Die Cholera, ihre Ursachen, ihre Verbreitung, ihre Abwehr und ihre Heilung: Vermuthungen nicht blos für Aerzte geschrieben [Reprint 2022 ed.]
 9783112685266

Table of contents :
Vorrede.
Vorbemerkung.
I. Einleitung
II. Uebergang
III. Die Cholera
IV. Ihre Ursachen
V. Ihre Verbreitung nicht durch ein Miasma, sondern durch Ansteckung
VI. Mutlniiaassiingen.
VII. Art der Ansteckung
VIII. Träger des Couiagiiims
IX. Allgemeinheit der Ansteckung
X. Abwehr
XI. Heilung
XII. Scliluss

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Die Cholera, ihre Ursachen, ihre Verbreitung, ihre Abwehr und ihre Heilung.

Vermuthiingeii nicht

blos

für Aerzte

geschrieben

von

Dr. Ludolph von Beckedorff.

Berlin. Verlag

von

Veit 1848.

und

Comp.

V o r r e d e .

D i e kleine Schrift, welche hier der P r ü f u n g der geneigten Leser und der nachsichtigen Beurtheilung der Sachverständigen übergeben wird, ist schon im J a h r e 1 8 3 1 geschrieben. Ihr Verfasser lebte damals in l a n d w i r t s c h a f t l i c h e r Zurückgezogenheit auf seinem Gute in Hinterpommern, w o ihn bei Annäherung der Cholera seine Mitstände zu einem der Commissarien erwählt halten, welche nach h ö h e r e r A n o r d nung in jedem landrälhlichen Kreise bestellt w u r d e n , u m die Maassregeln sowohl zur A b w e h r der Seuche, als auch bei ihrem wirklichen A u s b r u c h e zu leiten. D e r Kreis, in welchem sein G u t liegt, blieb nicht verschont; die Krankheit brach an zwei Orten, auf einem Dorfe und in einer Stadt, aus, w u r d e jedoch beide Male durch strenge A b s p e r r u n g der angesteckten H ä u s e r mit Erfolg u n t e r d r ü c k t ; in dem ihm selbst zugewiesenen Bezirke aber kam sie gar nicht zum A u s b r u c h . Doch w a r d die ihm auferlegte Pflicht für ihn eine Veranlassung, über die eigenthümliche Beschaffenheit des Ucbels, welches er möglicher W e i s e zu bekämpfen berufen war, sich nach bestem V e r mögen wenigstens ei-ne einigermassen klare Ansicht zu verschaffen, wobei ihm die medicinischen Siudien seiner f r ü heren Jahre, die auch nachmals ihr Interesse für ihn nicht verloren hallen, zu Hülfe kamen. So entstand diese Abhandlung. Sie sollte schon damals veröffentlicht w e r d e n , w u r d e aber zurückbehalten, theils u m nicht die F l u t h von Schriften, die sich über den Gegenstand e r g o s s , noch mehr anzuschwellen, theils weil ihr Verfasser bei der grossen Mannichfaltigkeit und V e r schiedenheit in den Meinungen der Sachverständigen über W e s e n , E n t s t e h u n g , Verbreitung, A b w e h r und Heilung der räthselhaften Krankheit nicht hoffen durfte, seiner Ansicht allgemeinere Geltung zu verschaffen.

Doch theilte er sie mehren Aerzten seiner B e k a n n t schaft, u n t e r anderen auch dem H e r r n Sanitätsrath D r . S t r a h l mit, der noch im Besitze einer Abschrift des Manuscripts sich befinden wird. E r w ü r d e indessen dieser A r b e i t sich schwerlich wieder erinnert haben, w e n n nicht die W i e d e r a n n ä h e r u n g des gefürchteten Uebels sie in sein Gedächtniss zurückgerufen und hn bewogen h ä t t e , sie aus ihrem siebzehnjährigen V e r schlusse hervorzuholen. E r hat sie wieder durchgesehen und — m a n verzeihe ihm die kleine Selbstgefälligkeit — gefunden, dass sie ganz verständig und klar abgefasst sei und dass er sich noch h e u t e zu ihrem Inhalte, insonderheit was den P u n k t der Contagiosität betrifft, bekennen könne. Und so trägt er denn auch kein Bedenken, sie jetzt noch und z w a r in fast ganz unveränderter Gestalt der Oeffentlichkeit zu ü b e r g e b e n . Indessen kann er sich auch nicht verhehlen, dass seine Ansicht noch h e u t e mancherlei Zweifeln u n d d i r e k t e m W i derspruche begegnen w e r d e und vielleicht am meisten von d e n e n , welche die reichsten E r f a h r u n g e n gesammelt u n d mit der genauesten Sorgfalt beobachtet haben. Die Erscheinungen dieser Krankheit in ihren verschiedenen Stadien sind so widersprechend, die Aufeinanderfolge dieser Stadien ist oft so r a p i d e , dass es überaus schwer w e r d e n m u s s , zu einem vollständigen typischen Bilde der K r a n k h e i t zu gelangen. Gerade den erfahrensten Aerzten hüllt sich d a h e r das W e s e n der Cholera noch immer in ein räthselhaftes Dunkel und sie wollen lieber — und nicht mit Unrecht — nach Mitteln der Hülfe sich umsehen, als auf theoretische Erklärungen sich einlassen. Vielleicht aber w e r d e n diese wenigen Bogen mindestens ein Anlass zu n e u e r ruhiger E r w ä g u n g der jedenfalls wieder drohend wichtig gewordenen Sache.

Der Verfasser.

Vorbemerkung.

O e r dieses schreibt, ist nicht ausübender Arzt, hat niemals einen Cholera-Kranken gesehen, hat von den unzähligen Schriflen über die Cholera keine andere gelesen, als das vor dem Ausbruche in hiesigen Landen crscliieucne Büchlein, welches die Doktoren H o r n und W a g n e r in Berlin herausgegeben, und kürzlich die beiden ersten Hefte des Cholera-Archivs der Berliner Aerzte; auch hat er keine andere mündliche Belehrung über dieses Uebel erhalten, als die ihm aus deu Gesprächen mit einigen Aerzten der Nachbarschaft zu Thcil geworden, welche bei einem einzelnen schnell unterdrückten Ausbruche fünf Patienten zu behandeln gehabt haben. Docli hat er die im Preussischen publieirten amtlichen Bekanntmachungen, die Cholera betreffend, so wie viel von dem, was die Berliner Zeitungen und namentlich die allgemeine Staatszeitung über dieselbe enthalten haben, mit Aufmerksamkeit gelesen und sich daraus im Stillen eiue Ansicht über Ursache, Verbreitungsart, Abwehr und Heilung dieser Krankheit gebildet, die ihm haltbar und consequent zu sein scheint. Er trügt daher auch kein Bedenken, mit seiner Mei" nung öffentlich aufzutreten. Es kann sein, dass er irret, und dann theilt er dieses Schicksal wahrscheinlich mit vielen IIuuderlen, die auch über die Cholera geschrieben haben; es kann aber auch sein, dass er nicht irret, und dann hofft er durch diese Schrift sich einiges Verdienst zu erwerben.

D a er nicht blos für Aerzlc schreiben will, sondern auch für alle diejenigen, die über Erscheinungen der Natur und also auch über Krankheilen und S e u c h e n ,

und deren W e s e n

Ursachen nachdenken und urlheilen mögen; verständlichen holen.

Begründung

seiner Ansicht

so nniss er

etwas

weiter

und zur aus-

I.

Einleitung.

D a s s die Leber zur Bereitung der Galle dient, weiss Jedermann. Die grösseren Acste der Blutadern aus Gedärm. Netz, Magen und Milz vereinigen sieh zu einem einzigen Stamme, nämlich der Pfortader, und diese, nachdem sie in die Leber eingetreten ist, verzweigt sich wiederum vielfach und ergiesst ihr Blut in die drüsige Substanz der Leber zu dessen Zersetzung und zur Bereitung der Galle; nach deren Aussonderung das von seinem Uebcrschusse an kolilenstolT- wasserstofügen Bestandteilen und von Fett belreicle Blut von den kleineren Blutadern der Leber aufgenommen wird, um sich aus diesen in grössere Stämme zu sammeln, welche es zuletzt in die unmittelbar iii's Herz eintretende untere llohlader führen. Also: aus dem Blute der Pfortader wird die Galle ausgesondert und dann das gereinigte Blut in's Herz geführt. ludessen ist diese aussondernde Thätigkcit der Leber, die wahrscheinlich ebensowohl eine exeernirendc als secernirende Bestimmung hat, weder bei allen Individuen gleich, noch auch bei dem nämlichen Individuum zu allen Zeiten die nämliche, indem in einigen Körpern mehr, in anderen weniger und in dem nämlichen Körper zu verschiedenen Zeiten auch eine verschiedene Menge von Galle abgesondert wird. Die Galle selbst wird in der eigentlichen Substanz der Leber, die mau auch ihr Mark zu nennen pflegt und ein drüsiges Organ ist, bereitet, von den Mündungen der kleineren Gallengefässe aufgenommen und in immer grössere Aeste geführt, die sich zuletzt in dem L e b e r g a n g e (duetus hepalicus) vereinigen, welcher bestimmt ist, die Galle aus der Leber heraus und

8 in den Zwölffingerdarm hineinzuführen, damit sie zu dein Verdauung«- und Aussonderungsgeschäft das Ihrige beilrage. Auf seinem W e g e aber und ehe er in den Zwölffingerdarm eintritt, vereinigt sich der Lebergang noch mit einem anderen Gange, der auch Galle führt, nämlich mit dem G a l l e n b l a s e n g a n g e (ducius cysticus). Und z w a r führt dieser die Galle sowohl in die Gallenblase hinein, als aus derselben wieder h e r a u s ; nämlich so, dass von der in der Leber ununterbrochen abgesonderten und durch den Lebergang ausgeführten Galle ein Thcil in die Gallenblase aufgenommen u n d dort aufbewahrt, vielleicht concentrirt w i r d , bis von dem nach der Sättigung augefülllen und ausgedehnten Magen die Gallenblase mechanisch gedrückt wird und sich ihres Inhalts durch eben denselben Gang wieder entleert, durch welchen sie sich gefüllt hat. Auf diese Weise erhält also der Zwölffingerdarm ausser der Zeit der Verdauung n u r eine geringere Menge von Lebergalle, während der Verdauung aber eine vermehrte Menge von vermischter Leber- und Blasen - Galle. D e r Lebergang a b e r , nachdem er sich mit dem Gallenblasengange vereinigt hat, verliert seinen Namen und wird nun von dieser Vereinigung ab bis zum Eintritt in den Zwölffingerdarm gemeinschaftlicher G a l l e n g a n g ( d u c i u s choledochus) genannt. Die B e s t a n d t e i l e der Galle sind von mehreren Chemikern untersucht und, wie verschieden auch die Resultate und darnach die einzelnen Angaben ausgefallen sind, so stimmen doch alle darin überein, dass in ihr ausser mancherlei Mittelsalzen ein harziger, ein fetter und ein färbender Bcstandtheil sich finden, in deren jedem der Kohlenstoff vorherrschend ist. Dass dieser aus dem Blute ausgeschieden und das Blut dadurch zu dem vollständigeren Oxydations-Prozesse in den Lungen vorbereitet werde, scheint eine Hauptbestimmung der Leber zu sein. D i e in ihr bereitete Galle aber dient im Darmkanal wahrscheinlich zur Beförderung jenes nöthigen Scheidungsprozesses, durch welchen die nährenden im Körper verbleibenden Stoffe von denjenigen gesondert werdeu, die als nicht weiter brauchbar ausgeführt werden sollen, und mit welelicn, nachdem die Galle ihren Zweck erfüllt hat, auch der nicht verbrauchte Theil derselben aus dem Körper entfernt wird. Wenigstens lindet m a n jene oben er-

9 wähnten drei B e s t a n d t e i l e der Galle, nämlich den harzigen, den fetten und den färbenden St olí, in den Abgängen des D a r m k a nals eines gesunden Menschen jederzeit wieder. E s ereignet sich z « Zeiten, dass der gemeinschaftliche Gallcngang, sei es durch K r a m p f oder ein mechanisches Ilinderniss, verstopft wird.

D a n n kann die Galle nicht in den D a r m k a n a l

gelangen und die nächste Folge davon ist ein unvollkommner Verdauungs-

und Aussonderung» - P r o z c s s .

wird nicht gehörig ausgeschieden

Der

Nahrungssaft

und den Abgängen fehlt der

feculento Geruch und die gewöhnliche dunkele F ä r b u n g .

Wenn

aber dieser Zustand einige Zeit dauert, gesellen sich noch andere bedeutendere B e s c h w e r d e n hinzu.

