Die Behauptung des Dandys: Eine Archäologie [1. Aufl.] 9783839409138

Was ist ein Dandy? Während die klassischen l'homme et l'Öuvre-Ansätze die Figur des Dandys als Amalgam von Aut

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Die Behauptung des Dandys: Eine Archäologie [1. Aufl.]
 9783839409138

Table of contents :
INHALT
Vorwort
1. Einleitung
2. Der Stand der Forschung
3. Theorie und Methode
3.1 Die Demokratisierung der Text-Kontext-Beziehung
3.1.1 Die Anekdote
3.1.2 Elementare und elaborierte Literatur
3.2 Die Behauptung der Behauptung
3.2.1 Positivität und Performativität
3.2.2 Realität und Fiktionalität
3.2.3 Kultur und Text
3.2.4 Objekt und starkes Subjekt
3.2.5 Modalität, Autor und literarisches Feld
3.2.6 Die Begriffe Originalität und Exzentrik
3.2.7 Strategie und Taktik
4. Die Behauptung des Subjekts
4.1 Die Brummelliana
4.1.1 Selbstbehauptung und Ironie
4.1.2 Das Wort als Waffe
4.1.3 Karneval und the great George himself
4.1.4 Die Ikonographie des Broken Beau
4.1.5 Oralität und Ondit
4.1.6 Mythos und die Funktion von Kartoffelstärke
4.1.7 Geschichtsschreibung und der fat friend
4.1.8 Theatralität und ein Dinner for One
4.2 Die Anekdote in Balzacs Traité de la vie élégante
4.3 Die Anekdote in den fashionable novels
4.4 Die Anekdote in Barbeys Du Dandysme
4.4.1 L’influence
4.4.2 La manière
4.4.3 Die Anekdote als Form
5. Die Behauptung des Autors
5.1 Die Position von Byron
5.1.1 Die Friktion des Außenseiters
5.1.2 Die Ironie des broken dandy
5.2 Die Behauptung Byrons in England
5.3 Die Position von Carlyle
5.3.1 Die Friktion des Byronkritikers
5.3.2 Die Ironie des Autors
5.4 Die Behauptung Byrons in Frankreich
5.5 Die Position von Gautier
5.5.1 Die Friktion der Jeunes-France
5.5.2 Die teuflische Ironie
5.6 Die Position von Baudelaire
5.6.1 Die Friktion beim habit noir und bei Guys
5.6.2 Die Ironie des Flaneurs
5.7 Die Position von Wilde
5.7.1 Die Friktion zwischen Leben und Werk
5.7.2 Die paradoxe Ironie
5.8 Barbey: Die Materialität der Behauptung
6. Die Behauptung der Originalität und Exzentrik
6.1 Das Über-Setzen des Dandys
6.1.1 Die Behauptung der originality
6.1.2 Das Über-Setzen der originality
6.1.3 Die Behauptung der eccentricity
6.1.4 Das Über-Setzen der eccentricity
6.1.5 Byroniana. Byron als exzentrisches Originalgenie
6.2 Gautiers elaborierte Behauptung
6.3 Die Regularität von excentricité, originalité und dandy
6.4 Barbeys elaborierte Behauptung
6.4.1 Die Behauptung der Originalität
6.4.2 Die Behauptung der Exzentrik
6.4.3 Die taktische Behauptung des Originals
6.4.4 Die taktische Behauptung der Ex-zentrik
6.5 Baudelaires elaborierte Behauptung
7. Die Taktiken der Behauptung
7.1 Der erste und letzte Dandy
7.2 Ursprung und Genealogie
7.3 Etymologie
7.4 Kulturelle Herkunft
7.5 Der black dandy als schwarz-weißes Original
7.6 Der Ursprung des Geschlechts
7.7 Posthume Prototypen
7.8 Aristokratie und Nichts
7.9 Selbstverlust und self-fashioning
7.10 Auraverlust und Reproduzierbarkeit
7.11 Glanz und Elend in der Popkultur
7.12 Ende und Neugeburt in der Konfektionsmode
8. Zusammenfassung
9. Die Zukunft des Dandys. Von Henry zu Moses Pelham
Literatur
Abbildungen

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Fernand Hörner Die Behauptung des Dandys

2008-02-12 14-14-58 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0310170781530672|(S.

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Fernand Hörner (Dr. phil.) lehrt französische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal. Seine Forschungsschwerpunkte sind Literatur des 19. Jahrhunderts, Diskursanalyse, Übersetzungstheorie und -praxis sowie Populärmusik.

2008-02-12 14-14-58 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0310170781530672|(S.

