Die bittere Wahrheit über Zucker: Wie Übergewicht, Diabetes und andere chronische Krankheiten entstehen und wie wir sie besiegen können

Zucker ist giftig, macht abhängig und krank – ist aber gleichzeitig allgegenwärtig. Zuckerfrei zu leben scheint geradezu

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Deutsch Pages 384 Year 2011

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Die bittere Wahrheit über Zucker: Wie Übergewicht, Diabetes und andere chronische Krankheiten entstehen und wie wir sie besiegen können

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DR. ROBE RT H. LU STIG

DIE BITTERE

WAHRHEIT ÜBER ZUCKER

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DR. ROBE RT H. LU STIG

DIE BITTERE

WAHRHEIT ÜBER ZUCKER Wie Übergewicht, Diabetes und andere chronische Krankheiten entstehen und wie wir sie besiegen können

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar. Für Fragen und Anregungen: [email protected] Der Autor hat sich alle nur erdenkliche Mühe gegeben, Telefonnummern und Internetadressen anzugeben, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuell waren. Weder der Verlag noch der Autor übernehmen die Verantwortung für Fehler oder für Änderungen, die nach der Veröffentlichung dieses Buches vorgenommen wurden. Darüber hinaus hat der Verlag keine Kontrolle über Webseiten des Autors oder Dritter sowie deren Inhalt und übernimmt keinerlei Verantwortung dafür. 1. Auflage 2016 © 2016 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH Nymphenburger Straße 86 D-80636 München Tel.: 089 651285-0 Fax: 089 652096 © der Originalausgabe: Robert H. Lustig, M.D., M.S.L., 2012. Die amerikanische Originalausgabe erschien in den USA bei Penguin/Hudson Street Pr. unter dem Titel Fat Chance. Beating the Odds Against Sugar, Processed Food, Obesity, and Disease Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Übersetzung: Birgit Irgang Redaktion: Doortje Cramer-Scharnagl Umschlaggestaltung: Verena Frensch Umschlagabbildung: Tobik/Shutterstock.com Satz: Daniel Förster, Belgern Druck: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany ISBN Print 978-3-86883-863-3 ISBN E-Book (PDF) 978-3-95971-191-3 ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95971-192-0 Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter:

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.muenchner-verlagsgruppe.de

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Inhalt Einleitung Zeit, über den Tellerrand hinauszusehen . . . . . . . . . . . . . 10 ––––––––––––––––––––l––––––––––––––––––––

Teil 1 Kapitel 1 Kapitel 2 Kapitel 3

Die bedeutendste Geschichte, die jemals verkauft worden ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Irrtum biblischen Ausmaßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine Kalorie ist eine Kalorie, oder? . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönliche Verantwortung versus adipöse Babys . . . . . .

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Teil 2 Essen oder nicht essen – das ist nicht die Frage . . . . . . Kapitel 4 Vielfraß und Faultier – hormongesteuerte  Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 5 Esssucht – Tatsache oder Trugschluss? . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 6 Stress und Seelenfutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 3 Kapitel 7 Kapitel 8 Kapitel 9

Gedanken über das Fett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geburt, Versorgung und Ernährung einer Fettzelle . . . . Der Unterschied zwischen »dick« und »krank« . . . . . . . . Das metabolische Syndrom: Die neue Plage . . . . . . . . . . .

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Teil 4 Das »wirklich« giftige Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 10 Der Fluch des Allesfressers: fettarm versus  kohlenhydratarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 11 Fruktose – Das »Toxin« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 12 Ballaststoffe – das halbe Gegenmittel . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 13 Bewegung – die andere Hälfte des Gegenmittels . . . . . . . Kapitel 14 Mikronährstoffe: Triumph oder Aufschneiderei? . . . . . . Kapitel 15 Umwelt-»Obesogene« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 16 Das Imperium schlägt zurück: Die Antwort der Nahrungsmittelindustrie . . . . . . . . . . . .

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Teil 5 Kapitel 17 Kapitel 18 Kapitel 19

Die persönliche Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Veränderung Ihres Nahrungsumfelds . . . . . . . . . . . . Die Veränderung Ihrer Hormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Letzte Auswege: Wenn eine Veränderung des Umfelds nicht ausreicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 6 Kapitel 20 Kapitel 21 Kapitel 22

Das Gesundheitswesen als Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . Der »Bevormundungsstaat«: persönliche versus  gesellschaftliche Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die bisherigen Kunststücke der Regierung . . . . . . . . . . . . Ein Aufruf zur weltweiten Zuckerreduzierung . . . . . . . .

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Epilog

Eine Bewegung von unten nach oben . . . . . . . . . . . . . . . . 339

Danksagungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dieses Buch ist all jenen adipösen Patienten auf der ganzen Welt gewidmet, die täglich leiden, sowie ihren Familienangehörigen, die mit ihnen fühlen. Den Kindern, die keine normale Kindheit haben, ein unmenschliches Leben führen müssen und einen langsamen, frühen Tod sterben. Den Eltern, die von Schuldgefühlen geplagt werden. Den ungeborenen Kindern, deren Gehirn und Körper bereits verändert sind. Doch in erster Linie widme ich dieses Buch jenen von Ihnen, die meine Patienten sind oder waren – denn Sie sind es, denen ich mein Wissen um Ihr Leiden verdanke. Sie brachten mir mehr bei, als eine medizinische Fakultät es jemals tat oder konnte, und lehrten mich, dass jedes Leben wertvoll, kostbar und wert ist, es zu retten. Trotz der widrigsten Umstände, die man sich nur denken kann, haben Sie Ihre Würde gewahrt. Sie haben mit mir Ihr Geheimnis ebenso geteilt wie Ihre Freude über kleine Siege. Wir haben gemeinsam geweint und gelacht. Ich hoffe, ich konnte Sie etwas weiterbringen und Ihnen ein wenig Trost bieten. Dieses Buch ist mein Weg, mich zu revanchieren.

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Dieses Buch ist für all jene geschrieben, die Nahrung zu sich nehmen. Für alle anderen ist es nicht gedacht.

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Einleitung: Zeit, über den Tellerrand hinauszusehen ––––––––––––––––––––l––––––––––––––––––––

»Wir essen eindeutig zu viel.« Gouverneur Tommy Thompson (Wisconsin, USA), US-amerikanischer Gesundheitsminister in den Jahren 2001 bis 2005, in der Sendung Today, NBC, 2004

Das stimmt tatsächlich. So ist es, Danke, dass Sie dieses Buch gekauft haben, Sie sind ein großartiges Publikum. Dann kann ich ja wieder gehen. Nun ja, das ist es, was die US-amerikanische Regierung Ihnen weismachen möchte. All die großen Gesundheitsorganisationen der US-amerikanischen Regierung – die Zentren für Krankheitskontrolle und Prävention CDC, das Landwirtschaftsministerium der Vereinigten Staaten USDA, das Medizinische Institut IOM, die Nationalen Gesundheitsinstitute NIH sowie der Direktor des öffentlichen Gesundheitsdienstes der USA – sagen, dass Fettleibigkeit die Folge eines Energie-Ungleichgewichts sei: einer zu hohen Kalorienzufuhr bei zu wenig körperlicher Bewegung. Und sie haben Recht – bis zu einem bestimmten Punkt. Essen wir mehr als früher? Natürlich. Treiben wir weniger Sport? Zweifellos. Doch obwohl wir das wissen, sind Fettleibigkeit und die damit einhergehenden Krankheiten nicht seltener geworden. Es ist wichtig zu wissen, wie es in einem so kurzen Zeitraum von lediglich 30 Jahren zu dieser Epidemie gekommen ist. Die Leute sagen: »Weil wir die Lebensmittel haben«, und das stimmt ja auch. Doch das war auch früher schon so. Die Leute sagen: »Weil es das Fernsehen gibt«, und

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das stimmt ja auch. Doch es war auch schon früher da, ohne dass es zu dieser Kalorienkatastrophe gekommen wäre. Hinter dieser Sache steckt mehr, sehr viel mehr, und das ist alles andere als schön. Jeder gibt allen anderen die Schuld daran. Keinesfalls ist man selbst schuld! Der Lebensmittelkonzern Big Food meint, es liege an der mangelnden Bewegung aufgrund von Computern und Videospielen. Die Fernsehindustrie sagt, die Ursache sei die ungesunde Ernährung. Die Anhänger des Ernährungswissenschaftlers Atkins geben einem Übermaß an Kohlenhydraten die Schuld, während die Fans des Mediziners Ornish glauben, wir äßen zu viel Fett. Die Saftfraktion meint, Limonaden und Brausen seien schuld, während die Limonadentrinker den Saft im Verdacht haben. Die Schulen beschuldigen die Eltern, die Eltern wiederum die Schulen. Und da nichts geklärt ist, wird auch nichts getan. Wie bringen wir all diese Meinungen unter einen Hut, sodass ein in sich stimmiges Bild entsteht und Änderungen möglich werden, die für jeden Einzelnen ebenso wie für die gesamte Gesellschaft eine Verbesserung darstellen? Darum geht es in d ­ iesem Buch. Essen ist nicht dasselbe wie Tabak, Alkohol oder Drogen. Essen ist Ernährung. Essen bedeutet Überleben. Und, was besonders wichtig ist: Essen bedeutet Genuss. Es gibt nur zwei Dinge, die wichtiger sind als Nahrung: Luft und Wasser. Das Dach über dem Kopf belegt abgeschlagen den vierten Platz. Nahrung spielt eine entscheidende Rolle. Unglücklicherweise spielt das Essen heute sogar eine zu große Rolle: Nahrung geht über das Notwendige hinaus, ist eine Konsumware und auch zu einem Suchtmittel gemacht worden. Das hat in unserer Welt zahlreiche Auswirkungen, und zwar wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich und medizinisch. Es muss ein Preis dafür bezahlt werden, und wir bezahlen ihn jetzt. Wir zahlen ihn mit unseren Steuern, unseren Versicherungsprämien und unseren Flugpreisen – fast jede Rechnung, die wir bekommen, enthält einen Übergewichtsaufschlag. Wir zahlen mit Elend, schlechteren Schulnoten, gesellschaftlicher Rückentwicklung und Tod. Wir zahlen immer, auf die eine oder andere Weise, da die Ernährungsweise, die wir erschaffen haben, nicht zu unserer Biochemie passt; dieses Ungleichgewicht steht im Zentrum unserer medizinischen, gesellschaftlichen und finanziellen Krise. Und was noch schlimmer ist: Dagegen gibt es keine Medikamente. Es existieren keine Verordnungen, keine

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Gesetze, keine Regelungen und keine Steuern, die diesen Missstand allein beheben könnten. Es gibt keine schnelle Lösung, doch das Problem ist lösbar, wenn wir wissen, was wirklich vor sich geht – und wenn wir es wirklich lösen wollen. In dem 2004 erschienenen Buch Food Fight spricht Kelly Brownell von der Yale University über Fettleibigkeit und die »giftige Umgebung«, in der wir heute leben – ein Euphemismus für unsere kollektiven schlechten Verhaltensweisen. Ich gehe einen Schritt weiter. Ich interessiere mich dafür, ob hier etwas tatsächlich »Giftiges« vor sich geht. Selbst Labortiere sind im Laufe der letzten 20 Jahre immer fetter geworden! Jede gute Geschichte braucht einen Bösewicht. Eigentlich wollte ich ihn auf den ersten Seiten dieses Buches noch nicht preisgeben, doch ich möchte Sie nicht länger auf die Folter spannen. Es ist der Zucker – der Professor Moriarty dieser Geschichte ist eine Substanz, die heute in fast allen Lebensmitteln und Getränken weltweit enthalten ist. Zucker tötet uns … langsam; das werde ich Ihnen beweisen. Jede Aussage dieses Buches basiert auf wissenschaftlichen Studien, historischen Tatsachen oder aktuellen Statistiken. Ich bin Arzt. Wir schwören einen Eid: »primum non nocere« – zuerst einmal nicht schaden. Doch diese Worte enthalten ein Paradoxon: Wenn Sie wissen, dass etwas schlecht ausgehen wird, richten Sie Schaden an, wenn Sie nichts tun. Natürlich bin ich kein Anwalt. Und auf Streit bin ich auch nicht aus. Ich habe mich dieser Kontroverse nicht mit einer vorgefertigten Meinung genähert. Nachdem ich mich 15  Jahre lang meiner medizinischen Karriere gewidmet hatte, setzte ich mich immer intensiver mit dem Thema Adipositas auseinander. Bis 1995 versuchte ich ebenso wie meine Ärztekollegen, fettleibige Patienten zu meiden. Ich wusste nicht, was ich ihnen sagen sollte außer »Das ist Ihr Fehler!« oder »Essen Sie weniger und treiben Sie mehr Sport!«. Damals war es eine Ausnahme, wenn man ein Kind mit Typ-2-Diabetes sah. Heutzutage ist das fast schon normal. Als Arzt kann man über das Problem der Fettleibigkeit einfach nicht mehr hinwegsehen; man kann es nicht länger übergehen. Die hier dargelegten Gedanken haben mich nicht einfach eines T ­ ages in einer göttlichen Eingebung wachgerüttelt. Dieses Buch ist die Essenz von 16 Jahren medizinischer Forschung, Ärztekonferenzen, a­ kademischem

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Austausch mit Kollegen, Diskussionsrunden, Politikanalysen und umfassender Patientenversorgung. Für mich stellt es keinen Interessenkonflikt dar, die Informationen hier preiszugeben; ich bin weder ein Spielball der Lebensmittelindustrie noch das Sprachrohr irgendeiner Organisation. Im Gegensatz zu vielen Autoren, die sich den Kampf gegen Adipositas zum Ziel gesetzt haben, verfüge ich nicht über eine Produktlinie, die mein Bankkonto auffüllen soll. Ich bin auf ehrliche Weise und durch eine gründliche Datenanalyse zu meinen Ansichten gelangt. Die Daten sind öffentlich, sodass jeder sie einsehen kann. Ich stelle sie nur etwas anders zusammen. Als Wissenschaftler habe ich persönlich zum Verständnis der Regulierung des Energiehaushalts beigetragen. Als Kinderarzt beschäftige ich mich in meiner Praxis Tag für Tag mit den Wechselwirkungen zwischen Genetik und Umwelt, die zu Fettleibigkeit führen. Seit ich mich für die Hintergründe interessiere, erkenne ich, wie die Veränderungen in unserer Gesellschaft diese globale Pandemie ausgelöst haben. Dieser Gesamtüberblick erlaubt es mir, für Sie Zusammenhänge herzustellen – und diese sehen wahrlich nicht so aus, wie man es Ihnen bisher weismachen wollte. Den Fettleibigen selbst die Schuld für die Adipositas zuzuschieben, ist die einfachste Antwort – doch sie ist falsch. Die aktuellen Ansichten über Völlerei und Trägheit, Diät und Sport werden zwar von fast jedem geteilt, doch sie basieren auf falschen Voraussetzungen und Mythen, die weltweit im Bewusstsein der Menschen verankert sind. Fettleibigkeit ist kein Fehlverhalten, keine Charakterschwäche und kein Fehler des behandelnden Arztes. Wenn wir über die verheerenden Auswirkungen von Adipositas nachdenken, haben wir oft zuerst Erwachsene vor Augen. Doch wie steht es mit den Kindern? Ein Viertel der US-amerikanischen Kinder ist heute fettleibig, und auch in Deutschland und Europa sind die Zahlen dramatisch. Selbst Kleinkinder bringen schon zu viel auf die Waage! Kinder entscheiden sich nicht dafür, adipös zu sein. Sie sind Opfer, nicht Täter. Wenn Sie die wissenschaftlichen Zusammenhänge verstehen, werden Sie erkennen, dass das, was für Kinder gilt, für Erwachsene ebenfalls Gültigkeit hat. Ich weiß, was Sie jetzt denken: Erwachsene sind für ihre Entscheidungen und für die Nahrung, die sie ihren Kindern geben, selbst verantwortlich. Doch sind sie das wirklich?

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Ein geschätzter Kollege, der sich dem Kampf gegen Adipositas verschrieben hat, sagte einmal zu mir: »Es ist mir egal, was die Adipositasepidemie auslöst. Ich will einfach nur wissen, was man dagegen tun kann.« Trotz allen Respekts widerspreche ich ihm. Wenn wir dieses Übel loswerden wollen, müssen wir verstehen, wie es entstanden ist. Tatsächlich basieren unsere Überlegungen auf Wechselwirkungen, Hypothesen und Spekulationen. Ich habe dieses Buch geschrieben, um Sie als Leser zu überzeugen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen – für Ihre Gesundheit, die Ihrer Kinder und zum Wohle unseres Landes. Doch Sie können sich nicht wirklich für eine Sache einsetzen, wenn Sie nicht wissen, was tatsächlich vor sich geht. Und Sie können mir nicht Unrecht geben, bevor Sie alle Fakten (also auch die wissenschaftlichen Hintergründe) kennen. Wenn Sie nach der Lektüre dieses Buches glauben, es sei Schwachsinn oder ich ein Spinner, sagen Sie es mir. Ich möchte es wissen. Hier und jetzt verspreche ich Ihnen, dass das gesamte Buch keine einzige Aussage enthält, die sich nicht durch harte wissenschaftliche Fakten untermauern lässt. Mein Ruf in diesem Bereich basiert auf der Wissenschaft. Sie ist auch mein Schutz vor jenen, die versuchen könnten, mich zu diskreditieren – wie beispielsweise die Lebensmittelindustrie und, wie Sie sehen werden, die Regierung. Tatsächlich ist das der einzige Grund, warum ich noch nicht in Misskredit geraten bin. Und das wird auch nicht geschehen, da ich mich an die Wissenschaft halte. Jetzt und auch in Zukunft. An vier Stellen im Buch lasse ich allerdings meiner Fantasie freien Lauf. Ich möchte versuchen zu erklären, wie Fettleibigkeit in den Evolutionsprozess passt, wie unsere evolutionäre Biochemie funktioniert, um uns am Leben zu erhalten, und wie unser Nahrungsumfeld diese Biochemie verändert und so unsere globale Katastrophe begünstigt hat. Diese Spekulationsausbrüche finden sich in dem Kapitel mit dem Titel »Darwin neu interpretiert«. Dieses Buch ist für die leidenden Patienten gedacht, für die Ärzte, die mit ihnen fühlen, für die US-amerikanischen Wähler, die für dieses Debakel zahlen, für die Politiker, die aktiv werden müssen, um uns aus diesem Dilemma zu befreien, das aufgrund unserer Wirtschaft und Gesundheit entstanden ist, und für den Rest der Welt, damit niemand dieselben Fehler macht wie wir (auch wenn dies bereits geschehen ist).

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In Teil 1 des Buches werde ich einige der Theorien, die Sie immer wieder durch die Medien und tatsächlich auch durch Ärzte vermittelt bekommen, infrage stellen. Die Teile 2 und 3 konzentrieren sich auf wissenschaftliche Fakten im Zusammenhang mit der Fettleibigkeit und auf die Frage, wie der Körper mit der Energieverbrennung und der Einlagerung von Energie umgeht. Nein, Sie müssen kein Biologe oder Medizinexperte sein, um diese Hintergründe zu verstehen. Ich habe mich sehr darum bemüht, alles auf das Wesentliche zu konzentrieren und meinen Text interessant, verständlich und leicht zugänglich zu halten. In Teil 2 erkläre ich auch, wie sich unser Gehirn evolutionär und im Mutterleib entwickelt hat, um Ihre Diätversuche zu vereiteln. Im Hinblick auf die Lebensmittel, die Sie essen möchten, werden Sie auf ungeahnte Weise schlicht hormonell gesteuert. Teil  3 des Buches beschäftigt sich aus wissenschaftlicher Sicht mit dem Fettgewebe und mit der Frage, wann und wie es Sie krank machen kann. In Teil 4 beweise ich Ihnen, dass unsere aktuelle Umgebung tatsächlich »giftig« ist. Ich werde zeigen, wie die »amerikanische Ernährungsweise«, der heute weltweit die Ernährungsweise der industrialisierten Welt entspricht, uns langsam umbringt. Ich werde das Gift und die Gegenmittel benennen, erläutern, warum diese Gegenmittel wirken, und erklären, warum sie für die Zwecke der Lebensmittelindustrie unserem Speiseplan hinzugefügt oder von ihm gestrichen worden sind. Teil 5 beschäftigt sich mit der Frage, was Sie als Einzelner tun können, um sich und Ihre Familie zu schützen, indem Sie Ihr »persönliches Umfeld« verändern. In Teil  6 erörtere ich schließlich, dass Regierungen überall auf der Welt von der Lebensmittelindustrie vereinnahmt worden sind; und ich werde darlegen, wie die Regierenden sich stattdessen mit der Bevölkerung zusammenschließen und Einfluss auf die Lebensmittelbranche ausüben müssen, damit diese die Adipositaspandemie stoppt, bevor es zur medizinischen und finanziellen Katastrophe kommt. Denn darauf steuern wir zu.

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Im Jahr 2003 kam Juan in meine Sprechstunde, ein 45  Kilogramm schwerer, sechs Jahre alter Latino-Junge, dessen M ­ utter kein Englisch sprach und auf einer Farm im kalifornischen ­Salinas arbeitete. Er war breiter als groß. In meinem gebrochenen Spanisch fragte ich die Mutter: »Es ist mir egal, was Ihr Junge isst – sagen Sie mir, was er trinkt.« Die Antwort: keine Limo, aber knapp vier Liter Orangensaft, jeden Tag. Rein kalorienmäßig reicht das bereits für 50 Kilogramm Körperfett pro Jahr. Natürlich wird einiges davon verbrannt, und der Saftkonsum mag auch eine Auswirkung auf die Nahrungszufuhr haben. Ich erklärte der Mutter: »La fruta es buena, el jugo es malo.« (Obst ist gut, Saft ist schlecht.) »Essen Sie das Obst, statt den Saft zu trinken.« Sie fragte: »Warum gibt das WIC ihn uns dann?« (Das WIC – »Women, Infants, and Children« – ist ein Ernährungsprogramm des US-amerikanischen Landwirtschaftsministeriums zur Unterstützung der Armen.)

Ein Kind, eine Mutter und eine Frage, die mein Leben veränderten – und zur Entstehung dieses Buches führten. Warum gab das WIC-Ernährungsprogramm den Menschen Saft? Unsere weltweite Fettleibigkeitskatastrophe ist wissenschaftlich erklärbar. Und die Wissenschaft sollte die Politik steuern – doch wie Sie sehen werden, kommt die Politik in Wirklichkeit der

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Wissenschaft in die Quere. Das ist eines der komplexesten Probleme, die uns heute beschäftigen. Es ist im Laufe der Zeit zunehmend komplizierter geworden, denn es gibt eine Vielzahl an Interessenvertretern mit klar definierten Absichten. Ja, inzwischen ist das Problem größer als die daran beteiligten Einzelparteien. Da es keine einfachen Lösungen gibt, hat das Problem Familien zerstört und zahllose Menschen das Leben ­gekostet. Sie können keine Zeitung zur Hand nehmen und nicht im Internet surfen, ohne auf neue Statistiken über die Adipositaspandemie zu stoßen. Und wer hat in diesem Zusammenhang etwas Positives zu berichten? Klatschblätter thematisieren in ihren Schlagzeilen meistens entweder die immer alarmierenderen Statistiken oder die Tatsache, dass ein neues Mittel gegen Fettleibigkeit von der US-amerikanischen Behörde für Lebens- und Arzneimittelüberwachung abgelehnt oder zurückgezogen worden sei. Ich bin sicher, dass Sie davon die Nase voll haben. Bei mir ist das jedenfalls der Fall. Abnehmen ist zum Kampfsport geworden – schalten Sie nur die TV-Show The Biggest Loser ein. Im Januar 2016 warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass weltweit mindestes 41 Millionen Kinder unter fünf Jahren zu dick oder gar fettleibig seien, das sind über 6 Prozent aller Kinder in diesem Alter. Dabei ist innerhalb der letzten Jahre ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Doch trotz aller medialen Aufmerksamkeit, Sichtbarkeit, Diskussionen und Diätprogramme kann keine Regierung dieser Welt die Uhr zurückdrehen. Wenn wir fetter werden, werden wir auch kränker. Unsere Krankheitsanfälligkeit steigt dabei schneller, als die Fettleibigkeit zunimmt. Die Menge an Stoffwechselkrankheiten, die als metabolisches Syndrom bezeichnet wird und Erkrankungen wie Adipositas, Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen umfasst, wächst rasant an. Außerdem gibt es noch andere Stoffwechselkrankheiten, die mit Fettleibigkeit einhergehen, wie die nichtalkoholische Fettleber, Nierenleiden und das polyzystische Ovarsyndrom. Hinzu kommen die anderen Begleiterkrankungen der Adipositas wie orthopädische Probleme, Schlafapnoe, Gallensteine und Depressionen. Die gesundheitliche Katastrophe, die aus der Fettleibigkeitspandemie folgt, ist überwältigend. Die Häufigkeit jeder einzelner dieser Krankheiten hat in den vergangenen

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30 Jahren zugenommen. Und außerdem treten sie nun alle auch bei Kindern auf – schon bei Fünfjährigen. Es gibt sogar eine Epidemie fettleibiger sechsmonatiger Babys!1 Die Folgeschäden, die sich aus dem metabolischen Syndrom ergeben, treten deutlich zutage. Im Jahr 2005 zeigte eine Studie, dass unsere Kinder trotz des besseren Zugangs zu medizinischer Versorgung die erste Generation von US-Amerikanern sein werden, die früher sterben als ihre Vorfahren.2 Die Studie wies die Schuld direkt der Adipositasepidemie zu. In den Vereinigten Staaten verloren die Menschen im Jahr 2008 doppelt so viele qualitätskorrigierte Lebensjahre durch Fettleibigkeit wie im Jahr 1993. In den Notaufnahmen werden 40-jährige Herzinfarktpatienten versorgt. Jugendliche mit einem Typ-2-Diabetes gab es früher nicht, doch heute machen sie ein Drittel aller neu diagnostizierten Diabetesfälle aus. Allein in Deutschland werden pro Jahr mindestens 6.000 bariatrische Eingriffe (zur Verkleinerung des Magens) durchgeführt, in den USA sind es jährlich 160.000 – mit durchschnittlichen Kosten von jeweils 30.000 Dollar. Mehr als 40 Prozent der Totenscheine in den USA geben Diabetes als Todesursache an – vor 20 Jahren waren es noch lediglich 13 Prozent. In Deutschland verdoppelte sich zwischen 1998 und 2014 die Zahl der Todesfälle, bei denen direkt »Adipositas und sonstige Überernährung« als Todesursache angegeben wurde. Auch wenn es sich um eine Verdoppelung auf niedrigem Niveau handelt, so ist doch ein klarer Trend sichtbar. Der Produktivitätsverlust durch Krankheitstage ist hoch, die Gesundheitskosten explodieren: Im Jahr 2011 beliefen sie sich in Deutschland auf über 290 Milliarden Euro, das sind 11,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Davon sind Schätzungen zufolge etwa 10 Milliarden Euro adipositasbedingt. Stellen Sie sich das einmal vor! Es gibt einfach nicht genügend Geld, um all das zu bezahlen. In den USA sorgt der Patient Protection and Affordable Care Act (­PPACA bzw. ACA, auch »Obamacare« genannt), der den Zugang zur Krankenversicherung in den USA regelt, dafür, dass bis 2019 32  Millionen kranke Menschen in die Krankenversicherung aufgenommen werden. Der USPräsident ist der Ansicht, dass wir die Kosten durch Einsparungen bei der Prävention ausgleichen werden. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass wir dadurch unsere Gesundheit entscheidend verbessern werden, da es kei-

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ne Maßnahmen für die Prävention chronischer Krankheiten gibt – insbesondere jener, die mit Adipositas einhergehen. Wie kann man all die Folgeschäden chronischer Stoffwechselkrankheiten verhindern, wenn wir die Waage sprengen und die Statistiken kein Anzeichen für eine Besserung zeigen? Es wurde schon häufig gesagt, dass wir keine Reform der Gesundheitsversorgung brauchten, wenn es eine Adipositasreform gäbe. Wenn Fettleibigkeit ausschließlich in den USA ein Problem wäre, lägen die Dinge anders – doch es betrifft tatsächlich alle Länder. Die Adipositaspandemie hat überall auf der Welt den Taillenumfang wachsen lassen. Die WHO hat herausgefunden, dass der Prozentsatz der fettleibigen Menschen sich in den letzten 28 Jahren weltweit verdoppelt hat. Tatsächlich ist der Beitrag, den Adipositas zu chronischen Krankheiten leistet, mindestens genauso groß wie der des Rauchens, wenn nicht noch größer. Selbst Menschen in Entwicklungsländern sind fettleibig. Nach einem einzigen Jahrzehnt gibt es nun weltweit 30 Prozent mehr adipöse als unterernährte Menschen. 2008 berichtete die WHO, dass weltweit ungefähr 1,5 Milliarden Erwachsene Übergewicht haben und mindestens 400 Millionen adipös sind;3 es wurde damit gerechnet, dass diese Zahlen bis 2015 auf etwa 2,3 Milliarden beziehungsweise 700 Millionen ansteigen würden. Im September 2011 erklärte die UN-Generalversammlung, dass nichtansteckende Krankheiten (Diabetes, Krebs und Herzerkrankungen) inzwischen eine größere Bedrohung für die globale Gesundheit darstellen als Infektionskrankheiten – sogar in den Entwicklungsländern (siehe Kapitel 22). Besteht die ganze Welt nun aus Vielfraßen und Faultieren? Innerhalb der nächsten 15 Jahre werden diese Krankheiten in den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen Kosten von über sieben Billionen Dollar verursachen.4 Die Menschen sterben früher, und die Volkswirtschaften verlieren Milliarden Dollar aufgrund der eingeschränkten Produktivität, während die Regierungen für die Gesundheitskosten aufkommen. Millionen Familien geraten in Armut, sodass dieser Teufelskreis nicht unterbrochen werden kann. Die 55 Prozent Erwachsene, die übergewichtig oder fettleibig sind, sollten nun gut zuhören. Ich spreche mit Ihnen, vom Arzt zum Patienten. Adipositas ist nicht automatisch ein Todesurteil. Bei ganzen 20  Prozent der krankhaft fettleibigen Menschen ist der Stoffwechsel gesund, sodass sie eine

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normale Lebenserwartung haben.5 Die anderen 80 Prozent müssen nicht zwangsläufig bei schlechter Gesundheit sein; jeder hat es selbst in der Hand, seine Gesundheit zu verbessern und jene Jahre zurückzugewinnen, die den Versicherungsstatistikern zufolge verloren sind. Doch der Erfolg ist davon abhängig, ob Sie die Ursache des Problems kennen, Ihr Risiko für Stoffwechselerkrankungen richtig einschätzen und Ihre Biochemie verändern. Okay, um ganz ehrlich zu sein: Auch wenn Sie sich noch so sehr bemühen, werden Sie möglicherweise niemals Ihr hartnäckiges Unterhautfett loswerden, also das Fett an Ihren Oberschenkeln und am Po. Und falls doch, werden Sie es schon bald wieder zurückgewinnen, wenn Sie sich nicht gerade zum Sportfanatiker entwickeln, denn Bewegung ist die einzige sinnvolle Methode, um eine erneute Gewichtszunahme zu verhindern (siehe Kapitel 13). Tatsache ist: Wenn Sie bedeutende Mengen Unterhautfett verlören und es innerhalb von gut einem Jahr nicht wieder zunähmen, wäre ich fassungslos. Angenehm überrascht, aber dennoch fassungslos. Die 45 Prozent normalgewichtiger Erwachsener sollten aufpassen. Entweder lächeln sie spöttisch über die anderen 55 Prozent ihrer Mitbürger, die im Bus zwei Sitze einnehmen, oder sie haben Mitleid mit ihnen. Sie betrachten sie als schwach, zügellos und faul. Sie ärgern sich über sie und zeigen das finanziell und gesellschaftlich. Sie sind ungehalten darüber, dass sie ihr Geld kosten. Und sie glauben, sie seien aus dem Schneider und in Sicherheit. Man hat ihnen gesagt, dass sie ein langes und gesundes Leben vor sich haben. Was immer sie auch tun, es wird schon richtig sein. Jene unter ihnen, die »von Natur aus« schlank sind, haben zu hören bekommen, dass sie tolle Gene haben und Limonade und Cremetörtchen essen können, so viel sie mögen, ohne auch nur ein Pfund zuzunehmen oder krank zu werden. Wenn das doch nur stimmte! Vor einigen Jahren waren diese schlanken Menschen in den USA in der Mehrheit. Nun stellen sie eine Minderheit dar. Und die Prozentzahl verschiebt sich Jahr für Jahr zu ihren Ungunsten. Das bedeutet, dass viele von ihnen zum anderen Lager überwechseln, also Gewicht zulegen werden. Aktuellen Hochrechnungen der WHO zufolge werden bis 2030 in Deutschland 47 Prozent der Frauen und 65 Prozent der Männer Übergewicht haben, die Fettleibigkeit wird auf 21 Prozent (Frauen) und 24 Prozent (Männer) steigen.6 Der Film Wall-E aus dem

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Jahr 2008 ist eine Prophezeiung: Dorthin entwickeln wir uns. Wir werden alle so fett sein, dass wir auf kleinen Rollern durch die Gegend fahren werden, wie es bei uns in großen Supermärkten jetzt schon üblich ist. Und mit dem Alter steigt das Risiko, dicker zu werden. Ihre Gene werden sich nicht verändern, aber Ihre Biochemie. Wenn Sie also zum anderen Lager überwechseln (was mehr und mehr von Ihnen tun werden), muss es etwas geben, das dies bewirkt. Und wenn das nicht Ihr Schicksal ist, wird es das Ihrer Kinder sein. Niemand weiß das besser als ich, denn ich kümmere mich Tag für Tag um diese ­Kinder. Hier liegt das Problem. Dünn zu sein, ist kein Schutz vor Stoffwechselkrankheiten oder einem frühen Tod. Bis zu 40 Prozent der Normalgewichtigen leiden an einer Insulinresistenz – einem Anzeichen für chronische Stoffwechselkrankheiten –, die wahrscheinlich ihre Lebenserwartung verkürzen wird. Bei 20 Prozent dieser Personen kann man bei einer Kernspintomografie des Bauchs Leberfett erkennen (siehe Kapitel  8).7 Es hat sich gezeigt, dass Leberfett ungeachtet des Körperfetts ein großer Risikofaktor für die Entwicklung eines Diabetes ist. Sie denken, Ihnen könne nichts passieren? Da sind Sie auf dem Holzweg! Und Sie wissen es noch nicht einmal. Die wichtigste These dieses Buches ist, dass Ihr Fett nicht Ihr Schicksal ist – sofern Sie nicht kapitulieren. Denn Menschen sterben nicht direkt an Adipositas. Sie sterben aufgrund dessen, was mit ihren Organen passiert. Auf dem Totenschein vermerkt der Gerichtsmediziner oder Arzt in den seltensten Fällen »Adipositas«, sondern »Herzinfakt«, »Herzversagen«, »Schlaganfall«, »Diabetes«, »Krebs«, »Demenz« oder »Leberzirrhose«. Das sind die Krankheiten, die mit Fettleibigkeit einhergehen. Es handelt sich bei allen um chronische Stoffwechselkrankheiten. Doch auch normalgewichtige Menschen sterben an ihnen. Das ist das Wichtige! Es ist nicht die Adipositas. Fettleibigkeit ist nicht die Ursache für chronische Stoffwechselkrankheiten; sie ist ein Kennzeichen chronischer Stoffwechselkrankheiten, auch als metabolisches Syndrom bekannt. Es ist das metabolische Syndrom, das Sie umbringt. Diesen Unterschied zu verstehen, ist ganz entscheidend für die Verbesserung Ihrer Gesundheit, unabhängig von Ihrer Leibesfülle. Adipositas und metabolisches Syndrom haben eine Schnittmenge, sind aber unterschiedliche Dinge. Adipositas tötet nicht. Das metabolische Syndrom

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tötet. Beide gehen zwar Hand in Hand, doch das eine löst das andere nicht aus. Doch was löst dann Adipositas aus? Was ist die Ursache für das metabolische Syndrom? Und was können Sie jeweils dagegen tun? Lesen Sie weiter. Ich habe dieses Buch geschrieben, um Ihnen und Ihren Kindern zu helfen, gesund zu werden, die Lebensqualität zu verbessern, die Produktivität zu steigern und die weltweite Verschwendung medizinischer Ressourcen zu reduzieren. Wenn Sie dabei abnehmen, ist das toll. Doch wenn es das ist, was Sie erwarten, sollten Sie sich einen Diätguru suchen – viel Erfolg! Möchten Sie gesünder werden? Möchten Sie glücklicher sein? Besser aussehen? Es ist das Fett, das sich rund um Ihre Bauchorgane und die Leber ansammelt, das Ihnen im Weg ist. Und Bauchfett loszuwerden, ist nicht so schwierig, wie Sie vielleicht denken. Hinsichtlich des Stoffwechsels ist dieses Fett aktiver, und es gibt eine Menge, was Sie tun können, um es verschwinden zu lassen. Ein Sprichwort besagt: »Auch eine Reise über 1.000 Kilometer beginnt mit einem ersten Schritt.« Dieses Buch führt Sie in die Funktionsweise ­Ihres Körpers ein. Es ist eine Reise in die Biochemie unseres Gehirns und unserer Fettzellen. Es ist eine Reise in die Evolution, in das Ungleichgewicht zwischen unserer Umwelt und unserer Biochemie. Und es ist auch eine Reise in die Welt der Unternehmen und der Politik. Diese Reise ­beginnt mit einem einzigen, aber sehr großen Schritt, bei dem wir unsere bisherige Denkweise in Bezug auf Fettleibigkeit aufgeben und die uralte Überzeugung »Eine Kalorie ist eine Kalorie« infrage stellen.

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»Wenn man ein gesundes Gewicht halten möchte, muss man auf die Kalorienzufuhr und den Kalorienverbrauch achten … Nicht alle Kalorien sind gleich.« Gouverneur Tom Vilsack (Iowa), US-amerikanischer Landwirtschaftsminister bei der Veröffentlichung der Ernährungsrichtlinien 2010, am 13. Januar 2011

Moment mal: Wenn die Menschen auf die Zufuhr und den Verbrauch von Kalorien achten sollen, warum sind dann nicht alle Kalorien gleich? Ist das nicht ein Widerspruch? Das war das erste Mal, dass irgendein Mitglied der US-amerikanischen Regierung angedeutet hat, dass Kalorien nicht gleich Kalorien sind – wenn auch recht indirekt in dieser kryptischen Verklausulierung. Jeder fühlt sich als Ernährungswissenschaftler. Jeder denkt, er habe die Grundlagen der Fettleibigkeit verstanden. Doch ob Sie es glauben oder nicht: Sie zählt zu den Krankheiten, die schwer zu durchschauen sind. Warum? Fettleibigkeit ist eine Kombination mehrerer Faktoren: Physik, Biochemie, Endokrinologie (hormonelle Faktoren), Neurowissenschaft, Psychologie, Soziologie und Umwelthygiene tragen alle zu diesem einen Problem

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bei. Die Faktoren, welche die Adipositaspandemie steuern, sind fast ebenso zahlreich wie die Anzahl der Menschen, die darunter leiden. Die Venus von Willendorf ist eine elf Zentimeter große Statue, die 1908 in Österreich gefunden wurde (siehe Abbildung 2.1). Mithilfe einer Radiokarbondatierung wurde ihr Alter auf etwa 24.000 Jahre festgelegt. Die Figur besteht aus dem Torso einer krankhaft fettleibigen erwachsenen Frau. Aufgrund dessen wissen wir, dass auch lange vor unserem Fastfood schon Adipositas vorkam. Es gibt also andere Wege außer Chips, Pizza, Limo und Bier, um an Gewicht zuzulegen. Die medizinische Fachliteratur listet mindestens 30  Diagnosen auf, bei denen Fettleibigkeit zu den Symptomen zählt. Dazu gehören Probleme mit dem Gehirn, der Leber oder dem Fettgewebe, genetische Störungen, verschiedene hormonelle Ungleichgewichte sowie die Auswirkungen bestimmter Medikationen. Doch keine dieser me-

Abbildung 2.1: Die fette Venus. Die Venus von Willendorf ist eine 11 cm ­große weibliche Figur, deren Alter mittels Radiokarbondatierung auf 24.000 bis 22.000 Jahre vor Christus festgelegt worden ist. Sie wurde 1908 in Österreich gefunden und ist im Naturhistorischen Museum in Wien zu sehen. Die Venus-Figur zeigt, dass Fettleibigkeit so alt ist wie die Menschheit selbst.

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dizinischen Ursachen erklärt, was mit der Weltbevölkerung in den vergangenen 30 Jahren geschehen ist. Bis 1980 hatten in den Vereinigten Staaten lediglich 15 Prozent der Erwachsenen einen Body-Mass-Index, der oberhalb des 85-Prozent-Bereichs lag und für Übergewicht oder Adipositas steht. Heute sind es 55 Prozent. (Der Body-Mass-Index gibt das Verhältnis von Gewicht zu Körpergröße an.) Und es wird erwartet, dass es bis 2030 insgesamt 65 Prozent sein werden.1 Ähnliche Entwicklungen sind weltweit zu verzeichnen, auch in Deutschland. Irgendetwas ist in den letzten 30 Jahren geschehen – aber was?

Der erste Hauptsatz Um Adipositas und das Energiegleichgewicht im Allgemeinen zu verstehen, müssen wir uns mit dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik vertraut machen, der besagt: »In einem abgeschlossenen System bleibt die Energie konstant.« Für die Mathe- und Naturwissenschaftsfreaks unter uns: ∆U = ∆Q + ∆W Dabei steht U für die innere Energie eines Systems; Q ist die Wärme, die das System liefert, und W die Arbeit, die vom System geleistet wird. Die Änderung der inneren Energie entspricht in einem geschlossenen System genau der Summe der Änderung der Wärme und der Änderung der Arbeit. Verschiedene Energieformen können sich also ineinander umwandeln, aber Energie kann weder vernichtet noch »einfach so« erzeugt werden. Der erste Hauptsatz ist ein Gesetz. Es ist elegant, hieb- und stichfest. Wenn Ihnen das nicht gefällt, müssen Sie sich bei Sir Isaac Newton beschweren. Dieses erste Gesetz unterschreibe ich. Die Grundlage für unser aktuelles Verständnis der Ursachen und Konsequenzen der Adipositaspandemie liegt allerdings nicht im ersten Hauptsatz selbst, sondern hängt eher mit der Art zusammen, wie Sie ihn interpretieren – denn wie bei allen Gesetzen gibt es reichlich Spielraum für alternative Interpretationen. Die vorherrschende Meinung über den ersten Hauptsatz kann in einem weitverbreiteten Lehrsatz zusammengefasst werden: Eine Kalorie ist eine Ka-

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lorie. Das bedeutet: Um das Energiegleichgewicht und damit das Körpergewicht (das U in der Gleichung) zu halten, muss eine gegessene Kalorie (das Q) durch eine verbrannte Kalorie (das W) kompensiert werden. Die zugeführte Kalorie kann aus einer beliebigen Quelle stammen, von Fleisch über Gemüse bis hin zu Käsekuchen. Die verbrannte Kalorie kann auf irgendeine Weise verbraucht werden, von Schlafen über Fernsehen bis hin zu anstrengendem Sport. Und aus dieser Meinung hat sich die bekannte Standard­interpretation des ersten Hauptsatzes entwickelt: »Wenn du die Kalorie gegessen hast, solltest du sie lieber verbrennen, da du sie ansonsten einlagerst.« Bei dieser Interpretation stehen die Verhaltensweisen von gesteigerter Kalorienzufuhr und vermindertem Energieverbrauch im Vordergrund (und werden vermutlich gelernt); demzufolge ist die Gewichtszunahme ein Nebeneffekt. Folglich hält man Fettleibigkeit für die natürliche Konsequenz dieser »von der Norm abweichenden Verhaltensweisen«. Wie Sie nachfolgend sehen werden, haben sich tatsächlich alle Interessengruppen in der Adipositaspandemie auf die Seite der persönlichen Verantwortung geschlagen.

Die Sitzordnung am Tisch der Schuld Am oberen Tischende: die Vielfraße und Faultiere

Die persönliche Verantwortung nimmt den größten Stuhl am Tisch der Schuld ein. Die weitverbreitete These hinsichtlich Adipositas besagt, dass sie von einer persönlichen Entscheidung abhängt: Wir kontrollieren, was wir essen und wie viel wir uns bewegen. Wenn Sie fettleibig sind, muss der Grund dafür sein, dass Sie beschlossen haben, mehr zu essen, sich weniger zu bewegen oder beides. Im Laufe der letzten 25 Jahre haben mehrere staatliche Stellen in den USA umfassende Beweise für die gesteigerte Kalorienzufuhr bei Kindern und Erwachsenen zusammengetragen. In dieser Zeit haben die US-amerikanischen Zentren für Krankheitskontrolle und Prävention dokumentiert, dass die Amerikaner 187 kcal mehr pro Tag zu sich nehmen, während es bei den Amerikanerinnen 335 kcal sind. In Europa dürfte die Entwicklung ähnlich sein. Zu den Verhaltensweisen, die mit der Zunahme der Adipositas einhergehen, gehören ein gesteigerter Kon-

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sum gezuckerter Getränke und ein rückläufiger Verzehr von ganzen Früchten, Gemüse und anderen Ballaststoffquellen. Auf gesellschaftlicher Ebene hängt die Fettleibigkeit auch damit zusammen, dass Mütter weniger stillen, dass das Frühstück ausgelassen wird, weniger Mahlzeiten in der Familie stattfinden und mehr Fastfood verzehrt wird. Andererseits gibt es auch zahlreiche Hinweise darauf, dass weniger körperliche Betätigung und mehr Zeit vor der Mattscheibe (Fernseher, Computer, Videospiele und Smartphones) bei der Zunahme der Adipositas eine Rolle spielen. Auf dieser Grundlage entstehen unsere Überzeugungen hinsichtlich der Fettleibigkeit: Völlerei und Faulheit, zwei der ursprünglichen »sieben Todsünden«. An dieser Stelle sollte ich anmerken, dass die anderen fünf Todsünden (Habgier, Stolz, Wollust, Neid und Zorn) in der Presse und in der Gesellschaft insgesamt toleriert werden. In den Medien werden sie häufig sogar mit Lob bedacht – man denke nur an Realityshows wie »Big Boss« (Neid, Habgier, Stolz, Zorn), »Catch the Millionaire« (Wollust, Habgier, Stolz) oder »Party, Bruder!« (alle bekannten Sünden und einige mehr). Für fast jedes Laster und alle Sünden, die man begehen kann, finden wir irgendwie Absolution, nur für Völlerei und Faulheit nicht. Sie trotzen der Fähigkeit unserer Gesellschaft zu vergeben. Und das, obwohl so viele von uns übergewichtig oder fettleibig sind. Schlanke Menschen sind heute in der Minderheit, doch unsere Kultur bestraft weiterhin die Mehrheit. Eine durchschnittliche Frau trägt in Deutschland Kleidergröße 44, doch in vielen Geschäften ist über Größe 42 nichts zu finden. Viele Läden für Damenbekleidung sind dazu übergegangen, größere Kleidung mit einer kleineren Konfektionsgröße auszuzeichnen (was 1950 noch Größe 38 war, wird heute als Größe 34 ausgegeben); trotzdem kann ein großer Prozentsatz der Bevölkerung im Laden keine passende Kleidung kaufen. Vor ungefähr zehn Jahren bildete ein rund um die Uhr geöffnetes Fitnessstudio in San Francisco auf einer Plakatwand einen Außerirdischen und den Slogan ab: »Wenn sie kommen, werden sie zuerst die Dicken fressen.« Unsere Gesellschaft verherrlicht nach wie vor das Schlanksein, auch wenn dies Jahr für Jahr weniger erreichbar zu sein scheint. Menschen, die übergewichtig oder fettleibig sind, werden sofort für Vielfraße und/oder Faultiere gehalten. Bei der Jobvergabe werden Adipöse benachteiligt, weil man davon ausgeht, dass sie im Beruf genauso faul sind wie bei der Pflege

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ihres Körpers. Sie gehören zu den letzten Gruppen, über die man in der Öffentlichkeit noch abfällige Bemerkungen äußern darf. Von dieser Verachtung ist es nur noch ein kleiner Schritt zu der Feststellung, dass fettleibige Menschen aufgrund einer Verhaltensstörung so geworden sind. Diese Formulierung dient vielen Zwecken. Natürlich befriedigt sie auch den Wunsch der Gesellschaft, jemandem die Schuld zuzuschieben. Selbst die Fettleibigen glauben an die These der persönlichen Verantwortlichkeit (siehe Kapitel 20). Sie wollen lieber als »Täter« denn als »Opfer« dargestellt werden. Wenn man ein Täter ist, behält man die Kontrolle und trifft seine eigenen Entscheidungen – darin steckt mehr Hoffnung als in der anderen Alternative. Ist man jedoch ein Opfer, hat man keine Kraft; Fettleibigkeit ist ein Schicksal, und es gibt keine Hoffnung. Man ist verdammt – das ist deutlich deprimierender. Außerdem dient »persönliche Verantwortung« als Eckpfeiler für die eingeschränkte Unterstützung adipöser Menschen durch Regierung und Versicherungen.

Stuhl 2: Das Krankenversicherungswesen

Ein Großteil der Öffentlichkeit betrachtet Ärzte als geldgierige Scharlatane, die sich weniger um ihre Patienten als um ihre Geldbörsen kümmern. Doch tatsächlich verlieren wir Ärzte bei jedem Patienten, den wir behandeln, Geld. Während unsere hiesige allgemeine Klinikkrankenversicherung für eine pädiatrische Behandlung durchschnittlich 37,5 Cent pro Dollar erstattet (ein Hungerlohn), erhält unsere pädiatrische Adipositasklinik lediglich 29 Cent pro abgerechnetem Dollar. Der Grund? Das Krankenversicherungswesen weigert sich, für die Adipositasversorgung zu zahlen – mit der Begründung: »Fettleibigkeit ist eine Verhaltensweise, eine Charakterschwäche, eine psychologische Fehlentwicklung. Und für Verhaltensweisen zahlen wir nicht.« Das ist der Grund dafür, dass Adipositaskliniken und -Behandlungsprogramme für Kinder im ganzen Land schließen, obwohl sie ausgelastet sind und mehr als genug zu tun haben. Das Versicherungswesen hat beschlossen, dass Fettleibigkeit eine Entscheidung des Lebenswandels ist, und dafür will man nicht zahlen. Und falls Krankenversicherer doch zahlen, dann nur das absolute Minimum.

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Das Versicherungswesen hasst diese Adipositasepidemie fast ebenso sehr wie wir Ärzte. Sie suchen nach einem Versteck, um eine lange Belagerung zu überstehen. Warum weigern sich die Versicherungen nach wie vor, Adipositasdienste zu erstatten? Der Grund: Wenn sie für alle Dienste zahlen würden, die infolge der heutigen Pandemie erforderlich sind, würde das die Kosten explodieren lassen. Stattdessen ducken sie sich weiterhin und geben jedem Einzelnen die Schuld. Sie wissen, dass sie ein echtes Problem bekämen, wenn sie jemals zugäben, dass Adipositas nicht der Fehler der betroffenen Personen ist.

Stuhl 3: Die Ärzteschaft

Vor 20 Jahren galt Fettleibigkeit als gesellschaftliches Problem, nicht als medizinisches. Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn schickte ein Kollege aus der pädiatrischen Endokrinologie (das ist die Lehre von den Hormonen bei Kindern) einen Formbrief an die Eltern der Kinder, die wegen Adipositas ins Krankenhaus überwiesen wurden. In dem Schreiben stand: »Liebe Eltern, vielen Dank für Ihr Interesse an unserer Abteilung für pädiatrische Endokrinologie. Ihr Kind wurde aufgrund einer Adipositas zu uns überwiesen. Adipositas ist ein Problem der Ernährung und Bewegung, kein hormonelles Problem. Wir empfehlen Ihnen, den allgemeinen Rat eines Kinderarztes einzuholen.« Und trotz des unbestreitbaren Ansturms von überwiesenen Patienten sind viele meiner Kollegen noch immer dieser Meinung. Da die Probleme und die für wissenschaftliche Studien investierten Gelder sich vervielfacht haben, widmen sich der US-amerikanische Diabetesverband (ADA), die US-amerikanische Herzvereinigung (AHA) sowie zahllose andere professionelle Organisationen nun umfassend der Adipositaspandemie. Das Standardmantra der medizinischen Einrichtungen im Hinblick auf Fettleibigkeit lautet: »Der Lebenswandel verursacht Adipositas, und Adipositas verursacht das metabolische Syndrom.« Wir Ärzte sehen unsere Rolle darin, die negativen Auswirkungen der Fettleibigkeit zu lindern. Doch nach wie vor stehen für die meisten Mediziner die Verhaltensweisen bei den Ursachen an erster Stelle. Der Fehler liegt ihrer Meinung nach noch immer beim Patienten.

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Stuhl 4: Die Nutznießer der Fettleibigkeit

Sie sagen: »Du bist schwach. Du hast versagt. Lass uns dir helfen.« Sie behaupten, Antworten für das Adipositasproblem zu haben, und bieten eine Lösung nach der anderen an. Sie sind die Nutznießer der Fettleibigkeit und repräsentieren große, wichtige Industrien, von denen die meisten angeblich versuchen, »richtig zu handeln«, während sie in erster Linie eine Menge Geld verdienen. Da gibt es beispielsweise die ansonsten ehrenwerten Abnehmprogramme wie die der Weight Watchers oder von Optifast 52, die eindringlich empfehlen, ihre Markenprodukte zu kaufen (die häufig eine Menge Salz enthalten), um ihren Profit zu vergrößern. Daneben existieren Unternehmen, die Nahrungsergänzungsmittel anbieten (wie Diet Chef, ein in Deutschland neues Diätkonzept aus Großbritannien) und fordern, dass man ihre Produkte kaufen soll, wenn man Resultate sehen möchte. Fitnessstudios, die spezielle Abnehmprogramme anbieten, verlangen Aufnahme- und Verlängerungsgebühren für die Mitgliedschaft. Und dann gibt es noch Firmen, die Fitnessgeräte für zu Hause herstellen. Ihre nachts ausgestrahlten Werbesendungen zeigen stets durchtrainierte Typen, die ein Gummiband dehnen oder sich ähnlich betätigen, sowie die indirekte Botschaft: »So können Sie auch aussehen, wenn Sie mit diesem Fitnessartikel trainieren.« Darüber hinaus existieren noch die »Adipositasautoren« (na so was, ich bin jetzt auch einer!). Manche sind Mediziner, einige haben einen Doktortitel, andere sind Journalisten, wieder andere Medienstars, und es sind auch ein paar Scharlatane dabei – wobei sich die einzelnen Kategorien gegenseitig nicht ausschließen. Alle behaupten, die Antwort auf Ihr Adipositasproblem zu haben, und befürworten die eine oder andere Diät. Einige dieser Autoren haben eigene Unternehmen gegründet, die ihre Produktlinie verkaufen. Und jeder liefert gerade genug Wissenschaft und Wahrheitsgehalt, um die Öffentlichkeit zu überzeugen. Manche Diätärzte und -kliniken befürworten die Verschreibung von Appetithemmern oder anderer Pharmaka zur Unterstützung der Gewichtsreduktion – die Sie alle selbst bezahlen müssen. Einige jener Ärzte sind angesehen und hervorragende Wissenschaftler an medizinischen Fakultäten, und sie versuchen, das Leben der Menschen durch die Adipositasforschung

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zu retten. Manche sind Chirurgen, die den Magen verkleinern, um den Stoffwechsel und das Herz zu entlasten, oder aus kosmetischen Gründen das Fett absaugen. Doch der eine oder andere nimmt solche Operationen am Fließband vor, fliegt mit einem kleinen Flugzeug von einer Kleinstadt zur nächsten, um möglichst viele Magenbänder einzusetzen oder Magenbypässe zu legen. Sie nehmen ihren Opfern das Geld ab, bieten keine Qualitätskontrolle, sehen ihre Patienten danach nie wieder und hinterlassen manchmal medizinische Katastrophen. Während die Versicherungsunternehmen sich oft weigern, für dieses Problem finanziell aufzukommen, fließen die Forschungsgelder in Strömen. Die Pharmaindustrie hat viel Geld ausgegeben, um den »AdipositasKassenschlager« zu finden, die Wunderpille mit lang anhaltender Wirkung, die für jeden geeignet ist. Doch das ist ein Wunschtraum, denn erstens ist Fettleibigkeit keine einheitliche Krankheit, sondern ein Mix aus vielen Krankheiten; zweitens findet unser Körper immer Wege, um unsere kritische Energiebilanz aufrechtzuerhalten, sodass ein einziges Medikament nicht bei jedem gleich wirksam sein kann; und drittens gibt es keine Arznei, mit der das metabolische Syndrom behandelt werden könnte (siehe Kapitel 19). All diese Personen und Unternehmen haben eine Gemeinsamkeit: Sie versuchen, aus dem Unglück der Fettleibigen Profit zu schlagen – in den USA in Höhe von 117 Milliarden Dollar pro Jahr. Und all diese Mittel sind im Einzelhandel verfügbar, die Betroffenen zahlen sie also selbst aus ihrer eigenen Tasche. Es gibt keine Rückerstattungen der Versicherungen. Keinen Preisnachlass. Für den Fall, dass es Ihnen noch nicht aufgefallen ist: Fettleibige tun tatsächlich alles, um abzunehmen – auch ihr Geld für Programme zum Fenster rauswerfen, die ihnen baldige Schlankheit versprechen. Aus diesem Grunde ziehen diese Anbieter ihren Nutzen aus der Adipositas. Funktioniert eine ihrer »Lösungen«? Wohl kaum! Ihre Argumentation: Wenn die Kunden täten, was die Firmen von ihnen verlangen, würde das Fett wie von Zauberhand verschwinden. Falls das nicht geschieht, ist das der Fehler der Kunden – dann haben sie es wohl nicht richtig gemacht! Das ist übrigens ein weiterer Grund für adipöse Menschen, in Depressionen zu verfallen. Denken Sie mal darüber nach: Wenn irgendeines dieser Bücher, der Diäten oder Programme tatsächlich bei der gesamten Bevölke-

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rung funktionieren würde, gäbe es nur ein einziges davon. Derjenige, der diese Entdeckung macht, wird mit großer Wahrscheinlichkeit den Nobelpreis gewinnen, sich in eine Luxusvilla auf Tahiti zurückziehen und in den Medien gefeiert werden.

Stuhl 5: Die Fettaktivisten

Aus gesellschaftlicher oder medizinischer Sicht ist nichts falsch daran, wenn Sie fit und fett sind; das ist besser, als schlank zu sein und sich nicht zu bewegen. Doch fett und krank zu sein, ist aus medizinischer Sicht nicht in Ordnung. Insbesondere wenn Sie Probleme mit dem Stoffwechsel haben, wie 80 Prozent aller adipösen Menschen. Wenn Sie zu dieser Kategorie zählen, kosten Sie die Gesellschaft Geld für die Behandlung Ihrer Stoffwechselkrankheiten, aufgrund Ihrer reduzierten Produktivität und wegen der Belastung des Gesundheitssystems. Ganz davon zu schweigen, dass Sie sich Ihr eigenes, frühes Grab schaufeln! Die Verfechter der politischen und gesellschaftlichen Rechte der Adipö­ sen und insbesondere der US-amerikanische Verband zur Förderung der Fettakzeptanz (National Association to Advance Fat Acceptance, N ­ AAFA) sagen: »Fett zu sein, ist eine Ehrenauszeichnung. Sei fit und fett, fett und stolz.« Keine Diskriminierung also. Und dem stimme ich zu. Doch die NAAFA versucht auch, die wissenschaftliche Adipositasforschung zu stoppen – denn warum sollte man über einen Zustand forschen, der völlig normal ist? So sitzt die NAAFA beispielsweise im Vorstand des Schulamtsbezirks San Francisco und verhindert dort, dass Adipositasforschung in den städtischen Schulen durchgeführt wird. Warum? Der Verband ist der Meinung, dass man der Frage, wie viel Kinder wiegen, keine Aufmerksamkeit schenken sollte. Das finde ich seltsam. Es ist ausgesprochen paradox, seinem Kind zu ermöglichen, fett und krank zu sein. Die meisten adipösen Kinder werden Diabetes und Herzprobleme haben, wenn sie 50 Jahre alt sind. Die Studien, die die NAAFA blockieren möchte, sind von entscheidender Bedeutung für die Untersuchung dieser Epidemie und um herauszufinden, was wir dagegen tun können. Als Kinderarzt ist es meine Aufgabe, diese Kinder vor solch unangebrachten Ideen zu schützen.

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Stuhl 6: Die kommerzielle Lebensmittelindustrie

Die kommerzielle Lebensmittelbranche reagiert auf die Adipositaspandemie mit zwei Mantras. Erstens: »Jeder ist für das verantwortlich, was er sich in den Mund steckt.« Ist das wahr? Was in unseren Mund wandert, hängt von zwei Dingen ab: Selektion und Verfügbarkeit. Zweitens: »Jedes Nahrungsmittel kann Teil einer ausgewogenen Ernährung sein.« Das ist wahr, aber irrelevant, da wir uns dank der Lebensmittelindustrie nicht ausgewogen ernähren. Sie ist diejenige, die für das Ungleichgewicht gesorgt hat. Sie ist der größte Impulsgeber der Adipositaspandemie – aufgrund ihrer Handlungen und der Art von Rhetorik, die sie einsetzt, um diese Handlungen zu rechtfertigen. Die Unternehmen predigen immer wieder das eine, tun aber etwas anderes. McDonald’s wirbt nun mit schlanken Menschen in Sportkleidung, die Salate essen, für ein gesünderes Menü. Doch die meisten Menschen, die zu McDonald’s gehen, bestellen stattdessen Burger und Pommes. Und das ist McDonald’s natürlich bewusst. Die jüngste Plakatwerbekampagne mit dem Slogan »Für deine Gelüste gemacht« sagt alles. Die Fastfoodkette Carl’s Jr., die nicht nur in den USA, sondern unter anderem auch in der Türkei, Brasilien und der Volksrepublik China tätig ist, bewirbt den Western Bacon Six Dollar Burger, der beeindruckende 1.030 kcal hat und 55 Gramm Fett enthält, bildet aber in der Regel fitte und attraktive Menschen ab, die mit Genuss die Produkte des Unternehmens verzehren. Glauben Sie wirklich, sie blieben weiterhin schlank, wenn sie so etwas regelmäßig äßen? Nahrung ist zu einer Handelsware geworden (siehe Kapitel 21), und Lebensmittel können fast überall gelagert sowie an den verschiedenen Rohstoffbörsen gehandelt werden. Spekulanten können den Markt bei jeder beliebigen Ware beherrschen – vom Schweinebauch bis zum Orangensaft –, indem sie darauf wetten, inwieweit der Preis steigen oder fallen wird. Und da einzelne Nahrungsmittel als Waren gehandelt werden, sind die Auswirkungen der Wetten auf die Lebensmittelversorgung und infolgedessen auch auf die Nahrungsmittelpreise weltweit zu spüren (siehe Kapitel 21). Preiswerte Lebensmittel stehen für politische Stabilität. Es gibt eine Notwendigkeit, Nahrung leicht verfügbar zu machen und die Preise möglichst niedrig zu halten. Jeder ist für billige Lebensmittel. Im Jahr 2011 gaben die Deutschen nur 13,7 Prozent ihrer gesamten Konsumausgaben für Nahrungsmit-

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tel aus, was es der Bevölkerung ermöglicht, mehr DVDs und iPads zu kaufen und öfter in Urlaub zu fahren. Doch für preiswerte Nahrungsmittel, die voller Konservierungsstoffe stecken, damit sie länger halten, müssen Sie am Ende doch bezahlen – und zwar deutlich mehr als das, was all Ihre technischen Spielereien und Urlaubsreisen kosten (inklusive Zinsen).

Stuhl 7: Die Regierung

Die Regierung der Vereinigten Staaten ist in höchstem Maße hin- und hergerissen hinsichtlich ihres Standpunktes bei der Adipositaspandemie. Im Jahr 2003 erklärte Richard Carmona, der ehemalige US-amerikanische Sanitätsinspekteur, dass Fettleibigkeit ein Thema der nationalen Sicherheit sei – eine Haltung, welche die aktuelle Sanitätsinspekteurin, Regina Benjamin, ebenfalls vertritt (obgleich sie selbst adipös ist) und der sich auch die US-Armee verpflichtet hat. Die Gesundheitsorganisationen der Regierung erklären uns, dass wir zu viel essen und uns zu wenig bewegen. Die »Let’s Move!«-Kampagne der First Lady Michelle Obama konzentriert sich auf die Idee, dass Fettleibigkeit in der Kindheit bekämpft werden kann, indem man in Schulgärten Gemüse anpflanzt, die Kinder ermutigt, vor die Tür zu gehen und sich zu bewegen, und das Gesetz über die Schulspeisung überarbeitet. All das ist erforderlich, reicht aber nicht aus. Die US-Regierung tut alles, was sie kann, um Lebensmittel preiswert zu halten (siehe Kapitel  16). Das US-amerikanische Landwirtschaftsministerium hat beschlossen, keinerlei Verantwortung für seine Rolle in der Adipositaspandemie zu übernehmen, und vermarktet unsere westliche Ernährungsweise weiterhin weltweit. Das US-Agrargesetz (siehe Kapitel  21) behält die finanzielle Unterstützung für Lebensmittel bei, damit die Bauern ihre Arbeit nicht verlieren und mehr Feldfrüchte anpflanzen. Die Landwirte verdanken ihren Profit der Masse. Die Nahrungsmittel verarbeitende Industrie macht hohe Preisaufschläge und gibt sie an den Verbraucher weiter. Und das US-amerikanische Landwirtschaftsministerium subventioniert Ernährungsprogramme für die Armen – wie die UN-Lebensmittelbeihilfe für Haushalte mit geringem oder ohne Einkommen (SNAP) und das Ernährungsprogramm für Frauen, Kleinkinder und Kinder (WIC), das Kleinkin-

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dern und ihren Müttern mit niedrigem Einkommen Lebensmittel und Gesundheitsversorgung bietet –, damit sie überleben können und zufrieden sind. Dabei gab das WIC dem Druck der Lebensmittellobbyisten nach: Die zur Verfügung gestellte Nahrung war größtenteils ungesund und umfasste beispielsweise Weißbrot und stark zuckerhaltige Säfte. Die Ernährungspyramide, eine staatliche Ernährungsempfehlung, die erstmals 1974 veröffentlicht wurde (siehe Abbildung 2.2a), hatte nie eine wissenschaftliche Grundlage. Sie wurde in den USA seitdem alle fünf Jahre überarbeitet und 2004 in »MyPyramid« umbenannt. Nachdem zahlreiche Medizinerverbände eine Korrektur forderten, wurde die Ernährungspyramide 2011 verworfen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung entwarf eine Ernährungspyramide, die lange Zeit kohlenhydratbetont war und im Jahr 2005 modifiziert wurde.

Ernährungspyramide des Landwirtschaftsministeriums und des Gesundheitsministeriums der USA

r Zucke licher ette zusätz eF 34 TL zusätzlich 64 g

Milchprodukte 1,6 Portionen

Gemüse 4 Portionen

Fleisch Fisch , Geflüge , l, Bohn getrockne e te 2,5 P n, Eier un ortio d Nü nen sse

Obst 1,4 Portionen

Fette, Öle und Süßigkeiten sparsam verwenden

Milchprodukte 2–3 Portionen

Gemüse 3–5 Portionen

Getreide 10 Portionen

Bereinigte Ernährungspyramide Quelle: Wirtschaftsforschungsdienst des US-amerikanischen Landwirtschaftsministeriums

Die Ernährungsrichtlinien empfehlen eine Beschränkung des Verzehrs von Zuckerzusätzen auf nicht mehr als 12  Teelöffel pro Tag bei einer Gesamtzufuhr von 2.200  kcal. Außerdem empfehlen sie, dass Fette nicht mehr als 30 Prozent der täglichen Energieaufnahme ausmachen sollten – ungefähr 73 Gramm zugesetzter und natürlich vorkommender Fette bei einer Gesamtzufuhr von 2.200 kcal.

Fleisch, Geflügel, Fisch, getrocknete Bohnen, Eier und Nüsse 2,5 Portionen

Obst 2–4 Portionen

Getreide 8–11 Portionen

Ernährungspyramide des Landwirtschaftsministeriums und des Gesundheitsministeriums der USA

Abbildung 2.2a: Die alten Pyramiden. Die traditionelle Ernährungspyramide des USamerikanischen Landwirtschaftsministeriums, die um das Jahr 2005 gültig war, riet dazu, mehr Getreide und weniger Fette und Zucker zu essen. Daneben sieht das, was die Amerikaner damals tatsächlich aßen, eher wie eine Sanduhr als wie eine Pyramide aus.

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Die bedeutendste Geschichte, die jemals verkauft worden ist

Die Ernährungsrichtlinien empfehlen eine Beschränkung des Verzehrs von Zuckerzusätzen auf nicht mehr als 12 Teelöffel pro Tag bei einer Gesamtzufuhr von 2.200 kcal. Außerdem empfehlen sie, dass Fette nicht mehr als 30 Prozent der täglichen Energieaufnahme ausmachen sollten – ungefähr 73  Gramm zugesetzter und natürlich vorkommender Fette bei einer Gesamtzufuhr von 2.200 kcal.

Abbildung 2.2b: Das moderne Tellermodell. Unter dem Druck von Verbraucherverbänden und als Reaktion auf die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse wurde die Pyramide abgeschafft. 2011 veröffentlichte das US-amerikanische Landwirtschaftsministerium »MyPlate«. Dieses Modell rät uns, ungefähr einen halben Teller mit Gemüse oder Obst zu essen, ein Viertel ballaststoffreiche Stärke wie Vollkornreis und ein Viertel Eiweiß, bevorzugt fettarm. Es ist noch zu früh, um sagen zu können, ob diese Veränderung irgendeine Auswirkung auf die Essgewohnheiten der Amerikaner haben wird.

»MyPyramid« ist inzwischen zu »MyPlate« geworden (siehe Abbildung 2.2b), und auch in vielen anderen Ländern – nicht zuletzt Deutschland – gibt es heute alternative Ernährungsmodelle (DGE-Ernährungskreis, LogiErnährungspyramide u. a.). Der 2010 in den USA veröffentlichte Leitfaden des Beirats zur Erarbeitung von Ernährungsrichtlinien (DGAC) besagt, dass Adipositas ein Problem ist (schockierend), sodass jeder weniger Fett, Zucker und Salz zu sich nehmen sollte. Wir alle sollten mehr Obst und Gemüse und weniger Sonstiges essen. Das ist nichts Neues. Wissen wir das nicht bereits? Weniger essen? Wie? Wenn wir weniger essen könnten, gäbe es keine Adipositaspandemie. Doch wir können es nicht. Jede Interessengruppe der Adipositaspandemie singt dasselbe Lied: »Deine Fettleibigkeit liegt in deiner persönlichen Verantwortung, sie ist

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dein Fehler, und du hast versagt.« All diese Anschuldigungen sind eine Variation des Themas, das auf dem einen unerschütterlichen Dogma beruht: »Eine Kalorie ist eine Kalorie.«

Kalorien zählen nicht, wenn … Es wird Zeit, zu erkunden, was mit all den zusätzlichen Kalorien passiert ist – die Hinweise auf das, was wirklich geschehen ist, sind nämlich vorhanden. In diesen Daten werden wir die Antwort auf das Adipositasdilemma finden. Mit dem Satz »Eine Kalorie ist eine Kalorie« sind drei Probleme verbunden. Erstens gibt es keine Möglichkeit, all die Kalorien zu verbrennen, die unsere aktuelle Nahrungsversorgung liefert. Ein Schokokeks mit Schokoladenstückchen hat so viele Kalorien, wie durch 20  Minuten Joggen verbraucht werden; und das Abtrainieren eines Big Mac erfordert vier Stunden Radfahren. Augenblick! Der US-amerikanische Schwimmer und mehrfache Olympiasieger Michael Phelps nimmt pro Tag 12.000 kcal zu sich und verbrennt sie auch, nicht wahr? Wenn das bei uns allen der Fall wäre, sollte es mit einer Diät und sportlicher Betätigung klappen: Wir würden mehr Kalorien verbrennen, als wir zu uns nehmen, und dadurch abnehmen (siehe Kapitel 13). Auch Diätmedikamente würden funktionieren: Sie nehmen die Pille, verzehren weniger und verlieren Gewicht. Doch die Medikamente halten ihre Versprechen nicht: Sie funktionieren für eine kurze Zeit, und dann kommt es beim Abnehmen zu einem Stillstand (siehe Kapitel 4).2 Warum? Hören die Patienten auf, die Pillen zu nehmen? Nein. Warum wirken die Medikamente dann nicht mehr? Die Antwort lautet: Da der Körper klüger ist als das Gehirn. Der Energieverbrauch wird reduziert, um sich an die niedrigere Kalorienzufuhr anzupassen. Also entspricht eine Kalorie nicht wirklich einer Kalorie, weil der Kalorienverbrauch von Ihrem Körper kontrolliert wird und von der Menge und der Qualität der aufgenommenen Kalorien abhängt. Zweitens: Wenn eine Kalorie eine Kalorie wäre, dann wären alle Fette gleich, da sie beim Verbrennen jeweils neun Kalorien pro Gramm freiset-

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zen. Doch sie sind nicht alle gleich. Es gibt gute Fette (mit wertvollen Eigenschaften, die beispielsweise entzündungshemmend sind) und schlechte Fette (die Herzerkrankungen und eine Fettleber verursachen können, siehe Kapitel 10). Ebenso sollten auch alle Eiweiße und Aminosäuren austauschbar sein, da sie beim Verbrennen 4,1 kcal pro Gramm freisetzen. Doch auch hier gibt es qualitativ hochwertiges Eiweiß (wie etwa Hühnereiweiß), das den Appetit reduzieren kann, sowie minderwertige Eiweiße (Hamburgerfleisch) voller verzweigtkettiger Aminosäuren (siehe Kapitel 9), die mit Insulinresistenz und dem metabolischen Syndrom in Verbindung gebracht werden (siehe Kapitel  9).3 Schließlich sollten dann auch alle Kohlenhydrate gleich sein, da sie beim Verbrennen ebenfalls 4,1 kcal pro Gramm liefern. Doch selbst das stimmt nicht. Bei einem genaueren Blick auf die Analyse von Kohlenhydraten fällt etwas Interessantes auf: Es gibt zwei Arten von Kohlenhydraten – Stärke und Zucker. Stärke besteht ausschließlich aus Glukose, die nicht sehr süß ist und von jeder Körperzelle als Energielieferant genutzt werden kann. Und auch wenn es noch mehrere andere Arten »Zucker« gibt (Glukose, Galaktose, Maltose und Laktose), meine ich, wenn ich im Folgenden von Zucker spreche, das »süße Zeug«: Rohrzucker und fruktosereichen Glukosesirup, die beide das Molekül Fruktose enthalten. Fruktose ist sehr süß und wird unweigerlich zu Fett verstoffwechselt (siehe Kapitel 11). Fruktose ist der wichtigste (wenn auch nicht der einzige) Bösewicht, der »Darth Vader«, der Sie in dieser elenden Geschichte auf die dunkle Seite zieht. Das dritte Problem mit »Eine Kalorie ist eine Kalorie« wird vom ehemaligen US-amerikanischen Gesundheitsminister Tommy Thompson illustriert, der 2004 warnte, dass wir »einfach zu viel essen«, und damit suggerierte, dass wir von allem zu viel zu uns nehmen. Doch wir essen nicht von allem zu viel. Wir essen von manchen Nahrungsmitteln zu viel, von anderen zu wenig. Und in dem Wort »manche« finden wir die Antwort auf die Adipositaspandemie. Das US-amerikanische Landwirtschaftsministerium beobachtet ein Verschwinden von Nährstoffen. Diese Daten zeigen, dass der Gesamtverzehr von Eiweiß und Fett relativ gleich geblieben ist, seit die Adipositaspandemie sich verbreitete. Doch aufgrund der Direktive der fettarmen Ernährung, die in den 1980er-Jahren vom US-amerikanischen Ärzteverband (AMA), von der American Heart Association (AHA) und dem

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US-amerikanischen Landwirtschaftsministerium (USDA) vertreten wurde, sank der prozentuale Anteil der Fette an der Gesamtkalorienmenge (von 40 auf 30 Prozent). Der Eiweißverzehr blieb relativ konstant bei 15 Prozent. Doch wenn die Gesamtkalorienmenge steigt, müsste selbst bei einer gleichbleibenden Fettzufuhr etwas anderes zunehmen. Eine Untersuchung der Kohlenhydratdaten liefert die Antwort: Hinsichtlich der Gesamtkalorien­ menge ist der Verzehr von Kohlenhydraten von 40 auf 55  Prozent angestiegen.4 Tatsächlich essen wir von beiden Kohlenhydratarten (Stärke und Zucker) mehr, doch unser Gesamtstärkeverzehr ist lediglich von 49 auf 51 Prozent der Kalorien gestiegen. Und der Fruktosekonsum beträgt statt 8 Prozent nun 12 Prozent beziehungsweise in einigen Fällen (insbesondere bei Kindern) 15 Prozent der Gesamtkalorienmenge. Es wird folglich klar, dass wir mehr Zucker und vor allem Fruktose zu uns nehmen. In Europa ist die Entwicklung durchaus vergleichbar – so hat sich der Zuckerkonsum in Österreich in den vergangenen 150 Jahren verzwanzigfacht! Die Antwort auf unser globales Dilemma liegt im Verständnis der Ursachen und Wirkungen dieser Veränderungen unserer Ernährung. Aus diesen drei Punkten, die dem aktuellen Dogma widersprechen, kann man eine Lehre ziehen: Nicht alle Kalorien sind gleich. Der Satz »Eine Kalorie ist eine Kalorie« sollte eher geändert werden in: Eine verbrannte Kalorie ist eine verbrannte Kalorie, doch eine verzehrte Kalorie ist nicht eine verzehrte Kalorie. Und darin liegt der Schlüssel zum Verständnis der Adipositaspandemie. Die Qualität unserer Nahrung legt die Quantität fest. Und sie bestimmt über unsere Energie, sie zu verbrennen. Persönliche Verantwortung? Lediglich ein weiterer Mythos, der von echter Wissenschaft widerlegt wird.

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Persönliche Verantwortung versus adipöse Babys ––––––––––––––––––––l––––––––––––––––––––

Sienna ist ein Jahr alt und wiegt 20  Kilo. Bei der Geburt wog sie 4,5  Kilo und kam aufgrund ihrer Größe durch einen Kaiserschnitt zur Welt. Ihre Mutter ist nicht fettleibig, aber ihr Vater hat Übergewicht. Während der Schwangerschaft wurde ihre Mutter negativ auf Diabetes getestet. Seit ihrer Geburt hat Sienna einen unglaublichen Appetit. Ihre Mutter konnte sie nicht stillen, weil das den Nahrungsbedarf des Babys nicht gedeckt hätte. Ein durchschnittliches Kleinkind in Siennas Alter nimmt pro Tag etwa einen Liter Babynahrung zu sich – Sienna vertilgte zwei Liter täglich. Als Sienna sechs Monate alt war, rieten wir ihrer Mutter, mit dem Füttern fester Nahrung zu beginnen. Sienna isst ständig und schreit, wenn ihre Mutter sie nicht füttert. Sie hat bereits einen hohen Cholesterinspiegel und Bluthochdruck.

Ist Sienna aufgrund ihres Verhaltens adipös? War dieses Verhalten erlernt? Wann sollte sie dieses Verhalten erlernt haben, und von wem? Hat sie im Alter von einem Jahr gelernt, wie sie ihre Mutter kontrollieren kann, damit sie bekommt, was sie möchte? Sollte sie für ihre Handlungen persönlich Verantwortung übernehmen? Beim Dogma »Eine Kalorie ist eine Kalorie« steht das Verhalten an erster Stelle. Die persönliche Verantwortung setzt eine Wahl voraus: Eine bewusste Entscheidung führt zu einem Verhalten. Dieses Verhalten basiert auf er-

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lerntem Nutzen oder Schaden (zum Beispiel wenn ein Baby seine Hand auf den Herd legt und erkennt, dass er heiß ist). Doch ergibt das auch in Bezug auf Fettleibigkeit einen Sinn? Bei jedem? Es gibt sechs Gründe, warum man die »persönliche Verantwortung« als Grund für Adipositas bezweifeln kann.

1. Adipositas ist keine Wahl Das Konzept der persönlichen Verantwortlichkeit für Fettleibigkeit ergibt nicht immer einen Sinn. In unserer heutigen Gesellschaft muss man sich fragen: Gibt es Menschen, die Adipositas als einen persönlichen Vorteil betrachten? Etwas Wünschenswertes, das es zu erreichen gilt? Generell werden in modernen westlichen Gesellschaften heutzutage die Schlanken geschätzt und die Adipösen gemieden. Fettleibigkeit geht häufig mit medizinischen Komplikationen einher; so entwickeln die Betroffenen mit einer größeren Wahrscheinlichkeit Herzprobleme und Typ-2-Diabetes (siehe Kapitel 9). Adipöse Menschen geben für ihre Gesundheitsversorgung doppelt so viel Geld aus.1 Studien zeigen, dass Fettleibige mehr Schwierigkeiten bei Partnersuche und Heirat sowie hinsichtlich der Fruchtbarkeit haben. Sie neigen dazu, ärmer zu sein und selbst in eigentlich gut bezahlten Jobs weniger zu verdienen als ihre Kollegen.2 Nun stellen wir uns dieselbe Frage bei Kindern. Hat Sienna die Fettleibigkeit als persönlichen Vorteil gesehen? Wurde sie bewusst adipös? Bei fettleibigen Kindern ist die Lebensqualität ähnlich wie bei Kindern, die aufgrund einer Krebserkrankung eine Chemotherapie machen.3 Sie werden von anderen Kindern ausgegrenzt und schikaniert. Viele adipöse K ­ inder leiden unter einem niedrigen Selbstwertgefühl, unter Scham, Selbsthass und Einsamkeit. Im Rahmen einer Studie wurden Kindern Fotos möglicher Spielkameraden gezeigt. Jedes sah anders aus, und manche waren körperlich behindert, entstellt oder saßen in einem Rollstuhl. Die Forscher fragten die Kinder, mit wem sie am liebsten spielen würden. Das fettleibige Kind kam an letzter Stelle. Adipositas ist eindeutig etwas, das Menschen, insbesondere Kinder, nicht anstreben. Doch dieser Blick auf die Fettleibigkeit stimmt nicht unbedingt mit der Einschätzung adipöser Personen überein. Sie sehen sich selbst als Täter,

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nicht als Opfer. Häufig sagen sie, dass sie wissen, ihr Verhalten nicht mehr kontrollieren zu können, und dass dies ihr eigener Fehler sei. Oftmals machen sie Diäten und leiden unter dem Jo-Jo-Effekt. Für eine bestimmte Zeit verlieren sie Gewicht, und wenn sie es wieder zurückgewinnen, geben sie sich selbst die Schuld und halten den Rückfall für einen Charakterfehler. Sie berichten häufig über Fressattacken, die vermuten lassen, dass die Ernährungskontrolle in gewissem Maße verloren gegangen ist. Diese Erfahrungen des Kontrollverlusts lassen sie annehmen, dass sie die Kontrolle zuvor hatten. Doch stimmt das wirklich?

2. Diät und Sport funktionieren nicht Wenn es bei Adipositas lediglich um eine gesteigerte Kalorienzufuhr und eine verminderte Kalorienverbrennung ginge, würden eine reduzierte Aufnahme (Diät) und ein erhöhter Verbrauch (Bewegung) wirken. Wäre Fettleibigkeit von erlernten Verhaltensweisen verursacht, würde eine Veränderung dieser Verhaltensweisen zur Umkehrung des Prozesses und Förderung der Gewichtsabnahme führen. Bestimmte bemerkenswerte Erfolge haben dazu geführt, dass eine Änderung des Verhaltens und des Lebensstils als Eckpfeiler der Adipositastherapie gelten. Zu diesen Einzelberichten gehören die über Gewichtsverluste von Prominenten – wie bei Kirstie Alley oder Oprah Winfrey –, die ihre Diäten ­öffentlich anpreisen, als handelte es sich um die neuste Handtaschenmode. Sie erzählen ihre Geschichte im Fernsehen und überzeugen ihre Zuschauer, dass diese Umstellung des Lebensstils auch für sie möglich sei und dass der Gewichtsverlust sie attraktiv und glücklich machen werde (als würden sie ihrer Garderobe die neuste Herbstfarbe hinzufügen). Es gibt Reality-­ Fernsehshows wie The Biggest Loser, die den Gewichtsverlust (sowie viele Rückschläge) »normaler Leute« durch kontrollierte Diät und sportliche Betätigung dokumentieren. Werbung, Geldpreise und ständige Aufmerksamkeit reichen dabei häufig aus, um die eigene Ernährungsweise und das Bewegungsverhalten für eine kurze Zeit zu ändern. Und in allen Zeitschriften und vielen Dauerwerbesendungen werden für ein neues Abnehmmittel Vorherund Nachher-Bilder von Menschen gezeigt, die 45 Kilo abgenommen haben.

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Ob das alles aber eine anhaltende Verhaltensänderung bedeutet, ist zweifelhaft. Immerhin haben Kirstie Alley und Oprah Winfrey, in der Öffentlichkeit stehende Promis, ihr Gewicht mehrfach wieder zurückgewonnen (bis ihre nächste Wunderdiät begann, zahllose neue Diätbücher verkauft, neue Gurus erkoren und Millionen Dollar verdient wurden und der Zyklus von Neuem begann). Es gibt diverse Berichte von Kandidaten der Fernsehshow The Biggest Loser, die nach dem Ende der Sendung einen Großteil der verlorenen Pfunde wieder zugenommen haben. Besonders bemerkenswert ist der Fall von Eric Chopin, der in den USA die dritte Staffel gewonnen hatte: Er erschien in der Sendung Oprah, um seine traurige Geschichte zu erzählen – nach seinem Sieg hatte er mindestens die Hälfte des verlorenen Gewichts wieder zugelegt. In einem Blog schrieb er: »Ich bin noch immer nicht wieder auf dem richtigen Weg. Ich weiß nicht, woran das liegt.« Eine bedeutende Gewichtszunahme ist sogar bei bis zu einem Drittel der Patienten zu beobachten, die sich zum Abnehmen einer Operation unterzogen haben (siehe Kapitel 19), da der Grund für die Fettleibigkeit noch immer vorhanden ist. Denn wenn dieser Grund nicht direkt in Angriff genommen wird, wird das Zunehmen die Regel sein, nicht die Ausnahme. Eine strenge Kontrolle der eigenen Umgebung durch eine Beschränkung der Kalorienzufuhr und gesteigerte körperliche Aktivität kann zu Gewichtsverlust führen. Das stimmt, solange die Umgebung reguliert bleibt. Ein perfektes Beispiel ist ein Armeerekrut, der aufgrund einer überwachten Diät und intensiver sportlicher Betätigung beständig Gewicht verliert. Dasselbe gilt für die zahlreichen Abnehmeinrichtungen, die in letzter Zeit überall entstanden sind. Eltern schicken ihr übergewichtiges Kind im Sommer dorthin und sind begeistert, wenn es schlanker zurückkommt (falls es vor dem Unmut der Eltern Angst hat). Es gibt viele Berichte von Hollywoodstars, die für eine Rolle einige Kilos zulegen (zum Beispiel Robert De Niro für Wie ein wilder Stier) und dann nach den Dreharbeiten die überflüssigen Pfunde wieder verlieren. (Natürlich haben sie den Vorteil der rund um die Uhr verfügbaren persönlichen Trainer und Ernährungswissenschaftler, die ihre Nahrungsaufnahme überwachen.) Solche Ergebnisse sind drastisch, in der Regel aber nicht nachhaltig. Die Kontrolle der Umgebung ist etwas anderes als die Kontrolle des Verhaltens (siehe die Kapitel 17 und 18).

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Personen, die unterhalb des Ausgangsgewichts bleiben, in Prozent

Das eigentliche Problem liegt nicht im Gewichtsverlust, sondern darin, die Kilos über eine längere Zeit nicht wieder zuzunehmen. Zahlreiche Quellen zeigen, dass fast jede Änderung des Lebensstils in den ersten drei bis sechs Monaten funktioniert. Doch dann kommt das Gewicht zurück.4 Die Anzahl der Menschen, die einen bedeutenden Gewichtsverlust halten können, ist äußerst gering (siehe Abbildung 3.1). Doch da eine Veränderung des Verhaltens und des Lebensstils die anerkannte Behandlung ist, lautet die generelle Erklärung für ein erneutes Zunehmen, dass der Fehler bei der betreffenden Person liegt. Da sie »entscheidet«, kein gesundes Leben zu führen, fühlen die Ärzte und die Krankenversicherung sich nicht dafür verantwortlich einzugreifen. Dasselbe gilt für Kinder. Aufgrund einiger beachtlicher individueller Erfolge ist eine Änderung des Verhaltens und des Lebensstils zum Eckpfeiler der Therapie geworden. Doch für die meisten adipösen Kinder ist das keine Siegstrategie. Studien zeigen, dass eine Nahrungsumstellung nicht oft funktioniert. Eine Veränderung im Bereich der körperlichen Betätigung ist noch seltener erfolgreich. Und unglücklicherweise sind Kinder wie Sienna im Alter von einem Jahr noch nicht in der Lage, auf einem Laufband zu trainieren. Auch die Auswirkungen eines veränderten Lebensstils als Adipositasprävention sind enttäuschend und zeigen nur minimale Effekte in Bezug auf das Verhalten sowie keinerlei Effekte hinsichtlich des BMI. Halten eines Gewichtsverlusts Alter bei Beginn < 21 n = 60 > 21 n = 42

Jahre nach dem Ende des Gewichtsverlusts

Abbildung 3.1. Der »Biggest Loser« – nicht Sie! Adipöse Menschen, die in der Lage waren, ihren Gewichtsverlust über neun Jahre zu halten, in Prozent.

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3. Die Adipositasepidemie ist nun eine Pandemie Wäre Fettleibigkeit ein ausschließlich US-amerikanisches Phänomen, würde es sich um eine Epidemie handeln, den Ausbruch einer Krankheit in einem bestimmten Gebiet. Dann könnte man unserer amerikanischen Kultur die Schuld geben. Aufgrund der anderen Erziehung und technologischen Überlegenheit werden wir US-Amerikaner als »fett und faul« oder als »Vielfraße und Faultiere« bezeichnet. Doch Adipositas ist inzwischen eine Pandemie, also ein weltweites Problem. Großbritannien, Australien und Kanada folgen uns unmittelbar nach. In den letzten zehn Jahren ist auch in Frankreich die Zahl der fettleibigen Kinder von 5 auf 10 Prozent gestiegen, in Japan von 6 auf 12 Prozent und in Südkorea von 7 auf 18 Prozent.5 Tatsächlich kommen Adipositas und chronische Stoffwechselkrankheiten auch in Entwicklungsländern vor, die solche Probleme noch nie zuvor gehabt haben.6 Früher gab es in ärmeren Ländern wie Malaysia Probleme mit Unterernährung. Nun ist Typ-2-Diabetes dort so weit verbreitet wie nirgends sonst auf der Erde. In China herrscht eine Adipositasepidemie unter Kindern, 8 Prozent sind in den städtischen Gegenden betroffen. Vorhersagen zufolge sollen in Brasilien bis 2020 die Zahlen der USA erreicht werden. Selbst Indien ist nicht immun, obwohl das Land nach wie vor ein großes Problem mit Unterernährung hat: Seit 2004 ist die Zahl der adipösen Kinder von 17 auf 27  Prozent  ­gestiegen. ­Sienna  ist  also kein Einzelfall, ihre fettleibigen Spielkameraden werden überall auf der Welt geboren. Zu den Regionen mit dem größten Anstieg von Adipositas und Typ-2-Diabetes zählen Asien (insbesondere der Pazifik­ raum) und Afrika, also nicht wohlhabende Gegenden.7 Kein Teil der Erde ist ausgenommen. Das ist weder ein amerikanisches Problem noch ein australisches, britisches oder japanisches. Es handelt sich um ein globales Problem. Ist es denn möglich, dass jedes dieser Länder dieselben kulturellen Verschiebungen »hin zu den Vielfraßen und Faultieren« erlebt haben sollte, die wir in den USA erfahren haben? Denn Adipositas in der Kindheit ist von Intellekt, Bevölkerungsschicht und Kontinent unabhängig. Welche Veränderung, die in den letzten 30  Jahren stattgefunden hat, verbindet alle Länder dieser Welt? Wie in der Einleitung erwähnt, hat sich

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die »amerikanische Ernährung« zur »industrialisierten, weltweiten Ernährung« entwickelt. Auch wenn die Menschen in anderen Ländern unsere Fastfood- und Fernsehkultur missbilligen, ist unsere Ernährungsweise tatsächlich in jedes Land dieser Erde vorgedrungen. Unser Fastfood hat sich aufgrund von Geschmack, Haltbarkeit, bequemem Transport und dem »Coolness«-Faktor (ein Ergebnis effektiven Marketings) global verbreitet. Seine Akzeptanz ist auch eine Reaktion auf die kontaminierte Wasserversorgung in vielen Gegenden: Soft Drinks sind häufig sicherer, billiger und leichter zugänglich als Trinkwasser.8 Außerdem sind sie preiswerter und auf jeden Fall auch leichter verfügbar als Milch.

4. Selbst Tiere in Gefangenschaft werden fetter Ein kürzlich veröffentlichter Bericht zeigte, dass in den letzten 20 Jahren in Gefangenschaft aufgewachsene Tiere ein immer höheres Körpergewicht aufwiesen. Die Studie untersuchte die Daten von 22.000  Tieren acht unterschiedlicher Arten, von Ratten bis zu Orang-Utans.9 Diese Tiere lebten rund um den Globus in vielen von Menschen angelegten Kolonien, teilweise auch in Labors und Zoos. Sie fraßen nicht unsere kommerziellen Nahrungsmittel. Doch ihre Nahrung war trotzdem verarbeitet und bestand aus den gleichen allgemeinen Zutaten wie unsere. Außerdem trinken diese Tiere das gleiche Wasser, und sie atmen die gleiche Luft wie wir. Wir wissen noch nicht, warum es passiert, doch die Tatsache, dass selbst Tiere Zeichen von Gewichtszunahme zeigen, spricht sowohl gegen die persönliche Verantwortlichkeit als auch für irgendeine Art von Umwelteinflüssen, denen alles Leben auf unserem Planeten heute unterworfen ist (siehe Kapitel 15).

5. Die Armen zahlen mehr Wie bereits erwähnt, setzt persönliche Verantwortung eine Wahl voraus und in der Regel auch eine bewusste Entscheidung. Kann man persönlich verantwortlich sein, wenn man keine Wahl hat? Es ist bekannt, dass es unter den Armen eine höhere Adipositasrate und mehr chronische Krankheiten

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gibt als bei den Reichen. Dafür gibt es viele Gründe, und es ist schwierig, einen einzelnen ausschlaggebenden Faktor zu bestimmen. In den Vereinigten Staaten weisen die Armen zwei Merkmale auf, die gegen die persönliche Verantwortung sprechen. Erstens gibt es mögliche genetische Probleme. Bekanntermaßen sind Afroamerikaner und Latinos in den USA gegenüber den hellhäutigen Bürgern wirtschaftlich benachteiligt. Bei dieser demografischen Gruppe kommt Fettleibigkeit häufiger vor als bei den Weißen – 40 Prozent der Latinos und 50 Prozent der Afroamerikaner sind adipös –, und es kommt mit einer größeren Wahrscheinlichkeit zu den damit einhergehenden medizinischen Problemen wie dem metabolischen Syndrom.10 Einige genetische Veränderungen sind bei bestimmten Minderheitengruppen weiter verbreitet. Diese Unterschiede in der DNA können teilweise höhere Adipositasraten und manche metabolischen Krankheiten wie die Fettleber (siehe die Kapitel 7 und 19) erklären. Und das Erbgut ist ganz gewiss keine bewusste Entscheidung. Zweitens spielt auch die Verfügbarkeit eine Rolle. Es gibt einen Unterschied zwischen der »gesunden« Ernährung der Wohlhabenden, die sich teure, aber frische, unverarbeitete, ballaststoff- und nährstoffreiche Lebensmittel mit wenig Zucker leisten können, und der ungesunden Ernährung der Armen, die hauptsächlich aus billigen, verarbeiteten Nahrungsmitteln und Getränken besteht, die nicht gekühlt werden müssen und lange halten. Doch es geht nicht nur darum, was die Menschen sich leisten können. In vielen armen Wohnvierteln in den Vereinigten Staaten gibt es weder einen Bauernmarkt noch Supermärkte oder Lebensmittelgeschäfte, in denen »gesunde« Lebensmittel angeboten werden.11 Viele Supermärkte sind aus den armen Gegenden weggezogen – insbesondere aufgrund finanzieller Erwägungen, basierend auf dem Einkommen und der Angst vor Kriminalität. Die US-amerikanische Supermarktkette Kroger mit Sitz in Cincinnati erwarb im Jahr 2007 20 ehemalige Farmer-Jack-Läden in den Vororten von Detroit (Michigan), doch keinen innerhalb von Detroits Stadtgrenzen. Die nächstgelegene Niederlassung ist in Dearborn, acht Meilen von der Innenstadt entfernt. Viele Menschen, die in Gegenden mit niedrigem Einkommen leben, haben auch nur einen eingeschränkten Zugang zu den Beförderungsmitteln. Städtische Unterschichtsbezirke werden in den USA auch als

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»Nahrungswüsten« bezeichnet, weil sie keinen gesunden Lebensstil ermöglichen. Wenn der einzige Laden in der Nähe ein Geschäft ist, in dem verarbeitete Lebensmittel verkauft werden, haben Sie keine echte Wahl, was Sie essen wollen. In wohlhabenderen Gegenden San Franciscos gibt es in fast jedem Wohnblock einen Bioladen, während in den ärmeren Vierteln der Stadt an nahezu jeder Ecke ein Fastfoodrestaurant zu finden ist. Selbst wenn alle Lebensmittel zu niedrigen Preisen verfügbar sind, haben die Armen möglicherweise keinen Kühlschrank oder noch nicht einmal eine Küche. In zahlreichen Hotels mit Einzelzimmern gibt es lediglich Kochplatten und keinen Platz zum Aufbewahren oder Kochen gesunder Mahlzeiten. Und dann stellt auch die verfügbare Zeit eine Einschränkung dar. In vielen armen Familien haben beide Elternteile jeweils mehrere Jobs und können nicht nach Hause kommen, um ihren Kindern gesunde Mahlzeiten zuzubereiten, sodass sie sich stattdessen auf Fastfood oder Pizza verlassen. Außerdem leiden die Armen am meisten unter Nahrungsmittelunsicherheit. Wenn man nicht weiß, wovon man sich seine nächste Mahlzeit kaufen soll, bedeutet das großen Stress (siehe Kapitel 6). Die Menschen essen daher, was gerade verfügbar ist – in der Regel ist das verarbeitete Nahrung. Dieses Stressniveau ist mit dem Konzept der Wahlfreiheit nicht vereinbar. Gestresste Menschen können keine rationale Entscheidung treffen – insbesondere wenn kurzfristige Ziele (z. B. den Hunger zu stillen) mit längerfristigen Zielen konkurrieren (z. B. eine gute Gesundheit zu sichern).

6. Bei den jüngsten Patienten gibt es den größten Adipositasanstieg Wenn man die US-amerikanischen Trends hinsichtlich der Adipositas bei Kindern im Laufe der vergangenen 40 Jahre betrachtet, erkennt man, dass jede Altersgruppe betroffen ist. Allerdings sind die Zwei- bis Fünfjährigen am stärksten betroffen.12 Es ist nicht möglich, dieser Altersgruppe persönliche Verantwortung oder eine freie Entscheidung zuzuschieben. Kleinkinder entscheiden nicht, wann, was oder wie viel sie essen. Sie gehen nicht einkaufen und bereiten ihre Nahrung auch nicht zu. Doch wie alle Eltern

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Persönliche Verantwortung versus adipöse Babys

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wissen, haben sie eine Stimme und tun ihre Vorlieben im Supermarkt kund. Studien haben gezeigt, dass Kinder bis zum Alter von acht Jahren keinen Unterschied zwischen einer Fernsehsendung und Werbung erkennen. In den Vereinigten Staaten sehen die Kinder durchschnittlich drei bis vier Stunden pro Tag fern. Zwischen den einzelnen Sendungen wird Werbung gezeigt, die speziell auf diese jungen Zuschauer abzielt und ihnen vermittelt, was sie brauchen.13 Wenn man allerdings nicht weiß, was Marketing ist und was nicht, kann man sich davor auch nicht schützen. Schon bei sechs Monate alten Babys gibt es eine Adipositasepidemie.14 Sie können weder eine Diät einhalten noch Sport treiben. Sie werden gestillt oder erhalten Babynahrung und liegen in ihren Bettchen. Unsere Gesellschaft schiebt die Schuld gern auf die Ernährung und die ­Bewegung – doch wie lässt sich dann Fettleibigkeit bei Babys erklären? Mit welcher Theorie Sie die Adipositasepidemie auch immer erklären möchten, sie muss sich auch auf die sechs Monate alten Säuglinge anwenden lassen. Das Konzept von Ernährung und Bewegung ist bei einem adipösen Kleinkind unlogisch. Sienna und andere fettleibige Babys machen die Idee der persönlichen Verantwortlichkeit für Adipositas zunichte. Statt eines ­Täters muss ein adipöses sechsmonatiges Kind ein Opfer sein. Doch wessen ­Opfer? Oder von was?

7. Wer ist schuld? Wir stehen also vor einem Rätsel. Wir essen alle mehr und bewegen uns weniger. Bis 2050 wird Adipositas die Norm sein, nicht die Ausnahme. Lösen falsche Verhaltensweisen Fettleibigkeit aus? Wenn das so ist, steht das Verhalten im Vordergrund, das Verhalten ist eine Entscheidung, und dann liegt das Hauptaugenmerk auf der persönlichen Verantwortung. Doch was, wenn es andersrum wäre – wenn die Gewichtszunahme selbst, als biologischer Prozess, diese falschen Verhaltensweisen auslöst (siehe Kapitel 4)? Gegen die persönliche Verantwortlichkeit zu argumentieren, entspricht einer Argumentation gegen den freien Willen. Der »freie Wille« ist definiert als »die Fähigkeit, freie Entscheidungen zu treffen, die nicht von äußeren Umständen oder einer Notwendigkeit eingeschränkt sind«. Wer trifft

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Die bedeutendste Geschichte, die jemals verkauft worden ist

Entscheidungen? Philosophen und Wissenschaftler erörtern dieses Thema seit Jahrhunderten. Albert Einstein erklärte: »Wenn der Mond bei seiner ewigen Umrundung der Erde ein Selbstbewusstsein hätte, wäre er vollkommen überzeugt davon, dass er aus eigenem Antrieb um die Erde reist … Ebenso würde ein Wesen mit höherer Einsichtsfähigkeit und perfekterer Intelligenz beim Blick auf die Menschen und ihre Handlungen über die Illusion des Menschen lächeln, dass er seinem freien Willen gemäß handelt.« Anthony Cashmore von der University of Pennsylvania behauptete kürzlich, dass freier Wille in Wirklichkeit eine Interaktion zwischen unserer DNA und unserer Umwelt sei, einhergehend mit einigen zufälligen Prozessen.15 Da wir unsere DNA nicht verändern können und weil zufällige Prozesse eben zufällig sind, bleibt nur noch unsere Umwelt als einziger Faktor, der beeinflusst werden kann. Wer oder was an Adipositas schuld ist, wird nicht so schnell geklärt sein. Doch ich würde sagen, dass die Behauptung einer persönlichen Verantwortung der fettleibigen Personen kein rationales Argument ist – und zwar aus einem überaus praktischen Grund: Alle Änderungsbemühungen scheitern. Die Adipositasepidemie basiert auf unserer veränderten Biochemie, die wiederum eine Folge unserer veränderten Umwelt ist. In Teil 2 dieses Buches werde ich zeigen, dass unsere Verhaltensweisen sekundär sind und von unserer Biochemie geformt werden.

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Kapi tel  4

Vielfraß und Faultier – hormongesteuerte Verhaltensweisen ––––––––––––––––––––l––––––––––––––––––––

Marie ist ein 16-jähriges Mädchen mit einem Hirntumor im Bereich des Hypothalamus (die Gegend im unteren Teil des Gehirns, welche die Körperhormone reguliert). Als sie zehn Jahre alt war, wurde eine Bestrahlung des Schädels erforderlich, um den Tumor zu töten. Seitdem hat sie jedes Jahr etwa 13,5 Kilo Gewicht zugelegt. Als ich sie zum ersten Mal sah, wog sie 100 Kilo. Jedes Mal wenn sie aß, stieg ihr Insulinspiegel enorm an. Aufgrund eines Hirnschadens litt sie unter einer Form der Gewichtszunahme, die sich nicht stoppen ließ, hypothalamisches Syndrom oder Fröhlich-Syndrom genannt. Sie war zu Hause vollkommen passiv, konnte in der Schule nicht lernen und war sehr niedergeschlagen. Im Rahmen meiner wissenschaftlichen Untersuchungen gab ich ihr ein Medikament namens Octreotid, das ihre Insulinproduktion eindämmte. Nach einer Woche rief mich Maries Mutter an, um mir zu erzählen: »Dr. Lustig, es kommt etwas in Bewegung. Wenn wir früher zu Taco Bell gingen, konnte Marie fünf Tacos und eine Enchilada essen, ohne satt zu sein. Jetzt isst sie zwei Tacos und hat keinen Hunger mehr. Und sie beginnt, mir im Haushalt zu helfen.« Nachdem wir mit dieser Medikation begonnen hatten, sagte Marie zu mir: »Das ist das erste Mal seit dem Tumor, dass ich nicht völlig geistesabwe-

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send bin.« Innerhalb eines Jahres konnte sie die Antidepressiva absetzen und verlor 22 Kilo.