Die L e b e r - G a l l e ,

nicht in den Zwölffingerdarm gelangen k a n n , sammelt

die

sich in

der Gallenblase, dehnt diese aus, durchdringt zuletzt ihre P o r e n und

wird

von

jenen

zahlreichen

einsaugenden

Gefässcn,

die

die äussere W a n d der Gallenblase u m g e b e n , aufgenommen und vermittelst des S y s t e m s der lymphatischen ganzen K ö r p e r nungen z u m

verbreitet, w o

Gefässc

durch den

dann jene krankhaften Erschei-

Vorschein k o m m e n ,

die

unter

dem N a m e n

der

Gelbsucht bekannt genug sind. Es

kann hier nicht die Absicht

diese Krankheit zu handeln.

sein,

ausführlicher

über

Für den Z w e c k dieser Abhandlung

ist es hinlänglich, die Hauptkennzeichen

der Gelbsucht

anzuge-

ben, nämlich die weisslichgrauc F a r b e der E x c r e m e n t e , ohne fckulenten Geruch, die grosse Unbchaglichkeit, Appetitlosigkeit und Ucbclkeit des K r a n k e n , die dunkle F a r b e seines U r i n s ,

welclic

in der W ä s c h e gelbe Flecke hinterlässt, und die gelbe nachmals grünliche und im Haut.

schlimmsten Falle fast s c h w a r z e F a r b e

D i e alleinige Ursache des Uebels aber ist

der

Verstopfung

des gemeinschaftlichen Gallenganges, w o b e i die Galle z w a r

aus

der L e b e r heraus und in die Gallenblase hinein, nicht aber in den Zwölffingerdarm gelangen kann, sondern vermittelst der einsaugenden G e f ä s s c der Gallenblase zunächst dem lymphatischen S y stem, durch dieses aber auch der B l u l m a s s e zugeführt wird.

II.

Uebcrgang,

Begreiflicher W e i s e aber miisslcn Erscheinungen

von g a n z

anderer Art sich zeigen, w e n n e t w a durch irgend ein Hinder-

10 niss aucli der Lebergaug und dessen Zweige verstopft würden, und also die Galle gar nicht aus der Leber heraus könnte, sondern in der Substanz, dem Marke derselben, zurückgehalten würde. Zwar in dem Darmkanale, in welchen, ebenso wie bei der Gelbsucht, keine Galle gelangen könnte, würden gleichartige Erscheinungen wie bei jener Statt haben; in den sonstigen Symptomen aber würde eine merkliche Verschiedenheit sich zeigen müssen. Die Galle nämlich, welche gar keinen Abfluss hätte, würde zunächst in der Substanz der Leber festgehalten werden und diese strotzend anfüllen, bald aber von den Mündungen der Leber-Venen aufgesogen, von diesen immer weiter in die untere Ilohlader und aus dieser zuletzt in die rechte Herzkammer selbst getrieben werde». Statt eines durch die Leber-Secretion entkohlten und für den Respiratious-Prozess in der Lunge vorbereiteten Blutes würde also ein Blut in's Herz und demnächst in die Luugen freien, welches nicht nur allen Kohlenstoif, wie solcher in dem Pfortadcrblulc vorhanden war, noch unvermindert enthielte, "sondern obenein mit einer ganz fremdartigen Materie, nämlich mit der in der Leber zurückgehaltenen und verdickten Galle vermischt sein würde; und zwar wahrscheinlich dergestalt, dass nicht etwa eine aus beiden Bestandteilen zusammengesetzte homogene Flüssigkeit, nämlich ein gallichtes Blnt entstanden wäre, sondern dass beide, nämlich Pforladcr-Blut und Galle noch neben einander ein jedes im unveränderten Zustande beständen und nur durch einander gemengt wären. Versuchen wir einmal uns vorzustellen, welches die unausbleiblichen Folgen dieser naturwidrigen Mischung sein müssten. Schon in der rechten Herzkammer würde die mit* intretciide Galle ganz ungewöhnliche Wirkungen hervorbringen, noch mehr aber in den Lungen, in welchen die eingeathmete Luit nicht einmal das stark earbonisirte Blut säuern, auf die eingetriebene Galle aber gar keine oder doch nur eine sehr schwache Wirkung hervorbringen könnte. Hiernach miisste also ein höchst unvollkommen entkohltes Blut und mit demselben wahre Galle auch in die linke Herzkammer gelangen, um von hier aus den Circnlatioiis-Gang durch die Arterien anzutreten. Unruhige Bewegung des Herzens und Beklommenheit in der Lunge würde

11 die unmittelbare Folge d a v o n fein, die natürlich mit jedem Athemzuge und Herzschlage sich vermehren und zuletzt zu ganz unerträglicher Angst und Pein sich steigern müssle. W e i l aber das arterielle System nur durch rolhes, [gesäuertes, entkohltes Blut zu seiner cigenthümlichen contractiven Thätigkeit gereizt wird, so müsste auch diese Thätigkeit in dem Maasse abnorm werden oder sich vermindern, in welchem das gewohnte Reizmittel seine natürlichen Eigenschaften verlöre oder gleichfalls sich verminderte. So lange die Arterien noch gesundes Blut führten, würden sie dasselbe auch in gewohnter W e i s e forttreiben; sobald aber verdorbenes Blut oder eine fremdartige Materie in sie einträte, w ü r d e sich zunächst eine unruhige und doch kraftlosere Hast ihrer bemächtigen, sie würden anfangs den widerwärtigen StolF möglichst rasch fortzubewegen versuchen, dies jedoch immer weniger vermögen und zuletzt , nachdem sie sich ganz und gar entleert hätten, völlig e r m a t t e n , es w ä r e denn, dass irgend eine einzelne gesundere Blutwclle sie wieder zu einer neuen Anstrengung momentan anreizte. Auf solehc Weise müssten sie bald blutlos zusammenfallen; w o d u r c h dann mit dem Lebens-Tui'gor im ganzen Körper auch die W ä r m e und zugleich die Thätigkeit aller jener secermrcnden Systeme, die arterielles Blut verarbeitnej also namentlich auch der Nieren, gänzlich verschwinden würde. Dagegen würde sich die ganze stockende Blutmasse in den Venen zusammenhäufen, vorzugsweise durch Riickstauung und Anastomosen, namentlich von der Leber aus durch die Pfortader in die Eingeweide des Unterleibes, aber auch nach den äusseren Theilen über die ganze Oberfläche des Körpers und zugleich in die Gefässe und Höhlen des Gehirns hinein. D o c h w ü r d e n in letzterem die Stockungen nicht sofort soporose W i r k u n g e n hervorbringen, weil zugleich der Zulluss arteriellen Blutes gehemmt wäre. Auf solche Weise w ü r d e also sehr bald eine gäuzliehc Stockung der Circulation eintreten so, dass selbst in die Lungen zuletzt kein Blut mehr einträte und w e n n in der Asphyxie es geschieht, dass das Blut stille stehet, weil die erregende Einwirkung der Nerven aufgehört h a t ; so w ü r d e hier im Gegentlieil die Circulation stocken wegen naturwidriger Beschaffenheit des Blutes, w ä h r e n d die Nerven noch ganz im gesunden Zustande

12 sich befinden könnten, ihre Anstrengungen verdoppelten, um den Stillsland des Blutes zu verhindern und eben dadurch in eine krampfhafte Thatigkeit geriethen, die ihre Wirkungen zunächst auf das Muskulär-System und vielleicht auch auf die "Verrichtungen der lymphatischen Gefasse äussern würde. Denn auch diese würden schwcrlich ihren Inhalt wie bisher in die mit dickem stockendem Blute überfüllte Schlüsselvene abzusetzen vermögen; die im Brustgange enthaltene Flüssigkeit würde vielmehr ebenfalls auf- und zuriickgestauct werden, und bei immer zunehmender Fülle, vielleicht unter krampfhafter Magen-Einwirkung, zuletzt in den Darmkanal rückwärts sich ergiessen und von diesem endlich mit dem Magen-Pankreas- und Darm-Safte, die aller Einmischung von Galle entbehrten, als eine weissliche, dünne, lade, flockige Flüssigkeit nach oben und unten durch Mund und After ausgeschüttet werden. Alles dies würden die Erscheinungen sein, die nicht ausbleiben könulen, wenn der Leber-Gang (duclus hepaticus) verschlossen wäre und also für die Galle gar kein Ausfluss aus der Leber Statt fände; Erscheinungen, die, wenn ihre Ursachen nicht bald gehoben würden, einen nahen Tod zur Folge haben müssen und zwar entweder an Uebermaass der Krämpfe, oder an Erstickung, oder an Lähmung des Gehirns, in welchcn verschiedenen Fällen dann entweder die fürchterlichsten MuskelSchmcrzen, oder ungeheure Angst und Beklemmung oder auch soporüse Zufälle dem Tode vorhergehen müssten.

III.

Die Cholera.

Und siehe da! alle diese Erscheinungen treten wirklich bei der Cholera ein, und es ist daher in hohem Grade wahrscheinlich, dass wenn auch nicht das Wesen, doch die n ä c h s t e Ursache dieser fürchterlichen Krankheit und namentlich ihrer qualvollen Symptome bestehe in einer Verschlicssung des Leberganges und wahrscheinlich auch seiner Verästelungen, und in der dadurch bewirkten Aufstauung der Galle in der Leber. Aus dem ersten Hefte des Cholera-Archivs ersehe ich, dass der Herr Doelor M o r i t z S c h l e s i n g e r bereits eine ähnliche Meinung über die Ursache der Cholera aufgestellt hat. Indessen

13 scheint aus der kurzen Notiz, welche jenes Heft über die S c h l e s i n g e r s c h e Schrift giebt, hervorzugehen, dass darin zwar im Allgemeinen „ein Krampf der Gallenwege als nächste Ursache der Cholera" angegeben, nicht aber der eigentliche Sitz dieses Krampfes und seine nolhwendige Wirkung genau bestimmt wird. •)a, wenn etwa darin, wie es den Anschein hat, ein gänzlichcs Aufhören der Leberfunction als Ursache der Krankheit angesehen würde, so möchten sich daraus ihre Symptome schwerlich befriedigend erklären lassen. Die Thätigkelt der Leber selbst, nämlich die Gallenbereitung, erscheint keinesweges gehemmt., ist vielleicht sogar erhöhet. Nur der Abfluss der secernirten Galle ist verhindert und diese muss nun unmittelbar ihren W e g in das Blut und dadurch in das Herz nehmen. W e n n ich Gelegenheit gehabt hätte, einen Bericht über die Leichen-Oeffnung eines an der Cholera Verstorbenen zu lesen, würde ich im Stande gewesen sein, die Wahrscheinlichkeit meiner Ansicht an dem Befunde der Obduction nocli genauer zu prüfen; da dies aber nicht der Fall gewesen ist, so muss ich mich hier auf den Versuch beschränken anzugeben, welche Erscheinungen in dem geöffneten Leichname zu Beweisen dienen würden, dass meine Meinung von der nächsten Ursache der Cholera in der Wahrheit beruhet. Als Mittelpunkt des ganzen krankhaften Zustandes würde sich dann die Leber darstellen, die mit einer dicken, schwarzen, zähen, schmierigen Masse in Substanz und Gefässen strotzend angefüllt sein müssle und von welcher aus, diese Anfüllung und Stockung durch die Venen liindurch, sowohl vorwärts bis in's Ilerz, als rückwärts durch die Pi'ortader in die Eingeweide des Unterleibes und vielleicht ganz besonders in die Milz hinein sich weiter erstrecken würde, während von der stockenden Materie in die Gallengefässe und zwar namentlich in den Lebergang gar nichts eingedrungen wäre. Ob eine krampfhafte Verschliessung des letzteren noch sichtbar sein würde, erscheint zweifelhaft, da der Krampf selbst im Tode aufgehört haben müsste; doch vermutlie ich, dass die Spur davon noch zu entdecken sein möchte Den augenscheinlichsten Beweis aber, dass er wirklich vorhanden gewesen, würde die Gallenblase liefern, die entweder in unverändertem und natürlichem Zustande oder wohl gar gänzlich

14 geleert und zusammengefallen angetroffen werden miisste. Ersteres nihnlich, wenn auch der gemeinschaftliche Gallengang verschlossen gewesen sein sollte, in welchem Falle sie die nämliche Quantität Galle oder doch nicht viel weniger noch enthalten würde, als sie beim Anfange der Verschliessung in sich gefasst-, Letzteres jedoch, wenn der gemeinschaftliche Gallengang geöffnet geblieben w ä r e , in welchem Falle sie die in ihr enthalten gewesene Galle noch gänzlich würde haben ausführen können "). Endlich aber miisste die chemische Untersuchung des Blutes das Dasein der Galle oder wenigstens ihrer wesentlichen Bestandt e i l e , namentlich durch ein Ucbermaass von Farbestoff in demselben ausser allen Zweifel setzen können **). W e n n diese meine Voraussetzungen gegründet sein sollten, und ich vermuthe dies mit einem hohen Grade von Zuversichtlichkeit, so würde meines Bedünkens über die nächste Ursache der Cholera kaum eine Ungewissheit mehr Statt finden können; ja, wenn ich erwäge, dass der gänzliche Mangel aller Galle in den Abgängen des Darmkanals ein constantes, nie fehlendes Symptom ***) der Cholera ist und dass der Eintritt der Besse-

ls ) Späterer Zusatz. Nach Obductions-Berichten, die nachmals zu meiner Iienntnias gekommen, findet man in der Regel die Gallenblase entleert oder massig gefüllt, dagegen die Verzweigungen des Leberganges in der Leber selbst leer. ifii ) Späterer Zusatz. Bei einer Untersuchung des Blutes eines Cholera-Kranken, die, ich nachmals irgendwo gefunden, hat man wahre Galle darin entdeckt. t ÄO ' ) Späterer Zusatz. Sehr erfahrene Aerzte haben mich nachmals versichert, dass doch auch Cholerafälle vorgekommen seien mit gallichten und sogar blutigen Excretionen. Ich zweifle nicht an der Thatsache, vermuthe aber, dass diese Fälle entweder nicht der wahren asiatischen Cholera angehört haben, sondern der schon früher gekannten gallichten Brechruhr (cholera morbus), die ebenfalls von raschem, oft tödtlichem Verlaufe ist, und der asiatischen Cholera vorherzugehen und sie zu begleiten pflegt; oder sich im allerletzten Stadio der Krankheit ereignet haben, wo der Krampf in den Lebergängen zwar gehoben, der ganze Organismus aber schon so zerstörend angegriffen war, dass der Wiedereinfluss der Galle in den Darmkanal keine Wirkung mehr hervorbringe« konnte.

