Die Besiegten von 1945: Versuch einer Politologie für Deutsche samt Würdigung der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland [1 ed.] 9783428442386, 9783428042388

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Die Besiegten von 1945: Versuch einer Politologie für Deutsche samt Würdigung der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland [1 ed.]
 9783428442386, 9783428042388

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HANS-]OACHIM ARNDT

Die Besiegten von 1945

Die Besiegten von 1945 Versuch einer Politologie für Deutsche samt Würdigung der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland

Von

Hans-Joachim Arndt

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Alle Rechte vorbehalten

© 1978 Duncker & Humblot, Berl1n 41

Gedruckt 1978 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berl1n 61 Printed in Germany ISBN 3 428 04238 7

Vorwort "Bonn ist nicht Weimar" - bei dieser Meinung eines Schweizer Publizisten beruhigte sich die öffentliche Meinung in der ersten Phase der Bundesrepublik Deutschland auf das angenehmste. "Bonn ist/wird doch Weimar", oder "Leistet Reformen, auf daß Bonn nicht doch Weimar werde" - das ist der Kern-Sinn der Schlagworte, mit denen die aufkeimende politische Unruhe in einer zweiten Phase der Bundesrepublik, ab etwa 1966, geschürt oder zu dämpfen versucht wurde. Mit der Gründung des westdeutschen Staates fällt zusammen die Gründung der Politikwissenschaft oder Politologie als einer eigenständigen Fachwissenschaft an den Universitäten; diese neue Disziplin stand von Beginn an unter besonderen Ansprüchen und hohen Erwartungen, - weniger "provisorischen" Ansprüchen als es dem ursprünglichen "Provisorium Bundesrepublik" eigentlich hätte gemäß sein dürfen. In seiner Entfaltung hat das neue Fach Politologie den Werdegang der Bundesrepublik getreulich begleitet und gespiegelt; so markieren sich auch in der Politikwissenschaft die beiden Phasen des "NachkriegsWiederaufbaus" und der "Krise und Kritik". Sie tun dies jedoch mit einem ganz besonders hohen Abstraktionsgrad, den die Vertreter dieses neuen Faches als Ausweis für seine "Wissenschaftlichkeit" ansahen. Infolgedessen geriet unter ihren Händen die Bonn/Weimar-Formel der ersten Phase zur abstrakten Verteidigung von geschichts- und ortsfremder "Verfassungsstaatlichkeit überhaupt", und in der zweiten Phase stand statt solch allgemeiner Verteidigung und Rechtfertigung eine ebenso allgemein gehaltene Kritik "des Systems" im Vordergrund, - in beiden Phasen dominierte bei Gegenstand und Verfahren jedenfalls das Abstrakte, Generelle, Normative, ob nun mehr im Gewande des Verfassungsstaatlichen (wie in der ersten Phase) oder des Sozialstrukturellen oder Systemtheoretischen (wie in der zweiten Phase). Nach fast dreißig Jahren schnellen, bisweilen sprunghaften Auf- und Ausbaus dieser neuen Fachwissenschaft ist es nun an der Zeit, umfassend Rückschau zu halten über ihre Leistungen und Wirkungen. Erste "Wissenschaftsgeschichten" dieser in Deutschland neuen Disziplin erscheinen auf dem Markt, doch scheinen sie mir - das wird in diesem Buch zu belegen sein - reichlich einseitig auszufallen; sie wurden aus dem Eifer der zweiten, "kritischen" Phase heraus von NachwuchsPolitologen geschrieben.

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Vorwort

Ich vertrete an der Universität Heidelberg das Fach Politikwissenschaft jetzt seit zehn Jahren von einer Position aus, die man bis vor kurzem einen "Lehrstuhl" nannte. In dieser Dekade erfolgte der Phasen-Umschwung, begleitet von den und eingebettet in die auch einer breiteren Öffentlichkeit bekanntgewordenen Unruhen in Studentenschaft und Lehrkörper, - nicht nur in diesem Fach. Gerade diese Unruhen boten reichlich Anschauungsmaterial dafür, daß eine Wissenschaft von der Politik im Recht ist - jetzt mehr denn je -, wenn sie Verfassungs-, Struktur- und Systemanalysen anfertigt. Auch ich bewerte das wissenschaftliche Befassen mit Verfassungstreue, Verfassungsfeindlichkeit, Verfassungsbruch, Systemloyalität und Sozialstruktur nicht gering. Jedoch: Extreme Abstraktionshöhe kann in Situationsferne, ja Situationsleere umschlagen, Geschichts- und Ortsferne in Geschichts- und Ortlosigkeit. Die Pointe von "Bonn ist/ist nicht Weimar" liegt ja heute weniger in der Suche nach Verfassungs-, Struktur- und Systemanalogien oder -verschiedenheiten beim Weimarer und beim Bonner Staat. Vielmehr muß sich für einen Politologen der Gegenwart als primäre politische Frage die aufdrängen, ob "Weimar" und "Bonn" denn überhaupt heute noch "deutsche" Städte sind, oder in der zur Zeit geltenden Sprachregelung: Städte "in Deutschland". - Jenseits des Metaphorischen: Die Kernfrage einer Politologie in der Bundesrepublik konnte seit der Niederlage von 1945 keine konstitutionalistische sein, keine strukturalistische oder systemologische, sondern eine solche nach der Identität: entweder eines - fortexistierenden - Deutschen Reiches oder eben der - andersartigen - Identität der Bundesrepublik (und der DDR). Diese Frage legen wir als Maßstab an die Politikwissenschaft in der Bundesrepublik an und suchen eben deshalb nach einer "Politologie für Deutsche". Konstitutions- und Strukturfragen rücken demgemäß gegenüber Identitätsfragen in den Hintergrund; für eine nicht lagevergessene Politologie mußte dies seit 1945 Leitmaxime sein. - Dreiunddreißig Jahre sind seit der Niederlage der Deutschen im Zweiten Weltkrieg und dem Ende des Nationalsozialismus vergangen; die vornehmste Aufgabe, gar der Gründungszweck der Politologie sollte es sein, als wissenschaftliche Grundlegung der politischen Bildung in Deutschland - einstweilen nur in der Bundesrepublik Deutschland - die Wiederholung solcher Katastrophen mit verhindern zu helfen. Da ist es jetzt wohl nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten, die Geschichte dieser Neugründung zu erzählen unter eben jener Fragestellung, die ja die ihrem eigenen ausdrücklich erhobenen Anspruch gemäße ist: wieweit dieses neue Universitätsfach die besondere Lage der Deutschen nach 1945 faßte und erfaßte, wieweit es "lage-adäquat" vorging. Lagerichtig-

Vorwort

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keit aber bedeutete, daß - nicht gerade nur, aber (unter anderem) auch - eine Politologie für die Besiegten von 1945 forschend entwickelt wurde. - Diese Frage stellt dieses Buch, und dieser Aufgabe stellt es sich. Die Untersuchung enthält u. a. eine systematische Analyse von politikwissenschaftlicher Literatur in der Bundesrepublik Deutschland; dieser systematische Ansatz erforderte ,aus forschungstechnischen Gründen einen frühzeitigen "Redaktionsschluß" und damit die Beschränkung auf ein spätestes Erscheinungsjahr. Politologische Veröffentlichungen aus der Bundesrepublik wurden bis zum Jahr 1976 berücksichtigt; nicht systematisch verwendete Publikationen reichen noch in das Jahr 1977. - Eine Analyse der Stellenbesetzungen von Politikwissenschaftlern an Universitäten wurde bis zum Wintersemester 1976/ 1977 geführt. - Das Manuskript wurde im Herbst 1977 abgeschlossen. Ich bin einer kleinen Zahl von Mitarbeitern für Materialsammlung und -aufbereitung zu Dank verpflichtet. Herr Hellmut Hoffmann half bei der schwierigen und umfangreichen Zeitschrüten-Auswertung, bei der Personalstellen-Analyse und bei weiteren Recherchen; als Schreibkraft trug die Hauptlast Frau Christa Wutke, der auch Hilfe beim Korrekturlesen zu danken ist. Die Verantwortung für den Inhalt verbleibt selbstverständlich beim Autor. Die Würdigung der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik, die im Zweiten Teil des Buches unternommen wird, beinhaltet eine scharfe Kritik des Faches. Ich hoffe, daß betroffene Kollegen, und auch die Öffentlichkeit, soweit sie sich betroffen fühlt, diese Kritik als Aufforderung zur Auseinandersetzung mit der minima ratio der Argumentation auffassen und nicht als ihre Beendigung. Unser junges Fach ist in Bedrängnis geraten, noch bevor es die Anerkennung der etablierten älteren Fächer erlangen konnte. Der Politischen Wissenschaft geht es hier nicht besser als der politischen Bildung und dem politischen Bewußtsein der Deutschen überhaupt. In einer solchen Lage helfen nur Offenheit und Deutlichkeit. Schriesheim bei Heidelberg, im August 1978.

Hans-Joachim Arndt

Inhaltsverzeichnis Erster Teil Die politisdle Lage der Deutschen nadl1945 I. Einleitung

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1. Die Fragestellung einer Politikwissenschaft in Deutschland. .. . .. . ..

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2. Einwände und erste Entgegnung auf sie ........................... 2.1. Erster Einwand: Die Grund-Lage der Besiegten ist der Sieger. 2.2. Zweiter Einwand: Die Niederlage ist nur ein Teil der GrundLage ........................................................ 2.3. Dritter Einwand: Das Ausgehen von der Niederlage ist gefährlich und unstatthaft .......................................... 2.4. Vierter Einwand: Der Vorwurf ist unzutreffend und unhaltbar

17 17 22 27 29

11. Entwicldung des eigenen Ansatzes in Abhebung von der etablierten Politikwissensdlaft und ihrer etablierten Kritik .................... 32 3. Methodologische und wissenschaftstheoretische Vorbemerkung: Politische Wissenschaft als konkrete Lageanalyse ...................... 33 3.1. Konkretheit historischer und Abstraktheit systematischer Wissenschaft: Das Dilemma der "Identität" politischer Subjekte.. 34 3.2. Das konkrete historische Subjekt wird vom Systemansatz ausgeblendet .................................................... 49 4. "Deutschland" nach 1945 - Existenz, Lage und Folgerungen für eine Politische Wissenschaft ............................................ 61 4.1. Der Verbleib des Subjekts "Deutschland" ..................... 65 4.2. Elemente der deutschen Lage nach 1945 ...................... 68 5. Hinweise auf die Erklärungskraft des Ansatzes für die deutsche Entwicklung nach 1945 ............................................... 76 5.1. Die Grund-Optionen deutscher Politik im anderen Licht ...... 77 5.2. Zurechtrücken des Forschungsinteresses im einzelnen ........ 86 5.3. Wa~~ng ~nd Verwahrung gegen national-revanchistische Mißverstandnisse ................................................ 98

111. Politik und Politikwissensdlaft für Deutsche nadl 1945 ............ 103 6. Erkennen und Handeln aus der Niederlage heraus ................. 104 7. Anforderungen an eine Politikwissenschaft in dieser Lage .......... 107

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Inhaltsverzeichnis Zweiter Teil

Politologie in der Bundesrepublik Politologie in der Bundesrepublik ..................................... 111 IV. Zum Werdegang einer Wissenschaft: Grundlegung, Rahmendaten und erste Tendenzübersicht .. . . . . . . . . .. 116 8. 1949/50: Öffentliche Grundlegung mit bestem Gewissen, - die Konferenzen von Waldleiningen und Königstein ....................... 117 9. Entwicklung der Personalstellen an Universitäten und ihre Besetzung 9.1. Technische Vorbemerkung ................................... 9.2. Entwicklung der Personalstellen im Fach Politikwissenschaft in der Bundesrepublik 1950 bis 1976 ............................ 9.3. Berufungen und Ernennungen in Lebenszeit-Professuren ...... 9.4. Herkunft und Richtung der Lebenszeit-Professoren im Fach Politikwissenschaft 1976 ...................................... 9.5. Richtun~, Sp~~nung, Polarisierung des Lehrkörpers der einzelnen UnlVersItaten ...........................................

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10. Gestaltende Eingriffe des Staates und der Universitäten ........... 157 11. Die Studierenden der Politikwissenschaft, ihre Berufschancen und ihr Verbleib ...................................................... 173 12. Die deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft ........... '"

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13. Inhaltsanalyse von Zeitschrift€n als erste Tendenzübersicht ........ 13.1. Vita der ausgewerteten Zeitschriften ........................ 13.2. Technische und methodologische Vorbemerkungen zur Inhaltsauswertung ................................................. 13.3. Inhaltsauswertung der Zeitschriften ..........................