Wer hat hier Schuld? War das ein Fall des freien Willens? Und was hat für Marie die Wende gebracht? Wenn Adipositas wirklich eine Folge einer erhöhten Kalorienzufuhr (Vielfraß) und eines zu geringen Kalorienverbrauchs (Faultier) wäre, dann wären meine letzten 16 Jahre, in denen ich mich um fettleibige Kinder gekümmert habe, eine reine Zeitverschwendung gewesen. Denn nach Jahren des Motivierens, Bittens und Argumentierens ist mir schmerzlich bewusst geworden, dass ich das Verhalten der Kinder nicht ändern kann. Und natürlich kann ich auch das Verhalten ihrer Eltern nicht ändern. Die Erkenntnisse, die ich aus Maries Fall und der Behandlung anderer Kinder gewonnen habe, zeigten mir die Probleme unserer aktuellen Denkweise auf. Biochemie und Hormone steuern unser Verhalten. Die Vorstellung, dass die Biochemie eine entscheidende Rolle spielt, ist nicht neu – doch Ärzte, Wissenschaftler und die Öffentlichkeit sollten sie akzeptieren. Denken Sie mal über Folgendes nach: Bei Ihnen erscheint ein Patient, der täglich 38 Liter Wasser trinkt und 38 Liter Urin ausscheidet (äußerst unnormal). Was stimmt nicht mit ihm? Könnte er eine Verhaltensstörung haben, sodass seine Psyche ihn dazu bewegt, so viel Wasser zu trinken? Möglich. Doch es ist wahrscheinlicher, dass er unter Diabetes insipidus leidet, einer Hormonstörung, aufgrund deren die Niere vermehrt Wasser ausscheidet. Oder in Ihrer Praxis erscheint ein 25-Jähriger, der beim Mittagessen einschläft. Hat er die Nacht hindurch gefeiert? Vielleicht. Aber er könnte auch die Schlafkrankheit haben, die durch einen Defekt des Hormons ausgelöst wird, das im Mittelhirn das Hormon Orexin anregt, welches Einfluss auf den Schlafrhythmus hat. Die Biochemie steuert das Verhalten. Schizophrenie galt 100  Jahre lang als psychische Störung. Heute wissen wir, dass es sich um einen Defekt des Neurotransmitters Dopamin handelt und dass noch so viel Psychotherapie nicht helfen kann, bevor dieses biochemische Problem nicht behoben ist. So erkennen wir regelmäßig »biochemische« Defekte in zahlreichen Störungen des »Verhaltens«.

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Essen oder nicht essen – das ist nicht die Frage

Eine Einführung in die Verarbeitung und Einlagerung von Energie Wenn wir verstehen wollen, wie Hormone das Essverhalten kontrollieren, müssen wir zunächst einmal wissen, was mit der Nahrung passiert, die wir zu uns nehmen. Als Reaktion auf unterschiedliche Signale unseres Gehirns (Hunger, Belohnung, Stress) essen wir verschiedene kalorienhaltige Lebensmittel (Kombinationen aus Fett, Eiweiß, Kohlenhydraten und Ballaststoffen mit einigen Mikronährstoffen als Dreingabe), damit Muskeln und Knochen wachsen und/oder um Energie zum Verbrennen zu haben. Diese Kalorien kommen im Magen an, einem Hohlorgan aus Muskelgewebe im Bauch, das etwa 1,5 Liter fassen kann. Der Magen gibt Salzsäure ab, um die Zerlegung der Nahrung in kleinere Bestandteile in Gang zu setzen. Die Nahrung setzt ihren Weg in den nächsten Abschnitt des Verdauungstrakts fort, der Dünndarm genannt wird. Dort verdaut eine Vielzahl von Enzymen (Eiweißen) die Nahrung, sodass noch kleinere Teile entstehen: Fette werden zu Fettsäuren zerlegt, Eiweiße in Aminosäuren und Kohlenhydrate in Einfachzucker (hauptsächlich Glukose, mit einer variierenden Menge der süßen Fruktose). Doch Ballaststoffe können wir nicht verdauen, sodass sie nicht zerlegt werden. Die Ballaststoffe beschleunigen den Transit der Nahrung durch den Dünndarm (siehe Kapitel 12) und begrenzen die Aufnahme anderer Nahrungsbestandteile. Sobald die Aminosäuren und Einfachzucker im Dünndarm aufgenommen worden sind, gelangen sie über die Pfortader in die Leber, wo sie direkt verarbeitet werden. Auch die Fettsäuren werden zur Leber transportiert, aber auf einem anderen Weg (über das Lymphsystem). Die Leber ist also der erste Ort, an dem diese drei Nährstoffgruppen verarbeitet werden. Was die Leber nicht aufnehmen kann, gelangt in den allgemeinen Blutkreislauf. Ein erhöhtes Glukose-, Aminosäuren- oder Fettsäurenniveau erreicht die Bauchspeicheldrüse, wo die Betazellen das Hormon Insulin freisetzen. Insulin ist gemeinhin als Diabeteshormon bekannt. Diabetiker spritzen Insulin, um ihren Blutzuckerspiegel zu senken. Doch was geschieht dann mit der Glukose? Sie wird zu Fett umgesetzt. Tatsächlich ist es die Aufgabe des Hormons Insulin, Energie einzulagern. Wenn Sie etwas essen (das in der Regel auch eine Form von Kohlenhydraten enthält), steigt Ihr Blut-

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zuckerspiegel an und signalisiert der Bauchspeicheldrüse, dass sie Insulin in einer Menge freisetzen soll, die dem Blutzucker entspricht. (Das ist die Theorie hinter dem Konzept des glykämischen Index, das in Kapitel 17 erläutert wird.) Das Insulin schöpft dann quasi die Energiereserve der Leber ab, produziert Leberstärke (Glykogen genannt) und verschiebt etwaige Aminosäuren aus dem Blut in Muskelzellen. Überschüssige Fettsäuren oder Blutlipide werden in Fettzellen »für schlechte Zeiten« eingelagert; dort kommt es zu einer Umwandlung in Triglyzeride (wie das Fett bei einem Steak). Ohne Insulin wird keine Energie eingelagert – es ist der ­Schlüssel, der die Tür zu den Fettzellen öffnet, um Energie hineinzulassen und anschließend als Fett zu lagern. Insulin produziert Fett – je mehr Insulin, desto mehr Fett. Und in den Fettzellen bleibt es dann auch … solange Insulin da ist. Wenn der Insulinspiegel fällt, läuft der Vorgang in umgekehrter Richtung ab: Die Triglyzeride werden aufgebrochen, sodass die Fettzellen abschmelzen – wenn das geschieht, verlieren Sie Gewicht! Die Fettsäuren kehren dann in den Blutkreislauf zurück und wandern in die Leber, wo sie von der Leber oder anderen Organen verbrannt werden. Auf diese ­Weise verbrennen wir mithilfe des Insulins, was wir brauchen, und lagern den Rest ein.

Eine Einführung in den Hypothalamus In den letzten 60 Jahren wussten wir, dass das Gehirn – insbesondere der eine Kubikzentimeter im unteren Bereich, der Hypothalamus genannt wird – die Vorgänge rund um das Energiegleichgewicht steuert. Er ist ungefähr so groß wie ein Daumennagel und kontrolliert fast alle Hormon­ systeme unseres Körpers. Stellen Sie sich vor, wie ein Taxiunternehmen organisiert ist. Unten sind die Taxifahrer, die ihre Anweisungen per Funk vom zentralen Disponenten erhalten und die ihre Kunden durch die ganze Stadt fahren. Die Zielorgane – Schilddrüse, Nebennieren, Hoden, Eierstöcke – sind wie die Taxifahrer. Sie erhalten ihre Befehle vom Disponenten, in diesem Fall von der Hirnanhangdrüse (Hypophyse), die als Hauptkontrollsystem fungiert. Die freigesetzten Hormone entsprechen dem Computersystem in den Taxis und mel-

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den der Hirnanhangdrüse, wie die Dinge vor Ort laufen. Wie der zentrale Disponent, der die Taxis je nach ihrem aktuellen Standort einsetzt, passt die Hirnanhangdrüse ihre Nachricht dann an. Doch es gibt noch eine weitere Kontrollinstanz: den Geschäftsführer, der über Einstellungen und Entlassungen entscheidet, über Verträge, Beförderungen, Fusionen und Käufe. Das Unternehmen kann ohne die Taxifahrer keinen Gewinn machen, ohne den Disponenten nicht effizient arbeiten und ohne Geschäftsführer nicht nachhaltig funktionieren. Darüber hi­naus kann der Geschäftsführer die Ausrichtung des Unternehmens je nach Profitabilität seiner Taxifahrer verändern. Er ähnelt dem Hypothalamus. Dieser schickt über das Blut Hormonsignale, um der Hirnanhangdrüse mitzuteilen, was zu tun ist. Außerdem trifft er weitreichende Entscheidungen auf der Grundlage der verschiedenen Drüsen, die ihre Informationen über die Blutbahnen schicken. Und er bezieht Informationen aus anderen Hirnregionen ein, um das langfristige Hormonmilieu zu verändern. Maries Hypothalamus war irreparabel geschädigt, sodass er ihre Hormone und infolgedessen ihr Verhalten nicht mehr effektiv kontrollieren konnte.

Der ventromediale Hypothalamus (VMH) und das Energiegleichgewicht Die Hierarchie ist beim Energiegleichgewicht noch komplizierter. Ein Teilbereich dieser daumennagelgroßen Region wird ventromedialer Hypothalamus genannt und übernimmt die Führungsaufgabe, die Kontrolle über Energieeinlagerung und Energieverbrauch auszuüben. Da die Energie­ bilanz für unser Überleben so wichtig ist, gibt es mehrere Systeme, um dafür zu sorgen, dass der Organismus nicht stirbt – für den Fall, dass eines fehlschlägt. Das Energiegleichgewicht ist eindeutig die komplexeste Funktion bei uns Menschen. Die Einlagerung von Energie oder die Bildung von Fettzellen ist offensichtlich die Standardstrategie. Unter dem Strich bedeutet das, dass wir Menschen unsere hart erarbeitete Energie nicht kampflos wieder hergeben. Es gibt afferente (zum Gehirn hinführende) und efferente (vom Gehirn wegführende) Systeme, welche die Energiebilanz kontrollieren (siehe

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Abbildung 4.1).1 Der VMH erhält Mahlzeit für Mahlzeit Informationen vom Verdauungstrakt über Hunger und Sättigung (in der Abbildung nicht dargestellt). Beide können das Hungergefühl selbstständig an- oder ausschalten. Doch das ist noch nicht alles. Darüber hinaus bekommt der VMH nachhaltigere Informationen über die Fettreserven und den Nährstoff-Stoffwechsel: mit anderen Worten, ob Ihr Körper mehr Kalorien zu sich nehmen muss, um langfristig zu überleben. Diese Information wird mithilfe der Hormone Leptin und Insulin an den Hypothalamus übermittelt. Nachdem sie dort entschlüsselt worden ist, wird der Appetit entweder angeregt oder gehemmt, und der Energieverbrauch wird entsprechend angepasst.

Hypothalamus Leptin

Appetit­hemmung, nicht hungrig, Energie verbrennen

Insulin

Appetitanregung, hungrig, Energie einlagern

Fettzelle Vagusnerv

Vagus

SNS

Bauchspeicheldrüse Sympathisches Nervensystem Abbildung 4.1. Wie das Gehirn und die Hormone zusammenarbeiten (oder eben auch nicht), um das Energiegleichgewicht zu regulieren.

Der Hypothalamus erhält über die Hormone Informationen über die Fettzellen (Leptin). Diese Information wird zu einem von zwei Signalen verarbeitet: a) Appetitlosigkeit (ich habe keinen Hunger und kann Energie verbrennen) oder b) Hunger (ich habe Hunger und möchte Energie einlagern). Bei Appetitlosigkeit (Anorexie) wird das sympathische Nerven­

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system (SNS) aktiviert (das für die Muskelaktivität und den Fettabbau verantwortlich ist) und der Vagusnerv deaktiviert (der für Appetit und Fetteinlagerung zuständig ist); bei Hunger geschieht das Gegenteil. Ein hoher Insulinspiegel blockiert jedoch das Leptinsignal, sodass Hunger signalisiert wird: Obwohl wir gerade gegessen haben, haben wir das Gefühl, hungrig zu sein. Der Hypothalamus sendet Signale an den Körper, und zwar mithilfe zweier Komponenten des vegetativen Nervensystems. Darunter versteht man jenen Teil unseres Körpers, der den Herzschlag, den Blutdruck und den Energiestoffwechsel kontrolliert, ohne dass man dies bewusst beeinflussen könnte. Das vegetative Nervensystem setzt sich aus zwei Teilen zusammen: dem sympathischen Nervensystem (verantwortlich für den Kampfoder-Flucht-Instinkt) und dem parasympathischen Nervensystem (für die »vegetativen« Funktionen wie die Nahrungsaufnahme und die Energieeinlagerung zuständig). Der Vagusnerv ist eine der wichtigsten Komponenten des parasympathischen Nervensystems. Zwischen dem sympathischen und dem parasympathischen Nervensystem gibt es ein empfindliches Gleichgewicht und diverse Rückkopplungen. Wenn sich dieses Gleichgewicht verändert, kommt es zu Problemen. Der Vagusnerv ist faszinierend. Er verbindet das Gehirn mit allen Verdauungsorganen im Bauchraum: mit der Leber, dem Darm, der Bauchspeicheldrüse und auch mit den Fettzellen. Der Vagus führt verschiedene Funktionen aus, immer mit einem obersten Ziel: Energie einlagern. Er ist also unser Energiespeichernerv. Der Vagusnerv hat zwei Teile: den afferenten (Organe an Gehirn, hinführend) und den efferenten (Gehirn an Organe, wegführend). Der afferente Vagus kommuniziert ein Hungergefühl zwischen dem Magen und dem Gehirn und übermittelt auch Informationen über die Energieverarbeitung während einer Mahlzeit zwischen Leber und Gehirn. Der VMH interpretiert all diese afferenten Signale, die zu einem von zwei physiologischen Zuständen führen: Appetitlosigkeit (ich brauche keine weitere Nahrung, ich kann Energie verbrennen, wenn nötig, und ich fühle mich gut) oder Hunger (ich habe nicht genug Nahrung, ich will keine Energie verbrennen, und ich fühle mich mies, wenn ich nicht noch mehr bekomme). Das Appetitlosigkeitssignal aktiviert das sympathische Nervensystem (SNS), das den Energieverbrauch fördert, indem es das Fettgewebe und

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die Muskeln zum Verbrennen von Energie anregt; das führt zu Gewichtsverlust und Wohlbefinden. Außerdem wird bei Anorexie der Vagusnerv ausgeschaltet, sodass der Appetit abnimmt. Ein Hungergefühl stimuliert stattdessen den Vagus, um die Einlagerung von Energie durch eine Vergrößerung des Appetits zu fördern. Das erreicht der Vagusnerv, indem er viele Signale aussendet: an den Verdauungstrakt, damit dieser Nahrung aufnimmt und verdaut, an das Fettgewebe, mehr Energie einzulagern (und mehr Fett zu produzieren), und an die Bauchspeicheldrüse, um die Menge des freigesetzten Insulins zu steigern (und damit die Energiespeicherung im Fettgewebe zu fördern).

Leptin und der unglaubliche »Heilige Gral« der Fettleibigkeit Als das Hormon Leptin (vom griechischen leptos für »dünn«) 1994 entdeckt wurde, kamen die Wissenschaftler erstmals auf die Idee, dass Adipositas eine biochemische Grundlage haben könnte. Leptin war ein echter Glücksfall für alle Forscher, die sich mit Fettleibigkeit beschäftigten. Es lieferte den Ausgangspunkt für das biochemische Verständnis der Hirnleitungsbahnen, welche die Nahrungszufuhr steuern, und ließ die Wissenschaftler und nationalen Gesundheitsinstitute glauben, es gäbe einen einfachen Ausweg aus diesem Schlamassel, mit simplen Behandlungsmöglichkeiten für Medizin und Wissenschaft. Die US-Regierung begann, eine Unmenge an Geld in die Adipositasforschung zu investieren (und tut es noch heute) – in der Hoffnung auf eine Behandlung, die funktioniert. Allerdings war Leptin auch die größte Enttäuschung für jene, die unter Fettleibigkeit leiden. Und auch die Pharmaindustrie war bekümmert, da sie gehofft hatte, mit einem Heilmittel gegen Adipositas einen Riesenprofit zu machen. Das Pharmaunternehmen Amgen war so fasziniert vom Marketingpotenzial des Leptins, dass es 30 Millionen US-Dollar für die exklusiven Vermarktungsrechte des Hormons bot – schon bevor auch nur ein einziges Experiment am Menschen durchgeführt worden war. Amgen ist seitdem so desillusioniert, dass es die Vermarktungsrechte für Leptin an ein anderes Unternehmen (Amylin Pharmaceuticals) vergeben hat und nun beobachtet, ob dieses damit mehr Glück hat.

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Leptin ist ein Eiweiß, das in den Fettzellen produziert und von ihnen freigesetzt wird. Es zirkuliert im Blutkreislauf, gelangt in den Hypothalamus und signalisiert ihm, dass Sie ausreichend Energie in Ihren Fettzellen eingelagert haben.2 Die Entdeckung des Leptins war das fehlende Glied in der Kette und lieferte einen Regelungsmechanismus (wie der Heizungsthermostat bei Ihnen zu Hause), bei dem die Fettzellen des Körpers dem Hypothalamus mitteilen, ob der Organismus einen Überschuss (Adipositas) oder einen Mangel (Hunger) an Energie hat. Fettleibige Menschen und Tiere mit einem Leptinmangel sprechen sofort auf eine Leptinbehandlung an, verlieren beeindruckende Mengen an Fett und reagieren mit gesteigerter Aktivität.3 Das fehlende Leptin zu ersetzen, korrigierte also beide Verhaltensweisen – den Vielfraß und das Faultier. Man nahm daher an: Wenn eine Person adipös ist, arbeitet ihr Leptin nicht richtig – es liegt wohl ein Leptinmangel vor, und die Person braucht einfach mehr Leptin. Problem gelöst, oder? Zum Leidwesen der fettleibigen Bevölkerung war diese einfache Erklärung zu kurz gedacht.

Fehlerhafte Leptin-Signalübertragung – das Gehirn denkt, der Körper verhungere Der VMH wartet ständig auf das Leptinsignal. Kurzfristig können andere hormonelle Informationen den Umfang und die Qualität einer Mahlzeit bestimmen, doch langfristig dreht sich alles um das Leptin. Es signalisiert dem VMH, dass Sie ausreichend Energie haben, um den Überschuss zu verbrennen, sich gut zu fühlen, die langfristige Nahrungsaufnahme einzuschränken und ein stabiles Gewicht zu halten. Wenn Ihr Leptinsignal funktioniert, herrscht bei Ihnen ein Energiegleichgewicht, sodass Energie in normalem Umfang verbraucht wird und Sie sich gut fühlen.4 Jeder Mensch hat eine »persönliche Leptinschwelle«: Wenn diese überschritten ist, geht das Gehirn davon aus, dass genügend Energie vorhanden ist. Ist also ausreichend Leptin da, reagiert der Körper mit angemessenem Appetit, normaler körperlicher Aktivität und Wohlbefinden. Bei dem 44 Kilo schweren Kümmerling, der weder Muskelmasse aufbauen noch zunehmen kann, ist die Leptinschwelle folglich zu niedrig, da das Leptin dem Gehirn

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viel zu früh mitteilt, dass etwaige Energieüberschüsse verbrannt werden können. Und was wäre, wenn das Leptin nicht funktioniert oder die Schwelle zu hoch ist? Wenn der VMH kein Leptinsignal empfängt, interpretiert das Gehirn das als »Hunger« und gibt den Befehl an den Rest des Körpers aus, alles Mögliche zu tun, um die Energiereserven zu füllen. Der VMH übermittelt Nachrichten an das sympathische Nervensystem, mit der Energie hauszuhalten und die Aktivität herunterzufahren. Der Energieverbrauch wird um 20 Prozent reduziert – man fühlt sich wie ein träges Faultier.5 Außerdem möchte der VMH, dass der Körper den Energiespeicher vergrößert. Deshalb wird die Stimulierung durch den Vagusnerv intensiviert, um mehr Insulin aus der Bauchspeicheldrüse freizusetzen und mehr Energie in Fettzellen einzulagern; das oberste Ziel dabei ist, mehr Leptin zu produzieren. Der Vagus macht Sie hungrig, damit Sie mehr Energie speichern (Vielfraß). Vereinfacht ausgedrückt: Wenn das Gehirn denkt, dass der Körper hungert, liegt das an einer fehlerhaften Leptinsignalübertragung in den VMH. Dieses Phänomen tritt in zwei verschiedenen Varianten auf: Leptinmangel. Dr. Jeff Friedman von der Rockefeller University gelang es, das Leptingen im Rahmen seiner Versuche mit Mäusen mit Leptinmangel nachzubilden6 – die Nagetiere waren in etwa vergleichbar mit einem 180 Kilo schweren Stubenhocker. Während die Mäuse bei der Geburt normalgewichtig waren, fraßen sie gleich zu Beginn, als gäbe es kein Morgen, und saßen nur herum. Sie setzten sich lediglich in Bewegung, wenn Futter auf die andere Seite des Käfigs gestellt wurde; dann watschelten sie hinüber, fraßen es auf und blieben dort sitzen. Diesen Mäusen fehlte aufgrund eines Gendefekts Leptin. Ihre Verhaltensweisen als Vielfraße und Faultiere waren genetisch vorherbestimmt. Das Gehirn der Mäuse konnte ihr Fett nicht »sehen« und war stattdessen der Ansicht, der Körper ­hungere. Friedmans Labor zeigte auch: Wenn man diesen Mäusen das fehlende Leptin durch eine tägliche Injektion verabreichte, reduzierten sie die Nahrungsaufnahme und gelangten zu einer normalen körperlichen Aktivität. Sie verloren Gewicht. Und nicht nur das: Alle physiologischen Probleme, die mit ihrer Fettleibigkeit einhergegangen waren – Diabetes, Fettstoffwechselstörungen und ein früher Tod durch Herzerkrankungen –, ver-

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schwanden. Leptin schien also im Großen und Ganzen der »Heilige Gral« der Adipositas zu sein: Wenn ein Leptinmangel die Ursache dieser Pandemie war, könnten wir es einfach ersetzen, und alle davon betroffenen unglücklichen Seelen könnten gerettet werden. Bislang wurden auf der ganzen Welt 14  Kinder mit Mutationen des Leptingens entdeckt. Diese Kinder können kein Leptin produzieren – unabhängig davon, wie groß ihre Fettzellen sind –, sodass ihr Gehirn ständig Hungersignale aussendet. Erstaunlicherweise verlieren sie rasch Gewicht, und zwar ausschließlich Fett (keine Muskelmasse), wenn sie täglich Leptin verabreicht bekommen. Sie stellen ihr heißhungriges Verhalten ein, beginnen, sich zu bewegen, und ihre Pubertät kommt auf Touren.7 Für diese Patienten ist Leptin eine Hormonersatztherapie – das ist zwar kein Heilverfahren, aber immerhin die zweitbeste Lösung. Leptinresistenz. Mit einigen wenigen Ausnahmen leiden die restlichen 1,5 Milliarden übergewichtiger oder fettleibiger Menschen auf unserem Planeten jedoch nicht unter einem Leptinmangel, sondern unter einer Leptinresistenz. Hier haben wir den Schlüssel zur Adipositaspandemie. Die Entschlüsselung der Leptinresistenz ist der eigentliche »Heilige Gral« der Adipositas. Betroffene haben ausreichend Leptin, und bei jedem von ihnen entspricht der Leptinspiegel im Blut der Körperfettmenge. Das lässt vermuten, dass fettleibige Personen keinen Leptinmangel haben, sondern eher leptinresistent sind.8 Der Hypothalamus kann ihr Leptin nicht erkennen, sodass das Gehirn annimmt, sie hätten Hunger, und folglich versucht, den Energiespeicher zu füllen (Vielfraß) und den Energieverbrauch zu reduzieren (Faultier). 1999 verabreichte Steven Heymsfield (damals an der Columbia University) fettleibigen Erwachsenen sechs Monate lang täglich in unterschiedlichen Dosierungen eine Leptinspritze. Alle Versuchspersonen hatten anfangs einen hohen Leptinspiegel. Es war enttäuschend, wie wenig sie abnahmen, selbst mit der höchsten Leptindosis.9 Diese adipösen Menschen waren eindeutig leptinresistent. Sie sprachen auf ihr eigenes Leptin nicht an, und keine Dosis zusätzlich verabreichten Leptins war in der Lage, daran etwas zu ändern. Heymsfields Studie setzte der Hoffnung ein Ende, Leptin als alleinige Therapie gegen Fettleibigkeit einsetzen zu können, und beendete auch Amgens Interesse.

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Hypothalamisches Syndrom: Verhalten oder Biochemie? Zu diesem Zeitpunkt trat ich auf den Plan. 1995 kam ich in Memphis an, um am St.  Jude Children’s Research Hospital als pädiatrischer Neuroendokrinologe zu arbeiten. Ich war darin ausgebildet, mich um Kinder mit Hirntumoren zu kümmern, und im St. Jude gab es zahlreiche Kinder, die einen solchen Tumor überlebt hatten. Viele von ihnen entwickelten Hormonmangelzustände, da ihr Hypothalamus beschädigt war – aufgrund des Tumors selbst, durch den neurochirurgischen Eingriff zu seiner Entfernung oder infolge der Bestrahlung und Chemotherapie, die den Tumor zerstören sollte. Die gute Nachricht ist, dass wir Endokrinologen diese Kinder behandeln können, indem wie die meisten der fehlenden Hormone ersetzen. So können wir ihr Wachstum, den Energiestoffwechsel sowie ihren geistigen Zustand beeinflussen, zum richtigen Zeitpunkt die Pubertät einleiten und ihren allgemeinen Gesundheitszustand verbessern. Eine relativ kleine Anzahl an Kindern wie Marie (und auch einige Erwachsene), die ihren Hirntumor überleben, werden allerdings nach der vollendeten Tumortherapie massiv fettleibig. Ihr Hypothalamus ist beschädigt, und ihr Gewicht steigt sprunghaft an. Ihr Appetit unterscheidet sich nicht besonders von jenem anderer adipöser Kinder, doch ihr Energieverbrauch ist deutlich verringert. (Marie bewegte sich nicht.) Diese Kinder sitzen auf dem Sofa, sehen fern, essen, gehen auf die Toilette, schlafen und verlieren ganz allgemein das Interesse an ihrer Umwelt. Wie ein Elternteil erklärte: »Es ist eine doppelte Strafe. Du denkst, du könntest dein Kind wegen Krebs verlieren; doch dann hast du Angst, dass dein Kind stattdessen an einer Komplikation stirbt.« Patienten mit dieser Art der Adipositas, hypothalamisches Syndrom genannt, können nicht abnehmen. Selbst wenn sie lediglich 500 kcal am Tag äßen, nähmen sie zu.10 Die Nervenzellen im Hypothalamus, die das Leptinsignal wahrnehmen sollten, sind alle tot. Der Regelmechanismus für das Energiegleichgewicht ist kurzgeschlossen worden. Das ist die schlimmste Form der Leptinresistenz – eine anatomische Leptinresistenz. Studien an Nagetieren, die bereits in den frühen 1950er-Jahren stattfanden, zeigen, dass das Tier bei einer Schädigung des VMH schwer adipös wird und selbst eine Nahrungseinschränkung keine Änderung herbeiführen kann. Ratten mit einem geschädigten VMH fraßen

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mehr, als sie benötigten, und verbrannten weniger, als sie sollten. Im Gegensatz zu Mäusen mit einem Leptinmangel konnte keinerlei Leptinzufuhr das Problem beheben. Diese Tiere litten unter einer anatomischen Leptinresistenz.11 Das Leptin konnte seine Aufgabe nirgendwo erfüllen. Die fettleibigen Kinder, die ich im St. Jude behandelte, ähnelten diesen Labortieren mit einem geschädigten VMH. Dieses Problem ließ sich nicht lösen, weil die Nervenzellen nicht nachwachsen können. Die Kinder waren auf ewig in ihrem Körper gefangen, der immer mehr Fett einlagerte, statt es zu verbrennen,12 während ihr Gehirn ständig davon ausging, der Körper litte Hunger. Sie wurden immer dicker, auch wenn sie wenige Kalorien zu sich nahmen, sie fühlten sich nie gut und verloren das Interesse an allem, was sie umgab. Das ist für Eltern und Kind wirklich die Hölle auf Erden! Und was noch schlimmer ist: Es gab keine Behandlungsmöglichkeit. Bei diesen Kindern zeigten Diäten und Bewegung keinerlei Wirkung. Auch Medikamente zum Abnehmen funktionierten nicht. 1995 sah ich mich mit einer Klinik voller Patienten mit einem hypothalamischen Syndrom infolge einer Hirntumortherapie konfrontiert. Wie sollte ich ihnen helfen? Ich konnte ihnen kein Leptin verabreichen, da die Schädigung des Hypothalamus es dem Leptin nicht erlauben würde zu funktionieren. Wenn irgendeine Therapie erfolgreich sein sollte, müsste sie nach den für das Leptin zuständigen Nervenzellen ansetzen: irgendwo zwischen Hirn und Fettzelle.

Insulin: Der »Leptinator« Normalerweise entspricht die infolge einer Mahlzeit freigesetzte Insulinmenge dem Anstieg des Blutzuckerspiegels. Doch es gibt einige Dinge, welche die Bauchspeicheldrüse dazu veranlassen, zusätzliches Insulin zu produzieren – der wichtigste Faktor dabei ist der Vagusnerv. Wenn das Gehirn das Leptinsignal nicht erkennt, was bei Kindern wie Marie der Fall ist, geht es von Hunger aus. Der Vagus übersteuert, um mehr Energie zu speichern, und bringt die Bauchspeicheldrüse dazu, zusätzliches Insulin zu produzieren – mehr, als der Glukoseanstieg erfordern würde. Diese überschüssige Insulinfreisetzung führt zu einer ungebremsten Einlagerung von Energie und einer pausenlosen Gewichtszunahme.

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In der Tat gibt es einen Wirkstoff, der als Nebenwirkung die Insulinfreisetzung einschränken kann. Er heißt Octreotid und war unser Medikament der Wahl für Maries Behandlung. Normalerweise wird Octreotid eingesetzt, um die Ausscheidung eines Wachstumshormons bei Patienten mit Hypophysentumoren zu reduzieren – eine Krankheit namens Akromegalie. Doch dieses Medikament hemmt zufällig auch die Insulinausschüttung der Bauchspeicheldrüse. Es stoppt sie nicht vollkommen – das würde Diabetes auslösen –, aber es reduziert die schnelle, frühe Freisetzung von Insulin als Reaktion auf eine Mahlzeit oder einen Glukosetoleranztest. Doch es ist teuer, erfordert Injektionen, hat Nebenwirkungen und ist in Bezug auf Adipositas nur für experimentelle Studien zugelassen. Wir haben zahlreiche Kinder, die unter einem hypothalamischen Syndrom litten, mit Octreotid behandelt.13 Als es uns gelang, ihre Insulinausschüttung zu reduzieren, nahmen die Patienten ab und begannen, sich besser zu fühlen. Die Eltern riefen mich innerhalb der ersten Wochen an, um mir zu sagen: »Ich habe mein Kind wieder!« Erstaunlicherweise hatten die Kinder begonnen, wieder aktiv zu sein. Als wir das Insulin gesenkt hatten, ging es Marie und vergleichbaren Patienten körperlich, geistig und sozial besser. Diese Studien zeigen ein entscheidendes Prinzip der Adipositas. Jeder von uns besteht einerseits aus magerer Körpermasse (Herz, Leber, Nieren, Hirn und Muskeln), die Energie verbrennt, und andererseits aus Fett, das Energie einlagert. Jedes Energiemolekül, das wir zu uns nehmen, hat die Wahl zwischen diesen beiden Wegen. Wird die Energie verbraucht oder gespeichert? Ihre Energiezufuhr ist nie so hoch, dass beide Bereiche gleichzeitig überfordert sein könnten – so viel kann niemand essen. Das bedeutet, dass der entscheidende Punkt der Energiestrom zu den beiden Bereichen ist. Doch welcher Faktor bestimmt, zu welchem Bereich die Energie fließt? Dieser Faktor ist Ihr Insulin. Je mehr Insulin vorhanden ist, desto mehr Energie wird in Fett umgewandelt. Normalerweise produziert Ihr Fett dann mehr Leptin, das Ihrem Hypothalamus ein Signal sendet und das Insulin reduziert, indem es den Appetit einschränkt und Ihre Energiezufuhr limitiert. Auf diese Weise behält der Regelmechanismus zwischen Leptin, Gehirn, Bauchspeicheldrüse, Insulin und Fettzellen das normale Energie­

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gleichgewicht bei. Aber … wenn Ihr Hypothalamus Ihr Leptin nicht erkennt (in diesem Fall, da die entsprechenden Nervenregionen infolge eines Hirntumors tot sind), denkt Ihr Gehirn, Sie hätten Hunger. Es schränkt daraufhin Ihre Aktivitäten ein, weil es Energie sparen will, und steigert Ihren Appetit, um mehr Energie zu speichern. Wenn das Leptin nicht funktioniert, tritt zunächst die Biochemie in Kraft, und erst danach folgen die Verhaltensweisen des Vielfraßes und des Faultiers. Für Marie und die wenigen Unglücklichen, die unter einem hypothalamischen Syndrom leiden, ist das alles schön und gut. Sie haben einen Hirntumor. Sie haben eine zulässige Entschuldigung dafür, fett zu sein, und wenigstens gibt es nun einen vernünftigen, wenn auch mühsamen und teuren Behandlungsansatz. Bei ihnen diktiert die Biochemie das Verhalten. Doch die überwältigende Mehrheit der fettleibigen Menschen hat keinen Tumor im Kopf, der ihrem Energiegleichgewicht so nachhaltig schadet. Doch was hat dieses Phänomen mit der Adipositaspandemie zu tun? Alles, wie Sie sehen werden. Im Jahr 1998, nachdem ich drei Jahre im St. Jude gearbeitet hatte, war die Reaktion dieser Patienten so etwas wie eine Offenbarung. Meine Kollegen an der University of Tennessee und ich fragten uns: »Wäre es möglich, dass Erwachsene ohne Hirntumor dasselbe Problem haben könnten? Kommt es auch bei ihnen zu einer Überreaktion des Vagusnervs, sodass zu viel Insulin produziert wird, das zu ihrer Adipositas führt? Könnten Sie Gewicht verlieren, sich besser fühlen und aktiver werden, wenn wir ihnen Octreotid gäben, um die Insulinausschüttung zu unterdrücken?« Wir wussten nicht, wie diese Personen aussehen. Also führten wir eine Pilotstudie mit 44 krankhaft fettleibigen Erwachsenen von der Straße durch. Wir behandelten sie sechs Monate lang mit Octreotid. Keine Diät, kein Sport, nur dieses Medikament. Wir erklärten ihnen: »Falls das Medikament wirkt, dann wird es von selbst funktionieren.« Dieses Experiment haben wir zweimal durchgeführt, einmal als Pilotstudie, dann als placebokontrollierten Versuch. Die Mehrheit der Patienten sprach nicht auf das Medikament an. Doch bei ungefähr 20 Prozent der Erwachsenen kam es zu einem beeindruckenden Gewichtsverlust. Ihr Insulinstatus gab einen Hinweis darauf, ob der Versuch bei ihnen Erfolg haben würde. Die Glücklichen, die auf das Medikament ansprachen, setzten vor

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Behandlungsbeginn Insulin rasch und in großer Menge frei – wie die Kinder mit einem Hirntumor14 –, und ihre Lebensqualität konnte mit Octreotid verbessert werden. Aus diesen Studien können wir abschließend eine Lehre ziehen. All jene fettleibigen Erwachsenen hatten einen hohen Leptinspiegel. Sie waren leptinresistent – wenn ihr Leptin richtig hätte wirken können, wären sie nicht adipös gewesen. Wenn das Leptinniveau sinkt, sollte das Gehirn dies als Hunger interpretieren und den Grundumsatz (den Energieverbrauch im Ruhezustand) entsprechend anpassen. Doch bei diesen Patienten stieg der Grundumsatz an! Die Senkung ihres Insulinspiegels ging mit einer Verbesserung im Hinblick auf ihren Energieverbrauch einher – genau wie bei den Kindern mit einem Hirntumor. Wenn es uns gelang, den Insulinspiegel zu senken, linderte das ihre Leptinresistenz.15 Das lässt vermuten, dass Insulin die Leptinsignale im Gehirn blockieren kann, sodass Insulin quasi als »Leptinantagonist« funktioniert.16 Viele Wissenschaftler haben inzwischen bewiesen, dass Insulin an der Signalübertragung zwischen Leptin und VMH beteiligt ist.17 Eine Reduzierung der Insulinkonzentration führt zu einer Senkung des Leptinspiegels. Insulin und Leptin sind unabhängige Hormone, die mit verschiedenen Rezeptoren im VMH agieren. Sie haben ihre jeweils eigenen Aktionsbahnen, sind aber an derselben Signalkaskade beteiligt. Wenn der Insulinspiegel im VMH chronisch hoch ist, kann Leptin keine Signale an den Hypothalamus übermitteln.

Darwin neu interpretiert Immer wenn es in der Biologie zu paradoxen Ereignissen kommt, muss man nach einer evolutionären Erklärung suchen. Warum sollte Insulin die Leptin-Signalübertragung blockieren? Welchen Vorteil hat das Hormon Insulin – das den Körper veranlasst, Energie zu speichern –, wenn es das Hormon Leptin blockiert, das dem Gehirn signalisiert, dass es Energie verbrennen soll? Leptin ist erforderlich, um dem VMH den Beginn von Prozessen anzuzeigen, für die sehr viel Energie benötigt wird, wie die Pubertät oder eine Schwangerschaft. Wenn das Leptin immer die Oberhand hätte,

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könnte niemand zunehmen. (Denken Sie an den 44-Kilo-Kümmerling am Strand.) Die entscheidende Gewichtszunahme während der Pubertät oder Schwangerschaft wäre gefährdet, und unsere Fortpflanzungsfähigkeit wäre dahin. Zweimal in unserem Leben müssen wir das Leptin also von der Arbeit abhalten, damit wir zunehmen können und unsere Art nicht ausstirbt. Da Insulin die Energiespeicherung steuert, ist es sinnvoll, dass es eine Doppelrolle spielt und auch das Leptin blockiert – ein Hormon, zwei koordinierte Aktionen. In der Tat sind sowohl die Pubertät als auch die Schwangerschaft sogenannte hyperinsulinämische Zustände, also Phasen, in denen der Insulinspiegel erhöht ist. Ist das Erwachsenenalter erreicht oder die Geburt vollbracht, fällt der Insulinspiegel wieder ab, das Gewicht stabilisiert sich oder sinkt, und das Leptinniveau kehrt zur Ausgangsposition zurück.18 Doch bei einem schlecht angepassten Zustand, wenn der Insulinspiegel immer hoch und die Leptin-Signalübertragung dauerhaft beeinträchtigt ist, wird die Energie eingelagert, da das Gehirn Hunger vermutet. Die Adipositas verschlimmert sich. Wenn man die Symptome fettleibiger und ausgehungerter Personen betrachtet, stellt man fest, dass sie sehr ähnlich sind. Das wirkt zunächst skurril, ergibt aber tatsächlich Sinn. In beiden Fällen werden die Menschen müde, fühlen sich unwohl und niedergeschlagen. Der Grund dafür ist in beiden Gruppen die Unfähigkeit, adäquat auf das Leptinsignal zu reagieren – beim Hunger wegen des erniedrigten Leptinspiegels und bei Adipositas wegen der Leptinresistenz. Darüber hinaus stürzt die Leptinkonzentration während kurzer Fastenphasen (innerhalb von zwölf Stunden) jäh ab – sie geht schneller zurück, als der Körper Fett einlagert. In dieser Zeit haben Sie kein Gewicht verloren, doch Ihre Fettzellen teilen Ihrem Gehirn bereits mit, dass Sie Hunger haben, sodass Ihre Nahrungsaufnahme wieder hochgefahren wird. Wenn Sie zum Abnehmen irgendeine Diät einhalten, haben Sie bereits nach einem Tag einen Leptinmangel, der zu Ihrer Leptinresistenz noch dazukommt – Sie können das Signal also wirklich nicht wahrnehmen. Sie wollen einen Tag lang nichts essen, damit Sie wieder in dieses enge schwarze Kleid passen? Ups! Das bringt den Vielfraß und das Faultier dazu, Ihr Gewicht wieder auf das Ausgangsniveau zu bringen. Kurz: Das ist der Adipositasrückfall. Wenn Ihr Gehirn denkt, es sei kein Leptin da (entweder aufgrund eines Leptinmangels oder wegen einer Leptinresistenz),

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haben Sie wirklich Pech gehabt. Ihr sympathisches Nervensystem schaltet auf Sparbetrieb und reduziert den Energieverbrauch, die körperliche Aktivität und leider auch Ihre Lebensqualität. Dann kommt es zu einer Überreaktion Ihres Vagus, sodass Sie mehr Appetit haben, der Insulinspiegel steigt und mehr Energie eingelagert wird.

Die alternative Interpretation des ersten Hauptsatzes Wie auch immer der Mechanismus im Detail abläuft: Insulin blockiert die Leptin-Signalübertragung sowohl bei Nagetieren als auch beim Menschen. Im Körper verursacht Insulin die Einlagerung von Energie in Fettzellen. Im Gehirn führt Insulin zu Leptinresistenz und einem falschen Hungersignal. Insulin liefert damit einen weltweiten Doppelschlag in Richtung Vielfraß und Faultier, Gewichtszunahme und Adipositas. In dieser Geschichte ist das Insulin der Bösewicht. Diese Idee stellt das Konzept, das wir von Fettleibigkeit hatten, auf den Kopf. Die Standardaussage im Hinblick auf Adipositas lautet: »Wenn du etwas isst, solltest du es besser auch verbrennen, da du es ansonsten einlagerst.« In diesem Fall wäre die Gewichtszunahme die Folge zweier Verhaltensweisen: der gesteigerten Energiezufuhr (Vielfraß) und des gesenkten Energieverbrauchs (Faultier). Doch die soeben dargestellten Daten erzählen uns etwas anderes. Die Speicherung von Energie ist ein biochemischer Vorgang, den der Patient nicht kontrollieren kann. Energieverbrauch ist gleichbedeutend mit Lebensqualität. Dinge, die den Energieverbrauch beschleunigen – wie Sport, Ephedrin (mit hochriskanten Nebenwirkungen) und Koffein (für etwa zwei Stunden), sorgen dafür, dass Sie sich gut fühlen. Bedingungen, unter welchen Energie langsamer verbrannt wird – wie beispielsweise Hunger und Schilddrüsenunterfunktion – führen dazu, dass Sie sich mies fühlen. Also muss der erste Hauptsatz anders interpretiert werden: »Wenn du es einlagern wirst, aber dein Körper meint, dass du es verbrennen wirst, dann bist du gezwungen es zu essen.«19 Bei dieser Interpretation steht der biochemische Vorgang im Vordergrund, die Gewichtszunahme ist eine Folge davon, und die Verhaltensweisen resultieren aus der Biochemie.

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Adipositas ist eine biochemische Veränderung des Gehirns, die eine Leptinresistenz und infolgedessen Gewichtszunahme sowie Verhaltensänderungen zum Erhalt des Energiegleichgewichts fördert. Die scheinbaren Charakterfehler des Vielfraßes und Faultiers sind nicht die Ursache des Problems – sie sind die Folge davon. Die Biochemie lenkt das Verhalten, nicht umgekehrt. Der Dreh- und Angelpunkt dieser biochemischen Veränderung ist das Hormon Insulin. Die meisten Menschen schütten heutzutage – unabhängig von ihrem Gewicht – täglich doppelt so viel Insulin für dieselbe Menge Glukose aus wie vor 30  Jahren. Und nun kommt die 147-Milliarden-Dollar-Frage (das sind die jährlichen Kosten der Adipositas in den USA): Wenn Insulin der Bösewicht ist und wir alle so hyperinsulinämisch sind wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit – woher kommt dann das überschüssige Insulin? Und wie können wir dem entgegenwirken? Es bleibt spannend.

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Salvador ist ein 15-jähriger Latino, der Adipositas, eine Fettleber und hohen Blutdruck hat. Er trinkt vier Soft Drinks pro Tag. Seine Mutter kauft sie ihm nicht und hat sie auch nicht zu Hause; aber er besorgt sie sich selbst beim Mini-Markt auf dem Weg zur Schule oder nach Hause. Salvador beteiligte sich an unserer Forschungsstudie und nahm in diesem Rahmen zehn Tage lang täglich dieselbe Kalorienmenge zu sich; seine Mahlzeiten wurden alle in unserer Klinikküche zuckerfrei zubereitet. Trotzdem kaufte er sich jeden Tag eine Dose Limo, brachte sie mit nach Hause und stellte sie auf seiner Kommode neben die Dosen vom Vortag. Seiner Mutter sagte er: »Wenn die Studie abgeschlossen ist, trinke ich sie alle.« Tatsächlich trank er sie an dem Abend, an dem die Studie endete – zum Leidwesen seiner Mutter. Möglicherweise war er noch nicht einmal körperlich abhängig, doch die mentale Besessenheit und die Gelüste deuteten auf Abhängigkeit hin und konnten nicht unterdrückt werden.

Das Leben ist zu kurz, um schlechte Nahrung zu sich zu nehmen, auch wenn sie billig ist. Essen sollte eine genussvolle Erfahrung sein, vor allem wenn es sich um besondere Speisen handelt. Es geht doch nichts über den Besuch eines schönen Restaurants mit dem Anblick und dem Geruch eines gut zubereiteten Mahls. Das ist einer der großen Genüsse des Lebens. Fra-

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gen Sie die Einwohner Philadelphias nach ihrem Käse-Steak-Sandwich, die Menschen in New Orleans nach ihren »Po’boys« (belegtes Brötchen) und Krapfen oder die Leute in Memphis nach ihrem Barbecue. Überraschung! Diese Städte gehören zu jenen mit den meisten Adipösen im Land. Zufall? Wie erstaunlich die amerikanische Küche auch sein mag: Ist wirklich etwas Besonderes an einer Limo, einer Portion Pommes oder irgendetwas, das es in Fastfoodrestaurants gibt? Denn wir stopfen Fastfood in uns hinein, als ob es demnächst nicht mehr zu haben wäre. Die Amerikaner essen Big Macs, als ob jeder ihr letzter sein könnte. (Angesichts der Sterblichkeitsraten unter Fettleibigen könnte in der Tat jeder Burger der letzte sein.) Fastfood umfasst einen wachsenden Anteil der Nahrung, der a­ ußer Haus eingenommen wird. In den Vereinigten Staaten der 1950er-Jahre machte Fastfood 4 Prozent der gesamten Verkäufe von Nahrung außer Haus aus. 1997 betrug sein Anteil 34 Prozent. Jeden Tag essen 30 Prozent der US-amerikanischen Erwachsenen in einem Fastfoodrestaurant, und McDonald’s ernährt 46 Millionen Amerikaner. Dieser Trend ist auch in Deutschland zu verzeichnen, und obwohl die klassischen Fastfoodketten hier seit Kurzem an Ansehen zu verlieren scheinen, so ist Fastfood doch sehr viel weiter verbreitet als noch vor 50 Jahren. Wie steht es mit dem Rest der Welt? Dort nahm man nicht wahr, dass der Fastfoodanteil anstieg, doch selbst in den Entwicklungsländern gehört Fastfood nun zu den Verkaufsschlagern. Hier ist man den Umgang damit nicht gewöhnt, nicht mit dem Zeug groß geworden: Die Menschen essen es erst seit Kurzem. Warum verzehren sie Fastfood, wenn es sich nicht um ihre traditionelle Nahrung handelt? Weil es wenig kostet? Das ist im Ausland sicher nicht der Fall. Warum gehen die Einheimischen in Mexiko zu Taco Bell, wenn die Original-Tacos preiswerter und offensichtlich auch gesünder sind? Da steckt mehr dahinter. Ist die Welt von Fastfood abhängig? Im Mittelpunkt dieser Frage steht die Biologie der Sucht.

Seien wir ehrlich: Wir sind süchtig … Unser Gehirn ist auf Belohnungen aus – das ist der wichtigste Punkt für das Überleben des Menschen. Belohnung ist der Grund, morgens aufzustehen.

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Wenn Sie die Belohnung streichen, gibt es keinen Lebenszweck. Das ist aus einem neuen Experiment mit dem Anti-Adipositasmedikament Rimonabant bekannt, das vom Markt genommen wurde, nachdem es 2007 keine Genehmigung von der US-amerikanischen Behörde für Lebens- und Arzneimittelüberwachung (FDA) erhielt. In Europa ruht die Zulassung, eine Entscheidung des Ausschusses für Humanarzneimittel der Europäischen Kommission steht aus; das Medikament wurde mittlerweile ebenfalls vom Markt zurückgezogen. Rimonabant ist ein Endocannabinoid-Antagonist beziehungsweise eine »Anti-Marihuana«-Medizin, was bedeutet, dass es auch gegen Heißhunger hilft. Es blockiert das Belohnungsgefühl. Damit förderte es zwar den Gewichtsverlust, doch bei 20  Prozent der Personen, die es nutzten, kam es zu ernsten psychiatrischen Nebenwirkungen und insbesondere zu Depressionen, sodass sogar mehrere Suizide vorkamen. Wer sein Belohnungssystem auslöscht, will sich am Ende möglicherweise sogar selbst auslöschen … Das mesolimbische System des Gehirns ist komplex und vielen Einflüssen ausgesetzt, kann aber auf seine Funktion als »Belohnungs- und Lustsystem« heruntergebrochen werden, in dem die grundlegenden Emotionen, der Fortpflanzungstrieb und der Überlebensinstinkt lokalisiert sind und zum Ausdruck gebracht werden. Diese Belohnungsmechanismen haben sich wahrscheinlich entwickelt, um Verhaltensweisen zu stärken, die für den Fortbestand der Art und das Überleben entscheidend sind – wie zum Beispiel Geschlechtsverkehr für die Fortpflanzung. Auf diesem Weg werden auch die positiven und negativen Aspekte von Drogen wie Nikotin, Kokain, Morphin und Alkohol verstärkt. Um die Nahrungsaufnahme als eines der wichtigsten Bedürfnisse im Verhaltensspektrum von Mensch und Tier zu erhalten, hat die Evolution sie ebenfalls zu einer Quelle von Genuss und Belohnung gemacht. Das Belohnungssystem umfasst eine Nervenverbindung zwischen zwei Bereichen des Gehirns: dem ventralen tegmentalen Areal (VTA) und dem Nucleus accumbens (NA), die beide tief im Hirn lokalisiert sind. Genuss kommt auf, wenn das VTA dem NA signalisiert, dass er den Neurotransmitter Dopamin freisetzen soll. Es handelt sich also um ein Signal von einem Zentrum des Gehirns an ein anderes. Wenn das freigesetzte Dopamin an den besonderen Dopaminrezeptoren vom Typ  D2 im NA ankommt, wird Lust empfunden.1

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Doch was sind Neurotransmitter und Rezeptoren? Man kann sie sich wie Schlüssel und Schlüsselloch vorstellen. Jede Nervenzelle ist ein eigener Zellkörper und endet in einem Axon – einem Faserfortsatz der Nervenzelle, der Informationen sendet. Dieses Axon hat eine Verbindungsstelle (Sy­napse) zur nächsten Nervenzelle. Die entsprechende Verbindungsstelle dort sind die Dendriten: besondere Fasern der Nervenzelle, die Informationen empfangen. Wenn in der ersten Zelle ein Nervenimpuls erzeugt wird, gelangt dieser an das Ende des Axons, das infolgedessen Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter, ausschüttet. Das sind die Schlüssel. Sie gelangen über die Synapse zu den Dendriten der nächsten Zelle, wo sich Rezeptoren (Schlüssellöcher) befinden. Viele dieser Schlüssel passieren die Synapse, und nicht alle gelangen an ihr Ziel. Auf ihrem Weg werden manche verstoffwechselt und andere wieder aufgenommen. Dopamin ist eine dieser Schlüsselarten, welche die Schlüssellöcher der D2-Rezeptoren der nächsten Zelle erreichen wollen, um dort auch wieder eine Dopaminausschüttung auszulösen und so die »Nachrichtenkette« weiterzuführen. Die Nahrungsaufnahme ist lediglich eine Form der Belohnung.2 Dabei scheint die Ernährungsweise eher vom Geschmack als vom Energiebedarf gesteuert zu werden: »Ich bin schon satt, aber dieser Schokoladenkuchen sieht einfach zu lecker aus.« Wenn es funktioniert, hilft das Belohnungsund Lustsystem auch, die Nahrungszufuhr in Situationen einzugrenzen, in denen die Energiespeicher voll sind: »Ich muss diese Nudeln mit Käse nicht zu Ende essen.« Doch falls eine Störung vorliegt, kann das System die Nahrungsaufnahme auch steigern und zu Fettleibigkeit führen. Wenn man einem Nagetier wohlschmeckendes Futter gibt (beispielsweise etwas, das fett ist und viel Zucker enthält, wie ein Schokokeks), wird sein Belohnungssystem aktiviert, weil Dopamin freigesetzt wird und an den D2-Rezeptoren im NA andockt. Solange das auf diese Weise weitergeht, wird das Tier fressen und eine Belohnung empfinden. Es gibt drei Vorgänge, die dieses System in die eine oder andere Richtung regulieren: 1. Alles, was die Dopaminweiterleitung zum NA verstärkt, steigert das Belohnungsgefühl. 2. Alles, was Dopamin vom NA fernhält, löscht das Belohnungsgefühl aus.

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3. Alles, was die Anzahl der D2-Rezeptoren im NA reduziert oder das Andocken des Dopamins an diesen Rezeptoren einschränkt (wie die übermäßige Nutzung einer Substanz), beeinträchtigt das Belohnungsgefühl. Dann braucht man mehr Dopamin und infolgedessen mehr von der Substanz, um dasselbe Genussgefühl zu erleben. Diese Prinzipien gelten für Nahrung ebenso wie für Suchtmittel. Ja, zwischen beidem gibt es Überschneidungen. Im Laufe der Zeit gewöhnen wir uns an eine Substanz und brauchen mehr davon, um denselben Effekt zu erzielen. Wenn die Gewöhnung eingesetzt hat, können Menschen und Tiere auf eine neue Substanz überreagieren – das wird als Kreuzsensibilisierung bezeichnet. Mit anderen Worten: Wenn das Gehirn auf Sucht eingestellt ist, kann es leicht von einer zur anderen Substanz wechseln. Fragen Sie mal Alkoholiker auf Entzug nach ihrem unstillbaren Bedürfnis nach Kaffee, Tabak und/oder Zucker. Ein Verstärker ist ein Reiz, der die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ein Mensch oder Tier auf das Suchtmittel anspricht – und Lebensmittel sind eine Form der positiven Verstärkung. Die Dopaminstimulation im NA fördert also die Aufnahme von Drogen oder Alkohol, und eben auch von Nahrung. Die verstärkende Wirkung von Dopamin wird der Stimulation der D2Rezeptoren zugeschrieben. Wie bereits erwähnt, steigert die Verwendung von Morphin und Marihuana die Nahrungsaufnahme. Der Film Harold & Kumar zeigt die Odyssee zweier unter starkem Drogeneinfluss stehender Typen, die auf ihrer Suche nach einem Hamburger scheinbar unüberwindbare Hindernisse zu bewältigen versuchen. Wir können das durch die Dopaminausschüttung und die Signale der D2-Rezeptoren messen. Warum spielt Dopamin eine solch große Rolle? Bei einem gesunden Menschen wird Dopamin von den D2-Rezeptoren abgebaut, wenn er satt ist. Ist bei Ihnen jedoch die Bindungsfähigkeit des Dopamins herabgesetzt, funktioniert dieser Stoppmechanismus nicht. Sie haben das Bedürfnis, zwanghaft Nahrung zu sich zu nehmen, um diese unterdrückten Kreisläufe zu ihrer eigentlich normalen Funktion anzuregen. Dadurch kommt es zu immer mehr Gewichtszunahme.

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Die üblichen Verdächtigen: Leptin und Insulin Ja, diese beiden schon wieder. Sie spielen nicht nur für den Hunger eine entscheidende Rolle, sondern sind auch für das Belohnungssystem wichtig, da sie die positiven Gefühle regulieren, die als Reaktion auf die Mahlzeiten auftreten. Unter normalen Umständen sendet Leptin nach einem ausreichenden Mahl ein Signal an das VTA, um die Freisetzung von Dopamin zu unterdrücken und dadurch die Belohnungswirkung der Nahrung zu reduzieren.3 Leptin schaltet also den Belohnungseffekt aus. Doch was geschieht bei Leptinresistenz? Denn das ist Adipositas: Leptinresistenz. Wenn Leptin nicht aktiv werden kann, wird das Dopamin vom NA nicht abgebaut, sodass der Auslöser für weiteren Verzehr fortbesteht. Glauben Sie wirklich, dass Sie die Willensstärke aufbringen, das Hungersignal und das Belohnungssignal zu ignorieren, wenn Sie leptinresistent sind? Wenn jeder Imbiss, an dem Sie vorbeikommen, eine Herausforderung für Ihre Augen und Ihre Nase ist, sodass Sie am liebsten sofort zuschlagen möchten? Hunger und Belohnung machen gemeinsam die guten Vorsätze jeder fettleibigen Person zunichte. Und wie steht es mit dem Insulin, dem Komplizen des Leptins? Normalerweise reagieren die Menschen ausreichend empfindlich auf Insulin. Es hat die Aufgabe, das Dopamin an den Synapsen (den Verbindungsstellen zwischen den Nervenzellen) des NA abzubauen.4 Der Insulinanstieg, zu dem es bei einer Mahlzeit kommt, schwächt also den Belohnungseffekt einer weiteren Nahrungsaufnahme ab. (»Ich habe genug gegessen – ich brauche wirklich keine zweite Portion.«) Dies funktioniert wie ein Regelmechanismus des Belohnungssystems, der übermäßiges Essen verhindern soll. Doch was geschieht, wenn Sie insulinresistent sind? Insulinresistenz führt zu einer Leptinresistenz im VTA und trägt so zu einer gesteigerten Kalorienzufuhr bei, weil es den Dopaminabbau im NA verhindert: Auch wenn die Energiespeicher voll sind, bringt Nahrung dann zusätzlichen Genuss.5 Insulin- und Leptinresistenz führen also nicht nur zu einer vermehrten Nahrungsaufnahme, sondern auch zu einem verstärkten Verzehr von besonders wohlschmeckenden Speisen oder Nahrung, die viel Fett und Zucker enthält: Schokolade, Zimtschnecken, Kekse, Käsekuchen. Es ist also

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kein Wunder, dass Anbieter von Fastfood und süßen Backwaren in jedem Einkaufszentrum zu finden sind.

Eine Definition der Esssucht: Mögen, wollen und brauchen Nun ja, wir alle mögen Fastfood. Wie könnte es anders sein? Es wurde so entwickelt, dass es möglichst viel Fett, Zucker, Salz und teilweise auch Koffein enthält, und wird in möglichst kleine Verpackungen gesteckt. Mhmmmm. Es stellt Nahrung billig, schnell und ohne Teller oder Besteck zur Verfügung. Die hübsche Verpackung und die Gestaltung des Restaurants wecken die Aufmerksamkeit und sorgen dafür, dass Sie noch mehr Gefallen daran finden. Doch etwas zu mögen, ist nicht dasselbe, wie etwas haben zu wollen. Und Wollen ist nicht dasselbe wie Brauchen.6 Mögen ist der Ausdruck einer Vorliebe oder Neigung, die an- oder abgestellt werden kann. Wenn Dopamin in unseren NA gelangt, verstärkt der Verzehr eines Big Mac unser Belohnungsgefühl. Dann folgt die Insulinausschüttung, und damit sollte es vorbei sein. Doch wenn Sie insulinresistent sind, entsteht das Wollen als psychologischer Zustand, und schließlich wird das Brauchen zu einem körperlichen Zustand, den Sie nicht mehr an- oder abstellen können. Das ist das Wesen der Abhängigkeit von jedwedem Suchtmittel. Dies geschieht bei Nikotin, Morphin, ­Kokain und Alkohol – und es geschieht bei Nahrung. Es kann jedem passieren. Auch Ihnen. Abhängigkeit ist in diesem Fall gleichbedeutend mit Sucht und wird von der American Psychiatric Association (APA, Amerikanische psychiatrische Gesellschaft) folgendermaßen definiert: »ein fehlangepasstes Muster von Substanzmissbrauch, das zu klinisch signifikanten Beeinträchtigungen oder Not führt«. Es gibt aktuell keine standardisierte Definition für Esssucht – von zahlreichen Hypothesen in der medizinischen Literatur abgesehen. Gemäß dem diagnostischen und statistischen Leitfaden psychischer Störungen (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, ­DSM-IV-TR) der APA gibt es sieben Kriterien für Drogenabhängigkeit. Die beiden ersten gelten als körperliche, die anderen als psychische Abhängigkeit. All diese Kriterien sind bei Fettleibigen zu erkennen – insbesonde-

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re bei jenen, die Fastfoodrestaurants besuchen. Wer mindestens drei der sieben Kriterien erfüllt, gilt als von einem Suchtmittel abhängig. 1. Toleranzentwicklung. Definitionsgemäß handelt es sich hierbei um das Bedürfnis nach einer Dosissteigerung, um denselben Effekt zu erreichen, wenn eine gleichbleibende Menge der Substanz bei fortgesetzter Nutzung weniger Wirkung erzielt. Der Big Mac löst bei Ihnen zwar noch den Dopaminrausch aus, doch das Belohnungsgefühl hält nicht an, da das Insulin das Dopamin in Ihrem NA nicht abbaut. Da Insulinresistenz auch Leptinresis­ tenz auslöst, können Sie die Dopaminneuronen im VTA nicht daran hindern, erst einmal massenhaft Dopaminsignale weiterzuleiten. Der NA wird infolgedessen von Dopamin überflutet, und die Insulinfreisetzung durch Ihre Mahlzeit kann die Flut nicht abstellen. Da Ihr Hypothalamus und Ihr NA nicht auf das Leptinsignal reagieren, haben Sie immer noch den Drang weiterzuessen. Und das ist das Problem: Je mehr und je länger Ihr NA dem Dopamin ausgesetzt ist, desto unempfindlicher werden die D2-Rezeptoren. Bei chronischer Dopamineinwirkung beginnen die D2-Rezeptoren sogar zu verschwinden. Zum großen Leidwesen der Schlüssel sind schließlich viele Schlüssellöcher fort, und nun wissen die Schlüssel nicht, wohin. Nun ist mehr Dopamin erforderlich, um sicherzustellen, dass die wenigen Rezeptoren, die noch existieren, auch wirklich besetzt werden können. Folglich müssen Sie mehr Big Macs essen, um dasselbe Belohnungsniveau zu erreichen. 2. Entzugssymptome. Kennzeichnend dafür sind körperliche Symptome (wie Zittern) und psychische Veränderungen (Ängste, Depression). Diese entstehen aufgrund einer mangelhaften Besetzung der Dopamin-D2-Rezeptoren. Bei Tieren zeigen sich Ängste und Depression im Widerwillen, Zeit in einer gefährlichen Umgebung zu verbringen. Bei Menschen drückt sich der Entzug in Symptomen wie Niedergeschlagenheit und Unruhe aus. Wenn Sie versuchen, keine Big Macs mehr zu essen, fällt Ihr Dopaminspiegel, und es überkommen Sie Gefühle wie Angst und Schwermut (ebenso wie bei den Patienten, die mit Rimonabant behandelt wurden, dem »AntiFresssucht-Medikament«). Die einzige Alternative besteht darin, den Dopaminspiegel zu erhöhen, die freien D2-Rezeptoren wieder zu besetzen und damit den Teufelskreis des Big-Mac-Verzehrs aufrechtzuerhalten.

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Wenn Sie einen Beweis dafür brauchen, empfehle ich Ihnen, sich den Dokumentarfilm Super Size Me aus dem Jahr 2004 anzusehen. Der Regisseur und Hauptdarsteller Morgan Spurlock begann sein Experiment als ziemlich gesunder Mann mit einer Größe von 1,88 Meter und einem Gewicht von 84 Kilogramm (also mit einem ganz normalen BMI von 23,8). Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich recht gesund ernährt (seine Freundin war vegane Köchin). Dann begann er eine 30 Tage währende Tortur, indem er jede seiner Mahlzeiten bei McDonald’s einnahm. Am 18.  Tag erzählte er in die Kamera: »Wissen Sie, ich habe mich schrecklich gefühlt. Ich habe mich sch… gefühlt. Ich habe mich krank und unglücklich gefühlt … Dann begann ich zu essen, und nun fühle ich mich toll. Ich fühle mich so gut, es ist wirklich verrückt.« Herr Spurlock hatte damit Entzugserscheinungen beschrieben. Innerhalb von 18  Tagen hatte er sich von einem Mann mit gesunden Essgewohnheiten zu einem Fastfoodabhängigen entwickelt. 3. Exzessive Nutzung. Das bedeutet, dass man die fragliche Substanz in einer größeren Menge oder über einen längeren Zeitraum zu sich nimmt als geplant. Bei Tieren kann das dadurch gemessen werden, dass sie häufiger als zuvor einen Hebel betätigen, um sich selbst mit einer Droge zu versorgen. Und bei Menschen äußert es sich darin, dass sie weiter essen, obwohl sie schon satt sind. Vom exzessiven Trinken haben wir eine gute Vorstellung (denken Sie nur an den Film Ich glaub’, mich tritt ein Pferd oder an die trinkfreudigen Herren in Studentenverbindungen); doch Fressanfälle sind schwerer zu definieren. Es ist äußerst subjektiv, denn was für den einen eine große Menge ist, halten andere möglicherweise für eine recht normale Portion. Esssucht umfasst auch das Essen bis zum Unwohlsein, das Essen ohne Hunger, aus Scham allein zu essen, Ekel, Niedergeschlagenheit oder Schuldgefühle nach einer Essattacke und Verzweiflung wegen der Fress­exzesse. Viele Betroffene nehmen mit großer Scham riesige Mengen Nahrung zu sich wie ein ganzes Blech Kuchen, allein und im Dunkeln in ihrer Küche. 4. Der Wunsch oder Versuche, den Gebrauch zu verringern oder ganz darauf zu verzichten. Wie bereits erwähnt, bringen Diäten und Wundermittel es in den USA auf über 160 Milliarden Dollar Umsatz pro Jahr. Wer übergewichtig oder adipös ist, probiert fast immer neue Diätideen aus

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und leidet häufig unter dem Jo-Jo-Effekt. Nur Säfte, Entschlackung, nur Fleisch, nur Kohlenhydrate – er greift nach jeder sich anbietenden Lösung. Fast nie haben diese Diäten eine nachhaltige Wirkung. Nach einigen Tagen, Wochen oder Monaten stopfen sich die Betroffenen wieder mit dem Nahrungsmittel voll, das sie gemieden haben (häufig Zucker), und schon sind die Kilos wieder da. Das Gefühl des Versagens und die sich daraus ergebende Niedergeschlagenheit können überwältigend sein. Adipöse lesen dann einen neuen Artikel oder ein Buch über den neuesten Trend, und schon beginnt der Teufelskreis von vorn. Es ist nicht so, dass sie es nicht probieren würden. Häufig besteht ihr Leben aus fast nichts anderem als diesen Versuchen. 5. Substanzverlangen oder -beschaffung. Es liegt der ausgeprägte Drang vor, das Suchtmittel zu konsumieren. In der Esssuchtforschung wird das Verlangen als Motivation beschrieben, nach Nahrung zu suchen. Substanzverlangen und -beschaffung von Suchtmitteln wurden im Experiment als eine Form des Lernens beschrieben, bei der die Dopamin-Signalübertragung Gedächtnisinhalte festigt; zurückliegende Erfahrungen werden für zukünftige Entscheidungen genutzt. Ratten »betätigen den Hebel« für Drogen, da sie gelernt haben, dass das lohnenswert ist. Wir werfen Geld in den Getränkeautomaten, um unseren Flavoured Cappucino zu bezahlen. 6. Beeinträchtigung des Lebens. Das bedeutet, dass wichtige berufliche, gesellschaftliche oder Freizeitaktivitäten erschwert werden. Fettleibigkeit kann die Lebensqualität eines Menschen beträchtlich einschränken. Es ist deutlich schwieriger, sich zu bewegen. Es kann vorkommen, dass Flug­ linien die Mitreise verweigern, wenn Sie nicht in den Sitz passen. Arbeitgeber stellen Sie aufgrund Ihres Gewichts möglicherweise nicht ein. Diabetes kann zur Amputation von Gliedmaßen führen, sodass ein Rollstuhl erforderlich werden könnte. Während der 30 Tage, die Spurlock sein Super Size Me-Experiment durchzog, nahm er 11,1 Kilogramm zu, erlebte Stimmungsschwankungen, sexuelle Störungen und eine Fettansammlung in seiner Leber. Sein Projekt, jede einzelne Mahlzeit bei McDonald’s einzunehmen, mag extrem sein, doch diese körperlichen und psychischen Auswirkungen traten bereits innerhalb von 30 Tagen auf.

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7. Kontrollverlust. Darunter versteht man die fortgesetzte Nutzung trotz des Wissens, dass sich dadurch die Probleme verschlimmern. Die gesundheitlichen Folgen der Adipositas sind zahlreich (siehe Kapitel 19). Obwohl die Betroffenen diese Gesundheitsprobleme kennen und darunter leiden, ändern sie ihr Ernährungsverhalten nicht.

Was macht Nahrung zum Suchtmittel? Beim Menschen wird Esssucht an den geltenden Kriterien für Drogenabhängigkeit gemessen.7 Das Problem dieser Vorgehensweise besteht darin, dass dadurch das Augenmerk von den potenziell süchtig machenden Eigenschaften der Nahrung abgelenkt und auf die von der Sucht Betroffenen gerichtet wird. Wir bevorzugen es, uns auf das abhängig machende Potenzial der Lebensmittel selbst zu konzentrieren, und vergleichen es mit anderen anerkannten Suchtmitteln. Beim Alkohol bestehen aus mehreren Gründen die meisten Übereinstimmungen mit Fastfood – zum Beispiel wegen seiner biochemischen Eigenschaften (siehe Kapitel 11 und 22). Fastfood ist kalorienreich und enthält viel Zucker, Fett, Salz und oft auch Koffein. Es ist stark verarbeitet, hat eine hohe Energiedichte und ist extra so entwickelt, dass es besonders gut schmeckt. Die meisten Ballaststoffe und ein Teil der Vitamine und Mineralstoffe, die in den ursprünglichen Lebensmitteln enthalten sind, werden bei der Verarbeitung entfernt (siehe Kapitel 14). Zucker, Salz und andere Zusätze werden eingesetzt, um den Geschmack zu intensivieren. Das Endprodukt wird ansprechend verpackt und kann sehr bequem eingekauft werden. Welche dieser Komponenten könnten abhängig machen? Oder machen sie alle süchtig? Eine Marktanalyse von McDonald’s, der größten Hamburgerkette der Welt, zeigt, dass Big Macs und Pommes frites ihre meistverkauften Produkte sind. Die Sparmenüs machen 70 Prozent der Käufe bei McDonald’s, Wendy’s und Burger King aus. Die beliebteste Kombination bei McDonald’s ist ein Big Mac mit einer mittleren Portion Pommes und einem mittelgroßen Soft Drink, die für rund 6 Euro 1.130 kcal liefert.8 Doch wir sprechen hier über Sucht. Sehen wir uns also den größeren Zusammenhang an. Was steht auf der Zutatenliste einer typischen Fast-

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foodmahlzeit, die aus einem Big Mac, einer großen Portion Pommes und einer großen Cola (900 ml) besteht (Abbildung 5.1)?

Nährwertangaben Inhalt einer Portion: 1 Big Mac, 1 große Portion Pommes frites, 1 große Cola (1.269 g) Menge pro Portion Kalorien: 1.360 

Kalorien aus Fett: 520 % vom Tagesbedarf*

Fett insgesamt: 58 g

89 %

 gesättigte Fette: 12 g

58 %

 Transfette: 1,5 g Cholesterin: 80 g

89 %

Salz: 80 g Kohlenhydrate insgesamt: 190 g

63 % 40 %

 Ballaststoffe: 10 g  Zucker: 95 g Eiweiß: 32 g Vitamin A: 8 % Kalzium: 30 % 

Vitamin C: 20 % Eisen: 30 %

*Die Prozentangaben in Bezug auf den Tagesbedarf basieren auf einer Ernährung mit 2.000 kcal täglich. Ihre Tageswerte können in Abhängigkeit von Ihrem Kalorienbedarf höher oder niedriger sein: Kalorien: 2.000 2.500 Fett insgesamt weniger als 65 g 80 g Gesättigte Fette weniger als 20 g 25 g Cholesterin weniger als 300 mg 300 mg Salz weniger als 2.400 mg 2.400 mg Kohlenhydrate insgesamt 300 g 375 g Ballaststoffe 25 g 30 g

Abbildung 5.1 Alles riesig! Eine Mahlzeit bei McDonald’s und ihre Nährwerte. Ein Big Mac, eine große Portion Pommes und eine große Cola liefern 1.360 kcal (also zwei Drittel des normalen Tagesbedarfs) sowie 1.380  mg Salz (ein Großteil des Tagesbedarfs). Der Fettgehalt macht 38 Prozent der Gesamtkalorien aus (was nicht schlecht ist), während die Mahlzeit 95 g Zucker enthält: Das entspricht 19 Teelöffeln und 390 kcal und ist mehr als das Doppelte dessen, was die American Heart Association pro Tag empfiehlt.

Beim Zucker ist kein Prozentanteil des Tagesbedarfs angegeben, da es aktuell keine empfohlene Tagesmenge für Zucker gibt (siehe Kapitel 16). Denken Sie daran: 50 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung verzehren diese oder eine ähnliche Mahlzeit mindestens einmal pro Woche!

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Salz

Unsere Beispielmahlzeit enthält 1.380 mg Salz. Das WHO-Regionalbüro für Europa empfiehlt eine Aufnahme von maximal 5.000 mg Salz pro Tag; deshalb macht die Beispielmahlzeit 27,6  Prozent des Tagesbedarfs aus. Viele industriell verarbeitete Lebensmittel liefern mehr als 3.400 mg Salz. Salz ist eine der Methoden, mit der die Lebensmittelindustrie Nahrung haltbar machen und deren Lagerfähigkeit verbessern kann. Deshalb gehen Salz und Kalorien fast immer Hand in Hand. (Denken Sie nur an Kartoffelchips.) Doch macht es süchtig? Daten, die eine Abhängigkeit von Salz stützen könnten, sind bislang nur auf Tiermodelle beschränkt. Untersuchungen an Ratten zeigen eine Dopamin-Signalübertragung als Reaktion auf Salz; und die Verabreichung von Opioiden fördert übermäßigen Salzkonsum. Doch bei Menschen hat die Salzaufnahme traditionell als eine erlernte Vorliebe gegolten, weniger als Sucht. Die Vorliebe für salzige Nahrung wird schon früh im Leben erlernt. Vier bis sechs Monate alte Säuglinge entwickeln eine Salzvorliebe auf der Grundlage des Salzgehalts der Muttermilch, des Wassers zum Anrühren von Babynahrung und auch aufgrund ihrer übrigen Nahrung. Doch natürlich können die Menschen den Salzgehalt ihrer Nahrung anpassen. So können Menschen, die aufgrund einer Erkrankung der Nebenniere nach Salz gieren, ihren Salzverzehr reduzieren, wenn sie die passenden Medikamente erhalten. Auch die Vorliebe für Salz kann umtrainiert werden; Erwachsene mit hohem Blutdruck können sich innerhalb von zwölf Wochen an eine salzarme Diät gewöhnen.9 Unter Berücksichtigung der Kriterien für ein Suchtmittel entspricht Salz also den Vorgaben nicht.

Fett

Der hohe Fettgehalt von Fastfood ist entscheidend für die Belohnungsgefühle, die es auslöst. Unsere einfache Beispiel-Fastfoodmahlzeit enthält 89 Prozent des Fett-Tagesbedarfs eines Menschen, der pro Tag 2.000 kcal zu sich nimmt. In Ernährungsstudien werden überschüssige Kalorien aus Fett effizienter eingelagert als überschüssige Kalorien aus Kohlenhydraten

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(90 bis 95 Prozent versus 75 bis 85 Prozent). Deshalb wurde Fett traditionell schon immer als wichtigster Faktor für die Gewichtszunahme erachtet. Wenn Tiere unregelmäßig Zugang zu Fett bekommen, fressen sie sich damit voll. Sie tun dies unabhängig von der Fettart – was nahelegt, dass der Fettgehalt selbst und nicht die Art des Fettes die Fresssucht fördert (siehe Kapitel 10). Allerdings zeigen Ratten keine weiteren Merkmale einer Fettabhängigkeit wie Toleranz oder Entzug. Bedenken Sie jedoch, dass sogenannte fettreiche Nahrungsmittel fast immer auch viele Kohlenhydrate enthalten (wie z. B. Pizza) oder eine Menge Zucker (wie etwa Kekse). Tatsächlich steigert ein Zuckerzusatz die Vorliebe für fettreiche Nahrung bei normalgewichtigen Menschen beträchtlich.10 Also macht die Kombination aus viel Fett und viel Zucker wahrscheinlich eher abhängig als ein hoher Fettgehalt allein.

Koffein

Limonade ist ein fester Bestandteil einer Fastfoodmahlzeit. Wenn Sie zu Ihrem McDonald’s-Sparmenü eine große Cola trinken, beläuft sich der Koffeingehalt auf ungefähr 58  mg. Die Hersteller von Soft Drinks betrachten Koffein als Aromastoff in ihren Getränken, doch nur 8 Prozent der Menschen, die häufig solche Getränke zu sich nehmen, können in einem Blindtest den Unterschied zwischen einer koffeinhaltigen und einer koffeinfreien Cola wahrnehmen.11 Also besteht die wahrscheinlichste Funktion von Koffein in einem Soft Drink darin, die Auffälligkeit eines ohnehin schon sehr lohnenswerten (gezuckerten) Getränks zu erhöhen – Psychologen sprechen von einer Erhöhung der Salienz. Koffeinabhängigkeit ist bekannt und erfüllt alle Suchtkriterien für eine körperliche und psychische Abhängigkeit, die im DSM dargelegt sind. In der Tat erfüllen wahrscheinlich bis zu 30 Prozent der Menschen, die Koffein zu sich nehmen, die Kriterien für eine Sucht. Bei einem Koffeinentzug kann es zu Kopfschmerzen (die einer erhöhten Fließgeschwindigkeit des Blutes im Gehirn zugeschrieben werden), Müdigkeit und einer beeinträchtigten Leistungsfähigkeit kommen. Außerdem führt ein intensiver Koffeinkonsum zur Toleranzentwicklung.

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Während Kinder ihr Koffein aus Soft Drinks und Schokolade beziehen, nehmen die Erwachsenen es größtenteils durch Kaffee oder Tee zu sich. Eine Tasse aufgebrühten Kaffees (230 ml) enthält, je nach Zubereitungsmethode, 95 bis 200 mg Koffein. Der verstorbene Komiker und Sozialkritiker George Carlin bezeichnete Kaffee einst als »Crack der Weißen«. In den Restaurantketten bestellen heute allerdings nur wenige Kunden einen normalen aufgebrühten Kaffee. Eine Untersuchung unter Starbucks-Kunden ergab, dass die Mehrheit Mischgetränke bestellt.12 Der besonders beliebte extragroße »Mocha Frappuccino« (ohne Schlagsahne) enthält 260 kcal und 53 Gramm Zucker. Folglich ist Koffein als bekanntes Suchtmittel in Kaffee und Soft Drinks ein wesentlicher Bestandteil des Phänomens Esssucht.

Zucker

Obwohl es immer wieder Berichte über eine »Zuckersucht« beim Menschen gibt, sind wir noch immer nicht ganz sicher, ob es sich um eine eigenständige Abhängigkeit oder nur um eine Gewöhnung handelt. Wenn Sie ein Limonadengetränk zu einer Fastfoodmahlzeit trinken, erhöhen Sie den Zuckergehalt um das Zehnfache. Während Coca-Cola schätzt, dass aktuell 42  Prozent der in den USA verkauften Soft Drinks Diätgetränke sind (z. B. Coke Zero), handelt es sich bei 71 Prozent der bei McDonald’s verkauften Getränke um solche mit Zucker. In der Tat enthielten im Jahr 2009 lediglich sieben Produkte auf der McDonald’s-Speisekarte keinen Zucker: Pommes frites, Kartoffelpuffer, Wurst, Chicken McNuggets (ohne Soße zum Dippen), Diät-Cola, schwarzer Kaffee und Eistee (ohne Zucker). Der Konsum von Soft Drinks wird an sich schon mit Adipositas in Verbindung gebracht13 – und Fastfoodesser trinken darüber hinaus noch mehr Soft Drinks. Es ist wahrscheinlich, dass das weitverbreitete Phänomen der »Abhängigkeit von Soft Drinks« auf den Zusatz von Koffein zurückzuführen ist, das als Suchtmittel bekannt ist. Alle Kriterien einer Zuckersucht konnten in Versuchen mit Nagetieren dargestellt werden.14 Erstens: Ratten, die (nach einer Beschränkung) sporadischen Zugang zu Zucker erhalten, fressen sich damit voll. Zwei-

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tens: Diese Tiere zeigen Entzugssymptome (Zähneklappern, Zittern und Unruhe), wenn sie keinen Zucker bekommen. Drittens: Substanzverlangen und -beschaffung wurden hinsichtlich des Zuckers nachgewiesen, da Tiere nach einer zweiwöchigen Zwangsabstinenz mehr Zucker fressen als zuvor – wie Salvador und seine Soft Drinks. Ein erhöhter Dopaminspiegel erhält den Fressdrang aufrecht, und mit der Zeit wird immer mehr aufgenommen, da sich eine Toleranz entwickelt hat. Schließlich wurde auch eine Kreuzsensibilisierung bei zuckerabhängigen Ratten gezeigt, die bereitwillig auf Alkohol oder Amphetamine umschwenkten. Basierend auf den Daten kann man also sagen, dass Zucker süchtig macht, und Soft Drinks erst recht.

Darwin neu interpretiert Es gibt also einige Hinweise darauf, dass Zucker Menschen süchtig machen kann. Versuche zeigen, dass Fettleibige ihn zur Behandlung psychischer Symptome einsetzen. Übergewichtige Frauen, die nach eigenen Angaben nach Kohlenhydraten gierten, berichteten von größerer Linderung verschiedener Gemütsleiden durch ein kohlenhydrathaltiges Getränk im Vergleich zu einem Eiweißdrink. Doch der vielleicht beste Beweis für eine opiatartige Wirkung von Zucker ist das Produkt »Sweet-Ease«. Dabei handelt es sich um eine Zuckerlösung, in die in Krankenhäusern bei einer Beschneidung die Schnuller von neugeborenen Jungen getaucht werden, um den Schmerz zu lindern. Aus evolutionärer Sicht war Süße für unsere Vorfahren ein Zeichen dafür, dass sie etwas sicher essen konnten, da nichts Süßes sehr giftig ist. (Selbst die Jamaika-Brechkrankheit tritt nur nach dem Verzehr einer unreifen Akee-Frucht auf, die nicht süß ist.) Wir werden also von Süße standardmäßig angezogen. Wie oft müssen Eltern ein neues Lebensmittel anbieten, bevor ein Baby es annimmt? Etwa 10 bis 13 Mal. Doch wenn diese neue Nahrung süß ist, wie viele Versuche sind dann erforderlich? Ein einziger. Und wenn eine Zuckerlösung auf einem Schnuller ausreichend Schmerzunempfindlichkeit erreichen kann, dass eine Beschneidung durchgeführt werden kann, ist sie aus evolutionärer Sicht ein Sieger, oder?

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Genuss versus Glück Möglicherweise haben Sie schon einmal vom »Bruttonationalglück« gehört, einem Wert, der die Lebensqualität oder gesellschaftlichen Fortschritt mit psychologischeren Begriffen messen soll, als es der ökonomische Wert des Bruttoinlandsproduktes (BIP) tut. Nach übereinstimmenden Berichten sind die Menschen in den USA nicht besonders glücklich. Obwohl wir das höchste Bruttoinlandsprodukt haben, nehmen wir auf diesem Glücksindex nur den 44. Rang ein. Natürlich tragen unsere Arbeitswut (US-Amerikaner leisten sich den wenigsten Urlaub in der ganzen entwickelten Welt) und der aktuelle Wirtschaftsabschwung zu unserer Unzufriedenheit bei. Doch könnte diese Unzufriedenheit nicht auch mit unserer Ernährung zusammenhängen?15 Allen Einschätzungen zufolge sind adipöse Menschen nicht glücklich. Es ist die Frage, ob ihre Unzufriedenheit eine Ursache oder eine Folge ihrer Fettleibigkeit ist. Momentan können wir das nicht sicher beurteilen, und es ist gut möglich, dass beides stimmt. Und zwar aus folgenden Gründen: Glück ist nicht nur ein geistiger Zustand, sondern aufgrund des Neurotransmitters Serotonin auch ein biochemischer. Der »Serotoninhypothese« zufolge löst ein Serotoninmangel im Gehirn ernste klinische Depressionen aus; deshalb werden Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Selective Serotonin Reuptake Inhibitor, SSRI), die den Serotoninspiegel im Gehirn anheben (wie Bupropion und Fluxetin), zur Behandlung eingesetzt. Interessanterweise werden diese Medikamente auch bei Adipositas verwendet. Ein Weg, die Serotoninsynthese im Gehirn zu steigern, besteht darin, eine Menge Kohlenhydrate zu essen.16 Sie sehen schon, wohin dies führt. Wenn Sie einen Serotoninmangel haben, möchten Sie Ihren Serotoninspiegel um jeden Preis anheben. Der gesteigerte Verzehr von Kohlenhydraten und insbesondere von Zucker hilft dabei anfangs in doppelter Hinsicht: Er erleichtert den Serotonintransport und ersetzt die Zufriedenheit kurzfristig durch Genuss. Doch da der D2Rezeptor den Spiegel wieder herunterregelt, wird mehr Zucker benötigt, um denselben Effekt zu erzielen. Zu viel Zucker führt zur Insulinresistenz, die wiederum eine Leptinresistenz bewirkt (siehe Kapitel 4), und das Gehirn meint, der Körper sei ausgehungert. So kommt es zu einem Teufels-

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kreis des Konsums, um angesichts andauernder Unzufriedenheit ein wenig Genuss zu verspüren. Und in diesen Teufelskreis kann jeder geraten. Ersetzen Sie einfach ein wenig Unzufriedenheit durch ein wenig Genuss, und schon ist es passiert! Abhängigkeit im Handumdrehen.

Was meinen Sie? In dieser Theorie gibt es eine offensichtliche Lücke, und ich bin sicher, sie ist Ihnen im Verlaufe dieses ganzen Kapitels schon aufgefallen. Kann jedermann von Fastfood abhängig werden? Jeder in den USA isst Fastfood, doch nicht jeder ist süchtig danach. Bei Betäubungsmitteln führt die langfristige Nutzung mit großer Wahrscheinlichkeit in die Abhängigkeit – fragen Sie Rush Limbaugh nach seiner Oxycodon-Sucht –, doch bei Fastfood liegt die Sache anders. Zahlreiche gewohnheitsmäßige Fastfoodkonsumenten könnten damit durchaus aufhören, wenn sie wollten. Doch gibt es auch Menschen, die für eine Sucht anfälliger sind und Nahrung als ihr bevorzugtes Suchtmittel gewählt haben? Das könnte erklären, warum Menschen, die das Rauchen aufgeben, mit dem Essen anfangen. Mediziner beginnen, sich dem Konzept der Esssucht anzunähern. Nora Vulkow, die Leiterin des US-amerikanischen Instituts für Drogenmissbrauch (National Institute on Drug Abuse, NIDA) unterstützt nachweislich die Idee der Esssucht.17 Doch nicht jeder ist von der Auffassung begeistert, dass Adipositas und Sucht miteinander verwandt sind. Im Jahr 2012 beispielsweise hat eine britische Gruppe das Adipositas-Sucht-Modell infrage gestellt18. Diese Gruppe bezweifelt, dass alle fettleibigen Menschen abhängig sind und beim Neuroimaging (Bildgebung des zentralen Nervensystems) weniger Dopaminrezeptoren aufweisen; außerdem seien Ratten keine Menschen (auch wenn manche Menschen natürlich Ratten sind). Nun ja, nicht jeder, der trinkt, wird Alkoholiker, doch wir wissen, dass manche Menschen abhängig werden. Was meinen Sie? Ist Salvador von seinen Soft Drinks abhängig? Nachdem ich in den vergangenen 15 Jahren fettleibige Kinder behandelt habe, kann ich grundsätzlich sagen, dass es sehr viele Menschen gibt, die ihre Gewohnheiten nicht ablegen können. In der Tat ist bei Kindern die Wahr-

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scheinlichkeit größer, dass sie dazu nicht in der Lage sind – vielleicht weil sie mit dem Zeug aufgewachsen sind oder weil ihr Gehirn empfänglicher ist.19 Es gibt mehrere Einwände dagegen, von einer Fastfoodsucht zu sprechen. Wie oft essen Sie es (immer wieder oder nur gelegentlich)? Mit wem essen Sie es (mit der Familie oder allein)? Was bestellen Sie? Wie alt sind Sie? Und, was am wichtigsten ist: Trinken Sie einen Soft Drink oder gesüßten Tee dazu? Ich habe Ihnen die Fakten dargelegt, die zeigen, dass Fett und Salz die Anziehungskraft einer Fastfoodmahlzeit erhöhen, doch entscheidend sind der Zucker und das Koffein. Darauf werden wir im Laufe des Buches immer wieder zurückkommen, denn hier spielt die Musik.

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Janie ist 13 Jahre alt. Als sie fünf war, bekam sie einen Hirntumor im Hypothalamus, der chirurgisch entfernt wurde. In den folgenden sieben Jahren nahm sie 72  Kilogramm zu (sodass ihr Höchstgewicht 110 Kilogramm betrug), und beim Glukosetoleranztest zeigte sich eine enorme Insulinausschüttung, die zum hypothalamischen Syndrom passt. Unsere Chirurgen nahmen an Janie versuchsweise eine Operation vor, bei der ihr Vagusnerv durchtrennt wurde. In den neun Monaten nach dem Eingriff verlor sie 10 Kilogramm, hatte weniger Hunger, mehr Energie und fühlte sich deutlich besser. Dann erschien sie neun Monate lang nicht in der Klinik. Als sie zurückkam, hatte sie die 10 Kilogramm wieder zugenommen und damit erneut ihr Höchstgewicht erreicht. Sie hatte erklärt, dass durch die Operation ihr Hungergefühl fort sei – warum und wie hatte sie also die verlorenen Pfunde zurückgewonnen? Sie hatte in der sechsten Klasse die Schule gewechselt. Die Kinder in der neuen Schule riefen ihr Beleidigungen zu, nannten sie Fettsack, Miss Piggy oder Kloß. Obwohl sie keinen Hunger hatte, führte der Stress ihrer neuen Situation dazu, dass sie unaufhörlich aß. Dann wechselte Janie an eine andere Realschule, an der sie mit ihren Klassenkameraden besser zurechtkam und wieder Gewicht verlor.

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Diese arme junge Dame war dreifach gestraft. Zuerst bekam sie einen Hirntumor. Dann wurde sie infolge des Hirntumors fettleibig. Und zu allem Überfluss war sie unglücklicherweise auch noch ein Teenager (was vielleicht das Schlimmste war). Auch wenn wir unser Bestes gaben, um das biochemische Problem dieses Mädchens zu behandeln, stellte sich heraus, dass die sozialen Schwierigkeiten noch entscheidender waren. Es ist mein Job, mich um Kinder zu kümmern. Während die meisten süß und liebenswert sind, gibt es aber auch einige, die regelrecht gemein sind. Insbesondere Jugendliche. Ein schlechtes Benehmen ist heutzutage geradezu ein Muss. In wie vielen Hollywoodfilmen geht es um dieses Thema? Sehen Sie sich beispielsweise Girls Club – Vorsicht bissig!, Das darf man nur als Erwachsener oder Can’t Buy Me Love an, wenn Sie nicht mehr wissen, wie es an höheren Schulen zugeht. Vielleicht sind es die Testosteronund Östrogenkurven der Pubertät, die manche Jugendliche wütend machen und zu Tyrannen werden lassen. Möglicherweise versuchen sie ihr Selbstbewusstsein zu stärken, indem sie andere Kinder mit Beleidigungen und Verleumdungen herabwürdigen. Eventuell liegt es auch an ihrer Erziehung. Sie sehen, wie ihre Eltern mit sozialen Problemen umgehen, und tun es ihnen gleich. (Nehmen Sie sich vor den Müttern der Elternvertretung im San Fernando Valley in Acht.) Egal was der Grund sein mag, eines weiß ich: Viele Kinder (und Erwachsene) reagieren auf psychischen Stress mit Essen. Mit der Zunahme der Fettleibigkeit in unserer Gesellschaft geht auch eine größere Häufigkeit und intensivere Ausprägung von psychischem Stress einher.1 Zwei Mechanismen, bei denen Stress zu Adipositas führt, sind das durch Stress verursachte Essverhalten und die durch Stress bedingte Fetteinlagerung.2 Bei Menschen und Tieren wurde bei Stress oder negativen Gefühlen eine verstärkte Nahrungsaufnahme dokumentiert, selbst wenn sie keinen Hunger hatten. Außerdem enthält die verzehrte Nahrung in diesen Fällen tendenziell viel Zucker, Fett oder beides. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass die Menschen heutzutage gestresster sind als noch vor 30 Jahren – und das entspricht auch der Ausdehnung unserer Taille.

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Cortisol: Es geht nicht mit ihm, aber auch nicht ohne Der Zusammenhang zwischen Stress, Adipositas und Stoffwechselkrankheiten begründet sich auf dem Hormon Cortisol, das von den Nebennieren ausgeschüttet wird. (Sie befinden sich oberhalb der Nieren.) Es ist möglicherweise das wichtigste Hormon in unserem Körper. Zu wenig Cortisol kann zum Tod führen. Wenn Ihnen irgendein anderes Hormon fehlt – das für Wachstum, die Schilddrüse, Sex oder den Wasserhaushalt zuständig ist –, fühlen Sie sich mies, und Ihre Lebensqualität ist stark eingeschränkt, doch Sie werden nicht sterben. Aber wenn Ihnen Cortisol fehlt, können Sie mit keinerlei körperlichem Stress umgehen. Wie David Williams 2008 in der Fernsehserie Unnatural Causes sagte: »Stress hilft, uns zu motivieren. In unserer Gesellschaft steht heute jeder unter Stress. Eine Person ohne Stress ist tot.« Ein starker Cortisolanstieg verhindert einen Schock, wenn Sie dehydrieren, verbessert die Gedächtnis- und Immunfunktion, reduziert Entzündungen und erhöht die Wachsamkeit. Normalerweise steigt der Cortisolspiegel unter Stress an (wenn Sie von einem Löwen gejagt werden oder Ihr Chef Sie anbrüllt, weil er eine Mitteilung nicht bekommen hat). Cortisol ist notwendig – in kleinen Dosen und kurzen Schüben. Sind Sie jedoch langfristig großen Dosen Cortisol ausgesetzt, wird auch das Sie umbringen. Es dauert nur etwas länger. Wenn Sie unablässig unter (gesellschaftlichem, familiärem, kulturellem …) Druck stehen, wird die Reaktion auf Stress monate- oder sogar jahrelang aufrechterhalten. Sobald Cortisol die Blutbahn überschwemmt, steigt der Blutdruck ebenso wie der Glukosespiegel im Blut, was Diabetes auslösen kann; und auch der Puls ­beschleunigt sich. Untersuchungen am Menschen zeigen, dass Cortisol insbesondere die Kalorienaufnahme durch »Seelenfutter« (wie Schokoladenkuchen) steigert.3 Und Cortisol führt nicht nur dazu, dass Sie verlorene Pfunde wieder zunehmen, sondern lässt vor allem das Bauchfett anwachsen (siehe Kapitel 8) – also das Fettdepot, das mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und dem metabolischen Syndrom in Zusammenhang steht. Ab den 1970er-Jahren erfasste die bahnbrechende »Whitehall Study« über 30  Jahre lang die Gesundheit von 29.000 britischen Beamten.4 Anfangs vermuteten die Wissenschaftler, dass es unter den Hochleistungsführungskräften die meisten Herzinfarkte und koronaren Herzerkrankungen

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geben würde. Doch das Gegenteil war der Fall. Diejenigen, die in der Hierarchie am weitesten unten standen, wiesen die höchsten Cortisolspiegel und die meisten chronischen Krankheiten auf. Dies betraf jedoch nicht nur die unterste Stufe: Auch auf der zweituntersten Hierarchiestufe der gesellschaftlichen Leiter gab es eine größere Wahrscheinlichkeit für die Entstehung von Krankheiten als bei den Personen in der Führungsetage; und auf der dritten Stufe war das Risiko höher als auf der zweiten Stufe, und so weiter. Die Sterberate und Krankheiten hängen mit dem gesellschaftlichen Status zusammen, auch wenn man das Verhalten (z. B. Rauchen) entsprechend berücksichtigt. Dasselbe gilt auch in den Vereinigten Staaten. Die Häufigkeit von Krankheiten wie Diabetes, Schlaganfall und Herzerkrankungen ist unter denjenigen am höchsten, die unter dem meisten Stress leiden, also unter den USAmerikanern der Mittel- und Unterschicht. Diese Stressfaktoren machen sich auch bei Kindern deutlich bemerkbar. Fast 20 Prozent der US-amerikanischen Kinder leben in Armut, in Deutschland sind es fast ebenso viele. Die lebenslangen Folgen der Unsicherheit in Bezug auf Unterkunft und Nahrung wirken wie Gift auf das Gehirn und verändern dessen Struktur schon in jungen Jahren.5 Cortisol tötet insbesondere Nervenzellen, die bei der Hemmung der Nahrungsaufnahme eine Rolle spielen.6 Ob man in seiner Kindheit eine solide oder schwache Grundlage aufbaut, ist äußerst entscheidend für die Gesundheit und das Essverhalten in der Zukunft. Stress in der Kindheit steigert also das Risiko der Entwicklung von Adipositas in der Jugendzeit und im Erwachsenenalter. Einige der Faktoren, die mit einer niedrigeren Reizschwelle für Stress und einer erhöhten »Cortisolreaktivität« zusammenhängen, sind ein niedriger sozioökonomischer Status, Stress im Job, weibliches Geschlecht, sich in der Ernährung stark einzuschränken (durch chronische Diäten) sowie insgesamt Kraftlosigkeit und mangelndes Selbstvertrauen. Drei Busse nehmen zu müssen, um irgendwohin zu gelangen, zwei oder mehr Jobs, gut überlegen zu müssen, wie man Essen auf den Tisch bringen kann, und nicht zu wissen, ob man die Miete wird zahlen können – all das beeinträchtigt nicht nur massiv Ihre Gemütslage, sondern auch Ihren physiologischen Zustand. Und wenn Sie nicht weiß sind, verdoppelt der mit Rassismus verbundene Stress die gesundheitlichen Auswirkungen. Afroamerikaner und

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Latinos leiden bei fast jeder Krankheit unter einer höheren Sterblichkeitsrate als Weiße. Natürlich gibt es genetische Einflüsse, aber bei den gesundheitlichen Unterschieden zwischen den Ethnien spielt auch Stress eine ganz entscheidende Rolle.

Die wissenschaftlichen Hintergründe von Stress Die Reaktion auf Stress ist eine Kaskade von Anpassungsreaktionen, die im zentralen Nervensystem entstehen. Wenn ein Mensch Stress empfindet (egal was, von einem Flugzeugabsturz bis zu einem Mathetest), interpretiert und verarbeitet der Körper die Bedrohung in einem Bereich des Gehirns, der Mandelkern (Amygdala) genannt wird. Von dort aus werden zwei andere Systeme eingeschaltet. Wie bei dem Spiel »Stille Post« informiert der Mandelkern zum einen den Hypothalamus, der seinerseits die Hirnanhangdrüse (Hypophyse) informiert, die wiederum der Nebenniere mitteilt, dass sie Cortisol ausschütten soll. In einer schwierigen Situation meldet das Cortisol dann an den Hypothalamus, eine weitere Ausschüttung zu stoppen, sodass das Hormon kurzfristig und begrenzt wirkt. (»Ich bin dem Löwen entkommen! Puh, welche Erleichterung. Zeit für ein Nickerchen.«) Dieser Rückkopplungsmechanismus soll Gehirn und Körper vor einer längeren, schädlichen Cortisolbelastung schützen. Zum anderen aktiviert der Mandelkern das sympathische Nervensystem, das den Puls ansteigen lässt. Cortisol und sympathisches Nervensystem veranlassen gemeinsam einen Anstieg des Blutzuckerspiegels und des Blutdrucks, um den Menschen darauf vorzubereiten, mit dem Stress umzugehen und sich ihm anzupassen. Diese Systeme sollten sich abschalten, nachdem der Stress vor­ über ist. Doch chronischer Stress oder intensivere Reaktionen auf Stress aufgrund uneffektiver Bewältigungsstrategien können eine langfristige Cortisolkaskade in Gang setzen. In diesen ausgedehnten Stresssituationen wird das Cortisol nicht kontrolliert. Doch warum gibt das Cortisol bei chronischem Stress keine Rückmeldung, um seine eigene Ausschüttung zu kontrollieren? Das ist eine der wichtigsten Fragen, mit denen die Wissenschaft sich heute beschäftigt. Anscheinend wird die Fähigkeit des Mandelkerns,

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das Cortisolsignal wahrzunehmen, infolge der übermäßigen Cortisolausschüttung herabgesetzt. Eine chronische Cortisolbelastung unterdrückt das negative Feedback des Cortisols an das Gehirn. Wie und warum das geschieht, ist noch nicht bekannt. Welcher Mechanismus auch immer dahinterstecken mag: Es ist ein Teufelskreis – Stress führt zu Cortisol, was auf Dauer wiederum mehr Stress verursacht.7

Der Zusammenhang zwischen Stress und Süßem Eine über mehrere Jahre andauernde Cortisolbelastung führt zu übermäßiger Nahrungsaufnahme – doch dabei geht es nicht um irgendwelche Nahrung. Menschenversuche zeigen, dass Cortisol vor allem die Kalorienaufnahme von »Seelenfutter« (»Trostessen«, Nahrung mit einer hohen Energiedichte oder viel Fett und viel Zucker) steigert. Ihr Partner verspätet sich, und die Kinder lassen sich nicht beruhigen? Holen Sie ihr Lieblingseis aus dem Gefrierfach! Was macht bestimmte Menschen anfällig für stressbedingtes Essen? Einerseits ist nicht der Stress selbst das Problem, sondern die Reaktion auf den Stress. Wie die Schönheit liegt auch der Stress im Auge des Betrachters. Dasselbe Stressniveau kann bei verschiedenen Menschen unterschiedliche Auswirkungen haben. Das Gefühl chronischen Stresses kann zu einer erhöhten Kalorienaufnahme durch Seelenfutter führen – aber nur bei Personen mit einer hohen Cortisolreaktivität. Stressesser weisen in einer stressigen Phase einen beträchtlichen Anstieg des Insulinspiegels, des Gewichts und des nächtlichen Cortisolniveaus auf (in der Nacht ist der Cortisolspiegel normalerweise sehr niedrig). Meine Kollegin Elissa Epel von der University of California in San Francisco hat gezeigt, dass Menschen, die als Reaktion auf einen psychischen Stressfaktor die größte Menge an Cortisol ausschütten, auch die meisten fettreichen und zuckerhaltigen Speisen zu sich nehmen.8 Es wird auch angenommen, dass Stress eine Rolle beim metabolischen Syndrom in der Kindheit spielt, da in dieser Zeit Ernährungsmuster und Fettzellen »programmiert« werden. Stress kann die Nahrungsaufnahme in vielerlei Hinsicht beeinflussen. Eine Folge von Stress ist weniger Schlaf – und das trägt wiederum zu Adi-

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positas bei und ist zugleich eine Folge davon. Wir alle schlafen weniger als früher, insbesondere Kinder (auch Janie).9 Unter den Menschen, die wenig schlafen, steigt im Laufe der Zeit der BMI an. Und nur weil Sie weniger schlafen, heißt das noch lange nicht, dass Sie sich im Wachzustand mehr bewegen. Aus biochemischer Sicht steht ein ausgeprägter Schlafmangel in Zusammenhang mit einem Anstieg von Entzündungsmarkern und Anzeichen für das metabolische Syndrom. Nachgewiesenermaßen lässt Schlafmangel den Cortisolspiegel ansteigen und das Leptinniveau sinken, sodass das Hungergefühl zunimmt. Im Gehirn führt der Schlafentzug zu einer Zunahme des »Hungerhormons« Ghrelin, das den Wert verändert, den wir der Nahrung beimessen. Es aktiviert auch das Belohnungssystem,10 sodass wir noch mehr Schokoladenkuchen essen. Adipöse Menschen schlafen oft schlecht. Das liegt zum Teil daran, dass ein hoher BMI eng mit dem Vorkommen der obstruktiven Schlafapnoe assoziiert ist, die aufgrund des höheren Kohlendioxidgehalts wiederum die Fettleibigkeit noch zu verschlimmern scheint. Die Rolle von Stress und Cortisol beim Essen erstreckt sich von ganz gesunden bis hin zu krankhaften Aspekten und vom übermäßigen bis zum nicht ausreichenden Essen. Als ich als Assistenzarzt in der Pädiatrie 36 von 48 Stunden arbeitete, teilte sich unser Team in zwei Gruppen: jene, die in die Cafeteria gingen, und jene, die von Kaffee lebten. Ich versuchte es mit Kaffee, aber meine Hände zitterten dann so stark, als ich bei frühgeborenen Babys Katheter in die Nabelarterie schieben musste, dass ich mich für die feste Nahrung entschied. Während meiner Zeit als Assistenzarzt nahm ich 20 Kilogramm zu, und ich habe sie noch immer nicht wieder verloren. Ein Versuch mit Affen, beim dem der Cortisolspiegel im Zusammenhang mit der Futtersuche ansteigt, lässt Rückschlüsse auf die Auswirkungen von Ernährungsunsicherheit beim Menschen zu.11 In diesem Modell haben Affen auf dreierlei Art Zugang zu Nahrung: 1. Nach Belieben – das Futter ist jederzeit verfügbar; 2.  Bei jeder Mahlzeit muss das Tier arbeiten, um Nahrung zu finden, die in einem Röhrenlabyrinth versteckt ist; oder 3. Eine Kombination aus beidem. Obwohl die Tiere der zweiten Gruppe arbeiten mussten, um ihr Futter zu finden, gab es hinsichtlich Körpergewicht und Cortisolspiegel keinen Unterschied zu den Tieren, die nach Belieben fressen konnten: Sie wussten, was sie tun mussten, um ihre nächste Mahlzeit

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zu bekommen. Doch in der dritten Gruppe, die mal auf die eine, mal auf die andere Weise gefüttert wurde, führte die Unsicherheit der Nahrungsverfügbarkeit dazu, dass der Cortisolspiegel anstieg und die Tiere deutlich dicker wurden. Stress und Cortisol führen zudem zu einer schnelleren Abhängigkeit von verschiedenen Suchtmitteln und wahrscheinlich auch von Nahrung. Tierversuche unterstreichen, dass Stress (insbesondere unkontrollierbarer Stress) oder Cortisol die Wahrscheinlichkeit erhöhen, Drogen wie Kokain zu konsumieren. Eine andere Methode, um den Cortisolspiegel bei Affen ansteigen zu lassen, besteht darin, sie als Gruppe zu halten, sodass sie einer Hierarchie ausgesetzt sind. Immer wird ein Tier in der sozialen Ordnung aufsteigen, um das Alphamännchen und der Anführer im Stall zu werden. Dieses Tier wird, ähnlich wie ein einflussreicher Firmenchef, das niedrigste Cortisolniveau haben. Der Cortisolspiegel der Untergebenen ist deutlich höher. Wenn dann alle Affen selbstverwalteten Zugang zu Kokain erhalten, wird das Alphatier nicht süchtig, während die rangniedrigeren Tiere abhängig werden. Dasselbe kann auch mit Nahrung geschehen. Das Stressund das Belohnungssystem sind also miteinander verbunden: Damit wird die Esssucht für Personen, die gegen ihren Stress anessen, zu einer vollendeten Tatsache.