15 rung jedesmal dann wahrgenommen wird, wenn die Abgänge des Afters wieder natürlich gefärbt erscheinen und feculenten Geruch haben; so scheint mir kaum ein Zweifel noch gehegt werden zu können, dass jedenfalls die Verscliliessung der Gallenwege und ihre Wiedereröffnung von dem allerbedeutendsten Einfluss auf denVerlauf der Krankheil sein müsse.

IV.

Ihre Ursachen.

Angenommen nun, dass die nächste Ursache der gefährlichen Symptome der Cholera wirklich in der Verscliliessung des duetus hepaticus und seiner Verzweigungen bestehet; so ist die Frage: welches ist die Ursache dieser Verscliliessung? Und wenn hierauf ohne Bedenken geantwortet werden könnte: ein Krampf; so würde die fernere Frage so lauten müssen: welches ist die Ursache dieses Krampfes? Die Ursache des den Lebergang verschliessenden Krampfes kann eine doppelte sein, nämlich entweder ein Nervenreiz, hervorgehend aus dem Mittelpunkte des Abdominal-Nerven-Systems. dem Sonnengefleclite, oder ein Humoral-Reiz, bewirkt durch die abnorme Beschaffenheit der in der Leber-Substanz enthaltenen Flüssigkeit, welche Beschaffenheit wiederum ihren Grund haben könnte, ebensowohl in einer krankhaften Thätigkeit der Leber selbst, als in fehlerhafter Mischung des in die Leber eintretenden Blutes, in welchem letzteren Falle man die weitere Ursache noch eine Stufe höher aufzusuchen hätte und zwar vielleicfft in der Milz, deren Hauptthätigkcit in der Vorbereitung des Blutes zum Eintritt in die Leber zu bestehen scheint. Es wird übrigens nicht gleichgültig sein, ob man zu der einen oder der anderen dieser Angaben ausschliesslich sich bekennen will. Denn wenn auch dadurch das erste Verfahren in der Krankheit nicht sonderlich modificirt werden würde, indem es hier zunächst immer nur darauf ankommen müsste, den vorhandenen Krampf zu beseitigen; so würden doch sowohl die Vorbeugungs-Mittel als die Nachkur sehr verscliieden ausfallen müssen, je nachdem der behandelnde Arzt der einen oder der an deren jener beiden Meinungen sich entscliieden zugewendet hätte. Vielleicht würde man nicht blos am sichersten gehen, Wenn man.

16 die Rücksicht auf beiderlei Möglichkeiten niemals aus den Augen verlöre; sondern auch der Wahrheit am nächsten kommen, wenn man annähme, dass nach Umständen und Constitutionen hald der eine, bald der andere jener Reize den ersten Anlass geben könne, immer aber im Verlaufe der Krankheit der Einiluss des einen auch die Gegen- oder Mitwirkung des anderen veranlassen werde. Wenn nachmals die Rede sein wird von der Art und Weise der Ansteckung, wird sich Gelegenheit finden, diesen Ge genstand noch einmal wieder aufzunehmen. Doch werden wir niemals vergessen dürfen, wie schwierig, ja wie unmöglich es ist, zu den w i r k l i c h e n und letzten Ursachen der Erscheinungen des Lebens zu gelangen, und wie das, was wir so zu nennen pflegen, eigentlich nur vorangehende Zustände sind, denen wiederum andere vorausgegangen sind und zwar in unübersehlicher Reihe, an deren Beginn sich das geheimnissvolle Wirken des Urhebers der Natur in undurchdringliches Dunkel hüllet Uns bleibt nur übrig, die Aufeinanderfolge solcher Lebens-Erscheinungen richtig zu beobachten und daraus über ihren Causal-Zusammenhang mit grösserer oder geringerer Wahrscheinlichkeit Muthmassungen zu liegen. Und so wollen wir uns denn auch hier für jetzt mit der höchst wahrscheinlichen Mulhmassung begnügen, dass die Ver, scldiessung des Leberganges in der Cholera durch einen Krampf bewirkt werde, ohne für's Erste noch näher darauf einzugchen, ob dieser Krampf von Nerven- oder Humoral-Reizen herrühre.

V.

Ihre Verbreitung nicht durch ein Miasma, sondern durch Ansteckung'.

Von welcher Art aber auch diese Reize sein mögen, so ist das wenigstens als ausgemacht anzunehmen, dass sie durch äusseren Anlass angeregt werden. Welchc Bewandniss es aber mit diesem äusseren Anlass habe, darüber herrscht grosser Zwiespalt der Meinungen, indem einige von miasmatischen atmosphärischen Einflüssen reden, die anderen einen eigenen Anstekkuugs stoff, ein Contagium annehmen.

17 Um in irgend einem Streite ein Urtheil fallen zu können, kommt es vor allen Dingen darauf an, sich den Gegenstand ganz klar zu machen, und so würden in diesem Falle die Begriffe von Miasma und Contagium genau zu beslimmen sein. Früherhin hat man beide nicht, unterschieden; in neueren Zeiten aber pflegt man unter Miasma einen aus atmosphärischen Einflüssen erzeugten Stoff von eigenthümlicher krankmachender Wirkung zu verstehen, unter Contagium hingegen einen im erkrankten Körper selbst erzeugten Stoff, der die nämliche Krankheit in anderen empfänglichen Körpern zu erzeugen vermag. Dass es Contagien giebt, unterliegt keinem Zweifel; die Pocken-Lymphe, das siphylitische Gift, die Krätz-Materie, der Geifer der Hundswüthigen sind Stoffe, welche in andern Körpern die nämlichen Krankheiten hervorbringen, deren Producte sie selbst sind. Ob es aber wirkliche Miasmen gebe, ist eine andere Frage. Denn wenn man auch nicht in Abrede stellen kann, dass durch atmosphärische Einflüsse Krankheiten erzeugt werden, wie dies die Wirkungen der aria cattiva in der campagna di Roma, die Sumpffieber und die Krankheiten bestimmter Jahreszeiten in den Tropenländern beweisen, so braucht man doch deshalb nicht eigentümliche krankmachende Stoffe anzunehmen, da aus veränderten Mischungsverhältnissen der Atmosphäre, ja aus der relativen Verminderung und dem Mangel gewisser Stoffe in der Luft jene Erscheinungen eben so wohl und vielleicht mit grösserer Wahrscheinlichkeit erklärt werden können. Auch pflegt man meines Wissens bei jenen endemischen Krankheiten nicht von Miasmen zu reden. W o h l aber spricht man von Masern-, Scharlach-, Röthein-Miasmen, als von eigenthümlichen in der Atmosphäre erzeugten Stoffen, welche in empfänglichen Körpern die genannten Krankheiten hervorbringen, ohne dass man jedoch im Stande wäre, sie irgendwie darstellen oder nur nachweisen, noch weniger angeben zu können, wie sie siel» in der Atmosphäre entwickeln. Dass dergleichen Stoffe in der Luft suspendirt werden können, ist zwar möglich, allein so lange wir über ihre Beschaffenheit nichts wissen, lässt sich auch über ihre Entstehungsart keine Meinung hegen; wenigstens ist nicht abzusehen, warum man nicht, wenn man einmal das Dasein solcher imperceptibeln

18;. Stoffe voraussetzen will, sie nicht gleich für wirkliche Contagien ansieht, die von der Luft entführt und verbreitet werden, zumal man nicht zweifeln darf, dass es Ansteckungsstoffe giebt, die auf weite Räume verpflanzt werden können und nach langer Zeit noch ihre Wirkung behalten. Jedenfalls ist die ganze Theorie der Miasmen ohne allen praktischen Nutzen, da die blosse Meinung, dass es dergleichen räthselhafte Stoffe gebe, durchaus zu keinen Schulzmitteln gegen ihren vermeintlichen Einiluss führen kann. Gegentheils kann es die verderblichsten Misgrille bewirken, wenn etwa die aus Contagien entstandenen Krankheiten nur miasmatischen Einflüssen zugeschrieben würden. Besonneue und gewissenhafte Aerzte pflegen daher auch die Contagiosität der Krankheiten lieber zu vermuthen als zu leugnen, und wenn sie auch hcrgebrachtermaassen Miasmen von Contagien unterscheiden, doch immer anzunehmen, dass sogenannte miasmatische Krankheiten fast ohne Ausnahme auch ansteckend sind, wenigstens auf ihrer Höhe (Akme) Contagien erzeugen, durch welche sie unzweifelhaft fortgepflanzt werden. Will man auch nur von diesem Gesichtspunkte aus die Natur der Cholera betrachten; so begreift man kaum, wie es möglich ist, dass erfahrene und nachdenkende Aerzte die Contagiosität derselben geradezu ableugnen und ihre Verbreitungsart blos miasmatisch atmosphärischen Einflüssen zuschreiben können. Und nur wenn man sich an jene in unsrer seltsamen Zeit so allgemeine Sucht erinnert, in allen Stücken, im Denken wie im Handeln, im Leben wie in der Wissenschaft, selbstständig und eigentliümlich, neu und absonderlich erscheinen zu wollen, wird man sich weniger wundern, dass Aerzte von berühmtein Namen ilnc Gelehrsamkeit und ihren Scharfsinn aufgeboten haben, um eine Meinung zu vertlieidigen, die von dem unbefangenen gesunden Menschenverstände als jedes Grundes entbehrend muss angesehen werden. Im fernen Oriente entsteht vor anderthalb Jahrzehnden eine Seuche, von deren Bösartigkeit der Ruf bald auch zu uns gelangt. Der Verkehr, welchen Europäische Industrie und Bildung fast über die ganze bewohnte Erde ausgedehnt, bringt uns mit der Kunde von den Verlleerungen dieser neuen Pest auch die Beschreibung ihres Verlaufes, die aber auf keine der zahl-