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Fernand Hörner Die Behauptung des Dandys. Eine Archäologie

2008-02-12 14-14-58 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0310170781530672|(S.

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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2008 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Kleidung in England am Anfang des 19. Jahrhunderts Lektorat & Satz: Marion Schotsch und Fernand Hörner Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-913-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

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INHALT Vorwort

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1. Einleitung

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2. Der Stand der Forschung

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3. Theorie und Methode 3.1 Die Demokratisierung der Text-Kontext-Beziehung 3.1.1 Die Anekdote 3.1.2 Elementare und elaborierte Literatur 3.2 Die Behauptung der Behauptung 3.2.1 Positivität und Performativität 3.2.2 Realität und Fiktionalität 3.2.3 Kultur und Text 3.2.4 Objekt und starkes Subjekt 3.2.5 Modalität, Autor und literarisches Feld 3.2.6 Die Begriffe Originalität und Exzentrik 3.2.7 Strategie und Taktik

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4. Die Behauptung des Subjekts 4.1 Die Brummelliana 4.1.1 Selbstbehauptung und Ironie 4.1.2 Das Wort als Waffe 4.1.3 Karneval und the great George himself 4.1.4 Die Ikonographie des Broken Beau 4.1.5 Oralität und Ondit 4.1.6 Mythos und die Funktion von Kartoffelstärke 4.1.7 Geschichtsschreibung und der fat friend 4.1.8 Theatralität und ein Dinner for One 4.2 Die Anekdote in Balzacs Traité de la vie élégante 4.3 Die Anekdote in den fashionable novels 4.4 Die Anekdote in Barbeys Du Dandysme 4.4.1 L’influence 4.4.2 La manière 4.4.3 Die Anekdote als Form

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5. Die Behauptung des Autors 5.1 Die Position von Byron 5.1.1 Die Friktion des Außenseiters 5.1.2 Die Ironie des broken dandy 5.2 Die Behauptung Byrons in England 5.3 Die Position von Carlyle 5.3.1 Die Friktion des Byronkritikers

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5.3.2 Die Ironie des Autors 5.4 Die Behauptung Byrons in Frankreich 5.5 Die Position von Gautier 5.5.1 Die Friktion der Jeunes-France 5.5.2 Die teuflische Ironie 5.6 Die Position von Baudelaire 5.6.1 Die Friktion beim habit noir und bei Guys 5.6.2 Die Ironie des Flaneurs 5.7 Die Position von Wilde 5.7.1 Die Friktion zwischen Leben und Werk 5.7.2 Die paradoxe Ironie 5.8 Barbey: Die Materialität der Behauptung

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6. Die Behauptung der Originalität und Exzentrik 6.1 Das Über-Setzen des Dandys 6.1.1 Die Behauptung der originality 6.1.2 Das Über-Setzen der originality 6.1.3 Die Behauptung der eccentricity 6.1.4 Das Über-Setzen der eccentricity 6.1.5 Byroniana. Byron als exzentrisches Originalgenie 6.2 Gautiers elaborierte Behauptung 6.3 Die Regularität von excentricité, originalité und dandy 6.4 Barbeys elaborierte Behauptung 6.4.1 Die Behauptung der Originalität 6.4.2 Die Behauptung der Exzentrik 6.4.3 Die taktische Behauptung des Originals 6.4.4 Die taktische Behauptung der Ex-zentrik 6.5 Baudelaires elaborierte Behauptung

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7. Die Taktiken der Behauptung 7.1 Der erste und letzte Dandy 7.2 Ursprung und Genealogie 7.3 Etymologie 7.4 Kulturelle Herkunft 7.5 Der black dandy als schwarz-weißes Original 7.6 Der Ursprung des Geschlechts 7.7 Posthume Prototypen 7.8 Aristokratie und Nichts 7.9 Selbstverlust und self-fashioning 7.10 Auraverlust und Reproduzierbarkeit 7.11 Glanz und Elend in der Popkultur 7.12 Ende und Neugeburt in der Konfektionsmode

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8. Zusammenfassung

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9. Die Zukunft des Dandys. Von Henry zu Moses Pelham

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Literatur

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Abbildungen

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L’ex-centric man est un produit des bords de la Tamise; jamais on ne l’acclimatera chez nous. A la Grande-Bretagne seule les oracles et les lois du dandysme. Dictionnaire de la conversation et de la lecture. Inventaire des notions générales les plus indispensables à tous (1870)

