... Einerseits waren an ihrer Entstehung gesellschaftliche Gruppen mit jeweils unterschiedlichen Interessen beteiligt, anderer seits entfalteten sich an ihnen neue Technologien und Betriebsorganisationen... (Peter Ger/ach)
plötzlich, so »urdeutsch« sei sie nun doch auch wieder nicht. Vielmehr habe den Deut schen, die eher das Bodenständige, Erdhafte liebten, die romanische Baukunst doch besser entsprochen, und deshalb hätten sie sich nur zögernd von ihr getrennt. Fest steht einzig und allein: Die Deutschen zogen - aus welchen Gründen auch immer - erst mit erheblicher Verspätung nach. Eine der noch verhältnismä ßig früh begonnenen gotischen Kathedralen auf deutschem Boden, der gewaltige Kölner
Dom (begonnen 1248), wurde sogar extrem spät fertig, nämlich erst im 19. Jahrhundert. Doch so „urdeutsch" man diesen Dom zeit weilig auch fand - er ist, stilistisch betrachtet, aufs engste mit der Kathedrale von Amiens verwandt, und tatsächlich war auch sein erster Baumeister
und
Planzeichner,
Meister
GERHARD, zuvor in Amiens tätig.
Keine anderthalb Jahrzehnte vor der Grund steinlegung des Kölner Domes begann der Bau der Elisabethkirche in Marburg an der
141
ehe zu Kuttenberg und schuf in Prag auch die
Die Gotik
weit ins 15. Jahrhundert
O entstand vor der Mitte des 12. Jahrhunderts in Nord frankreich (lle de France) und breitete sich in den kommenden Jahrhunder ten nach Spanien, Eng land, Italien und Deutsch land aus O entfaltete sich auch in Deutschland, angeregt durch die französische Kathedral-Gotik, von der Mitte des 13. Jahrhun derts an und reichte bis
Lahn
(1235-1283).
O schuf in der Baukunst ein neues Raumgefühl, wel ches das Kircheninnere als eine nach der Höhe und Tiefe gegliederte Einheit erfahrbar machte und den Kirchenbau zu mächtiger Höhe trieb O schuf in der Skulptur die architekturgebundene Plastik, deren formschö ne Figuren des Hinter grundes der Wandfläche, der Konsole als Stand und auch des Baldachins
über dem Kopf bedurften O schuf in der Malerei, auch durch die Weiterführung der Techniken der Glas bearbeitung, neue Aus drucksformen der Glas malerei und löste somit die Freskenmalerei der Romanik weitgehend ab O entfaltete ihre Stilmerk male auch in der profa nen Baukunst der Bur gen, Rats- und Bürger häuser, in der Buchmale rei sowie im Kunsthand werk.
Während in Frankreich
Eine besonders bekannte Baumeisterfamilie
bereits die Gotik in voller Blüte stand, schuf
war die der Par/er aus Schwäbisch Gmünd.
man hier einen Bau sehr viel schlichteren,
Sie teilte sich in einen süddeutschen und einen
frühgotischen Stils, dessen Erbauer die techni
böhmischen Zweig. Dessen bekanntester Ver
schen Mittel und die Formensprache der
treter war PETER PARLER ( 1330-1399). Er
Gotik sehr viel sparsamer anwandten als ihre
arbeitete am Dom zu Prag, an der Barbarakir-
zeitgenössischen Kollegen jenseits des Rheins. Gotische Dome waren nicht mehr das Werk von Geistlichen, die bisher Baupläne entwor fen und Bauarbeiten geleitet hatten. Vielmehr waren sie jetzt Schöpfungen von Spezialisten, denen das Bauen zum Beruf geworden war. In Bau-
oder
Steinmetzhütten
zusammenge
schlossen, gaben sie ihr Wissen von Genera tion zu Generation, vorn Meister an den Gesellen, vom Gesellen an den Lehrling wei ter. So sehr sich diese Dombaumeister auch noch immer ihrem Werk unterordneten - sie waren doch nicht mehr anonym, und wir wissen, daß viele von ihnen an mehreren Dombauten mitarbeiteten.
" Die Gotik eine Gemeinschaftsleistung der Bürger zum höheren Ruhme Gottes und der Stadt " Wie riesige Ozeanschiffe das Gewimmel winziger Fischerboote im Hafen überragen, so ragen die gotischen Kathedralen weit, doch scheinbar schwerelos über das Häusergewirr mittelalterlicher Städte empor. Die Aufnahme zeigt Straßburg und sein Münster mit dessen 142 m hohem Turm.
Karlsbrücke, die die Moldau überspannt. Von seinem künstlerischen Einfluß zeugt das herr liche
Freiburger Münster ebenso wie die fast Coelestinerkirche auf dem Oybin,
unbekannte
deren Ruine den bedeutendsten deutschen Maler der Romantik, CASPAR DA vm F R lEDR ICH
( 1774- 1840), zu einem seiner gefühlvollsten Aquarelle inspirieren konnte. Zwei weitere Mitglieder der Parler-Familie,
ÄLTERE
HEINRICH DER
und
HEINRICH DER
JüNGERE, arbeiteten vermutlich am Münster
zu Ulm, das, im Jahre
1377
begonnen, sogar
noch zehn Jahre später vollendet wurde als der Kölner Dorn, nämlich erst
161
1890 !
Sein
Meter hoher Turm ist der höchste Kirch
turm der Welt (die T ürme des Kölner Domes bringen es auf „nur" bietet
29 000
157 Meter), und der Bau
Menschen Platz. Im Jahre der
Grundsteinlegung hatte Ulm nicht einmal so viele Einwohner. - Ulms Haupt-Dombaumei ster aber war wohl ULRICH VON ENSINGEN, der von
1392
bis
1417
den Münster-Bau leitete.
Auch die Ensinger waren eine regelrechte „Dynastie" von Dombaumeistern, die keines wegs nur in Ulm tätig waren, sondern auch in Bern, Eßlingen und anderswo. Ja
-
1398
übertrug man ULRICH VON ENSINGEN zusätzlich die Fertigstellung des Straßburger Münsters. Unsterblich aber wurde von den in Straßburg tätigen
Meistern
vor
allem
ERWIN VON
STEINBACH (auch ERWIN VON STRASSBURG ge
nannt), der seit dem Jahre
1284 als Werkmei
ster beim Bau des Straßburger Münsters nachweisbar ist. In der Romantik betrachtete man ihn als Schöpfer des gesamten Bauwerks. Allerdings stammt nur der untere Teil der Westfront von ihm. Doch wie dem auch sei
-
GoETHE, anfangs ein entschiedener Gegner der
Gotik, verdankte dieser Fassade nach eigenem Bekunden
„
eine Offenbarung".
Bild rechts: Die Westfassade der Kathedrale Saint E tienne in Bourges.
Literatur H. Grundmann: Wahlkönigtum, Territorial politik und Ostbewegung im 13. und 14. Jahrhundert. 10. Aufl., München 1999. Eva S. Rösch/Gerhard Rösch: Kaiser Friedrich II. und sein Königreich Sizilien. Ostfildern 1995. Heinrich
Pleticha
(Hrsg.):
Deutsche
Geschichte, Bd. 3: Die staufische Zeit
1152-1254. Gütersloh 1998.
142
Die Zeiten hatten sich geändert und mit ihnen die Machtverhältnisse. An der Diskrepanz zwischen dem künstlich aufrecht erhaltenen Machtanspruch der Herrscher und den Realitäten im Lande scheiterte das deutsche Königtum.
Der Kampf der mächtigen Familien um das Königtum
1
n der Völkerwanderungszeit und zu Be
Den größten Aufschwung erlebten die italie
ähnliche geopolitische Strukturen entstehen.
ginn des Mittelalters war die Macht von der Stammeszugehörigkeit abhängig.
nischen Städte - allen voran die Seehandels städte. Nach den historischen Rechtsansprü
wie im ausgehenden Mittelalter eine Zweitei
Dann bildeten sich regionale Schwerpunkte,
chen der Kaiser gehörte Oberitalien zum
lung Italiens: im Norden rivalisierende Städte,
und
Reich, es war aber de facto in Stadtstaaten
So finden wir sowohl zu Beginn der Antike
Macht von Kernregionen über weite Gebiete
zerfallen, die einander bekämpften, ähnlich
in denen Auseinandersetzungen zwischen Ari stokraten und „patrizischen" Familien toben,
des Reiches aus. Dies änderte sich seit dem
wie lange davor zur Zeit der Etrusker. Ver
im Süden größere Staaten mit einer landfrem
10./11. Jahrhundert mit der Entwicklung
gleichbare historische bzw. kulturhistorische
den
und Ausbreitung der Burgen. Die landbesit
Konstellationen lassen immer wieder auch
bzw. Normannen, später Spanier). Seit der
herzogliche
Dynastien
dehnten
ihre
Führungsschicht
(Araber,
Franzosen
zenden Aristokraten sicherten sich im Schutz
zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts übertru
von Wällen die Macht in kleinen Territorien.
gen einige norditalienische Städte die Regie
Sie hielten einander in Schach und schwäch
rung einem Podesta, der während seiner
ten die Zentralgewalt. Kein König war mehr
Amtsperiode die volle Verfügungsgewalt über
in der Lage, unumschränkte Gewalt auszu
die Stadt hatte. Einige dieser Stadtherren
üben. Er war der Oberlehnsherr und brauchte
wurden auf Lebenszeit gewählt; im Laufe des
die Zustimmung seiner Vasallen, die sich in
13. Jahrhunderts wurde daraus in einigen
Bündnissen zusammenschlossen. An dem Wi
Stadtstaaten die Signoria (ein Stadtfürsten
derspruch zwischen universalen kaiserlichen
tum).