Cortisol und Insulin – die Links-RechtsKombination für Ihren Bauch Sowohl bei Ratten als auch bei Menschen gilt: Wenn der Cortisolspiegel ansteigt, tut es das Insulin auch. Wenn Cortisol Sie zum Essen veranlasst, steigt Ihr Insulinspiegel an, um die aufgenommene Energie in Fettgewebe umzusetzen. Ist Cortisol also das Hormon der »Energieeinverleibung« und Insulin das Hormon der Energieeinlagerung? Hat Cortisol Auswirkungen auf die Fettleibigkeit, die sich von jenen des Insulins unterscheiden? Oder sind die beiden immer miteinander gekoppelt? Sind ihre Effekte redundant oder synergetisch? Das sind keine rein akademischen Fragen – sie sind wichtig für die Entscheidungsfindung, wie man Adipositas vermeiden und behandeln kann.

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Die einzige Möglichkeit, eine Antwort auf diese Fragen zu finden, besteht in der separaten Messung der beiden Hormone. Das ist beim Menschen nicht möglich, aber bei Ratten. In einer wahrhaft heroischen Reihe von Experimenten haben James Warne und Mary Dallman, meine Kollegen an der University of California, San Francisco, diese Frage wunderbar beantwortet.12 Zusammengefasst: Insulin lässt Sie zunehmen, während Cortisol Ihnen sagt, wo die Pfunde abgelagert werden sollen. Die Hormone haben also unterschiedliche Auswirkungen auf Ihre Nahrungsaufnahme und Ihre Körperfettzellen (siehe Kapitel 8), aber sie wirken bei der Verschlimmerung des metabolischen Syndroms zusammen (siehe Kapitel 9).

Cortisol und das metabolische Syndrom Es gibt zahllose Belege dafür, dass Menschen heutzutage stärker gestresst sind als noch vor 30 Jahren. Dieser Stress entsteht zu Hause, am Arbeitsplatz und in der Schule – mit anderen Worten: bei allen Menschen, immer. Stress (z. B. im Job), Depressionen und zu viel Cortisol stehen alle in Zusammenhang mit dem metabolischen Syndrom. Psychosozialer Stress beispielsweise hängt mit dem Herzinfarktrisiko bei Erwachsenen zusammen. Eines der Kennzeichen des metabolischen Syndroms ist ein Übermaß an Cortisol infolge einer hyperaktiven Nebenniere. Alle diese Beispiele legen nahe, dass Cortisol bei der Entwicklung des metabolischen Syndroms eine entscheidende Rolle spielt (siehe Kapitel 9).

Darwin neu interpretiert Warum sollte Cortisol Fett im Bauch einlagern, wo es mit größerer Wahrscheinlichkeit Krankheiten verursacht (siehe Kapitel  8) als an der Hüfte? Unsere gestressten Vorfahren brauchten manchmal sehr schnell eine Menge Energie, um dem Löwen zu entkommen oder gegen ihre Nachbarn zu kämpfen. Bauchfett wird schneller in Fettsäuren zerlegt und steht bei der Verbrennung in einer direkten Verbindung zur Leber. Also war es sinnvoll, über etwas zusätzliche Energie zu verfügen, die man direkt an die Leber

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weiterleiten konnte, wenn körperlicher Stress auftrat. Heutzutage ist Stress allerdings in der Regel keineswegs körperlich, sodass das Bauchfett eher eine Belastung als ein Vorteil ist.

Das limbische Dreieck: Essstörung, Adipositas und Krankheit Diese drei Übertragungssysteme des Gehirns (Hunger, Belohnung, Stress) fördern einen erhöhten Insulinspiegel und führen zu Adipositas und dem metabolischen Syndrom (siehe Kapitel 9). Dieses Modell kann man auch als »limbisches Dreieck« bezeichnen – in Anlehnung an das BermudaDreieck: Wenn Sie einmal drin sind, kommen Sie nicht wieder raus.13 Die chronische Insulinaktivität am ventromedialen Hypothalamus (VMH) blockiert die Leptin-Signalübertragung, was als Hunger interpretiert wird. Dadurch wird die Aktivität des sympathischen Nervensystems (SNS) gesenkt (Faultier) und die Aktivität des Vagus erhöht (Hunger). Im ventralen tegmentalen Areal (VTA) dereguliert der chronisch erhöhte Insulinspiegel das Belohnungssystem, indem er die Leptin-Signalübertragung blockiert (Belohnung). Sie wollen mehr essen, insbesondere Nahrung mit hohem Fett- und Zuckergehalt, was zu einer übermäßigen Kalorienaufnahme führt. Eine chronische Aktivierung des Mandelkerns lässt den Cortisolspiegel ansteigen (Stress). Das löst eine vermehrte Nahrungsaufnahme und Insulinresistenz aus, wodurch wiederum das Insulinniveau steigt und die Gewichtszunahme beschleunigt wird. Diese Vorgänge laufen bei nahezu jedem Fettleibigen ab. Hunger, Belohnung und Stress wirken zusammen und boykottieren so alle Abnehmversuche. Die Verhaltensweisen des »Vielfraßes« und »Faultiers« sind ganz real, treten aber infolge der Veränderungen der Biochemie im Gehirn auf. Und wie Sie im dritten Teil dieses Buches sehen werden, resultieren jene Verhaltensweisen auch aus der Biochemie der Fettzellen, die ihr Wachstum fördert.

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Kay ist ein siebenjähriges Mädchen, das mit einem normalen Gewicht zur Welt gekommen ist. Sie kam erstmals im Alter von zwei Jahren in die Klinik, als sie 20 Kilogramm wog (doppelt so viel wie normal) und ihr BMI 30 betrug (das Doppelte eines für ihr Alter normalen BMI). Ihre Mutter und Schwester sind beide spindeldürr. Es stellte sich heraus, dass Kay enorme Insulinmengen ausschüttete – ähnlich wie Kinder mit einem Hirntumor. Ihre Mutter hielt sie von allen problematischen Lebensmitteln fern und förderte Kays Bewegung, sooft es möglich war – doch ohne Erfolg. Im Laufe der nächsten fünf Jahre versuchte Kay es mit Diät, Sport und verschiedenen Abnehmpillen. Nichts schien ihre Gewichtszunahme bremsen zu können. Im Alter von sieben Jahren wog sie 63 Kilogramm, hatte eine Fettleber, Fettstoffwechselstörungen und Bluthochdruck. Als letzter Ausweg wurde ihr ein Magenband eingesetzt, um die Größe ihres Magens zu reduzieren. Zum damaligen Zeitpunkt war Kay unsere jüngste Patientin in der Adipositaschirurgie. Innerhalb von sechs Monaten nach der Operation hatte sie 14 Kilogramm verloren, und zwischen Gesicht und Hals waren nun Konturen zu erkennen. Alle Laborwerte besserten sich. Ihre Mutter war begeistert, insbesondere auch, weil Kay sich nun selbst den Po abwischen konnte.

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Dein Fett, dein Schicksal? Kurz zusammengefasst ist Ihr Körperfett Ihr größtes langfristiges Gesundheitsrisiko. Nichts steht in einer stärkeren Wechselbeziehung mit Diabetes, Herzerkrankungen und Krebs als Ihr Fett. Ist Ihr Fett also Ihr Schicksal? Jeder sagt: »Wenn du dein Fett verlierst, wirst du dein Leben verlängern und verbessern« – doch praktisch niemandem gelingt das. Wie verlieren Sie also Ihr Fett? Und was noch besser wäre: Wie verhindern Sie, dass es sich überhaupt einlagert, und wie können Sie die Muskelmasse erhalten? Um diese Fragen zu beantworten, ist etwas mehr Wissen darüber erforderlich, was die Fettansammlung begünstigt. Jeder von uns startet als einzelne Zelle – Produkt der Befruchtung eines Samens und einer Eizelle. Als Erwachsene haben wir schließlich zwischen fünf und zehn Billionen Zellen und über 250 verschiedene Zellarten in unserem Körper. Woher kommen die Fettzellen, und warum sind sie ursprünglich da? Wie entstehen Adipozyten (Fettzellen)? Was führt dazu, dass sie sich vermehren? Kann man ihre Anzahl reduzieren, und ist das überhaupt wünschenswert? Wie wird eine bestehende Fettzelle gefüllt? Wie kann man eine Fettzelle leeren, wenn sie einmal gefüllt ist? Diese Fragen beschäftigen Wissenschaftler und Pharmaindustrie bei ihren Versuchen, Adipositas in den Mülleimer der medizinischen Kuriositäten zu verbannen (und zugleich einen Haufen Geld zu verdienen). Leider gibt es die Adipositaspandemie nun schon seit 30 Jahren, und wir haben uns die wissenschaftlichen Erkenntnisse noch immer nicht zunutze gemacht.

Wie entsteht eine Fettzelle? Die Größe Ihres eingelagerten Fettgewebes hängt von zwei Eigenschaften ab: von der Anzahl der Fettzellen und von deren Größe. Tatsächlich ist Ihr endgültiges Schicksal nach der Entstehung der Fettzellen von deren Anzahl abhängig. Wenn die Fettzellen erst einmal existieren, wollen sie gefüllt werden. Stellen Sie sich eine Fettzelle wie einen Ballon vor. Wenn er leer ist, ist er ziemlich klein, sodass viele Ballons in einem Beutel aufbewahrt werden können, ohne viel Platz einzunehmen. Es ist der Fettgehalt, der die Zellen

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aufbläht. Wenn viele aufgeblasene Luftballons beisammen sind, können sie einen ganzen Raum ausfüllen. Wer Adipositas kontrollieren möchte, muss also nur die Anzahl der Fettzellen kontrollieren. Doch leider ist das leichter gesagt als getan. Wie und wann entstehen Fettzellen? Anfang der 1970erJahre zeigte die Rockefeller University, dass die Anzahl der menschlichen Fettzellen im Alter von zwei Jahren festgelegt wird. Jüngere Studien haben dies bestätigt, und die Fettzellen werden kontinuierlich erneuert. Auf jeden Fall gilt: Die meisten Fettzellen werden sehr früh im Leben gebildet.1 Warum brauchen wir überhaupt Fettzellen? Die flapsige Antwort lautet: Ohne sie würden Mädchen wie Jungen aussehen. Die evolutionäre Antwort ist, dass Fettzellen als Energiespeicher für das Überleben der Art erforderlich sind, insbesondere in Zeiten des Hungers. Fettzellen schützen uns und polstern lebenswichtige Organe ab. Außerdem liefern spezielle Fettzellen nach der Geburt Wärme und Schutz vor dem Wetter. Fettzellen sind nicht nur Energiespeicher. Sie sind aktiv an einem gesunden Stoffwechsel beteiligt. Wie Sie in Kapitel 8 sehen werden, brauchen Sie Ihre Fettzellen. Tatsächlich entscheiden die Fettzellen mit darüber, ob Sie blendend und gesund aussehen oder einen elenden, langsamen Tod sterben. Was führt dazu, dass eine Person dicker ist als die andere? Wie kommt es, dass Kay und ihre Schwester – Kinder, die in derselben Umgebung aufwachsen und von denselben Eltern mit identischen Werten und Mahlzeiten aufgezogen werden – körperlich so unterschiedlich sein können? Warum träumt ein Kind nur von Fußball, während das andere von Donuts besessen ist? Jeder denkt, er habe seine Fettzellen unter Kontrolle, doch das stimmt nicht. Niemand kann sie kontrollieren. Verabschieden Sie sich also von der Vorstellung, dass Sie Ihre Fettzellen beherrschen. Sie wurden bereits vor langer, langer Zeit angelegt. Kontrolle über Ihr Fett ist eine Illusion, die von der Abnehm- und der Modeindustrie verbreitet wird, um Sie gefügig zu machen und Ihnen einen Haufen Geld abzunehmen. Viel eher hatte Ihre Mutter Ihre Fettzellen im Griff, bevor Sie geboren wurden, und sie wusste es noch nicht einmal. (Ein weiterer Grund, beim Therapeuten Ihrer Mutter die Schuld zu geben – als ob Sie noch einen bräuchten …) Im Laufe der letzten 25 Jahre ist das Geburtsgewicht weltweit um ganze 200 Gramm angestiegen, zeitgleich mit der Adipositaspandemie.2 Steigt damit das Risiko für Adipositas beim Neugeborenen? Es ist wahrscheinlich,

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dass das Körpergewicht der Mutter sich auf das Körperfett des ungeborenen Kindes auswirkt – je mehr die Mutter während der Schwangerschaft zunimmt, desto höher wird das Geburtsgewicht des Kindes sein;3 je mehr Fettzellen schon früh vorhanden sind, desto größer wird später das Gesundheitsrisiko sein.4 Die Mutter kann sich also als Segen oder als Fluch erweisen; was sie während der Schwangerschaft tut und isst, kann das Schicksal des Kindes beeinflussen – zum Besseren oder zum Schlechteren. Die Anzahl Ihrer Fettzellen wird noch vor Ihrer Geburt festgelegt und durch vier verschiedene körperliche Faktoren bestimmt, die Sie allesamt nicht verändern können. 1. Genetik. Wenn wir über Genetik sprechen, meinen wir eine Veränderung unserer DNA-Sequenz. Wissenschaftler sagen üblicherweise, dass Adipositas zu 50 Prozent genetisch bedingt ist (Anlage, Natur) und zu 50 Prozent durch die Umwelt (Ernährung, Erziehung). Wir kennen einige genetische Mutationen im Bereich des Energiegleichgewichts, die eindeutig Ihr Risiko vorherbestimmen – diese machen ungefähr 2 Prozent der Fälle krankhafter Fettleibigkeit aus. Doch auch wenn viele dies gern für sich in Anspruch nähmen, muss man sagen, dass nur wenige Menschen genetische Veränderungen für ihre Adipositas verantwortlich machen können. Forscher auf der ganzen Welt haben das menschliche Genom untersucht und in der Gesamtbevölkerung 32  Gene identifiziert, die mit Adipositas in Zusammenhang stehen.5 Zusammengenommen erklären diese Gene insgesamt 9 Prozent der Fettleibigkeitsfälle. Und selbst wenn ein Mensch unter all diesen Genmutationen gleichzeitig leiden würde, könnten damit lediglich etwa 10 Kilo des Körpergewichts erklärt werden – wohl kaum genug, um unsere aktuelle Adipositaspandemie zu begründen. Außerdem verändert sich der Genpool nicht so schnell, sodass das Genargument die Veränderungen der letzten 30 Jahre nicht wirklich erklären kann. All diese Untersuchungen zeigen, dass wir auf der Suche nach der Ursache für Adipositas über die Genetik hinausblicken müssen. 2. Epigenetik. Die Epigenetik unterscheidet sich von der Genetik. Sie untersucht, welche Faktoren außerhalb der Gene dazu führen können, dass bestimmte Gene (meist unpassenderweise) ein- oder ausgeschaltet werden und

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im Laufe der Zeit möglicherweise verschiedene Krankheiten auslösen. Epigenetische Prozesse können Sie sich wie den An-Aus-Schalter vorstellen, der mit dem Dimmer Ihrer Wohnzimmerbeleuchtung verbunden ist. Das Gen ist die Glühbirne, und der epigenetische Prozess ist der An-Aus-Schalter. Wenn die Glühbirne kaputt oder der Schalter in der Aus-Position verklemmt ist, kann die Dimmerfunktion nicht genutzt werden. Außerdem kontrollieren epigenetische Prozesse das Ausmaß, in dem die Gene angeschaltet werden. Die Epigenetik hat sich zu einem sehr wichtigen Forschungsbereich entwickelt. Aus folgenden vier Gründen ist das für Sie wichtig: 1.  Eine epigenetische Veränderung kann ebenso viel Chaos stiften wie eine genetische Veränderung, doch die DNA-Sequenz selbst bleibt unverändert. Das bedeutet, dass Sie trotz einer kompletten Genomanalyse epigenetisch verursachte Defekte haben können, ohne es zu wissen. 2. Zu epigenetischen Veränderungen kommt es in der Regel nach der Empfängnis, aber vor der Geburt. Also sind Sie nicht einfach nur das Produkt Ihrer Gene; Sie sind auch das Produkt epigenetischer Prozesse. 3. Änderungen im Ernährungsverhalten der Mutter oder hinsichtlich ihres körperlichen Stresses übertragen sich über die Plazenta auf den Fetus. Sie können zu einer Veränderung der Genexpression und -funktion führen, die das Kind für den Rest seines Lebens beeinflusst. 4. Das verhängnisvollste Faktum: Wenn sich Ihr epigenetisches Muster geändert hat, ist es so gut wie sicher, dass Sie diese epigenetische Änderung auch an Ihre Kinder weitergeben, und diese wiederum an ihre Nachkommen, und so weiter. Kürzlich hat eine Studie gezeigt, dass die epigenetischen Merkmale, die Babys bei ihrer Geburt in ihrer DNA aufweisen, den Grad ihrer Fettansammlung im Alter von neun Jahren vorhersagen.6 Das legt nahe, dass alles, was der Fetus durch die Plazenta mitbekommt, einen gewaltigen Einfluss auf das zukünftige Adipositasrisiko hat. 3. Fetale Programmierung. Ein relativ neues Feld der Medizin ist die Erforschung früher Einflüsse auf die Entwicklung von Gesundheit und Krankheit (Developmental Origins of Health and Disease, DOHAD), auch als »fetale Programmierung« bezeichnet. Wir gehen heute davon aus, dass eine ungünstige Umgebung in der Gebärmutter (Unterernährung, Über­ernährung oder Stress der Mutter) Signale an den Fetus überträgt, welche Informationen über zukünftige Bedrohungen übermitteln: »Das ist eine harte Welt

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da draußen, mein Kind; du solltest möglichst gut darauf vorbereitet sein.« Das führt dazu, dass das Kind zusätzliche Energie einlagert und nach der Geburt über mehr Fett verfügt, obwohl dazu keine Notwendigkeit besteht und letztlich später seine Gesundheit darunter leidet. Die intrauterine und die postnatale Umgebung eines solchen Babys werden falsch angepasst. Das Kind ist auf Überleben auf Kosten der Lebensdauer »programmiert«. David Barker nahm als Erster an, dass die biologischen Einflüsse vor der Geburt eine Adipositasentwicklung nach der Geburt beeinflussen könnten. Er beobachtete, dass die Ernährung der Mutter eine Auswirkung auf den Fetus hatte. SGA-Kinder, die bei der Geburt sehr klein waren (Small for Ges­ tational Age – klein bezogen auf das Reifealter), hatten ein erhöhtes Risiko, später eine Adipositas, Diabetes und Herzerkrankungen zu entwickeln.7 Diese Erkenntnis wurde von der Dutch Famine Study (niederländische Hungerstudie) untermauert.8 Am Ende des Zweiten Weltkriegs lagen die offiziellen Tagesrationen in den Niederlanden vier Monate lang zwischen 400 und 800 kcal pro Person. Wer als Fetus unterernährt war, entwickelte in mittleren Jahren Adipositas und das metabolische Syndrom (siehe Kapitel 9). Mehrere Studien über SGA-Neugeborene zeigen, dass diese kurz nach der Geburt beim Wachstum rasch aufholen und in der Kindheit Adipositas, eine dauerhafte Insulinresistenz und ein metabolisches Syndrom entwickeln. Ein Vergleich von Neugeborenen aus dem indischen Pune mit Neugeborenen aus London zeigte, dass die Kinder in Indien zwar mit 700 Gramm weniger auf die Welt kamen, aber einen beträchtlich erhöhten Insulinspiegel aufwiesen. Nach der Bereinigung der Daten zum Geburtsgewicht war bei den in Indien geborenen Babys im Vergleich zu den in London zur Welt gekommenen Kindern vermehrt Adipositas festzustellen, ein viermal höherer Insulinspiegel und ein doppelt so hoher Leptinlevel.9 Da diese Babys bereits bei der Geburt insulin- und leptinresistent waren, hatten sie eine Prädisposition für die Entwicklung von Adipositas und metabolischem Syndrom. Schlimmer noch: Auch Frühgeburten weisen eine Insulinresistenz auf.10 Es wird angenommen, dass manche Aspekte bei Frühgeborenen zu einer Veränderung in der fetalen Programmierung führen. Das wird häufig durch wohlmeinende Kinderärzte verschlimmert, die hochkalorische Babynahrung empfehlen, damit der Säugling rascher zunimmt. Das Kind hat

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dann ein enorm hohes Risiko, in der Kindheit oder im Erwachsenenalter ein metabolisches Syndrom zu entwickeln. Doch das Gegenteil ist ebenfalls wahr. Babys, die in Bezug auf das Reifealter groß geboren werden (Large for Gestational Age, LGA) entwickeln schließlich in ihrem späteren Leben auch Adipositas und das metabolische Syndrom.11 Sie sind ebenfalls hyperinsulinämisch und insulinresistent, doch aus einem anderen Grund. Die meisten LGA-Babys gehen auf Schwangerschaftsdiabetes zurück, eine Form der Diabetes, die bei ungefähr 5 Prozent der schwangeren Frauen auftritt. Der hohe Blutzuckerwert der Mutter führt zu einem hohen Blutzuckerspiegel beim Fetus und zu hohen Insulinniveaus, die das Wachstum der Fettzellen anregen. Diese LGA-Babys haben ein dreifach erhöhtes Risiko, später unter Adipositas oder Diabetes zu leiden. Die »vertikale« Diabetesübertragung von der Mutter auf das Kind wurde in Studien über die Pima dokumentiert, einen Indianerstamm in Arizona. Es handelt sich also quasi um ein »Geschenk«, von dem man lange etwas hat. Doch Schwangerschaftsdiabetes ist für die Entstehung von Adipositas nicht erforderlich. LGA-Babys ohne Schwangerschaftsdiabetes der Mutter haben ebenfalls ein doppelt so hohes Risiko, eine Insulinresistenz und ein metabolisches Syndrom zu entwickeln. Tierstudien zeigen, dass sowohl die Unterernährung als auch die Überernährung des Fetus die Epigenetik verändern kann, sodass die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass Betazellen – die Zellen in der Bauchspeicheldrüse, die Insulin produzieren – sich weiter teilen. LGA-Kinder verfügen damit über eine begrenzte Insulinreserve. Da sie im Laufe ihres Lebens zunehmen, wird schließlich ein Diabetes entstehen. Doch das kann verhindert werden: Fettleibige Frauen, die sich zwischen ihrer ersten und zweiten Schwangerschaft einem bariatrischen Eingriff unterzogen (Adipositaschirurgie), reduzierten die Gefahr von LGA beim zweiten Baby und damit dessen Risiko, später adipös zu werden. Wenn das Problem bei der Mutter behoben ist, profitiert auch das Kind davon. Warum geschieht das? Während sich das Gehirn des Fetus entwickelt, bringt das Hormon Leptin (das aus den Fettzellen des Ungeborenen stammt) in der Regel den Hypothalamus dazu, sich normal zu entwickeln und einen Schutz vor Adipositas aufzubauen. Doch sowohl ein Mangel an Leptin (wie beim unterernährten SGA-Baby) als auch an Insulin, das die Leptinwirkung verhindert (wie bei SGA-Babys, Frühgeborenen, LGA-­Babys und Schwan-

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gerschaftsdiabetes), kann die normale Entwicklung des Hypothalamus verhindern und dafür sorgen, dass das Gehirn des Babys nie das richtige Signal empfängt, sondern immer auf Hunger programmiert ist! Das Kind wird von Geburt an mehr essen und sich weniger bewegen, was es für Adipositas in späteren Jahren anfällig macht – insbesondere angesichts der überreichlichen Fülle an Nahrungsmitteln, in der wir heute ­leben.12 4. Umweltgifte. Zu guter Letzt können auch Umweltgifte für die zunehmende Entwicklung von Fettgewebe beim Fetus verantwortlich sein. Zahlreiche Präparate in unserer Umgebung, die Obesogene genannt werden, können drei molekulare »Schalter« betätigen, die sich auf die Entwicklung der Fettzellen auswirken. Ist ein Fetus früh diesen Stoffen ausgesetzt, kann das die »Fettzellenladung« erhöhen und eine zukünftige Adipositas begünstigen – selbst wenn die Einwirkung der Gifte nur von kurzer Dauer ist (siehe Kapitel 15). Diese vier Ansätze zeigen, dass der entscheidende Faktor für Ihr Krankheitsrisiko die Entwicklung Ihrer Fettzellen in der Zeit vor Ihrer Geburt ist. Sie konnten dabei also nicht mitreden. Grund für eine Erkrankung können Probleme der fetalen Leber (Insulinresistenz), des fetalen Gehirns (LeptinSignalübertragung) oder der Entwicklung der Fettzellen selbst sein, sodass deren Anzahl und ihre Speicherkapazität erhöht sind. Doch bedeutet das nun, dass daran nichts zu ändern ist? Benötigen alle Kinder wie Kay eine Operation, um Gewicht zu verlieren? Sind wir vollkommen außerstande, unser Schicksal zu kontrollieren? Sollten Sie aufhören, dieses Buch zu lesen, und stattdessen Pommes frites und Eis essen, da Sie ja ohnehin nichts ändern können? Nein, das stimmt nicht ganz.

Wie wird eine Fettzelle gefüllt? Die Anzahl unserer Fettzellen ist also vorherbestimmt. Doch was ist mit dem Füllen dieser Zellen? Diese Frage steht im Zentrum des Buches und ist der Punkt, der für Ihre langfristige Gesundheit eine entscheidende Rolle spielen kann. Wir könnten einfach unsere Scheuklappen aufsetzen und die alte

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Überzeugung übernehmen, dass Fettzellen größer werden, weil wir zu viel essen und uns zu wenig bewegen. Und natürlich tun wir das auch. Einem neuen Bericht zufolge ist die gestiegene Kalorienzufuhr für die gesamte Adipositasepidemie in den USA verantwortlich.13 Alternativ wird auch ein niedrigerer Energieverbrauch aufgrund von verlängerten Zeiten vor dem Fernseher sowie weniger Sportunterricht in den Schulen direkt mit Fettleibigkeit und der Verbreitung des metabolischen Syndroms bei Heranwachsenden in Verbindung gebracht. Abgesehen von den offensichtlichen Veränderungen im Bereich der Kalorienaufnahme und der Bewegung gibt es noch zahlreiche andere Vorgänge, die als Beispiele für die Veränderungen in unserer Umgebung aufgeführt werden – wie Schlafmangel, die veränderte Umgebungstemperatur und die Konfrontation mit Adipositas auslösenden Viren. Selbst soziale Netzwerke wurden als Ursache für Fettleibigkeit bereits genannt.14 Wenn das zuträfe, wäre die Sache einfach. All das sind Beispiele für Wechselwirkungen, nicht für Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Die Beschäftigung mit Adipositas und chronischen Stoffwechselerkrankungen beginnt und endet mit dem Hormon Insulin, dem Energiespeicherhormon (siehe Kapitel 4). Ohne Insulin gibt es keine Fettansammlung. Insulin verwandelt Zucker in Fett. Es lässt Ihre Fettzellen wachsen. Je mehr Insulin, desto mehr Fett. Punkt. Es gibt zwar viele Gründe für Adipositas, aber ein Übermaß an Insulin (als Hyperinsulinismus bekannt) ist in gewisser Weise die »gemeinsame Endstrecke« für fast alle von ihnen. Wenn sie blockiert ist, bleiben die Fettzellen leer. Wir produzieren alle mehr Insulin, als wir sollten. Heutzutage schütten die Jugendlichen doppelt so viel Insulin aus wie Heranwachsende im Jahr 1975.15 Ein hoher Insulinspiegel ist möglicherweise für 75 bis 80 Prozent aller Adipositasfälle verantwortlich. Es gibt drei verschiedene Gründe für den Anstieg Ihres Insulinspiegels: ƒƒ Wenn Ihre Bauchspeicheldrüse nach einer Mahlzeit, insbesondere mit einem hohen Gehalt an raffinierten Kohlenhydraten (siehe Kapitel  10), zusätzliches Insulin produziert (Insulin-Hypersekretion), führt das dazu, dass Ihre Fettzellen Energie einlagern.16 Das geschieht, wenn Ihr Gehirn über den Vagusnerv (den »Energiespeichernerv«) ein Signal an die Bauchspeicheldrüse schickt.

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ƒƒ Wenn Sie aufgrund der Lebensmittel, die Sie essen, (siehe die Kapitel 9 und 11) in Ihrer Leber Fett aufbauen, macht dieses Fett die Leber krank (Insulinresistenz). Die Bauchspeicheldrüse hat keine Wahl: Sie muss mehr Insulin produzieren, um die Leber zu zwingen, ihre Arbeit zu verrichten. Dadurch steigt der Insulinspiegel im ganzen Körper, sodass überall Energie in Fettzellen eingelagert wird. Das führt dazu, dass auch andere Organe krank werden. ƒƒ Wenn der Spiegel Ihres Stresshormons Cortisol (das aus Ihrer Nebenniere stammt) steigt, passieren zwei Dinge: Es wirkt sich auf die Leber und die Muskeln aus, sodass sie insulinresistent werden; deswegen steigt der Insulinspiegel, und Energie wird als Fett gespeichert. Das Cortisol kann sich auch auf das Gehirn auswirken, was dazu führt, dass Sie mehr essen (siehe Kapitel 6). Natürlich schließen sich diese drei Insulinprobleme gegenseitig nicht aus. Ein Mensch kann mehr als ein Problem gleichzeitig haben, was die Diagnose und Behandlung zusätzlich erschwert. Es gibt noch einen weiteren Weg, der in unserer Gesellschaft zu einem Anstieg des Insulinspiegels und des Körpergewichts führt. Drei Arten von Medikamenten (Steroide zur Kontrolle von Entzündungen, Neuroleptika zur Stabilisierung der Stimmung und orale Antidiabetika zur Behandlung von Diabetes) sind dafür bekannt, den Insulinspiegel zu erhöhen und eine Gewichtszunahme zu verursachen. Fazit ist, dass ein Glukosemolekül in der Blutbahn eins von drei Schicksalen hat: Es kann verbrannt werden (durch Bewegung), es kann als Fett eingelagert werden (durch Insulin) oder es kann über den Urin ausgeschieden werden (was schlussendlich Ihre Nieren zerstört). Es ist also wesentlich besser, diese Medikamente gar nicht zu benötigen – doch in der Regel sind sie das kleinere von zwei Übeln.

Können Sie Ihre Fettzellen zum Schrumpfen bringen? Wie Sie sich vorstellen können, sind diese biochemischen Vorgänge verflucht mächtig. Fettzellen wollen sich etwa ebenso gern verkleinern wie ein Automobilkonzern oder Versicherungsunternehmen. Und dabei spielt es keine

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Rolle, ob Sie jung oder alt sind: Ihr Fett ist dauerhaft. Sobald der Luftballon gefüllt ist, will er nichts mehr herauslassen. Das Insulin ist der Grund, warum das Abnehmen so schwierig ist. Fast jeder Aspekt unserer modernen Gesellschaft lässt unseren Insulinspiegel immer weiter ansteigen. Aus evolutionärer Sicht mussten unsere Vorfahren angesichts ihres Hungers hart arbeiten, um Fett anzusammeln. Ihre Kinder mussten bereits in der Gebärmutter auf dieses Schicksal vorbereitet werden, um eine Chance auf Überleben zu haben. Sobald das Fett eingelagert ist, wollen wir es nicht mehr hergeben, zumindest nicht kampflos. Denn wenn Fettzellen kleiner werden, stellen Sie die Leptinproduktion ein. Und wo kein Leptin ist, gibt es keine Pubertät, keine Schwangerschaft, keine Menschheit. Was das Ganze nur noch schlimmer macht: Unsere aktuell verfügbaren Medikamente zeigen bei der Förderung des Fettabbaus nur eine minimale Wirkung (siehe Kapitel 19). Wie bringen wir also eine Fettzelle zum Schrumpfen? Welche Optionen bleiben uns? Ein vielversprechendes Forschungsinstrument besteht darin, die Fettzellen von der Blutzufuhr abzuschneiden. Wissenschaftler untersuchen aktiv die Möglichkeit, Wirkstoffe zur Antiangiogenese (­Hemmung der Gefäßneubildung) einzusetzen. So soll die Blutversorgung des Fettgewebes unterbrochen werden. Tierexperimente mit diesen Wirkstoffen haben gezeigt, dass das Fettgewebe abschmilzt. Doch es wird noch Jahre dauern, bis die Methode am Menschen ausprobiert werden kann. Andere Präparate befinden sich in der Entwicklung, doch auch bei diesen wird noch viel Zeit vergehen, bevor sie einsatzbereit sind. Tatsächlich haben sich zahlreiche Arzneimittelhersteller aus der Adipositasforschung zurückgezogen, obwohl diese im Erfolgsfall äußerst lukrativ ist (siehe Kapitel 19). Folglich gibt es zumindest heute nur eine einzige Hoffnung: der Biochemie entgegenwirken. Die Einlagerung von Energie stoppen. Etwas gegen die Leptinresistenz tun. Den Insulinspiegel senken – das ist auf jeden Fall gut. Doch bei dieser Strategie gibt es zwei Probleme: Erstens haben nicht alle Leute dasselbe Insulinproblem. Allgemeine Richtlinien können also auch nicht jedem helfen. Wir brauchen eine »individuelle Adipositasmedizin«. Zweitens wirken sich Veränderungen in der Umgebung auf unsere Biochemie aus. Wenn Sie auf die Biochemie einwirken wollen, müssen Sie also die Umgebung verändern. Und das ist leichter gesagt als getan. Die Teile 4 und 5 dieses Buches bieten hier eine Orientierungshilfe.

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21. Juli 2009, abcnews.com: »Kritik an der übergewichtigen Sanitätsinspekteurin der USA, Regina Benjamin« – von Susan Donaldson James

»Dr.  Regina M. Benjamin, die Obama zur neuen Sanitätsinspekteurin bestimmt hat, wurde mit dem MacArthur-Preis ausgezeichnet, da sie sich in einer Klinik, die sie im vom Hurrikan ­Katrina verwüsteten Alabama aufgebaut hat, für die Armen eingesetzt hat. Doch die für dieses Amt nominierte vollschlanke Afro­amerikanerin steht auch unter Beschuss, da sie übergewichtig ist – und das in einem Land, in dem 34 Prozent der Bevölkerung ab 20  Jahren adipös sind. Selbst einige der namhaftesten Personen aus dem Bereich der Medizin pflichteten bei. ›Meiner Meinung nach ist das ein Problem …‹, sagte Dr. Marcia Angell, die ehemalige Herausgeberin des New England Journal of Me­dicine. ›Das könnte ihre Glaubwürdigkeit untergraben … In einer Zeit, in der sich ein Großteil des öffentlichen Gesundheitswesens um die nationale Adipositasepidemie dreht, eine eindeutig übergewichtige Leiterin des öffentlichen Gesundheitsdienstes zu haben, lässt bei den Menschen Fragen aufkommen.‹«

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Selbst Dr. Angell, eine durchaus intelligente Frau, hat da etwas nicht verstanden. Glauben Sie, Dr. Benjamin hat sich dafür entschieden, fettleibig zu sein? Glauben Sie angesichts ihrer Talente, ihres Charakters und ihrer Erfolgsgeschichte, sie ist ein Vielfraß und ein Faultier? Hat sie Übergewicht? Natürlich. Ist sie krank? Darauf würde ich nicht wetten. Die meisten Menschen in unserer modernen Welt wollen nicht, dass man sie als adipös betrachtet. Hier eine politisch unkorrekte Eröffnung dazu: Meine Kinderarztkollegen und ich sehen Latino-Mütter, die mit ihren wahnsinnig dicken Kindern zu uns kommen; und diese Mütter machen sich Sorgen – aber in die andere Richtung. Sie klagen: »No come.« (Das heißt auf Spanisch: »Er isst nicht.«) Bei Adipositas gibt es je nach Ethnie andere Denkmuster. Zum Teil liegt das an gesellschaftlichen Normen und daran, was in ihrer Kultur erwartet wird. So haben sich beispielsweise in einigen sehr armen Ländern kulturelle Normen entwickelt, die Fettleibigkeit mit Wohlstand und Begehrtheit gleichsetzen. Fettreiche Lebensmittel wie Fleisch und Milchprodukte waren in diesen Ländern rar und nur für die Reichen zu haben. Wenn Einwanderer aus Entwicklungsländern in die USA kommen, werden sie plötzlich von kalorienreicher Nahrung geradezu überschwemmt und genießen diese im Übermaß, sodass ihr Insulinspiegel steigt. Manchmal bleiben diese kulturbedingten Ansichten über Generationen hinweg erhalten. Die Immigranten sehen ihre fettleibigen Kinder als Verkörperung der Gesundheit und als Bestätigung für ihre Fähigkeit, sie zu versorgen. In ihren Heimatländern waren dünne Kinder kränklich und der Gefahr eines frühen Todes ausgesetzt. Leider ist ihnen noch nicht klar, dass in den Vereinigten Staaten das Gegenteil der Fall ist. Und noch mehr politische Unkorrektheit: Einige jugendliche Afroamerikanerinnen bringen 130 Kilo und mehr auf die Waage – aber wenn man sie fragt, ob sie sich für fettleibig halten, werden viele mit »Nein« antworten und sagen, sie seien nur »dick«. (Dieses Wort beschreibt ein Mädchen, das weder fett noch mager ist, sondern wohlproportioniert und Fleisch auf den Knochen und an allen richtigen Stellen hat). Viele DJs spielen noch das Lied »Baby Got Back« von Sir Mix-A-Lot: »I like big butts and I cannot lie …«, was so viel heißt wie: »Ich mag große Hintern, das kann ich nicht abstreiten …« (Wer kleine Kinder hat und sich bei moderner ­Musik nicht so auskennt, wird diesen Song vielleicht aus dem Film Shrek kennen, wo

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ihn der Esel singt.) Es ist schon seit Langem bekannt, dass Frauen, wenn sie nach ihrem Gewicht gefragt werden, konsequent einen zu niedrigen Wert schätzen. (Keine Sorge, die Damen, Sie sind im Bereich der Übertreibung nicht allein: Männer überschätzen in der Regel ihre Größe, und andere Längen auch.) Eindeutig liegt Fettleibigkeit ebenso wie Schönheit im Auge des Betrachters. Auch in dieser Hinsicht scheint es eine genetische Komponente zu geben. Mehrere Studien haben sich damit beschäftigt, wie viel Fett da sein muss, bevor Anzeichen von Krankheit entstehen. Die Ergebnisse sind beeindruckend, ja sogar verblüffend. Bei Weißen beginnt der Stoffwechsel bei einem BMI von etwa 30 Verschleißerscheinungen zu zeigen, weshalb Epidemiologen diesen Wert als Beginn der Adipositas gewählt haben. Doch Afroamerikaner weisen erst ab einem BMI von ungefähr 35 metabolische Dekompensationsanzeichen auf, während bei Asiaten dies bereits bei einem BMI von etwa  25 der Fall ist.1 Eine afroamerikanische Frau kann durchschnittlich 12 Kilogramm mehr wiegen als eine Asiatin (davon ist die Hälfte Fett, die andere Hälfte Muskelmasse), bevor sie negative Folgen aufgrund dieses zusätzlichen Gewichts befürchten muss. Viele meiner Patienten sagen mir: »Solange ich mich gut fühle, ist mein Gewicht kein Problem.« Es kann gut sein, dass sie Recht haben. Doch wie lange? Damit kommen wir im Hinblick auf das Körpergewicht zu einem interessanten Prinzip. Wann immer wir uns auf eine Waage stellen, messen wir die Summe aus vier verschiedenen Komponenten, von denen nur eine einzige schlecht für uns ist. 1. Knochen. Je mehr Knochenmasse Sie haben, desto länger leben Sie. Wenn kleine, alte Damen sich den Oberschenkelhals brechen, ist das der Anfang vom Ende. Afroamerikaner profitieren von einer größeren Knochendichte als andere Ethnien. 2. Muskeln. Mehr Muskeln sind besser für Ihre Gesundheit. Muskeln nehmen Glukose auf. Mehr Sport bedeutet mehr Muskeln, und mehr Muskeln bedeuten eine bessere Insulinsensitivität. In seinen Gewichtheberzeiten hatte Arnold Schwarzenegger (ob er nun anabole Steroide nahm oder nicht) einen BMI von 32 – aber nicht etwa, weil er fettleibig

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war, sondern weil er fast nur aus Muskeln bestand und sehr wenig Fett hatte. Wenn Sie Knochen und Muskeln aufbauen, verbrennen Sie eher Energie, als sie einzulagern. Das führt zu einer Verbesserung Ihrer Gesundheit, unabhängig vom Gewicht. 3. Unterhautfett (der »dicke Po«). Unterhautfett macht über 80 Prozent Ihres gesamten Körperfetts aus. Dem Unterhautfett verdankte Marilyn Monroe ihre Sanduhrfigur. Ob Sie es glauben oder nicht: Mehr Unterhautfett ist besser für Ihre Gesundheit. Verschiedene Studien zeigen, dass die Größe des Unterhautfettdepots mit Langlebigkeit zusammenhängt. Kleine, alte Damen, die nur wenig Unterhautfett haben, werden kränker und sterben früher – nicht nur aufgrund von Oberschenkelhalsbrüchen. 4. Bauchfett. Die einzige Komponente, die durchgehend schlecht für uns ist, ist unser Bauchfett, auch Eingeweidefett oder Viszeralfett genannt. Darunter versteht man Fett in Bereichen, wo es nicht hingehört, also am Bauch oder im Inneren Ihrer Organe (z. B. Leber und Muskeln). Es macht ungefähr 20 Prozent unseres gesamten Körperfetts aus beziehungsweise 4 bis 6 Prozent des Gesamtkörpergewichts. Das Bauchfett ist die Komponente, durch die Ihre Gesundheit ins Wanken kommt.

Die Waage lügt noch mehr als Sie Nicht alle Pfunde entstehen auf dieselbe Weise. Die Waage lügt – da hatten Sie schon immer Recht! –, zumindest in Bezug auf Ihre Gesundheit und Ihre Lebenserwartung. In der Tat haben die meisten US-Amerikaner heute einen BMI, der über 25 liegt, sind folglich übergewichtig. Studien zeigen allerdings, dass Menschen mit einem BMI von 25 bis 30 durchschnittlich die längste Lebenserwartung haben.2 Ist es also gut, übergewichtig zu sein? Ja, all ihr Möchtegernmodels – sofern die Kilos an den richtigen Stellen sind. Haben Sie sich jemals gewünscht, dass all Ihr Körperfett irgendwie auf wunderbare Weise verschwindet? Dass ein talentierter Schönheitschirurg jeden Kubikzentimeter des unerwünschten Fettgewebes schmerzfrei ent-

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fernt? Kostenfrei und ohne bleibende Narben oder Cellulite? Na los, geben Sie es zu. Das ist ein immer wiederkehrender Traum, den fast jeder auf diesem Planeten hat. Selbst Männer. Denken Sie noch einmal nach. Wie wäre Ihr Leben ganz ohne Fett? Ziemlich elend und obendrein kurz. Einige unglückliche Seelen haben das in der Tat schon selbst erlebt. Man bezeichnet das als Lipatrophie – eine der schlimmsten Krankheiten, die wir Menschen kennen.3 Sie kann genetisch bedingt oder als Folge einer Aidstherapie erworben sein. Wer daran erkrankt, sieht gruselig und ausgemergelt aus, als ob er bald sterben würde, was ja auch tatsächlich der Fall ist. Wenn Ihr Körper Energie speichern will, weiß er nicht, wohin damit. Also wird sie an den einzigen Orten abgelagert, wo sie hinkann: in Leber, Muskeln und Blutgefäßen. Die Organe der Lipatrophiekranken werden mit Fett angefüllt, und sie entwickeln Diabetes, Bluthochdruck und Herzkrankheiten. Fazit: Sie brauchen Ihr Fett. Zumindest brauchen Sie Ihr Unterhautfett, das eine zusätzliche Energiereserve darstellt, um Sie am Leben und gesund zu erhalten. Mit wenigen Ausnahmen trägt Ihr Unterhautfett kaum zur Entwicklung chronischer Krankheiten bei. 20 Prozent der krankhaft adipösen Erwachsenen haben einen völlig normalen Stoffwechselstatus, keine Anzeichen von Krankheit und eine normale Lebenserwartung. Tatsächlich gilt: Je kleiner Ihr Unterhautfettdepot ist, desto schneller werden Sie ­sterben. Es geht also im Wesentlichen um Ihren Bauch. Die ganze Adipositas-, Gesundheits- und Langlebigkeitsfrage konzentriert sich auf Ihr Bauchfett – zumindest aus statistischer Sicht. All dieser Rummel wegen einer Körperkomponente, die lediglich 4 bis 6 Prozent Ihres Normalgewichts ausmacht. Doch sie entscheidet über den Unterschied von ungefähr 15  Jahren Lebenserwartung.4 Hier spielt Größe tatsächlich eine Rolle, nämlich dahingehend, ob Sie mit 50 bis 60 Jahren an einem Herzinfarkt oder Krebs sterben oder über 80 Jahre alt werden können. Bauchfettdepots sind aus Stoffwechselsicht aktiver als Unterhautfettgewebe, und sie begünstigen Entzündungen. Bauchfett verursacht Insulinresistenz, die wiederum Diabetes, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz und Alterserscheinungen auslösen kann. Die Bevölkerung macht sich zwar mehr Sorgen über das Unterhautfett (weil es unansehnlich ist), doch dieses zu verlieren, ist deutlich weniger

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wichtig. In der Tat kann man es selten abbauen, wenn man die Kalorienzufuhr nicht deutlich einschränkt – und dann ist der Erfolg selten nachhaltig. Die Ärzte machen sich jedoch Sorgen um das Bauch- oder Eingeweidefett: Das ist es, was Sie umbringt. Wenn Sie mithilfe irgendeiner Diät abnehmen, verlieren Sie als Erstes Bauchfett. Da es für rasch benötigte Energie zur Verfügung steht (siehe Kapitel 6), verschwindet es zuerst. Und das ist gut so. Im Gegensatz dazu verteidigt Ihr Körper sein Unterhautfettgewebe, weil es Leptin produziert – Ihr Körper (Ihr Gehirn) weiß, dass es gut für Sie ist. Es steckt aber noch mehr dahinter. Ihr Bauchfett ist wirklich nur ein Stellvertreter für Ihr »fehlplatziertes« Fett, also das Fett in Ihrer Leber und in den Muskeln. Das ist der echte Killer. Doch ohne hochspezialisierte Bildgebungsverfahren wie Kernspintomografie oder Ultraschallaufnahmen der Leber lässt sich dieses Fett nicht messen. Eine chronische Stoffwechselkrankheit beginnt, wenn sich Fett in Organen wie den Muskeln und insbesondere in der Leber ablagert. Diese Tatsache wird von einer neuen Studie untermauert, die mithilfe von Röntgenaufnahmen den BMI mit dem prozentualen Körperfettanteil verglich. Dabei ergab sich, dass ganze 50 Prozent der Frauen sowie 20 Prozent der Männer, die auf der Grundlage ihres BMI als normalgewichtig eingestuft wurden, wegen ihres (schlechten) Bauchfetts in Wirklichkeit adipös waren.5 Der Autor der Studie, Dr. Eric Braverman, bezeichnete den BMI als den »Baloney Mass Index« (Blödsinn-Masse-Index), weil er jene in falscher Sicherheit wiege, die sich an ihm orientieren. Der Londoner Dr. Jimmy Bell erkannte mithilfe von Kernspinaufnahmen in der Tat, dass das Körpergewicht keine Rolle spielt – es ist das Bauchfett, das Krankheiten auslöst. Er prägte daraufhin den Begriff TOFI (»thin on the outside, fat on the inside« – außen dünn, innen fett).6 Fazit: Es ist Ihr Bauchfett und insbesondere Ihr Leberfett, das zählt.

Wie messen Sie Ihr Bauchfett? Sich auf eine Waage zu stellen, ist toll, wenn man seine Gewichtsklasse beim Wrestling ermitteln will, doch es ist für jeden anderen Zweck bedauerlicherweise die falsche Methode. Insbesondere ist es nutzlos, wenn

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Sie feststellen möchten, wie gesund Sie sind oder ob bei Ihnen das Risiko einer Stoffwechselkrankheit beziehungsweise eines frühen Todes besteht. Der BMI ist problematisch, weil er als Maßeinheit nicht zwischen den vier Körperkomponenten (Knochen, Muskeln, Unterhautfett und Bauchfett) unterscheiden kann. Die Ärzte arbeiten trotzdem mit dem BMI, da er auf Ebene der Gesamtbevölkerung funktioniert, wenn auch nicht für ihre einzelnen Patienten. Mit Ausnahme der Afroamerikaner (wie Dr. Benjamin), die einen BMI-Bonus von fünf Punkten bekommen, und jenen 20 Prozent adipöser Menschen, deren Stoffwechsel normal funktioniert, ist der Grund dafür: Wenn Sie einen BMI von über 30 haben, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Ihr Bauchfettdepot beträchtlich ist und Sie unter einem gewissen Grad an Stoffwechselstörungen leiden. Dennoch brauchen wir eine bessere Messmethode als den BMI, um herauszufinden, wo sich in Ihrem Körper Fett abgelagert hat, um wie viel es sich handelt und was das bedeutet. Die einfachste und preiswerteste Alternative, um Ihren Gesundheitszustand zu ermitteln, ist Ihr Taillenumfang, der sicherere Rückschlüsse auf Krankheits- und Todesrisiko zulässt als irgendein anderer Gesundheitsparameter.7 Unter Umständen ist das die wichtigste Information in Ihrem gesamten Gesundheitsprofil, denn der Taillenumfang sagt etwas über Ihr Bauchfett aus. Ein großer Taillenumfang führt zur »Apfelform«, der Ärzte dazu bringt, Sie vor einem erhöhten Risiko für Diabetes, Herzerkrankungen, Infarkte und Krebs zu warnen. Doch Ärzte messen diesen Wert nicht gern in ihrer Praxis, da sie dafür ein Maßband aus Metall benötigen, die Messung fehleranfällig ist, jeder die Messung anders durchführt (die beiden zugelassenen Methoden gehen von vollkommen unterschiedlichen Orientierungspunkten am Körper aus), es Zeit und Mühe kostet und bedeutet, dass man »direkt und persönlich« mit dem Patienten in Kontakt kommt. Außerdem wissen die Ärzte häufig nicht, wie sie die Ergebnisse interpretieren sollen, und sagen dann lediglich: »Sie sollten wirklich weniger essen und mehr Sport treiben.« Ein vernünftiger Ersatzwert ist die Gürtellänge. Beträgt diese bei Männern mehr als 102 Zentimeter und bei Frauen mehr als 90 Zentimeter, ist dies mit großer Wahrscheinlichkeit ein Hinweis auf Bauchfett, das mit Insulinresistenz und einem Risiko für Stoffwechselkrankheiten bei Erwachsenen8 und Kindern in Zusammenhang steht.9 Doch Sie können sich vor-

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stellen, dass diese Messung nicht aussagekräftig ist, wenn Menschen ihre Hosen deutlich unterhalb ihres Bierbauches tragen. Wenn Ihnen jemand dabei helfen kann, können Sie einmal probieren, Ihren Hüftumfang zu messen. Ein Taille-Hüft-Verhältnis von 0,85 bei Frauen beziehungsweise 1,0 bei Männern ist ein weiteres Warnsignal für Insulinresistenz, während ein Taille-Hüft-Verhältnis von 0,8 oder weniger darauf hindeutet, dass der Stoffwechsel normal arbeitet. Der Taillenumfang ist bei Kindern schwieriger zu bestimmen, da er von Geschlecht, Alter und Ethnie abhängt. Es wurden zwar Standards veröffentlicht, aber keine der Adipositasrichtlinien bei Kindern, die von den verschiedenen medizinischen Verbänden herausgegeben worden sind, spricht sich dafür aus, den Taillenumfang als Hinweis auf Stoffwechselkrankheiten zu nutzen. Eine weitere einfache Methode zur Ermittlung Ihres Stoffwechselstatus besteht darin, sich die Rückseite Ihres Nackens, der Achseln und der Knöchel anzusehen. Dabei halten sie Ausschau nach Acanthosis nigricans, also nach dunklen, verdickten Hautveränderungen. Viele Menschen halten diese für Schmutz oder, wenn die Veränderungen im Nacken auftreten, für einen »Dreckrand rund um den Kragen«, doch tatsächlich handelt es sich um überschüssiges Insulin, das sich hier auswirkt (am epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor, um genau zu sein). Möglicherweise erkennen Sie in diesen Bereichen auch kleine Hautwucherungen. Diese beiden Symptome sind sichtbare Anzeichen einer Insulinresistenz und sagen ein zukünftiges Risiko für chronische Stoffwechselkrankheiten voraus. Jede andere Methode, um etwas über Ihr diesbezügliches Risiko zu erfahren, ist teuer und erfordert eine Blutabnahme, spezielle Ausrüstung und eine professionelle Datenanalyse.

Gewichtsverlust ist der falsche Ansatz und das falsche Ergebnis Jeder Arzt wird Ihnen sagen, dass es Ihrer Gesundheit dient, wenn Sie abnehmen – ich auch. Das ist einfach eine Tatsache, von zwei kleinen Problemen abgesehen: Erstens ist ein Gewichtsverlust nahezu unmöglich. Das beweist all das Geld, das für Abnehmhilfen ausgegeben wird. Und zweitens ist

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das nur die halbe Wahrheit. (Sehen Sie, selbst ich lüge!) Was verlieren Sie, wenn Sie zum Abnehmen eine Diät beginnen? Sie verlieren etwas Fett, doch tatsächlich büßen Sie noch mehr Muskelmasse ein, sofern Sie während der Diät keinen Sport treiben, um den Muskelabbau zu verhindern. Denken Sie daran: Muskeln sind gut für Sie. Selbst wenn Sie leicht Unterhautfett verlieren, wird das Ihrer Gesundheit nicht helfen. Eine Gruppe adipöser Frauen wurde vor und nach dem Fettabsaugen untersucht, bei dem lediglich Unterhautfettgewebe entfernt wird. Trotz eines durchschnittlichen Gewichtsverlusts von 9 Kilogramm verbesserte sich ihr Stoffwechselstatus nicht.10 Davon abgesehen, dass Abnehmen nicht einfach ist, ist es im Hinblick auf die Effektivität folglich eine reine Glückssache. Und das ist das Dilemma beim Abnehmen: Dank der Dual-RöntgenAbsorptiometrie (auch DEXA oder Doppelröntgenabsorptiometrie) wissen wir, dass Sie beim Verlust von Unterhautfett durch eine Diät ebenso viel Muskelmasse einbüßen. Der prozentuale Fettgehalt bleibt also unverändert. So positiv das Abnehmen auch ist – in dieser Hinsicht nützt es also nichts. Was sollte Ihr Arzt Ihnen also sagen? Wenn Sie adipös sind und Ihre Gesundheit verbessern möchten, wollen Sie zweifellos etwas Fett verlieren. Doch das Fett, das Sie loswerden wollen, ist das Bauchfett (in Ihren Organen, wie beispielsweise in der Leber). Wenn Sie außerdem Unterhautfettgewebe verlieren, ist das gut. Ihr Arzt wird Ihnen sagen, dass es schon gut wäre, wenn Sie lediglich 5 Prozent Ihres Körpergewichts abbauen könnten – und das stimmt. Denn diese 5 Prozent stammen wahrscheinlich aus Ihren stoffwechselaktiven Bauchfettdepots. Wenn Sie fettleibig sind, empfehlen die nationalen Gesundheitsdienste, 7 bis 9 Prozent Ihres Körpergewichts zu reduzieren, um das Risiko zu senken, eine lebensbedrohliche Krankheit zu bekommen.11 Dem stimme ich zu; doch es sollte sich um Bauchfett handeln – das ist der Schlüssel zur Verbesserung Ihrer individuellen Gesundheit. Achten Sie auf Ihren Taillenumfang. Wenn Ihre Hosen besser passen, sind Sie gesünder. Doch wenn Sie glauben, Sie könnten den dicken Po nur mit irgendeiner vernünftigen Diät verlieren, sollten Sie noch einmal nachdenken. Möglicherweise gelingt es Ihnen tatsächlich – kurzfristig. Doch da Sie Unterhautfett loswerden, wird Ihr Gehirn Hunger wahrnehmen und die Aktivität Ihres sympathischen Nervensystems reduzieren (siehe Kapi-

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tel 4), den Energieverbrauch drosseln, für ein elendes Gefühl sorgen und Ihren Vagusnerv aktivieren. Und dieser verdammte Vagus wird Ihren Appetit ebenso anregen wie die Insulinproduktion und die Energieeinlagerung, denn er will ersetzen, was Sie abgenommen ­haben. Das Bauchfett werden Sie dabei als Erstes zurückgewinnen. Dumm ­gelaufen. Wie kann man es also überhaupt schaffen? Was ist vernünftig? Was ist wirkungsvoll? Welche Strategie wird Ihre Gesundheit verbessern? Wenn ich nicht der Meinung wäre, dass das möglich ist, hätte ich dieses Buch nicht geschrieben. Die kurze Antwort lautet: Es hängt in erster Linie davon ab, wie Sie fettleibig geworden sind. Denn Adipositas ist nicht eine einzige Krankheit, sondern viele. Es gibt folglich auch keine einheitliche Lösung für alle. Wie alles in der Medizin erfordern unterschiedliche Probleme verschiedene Herangehensweisen. Wie Sie in Kapitel 4 bis 6 gesehen haben, gibt es drei Gründe zu essen – zwei insulinabhängige Probleme und ein Cortisolproblem –, und sie alle haben unterschiedliche Lösungen. Diese Lösungen werden in den Kapiteln 17 bis 19 detailliert erläutert. Die kurze Antwort: Um Ihr Bauchfett zu reduzieren, müssen Sie nicht unbedingt Gewicht verlieren. Sie müssen etwas anderes tun.

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Diana ist ein achtjähriges Latino-Mädchen und wiegt 90  Kilogramm. Obwohl sie noch nicht einmal in der Pubertät ist, wurde bereits ein Typ-2-Diabetes festgestellt. In den vergangenen beiden Jahren hat sie mit ihrer Mutter in einer Obdachlosenunterkunft gelebt. Diana verlangt ständig nach Nahrung, obwohl sie große Portionen erhält. Um das Gefühl zu haben, ihre Tochter versorgen zu können, gibt die Mutter ihrer Tochter bei jeder Mahlzeit, die in der Unterkunft serviert wird, auch ihre eigene Portion. Aber es kommt noch schlimmer: Diana erhält in der Schule im Rahmen des Schulernährungsprogramms des USamerikanischen Landwirtschaftsministeriums ein drittes Frühstück. Während Dianas Mutter meint, das Beste für ihr Kind zu tun, sorgt sie unabsichtlich dafür, dass Diana immer kränker wird, und trägt wahrscheinlich zu ihrem frühen Tod bei.

Die Zahlen lügen nicht: Je fetter Sie sind, desto schneller sterben Sie. Zumindest im Durchschnitt. Eine versicherungsmathematische Analyse zeigte im Jahr 2003, dass Personen mit einem BMI von  45 insgesamt 20  Lebensjahre verlieren.1 In aller Regel sterben Fette früh. Ford stellt inzwischen Autos her, die speziell für die Adipösen in den USA angepasst sind, und selbst die Särge fallen heute größer aus. Diese statistischen Erkenntnisse treffen auf den Großteil der Bevölkerung zu. Doch in jedem Einzelfall ist

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alles möglich. 20 Prozent der fettleibigen Bevölkerung haben ein normales Stoffwechselprofil, während bis zu 40 Prozent der normalgewichtigen Menschen Stoffwechselauffälligkeiten zeigen. Es ist wichtig zu wissen, wo Sie stehen, wenn Sie etwas tun wollen, um Ihr Leben zu verlängern.

Das metabolische Syndrom Sie sterben nicht an Adipositas – Sie sterben an den Krankheiten, die damit einhergehen. Es sind diese Stoffwechselstörungen, die Adipositas zu einer Plage werden lassen. Diabetes, Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Krebs und Demenz – die Dinge, die uns umbringen, werden unter der Bezeichnung »metabolisches Syndrom« zusammengefasst. Das US-amerikanische Gremium »National Cholesterol Education Pro­ gram’s Adult Treatment Panel« (NCEP-ATP, Erwachsenen-Behandlungskommission im Rahmen des nationalen Cholesterin-Erziehungsprogramms) hat das metabolische Syndrom mit fünf chronischen Faktoren beschrieben – Adipositas mit abdomineller Fettverteilung, Typ-2-Diabetes (oder ein Nüchternblutzucker von 5,6 mmol/l), Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen wie erhöhte Triglyzeride und niedriger HDL-Wert –, die alle das Risiko eines frühen Todes steigern. Das NCEP erklärt, dass das metabolische Syndrom vorliegt, wenn drei dieser fünf Faktoren zusammentreffen. Andere professionelle Organisationen nutzen für ihre Definition leicht abweichende Kriterien.2 Der Grund für diese alternativen diagnostischen Maßstäbe besteht darin, dass wir im Grunde die wahre Ursache für das Syndrom nicht kennen. All diese Versuche wollen Richtlinien etablieren und sind dennoch fehlerbehaftet. Kriterien für das metabolische Syndrom bei Kindern aufzustellen, ist sogar noch schwieriger.3 Doch es ist entscheidend, denn das Problem nimmt rasant zu und führt zu einem Verlust von 15 bis 20  Lebensjahren. Möglicherweise wird das metabolische Syndrom schon bald das Rauchen als Hauptursache für Herz-Kreislauf-Krankheiten weltweit ablösen. Dass mit dem Herzen und dem Stoffwechsel zusammenhängende Risikofaktoren bei bestimmten Menschen gehäuft auftreten, ist seit mehreren Jahrzehnten bekannt. Doch erst Anfang der 1980er-Jahre durchschaute man

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den Zusammenhang zwischen Adipositas, Fettstoffwechselstörung (Dyslipidämie, eine unnormale Menge an Cholesterin und/oder Fett im Blut) und Bluthochdruck. Erst dann erkannte man die Rolle von Insulinresistenz und Stammfettsucht, also vermehrter Fettansammlung am Körperstamm beziehungsweise Bauch. Doch das metabolische Syndrom sollte als eine ganze Bandbreite an Krankheiten betrachtet werden. Nicht alle Krankheiten betreffen jede Person; tendenziell handelt es sich um eine individuelle Mischung.

Unterschiedliche Ausprägungen des metabolischen Syndroms je nach Ethnie und Geschlecht Bei Männern mit dem metabolischen Syndrom ist die Wahrscheinlichkeit für eine nichtalkoholische Fettleber (NAFLD) siebenmal höher als bei Frauen mit dem metabolischen Syndrom. Außerdem ist die Ethnie einer der wichtigsten Faktoren, die darüber entscheiden, für welche Krankheiten Sie anfällig sind. Farbige neigen zum Beispiel unabhängig von ihrem Körpergewicht zu einem höheren Blutdruck, bekommen aber im Gegensatz zu Weißen keine Hypertriglyzeridämie (erhöhte Triglyzeridwerte im Blutserum, siehe Kapitel  10). Folglich wird bei ihnen trotz der größeren Häufigkeit von Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen seltener das metabolische Syndrom diagnostiziert. Bei Latinos hingegen kommt Hypertriglyzeridämie häufiger vor, doch sie haben seltener Bluthochdruck. Bei männlichen Hispanoamerikanern ist die Wahrscheinlichkeit für die Diagnose siebenmal höher als bei Männern anderer Herkunft. Farbige und Latinos scheinen darüber hinaus häufiger insulinresistent zu sein als Weiße. All diese Daten unterstreichen die Tatsache, dass es in Bezug auf Ethnie und Geschlecht Unterschiede beim metabolischen Syndrom gibt. Das erschwert wiederum eine eindeutige Diagnose.

Wie aus Insulinresistenz das metabolische Syndrom wird Sie müssen nicht adipös sein, um das metabolische Syndrom zu bekommen. Immerhin leiden bis zu 40 Prozent der normalgewichtigen Bevölke-

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rung darunter! Fettleibigkeit ist ein »Kennzeichen« für das metabolische Syndrom, doch nicht das einzige; und es ist nicht die Ursache. Ob es nun einen adipösen Menschen betrifft oder nicht – alle scheinen einer Meinung zu sein, dass Insulinresistenz charakteristisch für das metabolische Syndrom ist. Und auch dünne Menschen können insulinresistent sein. Doch wie funktioniert das? Und wo? Und warum wird der Körper insulinresistent? Hier ein postuliertes Schema zur Entstehung des metabolischen Syndroms4: ƒƒ Das metabolische Syndrom beginnt, wenn Ihr Körper Energie anreichert, die er in der Leber und im Bauchfettgewebe speichert. Dadurch wird die Leber insulinresistent, womit die Stoffwechselstörung beginnt – eine schädliche Kette von Auswirkungen, die jedes Organ des Körpers beeinträchtigen. ƒƒ Die Insulinresistenz der Leber führt dazu, dass die Leber Energie unsachgemäß transportiert. Die Bauchspeicheldrüse reagiert darauf, indem sie die Insulinausschüttung steigert – damit will sie die Leber anregen, ihren Job zu machen. Dadurch steigt der Insulinspiegel nur noch höher (Hyperinsulinismus). Infolgedessen wird weitere Energie im Unterhautfettgewebe eingelagert, sodass es zu einer fortdauernden Gewichtszunahme kommt, die Adipositas auslösen kann. ƒƒ Die Leber versucht, das überschüssige Fett als Triglyzeride loszuwerden, die dann im Unterhautfettgewebe gespeichert werden. Daraufhin steigen die Blutfettwerte an, es kommt zur Dyslipidämie (einer Verschiebung der Fettzusammensetzung im Blutplasma, siehe Kapitel 10) – das ist einer der Risikofaktoren für Herzerkrankungen. ƒƒ Der hohe Insulinspiegel wirkt sich auf die Blutgefäße aus, sodass die glatte Muskulatur, die jede Ader umgibt, schneller wächst als normal. Dadurch werden die Arterienwände abgedichtet, was wiederum zu hohem Blutdruck führen kann.

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ƒƒ Die Kombination aus Insulinresistenz, Fettstoffwechselstörungen und hohem Blutdruck richtet im ganzen Körper Schaden an. Es kommt zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die wiederum Herzinfarkte oder Schlaganfälle zur Folge haben können. ƒƒ Das Fett in der Leber verursacht eine Entzündung, die zu weiterer Insulinresistenz führt. Es entsteht eine nichtalkoholische Fettleber (siehe die Kapitel 11 und 14). Schließlich kann die Leber vernarben, es entsteht eine Leberzirrhose. ƒƒ Insulinresistenz und Hyperinsulinismus können bei Frauen dazu führen, dass die Eierstöcke mehr Testosteron und weniger Östrogen bilden. Infolgedessen kann es zum polyzystischen Ovarsyndrom (einer krankhaften Vergrößerung der Eierstöcke durch Zysten), zu Hirsutismus (übermäßiger Körperbehaarung) und Unfruchtbarkeit kommen. ƒƒ Wenn die Insulinresistenz sich verschlimmert und das Körperfett weiter wächst, muss die Bauchspeicheldrüse noch mehr Insulin produzieren. Die Betazellen der Bauchspeicheldrüse können mit den Bedürfnissen des Körpers schließlich nicht mehr Schritt halten, was zu einem relativen Insulinmangel führt. Am Ende scheitern die Betazellen, der Typ-2-Diabetes ist manifest. ƒƒ Insulin ist eins der Hormone, die zur Zellteilung beitragen. Hyperinsulinismus wird daher mit der Entwicklung und dem Wachstum verschiedener Krebsarten in Verbindung gebracht. ƒƒ Es gibt erste – allerdings noch keinesfalls verifizierte – Hinweise darauf, dass Insulinresistenz im Gehirn zu Demenz führt. Im Grunde sind es die verschiedenen Erkrankungen des metabolischen Syndroms, die den Großteil unserer Gesundheitskosten verursachen. Deshalb ist es entscheidend, die Funktionsweisen dieser Krankheiten zu verstehen.

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Der erste Punkt: Das Leberdilemma

Unter normalen Umständen gehen 20 Prozent unserer Kalorienaufnahme in die Leber. Die Leber nutzt diese Energie für drei Aufgaben. Erstens: Sie verbrennt einen Teil davon für ihren eigenen Stoffwechsel und ihre Versorgung. Zweitens: Wenn ein Teil der Energie aus Glukose stammt – Glukose ist die größte Energiequelle allen Lebens und Baustein komplexer Kohlenhydrate –, verwandelt die Leber, angeregt durch das Hormon Insulin, die überschüssige Glukose in Glykogen (Leberstärke). Glykogen ist die Speicherform der Glukose in der Leber. Glykogen ist nicht gefährlich, sondern versorgt uns mit einem schnell verfügbaren Vorrat an Glukose, für den Fall, dass wir diese benötigen. Drittens: Die Leber muss mit der überschüssigen Energie umgehen, die in unterschiedlicher Form ankommen kann – als Fettsäuren aus der Verdauung der Nahrungsfette oder als Aminosäuren aus der Eiweißverdauung, oder auch aus dem Genuss von Alkohol oder Fruktose (die wir zur Hälfte aus Saccharose – also Haushaltszucker – und ungefähr zur anderen Hälfte aus fruktosereichem Glukosesirup zu uns nehmen). Diese zusätzliche Energie wird von der Leber zu Fett verarbeitet. Die Leber muss dieses Fett abtransportieren, damit sie einwandfrei arbeiten kann. Wenn ihr das nicht gelingt, kann die Leber sehr schnell sehr krank werden. Fazit: In der Leber ist Glykogen gut, Fett schlecht. Alles, was zu einer Ansammlung von Fett in der Leber führt, kann potenziell zu Stoffwechselkrankheiten führen (siehe die Kapitel 10 und 11) – auch bei Kindern wie Diana.

Der zweite Punkt: Reaktive Sauerstoffspezies und Krankheit

Okay, das war ein Problem. Was führt außerdem noch zu Stoffwechselstörungen? Und in so vielen Geweben? Glukose ist für alle Organismen auf diesem Planeten die bevorzugte Energiequelle. Wenn Sie keine Glukose zu sich nehmen, wird Ihre Leber sie aus dem herstellen, was verfügbar ist. Der Glukosestoffwechsel geht in zwei unterschiedlichen Schritten vonstatten. Der erste wird als Glykolyse bezeichnet und verwandelt die Glukose in die energiereiche Verbindung Pyruvat (auch Brenztraubensäure oder Acetyl-

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ameisensäure genannt). Dabei wird eine kleine Energiemenge freigesetzt. Der zweite Schritt wird als Zitratzyklus bezeichnet und findet in den Mitochondrien statt (den »Kraftwerken« der Zelle). Dabei wird das Pyruvat zu Kohlendioxid und Wasser verbrannt und eine Menge Energie freigesetzt. Ungefähr 80 Prozent der Nahrungszufuhr werden auf diese Weise zu Energie verstoffwechselt. Dabei entstehen auch einige giftige Stoffwechselendprodukte in den Mitochondrien; man bezeichnet sie als reaktive Sauerstoffspezies (Reactive Oxygen Species, ROS – oft etwas ungenau »freie Radikale« genannt). In einigen Teilen des Körpers haben ROS durchaus nützliche Funktionen. In den weißen Blutkörperchen beispielsweise sind sie ein Bestandteil Ihres körpereigenen Immunsystems und bekämpfen Eindringlinge, damit Sie sich keine Infektion zuziehen. Doch ROS können am falschen Ort – wie zum Beispiel in der Leber oder Bauchspeicheldrüse – zellschädigend wirken. Dann kommen sogenannte Antioxidanzien zum Zuge, um zu verhindern, dass die ROS Schaden anrichten. Das ist die Funktion anderer Teile der Zelle, Peroxisomen genannt, die voller Antioxidanzien stecken. Die meisten davon stammen aus der Nahrung, und zwar in Form von Mikronährstoffen (siehe Kapitel 14). Peroxisomen befinden sich direkt neben dem Mitochondrium und »entsorgen« quasi die überschüssigen ROS. Wenn die Peroxisomen mit den im Zellinneren produzierten ROS Schritt halten können, bleiben Sie und Ihre Zellen gesund. Gelingt ihnen das nicht, wird die Zelle entweder geschädigt oder stirbt ab. Beides zusammen führt dazu, dass die Zelle streikt; und wenn genügend Zellen aufgegeben haben, ist der Grundstein für das metabolische Syndrom gelegt.5

Die vier apokalyptischen Lebensmittel Viele Forscher haben beträchtliche Summen in die Suche nach dem Gen oder den Genen investiert, die für das metabolische Syndrom verantwortlich sind. Wie bei der Adipositas auch, waren die genetischen Analysen bislang jedoch nicht aufschlussreich. Tatsächlich vermutet man, dass lediglich etwa 10 Prozent des metabolischen Syndroms genetisch erklärt werden können.6 Dadurch verbleiben rund 90 Prozent bei Umwelteinflüssen,

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insbesondere der Qualität und Quantität der verzehrten Nahrung, und wie diese zu einer Insulinresistenz der Leber führen.7 Wenn die Nahrungsenergie in Form von Glukose (Stärke) daherkommt, setzt die Leber mehrere Sicherheitsmechanismen ein, um Schaden von der Leber abzuwenden; so lässt sie zum Beispiel andere Organe damit umgehen (geteiltes Leid) oder verwandelt die Glukose in Glykogen. Doch falls es die Leber mit Lebensmitteln zu tun bekommt, die nicht von anderen Organen verstoffwechselt werden können, folgt daraus eine Überproduktion an ROS und Leberfett, das in Form von Triglyzeriden (Blutfetten) abtransportiert wird (siehe Kapitel 11). Wenn die Energieversorgung die Verarbeitungskapazität der Mitochondrien übersteigt, führt das zur Bildung von ROS und zur Fettablagerung in der Leber (»Mitochondrienverstopfung« sozusagen), was wiederum chronische Stoffwechselkrankheiten auslöst. Solche Nahrungsmittel beeinträchtigen aufgrund ihrer Häufigkeit auf unserem Speiseplan verschiedene Altersgruppen. Doch welche Lebensmittel haben die Eigenschaft, Stoffwechselstörungen zu verursachen? Meiner Meinung nach sind es die vier folgenden: ƒƒ Transfette. Die Mitochondrien können aufgrund ihrer Struktur keine Transfette aufspalten.8 Lange Zeit nahm man an, dass Transfette zu chronischen Stoffwechselkrankheiten beitragen, insbesondere zu Arteriosklerose (»Arterienverkalkung«). Früher waren künstlich gehärtete Fette in allen industriell verarbeiteten Lebensmitteln enthalten, werden aber inzwischen allmählich weniger eingesetzt. Doch in Backwaren und Schokoriegeln gibt es sie nach wie vor. Tatsächlich ist jede Nahrung verdächtig, die bei Zimmertemperatur in einer Verpackung aufbewahrt wird und aus den Regalen eines Lebensmittelmarktes stammt. Gesundheitsministerien, -verbände und Lebensmittelindustrie haben das Problem der Transfette erkannt. Obgleich künstlich gehärtete Fette nicht generell verbannt wurden, gibt es heute gemeinsame Anstrengungen, sie von unserem Speiseplan zu streichen. So hat beispielsweise Michael Bloomberg, der ehemalige New Yorker Bürgermeister, die Verwendung künstlich gehärteter Fette in Restaurants in New York City verboten. Doch trotz des rückläufigen Einsatzes steigen die Adipositas- und Diabetesraten weiterhin.

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ƒƒ Verzweigtkettige Aminosäuren. Dabei handelt es sich um essenzielle Aminosäuren – essenziell bedeutet, dass unser Körper sie nicht selbst herstellen kann; wir müssen sie über die Nahrung aufnehmen. Der Spiegel von verzweigtkettigen Aminosäuren im Blut steht in einem direkten Zusammenhang mit unserem Konsum. Eine hohe Konzentration dieser Aminosäuren ist in Mais enthalten; folglich trägt jedes Tier, das mit Mais gefüttert wird (in den USA z. B. Rinder und Schweine), potenziell zur Gesamtmenge an verzweigtkettigen Aminosäuren in Ihrem Körper bei. Diese Aminosäuren sind zwar erforderlich, um Eiweiße überall im Körper zu produzieren, doch ein Überschuss wird zur Energiegewinnung in der Leber verbrannt. Bodybuilder nehmen sie mit Hingabe in ihrem Eiweißpulver zu sich, und solange sie Muskeln aufbauen, ist das auch kein Problem. Bei jedem anderen hingegen ist es ein wirklich großes Problem! Wenn verzweigtkettige Aminosäuren zur Energiegewinnung verstoffwechselt werden, dienen sie nicht der Neubildung von Glukose in der Leber, sondern gelangen zum Verbrennen d ­ irekt in die ­Mitochondrien oder werden in Fett verwandelt (siehe Kapitel  10).  Christopher ­Newgard von der Duke University hat gezeigt, dass bei Patienten mit einem metabolischen Syndrom ein höherer Spiegel dieser Aminosäuren im Blut nachweisbar ist.9 Doch bislang sehen wir lediglich den Zusammenhang, keine Ursache-Wirkungs-Beziehung. ƒƒ Alkohol. Alkohol ist interessant, denn es hat sich gezeigt, dass eine kleine tägliche Dosis, insbesondere wenn sie in Form von Wein genossen wird, das metabolische Syndrom verhindern kann. (Wenn Sie einen hohen Blutdruck haben, empfiehlt Ihr Arzt Ihnen möglicherweise ein oder zwei Gläser Rotwein zum Abendessen.10)Doch eine größere Menge trägt eindeutig zur Entwicklung des metabolischen Syndroms bei. Insbesondere alkoholische Getränke, die auch Glukose enthalten – wie Bier und Shōchū (ein fermentiertes japanisches Getränk) –, sind sicher an der Verbreitung des metabolischen Syndroms in Amerika beziehungsweise Japan beteiligt.11 Alkohol gelangt ebenfalls direkt in die Mitochondrien. Allerdings kann Alkohol natürlich nicht erklären, warum Kinder am metabolischen Syn-

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drom leiden oder weshalb das metabolische Syndrom unter der abstinenten Bevölkerung in muslimischen Staaten wie Saudi-Arabien und Malaysia um sich greift. ƒƒ Fruktose. Zum Schluss kommen wir zum »Voldemort« auf der Lebensmittel-Negativliste: das süße Molekül im Zucker. Wenn etwas süß und kalorienreich ist, ist es Fruktose. Punkt. Der Verzehr dieses Nahrungsmittels ist weltweit angestiegen, mit geradezu leichtsinniger Hemmungslosigkeit. Kinder kennen dabei keinerlei Grenzen. Uns liegen Daten von Tieren und Menschen vor: Bei Fruktose kennen wir den Zusammenhang und die Ursache-Wirkungs-Beziehung. Der Konsum von Fruktose hat innerhalb der letzten 30 Jahre in jeder Altersgruppe zugenommen, selbst bei den Babys. Meiner Ansicht nach spielt hier die Musik – das werde ich in Kapitel 11 detailliert darlegen.

Können wir nicht einfach eine Pille einwerfen? Mit einem Wort: Nein. Es gibt kein Medikament, das die beschriebene Entwicklung stoppen könnte, denn die Bildung von ROS ist eine Lebensrealität. Wir haben Arzneien, mit denen die verschiedenen Folgen behandelt werden können. Wir haben Statine und Fibrate gegen Fettstoffwechselstörungen, Antihypertonika zur Senkung des Blutdrucks, Insulin, Metformin und andere Antidiabetika zur Behandlung von Diabetes, zahlreiche Medikamente zur Stabilisierung und Kräftigung des Herzschlags, Vitamin E bei Fettleber, Dialyse und Transplantation bei chronischen Nierenleiden, verschiedene Chemotherapien gegen Krebs und sogar neue Alzheimer-Medikamente. Doch Ihre Mitochondrien sind dann immer noch hin. Und die Produktion von Triglyzeriden sowie die Schädigungen durch ROS werden unvermindert weitergehen. Ihre Zellen werden sterben, und Sie ebenfalls. Doch Diana und Sie sind nicht dem Tod geweiht. Sie können den Prozess beträchtlich verlangsamen. Der einfachste und vernünftigste Weg ist Vorbeugung und besteht darin, die ROS-Bildung und den Giftgehalt zu reduzieren. Sie können:

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ƒƒ die Verfügbarkeit bestimmter Stoffe einschränken (die Ernährungsweise ändern – siehe die Kapitel 11, 17 und 18) ƒƒ den Energiestoffwechsel der Leber verlangsamen (mehr Ballaststoffe essen – siehe Kapitel 14) und/oder ƒƒ die Mitochondrienbildung steigern, um die Leistung und Effizienz der »Zellkraftwerke« zu verbessern (Bewegung – siehe Kapitel 13) Wir sprechen also über Veränderungen bei der Kalorienzufuhr und beim Energieverbrauch. Auch wenn Sie Ihr ganzes Leben lang geschlemmt haben, ist noch nicht alles verloren, sofern Sie jetzt etwas verändern. Studien mit Diabetespatienten, die ihren Lebensstil umgestellt haben (z. B. geeignete Ernährung und Bewegung), zeigen, dass die ROS-Gesamtmenge abnahm, die Gesundheit sich verbesserte und die Lebensdauer stieg.12 Oh nein! Schon wieder Diät und Sport! Ist dieses ganze Buch doch nur Blödsinn? Warum habe ich gutes Geld für diese immer gleichlautende Botschaft ausgegeben? Habe ich das nicht schon gewusst? Nein, denn es geht nicht einfach nur um »weniger essen und mehr Bewegung«. Wir sprechen über etwas ganz Bestimmtes. Denn: Nicht alle Kalorien sind gleich!

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Sally ist ein hübsches 13-jähriges Mädchen, doch seit sie elf Jahre alt ist, hat sie jedes Jahr 9 Kilogramm zugenommen. Im Musical der Mittelstufe ihrer Schule spielte sie die Hauptrolle und schämte sich, weil sie nicht in ihr Kostüm passte. Nachdem die familiären Versuche, den Lebensstil zu ändern, keinen Erfolg gebracht haben, kam sie in meine Sprechstunde. Ein oraler Glukosetoleranztest zeigte, dass ihre Bauchspeicheldrüse zu viel Insulin freisetzte (siehe Kapitel 19). Sally war insulinresistent und glukosetolerant. Wir setzten sie auf eine kohlenhydratarme Diät und verschrieben Metformin (siehe Kapitel 19), um ihren Insulinspiegel zu senken. In den ersten drei Monaten nahm sie 9 Kilogramm ab, danach weitere viereinhalb Kilogramm, und dann blieb ihr Gewicht konstant. Sie hat nun keinen abnormalen Hunger mehr, und ihr Insulinspiegel hat sich normalisiert. Sally ist glücklich und zufrieden.

Die »Jäger« Früher waren die Menschen Jäger. Die meisten jagten ihre Nahrung, während manche fischten. Sie aßen Fett und Eiweiß, legten zwischen den einzelnen Jagden lange Wegstrecken zurück und mussten von ihren Fettreser-

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ven leben. Basierend auf dem Körpergewicht der Jäger und ihrer aktuellen Energieversorgung verarbeitete ihre Leber die Nahrungsfette auf eine von zwei Weisen: War Energie Mangelware, spaltete die Leber die Fettsäuren (lange Kohlenstoffketten) systematisch in Gruppen aus zwei Kohlenstoffatomen auf und Acetyl-CoA wurde erzeugt. Diese Fragmente konnten dann zu Energie verbrannt werden – entweder von den Mitochondrien (der Teil der Zelle, in dem Energie erzeugt wird), in der Leber oder in anderen Organen. Wenn hingegen Energie im Übermaß vorhanden war, verpackte die Leber das Fett in Form von Low Density Lipoprotein (LDL, Lipoprotein niederer Dichte). Diese LDL zirkulierten in der Blutbahn und ließen sich schließlich in den Fettzellen nieder, wo sie als Triglyzeride zur späteren Verwendung eingelagert wurden – für den Fall, dass aufgrund von Nahrungsknappheit Energie gebraucht würde. War kein Insulin vorhanden (z. B. bei Hunger), wurden die gespeicherten Triglyzeride in freie Fettsäuren aufgespalten. Dann wiederholte sich der Kreislauf wieder: Die eingelagerten Triglyzeride wurden in den Blutkreislauf geschickt, erreichten wieder die Leber und wurden dort in Kohlenstoffatomgrüppchen in Form von Acetyl-CoA aufgespalten. Die Jäger kannten keine Kohlenhydrate und mussten auch nichts darüber wissen, da menschliche wie tierische Körper durchaus ohne Kohlenhydrate auskamen. Unser Körper war und ist perfekt darauf eingestellt, Fett als Energiequelle zu verbrennen. Auf diesem Prinzip basiert heute die sogenannte Low-Carb-Diät, die kohlenhydratarme Ernährung. Auf der ganzen Welt ernähren sich heutzutage noch einige Naturvölker auf diese Weise – wie die Massai- und Samburu-Stämme im Norden und Zentrum Kenias (die Fleisch, Milch und Tierblut zu sich nehmen) sowie die Inuit in der Arktis (die Fisch, Fleisch und Walfett essen). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebte der Arktisforscher Vilhjálmur Stefánsson (1879–1962) mehrere Jahre bei den Inuit, ernährte sich hauptsächlich von Walspeck und fühlte sich nie gesünder als in dieser Zeit. Er stellte als Erster fest, dass die Inuit, die nie Kohlenhydrate aßen, außergewöhnlich selten an Krebs, Herzerkrankungen, Diabetes und anderen chronischen Krankheiten litten. (Leider hat sich das in den letzten Jahren geändert, seit auch industriell verarbeitete Nahrung auf ihrem Speiseplan steht.) Als er Ende der 1920er-Jahre in die Vereinigten Staaten zurückkehrte, führte Stefánsson ein Experiment durch. Unter ärztlicher Aufsicht aß er ein Jahr

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lang ausschließlich Fleisch, und es wurde dokumentiert, dass diese Ernährungsweise keine negativen Auswirkungen auf seine Gesundheit hatte. Stefánsson schrieb 1960 das Buch Cancer: Disease of Civilization? (Krebs: eine Zivilisationskrankheit?), in dem er von seinen Erfahrungen und Beobachtungen berichtet. Die kohlenhydratarme Ernährungsweise hat heute einen geradezu mythischen Status erreicht. In den 1970er-Jahren verwandelte Dr. Robert Atkins sie in eine hohe Kunst – Cheeseburger ohne Brötchen, Schinken mit Eiern oder Brokkoli mit Käsesoße. Kein Toast, keine Kartoffeln, und ein Jammer für alle Biertrinker. Seine Diät hat nach wie vor viele Anhänger, die zur Adipositasbehandlung und zur Gesundheitsförderung auf sie schwören. Die Low-Carb-Bewegung erreichte 2002 ihren Höhepunkt, als im New England Journal of Medicine zwei Artikel veröffentlicht wurden, die ihre Nützlichkeit bewiesen.1 Eingefleischte Fans sind dieser Ernährungsweise nach wie vor treu, etablierte Adipositasexperten sind auf den Zug aufgesprungen, und zahlreiche positive Berichte sind nur einen Mausklick entfernt. Doch in der jüngsten Vergangenheit ist die kohlenhydratarme Diät in die Kritik geraten, da es sehr schwer ist, sie durchzuziehen. Außerdem wurde sie kritisiert, weil sie möglicherweise eine negative Auswirkung auf die Gesundheit haben könnte.2

Die »Sammler« Neben den Jägern gab es Sammler. Die Sammler nutzten Pflanzen als Nahrung. Sie aßen Kohlenhydrate und Eiweiße in Form von Obst und Gemüse. Wenn Energie knapp war, wurde die Glukose vollständig von der Leber aufgezehrt. Hatte der Sammler hingegen ausreichend Energie, nahm die Leber die Glukose nicht auf, sodass es zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels und infolgedessen zu einer Insulinausschüttung kam. War Energie im Übermaß vorhanden, kletterten der Blutzuckerspiegel und dadurch auch der Insulinspiegel weiter – Energie wurde als Fett für schlechte Zeiten eingelagert. Das ist die Grundlage der heutigen veganen Ernährungsweise. Sie wird in zahlreichen Kulturen rund um den Globus umgesetzt. Viele Menschen

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ernähren sich freiwillig und manchmal in extremem Ausmaß auf diese Weise. (So gibt es beispielsweise Frutarier, die ausschließlich Obst und Gemüse, Nüsse und Samen essen, und einige von ihnen greifen nur auf das zurück, was auf natürliche Weise vom Baum gefallen ist, denn sie wollen die Pflanze nicht verletzen.) Diese Ernährungsweise kann ebenfalls ausgesprochen gesund und – wenn sie angemessen umgesetzt wird – lebensrettend sein.3

Der Fluch des Allesfressers Der Konflikt zwischen diesen beiden Ernährungsphilosophien wird auch in Michael Pollans 2006 veröffentlichtem Buch Das Omnivoren-Dilemma behandelt. Aus evolutionärer Sicht hat sich die Verdauung von Fetten und Kohlenhydraten separat entwickelt. Der Netto-Energiegewinn dieser beiden Vorgänge ist, einzeln betrachtet, minimal. Doch die Stoffwechselprodukte dieser zwei völlig unterschiedlichen Prozesse (Fett wird fortlaufend aufgespalten, während Kohlenhydrate eine Glykolyse durchlaufen) treffen in den Mitochondrien in Form des komplexen Acetyl-CoA zusammen. Wie Sie in Kapitel 9 erfahren haben: Wie viel Acetyl-CoA die Mitochondrien verarbeiten, hat eine enorme Auswirkung auf die Gesundheit der Zelle. Es legt auch fest, ob die Zelle der Belastung, zu viel überschüssige Energie aufbereiten zu müssen, standhält oder nicht. Die Jäger aßen Fett. In den Mitochondrien der Leber wurden die Fettsäuren im Rahmen der sogenannten Beta-Oxidation aufgespalten (in Gruppen aus jeweils zwei Kohlenstoffatomen) und genutzt; etwaiges überschüssiges LDL wurde abtransportiert, damit es in Fettgewebe umgewandelt werden konnte. Die Sammler hingegen nahmen Kohlenhydrate (Glukose) zu sich; nach der Aufnahme holte die Leber sich, was sie brauchte, und das Insulin nutzte den Rest im Blutkreislauf, um Muskel- und Fettgewebe aufzubauen. In der Leber wurde etwaige überschüssige Glukose zum Einlagern in Glykogen verwandelt. Unsere Vorfahren waren selten ausschließlich Jäger oder Sammler, doch wahrscheinlich hatte eine der Nahrungsarten (Fett oder Kohlenhydrate) den Vorrang vor der anderen, je nach Wohnort und Jahreszeit. Die Leber entwickelte folglich zwei vonei-

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nander unabhängige Ventile, um sich vor überschüssiger Energie zu schützen – ein Ventil für Kohlenhydrate und eins für Fette. In beiden Fällen war es hervorragend geregelt, wie viel Acetyl-CoA die Mitochondrien zu verarbeiten hatten, damit ihre Kapazität nicht überstiegen wurde. Die Mitochondrien bekamen nie mehr zu tun, als sie verkraften konnten. Doch dann entwickelten die Menschen Ackerbau und Viehzucht – so wurden wir Allesfresser. Sally isst bei jeder Mahlzeit Fett und Kohlenhydrate (also zum Beispiel Steak mit Kartoffeln) – wie praktisch unsere gesamte Gesellschaft. Als die Nahrung in größerem Umfang zur Verfügung stand, begannen wir unsere beiden Stoffwechselwege überzubeanspruchen – die Aufspaltung von Fett und die Glykolyse von Kohlenhydraten. Nun geraten die Mitochondrien unter Druck: Sie müssen mit einem Ansturm von Acetyl-CoA aus beiden Richtungen klarkommen. Eine fettreiche und kohlenhydratreiche Mahlzeit ist kein Problem. Doch wenn das bei 10.000  Mahlzeiten in Folge der Fall ist (innerhalb von zehn Jahren, bis kurz vor der Pubertät), kommt es zu echten Schädigungen: einer Verschlimmerung chronischer Stoffwechselkrankheiten oder dem metabolischen Syndrom.

Fett oder Kohlenhydrate? Oder Fett und Kohlenhydrate? Hier kommt Stoff zum Nachdenken. Mit sehr wenigen Ausnahmen enthält jede natürliche Nahrung entweder Fett oder Kohlenhydrate, doch in der Regel nicht beides. Fleisch, Fisch und Geflügel sind kohlenhydratfrei. Getreide, Wurzeln und Knollen (wie Kartoffeln und Yams) enthalten kein Fett. Früchte, die Fett enthalten – wie Avocados, Oliven und Kokosnüsse –, bringen es nur auf minimale Kohlenhydrate. Nüsse sind eine Ausnahme, doch auch sie enthalten nur wenige Kohlenhydrate, dafür viele Ballaststoffe. (Deshalb sind sie braun; siehe Kapitel 12.) Milch ist eine weitere Ausnahme von der Regel, doch von der Muttermilch abgesehen, kamen Menschen früher nicht in Kontakt mit der Milch anderer Säugetiere, bis in der Jungsteinzeit die Landwirtschaft aufkam. Sie kannten die spätere Ernährungspyramide des US-amerikanischen Landwirtschaftsministeriums noch nicht.

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Erst als wir Feinschmecker wurden und begannen, Fett und Kohlenhydrate kombiniert zu uns zu nehmen, bekamen unsere Zellen die Überlastung der Mitochrondrien zu spüren. Dasselbe gilt auch für das Auftreten von Stoffwechselkrankheiten mit dem aufkommenden Handel im frühen 17. Jahrhundert; davor hing die Nahrungsauswahl immer von dem ab, was man getötet oder selbst angebaut hatte. Schließlich wurden wir Vielfraße, die Fett und Kohlenhydrate in derselben Mahlzeit zu sich nahmen. Das ist das Wesen industriell verarbeiteter Nahrung – Segen und Fluch zugleich. Mit Ausnahme eines Produkts, das Fett und Kohlenhydrate gleichzeitig enthält. (Ich gebe Ihnen einen Hinweis: Es ist wirklich süß.)

Ein erbitterter Streit Die Häufigkeit von Herzerkrankungen begann im Laufe des frühen 20. Jahrhunderts allmählich anzusteigen, als Paul Dudley White 1931 seine klassische Abhandlung Heart Diseases (Herzkrankheiten) schrieb. White war nach dem Herzinfarkt des Präsidenten Eisenhower 1955 dessen behandelnder Kardiologe. In den 1960er-Jahren dann war die Bewegung, Herzerkrankungen durch eine Ernährungsumstellung reduzieren zu wollen, in vollem Gange, und die US-Regierung wollte dabei die Initiative ergreifen. Damit war die Bühne für einen »heiligen Ernährungskrieg« bereitet, der sich in Küchen und Restaurants in ganz Amerika abspielte. Das Ziel bestand darin, unsere Ernährungsweise zu verbessern. Doch stattdessen haben wir alle Ernährungshypothesen über den Haufen geworfen, das Vertrauen der Öffentlichkeit verloren und dabei Millionen umgebracht. Unter den Folgen dieser Auseinandersetzung werden auch die kommenden Generationen noch zu leiden haben. Die erste Salve feuerten bei diesem Kampf die Zahnärzte ab. Vor 1960 beschränkten sich die bekannten Probleme, die mit dem Zuckerkonsum in Verbindung gebracht wurden, auf die Entstehung von Löchern in den Zähnen.4 Als ab 1945 dann das Trinkwasser mit Fluorid behandelt wurde, waren Löcher kein Problem des Gesundheitswesens mehr – der Zucker verschwand also von den Radarschirmen.

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Dann betraten John Yudkin und Ancel Keys die Bühne. Der britische Physiologe und Ernährungswissenschaftler Yudkin erforschte das Wesen chronischer Krankheiten. 1957 stellte er die Theorie auf, dass die Zusammensetzung der Ernährung die Basis für arterielle Thrombosen (Herzinfarkte) sei. 1964 erkannte er durch Beobachtungen, dass der Konsum von Saccharose (Zucker) in einem engen Zusammenhang mit Herzerkrankungen steht. Er zeigte als Erster, dass Zucker in einzigartiger Weise den Triglyzerid- und den Insulinspiegel im Blut ansteigen lässt. 1972 veröffentlichte er in Großbritannien seine bahnbrechende Arbeit über das Thema Zucker, die unter dem Titel Süß, aber gefährlich ins Deutsche übersetzt wurde. Yudkin schrieb zahllose Artikel über die Biochemie von Zucker, insbesondere über das Molekül Fruktose, das Zucker seine Süße verleiht. Er war der Erste, der davor warnte, dass ein übermäßiger Konsum zu koronaren Herzkrankheiten, Diabetes, Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes, Augenleiden und anderen entzündlichen Krankheiten führen könnte. Ancel Keys, ein Epidemiologe aus Minnesota, war als Erfinder der Nahrungsrationen für Fallschirmtruppen im Zweiten Weltkrieg bekannt geworden. 1952 verbrachte er einen Studienaufenthalt in England und bemerkte dort eine enorme Zunahme von Herzkrankheiten infolge der englischen Ernährungsweise, die aus unglaublich fett- und cholesterinreichen Lebensmitteln bestand. (Denken Sie nur an Würstchen mit Kartoffelbrei oder panierten Fisch mit Pommes frites.) Er erkannte, dass diejenigen, die in den USA und in Großbritannien am besten ernährt waren und sich Fleisch leisten konnten, am häufigsten unter Herzproblemen litten. Als er in die Vereinigten Staaten zurückkehrte, hatte er sich vorgenommen zu beweisen, dass Cholesterin und Nahrungsfette direkte Ursachen für Herzerkrankungen sind. Keys veröffentlichte in den 1960er- und 1970er-Jahren zahlreiche Studien, die zeigten, dass Patienten mit Herzerkrankungen einen höheren Cholesterinspiegel hatten; außerdem stellte er unter Beweis, dass der vermehrte Verzehr fetter Lebensmittel zu einem höheren Cholesterinwert führt. Keys’ bahnbrechende 7-Länder-Studie aus dem Jahr 1980 umfasste 500  Seiten und legte seine Meinung dar, dass Nahrungsfette die einzige Ursache für Herzerkrankungen seien. Leider gibt es vier Probleme, die mit dieser These verbunden sind, und sie resultieren aus seiner eigenen Arbeit:

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ƒƒ Die 7-Länder-Studie begann ursprünglich als 22-Länder-Studie. Keys’ sieben Länder waren Japan, Italien, England, Wales (das bei Keys separat zählte), Australien, Kanada und die USA. Bei diesen sieben Ländern sah die Verbindung zwischen Nahrungsfetten und Herzerkrankungen ziemlich überzeugend aus. Doch wenn man alle 23 Länder berücksichtigte (dann kamen Österreich, Ceylon, Chile, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Irland, Israel, Mexiko, die Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Portugal, Schweden und die Schweiz hinzu), war die Korrelation deutlich weniger überzeugend. Er beschloss außerdem, »indigene Stämme« – wie die Inuit (Nordamerika), die Einwohner von Tokelau (Ozeanien), die Massai und Rendille (beide Afrika) – nicht mit einzubeziehen, die ausschließlich Tierfett zu sich nehmen und bei denen die Quote der Herzerkrankungen zu den niedrigsten der Erde zählt. ƒƒ Die Rolle der Nahrungsfette bei Herzkrankheiten wird durch den Konsum von Transfetten (z. B. Margarine) verkompliziert, die ein wichtiger Faktor bei der Ursachenforschung zum metabolischen Syndrom sind. Die Verwendung von Transfetten erreichte in den 1960erJahren mit dem Einzug und der weiten Verbreitung der Margarine ihren Höhepunkt – als Keys gerade seine epidemiologischen Studien begann. Hätte er auch die Wirkung von Transfetten anstelle von gesättigten Fetten in den entwickelten Ländern untersuchen können? Wir wissen es nicht, da er die beiden in seiner Arbeit nicht getrennt betrachtet hat. ƒƒ Die Korrelation selbst ist ein Problem. An einem Ende des Diagramms stehen Japan und Italien, da sie die wenigsten gesättigten Fette zu sich nehmen. Doch sie essen auch die geringste Menge an Zucker im Vergleich zu allen anderen Ländern, die in der Studie berücksichtigt wurden. Wie kann man – wenn beides gemeinsam auftritt – feststellen, ob bei dieser Korrelation das Fett oder der Zucker der Übeltäter ist? ƒƒ Auf Seite 262 seines umfangreichen Werks schrieb Keys: »Die Tatsache, dass die Häufigkeitsrate koronarer Herzerkrankungen in einem

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deutlichen Zusammenhang mit dem durchschnittlichen prozentualen Kalorienanteil aus Zucker in der Nahrung steht, erklärt sich durch die Interkorrelation von Zucker und gesättigten Fetten.« Mit anderen Worten: Es gibt auch eine Wechselbeziehung zwischen Zucker und Herzerkrankungen, aber Keys hielt das nicht für ein Problem. Wenn man eine multivariate Korrelationsanalyse durchführt (also untersucht, ob A die Ursache für B ist, aber den Einfluss von C, D und E unberücksichtigt lässt), muss man beides mit einbeziehen. In diesem Fall müsste man die Zuckermenge konstant halten und zeigen, dass noch immer eine Korrelation zwischen Nahrungsfetten und Herzerkrankungen besteht. Keys hatte diese Art der Analyse nicht umgesetzt. Wir wissen nicht, warum. Also, was war es denn nun: Fett oder Zucker?