VORWORT

Der Dandy lebt für Jules Barbey d’Aurevilly so autonom, dass er ihn als eine abgeschlossene Insel in der Gesellschaft bezeichnet, in Anspielung auf John Donnes berühmten Appell »No Man is an Island entire of itself«. Und auch wenn sich die vorliegende Arbeit mit dem Dandy auseinandersetzt, bestätigt sie in diesem Punkt John Donne. Denn sie ist zwar abgeschlossen, aber nur dank Mitmenschen und ihrer Unterstützung. Mein Dank geht also an alle, die mich bei meinen insularen Erkundungen begleitet, mir wertvolle Ratschläge mit auf den Weg gegeben und mich tatkräftig unterstützt haben, insbesondere an meine Doktormütter Ursula Link-Heer und Vittoria Borsò, an Claudia Anders, Sidonie Engels, Ursula Hennigfeld, Anaïs und Wolfgang Hörner sowie meinen Norden Marion Schotsch.

1. E I N L E I T U N G

»Éternelle supériorité du Dandy. Qu’est-ce que le Dandy?«, notiert Charles Baudelaire in den Fusées.1 Was ist der Dandy? So kurz die Frage nach der Wesenheit dieser Figur ist, so mannigfaltig sind die Antworten, die in bemerkenswerter Konstanz seit Anfang des 19. Jahrhunderts bis heute verschiedene Disziplinen wie Literatur, Kunst, Musik und nicht zuletzt wissenschaftliche Untersuchungen anbieten. So scheint der Dandy zugleich für die Ewigkeit bestimmt, wie er der Moderne verhaftet ist. Er beansprucht seinen Platz sowohl in der Literatur als auch im Lexikon Ästhetische Grundbegriffe oder im Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich, lässt sich in der Systemtheorie Niklas Luhmanns als Symbol unnachahmlicher Galanterie feiern und gleichzeitig in André Bretons Anthologie de l’humour noir als jemand vorstellen, der um jeden Preis Missfallen erregen möchte.2 Nicht unbedingt die von Baudelaire in die Waagschale geworfene beständige Überlegenheit, wohl aber beständige Überlegungen lassen den Dandy alle Diskurse zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Surrealismus und Systemtheorie, Revolte und bürgerlichem Leben queren. Selbst auf dem ihm vertrauten Parkett der Mode stolpert der Dandy über seine Widersprüche. Die Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung präsentiert dem bundespolitisch interessierten Leser den Dandy als »Heros stilvoller Eleganz«3, wohingegen der Littré, das französische Referenzwerk, dem Dandy vorwirft, jeden Modetrend bis zur Lächerlichkeit nachzuahmen.4 Während die Beurteilung des Verdienstes um die Mode hier somit konträr ausfällt, kann sich der Petit Robert gar nicht entschließen, ob die Kleidung überhaupt eine Rolle spielt. Dort ist der »dandy« zwar ein »homme qui se pique d’une suprême élégance dans sa mise et ses manières«, doch der Dandyismus wiederum wird mit dem Zitat Baudelaires veranschaulicht: »Le dandysme n’est pas […] un goût immodéré de la toilette et de l’élégance matérielle«5. Das Attribut Dandy bezeichnet also sowohl den modischen Aspekt 1

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Baudelaire: Œuvres, Bd. I, S. 682. Im Folgenden wird mit Kurztiteln zitiert. Sofern der Bezug eindeutig ist, wird im Fließtext nur die Seitenzahl in Klammern angegeben. Luhmann: Liebe als Passion, S. 218 (vgl. Borsò: Die Aporie von Eros und IchKult, S. 121, Schuhen: Dandy, Dichter, Demagoge, S. 321), Breton: Anthologie de l’humour noir, S. 127. http://www.bpb.de/publikationen/YEJ0WG,0,0,Der_moderne_Dandy.html, 10.6.2006. Dieser Artikel von Günter Erbe ist auch veröffentlicht in Politik und Zeitgeschichte (Erbe: Der moderne Dandy). Vgl.: »homme recherché dans la toilette, exagérant les modes jusqu’au ridicule«, Littré, Bd. II, S. 1286. Petit Robert, S. 622. Das Zitat stammt aus Baudelaire: Peintre, S. 710. Dies ist ein Widerspruch und keine Differenzierung zwischen Dandy und Dandyismus,