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V. Die Erste Phase: Etablierung ...................................... 250 14. Die Politologen der Ersten Stunde und ihr Erbe ................... 253 15. "Demokrati€wissenschaft": Gemeinsamkeit über allen Differenzen. Zwei Schulbeispiele ............................................... 265 16. Die ersten Schüler: Vielfalt der Ansätze und Themen, Einheit der Wertung .......................................................... 274 17. Exkurs über die Political Science in den USA als Ausdruck amerikanischer Geschichtserfahrung .................................... 282 VI. Die Zweite Phase: Von der Kritik am Etablierten zur etablierten Kritik ............................................. 297 18. Richtungsschwenk mit dem Generationswechsel ................... 302 19. Kennzeichnung des Lagers einer "Kritischen Politikwissenschaft" .. 313

Inhaltsverzeichnis

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20. Zwei Paradebeispiele: Die .Jahrestagungen der DVPW 1973 und 1975 ..................... 326 20.1. "Politik und Ökonomie - autonome HandlungSmöglichkeiten des politischen Systems." Hamburg 1973 ...................... 328 20.2. "Legitimationsprobleme politischer Systeme." - Duisburg 1975 341 21. Die Ausbildungsfunktion der "Kritischen Politikwissenschaft.. im Lichte der "Theorie-Praxis-Debatte" .............................. 358 21.1. Materialien zum Universitäts-Alltag der Siebziger .Jahre ...... 361 21.2. "Theorie-Praxis" ............................................ 377 22. Der Normativismus am Rubikon: Die Verteidigung durch die Demokratiewissenschaft . . ........ ..... . ... ............................. 392

VII. Schluß und Fazit: Politikwissenschaft ohne die Illusion falsdler Sicherheit ....................................................... 411 Literaturverzeichnis .................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 427

Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder 1: Personalstellen (Lehrstühle, sonstige Dozenturen, Mittelbau) 1952 bis 1976 nach Ländergruppen (C-, S-Länder, NRW) .................... 2: Berufungen und Ernennungen von Lebenszeit-Professoren (Fälle) bis 1976; Herkunft (nach "Wiegen"), Hinkunft (nach Ländergruppen) 3: Herkunft der Lebenszeit-Professoren nach "Wiegen" (bis 1976) (nur "Identifizierte") . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4: Herkunft der Lebenszeit-Professoren, aufgegliedert nach HinkunftLändergruppen (bis 1976); Einzelvergleiche mit Prozentzahlen ...... 5: Anteil der "Richtungsbesetzungen", bereinigt um "Unidentifizierte" (bis 1976) ......................................................... 6: "Richtung" der 1976 Lehrenden, von Ländergruppen-Herkunft abgeleitet ........................................................... 7: "Richtung" der Lehrenden 1976, von zusätzlichen Kriterien abgeleitet 8: "Richtungsspektrum" der 1976 Lehrenden .......................... 9: Richtungen der 1976 Lehrenden, in Beziehung zu Jahrgängen (Generationen) ....................................................... 10: Richtungs-Spannung, Homogenität bzw. Polarisierung der 1976 Lehrenden nach einzelnen Universitäten .............................. 11: Spannbreite ("Pluralität"), Personalstärke und Richtungs-Streuung in der Politologie der Hochschulen, Bundesrepublik 1976 ........... 12: Verteilung der berufstätigen Befragten nach Institutionen und Regionen (Absolventen der Berliner Politologie) ..................... 13: Rekrutierungsformen (Absolventen der Berliner Politologie) ....... 14: Studierende des Faches Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland 1950 - 1976 ............................................ 15: DVPW, Personal- u. Mitgliederstand von Gründung 1951 bis 1963 .. 16: DVPW, Personal- u. Mitgliederstand von 1965 bis 1977 ............ 17: Klassifikation der Beiträge in ZfP, PVS und Leviathan nach Gegenstands- und Sachgebieten ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 18: Klassifikation der Beiträge in ZfP, PVS und Leviathan nach geographischem Ort bzw. Ortlosigkeit .................................... 19: ZfP, integrierte und geraffte Auswertung der Klassifikationen nach Gegenstandsgebieten und nach geographischen Orten .............. 20: PVS, integrierte und geraffte Auswertung der Klassifikationen nach Gegenstandsgebieten und geographischen Orten .................... 21: Leviathan, integrierte und geraffte Auswertung der Klassifikationen nach Gegenstandsgebieten und nach geographischen Orten ......... 22: Klassifikation der Beiträge in ZfP, PVS und Leviathan nach "Ansatz und Richtung" .................................................... 23: Ausgewählte Literatur der "Lehrer" .............................. 24: Ausgewählte Literatur der "Ersten Schüler" ...................... 25: Ausgewählte Titel der Phase der "Kritischen Politikwissenschaft" ... 26: Autoren der Literatur in der Phase der "kritischen Politikwissenschaft" nach Richtung und Generation ............................

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Erster Teil

Die politische Lage der Deutschen nach 1945 I. Einleitung Jedes politische Gebilde von einigem Gewicht, ob Staat, Nation, Volk oder Partei, wird von einem oder mehreren Kern-Ereignissen bestimmt, aus dem oder denen es gewöhnlich auch seine eigene Identität als unverwechselbares historisches Subjekt herleitet. Es mag sein, daß solch Ereignis eigentlich nur die unerlaubte, phrasenhafte Zusammenraffung von Strukturentwicklungen darstellt, denen selbst kein abtrennbarer Ereignischarakter zugesprochen werden dürfte - der Rückgriff auf markante, prägende Ereignisse zur Erfahrung und Bewahrung der eigenen Identität erweist sich als mehr als ein massenpsychologischer Trick; er wird von den Personen, die das historische Gebilde ausmachen - und solange sie es ausmachen - , ebenso als notwendig empfunden wie von den "Anderen", die nicht Angehörige oder Mitglieder dieses Kollektivs sind. Kern-Ereignisse solcher Art sind nicht nur positiv bewertete "gemeinsame Taten"t, sondern auch Kulminationspunkte "gemeinsam erlittener Not", also passiv Erfahrenes; und zu den positiv gewerteten gemeinsamen Taten zählen durchaus nicht nur die auf Ereignisse zugespitzten Grundungsakte politischer Gebilde, obwohl in den letzten Jahrhunder1 Sucht man nach der "Definition" von Nation oder Volk, so wird in diesem Zusammenhang meist verkürzend und damit verfälschend Renans berühmtes Wort vom "plebiscite de tous les jours" zitiert. Verkürzt und damit verfälscht wird dabei in Richtung auf eine Konsens- oder Kontrakttheorie. Genau und vollständig heißt es bei Renan: " ... la possession en commun d'un riche legs de souvenirs, ... le consentement actuel, le desir de vivre ensemble, la volonte de continuer a faire valoir l'heritage qu'on a re!;u indivisible ... L'homme ... ne s'improvise pas. La Nation, comme l'individu, est l'aboutissement d'un long passe d'efforts, de sacrüices et de devouements". Und es wird nicht nur festgestellt: "Avoir des gloires communes dans le passe, une volonte commune dans le present; avoir fait de grandes choses ensemble, vouloir en faire encore, voila les conditions essentielles pour etre un peuple" -, sondern es folgt gleich darauf: " ... avoir souffert, joui, espere ensemble ... " (Renan, Qu'est-ce qu'une nation? 1882, LV. 6, p. 306, 307). Der Hinweis auf Renan an dieser Stelle soll nicht bedeuten, daß wir allein Nation oder Volk als politisches Existential betrachten wollen. Siehe dazu weiter unten. Dort (Kap. 3 und 5.3) auch eine Auseinandersetzung mit den erkenntnistheoretischen, sozialpsychologischen und psychologischen Seiten von Kollektivbewußtsein, Nationalbewußtsein usw.

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1. Teil: I. Einleitung

ten der Wille zum "Selber-Machen-Wollen der Geschichte", zum "In-dieHand-Nehmen des Ganzen", bis nahe an Hybris heranwuchs, womit die Datierbarkeit von Anfangskonstellationen plaus~bler wurde und Nationalstaaten ihre 4. Juli, 14. Juli, 18. Januar, Oktdber feiern konnten und wollten bis zu den Nachahmungen des 30. Januar oder 23. Mai. Dies letztere Datum wird nun wohl nur von einer verschwindend kleinen Minderheit von Deutschen - auch nicht von Bürgern der Bundesrepublik Deutschland - als letztes prägendes Kern-Ereignis deutscher Politik und deutscher Geschichte empfunden: so stellte man auch Absichten zurück, es zum Nationalfeiertag der Bundesrepublik zu erklären, sondern beläßt es einstweilen beim 17. Juni. "Deutschland" - was immer das jetzt sein mag - wird heute, 1977, nach wie vor vom 8. Mai 1945 zentral bestimmt, vom Tag der bedingungslosen Kapitulation, der totalen Niederlage nach einem totalen Krieg. Dies Kern-Ereignis bestimmt darüber hinaus auch die heutige Lage, mindestens, in Mitteleuropa, dafür haben die anderen Völker und deren Staatsmänner offenbar ein sichereres Gespür als die Deutschen und manche ihrer Staatsmänner. Die Besiegten von 1945 mögen viele gute Grunde dafür anführen, dieses Datum als durch spätere Ereignisse und Entwicklungen überholt anzusehen, als durch folgende Entscheidungen und Gesinnungen und Handlungen überdeckt, zugeschüttet, gar getilgt - oder durch vorausliegende Ursach-Daten bedingt und damit relativiert. Das historische und politische Factum Brutum für die Deutschen bleibt dieser 8. Mai 1945; es ist die auf ein griffiges EreignisDatum zugespitzte Anfangskonstellation für die Grund-Lage Deutschlands und Mitteleuropas seitdem. "Überholt" ist dieses Kern-Ereignis jedenfalls in seiner Grundsubstanz keineswegs, im Gegenteil, es gewann, nachdem es einige Jahre für die Westdeutschen als verschüttet galt, unversehens neue Aktualität. Deutschland lebt immer noch im wesentlichen aus dem 8. Mai 1945 - auch wenn es, natürlich, dies nicht feiern kann und will.

1. Die Fragestellung einer Politikwissenschaft in Deutschland Nun ist das Wahrnehmen, das Kennen und Erkennen, Begreifen und Wissen des Kern-Ereignisses, welches ein politisches Gebilde bestimmt - nämlich des letzten, die Gegenwart bedingenden, versteht sich -, nicht nur unabdingbar für die Gewinnung und Wahrung von "Identität", eines bloßen Begriffes, den man in die Geschichtsphilosophie oder sonstige praxisferne Politiktheorie abschieben könnte. Das Erkennen des Kern-Ereignisses, welches die geltende Konstellation markiert, genauer: das zutreffende Erkennen des zutreffenden Ereignisses, ist Voriledingung für zwei höchst reale und realistische politische Faktoren: für das, was

1. Die Fragestellung einer Politikwissenschaft in Deutschland

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man mit Legitimität oder auch mit Loyalität bezeichnet - also den Grundkonsens der Einzelnen dem politischen Gebilde gegenüber, und für den Maßstab, an dem auf der Basis dieses Grundkonsenses das bemessen wird, was richtige, rationale, kluge Politik :heißen kann. Der Erwerb von zutreffendem Wissen um zutreffende Ereignisse und Gegenstände, pathetischer: von wahrer Erkenntnis über relevante Lagen und Objekte, heißt, wenn er methodisch kontrollierbar betrieben wird, Wissenschaft. Eine Wissenschaft von der PolitiJk:, von manchen auch Politologie genannt, muß also zu allererst die Wahrheit über die GrundLage in Erfahrung zu bringen versuchen; und wenn sie nicht AllerweltsPolitologie sein will, sondern konkrete, empirische - meinetwegen auch: "materialistische" - Wissenschaft, unter anderem auch für Deutsche, muß sie von Beginn bis Ende aller Analyse zutreffende Aussagen über die letztgültige deutsche Anfangskonstellation anstreben, eben für das Kern-Ereignis, die Grund-Lage der Besiegten von 1945. Tut sie dies nicht, so verfällt sowohl der - von ilhr so oft und gern erhobene - Anspruch, Ratgeber für richtige, rationale, kluge (deutsche) Politik zu sein, als auch wird die Erwartung unerfüllbar, die Kultusminister der Bundesrepublik an sie geknüpft haben: die Politologie solle durch Forschung, Lehre, Bildung und Ausbildung mithelfen bei der Grundlegung, Entfaltung, Pflege und Wahrung von so etwas wie Staatsbürgergesinnung, Gemeingeist, Gesellschaftsverpflichtung, Demokratieverständnis. Die Einrichtung von Dutzenden von Politologie-Lehrstühlen an wissenschaftlichen und Pädagogischen Hochschulen, die Einrichtung von Fächern wie Gemeinschafts- oder Sozialkunde in Schulen, die Ausbildung von Lehrern hierfür, die Bestellung von Politologen für Erwachsenenbildungs-Einrichtungen dienten samt den hierfür verwendeten Geldern vom Standpunkt der Politiker aus gesehen vornehmlich dem erklärten Zweck, durch Finden und Verbreiten der WahI'heit über Politik Legitimität und Loyalität unter Deutschen und zwischen Deutschen und dem Ausland zu stäI'ken, und das Politiktre~ben richtiger, rationaler, klüger zu gestalten. Die Politologie in der Bundesrepuiblik - und nicht nur dort - ist diesem erklärten Zweck nicht gerecht geworden, und vornehmlich desha}b, weil sie keine Politologie für Deutsche war, auch meist nicht sein wollte. Damit ist nicht gemeint: weil sie keinen subjektiven oder subjektivistischen Standpunkt - eben einen "deutschen" - bezog, sondern: weil sie die Grund-Lage der Deutschen, das Kern-Ereignis, nicht ernsthaft und auf deren und dessen Wahrheit bedacht anvisierte: eben die Besiegten von 1945 zu sein. Diese Grund-Lage ist nämlich auch ihre eigene Anfangskonstellation, die Grundlage der Politologie in Deutsch-

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1. Teil: r. Einleitung

land nach 1945. Politische Wissenschaft in Deutschland - und natürlich auch in der Bundesrepublik - konnte nur und mußte eine Politologie der Besiegten sein, darin lag ihre Ausgangs-Wahrheit und liegt sie noch, solange, bis das (letzte) Kern-Ereignis der Niederlage von 1945 tatsächlich überholt ist - oder bis die Erkenntnis feststeht, daß 1945 mehr als eine Niederlage bedeutet, sondern etwa das Finis Germaniae. Wenn der Tod eines politischen Gebildes eingetreten ist, gi'bt es für es keine Lagen mehr, auch keine Grund-Lagen; das Interesse des Forschers wechselt dann, und zwar ganz legitim, ins Archivarische, Archäologische, Allgemein-Belehrende oder -Neugierhafte; das Subjekt ist tot oder ausgestorben: das heißt dann auch: man kann potentiell alles über es wissen, eine Erkenntnis bietet keinen Input für seinen souveränen Willen mehr. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Politologie in der Bundesrepublik - nebenbei: auch in der DDR - Deutschland bereits seit geraumer Zeit wie eine ausgestorbene Tierart behandelt; das fiel nur nicht besonders auf, solange offen bleiben konnte, ob es sich bei der Bundesrepublik nicht doch um die identitätswahrende Rest-Einheit handelte. Seit geltend gemacht werden kann, daß es bei den Alleinvertretungsund Wiedervereinigungsansprüchen nur mehr um juristische Fiktionen ohne politischen Realitätsgehalt geht, muß es für diese Politologie zum Schwur kommen. Ganz gleich aber, wie befunden wird: ob es eine "deutsche Lage", Lage für ein deutsches historisches und politisches Subjekt, weiter geben wird oder schon ab jetzt nicht mehr gibt, - es hat sie nach der Niederlage von 1945 noch gegeben, und es muß möglich sein, aufzuweisen, ob die Politologie in der Bundesrepublik gefehlt hat, indem sie die Wahrheit dieser Lage nicht aufnahm, und worin sie im einzelnen gefehlt hat. Eine solche Kritik scheint am besten dadurch zu vollziehen, daß der Untersuchung der "Besiegten von 1945" als Objekt - solche Untersuchung ist oft geschehen, vornehmlich von der Zeitgeschichte, auch der Rechtswissenschaft, sogar der Psychoanalyse - hinzugefügt wird eine Untersuchung des Subjekt-Charakters dieser "Besiegten". Erst der Nachweis, daß die Summe der Subjekt-Elemente Null oder nahezu Null ergab, rechtfertigte, von einem deutschen Subjekt, einer deutschen Lage, einem deutschen Kern-Ereignis gar nicht mehr zu sprechen und anderes zu substituieren, so wie es Golo Mann tat: Worauf es jetzt ankommt, ist die Anerkennung der Bundesrepublik durch sich selbst!. 2 Willy Brandt hat diese These Golo Manns in seinem Bericht über die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland vom 14. Januar 1970 vor dem Bundestag aufgenommen; Ernst Nolte knüpft daran wesentliche geschichtstheoretische Spekulationen, mit denen wir uns unten (Kap. 5.3) noch auseinandersetzen werden. Nachweise bei Nolte, Deutschland und der kalte Krieg, 1974, S. 581 und 733, Anm. 17 (LV. 4 a).