Einen Schritt weiter, und WUMMS … Inmitten des Yudkin-Keys-Streits kam die Lipidhypothese der Herzkrankheiten auf. In den 1970er-Jahren entdeckte das mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Forscherteam aus Michael Brown und Joseph Goldstein in Dallas, wie die Leber Fettsäuren wiederaufbereitet.5 Aufgrund dieser Entdeckung wurden vier Prinzipien offenkundig: 1. Wir lernten das LDL (Low Density Lipoprotein, also Lipoprotein niederer Dichte, wichtigstes Eiweiß zum Transport von Blutfetten) und den LDL-Rezeptor der Leber kennen (der LDL aufnimmt, um es aufzubereiten). 2. Wir erfuhren, dass Nahrungsfette den LDL-Spiegel im Blut ansteigen lassen. 3. Eine seltene Erbkrankheit produziert einen extrem hohen LDL-Spiegel, die betroffenen Patienten sterben sehr früh an Herzinfarkten. 4.  In großen Bevölkerungsgruppen von Erwachsenen korreliert der LDL-Spiegel im Blut mit dem Risiko für koronare Herzerkrankungen. Die Schlussfolgerungen, die sich aus dieser Arbeit ergaben, schienen oberflächlich betrachtet recht logisch zu sein. Bezeichnen wir das Nahrungsfett als  A, LDL als  B und die koronare Herzerkrankung als  C. Die Schlussfolgerung lautete: »Wenn A zu B führt und B mit C korreliert, dann muss A zu C führen; also: ohne A kein C.«

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Darüber wurde Ende der 1970er-Jahre diskutiert. An der Auseinandersetzung beteiligte sich 1977 insbesondere Senator George McGoverns parteiübergreifender, nichtlegislativer Ausschuss für Ernährung und menschliche Grundbedürfnisse (Select Committee on Nutrition and Human Needs). Gary Taubes berichtete darüber.6 McGovern beauftragte einen Berichterstatter namens Nick Mottern, der keinen wissenschaftlichen Hintergrund hatte, mit der Recherche und dem Verfassen der ersten Ernährungsziele der Vereinigten Staaten. Statt ausführlich über das Thema zu recherchieren, verließ Mottern sich fast ausschließlich auf die Arbeit des Ernährungswissenschaftlers Mark Hegsted von der Harvard School for Public Health. Hegsted war der Meinung, dass Nahrungsfette letztendlich die Ursache für die Ernährungsprobleme der Vereinigten Staaten seien und dass die Lösung darin bestehe, deren Konsum einzuschränken. Also empfahl Mottern in seinem Bericht, dass die amerikanische Bevölkerung die Fettzufuhr auf 30 Prozent ihrer Nahrung und die der gesättigten Fette auf 10 Prozent reduzieren solle. Mottern gestand ein, dass nicht alle Wissenschaftler mit seinen Vorschlägen übereinstimmten, doch er erklärte, die Amerikaner könnten ihre Gesundheit nur dann verbessern, wenn sie seinem Rat folgten. Was hatten sie denn zu verlieren? Es dauerte zwar sieben Jahre, doch nach einigen Drehungen und Wendungen unterstützten schließlich das US-amerikanische Landwirtschaftsministerium USDA, die amerikanische Herzvereinigung AHA und die amerikanische Gesellschaft für klinische Ernährung (American Society of Clinical Nutrition) das Dokument. Motterns Idee – »Dietary Goals for the United States« (Ernährungsziele für die Vereinigten Staaten) – wurde umgesetzt, und unsere Ernährungsweise begann sich zu verändern, da die Lebensmittelbranche sich umstellte, um fettarme Produkte auf den Markt zu bringen und damit die neuen Richtlinien umzusetzen.

Was lief schief? Es erscheint logisch: A führt zu B führt zu C, also ohne A kein C – folglich ohne Nahrungsfette kein LDL und keine Herzerkrankung. Doch das ist zu kurz gedacht. A kann zu B führen, kann aber auch zu D, E, F und G führen,

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ohne dass C dabei herauskommt. Das Gegenstück zu dieser Aussage würde dann lauten: »Ohne C kein A.« Diese Logik ist verkehrt, das ist mal klar. Die implizite Annahme war, dass LDL generell schlecht ist. Doch wie sich herausstellte, gibt es zwei Arten von LDL: Das eine wird »LDL-Phänotyp  A« genannt (großes, »normales« LDL), während das andere als »LDL-Phänotyp B« bezeichnet wird (kleines, dichtes LDL). Das große LDL schwimmt im Blut; es ist zu groß, um unter die Blutgefäßwände zu dringen und dort arteriosklerotische Prozesse (Verdickung der Arterienwände) in Gang zu setzen. Das große LDL macht 80 Prozent des LDL im Blut aus, und es gilt im Hinblick auf die Herzkranzgefäße als unbedenklich. Doch das kleine, dichte LDL schwimmt nicht, sondern es sinkt nach unten. Es ist klein genug, um unter die Blutgefäßwandzellen zu gelangen, und spielt bei der Entstehung arteriosklerotischer Plaque eine entscheidende Rolle. Es stimmt also, dass Nahrungsfette den LDL-Spiegel ansteigen lassen – aber das gilt nur für das große, »normale« LDL. Die kleine, dichte Variante steigt durch Kohlenhydrate an.7 Und es gibt noch einen weiteren Punkt. Es gibt nicht nur eine Sorte Nahrungsfette. Es gibt mindestens sieben (siehe Tabelle 10.1). Einige davon, wie zum Beispiel die Omega-3-Fettsäuren, sind gut für Sie und schützen vor Herzkrankheiten. Transfette sind verheerend, da unsere Mitochondrien sie zur Energiegewinnung nicht vollständig aufbrechen können. Man sieht: Nicht alle Kalorien sind gleich. Die Überreste des Fetts setzen sich in den Arterienwänden ab – eine tolle Möglichkeit, um einen Herzinfarkt zu bekommen. Omega-6-Fettsäuren fördern Entzündungen und werden mit Herzkrankheiten in Verbindung gebracht. Keys persönlicher Bösewicht war das gesättigte Fett, das in der Mitte dieser Bandbreite steht und weder schadet noch gut ist. Tatsächlich haben Studien kürzlich gesättigte Fette von der Hauptrolle bei der Entstehung arteriosklerotischer Vorgänge freigesprochen.8

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Tabelle 10.1. Nahrungsfette und ihr Wert für die menschliche Gesundheit, in absteigender Reihenfolge Nahrungsfett

Enthalten in

Medizinischer Nutzen oder Gefahr

Omega-3-Fettsäuren

Wildfisch, Leinöl

Entzündungshemmend, senken den Triglyzeridspiegel im Blut, reparieren Zellmembranen

Einfach ungesättigte Fettsäuren

Oliven, Rapsöl

Regen den Leberstoffwechsel an, verringern arteriosklerotische Prozesse

Mehrfach ungesättigte Fettsäuren

Pflanzenöle

Entzündungshemmend, können aber bei übermäßigem Verzehr zu Immunstörungen führen

Gesättigte Fettsäuren

Fleisch, Milch und Milchprodukte von mit Gras gefütterten Tieren

Bei besonderem genetischem Hintergrund (familiäre Hypercholesterinämie) arteriosklerotisch, lassen Spiegel des LDLPhänotyps A sehr stark ansteigen

Mittelkettige Triglyzeride

Palmöl, Kokosöl, Palmkernöl

Energiequelle, Hinweise auf Anregung arteriosklerotischer Vorgänge

Omega-6-Fettsäuren

Säugetiere und Fische aus konventioneller Haltung (mit Mais und Soja gefüttert)

Arteriosklerotisch, fördern Insulinresistenz, Immunstörungen, Entzündungen

Transfette (teilweise gehärtete Öle)

Synthetisch hergestellt, nur in industriell verarbeiteten Produkten

Arteriosklerotisch, fördern nichtalkoholische Fettleber

Doch fettarmes Probieren geht über Studieren, oder? Verhindert eine fettarme Ernährung nun Herzerkrankungen oder nicht? Das sollte im Rahmen einer Studie der US-amerikanischen Frauengesundheitsinitiative (Women’s Health Initiative) ab 1993 untersucht werden. Dabei wurden fast 50.000 Frauen nach den Wechseljahren acht Jahre lang begleitet. Die

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Fettaufnahme (gesättigte, einfach ungesättigte und mehrfach ungesättigte Fette) wurde in ihrer Ernährung auf 30 Prozent der Gesamtkalorienmenge reduziert – doch es wurde keine Veränderung im Hinblick auf die Auftretenshäufigkeit von Herzinfarkten oder Schlaganfällen festgestellt. Eine randomisierte, kontrollierte Langzeit-Prospektivstudie an sehr vielen Personen – und sie war eine Pleite.9

Veränderungen unserer Ernährungsweise Anfang der 1980er-Jahre war jedoch noch keines der mit Zucker, Kohlenhydraten und bestimmten Fetten verbundenen Probleme bekannt. Durch die Bestätigung der »Ernährungsrichtlinien« lieferte Keys den K.-o.-Schlag und gewann den Nahrungsmittelstreit, während Yudkin keine Beachtung mehr geschenkt wurde. Wir wurden angefleht, unseren Nahrungsfettkonsum von 40 auf 30 Prozent zu reduzieren. Die Lebensmittelindustrie musste ihre Waren überarbeiten, um der Nachfrage nach fettarmen Produkten zu entsprechen. Dazu war es nötig, die Rezepte entsprechend zu verändern. Doch wenn man auf Fett verzichtet, schmeckt die Nahrung wie Pappe. Und was nicht schmeckt, verkauft sich auch nicht. Also musste die Lebensmittelindustrie Wege finden, um die neuen fettarmen Produkte schmackhaft zu machen. Zu diesem Zweck hoben sie den Kohlenhydrat- und insbesondere den Zuckeranteil an, zum Beispiel in Joghurt, Wurstwaren und Snacks. In den 1990er-Jahren kam es zu einer großen Verschiebung hinsichtlich bestimmter Nahrungsmittel. Bei fetthaltigen Lebensmitteln wie Milch blieb der Konsum stabil oder war rückläufig. Raffinierte Kohlenhydrate ohne Ballaststoffe erlebten hingegen eine gigantische Absatzsteigerung. Wie Sie wissen, bedeuten raffinierte Kohlenhydrate eine Menge Insulin, was wiederum zu einer verstärkten Energiespeicherung im Fettgewebe führt. So entstand die Adipositasepidemie aufgrund einer gut gemeinten, scheinbar logischen Schlussfolgerung – die aber tatsächlich auf einem tragischen Missverständnis hinsichtlich unserer Biochemie beruhte. Die allmählich einsetzende Erkenntnis, dass Nahrungsfette nicht generell zu verteufeln sind (so wie es die »Ernährungsrichtlinien« taten), und die Arbeit von Dr. Robert Atkins sowie anderer Pioniere führte zur Auf-

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nahme der sogenannten Low-Carb-Diät – also der kohlenhydratarmen Ernährung – in das US-amerikanische Repertoire. Restaurants begannen, Cheeseburger in ein Salatblatt zu wickeln, statt in ein Brötchen zu legen (hielten aber an den Pommes fest). Kurz nach der Jahrtausendwende wurde die kohlenhydratreduzierte Ernährung auf die Probe gestellt: Sie lag bei der Behandlung von Adipositas und Typ-2-Diabetes gleichauf mit der fettarmen Ernährung. Durch kontrollierte Studien lernten wir die folgenden fünf Lektionen10: 1. Eine Einschränkung der Kohlenhydrataufnahme verbessert die Glukosekontrolle – oberstes Ziel bei der Diabetestherapie. 2. Kohlenhydratreduzierte Diäten sind zum Abnehmen mindestens genauso effektiv wie fettarme Diäten. 3. Der Ersatz von Kohlenhydraten durch Fette wirkt sich im Allgemeinen positiv auf die Marker und Häufigkeit von Herzkrankheiten aus. 4. Die Einschränkung von Kohlenhydraten verbessert Merkmale des metabolischen Syndroms. 5.  Die Vorteile einer Kohlenhydratbeschränkung bestehen auch unabhängig von einem Gewichtsverlust. (Denken Sie an Sally.) Das Prinzip der Kohlenhydratreduktion ist heute in der Welt der Ernährung in verschiedensten Gestalten anzutreffen. Gleiches gilt aber auch für die vegane, die traditionelle japanische sowie andere Diätformen wie die fettarme und kohlenhydratreiche Ernährung. Denn beide Prinzipien überschneiden sich. Es gibt ein besonderes Nahrungsmittel, das gleichzeitig zu den Fetten und zu den Kohlenhydraten zählt. Es wird bei allen erfolgreichen Diäten der Welt ausgeschlossen. Es ist der echte Fluch der Allesfresser. Und der wahre Schuldige für die weltweite Pandemie von Adipositas und metabolischem Syndrom.

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Kapi tel  11

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Gabriel ist ein achtjähriger Junge, wiegt 45 Kilogramm und hat einen leicht erhöhten Blutdruck. Sein Vater ist Typ-2-Diabetiker und hatte bereits eine Magenbypass-Operation. Eine Analyse der familiären Ernährungsgewohnheiten ergab keine Abnormitäten – außer dass der Vater als Lkw-Fahrer für einen Saftproduzenten arbeitet und so viele Waren mit nach Hause nehmen darf, wie er möchte. Gabriels Mutter limitierte den Konsum ihres Sohnes auf ein Glas Saft pro Tag, doch er gestand, dass er täglich drei Gläser trinkt. Wir rieten den Eltern, den Saft aus dem Haus zu verbannen. Innerhalb eines Jahres verlor der Vater 9 Kilogramm und sein Diabetes besserte sich, während Gabriel nicht weiter zunahm und sein Blutdruck sich wieder normalisierte.

Die Fruktoseepidemie Können sowohl die fettarme als auch die kohlenhydratarme Ernährungsweise richtig sein? Oder beide falsch? Wo sind die Gemeinsamkeiten zwischen der Atkins-Diät (Eiweiß und Fett), der Ornish-Diät (Gemüse und Vollkorn) und der traditionellen japanischen Ernährung (Kohlenhydrate und Eiweiß)? Auf den ersten Blick scheinen sie einander zu widersprechen. Doch sie alle stimmen in einer Hinsicht überein: Sie reduzieren den Zu-

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cker. Jede erfolgreiche Diät der Geschichte hat den Zuckerverzehr eingeschränkt. Zucker ist ausnahmslos der erfolgreichste Lebensmittelzusatz, den wir Menschen kennen. Wenn die Nahrungsmittelindustrie ihn zusetzt, damit ein Produkt besser schmeckt, kaufen wir mehr davon. Und da er preiswert ist, enthält heute praktisch jedes industriell verarbeitete Lebensmittel der Welt irgendeine Art von Zucker. Zucker – insbesondere Fruktose – ist der Bösewicht dieser Geschichte. Ernährungswissenschaftler ordnen Zucker ebenso wie Kalorien aus Stärke als »leere Kalorien« ein. Doch Zucker hat eine besondere Sprengkraft. Zucker (Saccharose) besteht zur Hälfte aus Glukose und zur anderen Hälfte aus Fruktose. Die Fruktose sorgt für die Süße – und letztendlich ist sie das Molekül, das wir suchen. Obwohl es also den Anschein hat, als wäre Zucker ein Kohlenhydrat, ist es in Wirklichkeit sowohl ein Fett (denn so wird Fruktose in der Leber verstoffwechselt) als auch ein Kohlenhydrat (denn so wird Glukose verstoffwechselt). Beide Stoffwechselwege sind gefordert – deshalb ist Zucker das eigentliche Dilemma der Allesfresser. Wenn Sie Hunger und keine Energie mehr haben, kann der Verzehr von Zucker die Glykogenspeicher Ihrer Leber schneller auffüllen, und das kann gut sein. American-Football-Spieler können nach drei Stunden auf dem Spielfeld also so viele isotonische Getränke zu sich nehmen, wie sie wollen. Doch die allermeisten Menschen leiden keinen Hunger und haben auch keinen Energiemangel. (Es gibt heute 30  Prozent mehr fettleibige als unterernährte Menschen auf unserem Planeten.) Unser Körper hat sich an unsere aktuelle Zuckerflut nicht angepasst und tötet uns … langsam. Insgesamt nehmen US-Amerikaner heute 185 Gramm Zucker pro Tag zu sich – das macht 59  Kilo pro Jahr. Unser aktueller Fruktosekonsum hat sich in den letzten 100  Jahren verfünffacht und innerhalb der vergangenen 30 Jahre verdoppelt.1 Eine neue Untersuchung der US-amerikanischen Zentren für Krankheitskontrolle und Prävention (Centers for Disease Control and Prevention, CDC) schätzt, dass 50 Prozent der Amerikaner täglich eine Dose gezuckerte Limonade trinken, und 5 Prozent der Amerikaner sogar vier oder mehr.2 Mit anderen Worten: Wir essen nicht nur mehr Zucker – sondern wir haben auch den prozentualen Anteil erhöht, den Zucker an unserer täglichen Kalorienzufuhr hat. Die un-

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ausweichliche Realität ist, dass 20 bis 25  Prozent aller aufgenommenen Kalorien aus einer Form von Zucker stammen – das sind 22 Teelöffel pro Tag.3 Einige Jugendliche beziehen sogar 40 Prozent ihrer Kalorien aus Zucker. Das kann nicht gut sein. Okay, Amerika ist also in Süßem getränkt und mit Zuckerguss überzogen. Doch ist das in anderen Ländern auch der Fall? Nun, der weltweite Zuckerkonsum hat sich in den letzten 50 Jahren verdreifacht, während die Bevölkerung sich nur verdoppelt hat. Das bedeutet, dass unser Zuckerverzehr pro Kopf um 50 Prozent zugenommen hat – im gleichen Ausmaß wie diese Pandemie. Die Obergrenze von 200  kcal pro Tag aus Zucker, welche die US-amerikanische Herzvereinigung (AHA) in ihrer wissenschaftlichen Stellungnahme zur optimalen Gesundheit der Herzkranzgefäße statuiert,4 wird in fast jedem Land auf der Erde überschritten.5 Das ist ein massiver Anstieg gegenüber der Situation vor nur 30 Jahren, als die meisten Länder wenig Zucker verbrauchten. Als Sie die Überschrift dieses Kapitels gelesen haben, mag Ihre erste Reaktion gewesen sein: »Aha, ich hab’s ja gewusst! Glukosesirup ist schlecht.« Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Die Medien und Konsumentenverbände haben eine Verleumdungskampagne gestartet und verteufeln Glukosesirup (auch als Glukosesirup, Glukose-FruktoseSirup oder Fruktose-Glukose-Sirup bezeichnet) aufgrund seiner synthetischen Herkunft und der vermuteten Auswirkungen auf die Adipositas­ epidemie. Infolgedessen ist dessen Konsum seit 2007 rückläufig. Doch unsere Adipositasquote bleibt unverändert. In den Vereinigten Staaten und in Kanada ist Glukosesirup allgegenwärtig, doch in der Europä­ ischen Union und in Japan wird er seltener verwendet. Der Rest der Welt verwendet Saccharose. Australien und alle Pazifikanrainer beispielsweise nutzen nur Saccharose, weisen aber in Relation kaum weniger Fälle von Adipositas und metabolischem Syndrom auf. Wissenschaftliche Studien über akute Sättigung versus Energiezufuhr und über Stoffwechselveränderungen stützen die Annahme, dass Glukosesirup sich technisch nicht von Saccharose unterscheidet – auch wenn Glukosesirup zu einem höheren Fruktosespiegel im Blut führt, der negative Auswirkungen auf den Stoffwechsel haben könnte.6 Das hat zu einer lautstarken Kampagne der Mais-Raffinerie-Vereinigung geführt, die in ihrer Werbung nun

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argumentiert, dass es sich bei Glukosesirup um ein natürliches Produkt und ein gutes Süßungsmittel handle. Aus biochemischer Sicht ähnelt Glukosesirup der »natürlichen« Saccharose (die aus Glukose und Fruktose besteht); er durchläuft allerdings einen enzymatischen Prozess, sodass ungefähr die Hälfte der Glukose zu Fruktose wird, damit er süßer schmeckt. Die Frage ist nicht, ob Glukosesirup schlechter oder besser ist als Zucker; die Frage ist, ob Zucker (in irgendeiner seiner Varianten) giftig ist! Gesundheitsbewusste Menschen ziehen Saft möglicherweise Limonade vor. Wer es sich leisten kann, wird einen stark zuckerhaltigen Soft Drink zugunsten eines reinen Fruchtsaftes stehen lassen, zumal wenn dieser aus Bioproduktion stammt. Die Saftproduzenten werben mit gesundheitlichen Vorzügen und behaupten, dass die Säfte wirklich gut für Sie sind, da sie keinen Zuckerzusatz enthalten. Falsch. Die Frucht selbst ist gut für Sie, da sie auch Ballaststoffe enthält (siehe Kapitel 12). In der Tat ist reiner Orangensaft Kalorie für Kalorie schlechter für Sie als Limo, da 30 Milliliter Orangensaft 1,8 Gramm Fruktose enthalten, während es dieselbe Menge Limo auf 1,7 Gramm bringt. Alle kalorienhaltigen Süßungsmittel enthalten Fruktose: weißer Zucker, Rohrzucker, Zuckerrübensirup, Fruchtzucker, brauner Zucker und der preiswertere Verwandte Glukosesirup. Hinzu kommen Honig, Ahornsirup und Agavendicksaft. Es ist alles dasselbe. Die Gestalt ist egal – es kommt auf den Inhalt an. Fazit: Der Zuckerkonsum ist ein Problem. 33  Prozent des Zuckerkonsums entfallen auf Getränke, und der größte Missbrauch geschieht bei den Armen und Unterprivilegierten.

Alle Kohlenhydrate sind gleich – oder? Kohlenhydrate sind unterschiedlich aufgebaut. Ebenso wie es verschiedene Formen von Fett gibt (siehe Kapitel 10), existieren auch bei den Kohlenhydraten Abstufungen im Hinblick auf Ihren Stoffwechsel.7 Um das zu zeigen, schildere ich Ihnen nachfolgend die Verstoffwechselung von drei verschiedenen Kohlenhydraten mit demselben Kaloriengehalt (120 kcal): Glukose, Ethanol (Alkohol) und Fruktose.

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Glukose

Obwohl sie zum Überleben absolut unerlässlich ist (siehe Kapitel 10), ist die in der Nahrung vorkommende Glukose nicht perfekt. Wenn sie in der Natur »pur« (nicht in Kombination mit Fruktose) vorkommt, wird sie als »Stärke »bezeichnet – Stärke besteht nur aus Glukosemolekülen. Sie liefert wirklich »leere Kalorien« – Energie zum Speichern oder Verbrennen. Die Anhänger der Atkins-Diät, der Paläo- und der kalorienreduzierten Ernährung werden Ihnen alle erzählen, dass das Glukosemolekül aus Stoffwechselsicht einige Nachteile hat, die alle im Laufe der Zeit Schaden anrichten und die Beschränkung des Konsums erforderlich machen. Um das zu demonstrieren, essen wir 120 kcal aus Glukose beziehungsweise Stärke (z. B. eine halbe Tasse gekochten weißen Reis). 20 Prozent (also 24 kcal) gelangen in die Leber, während der Rest von anderen Organen des Körpers verstoffwechselt wird. Es passiert Folgendes: ƒƒ Die Verstoffwechselung von Glukose ist insulinabhängig. Der Verzehr von Glukose lässt den Glukosespiegel im Blut ansteigen und regt die Insulinausschüttung an. Dadurch wird die Energieeinlagerung in Fettzellen gefördert, was zu einer Gewichtszunahme führt. ƒƒ Der allergrößte Teil der Glukose in der Leber wird in Glykogen (Leberstärke) umgewandelt, das der Leberzelle nicht schadet. Auch hält das die Leber davon ab, Glukose in den Blutkreislauf abzugeben, sodass Diabetes vorgebeugt wird. ƒƒ Eine kleine Menge der Glukose wird von Lebermitochondrien in Energie umgewandelt. ƒƒ Etwaige überschüssige Glukose in der Leber, die weder zu Glykogen umgewandelt noch in den Mitochondrien zu Energie verstoffwechselt wird, wird stattdessen zu Triglyzeriden umgebaut. Ein hoher Triglyzeridspiegel im Blut kann die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen unterstützen.

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ƒƒ Glukose kann sich in der Zelle an Proteine binden, was zwei Probleme verursacht: ƒƒ Wenn Glukose sich an Proteine überall im Körper bindet, werden diese Proteine weniger flexibel. Das trägt zum Alterungsprozess bei und verursacht Funktionsstörungen der Organe. ƒƒ Immer wenn ein Glukosemolekül sich an ein Protein bindet, setzt es reaktive Sauerstoffspezies (Reactive Oxygen Species, ROS, siehe Kapitel 9) frei. Das kann zu Gewebeschäden führen, wenn diese nicht sofort von einem Antioxidans im Peroxisom unschädlich gemacht werden (siehe Kapitel 14). Wie bei allem gilt auch hier: Ein Übermaß an Glukose kann Ihnen schaden – insbesondere wenn die Ballaststoffe fehlen, welche die Insulinausschüttung bremsen (siehe Kapitel  12). Allerdings müssten Sie über eine lange Zeit hinweg eine ganze Menge Glukose zu sich nehmen, damit sie diese schädlichen Auswirkungen hat. Im Allgemeinen führen große Mengen Glukose (Stärke wie in Nudeln, Weißbrot, Reis usw.) zu einer Gewichtszunahme, machen Sie aber nicht krank. Wenn Sie jedoch im Laufe der Zeit durch Glukose zu viele Pfunde zulegen, wird das auf diese Weise entstehende Bauchfett seinen Tribut fordern und sich negativ auf Ihre Gesundheit auswirken (siehe Kapitel 8). Doch wenn Sie dieselbe Kalorienmenge aus Ethanol oder Fruktose zu sich nehmen, versetzen Sie Ihrer Leber einen deutlich schwereren Hieb (eher wie eine Handgranate) – und das macht sich wesentlich schneller bemerkbar.

Ethanol (Alkohol)

Ethanol kommt in der Natur vor, es ist ein Nebenprodukt der Verstoffwechselung von Kohlenhydraten, Fermentierung genannt. Nach der Aufnahme von 120  kcal aus Ethanol (z. B. 44  Milliliter eines Alkohols mit 80  Volumenprozent) werden 10  Prozent in Magen und Darm verstoffwechselt (12 kcal) – das ist der sogenannte First-Pass-Effekt; weitere 10 Prozent wer-

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den im Gehirn und in anderen Organen umgewandelt. Die Metabolisierung im Gehirn führt zur berauschenden Wirkung des Alkohols. Ungefähr 96 kcal erreichen die Leber – viermal mehr als bei der Glukose. Und das ist wichtig, denn die schädlichen Effekte sind von der Dosis abhängig. ƒƒ Nachdem Ethanol in großen Mengen in die Leber gelangt ist, kann es die Bildung von ROS fördern und damit die Zellen schädigen. ƒƒ Im Gegensatz zur Glukose, die zu Glykogen verstoffwechselt wird, gelangt Ethanol direkt in die Mitochondrien. ƒƒ Ein etwaiger Überschuss wird durch einen Vorgang, der als Fettsäuresynthese (Lipogenese) bezeichnet wird, in Fett verwandelt. Die Fettbildung kann zu einer Leber-Insulinresistenz und zu Entzündungen führen. ƒƒ Mit der Zeit kann sich daraus ein Alkohollebersyndrom entwickeln. Dies führt mit Sicherheit allmählich zum Tod (oder bestenfalls zu einer Lebertransplantation). ƒƒ Alternativ kann das Fett auch die Leber verlassen und sich in Skelettmuskeln absetzen, wo es ebenfalls Insulinresistenz und Herzerkrankungen auslösen kann. ƒƒ Schließlich verstärkt Ethanol auch noch den Alkoholkonsum, indem es auf das Belohnungssystem des Gehirns einwirkt. Wenn dieses außer Kontrolle gerät (Kapitel 5), kommt es zur Sucht. Bei derselben Kalorienmenge ist die Wahrscheinlichkeit bei Ethanol größer als bei Glukose, chronische Krankheiten zu verursachen.

Fruktose

Fruktose kommt in der Natur niemals isoliert vor. Sie tritt immer in Kombination mit ihrem harmloseren Schwestermolekül Glukose auf. Beide haben dieselbe chemische Zusammensetzung (C6H12O6), sind aber den-

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noch sehr unterschiedlich. Fruktose hat viel schlimmere Auswirkungen. Beginnen wir mit der Maillard-Reaktion, einer nichtenzymatischen Bräunungsreaktion. Das ist derselbe Vorgang, der das Hämoglobin in Ihren ­roten Blutkörperchen in Hämoglobin A1c (HbA1c) verwandelt – also der Labortest, den Ärzte durchführen, um festzustellen, wie sehr der Blutzuckerspiegel eines Diabetikers im Laufe der Zeit gestiegen ist. Das Endprodukt ist braun. Das ist der Grund dafür, dass Bananen mit der Zeit braun werden und der marinierte Schweinebraten braun wird, wenn er Hitze ausgesetzt wird. Sie können Ihr Fleisch also bei 190 °C eine Stunde braten oder bei 37 °C 75 Jahre: Das Ergebnis ist dasselbe. Fruktose lässt die MaillardReaktion siebenmal schneller ablaufen als Glukose.8 Dieser scheinbar kleine Unterschied kann dazu führen, dass jede Zelle des Körpers schneller altert, sodass verschiedene degenerative Veränderungen wie körperlicher Abbau, Krebs und geistiger Verfall beschleunigt werden. Es gibt inzwischen Dutzende Studien, die Fruktose als Hauptfaktor bei der Entstehung des metabolischen Syndroms betrachten. Tatsächlich wird sie sehr ähnlich wie Ethanol verstoffwechselt. Nehmen wir also 120 kcal aus Saccharose zu uns (60 kcal aus Glukose und 60 aus Fruktose) – zum Beispiel ein Glas mit 230 Millilitern Orangensaft. (Wie bereits erwähnt: Saft ist genauso schlecht wie Limo, wenn nicht noch schlechter.) Bei den 60 kcal aus Glukose kommt es zur bekannten 20-80-Aufteilung, sodass 12 Glukosekalorien in die Leber gelangen. Doch im Gegensatz zur Glukose, die von allen Organen verstoffwechselt werden kann, findet die Fruktosemetabolisierung hauptsächlich in der Leber statt (obwohl die Niere in seltenen Fällen auch die Fähigkeit hat, ein paar Kalorien zu verstoffwechseln). Mehr oder weniger die gesamten 60 Fruktosekalorien enden in der Leber. Also erhält die Leber insgesamt eine 72-Kalorien-Dosis, dreimal so viel wie bei reiner Glukose. Die besondere Verstoffwechselung der Fruktose kann jedes Phänomen hervorrufen, das mit dem metabolischen Syndrom einhergeht: ƒƒ Die dreifache Dosis bedeutet, dass die Leber im Vergleich zur reinen Glukosemenge die dreifache Energie benötigt, um diese Kombination umzuwandeln. Dabei wird der Leberzelle Adenosintriphosphat (ATP, der universelle Energieträger der Zelle) entzogen. Dieser ATP-

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Abbau führt zur Entstehung des Abfallprodukts Harnsäure, welche Gicht verursacht und den Blutdruck ansteigen lässt. ƒƒ Fruktose wird nicht zu Glykogen umgewandelt, sondern gelangt direkt in die Mitochondrien. Es wird ein Übermaß an Acetyl-CoA gebildet, sodass die Metabolisierungsfähigkeit der Mitochondrien überschritten wird. ƒƒ Das überschüssige Acetyl-CoA verlässt die Mitochondrien und wird in Fett umgewandelt,9 das Herzkrankheiten begünstigt (siehe Kapitel 9). ƒƒ Fruktose aktiviert ein Leberenzym, welches das Bindeglied zwischen Leberstoffwechsel und Entzündungsreaktion darstellt. Es macht einen entscheidenden Botenstoff der Insulinreaktion unwirksam und führt so zu einer Insulinresistenz der Leber. ƒƒ Die fehlende Insulinwirkung in der Leber bedeutet, dass es keine Methode gibt, den Glukosespiegel zu senken. Also steigt der Blutzuckerwert an, was schließlich zu Diabetes führen kann. ƒƒ Die Insulinresistenz der Leber bedeutet, dass die Bauchspeicheldrüse zusätzliches Insulin ausschütten muss, wodurch mehr Energie in die Fettzellen gelangen kann – und das löst wiederum Adipositas aus (siehe Kapitel 4). Die Fettzellen, die am stärksten aufgefüllt werden, befinden sich im Bauchfett, sind also die schlechten: diejenigen, die mit Stoffwechselkrankheiten in Zusammenhang stehen. ƒƒ Der hohe Insulinspiegel kann auch das Wachstum bestimmter Krebsgeschwüre befördern.10 ƒƒ Außerdem blockiert der hohe Insulinwert die Leptin-Signalübertragung (siehe die Kapitel 4 und 5) und signalisiert dem Hypothalamus fälschlicherweise »Hunger«. Deshalb essen Sie mehr. ƒƒ Fruktose kann auch zu einem Zusammenbruch der natürlichen Darmbarriere beitragen. Normalerweise hindert der Darm Bakterien dar-

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an, in den Blutkreislauf zu gelangen. Die Schädigung des Darms kann dazu führen, dass die Darmwände undicht werden. Daraus kann sich eine krankhaft durchlässige Darmwand (Leaky-Gut-Syndrom) entwickeln,11 was wiederum anfälliger für Entzündungen machen und die ROS-Produktion verstärken kann. Das verschlimmert die Insulinresistenz und treibt den Insulinspiegel noch weiter in die Höhe.12 ƒƒ Fruktose durchläuft die Maillard-Reaktion siebenmal schneller als Glukose, wodurch es zu einer direkten Schädigung der Zellen kommen kann. Obwohl die Experimente noch nicht weit fortgeschritten sind, lassen erste Ergebnisse vermuten, dass Fruktose in einer entsprechenden Umgebung die Alterung und die Entwicklung von Krebs beschleunigen kann. ƒƒ Die Daten über Fruktose und Demenz beim Menschen sind derzeit indirekt – klar ist bislang lediglich, dass beides in Wechselbeziehung zueinander steht. Doch die Daten über Insulinresistenz und Demenz zeigen eine eindeutige Kausalität. In den USA sind Afroamerikaner und Latinos die größten Fruktosekonsumenten und weisen den größten Taillenumfang auf (ein Hinweis auf Insulinresistenz). Zugleich haben sie auch das höchste Risiko, an Demenz zu erkranken. Fruktose versus Ethanol: Wählen Sie Ihr Gift

Studien zum Alkoholkonsum zeigen, dass eine kleine Menge Ihnen gut tut. Alkohol lässt den HDL-Spiegel (gutes Cholesterin) ansteigen, und Rotwein enthält Resveratrol, von dem angenommen wird, dass es die Insulinsensitivität und Langlebigkeit steigert (siehe Kapitel 14). Wie beim Alkohol haben auch einige Studien zur Fruktose ergeben, dass eine kleine Dosis eine positive Auswirkung auf die Insulinausschüttung hat. Die giftigen Effekte der Fruktose sind mengenabhängig, ebenso wie beim Alkohol. Bei Alkohol liegen uns empirische Beweise dafür vor, dass bei den meisten Menschen eine Maximaldosis von 50  Gramm pro Tag (etwa drei Gläser Wein) die Schwelle zur Giftigkeit darstellt.13 Wahrscheinlich gilt diese Grenze auch für Fruktose (etwa 900 Milliliter Orangensaft). Das Problem besteht darin,

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dass aktuell der durchschnittliche Fruktosekonsum bei Erwachsenen bei 51 Gramm pro Tag liegt. Das bedeutet, dass über die Hälfte der Bevölkerung die Grenze überschreitet. Wenn Sie chronische Alkoholiker mit Personen vergleichen, die riesige Mengen Zucker zu sich nehmen, wirken sie sehr unterschiedlich, zumindest auf den ersten Blick. Viele Alkoholiker sind dünn, wenn auch aufgedunsen, im Vergleich zu Menschen, die viel Zucker konsumieren. Doch denken Sie daran: Wir machen uns keine Sorgen wegen des Unterhautfettgewebes. Es geht um das Bauchfett, also das Eingeweidefett, das Ihre Organe umgibt und häufig für das bloße Auge unsichtbar bleibt – und das Sie töten wird. Sowohl Alkohol als auch Zucker vermehren Ihr Bauchfett und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass sich Krankheiten entwickeln. Der Unterschied zwischen der alkoholischen Fettleber und der nichtalkoholischen Fettleber liegt lediglich in der Bezeichnung – die Auswirkungen auf Ihren Körper sind dieselben. Natürlich besteht der Hauptunterschied zwischen Alkohol und Zucker in der giftigen Wirkung des Alkohols; das Gehirn verstoffwechselt keine Fruktose. Man bestraft niemanden, weil er unter Zuckereinfluss Auto fährt. Doch die Fruktosemetabolisierung in der Leber ähnelt der Verstoffwechselung von Ethanol in bemerkenswerter Weise. Fruktose ist nicht der einzige Grund für Adipositas, doch die Hauptursache für chronische Stoffwechselkrankheiten, die Sie mit der Zeit umbringen. Fruktose kann Ihre Leber braten und dieselben Erkrankungen auslösen wie Alkohol. Wir wissen, dass wir unseren Ethanolkonsum einschränken müssen, wenn wir nicht unter den Folgen leiden wollen. Doch dem Zucker schenken wir keine Aufmerksamkeit. Es ist kein Wunder, dass in Saudi-Arabien und Malaysia Typ-2-Diabetes am häufigsten vorkommt: Dort wird zwar kein Alkohol getrunken, aber zuckerhaltige Soft Drinks in Massen.

Zucker und die globale Diabetespandemie Dem Internationalen Diabetesverband (International Diabetes Federation, IDF) zufolge gibt es aktuell 366 Millionen Opfer der globalen Diabetespandemie. Das entspricht einer Verbreitungsrate von 5,5 Prozent der Weltbevölkerung. Dies sprengt weltweit das Gesundheitswesen (siehe Kapitel 1).

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Es wäre einfach, der Fastfoodindustrie die Schuld zuzuschieben, die nach wie vor überall auf der Erde Filialen eröffnet; doch in vielen Ländern, in denen die Bevölkerung nicht zügellos bei McDonald’s schlemmt, ist ebenfalls ein Anstieg der Adipositas- und Diabetesfälle zu verzeichnen. Was hat sich bei der Nahrung weltweit verändert? Sanjay Basu, mein früherer Kollege an der University of California in San Francisco, versuchte, eine Antwort auf diese Frage zu finden, indem er die Daten der weltweiten Nahrungsversorgung analysierte. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization, FAO) beobachtet das Lebensmittelangebot auf der ganzen Erde. Sie überwacht die entsprechenden Daten und ordnet sie nach der jeweiligen Nahrungsmittelart. Wir verknüpften die Datenbasis der FAO mit den Verbreitungszahlen des IDF und den Angaben der Weltbank zum Bruttonationaleinkommen (um den Zusammenhang mit Armut prüfen zu können). Für 154 Länder auf der ganzen Welt erstellten wir von 2000 bis 2010 eine epidemiologische Analyse. Wir stellten zwei Fragen: Steht die gestiegene Kalorienzufuhr pro Kopf in einem Zusammenhang mit dem Anstieg der Diabeteshäufigkeit? Und falls ja, gibt es irgendeinen Ernährungsaspekt, der diesen Zusammenhang erklären kann? Im untersuchten Zeitraum stieg die Diabeteshäufigkeit weltweit von 5,5 Prozent auf 7 Prozent an. Überraschenderweise gab es keine Korrelation zwischen der Gesamtkalorienmenge und der weltweiten Diabetesprävalenz. Allerdings war der Zusammenhang zwischen dem prozentualen Kalorienanteil aus Zucker und zuckerhaltigen Pflanzen überwältigend. Für jeweils 100 kcal aus Zucker stieg die Diabeteshäufigkeit um 0,9 Prozentpunkte an, selbst nach einer Adipositasbereinigung in jedem Land. Das Ausmaß der Verfügbarkeit von Zucker erklärt mehr als ein Viertel des weltweiten Anstiegs der Diabeteshäufigkeit im vergangenen Jahrzehnt, selbst nach einer Alters- und Adipositasbereinigung der Bevölkerung. Und in jenen wenigen Ländern, in denen der Konsum zurückging, sank auch die Diabeteshäufigkeit um 0,18 Prozentpunkte. Das ist keine Korrelation, das ist eine Kausalität. Falls Sie noch einen Restzweifel hinsichtlich des Satzes »Nicht alle Kalorien sind gleich« gehabt haben, sollte diese Analyse ihn ausgeräumt haben. Jeweils 150 zusätzliche Gesamtkalorien pro Person und Tag ließen die Diabeteshäufigkeit um 0,12 Prozentpunkte ansteigen. Wenn diese 150 kcal aus

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einer Dose Limo stammten, stieg die Diabetesprävalenz siebenmal so stark, und zwar um 0,87 Prozentpunkte. Zucker ist gefährlicher als seine Kalorien. Zucker ist ein Giftstoff. Schlicht und einfach. Bei dieser Art von Analysen gibt es klare Grenzen. 1.  Die Nahrungsmittelversorgung ist nicht automatisch mit dem Verzehr gleichzusetzen. Aber in den meisten Teilen der Welt sind beide eng miteinander verbunden. Doch allein in den Vereinigten Staaten werfen wir eine beträchtliche Menge an Lebensmitteln weg (bis zu 30 Prozent dessen, was wir produzieren). In Deutschland werden jährlich etwa 18,4 Millionen Tonnen Nahrung weggeworfen. 2. Bevölkerungen sind vielfältig hinsichtlich ihres sozioökonomischen Status, aber auch hinsichtlich ihrer Anfälligkeit für Krankheiten und ihrer Nahrungsmittelvorlieben. Was man über eine Gesamtbevölkerung feststellt, lässt sich deshalb möglicherweise nicht unmittelbar auf einzelne Personen übertragen. 3.  Die Diabeteshäufigkeit zu schätzen, ist immer schwierig. In verschiedenen Ländern gibt es unterschiedliche Diagnosekriterien, bei vielen Menschen bleibt die Krankheit unerkannt, und der IDF fasst Menschen mit Diabetes von Typ  1 und Typ  2 zusammen. Dennoch ist die Eindeutigkeit des Effekts unbestreitbar. Die globale Ernährung mit industriell verarbeiteten Lebensmitteln, die voller Zucker stecken, wirkt sich eindeutig negativ auf die Stoffwechselgesundheit ganzer Länder aus. Unabhängig von Adipositas.

Das süßeste Tabu: Fruktose, Belohnung und Abhängigkeit Nun denken Sie vermutlich: Diabetes, Leberfunktionsstörungen, Krebs, Demenz und Alterung – es könnte wohl kaum schlimmer kommen, oder? Oh doch, es kann. Fruktose lässt nicht nur Ihre Leber verfetten und Ihre Proteine braun werden, sie signalisiert Ihrem Gehirn auch, dass Sie mehr davon brauchen … immer mehr. Erinnern Sie sich an den Hungermechanismus (siehe Kapitel 4) und das Belohnungssystem (siehe Kapitel 5)? Ähnlich wie beim Alkoholismus regt die Fruktose zu einem übermäßigen und fortgesetzten Konsum an, indem sie Ihr Gehirn täuscht und ihm vorgaukelt, mehr zu benötigen. Für Gabriel war ein Glas Orangensaft einfach nicht genug.

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Fruktose steuert den Belohnungsmechanismus und die Nahrungsaufnahme

Erinnern Sie sich an das, was Sie über Leptin erfahren haben. Wird die Leptin-Signalübertragung blockiert, geht der Hypothalamus von Hunger aus (Kapitel  4) und das durch den Nucleus accumbens (NA) vermittelte Belohnungsgefühl fehlt (Kapitel 5). Diese beiden steuern somit die langfristige Nahrungsaufnahme. Alles, was die Hunger- und Sättigungssignale von Mahlzeit zu Mahlzeit verändert, steuert auch die kurzfristige Nahrungszufuhr. Wenn Sie sich nicht satt fühlen, essen Sie mehr. Hier setzt die Fruktose an. ƒƒ Der Fruktoseverzehr regt keine Insulinausschüttung an, sodass der Leptinspiegel nicht ansteigt und man weiter isst (oder Limo trinkt, je nachdem). ƒƒ Ein langfristiger Fruktosekonsum führt zu einer Insulinresistenz der Leber und verursacht chronischen Hyperinsulinismus (extrem hohe Insulinwerte im Blut). Das stört die Leptin-Signalübertragung und regt zur weiteren Nahrungsaufnahme an, da die Dopaminausschüttung aus dem NA verhindert wird (siehe Kapitel 5). ƒƒ Ghrelin, ein von den Zellen im Magen gebildetes Peptid, gibt das Hungersignal. Beim Menschen steigt der Ghrelinspiegel bei einer Zunahme des subjektiven Hungergefühls an und erreicht seinen Höhepunkt, wenn Nahrung winkt (deshalb grummelt Ihr Magen mittags); nach der Mahlzeit sinkt der Spiegel wieder ab. Doch der Verzehr von Fruktose lässt den Ghrelinspiegel nicht sinken; deshalb wird die Kalorienzufuhr nicht unterdrückt. Und ein großer Schluck Fruktose verringert auch nicht das Volumen fester Nahrung, das benötigt wird, damit ein Sättigungsgefühl eintritt. Infolgedessen vergrößert sich die Gesamtkalorienmenge, die während der Mahlzeit aufgenommen wird.

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Darwin neu interpretiert Warum sind wir vom Zucker überhaupt so begeistert? Weshalb sorgt Zucker dafür, dass wir mehr von ihm haben wollen? Was ist sein Selektionsvorteil? In Kapitel  4 haben wir gesehen, dass Insulin die Leptin-Signalübertragung blockiert und damit die Leptinresistenz fördert, um während Pubertät und Schwangerschaft eine Gewichtszunahme zu ermöglichen. In Kapitel  5 wurde erläutert, dass Zucker Dopamin und Opiate im Gehirn anregt, um uns mitzuteilen, welche Nahrungsmittel »sicher« sind. Doch warum sollte Zucker Insulinresistenz und Hyperinsulinismus auslösen? Der natürlicherweise in Früchten vorkommende Zucker macht Obst lecker. Doch für unsere Vorfahren war Obst nur einen Monat pro Jahr leicht verfügbar: während der Erntesaison. Dann folgten vier Monate Winter, die überhaupt keine Nahrung bereithielten. Wir mussten Energie speichern, um uns mit einer Fettschicht auf die Hungermonate vorzubereiten. Mit anderen Worten: In den Mengen, die für unsere Ahnen verfügbar waren, war Zucker aus evolutionärer Sicht sinnvoll anwendbar. Tatsächlich sind Obstexzesse bei Orang-Utans in Indonesien verantwortlich für ihre veränderte Energiezufuhr und das geänderte Gewicht. Im Rahmen ihrer normalen Ernährung nehmen sie 21 Prozent ihrer Kalorien aus Früchten zu sich – doch wenn Früchte während eines »Gelages« in Hülle und Fülle verfügbar sind, steigt diese Zahl auf 100 Prozent. Das führt zu einem hohen Insulinspiegel, der die Energiespeicherung und zyklisch auftretende Adipositas fördert.14 Doch angesichts des heutigen Überangebots von Zucker, dem die Ballaststoffe fehlen und der in großen Mengen rund um die Uhr und das ganze Jahr über verfügbar ist, ist unser Körpergewicht nicht mehr zyklischen Schwankungen unterworfen; dieser Vorgang ist inzwischen nicht mehr sinnvoll anwendbar. Sehen Sie’s ein: Das kann nicht gut gehen. Zucker ist zwar der größte Verursacher unserer aktuellen Gesundheitskrise, doch keineswegs der einzige Übeltäter. Es gibt »Gegenmittel« für den Fruktoseeffekt, doch sie existieren in unserem Umfeld nicht mehr. Der Rest des vierten Teils dieses Buches wird offenbaren, was in unserer Umwelt darüber hinaus auch noch »toxisch« wirkt.

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Sujatha ist ein 13-jähriges Indianermädchen, bei dem gerade ein Typ-2-Diabetes diagnostiziert worden ist. Bei einer Größe von 1,62 Meter wiegt sie 77 Kilogramm. Ihrem BMI zufolge ist sie eigentlich fettleibig, doch so sieht sie nicht aus. Ihre Mutter arbeitet als Krankenschwester in der örtlichen Klinik und hat ebenfalls einen Typ-2-Diabetes. Sie sagte mir: »Ich verstehe nicht, wie das passieren kann. Wir sind Indianer und ernähren uns zu Hause vegan.« Doch die Familie isst viele »weiße Lebensmittel« wie Fladenbrot, Reis, Kartoffeln und industriell verarbeitete Stärke. Auf ihrem Speiseplan stehen so gut wie keine »braunen Lebensmittel« wie Linsen, Kichererbsen und Vollkornprodukte. Wie viele Jugendliche weigert auch Sujatha sich, Gemüse zu essen. Als Getränke nimmt sie Limo und Saft zu sich, praktisch kein Wasser. Der Ballaststoffgehalt ihrer Ernährung geht gegen null.

Der verdeckte Nährstoff Ballaststoffe sind die am stärksten missverstandene Waffe in unserem Ernährungsarsenal. Der allgemeinen Überzeugung zufolge, die auch von zahllosen Fernsehwerbespots für Senioren verbreitet wird, sind Ballaststoffe wichtig für den Darm, sonst nichts. Ballaststoffe sorgen für eine regelmäßige Verdauung (als wenn Verstopfung »unregelmäßig« wäre).

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Diese Werbung suggeriert, dass Sie beginnen sollten, Ballaststoffe zu sich zu nehmen, um Ihre »goldenen Jahre« etwas reibungsloser zu gestalten. Inzwischen haben Gastroenterologen uns den Wert der Ballaststoffe bei der Vermeidung von Darmkrebs und Divertikulitis klargemacht. Stimmt alles – aber Ballaststoffe können noch viel mehr. Wie Sie sehen werden, sind Ballaststoffe das »halbe Mittel« gegen die Adipositaspandemie. Doch wie kann etwas, das wir noch nicht einmal aufnehmen, so verdammt wertvoll sein? Im Gegensatz zu anderer Nahrung, mit der wir uns bereits auseinandergesetzt haben – Fett, Eiweiße und Kohlenhydrate –, werden Ballaststoffe weder verdaut noch vom Körper aufgenommen. Sie wandern durch Ihren Magen, den Dünn- und Dickdarm hindurch und werden dabei nur minimal verändert. Das US-amerikanische Landwirtschaftsministerium stuft Ballaststoffe nicht als essenziellen Nährstoff ein; tatsächlich betrachten die meisten Menschen sie als Abfallprodukte der Nahrung und als Zeitverschwendung. Trotzdem beträgt die empfohlene Tagesdosis insgesamt 14 Gramm pro 1.000 kcal beziehungsweise im Grunde 25 Gramm pro Tag.1 Paläobiologen haben DNA-Analysen an 3.000 bis 10.000 Jahre alten Stuhlproben vorgenommen, die in Höhlen in Texas gefunden worden waren. Auf der Grundlage der bakteriellen Zusammensetzung konnten sie ermitteln, was unsere Vorfahren aßen. Sie schätzen, dass diese Höhlenbewohner ungefähr 100 Gramm Ballaststoffe pro Tag verzehrten,2 während unser durchschnittlicher Ballaststoffkonsum aktuell bei 12  Gramm liegt. Spielt das eine Rolle? Warum sollten wir uns um Ballaststoffe kümmern? Weshalb werden bei der Verarbeitung eines Lebensmittels die Ballaststoffe entfernt? Was könnte ein Ballaststoffmangel auslösen – von unseren heutigen Verdauungsproblemen abgesehen? Oder sind sie nur dazu da, unseren Stoffwechsel zu regulieren?

Definitionen Ballaststoffe kommen in Obst, Gemüse, Vollkorngetreide und Hülsenfrüchten vor. Sie sind ein Teil der Pflanze, den der menschliche Darm nicht verdauen kann. Also können Ballaststoffe nicht zur Energiegewin-

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nung genutzt werden. Deshalb haben sie einen Zielort: die Toilette. Es gibt zwei Arten von Ballaststoffen: wasserlösliche und wasserunlösliche (siehe Tabelle  12.1). Dieser Unterschied bestimmt über die jeweiligen Auswirkungen auf unseren Körper, die Gesundheit und den Stuhl. Wasserlösliche Ballaststoffe verlangsamen die Verdauung sowie die Energieaufnahme. Sie werden durch Bakterien in Ihrem Dickdarm fermentiert, wobei unter anderem Gase entstehen (also gesellschaftlich unerwünschte Absonderungen, von Jungen im Zeltlager einmal abgesehen). Das ist ein Grund dafür, dass uns die Entfernung der Ballaststoffe aus unserer Nahrung nicht gestört hat. Wasserlösliche Ballaststoffe bestehen aus Ketten von Glukosemolekülen wie Pektinen (die in Obst vorkommen und beim Kochen von Marmelade wichtig sind). Diese nehmen Wasser auf und werden dadurch gallertartig und zähflüssig. Unlösliche Ballaststoffe bestehen aus Polysacchariden (Nicht-Glukose-Kohlenhydraten); dazu zählt die Zellulose – das holzige Zeug im Sellerie. Sie werden überhaupt nicht verdaut. Da sie sich nicht in Wasser lösen, haben sie eine abführende Wirkung und beschleunigen den Abtransport der Nahrung und Abfallprodukte aus Ihrem Darm. Tabelle 12.1: Ballaststoffquellen Wasserlösliche Ballaststoffe (nehmen Wasser auf)

Wasserunlösliche Ballaststoffe (nehmen kein Wasser auf)

Haferflocken, Hafer, Linsen, Äpfel, Orangen, Birnen, Haferkleie, Erdbeeren, Nüsse, Leinsamen, Bohnen, getrocknete Erbsen, Heidelbeeren, Flohsamen, Salatgurken, Karotten

Weizenvollkorn, Vollkorn, Weizenkleie, Maiskleie, Samen, Nüsse, Gerste, Couscous, Vollkornreis, Bulgur, Zucchini, Sellerie, Brokkoli, Kohl, Zwiebeln, Tomaten, Karotten, Salatgurken, grüne Bohnen, dunkles Blattgemüse, Obst, Schale von Wurzelgemüse

Aus Stoffwechselsicht ist die Kombination dieser beiden einfach unschlagbar.3 Die wasserunlöslichen Ballaststoffe bilden eine Art Gitter, auf dem die wasserlöslichen Ballaststoffe hängenbleiben und so die Lücken im Gitter verschließen. Das können Sie sich ein wenig wie die Haare im Siebeinsatz über dem Duschabfluss vorstellen: Ohne Sieb würden die Haare schnell

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weggespült werden; doch wenn das Sieb die Haare auffängt, haben Sie bald einen verstopften Abfluss. Bei den Ballaststoffen ist es hingegen gut, den Übergang vom Darm in den Blutkreislauf zu verlangsam: Das gibt der Leber die Chance, in Ruhe zu verstoffwechseln, was hereinkommt, denn es kommt zu keiner »Überschwemmung«. Leider fehlen den meisten Lebensmitteln, die wir heutzutage zu uns nehmen, sämtliche Ballaststoffe. Raffiniertes Mehl enthält durch den Prozess des Mahlens weder die Kleie noch den Keim. Dadurch hat es eine feinere Textur und hält sich länger, doch verschiedene Mikronährstoffe (siehe Kapitel 14) und insbesondere die Ballaststoffe sind futsch. Zum raffinierten Getreide zählen weißer Reis, weißes Mehl, Nudeln, Kartoffeln und viele Kekse, Cracker und Müslibestandteile, die Sie in Ihrer Küche haben. »Angereichertes« Getreide kann einige der entfernten Nährstoffe ersetzen. Doch wenn die Ballaststoffe erst einmal entfernt sind, kann man sie nicht wieder zurückholen.

Der Irrtum hinsichtlich der Ballaststoffe Für eine bestmögliche Funktion müssen die Ballaststoffe die Stärkegranula von allen Seiten »umhüllen« (und so eine Kugel oder einen »Kern« bilden), sodass die Verdauungsenzyme im Darm sie nur langsam abbauen können. Die Stärke (Endosperm) befindet sich innen, die Kleie ist außen. Der Kern insgesamt liefert also viele wasserunlösliche Ballaststoffe. Wird die äußere Kleie entfernt, bleibt nur die Stärke (Glukose) übrig. Wenn Sie jedoch den Kern insgesamt zu sich nehmen, wird Ihr Darm langsam die äußere Kleie abbauen, sodass der Glukosespiegel im Blut nur allmählich steigt und einen niedrigen Spitzenwert erreicht. Ist aber die Kleie durch die industrielle Verarbeitung entfernt, bekommt Ihre Leber es mit einer Welle von Glukose zu tun; es kommt zu einem schnellen Anstieg und höheren Spitzenwert des Blutzuckerspiegels. Das hat wiederum einen höheren Insulinspiegel zur Folge. Um also den maximalen Nutzen aus den Ballaststoffen zu ziehen, müssen Sie Lebensmittel aus unverändertem Vollkorn essen. Fladenbrot und weißer Reis, die einzigen Getreideformen in Sujathas Ernährung, sind keine vollwertigen Getreidesorten mehr, nachdem sie in der Mühle raffiniert

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worden sind. Doch hier liegt das Problem: Selbst »Vollkorn« bedeutet nicht immer »Vollkorn«. Dem unabhängigen US-amerikanischen Medizinischen Institut (Institute of Medicine, IOM) zufolge muss ein Lebensmittel mindestens eins der folgenden Kriterien erfüllen, um als »Vollkornprodukt« zu gelten: 1. Es muss mindestens 8 Gramm Vollkorn pro Portion enthalten. 2. Es muss den Vollkornvorgaben der US-amerikanischen Behörde für Lebens- und Arzneimittelüberwachung (FDA) entsprechen (51 Prozent des Gewichts sind Vollkorn). 3. Es muss als reines Getreideprodukt (z. B. Brot, Müsli) Vollkorn als gewichtsmäßig erste Zutat enthalten oder bei gemischten Produkten (z. B. Pizza) Vollkorn als erste Getreidezutat. (Das amerikanische Müsli »Lucky Charms – Whole Grain« ist demnach falsch benannt, da kein Vollkorngetreide darin enthalten ist.) Eine europäische Vollkorndefinition lautet: »Vollkorn soll aus den ganzen, gemahlenen, geschroteten oder flockierten Körnern bestehen, nachdem die nichtessbaren Teile wie Spelzen und Hülsen entfernt wurden. Die Hauptkomponenten des anatomischen Aufbaus – das stärkehaltige Endosperm, der Keimling und die Schale – sind im gleichen Verhältnis vorhanden wie im ganzen Korn.« In Deutschland ist der Begriff »Vollkorn« geschützt, doch auch hier sollten Sie auf die Mengenanteile achten. Viele Hersteller mischen normale Stärke unter das Vollkorngetreide – keine gute Idee, wenn Sie den Insulinspiegel niedrig halten wollen. Das IOM definiert nicht, was »Vollkorn« eigentlich bedeutet – also nicht geschrotet, nicht gequetscht, unverändert. Die IOM-Definition lässt also einiges zu wünschen übrig. Hier ist die europäische Definition präziser. Dennoch gilt, dass Lebensmittel, die an zweiter oder dritter Stelle »Vollkorn« als Zutat auflisten, auch lediglich ein Prozent davon enthalten können.

Viel Lärm um Saft Obst enthält zwar Fruktose, aber auch Ballaststoffe. Und das ist kein Zufall. Der Grund dafür, dass die Fruktose in Früchten keine größeren Gesundheitsprobleme verursacht, besteht darin, dass sie durch die darin vorkommenden Ballaststoffe (die festen Bestandteile des Obstes) ausgeglichen werden. Wenn Sie beides zusammen essen, wie es von der Natur vorgesehen ist,

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wird der Zustrom zur Leber reduziert; die Leber kann damit Schritt halten, wodurch der Großteil der schädlichen Wirkung des Zuckers abgeschwächt wird. Tatsächlich wird die in den meisten Früchten enthaltene Fruktosemenge vom Ballaststoffgehalt aufgewogen. Der Saft hingegen weist nicht die wasserunlöslischen Ballaststoffe auf, die in den ganzen Früchten enthalten sind. Bei der Saftherstellung bleiben einige der essenziellen Vitamine und Spurenelemente (wenn auch nicht alle) des Obstes beziehungsweise des Gemüses erhalten, doch der vielleicht wichtigste Teil wird entsorgt: die Ballaststoffe. Beachten Sie: Es ist egal, woher die Fruktose kommt – Obst, Zuckerrohr, Zuckerrübe –, ohne Ballaststoffe hat sie auf Ihren Stoffwechsel stets dieselben Auswirkungen. Unsere Vorfahren bekamen die gesundheitlichen Folgeschäden der Fruktose nicht zu spüren, da sie die Früchte im Ganzen aßen. Ein aktueller Trend besteht darin, die gesamte Frucht zu einem »Smoothie« zu verarbeiten. Überall sind Saftbars entstanden, angeblich weil Saft so gesund ist. Das Problem besteht darin, dass durch das Mixen die wasserunlöslichen Ballaststoffe der Frucht vollkommen zerstört werden. Die Zellulose wird »zerfetzt«. Während die wasserlöslichen Ballaststoffe noch da sind und die Verdauung verlangsamen, existiert nun das »Gitter« der wasserunlöslichen Ballaststoffe nicht mehr, die dabei helfen, eine Barriere im Darm zu errichten, und die außerdem die Darmpassage beschleunigen. Der Zucker des Obstes wird dadurch genauso schnell aufgenommen, als ob der Saft gar keine Ballaststoffe enthielte. Sie benötigen beide Ballaststoffarten, um vom positiven Nutzen profitieren zu können. In Kapitel 4 haben wir gesehen, dass Insulin im Hinblick auf die Gewichtszunahme der Übeltäter ist und dass es beim Kampf gegen Adipositas besonders wichtig ist, den Insulinspiegel niedrig zu halten. Die Menge sowie die Schnelligkeit, mit der Energie in den Mitochondrien ankommt, sind für die Krankheiten des metabolischen Syndroms entscheidend (siehe Kapitel 9). Mit anderen Worten: Die beiden Faktoren, die man im Kopf behalten muss, sind die Dosis der Kohlenhydrate (um den Insulinwert niedrig zu halten) und der Transport der Kohlenhydrate (um die Leber glücklich zu machen und ihre richtige Funktionsweise zu garantieren). Ballaststoffe kümmern sich um beides.

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Abfallprodukt oder Abnehmprodukt Wie Sie in Kapitel 11 gesehen haben, lässt die Glukose im Zucker den Insulinspiegel ansteigen, während die Fruktose eine große Energiemenge zur sofortigen Verarbeitung direkt in die Leber transportiert. Beides fördert Adipositas und das metabolische Syndrom (ein Grund dafür, dass Sujatha einen Diabetes entwickelt hat). Ballaststoffe haben fünf verschiedene Eigenschaften, die den Kampf gegen Adipositas und das metabolische Syndrom unterstützen. Alle haben damit zu tun, dass sie den Insulinspiegel niedrig halten und die Energiemenge begrenzen, welche die Leber erreicht.

1. Das Rezept der Resorption

Wenn (wasserlösliche und wasserunlösliche) Ballaststoffe mit einer Mahlzeit aufgenommen werden, bilden sie eine gallertartige Barriere zwischen der Nahrung und der Darmwand. So wird die Geschwindigkeit, mit welcher der Darm Glukose, Fruktose und Fett aufnimmt, vermindert. Durch die Verlangsamung der Glukoseresorption steigt der Blutzuckerspiegel weniger stark an. Die Bauchspeicheldrüse nimmt den langsameren und niedrigeren Anstieg des Blutzuckers wahr und begrenzt infolgedessen die Menge des ausgeschütteten Insulins. Weniger Insulin bedeutet, dass auch weniger Energie in Fett umgewandelt wird. Würden sich Patienten mit einem Typ-2-Diabetes ballaststoffreich ernähren, stiege ihr Blutzucker um ein Drittel weniger an, sodass auch die Insulinmenge im Körper reduziert wäre.4 Dasselbe geschieht bei der Resorption von Fruktose.5 Ballaststoffe reduzieren nicht nur die Aufnahmedosis, sondern verlangsamen auch die Verarbeitung und damit die Geschwindigkeit, mit der die Fruktose zur Verarbeitung in den Leberzellen ankommt. Die Leber hat dann eine Chance, »Schritt zu halten«, und ist in der Lage, die Fruktosemoleküle ungefähr in demselben Tempo zu Acetyl-CoA zu verarbeiten, mit dem neue ankommen. So können sie in den Mitochondrien im Zitratzyklus verbrannt werden (siehe Kapitel 10) – statt diese zu überfluten, sodass die Fruktose weitergereicht und in Fett verwandelt wird, was Insulinresistenz hervorruft.

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Trotz des Fruktosegehalts ist der Verzehr von Obst also ein nicht annähernd so großes Problem wie der Verzehr von Saft, da die Fruktose größtenteils durch die ebenfalls enthaltenen Ballaststoffe entschärft wird.

2. Kalorien und Cholesterin

Ein niedriger Cholesterinspiegel im Blut steht im Allgemeinen in Zusammenhang mit einem geringeren Risiko für Herzerkrankungen. Ein Zweck des Cholesterins besteht darin, bei der Produktion von Gallensäure behilflich zu sein (welche die Aufnahme von Fetten im Darm unterstützt), die teilweise in Ihrem Stuhl ausgeschieden wird. Wenn es Ihnen gelingt, die Gallensäure auszuscheiden, muss der Körper neue Gallensäure produzieren und verbraucht dafür Cholesterin. Auf diese Weise senken Sie Ihren Cholesterinspiegel. Da wasserlösliche Ballaststoffe sich mit Gallensäure verbinden und dann ausgeschieden werden, können sie helfen, den LDLSpiegel (»schlechtes Cholesterin«) zu senken. Wasserunlösliche Ballaststoffe senken ebenfalls den Cholesterinspiegel und tragen außerdem dazu bei, den Blutzuckerwert zu reduzieren.

3. Schnelligkeit und Sättigung

Sie essen einen ganzen Teller Makkaroni mit Käse, haben aber immer noch Hunger. Nahrung im Magen reduziert den Ghrelinspiegel, und das sollte dem Hypothalamus signalisieren, dass Sie nicht mehr hungrig sind. Doch Sie haben noch Hunger. Der Grund dafür ist, dass das Fehlen von Hunger nicht dasselbe Phänomen ist wie Sattheit. Nachdem die Nahrung den Dünndarm passiert hat, wird ein Peptidhormon, das als Peptid YY (PYY) bezeichnet wird, in den Blutkreislauf ausgeschüttet. Es bindet sich an die Rezeptoren im Hypothalamus und sagt Ihnen, dass Sie satt sind. PYY ist also das Sättigungssignal.6 Das Problem ist, dass die Nahrung rund 6,70 Meter durch den Darm zurücklegen muss, bevor das PYY-Signal erzeugt wird. Das dauert seine Zeit. Alles, was die Nahrung schneller durch den Darm transportiert, produziert rascher ein Sättigungssignal. Wasser­

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unlösliche Ballaststoffe tun genau das; sie beschleunigen das Transittempo durch Ihren Darm und erzeugen auf diese Weise früher ein PYY-Signal. Wasserlösliche Ballaststoffe bilden ein klebriges Gel, verzögern die Leerung Ihres Magens und sorgen so dafür, dass Sie sich schneller satt fühlen. Beide Ballaststoffarten können das Bedürfnis, eine zweite Portion zu essen, reduzieren und helfen dadurch, eine weitere Gewichtszunahme zu verhindern.7

4. Fett oder Furz

Durch die Ballaststoffe wird die Aufnahme einiger Nahrungsfette im Dünndarm gehemmt. Stattdessen gelangen diese Fette in den Dickdarm, wo sie nicht aufgenommen werden – dadurch bleibt der Insulinspiegel niedrig.8 Es ist zwar noch nicht abschließend geklärt, aber man geht davon aus, dass wasserunlösliche Ballaststoffe mehr Auswirkungen auf Adipositas und Insulinresistenz haben als wasserlösliche Ballaststoffe. Der Nachteil dieses Vorgangs besteht darin, dass dabei eine Menge Stickstoff, Kohlendioxid, Methan und auch ein wenig Schwefelwasserstoff entsteht. Mit anderen Worten: Fett oder Furz.

5. Eingeweide und Einzeller

Der menschliche Körper besteht aus zehn Billionen Zellen. Doch Ihr Darm beherbergt ungefähr 100  Billionen Bakterien. Es gibt also zehnmal mehr Bakterien in uns, als wir körpereigene Zellen haben! Jahrelang hielt man sie für eher störend, zumal sie zu ungelegenen Zeiten Gase produzieren und auf Reisen gelegentlich Durchfall verursachen. Doch diese Bakterien sind ein wichtiger Teil unseres Energiestoffwechsels. Die meisten Darmbakterien leben im Dickdarm und sind anaerob – das bedeutet, dass sie für ihre Stoffwechselprozesse keinen Sauerstoff benötigen. Deshalb verbrauchen sie mehr Energie als jene, die Sauerstoff verbrennen. Doch wenn alle Nährstoffe (einschließlich Fett, Glukose und Fruktose) in unserem Dünndarm aufgenommen werden, was bleibt dann für die Bakterien im Dickdarm noch übrig? Nun: das, was wir nicht absorbieren können – die Ballaststoffe,

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insbesondere die wasserlöslichen Ballaststoffe. Aus diesem Grund führen so viele Ballaststoffzusätze wie Flohsamen bei den Menschen zu einer solch starken Gasproduktion. Es gibt Tausende Arten von Darmbakterien, doch die Wissenschaft hat sich bislang auf drei konzentriert: Bacteroidetes, Firmicutes und A ­ rchaeen. Es ist fast sicher, dass die Bakterienzusammensetzung im Darm bei manchen Menschen einer der Faktoren ist, der eine Gewichtszunahme fördert. Und die Ballaststoffzusammensetzung der Nahrung ist einer der Faktoren, die das Bakterienprofil festlegen,9 da mit den Ballaststoffen auch mehr Nährstoffe in die Darmregionen gelangen, in denen die Bakterien sie zur Energiegewinnung nutzen können.10 Insgesamt kann man daraus wohl schlussfolgern, dass der Ballaststoffgehalt der Nahrung die Bakterienzusammensetzung im Darm beeinflusst und eine Vermehrung der »guten« Bakterien begünstigt, während die »dickmachenden« Bakterien in Schach gehalten werden.11

Ballaststoffe und Insulinresistenz Sorgt der Verzehr von Ballaststoffen also für einen Gewichtsverlust? Für das Ergebnis ist das Studiendesign entscheidend. Wenn die Kalorienzufuhr gleich bleibt, führen zusätzliche Ballaststoffe zu keinen ­wesentlichen Gewichtsveränderungen. Doch in einer offenen Situation, in der die Menschen selbst wählen können, wie viel sie essen, scheint eine größere ­Menge an Ballaststoffen die Nahrungsaufnahme insgesamt einzugrenzen, was wahrscheinlich zu einem niedrigeren Gewicht führt. Ballaststoffreiche Nahrung hat meist eine niedrigere »Energiedichte«, sodass Sie mit derselben Nahrungsmenge weniger Kalorien zu sich nehmen. Außerdem benötigt man für Ballaststoffe mehr Zeit zum Kauen, sodass der Körper länger Zeit hat, um das Sättigungssignal zu empfangen; und sie bewegen die Nahrung schneller durch den Darm, sodass rascher ein Sättigungssignal produziert wird. Die Rolle der Ballaststoffe zum Schutz vor Stoffwechselkrankheiten hängt von der Ballaststoffart und von der Art der Studie ab. In der Insulin Resistance and Atherosclerosis Study (IRAS) zeigte die Ernährungs-

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analyse lediglich einen einzigen Punkt, der mit der Insulinsensitivität in Zusammenhang stand: Ballaststoffe.12 Doch es waren nicht die wasserlöslichen Ballaststoffe, die mit einer Verminderung des Diabetesrisikos korrelierten13 – eine Verbesserung der Insulinsensitivität wurde im Wesentlichen mit wasserunlöslichen Ballaststoffen (dem faserigen Zeug) in Verbindung gebracht.14 Das war’s dann wohl mit wasserlöslichen Ballaststoffzusätzen wie Flohsamen. Es sieht so aus, als müssten Sie Ihre Ballaststoffe mit der Nahrung selbst aufnehmen, nicht in Form einer Pille. Es gibt nur einen einzigen Weg, um wasserlösliche und wasserunlösliche Ballaststoffe zusammen zu sich zu nehmen: direkt aus der Quelle – je unbehandelter das Original bleibt, desto besser. Dieser Grundsatz, dass Nahrung besser ist als ihre einzelnen Bestandteile, wird uns in Kapitel 14 noch einmal begegnen.

Was rauskommt, ist genauso wichtig wie das, was reingeht Es ist eindeutig, dass Ballaststoffe eine große Sache sind. Nicht nur für Ihren Darm, sondern auch für Ihren Stoffwechsel. Ballaststoffe werden nicht resorbiert. Es gibt keinen Ballaststoffspiegel im Blut im Gegensatz zu den Mikronährstoffen, die unsere Stoffwechselmaschinerie schmieren. Doch indem Sie sowohl die Dosis als auch die Geschwindigkeit reduzieren, mit der Glukose, Fruktose und Fettsäuren in den Blutkreislauf gelangen, sorgen Ballaststoffe für einen niedrigeren Insulinspiegel. Dadurch, dass die Ballaststoffe Nährstoffe in den Dickdarm transportieren, wo sie fermentiert werden können, verbessern sie den Stoffwechsel und unterstützen die »guten« Bakterien, die vom Dickdarm aus beim Gewichtsverlust helfen. Zu guter Letzt schränken Ballaststoffe auch die Gesamtnahrungszufuhr ein. Doch Sie müssen sie in Form ganzer, intakter Nahrung verzehren, um den vollen Nutzen zu haben und sowohl die wasserlöslichen als auch die wasserunlöslichen Ballaststoffe aufzunehmen. Ballaststoffe allein können die negativen Auswirkungen des Zuckers nicht ausgleichen, aber sie sind schon ein verdammt guter Anfang. Wollen Sie Ihrem Diabetes entgegenwirken? Möchten Sie Ihre Stoffwechselgesundheit verbessern? Dann nehmen Sie wieder mehr Ballaststoffe zu sich.

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Britt ist ein depressiver 13-jähriger Junge, der 105  Kilogramm wiegt und schlechte Noten hat – teilweise aufgrund der vielen Zeit, die er vor dem Bildschirm verbringt. Sein 15  Jahre alter Bruder bringt 145 Kilogramm auf die Waage und hat nicht die Absicht, seinen Lebensstil zu ändern. Britt sieht das Elend seines Bruders und nutzt ihn als »negatives Vorbild«. Im Laufe der nächsten drei Jahre, während die Pubertät fortschreitet, beginnt Britt in der weiterführenden Schule mit dem Ringen und trainiert drei bis vier Stunden täglich. Ohne seine Ernährungsweise sonderlich zu verändern, wird er schlanker, nimmt aber nicht ab. Er wächst in sein Gewicht hinein und wird in seinem Bundesstaat Zweiter in seiner Gewichtsklasse. Im Alter von 18 Jahren ist er seine Depressionen los, seine Noten haben sich verbessert und er schließt die Schule als Jahrgangsbester ab.

Jack LaLanne starb im Januar 2011 hochbetagt im Alter von 96 Jahren. Der »Vater« der modernen Fitnessbewegung entschied sich mit 15 Jahren für einen gesunden Lebensstil und setzte bis zu seinem Tod auch selbst um, was er predigte. Er hatte es richtig verstanden: Bewegung ist der Schlüssel zu einer optimalen Gesundheit. Doch nicht jeder profitiert davon auf dieselbe Weise. Der amerikanische Läufer Jim Fixx, ein Fitnesspionier und Autor des Buches Das komplette Buch vom Laufen, starb bereits im Alter

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von 52 Jahren. Möglicherweise lag das an den ersten 35 Jahren seines Lebensstils: Bevor er mit dem Laufen begann, rauchte er zwei Schachteln am Tag und wog 109  Kilo. Und was war mit Arthur Ashe? Der erfolgreiche Tennisspieler erlitt im Alter von 36  Jahren einen Herzinfarkt. Vielleicht kann Sport einen unbesonnenen Lebenstil nicht wettmachen. Eventuell spielen auch genetische Faktoren eine Rolle. Oder Sport hat bei jedem individuell andere Vorteile. Wie dem auch sei: Es ist etwas ganz anderes, zu erwarten, dass man durch Bewegung länger lebt, als zu erwarten, durch Bewegung abzunehmen. LaLanne hat in all den Jahren, in denen er im Fernsehen auftrat, kein Pfund zugelegt. Doch das lag daran, dass er sich sinnvoll ernährte. Verstehen Sie mich nicht falsch: Bewegung ist nicht schlecht (auch wenn sie möglicherweise nicht alles schafft, was Sie sich erhoffen). Bewegung ist das Beste, was Sie für sich tun können. Sie ist deutlich wichtiger als eine Diät, und einfacher ist sie auch. Bewegung funktioniert auf ganz vielen Ebenen – nur nicht in Sachen Gewicht.

Der Mythos Sport Wenn »eine Kalorie eine Kalorie« wäre und eine aufgenommene Kalorie durch eine verbrauchte Kalorie wettgemacht würde, dann würde Bewegung zu einem Gewichtsverlust führen. Durch viel Bewegung nähmen Sie deutlich ab, selbst wenn Sie weiterhin dieselben Speisen äßen. Doch so funktioniert das nicht. Die Kalorien, die Sie durch Essen und Trinken aufnehmen, mögen sich im Gewicht niederschlagen, doch die Energie, die Sie verbrennen, bewirkt nicht automatisch eine Gewichtsreduktion. Es gibt keine einzige Studie, die belegt, dass Sport allein zu einem signifikanten Gewichtsverlust führt; und auch keine Metaanalyse (die mehrere Studien auf einmal auswertet) beweist das. Moderate Bewegung führte zu einem Gewichtverlust von einem Kilo, intensiverer Sport zu 1,6 Kilo weniger.1 Im Hinblick auf unsere aktuelle Adipositasepidemie ist das zu vernachlässigen. Ein Beispiel: Eine meiner Freundinnen wollte nach der Geburt ihre Rettungsringe durch ein moderates bis intensives Sportprogramm loswerden. Zwölf Wochen später hatte sie 2,5 Kilo abgenommen. Sie fühlte sich besser,

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doch ihre Rettungsringe hatten sich nicht verändert. Also fragte sie mich, was sie falsch machte. Nichts, sagte ich ihr. Sie machte es genau richtig und war wahrscheinlich deutlich gesünder als zuvor. Ihre Taille war schlanker, doch bei den Rettungsringen handelte es sich um Unterhautfettgewebe. Und in die Hosen, die sie vor der Schwangerschaft getragen hatte, passte sich auch wieder. Bei der Verbrennung von einem Pfund Fett werden etwa 2.800  kcal freigesetzt. Deshalb nahm man immer an, dass man ein Pfund abnehmen kann, wenn man 2.800 kcal weniger isst oder 2.800 kcal durch Bewegung verbraucht. Doch eine neue wissenschaftliche Studie2 entlarvt die Erwartung, ein höherer Energieverbrauch fördere den Gewichtsverlust, als Irrtum. Sobald Menschen abnahmen, mussten sie ihre Energiezufuhr noch weiter reduzieren, um weiterhin abzunehmen. Durchschnittlich mussten fettleibige Menschen 3.418 kcal einsparen, um ein Pfund Fett abzubauen. Sie sehen also, dass es äußerst schwierig ist, durch Bewegung Gewicht zu verlieren, wenn nicht gar unmöglich. Ein zweiter Grund dafür, dass Bewegung nicht zu Gewichtsverlust führt: Wenn Sie sich bewegen, bauen Sie Muskeln auf. Das ist gut für Ihre Gesundheit, reduziert aber nicht Ihr ­Gewicht. In den Kapiteln 4 bis 9 wurde gezeigt, dass man sich bei der Beschäftigung mit einem solch komplexen Thema wie Adipositas eine ganze Bandbreite an Verhaltensweisen ansehen muss – denn tatsächlich tritt keine davon isoliert auf, und sie alle werden von der Biochemie gesteuert. Ich garantiere Ihnen: Wenn Sie die Nahrungsaufnahme konstant halten und dann mit intensiver Aktivität beginnen, werden Sie etwas Gewicht verlieren, wenn auch nicht viel. Deshalb spricht sich jeder Trainingsplan auch für eine gute Ernährung aus. Und aus diesem Grund wollen so viele Abnehmprogramme Ihnen ihre Spezialnahrung verkaufen. Doch es ist unsere Biochemie, die das Verhalten steuert. Jetzt sagen Sie: »Ich kenne aber Menschen, die in die Armee eingetreten sind und eine Menge abgenommen haben.« Ringer tun das auch ständig. Die Spieler der National Football League erscheinen mit Übergewicht und außer Form im Trainingslager, und am Ende der Saison haben sie wieder ihr Spielgewicht. Diese Fakten erhalten den Mythos aufrecht. Jeder kann Gewicht verlieren, wenn er oder sie das Umfeld verändert. Das Aus-

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bildungslager ist ein abgeschiedenes und kontrolliertes Umfeld. Jeder Aspekt des Tagesplans ist geregelt – von der Nahrung über die Bewegung bis hin zum Schlaf. Der Trick besteht darin, das Sie Ihr Verhalten in Ihrer Alltagsumgebung modifizieren müssen. Setzen Sie also nicht Haus und Hof aufs Spiel. Wie Sie in Kapitel 4 erfahren haben, ist das Verhalten ein Resultat der Biochemie, und die Biochemie ist ein Resultat des Umfelds. Selbst die Kandidaten der Fernsehshow The Biggest Loser haben einen persönlichen Trainer und einen Koch, um ihr Umfeld unter Kontrolle zu halten. Doch im »wahren Leben« wird der Körper dafür sorgen, dass die Energiezufuhr ansteigt, wenn der Energieverbrauch erhöht wird, denn er will dasselbe (Adipositas-)Niveau halten. Und bei den meisten fettleibigen Menschen wissen wir, warum: Leptin … mal wieder.

Energieverbrauch in aller Kürze Um den Energieverbrauch zu erklären, gehen wir von einer durchschnittlichen Person mit einer Energiezufuhr von 2.000 kcal und einem Energieverbrauch von ebenfalls 2.000 kcal aus. Dieser Wert geht auf Beobachtungen und die Harris-Benedict-Formel zurück. Das ist eine grobe Schätzung des Grundumsatzes, die Ernährungswissenschaftler verwenden, um Diätpläne für ihre einzelnen Patienten zu erstellen. Jeder setzt Energieverbrauch mit Bewegung gleich. Ihr Aerobictrainer ruft Ihnen vielleicht zu: »Fühlen Sie, wie Sie Kalorien verbrennen.« Verbrennen bedeutet verbrennen. In Wirklichkeit ist körperliche Aktivität nur für einen kleinen Teil des Energieverbrauchs verantwortlich. Er liegt, je nach Art und Intensität der Aktivität, irgendwo zwischen 5 Prozent (der größte Stubenhocker, ungefähr 100 kcal) und 35 Prozent (die Sportskanone, ungefähr 700 kcal) des Gesamtenergieverbrauchs. Nun mag körperliche Betätigung zwar nicht für den größten Teil des Energieverbrauchs verantwortlich sein, doch sie ist die einzige Komponente, die Ihre Gesundheit verbessern wird – je mehr Sie tun, desto besser. Es gibt zwei weitere Komponenten. Es ist vielleicht schwer zu glauben, doch der prozentual größte Anteil Ihrer Kalorien wird beim Schlafen und Fernsehen verbraucht. (Nein, das bedeutet nicht, dass Sie Ihre Stunden vor

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dem Computer oder Fernseher ausdehnen sollten.) Der Ruheenergiebedarf (Resting Energy Expenditure, REE – die Energie, die Sie auf der Couch liegend verbrennen) macht ungefähr 60  Prozent (oder 1.200  kcal pro Tag) des Gesamtenergieverbrauchs aus. Er ist von Ihrer Größe abhängig und wird meist nicht berücksichtigt. Zu guter Letzt schlägt ein Vorgang, der als thermischer Einfluss der Nahrung bezeichnet werden kann (Thermic Effect of Food, TEF, die Energie, die Sie verbrauchen, um die Nahrung aufzunehmen, zu verdauen und zu verstoffwechseln), mit etwa 10 Prozent (oder 200  kcal) zu Buche. Tatsächlich können bei den meisten Menschen REE und TEF nicht so leicht verändert werden, doch man sollte berücksichtigen, dass einige Adipositaspatienten Probleme mit diesen beiden Faktoren haben. Und es gibt einige Tricks, um den REE und in geringerem Maße auch den TEF zu steigern (siehe Kapitel 18).

Der Ruheenergiebedarf (REE)

Rudy Leibel von der Columbia University wurde 2004 mit den Worten zitiert: »Adipöse Menschen sagen mir immer, dass sie sehr wenig essen, dass sie essen wie ein Vögelchen … nun ja, vielleicht eher wie ein Flugsaurier.« Doch er selbst zeigte, dass der Ruheenergiebedarf als Reaktion auf einen Gewichtsverlust im gleichen Ausmaß sinkt, wie die Pfunde purzeln; damit trägt er dazu bei, das Gewicht stabil zu halten.3 Geben Sie nicht Ihrem Sportprogramm die Schuld, sondern der Biochemie. Durch den Besuch des Zumba-Kurses verbrennen Sie zwar mehr Energie, doch Ihr Ruheenergiebedarf macht Ihnen einen Strich durch die Rechnung, indem er den prozentualen Anteil ausgleicht. Fettzellen wollen gefüllt bleiben; sie verschwinden nicht freiwillig. Als Reaktion auf eine Verminderung der Leptinsynthese oder der Leptin-Signalübertragung (die der Hypothalamus als Hunger interpretiert) wird der REE von 50 kcal pro Kilogramm fettfreier Masse auf 42  kcal pro Kilogramm fettfreier Masse reduziert. Das ist eine Verbesserung der Energieeffizienz um 16 Prozent, und sie führt zu einem Rückgang des Gesamtenergieverbrauchs um 10 Prozent. Ausgehend von einer durchschnittlichen täglichen Zufuhr von 2.000 kcal bei einem Erwachsenen bedeutet das eine Verringerung um 200 kcal – die leicht von der Steigerung

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der Kalorienzufuhr wettgemacht wird, die in den vergangenen 30 Jahren beobachtet worden ist. Darüber hinaus gibt es Patienten, bei denen eine gewisse R ­ eduzierung des Ruheenergiebedarfs zum Krankheitsbild gehört. Da der REE einen Großteil des Energieverbrauchs ausmacht, ist dies der wichtigste Einflusswert für eine Gewichtszunahme. Kinder mit bestimmten Entwicklungsverzögerungen kommen mit mangelnder Muskelspannung (muskuläre Hypotonie genannt) zur Welt und sind bei der Geburt »schlaff«. Kinder mit verschiedenen Funktionsstörungen der Mitochondrien (z. B. dem Prader-­Willi-Syndrom)4 verbrennen im Ruhezustand nur ungefähr 60 bis 70 Prozent des normalen Umsatzes. Das heißt, dass sie weniger Kalorien benötigen. Doch das bedeutet auch einen niedrigeren Leptinspiegel, ein Hungersignal des Gehirns und eine erhöhte Kalorienzufuhr.

Der thermische Einfluss der Nahrung (TEF)

Sie müssen Energie aufnehmen, um Energie verbrauchen zu können. Kauen, die Nahrung durch den Magen-Darm-Trakt befördern, Resorption und Verarbeitung – dabei wird immer etwas Energie verbrannt. Dieser thermische Einfluss der Nahrung macht etwa 10 Prozent der verbrauchten Energie aus (also 200 kcal pro Tag). Viele adipöse Kinder haben keinen Hunger, wenn sie wach werden (teilweise, weil viele von ihnen direkt vor dem Schlafengehen einen großen Snack oder eine Mahlzeit gegessen haben), sodass der Energieverbrauch ihres Körpers nicht steigt, bevor sie in die Schule gehen. Das ist ein Grund unter vielen dafür, dass es für die Vermeidung und Behandlung von Adipositas wichtig ist, ein Frühstück zu sich zu nehmen, besonders bei Kindern (siehe Kapitel 18). Das Frühstück auszulassen, hat noch viele andere Nachteile. Es führt dazu, dass man sich aufgrund des Nahrungsmangels nicht gut konzentrieren kann. Wenn das Frühstück fehlt, wird das Magenhormon Ghrelin, welches das Hungersignal übermittelt, morgens nicht unterdrückt. Adipöse Menschen begründen den Verzicht auf das Frühstück damit, dass sie dann weniger Kalorien zu sich nähmen. Doch ihr Irrtum könnte kaum größer sein. Zahlreiche Studien zeigen, dass Menschen, die das Frühstück auslassen, im Laufe des

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Tages mehr essen – zum Teil, weil der Ghrelinspiegel sehr hoch steigt. Das führt zu einer erhöhten Kalorienzufuhr beim Mittag- und Abendessen sowie vor dem Zubettgehen, was wiederum die Fettleibigkeit fördert. Obwohl die Oxidierung von Fetten (siehe Kapitel 10) eine Menge Energie freisetzt, wird auch ein wenig Energie für diesen Prozess aufgewendet. Eine andere Möglichkeit, den thermischen Einfluss der Nahrung zu nutzen, besteht darin, zum Frühstück irgendeine Form von Eiweiß zu sich zu nehmen. Eiweiß zu verbrennen, kostet mehr Energie als das Verbrennen anderer Nahrung.5 Außerdem regt Eiweiß das Insulin nicht in demselben Maße an wie Kohlenhydrate und sättigt besser als andere Nährstoffe. Etwas Eiweiß zum Frühstück ist deshalb eine kluge und sehr empfehlenswerte Praxis. Wer morgens ein vegetarisches Omelett zu sich nimmt, hat zur Mittagszeit deutlich weniger Hunger.6

Körperliche Aktivität

Zu guter Letzt die körperliche Aktivität. Sie können Ihren Alltag komplett sitzend verbringen oder ein Olympiaschwimmer sein wie Michael Phelps. Die Bandbreite des Energieverbrauchs durch körperliche Aktivität kann bei den Menschen bemerkenswert groß sein; eine weiter gestreute Verteilung erreicht man möglicherweise nur bei der Kalorienzufuhr. Phelps isst alles, was ihm in die Finger fällt, und kommt damit auf ungefähr 12.000 kcal pro Tag. So hart er auch arbeiten mag: Mehr als 12.000  kcal verbraucht er durch seinen Sport nicht – selbst Marathonläufer verbrennen nicht so viel Energie. Das Cleveland Clinic Center for Consumer Health schätzt, dass ein 60-Kilo-Läufer bei einem Marathon 2.224  kcal verbraucht, ein 75-Kilo-Läufer 2.822 kcal und ein 95-Kilo-Läufer 3.593 kcal. Doch Phelps kann essen, was er will, ohne zuzunehmen. Das liegt daran, dass infolge der körperlichen Betätigung die Muskelmasse und damit die Anzahl der Mitochondrien steigt. Mehr Muskeln bedeuten, dass Sie im Ruhezustand mehr Energie verbrennen. Also hat Michael Phelps einen höheren Ruheenergiebedarf als Sie. Genau deshalb ist Bewegung gut: Weil sie Muskeln aufbaut, und Muskeln verbrennen Energie im Ruhezustand.

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Körperliche Aktivität ist in der Adipositasmedizin der am häufigsten missverstandene Faktor. Die Menschen denken, dass sie Gewicht verlieren, wenn sie sich bewegen. Das ist allerdings ein Wunschtraum. Die meisten Studien über Bewegung bei adipösen Kindern fanden unter freien Bedingungen statt und nutzten entweder das Gewicht oder den BMI als Messgröße. Sport, egal in welchem Umfang, hat nie den BMI verändert – was daran liegt, dass der BMI das falsche Resultat ist. Wenn es keine Kontrolle des Umfelds gibt, wird die Kalorienzufuhr steigen, um den erhöhten Verbrauch zu kompensieren. Denken Sie daran: Ihr Unterhautfettgewebe kann tatsächlich gut für Sie sein. Wie in Kapitel 8 erläutert, wirkt Bewegung sich auf Muskeln und Knochen aus.

Was bei Bewegung wirklich passiert Wenn Sie also kein Gewicht verlieren, warum sollten Sie dann überhaupt zum Training gehen? Warum ist Bewegung so gut für Sie? Bei der Ernährung geht es um Pfunde, beim Sport um Zentimeter. Eine Diät zielt auf Ihr Gewicht ab, Bewegung auf Ihre Gesundheit. Bewegung kann etwas erreichen, was die Ernährungseinschränkung nicht kann: Sie bildet Muskeln auf. Das verstehen viele Menschen nicht, da die meisten (sogar Klinikärzte), den BMI mit Körperfett gleichsetzen. Doch der BMI lässt den Unterschied zwischen Muskeln und Fett ebenso unberücksichtigt wie den zwischen Unterhaut- und Bauchfett. Mehrere Studien haben die Körperzusammensetzung vor und nach langfristiger Bewegung untersucht. Sie zeigen, dass der prozentuale Anteil des Körperfetts abnimmt. Das ist wirklich wahr und liegt daran, dass die Muskelmasse zunimmt. Und dadurch wiederum wird der Stoffwechselstatus verbessert: Das Bauchfett ist (ein wenig) zurückgegangen, und die Muskelmasse hat (deutlich) zugenommen (siehe Kapitel 8). Sie wollen Ihre Insulinsensitivität verbessern – und Sport tut genau das. Er lässt Sie auf Kosten des Bauchfetts und insbesondere des Leberfetts Muskeln aufbauen. Doch das können Sie nicht sehen, wenn Sie auf eine Waage steigen. Durch die Verbesserung der Insulinsensitivität und die Senkung des Insulinspiegels fördert die Bewegung auch die Leptin-Signalübertra-

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gung; dabei erhöht sie die Aktivität Ihres sympathischen Nervensystems (siehe Kapitel 4), den Energieverbrauch und die Lebensqualität. Diese Stoffwechselverbesserungen schützen vor Krankheiten. Eine Studie mit 38.000  US-amerikanischen Männern zeigte, dass körperliche Aktivität effektiver Herzerkrankungen vorbeugen konnte als ein normales Körpergewicht.7 Doch wie steht es mit dem Endergebnis? Fördert Bewegung tatsächlich die Langlebigkeit? Eine neue Studie aus Taiwan, bei der die Sterblichkeit von über 400.000 Testpersonen untersucht wurde, lässt vermuten, dass 15 Minuten Bewegung pro Tag die Lebenserwartung tatsächlich um drei Jahre verlängern könnten – selbst bei Patienten mit bekannten Herzerkrankungen.8 Dabei wurde die Ernährung nicht berücksichtigt; andernfalls wäre die Auswirkung von körperlicher Aktivität auf die Lebensdauer noch größer gewesen. Auf der Grundlage, dass eine Viertelstunde täglich sich auf 91 wach verbrachte Stunden pro Jahr oder 273 Stunden in drei Jahren summiert, ist eine Lebensverlängerung von drei Jahren ein verdammt gutes Ergebnis.

Die Biochemie der Bewegung Bewegung ist also tatsächlich die andere Hälfte des Gegenmittels. Sie kann Adipositas nicht heilen, aber trägt entscheidend dazu bei, deren negative Konsequenzen abzuschwächen – insbesondere jene des metabolischen Syndroms (siehe Kapitel 9). Aus biochemischer Sicht bewirkt Bewegung drei Dinge: ƒƒ Bewegung aktiviert direkt Ihr sympathisches Nervensystem (SNS, siehe Kapitel  4). Dieses sendet ein Signal an Ihre Muskeln, damit diese neue Mitochondrien bilden – was bedeutet, dass mehr Energie (Glukose oder Fettsäuren) verbrannt werden kann. Das Alter der Mitochondrien spielt eine entscheidende Rolle, da alte Mitochondrien ineffizient und »undicht« sind sowie mehr ROS produzieren (siehe Kapitel 9), die wiederum zur Insulinresistenz beitragen. Sport beseitigt die alten Mitochondrien und ermöglicht die saubere, wirkungsvolle Nutzung der Energie durch die Muskeln.9 Das verbessert die Insulinsensitivität der Muskeln, die entscheidend für Ihre allgemeine Stoffwechselgesundheit ist.

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ƒƒ Bewegung reduziert Ihren inneren Stress. Britt wurde zu einem ausgeglichenen Jugendlichen (nicht immer ein Widerspruch in sich), und das lag zum Teil auch daran, dass er sich sportlich betätigte. Während der Cortisolspiegel im Blut (siehe Kapitel 6) bei Bewegung sofort ansteigt (da er an dem Vorgang beteiligt ist, der Blutzuckerund Blutdruckwerte aufrechterhält), sinkt er danach auch schnell wieder ab und bleibt dann den Rest des Tages niedrig.10 Möglicherweise denken Sie über Bewegung nach, um Ihren Blutdruck zu senken – nicht weil Sie dann abnehmen, sondern weil körperliche Betätigung Ihr Stressniveau senkt und Endorphine freigesetzt werden (Wohlfühlstoffe in Ihrem Gehirn), sodass Sie sich insgesamt besser fühlen. So entsteht bei Läufern auch das »Läuferhoch«. Wir wollen unseren Cortisolspiegel niedrig halten, um unseren langfristigen Stoffwechselstatus zu verbessern. Wenig Mühe, viel Gewinn. ƒƒ Und was vielleicht am wichtigsten ist: Bewegung beschleunigt den Zitratzyklus Ihrer Leber (siehe die Kapitel  9 und 11) und führt dazu, dass sie Energie »sauberer« verbrennt.11 Das beeinflusst, wie viel Energie aus den Mitochondrien abtransportiert und in Leberfett umgewandelt wird. Vier Faktoren haben sich als Beschleuniger des Leber-Zitratzyklus erwiesen: Kälte, Höhe, Bewegung und das Schilddrüsenhormon (wir verabreichten in den 1960er-Jahren adipösen Frauen zusätzliches Schilddrüsenhormon, und es machte sie verrückt). Kälte und Höhe sind eine mächtige Anti-Adipositas-Kombination. Nehmen Sie nur den Unterschied zwischen der Schweiz und Deutschland. Die Schweizer ernähren sich praktisch genauso wie die Deutschen. Fett und Kohlenhydrate zusammen – eine dickmachende Ernährung, wie sie im Buche steht. Viele Kartoffeln, viel Brot, viel Käse, viele Sahnesoßen, viel Bier. Lecker. Auch das Ausmaß ihrer körperlichen Betätigung ist nahezu identisch. Doch die Schweizer wohnen höher, kälter und sind schlanker (nur 8 Prozent Adipositas), während die Deutschen niedriger und weniger kalt wohnen und dabei dicker sind (16 Prozent Adipositas). Dasselbe gilt für den US-Bundesstaat Colorado: Dort ist man stolz, weil die Adipositaslandkarte der Zentren für Krankheitskontrolle und Präventi-

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on (CDC) zeigt, dass es hier weniger fettleibige Menschen gibt als im gesamten Rest der USA. Doch ich kenne den wahren Grund dafür, und es ist weder die Ernährung noch der aktive Lebensstil, sondern einfach die Geografie. Wenn Sie sich nicht bewegen wollen, sollten Sie also in die Schweiz oder nach Colorado ziehen!

Bewegung: Ausdauer oder Kraft? Wenn wir davon ausgehen, dass Sie ein normaler Sterblicher sind und sich auf Meereshöhe befinden – kein Olympionike im Gebirge: Welche Art von Bewegung ist dann optimal für Ihre Gesundheit? Das Standardmantra lautete, dass leichte Bewegung über einen längeren Zeitraum, also eine Ausdauersportart (z. B. Laufen) für Ihr Herz am besten sei und alle Vorteile für Herz und Kreislauf biete. Es gab sogar Empfehlungen, Krafttraining zu meiden, weil es vorübergehend den Blutfluss zum Herzen reduziere, es also verlangsame; und da es die periphere Muskulatur kräftige, fördere es den Gewichtsverlust nicht. Doch neuere Prospektivstudien zeigen, dass hochintensives Intervalltraining (extreme körperliche Anstrengung mit Erholungsphasen)12 oder sogar Krafttraining (Gewichtheben)13 vergleichbare Verbesserungen hinsichtlich des Taillenumfangs und Blutflusses bringt. Grübeln Sie also nicht, was Sie tun sollten – tun Sie irgendwas!

Alles ist gut – außer wenn nicht Natürlich können Sie es auch mit dem Sport übertreiben. Bewegung fördert die Freisetzung von Stoffen, die als Endorphine bezeichnet werden. Sie bringen den Hypothalamus dazu, die Ausschüttung des luteinisierenden Hormons (LH) und des follikelstimulierenden Hormons (FSH) zu reduzieren; dadurch wird die Östrogenproduktion in den Eierstöcken gedrosselt. Bei Frauen führt dies zu einer Unterbrechung der Regelblutungen und langfristig zu einer Reduktion der Knochenmasse – gar nicht gut, wenn man bedenkt, dass Frauen nach den Wechseljahren schnell an Knochenmasse verlieren.

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Wenn adipöse Patienten beginnen, Sport zu treiben, haben sie aufgrund ihres Übergewichts unter Umständen ein deutlich erhöhtes Verletzungsrisiko. Fettleibige müssen sich bewegen, um ihren allgemeinen Gesundheitszustand zu verbessern, sollten aber langsam anfangen, da bei ihnen das Risiko für eine Muskelzerrung, Überdehnungen und Brüche größer ist. Studien haben gezeigt, dass Fettleibige sich viermal häufiger Brüche zuziehen als der Rest der Bevölkerung.14 Und das größte Problem: Die positiven Auswirkungen der Bewegung sind zwar hervorragend für Ihren Körper und Stoffwechsel, aber nur von recht kurzer Dauer, sodass Sie sich häufig und nachhaltig bewegen müssen. Untersuchungen zufolge sinkt innerhalb eines Tages, nachdem die Bewegung eingestellt worden ist, der Spiegel des Proteins PGC-1α in den Muskelzellen. Dies Protein setzt all die guten Stoffwechselprozesse in Gang und befiehlt den Mitochondrien, sich zu teilen. Auch die Insulinsensitivität kehrt innerhalb von zwei Wochen nach Trainingsende auf ihren Ausgangspunkt zurück.15 An all die Wochenendkrieger, die denken, sie täten sich etwas Gutes: Möglicherweise ist es nicht ganz so gut, wie Sie gedacht haben. Wenn Sie Bewegung als Schutz vor chronischen Krankheiten nutzen wollen, müssen Sie dranbleiben.

Dick und fit ist besser als dünn und krank Bewegung ist also die andere Hälfte des Gegenmittels. Sie ist Ihre beste Verteidigung gegen Funktionsstörungen des Stoffwechsels. Betrachten wir es mal aus einer anderen Perspektive. Jedes Energiemolekül, das Sie aufnehmen, erlebt eines von drei Schicksalen: Erstens können Sie es verbrennen – dann steigt Ihr Insulinspiegel nicht an, Sie nehmen nicht zu und Sie fügen Ihrem Stoffwechsel keinen Schaden zu. Zweitens können Sie es einlagern – dann steigt Ihr Insulinspiegel an, Sie nehmen zu und Sie schädigen Ihren Stoffwechsel in gewisser Weise. Und drittens können Sie die Energie auch über Ihren Urin ausscheiden – dann richten Sie in Ihrem Stoffwechsel und in Ihrer Niere großen Schaden an, wie man bei schlecht eingestellten Diabetikern sehen kann, die als Dialysepatienten enden. Energie zu verbrennen, ist den anderen beiden Optionen immer vorzuziehen. Erwarten Sie

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jedoch keinen Gewichtsverlust, wenn Sie nicht zeitgleich auch Ihre Ernährungsgewohnheiten ändern. Gehen wir noch einmal zu den Kapiteln 1 und 9 zurück. Dort habe ich erwähnt, dass 40 Prozent der normalgewichtigen Personen insulinresistent sind oder das metabolische Syndrom und dann auch eine Fettleber haben. Was ist Ihrer Ansicht nach besser? Eine fette Person, die sich bewegt, oder eine dünne, die ununterbrochen vor dem Fernseher sitzt? Neue Studien haben gezeigt, dass Fitness all die negativen Auswirkungen der Adipositas hinsichtlich Bauchfett,16 gesundheitlicher Beschwerden17 und Lebenserwartung18 abmildert. Verdient es der fette und fitte Mensch also, diskriminiert zu werden? Solange er sich weiter bewegt, wird er wahrscheinlich länger leben als das spindeldürre Model auf der Titelseite der Vogue. Tatsächlich leben übergewichtige Menschen mit einem BMI zwischen  25 und 30 länger als dünne Menschen mit einem BMI unter 19.19

Der größte Schaden … durch Ärzte verursacht Nichtsdestoweniger ändern die Ärzte im Umgang mit ihren adipösen Patienten ihre Empfehlungen nicht. Die Konsequenz der Überzeugung »Eine Kalorie ist eine Kalorie« ist das Mantra: »Wenn Sie sich bewegen würden, nähmen Sie auch ab.« Das ist nicht nur falsch, es ist geradezu schädlich. Patienten, die ihre sportlichen Fortschritte zu Hause auf der Waage überwachen, werden eine Enttäuschung erleben. Doch ihre Ärzte bleiben bei ihrem Leitsatz, und die Patienten vertrauen ihnen. Also halten sich die Patienten für Versager, sind niedergeschlagen, stellen die Bewegung ein und essen mehr, da sie glauben, es habe alles keinen Sinn. Eine hervorragende Möglichkeit, um das metabolische Syndrom noch weiter zu verschlimmern. Unabhängig vom Gewicht ist kontinuierliche körperliche Betätigung (selbst wenn es nur 15 Minuten pro Tag sind) der einzige Weg, mit dem Sie Ihre Gesundheit verbessern können. 273  Stunden in drei Jahren für drei zusätzliche Lebensjahre – das sind 64.000 Prozent Investmentrendite. Das beste Geschäft, das Sie in der Medizin machen können.