12 | DIE BEHAUPTUNG DES DANDYS

als auch eine innere Geisteshaltung, welche die Bedeutung der äußerlichen Eleganz negiert. Diese Ambivalenz zwischen materieller Äußerung und ideellem Gehalt lässt Giorgio Agamben versichern, der Dandy erlöse den Menschen aus dem Unbehagen des Umgangs mit Gegenständen, indem er selbst zu einer Ware wird, und Jean Starobinski gleichzeitig dagegenhalten, der Dandy transzendiere das Körperliche und herrsche lediglich in einem Reich des Geistes.6 Was also ist der Dandy? Dieses Buch betrachtet die vielfältigen Darstellungen des Dandys – von der Trivialliteratur des 19. Jahrhunderts bis zu den existentiellen Überlegungen eines Sartre – und möchte so diese komplexe Frage beantworten. Dabei wird nicht essentialistisch argumentiert und versucht, über die Auswertung der Schriften zu einer Wahrheit jenseits der Schilderungen zu gelangen, sondern vielmehr das Augenmerk auf die spezifischen Mechanismen und die besondere Ästhetik der Aussagen gerichtet. Dadurch sollen gemeinsame oder in ihrem Widerstreit aussagekräftige Taktiken formuliert werden, mit denen sich die Behauptung des Dandys vollzieht, in der ganzen Doppeldeutigkeit der Formulierung: Zum einen, wie sich jemand als Dandy behauptet und durchsetzt, zum anderen, was ein Autor über einen solchen Dandy behauptet und wie er diese Vorstellungen gegenüber anderen Interpretationen durchsetzt. Analog zu Michel Foucaults Fragestellung »Qu’est-ce qu’un auteur?«, beinhaltet die Frage »Was ist ein Dandy?« also, den Dandy (der nicht selten selbst ein Autor ist) nicht als gegebene Größe hinzunehmen, sondern seine Funktionen genauer zu betrachten. Diese Untersuchung geht davon aus, dass sich für die Behauptungen des Dandys ein gemeinsames Zusammenspiel verschiedener Taktiken der Behauptung formulieren lässt, ähnlich wie Foucault in der Archéologie du savoir Formationsregeln für einen Wissenschaftsdiskurs definiert. Auf die Behauptung des Dandys übertragen, wird es erstens um die Behauptung des Dandys als Subjekt, zweitens um die Behauptung des Autors als Dandy, drittens um die Rolle von Originalität und Exzentrik für die Behauptung des Dandys gehen. Das Zusammenspiel dieser Behauptungen wird viertens schließlich als Taktiken der Behauptung untersucht. Wenn Friedrich Engels in Die Lage der arbeitenden Klasse in England die prahlerische Verschwendungssucht des »erbärmlichen Dandys« (S. 214) bemängelt, während Jean-Paul Sartre in seinem Essay Baudelaire die stoische Askese des Dandys Baudelaire betont (S. 237), so lässt sich dieser Widerspruch mit der doppelten Existenz des Dandys erklären. Zum einen existiert der Dandy als historische Figur, die Engels in England beobachten konnte. Stellvertretend an dem »ersten Dandy« George Brummell, wird die Behauptung dieser Figur in Kapitel 4 als Behauptung des Subjekts untersucht. Zum anderen lebt der Dandy als literarische Figur weiter, die den Autoren als Projektionsfläche für ihre Idealisierung und Instrumentalisierung dient, wie in Kapitel 5 zur Behauptung des Autors zu zeigen sein wird. Sartres Betrachtung des Dandys Baudelaire und gleichzeitig der literarischen Dandyfiguren im Œuvre von Baudelaire zeugt beispielhaft von einer Verstrickung zwischen Autor und Werk, die es zu entwirren und neu aufzurollen gilt. Für den Zusammenhang zwischen Dandy und der Behauptung des Au-

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da in einem Zirkelschluss der Dandy als »adepte du dandysme« und der Dandyismus als »manières élégantes […] du dandy« definiert werden (ebd.). Vgl. Agamben: Stanzen, S. 86, 90, Starobinski: Portrait de l’artiste, S. 64 f.