2. Einwände und erste Entgegnung auf sie

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Im Folgenden wird der Versuch gemacht, Politikwissenschaft von Besiegten für Besiegte zu schreiben, und nur dies kann eine Politologie für Deutsche nach 1945 sein. Da hiergegen aber schon vom Prinzip her schwerwiegende Einwände erhoben werden - wie etwa: wenn die Prämisse stimmt, erledigt sich das ganze Vorhaben von selbst -, bedarf es einiger weiterer, nunmehr abwehrender, Vorbemerkungen. 2. Einwände und erste Entgegnung auf sie

Es gibt Einwände gegen das Vorhaben überhaupt, insbesondere seine Grundprämisse - die starke Betonung von Kern-Ereignissen, GrundLagen -, und solche gegen Einzelheiten in der Durchführung des Vorhabens. Wir zählen die uns bekannten und denkbaren prinzipiellen Einwände gegen das Vorhaben überhaupt auf und setzen uns jetzt mit denjenigen von ihnen auseinander, bei denen dies möglich ist, ohne der inhaltlichen Durchführung selbst vorzugreifen. Der Rest von ihnen, wie auch hier nicht erwähnte Einzel-Einwände, werden erst später aufgegriffen. 2.1. Erster Einwand: Die Grund-Lage der Besiegten ist der Sieger

Es wird zwar zugestimmt, daß die Grund-Lage jeder Politik und Politischen Wissenschaft in Deutschland in der Tat die Niederlage unvergleichbarer Art von 1945 war, eine totale nach einem totalen Krieg aber eben deshalb 2.1. a)

ist diese Wahrheit für Besiegte unaussprechbar - toujours y penser, jamais en parler -, unverwendbar, schon gar nicht verwendbar für "eine Politologie". Stimmt die Auffassung von der Niederlage als einer unvergleichbaren, totalen, so kann nach einem solchen Debakel geradezu per definitionem - ,die dann entwickelte, gelehrte und praktizierte Politologie immer nur die der Sieger sein, nie eine der Besiegten. Die Forderung nach einer Politologie der Besiegten ist also irreal; 2.1. b)

die Forderung, eine Politologie der Besiegten zu treiben, kommt dem Ansinnen gleich, eine wissenschaftliche Superstruktur über einem der Grund-Sentiments der Deutschen nach 1945 zu errichten, das vom Ausland bemerkt und mit Recht kritisiert wurde: Dem Selbstmitleid, dem Gejammer über "was haben wir alles durchgemacht". überhaupt steht hinter dem ganzen Vorhaben der fruchtlose Versuch, Politik und Wissenschaft auf der unsicheren Basis von Emotionen, Gefühlen, Empfindungen, Befindlichkeiten zu treiben; 2 Arndt

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1. Teil: I.

Einleitung

2.1. c)

eine Politologie der Besiegten - wenn überhaupt entwerfbar und aussprechbar, und wenn mehr als Rationalisierung von ex definitionem ohnmächtigen Empfindungen -: In welchem Modus wäre sie zu entwerfen, in welchem Ton, mit welchem Stil, in welcher Hinsicht, auf welches Ziel hin, an welche Adressaten? Ganz zu schweigen vom Inhalt? Wäre nicht Schweigen, Abwarten, Gras-drüber-Wachsen-Lassen die probate Verhaltensweise? Entgegnung auf die Einwände Zu 2.1. a)

Es handelt sich hier um einen schwerwiegenden, ja, den schwerstwiegenden Einwand gegen das Vorhaben überhaupt. Ist er stichhaltig, so wäre eine Politologie für Besiegte übel'haupt unmöglich; da er nicht einfach argumentativ, gleichsam methodologisch, durch Prämissensetzung plausibel zu entkräften ist, rückt er aus dem Bereich der Einwände in die Kategorie einer Grundfrage. Indem wir eine Untersuchung zum Thema überhaupt beginnen, geben wir zu verstehen, daß wir gute Gründe zu haben glauben, nicht von vorne herein eine einzige Antwort für gegeben zu halten, nämlich das Schweigen. Wir halten es also mit Gründen für möglich, daß die Niederlage von 1945 keine totale, gar absolute, war oder blieb; zumindest halten wir die Frage, ob sie es war, für stellbar. Unterlegene in einem im Europa der Neuzeit duellhaft - unter Gleichrangigen - geführten "klassischen" zwischenstaatlichen Krieg (etwa 1870/71) konnten sich und ihre Lage zweifellos noch artikulieren und taten dies auchl • Wie weit dies auch unter, nach einem Waffenstillstand oder gar Friedensschluß fortdauernder, Besatzung geschah, bliebe komparativ zu klären. Selbst nach einem schon weitgehend "unklassisch" mit geschichtstheoretischen, moralischen, kriminalisierenden Rechtfertigungen begründeten Krieg und Sieg blieb dies bis vor kurzem für die Besiegten (etwa Deutsches Reich 1918) noch möglich, wenn es auch zu Anti-Moralismen verführte (Dolchstoßlegende). Ähnlich war etwa die Lage nach dem napoleonischen Sieg über Preußen und Österreich 1805/6; "Lernprozesse" wurden in Gang gesetzt auf der Basis einer solchen LageanalYlSe der Besiegten, etwa die Scharnhorst-SteinHardenbergschen Refornnen. Selbst die Niederlage des napoleonischen Frankreich 1813/15, vom Regime aus gesehen "total", beraubte Frankreich als solches weder der aZurn duellhaften Kriegsbegriff des früheren europazentrischen Völkerrechts vgl. z. B. Schmitt, Der Nomos der Erde ... 1950 (LV. 4 b); dort über die Amnestie, die einem Friedensvertrag nach einem solchen Kriege immanent war, S. 142 (unter Berufung auf Kant), 235, 286.

2. Einwände und erste Entgegnung auf sie

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Existenz noch auch nur der Stimme - im Gegenteil, nach Erledigung der anfänglichen Restauration bewies die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts - und nicht nur in Frankreich -, daß "die Ideen von 1789" und selbst der Bonapartismus nicht endgültig zum Schweigen gebracht warent. Nach 1945 mag für die Deutschen die Lage deutlich verschieden gewesen sein, dafür spricht schon der von den Westalliierten unternommene Versuch, ausdrücklich in die Bewußtseinsstruktur der Besiegten einzugreifen (Re-education)5, und dafür sprechen die von den sowjetischen Siegern durchgesetzten revolutionären Veränderungen. Aber in den Westzonen, der späteren Bundesrepublik, lockerte sich der Zugriff der Sieger langsam jedenfalls soweit, daß die Besiegten die Möglichkeit erhielten, das Ausmaß ihrer Niederlage selbst zu bedenken und zu untersuchen, ob ihnen eigene politische Chancen verblieben, und welche. Dies zu vollziehen und auch Ergebnisse auszusprechen, und zwar ohne dabei die Interpretation der Sieger zu übernehmen, war den Besiegten wenigstens ab einem Zeitpunkt möglich, der einige Jahre nach der Kapitulation lag. Die Politische Wissenschaft muß sich befragen lassen, ob sie diese Chance genutzt hat. Zu 2.1. b)

Die Lageanalyse für ein politisches Subjekt kann an den jeweiligen subjektiven Emotionen, Gefühlen, Empfindungen, Befindlichkeiten der Angehörigen und Mitglieder nicht vorbeigehen, muß aber weit darüber hinaus vorstoßen. Der Tatbestand einer Niederlage wie der von 1945 war und ist ein historisches Faktum, kein bloß subjektiver Zustand; solche Tatsache wie andere historische Kernereignisse zum Ausgangspunkt von Lageanalysen zu nehmen, kann die Besiegten sowenig wie die Sieger dem Vorwurf aussetzen, subjektivistisch gefühlsbetonte Wissenschaft oder Politik zu treiben. Es ist ein realistisches Vorgehen t Zum Bonapartismus vgl. die Bedeutung, die Karl Marx ihm verlieh (Marx, Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte, 1852, LV. 6). - Sander generalisiert noch weiter und bezeichnet den Bonapartismus als "die dritte Welle der modernen Revolutionen" unter Anwendung auf Frankreich 1789 und 1848, Rußland, Italien und Deutschland: Sander, Marxistische Ideologie und allgemeine Kunsttheorie, 1970 (2. Aufl. 1975) S. 21 Anm. 13 (LV. 4 d). Zur Situation Frankreichs nach der Niederlage 1940 siehe unten Anm. H, 50 und 51. 5 Zur Umerziehungs-Politik nach 1945, insbesondere seitens der USA, fehlen Untersuchungen aus der Feder von Politologen der Bundesrepublik so gut wie vollkommen. Heimatlose Außenseiter, wie der nicht ganz emotionsfreie Schrenck-Notzing, Charakterwäsche, 1965 (LV. 4 d), mußten sich ihrer annehmen, oder Historiker wie Bungenstab 1970 und Latour!Vogelsang 1973 (beide LV. 4 a) sowie Ausländer, vor allem die verursachenden Amerikaner selbst: Siehe dazu LV. 5 a Richter 1945, Zook-Bericht 1946, Grace 1948, Gurian 1948, Liddelll949, Norman 1951, Montgomery 1957.

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1. Teil: 1. Einleitung

Fehler treten erst dann auf, wenn die subjektiven Empfindungen von Menschen, die den Besiegten zugehören oder ihnen zugerechnet werden, seien es Resignation, Angst, Haß, Rache, Demutsgebärden, für mehr als empirische Daten unter anderen genommen werden, etwa für den Gang der ganzen Lageuntersuchung bestimmende, erkenntnisleitende Voraussetzungen. Zu 2.1. c) So wenig sich eine Politologie der Besiegten von den jeweiligen Stimmungen unter ihnen beeinflussen lassen darf, sondern sie nur genau zur Kenntnis nehmen muß, so wenig darf sie die Stimmungen der Sieger zur Grundlage nehmen, ohne sie dabei als empirische Daten gering zu schätzen. Das Gleiche gilt für moralische Wertungen, auch wenn sie für gerechtfertigt gehalten werden, etwa Scham auf Seiten der Besiegten, Empörung und Rechtfertigungs-Gewißheit auf Seiten der Sieger. Eine Lageanalyse der Besiegten ist, ohne bereits in der Grundanlage mit Fehlern behaftet zu sein, nur möglich, wenn sie Gefühle in ihre Schranken weist und sittliche Kriterien, etwa solche, die kriminalisierende Folgen ha:ben, in ihren Wirkungen zwar als Daten nimmt, nicht aber als Restriktionen für die Analyse6 • Letztlich heißt das: Die Untersuchung muß die Chance der Besiegten zur Fortführung ihrer Existenz als einer identisch bleibenden politischen Gruppe unangetastet lassen; auch wenn sittliche Verfehlungen der Besiegten für schlechthin "unentschuldbar" gehalten werden, bieten sich Kategorien wie Gnade oder Vergeben oder Vergessen (im Sinne Hannah Arendts7) an, um dabei nicht stehen zu 6 Es wird hier bereits erkennbar und unten, Abschnitt II, besonders Kap. 3, noch genauer dargelegt -, daß der Verf. im sog. "Werturteilsstreit" eine Auffassung vertritt, die weder mit dem sog. "kritischen Rationalismus" identifiziert werden kann (dazu, besonders zu Popper, siehe unten Anm. II, 13), noch mit einer "engagierten Wissenschaft" irgendwelcher Couleur. Am nächsten steht dem Verf. noch des Soziologen Gehlen "Pluralistische Ethik" (Moral und Hypermoral, 1969 LV. 4 cl, mit der Einschränkung, daß uns nur historische, niemals anthropologische Ableitungen von Moralen plausibel erscheinen. Das bedeutet dann aber auch - wie aus dem unmittelbar folgenden Text und den beiden folgenden Anmerkungen deutlich werden wird -, daß jede Art "absolutistischer Deckung" für Handeln und Denken, für Politik und Wissenschaft ungültig ist, daß aber eben gerade dadurch Verantwortung auf Personen und Personengruppen zugeordnet werden kann und muß. Die Gemeinsamkeit dieser "bodenlosen" Situation bezeichnet die allgemein-menschliche Lage, aus der Soziologen und Politologen jeweils historisch vorherrschende Normen ableiten mögen, und auf der Philosophen eine Ethik aufbauen können, die auf einer docta ignorantia ruht. Alles Weitergehende bleibt den Theologen. 7 Arendt, Vita activa, 1960 (LV. 4 cl, insbesondere fünftes Kapitel. Dolf Sternberger verdanke ich den Hinweis auf eine Bemerkung Hannah Arendts im Gespräch: "Acting is fun" (Sternberger, Die versunkene Stadt, über Hannah Arendts Idee der Politik, in Merkur, H. 10, 30. Jahrg. 1976, S. 945). Sternberger kritisiert dort an Hannah Arendts Handlungsphilosophie: "Das einwohnende Ziel allen politischen Handelns bleibt seltsam dunkel, das Ziel