Ansprüchen und der politischen Realität wechselnder Machtgruppierungen und bluti
Im späten Mittelalter konnte man Macht nur
ger Konkurrenzkämpfe ging das Reich der
noch im Rahmen von Bündnissystemen erlan
Staufer zugrunde.
gen, die häufig durch dynastische Heiraten abgesichert wurden. Voraussetzungen für po
Zu den Machtfaktoren, mit denen sich die
litischen Erfolg waren Prestige und diplomati
Könige arrangieren mußten, gehörten auch
sches Geschick, zum Teil auch Reichtum,
die befestigten Städte, die sich bemühten, Unabhängigkeit von übergeordneten Instan zen (Fürsten, Bischöfen usw.) zu erlangen. Sie
im Ostseeraum gewann die Hanse in immer
Peter von Aspelt. Die Könige kamen und gingen - das Kurfürstenamt aber blieb.„ Kaum eine treffendere Illustration der Machtverhältnisse im 14. Jahrhundert läßt sich denken als diese Grabplatte des Mainzer Erzbischofs (und Kurfürsten) Peter von Aspelt mit den von ihm kreierten und gekrönten Königen: Heinrich VII. (1308-1313), Johann von Luxemburg (König von Böhmen 1310-1346) und Ludwig IV., dem Bayern
stärkerem Maße an Bedeutung.
(1314-1347).
schlossen sich zusammen und suchten ihren Einflußbereich auszudehnen. In Deutschland gewann der im Jahre 1254 gegründete Rhei nische Bund mit mehr als 70 Städten, von denen einige nicht am Rhein lagen, für einige Zeit einen großen Einfluß. In Süddeutschland bildeten sich im 13./14. Jahrhundert starke Städtebünde, und in Norddeutschland sowie
144
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denn es galt, Anhänger und Verbündete zu finden und zu organisieren. Es waren also „Managerqualitäten" erforderlich, aber neue Denkweisen mußten sich in alten Begriffen und zeremoniellen Umgangsformen äußern, deshalb haben wir von vielen Persönlichkeiten einen so zwiespältigen Eindruck, mal erschei nen sie uns „modern", mal ,,rückwärtsge wandt". Ein typisches Beispiel dafür ist der Aufstieg des Geschlechts der Jahre
Königswahl. Diese Abbildung aus dem Codex Balduinensis (Staatsarchiv Koblenz) zeigt, wie Graf Heinrich von Luxemburg am 27. November 1308 zum deutschen König gewählt wird. Heinrich war der Favorit des Trierer Erzbischofs und Kur fürsten Balduin von Luxemburg (1307 -1354).
Krönung Heinrichs VII. Die Abbildungen aus dem Codex Balduinensis (Staatsarchiv Koblenz) zeigen verschiedene Phasen des Krönungszeremoniells. Der neugewählte Herrscher, Heinrich VII., und seine Gemahlin Margarita empfangen auf der unteren Abbildung feierlich die Krone.
Scaliger in Verona: Im
1147 wird ein B ALDINO
DELLA SCALA
als
Konsul in Verona erwähnt. Angehörige der
1246 und 1257 als Ver schwörer gegen die Staufer hingerichtet. Im Jahre 1254 machen die Zünfte MASTINO DELLA SCALA zum Podesta de[ Popolo, in den sechzi ger Jahren war er Podesta della Mercadanza Familie wurden
(der Kaufleute) und bekämpfte den aus der Stadt verbannten Adel. Am 27. Oktober 1277 wurde sein Bruder und Nachfolger ALBERTO auf Lebenszeit zum
Capitano de/ Popolo
gewählt. Er sicherte seiner Familie die Macht-
position, indem er seine Tochter CoNSTANZA mit Os1zzo
11. VON
FERRARA (einem früheren
Gegenspieler) und seinen Sohn BARTOLOMEO mit KoNSTANZE, einer unehelichen Tochter Kaiser FRIEDRICHS 11„ verheiratete. Von nun an mußten sich die deutschen Könige, wenn sie Kaiser werden wollten, mit dieser Dynastie in irgendeiner Form arrangieren. In ähnlicher Form entstanden überall in Europa dynasti sche Machtgruppen, die vor Staats- und Sprachgrenzen nicht haltmachten. Sie besetz ten weltliche und geistliche Ämter. Mitunter
" ...und es hatte sich durchgesetzt, daß die Wahl des Königs allein den sieben Kurfürsten zustand."
kam es auch vor, daß sich die verschiedenen Zweige der „großen Familien" untereinander bekämpften.
Staufers KONRAD 1v. (1254) herrschte W1LHELMVON H OLLAND über
Nach dem Tode des
einen großen Teil Deutschlands. Er stützte sich auf ein Bündnis rheinischer Städte. Nach seinem Tode
(1256) kam es im Jahre 1257 zu
einer strittigen Königswahl. Gewählt wur den ALFONS
X. VON
Deutschland
KASTILIEN, der niemals in
erschien,
und
RICHARD
voN
145
HZM. LIMBURG
Königliche Hausmachtpolitik und Partikulargew
1355-1406
im Römisch-deutschen Kaiserreich im 14. Jh.
2
luxemb.
LAND BAUTZEN (BUDISSIN)
1 320
an Böhmen
LAND GÖRLITZ
1329
an Böhmen
BM.EICHSTÄTI GFT. ZOLLERN BM. FREISING GFT. MÖMPELGARD
N
Grenzen von Königreichen
- • - außerhalb des ROmisch deutschen Kaiserreiches Grenzen von Fürstentümern ______
des Römisch-deutschen Kaiserreiches
Hausmacht der Habsburger um
„
1375
Hausmacht der Luxemburger um Hausmacht der Wittelsbacher um geistliches Fürstentum
„ •
0
Reichsstädtisches Gebiet Städte
50
100
150
200 km
146
1375 1375
Heinrich VII. in Italien. König Heinrich VII. (1308-1313) bei seinem Versuch, in Italien die Reichsgewalt zu erneuern.
"Das Schicksal deutscher Könige entschied sich in Italien.„"
CORNWALL, ein Verwandter des englischen
Königs, der in Aachen gekrönt wurde. Die
punkt des Reiches lag im Rheinland. Dort wurde über die oberste politische Gewalt im
Fürstengruppe der Königswähler von 1257
Reich entschieden. Die aufstrebenden Mächte
beanspruchte von nun an das Recht der
im Osten waren damit beschäftigt, eine Infra
Königswahl als Privileg für ihre Amtsnachfol
struktur zu schaffen, ihr Territorium auszu
ger. Dieses Monopol wurde dann im Jahre
dehnen und zu besiedeln. Es gab keine festge
1356 in der berühmten Go/denen Bulle legiti
legten Grenzlinien, sondern Kampfzonen -
miert. Auf diese Weise verfestigten sich die Machtverhältnisse des 13. Jahrhunderts insti
ähnlich wie später im 19. Jahrhundert die
tutionell und wurden im Grunde auf Jahrhun
Die südliche „frontier" Brandenburgs verlief
derte festgeschrieben. „Kurfürsten" waren die
etwa im Raum des heutigen Stadtgebietes von
„frontier" im „Wilden Westen" Amerikas.
Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, der
Berlin. Die slawische Burg Köpenick war in
König von Böhmen, der Pfalzgraf bei Rhein,
den Besitz des Markgrafen von Meißen ge
der Herzog von Sachsen und der Markgraf
langt, sie wurde um das Jahr 1240 zerstört
von Brandenburg. Wer deutscher König wer
und nach 1245 durch eine kleinere Burg des
den wollte, mußte sich einen Einfluß auf
Geschlechts der Askanier ersetzt. Der wich
dieses Wahlkollegium sichern und es nach
tigste Platz im Berliner Raum war Spandau
Möglichkeit mit Freunden, Gefolgsleuten oder
mit der Burg sowie einer frühstädtischen
Familienangehörigen besetzen. Der Schwer-
Siedlung. Sie bildete das Zentrum eines weit147
reichenden Fernhandels. Bei Ausgrabungen
Eintritt des Hauses Habsburg in die deutsche Geschichte Mit Rudolf Graf von Habs
wählt wird, vor seiner Verfol
in Limburg im Breißgau, trat
Klugheit des Grafen Rudolf von Habsburg, und da viele mächtige Fürsten genannt
die Dynastie der Habsburger in die deutsche und die Welt
waren, sagte er, Klugheit und
ben würde?< Als nun jener
Tapferkeit gingen über Macht
versicherte, daß Rudolf
burg, geboren am 1. Mai 1218
gung? Hat er eine Tochter, die er mir zur Gemahlin ge
Krummen Fenn im Bezirk Zehlendorf
am
wurde seit 1967 eine Kontrollstelle freigelegt, die von dem Markgrafen von Meißen angelegt worden war. Eine ähnliche Kontrollstelle, die in
den
Jahren
1937/39 entdeckt wurde,
markiert die zeitweilige Südgrenze des askani schen Machtbereichs. Zu Beginn des
13.
geschichte ein. Am 1. Okto
und Reichtum, und stimmte
sechs Töchter hätte, und
ber 1273 wurde der Partei gänger der Staufer zum deut schen König gewählt. Seine
für Rudolf. Er brachte auch den Erzbischof von Köln und
dafür, daß ihm eine von die sen würde gegeben werden,
Jahrhunderts gelang es den Asi.aniern, die
den von Trier dazu. Der Her
mit Einsetzung aller seiner
treiben, und es setzte eine gezielte Siedlungs politik ein. - In Böhmen wanderten im 13./
territoriale Machtgrundlage
zog von Bayern aber, der
Besitzungen sich verbürgte,
im Aar- und im Zürichgau
seine edle Gemahlin, eine
stimmte der Herzog dem
war eher bescheiden, aber gerade das hatte ihn in dem
Tochter des Herzogs von Brabant und einer holländi
komplizierten Kräfteverhält
Wettiner aus dem westlichen Teltow zu ver
14. Jahrhundert deutsche Bürger, Bauern und
schen Mutter, wegen des
Mainzer bei. Da dies der Her zog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg
nis, das sich nach dem Tode
ungerechten Verdachtes ei
hörten, welche auch beide
des letzten Stauferkaisers Friedrich II. (1250) im Reich herausgebildet hatte, für den Thron empfohlen, weil die
nes Ehebruchs hatte ent haupten lassen, Vater des
keine Frauen hatten, stimm ten sie gleichfalls bei, nach
die Expansionspolitik ÜTIOKARS II. (1253-78)
nachmaligen Fürsten Ludwig IV„ nahm den Burggrafen
dem ihnen Sicherheit gege ben war, daß sie Töchter Ru
vom Riesengebirge bis zur Adria. Der böhmi
Fürsten wohl meinten, unter
von Nürnberg, welcher zu
dolfs zu Gemahlinnen erhal
Rudolf ihre Sonderrechte un
gegen war, einen Neffen
ten würden. Und so wurde er
des staufischen Reiches.
geschmälertweitergenießen
Rudolfs, beiseite und sagte
nach all diesem Ausgleich
zu können. Rudolf aber ent puppte sich als tatkräftiger
zu ihm: •Welche Sicherheit habe ich, wenn Rudolf er-
der verschiedenen Interes sen einstimmig erwählt.«
Herrscher, der das deutsche Königtum zu
Bergleute ein, die von den Königen (bis 1306 aus der Dynastie der Przemisliden) gerufen wurden. Der Silber- und Goldbergbau hob den Wohlstand des Landes und ermöglichte
sche König profitierte von der Katastrophe
Am
1.