EINLEITUNG | 13

tors im literarischen Feld im Sinne Pierre Bourdieus spielt George Byron die eminente Rolle für nachfolgende englische und französische Autoren wie Thomas Carlyle, Théophile Gautier, Charles Baudelaire und Oscar Wilde. Die Darstellung des Dandys als (stereo)typisierte Figur sowie sein Streben nach Einzigartigkeit wird in Kapitel 6 zur Behauptung von Originalität und Exzentrik untersucht. Dass der Dandy einerseits als allgemeine »Kulturerscheinung des 19. Jahrhunderts«, andererseits als »›Unikat‹ par excellence« fungiert,7 weist auf seinen paradoxen Status zwischen Einzigartigkeit und allgemeiner Verbreitung, also auf die Problematik einer allgemein angestrebten Behauptung von Originalität/Exzentrik hin. Diesen inneren Widersprüchen zufolge kann Albert Camus’ L’homme révolté den Dandy als revoltierenden Exzentriker und Philippe Ariès’ Histoire de la vie privée wiederum als zentralen Bestandteil des bürgerlichen Gesellschaftslebens präsentieren.8 Kapitel 7 über die Taktiken der Behauptung schließlich widmet sich der mit Baudelaires Eingangszitat aufgeworfenen Frage, wie der Dandy zugleich als modernes und ewiges Phänomen behauptet wird, wie also seine Existenzen als historische, idealisierte sowie stereotypisierte Figur verwoben werden. Ausgangspunkt ist die Behauptung des Dandys als ursprüngliches Original und ex-zentrisches Phänomen in Bezug auf Prototypen, kulturelle Herkunft, Abstammung, sowie die Frage nach seiner Überlebensfähigkeit in der Moderne. Walter Benjamin, der den Dandy als »Held der Moderne«, und Antoine Compagnon, der ihn konträr dazu als »belle figure antimoderne« einordnet, bringen dabei die widersprüchliche Positionierung des Dandys in den Gefilden der Vergangenheit oder als Speerspitze des Fortschritts zum Ausdruck.9 Hier soll ein aus diesen Widersprüchen genährtes Spannungsfeld beschrieben und Taktiken identifiziert werden, die für die Behauptung des Dandys bis in die heutige Zeit gültig sind. Roger Kempf betont in seinem Essay Dandies, dass nur Dandys über Dandys schreiben: Dandyismus sei kaum zu beschreiben, sondern nur zu leben, denn »écrire serait opérer du dehors« (S. 32). Die meisten wissenschaftlichen Abhandlungen verzichten demgemäß auf Distanznahme und bringen ihre Nähe zum Dandy offen zum Ausdruck. Irving Wohlfarth weiß: »As one’s first large intellectual project, a dissertation […] is likely to be autobiographical« und bekennt eine »obscure identification« mit dem Dandy.10 Klarer bekennen sich andere Wissenschaftler zum Dandy. Ernest Hess-Lüttich bedankt sich bei seinen Lehrern in »praktischem Dandyismus«, Kirstine Fratz präsentiert ihre Untersuchung Dandy und Vampir auf dem Klappentext als Weiterschreibung »jenes Lebenskonzept[s], das so herrlich begonnen hat, und droht in der Hoffnungslosigkeit zugrunde zu gehen«, und Michel Lemaire vertraut dem Leser an, er möchte auf methodische Reflexionen gar gänz7

Gnüg: Dandy, S. 814, Luhmann: Liebe als Passion, S. 218. Auch für Luhmann ist der Dandy das Symbol des Unerreichbaren im kopierfixierte System der Liebe im 19. Jahrhundert, vgl. Borsò: Die Aporie von Eros und Ich-Kult, S. 121. 8 Camus: L’Homme Révolté, S. 462, Ariès: Histoire de la vie privée, S. 296. 9 Benjamin: Paris, S. 599, Compagnon: Antimoderne, S. 9. Compagnons Bemerkung, seine Antimodernes würden nach einem ungeschriebenen Gesetz alle mit B beginnen (S. 7), gilt auch für die Denker des Dandys. Zu Compagnons Autoren Balzac, Stendhal (Beyle), Baudelaire, Barbey und Barrès ließen sich noch Brummell, Byron, Bulwer-Lytton, Beerbohm, Boulenger und natürlich Benjamin selbst anfügen. 10 Wohlfarth: Aspects of Baudelaires Literary Dandyism, S. x.

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lich verzichten und setze dafür auf andere Strategien: »Ma seule méthode sera donc de sympathie littéraire.«11 Von wo aus aber operiert diese Untersuchung? Ist sie nicht auch Teil der Behauptung, die sie nur zu beschreiben und zu gliedern vorgibt? Auch Foucault räumt ein, es sei nicht möglich, mit Neutralität einen Diskurs zu beschreiben,12 da eine solche Vorstellung nur die eigenen Vorannahmen verdecke. Aber die Beschreibung solle aus einer distanzierten Position geschehen, die nicht versuche, in das Innere der Diskurse vorzudringen.13 Das heißt, nicht die tiefe Verbundenheit zum Dandy zu betonen und Einsicht in sein innerstes Wesen für sich zu veranschlagen, sondern sich mit der nötigen wissenschaftlich-nüchternen Distanz zu äußern, ohne sich zu emphatischen Bekundungen über den Dandy hinreißen zu lassen. Aber selbstredend ließe sich diese Distanz gegenüber dem Thema auch als typisch für die demonstrative Gefühlskälte des Dandys behaupten.