2. Einwände und erste Entgegnung auf sie

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bleiben. Dabei wird eine Grundsolidarität zwischen politisch handelnden Menschen erkennbar, die mehr bedeutet als die Anerkennung eines bloßen "Rechts auf Selbstbestimmung" (das ideologisch oder voluntaristisch mißbraucht werden kann), aber weniger fordert als eine inhaltliche übereinstimmung in politischen Zielsetzungen (die nach Lage der Dinge nur auf der Basis der Sieger-überzeugungen zustande kommen würde). Der geringste gemeinsame Nenner dürfte darin liegen, Siege wie Niederlagen, Taten wie Untaten nicht politischen Kollektiven exklusiv zuzurechnen, anzulasten und sie damit gleichsam für eine Teilgruppe der Menschheit zu konfiszieren - anderen damit prinzipiell zu bestreiten - , sondern sie repräsentativ für menschliches Sein überhaupt zu nehmenB. Ist eine solche Grundhaltung bei Siegern (mit der Zeit) nicht erkennbar, so wird es allerdings historische Lagen geben, in denen der Besiegte sich dann gar nicht mehr "artikulieren" kann. Er ist auf die Dauer zum Unmenschen und damit zum Schweigen verdammt. Im Lager der Westlichen Alliierten sind Anzeichen für eine, nach vollzogener Kriminalisierung dann wieder "verstehende" Haltung schon bald nach 1945 erkennbar geworden; das gilt sogar für die Sowjetunion in offiziellen Verlautbarungen9 ; den Besiegten wurde somit die Möglichkeit zum Sprechen wieder eröffnet, nachdem schon vorher Angehörige der Siegermächte selbst "für sie" gesprochen hatten10• Ton, Stil, Modus der Sprache der Besiegten wird ihre besondere Lage immer berücksichtigen müssen, solange der Zeitpunkt der Kapitulation nämlich ist die Entscheidung." - Das ist richtig, doch wenn politisches Handeln nicht in beziehungslosen "Dezisionismus" ausarten soll, muß "acting" auf eine konkrete Personengruppe oder doch mindestens auf Personen in einer konkreten Lage rückbeziehbar sein, dieser Rückbezug - ein immer nur historischer - bleibt bei Arendt in einem eigentümlich individualistischen Ambiente. B Diese Generalisierung ist also das Gegenteil einer Verabsolutierung von Politik durch Moral. Sie ist vereinbar mit konkret nachgewiesener persönlicher Verantwortung und deren Ahndung, nicht jedoch mit ganzen Kollektiven zugerechneter "Schuld". - Zur ideengeschichtlichen Herleitung jeder "Kollektivschuld"-These siehe unten Anm. H, 28. 9 Stalins viel zitiertes Wort: "Die Hitler kommen und gehen, der deutsche Staat aber und das deutsche Volk bleiben bestehen" war auf vielen Transparenten in der damaligen sowjetischen Besatzungszone verbreitet, ist aber schwer in eindeutiger Fassung als Quelle nachzuweisen. Auch in verschiedenen Fassungen überliefert ist die andere Stalin-Sentenz aus seiner Ansprache anläßlich der Kapitulation Deutschlands am 9. 5. 45: "Die Sowjetunion feiert den Sieg, wenn sie sich auch nicht anschickt, Deutschland zu zerstückeln oder zu vernichten." (Hansen, Das Ende des Dritten Reiches, 1966, LV. 4 a, S. 152). Die Sentenz bezieht sich auf die Identität des nationalen Subjekts und geht (noch) nicht darauf ein, welche Klassenfärbung für dieses Subjekt vorgesehen war. 10 Siehe hierzu besonders die in LV. 5 a genannten Bücher von Warburg 1946, Knappen 1947, Stolper 1948, Utley 1949.

1. Teil: I.

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Einleitung

auch zurück liegt, weiter aber als Kernereignis wirkt. Der Besiegte will ja nicht nur von seinesgleichen, sondern auch vom Sieger gehört werden. Neben Taktischem und Äsopischem wird eines beachtet werden müssen: Der Appell an den oben erwähnten Minimal-Konsens politisch handelnder Menschen wird mit aller Behutsamkeit, auf keinen Fall fordernd oder auftrumpfend, den moralischen Spieß umkehrend, erfolgen müssen, zumal wenn der Besiegte nicht eine universalistisch-moralische, die eigene politische Identität bereitwillig negierende Position einnimmt, damit gleichsam den Sieger zu "unterwandern" suchend (wie bei Gehlen dargestellt11), sondern gerade umgekehrt eine Stellung bezieht, die seinen Anspruch, ein partikuläres politisches Subjekt zu sein und zu bleiben, erhalten will, auch wenn er besiegt wurdet!. 2.2. Zweiter Einwand: Die Niederlage ist nur ein Teil der Grund-Lage

Der Tatbestand der Niederlage von 1945 muß zwar ein wichtiger Ausgangspunkt für alle Analysen sein, aber nicht der einzige, nicht in dieser axialen Herausgehobenheit, denn 2.2. a) "Kern-Ereignisse" sind, nach dem Selbstverständnis der Moderne, in das die "dialektische" Fähigkeit zur "revolutionären Negation der Gesamtsituation" mit eingegangen ist, nicht zu werten als Determinierungen, sondern als Herausforderungen. Eine Festlegung auf sie wird zur Theorie des Ancien Regime, vereitelt prinzipiell Wandel, Handlung, Emanzipation; im hier vorliegenden Falle einer Festlegung auf eine totale Niederlage steckt im Ansatz eine fatale Neigung zu Katastrophilie, gar Nekrophilie, ein Ansatz der Mutlosigkeit, ein Handlungshemmnis; 2.2. b) das Ausgehen von einer Anfangskonstellation13, einem Kern-Ereignis, darf prinzipiell nicht mehr als einen hypothetisch-heuristischen Wert

Gehlen, Moral und Hypennoral1969, LV 4 c. Das Kontinuitätsproblem, das die Frage aufwirft, ob der Besiegte dasselbe politische Subjekt bleiben kann wie zuvor, oder ob er ein anderes werden muß, ist hiermit noch nicht berührt. Es wird später aufgenommen. 13 Der Ausdruck "Anfangskonstellation" entstammt dem Bereich der Kultur- und Geschichtssoziologie Alfred Webers. Wir vexwenden ihn hier nicht im breiten kultursoziologischen Sinne Webers als Ur-Gründung oder Ur"Stiftung" einer Kultur, sondern in bezug auf jede neue Konstellationsdaten schaffende historische Zäsur. VgI. Weber, in Verbindung mit anderen Autoren, Einführung in die Soziologie, 1955 (LV. 4 cl, dort besonders Weber: Wesen und Aufgabe der Soziologie, S.16: "Aber jene historisch-soziologische konstellative Fonnung festzustellen ist überall das Erste (,Konstellationsanalyse')", und von Borch: Grundlagen der Geschichtssoziologie, S.177: "Die geschichtliche Orientierung ist durchaus wieder der ,Königsweg' der Soziologie geworden, jedoch hat sie die angreifbaren übersteigerungen des früheren Soziologismus abgeschüttelt. " 11

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2. Einwände und erste Entgegnung auf sie

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ha!ben, schon weil die Grund-Lage immer nur annäherungsweise erkennbar ist, ihre eigentliche Wahrheit strittig bleibt - und sich wandelt mit zunehmender Entfernung. Ein Wissenschaft also, die das Erkennen der Grund-Lage nicht ausdrücklich in den Mittelpunkt stellt, begeht dadurch keinen prinzipiellen, keinen wesentlichen Fehler, denn auf die Möglichkeiten der Zukunft, nicht die Gegebenheiten der Vergangenheit kommt es an; 2.2. c)

der skizzierte Ansatz überbewertet das Ereignis von 1945 und seine Folgen für Deutschland und Europa in seiner Tendenz auf "Einzigkeit von Erklärungsgründen". Mehr generalisierende, etwa komparative Verfahren rücken da besser zurecht und relativieren, etwa politologische Ansätze, die nicht das Einzigartige, sondern das Gemeinsame bei drastischen Niederlagen herausheben, wie etwa Spanien 1588, das Reich von 1648, die Teilungen Polens, Preußen 1806, Frankreich 1815 und 1871, das Deutsche Reich, österreich-Ungarn, das Osmanische Reich 1918, Japan 1945. Dasselbe gilt für komparatistische Ansätze, die den Vergleichsmaßstab nicht in der Position nach kriegerischen Auseinandersetzungen suchen, also nicht Sieger mit Siegern, Besiegte mit Besiegten vergleichen. Die Position eines Besiegten tritt hier in den Hintergrund zugunsten der Gemeinsamkeiten, die zwar nicht seine Lage, aber sein "System" mit Siegern oder einem der Sieger aufweisen. So wird amerikanische Politologie für die Bundesrepublik anwendbar (und, kritisierend, auf die DDR), oder die Gesellschaftswissenschaft der Sowjetunion gibt den Maßstab für Politikwissenschaft in der DDR (und, kritisierend, für die Bundesrepublik). Entgegnung Zu 2.2. a)

Der Einwand, für das moderne Bewußtsein müßten Kern-Ereignisse nicht als Determinierungen, sondern als Herausforderungen (Challenges) begriffen werden, ist im Prinzip richtig14• Insoweit wird er auch beachtet, mit der gebotenen Einschränkung, daß das "moderne Bewußtsein" sich möglicherweise irren kann, wenn es seine dialektische Fähigkeit zur Negation überschätztlI. U Weniger im Sinne einer Challenge-Response-Struktur wie bei Toynbee als vielmehr in der Form der historischen Question-Answer-Logic eines Collingwood. Toynbees "Herausforderung" verbirgt unseres Erachtens nach noch zuviel metaphysisch Vorhergewußtes in sich (siehe LV. 5 b 1951 und 6 1934). 15 So etwa das sehr gescheite Buch von Heinrich, Versuch über die Schwierigkeit, Nein zu sagen, 1964 (LV. 4 cl. Bezeichnend für diese ÜberSchätzung der

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1. Teil: I.

Einleitung

Die Beachtung des Grundsatzes, in den gebotenen Grenzen, bedeutet aber nicht, daß das Ausgehen von Kern-Ereignissen ein bloß beliebiges heuristisches Prinzip ist und beliebig beiseite geschoben werden kann. Schon gar nicht bedeutet dies, daß ein Kern-Ereignis vom Tiefgang der Niederlage von 1945 durch bloßen Methodenvollzug, Forschungsansatz "negiert" werden kann im Sinne von vergessen, übersehen, hintanstellen, übergehen. Ebensowenig ist es - wie auch nicht die Zeit des Dritten Reiches - "auszuklammern", etwa durch Rückgriff, Auf- und Anknüpfung an eine vorausliegende Tradition (sei es die Weimarer Republik oder die Revolution von 1848) oder durch futuristischen Vorgriff auf etwas Herzustellendes (wie etwa in der DDR). Auch bei einem solchen Vorgehen werden Tatsache und Folge der Niederlage von 1945 sich immer wieder als sperriger Block querlegen. Ihre Berücksichtigung und ihr Begreifen sind unumgehbar, auch in ihrer axialen Bedeutung, sonst enthält die Analyse eben einfach massive Fehler. Wiederum: Mit dem Anknüpfen an die Niederlage als Grund-Lage werden nicht Sentiments wie Katastrophilie, Dauer-Bußhaltung, Emanzipationsfeindlichkeit in der Untersuchung festgeschrieben; im Gegenteil, die mögliche und nötige Realanalyse ohne Sentiments kann an dem Factum Brutum nicht vorbei; Mutlosigkeit, Handlungshemmung, Theorie des Ancien Regime zeigen sich gerade am Vorbeisehen an dem KernEreignis der Niederlage. Zu 2.2. b)

Ein inhaltliches Ergebnis der Frage nach der Wirkung der Niederlage von 1945 für Existenz- und Handlungsfähigkeit eines deutschen Subjektes kann natürlich nicht vorweggenommen werden. Die Forderung, die Ausgangslage der Besiegten von 1945 als Grund-Lage jeder deutschen Politologie nach dem 2. Weltkrieg zu nehmen, enthält diese petitio principii aber nicht. Sie ist geschichtstheoretisch so offen, daß sie z. B. sogar positive Folgen der Niederlage für ein deutsches Subjekt verarbeiten kann, etwa hypothetisch: eine schnellere Fähigkeit zur technischen Umrustung und Neuausrüstung nach Zerstörung vieler Kapazitäten, soweit nur Wiederaufbau erlaubt und gewollt wirdl8 • Fähigkeit zur Negation die Rezension des Heinrichschen Buches von Habermas, in Arbeit, Erkenntnis, Fortschritt, 1970 (LV. 4 c), S.135 ff.: "Man könnte dieses Buch als eine Kritik des falschen Bewußtseins ... anzeigen"; für Habermas zeigt es die "Schwierigkeit, in dieser Bundesrepublik Deutschland als Intellektueller zu leben" (S. 135). 18 So etwa Hannah Arendt, Vita activa, 1960 (LV. 4 c) S. 248: "Das deutsche Wirtschaftswunder dürfte ein in seiner Art klassisches Beispiel dafür sein, daß unter modernen Bedingungen die Vernichtung von Privateigentum, die Zerstörung der gegenständlichen Welt und die Zertrümmerung der Städte nicht Armut, sondern Reichtum erzeugt, daß nämlich diese Vernichtungsprozesse sofort umschlagen, nicht in einen Wiederaufbau des Vernichteten,