Oktober
des Jahres
1273 wurde
RUDOLF 1. VON HABSBURG zum deutschen König gewählt. Bei dieser Wahl wurde der mächtig ste Reichsfürst, ÜTIOKAR II. VON BöHMEN, über
neuer Blüte
führte. Wie merkwürdig er an
gangen und sein
die Königskrone geraten war, schildert ein zeitgenössischer Chronist:
BAYERN, dem Bruder des Pfalzgrafen Luow1G,
HEINRJCH voN
übertragen. Wegen dieses Rechtsbruchs ver weigerte der mächtigste Vasall dem neuen
»Als in jenen Tagen der für
König die lehnshuldigung; es kam zum Krieg
Mainz gewählte Bischof be
und RUDOLF siegte
hufs seiner Bestätigung nach
am
26. August 1278 bei
Dürnkrut. RUDOLFS Söhne wurden durch die
Rom reisen wollte, gab der genannte Graf Rudolf dem neu
Kurrecht
Belehnung mit den einst von OrroKAR erober ten Gebieten Reichsfürsten, aber als Nachfol
Erwählten auf sein
ger wählten die Kurfürsten nicht seinen Sohn
schriftliches Ansuchen das Geleite von Straßburg bis zu
ALBRECHT, sondern AooLF VON NASSAU, um die
den Alpen und geleitete ihn nach glücklich erlangter Be
drängen. Als sich der neue König durch
stätigung wieder nach Hau
Eroberungen in Thüringen und Meißen eine
se. Als ihm der Erzbischof
Hausmacht zu schaffen suchte, verbündeten
Machtansprüche der Habsburger zurückzu
Dank sagte, gelobte er, nicht
sich der Mainzer Erzbischof und der böhmi
eher zu ruhen, als bis er ihm
sche König, die selbst an dieser Region
einen so großen Dienst ver
interessiert waren, mit Herzog ALBRECHT VON
golten haben würde. Dersel
ÖSTERREICH. Die Kurfürsten erklärten den
be Erzbischof berief, nach
König für abgesetzt und wählten ALBRECHT
dem er mit Glück und gutem
zum König, der Krieg gegen seinen Vorgän
Erfolg seine Stellung behaup tet hatte, die Fürsten zur Er
ger führte. Am 2. Juli 1298 fiel König AooLP in
wählung eines Königs nach
einer Schlacht bei Göllheim in der Pfalz.
der Stadt Frankfurt. Als aber die Wahlfürsten versammelt
Die Kurfürsten erhielten Privilegien und terri
waren, miteinander über die Gefahren der Thronerledi
toriale Zugeständnisse. Sodann aber sicherte sich ALBRECHT durch ein Bündnis mit dem
gung und den Verlust aller
französischen König ab und erklärte die von
fürstlichen Rechte klagten
den Kurfürsten am Rhein erhobenen Steuern
und sich über die Person ei
und Abgaben schlicht für ungültig. Damit
nes zu wählenden Fürsten besprachen,
rühmte
der
Mainzer den Mut und die
Rudolf 1. von Habsburg, römisch-deutscher König 1273-1291. Glasmale rei im Wiener Stephansdom.
brachte er die Rheinischen Städte auf seine Seite. Der Pfalzgraf und die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier wurden besiegt und
148
Juden erhalten Privilegien. Seit Kaiser Heinrich IV. (1056-1106) stand die kleine jüdische Minderheit unter dem besonderen Schutz des Kaisers. Zu den Herrschern aber, die die Privile gien der Juden aus drücklich erneuer ten, gehörte - wie die Abbildung zeigt Heinrich VII. (1308-1313). Die Abbildung stammt aus dem Codex Bal duinensis (Koblen zer Staatsarchiv).
''Um als Verfemte sofort erkannt zu werden, mußten die Juden lächerlich auffällige Hüte tragen.''
mußten dem König Gehorsam schwören, doch konnte ALBRECHT diesen Sieg nicht zur Errich tung eines Einheitsstaates nutzen, da er mit dem PAPST BoNIFATIUS Vill . wegen der Anerken nung seiner Königswahl verhandelte. So mußte er das Wahlkollegium bestehenlassen. Bei der spätmittelalterlichen Politik ging es um Macht und Einfluß, um Fusionen und Kon trollen von Machtgruppen bzw. der entstehen den Territorien, es gab Intrigen zwischen Kon kurrenten und innerhalb der Familien. Um die Throne von Ungarn und Böhmen entspann sich beim Aussterben der Königshäuser (1301 und 1306) ein mörderisches Ränkespiel zwi schen ALBRECHT, seinem Vetter HEINRICH voN KÄRNTEN und den Anjou, dem schließlich auch König ALBRECHT zum Opfer fiel. Er wurde am 11. Mai des Jahres 1308 von seinem Neffen
JoHANN, dem er das Erbe seines Vaters vorent
Das enzyklopädische Stichwort Das »Späte Mittelalter« ist die Bezeichnung für die hi storische Epoche zwischen dem »Hohen Mittelalter« und der »frühen Neuzeit«; sa lopp ausgedrückt: Im Späten Mittelalter ist „gerade noch" »Mittelalter« aber „noch nicht" »Neuzeit«; oder noch anders: „die Unentschieden heit, das Schweben zwischen Altern und Neuem macht das Besondere jener Zeit aus" (Hermann Heimpel). Solche »relationalen« Antworten haben die gelehrten Histori ker noch nie befriedigt, seit sich um 1700 die Dreiglie derung unserer allgemeinen Geschichte in »Altertum«, »Mittelalter« und »Neuzeit« durchzusetzen begann. Mit Blick auf die deutsche Reichsgeschichte dürfen wir den Beginn des »Späten Mit telalters«spätestens mit dem sog. Interregnum« anset zen (1256-1273) und das Ende der Epoche mit dem Tode Kaiser Maximilians „
(1519),
den man auch den »letzten Ritter« genannt hat. Natürlich bleibt auch diese Datierung äußerlich. Sie ori entiert sich an Ereignis sen, die nicht frei vom »histo rischen Zufall« sind. Die Frage nach der »inne ren« Datierung des »Spät mittelalters« sollten wir an ders stellen: Wann traten die wesentlichen Gestaltungs kräfte des Mittelalters immer stärker in den Hintergrund, und wann hatten sie sich er schöpft? Im Spätmittelalter fanden »sichtbare« und »un sichtbare« Revolutionen viel fältiger Art statt. Die welthi storisch wohl bedeutendste war das Ende des alten Byzantinischen Reiches mit der Errichtung der türkischen Herrschaft in Südosteuropa (1453). Viele byzantinische Gelehrte flohen nach Westen und beschleunigten so die aufkeimenden Kräfte von Renaissance und Humanis mus, welche die Sichtweise
vom »Menschen« von Grund auf änderten. Als Luther im Jahre 1517 die Bühne der Geschichte betrat, hatte sich diese neue Sichtweise theo logisch und politisch zur Geltung gebracht, und mit Christoph Kolumbus, der im Jahre 1492 den Boden der »Neuen Welt« betrat, hatte der neue Erfinder- und Ent deckergeist seinen spekta kulären Erfolg. Das »Spätmittelalter« endet in den wenigen Jahrzehnten, die sich um die Wende vom 15. auf das 16. Jahrhundert herumgruppieren. Es ist ver fehlt, ein Ereignis als Kriteri engeber für den Epochen wechsel isoliert hervorzuhe ben. Vielmehr muß man da von ausgehen, daß sich im genannten Zeitraum Tenden zen, Strömungen und Ereig nisse des Neuen in einer Weise verdichteten, daß zu Recht vom Übergang des Mittelalters in die Neuzeit gesprochen wird.
halten hatte, überfallen und ermordet. 149
Ein halbes Jahr nach dem Mord an ALBRECHT
Dynastie) eingeritzt wurde. Innenpolitisch bedeutsam war die Zusammenfassung aller in
burg einem Angehörigen der Adelsfamilie
wurde ein neuer deutscher König gewählt. Einen anerkannten böhmischen König gab es
Verona gültigen Handelsordnungen
(1319) und die Abänderung der Verfassung von 1276 ein Jahr vor seinem Tode (1328). Der Vero
ausgleich mit dem König von Neapel aus dem
sich selbst erfolglos um die Krone. Also gaben
neser Hof zog zahlreiche Gelehrte und Künst
Einbeziehung des Arelats (Burgund), das
die drei geistlichen Kurfürsten den Ausschlag.
ler an. Wichtige Zeugnisse der italienischen
nominell noch zum Reich gehörte, in den
Der Erzbischof von Trier BALDUIN setzte die
Gotik sind denn auch die Grabdenkmäler der
Friedensschluß widersetzte.
Wahl seines Bruders, des Grafen HEINRICH VON
Scaliger.