11 Hess-Lüttich: Die Strategie der Paradoxie, S. 128 FN (Im Folgenden verweist FN nach der Seitenzahl auf eine Fußnote), Lemaire: Le Dandysme, S. 14. 12 Foucault: Archéologie du savoir, S. 159. 13 Ebd., S. 183.

2. D E R S T A N D

DER

FORSCHUNG

Als charakteristisch für die Forschungsliteratur lässt sich zunächst festhalten, dass die Grenze zwischen essayistischen und literatur- oder kulturwissenschaftlichen Untersuchungen fließend ist. So zeichnen sich auf der einen Seite die essayistischen Betrachtungen – angefangen von den grundlegenden Texten wie Jules Barbey d’Aurevillys1 Du Dandysme et de George Brummell und Baudelaires Le Peintre de la vie moderne – durch eine Vermischung von Kommentaren über Literatur und Kunst, biographischen Informationen und der Demonstration der eigenen literarischen Fähigkeiten aus.2 In diesem Sinne schreibt Eike Schönfeld über die Essaysammlung Dandies and Dandies von Max Beerbohm: »Das Thema des Essays verblasst vor der Individualität des Autors, vor seinen Meinungen dazu, seinem Spiel damit, vor allem aber auch vor seinen literarischen Fähigkeiten. Im Essay ist der Stil alles. Der Essay ist der Dandy unter den literarischen Formen.«3 Der Essay ist nicht um rationale oder objektive Darstellung bemüht, sondern möchte vielmehr die Persönlichkeit des Autors in den Vordergrund rücken. So wie der Dandy sich in der Gesellschaft inszeniere, so die Suggestion von Schönfeld, so versuche auch der Autor mit seinem Essay sein Stilbewusstsein zum Ausdruck zu bringen und seine Weltsicht auf überzeugende, suggestive Art und Weise darzustellen. Auf der anderen Seite setzen auf eben diese Suggestionskraft allerdings auch diejenigen wissenschaftlichen Untersuchungen, die eine Mischung aus biographischer Darstellung, Textanalyse und Entwicklung von eigenen Assoziationen aufbieten. Sie nähern sich so dem Essay im Sinne Georg Lukács’ als »Suggestion eines Lebens« an, der keine Darstellung von »Wahrheit« anstrebt.4 Ähnlich wie der von Lukács in Die Seele und die Formen beschriebene Essay, der keine neuen Personen erfindet, sondern bestehende Personen neu gestaltet (S. 22), greifen diese Schriften auf historische oder literarische Dandyfiguren zurück, nicht ohne diese innerhalb der Vorstellungsräume ihres Textes zu neuem Leben zu erwecken. Sie sind somit kaum als ›Sekundär‹Literatur aufzufassen, sondern als eigene Kunstform, ausgestattet mit, wie Theodor Adorno in Der Essay als Form in Bezug auf Lukács schreibt, »äs-

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Im Folgenden wird der Adelstitel d’Aurevilly ausgespart, wie es Barbey zeitweilig aus politischer Überzeugung selbst tat. Vgl. z.B. Beerbohm: Dandies and Dandies, das Kapitel »La révolte des dandys« in Camus: L’Homme Révolté, Sontag: Notes on Camp, Carassus: Le Mythe du Dandy, Wiener: Eine Art Einzige, Boüexière: Le Dandysme. Schönfeld: Nachwort 245. Lukács: Die Seele und die Formen, S. 21. Lukács setzt ›Wahrheit‹ selbst in Anführungszeichen.