2. Einwände und erste Entgegnung auf sie

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Die Forderung, "Niederlage überhaupt" zum Ausgangspunkt jeder deutschen Politologie nach 1945 zu nehmen, scheint nun aber - auch wenn dabei die inhaltliche Ausfüllung dieses Topos in keiner Weise antizipiert wird - als Axiom, Prämisse, als wissenschaftstheoretische Maxime rein dezisionistischer Manier zu verbleiben und insoweit Unterstellungs-Charakter zu haben. Scheinbar steht und fällt sie mit einer metatheoretischen Akzeptation der Tatsächlichkeit, gar Notwendigkeit der (Weiter-)Existenz eines "deutschen Subjekts", - nur das "Wie" und "Wieweit" scheint offen zu bleiben. So ist es jedoch nicht; hier ist eine bejahende Antwort bereits in die Frage hineingeschmuggelt worden. Ob ein deutsches politisches Subjekt lebt, ist eine Frage, die nicht nur gestellt und vorangestellt werden darf, sondern muß, für alle Analysen des mitteleuropäischen Raumes, ja der Weltpolitik, ob sie nun von Deutschen oder von anderen angestellt werden. Die Antworten, die immer sich aus dem "Wie" und "Wieweit" ableiten werden, könnten gänzlich negativ ausfallen: Damit verliert die Frage nicht ihre Notwendigkeit und Dringlichkeit, ohne daß in ihr als Frage schon ein Quentchen Metaphysik oder Geschichtsphilosophie versteckt sein müßte. Wo soviel von "el1kenntnisleitendem Interesse" gesprochen wird, wird man doch wohl den Topos einer "lagegerechten Fragestellung" einbringen dürfen. Zu 2.2 c)

Komparatistik, als historische Längs- wie als geographische Quer-Sicht, wird man bei solcher Untersuchung immer hinzuziehen müssen. Schon die verwendeten Begriffe haben vergleichende Herkunft, gar generalisierende Tendenz. Aber, auch ohne daß die besondere Betroffenheit einer analysierenden Person - etwa als Deutscher - vorausgesetzt werden muß, eine "vergleichende Lagenlehre" führt nicht zum vollen Verständnis des je besonderen Falles, am wenigsten tut dies historische Komparatistik, insbesondere für die schnell sich verändernde Moderne, in der die Rahmenbedingungen schon historischen, d. h. Einzigkeits-Charakter haben: Die Teilungen Polens etwa sind noch aus der Zeit zu interpretieren, in der weithin das dynastische Legitimitätsprinzip ungebrochen herrschte und ein Nationalbewußtsein sich erst langsam entfaltete; die Teilung Deutschlands geht einher mit einem Abebben der nationalstaatlichen Legitimitationswelle, zumindest gilt dies für die "Erste und Zweite Welt". Selbst Vergleiche zwischen Deutschland und Japan als Hauptverliererländern des 2. Weltkrieges (während dessen sie die hauptsondern vielmehr in einen unvergleichlich schnelleren und wirksameren Akkumulationsprozeß, wobei die einzige Bedingung ist, daß das betroffene Land modern genug ist, um auf Vernichtung mit erhöhter Produktion zu reagieren."

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1. Teil: I. Einleitung

gefährlichsten Kriegführenden der Achsenmächte waren) beginnen ab einem gewissen Punkt zu hinken: zweite völlige Niederlage nach einem Weltkrieg für Deutschland, während Japan 1914/18 auf der Gewinnerseite war; Erhaltung des Tenno-Amtes in gewissen Funktionen; NichtTeilung des Staatsgebietes; nur eine Besatzungsmacht; geopolitische Lage. Ähnlich steht es mit vergleichenden Ansätzen, die nicht nach Siegern und Besiegten trennen, sondern Gemeinsames zwischen Siegern und Besiegten komparativ verarbeiten. Führt schon eine "allgemeine vergleichende Systemlehre" zu wenig konkreten und detaillierbaren Ergebnissen, sondern endet meist im Polarisieren nach Grobstrukturen (z. B. kapitalistische Länder/sozialistische Länder), so faßt gewöhnlich - und in der gegenwärtigen historischen Lage besonders - ein heuristischer Maßstab, der Sieger und Besiegte zusammen abzudecken versucht, zu kurz - ganz abgesehen davon, daß er eine wichtige Frage eher verdeckt als enthüllt, nämlich die, inwieweit die Plausibilität solchen "Systemvergleichs" eben gerade daher rührt, daß der Sieger dem Besiegten sein System, seine Maßstäbe aufzwang, oder der Besiegte sich anpaßte. Dies mag nicht gegolten haben - und mag auch heute noch nicht gelten - für die Fälle, wo Gegner (vor allem: der Besiegte) aus der Auseinandersetzung im wesentlichen und in der Substanz unlädiert hervorgingen, die besondere Position des Unterlegenen also mehr Akzidenzals Essenz war (etwa Frankreich 1871 im Vergleich zum Deutschen Reich). Im Falle des Deutschen Reichs 1945 bewirkt jedoch die übernahme etwa in den USA entwickelter Politikvorstellungen und ihrer Wissenschaft eine derartige Verkleinerung, ja Außerachtlassung des situationellen Gesichtspunktes - eben der Niederlage von 1945 -, daß die Ergebnisse einer solchen Politikanalyse ähnlich wirklichkeitsfremd werden wie etwa Untersuchungen des Cromwell'schen England durch die Brille der damaligen römischen Kurie und umgekehrt17•

17 Beispielhaft für die lagegerechte Kritik einer ganzen Wissenschaft ist Friedrich Lists Analyse des englischen Manchester-Liberalismus und Freihandels-Systems durch sein "Nationales System der politischen ökonomie". Crick:, The American Science of Politics, 1959 (LV. 1 c), setzt gegenüber der amerikanischen Politikwissenschaft zu einem ähnlichen Vorhaben an, kommt aber nicht weit, da er letztlich deren Grundvoraussetzungen teilt. Dies wird besonders deutlich an seinem späteren Werk In Defence of Politics, 1962 (Pelican Edition 1976, LV. 5 b). - Siehe dazu den Exkurs über die amerikanische Politikwissenschaft im Zweiten Teil, Kap. 17.

2. Einwände und erste Entgegnung auf sie

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2.3. Dritter Einwand: Das Ausgehen von der Niederlage ist gefährlich und unstatthaft

Das überbetonte Ausgehen von einer Grund-Lage, aber eben der Grund-Lage eines identisch bleibenden Subjektes, unterstellt Kontinuitäten und Homogenitäten, die falsche und gefährliche Folgen zeitigen können: 2.3.a)

Das Identitätspostulat identifiziert unkritisch den Nationalsozialismus, das "Dritte Reich", mit Deutschland überhaupt, mit Deutschheit schlechthin. Die Besiegten von 1945 waren nicht alle Deutschen, sondern nur die Nationalsozialisten. Das "Kern-Ereignis" wird also nicht gleichartig, konsensual, sondern höchst kontrovers beurteilt werden müssen. Der Verfasser optiert durch sein Verfahren, gleichsam als petitio pricipii, exklusiv für eine dieser "Parteien" - und für eine nicht ungefährliche; 2.3. b)

das Faktum der totalen Niederlage von 1945 als Kern-Ereignis, Anfangskonstellation, Grund-Lage zu nehmen, -birgt in sich die Tendenz zur Weckung von Nationalismus, Chauvinismus, ja Revisionismus und Revanchismus; 2.3. c)

mindestens resultiert daraus nur eine Wiederauflage in geändertem Gewand der endlich überwundenen Pose von der "Bewältigung der Vergangenheit" . Entgegnung

Zu 2.3. a) Dieser Einwand fußt auf einer Behauptung, die nur durch die gleichzeitig für gefährlich el'klärte Analyse bestätigt oder verworfen werden könnte. Gegen die Behauptung, die Besiegten von 1945 seien nicht alle Deutschen, sondern nur die Nationalsozialisten gewesen, läßt sich jedenfalls sehr viel einwenden, schon allein die juristische Tatsache, daß von den Siegern aHe deutschen Staatsbürger (mindestens die von 193'7) als Besiegte behandelt wurden18• Eine Differenzierung muß erst da beginnen, wo es nicht mehr um die Tatsache, sondern um die Bewertung, Deutung, Interpretation der Niederlage geht; das ist auch geschehen und wird hier nicht übergangen, aber es betrifft nicht das KernEreignis in seiner Tatsächlichkeit. 18

Siehe dazu unten Anm. H, 55.

1. Teil: I. Einleitung

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Das Verfolgen einer Identitätslinie vom Deutschen Reich vor 1945 zu dem Zustand danach kann in sich noch nicht als eine gefährliche Parteinahme verworfen werden; eher wäre dies beim Gegenteil der Fall: die "Untergangsthese" wurde nach 1945 nur als eine von mehreren Möglichkeiten vertreten (darunter war später die DDR), die Kontinuitätsthese war dagegen lange die Staatsüberzeugung der Bundesrepublik. Das Unbehagen, das unser Ansatz verursacht, und das bis zur Tabuisierung dieses Ansatzes als "gefährlich" reichen kann, ist ebensowohl als Motivation für Erkenntnisschritte zu nutzen wie für deren Versagung. Bezeichnend für die Verschlingung beider Motivationen ist die Feststellung des Historikers Nolte: Die Wahrheit über Deutschland sei erst wieder aussprechbar geworden, nachdem die ("gefährliche") Kontinuitätsthese endgültig unwirklich und damit unwirksam geworden sept. Zu 2.3-. b)

Die Westalliierten des 2. Weltkrieges haben sich förmlich (z. B. im Deutsch1andvertrag) zur "Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands" - in vage verbleibenden Grenzen - als politischer Leitmaxime verpflichtet, wobei nicht unbedingt sie, sondern höchstens ihr westdeutscher "Partner" in den Geruch von Nationalismus, Chauvinismus, Revisionismus und Revanchismus gerieten - und selbst dies nur bei einer "Partei", nämlich der Sowjetunion und der DDR. In keiner der Erklärungen der Sieger -bei und nach der Kapitulation von 1945 war von einer "Auslöschung" Deutschlands als Subjekt die Rede20 ; andererseits war den Zur Auseinandersetzung damit siehe unten Kap. 5.3. In der am 5. Juni 1945 durch die Regierungen der vier Hauptalliierten verkündeten "Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands" heißt es am Ende der Präambel: "Die Übernahme zu den vorstehend genannten Zwecken der besagten Regierungsgewalt und Befugnisse bewirkt nicht die Annektierung Deutschlands." (Hansen, Das Ende des Dritten Reiches, 1966, LV. 4 a, S.213). - Die Formel "Deutschland als Ganzes" oder "Deutschland als Ganzes betreffende wesentliche Fragen" findet sich bereits in den diese Erklärung der Alliierten vom 5. Juni 1945 begleitenden "Feststellungen", so in der Feststellung über das Kontrollverfahren in Deutschland; diese Formel taucht wieder auf in der amtlichen Verlautbarung über die Konferenz von Potsdam vom 17. Juli bis 2. August 1945, so in Teil III Deutschland, A Politische Grundsätze, 1; sie ist dann enthalten im Deutschlandvertrag vom 26. Mai 1952 (in der Fassung vom 23. Oktober 1954), Artikel 2 und besonders Artikel 7. Offenbar hatten die Sieger also, nachdem sie die ursprünglich vereinbarten Zerstückelungspläne beiseite gelegt hatten, die Absicht, die "Identität Deutschlands" zu wahren. Diese würde und wurde durch etwaige Gebietsabtretungen nicht beeinträchtigt, - unbeschadet der Frage, wie ernsthaft die "Grenzen von 1937" und die "friedensvertragliche Regelung" für etwaige Grenzkorrekturen gemeint waren. - Ein davon verschieden gelagertes Problem ist die Kontinuität der "staatlichen Rechtsperson" etwa des "Deutschen Reiches"; diese Kontinuität und weitere Existenz steht bekanntlich im Zweifel (siehe dazu unten Kap. 4.1, dort auch eine Auseinandersetzung mit der Auffassung, ein deutsches Volk existiere fort, ein deutscher Staat jedoch nicht). 19

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2. Einwände und erste Entgegnung auf sie

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Siegern von 1945 völlig selbstverständlich, daß die Ausgangslage für eine weitere Reflexion und Behandlung des deutschen Subjekts immer nur dessen vollständige Niederlage sein konnte. Dasselbe galt auch für viele Stimmen innerhalb des deutschen Sulbjekts selbst, die sich unmitteLbar nach der Niederlage äußerten, damals vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der "Stunde Null". - Es ist nicht einzusehen, warum die Beibehaltung dieses Ausgangspunktes später, z. B. Mitte der Siebziger Jahre, sich Vorwürfe zuziehen sollte. Zu 2.3. c)

Die Vergangenheit, die bei unserem Ansatz "bewältigt" werden muß, ist eher die nach 1945 als die vor 1945 - besten- und schlimmstenfalls: die von 1945. Rück- und Durchgriffe auf die Geschehnisse vor dem 8. Mai 1945 sind bei diesem Verfahren jedenfalls seltener nötig als sie es bei den zahlreichen Studien waren, die sich entweder von der VorVergangenheit zu distanzieren oder umgekehrt ihr restauratives Weiterwirken zu belegen bemühten. Letztlich trifft natürlich der Vorwurf von der "Bewältigung der Vergangenheit", auch wenn man ihn punktuell auf das Kern-Ereignis der Niederlage von 1945 einschränkt; aber er trifft nicht als Vorwurf: bewältigt im Sinne von abgetan ist dieses Ereignis nämlich noch nicht -, und nicht nur nicht von "den Deutschen". 2.4. Vierter Einwand: Der Vorwurf ist unzutreffend und unhaltbar