19 losen uns bekannten Krankheiten passt und nur an die Clironiken-Mähr früherer Plagen erinnert, vvelelie vor Jahrhunderten auch vom Aufgange her Europa in iinenlhülltein Grauen würgend durchzogen sind. Zwölf Jahre wüthet sie im alten Asien und schlachtet Millionen Opfer, den grossen Strassen des Verkehrs folgend und vorzugsweise die Wasserwege und die Küstenzüge sich erwählend. Endlich dringt sie durch Russland auch gegen Europa an nnd der Schrecken geht vor ihr her. Denn sie schont nicht Alter noch Geschlecht; sie ermattet nicht in der Glut des Süden und erstarret nicht im Eise des Norden; keine Macht bezähmt ihren Grimm; wen ihr Gift erreicht., der ist dem Tode geweihel; sie überfallt, sie martert, sie würgt und zeichnet auch den Leichnam noch mit grauenvoller Entstellung. So drohet das Uiigethiim eine Zeitlang von fern, dann urplötzlich bringt der Krieg es von den Ufern der Wolga an das Bette der Weichsel. Oestreich und Preussen, die mächtigen Grenzhüter des Occidents von Europa, waffnen ihre Heere um es zurückzuweisen. Aber vergebens! Eigennutz uud Notli verachten die gedrohete Todesstrafe und finden ihre Steige durch doppelte und dreifache Grenzwehren. Und nun ist sie da! Man spürt aus, woher sie gebracht und wer sie eingeschleppt; von dem Punklc wo sie ausgebrochen, schreitet sie weiter, wie Nachbarschaft oder Verwandschaft oder Verkehr die Verbreitung vermitteln; Acrzte, Wärter, Hausgenossen werden vorzugsweise ergriffen; aber Häuser, Oerler, Landschaften, die sich abzusperren verstehen, bleiben verschont; die Heere, welche die Krankheit abzuwehren bestimmt waren, ziehen sich zurück und wie einzelne Abtheilungen in angesteckte Oerter kommen, werden auch sie befallen, die in gesunde Quartiere verlegt sind, bleiben gesund; sie stiehlt sich in die gewöhnlichen Lazarethe und ausgehend von dem Kranken, den sie zuerst befallen, wandert sie der Reihe nach von Belle zu Bette und erreicht das entfernteste zidetzt; aus der Mitte eines 'gesunden Landstriches schleichen ein paar einzelne Dorfbewohner nach einer angesteckten Stadt um Leinwand zu verhandeln und Salz einzukaufen und wie sie zurückkehren erkrankt der eine und nach ihm alle seine Hausgenossen, von denen nur einer gerettet wird; aber 2»

20 die übrigen Häuser werden abgesperrt und der Fortschritt des Uebels ist gehemmt; ja in Mitten einer Stadt wird ein einzelnes Haus befallen, alle erwachsenen Bewohner sterben aus, nur ein paar Kinder werden bald geflüchtet, aber die Wohnung wird streng bewacht, sorgfältigt gereinigt, erst nach Verlauf der gesetzlichen Sperrzeit wieder geöffnet und die Krankheit ist erstickt. Das sind geschehene Dinge, Thatsachen! W e r kann, wer darf an Ansteckung zweifeln? Wem kann es einfallen, liier an allgemeine atmosphärische Einflüsse, oder an Miasmen, wenn es überhaupt dergleichen giebt, zu denken? W e r kann versuche» wollen es wahrscheinlich zu machen, dass eine Krankheit, die im Laufe der Jahrtausende zum ersten Male auf einem einzelnen Flecke des Erdbodens zum Vorschein kommt, von diesem Flecke aus langsam aber desto sicherer immer weiter und weiter sich verbreitet, und allenthalben ganz in der nämlichen Gestalt und durchaus unabhängig von allen möglichen klimatischen und örtlichen Verhältnissen sich offenbaret, nicht durch Miltheilung und Ansteckung fortgepflanzt werde, sondern an jedem Orte auf's Neue in der nämlichen WTeise sich von selbst entwickele? W ü r d e man nicht mit ganz gleichem Grunde auch von den siphylilisclien Krankheiten und von den Pocken behaupten können, dass sie nicht ansteckend seien? Dass die Furcht dem Wunsche Baum giebt, dass das Interesse die Hoffnung hegt, die Cholera möge nicht ansteckend sein, lässt sich allenfalls begreiflich finden; dass aber diejenigen, welche ihr ganzes Bestreben auf die Beobachtung der Natur und die Erforschung ihres Wirkens gerichtet haben, solche, welche die Erfahrung und die aus ihr klar sich ergebenden Grundsätze zur Richtschnur ihres Urtheils und Handelns machen, mit einem W o r t e , dass Aerzte sich zu einer solchen Behauptung können verleiten lassen, ist mehr wie unbegreiflich. Und nicht etwa meinen sie, die Cholera scheine a u c h aus atmosphärischen Verhältnissen, ohne Ansteckung entstehen zu können; sondern sie behaupten kurzweg, die Cholera entstehe immer aus ihren eigentümlichen Ursachen, und nie durch Ansteckung. Und welches sind denn die Gründe für diese Behauptung? Ich will hier nur diejenigen anführen, die am wenigsten unha't-

21 bar erscheinen; mau w i r d daraus entnehmen können, von welcher Erheblichkeit die übrigen sind. Der erste lautet so: W e n n die Cholera ansteckend wäre, so miisste sie jeden befallen, der mit einem Cholerakranken in Berührung k o m m t ; es bleiben aber sehr viele verschont, folglich ist sie nicht ausleckend. Mit demselben Rechte w ü r d e man etwa so argumenliren können. W e n n das F e u e r zündele, so w ü r d e alles davon berührte in Flammen geselzt w e r d e n ; Viele Gegenstände aber verbrennen nicht, folglich zündet auch das Feuer nicht. W i e sehr auch das Cholera-Contagium sich von anderen Contagien unterscheiden w ü r d e , w e n n es nur auf wenige mit besonderer Empfänglichkeit versehene Individuen zu wirken pflegte, so w ü r d e es doch deshalb nicht aufboren ein Contagium zu sein. Uebrigens wird sich im Verlaufe dieser Untersuchung noch Gelegenheit ergeben, zu ermitteln, ob wirklich die Zahl der Angegriffenen so unverhältnissmässig gering sei, wie angegeben wird. Ein zweiter Grund beruft sieh auf die E r f a h r u n g , dass manche Gegenden und Orte, obgleich auf dem W e g e der Seuche belegen, doch von ihr ganz und gar verschont geblieben sind. S o das ganze Königreich Sachsen mit Dresden und Leipzig; das Königreich H a n n o v e r , die Stadt Dessau und insonderheit Brandenburg, das von angesteckten Orlen umgeben w a r und mit allen in Berührung und Verkehr blieb. Allerdings sind dies sehr auffallende und bis jetzt unerklärliche Erscheinungen; aber gegen die Contagiosität der Krankheit beweisen sie nichts, sondern nur, dass die Ansteckung nach uns noch unbekannten Verhältnissen erfolgt und in lokalen Zuständen Schutzmittel gewährt sein k ö n n e n , die wir noch nicht ergründet haben. Ein dritter Grund endlich, wclchcr etwas mehr den Sehein des Triftigen annimmt, lässl sicli folgender Gestalt v e r n e h m e n : W e n n die Cholera ansteckend w ä r e , so miisste auch ein A n sleckungs-StolF vorhanden sein; ein solchcr lässt sich aber nicht nachweisen, folglich kann auch die Cholera nicht ansieckend sein. Gleich als w e n n 1, deshalb weil noch kein ansteckender Stoff nachgewiesen ist, auch angenommen werden müsse, dass ein solcher überall nicht vorhanden sei, und 2 , keine andere

22 Ai'l der Millhcilung von Krankheiten gedenkbar sei, als \ ermittelst eines ausleckenden Slolfcs, eines materiellen Conlagiunis. Und dies mag Veranlassung gehen, das W e s e n der ausleckenden Krankheiten und die Art und Weise der Ausleekung überhaupt e t w a s näher zu erörtern. V o r h e r aber niuss noch ein Einwurf beseitigt werden, der sich ohne Zweifel Manchem aufdringen wird und der ungefähr so laulen möchte. Bei irgend einem Individuum hat doch die Cholera zuerst ausbrechen müssen; dieses hat nicht können angesteckt sein, denn sonst halte es die Krankheit nicht zuerst gehabt. Ilal sie also irgendwo aus anderen Verhältnissen als aus einem Contagio, sich erzeugan k ö n n e n , w a r u m sollte dies nicht öfter der Fall sein k ö n n e n ? W i e treffend auch dieser Einwand seheinen m a g , so lässl sich dagegen doch zweierlei erwidern. Erstlich: Die Erscheinung, dass eine durch Complicalion von Umständen einmal entstandene Krankheit nachmals sich n u r durch Ansteckung fort pflanzt und sich e i g e n t ü m l i c h nicht wieder erzeugt, ist weder neu noch unerhört, indem wir sowohl an den Pocken als an der siphylitisehen Krankheit bereits Beispiele davon haben. Beide haben sieh zu einer ungefähr bekannten Zeit zuerst gezeigt, und sind von da ab n u r durch Ansteckung weiter verbreitet worden, würden auch ohne Zweifel ausgerottet sein, sobald ein Zeitpunkt einträte, w o kein Individuum mehr daran litte. Zweitens: E s ist aber auch im hohen Grade wahrscheinlich, dass bei der ersten Entwicklung einer solchen neuen ausleckenden Krankheit ein Contagium eingewirkt habe. Man kann närnlich annehmen, entweder dass zwei Contagien zu der nämlichen Zeil denselben Körper ergriffen haben, oder dass zu einer bereits vorhandenen nicht ansteckenden Krankheit eine contagiose hinzugekommen sei. In beiden Fällen hat können ein aus beiden zusammengesetztes drittes Leiden mit contagiosem Charakter erzeugt, werden, das sich n u n als eine neue selbständige Krankheit fortpflanzt. Will m a n diese Voraussetzung gelten lassen, so ist es natürlich, dass man auch aui Muthmaassungen g e r ä t h , aus welcher

23 Complicalion denn (las neue Ucbcl hervorgegangen sein möge. Mir hat sich folgende aufgedrängl. Es ist schon von mehren Seilen bemerkt worden, welche Achnlichkeit in dem raschen Verlaufe. in der Gefahr der Zufalle und in den Krankheits-Erscheinungen selbst, namentlich in der Beschaffenheit des Blutes, die Cholera mit dem Milzbrande der Thiere habe, von welchem, wie bekannt, aucli Menschen ergriffen werden können. W ä r e es wohl geradezu unmöglich, dass diese ansteckende Thierseuche sich in einem einzelnen Falle mit einer anderen menschlichen Krankheit zusammengefunden und so die neue Pest erzeugt hätte? Doch dies nur beiläufng-, da es von gar keinem praktischen Nutzen zu sein scheint. Und nun zurück zur Sache! Wie alles organische Dasein überhaupt nur begriffen werden kann aus dem Gegensätze einer geistigen, treibenden, gestaltenden Kraft und eines wahrnehmbaren, körperlichen, gestaltungsfähigen Stoffes, so zeigt sich dieser Gegensatz ganz besonders augenscheinlich und thätig in der Region des animalischen Lebens, wo durch das unaufhörliche Zusammen- und Gegen* Wirken beider Potenzen, Factoicn, oder >vie man sie sonst nennen will, jene Bewegung hervorgebracht wird, die sich in fortwährendem Ergreifen, Verarbeiten, Aneigueu und zugleich Abwehren, Abstossen und Aussondern äussert, und welche eben das cigentliümliehe Wesen des Lebens ausmacht. Als besondere Repräsentanten und Träger jener beiden Potenzen erscheinen aber im thierischen Organismus zwei grosse, durch den ganzen Körper verbreitete und sich begleitende Funktionen oder Systeme, von denen das eine, das der Circulation, als der Leiter eines der Vitalität empfanglichen, aller möglichen Lebensgestaltung fähigen Stoffes, das andere aber, das der Nerven, als der Träger der virtuellen, gestaltenden, organisirenden Einflüsse angesehen werden inuss. Auf dem richtigen Verhältnisse beider, ihrer normalen Action und Reaction, beruht Bestand, Wolilsein und Gesundheit des thierischen Körpers; aus ihrem gestörten Gleichgewichte geht Unwohlsein, Krankheit, Tod hervor. Es ist aber klar, dass die Störung des Gleichgewichts bewirkt werden kann nicht minder von der einen, wie von der

24 anderen Seite, ebensowohl durch veränderte oder verdorbene oder feindselige Stoffe, als durch geschwächte oder gehemmte oder verstimmte Kraft. Und wenn es daher Krankheiten giebt, die von Körper zu Körper sich mittheilen, ansteckende Krankheiten, so wird auch die Art und Weise der Mittheilung, der Ansteckung, bewirkt werden können nicht blos durch Uebertragung eines krankmachenden Stoffes, sondern auch durch Fortpflanzung einer gestörten oder verstimmten Kraft. Und dass auch die letzte Art der Ansteckung wirklich stattfindet, wird bewiesen durch das Gähnen, die hysterischen Krämpfe, den Keichhusten, die Epilepsie, wclche krankhaften Zustände durch den blossen Anblick derselben in Anderen förmlich reproducirt, werden können. Es schreiben auch deshalb die Physiologen den Nerven eine besondere Eigenschaft zu, die sie bald Nachahmungstrieb, bald Mitleidenschaft (Sympathie) nennen, und die betrachtet werden kann als Auslluss und Modißcation jener allgemeinen Kraft, die das Weltall durchdringt und in mancherlei Gestaltungen und Abstufungen als Anziehung des Gleichartigen, als Geseilichkcitstrieb und als Sympathie sich offenbart, in den vernünftigen und freien Geistern aber zu bewusster Neigung, zur Liebe sich verklärt, zum reineren Abglanz jener ewigen Urliebe, die das Wesen des Urhebers der Schöpfung ausmacht. W a s aber die Mittheilung durch ansteckende S t o f f e betrifft, so scheint hier eine doppelte Unterscheidung gemacht werden zu können. Es giebt nämlich Contagien, die von empfänglichen Körpern aufgenommen, sofort ein eignes organisches Leben in regelmässigem Verlaufe beginnen. Sie keimen gleichsam, wachsen, blühen, setzen Frucht, bringen gereiften Saamen, der wieder ausgestreuet den nämlichen Lebenslauf erneuert, verwelken dann und sterben ab. Die so erzeugten Krankheiten gleichen jener grossen Anzahl annueller Pflanzen, die sich nur durch Saamen fortpflanzen. Von dieser Art sind die Contagien der Blattern, der Masern, des Scharlachfiebers, der Rölheln. Andere hingegen gleichen den wuchernden und perennirenden Vcgetabilien, die sich durch Ableger und Wurzelschösslinge immer weiter ausbreiten, zunächst auf dem ergriffenen Körper selbst, dann aber aucli auf fremden Körpern, mit denen sie in den nöthigen Contact gekommen sind. Von dieser Art sind das