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Julio ist ein 15-jähriger Latino-Junge aus Westtexas und wiegt rund 180 Kilogramm. Er wird für die Nottransplantation einer Leber per Krankentransport nach San Francisco gebracht, da er eine gravierende Fettleber hat und seine Leber Vernarbungen aufweist. Das wird als nichtalkoholische Fettleberhepatitis mit Zirrhose bezeichnet – normalerweise geht diese Erkrankung mit einem schweren Alkoholmissbrauch einher. Julio hat zwar noch nie Alkohol getrunken, nimmt aber täglich mindestens zwei Liter Coca-Cola zu sich, seit er alt genug war, selbst den Kühlschrank zu öffnen. Julios Transplantation verläuft erfolgreich, und er wird zwei Wochen später entlassen. Die Ärzte fordern ihn auf, abzunehmen, keine Soft Drinks mehr zu trinken und seine Ernährungsweise zu verbessern. Ein Jahr später kommt er zur Kontrolle wieder in die Klinik in San Francisco. Seine Ernährung ist unverändert geblieben, er trinkt weiter Soft Drinks und er hat nicht abgenommen. Beim Ultraschall werden Fettablagerungen in seiner neuen Leber festgestellt.

Zweifellos wird Julios neue Leber dasselbe Schicksal erleiden wie die alte. Die nichtalkoholische Fettleberkrankheit (NAFLD) ist in den USA

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heute die am weitesten verbreitete Krankheit: Sie betrifft 45 Prozent aller Latinos, 33  Prozent aller Weißen und 24  Prozent aller Afroamerikaner, ob dick oder dünn. Wenn man bedenkt, dass diese Erkrankung bis 1980 noch nicht einmal beschrieben war, ist der Anstieg der Häufigkeit auf bis zu ein Drittel der erwachsenen Gesamtbevölkerung verblüffend. Die meisten Menschen mit NAFLD haben keine Symptome und wissen gar nicht, dass sie daran leiden. Die Mehrheit fühlt sich nicht krank. Doch 5 Prozent dieser Menschen werden eine nichtalkoholische Fettleberhepatitis (NASH) entwickeln, eine Entzündung mit Vernarbung der Leber. Und von diesen Patienten werden wiederum 25 Prozent eine Zirrhose bekommen, die entweder zum Tod oder zu einer Lebertransplantation führt, wie bei Julio. Wenn Sie einmal nachrechnen, kommen Sie auf eine Million US-Amerikaner, die an einer Ernährungskrankheit sterben – nicht mitgerechnet jene, die wegen anderer Komplikationen des metabolischen Syndroms umkommen. Wenn man bedenkt, dass diese Krankheit komplett vermeidbar ist, ist das ein Hohn. Doch handelt es sich um eine Erkrankung aufgrund von Überernährung oder von Unterernährung? Beides, wie sich herausstellt. Es gibt zwar bestimmte genetische Veranlagungen (die für die größere Häufigkeit bei Latinos verantwortlich sind), aber es ist dennoch ein Energieüberfluss in der Leber erforderlich, damit sich diese Krankheit entwickelt. Hier kommt die Zuckerschwemme ins Spiel. Wir wissen noch nicht, warum die Krankheit bei manchen so schlimm ist, während sie bei anderen harmlos verläuft. Es gibt dazu mehrere Theorien. Erinnern Sie sich an unsere biologischen Feinde, die reaktiven Sauerstoffspezies (ROS, Kapitel 9)? Personen, bei denen die Leber die ROS nicht ausreichend entgiften kann, werden eine nichtalkoholische Fettleberhepatitis entwickeln. ROS schädigen Lipide und Proteine in der Zelle, sodass die Zelle einen strukturellen Schaden erleiden kann oder abstirbt. Die ROS zu entfernen, bevor sie Schaden anrichten können, ist die Aufgabe einer subzellulären Struktur, die Peroxisom genannt wird; dort werden die ROS entgiftet. Die Stoffe, welche die ROS eliminieren, sind als Antioxi­ danzien bekannt.

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Die »Selektionshypothese« Vor über 100 Jahren wurde die Verbindung zwischen Vitamin B1 und Beriberi entdeckt, einer Krankheit, die zu einer Schädigung des Herzens und des Nervensystems führt. William Fletcher erkannte, dass Beriberi durch den Verzehr von weißem Reis ausgelöst wurde, der keine Ballaststoffe mehr enthält, während Vollkornreis die Krankheit verhinderte. Seitdem haben wir von vielen Vitamin- und Mineralstoffmangelerscheinungen gehört, die jeweils bestimmte Erkrankungen mit lustigen Namen auslösen (z. B. Skorbut und Pellagra). Glücklicherweise wurden praktisch alle diese Krankheiten, die aufgrund eines Mangels an Mikronährstoffen entstehen, in den Industrieländern ausgelöscht – entweder durch die Fülle an Nährstoffen in unserer Nahrung oder durch bestimmte Ergänzungsmittel (so wird Schwangeren Folsäure gegeben, um Fehlbildungen beim Embryo zu verhindern). Dennoch wird die Idee, dass Krankheiten des metabolischen Syndroms mit einer mangelhaften Verfügbarkeit von Mikronährstoffen zusammenhängen könnten, durch Tierversuche und kleinere Humanstudien unterstützt. Trotzdem sucht man eifrig weiter nach dem »magischen Nahrungsergänzungsmittel«, das das metabolische Syndrom umkehren könnte. An dieser Stelle kommt Bruce Ames vom Children’s Hospital Oakland Research Institute ins Spiel, der seit 50 Jahren im Ernährungsbereich tätig ist. Er hat die »Selektionshypothese« aufgestellt, um unser aktuelles Stoffwechseldilemma zu erklären. Der Ansatz ist ganz einfach: Zellen wollen überleben. Praktisch jede biochemische Reaktion erfordert einen oder mehrere Mikronährstoffe, ob es sich nun um ein Vitamin, einen Mineralstoff oder eine biochemische Verbindung handelt. Wenn Mikronährstoffe knapp sind, werden sie für diese Reaktionen herangezogen, um die Lebensfähigkeit der Zelle zu gewährleisten. Ihr relativer Mangel macht sich dann bei sekundären Reaktionen bemerkbar, die zwar für das kurzfristige Überleben weniger wichtig sind – aber langfristig für die Unversehrtheit der Zelle gebraucht werden. DNA- oder Proteinschäden, die unrepariert bleiben, können zur Entstehung von Krebs oder zum Tod der Zelle führen. Der Selektionshypothese zufolge löst ein akuter Mikronährstoffmangel eine Reihe von Krankheiten aus (z. B. Skorbut), während ein relatives Mikronährstoffdefizit eine Reihe anderer Erkrankungen nach sich zieht (z. B. das metabolische Syndrom).

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Früher habe ich darauf geachtet, aber jetzt nehme ich einfach ein Mittel … Da unsere allgemeine Gesundheit sich im Laufe der letzten 30 Jahre verschlechtert hat, ist es umso wichtiger geworden, das Allheilmittel zu finden, das gegen all unsere Verfehlungen hilft. Daraus ist eine rund 100-Milliarden-Dollar-Industrie für medizinisch wirksame Lebensmittel (Functional Food) entstanden. Aktuell nehmen mehr als 50 Prozent der US-Amerikaner mindestens eine Art der Nahrungsergänzung zu sich, um auf Nummer sicher zu gehen. In Europa liegt Deutschland beim Konsum von Functional Food ganz oben. Beim Besuch im örtlichen Naturkostladen oder in der Apotheke wird selbst der erfahrenste Vitaminfan von der Vielfalt des Angebots überwältigt. Bewirken diese Ergänzungsmittel tatsächlich irgendetwas Positives? Doch vielleicht ist das auch völlig unwichtig, denn 71  Prozent der Nutzer sagen, dass sie so überzeugt von Functional Food sind, dass sie es auch dann weiter verwendeten, wenn Studien bewiesen, dass sie unwirksam sind.

Antioxidanzien – ein Jungbrunnen? Fast jede Werbung für Frühstückszerealien zeigt eine Schüssel mit einer Handvoll Heidelbeeren. Vielleicht soll das von der Tatsache ablenken, dass die Antioxidanzien durch die industrielle Verarbeitung aus dem Getreide entfernt worden sind und dass die einzige Möglichkeit, Ihre Mahlzeit zu retten, darin besteht, die Nährstoffe mit frischen Beeren wieder hinzuzufügen. Ohne Zweifel steht mehr Farbe für mehr Antioxidanzien – Obst und Gemüse enthält also sehr viele Antioxidanzien. Sie ermöglichen es der Pflanze, den Schaden durch ihre eigenen ROS abzumildern, wenn sie durch Fotosynthese ihre Kohlenhydrate herstellt. Kann der Verzehr pflanzlicher Antioxidanzien helfen, unsere eigenen ROS zu bekämpfen? Es gibt eine wachsende Zahl von Veröffentlichungen darüber, dass »oxidativer Stress«, also der von ROS verursachte Schaden, der wichtigste Faktor beim Alterungsprozess ist. Verschiedene Gewebe produzieren auf unterschiedliche Weise ROS. Deshalb sind verschiedene Antioxidanzi-

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en von­nöten, um sie zu bekämpfen und unterschiedliche Arten chronischer Krankheiten zu verhindern. Antioxidanzien gibt es in vielen Formen und Größen, und viele davon werden zur Behandlung des metabolischen Syndroms in Betracht gezogen.1 Die Antioxidanzien Vitamin C und E schützen vor Lipidperoxidation (wie in Kartoffelchips, wenn sie ranzig werden), aber keins von beiden hat sich bei der Verbesserung der Gefäßfunktion oder der Insulinresistenz bewährt. Hoch dosiertes Vitamin E wird sogar mit erhöhter Sterblichkeit in Verbindung gebracht.2 Es gibt zwar gelegentliche »Treffer« bei der Behandlung von Stoffwechselkrankheiten mit Antioxidanzien, aber meist kommt es eher zu unerwünschten Ereignissen oder Beinaheschäden.

Vitamin D – der »große Betrüger«? Die bei Weitem verlockendste, aber bislang unerfüllte Hoffnung im Hinblick auf das Wundermittel zur Heilung all unserer Krankheiten ist Vitamin D. Über diese Vitamingruppe ist mehr geschrieben worden als über alle anderen Vitamine, Mineralstoffe und Nahrungsergänzungsmittel zusammen. Ein Vitamin-D-Mangel kann entweder auftreten, wenn man zu wenig an der Sonne ist (durch das Sonnenlicht wird in der Haut Vitamin D gebildet), oder aber wenn man zu wenig Vitamin D mit der Nahrung zu sich nimmt. Für Kinder, die unter Rachitis leiden (einer Krankheit, die mit einer Knochenverformung einhergeht), ist dieses Vitamin ein Geschenk des Himmels. In den 1920er-Jahren wurde bekannt, dass ein Teelöffel Lebertran (aus Lachsleber hergestellt) Rachitis heilen kann – auch wenn noch unbekannt war, warum (sehr zum Leidwesen der Kinder, die gezwungen wurden, es zu sich zu nehmen). In den 1950er-Jahren entdeckte man, dass ein Teelöffel Lebertran 400  Einheiten Vitamin  D enthält. Deshalb entwickelte sich die Regel »Wir benötigen 400 Einheiten Vitamin D am Tag« zu einem Dogma. (Neue Studien lassen allerdings vermuten, dass wir ganze 800 Einheiten täglich benötigen.) Könnte ein niedriger Vitamin-D-Spiegel die Basis unserer chronischen Stoffwechselprobleme sein? Viele Wissenschaftler halten diese Vermutung für richtig, und einige von ihnen lehnen sich weit aus dem Fenster, indem sie Vitamin  D als das Allheilmittel gegen chronische Stoffwechselkrank-

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heiten propagieren. Ohne Zweifel korreliert der Vitamin-D-Spiegel negativ mit allen entscheidenden Erkrankungen, die mit dem metabolischen Syndrom in Zusammenhang stehen: Diabetes, Bluthochdruck und Herzkrankheiten. Doch warum hat ein Drittel der US-Bevölkerung – in Deutschland ist es die Hälfte, im Winter sogar mehr als zwei Drittel – überhaupt einen Vitamin-D-Mangel? Ein Grund dafür ist, dass man uns beigebracht hat, die Sonne wie die Pest zu meiden. Der zweite Grund: Der Pro-Kopf-Verbrauch von Milch, einer wichtigen Nahrungsquelle für Vitamin D, ist im Laufe der vergangenen 60 Jahre in den USA um die Hälfte zurückgegangen. Im selben Maße wie der Milchkonsum sank, nahm der Konsum zuckerhaltiger Getränke (Soft Drinks und Saft) zu. Man kann beides hinsichtlich der epidemiologischen Daten nicht getrennt voneinander betrachten – sie sind alles, was wir bislang haben. Was ist also die Ursache des metabolischen Syndroms? Der Vitamin-D-Mangel, die Zuckerschwemme oder eine Kombination aus beidem? Noch gibt es keine Studie, die den Vitamin-D-Spiegel und den Zuckerkonsum gleichzeitig untersucht, um ermitteln zu können, was die Hauptursache des metabolischen Syndroms ist und was eine eher untergeordnete Rolle spielt.3

Resveratrol – der »Trend«-Stoff Der vielleicht größte Renner im Bereich des Functional Food befindet sich gerade im Versuchsstadium. Seit Langem wurde nichts mehr so hochgelobt wie Resveratrol – eine Verbindung, die in kleinen Mengen in der Nahrung vorkommt, aber in großen Mengen in Rotwein zu finden ist. (Ja, wirklich!) Resveratrol wirkt genau am richtigen Ort der Zelle. Bei Tierversuchen hat sich gezeigt, dass es sich positiv auf Entzündungen auswirkt, die durch ROS verursacht wurden. Auf diese Weise verhindert es Krebs, lindert Arteriosklerose, baut Bauchfett ab, verbessert die Insulinsensitivität und kann möglicherweise sogar Nervenfunktionen erhalten – und das alles praktisch ohne Nebenwirkungen. Das Problem ist, dass Versuche am Menschen gerade erst beginnen und bisher nur eine kurze Laufzeit haben. Eine neue Veröffentlichung4 lässt vermuten, dass Resveratrol zwar vielversprechend, aber noch nicht marktreif ist.

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Segensreich oder überschätzt? Viele epidemiologische Studien zeigen Zusammenhänge zwischen einem niedrigen Spiegel von Antioxidanzien (wie Vitamin  C und Betacarotin) im Blut und der Häufigkeit des metabolischen Syndroms. Doch ist dieser Mangel an Mikronährstoffen tatsächlich die wahre Krankheitsursache oder handelt es sich lediglich um Anzeichen für eine sehr schlechte Ernährung? Bislang wissen wir das noch nicht. Uns ist bekannt, dass eine bessere Ernährung (mehr »ganzes« Obst und Gemüse, weniger Zucker und industriell verarbeitete Lebensmittel), die mehr Mikronährstoffe enthält, fast uneingeschränkt vorteilhaft ist, um die Symptome des metabolischen Syndroms zu vermindern. Doch wenn diese Antioxidanzien als Nahrungsergänzungsmittel eingenommen werden, scheitern sie in der Regel kläglich. Das könnte an den günstigen Auswirkungen des Verzehrs naturbelassener Lebensmittel liegen, bei dem Sie die Ballaststoffe und die Antioxidanzien frei Haus geliefert bekommen. Bei klinischen Versuchen scheiterte die Vitamin-E-Supplementierung nicht nur einmal, sondern unabhängig voneinander gleich fünfmal: 1. Bei der ATBC-Studie (Alpha-Tocopherol, Beta-Carotene Cancer Prevention), bei der starken Rauchern Betacarotin (der orangefarbene Stoff in Karotten und die Vorstufe von Vitamin A) verabreicht wurde, stieg deren Risiko, Krebs und eine koronare Herzkrankheit zu bekommen. 2. Im Rahmen des HOPE-Versuchs (Heart Outcomes Prevention Education) trug Vitamin E zu Herzversagen bei. 3. Bei der Women’s Health Initiative (2005) zeigten zehn Jahre Vitamin-E-Gabe keine positive Auswirkung auf Herzkrankheiten oder Krebs. 4.  Bei der SELECT-Studie (Selenium and Vitamin  E Cancer Prevention Trial) steigerte Vitamin  E im Jahr 2009 das Risiko für Prostatakrebs. 5. Bei einer Cochrane-Metaanalyse wirkte sich Vitamin E im Jahr 2008 nicht auf die Geschwindigkeit des geistigen Abbaus aus. Der jüngste Misserfolg für die Befürworter der Nahrungsergänzungsmittel war die Iowa Women’s Health Study.5 Diese langfristig angelegte und gut kontrollierte Studie zeigte ein leicht gesteigertes Todesrisiko unter der Einnahme verschiedener Nahrungsergänzungspräparate (insbesondere Eisen). Lediglich bei der Einnahme von Kalzium konnte ein langfristi-

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ger Nutzen festgestellt werden: Durch weniger Knochenbrüche verbesserte sich die Lebenserwartung. Doch von diesen Fehlschlägen hört man nie etwas, da keine Agentur sie veröffentlicht und kein Druck ausgeübt wird, die Nahrungsergänzungsmittel vom Markt zu nehmen. Das ist das eigentliche Dilemma. Mikronährstoffe sind wichtig, sagt die Biochemie. Doch sie wirken in klinischen Studien nicht, wenn sie in Form von Nahrungsergänzungspräparaten verabreicht werden. Wie viele Studien brauchen wir wohl noch? Sie sind nun bereit für die Lösung: Echte Nahrung, die Mikronährstoffe von Natur aus enthält, verhindert das metabolische Syndrom. Industriell verarbeitete Lebensmittel verursachen das metabolische Syndrom. Und Nahrungszusätze können nicht wiedergutmachen, was zuvor zerstört worden ist.6 Aber warum wirkt echte Nahrung, während Nahrungsergänzungsmittel es nicht tun?

Das einzig Wahre: echte Nahrung versus industriell verarbeitete Lebensmittel Sehen Sie es ein: Wir sind von früheren Erfolgen verwöhnt. All die klassischen Vitamine funktionieren bei der Behandlung der jeweiligen Fehlernährung, selbst wenn sie in Pillenform eingenommen werden. Das liegt möglicherweise daran, dass in diesem Fall das einzige Problem die Unterernährung ist, also der Vitaminmangel selbst. Doch das metabolische Syndrom ist deutlich komplizierter. Die Behandlung von Überernährung ist wesentlich schwieriger. Etwas Fehlendes zu ersetzen, ist erheblich einfacher, als etwas Überschüssiges zu entfernen. Das ist ein bisschen wie beim Suppekochen. Sie können sie immer noch ein wenig nachsalzen. Doch wenn sie einmal richtig versalzen ist, können Sie sie eigentlich wegschütten. Zur Begründung gibt es fünf Theorien: ƒƒ Verschiedene Dinge, die der Nahrung während der Verarbeitung beigefügt werden – wie Zucker und Konservierungsstoffe –, sind wesentlich giftiger, als wir denken (siehe Kapitel 12). Etwas so Allgegenwärtiges und Mächtiges kann den Nutzen aller Nahrungsergänzungen zunichtemachen.

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ƒƒ Bei der Verarbeitung von Nahrung wird noch etwas deutlich Wertvolleres als die Mikronährstoffe entfernt. Was gibt es noch, das bei industriell verarbeiteten Lebensmitteln fehlt? Könnten es vielleicht die Ballaststoffe sein? Sind Ballaststoffe eventuell das wahre Gegenmittel zum metabolischen Syndrom, während alles andere nur Schönfärberei ist? ƒƒ Bei der industriellen Verarbeitung von Lebensmitteln werden die Mikronährstoffe ebenso entfernt wie die Ballaststoffe. Tatsächlich gehen viele Mikronährstoffe zusammen mit den Ballaststoffen verloren. Erinnern Sie sich an die Beriberi-Geschichte: Der Auslöser war der weiße Reis ohne Ballaststoffe, der sein Vitamin B1 eingebüßt hatte. Flavonoide, Folsäure und viele andere in der naturbelassenen Nahrung enthaltene Mikronährstoffe werden durch die Verarbeitung dezimiert. Es ist verführerisch zu denken, dass wir sie durch eine Pille ersetzen können, doch die Daten bekräftigen: Wenn die Nahrung »biologisch tot« ist, ist es unwahrscheinlich, dass man sie »wiederbeleben« kann, indem man sie einfach mit Wirkstoffen anreichert. ƒƒ Werden bestimmte Antioxidanzien in hoher Dosierung verabreicht, werden sie stattdessen zu Oxidanzien und haben die gegenteilige Wirkung. Ein perfektes Beispiel dafür ist Eisen. Es wird gebraucht, damit die Transportenzyme funktionieren, doch zu viel Eisen führt zur Oxidierung (das Ergebnis wird als Rost bezeichnet), die ebenso wie die »Bräunungsreaktion« auch in Ihrem Inneren stattfindet. ƒƒ Functional Food und Nahrungsergänzungsmittel unterliegen nicht denselben strengen Qualitätskontrollen wie Medikamente. Die vom US-amerikanischen Kongress erlassene diesbezügliche ­Verordnung (Dietary Supplement Health and Education Act) aus dem Jahr 1994 sicherte der Nahrungsergänzungsmittel herstellenden ­Industrie ­quasi weitgehende Freiheiten beim Beweis der Sicherheit und Wirksamkeit ihrer Produkte. Das medizinische Institut IOM legte 2008 niedrigere Grenzwerte, aber nicht tolerierbare ­Obergrenzen für die Einnah-

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me dieser Substanzen fest. Das bedeutet, dass die Unternehmen die Wirkstärke nicht sicherstellen müssen. Kann man dann davon ausgehen, dass die Chargen einheitlich ausfallen? Kann man überhaupt sicher sein, dass die Ursprungspflanze richtig erkannt und korrekt verarbeitet worden ist? Und hat der Verzehr von 1.000 Prozent der vom US-amerikanischen Landwirtschaftsministerium (USDA) empfohlenen Tagesration an Vitamin C tatsächlich irgendeine spürbare Auswirkung auf die Bekämpfung einer Erkältung? Die Industrie ist bisher damit durchgekommen, weil die Behörde für Lebensund Arzneimittelüberwachung (FDA) sie nicht reguliert. Nur wenig besser verhält es sich in Deutschland: Laut Nahrungsergänzungsmittelverordnung müssen die Präparate zwar eine »ernährungsspezifische oder physiologische Wirkung« aufweisen, sie benötigen aber keine behördliche Zulassung – sie werden nur stichprobenartig von der amtlichen Lebensmittelüberwachung geprüft. Sicherheit und Qualität ist allein Sache der Hersteller. Eins ist definitiv richtig: Die 123,9 Milliarden Dollar Umsatz der Nahrungsergänzungsmittel- und Functional-Food-Industrie im Jahr 2008 machen 6 Prozent des gesamten Nahrungsmittelumsatzes aus … und sind ein Kartenhaus. Es ist besser, sich an die altbewährte Methode zu halten, um das metabolische Syndrom zu bekämpfen. Wir wissen, dass sie funktioniert. Sie hat sogar noch zusätzliche positive Auswirkungen auf unseren Körper, ist erheblich preiswerter und schmeckt besser. Was ist also das Wundermittel? Zu Julios Leidwesen ist es keine neue Leber, sondern einfach echte Nahrung.

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Rebecca ist ein fünfjähriges Mädchen, das innerhalb eines Jahres 9 Kilogramm zugenommen hat und wegen verfrühter Brustentwicklung zu uns geschickt wurde. Eine MRT-Aufnahme ihres Kopfes zeigt keinen Hirntumor. Eine Hypophysenuntersuchung liefert keine Anhaltspunkte für den Pubertätsbeginn, und bei Tests findet sich kein Östrogen im Blut. Bei einer detaillierteren Untersuchung der Hintergründe kommt heraus, dass Rebeccas Mutter kürzlich begonnen hat, ihre Tochter mit einem Badezusatz von Victoria’s Secret zu baden. Auf der Verpackung steht in großen Buchstaben: »Nur für Erwachsene«. Vermutlich enthält der Badezusatz ein Pflanzenöstrogen. Der Mutter wird geraten, es nicht mehr zu verwenden. Daraufhin werden Rebeccas Gewichtszunahme und Brustentwicklung gestoppt.

Im Jahr 1990 überstieg kein US-Bundesstaat eine Adipositasrate von 14 Prozent. In nur 20 Jahren hat sich das grundlegend geändert: In keinem der Bundesstaaten liegt die Adipositasrate unter 20 Prozent; in 36 Bundesstaaten beläuft sie sich sogar auf 25 Prozent und mehr. Diese Zahlen steigen weiter an, und es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie wieder sinken könnten. Das vielleicht Seltsamste an der Adipositaspandemie ist ihr zeitlicher Verlauf. Ginge man davon aus, dass dieser nationale Trend allein auf eine massenhafte Verhaltensänderung zurückgeht, die alle Bundesstaaten glei-

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chermaßen betrifft, würde man das Muster dieser Pandemie verkennen. Sie ähnelt eher einer Infektionskrankheit oder irgendetwas anderem, dem die Menschen in ihrer Umgebung in großer Zahl ausgesetzt sind. Doch was kann sich auf diese Weise auswirken und so weit reichen?

Das Adipositas-Pubertäts-Dilemma Eines der Dinge, die die Aufmerksamkeit auf die Adipositasepidemie bei Kindern und die Möglichkeit einer großen und überwältigenden Umweltbelastung gelenkt haben, ist die Tatsache, dass Mädchen immer früher in die Pubertät kommen.1 Verständlicherweise bereitet das den Eltern Kummer. Studien haben gezeigt, dass Mädchen unabhängig von den Ethnien schon im Alter von nur sieben Jahren erste Anzeichen einer Brustentwicklung zeigen: Weiße (10 Prozent), Afroamerikaner (23 Prozent) und Latinos (15 Prozent).2 Viele Untersuchungen haben seitdem bestätigt, dass bei Mädchen die Pubertät früher einsetzt (bei Jungen hingegen nicht, warum auch immer). Die massenhafte frühe Brustentwicklung bei Mädchen fällt mit der Adipositasepidemie zusammen. Könnte es zwischen beiden Punkten einen Zusammenhang geben? Könnte die Brustentwicklung (und möglicherweise auch die Fettleibigkeit) nicht von den Eierstöcken ausgelöst sein (echte Pubertät), sondern eher auf eine andere Form der Östrogenbelastung zurückgehen? Seit Hunderten von Jahren setzt bei Mädchen die Pubertät immer früher ein. Diese Entwicklung wurde der verbesserten Ernährung sowie einem höheren Gewicht und mehr Körperfett in jungen Jahren zugeschrieben. Bei einem höheren BMI ist auf jeden Fall früher mit der ersten Regelblutung zu rechnen.3 Das lässt vermuten, dass Adipositas der Auslöser für das heutige massenhaft frühere Eintreten der Pubertät sein könnte. Darüber hinaus wissen wir, dass Kinder, die sehr viel Sport treiben und nicht zunehmen – wie Turner oder Balletttänzerinnen, von denen viele auch an einer Essstörung leiden –, überhaupt nicht in die Pubertät kommen, bis sie ihr Trainingsprogramm reduzieren. Außerdem sind sie häufig im Wachstum zurückgeblieben. Das ist ein perfektes Beispiel dafür, wie das Hormon Leptin Beginn und Fortschreiten der Pubertät reguliert. Das Kind muss eine

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gewisse Menge Fett ansetzen, um das Leptin zu produzieren, das wiederum benötigt wird, um den Prozess in Gang zu setzen. Ohne Leptin keine Pubertät.4 Aufgrund der Adipositas steigt der Leptinspiegel schon in jüngeren Jahren an. Doch beginnt die Pubertät tatsächlich schon im Alter von sieben Jahren? Wir wissen noch immer nicht genau, wie wir die Daten interpretieren sollen, da es zwei bislang unbeantwortete Fragen gibt: 1. Ist die Entwicklung von Brustgewebe bei Mädchen immer ein »echtes« Anzeichen für den Beginn der Pubertät? Könnte es nicht einfach auch sein, dass Fettgewebe die Brust größer wirken lässt? Man müsste das Brustgewebe abtasten, um sicherzugehen; und vielen dieser Studien liegt lediglich eine visuelle Untersuchung zugrunde. (Viele Ärzte fühlen sich nicht wohl dabei, die Brust junger Mädchen abzutasten.) Und 2. Woher wissen wir, dass die Brustentwicklung wirklich bedeutet, dass die Pubertät begonnen hat? Das ist nicht immer eindeutig, da es von der Östrogenquelle abhängt; und wir wissen nicht immer, woher das Östrogen kommt. Drei unterschiedliche Östrogenquellen können die Brustentwicklung fördern: 1. Die Eierstöcke. Wenn der Hypothalamus das Leptinsignal erhält, kann er die Pubertät in Gang setzen. 2. Die Fettzellen. Sie enthalten das Enzym, das Östrogen produziert – je mehr Fett, desto mehr Östrogen. Das gilt für Frauen und Männer gleichermaßen. (Deshalb entwickeln adipöse Männer auch eine größere Brust und benötigen einen »Männer-BH«.) 3. Stoffe in der Umwelt, die dem Östrogen ähneln. Sie könnten die Bildung von Brustgewebe und Fetteinlagerungen anregen. Stoffe, die das endokrine System beeinträchtigen. Umwelt-Obesogene.

Was ist ein Obesogen? Wissenschaftler haben den Ausdruck Obesogen geprägt. Sie bezeichnen damit hormonaktive Substanzen (auch Xenohormone, Umwelthormone oder endokrine Disruptoren genannt), die bei den Menschen Gewichtszunahme und Adipositas fördern. Obesogene können auf unterschiedliche Weise Adipositas vorantreiben. Wie Östrogen können sie die Anzahl der existierenden Fettzellen steigern oder die Fetteinlagerung in diesen Zellen

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unterstützen. Obesogene sind in der Lage, das Energiegleichgewicht zugunsten der Speicherung von Kalorien zu verändern und die Menge der im Ruhezustand verbrannten Kalorien zu reduzieren (REE, siehe Kapitel 13). Sie können die Mechanismen beeinflussen, durch die der Körper Appetit oder Sättigung wahrnimmt. Mit anderen Worten: Obesogene können das körpereigene System der Energiebilanz heimtückisch überfallen und dafür sorgen, dass die Energie sich an Orten absetzt, die der Stoffwechselgesundheit abträglich sind.

Östrogene Für eine Chemikalie gehört nicht viel dazu, ein Östrogen zu sein. Der menschliche Östrogenrezeptor ist außerordentlich kritiklos: Er koppelt sich an fast jede Chemikalie an, die seine Aufmerksamkeit erregt. Es gibt zahlreiche Stoffe, die den Östrogenrezeptor Amok laufen lassen, sodass er alle Hemmungen verliert. Dadurch werden die Brustentwicklung und die Fettzellendifferenzierung angeregt, was eine Gewichtszunahme bedeutet. Östrogene sind überall. Es gibt sie in unserer Nahrung, in Kunststoffen und im Wasser. Bis vor Kurzem kamen sie auch in Pestiziden zum Einsatz. Die vielleicht bekannteste dieser Verbindungen ist das Insektizid DDT. Während des Zweiten Weltkriegs wurde es in großem Stil verwendet, um Malaria bei den Soldaten unter Kontrolle zu bringen. Diese Chemikalie konnte die Insekten, welche die Krankheit übertrugen, töten, weil es sich um ein Östrogen handelte. Rachel Carson wies bereits in ihrem 1962 veröffentlichten Buch Der stumme Frühling darauf hin, dass DDT eine Ursache für Krankheiten bei Tieren und Krebs beim Menschen war. 1972 wurde das Pestizid in den USA verboten, 1977 in Deutschland, 1992 in Österreich. Doch das Problem ist: DDT wird zwar seit vier Jahrzehnten in den USA nicht mehr verwendet, aber sein Abbauprodukt DDE wird noch immer im Urin schwangerer Frauen nachgewiesen – selbst bei Frauen, die nach 1972 geboren worden sind. DDE hat viele Auswirkungen auf die Gesundheit; so kann man beispielsweise aufgrund der DDE-Konzentration im Urin schwangerer Frauen vorhersagen, welches Gewicht das Kind im

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Alter von drei Jahren haben wird.5 Es ist fast sicher, dass DDE zusätzliche Fettzellen aufbaut, schon bevor das Baby auch nur geboren ist! Könnte das die Adipositas bei Kindern fördern? Ein weiteres bekanntes Östrogen ist unser neuestes Umweltfeindbild: Bisphenol  A (BPA). Diese Verbindung wird unter anderem immer dann freigesetzt, wenn eine Säure mit einer Plastikflasche aus Polycarbonat in Berührung kommt. Mit anderen Worten: Jede trinkbare Flüssigkeit in den USA ist betroffen. BPA wird in einer Vielzahl von Waren verwendet. Der Zusammenhang zwischen BPA und Krebs ist so eng, dass der Bundesstaat Kalifornien 2013 BPA in Babyfläschchen und Spielsachen verboten hat. Bereits 2011 untersagte das deutsche Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz den Stoff für Babyfläschchen. BPA wird mit einer Fettzellendifferenzierung in Verbindung gebracht, und die BPA-Konzentration im Urin korreliert bei Erwachsenen mit dem BMI.6 Doch denken Sie daran: Eine Korrelation ist noch keine Ursächlichkeit. Die letzte unserer großen Östrogenbelastungen geht von Genistein aus, das in Soja und Rotklee vorkommt. Bei Ratten fördert Genistein die Fettzellendifferenzierung. Babys, die diesem Phytoöstrogen bei der Geburt ausgesetzt sind, werden mit drei und vier Monaten voraussichtlich mehr Fett ansetzen. Und da Genistein in Soja enthalten ist, kommt es in allem vor, was wir zu uns nehmen. Auch wenn Sie Fleisch essen – denn das Tier, von dem das Fleisch stammt, ist vermutlich mit Sojaprodukten gefüttert worden. Falls Sie Vegetarier sind, nehmen Sie es dennoch durch Milch und Käse zu sich. Und Veganer essen wahrscheinlich ohnehin viele Sojaprodukte (z. B. Tofu). Es ist also niemand gefeit. Ob Genistein zur Fettleibigkeit beim Menschen beiträgt, ist aktuell unbekannt; noch werden Daten gesammelt. Doch wenn man bedenkt, dass Soja in unserer Nahrung allgegenwärtig ist, gibt es auf jeden Fall Grund zur Besorgnis.

Phthalate Mögen Sie den Geruch Ihres neuen Duschvorhangs? Das sind Phthalate – Weichmacher, die den Kunststoff schön geschmeidig werden lassen. Sie werden in den unterschiedlichsten Produkten verwendet: zum Beispiel als

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Überzug von Pillen und Nahrungsergänzungsmitteln, in Körperpflegeprodukten oder in Spielsachen wie Gummientchen. Bei Erwachsenen gibt es eine Wechselbeziehung zwischen dem Phthalatspiegel im Urin und Adipositas, Taillenumfang und Insulinresistenz. Seit Neuestem ist auch bei New Yorker Kindern eine Korrelation zwischen dem Phthalatspiegel im Urin und dem Taillenumfang nachgewiesen.7 Auch hier gilt, dass es sich um eine Korrelation handelt, nicht um eine Kausalität, aber es ist dennoch sehr beunruhigend.

Atrazin und andere Chlorkohlenwasserstoffe Atrazin gehört zu den Chlorkohlenwasserstoffen und ist ein Herbizid, das die Fortpflanzungsfähigkeit in hohem Maße beeinträchtigt, da es strukturelle Missbildungen bei Lebewesen hervorruft (z. B. bei Kaulquappen). Es hat einen Einfluss auf Entwicklungsstörungen beim Menschen und Krebserkrankungen bei Kindern. In Europa ist die Verwendung von Atrazin verboten, doch in den Vereinigten Staaten nicht. Iowa ist mit Atrazin überschwemmt, da es das wichtigste Pestizid für die Maisfelder des Bundesstaates ist. In den vergangenen zwei Jahrzehnten gab es im nördlichen Golf von Mexiko eine »tote Zone«, in der fast alle Fische im Delta starben, da Atrazin den Mississippi hinuntergespült wurde. Der Atrazinspiegel im Blut korreliert bei Erwachsenen mit Adipositas und Insulinresistenz. Doch auch hier ist es noch ein langer Weg, um zu beweisen, dass Atrazin beim Menschen Fettleibigkeit auslöst.

Tributylzinn-Verbindungen (TBT) Tributylzinn-Verbindungen (TBT) sind weniger bekannt, aber im Hinblick auf Adipositas besonders schlimm. Es handelt sich um ein Fungizid, das zum Anstreichen von Schiffsrümpfen verwendet wird, um das Verrotten und die Anhaftung von Seepocken zu vermeiden. Da es bei Schiffen genutzt wird, gelangt es auch in unsere allgemeine Wasserversorgung – und das bedeutet, dass jeder dieser Chemikalie ausgesetzt ist. Hinsichtlich der

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Gewichtszunahme wirken TBT auf zweierlei Weise.8 Zum einen imitieren sie die Signale, die den Fettzellen mitteilen, dass sie sich vermehren sollen; und zum anderen aktivieren sie den Cortisolstoffwechsel, sodass sich mehr Bauchfett ablagert (siehe Kapitel  6). Also lauter schlechte Nachrichten. Und was noch schlimmer ist: Eine einmalige Belastung einer trächtigen Ratte fördert die Entstehung einer Fettleber bei ihrem Nachwuchs direkt bei der Geburt, sodass all diese Nachkommen lebenslang zu Adipositas und dem metabolischen Syndrom verdammt sind. Wir können zwar TBT im menschlichen Urin nachweisen (also wissen wir von der Belastung), aber das letzte Wort darüber, ob TBT als wichtiger Auslöser für Fettleibigkeit bei Kindern oder Erwachsenen fungieren oder nicht, ist noch nicht ­gesprochen.

Rauchen und Luftverschmutzung Jeder weiß, dass Rauchen schädlich ist. Doch obwohl Luther Terry, der damalige Sanitätsinspekteur der Vereinigten Staaten, schon 1964 erklärte, dass Rauchen der Gesundheit schade, dauerte es 30  Jahre, bis etwas geschah. Dank der Nichtraucherrechte gilt heute ein Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden. Warum kam es schlussendlich zu gesellschaftlichen Veränderungen? Der Grund dafür ist das Passivrauchen. Und niemand leidet darunter mehr als ein ungeborenes Kind. Zigarettenrauch enthält eine Menge hässlicher Verbindungen, zu denen auch Thiocyanate zählen, die mit Cyanid verwandt sind. Thiocyanate blockieren die Funktion der Schilddrüse, und es ist bekannt, dass bei Schulkindern, deren Eltern rauchen, der Spiegel des Schilddrüsenhormons niedrig ist. Das könnte die Gedächtnisleistungen in der Schule beeinträchtigen. Schlimmer noch: Thiocyanate passieren die Plazenta, gelangen zum Fetus und sind auch in der Muttermilch nachweisbar. Es ist hinlänglich bekannt, dass Zigarettenrauch dazu führen kann, dass Kinder bei der Geburt sehr klein sind (SGA, Small for Gestational Age – klein bezogen auf das Reifealter). Und wie in Kapitel 7 dargelegt, haben SGA-Kinder ein höheres Risiko, in ihrem späteren Leben Adipositas und das metabolische Syndrom zu entwickeln.

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Doch die Verbindungen, die Sie Tag für Tag einatmen, könnten noch hinterhältiger sein als Zigarettenrauch. Die Luftverschmutzung zählt zu den schlimmsten Faktoren und könnte obendrein eine ganz entscheidende Rolle bei den weltweiten Adipositas- und Diabetespandemien spielen. Es steht außer Frage, dass die Adipositas- und Diabetesraten in den industrialisierten Ländern immer weiter ansteigen. Das Pendant zu dem Argument »Eine Kalorie ist eine Kalorie« ist, dass wir heute überallhin fahren, statt zu Fuß zu gehen, sodass wir keine Energie verbrennen. Ein weiteres Dogma, das zerschlagen werden sollte: Schon lange wissen wir, dass Asthma, Adipositas und Diabetes gerne gleichzeitig bei einem Menschen auftreten. Mehrere neue Studien haben gezeigt, dass es ein großes Risiko für die Entwicklung dieser drei Krankheiten birgt, wenn man in der Nähe von Autobahnen oder anderen großen Straßen lebt. Eine Langzeitstudie mit Zehnjährigen in Südkalifornien offenbarte einen Zusammenhang zwischen dem Verkehrsaufkommen innerhalb von 150 Metern rund um das Zuhause eines Kindes und dessen BMI im Alter von 18 Jahren.9 Es ist allerdings nicht klar, ob die Luftqualität einen direkten Einfluss hat oder ob das Verkehrsaufkommen das Ausmaß der körperlichen Betätigung des Kindes veränderte und so die Gewichtszunahme förderte.

Oder handelt es sich um eine Infektion? In diesem ganzen Buch geht es um die Adipositaspandemie – und um eine solche handelt es sich wirklich. Doch wenn wir über Pandemien sprechen, reden wir in der Regel über irgendeine ansteckende Krankheit wie Grippe, Pest, Ebola oder etwas vergleichbar Schlimmes. Das Muster der Adipositas­ verbreitung sieht wie das einer großen Seuche aus. Könnte das an einer Art Infektion liegen? An dieser Stelle kommt das Adenovirus 36 (ADV 36) ins Spiel. Dieses Virus beginnt damit, typische Erkältungssymptome auszulösen, bevor es die Kontrolle über Ihre Fettzellen übernimmt. Es tut dasselbe wie einige hormonaktive Substanzen: Es sorgt für die Ausdifferenzierung von Fettzellen und veranlasst sie zur Teilung. Standardinfektionsstudien haben gezeigt, dass bei Affen eine Infektion mit ADV 36 zu einer Gewichtszunahme

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Umwelt-»Obesogene«

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führt. Wie alle anderen Adenovirusarten (die zu Infektionen der Atemwege führen), ist ADV 36 durch Husten und Niesen übertragbar. Aus naheliegenden Gründen ist es bei Menschen etwas schwieriger, die Ursache-Wirkungs-Beziehung zu beweisen. Doch der Spiegel der ADV-36-Antikörper korreliert bei bestimmten Bevölkerungsgruppen mit dem BMI, insbesondere bei Kindern.10 In einer Studie waren 15  Prozent der adipösen Kinder ADV-36-positiv – im Vergleich zu 7 Prozent bei den normalgewichtigen Kindern. Und innerhalb der fettleibigen Bevölkerung wogen Personen, die ADV-36-positiv waren, durchschnittlich 16 Kilo mehr als jene, die dieses Virus nicht hatten. Das lässt vermuten, dass ADV 36 die Fettleibigen noch fetter macht. Doch all diese Korrelationen belegen noch immer keine Ursächlichkeit. Es ist noch ein weiter Weg, bis wir beweisen können, dass ADV 36 definitiv zur menschlichen Adipositas beiträgt.

Sie können davonlaufen, aber Sie können sich nicht verstecken Ich könnte so weitermachen, denn die Liste der schädlichen Wirkstoffe scheint kein Ende zu haben. Und natürlich sollten wir auch das allgegenwärtigste aller Toxine nicht vergessen: die Fruktose, die böse Königin oder Hexe dieser Geschichte, die das Gift verbreitet, von dem wir einfach nicht genug bekommen können. Niemand kann entkommen. Die hormonaktiven Substanzen sind einfach überall. Es gibt Giftstoffe im Wasser, im Plastik, im Lebensmittelladen und sogar in der Luft, die wir atmen. Rebecca ist den Obesogenen in ihrem Badezusatz ausgesetzt gewesen. Doch selbst Tierarten, die das gleiche Wasser trinken, die gleiche Luft atmen wie wir und Futter fressen, das aus verfälschten Lebensmitteln (Mais, Soja) hergestellt worden ist, werden fetter (siehe Kapitel 3).11 Nun wollen Sie nicht mehr versuchen zu behaupten, dass Adipositas auf übermäßiges Essen und zu wenig Bewegung zurückzuführen ist, oder? Die Obesogenhypothese umfasst zwei wichtige Aussagen: 1. Die Anfälligkeit für Adipositas gehört zum Dasein der Menschen (und Tiere) dazu. Obesogene lieben es, Fettzellen zu produzieren, und Fettzellen lieben es, gefüllt zu werden. 2. Obesogene können die fetale Programmierung von

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Fettzellen oder des Hypothalamus im Mutterleib verändern und auf diese Weise den Sollwert für die Gewichtszunahme bereits bei der Geburt beeinflussen. Auch wenn die Belastung durch das Obesogen möglicherweise aufhört, bleibt der Schaden dauerhaft bestehen. Und es gibt heutzutage mehr Obesogene in unserer Umwelt als jemals zuvor. Kommen wir schließlich noch einmal auf die fettleibigen sechs Monate alten Babys zurück. Säuglingsfertignahrung, insbesondere die auf Sojabasis, steckt voller Obesogene, und es ist bekannt, dass der Verzehr dieser Produkte zu einer Gewichtszunahme beiträgt. Die in den USA verbreitete Milchnahrung Isomil beispielsweise enthält 10,3  Prozent Saccharose, das in Deutschland angebotene Produkt Alete Banane-Apfel mit Zwieback 11 Prozent, milupa Milchbrei Grieß gar 35,6 Prozent (bei Coca-Cola sind es 10,5 Prozent) – das ist ein wahrer Milchshake für Babys! Bei Säuglingsnahrung mit Soja kommt noch das Genistein hinzu, und möglicherweise wird diese Mischung dann auch noch in ein Babyfläschchen gefüllt, das Bisphenol A enthält … Sieht dieses sechs Monate alte Baby eher wie ein Täter oder wie ein Opfer aus? Wie können wir unsere Belastung durch hormonaktive Substanzen verringern? Leider ist zu diesem Zweck in der Regel eine staatliche Gesetzgebung oder ein Einschreiten der Gesundheitsbehörden erforderlich. Hat irgendeine Regierungsbehörde den Mumm, das zu tun? Den Auswirkungen der Adipositaspandemie auf das öffentliche Gesundheitswesen widmen wir uns im sechsten Teil dieses Buches.

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Das Imperium schlägt zurück: Die Antwort der Nahrungsmittelindustrie »Adipositas ist ein komplexes Problem mit zahlreichen U ­ rsachen, und es gibt dafür keine einzige, einfache Lösung. Es ist unverantwortlich und aus wissenschaftlicher Sicht zweifelhaft, ­Glukosesirup oder irgendwelche anderen Nahrungsmittel oder Zutaten als Hauptursache für Adipositas herauszugreifen. Die einzige wirkungsvolle und nachhaltige Möglichkeit, Adipositas zu bekämpfen, besteht darin, die Menschen zu einem ausgewogenen Lebensstil zu ermuntern, sodass sie vielfältige Nahrung in Maßen zu sich nehmen und viel körperliche Bewegung in ihren Alltag integrieren.« Presseinformation der National Soft Drink Association, 25. März 2004

Sozusagen. Glukosesirup und Zucker sind in jeder Hinsicht im Hinblick auf ihre Biochemie und die Verstoffwechselung austauschbar. Doch da hört die Wahrheit auch schon auf. Der Zuckerverband und die Mais-Raffinerie-Vereinigung haben keine Mühen gescheut, um Zucker zu rehabilitieren, aus welcher Quelle er auch stammen möge. Sie wollen die Öffentlichkeit glauben lassen: »Eine Kalorie ist eine Kalorie.« Sie möchten, dass wir denken, Fruktose und alle anderen Zuckerarten seien lediglich »leere Kalorien«. Wenn das so wäre, dann wäre Zucker dasselbe wie jeder andere Nährstoff – nicht besser und auch nicht schlechter. Ein durchschnittlicher

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Erwachsener mit sitzendem Lebensstil nimmt pro Tag 2.000 kcal zu sich; dabei sind ihrer Meinung nach ungefähr 1.800  kcal »essenzielle« Kalorien – insofern als Fette zur Bildung von Zellmembranen benötigt werden, Eiweiße für Muskeln und Enzyme sowie Kohlenhydrate für den normalen Energiestoffwechsel, Wachstum und Reparatur. Folglich bleiben 200  kcal pro Tag zur »freien Verfügung«, die auf eine beliebige Weise aufgenommen werden können.1 Und wenn wir uns bewegen, haben wir die Möglichkeit, noch mehr »frei verfügbare« Kalorien zu uns zu nehmen. Wenn wir sie alle auf Zucker verwenden wollen, sollten wir die Freiheit haben, das zu tun. Und wir tun es – mehr als das. Abbildung 16.1 zeigt die Anzahl an Kalorien pro Tag, die Kinder verschiedener Altersgruppen in den Vereinigten Staaten in Form von Zuckerzusatz zu sich nehmen (also nicht in Form von Zucker, der natürlicherweise z. B. in Obst und Gemüse vorhanden ist). Das 50. Perzentil konsumiert im Laufe seines Lebens pro Tag zwischen 320 und 350 kcal aus Zuckerzusatz, und das 90. Perzentil nimmt über 600 Zuckerzusatzkalorien zu sich. Selbst die zwei- bis dreijährigen Kinder verzehren im Durschnitt 180 kcal täglich in Form von Zuckerzusatz. Damit haben wir die Grenze unserer »frei verfügbaren« Kalorien eindeutig überschritten und weit hinter uns gelassen. Die Nahrungsmittelindustrie fügt den verarbeiteten Lebensmitteln immer mehr Zucker hinzu, weil sie es kann. Und sie weiß: Wenn sie es tut, kaufen wir mehr davon (siehe die Kapitel  5 und  11). Soft Drinks machen ein Drittel des Gesamtzuckerkonsums aus. Doch die anderen Lebensmittel, die früher keinen Zucker enthielten, sprengen ebenfalls den Rahmen und tragen enorm zur Zuckerschwemme bei (z. B. Joghurt und Ketchup).

Eine kurze Geschichte der US-amerikanischen Zuckerflut Die US-amerikanische Zuckerschwemme ist das Ergebnis von mehr politischen Verfälschungen und Manipulationen hinter den Kulissen als bei der Wahlentscheidung zwischen Bush und Gore im Jahr 2000. Wir mochten schon immer Süßes, doch unser Zuckerkonsum wurde erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem Problem.

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Abbildung 16.1a: Zucker morgens, Zucker tagsüber, Zucker abends  … Der tägliche Konsum hinzugefügten Zuckers (in Kilokalorien pro Tag) bei US-amerikanischen Kindern, aufgeschlüsselt nach Altersgruppe und Geschlecht. Es werden alle Nahrungsmittel einschließlich Müsli, Desserts, Soft Drinks und Saft erfasst.

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Abbildung 16.1b: Der tägliche Konsum hinzugefügten Zuckers (in Prozent von der Gesamtkalorienmenge) bei US-amerikanischen Kindern, aufgeschlüsselt nach Altersgruppe und Geschlecht. Alle Altersgruppen nehmen mehr Zucker zu sich als die Obergrenze von 10 Prozent der Kalorien, die von der amerikanischen Herzvereinigung empfohlen werden.

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Nordamerika war schon immer eine Zuckermangelregion, und es gab in diesem Bereich stets mehr Importe als Exporte, um die wachsenden Bedürfnisse zu stillen. In chronologischer Reihenfolge sind nachfolgend die Ereignisse der vergangenen 50 Jahre aufgelistet, die in den USA zu einer Eskalation des Problems beitrugen und dazu geführt haben, das unser heutiges öffentliches Gesundheitssystem kurz vor dem Abgrund steht. ƒƒ Die kubanische Revolution im Jahr 1959 und die nachfolgende Machtergreifung durch Fidel Castro schnitten die US-Amerikaner von ihren Standardzuckerquellen ab. Der Vorfall in der Schweinebucht 1961 beendete alle Gespräche oder Handelsmöglichkeiten mit dem Castro-Regime. Es wurde ein neuer Zuckerlieferant benötigt. ƒƒ Ab den frühen 1970er-Jahren wurde Glukosesirup an die US-amerikanischen Ufer gespült. Zunächst war die Lebensmittelbranche diesem neuen Produkt gegenüber etwas skeptisch. Als Glukosesirup schließlich in die Ernährungsweise der westlichen Welt aufgenommen wurde, führte das zu einer Stabilität des US-amerikanischen Erzeugerpreisindexes für Zucker, da die Kosten für Glukosesirup durchschnittlich halb so hoch sind wie für Zucker (Abbildung 16.2). ƒƒ Präsident Richard Nixon bemerkte völlig richtig, dass schwankende Lebensmittelpreise für politische Unruhe sorgen. Deshalb forderte er seinen Landwirtschaftsminister, Earl (Rusty) Butz auf, Nahrung als politisches Thema »vom Tisch zu nehmen«. Sein Auftrag bestand darin, Wege zu finden, um Nahrung billig zu machen. Da kam ihm Glukosesirup gerade recht. Das war einer der Auslöser zur Bezuschussung von Mais durch das US-Agrargesetz. Im Grunde sponserte die US-Regierung den Maispreis – selbst wenn es dann mehr kostete, ihn anzubauen, als ihn zu verkaufen. Die niedrigen Kosten für Glukosesirup ließen den Preis für beides sinken, sodass beides billig und leicht erhältlich wurde.

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ƒƒ Die Empfehlung der »McGovern-Kommission« (siehe Kapitel  10) führte zu einer gelenkten Politik seitens des US-Landwirtschaftsministeriums Ende der 1970er-Jahre, um unseren Verzehr von Nahrungsfetten zu reduzieren.2 Wie können Sie fettarme Produkte schmackhaft machen? Mit Zucker. Glukosesirup war die preiswerteste verfügbare Alternative und wurde aus einheimischem Mais gewonnen. Durch die Umwandlung der industriell verarbeiteten Lebensmittel in fettarme Versionen mit einem hohen Zuckergehalt stiegen die Profite der Nahrungsmittelindustrie. ƒƒ Der letzte Sargnagel war der zweitschlimmste Hurrikan der USamerikanischen Geschichte. Jeder erinnert sich noch an Katrina im Jahre 2005. 1980 hatte der Hurrikan Allen auf einen Schlag die gesamte karibische Zuckerernte vernichtet. Zucker-Termingeschäfte schossen auf Rekordhöhe, im Handel wurden noch höhere Preise erzielt. Coca-Cola hatte bislang noch Zucker statt Glukosesirup eingesetzt, doch als Rohzucker nun knapp wurde, brachte der Konzern eine Cola-Version mit Glukosesirup auf den Markt. Diesem Beispiel schloss sich der Rest der Lebensmittelbranche bald an. In den späten 1990er-Jahren wurde Glukosesirup in den Vereinigten Staaten zum gebräuchlichsten Süßungsmittel überhaupt. Aktuell werden 5 Prozent des in den USA angebauten Maises zu Glukosesirup verarbeitet.3 Für Ihre Gesundheit ist Glukosesirup nicht schlechter als irgendeine andere Form von Fruktose, allerdings enthält er generell keine Ballaststoffe. Doch er ist preiswert, leicht zu produzieren und leicht verfügbar, weshalb er inzwischen in fast allen Nahrungsmitteln verwendet wird. Und wir mögen ihn – also kaufen wir mehr. Obwohl Glukosesirup billiger hergestellt werden kann als Zucker, sind die Preise verschiedener Lebensmittel, die ihn enthalten, unverändert geblieben oder sogar gestiegen. (Überprüfen Sie das einmal an einer Packung Müsli.) Ein Win-win-Geschäft für die Lebensmittelindustrie.

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Der Einfluss von Süßungsmitteln aus Mais auf den Zuckerpreis US-amerikanischer Erzeugerpreisindex

Internationaler Preis für raffinierten Zucker Preis in London

Rohrohrzucker Raffinierter Rübenzucker Süßungsmittel auf Maisbasis

US-Verkaufspreis

Raffinierter Zucker

US-Preis

Glukosesirup

US-amerikanisches Landwirtschaftsministerium

Abbildung 16.2: Eine billige Alternative. a) Der US-amerikanische Erzeugerpreisindex (EPI) für Zucker vor und nach der Einführung von Süßungsmitteln auf Maisbasis 1975. Nach der Einführung schwankt er und pendelt sich dann um 100 Prozent ein, was Preisstabilität garantiert. b) Der US-amerikanische Preis für Zucker im Vergleich mit dem Londoner Preis dokumentiert die Preisstabilität und ermöglicht eine gesteigerte Verwendung. c) Der Preis von raffiniertem Zucker im Vergleich zu Glukosesirup in den USA. Glukosesirup war so billig, dass er in jeder Nahrung aufzutauchen begann. Und das ist bis zum heutigen Tag so.

Die Rechtfertigung der Lebensmittelbranche Die Nahrungsmittelindustrie wird erwidern, dass es viele Gründe gibt, um Lebensmitteln Zucker oder Glukosesirup zuzusetzen und die Ballaststoffe zu entfernen. Manche dieser Gründe sind sehr vernünftig, sowohl aus industrieller als auch aus wirtschaftlicher Sicht. Doch wie steht es mit der Biologie? Was sagt unsere Gesundheit dazu?

Zucker macht süß

Unsere Zunge ist in der Lage, fünf Geschmacksrichtungen zu ­unterscheiden: süß, salzig, sauer, bitter und vollmundig (Umami). Zucker überdeckt die ersten vier Faktoren: salzig (Studentenfutter, mit Honig geröstete Erdnüsse), sauer (die Säure unreifer Tomaten in industriell verarbeiteter Tomatensoße,

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Limonade), bitter (Milchschokolade) und vollmundig (süßsaures Schweinefleisch). Zucker überdeckt die Mängel der Nahrung und lässt weniger leckere Nahrung essenswert erscheinen. Fazit: Mit ausreichend Zucker können Sie fast alles gut schmecken lassen. Und das tut die Lebensmittelindustrie.

Zucker und Bräunung

Gebräunte Nahrung sieht ansprechend aus und lässt das Wasser im Munde zusammenlaufen. Vor dem Kochen oder Grillen reiben wir Rippchen mit Barbecuesoße ein, um den richtigen Bräunungseffekt zu erzielen. Alle Lebensmittel bräunen mit Zucker besser. Und die Bräunung von Fleisch liefert ein rauchigeres, würzigeres Aroma. Wie in Kapitel 11 erörtert, wird die Bräunung von Nahrung als Maillard-Reaktion bezeichnet.4 Während das dem Auge schmeichelt und den Gaumen anspricht, ist es für Ihre Arterien weniger gut.

Zucker verleiht Konsistenz

Backwaren wären ohne Zucker deutlich weniger interessant. Versuchen Sie einmal, einen Kuchen mit Süßstoff zu backen – er wird zwar ebenso süß schmecken, aber nicht aufgehen. Bei Brot braucht die Hefe etwas, um arbeiten zu können und den Teig aufgehen zu lassen. Waffeln und Cracker wären hingegen nicht knusprig, wenn sie keinen Zucker enthielten. Zucker verleiht verschiedenen Lebensmitteln Zähflüssigkeit (Dichte) – zum Beispiel Gummibärchen. Außerdem verdanken Bonbons dem Zucker ihr »glasiges« Aussehen und ihre Konsistenz. Darüber hinaus senkt Zucker den Gefrierpunkt von Nahrung (was für Eiscreme wichtig ist, da sie eine cremige Konsistenz behalten soll) und hebt den Siedepunkt an (sodass Karamell weich und zäh wird).

Zucker stoppt das Verderben

Zucker reduziert die Wasseraktivität beziehungsweise die Intensität, mit der Wasser sich mit Festkörpern verbindet. Je höher die Wasseraktivität ist,

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desto leichter siedeln sich Bakterien und Schimmelpilze auf der Nahrung an. Und Lebensmittel, die leicht schimmeln, verderben schneller. Doch Zucker (und übrigens auch Salz) reduziert die Wasseraktivität und senkt die Wahrscheinlichkeit, dass die Nahrung verdirbt. Aus diesem Grund setzt die Lebensmittelindustrie Zucker zum Konservieren ein. Wann haben Sie zum letzten Mal einen verdorbenen Soft Drink gekostet? Etwas fad vielleicht, aber niemals verdorben. In einer solchen Flasche kann nichts wachsen. Das Hinzufügen von Zucker zur Nahrung dient auch der Befeuchtung, also der Fähigkeit, Wasser zu halten. Das ist äußerst wichtig, um zu verhindern, dass unsere Lieblingsleckereien alt werden. Eine Möglichkeit, die Auswirkung des Zuckers auf die Feuchtigkeit zu messen, ist das Austrocknen von Brot. Wie lange braucht ein Laib Brot, den Sie in der örtlichen Bäckerei gekauft haben, um altbacken zu werden? Ungefähr zwei Tage. Wie lange braucht ein Laib Brot aus dem Supermarkt dafür? Ungefähr zwei bis drei Wochen. Das ist praktisch für den Verbraucher, denn damit wird das Verderben verzögert und die Abfallmenge reduziert. Die Nahrungsmittelindustrie und die Supermarktverbände sind zufrieden, da auf diese Weise der Wertverlust sinkt und die Profite steigen. Ich habe das in meinem Supermarkt vor Ort überprüft: Von den 32 erhältlichen, industriell gefertigten Broten waren 31 mit Glukosesirup hergestellt, der zur Bräunung und Befeuchtung zugesetzt worden war. Und was fehlte diesen Broten? Ballaststoffe.

Fastfood und Ballaststoffe

Aktuell beläuft sich der mittlere Ballaststoffverzehr in den USA auf 12 Gramm pro Tag. Das ist so gewollt. Die Lebensmittelbranche entfernt Ballaststoffe aus der Nahrung, da sie die Haltbarkeitsdauer herabsetzen. Brot ohne Ballaststoffe hält sich länger als das, was Sie auf dem örtlichen Bauernmarkt erstanden haben. Und die Lebensmittelbranche schlägt daraus Kapital. Reduzierter Wertverlust heißt weniger Kosten, was wiederum eine Steigerung der Verkäufe bedeutet. Wie lautet die Definition von Fastfood? Ballaststofffreie Nahrung. Denn Sie können Ballaststoffe nicht einfrieren und erwarten, dass die Konsistenz gleich bleibt. Ballaststofffreie Nahrung kann eingefroren, weltweit verschickt und schnell zubereitet werden. Doch

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die Entfernung der Ballaststoffe erschwert den Sättigungseffekt, verschlimmert die negativen Auswirkungen der Kohlenhydrate und trägt zu Hyperinsulinismus, Adipositas und dem metabolischen Syndrom bei.

Wenn Sie etwas nicht rechtfertigen können, lenken Sie davon ab Da haben Sie’s! Massenweise Gründe, Zucker hinzuzufügen und Ballaststoffe zu entfernen. Gut für die optische Wirkung. Gut für den Gaumen. Gut für den Geldbeutel. Gut für die Industrie. Aber schlecht für Ihre Gesundheit. Nehmen wir einmal einen exemplarischen Keks: 30  Prozent Mehl, 30 Prozent Fett, 30 Prozent Zucker und ungefähr 6 Prozent Eiweiß. Das ist die ultimative Mischung von Fett und Kohlenhydraten in einem Nahrungsmittel. Und Süße hat mehr Anziehungskraft, wenn Sie Fett hinzufügen. (Was äßen Sie lieber: einen Lutscher oder eine Zimtschnecke?) Ein Keks ist eine Köstlichkeit. Doch wollen wir wetten, dass Sie nicht nur einen essen können, da Zucker süchtig macht – und Zucker plus Fett umso mehr. Das Übermaß unseres Kalorienkonsums beweist das. Dies Übermaß wird vor allem durch den Zusatz von Zucker ausgelöst. Die Lebensmittelindustrie sagt, dass sie nicht verstehe, was all der Wirbel überhaupt solle. Zucker gebe es schließlich schon seit Tausenden von Jahren. Zucker ist eine Energiequelle. Zucker ist ein »natürlicher« Bestandteil unserer Ernährung. Stimmt, aber all das ist im Hinblick auf unsere Gesundheit irrelevant. Nachfolgend habe ich ein paar Beispiele für die Behauptungen zusammengestellt, welche die Nahrungsmittelbranche und ihre Botschafter nutzen, um die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass der Zusatz von Zucker in Speisen und Getränken so amerikanisch wie Coca-­Cola (mit extra Glukosesirup) sei:

Argument 1 der Lebensmittelbranche: Fruktose lässt den Blutzuckerspiegel nicht ansteigen

Die Industrie behauptet, dass Fruktose nicht zu einem Anstieg des Blutzuckers führt, und sie hat Recht. Fruktose hat einen sehr niedrigen glyk-

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ämischen Wert (siehe die Kapitel 11 und 17). Dieser Wert ist ein Maß für die Insulinausschüttung, die auf den Verzehr folgt, und er wird verwendet, um das »Dickmachpotenzial« einer Nahrung zu messen. Doch denken Sie daran: Fruktose kommt in der Natur nicht allein vor, sondern immer zusammen mit Glukose (entweder als Zucker oder als Glukosesirup); und die Glukose löst einen recht heftigen Anstieg des Insulinspiegels aus.5 Wenn die Glukose also verstoffwechselt wird, lässt sie den Insulinspiegel ansteigen, während die Fruktose zu Leberfett und einer Insulinresistenz der Leber führt. Kohlenhydrate und Fett zusammen – eine tolle Möglichkeit, an das metabolische Syndrom zu kommen.

Argument 2 der Lebensmittelbranche: Verbesserungsvorschlag – Glukose durch Fruktose ersetzen

Die Lebensmittelbranche würde gern kristalline Fruktose (allein) als Süßungsmittel entwickeln und von der Behörde für Lebens- und Arzneimittelüberwachung (FDA) genehmigen lassen. Sie begründet diese Idee mit mehreren »kontrollierten« Studien, die zeigen, dass bei einem Austausch von Glukose gegen Fruktose (Kalorie für Kalorie) der Hämoglobin-A1cWert im Blut nicht ansteigt (ein Wert, den Ärzte im Rahmen der Blutzuckerkontrolle bei Diabetespatienten testen) – eine Tatsache, die vermuten lässt, dass Fruktose für Diabetiker wünschenswert wäre.6 Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass kristalline Fruktose vom Dünndarm unvollständig aufgenommen wird, sodass ihre Auswirkungen auf Blutzucker und HbA1c minimal sein könnten. Doch wenn Ihr Körper kristalline Fruktose nicht vollständig aufnimmt, schädigen die von der restlichen Fruktose verursachten Effekte den Darm, lösen Schmerzen, Blähungen und Durchfall aus.7 Erinnern Sie sich noch daran, wie Olestra Amerika revolutionieren wollte? Der synthetische Fettersatzstoff fügte den Produkten angeblich weder Fett noch Kalorien oder Cholesterin hinzu. Das stimmt, doch er verlor aufgrund seiner Nebenwirkungen schon bald seine Marktanteile. Wie der Gesundheitswarnhinweis besagte: »Dieses Produkt enthält Olestra. Olestra kann Bauchkrämpfe und einen dünnen Stuhl verursachen. Olestra hemmt die Aufnahme einiger Vitamine und anderer Nährstoffe.« Schnell wurde

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dieser Zusatzstoff ein Ersatzbegriff für Durchfall und ist seither verschwunden. Kristalliner Fruktose könnte es ähnlich ergehen. Außerdem: Nur weil Fruktose den Spiegel von HbA1c im Blut von Diabetikern nicht ansteigen lässt, heißt das noch lange nicht, dass sie keinen Schaden anrichtet – japanische Forscher haben gezeigt, dass Fruktose sich im menschlichen Körper an Proteine bindet.8 Und es bedeutet auch nicht, dass Fruktose Proteine in den Zellen nicht schädigt. Studien mit Tieren, die nach Belieben Saccharose (also Glukose und Fruktose) oder Stärke (also nur Glukose) bekamen, zeigten eine deutliche Entzündung der Leberzellen, was zu einer Zirrhose führte.9 Auch Versuche an Menschen haben ergeben, dass der Zuckerkonsum mit dem Ausmaß einer Leberentzündung korreliert. Die Lebensmittelindustrie weist auf kontrollierte Studien hin, in denen Glukose durch Fruktose ersetzt wird, ohne dass es zu einer Gewichtszunahme kommt. (Wenn die aufgenommene Kalorienmenge gleich bleibt, würde man das schließlich auch erwarten.)10 Außerdem zitiert sie gern eine berühmte Studie aus dem Jahr 1999, die zeigt, dass die Leber Fruktose nur in sehr geringem Maße in Fett umwandelt (weniger als 5 Prozent).11 Wenn Sie das glauben, sollten Sie so viel Limo trinken dürfen, wie Sie wollen! Moment mal. Das gilt nur, wenn Sie schlank sind, fasten (also einen Glykogenmangel haben) und Fruktose allein zu sich nehmen (dann wird sie schlecht aufgenommen). Sollten Sie allerdings adipös sein, insulinresistent, satt und Fruktose in Kombination mit Glukose verzehren (was auf einen beträchtlichen Anteil der Bevölkerung zutrifft), dann wird Fruktose in größerem Umfang in Fett verwandelt – zu ungefähr 25 Prozent. Mit anderen Worten: Die Giftigkeit von Fruktose hängt vom Zusammenhang ab. Sollten Sie ein Hochleistungssportler sein und viel Glykogen verbraucht haben, können Sie eigentlich fast alles essen und trinken, was Sie möchten. Doch andernfalls ist unser aktueller massiver Zuckerüberfluss für Sie schädlich.

Argument 3 der Lebensmittelbranche: Es gibt doch eine Nährwertkennzeichnung!

Die Nahrungsmittelindustrie erklärt, dass die Informationen über Zucker und Ballaststoffe in unserer Nahrung aus dem Etikett ersichtlich sind, für

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alle nachvollziehbar. Basierend auf den Informationen der Nährwertkennzeichnung können die Menschen ihre eigenen bewussten Entscheidungen treffen. Nicht ganz. Unter der Kohlenhydrat-Überschrift listet das Etikett den Gesamtzuckergehalt auf. Das bedeutet eine Kombination aus allen Versionen von Einfachzuckern (was Glukose, Fruktose und Galaktose in Milch mit einschließt) und Disacchariden – z. B. Maltose (Glukose-Glukose, beispielsweise in Bier), Laktose (Glukose-Galaktose, beispielsweise in Milchprodukten) und Saccharose (Glukose-Fruktose, überall!). Eine Tasse fettarme Milch enthält zum Beispiel 12 Gramm Zucker, die aus Laktose stammen. Die Galaktose ist kein Problem, da sie zu Glukose verstoffwechselt wird und keine wesentliche Bedrohung für Ihre Gesundheit darstellt – sofern Sie nicht unter Galaktosämie leiden (dann wären Sie unter Umständen an einer überwältigenden Infektion gestorben, bevor Sie das Alter von zwei Monaten erreicht hätten). Auch die Fruktose, die natürlicherweise in vielen Lebensmitteln vorkommt, ist kein Problem. Deren Menge ist normalerweise gering und sie ist generell mit Ballaststoffen kombiniert, sodass die negativen Auswirkungen begrenzt sind. Reiner Saft mag zwar keinen Zuckerzusatz enthalten, doch da die Ballaststoffe entfernt wurden (siehe Kapitel 12), handelt es sich einfach um ein mit Zucker gesüßtes Getränk. Um es noch einmal zu erwähnen: Schluck für Schluck enthält Saft mehr Fruktose als ein Soft Drink. Und was ist mit Obstkonserven? Das Obst selbst ist in Ordnung, doch man kann es nicht einfach nur mit Wasser eindosen, da sonst den Früchten der Zucker entzogen werden würde. Also wird hochkonzentrierter Zuckersirup hinzugefügt, um die Frucht süß und weich zu halten und ein Verderben zu verhindern. Da haben wir also wieder einen Zuckerzusatz – generell in Form von Saccharose oder Glukosesirup –, den wir uns bewusst machen müssen und der von der Nahrungsmittelindustrie absichtlich eingesetzt wird, um den Geschmack und die Haltbarkeit des Produkts zu verbessern. Außerdem müssen wir wissen, wie viele Ballaststoffe enthalten und wie viele entfernt worden sind. Doch das erfahren Sie nicht. Das Gesetz zur Lebensmittelkennzeichnung (Nutrition Labeling and Education Act, NLEA) aus dem Jahr 1990 erlaubt in den USA die Gesamtzuckerangabe auf dem Etikett, ebenso wie es in Deutschland seit 1984 und vereinheitlichend in Europa seit 2014 geregelt

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ist.12 Es gibt weder eine Unterscheidung zwischen den einzelnen Zuckerarten noch eine Berücksichtigung des »Zuckerzusatzes«. Die US-amerikanische Behörde für Lebens- und Arzneimittelüberwachung (FDA) erklärte, es gebe keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass der Körper irgendeinen Unterschied zwischen natürlichem und zugesetztem Zucker macht. Die Aufnahme des Punktes »Zuckerzusatz« auf dem Etikett sorge dafür, dass der Zuckergehalt von Lebensmitteln, die natürlicherweise viel Zucker enthalten, unterrepräsentiert sei. Doch die Ballaststoffe sind ein abmildernder Faktor, nicht der Zucker. Zu guter Letzt glaubt die FDA, es gebe keine Möglichkeit, eine solche Regelung durchzusetzen, und die Lebensmittelbranche würde sich ihr nicht unterordnen. Doch der wahre Grund (den wir nicht erfahren dürfen) ist der Druck, den die Lobbyisten der Nahrungsmittelindustrie ausüben. Ihr Argument der FDA gegenüber lautete 1989: »Wenn wir den Zuckerzusatz auf dem Etikett angäben, könnten alle Mitbewerber unsere Rezepte kopieren. Das ist eine firmeneigene, geschützte Information, die wir nicht preisgeben werden.« Und die FDA akzeptierte dieses Argument. Tun Sie das auch? Möglicherweise halten Sie von diesem Grundsatz nichts, aber die Produkte kaufen Sie trotzdem. In Europa können Hersteller die empfohlenen Tagesmengen (GDAWerte) für jeden einzelnen Nährstoff auf dem Etikett angeben – allerdings ist diese Angabe freiwillig. In den USA ist das anders: Es wird grundsätzlich keine empfohlene Tagesdosis für Zucker angegeben, egal ob natürlicherweise enthalten oder zugesetzt. Vor Kurzem hatte ich die Möglichkeit, zusammen mit Sam Kass in einem Ausschuss zu sitzen, Michelle Obamas persönlichem Koch und Vorreiter der Arbeitsgruppe des Weißen Hauses, die sich mit Adipositas bei Kindern beschäftigt. Ich fragte ihn ganz direkt: »Warum gibt es keine empfohlene Tagesration für Zucker?« Seine Antwort überrascht Sie möglicherweise: »Warum sollten Sie eine empfohlene Tagesdosis für etwas brauchen, das kein Nährstoff ist?« Wow! Zucker ist kein Nährstoff? Das sind vielleicht Neuigkeiten für das Landwirtschaftsministerium! Im Grunde stimme ich übrigens mit Herrn Kass überein: Natürlich ist Zucker kein essenzieller Nährstoff, zumal es keine einzige biochemische Reaktion gibt, für die er benötigt würde. Zucker ist irrelevant, und selbstverständlich braucht unser Körper ihn nicht. Wie in Kapitel 11 dargelegt, ist Zucker eher ein Giftstoff, als er jemals ein Nährstoff war.

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Argument 4 der Lebensmittelbranche: Es geht nur um Angebot und Nachfrage

Es gibt zwei Marketingphilosophien, und die Lebensmittelbranche beherrscht sie beide. 1. Wir geben den Leuten, was sie wollen. Die Nahrungsmittelindustrie erfüllt nur das Bedürfnis, indem sie eine »Marktlücke« in der US-amerikanischen Wirtschaft füllt. So möchte die Welt der Industrie gerne dargestellt werden – als »reagierend«. Die Portionsgrößen sind in diesem Land deutlich größer als noch vor 20 Jahren. Sie kaufen eine größere Portion, weil Sie das Gefühl haben, damit ein besseres Geschäft zu machen. Sie kaufen mehr, und Sie essen mehr. Jeder gewinnt. Nun ja, nicht jeder. Die Lebensmittelbranche gewinnt, indem sie mehr verkauft, der Zwischenhändler gewinnt durch eine größere Marge, die Regierung gewinnt durch mehr Mehrwertsteuer. Sie verlieren. 2. Schaffe den Markt, und die Kunden kommen von selbst. Das steckt dahinter – einen Markt aus dem Nichts entwickeln, also »proaktiv« sein. Wie ich gerne meinen Kindern erzähle: »Werbung ist nur für Produkte nötig, die wir nicht wollen und nicht brauchen.« Die Lebensmittelbranche (Produzenten, Händler und Gastronomie) wird hinsichtlich ihrer Marketingausgaben nur noch von der Automobilindustrie übertroffen. Ob wir es wollen oder nicht: Wir werden bei unseren Entscheidungen von dem beeinflusst, was die Medien uns sagen. Insbesondere unsere Kinder. Es mag ja sein, dass Sie »wissen«, dass Sie mehr Obst und Gemüse essen sollten, doch wie viel Werbung sehen Sie, die Ihnen oder Ihren Kindern sagt, dass Sie das tun sollen? Weniger als 5 Prozent aller für Lebensmittelwerbung ausgegebenen Dollars entfallen auf den Bereich Obst, Gemüse und Getreide. Die Regierung und das US-amerikanische Landwirtschaftsministerium (USDA) können mit den schier unbegrenzten Mitteln der Lebensmittelbranche nicht mithalten. 1997 gab das USDA 200 Millionen Dollar aus, um für eine gesunde Ernährung zu werben – im Vergleich zu elf Milliarden Dollar, die in die Werbung für Junkfood flossen; und da-

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von richteten sich wiederum 4,2 Milliarden Dollar direkt an Kinder (siehe Kapitel 20).13

Schmiergelder, damit es läuft wie geschmiert Die Fastfood- und Getränkekonzerne sponsern Sportmannschaften, Sportereignisse, Spendenläufe und andere Aktivitäten, die mit körperlicher Bewegung zusammenhängen, um sich reinzuwaschen und über ihren Umgang mit Zucker hinwegzutäuschen – das ist in den USA eine ganz typische Verhaltensweise. In eine ganz andere Liga fällt es, Schul­ uniformen und Schulwerbung im ganzen Land zu finanzieren: Gegen eine finanzielle Entschädigung unterschreiben Schulen exklusive Marketingverträge mit Getränkeproduzenten, sodass auf dem Schulgelände durch Produktspenden, Anzeigetafeln, Schilder, Kleidung und Schulsachen geworben werden kann. Je mehr Getränke verkauft werden, desto mehr Geld gibt es für die Schule, und desto höher sind die Profite des Unternehmens. In einer Umfrage im Jahr 2000 erlaubten 72 Prozent der kalifornischen höheren Schulen Werbung für Fastfood und Getränke auf dem Schulgelände, während lediglich 13 Prozent sie verboten. Und wenn Sie denken, dass es in den USA schlecht läuft, dann sollten Sie mal einen Blick nach Lateinamerika werfen: Der Konsum von Soft Drinks hat sich in Mexiko innerhalb von sieben Jahren verdoppelt. Obwohl 75  Prozent der mexikanischen Erwachsenen aktuell übergewichtig sind, sponsert Coca-Cola hier mehr Programme für körperliche Bewegung als alle anderen Unternehmen zusammen.14

Wenn du sie nicht schlagen kannst, schließ dich ihnen an Trotz aller Rhetorik weiß die Lebensmittelbranche, dass sie ein Problem hat. Hier kommt der neue Markt der sogenannten Functional Foods ins Spiel, auch als medizinisch wirksame Lebensmittel, funktionelle Lebensmittel oder Nutraceuticals bezeichnet. Wie die PepsiCo-Vorsitzende Indra Nooyi so gewandt am 16. Mai 2011 in The New Yorker erläuterte: »Es geht

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nicht darum, weniger zu verkaufen. Es geht darum, das richtige Zeug zu verkaufen.« Als Reaktion auf die Adipositaspandemie hat Pepsi nun drei Grundsätze: »Fun for you« (»Hab Spaß«, z. B. Chips und Soft Drink), »Better for you« (»Besser für dich«, z. B. Saft und Trockenfleisch) und »Good for you« (»Gut für dich«, z. B. Vollkorn, Obst, Gemüse, fettarme Milch, Nüsse). US-Amerikaner wissen, dass sie abnehmen und sich gesünder ernähren sollten. Also hilft die Lebensmittelbranche uns, unser schlechtes Gewissen mit industriell verarbeiteten Produkten zu beruhigen, auf deren Etiketten »natürlich«, »Vollwert« oder »mit extra vielen Nährstoffen« steht. Wir kaufen sie, zahlen dafür möglicherweise mehr und fühlen uns beim Verzehr besser. Keines dieser Schlagworte hat irgendeine sinnvolle Definition, und es gibt kaum eine oder gar keine Regulierung in Bezug darauf, wann sie verwendet werden dürfen. Momentan ist ein »Rückwärtstrend« festzustellen: Viele Hersteller von Soft Drinks ersetzen Glukosesirup wieder durch Saccharose (Zucker), weil es den M ­ ythos gibt, dass Saccharose »natürlicher« und deshalb gesünder sei. Bei den »SoBe Drinks«, die 100  Prozent des täglichen Vitaminbedarfs decken sollen, handelt es sich im Wesentlichen um aromatisiertes Zuckerwasser. Doch nur weil Sie sich mit diesen Produkten nicht schuldig fühlen, heißt das noch nicht, dass Ihr Körper keine Auswirkungen spürt. Versprochen: Wenn alle Glukosesirup enthaltenden Schokoriegel der Welt plötzlich auf geheimnisvolle Weise stattdessen Saccharose enthielten, handelte es sich trotzdem noch um Junkfood und Ihr Körper würde den Unterschied nicht merken – obwohl sie dann vielleicht teurer wären und Sie vor dem höheren Preis zurückschräken. Investoren beobachten Pepsi genau. Während das Unternehmen die »Good for you«-Linie bewirbt, hat es das Marketing für die »Fun for you«Produkte um 349  Millionen Dollar reduziert. Währenddessen ist PepsiCola beim Verkauf von Soft Drinks auf Platz drei hinter Coke und DiätCoke abgerutscht. Es bleibt abzuwarten, ob ein Konzern, der in erster Linie Junkfood verkauft, sich selbst neu erfinden kann. Falls nicht, wird man nicht erwarten können, dass die Mitbewerber ebenfalls irgendein Risiko eingehen.

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Wer ist verantwortlich? Wenn dieses Buch irgendeine Botschaft vermitteln soll, dann ist es die, dass Nahrung Gesundheit bedeutet. Doch während Sie angeblich für Ihre Gesundheit selbst verantwortlich sind, sind Sie es für Ihre Nahrung eindeutig nicht. Tatsächlich geben jene, die für Ihre Nahrung verantwortlich sind, ihr Bestes, um Profit aus Ihnen zu schlagen. Im Jahr 2010 brachte es die Lebensmittelbranche auf nahezu eine Billion Dollar Umsatz. Und wenn Ihre Gesundheit den Bach runtergeht, ist das Ihr Problem. Doch es ist nicht nur Ihr Problem. Es ist jedermanns Problem. Die Zigarettenindustrie wurde für ein irrationales Geschäftsmodell abgestraft: Die besten Kunden zu vergiften, gilt nicht gerade als Wachstumsstrategie. Doch wenn man gleich von Anfang an mehr Leute anlockt, sind immer ausreichend Nutzer vorhanden, sodass man es sich leisten kann, einige von ihnen zu verlieren. Die Lebensmittelbranche hat einen Vorteil bei diesem Modell: Wenn sie den Lebensmittelmarkt beherrscht, können die Menschen nirgendwo anders hingehen. Ist es ein Wunder, dass die Nahrungsmittelindustrie inmitten zweier negativer Trends – dem Wirtschaftsabschwung und der Adipositaspandemie – mit vollen Händen Geld scheffelt?

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Kapi tel  17

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John kam mit einem normalen Gewicht zur Welt, hatte aber einen riesigen Appetit und war schon im Alter von einem Jahr massiv fettleibig. Mit 15 wog er 155  Kilogramm. Seine Eltern schickten ihn für ein Jahr zum Abnehmen auf die »Academy of the Sierras«, wo seine Ernährung überwacht und eingeschränkt wurde. Dadurch nahm er 45  Kilogramm ab. Nachdem er wieder zu Hause war, nahm er innerhalb von drei Monaten 64 Kilogramm zu. Dann kam er in meine Sprechstunde. Bei Gentests kam heraus, dass er zwei Mutationen in der Genkodierung eines Proteins aufwies, welches das Sättigungssignal zum Hypothalamus übermittelt. Mit anderen Worten: Sein Hunger, sein Appetit und seine Fettleibigkeit waren einem Gendefekt geschuldet. Doch wenn sein Umfeld kontrolliert wurde, war selbst er in der Lage, Gewicht zu verlieren.

Wie diese klinische Episode zeigt, funktioniert eine alleinige Kontrolle des Verhaltens nicht, da das Verhalten in der Tat lediglich das Ergebnis unserer Biochemie ist. Eine Kontrolle des Verhaltens ist nicht nachhaltig. Wenn Ihr Gehirn das Leptinsignal nicht empfangen kann (siehe die Kapitel 4 bis 6), geht es davon aus, dass der Körper hungert, und führt Verhaltensweisen ein, um zuzunehmen. Doch selbst John, ein Patient mit einem Gendefekt, konnte Gewicht verlieren, als sein Umfeld kontrolliert und sein Zugang zu

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Nahrung reguliert wurde (obgleich das seltene Ausnahmen sind, wie bei den Kindern mit einem Hirntumor). Das Problem ist: Wie können wir zur Regulierung unseres Gewichts unser Umfeld angemessen kontrollieren, wenn es einen solch freien Zugang zu zuckerreicher, ballaststoffarmer Nahrung gibt? Eltern können dies – sie müssen das Zuhause für ihre Kinder sicher gestalten (siehe Kapitel 18). Unsere Kultur muss sich an die Vorstellung gewöhnen, dass die kindersichere Umgestaltung einer Wohnung nicht nur Steckdosensicherungen, sondern auch eine gesunde Ernährung mit einschließt. Doch sobald ein Kind in die Pubertät kommt – eine Phase der Insulinresistenz, der Unabhängigkeit, des Taschengelds und des Gruppendrucks –, ist das Spiel vorbei. Aus diesem Grund funktionieren praktisch alle Anti-Adipositas-Aktionen bei jüngeren Kindern besser. Unser Umfeld wirkt toxisch (siehe die Kapitel 10 bis 15), da es die Insulinproduktion fördert und uns dadurch fett macht.1 Für die meisten adipösen Menschen, die diesen Prozess umkehren möchten, besteht das Ziel darin, den Insulinspiegel zu senken. Das beginnt damit, was Sie essen. Und dafür müssen Sie Ihre Anlaufstellen ändern – Ihre Beziehung zu Ihrem Supermarkt, zum Lebensmittelladen und zu Restaurants.

Kämpfe auf dem »Ernährungsspielplatz« Die Öffentlichkeit ist vollauf beschäftigt mit der Kontroverse »fettarme versus kohlenhydratarme Ernährung«. Diese Frage verwirrt sie vollkommen. Auf der evolutionären Bühne könnten sie nicht weiter voneinander entfernt sein – und im Supermarkt auch nicht, denn die Gänge für Fleisch beziehungsweise Obst und Gemüse befinden sich auf entgegengesetzten Seiten des Ladens. Die Befürworter dieser beiden Ernährungsweisen streiten erbittert miteinander. Heutzutage gibt es mehr Autoren in diesem Bereich als in irgendeinem anderen Gesundheitssektor. Wissenschaftler werfen ihren Gegnern vor, Unfug zu reden, als ob die Erniedrigung der anderen Seite zur eigenen Erhöhung führte. Medizinische Gesellschaften haben Partei ergriffen. Das von ihnen verschossene Gift hat eine ungesunde Atmosphäre geschaffen. Die negativen Konsequenzen dieses »Nahrungskampfs« haben vom eigentlichen Thema abgelenkt und die gesamte Ernährungslehre in Verruf gebracht.

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Was macht eine Diät aus? Die meisten Menschen setzen sich selbst auf Diät, um abzunehmen, und kontrollieren dabei ihre Nahrungsumgebung. Doch was bedeutet das? Warum klappen diese Diäten bei manchen und bei anderen nicht? Welche Diät ist für Sie am vernünftigsten? Funktionieren irgendwelche dieser Diäten wirklich so, wie sie beworben werden? Es gibt mehr Modediäten als Erkältungsmittel. Wenn eine Diät nicht wirkt, gibt es außerdem immer die Vermutung, dass Sie sie nicht richtig eingehalten haben. Doch »Einhaltung« bezeichnet eigentlich nur das Ausmaß der Verhaltensänderung. Und eine nachhaltige Verhaltensänderung bedeutet, das Umfeld zu verändern. Doch lassen wir das Verhalten und das Umfeld erst einmal beiseite und starten stattdessen mit den Grundsätzen einer guten Diät. Nehmen wir als Beispiel eine »misslungene« Diät und untersuchen wir, warum sie fehlgeschlagen ist.

Die fettarme Diät – ein kläglicher Misserfolg

Wie in Kapitel 10 erläutert, war es die fettarme Ernährung, die uns ursprünglich in diese Schwierigkeiten gebracht hat. Sie war anfangs ein Rezept zur Vermeidung von Herzerkrankungen, nicht von Adipositas. Die Verbindung zwischen Nahrungsfett und Herzerkrankungen basiert auf Erkenntnissen zu einer Erbkrankheit, die familiäre Hypercholesterinämie genannt wird und ein Prozent der Bevölkerung betrifft.2 In den 1980erJahren empfahl jede Gesundheitsorganisation der Vereinigten Staaten (die amerikanische Herzvereinigung, der amerikanische Diabetesverband, die Vereinigung der Ernährungsberater, das nationale Herz-Lungen-BlutInstitut und so weiter) eine fettarme Ernährung. Ihr Mantra lautete: Der Verzehr von weniger Fett reduziert die Gesamtkalorienzufuhr und trägt dadurch zu einem Gewichtsverlust bei – denn »eine Kalorie ist eine Kalorie«. Doch diese Annahme stimmt nicht. Was geschah aber mit den restlichen 99  Prozent der Bevölkerung? Funktionierte die fettarme Ernährung für sie? Wie die Bewegung »­Occupy

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Wall Street« es formulierte: Die anderen 99  Prozent wurden abgezockt. Nicht nur, dass diese Diät in ihrer normalen Anwendungsform nicht klappt – sie ist aus drei unterschiedlichen Gründen sogar wahrscheinlich schädlich. 1. Fettarme Nahrung schmeckt wie Pappe; der Geschmack steckt im Fett. Also steigern Sie zum Ausgleich die Kohlenhydratmenge, sodass der Insulinspiegel steigt und damit auch Ihr Gewicht (siehe Kapitel 9). 2. Wie in Kapitel 10 dargelegt, gibt es zwei LDL-Formen. Das »LDL Phänotyp A« (großes, »normales« LDL) macht ungefähr 80 Prozent des im Blut zirkulierenden LDL aus und wird durch gesättigte Fette erhöht. Doch dieses »LDL Phänotyp A« verhält sich neutral und stellt an sich nur ein geringes Risiko für Herzkrankheiten dar. Aber das »LDL Phänotyp B« (kleines, dichtes LDL), das die anderen 20 Prozent ausmacht, wird durch Kohlenhydrate in der Nahrung gesteuert.3 Es ist der »Phänotyp B«, der zu Herzerkrankungen beiträgt.4 3. Wenn Nahrungsfette einfach nur Energiequellen wären, gäbe es keine Klasse essenzieller Fettsäuren, ohne die wir im wahrsten Sinne des Wortes nicht leben können. Wir müssen bestimmte Nahrungsfette für unser Nervensystem, das Immunsystem, die Zellmembrane und die Produktion bestimmter Hormone zu uns nehmen. Sie haben also eine Wahl: Sie können mit Ihrer Nahrung gute Fette aufnehmen oder Sie stellen schlechte Fette in Ihrer Leber her. Würden Sie sich da nicht am ehesten für die guten Fette entscheiden? Der Grund dafür, dass die fettarme Diät so ein kläglicher Misserfolg ist, wird durch die wissenschaftlichen Fakten der Kapitel 10 bis 12 erklärt. Es ist nicht das Fett, es sind nicht die Kohlenhydrate – es ist die Kombination aus Fett und Kohlenhydraten, welche die Stoffwechselprobleme verursacht. Zucker liefert genau das, und die fettarme Ernährung enthält jede Menge davon. Der Mangel an Ballaststoffen in der industriell verarbeiteten fettarmen Nahrung bedeutet, dass der Strom von Fett und Kohlenhydraten zur Leber verstärkt wird, sodass Ihre arme Leber nur noch mehr unter Stress gerät. Der Inbegriff eines Misserfolgs. Wie Sie sehen werden, haben alle erfolgreichen Diäten drei Konzepte gemeinsam: wenig Zucker, viele Ballaststoffe (was viele Mikronährstoffe bedeutet) und der kombinierte Verzehr von Fett und Kohlenhydraten zusammen mit einer soliden Menge an ausgleichenden Ballaststoffen. Alles andere ist Augenwischerei.

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Die Atkins-Diät – davon abhängig, wie sie durchgeführt wird

Die Anhänger der kohlenhydratarmen Ernährung sind zahlreich, da sie bei den meisten Menschen zum Gewichtsverlust und einer verbesserten Stoffwechselgesundheit führt.5 Die bekannteste der kohlenhydratarmen Ernährungsformen ist die Atkins-Diät. Sie besagt: »Iss ruhig die Bratwurst, aber ohne Brötchen.« In der Tat ist die Atkins-Diät gewissermaßen eine radikale Methode zur Behandlung der Begleiterkrankungen des metabolischen Syndroms. Die Frage ist: Funktioniert die Atkins-Diät, da sie kohlenhydratarm ist oder weil sie wenig Zucker enthält? Das wissen wir noch nicht. Vier Punkte verkomplizieren die Anwendung der Atkins-Diät als Vollzeit-Ernährungsform. 1. Fett ist nicht gleich Fett (siehe Kapitel 10). Die Qualität des Fetts spielt eine Rolle, und sich schlechte Fette einzuverleiben, kann ebenfalls schädlich sein. 2. Im Rahmen der Atkins-Diät sollen Sie Gemüse essen, insbesondere grünes; doch ungezwungene Atkins-Amateure tun das nicht – und deshalb mögen sie die Diät. Doch das Gemüse liefert sowohl Ballaststoffe als auch Mikronährstoffe (siehe Kapitel 12). Eine Tierstudie lässt vermuten, dass die Atkins-Diät trotz eines Gewichtsverlusts andere Risikofaktoren für Arteriosklerose vergrößern kann.6 Darüber hinaus kann diese Ernährungsform zu einer unzureichenden Versorgung mit den Mikronährstoffen Thiamin (Vitamin B1), Folsäure, Vitamin C, Eisen und Magnesium führen, die alle durch Ballaststoffe geliefert werden.7 Die Atkins-Diät verzichtet auf Milch, da Laktose ein Kohlenhydrat ist – doch damit fehlt Kalzium und Vitamin D für die Gesundheit Ihrer Knochen. Und durch den höheren Eiweißgehalt geht über den Urin mehr Kalzium verloren, sodass Ihre Knochen noch weiter gefährdet werden. 3.  Viele Menschen beurteilen den Erfolg der AtkinsErnährung anhand des Gewichtsverlusts. Allerdings geht dieser anfangs zu einem großen Teil auf den Verlust von Leber- und Muskelglykogen zurück, das von Wassermolekülen umgeben ist. Doch das ist ein zweischneidiges Schwert, da selbst ein winziger Diätverstoß zur Entstehung neuen Glykogens führt, das wiederum Wasser mitbringt. 4.  Die Atkins-Diät wird in sehr unterschiedlichem Ausmaß eingehalten.8 Viel Glück, wenn Sie versuchen möchten, ein Kind dazu zu bewegen, während der Schulzeit

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die Atkins-Diät durchzuführen. Die Frage ist: Müssen Sie sich wirklich so extrem verhalten? Gibt es keinen besseren Weg?

Die vegetarische/vegane Ernährung – davon abhängig, wie sie durchgeführt wird

Wie wäre es mit dem Gegenteil? Wie Sie an Sujathas Fall in Kapitel  12 gesehen haben, ist eine vegetarische oder vegane Lebensweise kein Schutz vor Adipositas oder dem metabolischen Syndrom. Industriell verarbeitete Lebensmittel ohne tierische Produkte können genauso schlecht für Sie sein wie solche mit tierischen Bestandteilen. Das liegt daran, dass jede Nahrung industriell verarbeitet werden kann, also Ballaststoffe einbüßt und mit Fett, Kohlenhydraten und Zucker angereichert wird – eben so, wie es der Ernährungsweise der westlichen Welt entspricht. Es liegt also alles an der Durchführung. Wenn Sie sich vegetarisch oder vegan ernähren, wie unsere sammelnden Vorfahren es taten – die Nahrung so essen, wie man sie vorfindet –, ist alles gut, obgleich Sie Ihre Ernährung möglicherweise noch mit Kalzium und Vitamin D anreichern müssen. Doch wenn Sie industriell verarbeitete vegetarische Kost zu sich nehmen, wie sie im Supermarkt angeboten wird, mit Fett- und Zuckerzusätzen, damit es besser schmeckt, und ohne Ballaststoffe, damit sich die Lebensmittel besser halten,9 können Sie es im Hinblick auf Ihre Fassungslosigkeit hinsichtlich der Ergebnisse sicher bald mit Sujathas Mutter aufnehmen.

Die traditionelle japanische Ernährung

Die traditionelle japanische Ernährung besteht aus poliertem weißem Reis (jede Menge Kohlenhydrate), ein wenig Fisch, etwas fermentierten Sojabohnen und viel Gemüse. Damit kann man sowohl Adipositas als auch chronische Stoffwechselkrankheiten verhindern. (Ich sollte an dieser Stelle erwähnen, dass die moderne japanische Ernährungsweise mit viel Glukosesirup ebenso schlecht ist wie die US-amerikanische Ernährungsform. Die Japaner erkranken massenweise am metabolischen

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Syndrom und unterziehen sich im Tokioter Kinderkrankenhaus bariatrischen Eingriffen.) Obwohl die traditionelle japanische Diät kohlenhydratreich ist, funktioniert sie aus vier Gründen: 1.  Es ist praktisch kein Zucker enthalten, der die Insulinresistenz fördern könnte. 2. Der Anstieg des Insulinspiegels aufgrund der Glukose im Reis wird teilweise durch die Ballaststoffe des Gemüses ausgeglichen. 3. Der Fisch enthält viele Omega-3-Fettsäuren. Und 4. Die Nahrung ist reich an Mikronährstoffen und Antioxidanzien. Eine hervorragende Kombination. Ballaststoffe als Gegenmittel zu den Kohlenhydraten (siehe Kapitel 12) ist die Rettung vieler erfolgreicher Diäten.

Die Mittelmeerernährung

Pioppi ist eine kleine Stadt in Italien und der Entstehungsort der Mittelmeerdiät. In Ancel Keys’ 7-Länder-Studie (Italien war eins der sieben Länder) wurde diese Ernährungsform mit niedrigen Sterberaten aufgrund von Herzerkrankungen in Zusammenhang gebracht. In den USA wurde die Mittelmeerdiät populär aufgrund der damit verbundenen niedrigen Krankheitshäufigkeit und der langen Lebenserwartung. Unglücklicherweise können sich die Menschen in Pioppi und vielen Regionen der Umgebung, die ursprünglich bäuerliche Speisen zu sich nahmen, dies heute nicht mehr leisten. Industriell verarbeitete Nahrung ist leichter verfügbar und billiger. In diesen Gegenden, die einst für ihre gesunde Bevölkerung bekannt waren, steigen die Adipositasraten sprunghaft an – teilweise aufgrund des aktuellen Mangels an Vollkorngetreide, frischem Obst und Gemüse auf ihrem Speiseplan. Diese Lebensmittel sind einfach zu teuer, und sie schmecken vergleichsweise nicht so gut. Folgendermaßen setzt sich die echte Mittelmeerernährung zusammen: viel Olivenöl (einfach ungesättigte Fettsäuren), Hülsenfrüchte (Bohnen, Linsen, Erbsen), Obst, Gemüse und unraffiniertes Getreide (Ballaststoffe), Milchprodukte (gesättigte Fette), Eier (hochwertiges Eiweiß), Fisch (Omega-3-Fettsäuren) und Wein in Maßen (Resveratrol, Flavonoide und wahrscheinlich weitere Faktoren).10 Amerikaner missverstehen die Mittelmeerdiät, da sie annehmen, es gehe in erster Linie um Nudeln – was

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italienisch ist, aber nicht typisch für den Mittelmeerraum. Denn was die Italiener in Italien aßen, stimmt nicht mit dem überein, was die Italiener in den Vereinigten Staaten aßen. Die Pizza- und Pasta-Bewegung ging tatsächlich von den armen italienischen Immigranten in den USA aus und beruhte darauf, dass Kohlenhydrate preiswerter als Fleisch sind. Diese Ernährungsweise wurde dann nach Italien exportiert. Und nun haben die Italiener unser Problem.

Die Ornish-Diät

Diese Ernährungsweise wurde durch Dean Ornish von der University of California in San Francisco in seinem 1993 veröffentlichten Buch Mehr essen, weniger wiegen propagiert. Es handelt sich um eine Diät, die nachgewiesenermaßen nicht nur zu einem Gewichtsverlust führt, sondern auch Herzkrankheiten umkehrt, die Zellgesundheit verbessert und damit möglicherweise auch Ihre Lebenserwartung steigert.11 Die Ornish-Diät vertritt das Konzept, dass die Teilnehmer nicht mehr als 10 Prozent ihrer Kalorien aus Fett zu sich nehmen sollen. (Bei einer fettarmen Diät stammen ungefähr 30 Prozent der Kalorien aus Fett.) Im Rahmen der Ornish-Ernährungsweise sind folgende Nahrungsmittel erlaubt: Bohnen und Hülsenfrüchte, Obst, Vollkorngetreide und Gemüse (mit anderen Worten: Ballaststoffe allerorten). Ornish lässt fettfreie Milchprodukte in Maßen zu. Tabu sind: Fleisch in allen Formen, Geflügel, Öle und ölhaltige Produkte (z. B. Salatsoße), Nüsse und Samen, Zucker und Alkohol. Mit anderen Worten: eine Spaßfrei-Diät. Ornish verdammt alles, was gesättigte Fette oder Omega-6-Fettsäuren enthält – und das ist absolut vertretbar. Aber er ist hin- und hergerissen in Bezug auf den Verzehr von Fisch. Er gibt zu, dass Fisch reich an Omega-3-Fettsäuren ist, die das Risiko des plötzlichen Herztods um 50 bis 80 Prozent senken können, doch er bevorzugt Fischölkapseln. Ornish erklärt, dass der Verzehr von Lachs, Makrelen, Heilbutt und anderen Tiefseefischen eine Menge zusätzliches Fett und Cholesterin sowie Quecksilber und andere giftige Abfallprodukte liefert, die ihren Weg in das Meer gefunden haben. Auch zu Olivenöl pflegt er eine Hassliebe: Es bietet Ölsäure, die

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einige wichtige Funktionen zur Erhaltung der Lebergesundheit anregt. Doch er tadelt, dass Olivenöl 14 Prozent gesättigtes Fett enthält und insgesamt zu 100 Prozent aus Fett besteht. Je mehr Olivenöl man also zu sich nimmt, desto höher klettert der Cholesterinspiegel. Meiner Meinung nach schüttet Ornish das Kind mit dem Bade aus. Die fettarme Ernährungsweise, die von der Regierung und Ärzten in den 1980er- und 1990er-Jahren propagiert wurde, schlug fehl, weil nicht gesagt wurde, was man ansonsten essen und was man einschränken sollte. Wie Ornish eindeutig zeigt, ist Fett an sich nicht der Übeltäter; das, was Sie stattdessen zu sich nehmen, verursacht das Problem. Doch das größte Problem besteht darin, dass die Anhänger dieser Ernährungsform – bedingt durch das Angebot im Lebensmittelladen – aus der Ornish-Diät nach und nach eine allgemeine fettarme Diät machen. Mit allen damit verbundenen Problemen.12

Die Paläodiät – ein evolutionärer Kompromiss

Die Paläoernährung, auch Steinzeitdiät genannt, ist kohlenhydratarm und fettreich. Sie umfasst Lebensmittel, die unseren Vorfahren zur Verfügung standen, bevor die Landwirtschaft eingeführt wurde: Fleisch, Fisch, Nüsse, naturbelassene Früchte und Gemüse. Milch, Getreide und indus­ triell verarbeitete Lebensmittel jeder Art sind tabu. Diese Ernährungsform wurde durch Wissenschaftler wie Loren Cordain und S. Boys Eaton verbreitet.13 Staffan Lindeberg forschte bei den Bewohnern der Insel Kitava vor der Küste Papua-Neuguineas, die sich auch heute noch natürlicherweise so ernähren.14 Sie leiden nicht unter Herzkrankheiten, Diabetes, Adipositas, Bluthochdruck oder Schlaganfällen. Dr. Lynda Frassetto, meine Kollegin an der University of California in San Francisco, hat gezeigt, dass selbst zehn Tage Einhaltung der Paläodiät schon den Blutdruck, die Insulinsensitivität, die Glukosetoleranz und den Lipidspiegel verbessern können – unabhängig davon, ob Sie dabei abnehmen oder nicht.15 Bei der Paläoernährung ist der Mangel an Vitamin D und Kalzium ein Problem (das war für unsere Steinzeitahnen kein Thema, da sie sich stets draußen aufhielten), er könnte aber eventuell durch Nahrungsergänzungsmittel

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ausgeglichen werden. Kritiker bemängeln den hohen Konsum von Fleisch als Eiweißquelle, doch die Qualität der Fette ist dennoch deutlich besser als bei der westlichen Ernährungsweise. Diese Ernährungsform schließt sämtliche Getreidesorten aus, auch jene mit Ballaststoffen, was in diesem Ausmaß vermutlich nicht nötig wäre. Doch das vielleicht größte Problem sind die Kosten. Wer sich an diese Diät halten möchte, zahlt deutlich mehr als bei einem Einkauf im Bioladen – und das bedeutet, dass die Armen zur Party der Höhlenmenschen nicht eingeladen sind.