Der Vorwurf, die Politische Wissenschaft halbe ihre Aufgabe verfehlt, weil sie die Wahrheit der Besiegten von 1945 nicht aufnahm, schon gar nicht als ihre eigene Grund-Lage, ist unhaltbar, denn: 2.4. a)

sie hat sich in Wirklichkeit diese Aufgabe doch gestellt, in kommensurablem Ausmaß, nicht in dem hypertrophen, das der Verfasser fordert, 2.4. b)

die Politologie - in der Bundesrepublik wie im Ausland - ist (endlich, Gott sei Dank) eine systematische, scientifisch-methodenbewußte Wissenschaft (geworden), sie wieder auf die "hermeneutischen" - oder sonstwie ungesicherten - Interpretationen von Einzig-Ereignissen festlegen zu wollen, würde sie noch hinter den Stand der Geschichtswissenschaft zurückwerfen, die sich davon gerade frei zu machen versucht. Das Ausgehen von "Kern-Ereignissen" kann für eine Politologie als eine systematische Wissenschaft nur in Poesie enden - und nicht einmal in guter. Intersubjektiv überprüfbar sind Aussagen, die von solcher Basis ausgehen, in strengem Sinne dann jedenfalls nicht. Die vom Ver-

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1. Teil: I. Einleitung

fasser für sein Vorhaben anvisierte Wissenschaftstheorie kommt von Subjektivismen - in existentialistischer oder anderer Manier - nicht los und eignet sich deshalb nicht für Verbindlichkeit anstrebende Theoreme. In ihr steckt Hypostasierung von Teilgruppen-Erfahrungen; sie hat deshalb keinen Wert für die Allgemeinheit; Wissenschaft aber ist nur als allgemeine vollziehbar. Entgegnung

Zu 2.4. a)

Inwieweit sich die Politische Wissenschaft der Aufgabe gestellt hat, eine Politologie der Besiegten von 1945 zu sein, bleibt in differenzierter Manier durch eine Untersuchung zu klären. Der Beleg für unsere Hypothese kann hier nicht vorweggenommen werden. Doch ist soviel schon, bei Aufnahme des nächsten Einwandes, zu klären: Zu 2.4. b)

Träfe es zu, daß die Politologie nur "systematisch" - ob nun analytisch, normativ, k~bernetisch, "kritisch", "dialektisch" oder sonstwie vorginge, so wären Ansätze, die von höchst einzigartigen Lagen als "Kern-Ereignissen" ausgehen, in der Tat nur einer anderen, hierfür methodisch besser ausgerüsteten Wissenschaft zugänglich, also etwa der Geschichtswissenschaft. Das würde aber gleichzeitig bedeuten: Eine solche nur systematische Politologie wäre dann gerade denk'bar ungeeignet zum Begreifen einer Lage wie der der Besiegten von 1945, da sie an ihr immer vorbei greifen müßte. Die hohen Ansprüche pädagogischer und praxologischer Art, die an sie gestellt wurden, sowie die hohen Erwartungen, die man an sie knüpfte, wären also von vorne herein uneinlösbar. Umgekehrt befände sich eine Geschichtswissenschaft, die versucht, die Situation von 1945 mit ihrem methodischen Instrumentarium einzufangen, also Bericht, Erzählung, am Ende gar Deutung und Interpretation zu liefern, in einem schlimmen Dilemma: Woher sollte sie wissen, wessen Geschichte überhaupt noch erzählt werden kann und darf? Die starke Verschiebung der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945 zu "strukturalistischen" und "systematischen" Gesichtspunkten ist vielleicht bereits als eine Verlegenheitsantwort auf dieses Dilemma zu sehen. Jedenfalls wäre eine Geschichtswissenschaft, der man neben oder gar statt der Politologie dieselben praxologischen und pädagogischen Aufgaben mit soviel hochgespannter Erwartung übertragen hätte, ebenfalls - wenn auch aus ganz anderen, geradezu entgegengesetzten Gründen nicht gut zu Rande gekommen, wenn sie nicht ihrerseits das KernEreignis der Niederlage von 1945 in ihren Mittelpunkt stellte.

2. Einwände und erste Entgegnung auf sie

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In Wirklichkeit ist die methodologisch ganz reine Trennung zwischen systematischer Politologie und "erzählender" Geschichtswissenschaft nie so sauber vollzogen worden, wie der kategoriale Verstand es wünscht, auch nicht in Deutschland nach 1945. Ein Teil der Politologie wurde ja als "Zeitgeschichte" betrieben, und ein Teil der Geschichte wurde als "Sozialgeschichte" politologisch, soziologisch und ökonomisch, sogar "politökonomisch". Allerdings steckt in der Politischen Wissenschaft als systematischer Sozialwissenschaft ein höherer Grad von tendenziell angestrebter "Allgemeinheit". Doch dürfte diese Tendenz wohl niemals soweit getrieben werden, daß tatsächliche Ereignisse und Lagen, gar solche Grund-Lagen, wie die Niederlage von 1945, von einem viel zu grobmaschig gewordenen Netz von Allgemeinheiten gar nicht mehr erfaßt werden.

Eben dies aber scheint das Schicksal der Politischen Wissenschaft gewesen zu sein, wie sie in Deutschland nach 1945 vornehmlich betrieben wurde, und das trifft auf den westlichen Teil nach der "Spaltung" ebenso zu wie auf den östlichen. Zum Begreifen der Lage Deutschlands wurden zwar eine Anzahl von Theoremen entworfen oder wieder aufgenommen, vom Aristotelismus bis zum Totalitarismus und vom Marxismus bis zum Neo-Marxismus, ob aber eins dieser Theoreme oder, in pluralistischer Manier, mehrere zusammen die deutsche Lage tatsächlich ergriffen und begriffen, scheint uns fraglich.

11. Entwicklung des eigenen Ansatzes in Ahhebung von der etablierten Politikwissenschaft und ihrer etablierten Kritik Eine Untersuchung, die einer etablierten Wissenschaft und ihrer etablierten Kritik nachzuweisen versucht, daß sie - beide - GrundLagen unbeachtet gelassen oder vernachlässigt haben, muß augenscheinlich einen bestimmten Darstellungsweg nehmen. Sie kann nicht zuerst abschildern, wie sich diese Wissenschaft und ihre Kritik entwickelt haben, und danach dann aufweisen, wo ihre Versäumnisse lagen und worin sie bestanden. Solch Vorgehen wäre nicht eigentlich falsch, aber doch umständlich: Aus dem abgeschilderten Bild einer Wissenschaftsentwicklung ergäbe sich erst einmal nichts anderes als ein Reflex der Lage, von der eben jene Wissenschaft und ihre Kritiker ausgingen im übrigen dies nur implizit, da ein Merkmal (für uns das hervorstechendste) der Eta!blierten gerade darin lag und lieg,t, keine konkrete Lageanalyse zu geben. Es müßte dann in einem zweiten Schritt, und dies direkt, nicht nur implizit, eben jene reale Lage dargestellt werden, deren übersehen oder Vernachlässigung kritisiert wird, und in einem dritten Durchgang schließlich wären die Versäumnisse konkret nachzuweisen. Wir verfahren umgekehrt: Eine Skizze der Grund-Lage und ihrer Implikationen wird vorausgeschickt, und diese Skizze gibt dann den Leitfaden ab, anhand dessen die Entwicklung herrschender Lehre und herrschender Kritik beurteilt wird. Der Verfasser stellt also seine eigene Lagebeurteilung als Maßstab für Kritik voran. Damit verfährt er nicht anders als die Varianten einer "wertenden Wissenschaft" es tun, die ihren eigenen Ausgangspunkt zu Beginn explizieren und damit einer der Forderungen nach Wissenschaftlichkeit Genüge getan zu haben meinen. Der Vorwurf, willkürlich oder dezisionistisch zu verfahren, muß bei diesem Vorgehen, so wie auch sonst, ertragen werden und erledigt sich erst mit erwiesener Fruchtbarkeit des Verfahrens. Bevor diese Probe auf Fruchtbarkeit erfüllt oder abgewiesen ist, sind ausgiebige und gelehrte methodologische und wissenschaftstheoretische Erörterungen, die der Verfasser im übrigen nicht scheut, noch nicht am Platze. J'edoch, da es sich bei der hier vorgetragenen Kritik immerhin um das SeLbstverständnis einer ganzen Wissenschaft handelt, sei eine methodologische Vorbemerkung vorausgeschickt, die wenigstens gröbste Mißverständnisse zu beseitigen versucht.

3. Methodologische und wissenschaftstheoretische Vorbemerkung

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3. Methodologische und wissenschaftstheoretische Vorbemerkung: Politische Wissenschaft als konkrete Lageanalyse Es mag vermessen erscheinen, ein Teilgebiet menschlichen Seins oder Handeins, oder etwas noch viel mehr Abgele1tetes, nämlich eine wissenschaftliche Disziplin, definieren und damit determinieren zu wollen, indem man eine bestimmte Antwort auf die Frage nach dem Gegenstandsbereich gibt. Immerhin mag es aber erlaubt sein, so zu verfahren, wenn es darum geht, zur Herrschaft gelangte Meinungen zu kritisieren und zu korrigieren, die im Prinzip ebenso, nur invers vorgehen. Und so stellen wir als die Grundvoraussetzung, die uns bei unseren wissenschaftlichen überlegungen und auch bei dieser konkreten Studie leitet, fest: Politik und Politikwissenschaft haben es nicht primär mit "der" Ordnung, "der" guten Ordnung, "der" Gesellschaft, "dem" Staat, "dem" Regieren, "dem" Handeln, "dem" Entscheiden usw. zu tun, sondern zuerst mit dieser Ordnung, dieser Gesellschaft, diesem Staat, dieser Entscheidung. Politisch und politikwissenschaftlich primär ist nicht die Frage, wie "ein" Verfassungsstaat organisiert ist (oder organisiert zu sein 'hat), wie "eine" Demokratie ihre Willensbildung, Repräsentation und Willensdurchsetzung regelt, wie "ein" politisches System bei der Legitimationsbeschaffung verfährt. Als primär politisch und primär politikwissenschaftlich betrachten wir die Frage des "Wer"?, aus der dann - und wahrscheinlich in genau dieser Reihenfolge - die Folgefragen und Antworten fließen: "Wir", "Wen", "Wo", "Wann", "Was", "Wie"l. 1 Dies erinnert an den Titel des Buches des US-amerikanischen Politologen Lasswell: Polities - Who gets What, When, How? 1936 (veränderte Aufl. 1958, LV. 6). In der Tat entspricht unser Ansatz der ursprünglichen Intention Lasswells. Das Schwergewicht des - offenbar mehr zitierten als gelesenen Werks liegt nämlich auf dem "Wer": "Turning points of politieal thinking ... have been the aet of artieulating key symbols of identity whieh have facilitated the mutual diseovery and aetive eooperation of men and women of various ,nations', ,religions', ,parties', ,industries' or ,eorporations"'. - "The eonclusion is that a major task for politieal thinkers in breaking through eurrent stereotypes is to give systematie eonsideration to all possible ,identities' at the loeal, national and world politieal level" (p. 193). - P. 194 spricht Lasswell von dem notwendigen "Quest of Identity": "Who am I? Or rather, as whom shall I identify myself?" Uns scheint bezeichnend, daß die Politische Wissenschaft, trotz eifriger Bezugnahme auf Lasswell, die von ihm zentral herausgestellte Identitätsfrage so gut wie völlig vernachlässigt hat und sich statt dessen konzentrierte auf die methodisch-instrumentale "Verteilungsfrage" ("gets") bis zu dem Punkt, wo Politik schlicht - eher in Anlehnung an Max Weber - als Erwerbs- und Verteilungsprozeß für Macht, Güter oder "Werte" überhaupt definiert wird. Allerdings wandte sich auch Lasswell selbst später von seinem ursprünglichen Kernpunkt ab, vgl. dazu Crick: The Ameriean Scienee of Polities, 1959 (LV. 1 e), p.176 ff. - Die Lenin zugesprochene Formel: Politik - Wer - Wen? geht hier noch weniger ins Abseits, wenn sie auch zynisch verkürzt ist.