16 | DIE BEHAUPTUNG DES DANDYS

thetischer Selbstständigkeit«5. Adornos Argument, der Essay entspreche der Erkenntnis, man könne über Kunst nicht unkünstlerisch reden (S. 13), lässt sich auf den Versuch übertragen, über den Dandy möglichst ›dandyistisch‹ zu reden: »Un essai sur le dandysme est un essai dandy«, schreibt der Literaturwissenschaftler Roger Kempf in seiner eigenen essayistischen Untersuchung Dandies (S. 29). In La Grandeur Sans Convictions (1991) präsentiert sich die Autorin Marie-Christine Natta einerseits im Klappentext als Verfasserin einer Doktorarbeit über den Dandyismus sowie als Herausgeberin von kritischen Editionen von Barbey und Baudelaire und hält sich formal an wissenschaftliche Konventionen wie Quellenangaben, Einleitung, Schlusswort und Literaturverzeichnis, gibt andererseits ihre Untersuchung als »Essai sur le Dandysme« aus. Zudem beansprucht der Titel »La Grandeur Sans Convictions«, das gleichnamige, von Baudelaire anvisierte und nie realisierte Essay-Projekt über den literarischen Dandyismus fortzuführen.6 Analog zu dem von Adorno in Der Essay als Form beschriebenen Versuch, im Bewusstsein der Nicht-Identität von Sache und Darstellung (S. 38) an einem partiellen Zug die Gesamtheit der Sache suggestiv aufleuchten zu lassen (S. 36), sind diese Arbeiten nicht um erschöpfende Darstellung des Dandys bemüht, sondern begnügen sich mit einem repräsentativen Detail, anhand dessen sie Aussagen über den Dandy als solchen treffen wollen. Über seine Untersuchung Aspects of Baudelaires Literary Dandyism (1971) sagt Irving Wohlfarth: »It takes a necessarily essayistic form insofar as it has little alternative but to rely on premises which cannot […] be extensively justified and will, therefore, rest on their power of illumination.« (S. iv) Der von Wohlfarth beschriebene Versuch der Leser-Erleuchtung offenbart, dass ein Verzicht auf wissenschaftliche Vorgehensweisen wie die cartesianischen Regeln der klaren Wahrnehmung, die analytische Zergliederung des Gegenstandes, die systematische Ordnung der Gedanken oder der möglichst vollständigen Aufzählung im Sinne Adornos in Kauf genommen wird.7 Vor allem ist der Versuch zu erkennen, einen solchen isolierten Aspekt als Essenz des Dandyismus zu etablieren: bei Wohlfarth etwa das Flanieren durch die Großstadt als grundlegende Eigenschaft des Dandys.8 Perry Meisel wiederum setzt den Dandy als Verkörperung von Urbanität dem Cowboy als Verkörperung des ländlichen Lebens entgegen, um dann zu zeigen, dass sich die amerikanische Musik-Kultur aus einer spannungsreichen Kombination dieser beiden speist.9 Richard Pine stellt in The Dandy and the Herald zu Recht fest, dass die meisten Definitionen von Dandyismus nur den jeweiligen Wissenschaftlern dienen (S. 14). Trotz seines Bestrebens, eine ganzheitliche Definition des Dandyismus zu liefern (S. 15), läuft aber auch seine Gegenüberstellung von Dandy und Herald darauf hinaus, den »essential dandy« (S. 25) als denjenigen zu definieren, der die Gesellschaft über seine eigene Person in Kenntnis setze (S. 13), während es das Prinzip des Boten sei, der Gesellschaft etwas über diese selbst zu sagen (S. 26). Viele Untersuchungen reduzieren dabei den Dandy auf eine bestimmte Position in der Gesellschaft,

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Adorno: Der Essay als Form, S. 12 f., vgl. Lukács: Die Seele und die Formen, S. 7. Vgl. Baudelaire: Correspondance, Bd. I, S. 664 sowie hier Kapitel 5.6.1. Vgl. Adorno: Der Essay als Form, S. 30-34. Vgl. Wohlfarth: Aspects of Baudelaires Literary Dandyism, S. 22. Meisel: The Cowboy and the Dandy, S. 15.