Die Glyx-Diät – Theorie versus Praxis

Eine andere Alternative zur Reduktion des Insulins, die für Aufmerksamkeit gesorgt und ihre Anhänger hat, ist die sogenannte Glyx-Diät, die auf dem glykämischen Index (GI) basiert. Dieser bezieht sich auf eine Ernährungstheorie, mit deren Hilfe der Blutzuckerspiegel (und damit auch der Insulinwert) niedrig gehalten werden soll. Doch sie ist nicht das Wundermittel, als das ihre Anhänger sie vermarkten. Der GI beruht auf einem einfachen Konzept: Wie hoch steigt Ihr Blutzuckerspiegel als Reaktion auf 50 Gramm Kohlenhydrate einer bestimmten Nahrung im Vergleich zur Glukosereaktion auf 50 Gramm reiner Stärke (Weißbrot). Doch wie wir in Kapitel 8 gesehen haben, geht es nicht um die Glukosereaktion; entscheidend ist die darauffolgende Insulinreaktion. Der Glukose-Insulin-Jo-JoEffekt einer hochglykämischen Ernährung soll angeblich eine gesteigerte Energiezufuhr auslösen und Adipositas fördern.16 So nützlich ein Konzept wie das des glykämischen Index auch ist: Die »glykämische Last« (GL) ist noch wichtiger, da sie die positiven Auswirkungen von Ballaststoffen berücksichtigt.17 Die GL einer Nahrung wird folgendermaßen berechnet: ihr glykämischer Wert multipliziert mit der Menge derselben Nahrung, die 50 Gramm Kohlenhydrate enthält. Mehr Ballaststoffe bedeuten eine größere Portion, da es weniger verdaubare Kohlenhydrate gibt. Ein Lebensmittel mit einem hohen glykämischen Wert kann man in ein Lebensmittel mit einer niedrigen glykämischen Last verwandeln, indem man es mit seinen natürlichen Ballaststoffen isst. Ein gutes Beispiel dafür sind Karotten, die einen hohen Glyx-Wert haben

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(viele Kohlenhydrate), aber eine niedrige glykämische Last (noch mehr Ballaststoffe). Mit GI und GL gibt es zwei Probleme. Die Glyx-Diät wirkt insbesondere bei Patienten, die aufgrund einer zu großen Insulinausschüttung durch die Bauchspeicheldrüse fettleibig sind.18 Basierend darauf, wie die Glyx-Diät den Blutzuckeranstieg infolge einer Mahlzeit verhindert, ist das nachvollziehbar. Das zweite Problem mit den Begriffen GI und GL ist die Fruktose. Fruktose ist nicht Glukose; wenn sie gegessen wird, steigt weder der Blutzuckerspiegel noch infolgedessen direkt der Insulinspiegel. Früher wurde Fruktose tatsächlich als hervorragende Zuckeralternative für Diabetespatienten gepriesen, eben weil sie einen niedrigen glykämischen Wert von 20 hat. Doch aufgrund ihrer besonderen Verstoffwechselung in der Leber (siehe Kapitel 11) ist Fruktose der schlimmste Auslöser für eine Leber-Insulinresistenz und das metabolische Syndrom. Das hat die Lebensmittelbranche jedoch nicht davon abgehalten, aus dem Wahn rund um niedrige Glyx-Werte Kapital zu schlagen und Nahrungsmittel mit Fruktosezusatz herzustellen. Die Diät, die auf eine niedrige glykämische Last achtet, bezieht die Insulinunterdrückung und die Ballaststoffe mit ein. Wenn Sie diese mit einer fruktosearmen Ernährungsform kombinieren, haben Sie die wichtigsten Grundsätze der South-Beach-Diät umgesetzt. Den Insulinspiegel niedrig halten, viele Ballaststoffe essen und Zuckerzusätze vermeiden. Nun wissen Sie, worum es geht.

Die Ernährungsweise auf der Grundlage der Genetik oder Biochemie optimieren Sollten unsere Gene unsere Ernährungsweise bestimmen? Manche Diäten funktionieren möglicherweise wegen unterschiedlicher genetischer Voraussetzungen bei der einen Person besser als bei der anderen. Das gilt selbstverständlich für das eine Prozent der Bevölkerung, das unter familiärer Hypercholesterinämie leidet (siehe Kapitel 10): Diese Menschen sollten sich fettarm ernähren (mit Statinen) oder sie werden ziemlich sicher einen Herzinfarkt bekommen. Latinos entwickeln aufgrund einer genetischen Veränderung bekanntermaßen häufiger Diabetes oder eine nicht-

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alkoholische Fettleber. Wenn Sie zu den 19  Prozent Latinos zählen, die diesen Gendefekt haben, wird jegliche Fruktose, die Sie zu sich nehmen, direkt in Leberfett umgewandelt – gehen Sie nicht über Los, ziehen Sie nicht 400 Euro ein … In einer Studie hing der Erfolg verschiedener Diäten von drei separaten Genen ab, die den Fettstoffwechsel ­kontrollieren.19 Ihr Insulinprofil ist bei Weitem der wichtigste Faktor, wenn es um die Entscheidung geht, welche Ernährungsweise für Sie am besten funktioniert. Nachfolgend sind vier Studien aufgeführt, die dafür plädieren, dass Ihr Insulinspiegel im Fokus steht: ƒƒ Die Glyx-Diät funktioniert am besten bei Menschen, deren Bauchspeicheldrüse besonders viel Insulin ausschüttet.20 ƒƒ Die kohlenhydratarme Diät funktioniert am besten bei Personen mit der am stärksten ausgeprägten Insulinresistenz.21 ƒƒ Doch wenn die Insulinresistenz durch eine genetische Veränderung ausgelöst ist, kann eine kohlenhydratarme Ernährung das Problem nicht beheben; dann ist eine kohlenhydratreiche, fettarme Diät zur Gewichtsreduzierung effektiver.22 ƒƒ Und unsere Octreotid-Studien (siehe Kapitel  4) haben ergeben, dass die medikamentöse Unterdrückung des Insulins eine effektive Methode ist, um einen Gewichtsverlust zu fördern.

Vernünftig Diät zu halten bedeutet, keine Diät zu halten Sehen wir uns all diese Diäten einmal an. Manche bauen auf Fett als Energiespender, andere auf Kohlenhydrate, wieder andere auf beides. Trotzdem haben alle eines gemeinsam: Mit ihrer Hilfe kann man das Gewicht kontrollieren, die Stoffwechselgesundheit verbessern und nachgewiesenermaßen das Risiko für Herzerkrankungen senken. Was also sind die Gemeinsamkeiten? Zwei Punkte: Sie enthalten a) wenig Zucker und b) viele Ballaststoffe (sodass sie reich an Mikronährstoffen sind).

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Wir haben es geschafft. Das ist entscheidend – darauf kommt es an. Sie halten nun die »Schüssel zum Himmelreich« in der Hand. Natürlicherweise vorkommende Fruktose stammt aus Zuckerrohr, Obst, einigen Gemüsesorten und Honig. Die ersten drei enthalten deutlich mehr Ballaststoffe als Fruktose, während letzterer durch Bienen »rationiert« ist. Von der Natur hergestellter Zucker ist schwer zu bekommen. Von Menschen gemachter Zucker ist problemlos erhältlich. Das ist das Körnchen Wahrheit, das die Lebensmittelbranche und die US-Regierung nicht offenbaren wollen; denn wenn sie es täten, müssten sie die Mengen reduzieren – und das können oder wollen sie nicht (siehe Kapitel 21). Aus diesem Grund ist die Zahl der Fettleibigen und der Menschen mit einer chronischen Stoffwechselkrankheit überall dort enorm angestiegen, wo die Ernährungsweise der Industrienationen eingeführt wurde. Die Anzahl der Personen, die eine – egal welche – Diät durchhalten, ist außerordentlich klein. Rückfall ist das Schlagwort beim Diäthalten. Zuerst ist da die Versuchung. Dann kommt Bequemlichkeit hinzu. Die leichte Zugänglichkeit. Die Langeweile. Und schließlich ist da noch die Gewichtsstagnation, die bei den meisten Menschen während einer Diät eintritt und die Willensstärke noch weiter schwächt.

Diätetische Süßungsmittel: Wundermittel oder Meinungsmache? Das ist heutzutage eine der heikelsten Ernährungsfragen. In dieser Hinsicht bin ich unentschieden, denn die Daten, auf deren Grundlage man eine Empfehlung aussprechen könnte, welcher Süßstoff am besten oder zumindest eine gute Wahl ist, sind schwer fassbar. Auf den ersten Blick wären diätetische Süßungsmittel eine sinnvolle Alternative zu Zucker oder Glukosesirup. Sie bringen Süße ohne Kalorien und kommen ohne die schädliche Fruktose aus. Die Vereinigten Staaten haben sich aufgrund der Adipositasepidemie langsam, aber sicher den Diätgetränken zugewandt: Im Jahr 2010 machten Diätversionen 42 Prozent der Verkäufe von Coca-Cola aus. Doch nicht so schnell. Wenn 33 Prozent des gesamten konsumierten Zuckers in Getränken ent-

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halten sind und 42 Prozent der Getränke nun Diätversionen sind, sollte eigentlich ein Gewichtsverlust zu verzeichnen sein. Doch es gibt keine einzige Studie, die zeigt, dass adipöse Menschen tatsächlich abgenommen hätten, wenn sie zuckerhaltige Getränke durch Diätgetränke ersetzten. Allerdings existieren mehrere von der Zuckerindustrie geförderte Studien, die belegen, dass der Konsum von Diätgetränken mit einer Zunahme des metabolischen Syndroms einhergeht.23 Doch denken Sie daran: Eine Korrelation ist noch keine Ursächlichkeit. Verursachen Diätsüßungsmittel das metabolische Syndrom oder konsumieren Menschen mit einem metabolischen Syndrom mehr Diätgetränke, um ihr Gewissen nach dem Verzehr von Cremetörtchen zu beruhigen? Aber warum wissen wir nicht, ob der Ersatz von Zucker durch diätetische Süßungsmittel wirklich die Kalorienzufuhr, das Körperfett und Stoffwechselkrankheiten reduziert?24 Es gibt fünf Problemfelder, die unserer Unkenntnis zugrunde liegen.25 ƒƒ Es gibt einen Unterschied zwischen Pharmakokinetik und Pharmakodynamik. Kurz gesagt versteht man unter Pharmakokinetik das, was Ihr Körper mit einem Medikament macht, während Pharmakodynamik das ist, was das Medikament mit Ihrem Körper macht. Das ist bei Weitem nicht dasselbe. Wir haben alle Informationen über die Pharmakokinetik sämtlicher diätetischer Süßungsmittel, um deren Sicherheit zu gewährleisten; das wird von der US-amerikanischen Behörde für Lebens- und Arzneimittelüberwachung (FDA) gefordert, bevor ein Süßstoff auf den Markt gebracht werden darf. Doch wir wissen nichts über die Pharmakodynamik. Wir haben keine Ahnung, wie sich diese Süßstoffe langfristig auf Nahrungszufuhr, Gewicht, Körperfett oder Stoffwechselstatus auswirken. Der Grund dafür ist, dass die FDA solche Studien nicht verlangt – bevor ein Medikament (oder ein Süßstoff) zugelassen wird, untersucht die Behörde lediglich zwei Kriterien: Sicherheit und Wirksamkeit. Die Lebensmittelbranche führt Untersuchungen zur Pharmakodynamik nicht durch, da sie teuer sind und sich negativ auf die Verkaufszahlen auswirken könnten. Die Nationalen Gesundheitsinstitute geben sie ebenfalls nicht in Auftrag, weil sie der

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Ansicht sind, das sei die Aufgabe der Lebensmittelbranche. Also werden solche Studien nicht gemacht. Doch was ist mit den Süßungsmitteln, die vom Körper gar nicht erst aufgenommen werden? Zuckeralkohole wie Xylit und Sorbit werden nicht über den Darm absorbiert – sind sie also sicher? Ja, abgesehen davon, dass sie in größeren Mengen Schmerzen im Magen-Darm-Trakt, Blähungen und Durchfall auslösen. ƒƒ Ein hypothetischer Einwand: Sie trinken eine Limo. Die ­Zunge schmeckt entweder Zucker oder einen Diätsüßstoff, weiß aber nicht, worum es sich handelt, und sendet das Signal »süß« an den Hypothalamus. Dieser sagt: »Achtung, da kommt eine Ladung Zucker – auf die Verstoffwechselung vorbereiten!« Also sendet der Hypothalamus über den Vagusnerv ein Signal an die Bauchspeicheldrüse: »Da kommt eine Menge Zucker, bereite dich auf eine zusätzliche Insulinausschüttung vor.« Wenn das »Süß«-Signal durch einen Süßstoff ausgelöst worden ist, kommt dieser Zucker allerdings nicht. Was passiert dann? Sagt sich der Hypothalamus: »Oh, nun ja … Dann ruhe ich mich mal bis zur nächsten Mahlzeit aus«, oder sagt er sich: »Was zum Teufel ist hier los? Nun habe ich mich auf die Extraladung Zucker eingestellt. Dann suche ich mal welchen.« Wir wissen nicht, wie das Gehirn mit dem fehlenden Zucker umgeht. ƒƒ Es existiert die Möglichkeit, dass diätetische Süßungsmittel die Zusammensetzung der Darmbakterien verändern. Das könnte Entzündungen auslösen (siehe Kapitel  12) und die Ablagerung von Bauchfett steigern. ƒƒ Wir wissen nicht, welche Rolle diätetische Süßungsmittel möglicherweise bei der Zuckerabhängigkeit spielen (siehe Kapitel 5). Die Herunterregelung der Dopaminrezeptoren durch Saccharose bedeutet, dass Sie beim nächsten Mal mehr Zucker liefern müssen, um denselben Effekt zu erzielen. Das ist auch bei Süßstoffen beobachtet worden. Es ist also denkbar, dass Süßstoffe dieselbe bioche-

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mische Abhängigkeit auslösen, die einen erhöhten Zuckerbedarf zur Folge hat. Selbst wenn Sie bei einer Mahlzeit keinen Zucker gegessen haben, sorgen Sie mit den Süßungsmitteln also dafür, bei der nächsten welchen zu bekommen. ƒƒ Das Thema der Sicherheit von Süßstoffen ist äußerst komplex. Die FDA ist der Ansicht: Wenn etwas genehmigt wurde, ist es sicher. Doch stimmt das wirklich? Es gibt noch immer Bedenken wegen Aspartam, obwohl dieser Süßstoff schon seit 30  Jahren auf dem Markt ist. Andererseits hat natürlich die Zuckerindustrie auch massenhaft Gründe, Süßstoffe in Verruf zu bringen. Jedes diätetische Süßungsmittel, dass ihre Vorherrschaft bedroht, wird kompromisslos bekämpft. Die Zuckerindustrie hat bislang gegen jeden Süßstoff gewettert, der seit Saccharin auf den Markt gekommen ist.

Wie man das Etikett einer Lebensmittelverpackung liest Die Kontrolle Ihres persönlichen Nahrungsumfelds ist unerlässlich, um richtige Entscheidungen treffen zu können. Wie bewegen Sie sich zum Beispiel durch den Supermarkt? Er ist ein wahres Minenfeld.

Erste Regel

Wenn Sie hungrig einkaufen gehen, haben Sie keine Chance.

Zweite Regel

Gehen Sie in den äußeren Gängen des Supermarkts einkaufen. Wenn Sie weiter nach innen vordringen, gelangen Sie zu den weniger empfehlenswerten Produkten.

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Dritte Regel

Echte Nahrung hat kein Etikett mit Nährwertangaben und benötigt auch keins. Je mehr auf einem Etikett steht, desto mehr Müll enthält das Produkt, das Sie kaufen.

Vierte Regel

Echte Nahrung verdirbt – und das ist ein gutes Zeichen. Wenn Bakterien etwas verdauen können, bedeutet das, dass Sie es auch können (da Ihre Mitochondrien während der Evolution umfunktionierte Bakterien sind). Es gibt drei große Nachteile beim Verzehr echter Nahrung. Der ­erste ist, dass Sie Zeit brauchen, um sie zuzubereiten. Doch indem Sie echte Nahrung essen, erhöhen Sie automatisch die Menge an Ballaststoffen und Mikronährstoffen und reduzieren die Zufuhr an Fruktose und Transfetten. Der zweite Punkt: Echte Nahrung verdirbt, sodass Sie sie nicht unbegrenzt lange lagern können. Und der dritte Nachteil: Echte Nahrung ist oft teurer. Das ist das größte Problem.

Fünfte Regel

Finden Sie den versteckten Zucker. Oft ist er wirklich gut versteckt. Auf dem Etikett mit den Nährwertangaben müssen die Zutaten in absteigender Reihenfolge ihrer Masse aufgeführt werden. Da die Lebensmittelindustrie verschiedene Zuckerformen verwendet, kann sie einem bestimmten Produkt viele verschiedene Zuckerarten auf einmal hinzufügen. Die Gesamtgrammangaben sind dieselben, doch die Reihenfolge auf dem Etikett ändert sich dadurch. Die Nahrungsmittelbranche nutzt mindestens 60 verschiedene Bezeichnungen für Zucker, um diesen auf dem Etikett zu verstecken; doch ein scharfes Auge kann ihn trotzdem immer ausfindig machen (Tabelle 17.1). Caveat emptor – Käufer, sei wachsam!

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Tabelle 17.1: Verschiedene Bezeichnungen für Zucker in industriell verarbeiteten Lebensmitteln Agavendicksaft*

Gelbzucker

Milchzucker

Ahornsirup*

Gerstenmalz

Muskovade*

Ahornzucker*

Glukose

Palmzucker*

Biorohzucker*

Glukose-Fruktose-Sirup*

Puderzucker*

Brauner Rohrzucker*

Glukosesirup*

Reissirup

Brauner Zucker*

Honig*

Rohrohrzucker*

Buttersirup*

HFCS-Sirup*

Rohrzucker*

Carobsirup*

Invertzucker*

Rohzucker*

Demerara-Zucker*

Isoglucose

Rübenkraut*

Dextran

Kandisfarin*

Rübensirup*

Dextrose

Karamell*

Rübenzucker*

Ethylmaltol

Kristalline Fruktose*

Saccharose*

Farinzucker*

Kristallisierter Zuckerrohrsaft*

Sorghumsirup*

Feinzucker*

Laktose

Stärkesirup

Fruchtsaft*

Maissirup

Stärkezucker

Fruchtsaftkonzentrat*

Maltodextrin

Traubenzucker*

Fruchtzucker*

Maltose

Turbinado-Zucker*

Fruktose*

Malz

Zucker*

Fruktose-Glukose-Sirup*

Malzsirup

Zuckerhirsesirup*

Galaktose

Mannose

Zuckerrohr-Melasse *

Gehärteter Zuckerrohrsaft*

Melasse*

Zuckersirup*

*Enthält Fruktose.

Hinzu kommt, dass die Lebensmittelindustrie Zucker bei Kleinkindern in einem immer früheren Alter einführt. Abbott Labs stellt Isomil her, eine laktosefreie Babynahrung; die Laktose wird durch 10,3 Prozent Saccharose ersetzt. (Eine Cola enthält 10,5 Prozent Saccharose.) Das in Deutschland

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angebotene Produkt Alete Banane-Apfel mit Zwieback enthält 11 Prozent Zucker, milupa Milchbrei Grieß für Kinder ab dem sechsten Monat gar 35,6 Prozent. Mead Johnson hat in den USA die Produktion seiner Kleinkindnahrung Enfagrow mit Schokoladengeschmack im Jahr 2010 eingestellt – aufgrund der Reaktionen von Kunden hinsichtlich des Zuckergehalts, der erforderlich war, um den bitteren Schokoladengeschmack auszugleichen; doch die Vanilleversion ist noch immer auf dem Markt. Der Verbraucherorganisation »Center for Science in the Public Interest« zufolge setzen die Firmen Gerber und Heinz mehr als der Hälfte ihrer Obst-Folgenahrung und mehreren Sorten der Gemüse-Folgenahrung Zucker und/ oder stärkehaltige Füllstoffe zu. Ist es da verwunderlich, dass es eine Epidemie fettleibiger sechsmonatiger Kinder gibt? Wie können Sie also Ihren Zuckerkonsum drosseln? Beginnen Sie damit, alle gezuckerten Getränke von Ihrem Speiseplan zu streichen. Wir sollten unsere Kalorien essen, nicht trinken. Stellen Sie sich einen Soft Drink einfach als eine »Fruktose-Trägersubstanz« vor, ähnlich schädlich wie Zigaretten. Dabei ist Saft noch schlimmer als Soft Drinks. Saft enthält fast sechs Teelöffel Zucker pro Glas, eine Limo fünf Teelöffel. Also essen Sie Ihr Obst, statt es zu trinken. Als Nächstes nehmen Sie sich all Ihre Koch- und Backrezepte vor: Immer wenn Zucker als Zutat aufgeführt ist, reduzieren Sie die Menge um ein Drittel. Ich verspreche Ihnen, dass Ihre selbstgemachten Speisen nun besser schmecken und gesünder für Sie sein werden. Nun können Sie tatsächlich die Schokolade, die Haferflocken und die Nüsse schmecken. Zu guter Letzt sollten Sie ein Dessert zu etwas Besonderem werden lassen. Als ich aufwuchs, gab es einmal in der Woche einen Nachtisch. Heute gibt es nach jeder Mahlzeit einen, und zusätzlich Snacks zwischendurch. Meine Kinder wissen, dass ein Nachtisch wochentags aus einer Frucht besteht, und nur am Wochenende gibt es etwas Raffinierteres. Ich versichere Ihnen, dass sie nicht das Gefühl haben werden, ihnen fehle etwas. Wenn ein Lebensmittel ein Etikett mit Nährwertangaben hat, ist es definitionsgemäß industriell verarbeitet. Jeder konzentriert sich sofort auf die Gesamtkalorienangabe und die Grammzahl der gesättigten Fette. Doch dies sind die unwichtigsten Eigenschaften eines Lebensmittels. Worauf Sie wirklich achten sollten: Wenn es sich um eine Flüssigkeit handelt, sollte Sie maximal fünf Kalorien haben. (Die einzige Ausnahme ist nichtaroma-

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tisierte Milch. Denken Sie daran: Milchzucker ist Laktose, die in der Leber in Glukose verwandelt wird – keine Fruktose also.) Wenn es sich um feste Nahrung handelt, sollte sie mindestens drei Gramm Ballaststoffe enthalten (siehe Kapitel 12). Steht irgendwo der Begriff »teilgehärtet« (also Transfette), wurde das Produkt so verarbeitet, dass es nicht so schnell verdirbt. Es könnte Sie also ohne Weiteres überdauern. Zählt irgendeine Zuckerform zu den ersten drei Zutaten, handelt es sich um ein Dessert. Nachfolgend finden Sie zwei Beispiele, wie Sie diese einfachen Regeln umsetzen können, wenn Sie mit einem Lebensmittel in Berührung kommen. ƒƒ Joghurt. 330 ml Coca-Cola enthalten insgesamt 35 Gramm Zucker. Ein durchschnittlicher Fruchtjoghurt mit 3,5  Prozent Fett bringt es auf insgesamt 24  Gramm Zucker in 150  Gramm. Aber Joghurt ist doch gesund, oder? Welcher Anteil dieser 24  Gramm geht auf Milchzucker zurück (Laktose, nicht schädlich) und wie viel auf Zuckerzusätze (Saccharose)? Ein Naturjoghurt mit 3,5  Prozent Fett bringt es auf 7,5 Gramm Kohlenhydrate pro 150 Gramm. Das bedeutet, dass ein einziger Fruchtjoghurt 16,5 Gramm extra zugesetzten Zucker enthält. Wenn Sie also einen solchen Joghurt essen, bekommen Sie quasi einen Naturjoghurt plus mehr als eine halbe Cola. ƒƒ Kakaotrunk. Milch enthält Kalzium und Phosphor, die beide für das Wachstum von Kindern wichtig sind und bei Erwachsenen Osteoporose vorbeugen. 200 Milliliter Milch mit einem Fettgehalt von 1,5 Prozent enthalten 94 kcal und zehn Gramm Zucker (Laktose). Doch dieselbe Menge fertiger Kakaotrunk, der aus dieser 1,5-prozentigen Milch hergestellt worden ist, hat 122  kcal und insgesamt 16 Gramm Zucker, von denen sechs Gramm zugesetzt worden sind. Kakaotrunk ist also Milch plus 57 Milliliter Cola. Joghurt und Kakaotrunk sind perfekte Beispiele dafür, wie die Lebensmittelbranche Zucker versteckt. Das Etikett mit den Nährwertangaben listet »Gesamtzucker« auf. Ob dieser aus Laktose stammt (Milchzucker) oder aus dem Zucker der verarbeiteten Originalfrucht, wird dabei nicht berücksichtigt. Doch der einzige Zucker, auf den Sie achten müssen, ist der »zugesetzte

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Zucker«, der von der Nahrungsmittelindustrie aus all den bereits erwähnten Gründen hinzugefügt wird. Die Industrie muss diese Angabe nicht auf dem Etikett abdrucken, da es sich um eine firmeneigene, geschützte Information handelt (siehe Kapitel 16). Indem Sie die Zutatenliste studieren und nach den zig verschiedenen Bezeichnungen für zugesetzten Zucker suchen, können Sie die Hersteller aber überlisten. Dann ist da noch das Problem mit dem Fruchtsaft. Er enthält keinen zugesetzten Zucker, aber ihm wurden die Ballaststoffe entzogen; und dadurch entspricht der im Saft enthaltene Zucker in seiner Wertigkeit dem zugesetzten Zucker. Das ist ein Grund dafür, dass das vom US-amerikanischen Landwirtschaftsministerium vorgeschriebene Etikett mit Nährwertangaben vollständig überarbeitet werden soll (siehe Kapitel 21). Das Ziel unserer Supermarktübung besteht darin, Ihre Einkaufsgewohnheiten von fruktosereichen, transfettreichen und ballaststoffarmen (also industriell verarbeiteten) Produkten hin zu fruktosearmen, ballaststoffreichen (natürlichen) Lebensmitteln ohne Transfette zu verändern. Der einzige vernünftige Weg besteht zuallererst darin, unverarbeitete, echte Nahrung zu kaufen: Fleisch, Milch, Obst und Gemüse. Eine der Regeln, die Michael Pollan in seinem Buch 64 Grundregeln Essen aufstellt, lautet: »Wenn Ihre Großmutter es nicht als Lebensmittel erkennen würde, ist es auch keines.« (Es mag sein, dass Ihre Großmutter Tempeh oder Tofu, Miso oder Edamame nicht erkennen würde – doch irgendjemandes Großmutter könnte das.) Ich möchte noch hinzufügen: Trägt das Nahrungsmittel das Logo eines Unternehmens, von dem Sie schon gehört haben, handelt es sich um ein industriell verarbeitetes Produkt. Wenn Sie echte Nahrung essen, wird Ihr Gewicht sich selbst regulieren – genau so, wie das vor 50.000  Jahren der Fall war, als die Menschen das Bewässern und Feuermachen lernten. Wir haben keine andere Wahl, als zu versuchen, die Art der Nahrungsversorgung nachzubilden, die unsere Großeltern hatten, bevor die industrielle Verarbeitung sie verdarb. In der UCSF WATCH Clinic versorgen wir die Eltern unserer adipösen Patienten mit einer Einkaufsliste, auf der die Lebensmittel nach der Auswirkung auf den Insulinspiegel sortiert sind (Tabelle 17.2).

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Tabelle 17.2: Einkaufsliste »echte Nahrung« versus »industriell verarbeitete Nahrung«

Das Ziel der Adipositastherapie besteht darin, den Insulinspiegel niedrig zu halten. Hier eine Beispiel-Einkaufsliste, die auf vier Prinzipien basiert, um dieses Ziel zu erreichen: 1. Wenig Zucker 2. Viele Ballaststoffe 3. Wenig Omega-6-Fette 4. Wenig gehärtete Fette Ähnlich wie bei der Ampelkennzeichnung von Lebensmitteln können Produkte, die »grün« markiert sind, nach Belieben gegessen werden, während »gelbe« Lebensmittel eine gewisse Vorsicht erfordern (ungefähr drei- bis fünfmal pro Woche) und »rot« markierte Produkte besonderen Gelegenheiten vorbehalten bleiben sollten (ungefähr einmal pro Woche). Die Tabelle enthält Produktbeispiele; auf www.das-ist-drin.de können Sie sich näher über die Inhaltsstoffe der einzelnen Produkte informieren. GRÜN (unverarbeitet, nach Belieben)

GELB (minimal verarbeitet, 3- bis 5-mal pro Woche)

ROT hoch verarbeitet, 1-mal pro Woche)

GRAU­ZONE

GANZES VOLLKORNGETREIDE Ballaststoffreiches Getreide (> 5 g  Ballaststoffe,  3 g  Ballaststoffe, > 3 g  Zucker)

Raffiniertes Getreide ( 10 g  Zucker)

Kernige Haferflocken (10 g Ballaststoffe, 1 g Zucker)

Cornflakes, vitaminiert (3,4 g Ballaststoffe, 9 g Zucker)

Fertiggrießbrei mit Geschmack

Diätprodukte

Weizenschrot ohne Zuckerzusatz (7 g Ballaststoffe, 1 g Zucker)

Getreideflocken (8,2 g Ballaststoffe, 8 g Zucker)

Grieß

Zuckerfreie heiße Trinkschokolade

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GRÜN (unverarbeitet, nach Belieben)

GELB (minimal verarbeitet, 3- bis 5-mal pro Woche)

ROT hoch verarbeitet, 1-mal pro Woche)

GRAU­ZONE

Müsli mit Nüssen ohne Zuckerzusatz (6,6 g Ballaststoffe, 2 g Zucker)

Haferflakes (7 g Ballaststoffe, 14 g Zucker)

Weißer Reis

Diätbier

Vollkornbrot (> 3 g Ballaststoffe)

Mehrkornflocken mit Honig (10,3 g Ballaststoffe, 8 g Zucker)

Langkornreis

Diätlimo

Vollkornbrot (Roggen, Weizen)

Müsli mit Trockenobst, ohne Zuckerzusatz (8 g Ballaststoffe, 8 g Zucker, teilweise aus dem Trockenobst)

Risottoreis

Aromatisiertes Wasser

Vollkornbrot mit Sonnenblumenkernen

Seitenbacher Mühle Müsli 2 (9 g Ballaststoffe, 7 g Zucker)

Duftreis

Diäteistees

Ballaststoffreiches Knäckebrot

Seitenbacher Müsli zuckerarm (9 g Ballaststoffe, 3 g Zucker)

Bagels

Zuckerfreies, aromatisiertes Wasser

Vollkorngetreide

Schneekoppe Bio Urkorn Weißbrot Müesli Heidelbeere Vanille (9,7 g Ballaststoffe, 13,7 g Zucker)

Bulgur

Schneekoppe Bircher Maisbrot Müesli (10,8 g Ballaststoffe, 9,1 g Zucker, teilweise aus den Rosinen)

Bulgur

Grobe Gerstenkörner

Alnatura Cornflakes (3,6 g Ballaststoffe, 6 g Zucker)

Kartoffelbrot

Grobe Gerstenkörner

Grobe Roggenkörner

Wurzener enjoy Cornflakes (10 g Ballaststoffe, 6,1 g Zucker)

Reisbrot

Grobe Roggenkörner

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Die Veränderung Ihres Nahrungsumfelds

GRÜN (unverarbeitet, nach Belieben)

GELB (minimal verarbeitet, 3- bis 5-mal pro Woche)

ROT hoch verarbeitet, 1-mal pro Woche)

Wildreis oder Naturreis

Kölln Knusprige Multikorn Fleks (8,9 g Ballaststoffe, 14,8 g Zucker)

Croissant

Vollkornamaranth

Dr. Oetker Vitalis Zimtschnecke Weniger süß Knusper Pur (13,1 g Ballaststoffe, 14,4 g Zucker)

Vollkorngerste

Weetabix Weetaflakes (11,0 g Ballaststoffe, 12,4 g Zucker)

Donut

Vollkornbuchweizen

Martin Evers Naturkost Cornflakes (3,5 g Ballaststoffe, 3,8 g Zucker)

Waffel

Vollkornmais, einschließlich ungesüßtes Popcorn ohne Fett

Nestlé Fitness KnusperMüsli Frucht (8,7 g Ballaststoffe, 13,1 g Zucker)

Pfannkuchen

Vollkornhirse

Vollkornprodukte (gemahlenes Vollkorn)

Couscous

Vollkornhafer

Vollkornnudeln

Basmatireis

Vollkornquinoa

Mit Protein angereicherte Nudeln

Kuchen, Brownie

Vollkornroggen

Vollkornmais-Tortilla

Hamburger-Brötchen

Vollkornsorghum

Vollkornweizen-Tortilla

Hot-Dog-Brötchen

Vollkornteff

Brot (gemahlenes Vollkorn, > 3 g Ballaststoffe)

Chips

Vollkorntriticale

Pitabrot

Cracker

Vollkornweizen – alle Weizenvarianten

Haferkleiebrot

Pizzaboden

Würzmittel

Buchweizenbrot

Reiskuchen

Alle Kräuter

Milchprodukte

Baguette

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Die persönliche Lösung

GRÜN (unverarbeitet, nach Belieben)

GELB (minimal verarbeitet, 3- bis 5-mal pro Woche)

ROT (hoch verarbeitet, 1-mal pro Woche)

Alle Gewürze

Zuckerfreier Joghurt mit Geschmack

Kellogg’s Rice Krispies

Ungehärtete Pflanzenmargarine

Fleisch (industriell verarbeitet, höherer Gehalt an Salz und Omega-6-Fettsäuren)

Fertigmüsli mit Zuckerzusatz

Selbstgemachtes Salatdressing

Kommerzielles Rindfleisch

Gut & Günstig Schoko Reis

Selbstgemachte Grillsoße

Rinderhackfleisch

Proteine

Hummus

Hamburger

Erdnussbutter und andere kommerziell hergestellte Nussmus-Sorten mit mehr als zwei Zutaten

Speck

Chorizo

Gemüse

Senf

Wurst

Ofenkartoffeln

Salsa

Hot Dog

Kartoffeln

Selbstgemachte Joghurtsoße

Putenschinken

Pommes frites

Tabasco und andere scharfe Soßen (ohne Zucker)

Puten-Hot-Dog

Zwiebelringe

Pflanzenöle

Schinken

Scharf angebratenes Gemüse (paniert, in gehärtetem Fett gebraten)

Zum Kochen, Dippen und für Salatsoßen sind Oliven- und Rapsöl am besten geeignet.

Salami, Aufschnitt

Obst

Eier

Obst

Fruchtaufstrich

Eier

Trockenfeigen

Obstkonserven mit Sirup

Rühreier

Datteln

Würzmittel

Fleisch (wenig Omega-6Fettsäuren, industriell nicht verarbeitet)

Bananenchips

Süßsaure Soße

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GRÜN (unverarbeitet, nach Belieben)

GELB (minimal verarbeitet, 3- bis 5-mal pro Woche)

ROT hoch verarbeitet, 1-mal pro Woche)

Fleisch von Weiderindern

Rosinen

Barbecuesoße

Wildfisch

Ungesüßtes Apfelmus

Ketchup

Lamm

Getrocknete Birnen

Teriyaki

Pute

Getrocknete Cranberrys

Ranch-Dressing

Fleisch von freilaufenden Hühnern

Andere Trockenfrüchte

Getränke

Nüsse/Samen

Gemüse

Soft Drinks

Mandeln

Zuckermais

Milch mit Geschmack

Leinsamen

Rote Kartoffeln

Fruchtsaft – alle, auch Biosäfte, frisch gepresste Säfte und kommerziell hergestellte Säfte

Macadamianüsse

Gebackene Bohnen

Schoko-Reismilch

Erdnüsse

Pflanzenöle und Fette

Schoko-Sojamilch

Pecannüsse

Distel-, Maiskeim- oder Sojabohnenöl

Heiße Schokolade, Kakaotrunk

Kürbiskerne

Fettreduzierter Frischkäse

Gatorade und andere isotonische Getränke

Sonnenblumenkerne

Fettreduzierte Mayonnaise Gesüßte Mixgetränke

Walnüsse

Würzmittel

Limonade

Nuss-/Samenbutter aus Mandeln, Cashewkernen, Macadamias, Erdnüssen, Haselnüssen und Sonnenblumenkernen (naturbelassen, also nur aus Nüssen bzw. Samen und Salz)

Salzige Sojasoße

Frucht-Smoothies

Fleischlos

Mayonnaise

Gesüßter Eistee

Getreideburger

Cocktailsoße

Gesüßte Kaffeegetränke

Sojaburger

Steaksoße

Eis-Soft-Drinks

Tofu (mit Kalzium)

Worcestersoße

Energy Drinks

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GRAU­ZONE

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Die persönliche Lösung

GRÜN (unverarbeitet, nach Belieben)

GELB (minimal verarbeitet, 3- bis 5-mal pro Woche)

ROT hoch verarbeitet, 1-mal pro Woche)

Tempeh

Industriell hergestellte Wasser mit Vitaminzusatz Salatsoße (mit Raps- oder Olivenöl)

Milchprodukte

Getränke

Naturbelassene Milch

Sojamilch mit Geschmack Gemüsesaft

Naturjoghurt

Reismilch mit Geschmack Würzmittel

Filatakäse

Gesüßter Kaffee

GRAU­ZONE

Tomatensaft

Industriell hergestellte Salatsoße (mit Maiskern-, Soja- oder Distelöl)

Hüttenkäse

Marmelade, Gelee

Mozzarella

Honig

Quark

Ahornsirup

Frischkäse

Pfannkuchensirup

Hartkäse

Agavendicksaft

Schnittfester Frischkäse

Kokosöl

Cheddar

Palmöl

Butter

Zucker

Saure Sahne

Margarine (Transfette)

Hülsenfrüchte

Pflanzliches Bratfett (Transfette)

Adzukibohnen, Augenbohnen, Edamame, Kichererbsen, Kidneybohnen, Limabohnen, Linsen, Saubohnen, schwarze Bohnen Obst

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Die Veränderung Ihres Nahrungsumfelds

GRÜN (unverarbeitet, nach Belieben)

GELB (minimal verarbeitet, 3- bis 5-mal pro Woche)

ROT hoch verarbeitet, 1-mal pro Woche)

GRAU­ZONE

Alle ganzen Früchte (unverarbeitet), Ananas, Äpfel, Aprikosen, Bananen, Birnen, Cantaloupemelonen, Erdbeeren, Guaven, Heidelbeeren, Himbeeren, Honigmelonen, Kirschen, Kiwis, Mandarinen, Mangos, Orangen, Papayas, Paprikaschoten, Pfirsiche, Pflaumen, Sternfrüchte, Wassermelonen, Weintrauben, grüne Gemüse Alle ganzen Gemüsesorten (unverarbeitet), Auberginen, Blumenkohl, Bohnensprossen, Brokkoli, Erbsen, grüne Bohnen, Hokkaidokürbis, Karotten, Pak Choi, Paprikaschoten (alle Farben), Peperonischoten (alle Farben), Pilze, Rettich, Salat, Salatgurken, Spaghettikürbis, Spargel, Spinat, Süßkartoffeln, Tomaten, Yamswurzeln, Zwiebeln Getränke Leitungswasser, Mineralwasser (still oder kohlensäurehaltig), Sodawasser, Tafelwasser Naturbelassene Milch

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Die persönliche Lösung

GRÜN (unverarbeitet, nach Belieben)

GELB (minimal verarbeitet, 3- bis 5-mal pro Woche)

ROT hoch verarbeitet, 1-mal pro Woche)

GRAU­ZONE

Kräuter- und andere Tees (schwarz, grün), ungesüßt Naturbelassene Sojamilch (angereichert) Naturbelassene Reismilch (angereichert) Kaffee (schwarz, ungesüßt)

Da echte Nahrung auf den ersten Blick mehr kostet als industriell verarbeitete Lebensmittel, werden viele diese Empfehlungen für bevormundend halten und die Armen dadurch benachteiligt sehen. Doch nur ein Bruchteil des Geldes, das wir für Nahrung ausgeben, wird auf die Lebensmittel selbst verwendet. Einen viel größeren Anteil zahlen wir für die Verpackung und Vermarktung. Das ist ein enormer Aufpreis, insbesondere für die Armen. Falls wir Verbraucher das irgendwann nicht mehr zu zahlen bereit sind und stattdessen zu mehr echten Lebensmitteln greifen, wird die Lebensmittelbranche möglicherweise ihre Strategie überdenken. (Vielleicht möchte ja jemand die großen Nahrungsmittelkonzerne belagern?) Doch bis dahin wird die Branche weiter absahnen.

Wie man isst, ohne zu kochen Nicht jeder kann kochen, hat die Zeit oder Lust dazu und weiß, wie es geht. Solche Menschen haben zwar einen kleinen Nachteil, wenn es darum geht, echte Nahrung zu essen, aber es ist nicht unmöglich. Die erste Regel lautet: Halten Sie sich unbedingt von Fastfoodrestaurants fern. Dort gibt es nichts Gutes. Passen Sie auch bei allen anderen abgepackten Produkten auf, selbst wenn sie aus Bioproduktion stammen. Viele dieser Waren enthalten dieselbe Zuckermenge wie die herkömmlich produzierten Äquivalente. Wenn Sie in einem Café oder Restaurant ein Gericht bestellen, sollten Sie zudem darauf achten, dass es etwas Grünes enthält. Zweite Regel: Kaufen Sie nichts,

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was Sie unterwegs im Stehen essen können, denn dann denken Sie nicht über Ihre Nahrung nach und verwenden wahrscheinlich Ihre Hände als Besteck (was bedeutet, dass Sie mehr industriell verarbeitete Kohlenhydrate essen). Setzen Sie sich hin, genießen Sie das Essen und machen Sie eine Mahlzeit daraus. Drittens: Sorgen Sie dafür, dass Ihre Speisen eine Eiweißsorte enthalten – also irgendetwas von Putenfleisch in Scheiben bis hin zu naturbelassener Erdnussbutter. Kaufen Sie keine Backwaren, die in erster Linie aus Fett, Kohlenhydraten und Zucker bestehen. Und zu guter Letzt: Keine Smoothies oder Mixgetränke!

Wie man in einem Restaurant überlebt In diesem Kapitel geht es um die Kontrolle unseres Lebensmittelumfelds, und Restaurants – welcher Art auch immer – bedeuten den ultimativen Kontrollverlust. Sie haben keine Kontrolle darüber, was in die Speisen hineingelangt, wie groß die Portionen sind, wie schnell das Gericht gebracht wird und ob Brot oder Grissini auf den Tisch gestellt werden, bevor die Mahlzeit beginnt. Außerdem müssen Sie ein intellektuell-emotionales Dilemma lösen und die Menge gegen den Geschmack und den Preis abwägen. Kein Wunder, dass Büfets so beliebt sind. Heißt das also, dass Sie nie mehr in ein Restaurant gehen können? Die Portionsgrößen in Fastfoodrestaurants sind seit den 1970er-Jahren beträchtlich angewachsen. Soft Drinks haben dadurch rund 49 kcal mehr, Pommes frites 68 kcal und Hamburger 97 kcal. Wer häufig Fastfood isst, nimmt pro Tag durchschnittlich mehr Kalorien zu sich als Personen, die das nicht oder nur selten tun. Preis und Verpackung animieren dazu, größere Portionen zu kaufen. Im Rahmen eines Versuchs wurden Kunden in einer Restaurantumgebung große Portionen serviert – und sie aßen 43 Prozent mehr. Kinder, die zweimal wöchentlich in einem Fastfoodrestaurant essen, haben ein um 60 Prozent höheres Adipositasrisiko; und bei jenen, die dies dreimal pro Woche tun, ist das Risiko um 300 Prozent erhöht.26 Dabei gibt es eine große Diskrepanz zwischen der Kalorienmenge, die Kunden in einer Fastfoodmahlzeit erwarten, und der Kalorienzahl, die sie tatsächlich zu sich nehmen.27 Außerdem überschätzen Kunden, wie gesund

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Die persönliche Lösung

Fastfoodprodukte sind, die genau damit beworben werden. Während Salate und Apfeltaschen ebenso wie Big Mac und Pommes frites auf der Top-TenListe von McDonald’s stehen, sind die meisten Kunden nicht in der Lage, die tatsächlichen Kalorien dieser sogenannten »gesunden« Optionen einzuschätzen. Hinzu kommt, dass Menschen selbst Portionen, die sie für zu groß halten, aufessen – allein schon, weil sie dafür bezahlt haben.28 Auch wenn sie mehr gegessen haben, als sie wollten, halten die Kunden diese »Sparmenüs« für ein gutes Geschäft. Die Regeln im Umgang mit Restaurants sind sehr einfach. ƒƒ Wenn das Essen in einer Verpackung daherkommt, hat die Verpackung mehr gesundheitliche Vorteile als das Essen selbst. Fastfoodrestaurants sind der Gegenpol zu echter Nahrung. ƒƒ Was auch immer Sie tun – bestellen Sie keinen Soft Drink. ƒƒ Bitten Sie den Kellner, weder Brot noch sonstige Extras auf den Tisch zu stellen. ƒƒ Wenn Sie diese Woche bereits ein Dessert hatten, bestellen Sie sich kein zweites.

Wie lautet also die Antwort? Müssen wir Restaurants und Supermärkte meiden wie die Pest? Müssen wir uns ernähren wie unsere Vorfahren und/oder auf alle Kohlenhydrate verzichten? Mein Vorschlag ist, dass wir lediglich darauf achten sollten, »sichere Kohlenhydrate« zu essen. Das bedeutet: wenig Zucker, um Insulinresistenz zu vermeiden, und viele Ballaststoffe, um den Zustrom zur Leber zu reduzieren und eine zu starke Insulinausschüttung zu verhindern. Und da wir gerade dabei sind: Essen Sie »sicheres« Fett, also echtes Fett, kein synthetisches (wie gehärtete Fette, die nicht verstoffwechselt werden können). Michael Pollan ermahnt uns in einem Artikel »Unhappy Meals« in der New York Times: »Nahrung essen. Nicht zu viel. Hauptsächlich Pflanzen.« Das sind sieben Worte; ich würde sie auf vier reduzieren:

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Essen Sie echte Nahrung. »Nicht zu viel« wird sich dann von selbst erledigen. Und um »Hauptsächlich Pflanzen« müssen Sie sich nicht sorgen, wenn Sie die Pflanzen so essen, wie sie natürlicherweise vorkommen, oder die Tiere, die diese naturbelassenen Pflanzen gefressen haben – denn sie haben Pflanzen gefressen. Ein Punkt, der bei verschiedenen der oben vorgestellten Diätpläne fehlt: Jede echte Nahrung ist per se gut. Was wir mit der Nahrung tun, ist schlecht. Lassen Sie die Nahrung unverändert – Sie können Sie dünsten, kochen oder grillen. Die Lebensmittelverarbeitung ist der Mr Hyde unserer Adipositaspandemie. Die Lösung besteht darin, das Gegenteil zu tun. Natürlich bedeutet das große Veränderungen in der Art, wie wir uns verhalten und auch wie die Lebensmittelproduzenten sich verhalten. Doch erinnern Sie sich an die frühen 1980er-Jahre. Die Nahrungsmittelindustrie musste sich komplett umstellen, um die Richtlinien zur fettarmen Ernährung umzusetzen. Das kann sie ein weiteres Mal schaffen. Der Manager eines Lebensmittelkonzerns sagte mir: »Wir können uns unter zwei Bedingungen umstellen. Wir werden es nicht im Alleingang tun« – was bedeutet, dass der Rest der Industrie dem Beispiel folgen muss – »und wir dürfen kein Geld dabei verlieren.« Nun, heute sind das zweifellos zwei Punkte, die einer Umstellung im Weg stehen. Natürlich würden solche Veränderungen die Lebensmittelpreise beeinflussen. Doch das bedeutet nicht, dass jeder im Laden mehr zahlen müsste. Es hängt alles davon ab, für welche Reaktion sich die US-Regierung und andere Regierungen entscheiden (siehe die Kapitel 21 und 22). Der Kampf gegen die Fettleibigkeit muss an zwei Fronten geführt werden: individuell und durch das öffentliche Gesundheitswesen. Bis die Nahrungsproduzenten, die Lebensmitteläden und die Restaurants erkannt haben, dass es nicht in ihrem besten Interesse ist, uns mit unseren aktuellen industriell verarbeiteten Produkten zu versorgen, können wir nicht erwarten, dass sich unser globales Lebensmittelumfeld in absehbarer Zukunft verbessert. Wenn Sie sich selbst darüber informieren, was Ihre Nahrung enthält und wie sie sich auf Sie auswirkt, ist das schon die halbe Miete zur Kontrolle Ihres persönlichen Lebensmittelumfelds und der Nahrungsumgebung Ihrer Kinder. Wie man der Regierung beibringt, dass das allgemeine Lebensmittelumfeld verbessert werden muss, wird detailliert in den Kapiteln 20 bis 22 behandelt.

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Kapi tel  18

Die Veränderung Ihrer Hormone ––––––––––––––––––––l––––––––––––––––––––

DeShawn ist ein achtjähriger afroamerikanischer Junge, der 50 Kilogramm wiegt und einen BMI von 35 hat, als er in der Klinik erscheint. Er ist aufgrund eines orthopädischen Problems überwiesen worden: Beide Hüften rutschen aus ihren Gelenken, sodass seine Bewegungsfähigkeit eingeschränkt ist. DeShawn ist eigensinnig, streitlustig und schlecht in der Schule. Obwohl seine Mutter freundlich und anscheinend einsichtig ist, ist auch sie adipös und sehr defensiv. Bei jedem Besuch erzählt sie, dass sie sich genau an unsere Ratschläge hält. Sie habe alle gezuckerten Getränke aus dem Haus verbannt, bringe echte Nahrung auf den Tisch und warte 20 Minuten, bevor es eventuell eine zweite Portion gebe. Doch bei jedem Termin in der Klinik hat DeShawn weiter zugenommen. Drei Jahre später wiegt er 115 Kilogramm und hat einen BMI von 50 erreicht. Er hat eine obstruktive Schlafapnoe – eine potenziell verhängnisvolle Krankheit, die einen Anruf bei der Kinderschutzbehörde erforderlich macht, um sein Leben zu retten. Es ist der Gedanke, dass sie ihren Sohn verlieren könne, der die Mutter dazu zwingt, sich mit ihrer eigenen Zuckerabhängigkeit auseinanderzusetzen. Daraufhin entfernt sie alle Soft Drinks aus dem Haus und beginnt ebenso wie DeShawn eine Psychotherapie. Innerhalb eines Jahres haben sie beide jeweils 27 Kilogramm abgenommen; DeShawn ist aufgeschlos-

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sen, freundlich, selbstbewusst und bringt in der Schule bessere Leistungen.

Vermutlich werden Sie bei der Lektüre dieses Kapitels denken: »Von welchem Planeten stammt dieser Typ eigentlich? Er spricht davon, das ›hormonelle Umfeld‹ zu verändern, doch eigentlich geht es doch wieder nur um Verhaltensänderungen. Das hätte ich auch in jedem anderen Ratgeber lesen können.« Ganz im Gegenteil! Wir – jeder Einzelne, aber auch die Gesellschaft – müssen etwas anderes tun, um diese Pandemie in den Griff zu bekommen. Es muss sich eindeutig etwas ändern. Doch das Verhalten ändern? Wenn Sie versuchen, Ihr Verhalten zu ändern, sind Sie zum Scheitern verurteilt – das beweisen die 60 Millionen rückfälligen Diäthalter im Land. Bei Adipositas sind auch Eltern nicht in der Lage, das Verhalten ihrer Kinder zu beeinflussen.1 Die meisten Menschen sind der Ansicht, dass das Wort Verhalten für die Handlungen steht, die wir aus »freiem Willen« tun oder nicht tun. Doch die Wörterbuchdefinition für Verhalten lautet: »eine formelhafte, motorische Reaktion auf einen physiologischen Reiz«. Das entscheidende Wort ist hier physiologisch. Felix Kreier aus Amsterdam behauptet, dass »Verhalten« das Gesamtergebnis der genetischen, hormonellen und biochemischen Impulse an das Nervensystem ist, die bestimmte Reaktionen hervorrufen.2 Was wir als »Verhalten« bezeichnen, ist tatsächlich die kognitive Unterdrückung jener biochemischen Reaktionen. Ja, Sie können beschließen, Ihre Gelüste zu ignorieren und auf den Keks zu verzichten. Doch sind Sie wirklich in der Lage, diese Entscheidung rund um die Uhr, an jedem Tag der Woche, das ganze Jahr über durchzuziehen, wenn ein Hormon oder ein Neurotransmitter Ihnen etwas anderes sagt und wenn das Signal im Laufe der Zeit immer stärker wird? Diese Überlegung ist nicht nur ein abstraktes Gedankenspiel, sondern sie hat echte, praktische Auswirkungen. Jedes menschliche Verhalten erfordert hormonelle Signale, um zum Ausdruck zu kommen (Sexualverhalten: Androgen, Östrogen; elterliches Verhalten: Oxytocin). Diese Verhaltensweisen sind wirklich angeboren und das Ergebnis unserer Biochemie – sie hat sich im Laufe der Evolution entwickelt, damit wir überleben können. Wie könnte man es sich sonst erklären, dass Eltern ihren

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zweijährigen, brüllenden Nachwuchs nicht aussetzen? Ihre Hormone führen dazu, dass sie ihr Kind beschützen wollen, und stellen eine unerschütterliche Verbindung zu ihm her. Im Laufe von nur einer Generation hat unsere Zuckerschwemme die beteiligten Hormone und neuronalen Verbindungen zu unseren Ungunsten verändert. Natürlich gibt es Ausnahmen von dieser Regel. Doch wenn die meisten Menschen in der Lage wären, dauerhaft ihre physiologischen Reaktionen zu ignorieren, die nach jenem Donut verlangen, gäbe es keinen Bedarf für dieses Buch. Ihr Körper wird immer gegen Sie arbeiten, und Sie sind zum Scheitern verurteilt.

Wie wir sind Ich möchte Ihnen gerne erklären, wie all das funktioniert (oder sollte ich besser sagen: funktioniert hat), und präsentiere Ihnen dazu die Erkenntnisse von Markus Stoffel von der Universität Zürich. Er erzählte aus seiner Kindheit, dass er mittags sein Mittagessen aß, um drei Uhr aus der Schule kam und dann direkt zum Spielplatz ging. Drei Stunden lang spielte er nach Herzenslust mit seinen Klassenkameraden und trank Wasser aus dem Schulbrunnen. Um 18  Uhr gingen sie dann ausgehungert nach Hause. »Diese sechs Stunden ohne Nahrung, nur mit Wasser und viel körperlicher Betätigung waren unglaublich wichtig, … um unsere Leber bei Laune, erfrischt und insulinsensitiv zu halten, sodass es am nächsten Tag auf dieselbe Weise weitergehen konnte.« Vor 40 Jahren war Limo eine Leckerei und nur in kleinen Portionsgrößen erhältlich. Als die 2-Liter-Flaschen für Soft Drinks (patentiert 1973 von DuPont) und massenweise Soft Drinks aufkamen, schütteten wir – wie ­DeShawn – Zuckerwasser in uns hinein, als gäbe es kein Morgen. Eltern müssen in zwei Jobs arbeiten und haben keine Zeit zum Kochen einer Mahlzeit; Kinder sind gestresster; Spielplätze verschwinden zugunsten von Häusern und aus Angst vor Kriminalität; der Sportunterricht und Sportvereinsangebote werden aufgrund von Geldmangel gestrichen. Unsere Hormone funktionierten in einem Umfeld, wie es vor 30 Jahren war. Sie können noch immer funktionieren, aber eben nicht in der veränderten Umgebung, die wir selbst geschaffen haben. Je früher wir erkennen, was wir uns und unse-

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ren Kindern im Namen des »Fortschritts« angetan haben, desto eher können wir das Problem lösen. Denn bislang hat es sich als nutzlos erwiesen, nach Methoden zu suchen, um uns an unsere neue Umgebung anzupassen – das beweist die Erfolglosigkeit der »Adipositasprofiteure«. Seien wir ehrlich: Wir haben unsere eigenen Hormone und unsere eigene Biochemie am Hals. Viele leiden unter funktionellen Hormonproblemen in einem der Hirnbereiche, die mit dem Essen zu tun haben – Hunger (Kapitel 4), Sucht (Kapitel 5), Stress (Kapitel 6) oder einer Kombination aus allen dreien. Für 50 bis 60 Prozent der fettleibigen Bevölkerung sollten die folgenden Aktivitäten ihren Zweck erfüllen. Bei den anderen werden diese Aktivitäten ebenfalls erforderlich sein, aber wahrscheinlich nicht ausreichen. Drastischere Maßnahmen sind nötig (siehe Kapitel 19). Wenn wir unsere Situation verbessern wollen, müssen wir die Hormone in den Griff bekommen, um unser Verhalten beeinflussen und schließlich unsere Gesundheit verbessern zu können. Und zu diesem Zweck müssen wir unser Umfeld verändern.

Lassen Sie die Hormone für sich arbeiten Die Rolle bestimmter Hormone bei der Gewichtszunahme und bei Stoffwechselstörungen wurde in den Kapiteln  4 bis  9 erläutert. Das Ziel des Adipositasmanagements besteht darin, die hormonelle Fehlfunktion umzukehren – und zwar folgendermaßen: ƒƒ Den Insulinspiegel senken – um Ihr Körperfett zu reduzieren und die Leptinresistenz zu verbessern. ƒƒ Den Ghrelinspiegel senken – um das Hungergefühl einzudämmen. ƒƒ Das PYY steigern – um die Sättigung zu beschleunigen. ƒƒ Den Cortisolspiegel senken – um die Stress- und Hungerwahrnehmung zu reduzieren und die Ablagerung von Energie als Bauchfett einzudämmen.

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1. Den Insulinspiegel senken: Ballaststoffe essen, Zucker reduzieren, bewegen

Für fast jeden ist eine Senkung des Insulinwerts der Schlüssel zum Erfolg. Weniger Insulin bedeutet weniger Speicherung von Energie in Fettzellen, eine verbesserte Leptinsensitivität und einen geringeren Appetit. Es heißt auch, dass mehr Energie für die Muskeln verfügbar ist, was die Stoffwechselgesundheit und die Lebensqualität verbessert. Wie kann man nun den Insulinspiegel senken? Dazu muss die Insulinausschüttung reduziert oder die Insulinsensitivität verbessert werden – oder beides. Der beste Weg, die Insulinausschüttung einzudämmen, besteht darin, die Bauchspeicheldrüse gar nicht erst so viel Insulin produzieren zu lassen – also weniger Glukose zu sich zu nehmen. Das bedeutet eine Einschränkung der raffinierten Kohlenhydrate. Eine Verbesserung der Insulinsensitivität kann in der Leber, in den Muskeln oder in beiden Bereichen stattfinden. Dazu gibt es jeweils unterschiedliche Wege. Eine Verbesserung der Insulinsensitivität der Leber bedeutet eine Beschränkung der Produktion von Leberfett; dazu ist es erforderlich, die Belastung der Leber durch den kombinierten Zustrom von Fett und Kohlenhydraten zu begrenzen (aus diesem Grund funktionieren die meisten bekannten Diäten, siehe Kapitel 17). Die beste Möglichkeit, das zu erreichen, besteht in einer Einschränkung des Zuckerkonsums, da dieser immer Fett und Kohlenhydrate miteinander kombiniert. Diese Herausforderung gelingt am leichtesten, wenn Sie zuckerhaltige Getränke aus Ihrem Haus verbannen: Soft Drinks, Saft, Wasser mit Vitaminzusätzen … einfach alles. Halten Sie sich an Wasser, ungesüßten schwarzen oder grünen Tee und Milch. Ein Elternteil, das zuckerabhängig ist (siehe Kapitel 5), wirkt auf seine Kinder als Impulsgeber, macht sie coabhängig oder ist zumindest ein schlechtes Vorbild – ähnlich wie ein Drogenabhängiger. Die Aufgabe der Eltern besteht darin, für das Kind die Wohnung von einem Minenfeld in ein sicheres Zuhause zu verwandeln. Ein anderer Weg zur Senkung des Insulinspiegels besteht darin, mehr Ballaststoffe zu essen und auf diese Weise den Glukosezustrom zur Leber und die Insulinausschüttung zu reduzieren (siehe Kapitel 12). Wählen Sie braune Lebensmittel: Vollkorngetreide, Nüsse, Bohnen, Linsen sowie andere Hülsenfrüchte. Und essen Sie echte Nahrung: die ganzen Früchte, keine

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verarbeiteten Versionen, keinen Saft. Weiße Nahrung – Brot, Reis, Nudeln, Kartoffeln – enthalten keine Ballaststoffe mehr (oder diese waren von vornherein kaum vorhanden, wie im Fall der Kartoffeln). Die Insulinsensitivität der Muskeln zu verbessern, ist ganz einfach: Es funktioniert ausschließlich durch Bewegung, denn wenn Muskelfett eingelagert wird, besteht die einzige Möglichkeit, es wieder loszuwerden, darin, es zu verbrennen. Außerdem wird durch Bewegung auch Leberfett verbrannt.

2. Den Ghrelinspiegel senken: Frühstück mit Eiweiß essen, keine nächtlichen Fressexzesse, mehr Schlaf

Eine Senkung des Ghrelinspiegels (das Hungerhormon, siehe die Kapitel 6 und 11) führt zu einer reduzierten Nahrungsaufnahme bei jeder Mahlzeit. Der beste Weg, das zu erreichen, besteht darin, das Frühstück nicht auszulassen. Wenn Sie nicht frühstücken, verpassen Sie die thermische Wirkung der Nahrung (siehe Kapitel  13), der Ghrelinspiegel steigt im Laufe des Vormittags weiter an, und Sie essen folglich mehr beim Mittag- und Abendessen sowie danach. Es ist also wichtig, dass Sie ein Frühstück zu sich nehmen. Auch was Sie essen, ist entscheidend. Ein eiweißreiches Frühstück senkt erwiesenermaßen den Ghrelinwert mehr als eine fett- oder kohlenhydratreiche Mahlzeit,3 sodass Sie einfach im Sitzen mehr verbrennen. Außerdem hat Eiweiß eine höhere thermische Wirkung – das heißt, die Verstoffwechselung von Eiweiß kostet im Vergleich zu Kohlenhydraten doppelt so viel Energie. Darüber hinaus lösen Eiweiße eine deutlich niedrigere Insulinausschüttung aus als Kohlenhydrate und lassen den Blutzuckerspiegel nicht so abstürzen, sodass Sie weniger schnell erneut Hunger bekommen. Her mit Eiern und Schinken also. Manche Menschen mit starker Insulinresistenz, die durch einen übermäßigen Zuckerkonsum ausgelöst worden ist, haben einen enormen Hunger, sodass normale Umstellungen bei den Mahlzeiten nicht ausreichen. Ein Kennzeichen dafür sind nächtliche Fressanfälle.4 Wenn diese Patienten morgens aufwachen, haben sie keinen Hunger und lassen in der Regel das Frühstück aus. (Das ist ein Warnsignal für große Ernährungsfeh-

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ler im Laufe des Tages.) Tatsächlich essen sie generell, bevor sie zu Bett gehen; manche von ihnen wachen sogar nachts auf und essen dann. Essen nach der Abendessenszeit ist generell für jeden problematisch, da es keine Möglichkeit gibt, Energie, die so spät aufgenommen wird, zu verbrennen. Sie findet folglich ihren Weg ins Fettgewebe oder in die Leber, sodass sich die Insulinresistenz immer weiter verschlechtert. Einige dieser Patienten haben auch eine obstruktive Schlafapnoe, und praktisch alle leiden unter dem metabolischen Syndrom. Sie sind extrem müde und können sich aufgrund des überschüssigen Insulins und des Schlafmangels nicht zur Bewegung aufraffen. Um ihre Leptinresistenz zu verbessern, die auch eine Verbesserung der Insulinresistenz bedeutet, müssen sie diesen Teufelskreis des nächtlichen Essens und der Energiespeicherung durchbrechen. Die einzige Hoffnung für diese Patienten besteht darin, ihre Mahlzeiten umzustellen. Das bedeutet ein vernünftiges Frühstück und Mittagessen ohne weitere Snacks; und das Abendessen muss generell gut vier Stunden vor dem Schlafengehen stattfinden. Jede spätere Nahrungszufuhr macht alles nur noch schlimmer. Außerdem müssen diese Patienten gut und durchgehend schlafen, was aufgrund der Atemwegsprobleme sehr schwierig sein kann (obstruktive Schlafapnoe genannt). Patienten, die schnarchen (und das tun alle in dieser Kategorie), sollten möglicherweise einen Arzt aufsuchen, um ein Heimbeatmungsgerät zu bekommen (BiPAP, Bilevel Positive Airway Pressure), welches die Atemwege während des Schlafs offen hält. Bei manchen Patienten ist eventuell eine Mandeloperation erforderlich, um die Atemwege für einen besseren Schlaf zu erweitern.

3. PYY steigern: angemessene Portionen essen, vor einer zweiten Portion 20 Minuten warten, Ballaststoffe essen

Ein Kind isst eine ganze Portion und sagt zu seiner Mutter: »Ich habe noch Hunger.« Da die Mutter nicht möchte, dass ihr Kind hungrig ist oder quengelt, gibt sie ihm eine weitere Portion. Liebe Eltern: Wie oft haben Sie das schon erlebt? Täglich? Bei jeder Mahlzeit? Und liebe Erwachsene: Warum essen Sie einen zweiten Hamburger, kaum dass Sie den ersten verspeist ha-

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ben? Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Phänomen »Sättigung« und den Phänomen »kein Hunger« (siehe Kapitel 12). Nahrung in Ihrem Magen senkt Ihren Ghrelinwert, doch das hält Sie nicht davon ab, weiter zu essen. Das Sättigungssignal – der Schalter, der die Mahlzeit beendet – ist das Peptid YY. Zwischen dem Magen und den PYY-Zellen befinden sich 6,70 Meter Darm. Es dauert, bis die Nahrung dort angekommen ist. Geben Sie ihr die Chance dazu. Die Japaner haben ein Sprichwort: »Iss, bis du zu 80 Prozent satt bist.« Das ist in den Vereinigten Staaten sehr schwierig. Der Trick besteht darin, 20 Minuten zu warten, bevor man eine zweite Portion isst. Achten Sie auch darauf, dass Ihre erste Portion eine angemessene Größe hat – auch wenn Sie sich keine zweite Portion holen, schaden Sie sich, wenn Ihre erste Portion riesig ist. Der beste Weg, das PYY zu steigern: Sorgen Sie dafür, dass sich die Nahrung schneller durch den Darm bewegt; das ist die Aufgabe der Ballaststoffe (siehe Kapitel 12). Und die beste Möglichkeit, Ballaststoffe zu sich zu nehmen, ist der Verzehr echter Nahrung.

4. Den Cortisolspiegel senken: Bewegung

Nun kommt das Schwierigste. Cortisol ist Ihr Kurzzeitfreund und Ihr Langzeitfeind. Den Cortisolspiegel niedrig zu halten, also den Stress zu reduzieren, ist praktisch unmöglich. Es gibt heute mehr Stressfaktoren als jemals zuvor und keinen natürlichen Weg, mit ihnen umzugehen. Unsere Vorfahren sind vor dem angreifenden Löwen davongelaufen, doch vor dem schreienden Chef Reißaus zu nehmen, ist keine gute Strategie. Es gehört möglicherweise zu den größten Herausforderungen, durch Stress verursachtes Essen einzudämmen. Das liegt zum einen daran, dass es nicht auf den Stress selbst, sondern auf die Reaktion auf den Stress ankommt (siehe Kapitel  6). Diese ist genetisch oder pränatal vorherbestimmt (siehe Kapitel  7), sodass es unwahrscheinlich ist, dass man sie durch einfache Willenskraft beeinflussen kann. Zum anderen führt der erhöhte Cortisolspiegel zu einer erhöhten Einlagerung von Bauchfett, zu Insulinresistenz und einer verstärkten Nahrungszufuhr, ist also für das metabolische Syndrom ein dreifacher Fluch. Und schließlich verändert

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Cortisol die Reaktion des Mandelkerns im Gehirn (Amygdala) im Sinne einer positiven Rückkopplung, sodass es zu einem Teufelskreis kommt: Mehr Cortisol führt zu einer stärkeren Aktivierung des Mandelkerns, was wiederum beim nächsten Mal mehr Cortisol freisetzt, und so weiter. Da bei niemandem der Stress einfach verschwindet, wird auch das damit verbundene Stressessen nicht aufhören. Wenn Sie schlechte Bewältigungsmechanismen haben und es in Ihrem Leben chaotisch zugeht, dürfte es Ihnen ziemlich schwerfallen, Ihre Probleme zu ignorieren, und so neigen diese dazu, sich zu vermehren. Es gibt nur einen einzigen preiswerten und effektiven Weg, um den Cortisolspiegel zu senken: Bewegung. Während der körperlichen Betätigung steigt der Cortisolwert zwar an (um Glukose und freie Fettsäuren als Energie zu mobilisieren), aber danach sinkt er für den Rest des Tages. Bewegung verbrennt Fett in Ihren Muskeln und in Ihrer Leber, um beider Insulinsensitivität zu verbessern. In unserer Klinik gibt es die Regel, dass man sich Zeit vor dem Bildschirm durch Aktivität erkaufen muss. Jede Stunde vor dem Fernseher oder Computer bedeutet eine Stunde Sport. Für Familien ist das besonders hart, denn Eltern neigen dazu, den Fernseher als Babysitter zu nutzen, und Kinder ziehen heutzutage den Joystick in der Regel dem Ball vor. Viele Eltern beginnen, über die Schulen nachzudenken, die ihr Kind einmal besuchen soll, bevor dieses auch nur geboren ist. Ihre Kinder spüren diesen Stress – und das wirkt sich auf ihre Stimmung, ihre Handlungen und ihre Schulleistungen aus. Der Druck, dem Kinder heutzutage ausgesetzt sind, ist enorm. Woher sollen sie die Zeit für alles nehmen? Das ist möglicherweise der wichtigste Gedanke für Eltern in diesem Buch: Wenn Ihr Kind die Finger von Soft Drinks lässt und sich bewegt, wird es Zeit sparen. Ist das Kind eine Stunde lang körperlich sehr aktiv, wird es für die fünf Stunden Hausaufgaben lediglich vier Stunden benötigen, weil es konzentrierter ist und effizienter arbeitet. Es wird Zeit gewinnen. Zahlreiche USamerikanische Studien belegen, dass eine verstärkte körperliche Betätigung die schulischen Leistungen des Kindes und sein Verhalten verbessert. Liebe Eltern: Im 21. Jahrhundert geht es immer ums Zeitsparen. Die Stundenzahl des Tages können Sie nicht steigern, aber die sportlichen Aktivitäten Ihres Kindes können Sie ausbauen.

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Leider haben die Schulen das noch nicht verstanden. Sie sind der Ansicht: »Unsere Aufgabe ist das Unterrichten, sonst wird uns aufgrund des Bildungsgesetzes die Finanzierung gekürzt.« Liebe Lehrer, Sie sollten ­Folgendes wissen: Dieses Gesetz bringt tatsächlich kein einziges Kind und keinen Lehrer voran. Bringen Sie die Kinder tagsüber in der Schule in Bewegung. Lassen Sie eine Schulstunde ausfallen und die Kinder stattdessen toben und Sport treiben. Die Kinder bringen dann bessere Leistungen in der Schule und werden sich besser benehmen.

Was wir tun müssen Industriell verarbeitete Nahrung hat unser heutiges Umfeld verändert. Doch wir haben alle Möglichkeiten, das zu beeinflussen. Wie wäre es zum Beispiel, wenn Sie heute Vormittag Ihren Schongarer für das Abendessen anwerfen würden? Oder Sie essen einen Salat, denn Salate müssen nicht gekocht werden – achten Sie lediglich auf die Zutaten im Dressing. Kinder sollten ihr Mittagessen von zu Hause mitbringen und nicht in der Schule kaufen, wo – von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen – nur stark verarbeitete Nahrung zu haben ist, mit viel Zucker, ohne Ballaststoffe, von weit her transportiert und einfach eklig. Verbannen Sie wie DeShawns Mutter die Soft Drinks aus dem Haus. Versuchen Sie sicherzustellen, dass Ihr Kind nicht das mitgebrachte und das Schulmittagessen verzehrt oder mit seinen Klassenkameraden tauscht. Sprechen Sie mit dem Schuldirektor über das Essen, das in der Schule erhältlich ist; die Schule kann etwas verbessern. Setzen Sie sich dafür ein, dass die Imbisswagen mit Fastfood nicht vor der Schule stehen und neben dem Ausgang auf die Kinder warten. Wenn Ihr Kind alt genug ist, könnte es auch einmal für die ganze Familie kochen. Irgendwann muss es das ohnehin lernen, wenn es auf der weiterführenden Schule nicht zwangsläufig eine Menge Kilos zulegen will. Natürlich sind diese Veränderungen nur für die Mittel- und Oberschicht der Gesellschaft möglich. Die meisten Armen haben noch immer einen erschwerten Zugang zu gesunder Nahrung oder zu Orten, an denen sie beitragsfrei Sport treiben können. Das ist einer der vielen Gründe dafür, dass auch Lösungen des öffentlichen Gesundheitswesens erforderlich sind (siehe die Kapitel 20 bis 22).

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Es sind die Hormone, Dummchen … Es gibt zwei Ansichten über die Zusammenhänge zwischen unserem Umfeld und Adipositas. Die erste besagt, dass Gene und das Verhalten sich gegenseitig beeinflussen und gemeinsam zu einer Gewichtszunahme führen. Doch sowohl die Gene als auch das Verhalten sind unveränderlich; diese Theorie lässt uns also keinerlei Hoffnung. Der zweiten Ansicht zufolge ist das Verhalten ein Ergebnis der Hormone (siehe Kapitel  4), und Hormone reagieren auf das Umfeld. Adipositas ist ein hormonelles Problem, und Hormone sind beeinflussbar – also steckt Hoffnung in diesem Ansatz. In diesem Kapitel  habe ich Grundprinzipien und Methoden dargelegt, wie man das Umfeld verändern kann, selbst bei den störrischsten Patienten. Doch das heißt noch nicht, dass es funktionieren wird. Diese Prinzipien funktionieren bei 60 bis 70 Prozent der adipösen Bevölkerung. Leider können Genetik, Epigenetik, fetale Programmierung und Umwelt-Obesogene eine Änderung des Umfelds immer noch überlagern. Manchmal sind Medikamente und Chirurgie erforderlich.

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Jared ist ein 15-jähriger Junge, der schon sein ganzes Leben lang fettleibig ist. Er ist sehr selbstkritisch und kennt die Folgen, sowohl die medizinischen als auch die gesellschaftlichen. Wir untersuchten ihn auf Genveränderungen, fanden aber keine. Sein oraler Glukosetoleranztest ergab eine massive Insulinausschüttung, aber keine Insulinresistenz. Wir gaben ihm Octreotid und konnten damit sein Gewicht für ganze zehn Monate stabilisieren. Doch dann begann er wieder zuzunehmen. Andere Medikamente brachten keinen Erfolg. In seinem letzten Jahr auf der höheren Schule ließ er sich ein Magenband einsetzen. Im Laufe des folgenden Jahres ließ sein Appetit nach und sein Gewicht sank von 166 Kilogramm auf 100 Kilogramm. Seine Mutter berichtete: »Wir waren kürzlich essen, und da hörte ich, wie am Nachbartisch jemand sagte: ›Was für eine gut aussehende Familie!‹, und ich dankte Gott und begann zu weinen.«

Adipositas ist kein Verhalten. Es ist noch nicht mal eine Krankheit (da das eine gemeinsame Pathophysiologie voraussetzen würde). Tatsächlich ist Adipositas ein Phänotyp (ein Erscheinungsbild) vieler unterschiedlicher Pathologien. Bedenken Sie, dass es drei verschiedene Organsysteme gibt,

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die Funktionsstörungen haben könnten: das Gehirn (siehe die Kapitel 4 bis 6), das Fett (siehe die Kapitel 7 bis 9) oder die Hormone, die sich auf das Gehirn oder das Fett auswirken (siehe Kapitel 18). Adipositas gibt es, gab es schon immer und wird es immer geben. Doch sie muss nicht in dieser Häufigkeit auftreten. Die Probleme in Bezug auf Hunger (Fehlfunktion des Hypothalamus), Sucht (Fehlfunktion des Nucleus accumbens) oder Stress (Fehlfunktion der Amygdala) können fast jeden treffen. Und wenn Sie dabei zusätzliche Fettzellen bilden (z. B. durch die Verwendung von Steroiden in der Krebstherapie oder eine zusätzliche Insulinbelastung vor der Geburt aufgrund der mütterlichen Ernährung während der Schwangerschaft bzw. infolge ihres Schwangerschaftsdiabetes), geben diese Zellen ihre Energie nicht kampflos auf. Veränderungen im Nahrungs- und Hormonumfeld funktionieren bei 50 bis 60 Prozent der Bevölkerung, aber es gibt dennoch Personen, welche die geschilderten biochemischen Kräfte nicht überwinden können. So gut wir können, müssen wir die individuelle Grundlage für die Adipositas ermitteln, um die zugrunde liegenden Ursachen bestmöglich behandeln zu können. Andernfalls bekämpfen wir das falsche Problem. Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Therapie ist bei diesen Patienten eine genaue Diagnose. Leider sind unsere diagnostischen Mittel noch nicht ganz ausgereift, sodass eine Restunsicherheit bleibt, wenn man die passende Behandlung wählen will. Es existiert kein Wundermittel gegen Adipositas oder das metabolische Syndrom, und es wird auch nie eins geben – insbesondere dann nicht, wenn Sie vier Soft Drinks pro Tag zu sich nehmen. Dieses Kapitel geht von der Arbeitshypothese aus, dass Sie ein halbes Jahr bis ein Jahr lang wirklich versucht haben, Ihr Nahrungs- und Hormonumfeld zu verändern – einschließlich einer psychodynamischen, kognitiven und/oder Familientherapie, sofern erforderlich –, und damit keinen Erfolg hatten. Was dann? Dann wird es Zeit für schwerere Geschütze.

Dem Fett auf den Grund gehen: Labortests und Ihre Gesundheit In Kapitel 8 wurden die Methoden vorgestellt, das Ausmaß Ihres Bauchfetts zu bestimmen. Jede andere Methode zur Ermittlung Ihres Stoffwech-

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selrisikos ist relativ teuer und erfordert eine Blutabnahme, besondere Ausrüstung und/oder eine professionelle Datenanalyse. Diese Tests und ihre Beurteilung sollten einem Arzt überlassen werden. Doch Sie sollten wissen, was sie bedeuten, da sie wichtig sind, um Ihren Gesundheitszustand einzuschätzen.

Das Lipidrätsel

Praktisch jeder US-Amerikaner bekommt heutzutage ein Nüchternlipidprofil (Blutfettmessung, Cholesterinbestimmung) erstellt, um sein Risiko für eine Herzerkrankung zu ermitteln. Doch ein Lipidprofil offenbart noch deutlich mehr (siehe Kapitel 10), und in diesem Bereich gibt es immer weitere Fortschritte. In den 1970er-Jahren legten Wissenschaftler fest, dass es sich bei LDL (Low Density Lipoprotein, Lipoprotein niederer Dichte) um die schlechte Form des Cholesterins handelt, während HDL (High D ­ ensity Lipoprotein, Lipoprotein hoher Dichte) die gute Form ist. Kurz nach der Jahrtausendwende erfuhren wir, dass das Triglyzeridniveau ebenfalls mit dem Risiko für Herzerkrankungen korreliert, insbesondere angesichts der Adipositaspandemie. Das Verhältnis von Triglyzeriden zu HDL ist ein Ersatzmarker für oxidiertes LDL (das sich in den Arterien absetzt), Insulinresistenz und das metabolische Syndrom. Wenn bei Ihnen eine Blutfettmessung durchgeführt wird, wird Ihr Arzt sich alle Werte ansehen, da sie nicht isoliert betrachtet werden können.

Alanin-Aminotransferase (ALAT, ALT)

Bei der Diagnose des metabolischen Syndroms geht es darum, das Fett in der Leber zu beurteilen.1 Das Leberenzym ALAT ist zwar nicht spezifisch für die Ansammlung von Leberfett, aber einfach zu bestimmen und ein guter Hinweis auf einen späteren Diabetes.2 Die meisten Ärzte werden nervös, wenn der ALAT-Wert über 40 liegt, doch neuere Daten zeigen, dass selbst ein ALAT-Wert von 25 schon auf Leberfett hindeutet.

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Nüchterninsulinspiegel, Glukose und HbA1c

Jeder Arzt ermittelt bei seinen erwachsenen Patienten den Nüchternglukosespiegel, wenn er nach einem Typ-2-Diabetes sucht. Dieser Wert ist der allerletzte, der sich verändert – wenn er abgeht, ist das metabolische Syndrom schon stark ausgeprägt und es gibt keine Präventionsmöglichkeiten mehr. Der Körper wird alles in seiner Macht Stehende tun, um den Blutzuckerwert in einem normalen Rahmen zu halten – auch eine Erhöhung des Insulinspiegels. (Das ist Insulinresistenz!) Um einen Nüchternglukosespiegel richtig zu interpretieren, sollte man gleichzeitig einen Nüchterninsulinspiegel ermitteln, sodass man eine Aussage darüber erhält, wie hart die Bauchspeicheldrüse arbeitet. Doch ein Nüchterninsulinspiegel sagt lediglich etwas über Insulinresistenz aus und gibt wiederum keinen Aufschluss über eine übermäßige Insulinausschüttung der Bauchspeicheldrüse. Wenn wir einen Patienten zum ersten Mal sehen, gehen wir in unserer Klinik grundsätzlich von einer Insulinresistenz aus, da diese so weit verbreitet ist. Wenn der Patient auf eine Veränderung seines Umfelds anspricht (siehe Kapitel 18), besteht keine Notwendigkeit für Tests. Andernfalls nehmen wir einen oralen Glukosetoleranztest vor, sofern der Patient zu viel Insulin ausschüttet3 (siehe Kapitel 4), und legen danach fest, welche Therapie wir durchführen wollen, um die Insulinausschüttung zu reduzieren. Ärzte haben begonnen, den Hämoglobinwert A1c (HbA1c) zu bestimmen. Bei einem Bluttest wird anhand dieses Wertes bei Diabetikern ein Langzeit-Blutzuckerwert für die vorangegangenen drei Monate ermittelt. Man geht davon aus, dass ein Wert unter 5,5 Prozent normal ist, während Werte über 6,5 Prozent Diabetes bedeuten. Ein Ergebnis zwischen 6,0 und 6,5 Prozent macht einen Glukosetoleranztest erforderlich, um festzustellen, ob ein Diabetes vorliegt.4

Entzündungsmarker

Beim metabolischen Syndrom geht es vorrangig um Entzündung und Zellschädigung. All diese Tests (wie das hochsensitive C-reaktive Protein) sind sehr teuer und werden von den Krankenkassen nur bezahlt, wenn ein konkreter Krankheitsverdacht vorliegt; und bei keinem kann mit Sicherheit der

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Zeitpunkt eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls vorhergesagt werden. Diese Tests sind zwar vielversprechend, müssen aber noch weiter erforscht und an die klinischen Bedürfnisse angepasst werden.

Sehen heißt glauben: bildgebende Verfahren

Wenn es um Adipositas geht, sagt ein Bild wahrhaftig mehr als tausend Worte. Gibt es irgendeine Möglichkeit zu sagen, wie es Ihrem Bauch und Ihrer Leber wirklich geht? Ja, doch sie sind alle teuer, werden noch erforscht, und es ist nicht wahrscheinlich, dass sie bald problemlos verfügbar sein werden. Bei einem Ultraschall der Leber kann mit großer Genauigkeit Leberfett erkannt werden (das heißt: wenn es vorhanden ist, kann man es sehen), doch die Sensitivität ist relativ niedrig (das heißt: Sie denken möglicherweise, es sei da, aber es ist nicht da). Ein weiteres Verfahren wird Dual-Röntgen-Absorptiometrie (Dual Energy X-Ray Absorptiometry«, DEXA, Doppelröntgenabsorptiometrie) genannt. Während Fettgewebe damit sehr leicht und gut gemessen werden kann, ist es unmöglich, zu sagen, um welche Fettart es sich handelt (Unterhautfettgewebe, Bauchfett oder Leberfett); deshalb ist eine solche Messung nur in Maßen sinnvoll. Zwei weitere Methoden sind Computertomografie (CT) und Magnetresonanztomografie (MRT) des Bauches; beide Methoden können zwischen den Fettspeichern unterscheiden. Beide Verfahren sind äußerst teuer und gehören nicht zu den Standarduntersuchungen bei Adipositas, sodass sie für die meisten Patienten unerreichbar sind. Sobald Sie wissen, ob Sie fett oder krank oder beides sind, und bestimmte genetische und biochemische Veränderungen ausgeschlossen wurden, können Sie mit Ihrem Arzt zusammen eine bewusste Entscheidung für die passendste Therapie treffen und überlegen, wie Ihre Fortschritte am besten überwacht werden sollen.

Die Adipositasmedikament-Pipeline – Rinnsal statt Goldmine Leider ist die medikamentöse Therapie für Adipositas auf dem absteigenden Ast. Dabei ist es kaum vorstellbar, dass angesichts des recht eingeschränkten

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Nutzens von Lebensstilveränderungen, des immer größer werdenden Wissens über die Physiologie des Energiegleichgewichts und der im Erfolgsfall zu erwartenden Goldmine die meisten Pharmakonzerne ihre Forschungsaktivitäten im Bereich Adipositas eingestellt haben. Eine neue Krebstherapie, welche die Überlebenschance um vier zusätzliche Monate erweitert, kann eine Zulassung der US-amerikanischen Behörde für Lebens- und Arzneimittelüberwachung (FDA) bekommen, auch wenn sie schwere Nebenwirkungen hat; doch bei Adipositasmedikamenten liegt die Messlatte so hoch, dass jedes Mittel, das auch nur die geringste Toxizität aufweist, zum Scheitern verurteilt ist. Die FDA hat die Aufgabe, von jedem neuen Medikament eine Kosten-Nutzen-Analyse anzufertigen: Sind die möglichen Nebenwirkungen das Risiko wert? Die FDA-Kommissarin Margaret Hamburg glaubt, dass es bei Fettleibigkeit um »gesunde Entscheidungen« geht – wozu sollte man also eine Arznei benötigen? Es gibt zahlreiche Medikamente zur Behandlung der Erkrankungen des metabolischen Syndroms, aber praktisch keine für die Phase, bevor diese Krankheiten manifest werden. Die FDA hat kürzlich drei Medikamente zurückgezogen (Ephedrin, Sibutramin und Norephedrin bzw. Phenylpropanolamin), da es Unsicherheiten über eine mögliche Toxizität gab. Lediglich Orlistat (Xenical oder die rezeptfreie Version Alli) ist noch erhältlich. Es wirkt kaum, hat eine Menge Nebenwirkungen und kämpft wegen möglicher Leberschädigungen um sein Dasein. Die FDA lehnte vor Kurzem drei Kombipräparate ab (obwohl eines davon – Phentermin-Topiramat, Qsymia – es beim zweiten Versuch 2012 dann doch noch schaffte). Und im Juli 2012 erteilte die Behörde Lorcaserin die Zulassung.

Was ist von der Arzneimitteltherapie übrig? Es gibt also nur sehr wenige Medikamente, über die man sprechen könnte. Außerdem haben Adipositasmedikamente keine große Erfolgsgeschichte. Das Energiegleichgewicht ist für das Überleben so entscheidend, dass wir unser Fett um jeden Preis behalten wollen. Jedes Adipositasmedikament wirkt ungefähr vier Monate, dann kommt die Gewichtsabnahme zum Stillstand (siehe Kapitel 4). Jede Arznei hat Nebenwirkungen, die teilweise ernst

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sind. Alle Medikamente wurden in Kombination mit einer kalorienarmen Ernährung getestet, sodass sie als Zusatzmaßnahme zu einer Veränderung des Umfelds betrachtet werden sollten – doch so werden sie in der Regel nicht verwendet. Sie müssen sie also richtig anwenden. Adipositasmedikamente wirken sich auf verschiedene Aspekte des Energiegleichgewichts aus. Aktuell gibt es folgende Ansätze: die aufgenommenen Kalorien reduzieren (Phentermin, in Deutschland seit Anfang der 1970er-Jahre nicht mehr zugelassen), die aufgenommene Energie reduzieren (Orlistat), die verbrauchten Kalorien steigern (aktuell kein Medikament mehr verfügbar), die Insulinresistenz verbessern (Metformin) oder die Insulinausschüttung unterdrücken (eine kohlenhydratarme Ernährung). Momentan werden viele neue Medikamente untersucht, von denen zahlreiche einer zielgerichteten Therapie dienen sollen; doch Sicherheit und Wirksamkeit sind nicht leicht festzustellen bzw. nachzuweisen. Ein Grund dafür ist, dass Adipositas nicht eine einzige Krankheit ist, sondern viele, sodass jedes Medikament nur bei einem bestimmten Prozentsatz der adipösen Menschen wirken kann. Ein weiterer Grund: Die Mechanismen, die Ihr Körper einsetzt, um das Gewicht zu halten, sind zahlreich und wirkungsvoll, sodass es häufig nicht ausreicht, nur auf einen davon einzuwirken. Viele Experten haben die Hoffnung auf ein Wundermittel aufgegeben, das Adipositas »heilen« könnte.5 Sie haben stattdessen begonnen, sich für Kombipräparate einzusetzen, die auf verschiedene Bereiche des Energiegleichgewichts einwirken. Doch das bedeutet, dass Pharmakonzerne zusammenarbeiten müssten – und das ist in etwa so aussichtsreich, als würde man erwarten, dass Apple Microsoft liebt. Also sind keine großen Erfolge zu erwarten. Und in kleine Erfolgsmöglichkeiten werden die Pharmakonzerne nicht viel investieren.

Adipositaschirurgie – kein »magisches Skalpell« Bei Erwachsenen mit Begleiterkrankungen und Heranwachsenden mit einer extremen und lebensbedrohlichen Adipositas kann ein chirurgischer Eingriff erforderlich sein. Die Adipositaschirurgie kann nicht nur das Abnehmen fördern, sondern verzögert auch bei bis zu 50 Prozent der Patienten das

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Fortschreiten eines bestehenden Typ-2-Diabetes und trägt möglicherweise zu einer höheren Lebenserwartung bei.6 Doch aufgrund ethischer Bedenken ist es praktisch unmöglich, randomisierte kontrollierte Studien der Adipositaschirurgie durchzuführen, denn man kann Menschen keine Operation vortäuschen. Und es gibt keine Studien, welche die Ursachen oder Mechanismen der Fettleibigkeit berücksichtigen. Es wird also weiterhin schwierig bleiben, im Vorfeld zu beurteilen, ob ein solcher Eingriff bei einem bestimmten Patienten ratsam ist oder nicht. Die Adipositaschirurgie kann äußerst effektiv vermeiden, dass sich verschiedene Begleiterkrankungen der Fettleibigkeit einstellen, wie zum Beispiel Diabetes oder eine obstruktive Schlafapnoe. Falls Sie solche Erkrankungen bereits entwickelt haben, kann der chirurgische Eingriff sie möglicherweise bessern, wird sie aber wahrscheinlich nicht komplett heilen können. Doch die Eingriffe gehören nicht zum Regelleistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen – sie finanzieren Adipositaschirurgie nur im Einzelfall und auf Antrag. Und wenn Sie warten, bis Sie ernsthaft fettleibig sind (über etwa 200 Kilo), kann dieser Eingriff nicht mehr vorgenommen werden, da Sie nicht in ein MRT-Gerät passen … was aber erforderlich ist, um Ihre Fortschritte nach der Operation zu überwachen. Ein Teufelskreis. Bei Heranwachsenden erhöht ein früher Eingriff (nur bei den ernsthaft fettleibigen) wahrscheinlich die Lebenserwartung deutlich. Möglicherweise bleiben ihnen dann sogar die Schäden des metabolischen Syndroms erspart. Doch die Krankenversicherung plädiert dafür, zunächst über mindestens sechs bis zwölf Monate an einem sogenannten multimodalen Konzept teilzunehmen, bei dem Elemente aus Psychologie, innerer Medizin, Bewegungstherapie und Ernährungsmedizin individuell zusammengestellt werden. Deshalb ist eine Beratung erforderlich, um die idealen Umstände zu ermitteln und alle damit verbundenen Risiken gegen die gesundheitlichen Vorteile und die Remission von Komplikationen abzuwägen. Die Ergebnisse des chirurgischen Eingriffs hängen von den jeweiligen Chirurgen und Krankenhäusern ab. Die einzige Methode, die Anwendung solcher Operationen zu bewerten und weiterzuentwickeln, besteht darin, die Patienten sorgsam und langfristig zu begleiten,7 doch das hilft den Patienten nicht, die heute operiert werden. Es ist absolut entscheidend, dass die Adipositaschirurgie in regionalen Universitätskliniken durchgeführt wird, die in

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der Lage sind, die Erfassung der Daten, die Nachbeobachtung und die disziplinübergreifende Betreuung dieser schwierigen Patienten zu übernehmen.8 Doch wenn die Anzahl der Kliniken eingeschränkt wird, reduziert man damit die Anzahl der Eingriffe, die durchgeführt werden können, und infolgedessen auch den Zugang dazu. Eines der größten und am weitesten verbreiteten Missverständnisse besteht darin, dass die Adipositaschirurgie durchgängig langfristig wirkt. Das vermitteln die Medien, die Operationszentren, Prominente wie Al Roker, Sharon Osbourne und Star Jones sowie die »Fließband«-Chirurgen. Doch wie lange hält die Wirkung tatsächlich an? Praktisch jeder verliert in den ersten zwölf Monaten Gewicht.9 Doch tatsächlich entscheidend ist, was nach Ablauf eines Jahres geschieht. Bis zu 33 Prozent der Patienten nehmen einen großen Teil des verlorenen Gewichts wieder zu, wenn nicht alles.10 Der Magen kann sich leicht weiter dehnen, um sich an eine große Nahrungszufuhr anzupassen. Bei vielen Eingriffen wird der Magen von der Größe eines Baseballhandschuhs auf die Größe eines Golfballs verkleinert. Das Hungergefühl ist herabgesetzt, und das Gefühl der Sättigung wird schon durch den Verzehr kleinerer Portionen erreicht. Großartig. Doch wie bereits erwähnt, essen viele Adipöse nicht nur, wenn sie Hunger haben. Die tieferliegenden Ursachen der Fettleibigkeit – die mit Belohnung und Stress zusammenhängenden »Verhaltensweisen« (siehe die Kapitel 5 und 6) werden durch eine solche Operation nicht im Entferntesten gelindert und von den meisten Patienten oder Ärzten nicht in Angriff genommen. Außerdem hält die Adipositaschirurgie Sie nicht davon ab, Kalorien in Form von Getränken zu sich zu nehmen, was sie ihr Ausgangsgewicht umso schneller wieder erreichen lässt. Diese Patienten brauchen zusätzlich zur Operation eine langfristige Psychotherapie. Es ist wichtig zu wissen, dass die Adipositaschirurgie zusätzlich zu einer Nahrungs- und Umfeldveränderung durchgeführt und nicht als »magisches Skalpell« betrachtet werden sollte.

Sie können jetzt für mich zahlen oder später Nur sehr wenige Menschen können sich eine solche Operation als Selbstzahler leisten, da die Kosten schon für ein Magenband oder einen Ma-

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genbypass bei rund 6.000 bis 8.000 Euro liegen; hinzu kommen die Krankenhauskosten, die Untersuchungen vor der Operation, etwaige Komplikationen und die langfristige Nachbeobachtung. Sie meinen: Wenn Al Roker und Sharon Osbourne einen Adipositaseingriff bekommen können, warum nicht auch Sie? Weil Ihre Krankenversicherung dafür in der Regel nicht zahlt. Und das, obwohl mehrere Kosten-Nutzen-Analysen durchgeführt worden sind, denen zufolge Adipositaschirurgie die Lebenserwartung und die Lebensqualität verbessert.11 Tatsächlich reduziert sie die Gesundheitskosten – insbesondere jene, die mit der Behandlung von Typ-2-Diabetes zusammenhängen. Und das Gesundheitswesen könnte damit langfristig etwas entlastet werden, denn bis 2030 wird es weltweit um die 522 Millionen Diabetiker geben – allein in Deutschland acht Millionen.

Bariatrische Operationen Bariatrische Operationen, auch als Adipositaschirurgie bezeichnet, können in verschiedene Methoden unterteilt werden. Es gibt malabsorptive Verfahren (die Resorption der Nahrung wird verringert), restriktive Verfahren (die Menge der aufgenommenen Nahrung wird vermindert) und eine Kombination aus beidem. Reine malabsorptive Verfahren (wie der duodenale Switch und der jejunoileale Bypass) sind mit einer extrem hohen Erkrankungsrate und Sterblichkeit verbunden und können nicht empfohlen werden. Der Magenbypass (Roux-en-Y-Magenbypass) ist ein Kombinationsverfahren, das nicht nur zu einem außergewöhnlichen Gewichtsverlust führt, sondern eine Remission von Typ-2-Diabetes bewirken kann.12 Die restriktiven Methoden reduzieren das Magenvolumen, um die Nahrungsmenge zu beschränken. Dazu zählen der Magenballon13, das laparoskopisch verstellbare Magenband14 sowie die Bildung eines Schlauchmagens (Sleeve-Gastrektomie)15. Leider gibt es eine umgekehrte Korrelation zwischen der allgemeinen Sicherheit dieser Verfahren und dem Gewichtsverlust: Je sicherer die Methode, desto geringer die Gewichtsabnahme. Deshalb gibt es kein »bevorzugtes« Verfahren.

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Adipositaschirurgie bei Kindern Im Gegensatz zu Erwachsenen müssen bei Jugendlichen strengere und konservativere Kriterien angewendet werden, da lediglich aus 85  Prozent der adipösen Heranwachsenden adipöse Erwachsene werden. Hinzu kommen die leicht verbesserte Wirksamkeit von Lebensstilveränderungen und medikamentöser Therapie gegenüber Erwachsenen, eine längere Zeitspanne, bevor Begleiterkrankungen lebensbedrohlich werden, sowie die Unfähigkeit von Kindern, rechtsgültig ihr Einverständnis zu geben. Aus all diesen Gründen hat eine Expertenkommission mit Vertretern der American Pediatric Surgical Association (US-amerikanischer Verband der Kinderchirurgen) und der American Academy of Pediatrics (US-amerikanische Kinderarzt-Vereinigung) vorgeschlagen, dass Adipositaschirurgie bei Heranwachsenden nur in Krankenhäusern vorgenommen werden sollte, die eine Langzeitbetreuung dieser Patienten gewährleisten können,16 und in Situationen gerechtfertigt ist, in denen die mit Adipositas einhergehenden Begleiterkrankungen (wie eine obstruktive Schlafapnoe) die Gesundheit des Kindes gefährden. In Deutschland fordert die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) in ihrer »Stellungnahme zu bariatrisch-chirurgischen Maßnahmen bei Jugendlichen mit extremer Adipositas« ebenfalls unter anderem eine besonders sorgfältige Indikationsstellung durch ein interdisziplinäres Team von Fachleuten, die Durchführung der Eingriffe nur an spezialisierten Zentren sowie die Einbindung der Patienten in langfristige klinische Follow-up-Studien. Insgesamt bezeichnet die Leitlinie Adipositaschirurgie als Ultima-Ratio-Maßnahme. Dieser Ansicht muss ich mich zwar anschließen, aber meine persönliche Einschätzung ist, dass der Zug dann normalerweise schon abgefahren ist. Wenn man wartet, bis ein Kind ganz ausgewachsen ist, kann dies deutlich mehr Pfunde und viele weitere Begleiterkrankungen bedeuten, die vermieden werden könnten, wenn man das Problem früher in Angriff nähme. Es ist einfacher, ein Gewicht zu stabilisieren, als eine Gewichtsabnahme zu erreichen. Doch eine Entscheidung, in welchem Ausmaß Adipositas­ chirurgie als Lösung eingesetzt werden sollte, muss warten, bis uns mehr Daten vorliegen.

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Letzter Ausweg versus erster Schritt Die Tatsache, dass die in diesem Kapitel vorgestellten Medikamente und Verfahren heute existieren – ja sogar verbreitet sind –, belegt den Zusammenbruch unseres Energiegleichgewichts und die Tatsache, dass Veränderungen unseres Umfelds zu diesem Zusammenbruch geführt haben. Diese Maßnahmen sind ein letzter Ausweg für jene 5 Prozent der Bevölkerung, die unter einem biochemischen Defekt leiden; sie wären auch schon vor 10, 100 oder sogar vor 1.000 Jahren adipös gewesen. Aber müssen wir für die anderen 95  Prozent der Menschen, von denen 60  Prozent übergewichtig oder fettleibig sind, sowie für die 40 Prozent normalgewichtiger Personen mit einem metabolischen Syndrom diese letzten Auswege wirklich als ersten Schritt in Betracht ziehen? Haben wir das Geld für den letzten Ausweg bei jedem adipösen Patienten? Es ist eindeutig: Der erste Schritt muss anders aussehen. Und da kommt das Gesundheitswesen ins Spiel. In Teil  6 dieses Buches wird dargelegt, dass das Gesundheitswesen unsere beste und einzige Chance ist, diese verheerende Welle weltweit aufzuhalten.

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»Das Sprichwort sagt, man soll die Hand nicht beißen, die einen füttert. Doch vielleicht sollten Sie das tun – wenn es Sie vom Essen abhält.« Thomas Szasz, Psychiater, Gesellschaftskritiker und Autor von Geisteskrankheit – ein moderner Mythos? Grundzüge einer Theorie des persönlichen Verhaltens (1960) und Die Fabrikation des Wahnsinns (1970)

Wir leben in einer Kultur der Drückeberger. Wir setzen uns für persönliche Freiheit und Verantwortung ein. Der amerikanische Traum besagt, dass jeder Bürger eines Tages Präsident werden kann. Unsere Freiheitsliebe verlangt, dass wir uns und unser Leben selbst unter Kontrolle haben. Jede Einschränkung unserer persönlichen Befugnisse ist unerwünscht und gilt als unamerikanisch. Bis etwas schiefgeht – dann suchen wir jemanden, dem wir die Schuld geben können, und fordern eine verstärkte Regulierung. Die Protestbewegung »Occupy Wall Street« ist ein perfektes Beispiel dafür.

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Persönliche Verantwortung versus Gesundheitswesen Unsere freiheitsliebende Philosophie besagt: »Du, und nur du allein bist für deine Gesundheit verantwortlich. Das Gesundheitswesen ist die medizinische Manifestation des ›Bevormundungsstaates‹.« Das Gesundheitswesen kümmert sich um die Gesundheit der gesamten Gemeinschaft, nicht bloß des Einzelnen. Man sagt, dass medizinische Versorgung manchmal für uns alle wichtig ist, doch das Gesundheitswesen ist immer für uns alle wichtig. Wie kann das Schulamt fordern, dass meine Kinder geimpft werden? Wie kann der Sicherheitsbeamte am Flughafen Honolulu es wagen, meine Ananas zu beschlagnahmen? Wie kann der Staat sich erdreisten, mich vor meiner Hochzeit auf Syphilis zu untersuchen? Ernste Probleme der öffentlichen Gesundheit betreffen immer jemand anderen: Jemand anderes bekommt Tuberkulose aufgrund schlechter hygienischer Verhältnisse. Jemand anderes erleidet einen Wundstarrkrampf, weil er in einen rostigen Nagel getreten ist. So wollen Sie es doch, nicht wahr? Doch Ihre Meinung ändert sich in der Regel, wenn Sie es sind, der krank wird, oder wenn Ihr Kind an Röteln stirbt, weil es selbst oder sein Klassenkamerad nicht geimpft war. Und das ist das Paradox des öffentlichen Gesundheitswesens: Es ist immer das Problem eines anderen … bis es Ihr Problem ist. Dasselbe gilt für Adipositas.