25 siphylitische Gift, die Krätz-Materie, Her Geifer der Hundswüthigen und älmlicli andere Austeckungsstoffe, Contagien der Phthisis und des Typhus.

vielleicht

auch die

Die Art und Weise

aber, wie beiderlei Stoffe auf andere Körper überlragen werden können, ist entweder Einathinung, oder Einsaugung durch die Haut, oder Verschluckung,

oder auch Vermischuug

mit

dem

Blute nach vorhergegangener Verletzung. Um nun zur Cholera wieder zurück zu kehren, so erscheint es wahrscheinlich, dass diese sich auf beiderlei Art, also nicht blos durch einen contagiosen Stoff, sondern auch durch NcrvenSyuipathie fortpflanze.

Wenigstens ist es Thatsache, dass W ä r -

ter, während sie an Krämpfen leidende Cholera-Kranke zu reiben hatten, von ganz ähnlichen Krämpfen an den Extremitäten befallen worden sind.

Ob jedoch daraus nachmals die Cholera

entstanden ist, weiss ich nicht; indessen erscheint es nicht unmöglich, dass diese Krämpfe haben

bis zum Mittelpunkte des

Abdoniinal-Nerven-Systems sich fortpflanzen, von dort aus auch auf den Leber-Nerven übergehen und so die krampfhafte Verschliessung der Lebergelasse bewirken können. Der

ansteckende Stoff aber,

durch welchen

fortgepflanzt wird, scheint unbedenklich

die Cholera

zu der oben beschrie-

benen zweiten Klasse der Contagien gerechnet werden zu müssen, zu denjenigen nämlich, die nicht als reifer Same nach vollendetem Wachsthuin ausgestreuet werden, sondern, wie nur das Uebel Wurzel gefasst hat, als Ableger

und

Ausläufer

weiter

wuchern. VI.

Mutlniiaassiing'en.

E s entstehen nun aber folgende Eragen: 1) Auf welche W e i s e wird das Cholera-Conlagiuni in den Körper aufgenommen? 2 ) Gicbt es ausser der unmittelbaren Berührung oder JNähe noch andere Vermittlungen der Ansteckung? und welche sind diese? 3 ) W i e lässt sich's erklären, dass verhältnissmässig, so wenig Individuen von der Cholera wirklich ergriffen werden? W e n n ein ansteckender Stoff der Cholera bis jetzt

noch

nicht hat können dargestellt werden, so ist auch klar, dass über die

26 All, wie derselbe in den Körper aufgenommen werde, über die etwaigen Träger desselben, über die nolhwendigen Bedingungen, unter denen die Ansteckung erfolgt, und cndlieli über diejenigeu Umstände oder Mittel, wodurch die Ansteckung verhindert, oder das Contagium lieutralisirt wird, nichts zuverlässiges wird können angegeben werden. Es lässt sich daher auf obige drei Fragen nur durch Vermulliungen antworten. Ob aber die folgenden Mulhmaassungen einige Wahrscheinlichkeit für sicli haben, muss der Beurtheilung des geneigten sachverständigen Lesers überlassen bleiben.

VII.

Art der Ansteckung.

In dem ersten Hefte des Cholera-Archivs wird erzählt, wie in Radom von einem in ein besonderes kleines Zimmer gebrachten Kranken, bei welchem in der Nacht weder Fenster noch Thür geöiruct worden waren, nicht blos der Krankenwärter, sondern nach einander drei ilin am Morgen besuchende Individuen, lauter Personen , die bis dahin im Lazarelhe allen schädlichen Einflüssen widerstanden hatten und unter ihnen der dirigirende Arzt selbst, in dem Zeitraum weniger Minuten angesteckt worden sind. In demselben Aufsatze wird zugleich angeführt, dass dagegen im Alexander-llospitale in Warschau, worin während 6 Wochen unausgesetzt zwischen 40 und 70 Kranke behandelt worden sind, von dem ganzen versorgenden Personale nicht ein einziges Subject angesteckt worden ist, jedoch mit dem ausdrücklichen Hinzufügen, dass dort immer für reine Luft im höchsten Grade Sorge getragen worden sei. Nimmt man hinzu, dass gerade in den Familien und Wohnungen der ärmeren Klasse, worin es sowohl am hinlänglichen Räume als an der erforderlichen Lüftung und Reinigung zu feh'cn pflegt, die meisten Beispiele von Ansteckungen durch unmittelbare Nähe vorkommen; so muss es in hohem Grade wahrscheinlich werden, dass die Ansteckung durch die von dem Cholera-Kranken verdorbene Luft bewirkt wird. Ob aber das Contagium ausgeathmet oder ausgedünstet und hiernach auch die Ansteckung durch Einatlnnung oder Einsaugung bewirkt werde, ist eine andere Frage, bei deren Beantwortung auf die Stadien der Krankheit Rücksicht zu nehmen sein dürfte.

27 Eudioniclrische Versuche näiulicli, die mit der \ o m Cholera-Kranken ausgeatluuetcn L u f t im letzten Studio der Krankheit vorgenommen worden sind, haben gezeigt, dass mit jener Luft in den Lungen wenig oder gar keine Veränderung vorgegangen sein konnte, indem sie noch beinahe unvermindert ihren gewöhnlichen Sauersloflgchall behalten hatte, zum sicheren Beweise. dass der Eintritt des liliil.es in die Luugeu aufgehört hatte und das Athmen nur noch als gewohnte Tliäligkeit uuler dem Einflüsse der Nerven erfolgte. Schwerlich dürfte anzunehmen sein, dass unter diesen Umständen Contagien ausgehaucht w ü r d e n ; und w e n n , wie von mehreren Seiten behauptet wird, die Ansteckung sieh am meisten durch Leichcn verbreitet, so kann bei diesen an eine Ausatlnnung des Conlagiuins gar nicht gedacht werden. Dagegen aber ist es tun so wahrscheinlicher, dass in den früheren Stadien der Krankheit, w o noch Blut in die Lungen eintritt, die ciugeathmete Luft um so mehr zersetzt, nicht blos alles Sauerstoffgehaltes beraubt, sondern auch in ihren übrigen B e s t a n d t e i l e n verändert und vielleicht verderbt wird, eine Alutlimassung, die zum Tlieil durch die E r f a h r u n g bestätigt wird, dass die Einathmung reinen Säuerst oll'gases für die Kranken keinesweges belästigend w a r und in einem bestimmten Falle zur Heilung wesentlich beigetragen haben soll. Ol) n u n aber das in diesen Stadien ausgeathmete Coulagium durch Berührung mit dem Blute desjenigen, der die ververdorbeue L u f t einathmet, in den Lungen die Ansteckung vollbringt, oder mit dem Speichel vermischt und niedergeschluckt im Magen seine W i r k u n g time, muss dahin gestellt bleiben; w e n n man nicht etwa beiderlei Art der Fortpflanzung neben einander als möglich annehmen will. Nicht minder wahrscheinlich aber ist es auch, dass der ausleckende Stoff zugleich in der Ausdünstung des Cholera-Kranken enthalten sein könne. W e n n , wie oben vermuthet w o r d e n ist, auch das lymphatische System in der Cholera al'ficirt, w e n n die Cireulalion in demselben gehemmt und rückgängig gemacht; eben dadurch aber die in den Gelassen enthaltene Flüssigkeit ebenfalls verderbt w i l d ; w ä r e es dann wohl unwahrscheinlich, dass die so zurückgcstaute und aus den P o r e n der l l a u t wieder herausgepresste Flüssigkeit sowohl durch ihren Aushaucli als auch

28 noch mehr durch unmittelbare Uebertragung auf einen anderen gesunden Körper ansteckend wirken könnte? J a . ist es nicht eine Thatsache, dass die Haut der Cholera-Kranken mit einer kalten, zähen, schmierigen Feuchtigkeit überzogen zu sein pflegt? Und sollte diese, einem anderen Körper mitgetheilt und von demselben eingesogen, nicht auch die Krankheit, deren Product sie selbst ist. niiltheileu können? Und scheint diese Annahme nicht durch die schon oben erwähnte Wahrnehmung, dass durch Leichen die Ansteckung am meisten verbreitet wird, in besonderem Maasse bestätigt zu werden? Ich weiss sehr wohl, dass ich mich hier ganz auf dem Felde der Mutlimassungen befinde; indessen, so lange ihnen nicht andere von grösserer Wahrscheinlichkeit oder Erfahrungen von bestimmten Resultaten entgegengesetzt werden, dürfte es um so mehr erlaubt seiu ihnen Raum zu geben, als sie zwar vielleicht im schlimmsten Falle zu einigen überflüssigen Vorsichtsmassre. geln, niemals aber zur Sorglosigkeit oder zu verderblichen Missgriffen Anlass geben können.

VIII.

Träger des Couiagiiims.

W a s nun die zweite Frage betrifft, nämlich ob es ausser der unmittelbaren Berührung oder Nähe, noch andere Vermiltelungen der Ansteckung gebe? und welche diese seien? so ist bekannt, dass ehe die Cholera die Oder überschritten hatte, die allerängstlichsten Vorstellungen über die Verbreitungsart des Ansteckungsstoffes herrschten. Waaren aller Art, Bücher und Briefe, vierfüssige Thiere und Vögel waren im Verdacht, dass durch sie das Gift verschleppt werde und man nahm a n , dass auch Menschen, die keinesweges selbst angesteckt wären, dennoch dasselbe weiter tragen könnten. Diese anfangliche Angst hat sich bei den Ansteckungsleugnern begreiflicherweise ganz verloren, aber auch im Allgemeinen sehr vermindert, zumal nachdem man die Erfahrung gemacht zu haben glaubte, dass verhältnissmässig nur wenige ergriffen würden. In der That aber ist heute nicht weniger Grfiud zur Besorgniss als damals war. Eine ansteckeude Krankheit, deren Verbreitungsart unbekannt ist, bleibt immer ein zu fürchtendes Uebel und nächst dem Bemühen, ein Heilmittel dagegen zu entdecken, kann es kein wich-

29 tigeres geben, als die Verbreitungsart kennen zu lernen, damit man sich gegen die Ansteckung bewahren könne. Thalsaclie ist, dass Personen erkrankt sind, die mit CholeraKranken nicht in unmittelbare Berührung gekommen sind. Wenn also die Cholera sich nur durch Ansteckung fortpflanzt, so muss es ausser der unmittelbaren Nähe noch andere Leiter des Contagiums geben; und da von Blattern, Masern, Scharlachfieber und der Pest bekannt ist, dass ihre Contagicn auf weite Entfernungen verpflanzt werden; so darf auch angenommen werden, dass es mit der Cholera eine ähnliche Bewandniss haben könne. Es kömmt nur darauf an, Erfahrungen und Beobachtungen zusammenzustellen und daraus Fingerzeige zu entnehmen. Folgende Thatsachen scheinen als erwiesen angenommen werden zu können: 1) Personen, welche in Zimmer nnd Räume gekommen sind, in welchen früher Cholera-Kranke sich befunden liab.en. sind angesteckt worden. 2) Ein Individuum, das sich auf einen offenen mit Stroh belegten Wagen gesetzt hat, auf dem ein Cholera-Kranker transportirt worden war, ist angesteckt worden. 3) Ein Mann, welcher von einem anderen besucht worden ist, der unmittelbar von einem Cholera-Kranken kam, ist angesteckt worden, noch ehe die Krankheit bei jenem zum Ausbruche gekommen ist. 4) Die Frau eines Schiffers, der von einem inficirten Orte, obgleich selbst gesund zurückgekehrt w a r , und auch nachmals nicht erkrankte, ist angesteckt worden. Hiernach darf man also schliessen, dass durch die Luft, durch körperliche Stoffe und durch gesunde Personen das Gift weiter getragen werden könne. Und da liiernach auch wohl nicht bezweifelt werden kann, dass ebenfalls durch Thiere das Contagiuni verschleppt werden kann, so befremdet es mich, dass man meines Wissens noch nicht auf eine Vermuthung gerathen ist, deren Annahme in viele Dunkelheiten hinsichtlich der Verbreitungsart der Cholera einiges Licht bringen würde, nämlich: dass es die mit dein menschlichen Körper in Berührung kommenden Insekten sind, durch welche in vielen Fällen das Contagium verschleppt wird, und zwar nicht blos das Ungeziefer