Krieg, und am
nicht, die Kurfürstenwürde von Sachsen war strittig, und der Pfalzgraf bei Rhein bemühte
Orsini den Schädel einschlägt. Ein Interessen Hause Anjou kam nicht zustande, weil sich dessen Bruder, der französische König, einer
Es kam zum
24. August des Jahres 1313
erlag der Kaiser auf einem Feldzug bei Siena
LuxEMBURG, durch, und dieser wurde am
27. 1308 einstimmig ge
Rom war wie zur Zeit der Etrusker in mehrere
unerwartet einer Krankheit (wahrscheinlich
wählt. Die Tatsache, daß der neue deutsche
Gemeinden zerfallen; zwischen den antiken
der Malaria). Sein Heer löste sich auf.
November des Jahres
König in Frankreich geboren war und mit
Ruinen dehnten sich weite Felder aus. Adels
seinem jüngeren Bruder BALDUIN am französi
burgen kontrollierten die Straßen, und König
Im Jahre
schen Königshof aufwuchs, war damals für
RoBERT VON NEAPEL hatte einen Teil des Stadt
der Habsburger FRIEDRICH DER SCHÖNE vom
niemanden ein Hinderungsgrund! Seine Mut
gebietes besetzt. So war es HEINRICH nicht
Kölner Erzbischof in Bonn und der Wittelsba
ter war eine geborene Gräfin von Aresnes.
möglich, zum Petersdom zu gelangen. Er
cher LUDWIG vom Mainzer Erzbischof in
Der junge Graf erhielt von dem französischen
mußte sich
1312 in der Lateransbasilika von
Aachen. Beide Könige waren etwa gleich
König PHILIPP IV. den Ritterschlag. Er war einer
zwei Kardinälen im Auftrage des Papstes zum
stark und verschleuderten das von ihnen
der besten Turnierkämpfer seiner Zeit, und
Kaiser krönen lassen. Sein Bruder BALDUIN
kontrollierte Reichsgut, um sich Verbündete
seine Zeitgenossen rühmten seine umfassende
ließ eine Bilderchronik vom Italienfeldzug
zu schaffen. Mehrmals trafen ihre Heere
Bildung. Der König arrangierte sich mit dem
herstellen. Sie zeigt unter anderem, wie der
aufeinander, ohne daß es zu einer Entschei
Sohn seines Vorgängers und ließ ALBRECHTS
streitbare Bischof beim Kampf um die Engels-
dung kam. Die Ritterschlachten lösten sich
Mörder verfolgen. Böhmen verlieh er seinem
stets in Einzelkämpfe auf, bei denen die
Sohn JoHANN, der mit ELISABETH, einer Toch
" aber erst nachdem Friedrich 1330 gestorben ist, endet das Doppelkönigtum. "
Besiegten Lösegeld versprachen und sich vom
ter des letzten böhmischen Königs, verheiratet wurde. Da JOHANN noch minderjährig war, führte der Erzbischof von Mainz, PETER AsPELT, der Sohn eines Ministerialen, in Böh men die Staatsgeschäfte und setzte die Herr
„.
1314 wurden zwei Könige gekrönt:
Kampfplatz entfernten. Das Kampfgeschehen ähnelte, um einen Vergleich zu gebrauchen, einer lukrativen Schachpartie, bei der die Figuren nacheinander vom Schlachtfeld ver schwanden. Am
28 . September 1322 fiel bei
schaft der Luxemburger durch. Nach der Erlangung der Königswürde wollte sich HEINRICH vn. auch zum Kaiser krönen lassen und zog nach Italien, wo er die kaiserli chen Herrscherrechte erneuern wollte. Papst KLEMENS v. erhoffte sich von einem gekrönten Kaiser Unterstützung bei seinem Bestreben, aus Avignon nach Rom zurückzukehren. Des halb forderte er die Städte des Landes auf, den „angekündigten König nicht mit Waffenlärm" zu empfangen. In Italien erhofften einige Politiker von ihm Waffenhilfe und Unterstüt zung, - so auch der Dichter DANTE ALIGHIERI
(1265-1321), der im Jahre 1302 aus Florenz verbannt worden war. HEINRICH betonte zwar, er komme als über den Parteien stehender König, mußte sich aber seinen Weg nach Rom an einigen Orten doch mit Waffengewalt bahnen. In Mailand erlangte HEINRICH
1311
die Eiserne Krone der Langobarden. Er ver bündete sich vor allem mit dem Adelsge schlecht der Scaliger(ital.: „Scala"), die am 7. März 1311 zu Reichsvikaren bestellt wurden. CANGRANDE DELLA ScALA wurde der mächtigste Herrscher in Oberitalien. Er erweiterte den Landbesitz seiner Dynastie und errichtete an den Grenzen neue Kastelle, über deren Toren die Leiter (das sprechende Wappen der 150
Ludwig IV„ der Bayer. Die Machtkämpfe der großen Familien des Reiches führten u.a. dazu, daß am 19. und 20. Oktober 1314 nacheinander zwei Könige gewählt wurden: der Habsburger Friedrich der Schöne (1314-1330), ein Sohn Albrechts 1., und der Wittelsbacher Ludwig IV., der Bayer (1314 -1347). Die Doppelwahl hatte nicht zuletzt Auswirkungen auf das Papsttum: Ludwigs entschiedenster Gegner war der in Avignon residierende Johannes XXII. (1316-1334), den Ludwig am 18. April 1328 wegen seiner ständigen Abwesenheit von Rom für abgesetzt erklärte und bald darauf am Himmelfahrtstage (12. Mai) desselben Jahres durch den Franziskanermönch Petrus von Corvara ersetzen ließ. Ihn wählte das römische Volk zum Papst und als Nikolaus V. bestieg er den Thron Petri. Doch der vom Kaiser neu eingesetz1e Papst, dessen Wahl nach kanonischem Recht anfechtbar war, fand beim Kardinalskollegium keinerlei Rückhalt.
König krönen lassen. Bei dieser Gelegenheit konnte er auch die Kaiserwürde erlangen. Der Bann des Papstes war dabei kein Hinderungs grund und hatte eine geringe Wirkung, da ein vom französischen König abhängiger Papst viel von seiner politischen Autorität verloren hatte und die deutschen Erzbischöfe in erster Linie daran interessiert waren, ihre Rechte als Territorialherren zu sichern. Der Papst hatte
selbst Probleme mit der Anerkennung seiner Legitimität und mußte sich mit einem theolo gischen Streit auseinandersetzen: Innerhalb des Franziskaner-Ordens traten die sogenann ten Spiritualen für eine strenge Befolgung des Armutsideals ein. Sie verlangten eine Reform Schlachtszene aus dem 14. Jahrhundert.
Die Schlacht bei Mühldorf Die Auseinandersetzungen zwischen Ludwig IV., dem Bayern (1314-1347), und Friedrich dem Schönen (13141330) erreichten ihren Höhe punkt am 28. September 1322 in der Schlacht bei Mühldorf am Inn. Friedrich, der Verlierer, wurde gefan gengenommen und zu nächst in die Festung Traus nitz in der Oberpfalz eingelie fert. Im Mai des Jahres 1325 gab Ludwig ihm jedoch die Freiheit zurück, ließ ihm den Königstitel, ja beteiligte ihn schließlich sogar an der
Machtausübung, so daß bis zu Friedrichs Tod im Jahre 1330 auf deutschem Boden eine regelrechte Doppelherr schaft bestand. Die hier ge zeigte Schlachtdarstellung wird häufig als Abbildung des Entscheidungskampfes bei Mühldorf gedeutet. Immerhin entstand sie nur relativ kurze Zeit danach. Sie stammt aus der 1334 für den Landgrafen Heinrich von Hessen ange fertigten Prachthandschrift Wilhelms von Oranse (heute in der Landesbibliothek zu Kassel), deren Miniaturen als
Mühldorf am Inn die Entscheidung. Drei
Jahre blieb FRIEDRICH in der Gefangenschaft seines Rivalen. Am 5. September 1325 schlos sen beide Könige Frieden und erkannten sich
besonders natur- und detail getreu gelten. Wenn es daher vielleicht auch nicht wirklich das Kampfgeschehen von Mühldorf ist, das wir hier er blicken, so könnte es doch in Mühldorf durchaus so zuge gangen sein, wie es die Ab bildung zeigt. Die Schlacht bei Mühldorf war übrigens noch nach den Regeln ritterli cher Kämpfe vorher .ange sagt" worden - und es war auf deutschem Boden die letzte Schlacht, in der ohne die aufkommenden Feuer waffen gestritten wurde.
" Auf deutschem Boden die letzte Schlacht ohne Feuenvaffen... "
der Kirche. Als der Papst diese Bewegung verbot, weil die Lehre als zersetzend und für die Gesellschaft als gefährlich angesehen wur de, traten deren Anführer in die Dienste LuDwIGs 1v. und unterstützten ihn mit theologi schen Argumenten. In Trient sammelten sich die kaiserlichen Truppen und ihre italienischen Verbündeten, denen die italienischen Städte 150 000 Florin (Goldgulden) an Hilfsgeldern versprachen. In Mailand wurde LUDWIG am Pfingstsonntag des Jahres 1327 durch den gebannten Bischof G umo VON AREZZO und den Bischof von Arezzo mit der italienischen Königskrone gekrönt. Der Weitermarsch nach Rom, wel ches LUDWIG 1328 erreichte, war mit Hinder nissen gepflastert: Es gab Kämpfe mit einigen Städten, und der Papst ließ das Schlußurteil im Exkommunikationsprozeß gegen König LuDwIG überall in Italien verbreiten. In Rom wurde LUDWIG von den Bischöfen von Vene dig und Aleria gesalbt, und in Übereinstim mung mit der T heorie der Volkssouveränität
wechselseitig an. Sie wollten die wichtigsten
erhielt er die Kaiserkrone von einem Vertreter
Regierungshandlungen gemeinsam ausüben.
des populus Romanus (d.h. der römischen
Bis 1330 existierte so ein Doppelkönigtum,
Oberschicht). Danach ging er seinerseits ge
das vom Papst indes nicht anerkannt wurde.