Wenn wir alle mitmachen, wer bevormundet uns dann? Wie gut es unserer Gesellschaft gelingt, die Adipositaspandemie in den Griff zu bekommen, hängt letztlich davon ab, welche Antworten wir auf die folgenden Fragen finden. Welcher der folgenden Punkte ist der Fehler Einzelner: Wenn das Gehirn eines Kindes davon ausgeht, dass es Hunger hat? Dass die American Academy of Pediatrics (US-amerikanische Kinderarzt-Vereinigung) noch immer Saft für Kleinkinder empfiehlt? Und dass das American College of Obstetrics and Gynecology (US-amerikanische Hochschule für Geburtshilfe und Gynäkologie) schwangeren Frauen nach wie vor Saft empfiehlt? Wenn die erste Zutat der Grillsoße Glukosesirup ist, und wenn Soft Drinks weniger kosten als Milch oder Wasser? Wenn ballast-

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stoffreiche, frische Nahrung für die Armen nicht erschwinglich ist? Wenn das örtliche Fastfoodrestaurant das einzige saubere und klimatisierte Lokal in der Umgebung ist? Wenn die Schule dem Bildungsgesetz »No Child Left Behind« entsprechen will und angesichts von finanziellen Kürzungen den Sportunterricht streicht? Wenn Kinder aus Angst vor Verbrechen oder Verkehrsunfällen nicht im Freien spielen dürfen? – All dies findet sich so oder ähnlich in den meisten Ländern der Welt. Alle Gesundheitsdebakel wurden ursprünglich als persönliche Angelegenheiten eingestuft, bevor sie zu Problemen des allgemeinen Gesundheitswesens erklärt wurden. Cholera, Tuberkulose, Bleivergiftung, Vitaminmangel, Luftverschmutzung/Asthma – bei all diesen Themen sprach man zunächst von »persönlicher Verantwortung«, bevor die Größenordnung der Probleme ein Eingreifen der Regierung erforderlich machte. In jedem Fall musste zunächst die Wissenschaft tätig werden, bevor eine sinnvolle Regierungspolitik entwickelt und umgesetzt werden konnte. Und in jedem Fall stand die Politik den Verbesserungen anfangs im Weg, entweder aus wirtschaftlichen oder aus anderen Gründen. Impfungen sind nicht nur für den Einzelnen wichtig, sondern auch für die Gemeinschaft insgesamt. Diese Tatsache wird als »Herdenimmunität« bezeichnet. Aufgrund von Regulierungen und manchmal auch von erzwungenen Impfungen haben wir Polio und andere äußerst ansteckende Krankheiten nahezu ausrotten können. Die Zahl der Teenagerschwangerschaften stieg von den 1960erbis zu den 1980er-Jahren in den USA alarmierend an. Dasselbe galt in den 1980ern für HIV/Aids. In beiden Fällen ging man zunächst von einer persönlichen Verantwortung aus. Erst als der Direktor des öffentlichen Gesundheitsdienstes der USA, C.  Everett Koop, aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Verbreitung von HIV die Nation überzeugte, dass Aids eine Krise des öffentlichen Gesundheitswesens ist und deshalb eine entsprechende Reaktion erfordert, war ein Rückgang von beidem zu verzeichnen. Und dann sind da die chronischen Gesundheitsprobleme inmitten der ahnungslosen Bevölkerung. Zum Beispiel die erhöhte Krebsrate bei den Einwohnern von Love Canal. Oder die Spina-bifida-Epidemie bei Neugeborenen infolge eines Folsäuremangels der Mütter. Oder die hohe Asthmarate unter den Überlebenden der Angriffe vom 11. September auf das

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World Trade Center. Manchmal ist ein öffentlicher Aufschrei erforderlich, um die Regierung zum Handeln zu zwingen – wie beispielsweise bei den Vorschriften zu bleihaltiger Farbe und der Entfernung von Asbest. Zu guter Letzt gibt es noch die beiden heutzutage größten Dämonen der öffentlichen Gesundheitssysteme weltweit: Tabak und Alkohol. Der Konsum von Tabak und Alkohol ist eindeutig ein persönliches Problem – und auch wieder nicht. Der Missbrauch von Tabak und Alkohol ist aus zwei Gründen zu einem Thema des öffentlichen Gesundheitswesens geworden: Dass Sie rauchen und trinken, betrifft mich (externe Auswirkungen, siehe Kapitel 22); und Tabak und Alkohol sind beides Suchtmittel. Suchtmittel vereiteln alle Versuche, ausschließlich an die persönliche Verantwortung zu appellieren. Praktisch jede Substanz, die den Nucleus accumbens aktiviert (z. B. Kokain, Amphetamin, Morphin, Heroin, Nikotin, Alkohol), erfordert sowohl persönliches Handeln (Entziehungskur) als auch das Eingreifen des Gesundheitswesens, um das Umfeld zu kontrollieren – also Gesetze. So gibt es beispielsweise in jedem Land der Erde Gesetze zur Steuerung des Alkoholkonsums sowie umfangreiche Wirksamkeitsnachweise dazu (siehe Kapitel  22). Politische Maßnahmen zur Kontrolle des Tabakkonsums hinken hinterher, sind aber ebenfalls weltweit im Kommen. Selbst in Italien hat man eingesehen, dass die Kosten, die das Gesundheitswesen durch die Nichtraucherschutzgesetze spart, die »Bevormundung« durch den Staat mehr als rechtfertigen.

Weiß der Staat es am besten? Seit 20 Jahren versucht die US-amerikanische Regierung, Tabakwerbung, die sich an Jugendliche richtet, einzudämmen. Camel hat schon lange zugegeben, dass seine Ikone »Joe Camel« entwickelt wurde, um insbesondere Kinder und Jugendliche anzusprechen. Als man erkannte, dass es sich hierbei um ein allgemeingesellschaftliches Gesundheitsproblem handelte, wurde Tabakwerbung aus dem Fernsehen und von den Plakatwänden in der Nähe von Schulen verbannt. Das bringt uns zu unserer Nahrungsmittelversorgung. Ich denke, wir stimmen alle darin überein, dass die globale Adipositaspandemie ein rie-

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siges Desaster für unser Gesundheitswesen ist. Obwohl die meisten Menschen es völlig in Ordnung finden, dass die Politik sich um die Lebensmittelsicherheit kümmert, warnen viele Kritiker davor, dass die Regulierung der Nahrungsqualität eine besonders schreckliche Einflussnahme und Bevormundung durch den Staat sei. Doch tatsächlich wurde die US-amerikanische Behörde für Lebens- und Arzneimittelüberwachung (FDA) seinerzeit gegründet, um uns eine sichere Nahrungsversorgung zu garantieren. Ich bin der Ansicht, dass die Lebensmittelqualität gleichbedeutend ist mit der langfristigen Lebensmittelsicherheit. Aufgrund eines nicht richtig gegarten Hamburgers bei einem Pfadfinderpicknick hat meine Tochter 2008 eine Escherichia-coli-Infektion bekommen. Diese Bakterien machen zwar sehr krank, sind aber mit großer Wahrscheinlichkeit nicht tödlich. Und sie würden nicht den Tod von Millionen Menschen verursachen, da die FDA einschreiten und das verunreinigte Produkt zurückrufen würde, wie sie es 2010 mit verdorbenem Spinat tat. Leider sieht die FDA untätig zu, wie unsere aktuelle Lebensmittelversorgung langsam den Großteil der US-amerikanischen Bevölkerung vergiftet.

Ist unser Nahrungsangebot schlecht? Was wäre, wenn unser Frühstücksmüsli von einem skrupellosen Lebensmittelkonzern mit Heroin gestreckt worden wäre? Ist es nicht die Aufgabe der Regierung, uns zu schützen? Wenn Coca-Cola das Kokain nicht 1903 aus der Cola entfernt hätte, hätte es sicher die Regierung getan. Und aus Dokumenten der Tabakindustrie haben wir erfahren, wie die Konzerne den Nikotingehalt manipuliert haben, um das süchtig machende Potenzial der Zigaretten zu steigern. Eine Ähnlichkeit zwischen der Suchtmittel- und der Fastfoodindustrialisierung besteht darin, dass Zusatzstoffe verwendet werden, um den Reiz zu steigern. So wird Zigaretten häufig Menthol hinzugefügt. Im Jahr 2011 hat das Tobacco Products Scientific Advisory Committee (wissenschaftliches Beratungsgremium zu Tabakprodukten) der FDA gezeigt, dass Menthol eine kühlende und betäubende Wirkung hat, die den strengen Geschmack des Zigarettenrauchs reduziert,

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und dass dieser Effekt Jugendlichen den Einstieg oder das Weiterrauchen vereinfachen könnte.1 In ähnlicher Weise nutzen Lebensmittelkonzerne Zusatzstoffe, um Geschmack, Farbe, Konsistenz, Haltbarkeit und andere Aspekte der Genussqualität zu verbessern. So verstärkt Glukosesirup in Hamburger-Brötchen beispielsweise den süßen Geschmack und verlängert die Haltbarkeit. Transfette sind beim Frittieren (beispielsweise von Donuts und Pommes frites) anderen Fetten überlegen, da sie weniger schnell oxidieren als Pflanzenöle. In einer Studie zur Menüplanung in Fastfoodrestaurants nannten leitende Angestellte die kürzere Lagerfähigkeit und den Verderb als Haupthindernisse dafür, gesündere Speisen anzubieten.2 Letztendlich bedeutet die industrielle Verarbeitung von Lebensmitteln eine Kombination und Konzentration von Nährstoffen, wie sie natürlicherweise nicht vorkommt – und das birgt die Gefahr von Missbrauch. Zucker wirkt auf dieselben Signalwege des Gehirns ein wie Suchtmittel (siehe Kapitel 5) und ruft dieselben Gesundheitsschädigungen hervor. Daher müssen wir uns fragen, ob nicht auch er unter die öffentliche Gesundheitskontrolle gestellt werden sollte. Doch im Gegensatz zu Alkohol und Tabak sind behördliche Kontrollen von Zucker und industriell verarbeiteter Nahrung, die Zucker enthält, praktisch nonexistent (siehe Kapitel 21).

Wirtschaftsfreiheit funktioniert nicht bei süchtig machenden Substanzen Wirtschaftswissenschaftler (und Nahrungsmittelkonzerne) berufen sich regelmäßig auf den freien Markt, der den Lebensmittelabsatz rund um die Welt lenkt. Das ist natürlich sinnvoll – aber nicht immer und überall. Süchtig machende Substanzen folgen nicht der freien Marktwirtschaft. Ein Beispiel: Inmitten der wirtschaftlichen Rezession und trotz eines starken Wettbewerbs hat Starbucks seine Kaffeepreise erhöht, obwohl die Kerosinpreise einbrachen. Offensichtlich ist es heute gängige Praxis, sechs Dollar täglich für Kaffee auszugeben, so wie der Sozialkritiker und Schauspieler George Carlin vorhersagte.3 Bei Zucker ist es nicht anders: Sein Preis folgt nicht dem freien Markt. Oder würden Sie heute tatsächlich fünf Dollar für

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eine Packung Müsli und einen Dollar für eine Dose Limo zahlen, wenn er es täte? Trotz der großen Rezession setzen US-Amerikaner ihren Konsum süchtig machender Substanzen (wie Alkohol, Tabak und Schokolade) fort oder steigern ihn sogar. Zufall?

Wir leben bereits in einem Bevormundungsstaat Die Lebensmittelbranche hat momentan einen Freibrief dafür, was sie in ihre Produkte stecken und wie sie diese verarbeiten, verpacken und vermarkten darf. Das funktioniert wunderbar und bringt steigende Verkaufszahlen, sinkende Abschreibungen und expandierende Märkte weltweit. Die Nahrungsmittelindustrie hat ein eigennütziges Interesse daran, jede Form der Regulierung zu blockieren – unabhängig von den Konsequenzen für unser öffentliches Gesundheitswesen. Sie hat politische Aktionsgruppen gegründet, um die Bevölkerung zu beeinflussen, damit diese glaubt, jede Reglementierung sei ein Angriff auf ihre Freiheit und ein weiteres Beispiel für unseren »Bevormundungsstaat«. Ein Beispiel für diese Propaganda ist das Center for Consumer Freedom (CCF, Zentrum für Verbraucherfreiheit), eine gemeinnützige Interessenvereinigung der Lebensmittelbranche. Ihr Ziel ist es, »das Recht von Erwachsenen und Eltern zu verteidigen, selbst zu entscheiden, wie sie ihr Leben leben wollen, was sie essen und trinken, wie sie ihre Finanzen verwalten und wie sie sich vergnügen wollen«. Die Aufgabe dieser Lobbyorganisation besteht darin, Sie und die Öffentlichkeit zu überzeugen, dass es Ihr unbestrittenes Recht ist, Ihre Nahrung vollkommen frei zu wählen und zu essen, unabhängig von der Kalorienmenge, dem Zuckergehalt, der Giftigkeit, dem Suchtpotenzial oder den Auswirkungen auf die Umwelt. Es wäre ein großartiges Verkaufsargument, wenn Sie tatsächlich Zugang zu allen Lebensmitteln und Optionen hätten. Doch das haben Sie nicht. Wenn Sie nicht selbst etwas anpflanzen, haben Sie nur Zugriff auf das, was die Nahrungsmittelindustrie Ihnen liefert. Barry Popkin von der University of North Carolina hat festgestellt, dass 80 Prozent der 600.000 Nahrungsmittel, die in den Vereinigten Staaten zum Verkauf stehen, einen Zuckerzusatz haben. 90 Prozent der in den USA produzierten Lebensmittel werden

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von insgesamt zehn Konzernen verkauft: Coca-Cola, ConAgra, Dole, General Mills, Hormel, Kraft, Nestlé, PepsiCo, Procter and Gamble und Unilever. Dabei stehen den Armen nur die Produkte zur Verfügung, die sie über die staatliche Lebensmittelbeihilfe bekommen – diese sind fast alle industriell verarbeitet und enthalten eine Menge Zucker, damit sie sich länger halten. Sie wollen Zucker vermeiden? Tut mir leid, das ist nicht möglich, weil wir bereits in einem Bevormundungsstaat leben. Tatsächlich glaube ich, dass ich durch meinen Einsatz für die Verfügbarkeit und den Konsum echter Nahrung mehr gegen staatliche Bevormundung tue als irgendeine Organisation, unabhängig von Werbebudgets oder Slogans – und mehr als jedes Regierungsgremium, unabhängig von Preiskontrollen oder Subventionen.

Das ist ein Krieg, und die anderen gewinnen Wenn man es recht bedenkt, geht es im Grunde lediglich um Geld: Wie kann man aus Ihrem Geld deren Geld machen? Abbildung 20.1 zeigt den Aktienkurs von McDonald’s, Coca-Cola und PepsiCo im Vergleich zum Standard & Poor’s  500 (S&P – ein Aktienindex, der die Aktien von 500 der größten börsennotierten US-amerikanischen Unternehmen umfasst), wobei die Veränderungen im Laufe der letzten fünf Jahre in Prozentangaben erfasst sind. Trotz des Wirtschaftsabschwungs im Jahr 2008, der sich deutlich auf den Aktienmarkt ausgewirkt hat, haben die Nahrungsmittelkonzerne den S&P beständig übertroffen. Sie wollen Geld verdienen? Investieren Sie in die Lebensmittelbranche.

Persönliche Verantwortung versus öffentliche Finanzierung des Gesundheitswesens Die persönliche Verantwortung ist ein US-amerikanischer Grundwert. Persönliche Verantwortung und Kapitalismus gehen Hand in Hand – wer etwas riskiert, verdient auch etwas. Das ermöglicht es der Nahrungsmittelindustrie, sich für ihr Mantra einzusetzen: »Jede Nahrung kann Teil einer ausgewogenen Diät sein« – angeblich auch Zucker.

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McDonald’s Coke Pepsi S&P 500

Abbildung 20.1.: Wer gewinnt den Krieg? Veränderungen des Aktienkurses von McDonald’s, Coca-Cola und PepsiCo von 2007 bis 2011 im Vergleich zum S&P500-Aktienindex. Trotz der Konjunkturschwäche im Jahr 2008 überflügelten die Aktienkurse von McDonald’s, Coca-Cola, PepsiCo und anderen Unternehmen der Lebensmittelbranche – wie die in dieser Übersicht nicht abgebildeten ConAgra, General Mills, Hormel, Kraft und Procter and Gamble – alle den S&P 500 in diesem Zeitraum.

Und da Zucker süchtig macht, essen wir ihn in jeder Menge und zu jedem Preis. Das ermöglicht der Pharmaindustrie große Umsätze. Es vermehrt die Anzahl der »Adipositasprofiteure«. Wenn die Regierung überhaupt einschreitet, dann bezieht sie sich selbst praktischerweise nicht mit ein. Ein Beispiel dafür ist Michelle Obamas »Let’s Move!«-Kampagne, die besagt: Konzentriere dich auf den Einzelnen, konzentriere dich auf die Familie, konzentriere dich auf die Gemeinschaft. In dieser Gleichung fehlen die Regierung und die Lebensmittelbranche. Es ist eine gute Initiative, die viel Aufmerksamkeit erhält und den Anschein erweckt, als geschähe etwas – weil von »persönlicher Verantwortung« geredet wird. Notwendig, aber nicht ausreichend. Und nichts ändert sich. Doch lassen wir einmal die philosophischen Überlegungen beiseite. Warum sollte die Regierung Adipositas neu überdenken? Weil sie zweimal zahlt. Erstens zahlt die Regierung 20 Milliarden Dollar im Jahr für die Maisund Sojasubventionen, das ist deutlich mehr als für Tabak. Zweitens zahlt sie für die Krankenhauskosten aufgrund von Schlaganfällen, Herzinfark-

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ten und Dialyse. Der britische Arzt A. B. Shaw sagte einmal: »Aortenklappenoperationen bei Senioren sind sehr kostengünstig, wenn das Ergebnis Tod oder Heilung statt langer Krankheit ist.« Wenn man eine chronische Krankheit in den Griff bekommen kann, ist es das Geld wert, tätig zu werden. Doch Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes, Krebs, Nierenleiden oder Demenz können wir nicht heilen. Diese Krankheiten verschlingen die Gelder unseres Gesundheitswesens schneller, als wir die Scheine drucken können, um es zu bezahlen.4 Die Zahlen sind hoch, und sie steigen von Jahr zu Jahr. Es sind 20- bis 40-Jährige betroffen, die 20 bis 40 Jahre krank sind. Präsident Obama stützte seinen Patient Protection and Affordable Care Act (PPACA, ACA), auch »Obamacare« genannt, auf die Annahme, dass es durch Präventivmaßnahmen zu großen Kosteneinsparungen kommen werde. Doch wenn wir weiterhin Mais subventionieren, industriell verarbeitete Nahrung fördern und von einer persönlichen Verantwortung für Adipositas ausgehen, wird es keine Prävention geben. Die Produktivität von Arbeitnehmern wird weiterhin zurückgehen, während die Häufigkeit chronischer Krankheiten weiter ansteigt; die staatliche Krankenversicherung wird dann bis zum Jahr 2024 zusammenbrechen.5 Das ist das Ergebnis der mit öffentlichen Mitteln finanzierten »persönlichen Verantwortung«. Man kann nicht doppelt gewinnen. Wir haben wirklich nur zwei Möglichkeiten. Entweder wir bleiben bei dem Prinzip »persönliche Verantwortung« – wenn Sie krank werden, zahlen oder sterben Sie. Das ist das russische System. Dort hat es ja bei der Eindämmung des Alkoholismus Wunder gewirkt, nicht wahr? Oder es ist ein Problem des öffentlichen Gesundheitswesens – dann stehen wir gemeinsam hinter einigen gesellschaftlichen Interventionen, die das Adiopositasbiest zähmen können.

Die Kosten der Bevormundung Allgemeingesellschaftliche Interventionen können entweder auf den Einzelnen oder auf die gesamte Bevölkerung abzielen. Beide Strategien haben Vorteile und Grenzen, wie in Tabelle 20.1 aufgelistet.

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Tabelle 20.1: Vorteile und Grenzen persönlicher versus gesellschaftlicher Interventionen gegen Adipositas Stärken

Grenzen

Persönliche Interventionen: Konzentration auf den Einzelnen Zielt nur auf adipöse Patienten ab (keine Vorsorge)

Patient wird medikalisiert und dämonisiert: »Es ist dein Fehler«

Investitionen sind auf Adipöse beschränkt

Bietet keine Prävention für all jene schlanken Menschen, die irgendwann einmal betroffen sein könnten

Leicht in die medizinische Versorgung zu integrieren

Hohe Kosten, fragliche Machbarkeit

Eindeutiges und günstiges Risiko-NutzenVerhältnis

Setzt den Schwerpunkt auf eine Verhaltensänderung, die in dem bestehenden »giftigen Umfeld« nur begrenzt erfolgreich ist Hilft schlanken Menschen mit Stoffwechselkrankheiten nicht

Gesellschaftliche Intervention: Konzentration auf das Umfeld Reguliert landesweit Qualität der Nahrung und verbessert jedermanns Gesundheit

Muss für die allgemeine Bevölkerung akzeptabel sein; stellt die Wählbarkeit von Politikern infrage

Verändert Zusammensetzung und Verfügbarkeit von Nahrung

Muss machbar sein; Ablehnung von Lebensmittelbranche und abhängiger Bevölkerung ist zu erwarten Kosten sind nicht tragbar

Obwohl es für die Bevölkerung angenehmer sein mag, wenn man sich gezielt auf die Adipösen konzentriert, ist eine solch allgemeine Einsortierung vermutlich zu negativ besetzt, als dass sie wirken könnte. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass 20 Prozent der fettleibigen Bevölkerung keine gezielte Betreuung durch das Gesundheitswesen benötigen, während 40  Prozent der Normalgewichtigen sie brauchen und nicht bekommen würden. Und zu guter Letzt ist es fast unmöglich, das Nahrungsumfeld einer Person zu verändern. Es ist deutlich einfacher, jedermanns Nahrungsumfeld gleichzeitig zu verändern. Die nächsten beiden Kapitel dieses Buches bieten eine bunte Mischung von Ideen, die man überdenken sollte, um den Betroffenen und unserer Wirtschaft zu helfen, bevor beide unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen.

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Die bisherigen Kunststücke der Regierung ––––––––––––––––––––l––––––––––––––––––––

Die Hyderabad-Aussage: »Alle wichtigen Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens erfordern Gesetze.«

Im Jahr 2000 kam es zu einem Gespräch zwischen der Memphis Area Society for Parenteral and Enteral Nutrition (Gesellschaft für parenterale und enterale Ernährung, Region Memphis), deren Mitglied ich bin, und dem Stadtrat von Memphis. Wir diskutierten den Anstieg der Adipositasepidemie im Zusammenhang mit der Entwicklung der ärmsten Stadtviertel zur »Nahrungswüste«. Der Rückzug des einzigen Supermarkts und die Ausbreitung der Fastfoodrestaurants waren teilweise für diesen Wandel verantwortlich. Wir sprachen uns für örtliche Zulassungsbeschränkungen für Fastfoodeinrichtungen in diesen Gegenden aus. Da stellte einer der Stadträte ganz ruhig die Frage: »Sie wollen diesen Menschen das Einzige wegnehmen, was ihnen Freude bereitet?«

Auf diese Frage hatte ich damals keine Antwort, und ich bin nicht sicher, ob ich heute eine habe. Wenn das Ziel kurzzeitiges Vergnügen ist, hat der Stadtrat Recht. Wenn es das Ziel der Unternehmen ist, Geld zu machen, hat er auch Recht. Doch wenn die Ziele Gesundheit heißen, Zufriedenheit, me-

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dizinische, wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit sowie ein allgemeiner Nutzen für die Gesellschaft, dann ist es genau seine Denkweise, die uns von der Erreichung dieser Ziele abhält.

»Die Regierung ist nicht die Lösung unseres Problems, die Regierung ist das Problem« In keinem Zusammenhang ist dieses Reagan-Zitat wahrer als hinsichtlich der passiven Rolle der Regierung in Bezug auf die Adipositasepidemie. Im Laufe der Zeit wurden Gesetzentwürfe und Programme, die mit den besten Absichten entwickelt und finanziert wurden, von zahlreichen Interessenvertretern verfälscht und missbraucht – immer mit einer ausgestreckten Hand (siehe Kapitel  2) und ohne Interesse an einer gemeinsamen, nutzbringenden Lösung.

Josef, der Pharao und das Agrargesetz

Unsere Ernährungskrise ist die langfristige Folge des US-amerikanischen Agrargesetzes (Farm Bill). Es handelt sich dabei um eines der komplexesten und antiquiertesten Subventionsgesetze, das der Kongress alle fünf Jahre absegnet. In den 1930er-Jahren entstand es aus zwei Gründen: Erstens gab es Bauernfamilien, die unter gleich zwei Katastrophen litten – unter der Wirtschaftskrise und unter verheerenden Staubstürmen. Und zweitens hatten wir eine hungernde und mittellose Bevölkerung. Das Land brauchte billige Kalorien, also lagerfähige Erzeugnisse wie Weizen, Reis, Sojabohnen, Mais und Getreide, das man in Silos aufbewahren oder durch das ganze Land transportieren kann, ohne Angst haben zu müssen, dass es verdirbt. Gleiches geschah im alten Ägypten, als im Buch Genesis (41, 33–36) Josef dem Pharao sagte, er müsse Getreide einlagern, um sich auf sieben Jahre Hunger vorzubereiten. Ernteerzeugnisse, die nicht viel Wasser brauchen und nicht ausdörren, wenn man sie trocknet. Kein grünes Gemüse. Das US-amerikanische Agrargesetz sah Subventionen für alle Arten lagerfähiger Kohlenhydrate vor. Dadurch kam es zu einer Flut glukoserei-

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cher Nahrung. Und das bedeutete im Laufe der Zeit zweierlei: Man musste neue Nutzungsmöglichkeiten dafür finden (z. B. Ethanol für Autos) und man musste die Menschen dazu bewegen, mehr davon zu essen. Hier finden wir die Grundlage für unsere aktuelle Nahrungspolitik und den Grund dafür, dass Getreide jahrzehntelang die Basis der Ernährungspyramide des US-amerikanischen Landwirtschaftsministeriums bildete: eine veraltete, unnötige Politik, die unbedingt reformiert werden muss und die reichsten 10 Prozent der Bauern belohnt. Doch da die landwirtschaftlich geprägten Staaten des Mittleren Westens so viel politische Macht haben, (mit zwei Senatoren pro Staat trotz ihrer geringen Bevölkerungszahlen), bleibt das Herangehen ans Agrargesetz politischer Selbstmord. Wer es versucht, tut es auf eigene Gefahr. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht (»Apples to Twinkies: Comparing Federal Subsidies of Fresh Produce and Junk Food«) dokumentiert eine fünfjährige Unterstützung in Höhe von 16,9 Milliarden Dollar für Mais und Sojaerzeugnisse im Vergleich zu insgesamt 262 Millionen Dollar für Äpfel. Auf eine Einzelperson umgerechnet, bedeutet das 7,36 Dollar im Jahr für Junkfood (also 19 »Twinkie«-Cremeküchlein) und 0,11 Dollar für Äpfel (also ein Viertel Apfel)1 – oder, wie der Journalist und Aktivist Michael Pollan kurz und bündig sagte: »Wenn Sie einen Dollar zum Ausgeben für Lebensmittel haben, kaufen Sie dann 1.200 kcal in Form von Kartoffelchips oder 200 kcal in Form von Karotten?« Insgesamt 190 Milliarden Dollar (zwei Drittel) der US-Agrarsubventionen werden für Ernährungsprogramme aufgewendet, hauptsächlich für die Mittellosen – also für Programme wie die UN-Lebensmittelbeihilfe für Haushalte mit geringem oder ohne Einkommen (SNAP) und das Ernährungsprogramm für Frauen, Kleinkinder und Kinder (WIC), die Noternährungsunterstützung und das nationale Schulspeisungsprogramm (NSLP). Die Ziele all dieser Projekte sind identisch: billige Nahrung mit all den subventionierten, im Überfluss vorhandenen Lebensmitteln zur Verfügung zu stellen. So wurde das WIC beispielsweise geschaffen, um »Gedeihstörungen« bei Babys armer Mütter zu vermeiden. Unglücklicherweise ist die Adipositasepidemie bei armen Kindern die entsprechende und gegenteilige Reaktion darauf. Bis 2007 stand Fruchtsaft auf dem WIC-Programm, Obst nicht – weil Fruchtsaft preiswert ist, Obst aber nicht. Und ob-

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wohl Obst jetzt im Rahmen des WIC-Programms erhältlich ist, stimmen die Kinder und Mütter noch immer mit ihren Füßen ab und wählen trotzdem den Saft, weil es bequemer ist und Saft das Belohnungssystem im Gehirn anspricht. Der letzte und hinterhältigste Punkt ist, dass es in der amerikanischen Politik dazugehört, die Lebensmittelbranche oder das Agrargesetz schlechtzureden. Es geht immer um Iowa. In Iowa findet die erste Vorwahl des Präsidentenwahlkampfs beider Parteien statt. Und das bedeutet, dass niemand schlecht über Mais oder Maiserzeugnisse reden will. Im Mai 2011 stand ich bei einem Treffen des Culinary Institute of America zusammen mit Sam Kass auf der Bühne – Michelle Obamas Vorreiter der Arbeitsgruppe, die sich mit Adipositas bei Kindern beschäftigt. Kass ist nicht nur ein erfahrener Koch, sondern auch ein sehr gut aussehender, kluger, redegewandter und charismatischer Kerl. Als ich 20 Minuten mit ihm allein hatte, gestand er mir, dass jeder im Weißen Haus, einschließlich des Präsidenten, den Artikel im New York Times Magazine, »Is Sugar Toxic?« (Ist Zucker giftig?, 17. April 2011), gelesen habe, in dem unsere Forschung an der University of California in San Francisco vorgestellt wird. Sie wünschen mir alles Gute – und tun absolut gar nichts, um zu helfen. Keine Werbung, kein Zeichen, kein Nicken. Nichts. Sie wollen keinen Kampf – diese Regierung hat schon genug Feinde. Ich bin auf mich allein gestellt, und Sie sind auf sich allein gestellt.

Die FDA und die Fruktose-Entscheidung 1986

Wenn die US-amerikanische Behörde für Lebens- und Arzneimittelüberwachung (FDA) einen Lebensmittelzusatz allgemein als sicher einstuft (Generally Recognized As Safe, GRAS), können die Nahrungsmittelproduzenten ohne Bedenken jede beliebige Menge davon in ihren Produkten verwenden. Zucker wurde dieser Status bereits 1958 gewährt – eher aufgrund seines natürlichen Ursprungs und der langen Nutzungsgeschichte als auf der Basis wissenschaftlicher oder toxikologischer Analysen. 1983 stufte die FDA auch Fruktose-Glukose-Sirup als sicher ein. Unter dem Druck eines Ausschusses des Experimentalbiologie-Verbands (Federation of Experimental Biology) gab die FDA einen »Abschluss«-Bericht über

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die Auswirkungen von Zucker auf die Gesundheit in Auftrag. Unter der Leitung von Walter H. Glinsmann, einem Ernährungswissenschaftler und FDA-Angehörigen (der heute im Verwaltungsrat der Mais-Raffinerie-Vereinigung sitzt – Zufall?), erklärten die Autoren 1986 in ihrem Bericht, dass Fruktose-Glukose-Sirup zur Verwendung in Lebensmitteln genauso sicher sei wie Saccharose, Glukosesirup und Invertzucker (das Zerfallsprodukt von Saccharose).2 Es wurde auch dargelegt, dass Fruktose eine wertvolle, traditionelle Quelle für Nahrungsenergie sei und es keine Grundlage gebe, eine Erhöhung oder Reduzierung in Lebensmitteln oder speziellen Diätprodukten zu empfehlen. Tatsächlich sei Karies das einzige Problem, das Zucker bei Menschen auslöse – und das könne durch eine Fluoridierung des Wassers leicht behoben werden. Mit diesem Bericht sind drei Probleme verbunden. Erstens: Die Daten stammten aus einer Zeit lange vor der Zuckerschwemme. Der Bericht basierte auf dem durchschnittlichen Zuckerkonsum von 18 Kilo pro Kopf und Jahr – also 200 kcal pro Tag und damit innerhalb der von der US-amerikanischen Herzvereinigung empfohlenen Obergrenzen.3 Wir liegen heute allerdings bei 59 Kilo pro Person und Jahr. Zweitens: Die Autoren des Berichts haben Adipositas berücksichtigt, aber nicht das metabolische Syndrom; dieser Begriff wurde erst 1988 geprägt. Fruktose löst nicht speziell Adipositas aus; sie lässt Adipositas zum metabolischen Syndrom werden. Und drittens: Wie Ancel Keys (siehe Kapitel 10) hatten die Forscher keine Möglichkeit, die Auswirkungen des Fetts von denjenigen des Zuckers zu trennen. Mit anderen Worten: Sie lagen voll daneben. Was angesichts des damaligen Stands der Wissenschaft verständlich ist. Doch die Dinge haben sich geändert: Adipositas greift um sich, und die Menschen sterben. Dennoch hat die FDA 1996 und 2004 ihre Haltung nochmals bekräftigt.4 Als Reaktion auf unser Argument hinsichtlich der Toxizität von Zucker in der Zeitschrift Nature 5 erklärte ein Sprecher der FDA öffentlich, es gebe keine Pläne, dieses Thema noch einmal zu überdenken. Auch andere Länder haben kein offenes Ohr, wenn es um Zucker geht. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EBL, European Food Safety Authority, EFSA) gab 2010 eine Stellungnahme heraus, dass sie keinen wissenschaftlichen Beweis dafür gefunden habe, eine Beschränkung des Zuckerkonsums zu empfehlen.6

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Zuckerzölle und kapitalistische Vetternwirtschaft

Die Zölle auf Zucker sind die ältesten, die es in der US-amerikanischen Politik gibt: Sie reichen bis ins Jahr 1789 zurück, als der erste Kongress einen Zoll auf ausländischen Zucker erhob, um die Einkünfte der jungen Regierung zu fördern. Seitdem sind die Zuckerzölle verschärft worden, um den Wettbewerb mit anderen subventionierenden Ländern zu steigern, amerikanische Arbeitsplätze zu sichern und die Umsätze der Zuckerbarone zu garantieren, die dann wiederum die Politiker unterstützen. Zucker wird in 18  US-Bundesstaaten produziert, sorgt in den USA für 146.000  Arbeitsplätze und trägt jährlich zehn Milliarden Dollar zur Wirtschaftsleistung bei. Aufgrund der Zölle auf Zucker sind die Zuckerpreise in den USA heute auf einem Rekordhoch. Auf dem Weltmarkt zahlen die Verbraucher deutlich weniger pro Kilo raffinierten Zucker als die US-Amerikaner. Während die Zuckerzölle im Jahr 2009 2,5 Milliarden Dollar einbrachten7, führt diese Preispolitik jedes Jahr zu Mehrkosten von 1,4 Milliarden Dollar für die USamerikanischen Verbraucher. All das hat viele Menschen sehr reich werden lassen. Wenn diese Zuckerzölle tatsächlich den Zuckerkonsum senken würden, wäre ich ein Befürworter. Doch sie tun es nicht. Trotz dieser Zölle wird in den USA mehr Zucker pro Kopf verbraucht als in jedem anderen Land (siehe die Kapitel 11 und 16). Ein Grund dafür ist unsere Abhängigkeit von Zucker. Und ein weiterer Grund ist die Tatsache, dass die Lebensmittelbranche in Form von Fruktose-Glukose-Sirup eine sehr preiswerte Alternative zu Saccharose hat.

Die Exekutive: Futter für die Lebensmittelbranche Die Exekutive hat ein eigennütziges Interesse daran, unsere aktuelle Lebensmittelzusammensetzung und Nahrungsversorgung aufrechtzuerhalten. Für sie geht es dabei allein um Geld und Arbeitsplätze. Die US-amerikanischen Verbraucher geben eine Billion Dollar jährlich für Lebensmittel aus – das macht nahezu 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. 6 Prozent unserer Exporte drehen sich um Nahrung – das sind weitere 56 Milliarden Dollar. Mehr als 16,5 Millionen US-Amerikaner arbeiten in der Lebensmittelbran-

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che,8 und es ist nicht zu erwarten, dass diese Zahl im Laufe des nächsten Jahrzehnts sinken wird. Die Regierung wird also alles Erdenkliche tun, damit wir im selben Maße weiter konsumieren – wenn nicht noch mehr. Und in fast allem, was wir zu uns nehmen, ist eine Art von Zucker enthalten. Doch die Exekutive steckt jährlich auch 147 Milliarden Dollar in das Gesundheitswesen, und der größte Teil davon fließt in die Behandlung chronischer Krankheiten. Das ist eine ausweglose Situation, und so versucht die Regierung, ein doppeltes Spiel zu treiben.

Zuckererpressung: George W. Bushs Regierung gegen die WHO

Im Jahr 2002 beriefen die WHO und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization, FAO) ein Politikforum über die Rolle der Ernährung bei Krankheiten ein. Es wurde der Bericht TRS 916 mit dem Titel »Nahrung, Ernährung und Prävention chronischer Krankheiten« veröffentlicht (Technical Report Series 916, »Diet, nutrition and the prevention of chronic diseases«).9 Dies Dokument löste eine lebhafte Kontroverse aus. Schon ein Jahrzehnt zuvor hatten ganze 23  Staaten Zucker als Hauptauslöser für chronische Krankheiten identifiziert. Der WHO-Bericht forderte, Zuckerzusätze auf weniger als 10 Prozent der Gesamtkalorienmenge der Ernährung zu begrenzen. Das konnte natürlich keinen Bestand haben. Dr. Riaz Khan, Direktor der Welt-Zucker-Forschungsorganisation (World Sugar Research Organization), entgegnete: »Dem Konzept von guter Nahrung und schlechter Nahrung fehlt es an wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit … Jede Nahrung kann einen wichtigen Beitrag zur Ernährung und zur Nahrungsvielfalt liefern. Vielmehr ist Ausgewogenheit entscheidend.« Es wurde Zeit für die schweren Geschütze. Interessenvertreter der USamerikanischen Lebensmittelproduzenten begannen, in Washington massiv Einfluss zu nehmen. Der Zuckerverband (Sugar Association) drohte damit, jede Möglichkeit zu nutzen, um das dubiose Wesen des Berichts TRS 916 infrage zu stellen. Die Lobbyarbeit gipfelte in einem beleidigenden Schreiben an die WHO, das William Steiger – Sonderbeauftragter des Ministeriums für Gesundheitspflege und Soziale Dienste der USA (und

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­ eorge H. W. Bushs Patenkind) – im Jahr 2004 verfasste. Darin ignorierG te er Jahre der Forschung und leugnete jeden Beweis, der einen Zusammenhang zwischen Junkfood und Adipositas herstellte. Steigers Brief stellte auch die wissenschaftliche Basis für die Verbindung zwischen Obst- und Gemüsekonsum und einem geringeren Risiko für Adipositas und Diabetes infrage. Er fügte hinzu: »Es gibt eine unbegründete Konzentration auf ›gute‹ und ›schlechte‹ Lebensmittel und eine Schlussfolgerung, dass bestimmte Nahrung mit nicht übertragbaren Krankheiten und Fettleibigkeit in Zusammenhang stehe … Die Behauptung, dass intensives Marketing für Nahrung mit einer hohen Energiedichte oder Fastfoodrestaurants das Risiko für Adipositas steigert, wird von fast keinen Daten unterstützt.« Dann drohte der US-amerikanische Gesundheitsminister Tommy Thompson damit, die 406 Millionen Dollar einzubehalten, welche die USA jährlich an die WHO zahlt, falls der Bericht TRS 916 nicht widerrufen werden sollte. Es genügt wohl zu sagen, dass der Bericht verworfen wurde, dass es noch immer weder eine empfohlene Tagesdosis noch eine Beschränkung für Zucker gibt, und dass die Menschen immer fetter und kränker werden.

Das US-amerikanische Landwirtschaftsministerium versus Bürgermeister Bloomberg

Das Missverhältnis des metabolischen Syndroms bei Reichen und Armen irritiert nach wie vor die Regierungen auf bundesstaatlichem und lokalem Niveau, zumal sie es sind, die schließlich dafür zahlen müssen. Michael Bloomberg, der bis 2013 Bürgermeister von New York City war, ist ein Pionier des öffentlichen Gesundheitswesens und engagierte sich von Anfang an für dieses Thema. Im Jahr 2011 bat Bloomberg darum, das SNAPProgramm des US-amerikanischen Landwirtschaftsministeriums möge ein Pilotprojekt in New York City durchführen und gezuckerte Getränke aus seinem Angebot streichen. Er argumentierte, dass SNAP im Jahr so vier Milliarden Dollar sparen würde und dass die Regierung enorme Summen für den Gesundheitsdienst für Bedürftige (Medicaid) und für Ältere (Medicare) einsparen könnte. Leider lehnte das Landwirtschaftsministerium Bloombergs Bitte mit der Begründung ab, es gebe keine Möglichkeit, das

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Ergebnis einzuschätzen, keine Definition für zuckerhaltige Getränke und keine Vorbereitung auf Seiten der Verkäufer. Das US-amerikanische Landwirtschaftsministerium sorgte sich zudem, dass die SNAP-Nutzer »stigmatisiert« werden würden.10 Stigmatisiert? Wenn Sie arm sind und Lebensmittelmarken verwenden, sind Sie bereits stigmatisiert. Wenn Sie fettleibig sind, sind Sie ebenfalls bereits stigmatisiert. Sollte der Verzicht auf zuckerhaltige Getränke tatsächlich eine weitere Stigmatisierung bedeuten? Das Ziel des SNAP-Programms besteht darin, »eine verbesserte Nahrungsmittelversorgung für Haushalte mit niedrigem Einkommen bereitzustellen«. Tatsächlich hat der US-amerikanische Getränkeverband (American Beverage Association) Einfluss auf das Landwirtschaftsministerium genommen und New York City unfaire Diskriminierung vorgeworfen, falls verhindert werden sollte, dass Lebensmittelmarken genutzt werden, um zuckerhaltige Getränke zu erwerben.

Die Legislative: Schutz für die Lebensmittelbranche Das nationale Schulspeisungsprogramm

Mehr als 30 Millionen Kinder nehmen aufgrund des nationalen Schulspeisungsprogramms (National School Lunch Program, NSLP) ihr Mittagessen in der Schule ein – das ergibt sich aus dem Agrarsubventionsgesetz (Farm Bill). Bei Kindern, die an diesem Programm teilnehmen, kommt es häufiger zu Adipositas, selbst wenn die ethnischen und Armutsunterschiede mit berücksichtigt werden.11 Die Schulspeisungsinitiative aus dem Jahr 1995 gibt vor, dass ein Mittagessen in der Schule nicht mehr als 30 Prozent Kalorien aus Fett und 25 Prozent des täglichen Tagesbedarfs an Eiweiß, Kalzium, Eisen, Vitamin A, Vitamin C und altersgemäßen Kalorien liefern soll. Kein Wort über Zucker (und übrigens auch nicht über Vitamin D). Und das ist der Haken. Im Jahr 2010 wurde gefordert, dass die Schulen die Menge an gesättigten Fetten, Salz, Kalorien und gehärteten Fetten in den Mahlzeiten begrenzen. Noch immer kein Wort über Zucker. Und »Vollkorn« ist zwar vorgeschrieben, aber was darunter zu verstehen ist, ist in den USA nicht definiert (siehe Kapitel 12).

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Jeder ist Ernährungswissenschaftler – selbst Politiker. 1983 erklärte Präsident Reagan, dass Ketchup Gemüse sei. In jüngerer Zeit machten sich Lobbyisten der Pizza- und Käseproduzenten als Reaktion auf die »restriktiven« Richtlinien für die Schulspeisung an die Arbeit. Sie erwirkten das Zugeständnis des Kongresses, dass eine Achteltasse Tomatenmark denselben Nährwert habe wie eine Achteltasse Gemüse. Im November 2011 bezog der Kongress erneut rechtfertigend Stellung für die Lebensmittelbranche, indem er erklärte, Pizza sei nun ein Gemüse. Wer hätte das gedacht?

Der Cheeseburger-Gesetzentwurf

Im Jahr 2000 sorgten Gerichtsverfahren gegen McDonald’s wegen der Verursachung von Adipositas und Herzerkrankungen für Aufregung in der Lebensmittelbranche. Deren Reaktion bestand darin, Einfluss auf den Kongress zu nehmen, damit dieser die persönliche Verantwortung beim Nahrungsmittelkonsum festschrieb – so kam es zu dem entsprechenden Gesetzentwurf: dem Personal Responsibility in Food Consumption Act, auch unter der Bezeichnung »Cheeseburger Bill« (Cheeseburger-Gesetz) bekannt. Der republikanische Abgeordnete Jim Sensenbrenner (Wisconsin) rief aus: »Dieser Gesetzentwurf besagt: ›Lauf nicht los, um einen Prozess anzustrengen, wenn du fett bist.‹ Er besagt: ›Schau in den Spiegel, denn du trägst selbst die Schuld dafür …‹. Wenn eine Person weiß oder wissen sollte, dass es ungesund ist und zu einer Gewichtszunahme führen kann, wenn man riesige Mengen von McDonald’s-Produkten zu sich nimmt, muss diese Person nicht durch ein Gesetz vor ihren eigenen Exzessen geschützt werden.« Der Gesetzentwurf wurde zunächst vom Abgeordnetenhaus gebilligt, dann aber letztlich doch nicht verabschiedet. Dennoch beugten sich einzelne Bundesstaaten dem Druck – oder den Dollars. Der republikanische Abgeordnete Dean Urdahl (Grove City) aus dem Bundesstaat Minnesota sagte: »Es geht hier um persönliche Verantwortlichkeit, um Jobs und um den Schutz unserer Lebensmittelindustrie. Es geht darum, unseren Verbrauchern zu helfen, damit sie nicht aufgrund des Haftungsrechts höhere Preise zahlen müssen.« Ein vergleichbarer Ge-

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setzentwurf hat zwar am 27. Mai 2011 das Landesparlament in ­Minnesota passiert, wurde aber von Gouverneur Mark Dayton abgelehnt. Andere Bundesstaaten versuchen, ihre eigenen Versionen durchzubringen.

Iss und sei still!

Hinterhältiger brachte der republikanische Abgeordnete Scott DesJarlais (Tennessee), selbst Arzt, im Jahr 2012 das Gesetz »Protecting Foods and Beverages from Government Attack Act of 2012« (H.R.  3848) ein, das die Verwendung bundesstaatlicher Gelder für Werbekampagnen untersagen sollte, die gegen irgendetwas gerichtet sind, das von der FDA als generell sicher eingestuft wurde. Maulkorbgesetze im Agrarsektor gibt es seit Jahrzehnten – deshalb bekam Oprah Winfrey Probleme, als sie sich abfällig über Fleisch äußerte. Doch der Gesetzentwurf des Abgeordneten DesJarlais ging vollkommen am Thema vorbei. Ein Beispiel: Falls der Bürgermeister von New York City, Michael Bloomberg, es tatsächlich durchsetzen könnte, dass Menschen in New York auf gehärtete Fette verzichten (allen Forschungsergebnissen zum Trotz stehen sie noch immer auf der Liste der sicheren Produkte der FDA), könnte er deswegen im Gefängnis landen.

Auf welcher Seite steht die Regierung? Unsere Abgeordneten könnten heuchlerischer nicht sein, wenn es um Adipositas und unsere Stoffwechselgesundheit geht. Die Exekutive und die Legislative werden gewählt, um die staatlichen Einnahmen zu sichern. Das Gesundheitswesen gibt Geld aus – und das schwarze Loch der Adipositas verschlingt immer mehr Geld. Was noch schlimmer ist: Keine einzige Ernährungs- und Bewegungsinitiative hat bislang der Regierung Geld gespart. Also kann die Regierung ebenso gut eine Politik fördern, die der Lebensmittelbranche Geld einbringt (und häufig auch ihr selbst). Und deshalb wiederholt die US-Regierung weiterhin ihr Mantra von der »persönlichen Verantwortung«. Kein Wunder, dass unsere Bürger der Regie-

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rung nicht zutrauen, dass sie uns aus diesem Dilemma herausführt. Hinzu kommt, dass Anstrengungen des Gesundheitswesens nicht ohne ein effektives Eingreifen in die Gesellschaft stattfinden können und werden.

Die Judikative … hält sich raus Doch noch ist nicht alle Hoffnung verloren. Ein Teil der Regierung wurde noch nicht vereinnahmt: die Judikative. Man geht davon aus, dass das Gesetz unparteiisch ist – obwohl die Gesetzgeber, die neue Gesetze erlassen, es möglicherweise nicht sind, wie der »Cheeseburger-Gesetzentwurf« zeigt – und dass eine sorgsame Anwendung des Rechts uns aus unserem aktuellen Teufelskreis herausführen könnte.12 Im Jahr 2009 verabschiedeten die Teilnehmer eines großen internationalen Forums über das öffentliche Gesundheitswesen die Hyderabad-Aussage: »Alle wichtigen Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens erfordern Gesetze.« Als andere Debakel des öffentlichen Gesundheitswesens einen »Wendepunkt« erreichten, halfen Rechtsvorschriften, den Weg für Reformen zu ebnen, mit welchen sinnvolle Aktivitäten wie Hygienemaßnahmen, Bauvorschriften und Umweltschutz durchgesetzt werden konnten.13 Ob es um die Reduzierung von Treibhausgasen oder um HIV-Tests geht – das Recht spielt eine entscheidende Rolle für den Fortschritt des Gesundheitswesens. So begannen beispielsweise die Maßnahmen gegen das Rauchen aufgrund eines Prozesses, den der Justizminister von Mississippi angestrengt hatte, um Forderungen auszugleichen. Justitia ist blind, doch könnte das Gesetz uns vielleicht helfen, einen Weg aus diesem Chaos zu sehen?

Klagen wegen irreführender Werbung

Die US-amerikanische Bundeshandelskommission (Federal Trade Commission, FTC) ist mit der Regulierung »unfairer oder irreführender« Geschäftspraktiken beauftragt, auch bei der Lebensmittelwerbung. »Unfair« sind Praktiken, wenn sie beträchtlichen, unvermeidbaren Schaden (bei

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den Verbrauchern) anrichten können, der nicht von einem entsprechenden Verbraucher- oder Wettbewerbsnutzen aufgewogen wird. Werbung ist »irreführend«, wenn sie die Verbraucher wahrscheinlich bei ihrer Entscheidung für ein Produkt täuscht. Im Jahr 1972 übte die FTC ihre Aufgabe effektiv aus, indem sie gegen Sugar Information vorging, einen Ableger des Zuckerverbands, der mit unfairen Werbepraktiken wie der nachfolgend abgebildeten Anzeige (Abbildung  21.1) landesweit in Zeitungen auf sich aufmerksam machte. Diese Anzeige legt nahe, dass Sie während einer Mahlzeit weniger Kalorien zu sich nehmen, wenn Sie vor der Mahlzeit Zucker essen – eine Behauptung, deren Wahrheitsgehalt nicht untersucht worden ist und die Schaden anrichten könnte, wenn man sie befolgt. Leider verbreitet die Lebensmittelbranche immer wieder solche Aussagen – zum Beispiel 1992 die Behauptung, dass eine einzige Scheibe »Kraft Singles«-Käse so viel Kalzium enthalte wie 140 Milliliter Milch, dass ein Frühstück mit »Frosted Mini-Wheats« klinischen Tests zufolge die Aufmerksamkeit der Kinder um fast 20 Prozent steigere, oder 2009 der Hinweis, dass die »Cocoa Krispies« von Kellogg’s das Immunsystem stärkten. Unglücklicherweise wurde die FTC 1978 im Rahmen des heute berüchtigten KidVid-Skandals entmachtet, als sie versuchte, Werbung für Junkfood zu regulieren. Die Lebensmittelbranche berief sich auf das Recht der freien Meinungsäußerung und nahm massiv auf den Kongress Einfluss, um jede Regulierung des auf Kinder abzielenden Marketings zu verhindern. Schließlich drohte der Kongress der FTC damit, ihr die Gelder zu entziehen, wenn sie dieses Vorhaben nicht fallenließe. Hinsichtlich einer Regulierung der Nahrungsmittelindustrie hat man von der FTC seitdem nie wieder etwas gehört. Aus dem Protokoll der FTC: »Basierend auf der FTC-Geschichte zur Regulierung von Werbung für Kinder … und dem aktuellen Gesetzesstand zur Werbesprache sowie dem ersten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten [Meinungsfreiheit] kann die Schlussfolgerung nur sein, dass die Einschränkung unwahrer Werbung nicht der richtige Weg ist, um den Gesundheitsproblemen in Bezug auf Adipositas zu begegnen.«14

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Abbildung 21.1.: Glauben Sie nicht alles, was Sie lecken. Eine Zeitungsanzeige der Sugar Information, Inc., die von der US-amerikanischen Bundeshandelskommission (FTC) 1972 wegen unfairer Werbepraktiken abgelehnt wurde. Die Sugar Information war ein Ableger des US-amerikanischen Zuckerverbands, der für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig war.

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Andere Wege, wie man über die Gesetzgebung Adipositas bekämpfen kann Die Rechtsprechung ist ein machtvolles Werkzeug, da sie Fakten verlangt – etwas, das die Wissenschaft liefern kann. Ich bin von Natur aus kein streitsüchtiger Mensch, aber Gerichtsverfahren sind eine hervorragende Möglichkeit, um die Aufmerksamkeit der Lebensmittelbranche und der Regierung zu erzielen; und vielleicht kann man sie auf diesem Weg auch dazu bewegen, das »Richtige« zu tun, denn das Gericht verpasst den gegnerischen Lobbyisten effektiv einen Maulkorb. Die meisten Gerichtsverfahren im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens haben sich bislang um »Fahrlässigkeit« und »fehlende Warnhinweise« gedreht. Doch können die Lebensmittelbranche oder die politischen Organe, welche bedürftige Bevölkerungsgruppen mit problematischen Nahrungsmitteln versorgen, dafür haftbar gemacht werden? Verschiedene Wege für Veränderungen auf bundesstaatlicher Ebene kommen in Betracht. So gab es zum Beispiel in Washington State erfolgreiche Prozesse gegen Schulämter, die für exklusive Verkaufsrechte Gelder von Soft-Drink-Produzenten angenommen hatten. Zu den weiteren möglichen Gerichtsverfahren von öffentlichem Wert gehört es, gegen Beamte des öffentlichen Schulwesens vorzugehen, die Sportunterricht von den Lehrplänen streichen, und gegen Krankenversicherungen zu klagen, die medizinisch notwendige Abmagerungskuren nicht abdecken. Nachfolgend finden Sie einige Ideen, die im öffentlichen Gesundheitswesen möglicherweise helfen könnten, Adipositas einzudämmen.

Lebensmittelkennzeichnung

Wie wäre es, wenn man gegen die FDA klagen würde, damit sie das Gesetz zur Lebensmittelkennzeichnung (Nutrition Labeling and Education Act) aus dem Jahr 1990 überarbeiten muss? Obwohl die Lebensmittelkennzeichnung nur eine minimale Auswirkung auf das Einkaufsverhalten hat, könnte das nicht schaden. Die seit 1990 geltenden Vorgaben haben nicht dazu beigetragen, die Adipositasepidemie in den Griff zu bekommen. Die Verpa-

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Nährwertangaben

Nährwertangaben

Diese Packung enthält 1.292 kcal. Snack Mahlzeit

Fett gesättigte Fette Keine Transfette Kohlenhydrate Kein Zuckerzusatz Salz Salzzusatz Ballaststoffe Ballaststoffe zugesetzt Eiweiß Kalzium Eisen

Vitamin A Kein Vitamin C

Dieser Riegel enthält 247 kcal. Snack Mahlzeit

Typischer Energieriegel

Beutel normaler, gesalzener Kartoffelchips

ckungen liefern nicht die wichtigen Informationen, welche die Öffentlichkeit braucht, um eine bewusste Gesundheitsentscheidung zu treffen. Denn es ist nicht die Hauptsache, was in der Nahrung enthalten ist – jede echte Nahrung hat ihren eigenen Wert. Was das Etikett mitteilen sollte, ist, was dem Lebensmittel hinzugefügt oder aus ihm entfernt worden ist, sodass es mehr oder weniger stark zu Adipositas beiträgt. Ein Beispiel für eine solche Lebensmittelkennzeichnung finden Sie in Abbildung 21.2. Alternativ ist die sogenannte Ampelkennzeichnung eine Möglichkeit, die Nährwertqualität industriell verarbeiteter Lebensmittel zu beeinflussen, indem die Nährwertangaben in vereinfachter Form dargestellt werden. Rot steht für Produkte, die in kleinen Mengen oder gar nicht konsumiert wer-

Fett gesättigte Fette Keine Transfette Kohlenhydrate Zuckerzusatz Salz Salzzusatz Ballaststoffe Ballaststoffe zugesetzt Eiweiß Kalzium Eisen

Kein Vitamin A Vitamin C

Abbildung 21.1. Der Herr hat’s gegeben, der Mensch hat’s genommen. Zusätzlich zur Auflistung der Gesamtzutaten könnte ein alternatives Lebensmitteletikett auch hinzugefügte und entfernte Nährstoffe aufführen, um die ganze Wahrheit zu erzählen. Hier ein einfaches Etikett (mit freundlicher Genehmigung von Joey Brunelle, Goose Rock Design).

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den sollten (das Etikett von Coca-Cola ist bereits rot, das ist also eindeutig), Gelb steht für Lebensmittelarten, die in Maßen genossen werden sollten (zum Beispiel Vollkornprodukte), während Grün Nahrung kennzeichnet, die jederzeit gegessen werden darf (Obst, Gemüse). Diese Methode könnte für die drei Nährwertbereiche angewendet werden, die insgesamt für die Bevölkerung wichtig sind: Fett, Zucker und Salz. Je mehr grüne Kennzeichnungen ein Produkt aufweist, desto gesünder ist es. Das Problem ist in diesem Zusammenhang, dass die Lebensmittelindustrie versuchen könnte, die Nahrung zu manipulieren und insbesondere Flickschusterei am Nährwertprofil zu betreiben. 1. Die Gesamtkalorienzahl ist klar vermerkt. Keine Angabe von »Portionen«, stattdessen eindeutige Einheiten (z. B. »diese Packung« oder »dieser Riegel«). 2. Die Kalorienmenge wird visuell in einer Skala angezeigt, die der Empfehlung als Snack oder Mahlzeit entspricht. 3. Die wichtigsten Nährwerte werden als lesbarer Text aufgeführt. 4. »Zuckerzusatz«, »Salzzusatz«, »Ballaststoffe entfernt« und »Ballaststoffe hinzugefügt« geben eine Vorstellung vom Grad der industriellen Verarbeitung. 5. Empfohlene Tageswerte werden visuell durch gefüllte Kreise dargestellt: Die Größe des farbigen Punkts ist proportional zum Anteil am Richtwert für die Tageszufuhr (gestrichelter Kreis). 6. Die Kreise könnten je nachdem, wie sehr sie in der Ernährung wünschenswert sind, farbig gestaltet sein. Dann wären Zuckerzusatz, Salzzusatz, Omega-6-Fette und Transfette rot. Natürlicher Zuckergehalt und natürlicher Salzgehalt wären gelb, Ballaststoffe grün. 7. Wenn etwas gar nicht enthalten ist, sollte das in deutlicher Sprache vermerkt werden, also »Keine Transfette« oder »Kein Vitamin A«.

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8. Farbe und Größe der Kreise signalisieren, wie gesund ein bestimmtes Nahrungsmittel ist.

Dem Landwirtschaftsministerium die Kontrollfunktion über die Ernährung entziehen

»MyPlate«, der Ersatz für die Ernährungspyramide des US-­amerikanischen Landwirtschaftsministeriums, fordert 50  Prozent Obst und Gemüse, 25 Prozent Vollkorn-Kohlenhydrate und 25 Prozent Eiweiß. Eine deutliche Verbesserung, die – nebenbei bemerkt – fast identisch ist mit dem »Tellermodell«, das unsere Klinik an der University of California in San Francisco seit neun Jahren verwendet. Doch das Landwirtschaftsministerium formt nach wie vor die Ernährungspolitik, die noch immer mangelhaft ist. Im Jahr 2008 bewarb ich mich um die Mitgliedschaft im Beraterausschuss für Ernährungsleitlinien 2010 (Dietary Guidelines Advisory Committee, DGAC). Als ich Janet King, meine Freundin und Vorsitzende des DGAC 2005, fragte, ob sie sich wieder um die Mitgliedschaft bewerben wolle, antwortete sie: »Bestimmt nicht. Ich bin müde und frustriert.« Sie erläuterte: »Unser Ausschuss legte ein 480 Seiten starkes Dokument vor. 80 Seiten beschäftigten sich mit Zucker, 80 Seiten mit Ballaststoffen. Als das Landwirtschaftsministerium das Abschlussdokument genehmigte, umfasste es insgesamt 80 Seiten, und die Kapitel über Zucker und Ballaststoffe waren verschwunden.« »Wie können sie das machen? Konntet ihr euch nicht wehren?«, fragte ich. »Wir sind ein Beraterausschuss«, antwortete sie. »Wir sind machtlos.« Die Frage ist, warum das US-amerikanische Landwirtschaftsministerium überhaupt für die Ernährung des Landes zuständig ist. Im Jahr 2003 berichtete die Chicago Tribune über die Kommentare des republikanischen Senators Peter Fitzgerald (Illinois): »Die Hauptaufgabe des Landwirtschaftsministeriums besteht darin, den Verkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse zu fördern … Das Landwirtschaftsministerium mit Ernährungsempfehlungen zu betrauen, ist also in gewisser Hinsicht, als beauftrage man den Fuchs damit, das Hühnerhaus zu bewachen.«15 Wer sollte also für unsere Ernährung verantwortlich sein? Wie wäre es, wenn man niemanden aussuchte, der ein eigenes Interesse an schlechten Ernährungsempfehlungen hat?

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Die FDA verklagen, damit sie Fruktose nicht mehr als sichere Zutat einstuft

Zu guter Letzt müssen Lebensmittelproduzenten und Händler die Zuckermenge reduzieren, die der Nahrung zugesetzt wird. Doch Zucker ist billig, schmeckt gut und verkauft sich, sodass die Unternehmen wenig Motivation haben, daran etwas zu ändern. Die US-amerikanische Behörde für Lebensund Arzneimittelüberwachung (FDA) könnte den Wandel vorbereiten, indem sie Fruktose von der Liste der allgemein als sicher anerkannten Stoffe streicht (Generally Recognized As Safe, GRAS). Die Gegner werden argumentieren, dass andere Nährstoffe auf der GRAS-Liste – wie Eisen, Vitamin A und Vitamin D – ebenfalls giftig sein können, wenn sie im Übermaß konsumiert werden. Doch im Gegensatz zu Zucker haben diese Substanzen kein Missbrauchspotenzial. Wenn Zucker von der GRAS-Liste gestrichen werden würde, wäre das ein mächtiges Signal für die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit und den ganzen Rest der Welt und würde die Nahrungsmittelindustrie zwingen, ihre Rezepturen zu überdenken. Gemäß den Regeln der FDA muss der GRAS-Status einer Substanz überprüft werden, wenn neue wissenschaftliche Informationen auftauchen. Dennoch hat die Behörde seit den 1980er-Jahren GRAS-Substanzen nicht systematisch neu bewertet.16 So hat die FDA beispielsweise größtenteils nicht auf Bedenken in Bezug auf Transfette reagiert, obwohl der Behörde zwischen 2004 und 2008 elf Bürgerpetitionen übermittelt wurden. Es gibt mehr als genug Gründe für eine Neubewertung des Zuckers durch die FDA. Kann die FDA Zucker von der GRAS-Liste streichen? Ja, sie kann, wird es aber ohne großen Druck nicht tun – und der kann fast nur durch ein Gerichtsverfahren ausgelöst werden. Ihre eigenen Regeln halten die Behörde vom Handeln ab. Der folgende Text stammt aus Dokumenten der Tabakindustrie und wurde von einer Führungskraft von Philip Morris verfasst: Es geht darum, ab wann eine Nahrung als giftig gelten sollte. Ein Lebensmittel sollte als verfälscht gelten, wenn es giftige oder gesundheitsschädliche Substanzen enthält und die Gesundheit beeinträchtigen könnte …, [in dem Sinne, dass] Nahrungsmittel nicht zu akuten Schädigungen wie Vergiftungen führen und

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der Verbraucher nicht getäuscht wird, aber nicht, um chronische Krankheiten zu verhindern, selbst wenn die eigenen Bestimmungen explizit von einer Verbindung zwischen solchen Produkten und solchen Krankheiten ausgehen.

Mit anderen Worten: Die FDA beschäftigt sich ausschließlich mit akuten Toxinen in der Nahrung (solchen Stoffen, die Sie sofort umbringen), nicht mit chronischen Toxinen, die Sie langsam töten, indem sie chronische Krankheiten fördern. Fruktose ist ein chronisches, dosisabhängiges Gift. Wenn die FDA also nicht dazu gezwungen wird, ist nicht zu erwarten, dass sie von sich aus Änderungen in Angriff nimmt. Petitionen helfen nicht. Gerichtsverfahren schon.

Der Regierung und uns selbst vertrauen Keiner der Vorschläge in diesem Kapitel ist heutzutage auch nur im Entferntesten umsetzbar, da die Regierung nicht unparteiisch und frei handelt. Damit ist gemeint, dass die Regierung die Regulierungssysteme zugunsten der Lebensmittelbranche beugt, sodass eine deutliche Schieflage des Machtgefüges beibehalten wird. Entweder handelt die Legislative nicht, weil die Lebensmittelbranche sie besticht, oder die Exekutive handelt nicht, weil sie Angst vor den politischen Folgen hat, oder die Bevölkerung handelt nicht, da in ihren Augen »eine Kalorie noch immer eine Kalorie ist«, da sie nach wie vor an die persönliche Verantwortlichkeit glaubt  … und ohnehin abhängig ist. Unser aktuelles Misstrauen gegenüber der Regierung ist angebracht. Es liegt in unserer DNA. Thomas Jefferson sagte einst: »Eine Regierung, die möglichst wenig regiert, ist am besten, da ihr Volk sich selbst diszipliniert.« Doch es gibt keine Disziplin. Das ist der Fluch der Abhängigkeit. Also haben wir es hier mit einem äußerst unerfreulichen kleineren von zwei Übeln zu tun. Die Frage ist nicht, ob Sie irgendeine Art der Kontrolle über Ihre Nahrung haben. Die haben Sie nicht. Die Frage ist, wen wollen Sie dafür zur Verantwortung ziehen? Wen wollen Sie in Ihrer Küche ha-

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ben? Die Regierung, die Ihre Rechte und Ihr Portemonnaie zweckentfremden wird, oder die Lebensmittelbranche, die Ihre Rechte, Ihr Portemonnaie und Ihre Gesundheit bereits zweckentfremdet hat? Ich denke, wir müssen erst alle richtig krank werden und keine anderen Optionen mehr haben. Wir müssen erst am Tiefpunkt ankommen. Dann ist es Zeit für eine Entziehungskur der Gesellschaft. Diesen Punkt haben wir bald erreicht.

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Ein Aufruf zur weltweiten Zuckerreduzierung ––––––––––––––––––––l––––––––––––––––––––

»Dieses beispiellose Treffen – die erste Ministerkonferenz über nicht übertragbare Krankheiten – ist ein Beweis für einen neuen und positiven Trend: Die Welt schenkt nicht übertragbaren Krankheiten so viel Aufmerksamkeit wie nie zuvor  … Chronische Erkrankungen, die durch die Ernährung, den Tabakkonsum und andere individuelle Verhaltensweisen beeinflusst werden, wurden lange Zeit für Wohlstandskrankheiten gehalten. Das ist eindeutig nicht der Fall. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass fast neun von zehn Menschen, die im Alter von unter 60 Jahren an einer nicht übertragbaren Krankheit sterben, in den Entwicklungsländern leben. Sie haben weniger Schutz vor den Risiken und Folgen dieser Krankheiten als die Menschen in der entwickelten Welt.« UN-Generalsekretär Ban Ki-moon im Rahmen der ersten globalen Ministerkonferenz über gesunde Lebensweisen und die Bekämpfung nicht übertragbarer Krankheiten, Moskau, 28. April 2011

Die Stunde hat geschlagen … Am 20. September 2011 gebot der UN-Generalsekretär in New York Einhalt. Die Welt stirbt. Nicht an Seuchen, nicht an der Grippe, an Ebola oder an Aids: Nicht übertragbare Krankheiten (z. B. Herzerkrankungen, Dia-

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betes, Krebs, Demenz – mit anderen Worten: das metabolische Syndrom) stellen heutzutage in den Entwicklungsländern ebenso wie in den Industrienationen eine größere Bedrohung dar als Infektionskrankheiten. Das ist ein kompletter Paradigmenwechsel. Tatsache ist, dass es in jedem Land, das die westliche Ernährungsweise übernommen hat, zu einem Anstieg von Adipositas und metabolischem Syndrom gekommen ist. Außerdem bringt es die sozioökonomische Entwicklung mit sich, dass die Bevölkerungen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen länger leben (was gut ist), aber folglich anfälliger für diese Krankheiten sind (was schlecht ist). Aktuell gibt es 30 Prozent mehr fettleibige als unterernährte Menschen auf unserem Planeten. Und 80 Prozent der Todesfälle infolge von Herzerkrankungen und anderen nicht übertragbaren Krankheiten ereignen sich in den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen.1

Der Grund, Zucker ins Visier zu nehmen Die Meldung der Vereinten Nationen zielt auf Tabak, Alkohol und die Ernährung als zentrale Risikofaktoren bei der Entstehung nicht übertragbarer Krankheiten ab. Die ersten beiden, Tabak und Alkohol, sind nach allgemeiner Einschätzung die am weitesten verbreiteten und gefährlichsten chronischen Belastungen auf unserer Erde. Beide werden von Regierungen überall auf der Welt reguliert, um die öffentliche Gesundheit zu schützen – nicht nur die von Personen, die diese Substanzen missbrauchen, sondern auch die Gesundheit unbeteiligter Dritter. Im Hinblick auf eine Kontrolle durch die Regierung hat Alkohol eine lange Geschichte. Sie reicht bis ins alte China zurück – dort gab es einen Versuch, renitentes Verhalten und Sachbeschädigungen infolge von Alkoholkonsum einzudämmen. In jüngerer Zeit haben der Verein »Mütter gegen Alkohol am Steuer« (Mothers Against Drunk Driving) und andere Interessenvertretungen sich darum bemüht, gegen das Autofahren unter Alkoholeinfluss vorzugehen – allerdings eher, um unschuldige Dritte zu schützen als die Trinker selbst. Öffentliche Aufschreie können funktionieren. Tabak wurde erst kürzlich stärker reguliert, nicht nur wegen der Lungenkrebsgefahr, sondern auch um die Probleme des Mitrauchens einzudämmen. Doch wenn überhaupt, was sollte bei der Ernährung

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ins Visier genommen werden? Und warum? Da ist die Lage etwas komplizierter. Im Gegensatz zu Tabak und Alkohol brauchen wir Nahrung. Bei welchem Aspekt der westlichen Ernährung sollte man einschreiten? Dänemark hat den ersten Schritt getan, obgleich Adipositas in diesem Land kein allzu großes Problem darstellt. Die Dänen beschlossen zunächst, Lebensmittel mit einem hohen Anteil an gesättigten Fetten zu besteuern, auch wenn die meisten Mediziner nicht mehr glauben, dass Fett der Hauptschuldige ist (siehe Kapitel 10) – Sie sehen ja, wohin uns diese Überzeugung geführt hat. Doch nun ist Dänemark auch für eine Zuckersteuer bereit, die ein deutlich plausiblerer und vertretbarerer Schritt ist, wie Sie sehen werden. Und England plant derzeit eine Zuckersteuer auf Soft Drinks. Müssen wir den Zuckerkonsum tatsächlich reglementieren? Zucker macht doch Spaß. Zucker ist Familie. Zucker ist Vergnügen. 2009 lautete das Coke-Motto: »Open Happiness« (»Öffne das Glück«). Nun, das geht ein bisschen zu weit. Vielleicht Vergnügen, an einem guten Tag. Doch am Zucker ist nichts »glücklich«, und dieses Buch zeigt, welches Unglück der Zucker weltweit angerichtet hat. In dem 2003 veröffentlichten, bahnbrechenden Buch Alkohol – Kein gewöhnliches Konsumgut2 werden die vier Kriterien dargelegt, die das Gesundheitswesen aufgestellt hat, um die Regulierung einer Substanz zu rechtfertigen: Unvermeidbarkeit, Giftigkeit, Missbrauch und Kosten für die Gesellschaft. Alkohol und Tabak erfüllen diese Kriterien eindeutig. Doch wie steht es mit dem Zucker? Meine Kolleginnen Laura Schmidt, Claire Brindis und ich haben diese Effekte bewertet.3

Unvermeidbarkeit

Zucker ist das allgegenwärtigste Nahrungsmittel der Welt und wird praktisch jeder industriell verarbeiteten Nahrung zugesetzt. Dadurch wird die Wahlmöglichkeit der Verbraucher ebenso eingeschränkt wie die Chance, Zucker zu meiden. Ungefähr 80 Prozent der 600.000 für den Verbraucher erhältlichen, abgepackten Lebensmittel in den Vereinigten Staaten werden kalorienhaltige Süßungsmittel zugesetzt. Der einzige Weg, dem zu entgehen, ist das eigene Anpflanzen von Lebensmitteln. Viele Schulen haben

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Soft Drinks aus ihren Verkaufsautomaten entfernt, bieten aber noch Saft und Schokomilch an. Wenn Sie fünf Jahre alt wären, würden Sie sich wohl für Wasser oder für Schokomilch entscheiden? Und in 40 Prozent der kalifornischen Schulen gibt es keine Trinkwasserbrunnen, sodass die Kinder auch hier keine Wahl haben und den Zucker nicht meiden können.4 In vielen Ländern übersteigt die tägliche Zuckerzufuhr heute 400 kcal (siehe ­Kapitel 11).

Giftigkeit

Wenn der Satz »Eine Kalorie ist eine Kalorie« wahr wäre und Adipositas sowie das metabolische Syndrom eine Folge »leerer Kalorien« wären, hätte das Mantra »Iss weniger und beweg dich mehr« Sinn. Doch Zucker liefert keine »leeren Kalorien«. Der Fruktosebestandteil ist für sich genommen ein Toxin – ein chronisch wirkender, dosisabhängiger Giftstoff, aber dennoch ein Giftstoff.5 Wir kennen die krank machenden Auswirkungen des Rauchens oder des fortgesetzten Alkoholmissbrauchs. Jeder einzelne Aspekt des metabolischen Syndroms wird durch Fruktose gesteuert: auch Bluthochdruck (durch einen Anstieg der Harnsäure), hohe Triglyzeridspiegel und Insulinresistenz (durch die Bildung von Fett in der Leber), Diabetes (durch eine erhöhte Leberglukoseproduktion in Kombination mit Insulinresistenz), beschleunigte Alterung (aufgrund von Lipid- und Proteinschäden), wahrscheinlich Krebs (durch eine DNA-Schädigung, hohe Insulinspiegel und die Tatsache, dass einige Krebsarten Fruktose als Energiequelle zu bevorzugen scheinen) und vermutlich Demenz (aufgrund von Insulinresistenz im Gehirn).

Missbrauch

Zucker wirkt auf das Belohnungssystem,6 um eine fortdauernde Zufuhr zu unterstützen (siehe die Kapitel  5 und  11). Ob er die Kennzeichen für Sucht erfüllt, ist irrelevant: Das Zeug wird missbraucht. Schon in jungen Jahren werden Sie angefixt, und nach Jahren der fortdauernden Nutzung

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ist es schwer, diese Gewohnheit abzulegen. Es gibt heutzutage zahlreiche Humanstudien, welche die Abhängigkeit auslösenden Eigenschaften von Zucker untersuchen.7 Durch die Reduktion des Dopaminsignals im Belohnungszentrum des Gehirns nimmt das mit der Nahrung verbundene Vergnügen ab (zunehmende Toleranz), sodass man mehr konsumiert. Und wenn die Zuckerzufuhr gestoppt wird, treten Reizbarkeitssymptome (Entzug) auf.

Kosten für die Gesellschaft

Die Gesellschaft weiß, dass Alkoholmissbrauch (Autofahren unter Alkoholeinfluss) und Rauchen (Folgen des Mitrauchens) unbeteiligte Dritte schädigen können. Doch wie beeinflusst mich Ihr Zuckerkonsum? Zusätzliche 274 Millionen Dollar für Kraftstoff, wenn Adipöse im Flugzeug unterwegs sind? Unbehagen in der U-Bahn? Sinkende Schiffe aufgrund des hohen Gewichts? Im Jahr 2003 kenterte das Schiff Ethan Allen auf einer Bootstour auf dem Lake George (New York): Es war für 48 Personen mit jeweils 65 Kilo Gewicht ausgelegt, doch die durchschnittlichen Passagiere an Bord wogen 25 Prozent mehr. Die Krankheiten des metabolischen Syndroms ruinieren die Gesundheitssysteme unseres Landes und auf der ganzen Welt.8 In den Vereinigten Staaten geht es um 150 Milliarden Dollar Gesundheitskosten jährlich und 73  Milliarden Dollar Produktivitätseinbußen aufgrund von Adipositas bei Vollzeitangestellten.9 Es wird erwartet, dass dieser Betrag bis 2030 auf 192 Milliarden Dollar steigen wird. In Deutschland sprach man bereits 2003 von indirekten Kosten von 1,4 bis 1,6 Milliarden Euro durch Adipositas – das entspricht auf die nationale Produktivität bezogen einem Verlust von ca. 200.000 Erwerbsjahren im Jahr. Hinzu kamen direkte Behandlungskosten in Höhe von 85,71 Millionen Euro und für assoziierte Komorbiditäten in Höhe von 11,3 Milliarden Euro – Tendenz schon damals steigend. Die letzten drei obersten Militärärzte der USA und der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs haben Adipositas gar zu einer »Bedrohung für die nationale Sicherheit« erklärt, weil 27 Prozent der Militäranwärter aufgrund von Adipositas und damit einhergehenden Problemen abgelehnt werden.

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Warum Alkohol so relevant ist Wenn man nach Übereinstimmungen sucht, so ist Alkohol der richtige Analogiepartner (siehe Kapitel 11). Lassen Sie uns rekapitulieren. ƒƒ Alkohol entsteht durch die Fermentierung von Zucker. ƒƒ Alkohol ebenso wie Zucker wird von der Leber verstoffwechselt, entzieht sich der Insulinregulierung, führt zu einer Überlastung der Mitochondrien und verursacht Stoffwechselstörungen. ƒƒ Beide werden als Energiequelle genutzt, belasten aber die Gesundheit. ƒƒ Beide sind legale Substanzen, die bei übermäßigem Konsum Schäden verursachen. ƒƒ Beide lösen Erkrankungen des metabolischen Syndroms aus. ƒƒ Beide machen süchtig und wirken auf das Belohnungszentrum im Gehirn, sodass übermäßiger Konsum, Verlangen, Toleranz und Entzugserscheinungen die Folge sind. ƒƒ Beide gehen bei übermäßigem Konsum mit einem Stigma einher. ƒƒ Beide werden von der sozioökonomisch niedrigsten Schicht missbraucht, fast immer zum Vergnügen, und richten dann großen Schaden an. ƒƒ Beide werden als Konsumgüter gehandelt. ƒƒ Hinter beiden stehen mächtige Industrielobbys sowie Kapitalinteressen, die die Objektivität vieler Regierungsangehöriger beeinflusst haben.

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Leider ist es angesichts unserer aktuellen Zuckerflut fast unmöglich, Ihre Zuckerzufuhr zu reduzieren. Zucker ist in fast allem enthalten, was wir essen oder trinken, und Sie sind von Kindheit an daran gewöhnt. Ergäbe es in Anbetracht aller metabolischen, suchtbezogenen und gesellschaftlichen Ähnlichkeiten zum Alkohol nicht einen Sinn, die Lektionen, die wir durch die Alkoholpolitik gelernt haben, auch auf Zucker anzuwenden? Mit einem geänderten innergesellschaftlichen Handlungsansatz ließe sich eine Zuckerreduktion erreichen.

Verändert Erziehung den Umgang mit Suchtmitteln? Es ist keine Frage, dass Kampagnen des öffentlichen Gesundheitswesens helfen können, Einstellungen zu verändern und damit ein Krankheits­ risiko zu beeinflussen. So hat die Aufklärung zu einer vermehrten Nutzung von Kondomen und damit zu einem Rückgang der HIV-Infektionen geführt. Doch bei Alkohol, Tabak und Straßendrogen schaffen die meisten Ansätze der allgemeinen Gesundheitserziehung es nicht, den Missbrauch einzudämmen. Das hat zwei Gründe: 1.  Sie reduzieren die Verfügbarkeit der fraglichen Substanz nicht. Und 2.  Diese Substanzen machen süchtig. Erziehungsprogramme an Schulen haben beispielsweise eine geringe Auswirkung auf den Alkoholkonsum.10 Bislang sind auch Adipositas-Erziehungsprogramme an Schulen wenig erfolgreich.11 Das liegt zum Teil daran, dass die Nahrungsvorlieben unserer Kinder geprägt werden, bevor sie überhaupt zur Schule gehen; und ein weiterer Grund ist, dass ihr Umfeld zu Hause konstant bleibt. Der Unterricht des Kindes ändert nichts an seinem Umfeld. Notwendig, aber nicht ausreichend. Ein Beweis dafür ist das Kind, das von einer Abspeckkur zurückkommt und innerhalb von drei Monaten das gesamte verlorene Gewicht wieder zurückgewonnen hat. Wie wäre es mit Beiträgen in den Medien im Dienst der Öffentlichkeit (Public Service Announcements, PSA) oder Gegenwerbung? Die aktuellen Anti-Tabak-Anzeigen mit Amputierten und Patienten mit Luftröhrenschnitt sind ziemlich krass, ändern aber nichts an der Tabakverfügbarkeit. Bisher haben Alkohol-PSA nur sehr geringe Auswirkungen hinsichtlich

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des Gesamtalkoholkonsums gezeigt.12 Trotz zahlreicher Werbekampagnen zur Bekämpfung der Fettleibigkeit, wie jene in New York City,13 gibt es keine Daten, die belegen, dass PSA allein eine Reduktion des Zuckerkonsums erreichen könnten. Notwendig, aber nicht ausreichend. Und wie steht es mit der neuesten tollen Idee, Menüs mit einer Lebensmittelkennzeichnung zu versehen? New York City war die erste Stadt, die zur Verbrauchererziehung im Restaurant eine Kennzeichnung forderte. Die Ergebnisse zeigen, dass sich bei Erwachsenen der durchschnittliche Kalorienverzehr allein durch die Einführung der Kennzeichnung nicht veränderte – 828 versus 846 kcal; lediglich 15 Prozent der Erwachsenen änderten ihre Wahl, wenn sie über die Kalorienmenge Bescheid wussten.14 Eine Studie verglich eine Beispielbevölkerung aus New York City, die mit der Menükennzeichnung konfrontiert war, mit einer Beispielbevölkerung aus Newark (New Jersey), die keine Kennzeichnung zu lesen bekam.15 Wissen Sie was? Es gab keinen Unterschied! Und was noch schlimmer war: Keine der aktuellen Menükennzeichnungsinitiativen gab die Zuckermenge an – lediglich Gesamtkalorien, Fett und Salz. Notwendig, aber nicht ausreichend. Das gilt auch für die Lebensmittelkennzeichnung. Erinnern Sie sich noch an die grüne Kontrollmarkierung (»Smart Choice«), die von der Nahrungsmittelindustrie auf Produkte gedruckt wurde, um ihre Übereinstimmung mit den Nahrungsstandards des US-amerikanischen Landwirtschaftsministeriums anzuzeigen? »Cocoa Krispies« und »Froot Loops« trugen diese Markierung. Die »Froot Loops« qualifizierten sich, weil sie die Standards für Ballaststoffe, Vitamin A und Vitamin C erfüllten und weil sie die Grenzwerte für Fett, Salz und Zucker nicht überschritten (nur 12 Gramm pro Portion – oder 41 Prozent des Produkts, das ist alles!). Das Programm wurde 2009 eingestellt, nachdem ungläubige Bürger sich darüber empört hatten, dass die »Froot Loops« auf der Liste standen. Die Umweltschutzarbeitsgruppe veröffentlichte 2011 einen Bericht,16 der den Zuckergehalt von 48 Kinder-Frühstückmüslis dokumentierte (sowie deren Mangel an Ballaststoffen). Die Tabelle 22.1 zeigt die schlimmsten Produkte. Unglaublich: Die »Froot Loops« stehen an zehnter Stelle! Vielleicht besteht die größte Farce darin, dass diese Information nicht deutlich sichtbar auf dem Etikett steht, damit alle sie lesen können.

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Tabelle 22.1: Die zehn schlimmsten Frühstückmüslis für Kinder 1. Kellogg’s Honey Smacks (in Deutschland: Smacks): 55,6 Prozent Zucker (Gewichtsanteil). Zutaten: Zucker, Weizen, Dextrose, Honig, enthält 2 Prozent oder weniger Pflanzenöl (gehärtet oder teilweise gehärtet, aus Sojabohnen), Salz, Zuckercouleur, Sojalecithin, Butylhydroxytoluol (BHT) zum Frischhalten. 2. Post Golden Crisp: 51,9 Prozent Zucker 3. Kellogg’s Froot Loops Marshmallow: 48,3 Prozent Zucker 4. Quaker Oats Cap’n Crunch’s OOPS! All Berries: 46,9 Prozent Zucker 5. Quaker Oats Cap’n Crunch Original: 44,4 Prozent Zucker 6. Quaker Oats Oh!s: 44,4 Prozent Zucker 7. Kellogg’s Smorz: 43,3 Prozent Zucker 8. Kellogg’s Apple Jacks: 42,9 Prozent Zucker 9. Quaker Oats Cap’n Crunch’s Crunch Berries: 42,3 Prozent Zucker 10. Kellogg’s Froot Loops Original: 41,4 Prozent Zucker

Dann gibt es da noch die Regierungsrichtlinien. Der Beraterausschuss für Ernährungsleitlinien 2010 empfahl eine Obergrenze von 25  Prozent der Tageskalorien aus Zuckerzusätzen. (Denken Sie daran: Die Nährwertangaben geben lediglich den Gesamtzucker an, nicht den Zuckerzusatz.) Doch vor Kurzem zeigte eine Studie mit Erwachsenen, dass sich die LDL- und die Triglyzeridwerte sowie die Insulinresistenz innerhalb von zwei Wochen verschlechtern, wenn 25  Prozent der Kalorien aus Zuckerzusätzen ­stammen.17 Fazit: Obwohl viel Mühe und eine Menge Geld in verschiedene Methoden zur Adipositasprävention durch individuelle Aufklärung gesteckt wurden, waren die Ergebnisse durchweg enttäuschend.18 Man kann das Verhalten nicht mit Informationen allein ändern, insbesondere wenn es um suchterzeugende Substanzen geht. Notwendig, aber nicht ausreichend. Denn die Biochemie wird schließlich jeden kognitiven Versuch zunichtemachen, das eigene Verhalten zu kontrollieren. Nein, es geht in erster Linie darum, das Umfeld zu verändern, und das bedeutet eine Veränderung der Verfügbarkeit.

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Das Marketing für Kinder verändern: Nicht viel besser Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass der kumulative Effekt von Alkoholwerbung die Wahrnehmung junger Menschen beeinflusst und eine alkoholfreundliche Einstellung sowie einen verstärkten Konsum fördert.19 Populationsstudien fanden einige kleine Auswirkungen von Alkoholwerbeverboten, doch Einzelstudien zu kurzfristigen Auswirkungen auf den Alkoholkonsum konnten keine Effekte feststellen.20 Schlimmer noch: Von der Industrie gesponserte Bemühungen sind noch wirkungsloser für die Volksgesundheit – der »Kein Alkohol am Steuer«-Spruch von Budweiser ist zu »Trinke Budweiser und lass jemand anderen fahren« geworden. Von der Regierung erlassene Vorschriften zur Alkoholvermarktung und -werbung zielen hauptsächlich auf die Jugend ab und haben unterschiedlichen Erfolg. So ist die Werbung für Alkohol zwar seit den 1970er-Jahren reduziert worden (außer für Bier und Wein), doch Botschaften über Alkohol finden sich noch immer überall. Von der Regierung erlassene Vorschriften zur Alkoholvermarktung gegenüber Jugendlichen sind einigermaßen effektiv. Dieser Erfolg wirkt sich auch auf die Reduzierung von Zucker aus. Können wir die Werbung für Junkfood einschränken, insbesondere wenn es um den Vertrieb von Zucker geht? Werbung für Kinder ist ein Hauptbetätigungsfeld der Lebensmittelbranche, da es den Aufbau und die Weiterentwicklung bestimmter Marken beschleunigt, die das Kind dann eher in die Welt der Erwachsenen »mitnimmt«. Dabei muss berücksichtigt werden, dass ein Kind bis zum Alter von acht Jahren eine Fernsehsendung von Werbung nicht unterscheiden kann. Eine Studie zeigte im Jahr 2007, dass das durchschnittliche US-amerikanische Kind im Jahr 30.000 Werbespots im Fernsehen sieht, die Fastfood oder Süßigkeiten anpreisen.21 Während der Zeichentrickfilme am Samstagvormittag wird im Durchschnitt alle fünf Minuten eine Werbung für Lebensmittel gezeigt. Werbetreibende geben über zehn Milliarden Dollar für Fernsehspots, Gutscheine, Öffentlichkeitsarbeit und besonderes Verpackungsdesign aus, um Kinder und Jugendliche zu erreichen. Mit all dieser Werbung soll eine Nachfrage erzeugt werden22 – und, was noch wichtiger ist, gesteigerter Konsum.23 2007 versammelten sich die Gesundheitsminister von 52 europäischen Ländern in Istanbul und kamen überein, Junkfood-Marketing für Kinder

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zu verbieten.24 Ermutigt durch diese Entscheidung, fragte ich im Oktober 2007 Deborah Taylor Tate, damals Kommissarin der Behörde zur Regelung der Kommunikationswege (Federal Communications Commission, FCC) unter Präsident George W. Bush, ob das nicht auch in den USA möglich wäre. Ihre Antwort lautete: »Ich erwarte, dass die Lebensmittelbranche sich selbst kontrolliert.« Sich selbst überlassen, zielte Zigarettenwerbung unverhohlen auf Kinder ab, bis in öffentlichen Protesten gefordert wurde, dass die Regierung einschreitet. Das metabolische Syndrom fordert aktuell mehr Leben als Lungenkrebs. Offensichtlich muss der öffentliche Aufschrei erst ohrenbetäubend werden, damit die Regierung keine andere Wahl hat, als aktiv zu werden. Allen Widrigkeiten zum Trotz wurde Chile unter der Leitung des Kinderarztes und früheren Senatspräsidenten Dr. Guido Gerardi Lavin im Mai 2012 das erste Land, das auf Kinder abzielendes Junkfood-Marketing verbot. 2007 brachte das Better Business Bureau eine freiwillige Übereinkunft der Industrie zustande, die Vertrieb und Werbung gegenüber Schulkindern unter zwölf Jahren (!) in der Form begrenzen soll, dass eine gesündere Lebensmittelauswahl und ein besserer Lebensstil im Fokus stehen (Children’s Food and Beverage Advertising Initiative, CFBAI). Die Standards gelten für alle teilnehmenden Unternehmen (aktuell  18), doch eine Beteiligung ist freiwillig. Ein interessanter Hintergrund zur Entwicklung der freiwilligen Übereinkunft: Da der Kongress mit der Aktion nicht ganz zufrieden war, ordnete er an, dass die US-amerikanische Bundeshandelskommission (Federal Trade Commission, FTC), die Behörde für Lebens- und Arzneimittelüberwachung (FDA), die Zentren für Krankheitskontrolle und Prävention (CDC) und das Landwirtschaftsministerium eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe (Interagency Working Group, IWG) gründen sollten, die aus Experten für die Bereiche Ernährung, Gesundheit und Marketing besteht. Diese Arbeitsgruppe erstellte strengere, aber noch immer freiwillige Richtlinien, die nicht nur die Fernsehwerbung, sondern auch andere Formen der Multimedia-Werbung begrenzen sollten (also zum Beispiel auf Internetseiten, in Onlinespielen, in Filmen, in den sozialen Medien). Die Lebensmittelbranche beeinflusste den Kongress daraufhin so stark, dass die IWG aufgegeben hat, und unterstützte dann die Children’s Food and Beve-

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rage Advertising Initiative. Werden also die Lebensmittel-Werbemaskottchen Toucan Sam (Froot Loops) und Tony the Tiger (Frosties) das Zeitliche segnen? Darauf würde ich nicht wetten.25 Bisher gibt es in den Vereinigten Staaten keine von der Regierung durchgesetzten Verbote in Bezug auf die Vermarktung zuckerreicher Produkte für Kinder. Allerdings hat San Francisco trotz intensiver Lobbyarbeit der Lebensmittelindustrie vor Kurzem ein Verbot von Spielzeug ausgesprochen, das mit Fastfoodmahlzeiten zusammen verkauft wird. Warum braucht ein Kleinkind mehr Anreize als die Nahrung selbst, um Fastfood zu essen? Inzwischen haben die politischen Folgen dazu geführt, dass in drei Bundesstaaten solche »Spielzeugverbote« ausgesprochen worden sind. Und im Juni 2012 erklärte Disney, die auf Kinder unter zwölf Jahren abzielende Vermarktung von Junkfood einzustellen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Das Umfeld verändern Was wird wirklich eine Reduzierung des Zuckerkonsums bewirken? Wir können ihn nicht loswerden; wie beim Alkohol und Tabak werden wir lernen müssen, mit diesen Substanzen »friedlich zusammenzuleben«. Sehen wir uns die jahrzehntelangen weltweiten Erfahrungen in Sachen Alkoholkontrolle an, so erkennen wir: Nur eine Verfügbarkeitsbeschränkung zeigt Wirkung.26 Das heißt: vorausschauende Strategien, die das Angebot limitieren, statt hinterhergeschobene Ansätze, die auf eine abnehmende Nachfrage hoffen und nicht funktionieren. Die Verfügbarkeit kann auf drei verschiedenen Wegen limitiert werden: durch Steuern, Beschränkungen und Verbote. Nun ja, vergessen wir die Verbote – das klappt nicht. Es hatte beim Alkohol auch keinen Erfolg. Der Versuch, eine Substanz zu kriminalisieren, die so weitverbreitet und beliebt ist wie Zucker, wäre ebenfalls zum Scheitern verurteilt. Können Sie sich eine Zuckerprohibition vorstellen, mit illegalen Bonbonkneipen und Badewannen voll Cola? Doch es bleibt dabei: Erfolgreiche Eingriffe haben alle eine Gemeinsamkeit – sie schränken die Verfügbarkeit ein. Mit anderen Worten, sie kontrollieren das Umfeld, nicht das Verhalten.

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Einige Gemeinden haben den Fehdehandschuh aufgenommen. So gibt es in Kalifornien beispielsweise den Gesetzesentwurf »Senate Bill  1169«, mit dem Soft Drinks komplett aus den Schulen verbannt werden sollen. Schon im Jahr 2008 erreichten der frühere Präsident Bill Clinton und der frühere Gouverneur von Arkansas Mike Huckabee eine Übereinkunft mit der Getränkeindustrie, um Soft Drinks aus den Schulen fernzuhalten – doch über eine Entfernung der Säfte und Sportgetränke wurde nicht verhandelt. 2012 zeigte eine Studie, dass in den zwölf US-Bundesstaaten, in denen Soft Drinks aus den Schulen verbannt worden waren, der Konsum zuckerhaltiger Getränke durch Jugendliche genauso hoch war wie zuvor.27

Steuern Steuern sind ein einfaches und effektives, wenn auch unpopuläres Mittel, um den Konsum beliebiger Produkte zu reduzieren. Die Besteuerung folgt den Regeln von Angebot und Nachfrage: Durch die Steuer steigt der Preis für die betreffende Substanz, sodass die Verbraucher sich weniger davon leisten können. Alkoholsteuern sind weltweit verbreitet, weil sie relativ günstig und leicht einzutreiben sind, während sie kaum Marktverwerfungen auslösen. Die Steuer auf Alkohol als besondere Verbrauchssteuer (Besteuerung des Produzenten) oder als Mehrwertsteuer (Besteuerung des Konsumenten) hat sich weltweit als besonders effektive Möglichkeit erwiesen, den Gesamtalkoholkonsum und infolgedessen auch die durch den Alkohol verursachten Schäden zu reduzieren.28 Könnte eine Besteuerung von Zucker helfen, das Adipositasproblem zu lösen?29 Das ist eines der brennendsten Themen auf der Tagesordnung. Wollen Sie in den Vereinigten Staaten ein Gespräch beenden? Dann sprechen Sie einfach die Besteuerung von Soft Drinks an. Soft Drinks sind nicht die einzigen gezuckerten Getränke – sie machen lediglich 33 Prozent des gesamten Zuckerzusatzes aus –, und sie sind nicht die einzige ­Ursache der Adipositasepidemie, sodass diese Strategie bestenfalls lückenhaft ist.30 Trotzdem haben zuckerhaltige Getränke mehrere Eigenschaften, die sie zum lohnenswertesten Ziel für die Prävention von Adipositas und metabolischem Syndrom machen31 (siehe Kapitel 9). 1. Gezuckerte

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Getränke bilden eine klar definierte Kategorie – im Gegensatz zu anderem »Junkfood«, das möglicherweise auch Eiweiß, Ballaststoffe oder Mikronährstoffe enthält. Es gibt in einem zuckerhaltigen Getränk nichts, das wertvoll ist. Oh, manch einer wird vielleicht argumentieren, dass Saft Vitamin C enthalte. Doch die Ballaststoffe waren der gute Bestandteil der Frucht, und Vitamin-C-Mangel (Skorbut) ist heutzutage so selten, dass es in medizinischen Fachzeitschriften erwähnt wird, wenn Skorbutfälle auftreten.32 2. Gezuckerte Getränke liefern mehr Kalorien als irgendeine andere Art von Nahrung oder Getränk. 3. Die Hinweise darauf, dass es eine Verbindung zwischen dem Konsum von zuckerhaltigen Getränken und Adipositas gibt, sind stärker als bei jeder anderen Lebensmittelart. Staatlich geförderte Verbrauchssteuern auf Soft Drinks reduzierten deren Verkauf und Konsum bei Kindern und Jugendlichen, während der Verbrauch von Vollmilch anstieg. (Ein Nachteil ist, dass der Konsum von Fruchtsaft ebenfalls anstieg.)33 Eine Maßnahme in der Cafeteria eines Krankenhauses zeigte, dass ein um 35 Prozent höherer Preis für Soft Drinks dazu führte, dass 26 Prozent weniger davon gekauft wurde.34 Die Besteuerung von Soft Drinks ist also eine umsetzbare Strategie zugunsten der öffentlichen Gesundheit.35 In Kanada gibt es bereits eine Waren- und Dienstleistungssteuer (Goods and Services Tax, GST), und einige Länder erheben eine Mehrwertsteuer auf bestimmte gesüßte Lebensmittel: Ungarn erhebt bereits seit 2011 eine Steuer auf Lebensmittel, die unter anderem zu viel Zucker enthalten, Frankreich führte 2012 eine Steuer auf zucker- und süßstoffhaltige Getränke ein, Mexiko startete Anfang 2014 damit. In den Vereinigten Staaten stieß die Idee einer Besteuerung von Soft Drinks auf entrüstete Gegenwehr – von den Libertaristen, welche die Freiheit der Verbraucher beschwören, ebenso wie von der US-amerikanischen Bürgerrechtsvereinigung (American Civil Liberties Union, ACLU), welche eine Diskriminierung der Armen beklagte, und von der Lebensmittelbranche, die von »wissenschaftlichem McCarthyismus« sprach. Die Getränkeindustrie steckt Millionen Dollar in die Lobbyarbeit gegen eine Besteuerung gezuckerter Getränke. Sie versucht so verzweifelt, eine solche Gesetzgebung zu blockieren, dass sie der Stadt Philadelphia zehn Millionen Dollar und einen Adipositaslehrstuhl am städtischen Kinder-

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krankenhaus geboten hat, wenn die Stadt bereit ist, die geplante Besteuerung der Soft Drinks nicht einzuführen. Dieses Angebot mag großzügig wirken, doch Philadelphia hätte mit 77 Millionen Dollar Einkünften innerhalb eines Jahres aufgrund dieser Steuer rechnen können, von denen 20 Millionen in die Adipositasprävention geflossen wären, wenn die Steuer eingeführt worden wäre. Geld ist Macht, und die Wissenschaft muss weichen.

Ungerechtfertigte Kritik?

Die Besteuerung von Soft Drinks ist zu Unrecht in die Kritik geraten – und dafür gibt es drei Hauptgründe. Erstens: Wie können Arme sich eine Steuer auf Soft Drinks leisten? Eine regressive Steuerlast benachteiligt Verbraucher mit einem niedrigen Einkommen.36 Die USA haben eine lange Tradition beim Schutz von Verbraucherrechten. Steuern, welche die Wahlmöglichkeiten des Einzelnen unfair einschränken, sind schon schlimm genug; wenn sie dann auch noch die Armen benachteiligen, sind sie zum Scheitern verurteilt. Das wirft die Frage auf: Kann eine regressive Steuerbelastung im Interesse der öffentlichen Gesundheit sein? He, sie wirkt bei Tabak und Alkohol. Natürlich kann sie – allerdings nur mit drei Vorsichtsmaßnahmen. Erstens: Regressive Steuern haben nur Sinn, wenn die besteuerte Substanz unverhältnismäßig viel gesundheitlichen Schaden bei den Armen verursacht. Und das gilt für alle süchtig machenden Substanzen einschließlich Tabak, Alkohol und Zucker. Denken Sie daran: Fruktose ist kein essenzieller Nährstoff, die Belastung durch das metabolische Syndrom ist bei Minderheiten mit einem niedrigen Einkommen am größten,37 und die aktuellen Produktivitätseinbußen sowie die zusätzlichen medizinischen Kosten, die mit dem metabolischen Syndrom verbunden sind, sprechen eindeutig für einen umfassenden Nutzen der Steuerzahler. Zweitens: Die Einnahmen aus der Steuer müssen in die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung mit einem niedrigeren Einkommen zurückfließen, um den regressiven Charakter der Steuer auszugleichen. Beim Zucker könnten die Steuereinnahmen für eine Subventionierung frischen Obsts und Gemüses verwendet werden. Sie könnten auch genutzt wer-

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den, um gewerbliche Kredit- und Entwicklungsprogramme für Lebensmittelläden und Bauernmärkte zu finanzieren, damit diese sich wieder in den unterversorgten Vierteln mit niedrigem Einkommen ansiedeln. Indem man das Steuergeld in Fördermittel für gesunde Produkte steckt, um diese für Verbraucher mit niedrigem Einkommen erschwinglich zu machen, können berechtige Zweifel aufgrund der regressiven Besteuerung und Bevormundung durch den Staat sogleich ausgeräumt werden. Jeder gewinnt dabei (mit Ausnahme der Getränkeindustrie). Drittens: Was ist der Zweck dieser Steuer? Adipositas zu verhindern oder für Adipositasprogramme zu zahlen? Es besteht die Angst, dass die Politiker das Geld zweckentfremden und es nutzen, um Haushaltslöcher zu stopfen oder Einschnitte in wichtigen Bereichen wie der öffentlichen Sicherheit und dem öffentlichen Personenverkehr zu vermeiden. Der USamerikanische Getränkeverband (American Beverage Association, ABA) ist der Ansicht, dass die gewählten Amtsträger zwar davon sprechen, dass sie Adipositas eindämmen wollen, aber eine Soft-Drink-Steuer eigentlich nutzen würden, um die öffentlichen Kassen zu füllen. Larry Young, Geschäftsführer von Dr. Pepper Snapple und Vorstandsvorsitzender des US-amerikanischen Getränkeverbands erklärte dem Investmentbankingund Wertpapierhandelsunternehmen Goldman Sachs: »Angeblich ist es für die Adipositasbekämpfung. Aber mal ehrlich, es soll die Haushaltslöcher stopfen.« Darüber sollte man sich wirklich Sorgen machen. Der aktuelle Vorschlag beläuft sich auf eine Steuer von einem Penny pro 30 Milliliter; das würde den Preis für eine 360-Milliliter-Dose um 0,12 Dollar steigern. Während dadurch Einnahmen in Höhe von rund 13 Milliarden Dollar entstünden,38 ist es unwahrscheinlich, dass es eine deutliche Auswirkung auf den Konsum gezuckerter Getränke und die mit dem metabolischen Syndrom verbundenen Krankheiten hätte. Statistische Modelle lassen eher davon ausgehen, dass der Preis doppelt so hoch sein müsste, um den Konsum von Soft Drinks zu reduzieren – eine Cola-Dose müsste also statt einem zwei Dollar kosten.39 Doch dazu ist niemand bereit … noch nicht. Doch man sollte den Leuten Zeit geben. In New York war auch niemand bereit, 11,90 Dollar für eine Schachtel Zigaretten zu bezahlen. Hohe Steuern sind erforderlich, um den Konsum süchtig machender Substanzen einzudämmen.