30 des menschlichen Leibes bei Aermeren und Unreinlicheren, sondern hauptsächlich geflügelte Insekten, namentlich in unserem Erdstriche die Stubenfliegen. Es ist bekannt, dass die Ansteckung vornehmlich den grösseren Strassen des Verkehrs, besonders den Wasserwegen folgt, und dass sie auf letzteren noch grössere Zwischenräume zu überspringen pflegt als auf den ersteren, wiewohl sie auch zu Lande mit Uebergehung mehrerer kleinerer Orte, häufig entferntere grössere aufgesucht hat. Dies lässt sich vollständig erklären, wenn man annimmt, dass die Fliegen von dem Körper der Kranken und noch melir von dem todten Leichname das Ansteckungsgift aufnehmen, eine Zeitlang an sich behalten und gesunden Körpern wieder mitthcilen können. Fliegen verlassen das Fahrzeug, auf welchem sie sich befinden, während seines ganzen Laufes nicht, selbst wenn es an unbewohnten Ufern anlegt; erst wenn es an einem grösseren Orte, in der Nähe bewohnter Häuser angelegt hat, werden sie aus demselben in die Wohnungen gelockt. Aehnlich verhält es sich mit den Fliegen im zugemachten W a g e n , ja selbst auf offenen Wagen und so. gar auf Pferden. Diese können von Nachtquartier zu Nachtquartier, oder doch von Stallung zu Stallung mit fortgeführt werden, ohne dass sie unterweges den Wagen oder das Pferd ? auf dem sie sich befinden, verlassen. Sind also auf einem Scliiflc oder auf einem Fuhrwerk, das einen angesteckten Ort verlässl, bei der Abfahrt Fliegen, die das Contagium au sich haben, so können sie es auch auf nähere oder entferntere Orte übertragen, oline dass eine von den mitfahrenden Personen selbst angesteckt oder mit Kranken in Berührung gewesen zu sein braucht. Gewiss aber ist eine solche Verschleppung nicht, unwahrscheinlicher, als die Meinung, dass das Gift durch unbekannte siderische oder tellurische Leitungen verbreitet werde, oder auch mir durch Luft und W i n d ; welche Verbreitungsart ich übrigens auch nicht in Abrede stellen will. Nimmt man noch hinzu, dass, wenigstens im verwichenen Jahre, die Cholera, in den Monaten August bis November, also in den Fliegen-Monaten, sich besonders rasch und weit ausbreitete und dass auch in diesem Jahre mit dem Monate Julius eine Erneue-

31 rung ihres Anlaufes eingetreteil zu sein scheint, so gewinnt jene Muthmaassung dadurch eine neue Stütze. Wenn wir nun durch alle bisherigen Erwägungen zu folgenden Voraussetzungen gelangt sind: 1) die Cholera verbreitet sich nur durch Ansteckung; 2) die Ansteckung erfolgt sowohl durch Mitleidenschaft der Nerven, als durch die Wirkung eines ansteckenden Stoffes; 3) der ansteckende Stoff kann eingeathmet, niedergeschluckl oder auch von der Haut eingesogen werden und 4) derselbe wird nicht blos durch unmittelbare Nähe und Berührung mitgetheilt, sondern auch von Luft und Wind, körperlichen SLoffeu, gesunden Personen und mancherlei Insekten, namentlich auch durch die Stubenfliegen fortgepflanzt, so wird es begreiflich, wie bei so manniehfaltigen und leichten Zugängen zum menscldichen Körper das Contagium der Cholera sich allen grösseren und allgemeineren Sperrmaassregeln •zum Trotz bisher so unaufhaltsam hat ausbreiten können.

IX.

Allgemeinheit der Ansteckung.

Allein um so natürlicher ist auch die Frage; wie kommt es dennoch, dass verhällnissmässig nur so wenige Individuen von der Cholera befallen werden und so manche davon verschont bleiben, die in fortwährender Nähe und Berührung mit Kranken und Leichen gewesen sind? Man hat hierauf gemeiniglich die Antwort in Bereitschaft: das Cholera-Contagiuni er" fordert eine eigenthümliche Empfänglichkeit. W o diese fehlt, wirkt es nicht; und sehr viele Körper haben sie nicht. Indessen entbehrt diese Antwort nicht blos jeder factischen Begründung, sondern sie erklärt auch eigentlich nichts; am wenigsten aber hat sie irgend eine praktische Beziehung. Bei einer gründlichen Beleuchtung jener Frage miisste zuvörderst die Thalsachc selbst erst festgestellt werden. Es würde also zunächst darauf ankommen, zu ermitteln, ob es sich denn auch angegebenermaassen verhalte, und ob in der Tliat von so vielen der Ansteckung ausgesetzten nur so wenige wirklich ange" steckt werden. Indem dieser Versuch hier gemacht wird, sol

32 von einer etwaigen Ansteckung durch Nerven-Sympathie ganz abstraliirt und nur die Ansteckung durch einen materiellen Stoff berücksichtigt werden. Das Cliolera-Contagium gehört bekanntlicli nicht zu denjenigen ansteckenden Stoffen, für welche der nämliche Körper nur einmal iin Leben empfänglich ist; ebensowenig auch wird der Körper dagegen durch andere Krankheiten geschülzt, wie dies bei den übrigen Contagien der Fall ist; man will im Gegentheil bemerkt haben, dass Individuen, die an irgend einer anderen Krankheil leiden, für die Cholera 11m so mehr empfänglich sind. Niehls destoweniger soll das Cholera-Gift unter gesunden Personen nur hin und wieder den einen und den anderen ergreifen, über die grössere Mehrzahl aber keine Macht haben und sich mitliin nicht blos von allen anderen Contagien sondern von allen chemischen und organischen Agentien auf eine ganz besondere, schwer zu begreifende Weise unterscheiden. Es muss erlaubt sein, eine solche Abweichung von den bisher beobachteten Erscheinungen der Natur von vorn herein zu bezweifeln und zu untersuchen, ob nicht diese angebliche Anomalie etwa nur eine scheinbare sei. Man erlaube mir zu dem Ende folgende Darstellung. Gesetzt, die erste unmittelbare Wirkung des Cholera-Giftes bestände darin, dass es ausser jener erhöhten Reizbarkeit des Abdominal-Nerven-Systems, welche überhaupt nicht selten im Gefolge krankmachender Einflüsse zu sein pflegt, ganz besonders eine Verstimmung oder Veränderung in den Functionen der Milz und der Leber hervorbrächte und zwar dergestalt, dass ein dickeres, weniger seröses, mehr carbonisirtes Blut in die Pfortader geführt und in der Leber eine grössere Menge von Galle und diese von schärferer, reizenderer Beschaffenheit abgesondert würde; so'würden mancherlei Beschwerden des Unterleibes die nächsten Folgen davon sein, nämlich Drücken, Spannung, Gefühl von Kälte in der Gegend des Sonnengellechtes, vielleicht auch krampfhaftes Ziehen in den Gliedern oder auch Bauchschmerzen, Durchfall, Uebelkeit, zuletzt gallichtes Erbrechen, also ene Erscheinungen, die man schon lange mit dem Namen der Brechruhr (cholera morbus) bezeichnet hat. Alle diese ZuRille aber würden in um so milderer Gestalt sich zeigen, je mehr das

33 ergriffene Individuum von Natur eines ungeschwächten Nervensystems und überhaupt einer günstigen Leibesbeschaffcnheit sich erfreute, namentlich ein wohlgemischtes mildes Blut, eine gesunde Leber, eine freundliche Gemüthsstimmung und gute Verdaiiungswerkzeugc besässc, auch gewohnt wäre, eine verständige Sorge lind Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper zu richten und in Fällen von Unpässliclikeiten sofort zu strenger Diät und geeigneten Gegenmitteln seine Zuflucht zu nehmen. Träfe dagegen das Contagium auf ein Iudividuum von nicht so günstiger Constitution', mit geschwächtem Nerven-System, oder dickem, scharfem Blute und fehlerhafter Leber-Secretion, von cholerischem oder melancholischem Temperamente und schlechten Vcrdauungswerkzeugcn, dabei vielleicht der Unmässigkeit im Essen und Trinken ergeben, oder doch zu sorglos über den eigenen Gesundheitszustand, so würden nicht nur begreiflicher Weise alle jene krankhaften Erscheinungen zu um so grösserer Heiligkeit sich steigern, sondern es könnte nun auch das Uebel jenen Grad der Höhe erreichen, wo die eigentlichen Symptome der asiatischen Cholera zum Vorschein kämen. Indem nämlich die Gallengefässe vor der scharfen ätzenden Beschaffenheit der Galle und zugleich von dem krampfhaft erliüheten Nervenreiz sich verschlössen, könnte die Galle nicht mehr ihren Abfluss in den Darmkanal nehmen, sondern würde in der Leber zurückgehalten und bewirkte nun durch ihren Eintritt in die Circiilation alle jene fürchterlichen Zufalle, die oben beschrieben worden sind. Wollte man endlich noch annehmen, dass das Contagium, wenn es von der Luft entführt auf massige Entfernungen fortgetragen würde, an Intensität verlöre und nur jeDe leichteren Uebel hervorbrächte, dagegen um so energischer wirkte, je unmittelbarer und substanziellcr es von Körper zu Körper gebracht würde, so Hessen sich durch alle diese keinesweges unwahrscheinlichen Annahmen jene sämmtlichen Erscheinungen vollkommen erklären und in Einklang setzen, welche bisher für unerklärlich gehalten worden sind. Es würde sich dann begreifen lassen, warum vor dem wirklichen Ausbruche der Cholera an Orten, die der angesteck-

3

34 ten Gegend nahe lagen, jene mancherlei gastrisch-biliosen Krankheilszufulle vorherzugehen pflegen. Es würde ferner die Verwandtschaft zwischen der sogenannten sporadischen und der asiatischen Cholera nachgewie* sen sein. Man würde drittens nicht mehr zu der ünwalirsclieinlicheti Voraussetzung, dass das Cholera-Gift, nur wenige ergreife, seine Zuflucht zu nehmen brauchen, sondern alle jene mancherlei Unpässlichkeiten und körperlichen Verstimmungen, denen mehr oder weniger alle, die mit Cholera-Kranken in Berührung kommen, unterworfen sind und die an den angesteckten Orten und namentlich zur Zeit der Culniination der Krankheit die Mehrzahl aller Einwohner zu befallen pflegen, als Folgen wahrer Anstekkung betrachten, die jedoch bei gesunden und vorsichtigen Individuen nicht gleich ihre verderblichsten Wirkungen hervorbringe, sondern durch den rechtzeitigen Gebrauch geeigneter Mittel leicht beseitiget werden könne. Man würde viertens es ganz natürlich finden, nicht nur, dass Personen von gewissen kränklichen Leibesbeschaflenheiten, oder von unmässigem und ausschweifendem Lebenswandel, oder die auf ihre Gesundheit wenig Soigfalt verwenden können oder wollen, vorzugsweise den heiligeren Angriffen des Contögiuma ausgesetzt sind, sondern auch, dass an sich geringfügige Um' stände, wie kleine Diätfehler, Gemütlisbewegungen, Erkältungen und dergleichen plötzlich den Ausbruch der Krankheit in ihrer ganzen Bösartigkeit veranlassen können, indem es, Wenn einmal das Contagium in dem Körper aufgenommen ist, nur eines unbedeutenden Reizes bedarf, um seine Wirkung bis zu dem Grade zu steigern, dass der Krampf in den Lebergängen erfolgt. Endlich fünftens aber — und dies ist die Hauptsache, — würde hinsichtlich der Vorkehr, der Heilung und der Nachkur ein rationell-begründetes Verfahren Statt finden können, und man würde ferner weder in roher Empirie nach specilischen Mitteln alle drei Reiche der Natur zu durchwandern nüthig haben, noch auch in der schulgerechten Absicht, um dem imbekannten Feinde nach seiner scheinbaren Individualität zu begegnen, sich in einen fruchtlosen experimentirenden Kampf mit Symptomen weiter einlassen dürfen.