gen den Papst vor und ließ am 13. April 1328
Dieser betrachtete den T hron als vakant. LuDwIG zog nach dem Vorbild der Staufer und
auf dem Petersplatz einen „Schauprozeß" gegen den falschen Papst führen, in dem der
seines Vorgängers nach Italien, um sich zum
J OHANNES XXII. ernannte P HILIPP VON VALOIS zum Stellvertreter ROBERTS für das zum Reich
Kaiser krönen zu lassen. Während seiner
gehörende Italien. Im Oktober forderte er
J OHANNES xxn. für abgesetzt erklärte. In einer
Abwesenheit übernahm F RIEDRICH als sein Vertreter in Deutschland die alleinige Regent
durch einen Anschlag an der Domtür von
Demonstration verbrannten die Römer eine
Avignon LuDwIG 1v. auf, binnen drei Monaten
Strohpuppe, die den Papst symbolisierte.
schaft. Die wichtigsten Parteigänger LuowIGs
abzudanken. Dieser erklärte, daß er der recht
Kaiser den Ketzer und Majestätsverbrecher
in Oberitalien waren die Herzöge G ALEAZZO 1.
mäßig gewählte König und der Papst nur für
V 1scoNTI von Mailand, den die Kurie der Ketzerei verdächtigte, und C ANGRANDE 1. DELLA
Kaiserkrönungen zuständig sei. Daraufhin
Auch in Deutschland sicherte der Kaiser nun seine verfassungsrechtliche Stellung, nachdem
bannte und exkommunizierte ihn der Papst im
ein Versuch der Aussöhnung mit BENEDIKT XII.,
ScALA von Verona. Sie brachten den Gegnern
März des Jahres 1324.
des Kaisers - Anhängern des französischen Papstes - mehrere Niederlagen bei. Schon nach dem Tode HEINRICHS v11. hatte Papst K LEMENS
v.
König R OBERT
Reichsverweser
ernannt;
VON
sein
NEAPEL zum Nachfolger
dem Nachfolger JOHANNES'
XXII.,
gescheitert
war. Im Sommer des Jahres 1338 versammel Um sich seiner Rechte in Italien zu versichern,
ten sich die Kurfürsten in Rhens (bei Ko
mußte LUDWIG nun dorthin ziehen, mit den
blenz) und stellten in einer prinzipiellen, nicht
Anführern der Ghibellinen (der kaisertreuen Partei) verhandeln und sich zum italienischen
nur auf LUDWIG
1v.
bezogenen öffentlichen
Erklärung fest, daß allein die Mehrheit der 151
Kurfürsten den König mache. Einer Bestäti
Aussterben der Askanier hatte dem Land viele
gung durch den Papst bedürfe die Wahl nicht.
Wirren gebracht. Herzog RuDOL F VON SACHSEN
Wäre der Zusammenschluß von Brandenburg
Dieser Kurverein von Rhens setzte damit eine
hatte die Niederlausitz und Teile der Mittel
mit Bayern von Dauer gewesen, so dürfte die
von der Herrschaft der Wittelsbacher ab.
neue Herrschaftsideologie in Kraft. LUDWIG 1v.
mark besetzt, zog mit AGNES, der Witwe des
deutsche Geschichte wohl einen anderen Ver
erklärte, daß der König aufgrund der Wahl
letzten Markgrafen WALDEMAR, durch das
lauf genommen haben ...
durch die Kurfürsten wahrer Kaiser sei, einer
Land und warb um Anerkennung seiner
Bestätigung durch andere bedürfe es nicht.
Ansprüche. Da RuooLF und AGNES die Privi
Ein anderer Expansionsversuch rief noch grö
Mit dieser Erklärung setzte er die Kaiserkrö
legien Berlins bestätigten, standen die Berliner
ßeren Widerstand hervor und führte schließ
nung durch den Papst praktisch zu einer
in
lich zur politischen Katastrophe: Als Herzog
politisch bedeutungslosen Zeremonie herab.
RuDOLFS. In den vierziger Jahren des 14.
HEINRICH VON KÄRNTEN ohne Söhne starb,
Jahrhunderts versuchte LuDWIG DER ÄLTERE in
wollten sich die Wittelsbacher Tirol sichern,
der
Frage
der
Nachfolge
auf
seiten
Im Jahre 1328 übertrug LUDWIG beim Aus
das Berliner Münzrecht einzugreifen und er
das
sterben der Markgrafen von Brandenburg die
hob im Jahre 1342 eine Sondersteuer, da seine
(„Maultasch"), die Tochter und Erbin HEIN
Herrschaft über dieses Territorium seinem
Hofhaltung größere Geldbeträge benötigte.
RICHS, mußte als Zwölfjährige JoHANN HEIN
Sohn LUDWIG DEM ÄLTEREN, um die Haus
Dies machte den neuen Landesherrn unbe
RICH, einen Sohn des böhmischen Königs
macht der
liebt, und 1348 fielen die Städte in der Mark
JoHANN (aus der Luxemburger Dynastie), hei
Wittelsbacher zu stärken. Das
zur
Erbmasse
gehörte.
MARGARETE
raten. Nach dem Ehestreit ließ sie 1341 die
Der Kunerein von Rhens Die knapp 3000-Seelen-Ge meinde Rhens (früher: Rhen se) spielte einst eine wichtige reichspolitische Rolle. Seit dem Jahre 1273 versammel ten sich hier die Kurfürsten des Reiches, um über Reichsangelegenheiten zu beraten, und am 16. Juli 1338 tagte hier in einem Baumgar ten der sogenannte .Kurver ein von Rhense", der unter Führung des Trierer Erzbi schofs und Kurfürsten Bal duin von Luxemburg (13071354) ein „Weistum" (eine „Rechtsfindung") veröffent lichte, wonach der deutsche König auch ohne Zustim mung des Papstes zur Füh rung des Königstitels und zur Ausübung königlicher Gewalt berechtigt sei, sobald die Kur fürsten ihn gewählt hätten. Dies war der erste reichspoli-
tische Akt der Kurfürsten, von ihren bisherigen Aktivitäten bei den Königswahlen ein mal abgesehen. Und es war eine eindeutige Stellungnah me zugunsten Ludwigs IV., des Bayern (1314-1347), der am 23. März 1324 von dem in Avignon residieren den Papst Johannes XXII. (1316-1334) gebannt wor den war, weil er sich nicht der päpstlichen Forderung unter worfen hatte, die Führung des Königstitels und die Aus übung königlicher Gewalt von der Zustimmung des Papstes abhängig zu ma chen. Dabei war das .Weis tum" außerordentlich diplo matisch formuliert. Wird doch mit keinem Wort auf Ludwig, auf dessen Auseinanderset zung mit dem Papsttum oder überhaupt auf irgendwelche
unmittelbar greifbaren Zeiter eignisse Bezug genommen! Vielmehr war die Formulie rung betont zeitlos. Man hat dieses .Weistum" des Rhen ser .Kurvereins" als eine der wichtigsten Rechtsinstitutio nen des späten Mittelalters bezeichnet. Tatsächlich bil dete es den vorläufigen Ab schluß einer dreihundertjäh rigen Entwicklung der Inter pretation von Staat und Herr schermacht. Andererseits aber war der Rhenser .Kur verein" nur Glied in der Kette einer weiterführenden Ent wicklung. Schon Anfang Au gust 1338 schlug Ludwig auf einem Reichstag zu Frankfurt sehr viel schärfere T öne an. Nun wies er auch alle aus der Kaiserkrönung abgeleiteten Rechte des Papstes auf Zu stimmung zur Königswahl zurück und erklärte: Wer von den Kurfürsten oder ihrer Mehrheit gewählt worden sei, sei und heiße zurecht Kaiser und bedürfe keiner päpstli chen Approbation, um sämt lict:ie Rechte eines Kaisers auszuüben ...
Burgtore schließen und verwies den Ehemann im Einvernehmen mit dem T iroler Adel und König LUDWIG des Landes. Ein Jahr darauf heiratete sie den verwitweten LUDWIG voN BRANDENBURG. Der T iroler Adel unterstützte
diesen Herrscherwechsel. Es wurde behaup tet, die erste Ehe sei nie vollzogen worden und damit ungültig. Darüber hatte aber der Papst zu entscheiden. Im Mittelalter gab es keine Zivilscheidung, wie sie König LuDWIG einzu führen versuchte, indem er von seinen Rechts gelehrten Gutachten verfassen ließ, die besag ten, daß die Handlungsweise des Kaisers durch ein „Notstandsrecht" legitimiert sei. Der berühmte Rechtsgelehrte MARsruus voN PADUA behauptete sogar, das Eherecht sei eine
Sache des Kaisers und nicht der Kirche. Der Papst verhängte neue Strafmaßnahmen gegen LuDwIG und einen Bann gegen das Herrscher
paar von T irol. Während sich später HEIN RICH VIII. von England in einem Streit um das
Eherecht bekanntlich durchsetzen konnte, in dem er eine neue, vom Papst unabhängige Kirche schuf, war LuDwIG dies noch nicht möglich. Mit der zweifelhaften Ehescheidung waren viele Fürsten nicht einverstanden, denn sie wollten keinen solchen Machtzuwachs für die Wittelsbacher und für das Königtum. Die Feinde LuDwms sammelten sich: König JO HANN voN BöHMEN zog mit seinen Rittern durch Europa, beklagte das Unrecht, das seinem Sohn geschehen sei, und warb bei den
Den Königsstuhl von Rhens, zwischen 1373 und 1398 erbaut, bestiegen im 15. Jahrhundert die deutschen Könige zwischen Wahl und Krönung. Das Bauwerk ist 1929 von seinem ursprünglichen Platz auf eine Höhe westlich von Rhens übertragen worden.
Fürsten mit reichen Geschenken um Beistand. Im April des Jahres 1346 forderte der Papst die Kurfürsten zur Wahl eines neuen Königs auf. Und in Rhens wählten im Juli desselben Jahres die drei Erzbischöfe, der böhmische König und Herzog RUDOLF voN SACHSEN den älteren Bruder des verstoßenen Ehemannes zum neuen König. Aber es dauerte viele Jahre, ehe sich KARL durchsetzen konnte.