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Zugriffsbeschränkung Im Laufe dieses Buches bin ich immer wieder darauf zurückgekommen: Die Kontrolle des Umfelds ist wichtig. Nichts schränkt den Zuckerverzehr besser ein als eine Limitierung der Verfügbarkeit. Und das bedeutet eine Zugangsbeschränkung. Insbesondere für Kinder. Das hat beim Alkohol in hohem Maße geklappt. Warum nicht auch beim Zucker? Erfolgreiche Alkoholkontrollstrategien beschränken die Möglichkeiten des Erwerbs, zum Beispiel durch eine Begrenzung der Öffnungszeiten, durch die Kontrolle der Standorte und Standortdichte von Einzelhandelsmärkten sowie durch eine Beschränkung der Personen, die legal Alkohol kaufen dürfen.40 Eine sinnvolle Analogie beim Zucker würde die Zulassungsvoraussetzungen für Verkaufsautomaten, Kioske und Imbissbuden verschärfen, die zuckerhaltige Produkte in Schulen und an Arbeitsplätzen anbieten. Viele Schulen haben Soft Drinks aus ihren Verkaufsautomaten verbannt, ersetzen sie aber in der Regel durch Saft und Sportgetränke, die nicht besser sind. Eine Reduzierung der Anzahl und Dichte von Mini-Märkten, die Alkohol anbieten, bewirkt eine deutliche Einschränkung des Konsums, insbesondere in armen Stadtteilen.41 Außerdem könnten die Bundesstaaten für bestimmte Gebiete Anordnungen erlassen, um die Anzahl der Fastfoodeinrichtungen und Mini-Märkte in Gegenden mit einem niedrigen Einkommen sowie insbesondere in der Nähe von Schulen zu kontrollieren und zugleich die Ansiedlung von Lebensmittelläden und Bauernmärkten fördern. Solche Beschränkungen wären auch für Imbisswagen möglich, die außerhalb von Schulen während der Mittagszeit und nach Schulschluss in großer Zahl vertreten sind und speziell auf Kinder abzielen. Eine weitere Option bestünde darin, die Verkäufe in Läden während der Schulzeit zu beschränken, damit die Kinder auf dem Nachhauseweg keinen Soft Drink kaufen können. Man könnte erwarten, dass Kinder, die zu Fuß zur Schule gehen, einen niedrigeren BMI haben, da sie sich bewegen. Falsch. Meine Kollegin Kristine Madsen hat gezeigt, dass Kinder, die zur Schule laufen, einen höheren BMI haben, da sie zwischendurch anhalten, um Soft Drinks und Chips zu kaufen!42 Zu guter Letzt: Wie wäre es mit einer Altersgrenze (zum Beispiel 17 Jahre) für den Erwerb von Getränken mit Zuckerzusatz? Ja, ein Altersnachweis

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für Cola! Haben Sie damit ein Problem? Ladenbesitzer gehen bei Alkohol bereits so vor, und es würde keine Kosten verursachen, das auch bei zuckerhaltigen Getränken zu tun. Wenn Eltern wollen, dass ihre Kinder eine Limo bekommen, können sie eine für sie kaufen. Kürzlich haben Eltern in South Philadelphia das selbst in die Hand genommen: Sie stellten sich in Gruppen vor Mini-Märkten auf und hielten die Kinder davon ab, nach der Schule dort hineinzugehen.43 Warum sollte ein Erlass der Gesundheitsbehörden nicht dasselbe tun? Im Juni 2012 ließ sich Bürgermeister Michael Bloomberg nicht vom Essensmarkendebakel des Landwirtschaftsministeriums aus dem vorangegangenen Jahr beirren und machte einen mutigen Vorschlag, der große Soft Drinks aus seinem Einflussbereich New York City verbannen sollte. Die Folge: Liberalisten regten sich furchtbar darüber auf, dass Bloomberg die persönliche Freiheit einschränken wolle. Umweltschützer waren wütend, weil die Regelung mehr Plastikmüll bedeutete. Politiker argumentierten, dass sie schwer umzusetzen sei. Letztlich scheiterte der Vorschlag durch eine Entscheidung des höchsten Staatsgerichts. Doch auch wenn Bloomberg keinen Erfolg hatte, hat er auf jeden Fall eine laute und deutliche Botschaft gesendet: Die Volksgesundheit ist eine wichtige Angelegenheit und wert, das man dafür kämpft.

Weniger Subventionen? Oder weniger Deregulierung? Um den US-amerikanischen Haushalt auszugleichen, muss der Agrarbereich auf 23 Milliarden verzichten. Die Nutzpflanzensubventionen belaufen sich auf sechs Milliarden Dollar pro Jahr; davon werden 3,5 Milliarden Dollar für Mais ausgegeben und 1,6 Milliarden für Sojabohnen. Von Fördermitteln Gelder abzuzweigen, birgt jedoch Gefahren, insbesondere in unserer heutigen globalen Wirtschaft. Ein Ergebnis unserer Maissubventionierung ist die Produktion von Ethanol als Zusatzstoff für Benzin; doch Umweltschützer schimpfen seit Jahren über diese Praxis, da dadurch mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangt. Es gibt zwei Arten von Subventionen: Zahlungen an Landwirte, die lediglich erfolgen, wenn der Preis für das Erzeugnis niedrig ist (um zu ver-

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hindern, dass sie pleitegehen), und leistungsbasierte, vom Preis unabhängige Zahlungen an Landwirte. Im Laufe der fünf Jahre von 2006 bis 2011 war der Preis für Mais so hoch wie noch nie,44 doch die Maissubventionen wurden weiterhin unverändert gezahlt. Eine finanzielle Förderung des Konsums bestimmter Nahrungsmittel durch Zuschüsse ist eine hervorragende Möglichkeit, Wettbewerbsverzerrungen herbeizuführen. Wenn Angebot und Nachfrage wirken, sollte es durch eine Einstellung der Subventionen zu einem Preisanstieg kommen, sodass unsere Lebensmittel teurer werden. Ist das gut oder schlecht? Die Fürsprecher der Armen würden sofort laut protestieren. Iowa ebenfalls. Doch tatsächlich würden die Regierung und die Armen schon bei den Subventionszahlungen sparen, außerdem bei den Medizinkosten und durch eine verbesserte Produktivität. Ein Problem bei der Streichung der Subventionen besteht darin, dass es unwahrscheinlich ist, dass sich dadurch der Preis für Junkfood deutlich verändert. Da die arme Bevölkerung außerdem häufig nur einen begrenzten Zugang zu gesunden Alternativen hat, muss sie Junkfood kaufen, auch wenn sich die Preise dafür leicht erhöhen. Die Befürworter einer Besteuerung argumentieren, dass eine spezielle Verbrauchssteuer die Kosten an die Industrie weitergebe, die sich das problemlos leisten kann. Doch es stellt sich die Frage, ob die Industrie dadurch ihre Praktiken ändern ­würde. Ein anderer Gedankengang geht davon aus, dass es nicht die Subventionen sind, die zu einer Überproduktion führen, und dass die Überproduktion nicht die Ursache für Adipositas ist. Im Gegensatz zu anderen Industrien reagiert die Landwirtschaft nicht auf Preissignale, indem sie die Erntemenge reduziert, wenn die Preise niedrig sind.45 Die Produzenten reduzieren ihr Personal, nicht die Produktion. In einer Landwirtschaftspolitik, die bis in die Zeit von Präsident Roosevelts New Deal zurückreicht, bezahlte das US-Landwirtschaftsministerium die Landwirte dafür, bestimmte Nutzpflanzen nicht anzubauen, um eine Überproduktion zu verhindern. Um Bauernhöfe vor der Pleite zu bewahren, hat der Kongress vor Kurzem direkte Subventionszahlungen an Landwirte in Höhe von jährlich 20  Milliarden Dollar bewilligt, obgleich die Preise für alle Konsumgüter von 2006 bis 2011 gestiegen sind. Und kein Staat im Mitt-

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leren Westen wird gegen dieses schnelle Geld vorgehen. Wenn die Vereinigten Staaten alle Maßnahmen der Schutz- und Subventionspolitik einstellten, wirkte sich das nur bei sehr wenigen Nahrungsmitteln auf den Preis aus. Doch auf den Zucker hätte es einen Einfluss: Die Produktion ginge um 33 Prozent zurück (infolge einer Streichung der Maissubventionierung), und der Preis würde um 15 Prozent sinken (aufgrund des Verzichts auf Zuckerzölle).46 Worauf es ankommt, ist: Obwohl wir wegen der Zuckerzölle mehr für Zucker zahlen, konsumieren wir mehr aufgrund des Suchtpotenzials des Zuckers. Die üblichen Wirtschaftsprinzipien greifen bei Suchtmitteln nicht. Es gibt nur eine einzige Antwort, mit der Landwirte, Lebensmittelbranche und Bevölkerung leben können: eine alternative Subventionierung. Warum können wir statt Mais und Soja (lagerfähige landwirtschaftliche Erzeugnisse) nicht etwas Grünes subventionieren? Wir haben die Technologien, um das zu tun. Wenn Brokkoli und Karotten preiswerter sind als Kartoffelchips, kann Michael Pollans These über den Preis einer Kalorie zu jedermanns Nutzen verändert werden. Die Förderung ballaststoffreicher Lebensmittel durch die US-amerikanischen Ernährungsprogramme für Menschen mit niedrigem Einkommen (wie WIC, SNAP und NSLP) wäre ein naheliegender Ausgangspunkt. Darüber hinaus bedeutet ein Anbau grüner Nahrung einen Anbau in der Region. Dadurch verlören auch Zölle auf Importwaren an Bedeutung, denn es würden keine »Konsumgüter« mehr subventioniert, sondern echte Nahrung. Die Möglichkeit alternativer Subventionierung gilt auch für Wasser. In den Entwicklungsländern haben die Menschen drei Wahlmöglichkeiten: potenziell kontaminiertes Wasser zu trinken, ein Chlorungssystem für zu Hause anzuschaffen oder »sichere« zuckerhaltige Getränke zu kaufen, die vor Ort von Coca-Cola oder PepsiCo produziert worden sind. Wenn das Chlorungssystem kostenfrei ist, wird es von 80 Prozent der Bevölkerung genutzt. Doch wenn die Menschen dafür bezahlen müssen, trinken sie stattdessen die zuckerhaltigen Getränke, die auf lange Sicht teurer sind – sowohl hinsichtlich ihres Kaufpreises als auch in Bezug auf die medizinischen Folgekosten.47 Solange Trinkwasser nicht kostenfrei ist, werden die Menschen in den Entwicklungsländern weiterhin durch die Hand der Lebensmittelindustrie sterben.

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Wie Phönix aus der Asche … Alle diese Maßnahmen erfordern zwangsläufig ein neues Geschäftsmodell, das echte Nahrung der industriell verarbeiteten Nahrung vorzieht. Tatsächlich brauchen wir die Lebensmittelbranche – wir brauchen nur ihre aktuellen Waren nicht. Da ballaststoffreiche Nahrung nur begrenzt haltbar ist, müssten die entsprechenden Interventionen die regionale Lebensmittelproduktion und die Reduktion von Antibiotika und Pestiziden unterstützen; das hätte wiederum positive Auswirkungen hinsichtlich Erderwärmung und Umweltverschmutzung. Durch solche Eingriffe wäre es nötig, neue Landwirtschaftsflächen auszuweisen, die mit minimalem technologischem Aufwand zum Anbau echter Nahrung genutzt werden könnten. Das wiederum würde notwendigerweise neue Liefer- und Vertriebssysteme sowie neue Preisstrategien erfordern. Auch Veränderungen im Marketing, insbesondere für Kinder, wären nötig. So unangenehm es ist: Solche vorgeschalteten gesellschaftlichen Interventionen können nur mit Unterstützung der Regierung erreicht werden. Es führt kein Weg daran vorbei. Es wird nicht einfach sein, den Zuckerkonsum zu reduzieren – insbesondere auf den Schwellenmärkten der Entwicklungsländer, in denen Soft Drinks billiger sind als Milch oder Trinkwasser. Gesellschaftliche Interventionen sind erforderlich, um das Angebot und schließlich auch die Nachfrage nach Zucker einzuschränken. Trotz des offensichtlichen medizinischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzens steht uns eine harte politische Auseinandersetzung mit der mächtigen Lobby der Zucker- und Lebensmittelindustrie bevor – und ein Kampf gegen jene Mitglieder der Regierung, die bereits korrumpiert sind. Jede Veränderung wird ein aktives Engagement aller Beteiligten erfordern. Also auch von Ihnen. Insbesondere von Ihnen. Durch ausreichenden öffentlichen Protest werden bahnbrechende Änderungen der Politik möglich. Nehmen Sie zum Beispiel das öffentliche Rauchverbot, die Gesetze zum Fahren unter Alkoholeinfluss, Airbags in Autos und Kondomautomaten in öffentlichen Toiletten. Alles vor 30  Jahren noch undenkbar. Ihre Stimme hat die Welt verändert. Es kann eine neue Welt werden … zum wiederholten Mal.

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»Politik ist die Unterhaltungsabteilung der Industrie.« Frank Zappa

In den vorangegangenen Kapiteln habe ich versucht, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Adipositaspandemie mit der aktuellen Politik in Verbindung zu bringen. Ich hoffe, dass ich dabei einen neuen Denkprozess angeregt und durch meine Blicke zurück eine neue Richtung vorgegeben habe. Es ist klar, dass die wenigen, die die Adipositaspolitik zu ihren Gunsten beeinflussen, dies auf Kosten vieler tun. Das haben wir schon einmal erlebt – und zwar beim Tabak. Die Wissenschaft wurde jahrelang unterminiert, bevor Dokumente aus der Tabakindustrie die Korruption der Industrie aufdeckten. Die Industrie hat nicht nur ihre eigenen Erkenntnisse konsequent geheim gehalten, sondern – wie meine Kollegen Marcia Wertz und Stanton Glantz von der University of California in San Francisco herausfanden – sie erfand und manipulierte sogar Daten,1 und das ist in der Welt der Wissenschaft das schlimmste Vergehen überhaupt. Die Zeit für Gerichtsverfahren ist gekommen. Wie stellt ein Staatsanwalt strafbares Verhalten fest? Es gibt drei Komponenten für eine erfolgreiche Strafverfolgung. Die erste sind die Zusammenhänge, die zweite ist das Motiv, und ein eindeutiger Beweis ist dann der Volltreffer. Erinnern Sie sich an den Kampf gegen die mächtige Tabak-

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industrie. Die Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs reichen bis in das Jahr 1964 zurück, bis zum ersten Bericht des damaligen US-amerikanischen Sanitätsinspekteurs. Das Motiv wurde in den 1980er-Jahren klar, als Studien die Wirkungsweise von Nikotin auf das Suchtzentrum im Gehirn dokumentierten. Doch erst ein Informant wies schließlich den Weg zu den heute berühmten, eindeutigen Dokumenten, die belegen, wie kaltschnäuzig die Tabakindustrie ihre eigenen Kunden missachtet hat. Lässt sich das auf die mächtige Lebensmittelbranche übertragen? Der Zusammenhang zwischen unserem Nahrungsumfeld einerseits und Adipositas und metabolischem Syndrom andererseits ist unbestreitbar. Auch das Motiv ist klar. Die US-amerikanische Lebensmittelindustrie produziert 3.900 kcal pro Person und Tag, mit ungefähr 29 Prozent Abfall; doch wir sollten vernünftigerweise 1.800 bis 2.000 kcal zu uns nehmen. Wer isst den Rest? Wir! Im Laufe der Evolution konnten die Menschen immer nur eine bestimmte Menge essen, doch heute ist diese Menge unbegrenzt. Wie dieses Buch zeigt, liegt das daran, dass unsere zuckerreiche, ballaststoffarme, industrialisierte Ernährungsweise uns immer hungriger macht! Und wie steht es mit dem eindeutigen Beweis? Die Lebensmittelbranche und die Tabakindustrie sind identisch (Philip Morris = Altria = Kraft, General Foods, Jell-O und Post; RJR = Nabisco). Weiß die Lebensmittelbranche, was sie tut? Ist ihr bewusst, dass sie unsere evolutionäre Biochemie zu ihrem Vorteil und unserem Schaden ausnutzt? Möglicherweise werden wir nie den eindeutigen Beweis in Sachen Adipositas finden, denn die Industrie geht heute noch vorsichtiger mit ihren internen Dokumenten um. Doch wir haben bereits eine ganze Generation von Kindern verloren. Es wird Zeit, die Lebensmittelproduzenten unter Druck zu setzen. Wir müssen sie zwingen, die Veränderungen rückgängig zu machen, denen sie unsere Ernährung im Namen des »Fortschritts« und des »Profits« unterzogen haben. Angesichts dessen, was sie (und wir) heute wissen, wird der eindeutige Beweis von selbst sehr klar sichtbar sein, sofern sich nichts ändert. Doch es wird keine Gerichtsverfahren geben. Die mächtige Tabakindustrie wurde von einem Bundesrichter wegen illegaler Formen der Geschäftsführung im Rahmen organisierter Kriminalität verurteilt; und Manager von Tabakkonzernen verloren ihre Jobs, da sie vor dem Kongress

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gelogen hatten. Gegen sie wurde wegen Meineids ermittelt, doch keiner von ihnen kam je ins Gefängnis oder wurde auch nur zu einer Strafzahlung verurteilt. Enorm teure Vergleiche spülten Geld in die Regierungskassen der US-Bundesstaaten, brachten aber dem einzelnen Betroffenen nichts. Sind Sie noch immer nicht überzeugt? Ein anderes Beispiel: die Finanzkrise 2007. Die Geschäftsführer der beteiligten Finanzunternehmen hatten eindeutig Schuld, doch keiner wanderte ins Gefängnis. Die Regierung stellte 777 Milliarden Dollar zur Zahlung von Sicherheitsleistungen für Unternehmen bereit – aber nichts für die Bürger. Genauso wenig besteht irgendeine Chance, dass der Manager irgendeines Nahrungsmittelkonzerns jemals zur Verantwortung gezogen wird. Verdammt, was sie tun, ist legal! Noch schlimmer: Die Exekutive und die Legislative unserer Regierung stehen eindeutig hinter der Lebensmittelbranche. Das US-Agrargesetz subventioniert die Konsumgüter, die uns umbringen, und das Landwirtschaftsministerium unterstützt im In- und Ausland weiterhin die US-amerikanische Nahrungsmittelindustrie. Die Judikative ist noch nicht aktiv geworden – zum Teil, weil die Öffentlichkeit bislang nicht auf die Barrikaden gegangen ist, da sie noch immer glaubt, dass »eine Kalorie eine Kalorie ist« – bis jetzt. Nein, meine Freunde, dieses Problem wird nicht von oben nach unten gelöst. Es muss zu einer Bewegung von unten nach oben kommen. Sie können nicht erwarten, dass die Regierung das Richtige tun wird. Sie müssen sie zwingen, das Richtige zu tun – und das gilt nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern auch für Deutschland und alle anderen Länder auf der Welt. Erst wenn mehr Wählerstimmen als Dollars oder Euros auf dem Spiel stehen, werden die Gesetzgeber zu sich kommen. Doch das ist kein Grund, sich entmutigen zu lassen. In einer Demokratie hat das Volk die Macht. Ein gutes Beispiel dafür ist die Geschichte der Sicherheitsgurte in den Vereinigten Staaten. Heutzutage würden Sie gar nicht darüber nachdenken, sich hinters Steuer zu setzen, ohne sich anzuschnallen – doch das ist ein relativ neues Konzept. Obwohl seit 1968 in den USA die Pflicht bestand, Autos mit Gurten auszustatten, gab es keine Verpflichtung, diese zu benutzen. Das erste Gesetz zur Anschnallpflicht wurde 1970 in Australien erlassen. Wussten die Australier, dass es Leben retten würde, einen Sicherheitsgurt anzulegen? Nein. Das hatte zuvor noch niemand getan. Es

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schien einfach eine gute Maßnahme für die Volksgesundheit zu sein. Das Dreigestirn General Motors, Ford und Chrysler bekämpfte jahrelang die Sicherheitsgurtgesetze, und die Menschen starben weiterhin in den Autos. Erst als die Initiative »Mothers Against Drunk Driving« in allen Parlamentsgebäuden mächtig Stunk machte, trat die Gurtpflicht zwischen 1985 und 1993 in den einzelnen US-amerikanischen Bundesstaaten in Kraft. Bis heute gibt es in den Vereinigten Staaten 50 verschiedene Gesetze zur Gurtpflicht, jedoch kein einheitliches Bundesgesetz. Eine vom Volk ausgehende Initiative, die funktioniert hat. Und es gibt viele weitere Beispiele – die deutschen Raucherschutzgesetze beruhen ganz entscheidend auf Nichtraucherinitiativen und einzelnen Unternehmen, die in ihren Räumlichkeiten auf Wunsch ihrer Arbeitnehmer Rauchverbote umsetzten. Zudem wurden viele Änderungen im Warenangebot über eine »Abstimmung mit den Füßen« erreicht, in Deutschland aktuell unter anderem in Sachen aluminiumfreie Produkte. Der öffentliche Aufschrei ist eine einflussreiche Macht, um Veränderungen herbeizuführen. Und das kann auch bei Adipositas funktionieren. Ich bin stolz, im kalifornischen Walnut Creek Mitglied einer Interessenvertretung zu sein, die sich Wellness City Challenge nennt (www.wellness­ citychallenge.com) und von Cindy Gershen geleitet wird. Diese Frau ist eine echte Naturgewalt. Sie setzt sich für echte Nahrung im Kampf gegen Krankheiten und zur Förderung der Lebenszufriedenheit ein und hat fast im Alleingang das gesamte Bürgermeisteramt, die Handelskammer, das Bildungsministerium, Kaiser Permanente und andere Unternehmen der Gesundheitsfürsorge, den Restaurantverband, die örtlichen Safeway-Supermärkte sowie den Nahrungsmittelproduzenten Sysco mobilisiert: Jeder öffentliche Ort, an dem in den Städten Martinez und Concord Nahrung erhältlich ist, sollte ein Jahr lang eine komplett neue Produktpalette anbieten. Die Verkaufsmaschinen wurden mit Äpfeln und Orangen gefüllt, und nirgendwo war auch nur ein Soft Drink zu finden. Im Rahmen dieser Aktion lernten Schüler der Mount Diablo High School, mit echten Lebensmitteln zu kochen, und servierten den Lehrern entsprechende Frühstücke. Die Kinder konnten es kaum fassen, dass die Lehrer abnahmen und voll Freude zur Arbeit kamen. Und nun wollen sie selbst echte Nahrung statt das Zeug, das in den traditionellen Fastfoodrestaurants zu haben ist. Dieses Projekt

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hat viele Unterstützer (zum Beispiel die US-amerikanische Herzvereinigung) und es konnte die Aufmerksamkeit vieler Spender wecken, die das Potenzial dieser Botschaft erkannt haben. Hoffentlich erkennen Sie das Potenzial ebenfalls. Obwohl es in diesem Buch um wissenschaftliche und logische Erkenntnisse zur Adipositas geht und darum, wie man auf der Basis dieser Erkenntnisse dem Einzelnen und der Gesellschaft helfen kann, bin auch ich nur ein Mensch. Mir wird ganz schlecht, wenn ich darüber nachdenke, was da gerade mit uns, unserem Land, all den anderen Ländern, die unserem Beispiel folgen, und unserem Planeten geschieht. Dieses Buch ist mein Aufschrei, damit wir unseren Kindern eine bessere Welt hinterlassen. Es ist Zeit für einen Aufschrei – dann werden unsere Kinder vielleicht die Erde erben können.

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Ich bin zwar für alles verantwortlich, was in diesem Buch steht, kam aber nicht allein auf all seine Schlussfolgerungen. Es gab viele Mitarbeiter und Menschen, die ich erwähnen und bei denen ich mich bedanken möchte. Und sie verdienen eine tiefe Verneigung. Meine Reise in die Welt der Adipositas begann vor 16 Jahren im St. Jude Children’s Research Hospital in Memphis. Dort waren Tom Merchant, Melissa Hudson, Pam Hinds, Robbin and Mike Christensen, Shengjie Wu, Xiaoping Xiong, Bob Danish, Randi Schreiber, Susan Post, Susan Rose und George Burghen bei der Anfangsarbeit mit Kindern behilflich, die infolge von Hirntumoren an Adipositas litten. Außerdem bin ich Pedro VelasquezMieyer, Kathy Spencer, Beth Connelly, Ann Cashion, Cynthia Buffington und Judy Soberman von der University of Tennessee für unsere Anfangsbeobachtungen an Erwachsenen zu Dank verpflichtet. Ein Großteil der Arbeit und der Formulierungen in diesem Buch basiert auf meinen letzten elf Jahren an der University of California in San Franciso (USCF). Ich habe herausragende Kollegen im Bereich des Programms »Weight Assessment for Teen and Child Health«, zu denen Andrea Garber, Kristine Madsen, Patrika Tsai, Cam-Tu Tran, Luis Rodriguez, Joan Valente, Lisa Groesz, Hannah Thompson, Michael Gonzaga, Maria Martin, Diane Luce, Meghan Gould, Frank Brodie, Rachel Lipman, Kelly Jordan und Sally Elliott zählen. Sie erledigen den Hauptteil der Arbeit und sorgen dafür, dass ich stets brav bleibe. Meine Kollegen, die sich mit Stress und Suchtverhalten im Center for Obesity Assessment, Study and Treatment (COAST) beschäftigen, sind Elissa Epel, Barbara Laraia, Nancy Adler, Rick Hecht, Peter Bacchetti, Nancy Hills, Janet Tomiyama, Laurel Mellin, Naomi Stotland und Mel Heyman. Unsere Fruktosearbeit geht auf eine gemeinschaftliche

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Anstrengung der UCSF (Kathy Mulligan, Sue Noworolski, Viva Tai und Mike Wen) und der Touro University (Jean-Marc Schwarz und Alejandro Gugliucci) zurück. An der University of California in Berkeley möchte ich mich bei den Mitgliedern des Center for Weight and Health (CWH) bedanken, namentlich bei Pat Crawford, Lorene Ritchie, Gail Woodward-Lopez, Sharon Fleming, Joanne Ikeda, George Brooks, Aarthi Raman und Sushma Sharma. Außerdem gilt mein Dank dem UC Berkeley Center for Environmental Research and Children’s Health (CERCH) mit Brenda Eskenazi, Kim Harley, Asa Bradman und Nina Holland. Zu unserem chirurgischen Team gehören Diana Farmer, Shinjiro Hirose, Marco Patti, Bill Aldrich und John Kral sowie an der University of Rochester Thad Boss (verstorben) und Jeff Peters. Auch im Bereich der Grundlagenwissenschaft an der USCF habe ich hervorragende Adipositaskollegen, insbesondere Holly Ingraham, Christian Vaisse, Lynda Frassetto, Allison Xu, Eric Verdin, Bob Farese, Suneil Koliwad, Kaveh Ashrafi und Larry Tecott, die mir so viel beigebracht haben. Eine besondere Erwähnung verdienen Stan Glantz und Neal Benowitz vom Center for Tobacco Research. In unserer Interessengemeinschaft arbeiten die Köchin Cindy Gershen, Julie Kaufmann von der US-amerikanischen Herzvereinigung, Andrea Bloom von ConnectWell und Tim Luedtke von Navigator Benefit Solutions, LLC. Unsere Politikarbeit wird von Laura Schmidt und Claire Brindis am Philip R. Lee Institute for Health Policy Studies an der UCSF erledigt sowie von Sanjay Basu vom Stanford Prevention Institute, von Jennifer Pomeranz in Yale und auf internationaler Ebene von Ricardo Uauy, Carlos Monteiro, Juan Rivera, Simon Barquera und Philip James. Außerdem möchte ich mehreren anderen Forschern im Bereich der Pädiatrie auf der ganzen Welt für ihre Hilfe und Kameradschaft danken, mit der wir alle uns gegen die Adipositaswelle stemmen. David Ludwig (Ending the Food Fight), Fran Kaufman (Diabesity), Miriam Vos (The No-Diet Obesity Solution for Kids) und Peter Gluckman (Fat, Fate, and Disease) haben bereits mit Büchern für die breite Öffentlichkeit den Kampf aufgenommen. Ein besonderer Dank geht auch an Jack Yanovski, Sonia Caprio, Dennis Styne, Silva Arslanian, Mike Freemark, Jeff Schwimmer, Dick Jackson, Ram Weiss, Martin Wabitsch, Hermann Müller, Christian Roth, Felix Kreier, Franco Chiarelli, Takehiko Ohzeki und Ze’ev Hochberg. Erwähnen möch-

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te ich auch Kevin Boyd aus Chicago, den Kinderzahnarzt und weltweit ersten Paläozahnarzt. Ein Dankeschön geht außerdem an Bruce McEwen und Rudy Leibel. Und an Gary Taubes dafür, dass er für gute Begründungen gesorgt hat. Darüber hinaus bedanke ich mich bei zwei Nichtmedizinern, die ich nie getroffen habe und die das alles selbst und ohne Hilfe herausgefunden haben: David Gillespie, ein Rechtsanwalt aus Brisbane (Australien), und Nicholas Krilanovich, ein Elektroingenieur im Ruhestand aus Seattle. Sie verdienen große Anerkennung dafür, dass sie ihre Botschaft verbreiten und im Alleingang handeln. Insbesondere möchte ich einer unglaublich talentierten und enthusiastischen Gruppe von Studenten, Postdoktoranden und Schützlingen Dank sagen für all ihre harte Arbeit, Beiträge und wissenschaftlichen Abhandlungen, für ihre Verbundenheit, dafür, dass sie mich ertragen und dafür gesorgt haben, dass ich einen guten Eindruck mache. Ein Kompliment geht auch an die Doktoranden Renee Matos, Jessica Myers, Emily King, Jason Langheier, Annie Valente, Marcia Wertz und Paula Yoffe sowie an meine Adipositas-Postdoktoranden Chaluntorn Preeyasombat, Elvira Isganaitis, Clement Cheung, Drew Bremer, Stephanie Nguyen, Carolyn Jasik, Ivy Aslan, Lisa Goldman Rosas, Anjali Jain und Emily Perito. Zum jungen Kollegium zählen Jyu-Lin Chen, Anisha Patel und Janet Wojcicki sowie einige nicht mehr ganz so junge Gastprofessoren: Anastasia Hadjiyannakis (Kanada), Young Eun Choi (Korea), Jung Sub Lim (Korea) und Xiaonan Li (China). Dieses Buch ist in der Tat die geniale Idee meiner Agentin Janis Don­ naud. Sie hat mich entdeckt und überzeugt, dass meine Stimme etwas Besonderes ist, dass das Buch notwendig ist und dass die Welt es braucht. Agenten interessieren sich in der Regel für das Produkt und das Geld. Janis nicht. Sie ist eine Denkerin, eine Visionärin. Dieses Buch ist das Ergebnis einer dreijährigen Achterbahnfahrt. Janis zog sie mutig mit mir durch und behielt immer das Ziel im Blick. Und ich möchte mich bei meiner Verlegerin Caroline Sutton dafür bedanken, dass sie gesehen hat, was andere nicht sehen konnten. Außerdem bedanke ich mich bei Marcia und Mark Elias sowie bei Doris Levin für ihre Kritik am ersten Entwurf dieses Buches, bei Bob Hunt für historische Beiträge, bei Matt Chamberlain für sein Geschick im Umgang mit Computern und bei Glenn Randle für sein grafisches Genie.

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Doch am wichtigsten ist mein Dank an meine verschiedenen Familien. Erstens meine biologische Familie – meine Frau Julie, meine Töchter Miriam und Meredith, meine Eltern Judy und Dick und meine Schwester Carole. Davon abgesehen, dass ich ihnen mein gesamtes Wissen über Genetik verdanke, standen sie alle an meiner Seite und schenkten mir ihre Liebe, insbesondere als ich dieses Buch neben meiner eigentlichen Arbeit schrieb. Es mag banal klingen, dass ich es ohne sie nicht geschafft hätte, aber tatsächlich waren und sind sie immer meine Inspiration. Und ich muss mich bei meiner Adoptivfamilie bedanken – bei meinen Kollegen an der University of California in San Francisco im Bereich der pädiatrischen Endokrinologie, der produktivsten wissenschaftlichen Abteilung mit den wenigsten Leuten im ganzen Land. Mel Grumbach, Felix Conte, Selna Kaplan (verstorben), Steve Gitelman, Steve Rosenthal und Saleh Adi sind wirklich meine Familie – eine gestörte zwar, aber trotzdem eine Familie. Und zu guter Letzt gilt mein ganz besonderer Dank den drei klügsten, logischsten, wissenschaftlichsten, fairsten, fürsorglichsten und liebevollsten Menschen im Bereich der Wissenschaft, die ich das Glück habe, meine Freunde zu nennen. Wenn auch nur einer von ihnen gefehlt hätte, hätte ich schon lange aufgegeben. Erstens: Mein Abteilungsleiter an der UCSF, Walter Miller, ein hervorragender Wissenschaftler und Arzt mit einem beeindruckenden Verstand, der mit gutem Beispiel vorangeht, immer hilfsbereit und zur Stelle ist, wenn es darum geht, Kritik zu üben und Politik zu analysieren. Zweitens: Howard Federoff, der leitende Dekan des Georgetown University Medical Center, der vielleicht vollkommenste Mensch, der je gelebt hat. Howard ist das ultimative Vorbild, dem man in jeder Hinsicht nacheifern möchte. Mit Howard über Wissenschaft zu sprechen, ist gleichbedeutend mit einer religiösen Erweckung. Howard hat nie aufgehört, an mich zu glauben, sogar wenn ich selbst nicht an mich glaubte. Sein Freund zu sein, ist einer der erfreulichsten Aspekte meines Lebens. Und drittens: meine wissenschaftliche Seelenverwandte Michele Mietus-Snyder. Ich bin sicher, wenn sie Sie fragen würde, bekämen Sie zur Antwort, dass ich ihr mehr beigebracht habe als sie mir – doch glauben Sie ihr nicht. Ich bezweifle ernsthaft, dass dieses Buch ohne ihren wissenschaftlichen Scharfsinn, ihr kritisches Denken und ihre aufrichtige, altruistische Güte jemals Gestalt angenommen hätte. Ich liebe euch alle.

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Literaturverzeichnis ––––––––––––––––––––l––––––––––––––––––––

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Kapitel 2 1. S. L. Gortmaker et al., »Changing the Future of Obesity Science, Policy, and Action«, Lancet 378 (2011): 838–47. 2. R. Padwal et al., »Long-Term Pharmacotherapy for Obesity and Overweight«, Cochrane Database Syst. Rev., Art. No.: CD004094: DOI: 10.1002/14651858 (2004), PMID: 15266516. 3. C. B. Newgard et al., »A Branched-Chain Amino Acid-Related Metabolic Signature That Differentiates Obese and Lean Humans and Contributes to Insulin Resistance«, Cell Metab. 9 (2009): 311–26. 4. P. Chanmugam et al., »Did Fat Intake in the United States Really Decline Between 1989–1991 and 1994–1996?«, J. Am. Diet. Assoc. 103 (2003): 867–72.

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Literaturverzeichnis

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43. M. Moss, »Philadelphia School Battles Students’ Bad Eating Habits, on Campus and Off«, New York Times March 27, 2011, www.nytimes.com/2011/03/28/us/28food.html?_r=3&pagewanted=2. 44. Wikinvest. Corn. http://www.wikinvest.com/commodity/Corn. 45. J. M. Alston et al., »Farm Subsidies and Obesity in the United States«, University of California, Berkeley, 2007, giannini.ucop.edu/media/are-update/files/articles/v11n2_1.pdf. 46. Food and Water Watch et al., »Do Farm Subsidies Cause Obesity? Dispelling Common Myths About Public Health and the Farm Bill«, Robert Wood Johnson Foundation, 2011, www.food­ andwaterwatch.org/tools-and-resources/do-farmsubsidies-cause-obesity/. 47. Interview with Ted Miguel, economist at University of California–Berkeley, www.gatesfoundation.org/global-development/Pages/ted-miguel-interviewwater-sanitation-hygiene.aspx.

Epilog 1. M. S. Wertz et al., »The Toxic Effects of Cigarette Additives, Philip Morris’ Project Mix Reconsidered: An Analysis of Documents Released Through Litigation«, PLoS Med. (December 8, 2011): e1001145.

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Adipositas: Übermäßige Einlagerung von Körperfett. Alanin-Aminotransferase (ALAT, ALT): Enzym, das sehr sensitiv auf die Menge an Fett in der Leber reagiert und dessen Aktivität (Bluttest) Auskunft über die Leberfunktion gibt. Amygdala: Mandelkern. Der Bereich im Gehirn, der die Gefühle Angst und Stress auslöst und den Körper veranlasst, zusätzliches Cortisol zu produzieren. Bauchfett: Das Fett rund um die Organe im Bauch; stellt einen Risikofaktor für Diabetes, Herzerkrankungen sowie Schlaganfall dar und gehört zu den kennzeichnenden Faktoren des metabolischen Syndroms. Cortisol: Stresshormon, fördert die Glukosebildung in der Leber, was auf Dauer zu erhöhtem Bauchfett führt. Dopamin: Ein Neurotransmitter, der ein Belohnungsgefühl erzeugen kann, wenn er ausgeschüttet wird (Glückshormon). Bei chronischer Ausschüttung reduziert sich die Wirkung, was zu Toleranz führt. Dopamin-D2-Rezeptor: »Empfangseinheit« für Dopamin, an der Dopamin gebunden wird, sodass ein Belohnungssignal entsteht. Wenn die Anzahl der Rezeptoren abnimmt, führt das zu Toleranz. Endocannabinoid: Ein Neurotransmitter, der sich an Rezeptoren im Gehirn bindet, wie Marihuana wirkt und das Belohnungsgefühl steuert.

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Enteral: Über den Mund bzw. den Darm in den Körper gelangend. Epigenetik: Veränderungen der DNA ohne eigentliche Veränderungen der genetischen Sequenz, sondern durch »An- und Abschalten« vorhandener Gene; in der Regel vor der Geburt stattfindend. Fetale Programmierung: Veränderungen im Gehirn oder in Körperfunktionen eines Fetus aufgrund von Veränderungen des Umfelds, die vor der Geburt stattfinden. Ghrelin: Ein Hormon, das vom Magen produziert wird und ein Hunger­ signal an den Hypothalamus übermittelt. Hypothalamus: Der Bereich im unteren Teil des Gehirns, der die Hormon­ ausschüttung verschiedener Drüsen kontrolliert. Insulin: Das Hormon, das die Leber zur Einlagerung von Glykogen und die Fettzellen zur Speicherung von Energie veranlasst. Außerdem beeinträchtigt es das Leptinsignal, um die Nahrungsaufnahme zu steigern. Insulinausschüttung: Vorgang, bei dem Insulin als Reaktion auf einen steigenden Blutzuckerspiegel und auf die Signale des Vagusnervs freigesetzt wird. Insulinresistenz: Zustand, bei dem die Insulin-Signalübertragung eingeschränkt ist, sodass die Betazellen der Bauchspeicheldrüse mehr Insulin produzieren müssen. Leptin: Ein Hormon, das von den Fettzellen freigesetzt wird und über den Blutkreislauf zum Hypothalamus gelangt, wo es über periphere Energiespeicher »berichtet«. Leptinresistenz: Zustand, bei dem die Leptin-Signalübertragung eingeschränkt ist, sodass der Hypothalamus von Hunger ausgeht. Maillard-Reaktion: Das Binden eines Einfachzuckers (Glukose oder Fruktose) an ein Protein, sodass das Protein weniger flexibel wird und reaktive Sauerstoffspezies entstehen.

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Metabolisches Syndrom: Eine Anhäufung chronischer Stoffwechselkrankheiten durch eine Überlastung der Mitochondrien. Mikronährstoffe: Vitamine oder Mineralstoffe, die in echter Nahrung vorkommen und bei der Entfernung der Ballaststoffe in der Regel mit entfernt werden. Mitochondrien: »Zellkraftwerke«. Bereiche innerhalb der Zelle, die entweder Fett oder Kohlenhydrate verbrennen, um Energie zu produzieren. Neurotransmitter: Botenstoffe im Gehirn, die in Nervenzellen produziert werden. Wenn sie freigesetzt werden, bewirkt das eine Reaktion anderer Nervenzellen. Nucleus accumbens (NA): Der Bereich des Gehirns, der das Dopamin­ signal empfängt und als Belohnung interpretiert. Obesogen: Bezeichnet die Eigenschaft von Stoffen, welche die Menge des eingelagerten Fetts steigern, und zwar in einem größeren Ausmaß, als Kalorien verbrannt werden. Octreotid: Ein Medikament, das die Produktion vieler Hormone im Körper unterdrückt, insbesondere von Wachstumsfaktoren und Insulin. Östrogen: Weibliches Sexualhormon, entweder in den Eierstöcken oder im Fettgewebe produziert. Parenteral: Unter Umgehung des Magen-Darm-Trakts, also über eine Injektion oder Infusion in den Körper gelangend. Peptid YY (PPY): Ein Hormon, das im Dünndarm produziert wird, wenn Nahrung dort ankommt, und das dem Hypothalamus Sättigung signalisiert. Peroxisom: Ein Bereich der Zelle, der Antioxidanzien enthält, um reaktive Sauerstoffspezies zu entgiften. Reaktive Sauerstoffspezies: Formen von Sauerstoff, die während des Zellstoffwechsels entstehen und Schäden an Proteinen oder Lipiden hervorru-

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fen können, was infolgedessen zu einer Funktionsstörung der Zelle oder zu deren Tod führen kann, wenn keine Antioxidanzien zum Entgiften vorhanden sind. Sättigung: Das Gefühl, satt zu sein, an den Hypothalamus übermittelt durch das Hormon PYY. Sympathisches Nervensystem: Der Teil des vegetativen Nervensystems, der unter anderem die Herzfrequenz sowie den Blutdruck ansteigen lässt und die Energieverbrennung ankurbelt. Toleranz: Vermindertes Ansprechen auf bestimmte Signale. Bei Dopamintoleranz kann das Belohnungssignal nur durch einen erhöhten Konsum der entsprechenden Substanz hervorgerufen werden (im Falle von Adipositas leckeres Essen). Typ-1-Diabetes: Krankheit mit einem hohen Blutzuckerspiegel infolge eines Insulinmangels durch Zerstörung der Betazellen in der Bauchspeicheldrüse. Typ-2-Diabetes: Krankheit mit einem hohen Blutzuckerspiegel infolge einer mangelnden Insulinwirkung auf Gewebe. Unterhautfettgewebe: Im Gegensatz zum Bauchfett das Fettgewebe, in dem zusätzliche Energie eingelagert wird. Es muss kein erhöhtes Risiko für das metabolische Syndrom darstellen. Vagusnerv: Wichtiger Nerv des vegetativen Nervensystems, der unter anderem an der Regulation der Nahrungsverdauung, -resorption und Energiespeicherung beteiligt ist. Vegetatives Nervensystem: Der Teil des Nervensystems, der die unbewussten Körperfunktionen kontrolliert. Das sympathische Nervensystem kontrolliert Herzschlag, Blutdruck und Körpertemperatur, während das parasympathische Nervensystem Essen, Verdauung und Resorption steuert; beide zusammen kontrollieren das Energiegleichgewicht.

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Ventrales tegmentales Areal (VTA): Der Bereich des Gehirns, der dem Nucleus accumbens Belohnung signalisiert, dass er den Neurotransmitter Dopamin freisetzen soll, sodass es zu einem Belohnungsgefühl kommt. Ventromedialer Hypothalamus (VMH): Der Bereich des Hypothalamus, der Hormoninformationen vom Körper empfängt, um das Energiegleichgewicht des Körpers zu regulieren.

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Index A Acanthosis nigricans 122 Adenovirus 208 f., 358 Adipositas −− Auslöser, siehe Gewichtskontrollprobleme −− als Epidemie, siehe Adipositasepidemie −− Begleiterkrankungen 19, 279 f., 283 −− bei Tieren in Gefangenschaft 48 −− dick und fit 189 −− und Fernsehwerbung 167, 328 −− und Kinder, siehe Adipositas bei Kindern −− und Lebenserwartung 22 f., 118 f., 280 −− und Lebensqualität 24, 43, 69, 71, 82, 89, 94, 186, 266, 282 −− und Unglücklichsein 81 Adipositas bei Kindern 20, 43, 50, 122, 183, 202, 205, 207, 223, 300 −− und Adenovirus 209 −− Adipositaschirurgie 283 −− Adipositas-Management, siehe Adipositasmanagement −− Babys 20, 42 ff., 51, 109 f., 205, 210 −− Hypothalamisches Syndrom 54, 65–68, 92 −− Insulinresistenz 109 f. −− Lebenserwartung 280 −− zuckerabhängige Eltern 262, 266 −− und Mittagessen in der Schule 271, 305 Adipositaschirurgie 110 −− Vorteile 279–282 −− bei Kindern 104, 280, 283 −− Methoden 281 f. −− erneute Gewichtszunahme 281 Adipositasepidemie −− adipöseste US-amerikanische Städte 74 −− Ansicht der Krankenversicherungen 20 −− Ansicht der Mediziner 320 −− Ansicht von Fettaktivisten 34 −− globale Dimensionen, siehe Pandemie −− Industrie-Profiteure 265, 294

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−− ökonomische Kosten 20 f., 31, 34, 72, 129, 281 f., 294 ff., 322, 332, 337 −− politische Faktoren, siehe US-Regierung, Gesundheitswesen −− Reaktion der Lebensmittelbranche Lebensmittelbranche 15, 35, 147, 214 ff., 218–221, 223–227, 240, 242 ff., 249, 258, 292 ff., 296, 300, 302, 305 ff., 309, 311, 316 f., 327 f., 331, 337 f., 340 f. −− Schuld 11, 13, 20, 28, 30, 44, 47, 51 f., 151, 163, 182 −− US-amerikanische Ernährungsrichtlinien 25, 37 f., 150 −− verfrühte Pubertät bei Mädchen 202 Adipositasmanagement −− Adipositaschirurgie 104, 110, 279–283 −− beliebte Diäten, siehe Diäten −− Citratzyklus beschleunigen 187 −− Cortisol reduzieren 187, 269 f. −− echte versus industriell verarbeitete Nahrung 198 ff., 261 −− Frühstück mit Eiweiß 183 f., 267 −− individuelle Herangehensweise 124 −− Insulinspiegel senken 114, 265 f. −− Kontrolle über zweite Portion 78, 175, 262, 268 f. −− Leptinresistenz verbessern 265, 268 −− medikamentöse Therapie 241, 277, 283 −− und Ballaststoffe 167 ff., 172 f., 175, 242, 251 −− Muskeln aufbauen 118, 133, 184, 185 −− und Restaurants 50, 74, 79 f., 87, 132, 143, 151, 231, 258–261, 288, 291, 297, 304, 325, 342, 351, 361, 363 −− Zucker einschränken 266 −− Zuckerreduktion bei Backwaren und Desserts 217, 324 Affenstudien 98 f., 208 Afroamerikaner 49, 115, 117, 263 −− BMI und Gesundheitsprobleme 117, 121, 263

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−− Körpergewicht und kulturell bedingte Einstellungen 116 −− Stress und Gesundheit 95 −− und Adipositas 49, 116, 202 −− und Demenz 161 −− und Fettleber 49, 192 −− und metabolisches Syndrom 49 Alanin-Amintransferase 275, 366 Alkohol 11, 75, 77, 79, 83, 88, 90, 130, 133 f., 155, 157 f., 161 f., 164, 191, 237, 320, 322–325, 327, 329 f., 332, 334 f., 338 −− Ähnlichkeiten Alkohol–Zucker 88, 162, 320, 323 f. −− Aussagen der UN über Alkohol 319 −− Giftigkeit 161 f., 321 −− Kontrolle als Problem der öffentlichen Gesundheitsvorsorge 289, 291 f., 295, 334 −− und metabolisches Syndrom 133 f. −− Verstoffwechselung von Alkohol 130, 162, 323 −− Rotwein und seine Vorzüge 133, 161 Allesfresser-Ernährung 138–151 −− aus evolutionärer Sicht 138 –142 −− und metabolisches Snydrom 142, 145, 151 −− Zucker als Problem 153 Alley, Kirstie 44 f. Alli 278 Ames, Bruce 193 Aminosäuren 40 −− und Stoffwechsel 40, 56 f., 130 −− verzweigtkettige Aminosäuren 40, 133 Amygdala 96, 270, 274, 366 Angell, Dr. Marcia 115 f. Angst und Entzug 80 Anorexie 59, 61 Antiangiogenese 114 Antidepressiva 55 Antidiabetika 113, 134 Antioxidanzien 131, 157, 192, 194 f., 197, 199, 236, 357, 359, 368 f. Apfelform 121 Armut, Arme 21, 43, 47 ff., 95, 115 f., 155, 163, 237, 239, 258, 299, 304 f., 331 f., 334, 336 −− Gesundheitszustand 95, 304, 332 −− Nachteile von Ernährungsprogrammen 18, 36 −− Mangelnder Zugang zu frischen Lebensmitteln 49 f., 95, 271, 288, 293, 336 Ashe, Arthur 179 Asiaten, BMI und Gesundheitsprobleme 117 Atkins, Dr. Robert 11, 140, 150 −− Diät/Pro und Kontra 152, 156, 234 f., 359 f.

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Index

Atrazin 206 Ausdauertraining 188 B Babys 98, 134, 205, 270, 299 −− adipöse Babys 20, 42, 51, 109, 110, 210, 299 −− Auswirkungen einer Gewichtszunahme der Mutter 108 −− Diabetesrisiko 20, 110 −− Einfluss der Entwicklungsprogrammierung 109 −− LGA-Babys und Adipositasrisiko 110 −− Obesogene in Babynahrung 210 −− sehr kleine Babys (SGA) und zukünftige Adipositas 111 −− Zucker in Babynahrung 247 Backen mit weniger Zucker 217 Ballaststoffe 56, 142, 150, 157, 166–173, 193, 222 f., 233 f., 236, 239 –242, 246, 249–253, 260. 266 ff., 312 ff., 325, 331 −− in Früchten 155, 168 −− gesundheitlicher Nutzen 173 ff., 197, 239, 269 −− aus Fastfood entfernt 83, 169 f., 199, 215 f., 218 f., 221 f., 233, 235, 271, 313, 368 −− Verstoffwechselung 56, 135, 168, 170, 173 ff., 177, 269 −− in Vollkorngetreide 168, 170, 236 f., 239, 253 −− wasserlösliche und wasserunlösliche 169 f., 172–177 −− und Gewichtskontrollle 175 ff. Barker, David 109, 352 Basu, Sanjay 163, 345 Bauchfett 24, 118, 366 −− und Alkohol 196 −− aus evolutionärer Sicht 100 f. −− und Insulinresistenz 119, 160 −− messen 120 f., 274 −− negative Auswirkungen auf die Gesundheit 118 ff., 157, 162, 190 −− Orte der Fettablagerung 118 f., 123, 128, 162, 185, 244, 277, 366 −− und Stress/Cortisol 94, 100 f., 207, 265, 269, 366 −− Verlust und Diäten 120, 123 f., 185, 196 Bauchspeicheldrüse, übermäßige Insulinproduktion 56 f., 59–63, 66 f., 110, 112 f., 128 f., 131, 138, 160, 173, 240 f., 244, 266, 276, 367, 369 Behörde für Lebensmittelsicherheit und Arzneimittelzulassung in den USA (FDA) 75, 171, 200, 220, 223, 243, 245, 278, 290, 300 f., 307, 311, 315 f., 328, 362

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−− über Zuckerzusatz auf Lebensmitteletiketten 223 −− Sicherheitskriterien für Medikamente und Zucker 243, 245, 278, 315 −− Maulkorbgesetzesvorschlag 307 −− Lebensmittelkennzeichnungsverordnung, 311, siehe auch Lebensmitteletiketten −− und Adipositasmedikamente 75, 278 −− Zucker als generell sicher eingestuft 300 f., 315 −− Kriterien für Vollkorn 171 −− Ernährungspyramide 37 f., 142, 299, 314 Bell, Dr. Jimmy 120 Belohnungssystem und Sucht 75 f., 78, 98 f., 101, 158, 164, 300, 321 Benjamin, Dr. Regina 36, 115 f., 121 Bewegung/Sport 10–13, 22, 31, 28, 51,66, 68, 104, 112 f., 121, 123, 135, 178 f., 185, 190, 202, 209, 212, 221, 225, 264, 268, 270 f., 280, 288, 307, 311 −− Biochemie 182, 186 f. −− Energieverbrauch 39, 44, 71, 181, 184 −− und gesundheitliche Verbesserungen 135, 178 f., 185–189 −− übertriebenen Sport vermeiden 188 f. −− Mythos Gewichtsverlust 44 f., 179 ff. −− Nutzen für die Muskeln 117, 184, 186, 267, 270 −− Stress- und Cortisolreduzierung 187, 269 f. −− vorteilhafte Sportarten 188 Bevormundungsstaat 286f, 292 f.;siehe auch Gesundheitswesen Biggest Loser (Fernsehsendung) 19, 44 ff., 181 Biochemie 11, 14, 22, 23 ff., 52, 114, 144, 150, 182, 186, 198, 211, 240, 265, 340 −− und Gewichtszunahme; auch Cortisol, Ghrelin, Insulin, Insulinresistenz, Leptin, Leptinresistenz −− und Verhalten 52, 55, 65, 68, 71 f., 101, 180 f., 230, 263, 326 Bisphenol- A (BPA) 205, 210, 358 Blutfette 132, 146; siehe auch LDL, erhöhte Triglyzeride bei metabolischem Snydrom, Lipidprofil Bloomberg, Michael 132, 304 ,307, 335 −− Kampagne gegen zuckerhaltige Getränke 304 −− Verbot von Transfetten 132, 307 Bluthochdruck 42, 73, 84, 94, 96, 104, 119, 127 ff., 133 f., 152, 160, 187, 196, 238, 321, 369 −− und metabolisches Syndrom 19, 126 f., 321 −− Vorteile von Bewegung 187 BMI (Body-Mass-Index) 46, 81, 104, 167, 185, 202, 205, 208 f., 262, 334, 353

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−− als unzuverlässiger Gesundheitsparameter 118, 120 f., 185 −− hoher BMI und Schlafmangel 98 −− und Langlebigkeit 118 −− und metabolisches Syndrom 98 −− Übergewicht, Veränderungen im Laufe der Zeit 98 −− und Übergewicht 98, 118, 126, 190, 202 −− Unterschiede zwischen den Ethnien 117, 121 Braverman, Dr. Eric 120 Brenztraubensäure 130 Brindis, Claire 320, 345 Brown, Michael 146, 354 Brownell, Kelly 12, 362, 364 Brustentwicklung, verfrüht bei Mädchen 201–204 Bundeshandelskommission der USA (FTC) 308, 328, 362 −− gegen irreführende Zuckerwerbung 309 f. Bush, George H. W. 304 Bush, George W. 212, 303, 328 Butz, Earl (Rusty) 214 C Carmona, Richard 36 Carson, Rachel 204 Cashmore, Anthony 52, 349 Cheesburger-Gesetz 306 ff. Children’s Food and Bevereage Advertising Initiative (CFBAI) 328 Chlorkohlenwassestoffe 206 Cholesterin 42, 84, 126 f., 144, 149, 161, 174, 220, 237 f., 275; siehe auch LDL −− Funktionen 174 Chopin, Eric 45 Citratzyklus 131, 173, 187 −− Nutzen von Bewegung 187 Clinton, Bill 330 Coca-Cola 87, 191, 313 −− Aktienkurs 293 f. −− Konzern 225, 242, 290, 293, 33 −− Reaktion auf Adipositasepidemie/ Diätgetränke 87, 242 −− Sucht nach Erfrischungsgetränken 191 −− Zucker in Erfrischungsgetränken 210, 215, 219, 249 ConAgra 293 f. Cordain, Loren 238 Cortisol 94–99 269 f., 366 −− und Sucht 94, 99, 270 −− Bewegung und Abbau von Cortisol 187, 269 f. −− Bedeutung 94 −− Interaktion mit Insulin 99 ff., 113, 124, 269

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−− und metabolisches Syndrom 94, 100 −− und zu viel essen 97 f., 101, 103 ,269 −− erhöhter Wert und dadurch verursachte Krankheiten 94 f. −− und Schlafmangel 98 −− und Stressreaktion 94–99, 101, 113, 187, 265, 270, 366 −− und Zunahme des Bauchfetts 94, 100, 124, 207, 265, 269 D Dänemark und Steuern auf fettreiche Nahrung 320 Dallman, Mary 100, 352 Darmbakterien 175 f., 244 Dayton, Mark 307 DDT 204 Demenz 23, 119, 164, 295 −− und Insulinresistenz, 129, 161, 321 −− und metabolisches Syndrom 23, 126, 319 Depressionen 19, 33, 75, 100, 178, 352 −− und Entzug 80 −− und Serotoninmangel, 89 DesJarlais, Scott 307 Desserts reduzieren 248, 260 DEXA, Doppelröntgenabsorptiometrie 123, 277 Diabetes 12, 19 ff., 23, 34, 42 f., 56, 63, 67, 82, 94 f., 105, 109, 113, 119, 121, 125 ff., 129, 132, 134 f., 139, 144, 151 f., 156, 160, 162, 164, 167, 173, 177, 196, 220, 232, 238, 240, 274 ff., 280, 282, 295, 304, 321, 348 f., 352–357, 359, 361, 369 −− Diabtetes insipidus 55 −− und Fettleber 23, 275 −− und große Babys (Large for Gestational Age, LGA) 110 f. −− als Pandemie 162 ff., 208 −− rückgängig machen durch Adipositaschirurgie 20 −− und Bauchfett 119, 367 −− weltweit große Häufigkeit 47, 163 f., 208 Diätindustrie, Profitieren von Adipositas 32, 106 Diäten 13, 15, 19, 24, 32 f., 39, 44 f., 51, 66, 68, 70, 81 f., 85, 87, 95, 104, 120, 123, 135, 151, 153, 179, 181, 185, 116, 232, 240–243, 245, 251 f., 261, 263, 266, 293, 301 −− Ampelkennzeichnung 251, 312 −− Atkins-Diät 140, 152, 156, 234 f. −− Diet Chef 32 −− fettarm 232 f., 237 f., 241 −− Glyx-Diät 239 ff. −− Insulinprofil als Grundlage für Diäten 236, 240 f.

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−− traditionelle japanische Ernährung 151, 236 −− langfristige Veränderungen, siehe Adipositasmanagement −− kohlenhydratarm 138 ff., 151, 234, 241 −− Mittelmeerdiät 236 −− niedriger glykämischer Wert, glykämischer Index 57, 239 f. −− Ornish-Diät 152, 237 f. −− Paläodiät 156, 238 f. −− und Sport 44 −− vegan/vegetarisch 235 Dick und fit 189 Dietary Guidelines Advisory Comittee (DGAC) 314 Dole 293 Dopamin 55, 75–80, 82, 85, 88, 90, 165f, 244, 322, 350 f., 366, 368 ff. −− und Esssucht 77, 82 −− und Glücksgefühl 75 f. Dual-Röntgen-Absorptiometrie (DEXA) 123, 277 E Eaton, S. Boyd 238, 359 Einfach ungesättigte Fettsäuren 150, 236 −− Nutzen 149 −− Quellen 149 Eingeweidefett 118, 120, 162; siehe Bauchfett Eisen, übermäßige Zufuhr 197, 199, 315 Eiweiß 38, 40 f., 56, 62, 84, 88, 130, 133, 138, 140, 152, 168, 219, 234, 236, 239, 259, 305, 312, 314, 331 −− und Frühstück 184, 267 −− hohe versus niedrige Qualität 40 −− Nutzen 146, 212 Eiweißpulver 133 Endokrine Disruptoren, 203; siehe auch Obesogene Endorphine 187 f. Energieverbrauch 28, 39, 58 ff., 63 ff., 69, 71, 112, 124, 135, 180–183 −− und Bewegung 180 f., 184 f. −− Entwicklungsprogrammierung (DOHaD) 108 −− Ruheenergiebedarf (REE) 182 f. −− thermischer Einfluss der Nahrung (TEF) 183 −− und Anzahl Fettzellen 63 Entzug 77, 80 f., 86, 88, 323 −− und Esssucht 80, 86 −− und Zuckersucht 86, 88, 322 f. Entzündung 94, 98, 113, 129, 148 f., 158, 160 f., 192, 196, 221, 244, 276 −− und Bauchfett 119

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−− und metabolisches Syndrom 98, 276 Epel, Elissa 97, 344 Epigenetik 107 f., 110, 272, 367 −− Definition 107 f., 367 −− und Anzahl Fettzellen 107, 110–114 Erfrischungsgetränke −− Besteuerung 330 ff. −− Koffein 71, 79, 83, 86 f., 91 −− Limonade 11, 22, 86 f., 153, 155, 217, 255 −− politische Aktionen dagegen 292 −− in Schulen 334 −− Soft Drinks 48, 74, 86 ff., 90, 162, 191, 196, 212 f., 225 f., 248, 255, 259, 262, 264, 266, 270 f., 274, 287, 320 f., 330–335, 338, 364 −− Sucht 86 f. −− diätetische Süßstoffe 242–245 −− Verbannung Ernährungsempfehlungen in den USA 37, 314 Ernährungspyramide 37 f., 142, 299, 314 Erneute Gewichtszunahme 22 −− nach Adipositaschirurgie 282 −− und Fressattacken 44 −− Jo-Jo-Effekt 44, 82, 239 Esssucht 73, 79–82, 86 f., 90, 99 −− Ansicht der Medizin 90 −− Belohnungssystem 75 f.., 78, 98 f., 101, 158, 164, 300, 321 −− Entwicklung 83 f. −− nach Fastfood 83 −− und Fruktose 134, 152–162, 164 ff., 209 −− Kosten 20 f., 31, 34, 72, 129, 281 f., 294 ff., 322, 332, 337 −− Leptin und Insulin 59, 78 −− und Zutaten 83 f. Ethanol, siehe Alkohol Ethnische Faktoren und Adipositas, siehe Afroamerikaner, Asiaten, Weiße, Latinos Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EBL) 301, 315 Evolution 14, 24, 69, 246, 263, 356 −− von Ernährungsmustern 15, 75, 88, 141, 238, 340 −− Funktionen der Fettzellen 106, 114 −− Insulin, Blockade der LeptinSiganlübertragung 69 −− Stress und Bauchfett 100 f. −− Zuckerkonsum 88, 166 F Fastfood 26, 29, 35, 48, 50, 74, 79, 85 f., 163, 258 ff., 271, 288, 290 f., 297, 304, 334, 342, 359; siehe auch McDonald’s, industriell verarbeitete Nahrung

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−− Sucht nach Fastfood 79 ff., 83, 85 f., 90 f. −− irreführende Werbung 225, 260, 327, 329 −− gefährliche Zutaten 258 f. −− entfernte Ballaststoffe 218 f. −− giftige Wirkung 198 f., 218 f. −− weltweite Verbreitung 48, 74 Fett −− im Blut, siehe Blutfette −− im Körper, siehe BMI, Körperfett, Fettzellen −− in der Nahrung, siehe Nahrungsfette Fettabsaugen 33, 123 Fettarme Ernährung 40 f., 149, 151, 232 f., 238 −− Misserfolg 232 f., 238 −− Zunahme in den USA Fettleber 19, 73, 104, 129, 134, 149, 162, 191 f., 241 −− Entstehung 40, 207 −− selbe Auswirkung von Fruktose und Alkohol 162 −− Geschlechtsunterschiede 127 −− und Insulinresistenz 190 −− und metabolisches Syndrom 19, 49, 127, 190 Fettleberkrankheit, siehe Fettleber Fettzellen 24, 63 f., 67, 70 f., 97, 100 f., 105, 139, 156, 160, 182, 203 ff., 207 f., 266, 274, 367 −− Anzahl, physiologische Faktoren 110 f. −− Auswirkung von Obesogenen 111, 203 f., 209 f. −− biologische Notwendigkeit 59 ff., 106 −− Entwicklung 57 f., 105 ff., 111 ff. −− aus evolutionärer Sicht 106 −− und Pubertät bei Mädchen 204 −− Schwierigkeit der Reduktion 107, 113 f. Fitzgerald, Peter 314 Fixx, Jim 178 Fleisch 28, 37, 40, 82, 116, 139 f., 142, 144, 149, 159, 205, 217, 226, 231, 237 ff., 250, 254 f., 259, 307 −− mit Mais gefütterte Tiere, Gefahren 133, 149, 209 −− Östrogene in Fleisch 204 f. Frassetto, Dr. Lynda 238, 345, 359 Fressattacken/Essanfälle 44, 81 −− und Esssucht 81 −− nachts 267 −− und Zuckersucht 87 f. Friedman, Dr. Jeff 63 Frische Nahrung 288; siehe auch Früchte, Getreide −− Ballaststoffe 56, 142, 150, 157, 166–173, 193, 222 f., 233 f., 236, 239 –242, 246, 249–253, 260. 266 ff., 312 ff., 325, 331 −− echte versus industriell verarbeitete 198 ff., 258 −− Einkaufsrichtlinien 245 f., 251

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−− mangelnder Zugang der Armen 271, 336 −− Nahrung (Übersicht) 251–258 −− Vorteile eiweißreicher Nahrung 267 Fruchtsaft 155, 247, 250, 331 −− generell meiden 255 −− Fruktosegehalt 155 −− WIC-Programm 299 Früchte 29, 36, 142, 222, 238, 255, 257, 266 −− Ballaststoffgehalt 168, 171 −− ganze Frucht versus Saft 172 −− Verzehr aus evolutionärer Sicht 166 Fruktose 40 f., 56, 134, 144, 152–166, 173 f., 175, 177, 209, 211, 215, 219–222, 240, 247–250, 300 ff., 315 f., 321, 344, 367 −− kristalline 220 f., 247 −− wissenschaftliche Studien über Gefahren 144, 159 −− und Fettleber 130 −− und gesteigerte Nahrungszufuhr 134 −− und Insulinresistenz 160 f., 165, 240 −− und metabolisches Syndrom 159, 173, 240, 321, 332 −− Verstoffwechselung zu Fett 40, 153, 173, 221, 241 −− natürliche Quellen 171 f., 222, 242 −− Richtlinien zu reduziertem Konsum 246 −− als Bestandteil von Süßungsmitteln 130, 153 ff., 240, 242 −− Giftigkeitsgrenze 161 f. Frühstück 29, 125, 183, 194, 290, 309, 325, 342 −− schlechteste Müslisorten 326 −− Bedeutung 267 f. −− Vorzüge von Eiweißen 184, 267 Funktionelle Lebensmittel, medizinisch wirksame Lebensmittel 194, 225 G Gehirn 15, 24, 26, 39, 54, 56 f., 59, 62 ff., 66–72, 89, 95–98, 110–113, 120, 123, 129, 158, 162, 183, 230, 244, 270, 274, 287, 321, 367 f., 370 −− Belohnungssystem und Sucht 74 f., 77, 86, 91, 101, 158, 164, 166, 187, 274, 291, 300, 322 f., 340, 370 −− und Energiegleichgewicht 58 f. −− limbisches Dreieck und Adipositas 101 −− und Stressreaktion 113, 270, 366 −− Tumore und Adipositas 65, 67, 344 General Mills 293 f. Genetik 13, 107, 240, 347 −− und Anzahl Fettzellen 110 −− Vergleich mit Epigenetik 107 f., 110, 272, 367 Genistein 205, 210

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Gershen, Cindy 342, 345 Gesättigte Fette 84, 145–150, 233, 236 ff., 248, 305, 312, 320 Gesundheitswesen 115, 143, 162, 210, 261, 271, 282, 284–290, 292 f., 295 ff., 303 f., 307 f., 311, 320, 324; siehe auch US-Regierung −− Besteuerung 330–333, 336 −− Bevormundungsstaat 286 f., 292 f. −− eingeschränkter Zugang zu Zucker 87, 98, 334 −− Einschreiten, Vor- und Nachteile 210, 290, 320 −− Hyderabad-Aussage 297, 308 −− Misserfolge bei der Adipositas-Prävention 46, 295, 326, 330, 332 −− Probleme mit Tabak und Alkohol 324 −− Regulierung der Lebensmittelqualität 290 Gesundheitszustand, Taillenumfang als Maß 21, 121 ff., 161, 188, 206 Getreide 37, 142, 194, 224, 236–239, 255, 266, 298 f. −− Kriterien für Vollkorn 168, 171 −− raffiniert und angereichert 170 −− Vollkorn versus industriell verarbeitete Nahrung (Übersicht) 251 f. Gewichtskontrolle, siehe Adipositasmanagement Gewichtskontrollprobleme; siehe die einzelnen Stichworte −− und Adenovirus 208 f., 358 −− und Armut 21, 95, 163, 305 −− Hindernisse für Kinder 14, 19 f., 28, 30 f., 34, 36, 41, 43, 46 f., 50 f., 55, 64–67, 69, 87, 90, 92f, 95, 97, 104, 106, 108–111, 114, 116, 121 f., 126, 130, 133 f., 183, 185, 195, 202, 205 ff., 209, 212 f., 223 ff., 231, 236, 247 ff., 259, 261–266, 270 f., 283, 287 ff., 299 f., 305, 309, 321, 324–327 ff., 331, 334 f., 338, 340, 342 ff. −− Dilemma von Diäten 123 −− epidemische Ausmaße, siehe Adipositasepidemie −− Esssucht 73, 79–83, 86 f., 90, 99 −− und fettarme Ernährung 232 f., 238 −− Fruktose 40 f., 56, 134, 144, 152–166, 173 f., 175, 177, 209, 211, 215, 219–222, 240, 247– 250, 300 ff., 315 f., 321, 344, 367 −− Frühstück auslassen 183 −− erneute Gewichtszunahme 22, 4, 82, 239 −− Insulin 54, 56 f., 59 ff., 63, 66–72, 78 ff., 92, 97, 99 ff., 104, 109 f., 112 ff., 116 f., 119, 122, 124, 128 ff., 134, 138–141, 144, 150, 156 f., 160 f., 165 f., 170–173, 175 ff., 184 ff., 189, 220, 231, 233, 236, 239 ff., 244, 250 f., 260, 264–268,

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273 f., 276, 279, 321, 323, 348, 350, 352–361, 363, 367 ff. −− und Leptinresistenz 64 ff., 69–72, 78, 80, 89, 109, 114, 166, 265, 268, 367 −− und metabolisches Syndrom als Folge −− und Obesogene 203 f. −− Trugschluss der persönlichen Verantwortung 28, 30, 38, 41 ff., 48–52, 73–91, 287 ff., 293 ff., 306 f., 316 −− Virusinfektion 208 f. Ghrelin 98, 165, 367 −− und Hunger 174, 183 f., 265, 269 −− Reduktion durch Eiweiß 267 Glantz, Stanton 339, 345 Glinsmann, Walter H. 301, 362 Globale Epidemie, siehe Pandemie Glück, neuronale Mechanismen 89 Glukose 40, 56, 72, 94, 113, 117, 130, 141, 151, 153–161, 170, 173, 175, 177, 186, 211, 214 ff., 218–222, 226, 235 f., 238 ff., 242, 247, 266, 270, 276, 287, 291, 298, 300 ff., 321, 366 f. −− Gewichtszunahme 66 −− Nahrungsquellen 133, 157, 169 −− Toleranztest 67, 92, 138, 273, 276 −− Verstoffwechselung 56, 130, f. 132 f., 153, 156, 158 f., 169, 220, 249 Glykämischer Index 57, 239 Glykogen, Leber und Glykogenproduktion 57, 130, 132, 141, 153, 156, 158, 160, 221, 234, 367 Glykolyse 130, 141 f. Glyx-Diät, Vor- und Nachteile 239 ff. Goldstein, Joseph 146 Gürtellänge als Maß für Bauchfett 121

Hirnanhangdrüse, Hypophyse und Reaktion auf Stress 57 f., 96 Hormel 293 f. Hormone 15, 25 f., 31, 54–59, 62, 65, 69, 100, 129, 203, 233, 262–265, 272, 274, 356, 368 −− Östrogen als Obesogen 204 f. −− Freisetzung und Gehirn 56, 75, 78, 270 −− und Gewichtszunahme, siehe Cortisol, Ghrelin, Insulin, Insulinresistenz, Leptin, Leptinresistenz Huckabee, Mike 330 Hunger 50, 54, 56, 59–64, 66, 68–71, 75, 78, 81, 92 f., 106, 111, 114, 123, 138 f., 153, 160, 164 ff., 174, 182 ff., 230, 265, 267 f., 281, 287, 367 −− Bezug zu Adipositas 101 −− und limbisches Dreieck 101 −− nächtliche Fressattacken 267 f. −− und Schlafmangel 98 −− Signalübertragung und Ghrelin 98, 265, 267, 269, 367 Hyderabad-Aussage 297, 308 Hypothalamisches Syndrom 54, 65 f., 68, 92 −− Behandlung 67 −− Gewichtszunahme 65 Hypothalamus 54, 57–60, 62, 67, 92, 160, 165, 182, 244, 274, 350 f., 360, 367–370 −− Auswirkungen von Bewegung 188 −− Auswirkungen auf Leptin 59, 62, 64 ff., 68 f., 80, 101, 110, 203 −− Defekte und fetale Entwicklung 65, 110 f., 210 −− Energiegleichgewicht 57 f. −− Sättigungssignal 174 f., 230 −− und Stressreaktion 96

H Hämoglobin 159, 220, 276 Hamburg, Margaret 278 HDL, Lipoprotein hoher Dichte 126, 161, 275 Hegsted, Mark 147 Herzerkrankungen 21, 40, 63, 94, 105, 109, 121, 126, 128, 139, 143–147, 149, 158, 174, 186, 232 f., 236, 241, 275, 306, 318 f., 366; siehe auch HerzKreislauf-Erkrankungen Herz-Kreislauf-Erkrankungen 19, 119, 127, 129, 156 −− und Ernährung, Forscherstreit −− und Naturvölker 139 −− erhöhter LDL-Wert 146 f., 233, 275 −− psychosozialer Stress 100 −− und metabolisches Syndrom 94 −− und Stress/Cortisol 95 Heymsfield, Steven 64, 350

I Industriell verarbeitete Lebensmittel 85, 132, 139, 143, 149, 167, 197, 198 f., 215 f., 226, 233, 235 f., 238, 250 f., 254, 259, 261, 271, 295, 312, 338 −− schlechteste Müslisorten 326 −− funktionelle Lebensmittel 194, 225 −− Einschränkung von Werbung für Junkfood 309, 327 ff. −− Entfernung von Mikronährstoffen 170, 198 f., 368 −− Nährwertangaben 248; siehe Lebensmitteletiketten −− mit Zuckerzusatz 153, 164, 291, 293, 320 −− echte versus industriell verarbeitete Nahrung (Übersicht) 251–258 −− Begründung der Industrie für Zuckerzusatz 222, 235, 291 −− Bezeichnungen für Zucker 247

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−− Geschichte des Zuckergehalts 87 −− Zusatzstoffe 290 f. Insulin 54, 56 f., 59 ff., 63, 66–72, 78 ff., 92, 97, 99 ff., 104, 109 f., 112 ff., 116 f., 119, 122, 124, 128 ff., 134, 138–141, 144, 150, 156 f., 160 f., 165 f., 170–173, 175 ff., 184 ff., 189, 220, 231, 233, 236, 239 ff., 244, 250 f., 260, 264–268, 273 f., 276, 279, 321, 323, 348, 350, 352–361, 363, 367 ff. −− verminderte Effektivität, siehe Insulinresistenz −− und Energiegleichgewicht 27 f., 57 ff., 62, 72 −− und Fettzellenwachstum 101, 110 −− Ballaststoffe und Insulinausschüttung 150, 177, 240, 266 −− (Faktoren für) verstärkte Ausschüttung 92, 128, 140, 156, 240, 244, 260, 273, 276, 367 −− Blockade der Leptin-Signalübertragung 62 f., 69 ff., 160, 165 f., 367 −− Auswirkungen auf Frühgeburt 109 −− Ernährung basierend auf Insulinprofil 241 Insulinresistenz 23, 78, 80, 89, 111, 127, 129, 132, 149, 158, 160 f., 175, 186, 195, 206, 231, 236, 240 f., 260, 268, 273, 276, 279, 321, 326, 367 −− Acanthosis nigricans als Hinweis 122 −− Nutzen von Bewegung 117, 184, 186, 267, 270 −− und Ballaststoffe 176 −− und Demenz 129, 161 −− und Fettleber 113, 128 f. −− und Frühgeburten 109 −− und Hyperinsulinismus 129, 166 −− Vorteile von Ballaststoffen 56. 167 f. −− und Esssucht 78 f. −− und Fruktose 160 f., 165, 173, 220 −− und vermehrte Nahrungsaufnahme 101 −− und metabolisches Syndrom 40, 109, 127 f., 240, 275 −− und Neugeborene 110 −− und nächtliche Fressattacken 267 −− und normalgewichtige Personen 23, 190 −− und Eiweißqualität 40 −− und Bauchfett 119, 121, 160, 269 −− und Ballaststoffe 176 f. −− sichtbare Anzeichen 122, 161 Intervalltraining 188 Inuit-Ernährung 139, 145 Isomil 210, 247 J Japanische traditionelle Ernährung, Vorteile 151 f., 235 f. Jefferson, Thomas 316 Joghurt mit Zuckerzusatz 150, 212, 249

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Jo-Jo-Effekt 44, 82, 239 Jugendliche 20, 93, 112, 116, 154, 167, 187, 283, 289, 291, 327, 330 f.; siehe auch Pubertät K Kaffeesucht 77, 87, 291 Kalorien 10 f., 39, 41, 45, 55 f., 59, 66, 73, 78, 84 f., 94, 97, 101, 112, 116, 120, 130, 134 f., 146, 148, 150, 153–159, 163–166, 183 f., 204, 211 ff., 219, 221, 232, 237, 242 f., 248, 259 f., 279, 281, 292, 298, 303, 305, 309, 313, 320 f., 325 f., 331, 368 −− Mythos: Eine Kalorie ist eine Kalorie 25 ff., 39, 41, 176 −− und Cholesterin 174, 220 −− und Energie 28 −− in Fastfood 83 −− Verbrauch und Bewegung 39, 44, 179 ff., 184 f. −− Wärmelehre, Gesetze 27 Kass, Sam 223, 300 Kennzeichnung in Speisekarten 325 Ketone (Acetyl- CoA) 139, 160, 173, 355 −− kohlenhydratarme Ernährung 139 −− und Ernährung des Allesfressers 141 f. Keys, Ancel 144 ff., 148, 150, 236, 301 Knochendichte 117 Khan, Riaz 303 KidVid-Skandal 309 King, Janet 314 Koffein 71, 79, 83, 86 −− und Esssucht 86, 91 −− in Erfrischungsgetränken 86 f. Kohlenhydratarme Ernährung 138 ff., 151 f., 231, 238, 241, 279 −− evolutionäre Sicht 138 ff. −− Nutzen 241 −− Vor- und Nachteile der Atkins-Diät 234 Kohlenhydrate, siehe auch die einzelnen Kohlenhydrate −− Ethanol (Alkohol) 155, 157 ff., 161 f., 299, 335, 355, 363 −− Fruktose 40 f., 56, 134, 144, 152–166, 173 f., 175, 177, 209, 211, 215, 219–222, 240, 247– 250, 300 ff., 315 f., 321, 344, 367 −− Glukose 40, 56, 72, 94, 113, 117, 130, 141, 151, 153–161, 170, 173, 175, 177, 186, 211, 214 ff., 218–222, 226, 235 f., 238 ff., 242, 247, 266, 270, 276, 287, 291, 298, 300 ff., 321, 366 f. −− Verstoffwechselung 155, 157 Koop, C. Everett 288 Körpergewicht, Komponenten 117 f. Körperfett, siehe auch BMI, Fettzellen

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−− Unterhautfett 22, 118–121, 123, 128, 162, 180, 185, 277, 369 −− Bauchfett 24, 94, 100 f., 118–121, 123 f., 128, 157, 160, 162, 185, 190, 196, 207, 244, 265, 269, 274, 277, 366, 369 Kraft 293 f., 309, 340 Krafttraining 188 Krankenversicherung, mit Adipositaskosten überfordert 20 f., 31, 34, 72, 129, 281 f., 294 ff., 322, 332, 337 Krebs und metabolisches Syndrom 21, 23, 119, 121, 126, 129, 134, 139, 159, 319 Kreier, Felix 263, 345, 360 L Laktose 40, 222, 234, 247, 249 LaLanne, Jack 178 f. Landwirtschaft 10, 142, 205, 238, 314, 336 ff. −− Subventionen für Mais und Soja 294 f., 335 ff. −− US-Agrargesetz und dessen negative Folgen 36, 214, 341 Laparoskopisch anpassbares Magenband 282 Latinos 49, 96, 127, 161, 240 −− und Adipositas 49, 202 −− und Demenz 161 −− und Fettleber 49, 192, 241 −− und metabolisches Syndrom 127 −− Stress und Gesundheit 96 Läuferhoch 187 Lavin, Dr. Guido Gerardi 328 LDL, Lipoprotein niederer Dichte 139, 141, 146– 149, 275, 326, 359 −− Arten 233 −− Ballaststoffe und Reduktion 174 −− Erhöhung und Kohlenhydrate 141 −− oxidiertes LDL 275 Leaky-Gut-Syndrom 161 Lebenserwartung 22 f., 118 f., 198, 236 f., 280 −− und Adipositaschirurgie 282 −− und Bewegung 186, 190 −− und BMI 118 −− und Ethnien 95 f., 127 Lebensmittel −− Auslöser des metabolischen Syndroms 78, 207, 240, −− und Energieverarbeitung 60 −− Begünstigung von Adipositas, siehe Fastfood, industriell verarbeitete Nahrung −− 303 −− und Adipositasmanagement, siehe frische Nahrung

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−− Obesogene in der Nahrung 111, 201, 203, 209 f., 272 −− Qualität und Gesundheitswesen, siehe USRegierung, Gesundheitswesen −− echte versus industriell verarbeitete Nahrung 198 ff., 261 −− thermischer Einfluss der Nahrung 182 ff., 267 Lebensmittelbranche 15, 35, 147, 214 ff., 218–221, 223–227, 240, 242 ff., 249, 258, 292 ff., 296, 300, 302, 305 ff., 309, 311, 316 f., 327 f., 331, 337 f., 340 f.; siehe auch Fastfood, industriell verarbeitete Nahrung −− Aktienkurse 293 f. −− Begründung für Zucker in Nahrung 222, 235, 291 −− und Bruttoinlandsprodukt 20, 89, 302 −− Kampf gegen Regulierung 286, 309 −− Regulierung, siehe Behörde für Lebensmittelsicherheit und Arnzeimittelzulassung (FDA), Lebensmitteletiketten −− Schutz durch US-Regierung 242, 305, 307 −− wichtigste Konzerne 293 Lebensmitteletiketten 312 −− Ampelkennzeichnung 251, 312 −− Bezeichnungen für Zucker 246 f., 250 −− fehlende Informationen 312 −− Regeln für das Lesen 312 Lebensmittelkennzeichnung 222, 311 f., 325 Lebensqualität 24, 69, 71, 82, 186, 266 −− Glück versus Genuss 89 −− und Adipositas 43, 94, 282 Leber 24, 26, 56 f., 60, 67, 82, 100, 111, 113, 118 ff., 123, 128–133, 135, 139 ff., 146, 149, 156 f., 159, 164 f., 170, 172 f., 185, 191 f., 220 f., 233 f., 238, 240, 249, 260, 264, 266, 268, 270, 275, 277 f., 321, 366 f. −− Auswirkungen von Alkohol 158, 162, 241, 323 −− Auswirkungen von Fruktose 153, 160, 162, 221 −− Energieverarbeitung 60 −− Fettansammlung; siehe Fettleber −− Nutzen von Bewegung 117, 184, 186, 267, 270 −− Wiederaufbereitung von Fettsäuren 56, 139, 146 −− Citratzyklus 131, 173, 187 −− Zirrhose 23, 129, 191 f., 221 Leibel, Rudy 182, 346, 349 f., 356 Leptin 59, 61–72, 78, 98, 101, 109 ff., 114, 165, 181, 202 f., 231, 266, 349 f., 353, 367 −− Auswirkungen von Schlafmangel −− Mangel 63 f., 66, 70

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Misserfolge der Pharmaindustrie 61 und Energiespeicher 367 aus evolutionärer Sicht 69 f., 166 Auswirkungen von Bewegung 117, 184, 186, 267, 270 −− und Fettzellengröße 114 −− und Esssucht 59, 78 −− Produktion und Unterhautfett 120 −− und Pubertät 114, 202 f. −− Resistenz, siehe Leptinresistenz −− Insulin als Blockade der Signalübertragung 165 f., 185, 265 −− und Hunger 60, 71, 160, 182 f. Leptinresistenz 64 ff., 69–72, 78, 80, 89, 109, 114, 166, 265, 268, 367 −− anatomische 65 f. −− und Adipositas 64, 70, 72, 78 −− Insulin als Ursache 69, 71, 114, 265 −− und Insulinresistenz 78, 80, 89, 268 −− Verbesserung 265, 268 Let’s Move! 36, 294 Limbisches Dreieck 101 Lindeberg, Staffan 238, 359 Lipidprofil 275 Lipodystrophie 353 Lorcaserin 278 Luftverschmutzung als Obesogen 207 f., 288 M Madsen, Kristine 334, 344 Marketing, siehe Werbung McDonald’s 35, 74, 81–84, 86, 163, 260 −− Aktienkurs 293 f. −− gesüßte Getränke 83, 87 −− Giftigkeit der Nahrung 306 −− Schutz durch Regierung 306 McGovern, George 147, 215 Magenballon 282 Magenbypass 33, 152, 282 Maillard-Reaktion 159, 161, 217, 355, 358, 367 Mais 133, 154, 169, 206, 211, 215 f., 252 f., 255 f., 298–301 −− Maissirup 215, 247 −− Subventionen in den USA 214, 294 f., 335 ff. −− als Tierfutter, Gefahren 133, 149, 209 Mais-Raffinerie-Vereinigung 154, 211, 301 Maissirup 215, 247 −− Sicherheit laut FDA 301 Mandelkern, siehe Amygdala Medikamentöse Therapie 277 f. −− Antiangiogenese 114

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−− Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) 89 Medizinisch wirksame Lebensmittel, siehe Funktionelle Lebensmittel Medikamente 11, 39, 66, 85, 89, 114, 134, 199, 272 f., 278 f., 284 −− und erhöhte Insulinausschüttung 113 −− Adipositasbehandlung, siehe Medikamentöse Therapie Mehrfach ungesättigte Fette 149 f. −− Vor- und Nachteile 149 −− Quellen 149 Metabolisches Syndrom 19, 23 f., 31, 33, 98, 109 f., 125 ff., 131, 173, 193, 198, 200, 207, 274, 276, 319, 321, 328, 368 f. −− und Alkohol 133 −− Babys und deren Risiken 110 −− und BMI 98 −− und damit verbundene chronische Krankheiten 126 −− Entstehung 243, 269 −− diagnostische Kriterien 126, 275 −− und Fettleber 190 −− Lebenswandel als Auslöser 31 −− und Fruktose 134, 173, 301, 321, 332 −− Geschlechterunterschiede 127 −− und Insulinresistenz 109 f., 127 f., 220, 240, 269, 275 −− und Mangel an Mikronährstoffen 193 −− und normalgewichtige Personen 127 f. −− und Ernährung der Allesfresser 142, 151 −− und Ethnie 127 −− und Schlafmangel 98 −− und reaktive Sauerstoffspezies (ROS) −− und Stress/Cortisol 97, 100 −− als Todesursache 23, 126 −− sichtbare Anzeichen für ein Risiko 122 Metformin 134, 139, 279 Mikronährstoffe 56, 131, 170, 177, 191, 193 f., 197 f., 233 f., 331, 368 −− Antioxidanzien 131, 157, 192, 194 f., 197, 199, 236, 357, 359, 368 f. −− und metabolisches Syndrom 131 −− Resveratrol 161, 196, 236, 357 −− Nahrungsergänzungsmittel versus Nahrung 198 f., 236, 241, 246, 368 −− Selektionshypothese 193 −− Vitamin D 195 f., 234 f., 238, 305, 315, 357 −− Vitamin E 134, 193, 195, 197, 357 Mitochondrien 131–135, 139, 141 f., 148, 156, 158, 160, 172 f., 183, 246, 323, 357, 368 −− und Aminosäuren 133

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−− Auswirkungen von Bewegung 184, 186 f., 189 Mittelkettige Triglyzeride 149 −− Vor- und Nachteile 149 −− Quellen 149 Mittelmeerdiät 236 f. Mottern, Nick 147 Muskelaufbau, Nutzen 56, 61, 67, 117 f., 123, 133, 180, 184 f., 188 MyPlate 38, 314 N Nächtliche Fressattacken und Insulinresistenz 267 f. Nahrungsfette 130, 144–148, 150, 215, 232 f., 260; siehe auch Transfette −− in Fastfood 83, 85 −− Sucht nach fettreicher Nahrung 74, 79 ff., 86, 90 f. −− Steuern auf fettreiche Nahrung 320 −− Verstoffwechselung 130, 139, 175 −− verschiedene Fettarten und deren Wert 149 −− wissenschaftliche Studien National Association to Advance Fat Acceptance (NAAFA) 34 Nebenniere 57, 85; siehe auch Cortisol −− und Reaktion auf Stress 94, 96, 100, 113 Nestlé 253, 293 Neurotransmitter 76, 263, 368 −− Dopamin 55, 75–80, 82, 85, 88, 90, 165 f., 244, 322, 350 f., 366, 368, 370 −− Endocannabinoid 75, 366 −− Serotonin 89 −− Wirkmechanismen Niederländische Hungerstudie 109 Niedrige Temperaturen (wirken Adipositas entgegen) 112 Nixon, Richard 214 No Child Left Behind, Bildungsgesetz 288 Noternährungsunterstützung 299 Nucleus accumbens (NA) und Sucht 75, 165, 274, 289, 368, 370 Nüchternglukosespiegel 276 O Obama, Michelle 36, 115, 223, 294, 300 Obamacare 20, 295 Obesogene 111, 201, 203, 209 f., 272 −− Atrazin 206 −− Zigarettenrauch/Luftverschmutzung 207 f. −− Östrogen 204 f. −− und Fetteinlagerung 209 −− Chorkohlenwasserstoffe 206

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−− Phthalate 205 f. −− Tributylzinn (TBT) 206 f. Obstruktive Schlafapnoe 98, 262, 268, 280, 283 Octreotid (Sandostatin) 55, 67 ff., 273, 368 −− bei hypothalamischer Adipositas 67 ff., 350 −− zur Gewichtsabnahme 68 f., 241, 350 Östrogen 93, 129, 188, 202–205, 263, 368 −− Bisphenol-A (BPA) 205 −− Mädchen, früher Beginn der Pubertät 202 −− in Pestiziden 204 Olestra 220 Omega-3-Fettsäuren 148 f., 236 f. Omega-6-Fettsäuren 148 f., 237, 251, 254, 313 Orexin 55 Organfett, siehe Fettleber, Bauchfett Orlistat (Xenical) 278 f. Ornish-Diät, Vor- und Nachteile 152, 237 f. Oxidativer Stress 194; siehe Reaktive Sauerstoffspezies (ROS) P Paläodiät, Vor- und Nachteile 156, 238 f. Pandemie 13, 154 −− Adipositaspandemie 15, 19, 21, 26 ff., 31, 35 f., 38, 40 f., 47, 64, 68, 105 ff., 151, 168, 201 f., 208, 210, 226 f., 261, 263, 275, 287, 289, 339 −− Diabetespandemie 162, 208 Parasympathisches Nervensystem 60, 369 Patient Protection and Affordable Care Act (PPACA bzw. ACA, auch: Obamacare) 20, 295 PepsiCo 225, 293 −− Aktienkurs 294 −− Funktionelle Lebensmittel −− Konzern 293, 337 Peptid YY 174, 269, 368 Peroxisomen 131 −− Ähnlichkeiten mit Alkohol–Zucker 88, 162, 320, 323 f. Persönliche Verantwortung 28, 30, 38, 41 ff., 48–52, 73–91, 287 ff., 293 ff., 306 f., 316 −− bei Adipositasirrtum 28, 30, 38, 41 ff., 48–52, 73–91, 287 ff., 293 ff., 306 f., 316 −− und Kapitalismus 293 −− keine Wahl 43, 48 Pestizide als Obesogene 204 Phelps, Michael 39, 184 Phthalate 205 f., 358 Pollan, Michael 141, 250, 260, 299, 337 Popkin, Barry 292, 349 Procter and Gamble 293 f. Pubertät 65, 93, 125, 142, 166, 178, 201 ff., 231 −− früher Beginn bei Mädchen 201

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−− und Leptin 64, 69 f., 114, 203 Q Qsymia 278 R Reagan, Ronald 298, 306 Reaktive Sauerstoffspezies (ROS) 130 f., 157, 192, 367 f. −− Antioxidanzien 368 −− Giftigkeit 192 Restaurants −− Regeln im Umgang mit Restaurants 258 ff. −− Kennzeichnung in Speisekarten 325 Resveratrol 161, 196, 236, 357 Rimonabant 75, 80 Rotwein, positive Auswirkungen 133, 161 Ruheenergiebedarf (REE) 182 ff. S Sättigung 59, 154, 165, 174, 176, 204, 219, 231, 265, 269, 281, 368 f. −− biochemische Signale 174, 231 −− und eiweißreiche Nahrung 267 Salz 32, 38, 85, 198, 216, 218, 254 f., 305, 312 f., 325 f. −− in Fastfood 83 f., 91 −− und Esssucht 79, 83, 85 Schlaf 28, 97 f., 112, 181, 267 f. −− Auswirkungen von Stress 97 −− essen vor dem Zubettgehen 183 −− obstruktive Schlafapnoe 98, 262, 268, 280, 283 Schlauchmagen 282 Schmidt, Laura 320, 345, 364 Schokomilch, Zuckergehalt 321 Schuld an Adipositas 11, 13, 20, 28, 30, 44, 47, 51 f., 151, 163, 182; siehe auch persönliche Verantwortung Schulspeisung 299, 305 f. −− und Adipositas beim Kind 305 −− Gesetz zur Schulspeisung 36 −− zuckerhaltige Getränke in Schulen 299, 304 Selektionshypothese 193 Sensenbrenner, Jim 306 Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) 89 Serotonin und Zufriedenheit 89 Shaw, A. B. 295 Sieben-Länder-Studie 144 f., 236 SNAP (UN-Lebensmittelbeihilfe für Haushalte mit geringem oder ohne Einkommen) 36, 299, 304 f., 337

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−− Bloombergs Anti-Zucker-Versuche 304 Sojaprodukte −− Obesogene 205 −− Subventionen 294 South-Beach-Diät 240 Sport, siehe Bewegung Spurlock, Morgan 81 f. Starbucks, Sucht nach deren Getränken 87, 291 Stärke 38, 40 f., 153, 167, 170 f., 239, 247 f. −− und Glukose 132, 156 f., 170, 221 Stefánsson, Vilhjálmur 139 f. Steiger, William 303 f. Steroide 113, 117, 274 Stoffel, Markus 264 Stress 50, 92–97, 100 f., 108, 113, 194, 233, 264, 265, 274, 351 f., 354, 357, 366 −− und Armut 95 −− Bewegung und Stressabbau 187, 269 −− Biochemie, siehe Cortisol −− aus evolutionärer Sicht 100 f. −− und Fetteinlagerung 56, 93 −− Gefahren bei Kindern 93, 95, 271 −− und metabolisches Syndrom 97, 100 −− positive Aspekte 94 −− körperliche Reaktionen 93 f., 96 −− und Schlafmangel 97 und Sucht 99, 265, 281, 344 −− und übermäßiges Essen 56, 92 f., 97, 113, 265, 270 −− Whitehall-Studie 94, 351 Steuern 11 f., 329–332 −− auf Erfrischungsgetränke, Probleme 320 −− auf fettreiche Lebensmittel 320 Stoffwechselgesundheit 164, 177, 186, 204, 234, 241, 266, 307 −− und Bewegung 186 −− und Ballaststoffe 177 −− und Gewichtsabnahme, siehe Adipositasmanagement Subventionen für Mais und Soja 214, 294 f., 335 ff. Sucht; siehe Esssucht, Zuckersucht −− Ähnlichkeiten Alkohol–Zucker 88, 162, 320, 323 f. −− Belohnungssystem 75 f., 78, 98 f., 101, 158, 164, 300, 321 −− und Cortisol/Stress 94, 99, 265, 270, 281, 344 −− Definition der APA 79 −− Kreuzsensibilisierung 77, 88 Süßstoffe, künstliche 217, 242–245, 331 Süßungsmittel 155, 215 f., 220, 242–245, 320 Sugar Information 309 f. Super Size Me (Film) 81 f.

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Sweet-Ease 88 Sympathisches Nervensystem 59, 71, 369 −− Auswirkungen von Bewegung 186 −− und Energiegleichgewicht 60, 63, 369 −− und Reaktion auf Stress 96 T Tabak, siehe Zigaretten/Tabak Tate, Deborah Taylor 328 Taubes, Gary 147, 346, 354 Thompson, Tommy 10, 40, 304 Tiere in Gefangenschaft, adipöse 48 Toleranz bei Esssucht 80, 86, 88, 322, 369 Transfette 84, 132, 145, 148 f., 246, 249 f., 256, 291, 312 f., 315 −− in Fastfood 291 −− und metabolisches Syndrom 145 −− Quellen 256 −− Verbot 132, 307 Tributylzinn (TBT) 206 Triglyzeride 57, 126 ff., 132, 134, 139, 144, 149, 156, 275, 321, 326 Trostessen, Seelenfutter 92, 94, 97 −− und Gewichtszunahme 92 f. −− Hauptzutaten 94, 97 −− Stressessen 97, 270 U Umweltgifte und Anzahl Fettzellen, siehe auch Obesogene Unglücklichsein bei Adipositas 81 Unilever 293 Unnatural Causes (Fernsehserie) 94 Unterhautfett 22, 118–121, 123, 128, 162, 180, 185, 277, 369 −− gesundheitliche Vorteile 118 f. −− und Leptin 120 −− Schwierigkeit, es zu verlieren22 Urdahl, Dean 306 US-Agrargesetz 36 f. −− Vorschlag zur differenzierten Subventionierung 36, 214, 341 −− negative Auswirkungen auf die Gesundheit 37 US-Regierung −− Adipositaskosten 20 f., 31, 34, 72, 129, 281 f., 294 ff., 322, 332, 337 −− Bundeshandelskommission gegen irreführende Zuckerwerbung 308, 310 −− Subventionen durch das Agrargesetz 36, 214, 341

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−− Regulierung der Nahrungs- und Medikamentensicherheit, siehe Behörde für Lebensmittelsicherheit und Arzneimittelzulassung (FDA) 75, 171, 200, 220, 223, 243, 245, 278, 290, 300 f., 307, 311, 315 f., 328, 362 −− (mangelnde) Reaktion auf Adipositasepidemie 38, 48, 226, 301, 306 −− Mängel der Schulspeisung 299, 305 f. −− Voreingenommenheit des Landwirtschaftsministeriums (USDA) 10, 41, 147, 200, 224, 362 −− Vorwand der persönlichen Verantwortung 28, 30, 38, 41 ff., 48–52, 73–91, 287 ff., 293 ff., 306 f., 316 −− gegen Anti-Zucker-Bericht der WHO 303 f. −− Zuckerzölle 302, 337 V Vagusnerv und Energiegleichgewicht 59 ff., 63, 66, 68, 92, 112, 124, 244, 367, 369 Vegane/vegetarische Ernährung 151, 167, 184, 205, 235 −− aus evolutionärer Sicht 140, 235 Vegetatives Nervensystem 60, 369 Ventrales tegmentales Arel (VTA) und Sucht 75, 101, 370 Ventromedialer Hypothalamus (VMH) und Energiegleichgewicht 58, 101, 350, 370 −− Auswirkungen von Leptin 101 Venus von Willendorf 26 Verarbeitung von Energie 56 ff. −− und Darmbakterien 175 f., 244 −− und Hypothalamus 57–60 −− und Insulin 56 f. −− und Leptin 59 ff. −− Verdauung 56, 59 ff., 130, 141, 167–170, 172, 369 Verdauung, essen und Energieverarbeitung 56, 59 ff., 130, 141, 167–170, 172, 369 Vereinte Nationen (UN) zu nicht übertragbaren Krankheiten 318 f. Verhalten 12 f., 28, 30 f., 42, 44 ff., 51 f., 54 ff., 58, 62, 64 f., 68, 71 f., 75, 83, 93, 95, 101, 108, 180 f., 201, 225, 230, 232, 261, 263, 265, 270, 272 f., 281, 296, 311, 318 f., 326, 329, 344; siehe auch Sucht −− Biochemie 101, 181 Verlangen 82, 88, 323 −− und Esssucht 82, 88 −− und Zuckersucht 82, 88 Verzweigtkettige Aminosäuren und metabolisches Syndrom 40, 133

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Vitamin D 195 f., 234 f., 238, 305, 315, 357 −− Ursachen für Mangel 195 Vitamin E 134, 193, 195, 197, 357 Vitamine, siehe Mikronährstoffe Viszeralfett 118; siehe Bauchfett Volkow, Nora 90 W Wärmelehre, der erste Hauptsatz 27 Wall-E (Film) 22 Wasserlösliche Ballaststoffe 169, 172–177 Wasserunlösliche Ballaststoffe 169 f., 172–175, 177 Weiße 49, 87, 96, 127, 131, 192, 202 −− BMI und Gesundheitsprobleme 117 −− und Fettleber 49, 192 Wellness City Challenge 342 Werbung 44, 154, 168, 194, 224 f., 289, 300, 324, 327 f. −− Fernsehwerbung und kindliche Adipositas 51, 327 −− irreführende Werbung 308 f. −− für Junkfood 224, 327 Wertz, Marcia 339, 346, 365 White, Paul Dudley 143 Whitehall-Studie 94, 351 Williams, David 94 Winfrey, Oprah 44 f., 307 WIC, Ernährungsprogramm für Frauen, Kleinkinder und Kinder 36 f., 299 Women’s Health Initiative 149, 197, 354 f. World Sugar Research Organization 303 Y Young, Larry 333 Yudkin, John 144, 146, 150 Z Zentren für Krankheitskontrolle und Prävention (CDC) über Adipositas 11, 28, 153, 187, 328 Zentrum für Verbraucherfreiheit (CCF) 292 Zusatzstoffe/Zusätze in industriell verarbeiteter Nahrung 221, 290 f., 335 Zigaretten/Tabak 11, 77, 227, 289–292, 294, 315, 319 f., 324, 328 f., 332 f., 339 f. −− als Problem der öffentlichen Gesundheitsversorgung 227 −− Aussagen der UN 318 −− Regulierung, Ähnlichkeiten mit Zucker 77, 248 −− Rauch als Obesogen 207 f. Zirrhose 23, 129, 191 f., 221

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Index

Zucker (Saccharose), siehe auch Fruktose, Maissirup −− Konsum in der Kindheit 143, 324 −− Komponenten 40, 134 −− versus diätetische Süßstoffe 242, 244 −− aus evolutionärer Sicht 88, 166 −− Empfehlungen für eingeschränkten Konsum 248, 266, 301, 318 ff., 325, 329, 338 −− von der FDA als sicher eingestuft 245, 315 f. −− in industriell verarbeiteter Nahrung (Gründe der Lebensmittelindustrie) 153, 164, 222, 235, 247, 291, 293, 320 −− Lebensmittelkennzeichnung und fehlende Informationen 222, 311 f., 325 −− Mantra der leeren Kalorien 153, 156, 211, 321 −− Problem aus historischer Sicht 12, 346 −− prozentualer Anteil in industriell verarbeiteten Lebensmitteln 146, 153, 163 −− verstärkter Konsum 41, 154, 267, 320 −− Verstoffwechselung zu Fett 40, 56, 130, 153, 240, 323 −− weltweite Nutzungsanalyse 12, 134, 154, 163 Zuckerzölle 302, 337 −− WHO-Bericht 303 Zuckerhaltige Getränke, siehe auch Fruchtsäfte, Erfrischungsgetränke −− Ähnlichkeiten 155, 331 −− Diätetische Süßstoffe 242, 244 −− Saccharose 130, 144, 153 ff., 210, 221 f., 226, 244, 247, 249, 301 f. Zuckersucht 87 −− Abhängigkeit von Erfrischungsgetränken 87 −− Ähnlichkeiten Alkohol–Zucker 88, 162, 320, 323 f. −− aus evolutionärer Sicht 88 −− Mechanismen 87 f., 165 −− Tierversuche 87 f. Zuckerverband 211, 303, 309 f.

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