35 Und so wären wir denn zu den Punkten gelangt, auf welche es hauptsächlich, oder vielmehr einzig und allein ankommt, nämlich zur Untersuchung ob und wie die Cholera abgewehrt und wie sie geheilt werden könne.

X.

Abwehr.

Dass die Abwehr der Cholera von ganzen Ländern, bis zu deren Grenzen sie vorgedrungen ist, wenigstens sehr schwer sei, hat die Erfahrung hinlänglich bewiesen; und nachdem sie unter so begünstigenden Umständen, als die polnische Insurrektion darbot. sich einmal dem westlichen Europa genähert hatte, musste es bei dem mannichfaltigen öffentlichen und heimlichen Verkehrder die europäischen Länder mit einander verbindet, fast unmöglich werden, ihr Einhalt zu thun. Am wenigsten aber scheinen schiffbare Ströme geeignet, üm sich ihrer zur Verhinderung der Communication zu bedienen; da sogar unwegsam Gebirge, keine sichere Schutzwehr darbieten, selbst wenn man annehmen wollte, dass die gewöhnlichen Pässe durch wachsame treue und unbestechliche Posten jederzeit besetzt werden könnten. Nichtsdestoweniger ist eine vollkommene Absperrung, wenn sie ganz consequent durchgeführt werden kann, ohne Zweifel noch das sicherste Mittel die Ansteckung abzuhalten. Diesen strengen Spemnaassregeln verdankt wahrscheinlich Meklenburg, welches im verwiclienen Jahre von der Cholera im Halbkreise umgeben war, seine damalige Befreiung, wiewohl ich nicht in Abrede stellen will und auch vorhin schon eingeräumt habe, dass eine solche Immunität möglicher Weise ihren Grund auch in anderen bisher nicht enträthseltcn Verhältnissen haben könne. Aber auch andere grössere Landbezirke, die von allen Seiten bedrohet waren, sind von der Cholera nicht heimgesucht worden, weil sie den ohnehin schon schwächeren Verkehr mit dem angesteckten Umlande in jener Zeit ganz abgebrochen hatten. Mir ist namentlich ein grösserer District bekannt, von welchem im Sommer vorigen Jahres, als die Cholera an drei Punkten, die einen Halbzirkcl um jene Gegend bilden, sehr verheerend herrschte, durch strenge Befolgung der angeordneten Sperrmaassregehi die Seuche glücklich abgehalten ist, wiewohl gerade damals gastrisch-biliöse Krankheitsfälle, und darunter namentlich 3*

36 die gallichle Brechruhr dort so allgemein grassirlcn, dass in \iclea Ortschaften kein Haus und in manchem Hause kein Individuum davon verschont blieb. Eine Erscheinung, die man mil der damals nahen Cholera wohl in Zusammenhang bringen kann, wenn man annehmen will, dass das Conlagium, zwar von der Luft herbeigeführt, aber durch die beträchtliche Entfernung so gemildert worden sei, dass es seiue volle verderbliche Wirkung nicht habe äussern können. Aber auch in bereits angesteckten Gegenden und Städten hat strenge Absperrung der einzelnen Ortschaften oder Iläuscr unzweifelhaften Schulz gewährt. W o jedoch diese strenge Absperrung nicht durchzuführen ist, da wird wenigstens ein sorgfältiges Désinfections -Vcrfahreu eintreten können. Namentlich sollten Schiffe und Fuhrwerke aus angesteckten Gegenden a u f s vorsichtigste und so stark durchgeräuchert werden, dass die darauf befindlichen Insekten wo möglich getödtet, jedenfalls ihres AnstcckungssloH'cs beraubt würden. Aber auch in den Lazarclhen, in den Krankenstuben, von den Aerzleu, den Krankenwärtern, den Leichcnbesorgcrn, bei den Machbaren angesteckter Wohnungen und bei Allen, die sich in Zeiten naher Gefahr zu schützen wünschen, sollten Öftcrc Käucherungen nicht verabsäumt werden. Ueber die neulralisirende Kraft, wclclie das Chlor auf animalische Eftluvien ausübt, findet wohl kein Zweifel mehr Statt; und wie dasselbe das Cholera-Conlagium, wenn es in der Luft suspendirt ist, zu zerstören vermag, so wird es dieses auch, wenn es bereits eingeathmet sein sollte, in deii Lungen unwirksam zu machen im Stande sein. Ja, ich glaube nicht zweifeln zu dürfen, dass es auch im Magen darauf wirken könne und bin daher geneigt, der Salzsäure und dem Chlorwasser eine besondere schützende Kraft beizumessen. Gewiss ist wenigstens, dass die Salzsäure in jenen hartnäckigen, gallichten Durchfällen, die von einem wunderlichen Appetite, nicht zu stillendem Durste, schleimig belegter Zunge, dickcm zähem Speichel und oft starken Schweisseu begleitet zu sein pflegen und sich in der lieissen Jahreszeit nicht selten einfinden, ganz ausserordentliche schnelle Dienste leistet, so dass nach mchrwöchenlliclier, ja monallanger vergeblicher Anwendung aller möglichen Millel, die Salzsäure

37 in 24 Stunden das Lehel hebt und zugleich den geschwächten und ci'inatleleii Körper auf eine fast wunderbare Weise wieder erfrischt. Es lässt sich dies auch .wohl erklären. Bekanntlich enthält der gesunde Magensaft eine nicht unbelrächlliehe Menge von Salzsäure; diese findet sich auch in dem Speisebrei noch vor, verschwindet jedoch immer mehr nach Maassgabe als der Chynius in den dünnen Gedärmen vorrückt, und wird nachher höchst wahrscheinlich von den alkalischen Bestandteilen der Galle neulralisirt. In allen Fällen also, wo entweder der Magensalt nicht die erforderliche Menge vou Salzsäure enthält, oder auch die Galle in zu grosser Menge oder in zu reizender alkalischer Beschaffenheit abgesondert wird, muss die Salzsäure und zwar ganz auf chemische W eise sich besonders heilsam erweisen. Ausserdem aber scheint es, als wenn sie überhaupt das Abdominal - Nerven - System eigenlhümlich zu erfrischen und zu stärken vermöchte. Daher glaube ich denn auch sie für ein besonderes Schutzmittel gegen die Cholera ansehen zu müssen, indem sie nicht blos die etwa verschluckte Ansleckungs-Malerie unschädlich zu machen im Stande ist, sondern auch nach bereits wirklich erfolglcr Ansteckung jene gaslrisch-bilioscn Zufälle, die als mildere Wirkungen des Conlagiums angesehen werden dürfrn, schncll und zuverlässig beseitigen und zugleich das aufgeregte Ganglien-System beruhigen und stärken wird. W e r zur Zeit wo die Seuche herrscht bei übrigens vorsichtiger Diät und Vermeidung von Erkältungen täglich einen oder zwei Esslöflel voll einer Mischung von einer Drachme concenIrirter Salzsäure und sechs Unzen Pfeflermünzwasser mil etwa einer Unze Althaca-Syrup nehmen will, der wird darin meines Eraclitens ein recht wirksames Präservativ finden. Man hat auch Pechpllaster, in die Magengegend gelegt, als Präservativ empfohlen und ich zweifle nicht, dass sie wirksam sein können. Wenigstens leisten sie in jenen langwierigen trockenen Husten, die gewöhnlich Magcnhiisten genannt zu werden pflegen und in einer durch Gewohnheit fixirten Reizbarkeit des plexus phreuicus ihren Grund haben, vortrcllliche Dienste. Und wenn man bedenkt, wie wirksam sich beim Keichhuslcn die Einreibungen der Brecliweiustein-Salbc in die Herzgrube-beweisen, so dürfte man vermutheu, dass auch diese als Präservativ dienen könnten.

38 Ueberhaupt, w e r d e n alle diejenigen Mittel, w e n n a u c h n i c h t v o r der A n s t e c k u n g ,

doch

v o r d e m A u s b r u c h e der C h o l e r a

bewah-

ren k ö n n e n , w e l c h e e i n e k r a m p f h a f t e A u f r e g u n g der U n t e r l e i b s Nerveu

zu

verhüten

im

Stande

sind.

Wie

überdem

höchste

Massigkeit, n a m e n t l i c h i m G e n ü s s e geistiger Getränke, e i n e s t r e n g e D i ä t init v o r s i c h t i g e r V e r m e i d u n g alles d e s s e n , w a s irgend e i n e n ung e w ö h n l i c h e n oder z u starken Reiz in d e m Darmkanale bringen u n d d a d u r c h a u f d a s A b d o m i n a l - N e r v e n s y s t e m wirken könnte,

uud Bewahrung

vor

allen h e f t i g e r e n

hervorerregend

Gcmüths-

b e w e g u n g e n unerlässlich sind, u m d e n v e r d e r b l i c h e n W i r k u n g e n d e s C o n t a g i u m s z u e n t g e h e n , ist s c h o n s o oft e i n d r i n g e n d e m p f o h l e n w o r d e n , dass e s hier einer e r n e u e r t e n E r m a h n u n g nicht bedürfen w i r d

" ) Gewöhnlich pflegt auch als Schutzmittel empfohlen zu w e r d e n , dass man sich aller Aengstlichkeit und furchtsamen Besorgniss cntschlagen und dagegen guten Muth fassen solle. Zweifel, dass F u r c h t und Angst gerade

Auch unterliegt es keinem

auf die Thätigkeit der Leber

sehr entschieden einwirken und daher für die Cholera besonders disponiren

k ö n n e n ; indessen ist es nicht minder gewiss,

in des Menschen

Gewalt

steht,

sich

seinen Gefühlen

prä-

dass es nicht zu

entziehen.

Diese kommen ohne Zuthun des Willens aus der natürlichen B e s c h a f fenheit des Begehrungsverniögens und die Vernunft hat nur

insoweit

Macht über sie, als sie deren Aeusserungen, nämlich AVorten und H a n d lungen den Zügel lassen oder sie im Zamn halten kann.

Daher kann

z w a r der Wille auch dem Furchtsamen die Kraft verleihen, sich selbst zu ü b e r w i n d e n und seinen natürlichen Empfindungen z u w i d e r w i e ein Muthiger zu handeln; aber er vermag nicht j e n e natürlichen E m p f i n d u n gen selbst zu unterdrücken und das Gefühl der Angst in das des Mutlies umzuwandeln.

W e r also sich vor der Ansteckung f ü r c h t e t ,

der

tliut wohl sie zu v e r m e i d e n ; w e n aber trotz seiner Furcht die E r f ü l lung der

Pflicht oder

Krankheit treibt,

Antrieb der Menschlichkeit in die Region

der hat ohne Zweifel noch eines a n d e r e n ,

der

höheren

Schutzes sich zu getrösten, als den blos materielle Präservative g e w ä h ren können, eines Schutzes, dem gottcsfiirchtige Aerzte und pfleger mit Vertrauen und Ergebung sich zu empfehlen versäumen

werden.

Kranken-

gewiss

nicht

39

XI.

Heilung.

W a s nnn endlich das Heilverfahren betrifft, so würde dieses, wenn meine Ansicht von der nächsten Ursache der Cholera gegründet ist, ferner wenigstens keiner ralhlosen Ungewissheit mehr unterworfen sein. Es gäbe dabei zunächst nur eine einzige dringende Indication, nämlich den vorhandenen Krampf in den Lebergefässen zu heben, damit die Galle wieder ihren natürlichen Abfluss erhalle. Dies wäre das erste, nächste, einzige Ziel, auf welches das ganze Verfahren sich richten müsstc und erst, wenn dieses Ziel erreicht wäre, würde es Zeit sein auf eigenthümliche Weise gegen diejenigen besonderen Uebel zu wirken, die sich als Folge des Hauptübels in mannichfallig verschiedener Art entwickelt haben können. Also: wenn meine Ansicht die richtige ist; so ist auch das H e i l v e r f a h r e n hinsichtlich seines Zieles klar und folglich leicht; ob aber auch die H e i l u n g leicht sei, wird von mehren anderen Umständen abhängen, namentlich 1) von der eigenlhümlichen Leibesbeschaffenheit des Kranken; 2) von der Pflege und Aufmerksamkeit, die ihm nach seinen: Verhältnissen zu Tlieil werden kann; 3) von dem Stadio der Krankheit, worin die ärztliche Hülfe' gesucht wird und 4) von den Heilmitteln selbst, deren sich der Arzt bedienen will. W a s den ersten Punkt betrifft, so ist darüber schon vorhin das Nölhigc gesagt und sowohl diejenige Leibcsbeschaffenheit geschildert worden, bei welcher die Zufälle der Cholera in milderer Gestalt sich zeigen werden, als auch diejenige, bei welcher ein heftigerer und gefährlicherer Verlauf zu erwarten ist. Eben so wenig bedarf es liier eines besonderen Beweises dass, wie bei jeder bedenklichen Krankheit, so ganz besonders, bei diesem in seinem Anfalle so plötzlichen, in seinen Symptomen so fürchterlichen, in seinem Verlaufe so raschcn Ucbel, die äusseren Verhältnisse des Kranken und die dadurch bedingte Beschaffenheit der Pflege, welche ihm zu Tlieil werden kann vom wesentlichsten Einflüsse auf günstigen oder ungünstigen? Ausgang sein werden.