3 Arndt

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1. Teil: H. Entwicklung des eigenen Ansatzes

Der praktische und wissenschaftliche Ansatz, welcher das konkrete politische Subjekt und seine Identität voranstellt, ist nicht völlig deckungsgleich mit der berühmt-berüchtigten "Freund-Feind-Beziehung", bei der es primär um die Intensität des Verhältnisses zwischen politischen Subjekten geht2• Der Frage nach der Intensität - ob Freund, ob Feind - geht die Frage nach der Identität voraus. 3.1. Konkretheit historischer und Abstraktheit systematischer Wissenschaft: Das Dilemma der "Identität" politiscl1er Subjekte

Unser Ansatz hat weitreichende, manche mögen sagen: verheerende Konsequenzen. Erst einmal scheint es so, als ob er - und darüber dürften viele heute nicht gar so unglücklich sein - einen Großteil des wissenschaftsgeschichtlichen, insbesondere "ideen- und dogmengeschichtlichen" Erbes der systematischen Sozialwissenschaften aus dem Bestand ausscheide. In der Tat greift keiner der auch heute noch viel genannten "Gründungsväter" der Politischen Wissenschaft, Staatslehre, Politischen Soziologie die Frage nach dem konkreten "Wer" (damit auch nicht die nach dem konkreten "WO"3) energisch und unmißverständlich auf, von Machiavelli über Hobbes und Locke und Rousseau und Kant bis zu den Spätfolgern aller "Vertragstheorien" im 19. und 20. Jahrhundert. Alle ihre Konstruktionen scheinen nach Zeit, Ort, Umständen und Personen abstrakt zu bleiben; konkret ist noch nicht einmal der einzelne Mensch als "Individuum überhaupt" und dann die ganze Menschheit, bei - dem diesem Ansatz immer verpflichtet bleibenden - Marx schließlich die 2 Carl Schmitt wehrt sich in seiner Neuauflage von "Der Begriff des Politischen", 1932 (1963 LV. 6) zu recht im Vorwort (S.16) dagegen, daß aus der "theoretischen Encadrierung eines unermeßlichen Problems" "ein primitives Schlagwort, ... eine sogenannte Freund-Feind-Theorie" gemacht worden ist."Die Unterscheidung von Freund und Feind hat den Sinn, den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation zu bezeichnen" (S. 27); - ebenso S. 38: "Das Politische bezeichnet kein eigenes Sachgebiet, sondern nur den Intensitätsgrad einer Assoziation oder Dissoziation von Menschen" (Hervorhebungen vom Autor selbst). Carl Schmitt hat die der Intensität zugrunde liegende Identität von Freund und Feind nicht näher beschrieben. An dieser Stelle stehen Formulierungen wie "existentiell" und "konkret" (z. B.: konkrete Ordnung), letztlich erfolgt hier der Rückbezug auf die historische Tatsächlichkeit. Vielleicht ist es dieses Beharren auf der bloßen Intensität, das für den Vorwurf des "Irrationalismus" ausgemünzt wurde, z. B. von Georg Lukacs, Die Zerstörung der Vernunft, 1954 (LV. 4 c), S. 516 ff.; aufschlußreich in diesem Zusammenhang sind die Bemerkungen von Alfred Schmidt über "Intensität", anknüpfend an Bloch, darüber hinaus an Eduard von Hartmann, Schopenhauer und Schelling, in seinem Beitrag "Zum Begriff des Glücks in der materialistischen Philosophie", in: Was ist Glück? Ein Symposion der Karl-Friedrich-von-SiemensStütung, 1976 (LV. 4 d), S. 81. 3 Wir selbst haben der Verbindung von "Wer" und "Wo" in einer kleinen Untersuchung nachzugehen versucht: Arndt, Verfassungsstandard und Gebietsstatus, in Studium Generale 22 (1969), S. 783-813 (LV. 2 b).

3. Methodologische und wissenschaftstheoretische Vorbemerkung

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"Gattung". Partikuläre politische Kollektivsubjekte oberhalb "des" Menschen und unterhalb "der" Menschheit werden hinsichtlich ihrer Verfassung, ihrer prozeduralen Abläufe, ihrer Regelmechanismen untersucht; ihre konkrete Existenz bleibt außerhalb der Analyse und gilt nur als fiktiv, und damit abstrakt, als Konsens-, damit Vertrags- und Vernunft-Produkt aus dem Willen Einzelner. Die Nationalstaats-Lehren, die unter bestimmten historischen Umständen entstanden und konkrete partikuläre Identitäten und Homogenitäten wahrnehmen mußten, sind mit den abstrakten Staats- und Gesellschaftslehren eigentlich immer unverbunden geblieben'. Allerdings ist der hochabstrakte, unkonkrete Ansatz der hier benannten dogmengeschichtlichen Vorläufer seit dem 19. Jahrhundert in Europa immer mehr kritisiert und aufgelöst worden; ihre konstruk, Für die Schwierigkeit, generalisierend-menschheitliche Betrachtungsweise und konkrete Nationalstaats-Identität zu verbinden, steht immer noch Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, 1908 (7. Aufl.1928, LV. 6). - Dieselbe Schwierigkeit taucht bis heute auf, z. B. bei Buchheim: Aktuelle Krisenpunkte des deutschen Nationalbewußtseins 1967 (LV. 2 b), S. 16: "Politisches Nationalbewußtsein ist also zu bejahen, wobei das Wort ,bejahen' eigentlich schon zu viel ist: Politisches Nationalbewußtsein ist als ein Faktum hinzunehmen." Und S.18: "Ebenso begegnet uns wieder die aus der Nazizeit bekannte gefährliche Ansicht, daß die nationale Gemeinschaft vor dem EinzeImenschen da sei." (Hervorhebung vom Autor). Der letztzitierte Satz zeigt schon die Verunsicherung, die uns auch im Titel von Sulzbach entgegentritt: Die Zufälligkeit der Nationen und die Inhaltlosigkeit der internationalen Politik, 1969 (LV. 2 b). Vgl. dazu auch Wildenmann unten Anm. 11, 36. - Genauer und zutreffender, wenn auch durch die Wortprägung "Nationalismus" irritierend, in dem gescheiten Buch von Kedourie, Nationalism (Sec. Ed. 1961, deutsch Nationalismus 1971, LV. 5 b). Da die Übersetzung (deutsche Ausgabe S.7) sehr unzureichend ist, zitieren wir aus der zweiten Auflage der englischen Ausgabe, p. 9, da sie uns nicht zugänglich war, nach Crick, In Defenee of Polities, 1962 (1976, LV 5 b), p. 75: "Nationalism ... pretends to supply a criterion for the determination of the unit of population proper to enjoy a government exclusively its own, for the legitimate exercise of power in the state, and for the right organisation of a society of states. Briefly, the doctrine holds that humanity is naturally divided into nations, that nations are known by eertain characteristies which can be ascertained and that the only legitimate type of government is natural selfgovernment. " Die pure Faktizität des historischen Subjekts "Nation" braucht nicht notwendig zu irgendeiner Art Selbstbestimmungs-"Recht" zu führen, wie Kedourie interpretiert. Sie ist auch ohne dies bereits verwirrend genug, besonders für Juristen. So bemerkt Hugo Preuß in seinem posthum von Anschütz herausgegebenen Kommentar zur Weimarer Verfassung (Reich und Länder, 1928, LV. 6), S.53 zum Artikel 1 "Die Staatsgewalt geht vom Volke aus" lapidar: "Daß das Volk, von dem hier die Rede ist, in diesem Zusammenhange nur das deutsche Volk sein kann, ist selbstverständlich, auch wenn es nicht ausdrücklich gesagt wird." (Hervorhebung vom Autor selbst). Der Jurist Preuß wäre aber nicht in der Lage gewesen zu sagen, aus welchen Personen sich das deutsche Volk konkret zusammensetzte, schon gar nicht um die kritische Zeit der Verfassungsberatung von 1919. Zum Problem Nation und Nationalbewußtsein siehe weiter auch unten Anm. 11, 28, 32 und 56. 3·

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1. Teil:

H. Entwicklung des eigenen Ansatzes

tivistischen Entwürfe wurden historistisch, wissenssoziologisch und ideologiekritisch als falsche Allgemeinheiten anzielende Antworten auf konkrete Herausforderungen relativiert und damit "entlarvt". Um die Wende zum 20. Jahrhundert arbeitete Max Weber z. B. stark "historiographisch" und entwarf seine Idealtypen-Lehre nur als heuristisches Instrument. Aber über seinen amerikanischen Schüler Talcott Parsons kam nach 1945 Webers Wissenschaftslehre in abstrakter "strukturalfunktionalistischer" Verfremdung von jenseits des Atlantik zurück, und die daran anknüpfende, neuerdings grassierende Systemtheorie und Systemanalyse ist, gar in ihrer "funktional-strukturellen" Wendung, gegenüber der einst "historisch" gewordenen Politischen Soziologie ei:gentlich ein "roll-back"5. Neben und nach dem Historismus und den in Spengler und Toynbee kulminierenden "pluralistischen" Kulturkreislehren ist eigentlich nur der Marxismus mit seinen sich ausfächernden Folge-Theoremen als einziger Wissenschaftsansatz übrig g,eblieben, der die falschen Abstraktionen auf die historischen und situationellen Konkretheiten zurückführt. Doch selbst dieser bleibt in einer "misplaced concreteness" befangen. Wenn Marx auch richtig erkannte, daß Kants "Kategorischer Imperativ" - und, darauf aufbauend, Hegels "Staat als Wirklichkeit der sittlichen Idee" - noch im bloß Hypothetischen verblieben (Kant gibt Anweisungen zum Handeln für "jedermann", aber nicht konkrete Anweisungen zum Reagieren für Knechte, die dem kategorischen Imperativ zuwider behandelt werden), so verband Marx seine historisch5 Für die ersten Ansätze zu dieser Entwicklung immer noch aufschlußreich Antoni, Vom Historismus zur Soziologie, 1950 (LV. 4 c). - Schon weitgehend geschichtsvergessen, aber stark empirisch gesättigt, der erste funktionalstrukturalistische Wurf von Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, 1964 (LV. 4 c). - Erwähnenswert in diesem Zusammenhang die weniger historisch als psychoanalytisch angelegte Studie von Green, The von Richthoven Sisters 1974 (dt. Else und FTieda, die Richthofen-SchwesteTn, 1976, LV. 5 a); hier wird u. a. die Verbindung zwischen Max Weber und Talcott Parsons bis in die Gegenwart hinein erhellt. Auffällig und heute innerhalb der etablierten Politologie der Bundesrepublik selten üblich die vorsichtige Distanzierung von Otto Stammer in seinem Herausgeber-Vorwort zu der Studie von Shell, Bedrohung und Bewährung, 1965 (LV. 2 b), S. XI: Er setzt sich hier von der mit System-Argumenten begründeten Forderung ab, es sei besser, wenn politologische Untersuchungen "von vornherein unter Gesichtspunkten der Vergleichbarkeit angelegt werden. Das Problem ist jedoch, daß ein auf diese Weise erzielter systematischer Gewinn häufig nur auf Kosten der historischen Anschaulichkeit zu erreichen ist. Bei Gegenständen von großer zeitgeschichtlicher Bedeutung behält daher eine Darstellung, die unmittelbar die Probleme herausarbeitet, vor denen die beteiligten Menschen - innerhalb wie außerhalb der politischen Verantwortung - standen und die sie zu lösen hatten, auch weiterhin ihren besonderen Eigenwert, auch wenn sie unter den Aspekten der systematischen politischen Wissenschaft zuweilen in der Nähe der traditionellen politisch-historischen Publizistik bleibt. ce - Zu Shells Studie vgl. auch weiter unten Anmerkungen H, 21, 101 und 121.

3. Methodologische und wissenschaftstheoretrl.sche Vorbemerkung

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materialistische Dialektik doch noch soweit mit abstrakten geschichtsphilosophischen Postulaten und Prämissen, daß sie um genau diese eine eigentliche konkrete Lageanalyse verfehlteS. Das wurde um so deutlicher, je mehr sich "der Kapitalismus" von denjenigen Situationsbestandteilen entfernte, die auch in der Analyse des "Kapital" noch unausgesprochene Voraussetzungen blieben. Deshalb auch das Dilemma aller Neo-Marxisten, die verzweifelt nach dem "historischen Subjekt" suchen, welches Marx noch ohne Anwandlung durch Zweifel im Proletariat des 19. Jahrhunderts entdeckt zu haben glaubte7 •

6 Gut herausgearbeitet die Spannung, ja gar der Widerspruch zwischen dem Systematisch-Abstrakten und dem Historischen bei Marx von Alfred Schmidt, Hrsg., Beiträge zur marxistischen Erkenntnistheorie, 1969, und ders. Geschichte und Struktur, Fragen einer marxistischen Historik, 1971 (beide LV. 4 cl, - diese Werke gleichzeitig Beiträge zur "Strukturalismusdebatte" in der Geschichtswissenschaft (siehe unten Anm. H, 11). Im 2. Titel S. 52 ff. der Hinweis, daß bereits Marx im Nachwort zur 2. Auflage des "Kapital" Andeutungen über Einheit und Unterschied von (historischer) "Forschungs-" und (systematischer) "Darstellungsweise" einbrachte. Denselben Gegenstand greift von ganz anderer Seite (Unterschied zwischen der "Realstruktur" und der "Tribunalstruktur" des Marx'schen Werks) auf Sander, Marxistische Ideologie und allgemeine Kunsttheorie, 1970 (2. Aujl. 1975, LV. 4 d). Paradigmatisch für die irritierende Unsicherheit, die besonders unter den Marx-Epigonen zwischen Geschichte und System besteht, die Entwicklung derjenigen Bindestrich-Soziologie, die ihre Existenz der Marx'schen KernFragestellung der Beziehung zwischen Sein und Bewußtsein verdankt, nämlich der Wissenssoziologie, vornehmlich in ihrer Weiterführung durch Kar! Mannheim. Dazu Lieber, Wissen und Gesellschaft, 1952, und derselbe (Hrsg.), Ideologienlehre und Wissenssoziologie, 1974 (beide LV. 4 cl. Besonders typisch im 2. Titel die Beiträge von Stern (alias Günter Anders): über die sog. "Seinsverbundenheit" des Bewußtseins, S. 548 ff., und von Lewalter, Wissenssoziologie und Marxismus, S. 457 ff., beides Nachdrucke von im Jahre 1930 erschienenen Beiträgen. Stern auf S.558: "Die - eben auch bei Mannheim selbstverständliche - Voraussetzung, daß Geschichte immer weiter gehe, die Voraussetzung, daß es eben Geschichte und nicht nur ,Geschichten' gebe, ist selbst problematisch." Und auf S. 566 im Nachwort, das für die Zweitveröffentlichung geschrieben wurde: "Der Aufsatz - er entstand vor 44 Jahren - enthält keine einzige These, die ich heute noch unterschreiben würde." - Lewalter S.478: "Der Weg der Mannheimschen Soziologie hat von Dilthey über Scheler endlich doch zu Marx geführt." S.482: "Die Wissenssoziologie, ... weit entfernt, dem Historismus den Abschied zu geben, hat ... sich vielmehr dem Marxismus ... genähert." Und S.481: "Das marxische historische Denken ,destruiert' die Geschichte ... es ,will' diese ,Destruktion' ... weil es (sie) aus anthropologiScher Einsicht heraus für ,gefordert' hält." 7 Dazu etwa Hofmann, Stalinismus und Antikommunismus, 1967 (5. Aufl. 1970), S.150; Gorz, Der schwierige Sozialismus 1969, S.64 (beide LV. 4 cl. Für diesen Zusammenhang auch Guggenberger, Die Neubestimmung des subjektiven Faktors im Neomarxismus, 1973, und das mir nicht zugänglich gewesene Buch von Ulrich Hommes, Auf der Suche nach dem Subjekt der Geschichte 1973 (beide LV. 4 cl. übrigens ist selbst in die Marx'sche Grundformel jedes mögliche neue, reale, historische Subjekt einzufügen, etwa: "Jeder nach seinen Fähigkeiten (für das Vaterland der Werktätigen, die Sowjetunion), jedem nach seinen Bedürfnissen (von dieser Sowjetunion)."