152
Als »Friedenskaiser« und »Zweiten Konstantin« bezeichnete man ihn. Er erwarb seine Macht durch wohlüberlegte Schachzüge und suchte sie durch Magie zu bewahren:
Beheim erstgeborn sune", d.h.: er verstand sich als der „regierende Kronprinz". Auf dem
K 1 IV, ar
D
I
Italienfeldzug seines Vaters ( 1333) hatte KARL in der Nacht vom
15.
zum
16.
August einen
eindrucksvollen Traum: Ein Engel trug ihn zu einer Schlacht, und er sah, wie ein zweiter Engel den GRAFEN voN VIENNE wegen seiner Sünden mit dem Flammenschwert tötete. Am nächsten Morgen berichtete er seinem Vater
a KARL 1v. eine Autobiographie verfaßt
französischen König arrangieren. Sein Sohn
und dem Hofstaat von diesem Traum, und
hat, wissen wir viel über seine Jugend
KARL heiratete
wenige Tage später erreichte die Nachricht
und seine politischen Motive. Er kam
Schwester PHILIPPS v1. Im Jahre
1322
B1ANCA voN VALOIS, die wurde
vom Tode dieses Grafen das Feldlager. Von
Prag zur Welt
die Ehe des französischen T hronfolgers JEAN
nun an fühlte sich KARL als Auserwählter. Um
und wurde auf den Namen WENZEL getauft.
mit GmA voN LuxEMBURG arrangiert. -JOHANN
sich des göttlichen Beistandes zu versichern,
Nach einem Ehezerwürfnis entzog der Vater
starb im Jahre
als Verbündeter Frank
mußte er gottesfürchtig sein. Dieses religiöse
den Dreijährigen der Mutter und sperrte ihn
reichs auf dem Schlachtfeld von Crecy (De
Selbstverständnis des jungen Prinzen aus dem
zwei Monate lang in einen dunklen Keller, um
partement Somme, Frankreich). Seine Fahr
Hause Luxemburg kann man auch als eine
seinen Trotz zu brechen. Vielleicht weckte
ten und Abenteuer erinnern an Ritterromane.
Leitlinie seiner Politik in den kommenden
dieses
Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, daß sie
Jahren erkennen. - In Böhmen versicherte er
am
16.
Mai des Jahres
1316 in
Schock-Erlebnis mystische Neigun
ganz
1346
gen.„ Als Siebenjähriger kam KARL 1v. an den
seiner
Hof des französischen Königs und erhielt
Machtpolitik entsprangen.
spezifischen
1332
Auffassung
von
Verhältnis hatte. Einige Adlige versuchten,
seinen Namen nach seinem Firmpaten Char
les. Im Jahre 1328 wurde PHILIPP v1. nach dem
sich der Gefolgschaft des böhmischen Hoch adels, mit dem sein Vater stets ein gespanntes
Seit Ostern des Jahres
1331
trat KARL an die
Vater und Sohn gegeneinander auszuspielen.
Aussterben des Geschlechts der Capetinger
Seite seines Vaters, in Urkunden bezeichnete
Es gelang KARL, sich mit dem Vater zu
neuer König von Frankreich. Mit dem franzö
er sich jetzt als
Wir Karle von Gottes Gnaden
versöhnen und seine Rechte wiederzuerlan
sischen T hronfolger JEAN (Johann) verband
des hochgeborn fuersten kunig Johanis von
gen, aber diese Erfahrung machte ihn miß-
„
KARL bald eine persönliche Freundschaft. Ferner freundete er sich mit dem Abt PETRUS RoGERn DE FEcAMP an, welcher es bald zum Erzbischof und Kardinal und schließlich sogar zum Papst brachte. Ihm verdankte KARL seine Wahl zum König. Sein Vater eilte mit seinem Gefolge häufig durch Europa, um Bündnisse zu schließen. Er
der Emater Böhmens und der Enstiefvater des deutschen Reiches"
" .„Karl
-
mischte sich in viele Händel ein, und es gab ein geflügeltes Wort: Ohne den König von Böhmen „
kann niemand etwas gut zu Ende bringen". Mit seiner Reisediplomatie versuchte der König einen Traum zu verwirklichen, den bereits die Przemisliden, die Vorfahren seiner Gemahlin ELISABETH, geträumt hatten: die translatio imperii,
-
d.h. ein
Kaisertum, das von den Römern auf Byzanz und die Franken gekommen sei, das sodann die Sachsen und Schwaben an sich brachten und das nun nach Böhmen gehöre. Es müsse stets dem geopolitischen Zentrum zufallen. So versuchte er mit dem Erwerb von Schlesien die böhmische Macht auszu weiten, Kärnten und T irol durch Hei rat mit der Dynastie zu verbinden und Norditalien zu
1330
erobern.
Im Jahre
unterwarf er die wichtigsten
Städte der Lombardei. Um die ita lienischen Eroberungen zu si chern,
mußte
sich
König
JOHANN voN BöHMEN mit dem
Karl IV. Eine der berühmten Büsten des Meisters Peter Parler (1330-1399) aus dem Triforium des ebenfalls von Peter Parler vollendeten Vettsdomes auf dem Prager Hradschin. Sie zeigt Karl IV. (1347-1378), unter dem das Heilige Römische Reich noch einmal einen glanzvollen Höhepunkt erreichte. Daß die Büste des Herrschers von den Büsten seiner ersten vier Gemahlinnen (1. Blanche von Valois, 2. Anna von der Pfalz, 3. Anna von Schweidnitz sowie 4. Anna von Pommern) umgeben ist, hat seinen guten Grund. Denn all diese vier Frauen trugen erheblich zur Erwetterung seiner luxem burgisch-böhmischen Hausmacht bei. Karl IV. trieb mtthin bereits eine ähnliche Form der Hausmachtspolttik l"ie später die Habsburger, auf die der Ungarnkönig Matthias 1. Corvinus (1458-1490) den lateinischen Vers gemünzt haben soll: „Bella gerent alii! Tu, felix Austria, nube!" (,Mögen andere Kriege führen! Du, glückliches Österreich, heirate!") 153
trauisch gegenüber adligen Ratgebern. Er hielt
Die Hausmachtpolitik der Luxemburger, Wittelsbacher und Habsburger
sich später lieber an die Ratschläge seiner geistlichen Freunde. Im Jahre 1340 dann traf KARL seinen frühen Weggefährten PETRUS RooERn wieder. In seiner (etwa 1355 vollende ten) Autobiographie berichtet er:
„
Und er
sagte mir („.) »Du wirst noch König der Römer«". Dies war von beiden Seiten ein politisches Programm, das nach der Tiroler
Scheidungsaffäre, durch die sich LUDWIG DER BAYER diskreditierte, auch Wirklichkeit wurde. KARL wurde in Bonn, der Residenz des Kölner Erzbischofs, gekrönt, war aber anfangs nichts weiter als ein Gegenkönig. Ganz abgesehen von der Kaiserwürde dachte LUDWIG gar nicht daran, sein Königtum aufzugeben und sich den Mehrheitsbeschlüssen der Kurfürsten zu beugen. Fast alle Reichsstädte standen auf seiten Kaiser LUDWIGS. Dieser hatte zwar Anhänger verloren, aber im Reich war das Ansehen seines Rivalen gering. Man nannte ihn einen „Pfaffenkönig", da er auf Drängen des befreundeten Papstes gewählt wurde. Als Kaiser LUDWIG am 11. Oktober des Jahres
r..;;l
1347 auf einer Bärenjagd vom Schlaganfall überrascht wurde, hatte KARL Mühe, sich daraufhin im Reich durchzusetzen. Denn die gegen ihn eingestellten Kurfürsten wählten am 13. Januar des Jahres 1348 EDWARD 11. von England zum deutschen König, allerdings ohne diesen zu fragen, ob er die Wahl annehmen wolle. Und so gelang es KARL, ihn auf seine Seite zu ziehen und zum Verzicht auf die T hronansprüche zu bewegen. Auch mit GüNTER voN ScHWARZBURG, einem anderen Gegenkönig, wurde KARL fertig, indem er ihn mit einer beachtlichen Summe zum Rücktritt
II II II
c:J Luxemburger Wittelsbacher Habsburger
" Hausmachtpolitik führte zum modernen Flächenstaat"
des verstorbenen letzten Askaniers handelte, der auf seinen „Auftritt" von Gegnern der Wittelsbacher gründlich vorbereitet worden war. Vermutlich waren auch Verwandte, dar unter der Graf von Anhalt, der den FALSCHEN
bewog. Nach seinem Tode ließ KARL ihn mit
WOLDEMAR identifizierte, mit im Komplott.
königlichen Ehren begraben. siens, um ihre Politik zu finanzieren, und
Der Graf ließ sich von dem Schwindler
KARLS politische Laufbahn begann in gewisser
schließlich: beide stützten sich auf fremde
Erbansprüche bestätigen. Ob auch KARL
Hinsicht ähnlich der des späteren Königs
Mächte, KARL auf Frankreich, FRIEDRICH auf
daran beteiligt war, bleibt unklar. Jedenfalls
1v.
FRIEDRICHS DES II. VON PREUSSEN, dessen burg
England. Gleichwohl waren sie von unter
profitierte er von der Affäre. Denn fast alle
gräflicher Ahnherr übrigens mit einer Tochter
schiedlicher Persönlichkeit: KARL wurde von
Städte der Mark Brandenburg erkannten den
KARLS verheiratet war: Beide wuchsen unter
einer geradezu mystischen Frömmigkeit be
angeblichen Askanier als den rechtmäßigen
dem Druck einer väterlichen Erziehung auf,
herrscht, FRIEDRICH II. VON PREUSSEN war dage
Landesherrn an. Der Wittelsbacher wurde
die sie seelisch verwundete. Beide waren
gen eher skeptisch.
vertrieben, und KARL belehnte den „Heimkeh rer" im Oktober des Jahres 1348 mit der
frankophil und nach den Maßstäben ihrer Zeit sehr gebildet. KARL sprach Deutsch, Franzö
Wie konnte KARL 1v. nach Lage der Dinge
Mark, dieser trat ihm einen Teil der Mark
sisch, Italienisch, Tschechisch und besaß gute
seine Machtposition konsolidieren? Und wie
Brandenburg ab. Wie schwach der Einfluß
Lateinkenntnisse. Von beiden erwarteten ihre
konnte er seine Position im Reich festigen?