40 Endlich wird es auch nicht nöthig sein ausführlich darzutliun, dass die Heilung einer jeden lebensgefährlichen Krankheit leichter ist, wenn gleich bei ihrem Beginne ärztliche Hülfe gesucht und geleistet wird, als wenn dies erst dann geschieht, wenn die Zufälle bereits einen höheren, wohl gar den höchsten Grad der Heftigkeit erreicht haben. Bei der Cholera aber kommt noch hinzu, nicht nur, dass die cigenthümlichc Gestalt der Krankheit, die fast niemals ohne fortwährendes Erbrechen auftritt, die Wirkung aller innerlich angewendeten Mittel ungemein erschwert 5 sondern auch dass selbst dann, wenn es dem spät angewendeten Verfahren, — was immer sehr zweifelhaft bleiben wird — noch gelingen sollte, das eigentliche Ucbel selbst zu bewältigen, dennoch durch den Aufschub der Hülfe diejenige Gefahr in hohem Grade vermehrt wird, welche von den Folgen der Cholera und den aus ihr sich entwickelnden secundären Krankheiten zu besorgen ist. Und somit bliebe hier nur noch übrig, von den Heilmitteln zu reden. Die Heilung kann nur erfolgen, wenn der Krampf in den Lebergefässen gehoben wird; es sind also Mittel indicirt, die diese Wirkung hervorbringen können, und es bietet zunächst die ganze beträchtliche Menge krampfstillender Mittel ihre Dienste an. Indessen wird es keinesweges gleichgültig sein, zu welchen von diesen man seine Zuflucht nimmt, da, gleichwie der Krampf selbst nach Ursachen und Erscheinungen sehr verschieden sein kann, eben so auch die dagegen augewendeten Mittel in ihrer Wirkungsart von sehr verschiedener Beschaffenheit sind und sein müssen. Jeder Krampf ist zwar abnorme Zusammenziehung von Muskelfasern, aber er entsteht ebensowohl aus qualitativen als aus quantitativen Veränderungen derjenigen natürlichen Reize, auf welche im gesunden Zustande jene Zusammenziehungen in der zum Lebensprozesse erforderlichen Weise erfolgen sollen. Die Ursachen des Krampfes können also sein: Mangel an Reiz, Uebermaass des Reizes und veränderte Beschaffenheit des Reizes; und es ist klar, dass in jedem dieser Fälle ein anderes Heilverfaliren wird beobachtet werden müssen.

41 Die Cholera ist bekanntlich von heftigen krampfhaften Zufällen begleitet, welche sowohl die äusseren Gliedmassen als die inneren Theilc befallen und zu dem schmerzhaften Leiden der Kranken nicht wenig beitragen. Man würde indessen meines Erachtens selir irren, wenn man diese Krämpfe für gleichartig mit jenem Krämpfe, durcli welchen die Gallengefässe verschlossen werden, halten und vorzugsweise das Verfahren auf ihre Beseitigung richten wollte, meinend, dass man dadurch auch die Hebung jenes anderen Krampfes bewirken werde. Dies würde vielleicht nur in dem einzigen Falle geschehen können, wo die Ansteckung in der oben erwähnten Weise blos durch NervenSympathie ohne alles Zuthun eines materiellen Contagiums erfolgt wäre. Diesen besonderen, gewiss sehr seltenen und niemals vorauszusetzenden Fall ausgenommen sind die Muskelkrämpfe des Cholera-Kranken immer nur von secundärer Beschaffenheit; sie sind Folgen des Hauptübels und verschwinden wie jenes gehoben ist. Sie entstehen aus der Entleerung und Erschlaffung der Arterien, also aus Mangel des gewohnten natürlichen Reizes; der Krampf in den Lebergefdssen hingegen, welcher als die nächste Ursache der Krankheit selbst zu betrachten ist, rührt ohne Zweifel von Uebermass oder fremdartiger Beschaffenheit des Reizes her. Daher werden denn auch alle diejenigen krampfstillenden Mitlei, die zugleich reizend wirken, in der Cholera höchstwahrscheinlich nur schädlich sein, wie die Asa foetida, die Valeriana, der Moschus, der Kampfer, das Castoreum, die Naplithen, und alle mit Wein oder Weingeist präparirteu Medicamcnte. Nützlich hingegen können sich sowohl diejenigen erweisen, welche allgemein besänftigen und erschlaffen, als auch ganz besonders diejenigen, welche durch specifischen Gegenreiz ableiten. Unter den Mitteln der ersten Art stehen ohue Zweifel die heissen Bäder oben a n ; unter denen der anderen Art nimmt wahrscheinlich die Ipecacuanha und der Brechweinstein in ekelmachenden oder auch brcchenerregendcn Gaben einen der ersten Plätze ein, nächstdem aber mancherlei äussere Ableilungsniittel, Reibungen des ganzen Körpers, Vesicatorien und Rubefacientien. aber auch die kalten Begiessungen und Einwickelungen, vielleicht ganz besonders kalte Spritzbäder auf die Herzgrube gerichtet.

4

42 E s kann kcinesweges meine Absicht sein, hier ein Heilverfahren in allen seinen Einzelheiten angeben zu wollen, welches in jedem Falle angewendet werden könnte; noch auch darf ich mir anmaassen, Arzneimittel als solche bezeichnen zu wollen, von denen gewisse Hülfe zu erwarten sei; aber ich zweifle nicht, dass praktische Aerzte sehr bald zu einer sicheren und erfolgreichen Behandlungsart und zu wirksamen Heilmitteln gelangen werden, sobald sie nur mit sich selbst im Reinen sind, welches Ziel sie zu verfolgen haben, und nicht mein-, wie bis jetzt, sich genöthigt sehen, ihr Verfahren ohne sicheren Anhalt nur nach Muthmaassungen und einzelnen Symptomen einzurichten. Ob dann die Wirksamkeit solcher Mittel, von denen man bis jetzt will Hülfe bemerkt haben, wie der Zinkblumen, des Wismuth und des Opiums, sich unbedingt bewähren, oder ob man ihre Anwendung auf gewisse Stadien der Krankheit zu beschränken haben, oder endlich ob ihr Gebrauch und namentlich der des Opiums wegen zu befürchtender späterer Folgen immer bedenklich bleiben werde, wird sich dann gleichfalls aus längerer und bestimmterer Erfahrung mit grösserer Gewissheit ergeben. Ich für meinen Theil aber halte es nicht für unmöglich dass die Nicotiana sich heilsam beweisen könne, da ihre heftigen aber gefahrlosen und schnell vorübergehenden Wirkungen sie ganz geeignet machen, einen kräftigen und rasch ableitenden Gegenreiz hervorzubringen, ohne dass davon fiir die nachfolgenden Zustände ein nachtheiligcr Einfluss zu besorgen wäre. Denn freilich ist die Sache noch keinesweges damit abgetlxan, dass die nächste Ursache der Cholera gehoben ist und die ihr ausschliesslich eigenthümlichcn Symptome beseitiget sind. Vielmehr beginnt in der Regel nunmehr erst der schwierigere Theil des ärztlichcn Wirkens. Denn, die wenigen Fälle ausgenommen, wo die Krankheit gleich im ersten Beginne angegriffen und überwältiget worden ist und also nicht Zeit gehabt hat heftigere secundäre Uebel zu veranlassen, pflegen die mannichfaltigsten und verschiedenartigsten Krankhcitszuständc und zwar zum Theil von höchst gefahrlicher Beschaffenheit sich erst als Nachkrankheiten und Folgen des Hauptübels einzufinden. In dem zweiten Heft des Cholera-Archivs ist ein ganzes Heer solcher Krankheiten namhaft gemacht, die ein einzelner

43 Arzt als Folgen der Cholera

beobachtet, h a t , und ich

zweifle

nicht, dass jene Menge noch durch eine belrächliche Anzahl anderer

dort

nicht

genannter

Uebel

vermehrt

werden

könnte.

Nichts destoweniger bin ich der Meinung, dass jene grosse Mannichfaltigkeit von Nachkrankheiten fuglich unter folgende HauptFamilien könne geordnet werden: 1) Affectioncn des Darmkanals, bewirkt durch die Menge und Schärfe der nach gehobenem Krämpfe in den Lebergängen wieder einfliessenden Galle; 2)

Stockungen venösen Blutes in einzelnen Thcilen und Eingeweiden, besonders in Leber, Milz, Pancreas und Nieren, übergehend in Entzündungen, wenn bei wiederhergestellter Circulation das neu einströmende Blut die Anfiillung in den kleinen Gefössen zu überwältigen nicht vermag;

3 ) ganz besonders Anhäufungen im Gehirn und daher nach Umständen Gehirn-Entzündungen

oder

soporose

Zufälle

und Schlagflüsse; 4 ) allgemein geschwächtes Nerven-System und daher mancherlei Krankheiten mit nervösem Charakter, wirkliche Ncrvenfieber und T y p h u s ; 5 ) Entmischung und Yerderbniss des Blutes und der secernirten Säfte; und endlich 6)

Nachwirkungen der gegebenen heftigen Medicamente. Schwerlich

dürfte

irgend

eine Krankheitserscheinung

als

Folge der Cholera vorkommen, die nicht unter eine der angeführten Gattungen geordnet werden könnte.

Z w a r werden in

den melirsten Fällen Complicationen stattfinden, die ein gemischtes Verfahren

erforderlich machen;

immer aber wird meines

Erachtens der Arzt sein erstes und nächstes Augenmerk auf die Wirkungen zu richten haben, welche die in vermehrter Menge und reizender Beschaffenheit wieder cinfliesscnde Galle in dem Darmkanal hervorbringen muss; und wie inannichfaltig auch die sonstigen Indicationen sein mögen, niemals wird die Rücksicht dürfen vernachlässigt werden, dass die Schärfc der Galle gemildert und ihre unschädliche Excrction bewerkstelligt, werde. Unter den Mitteln aber, welche dazu angewendet werden können, scheint wiederum die Salzsäure den Vorzug zu verdienen, uud zwar um so m e h r , als sie auch in den übrigen

44 Zuständen in keinem Falle schaden, in den unter 4) und 5) gedachten Fällen aber sich ohne Zweifel sehr heilsam beweisen würde. Ueberhaupl aber glaube ich, auf die belebende, erfrischende und die Säfte verbessernde Wirkung dieses einfachen Mittels nicht genug aufmerksam machen zu können. XII.

Scliluss.

Ich habe meine Aufgabe beendigt; ob ich sie auch gelöset habe, muss dem Urtheile der Sachverständigen überlassen bleiben. Es war nicht meine Absicht, ein Bild der Krankheit durch Zusammenstellung aller ihrer Erscheinungen zu entwerfen; an solchen Beschreibungen fehlt es nicht; es war auch nicht meine Absicht, ein neues Heilverfahren vorschlagen oder ein bewährtes aus den bisherigen Erfahrungen zusammensetzen zu wollen; ich habe nur versucht, die n ä c h s t e n Ursachen dieser neuen Pest zu entdecken, und bin dabei lediglich der Spur gefolgt, die ich in den Erscheinungen selbst und in deren Beziehungen linden konnte. Ist mir dieses gelungen, so ist auch der W e g gezeigt, um zu einem sicheren Heilverfahren zu gelangen, das sich bald aus den mannichfaltigen Erfahrungen beobachtender Aerzte zusammenstellen wird. Dass dann in vielen Fallen, wo überhaupt Hülfe möglich ist, geholfen werden könne, leidet wohl keinen Zweifel; keinesweges aber wird dadurch die Krankheit selbst weniger gefahrvoll gcmacht werden. Sie ist und bleibt ein furchtbares Uebel, das wahrscheinlich nicht selten aller Mittel spotten und mehrentheils der spätgeleisteten Hülfe widerstehen wird. W e n n Der, ohne Dessen Willen kein Sperling vom Dache fällt, Seinen Würgengel durch die Welllheile sendet und Millionen durch raschen und qualvollen Tod vor Seinen Richterstuhl ladet, so giebt E r anderen Millionen Gelegenheit, durch Erbarmen und Hülfe sich Ihm wohlgefällig zu machen; alle aber fordert Er auf, in Ehrfurcht und Deuiuth die Rathschlüsse Seiner Gerechtigkeit und Weisheit anzubeten.

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