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1. Teil: II. Entwicklung des eigenen Ansatzes

Die angeblich verheerenden Folgen des von uns gewählten Ansatzes können also gar nicht in der polemischen Wendung gegen die schlechten Abstraktionen der Staats-, Gesellschafts- und Demokratietheorien gesehen werden, die erst Hegel und dem Historismus, dann Marx und dem Marxismus Ansehen und Rechte verschaffte. Nicht das hegelischidealistische, noch das marxistisch-materialistische Element wird als Gefahr gewittert, sondern ein schmittisch-dezisionistisches. Die Reduktion einer Prima Politica auf das pure Vorhandensein, die Existentialität von Subjekten - und wenn von Kollektivsubjekten, so um so schlimmer - scheint jede verbindliche, weil inter-subjektiv verbindende und insoweit "objektive" Wissenschaft unmöglich zu machen. Die von uns anvisierte hyper-konkretistische Politikwissenschaft mag zwar einen aufweisbaren Vorteil haben: sie ermöglicht ein analytisches Vorgehen, das aus nichts als gänzlich illusionsfreier, weil übersubjektiv uneingebundener, Lageanalyse besteht; dies mag man dann noch "realistisch" und sogar "Wissenschaft" nennen, es bricht jedoch mit dem Wissenschaftsverständnis, das bis vor AristoteIes zurückverfolgt werden kann und dem sogar Marx sich noch nicht entzog - wenn auch manche NeoMarxisten im Gefolge Lenins und Stalins. Dieses Verständnis gipfelte und gipfelt in der Forderung, daß Wissenschaft für aUe Subjekte und sogar für aUe Lagen da zu sein, verwendbar und verstehbar zu sein habe. Kein Subjekt kann und darf Anspruch auf ein nur ihm und seiner Lage angemessenes wissenschaftliches Vorgehen haben; selbst die "klassische" Geschichtswissenschaft lebte, bereits bevor sie strukturalistisch-systematisch zu werden versuchte, von der Allgemeinverbindlichkeit beanspruchenden Voraussetzung, daß sie "menschliches Handeln überhaupt" zu erfassen und nachzuzeichnen versuchte auch wenn diese Voraussetzung oft uneingestanden blieb8• 8 In diesem Sinne ist z. B. Ernst Nolte kein "klassischer" Historiker, sondern mit seinem Hineinbringen der "Transzendenz", gar einer "praktischen Transzendenz", ein "Philosoph" in dem von ihm bezeichneten Sinne (Der Faschismus in seiner Epoche, 1963, LV. 4 a, S. 518 und 519): "Das Philosophieren bedeutet eine einzigartige und ungeheure Entfremdung der ,Welt' gegenüber (als dem Inbegriff aller gegebenen und vertrauten Dinge)." "Nur ein transzendentales Wesen vermag revolutionär zu sein, aber auch nur für es wird Bewahrung zu einer Grundbedingung des Daseins ... Die Voraussetzung dieses Revolutionsbegriffs ist die praktische Transzendenz." Das führt bei Nolte zu höchst eigenartigen und im Umkehrschluß brisanten "philosophischen" Urteilen über Nationalsozialismus und allgemein über Faschismus, Urteilen, welche die Historikerzunft noch weniger gewillt war, aufzugreifen, als die des Marxismus über die Gesamtgeschichte (ebenda S. 508 und 509): "Souveränität, Einstellung auf den Vollzug des Krieges und innerer Antagonismus dürfen daher als fundamentale Charaktere aller bisher bekannten menschlichen Gesellschaften gelten. Es ist aber eine ganz entscheidende Einsicht, daß die Menschen ihr Selbstverständnis niemals aus dieser Realität ihres Daseins ausschließlich oder auch nur vorzüglich gewonnen haben, mindestens seit dem Aufkommen der großen Erlösungsreligionen.

3. Methodologische und wissenschaftstheoretische Vorbemerkung

39

Aber ihre Objektivität - oder sagen wir bescheidener: ihr intersubjektiver Geltungsanspruch - rechtfertigte sich, neben - hier weniger problematischen - überprüfbaren Forschungstechniken und Instrumentalismen, mit prinzipiell unbegrenzter Aufnahmefähigkeit, Unvoreingenommenheit gegenüber grundsätzlich unabgeschlossenen, unabschließbaren menschlichen Lagephänomenen und den menschlichen Antworten darauf'. Sie mußte und muß sich allem gegenüber offen halten: Von Konfuzius bis Franziskus von Assisi, von Dschingis Khan bis Hitler, von Pizarro bis Mao Tse Tung. Eben wo und wenn sie diese Offenheit verletzte, etwa in der Blütezeit des Nationalstaats Identifizierungen mit der Imperialen Figur vollzog und Entwicklungen in der "Sozialen Frage" übersah oder überspielte, machte man ihr dies mit Recht zum Vorwurf. Die Schwierigkeiten, mit denen eine solcherart "allgemein-menschlich" bleiben wollende Geschichtswissenschaft dann zu ringen hatte, wenn sie andererseits historistisch auf die Einzigkeit der von ihr geschilderten Ereignisse und Institutionen stieß und diese begrifflich zu erfassen versuchte, sind zur Genüge bekannt10 • Sie sind und bleiben durchIn allen großen Gesellschaften der Geschichte leben eine universale Lehre und eine partikulare Realität in prekärer Symbiose. Nichts liegt von einer bestimmten Bewußtseinsstufe an näher als diese Symbiose der Lüge zu zeihen, die Lehre für eine ideologische Verklärung der unvollkommenen und hassenswerten Realität zu erklären. Mit dem Aufwachsen der bürgerlichen Gesellschaft und der Entstehung der liberalen Philosophien wird in Europa eine Auffassung mächtig, die die Beseitigung sowohl der partikularen Realität wie des ideologischen ,überbaus' für möglich hält. An ihre Stelle wiIl sie eine universale Gesellschaft setzen, die sicher ohne Krieg und möglichst ohne inneren Antagonismus wäre. Es kommt nun alles darauf an zu sehen, daß der Nationalsozialismus gerade deshalb keine Ideologie ist, weil er sich der liberalen und marxistischen Lehre von der Verwirklichung der universalen Natur des Menschen auf die denkbar schärfste Weise entgegensetzen wiIl.... Seine Lehre ist ihrem positiven Sinne nach daher durchaus nicht jene - möglicherweise lügenhafte (Heraushebung von mir, H.-J. A.) - Beziehung auf ein übergeordnetes Gut, einen universalen Zweck ... Deshalb ist der Faschismus das erste Phänomen. nach der langen Epoche der ideologischen Geschichte, wo ... die partikulare Realität sich und nur sich selbst wiIl. Damit gelangen ihre fundamentalen Strukturen erstmals zu entschiedenem Bewußtsein ihrer selbst. Aber nur das wird bewußt, was nicht mehr selbstverständlich ist. Wo Reales sich als solches wiIl, da ist es dabei, sich selbst zu entgleiten, und kämpft damit seinen Todeskampf." (Alle anderen Hervorhebungen vom Autor selbst). Die Stelle aus dem Faschismusbuch Noltes wird sehr umfangreich zitiert, weil sie unten (Kap. 5.3) in unserer Argumentation noch eine wichtige Rolle spielen wird. - Zum Faschismus als "Totalitarismus" siehe unten Kap. 4.2. d. 8 Ihr Ausgangspunkt entsprach damit etwa dem von uns oben in 2. 1. c eingenommenen. 10 Klärend, auch geschichtstheoretisch klärend, hat das Buch von Otto Brunner: Land und Herrschaft, 1939 (4. Aufl.1959, LV. 6) gewirkt; siehe dazu die Besprechung von Mitteis in Herrschaft und Staat im Mittelalter, 1956 (LV. 4 a) und die weiteren Beiträge in diesem Sammelband.

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1. Teil: Ir. Entwicklung des eigenen Ansatzes

schlagend, auch dann, wenn man sie "nur hermeneutisch" durch DenkAkte hinwegzuheben versucht: eine saubere Lösung brachten weder Dilthey's Suche nach einer "formalen Geschichtslogik", noch geschichtstheoretische Konstruktionen strukturalistischer oder anderer Manier, schon gar nicht Neuauflagen von Geschichtsphilosophien, aber auch nicht soziologische Relativierungen oder wissenssoziologische Relationie rungen (Mannheim), - ganz zu schweigen von kultursoziologischen, kulturtheoretischen und kulturphilosophischen "Gestalt"-Lehren11 • Man macht neuerdings aus der Not eine Tugend, fällt auf den alten narrativen Charakter von Geschichtsschreibung als Erzählung zurück und entwickelt daraus den "theoretischen" Anspruch, Geschichte bringe es höchstens - dies aber auch sicher - bis zur Erkenntnis von "Identitäten"; und die einzige Art der "Feststellung" von Identitäten sei eben das Erzählen ihrer Geschichte (Lübbe I2). Das dramatische Element 11 Zur geschichtstheoretischen Debatte der Gegenwart siehe u. a. die in LV. 4 a genannten Werke von Koselleck/Stempel (Hrsg.): Geschichte - Ereignis und Erzählung 1973; Groh: Kritische Geschichtswissenschaft heute in emanzipatorischer Absicht 1973; Schulz (Hrsg.): Geschichte heute, Positionen, Tendenzen und Probleme 1973; Schulze: Soziologie und Geschichtswissenschaft 1974. - Vgl. auch oben Anm. I, 13 von Borch. I! Besonders anschaulich entwickelt in seinem Diskussionsbeitrag: Was heißt: "Das kann man nur historisch erklären?", abgedruckt in Koselleck/ Stempel (Hrsg.) Geschichte - Ereignis und Erzählung, 1973 (LV. 4 a), S. 542 ff. Daraus (S. 544 und 545l: "Einer historischen Erklärung ist bedürftig, was weder handlungsrational noch systemfunktional erklärt werden kann, und auch aus kausalen oder statistischen Ereignisfolge-Regeln nicht ableitbar ist. Die historische Erklärung in dieser Charakteristik erklärt weder durch Rekurs auf Sinn, noch erklärt sie nomologisch. Sie erklärt, was sie erklärt, durch Erzählen einer Geschichte. - Geschichten sind, in einem geologischen Bilde gesprochen, Gemengelagen von Handlungen, die in sich jeweils plausibel sind, aber in ihrem Gemenge nicht mehr der Rationalität eines übergeordneten Handlungs- oder Systemzusammenhangs gehorchen. Die gewählte Metapher ist übrigens nicht beiläufig gewählt: Auch um geologische Gemengelagen zu verstehen, müssen wir Geschichten, Erdgeschichten erzählen, und man bemerke, daß nun in diesem naturwissenschaftlichen Zusammenhang das Wort ,verstehen' ebenso ohne Anstoß verständlich ist wie in den universitätshistorischen Zusammenhängen das Wort ,erklären'. - Die in der Form einer Geschichte miteinander verbundenen Ereignisse sind in ihrem Zusammenhang nicht aus übergeordneter Handlungsrationalität verfügt - d. h.: Geschichten sind, insoweit, Prozesse ohne Subjekt. Geschichte sind die Geschichten individueller und institutioneller Subjekte. Aber ,Geschichten' sind sie nur insofern, als sie die Geschichte der Behauptung und Wandlung eines Subjekts oder Systems unter Bedingungen der Intervention von Ereignissen sind, die als solche und in ihrer Abfolge gerade nicht der Handlungsrationalität dieses Subjekts oder Systems gehorchen. In jedem Falle erklärt die erzählte Geschichte einen Zustand, der als Resultat eines Willens und seiner unter kontrollierten Realitätsbedingungen vollzogenen Realisierung unverständlich wäre. - Damit ist auch erklärt, wieso Vorgänge des Herstellens und Machens nicht erzählt werden können." Der letzte Satz legt nahe, daß zwischen der Geschichtstheorie Lübbes und der Handlungstheorie Hannah Arendts ein enger Zusammenhang besteht (Arendt, Vita Activa, 1960, LV. 4 cl. Arendt unterscheidet bekanntlich Arbei-

3. Methodologische und wissenschaftstheoretdsche Vorbemerkung

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der Historiographie kommt wieder zum Vorschein, mit allen seinen Vorzügen und Mängeln. Indessen: Die Wiederentdeckung oder Wiedereinführung der narrativen Funktion der Geschichte, nunmehr paI1adoxerweise mit theoretischem Anspruch, hilft nur scheinbar aus dem Dilemma. Geschichtsschreibung, die sich erzählerisch auf das Abschi1dern von Ereignissen und damit Feststellen von Ldentitäten beschränkt, hätte es prinzipiell mit der Schwierigkeit zu tun, von Beginn an nicht zu wissen (methodologisch streng: nicht wissen zu dürfen), um was für Ereignisse und Subjekte es sich denn handelt. Die Historiographie erzählte also, ohne von vornherein zu wissen, welche Geschichte sie von wem und über wen zustandebringen wir:d. Erst im Vollzug ihrer Forschungen könnte und dürfte sich ihr entfalten, welche historischen Akteure die Bühne betreten und welche und wessen Geschichte überhaupt gehandelt wird. - Tatsächlich aber kommt auch eine bloß nanative Geschichtsschreibungnicht darum herum, mit einem hermeneutischen Vorverständnis an den Gegenstand heranzugehen. Soweit ist jeder "Strukturalismus", allein schon hinsichtlich der verwendeten Begriffe, im Recht. Aber: welche dieser Begriffe und FI1ageansätze sind die wirklich "epochalen", der UIIltersuchten Epoche adäquaten? Es i s ...... '"

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