KARLS außerhalb seiner eigenen Territorien
Untertanen eine politische Wende und auch
Seine Lage verbesserte sich, als er in Branden
war, zeigte sich bei den Judenverfolgungen.
Reformen. Beide mußten sich als Realpoliti
burg Einfluß gewann, als nämlich im Sommer
Die Judensteuern waren die wichtigste regel
ker bewähren und dabei eine ähnliche Politik
1348 in Magdeburg ein alter Pilger auftrat, der
mäßige Einnahme des Königs, deshalb lag es
verfolgen
Könige
sich als der verschollene Markgraf WOLDEMAR
natürlich in seinem Interesse, die Juden zu
herrschten über Territorien am Rande des
voN BRANDENBURG ausgab. Einige Historiker
schützen. Das war ihm indes nur in Böhmen
Reiches, beide nutzten die Reichtümer Schle-
vermuten, daß es sich dabei um einen Diener
und natürlich auch in Luxemburg mög-
154
wie
ihre Väter.
Beide
lieh. In Nürnberg suchte er sogar selbst von der Enteignung der Juden zu profitieren: Er sicherte dem mit ihm verbündeten Rat, der nach einem Umsturz wieder an die Macht gekommen war und sich für verlorengegange nen Besitz an den Juden schadlos halten wollte, Straffreiheit für den Fall zu, daß die Juden einem Pogrom zum Opfer fallen soll ten. Am 27. Juni des Jahre 1349 versprach er seinem Gegner aus dem Hause Wittelsbach als Versöhnungsgeste drei große Judenhäuser in Nürnberg. Er ließ die Nürnberger im damali gen Judenviertel zwei große Plätze anlegen und an der Stelle der Synagoge eine Marien kirche bauen. Nachdem im Dezember dessel ben Jahres 560 Juden verbrannt und die übrigen vertrieben worden waren, entstand der Nürnberger Hauptmarkt, und die Marien kapelle wurde als eine Reichskapelle nach
dem Vorbild der Aachener Reichskapelle
KARLS DES GROSSEN errichtet. Darin dokumentierte sich KARLS Anspruch, Nachfolger des ersten abendländischen Kai sers zu sein. Vorerst war er jedoch nur in Böhmen im Besitz der Macht, also in seinem
ererbten Königreich, wo er sich auf geistliche Helfer stützen konnte. Von diesem Zentrum aus mußte er an Einfluß im Reich gewinnen. Bereits im Jahre 1344 hatte KARL erreicht, daß das bis dahin von Mainz abhängige Bistum Prag zu einem selbständigen Erzbistum erho ben wurde; im Jahre 1348 gründete er mit Hilfe des Erzbischofs ERNST VON PARDUBITZ die Prager Universität
-
die erste in Zentral- und
Schließlich kamen wir nach l ljähriger Abwesenheit nach Böhmen... Bei unserer Ankunft fanden wir weder Vater noch Mutter, weder Bruder noch Schwestern, noch sonst einen Bekannten. Auch hatten wir die böhmische Sprache ganz verlernt. Doch haben wir uns später ihrer wieder bemächtigt, so daß wir sie sprechen und verstehen konnten wie jeder andere Böhme. Durch Gottes Gnade haben wir außer dem Böhmischen auch das Französische, das Italienische, das Deutsche und Lateinische so zu sprechen, schreiben und lesen gelernt, daß wir eine wie die andere dieser Sprachen geläufig schreiben, lesen, sprechen und verstehen konnten... (Karl IV.)
Osteuropa. Die Kirche übernahm die Bezah lung der meisten Professoren. Etwa ein Viertel der Studenten stammte aus Böhmen, die anderen kamen aus dem Reich, Schlesien, Preußen und Ungarn. So nahm KARL indirekt Einfluß auf die geistige Elite des Reiches und angrenzender Länder. Aber KARL 1v. beschränkte sich keineswegs auf die Förderung der Wissenschaften. Er trieb aktive Handelspolitik, indem er Handel und Verkehr durch die Sicherung von Straßen förderte, und er setzte das Kapital der Kauf leute für sich ein. Vor allem die Nürnberger waren seine Helfer, - nicht nur die Bürger der Reichsstadt, sondern auch die Burggrafen aus dem Geschlecht der HoHENZOLLERN. Sie ge hörten zu jenen kleineren Territorialherren, mit denen sich KARL gegen die großen Fami lien verbündete. Im Jahre 1367 ging KARL einen besonderen Bund mit den Nürnbergern ein. Er bot ihnen die Öffnung seiner Burgen an. Und im Jahre 1361 kaufte er das Dorf Erlangen vom Bamberger Bischof und baute es zu einer Festung mit Stadtrecht aus, sozusa gen zum westlichen Vorposten „Neuböh mens". Auch vergrößerte er das Stammland Böhmen durch die Annexion anderer Gebiete: Mähren, Olmütz, Troppau, Schlesien, die Lausitz und Teile der heutigen Oberpfalz. Im 19. Jahrhundert wollten die nationalstaatlich gestimmten Historiker KARL 1v. mit den Wor ten des späteren Kaisers MAXIMILIAN 1. als
Erzvater Böhmens Reiches adeln, ohne
und zu
Erzstiefvater
des
bedenken, daß KARL -
Burg Karlstein. Knapp 30 (genau: 28) Kilometer südwestlich von Prag erhebt sich auf steilem Kalkfels 72 Meter über einem einst einsamen Waldtal und 319 Meter über dem Meeresspiegel die 1348-1357 im Auftrage Karls IV. von Matthias von Arras erbaute Festung Karlstein (tschechisch: Karl6v TYn). Sie war gleichzeitig Aufbewahrungsort der Reichskleinodien, dynastisches Heiligtum und Lieblings-Aufenthaltsort Karls IV., der sich besonders in der Passionszeit gern dorthin zurückzog, um zu beten und zu meditieren. Manche Historiker sind der Auffassung, Karls Architekt, Matthias von Arras, habe sich beim Bau dieser traumhaften Festung von Schilderungen der legendären Gralsburg leiten lassen. Jedenfalls waren die Wände der Kapellen dieser Burg mit Gold verfugt und mit Edelsteinen ausgelegt - Materialien, die man nicht nur ihres Wertes wegen schätzte, sondern denen man auch magische Bedeutung zuschrieb.„ 155
allen anderen Kaisern gleich - letztlich nur in
Grabmal des Günther von Schwarzburg-Blankenburg im
seinem eigenen Territorium zu bestimmen hat
Frankfurter Dom. Nicht alle Reichsfürsten waren mit der Wahl Karls IV. zum deutschen König am 11. Juli 1346 einverstanden. Vielmehr erhob eine Gegenpartei, allen voran die der Wittelsbacher, am 30. Januar 1349 den thüringischen Grafen Günther von Schwarzburg-Blankenburg (1304-1349) zum Gegenkönig. Allerdings hatten sie damit auf eine schlechte Karte gesetzt, denn durch geschicktes Taktieren nahm Karl seinem Widersacher jeglichen Wind aus den Segeln und bot ihm schließlich sogar eine beträchtliche Summe für den Rücktritt. Offensichtlich schwer krank, gab Günther nach und starb schon am 14. Juni 1349 in Frankfurt am Main. Karl IV. ließ ihn mit allen königlichen Ehren bestatten. Die Abbildung zeigt die Grabplastik des erfolglosen Gegenkönigs.
te. Dementsprechend mußte all sein Bestreben der Ausweitung dieses Territoriums gelten. Auch die Habsburger handelten später nicht anders, doch da ihre Stammlande deutschspra chig waren, blieb ihnen ein derartiger Vorwurf erspart. Nach dem Tode BIANCAS heiratete KARL eine Tochter des Pfalzgrafen RuooLF und söhnte sich mit den Wittelsbachem aus. Am 25. Juli des Jahres 1349 ließ er sich noch einmal diesmal in Aachen - krönen. Nun fehlte ihm nur noch die Kaiserwürde. Zu dieser Zeit suchte der Abenteurer und römische Volkstri bun COLA RIENZI ihn für den Plan zu gewin nen, ganz Italien zu erobern und zu einen. Aber KARL hatte keinen Sinn für Abenteuer, er war ein Mann der kalkulierten Politik. Zudem mißtraute er, im Unterschied zu seinem Vor gänger, auch der Idee eines vom römischen Volk verliehenen Kaisertums. Er zog eine
" zum glücklosen Gegenkönig gewählt.„"
Bestätigung seiner Herrschaft durch den Papst vor. Da RIENZI der Ketzerei verdächtigt wur de, lieferte ihn KARL an den Papst ( INNOZENZ v1.
) in Avignon aus, der sich mit RIENZI
arrangierte und diesen nach Rom schickte, um die Stadt im Namen des Papstes zu erobern. Als
der
Bischof von Mailand,
G1ovANN1
V ISCONTI, einer der mächtigsten Gegner des
indes seine Zeitgenossen und zum Teil auch
deutschen Königtums, starb, nutzte KARL IV.
spätere Historiker nicht daran gehindert, ihn
passierenden Gebieten. Die Gefolge der Kur
die Gelegenheit und brach endlich zur Krö
nach den alten Maßstäben zu beurteilen.
fürsten begrenzte man auf zweihundert Reiter,
Geleit für den Fall eines Krieges in den zu
von denen nur fünfzig bewaffnet sein durften.
nung nach Rom auf. Am Dreikönigstag des Jahres 1355 wurde er in Mailand zum König
Der Kaiser regierte das Reich überwiegend
Denn auf früheren Versammlungen hatten
von Italien und zu Ostern in Rom durch den
von Prag aus, hielt aber auch an anderen
mitunter Drohungen und Gewaltanwendun
päpstlichen Legaten zum Kaiser gekrönt. Auf
Orten Hof. Diese lagen überwiegend an der
gen den Ausschlag gegeben. Das 24. Kapitel
dieser Reise kassierte KARL Abgaben und
Ost-West-Achse von Prag über Nürnberg
über den Rechtsschutz der Kurfürsten lehnte
Zahlungen größeren Ausmaßes für verliehene
nach Luxemburg und Metz oder an der Süd
sich an den Codex Iustinianus an. Diese
Privilegien. Um nur die höchsten Summen zu
Nord-Achse von Prag über die Mark Bran
berühmte Goldene Bulle ist bis zum Ende des
nennen: Pisa zahlte 60 000 Goldgulden, Flo
denburg zur Ostsee. Vergessen wir nicht: Auf
alten Reiches im Jahre 1806, also über 450
renz 100 000, 150 000 erhielt er von den
seinen Reisen mußte er, so gut es ging, den
Jahre, eine Art Reichsgrundgesetz gewesen.
VISCONTI. Viele Italiener waren enttäuscht,
Pestzügen, die sein Zeitalter zutiefst erschüt
daß KARLIV. nur mit kleinem Gefolge nach
terten, ausweichen. In Nürnberg und Metz
Ein anderes wichtiges
Italien gekommen war und kassierte, statt
verkündete KARL IV. im Jahre 1355/56 eine
Landbuch KARLS IV. aus dem Jahre 1375, das, von wenigen Ausnahmen abgesehen, alle
Dokument ist das
Ordnung zu schaffen. Sie nannten ihn einen
Reihe von Gesetzen. Die wichtigste Urkunde
„Krämer". Aber er verhielt sich nur der
war die Goldene Bulle (so benannt nach dem
damals bestehenden Siedlungen in der Mark
politischen Lage entsprechend: Denn es war
goldenen Siegel). Sie regelte die Königswahl.
Brandenburg aufzählt. Diesem Orts-Register
ihm ebensowenig möglich, die politischen
Die bisherige Praxis wurde nun zu Gesetzen
war eine Übersicht der Einkünfte aus der
Strukturen in
ändern wie in
festgeschrieben und mit neuen Garantien ver
Markgrafschaft wie Zölle und Abgaben der
Deutschland, und so versuchte er es gar nicht
sehen. Die (sieben) Kurfürsten bekamen ihre
Bauern und der Städte vorangestellt. Wofür
erst. In den Staatsgeschäften war KARL der
Privilegien als das Wahlkollegium des deut
dies? Eine solch detaillierte Datensammlung
Italien
zu
kühl kalkulierende „Manager". Bei ihm war
schen Königs verbrieft; außerdem die Münz
war die Voraussetzung für ein effektives
der allmählich Platz greifende Rollenwechsel
und Zollhoheit; ferner: Die weltlichen Kur
Staats-Management. Aus diesem Landbuch
vom charismatischen Herrscher zum „Chef
fürstentümer wurden für unteilbar erklärt, um
kennen wir die Verteilung des Grundbesitzes,
Organisator" des Staates (im Sinne des späte
Erbfolgestreitigkeiten möglichst zu vermei
die Getreidearten und die durch die Pest
ren Selbstverständnisses absolutistischer Kö
den. Die Anreise zur Königswahl wurde
entvölkerten Dörfer (Wüstungen). Es ist dies
nige) bereits weit fortgeschritten. Das hat
durch ein Wegerecht gesichert mit freiem
die wichtigste Quelle der Wirtschafts- und
156
Sozialgeschichte über die Mark Brandenburg im Späten Mittelalter, - eine wahre Fundgru be an Informationen. Auf der Ost-West-Achse sicherte KARL
1v.
seiner Dynastie eine Reihe von Stützpunkten.
" Karolus Dei Gracia Romanorum Rex semper Augustus et Boemie Roy"
winklige Straßenzüge um drei Platzanlagen vor. Im neuen Siedlungsgebiet entstanden sechs Klöster. Die Altstadt wurde als Handels zentrale, die Neustadt als Handwerkersied lung organisiert. Die von K ARL
IV.
erbaute
Brücke über die Moldau trägt noch heute den Namen Karlsbrücke.
Im Osten schuf er eine geschlossene Haus macht mit Böhmen, Schlesien, der Lausitz und Pommern. Letzteres erwarb er durch seine (vierte) Eheschließung mit ELISABETH
Im Jahre 1344 legte man im Burgareal den
POMMERN. Schließlich kam noch Bran
Spitze der wichtigsten königlichen „Behörde"
denburg hinzu, das er im Jahre 1373 von
stand der Kanzler. Unter ihm arbeiteten Nota
voN
Orro
1v.
L uowIGs
Grundstein für den Dom St. Veit. An der
(dem Faulen), dem jüngsten Sohn
re, Korrektoren und Registratoren. Der Ver
(des Baiern), erwarb. Zum Aus
waltungsgang war in der Regel folgender: Der
1v.
gleich trat er neuböhmischen Besitz im heuti
Kaiser erteilte den Befehl zur Ausfertigung
gen Nordbayern ab und zahlte eine halbe
eines Schriftstückes, der Notar entwarf das
Million Goldgulden in bar.
Konzept - oft in Anlehnung an Formelbü cher -, der Korrektor sorgte für die Rein
KARL ließ die kleine Burg Tangermünde zu
schrift und der Registrator dokumentierte den
einer Residenz ausbauen. Hier verbrachte er
Geschäftsgang. Die Kanzlei war sowohl für
in seinen letzten Lebensjahren viel Zeit. Die Stiftskapelle war mit einem Mosaik von Edel
Bestätigung alter Privilegien und für die Ver
steinen ausgelegt - ähnlich wie die Wenzels kapelle im Prager Dom und die Kapelle in der
Burg Karlstein. Auch in Tangermünde (bei Magdeburg) war die Kapelle mit Bildern von Angehörigen der Dynastie geschmückt - und
die Briefe KARLS
Siegel Karls IV. Die deutsche Übersetzung des Schrift zuges auf der Münze lautet: ,Karl, mrr Gottes Gnade König der Römer, stets Augustus und König Böhmens'.
IV.
zuständig wie für die
leihung neuer. Die feste Residenz machte die Anlage eines umfangreichen Archivs möglich, so daß die neuen Entscheidungen sich auf die sichere Kenntnis früherer stützen konnten. An seinem Hof umgab sich KARL 1v. mit Notaren
damit als dynastisches Heiligtum gekenn
modern gesprochen, internationalen Welt stadt. Der Prager Hof war Kultur- und Ver
zeichnet. Prag wurde durch K ARL 1v. zu einer,
waltungszentrum. Am 26. März des Jahres
familien. Nur wenige Angehörige des Hoch
1348 legte KARL den Grundstein für die
adels gehörten zu seinen Vertrauten, - viel
aus Nürnberger, Prager und Brünner Patrizier
leicht auch, weil er mit diesen Familien in Prager Neustadt und vergrößerte damit das Ritt zum Reichstag. Auf zwei Reichstagen (am seiner Jugend schlechte Erfahrungen gemacht Stadtgebiet um 180 Prozent. Prag war die 10. Januar 1356 in Nürnberg und am Weihnachtstage desselben Jahres in Metz) hatte. Seine Berater waren überwiegend An größte Stadt nördlich der Alpen geworden, wurde die ,Goldene Bulle' beschlossen - ein gehörige einer Bildungselite, gelehrte Männer allerdings keine „Reichshauptstadt", so etwas wegen seiner goldenen Siegel so genanntes wie J OHANN VON NEUMARKT, der von 1353 bis gab es damals nicht! Wer ein steinernes Haus Dokument. Das Schriftstück regelt als eine Art 1373 Kanzler war und zu den Frühhumani in der Neustadt erbaute, erhielt zwölf Jahre „Reichsgrundgesetz' vor allem die Aufgaben sten zählte, und SIMONIS VON R rnsENBURG. Die Steuerfreiheit. Der Grundriß sah rechtund Kompetenzen der deutschen Kurfürsten sowie die Prozedur der r:;::::::::::::::�:::: ===:"."'."':::::::=::=::: :: ::========== ::: =IL==P.�::-=ir::.:;:�c===� deutschen Königswahlen. Der päpstliche Approbations anspruch (Billigungs anspruch) wird stillschwei gend übergangen. Um 1400 entstand eine Prunkhand schrilt dieser wichtigen Urkunde. Aus ihr stammt die abgebildete Miniatur. Man erblickt Karl IV. (Bildmitte) auf dem Wege zum Reichstag. Ganz rechts (mrr Bischofsmrrra) reitet der Erzbischof von Trier, links von ihm sieht man die drei Kurfürsten von der Pfalz, von Sachsen und von Brandenburg. Hinter dem Kaiser rerret der König von Böhmen, gefolgt von der Kaiserin mit einigen ihrer Hofdamen. �
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Karl IV. und die Kurfürsten. Diese Darstellung aus einem Wappenbuch zeigt Karl IV. (1346-1378) inmitten der Kurtürsten seines Reiches, und zwar im Jahre 1370. Von links nach rechts erblickt man den Erzbischof von Trier (den Erzkanzler für Burgund). Gemäß der ,Goldenen Bulle' von 1356 hatte er das Erststimmrecht der geistlichen Kurtürsten. Ihm folgen der Erzbischof von Köln (Erzkanzler von Italien) und der Erzbischof von Mainz (Erzkanzler für Deutschland). Der Erzbischof von Mainz hatte ebenfalls nach der ,Goldenen Bulle' - die Königs-Wahlversammlungen einzuberufen und nach vollzogener Wahl die �'J•ßC1n9lcc1P •ll10cgtn/ Str,ßcr909 ··�·�rrn�Ml.o" 1 Strz.lnlglnl!r�ml(cl>tn(onbcn ,,. _ Jll • brr e!>o > n une foc1�ond•eeralf POn 51•nbtr.bu19 gilo/ a··�··••brr1Er91ru,1(r8 (ein In der Mitte thront der Kaiser, --l!.!!_