DER STAND DER FORSCHUNG | 17

wobei die Variationen von aristokratischer Distinktion10 bis hin zum (kritischen oder affirmativen) Ausdruck der bürgerlichen Gesellschaft11 reichen. Eine ähnlich widersprüchliche Reduktion des Dandys auf einen einzelnen Aspekt lässt sich in Bezug auf Gender-Fragen12 beobachten, wenn wahlweise die Androgynität13 oder die Männlichkeit und Verführungskraft14 als zentrale Eigenschaft behauptet werden. So wird ein partieller und, wie die unterschiedlichen Interpretationen zeigen, umstrittener Aspekt des Dandys zentralisiert und die Komplexität der Figur darauf reduziert. Über die Methode der wissenschaftlichen Monographien, die versuchen, den Dandy in seiner Gesamtheit ins Auge zu fassen, lässt sich in Abwandlung von Adornos Definition sagen, dass sie umgekehrt das ganze Werk eines Autors anhand des partiellen Zugs seines Dandyismus beleuchten wollen. Diese Arbeiten rezipieren demgemäß die Autoren von Texten über Dandys selbst als Dandys und etablieren somit eine Vorstellung des Autors als Dandy, die in das Zentrum der Untersuchung gestellt wird. Persönliche Aufzeichnungen, die Biographie des Autors, literarische Figuren und essayistische Schriften sowie eine ›Werkkonzeption‹ werden auf einer gemeinsamen Ebene als Ausdruck des Dandyismus des Autors gelesen. Der vorwissenschaftliche Konsens, der Autor sei selbst ein Dandy, ist in einem Zirkelschluss zugleich Ausgangspunkt und Ziel der Untersuchungen. Wenn Foucault in seinem Aufsatz »Qu’est-ce qu’un auteur?« den Autor als eine Funktion beschreibt, durch die ein kohärentes Werk etabliert wird (S. 798), lässt sich in diesem partikulären Fall von einer Autor-als-Dandy-Funktion sprechen, die den Dandyismus des Autors benutzt, um die Vorstellung eines einheitlichen Werks zu erzeugen und gleichzeitig den zentralen Interpretationsansatz zu liefern. Dies ermöglicht, vom Werk auf den Autor und vom Autor auf das Werk zu schließen, um bei beiden Dandyismus erkennen zu können. Grundlage für diese Herangehensweise ist also die Methode des L’Homme et L’Œuvre als retrospektive Integration biographischer Einzelheiten in ein kon10 Vgl. Saisselin: Dandyism and Honnêteté, Stanton: The Aristocrat as Art, Carassus: Dandysme et Aristocratie, Diaz: Le Dandysme littéraire, Montandon: L’étiquette et le dandy, sowie der von Montandon herausgegebene Band L’honnête homme et le dandy (1993). 11 Maurer: Dandy, Snob und Kleinbürger, Schmiele: Vom Dandy zum Provokateur, Smith: Aestheticism and social structure, Genova: Terrorism with Style, Godfrey: The Dandy as Ironic Figure, Hansen: Die Anbiederung des Dandy, Lane: The drama of the Impostor, Botz-Bornstein: Rule-Following in Dandyism, Frémiot: Du Dandysme et de la transgression, Wyss: Das Verschwinden des Dandys. 12 Vgl. zum Gender-Begriff Butler: Gender Trouble, S. 9 ff. 13 Vgl. Miguet: Barbey d’Aurevilly et Baudelaire, Feldman: Gender on the Divide, Monneyron: Le dandy fin de siècle, Planchais: Androgynie et dandysme, Paglia: Masken der Sexualität, S. 526-531, Eisenberg: The Figure of the Dandy, Garelick: Rising Star, Rossbach: Dandyism in the Literary Works of Barbey, Rossbach: Des Dandys Wort als Waffe. Den Dandy als lesbische Figur sehen Rolley: Lesbian Dandy, Glick: The Dialectics of Dandyism, sowie Glick: Harlem’s Queer Dandy. 14 Vgl. Schumann: Snob – Dandy – Playboy, Belleroche: Du Dandy au Playboy, Gnüg: The Dandy and the Don Juan Type. Zur Beschreibung des Dandys als Inbegriff problematischer Maskulinität vgl. Höfele: Dandy und New Woman, Adams: Dandies and Desert Saints, Delbourg-Delphis: Masculin Singulier, Luckett: Performing Masculinities.

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sistentes, ästhetisches Lebenswerk des Autors, die von Sainte-Beuve bereits im 19. Jahrhundert angewandt und von Gustave Lanson zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Méthodes de l’histoire littéraire formuliert wurde.15 Dass diese Methode schon von Théophile Gautier in der Préface von Mademoiselle de Maupin (1835) und von Marcel Proust in seinem posthum veröffentlichten Contre Sainte-Beuve vehement kritisiert wurde, unterstreicht den Mangel an Methodenreflexion dieser Arbeiten, der sich dann noch verschärft, wenn eben Gautier und Proust selbst als solche Dandy-als-Autor-Funktionen fungieren.16 Eine ähnlich paradoxe Kluft zwischen Fragestellung und Methode tut sich in den genderorientierten Untersuchungen, z.B. von Feldman, Garelick, Eisenberg oder Rossbach, auf, die sich inhaltlich mit Foucaults Thesen aus der Histoire de la sexualité auseinandersetzen ohne ihr Zurückgreifen auf die Autorfunktion mit Foucaults Auteur-Aufsatz zu verknüpfen. Zwischen inhaltlicher Auseinandersetzung mit dem Dandy und der zumeist nicht weiter erläuterten Methodik klafft also eine Lücke, welche ich zu schließen gedenke. In der Forschungsliteratur kristallisieren sich vier Aspekte des literarischen Werks heraus, welche durch die Funktion des Autors als Dandy formuliert und in die Vorstellung eines konsistenten ›dandyistischen‹ Lebenswerk re-integriert werden: die Intention des Autors, seine Identifikation mit Protagonisten und Erzählern, die Rezeption seiner Werke sowie seine ›dandyistische‹ Ästhetik. Wie die Intention des Autors erzeugt wird, zeigt sich insbesondere in Michel Lemaires Le Dandysme de Baudelaire à Mallarmé (1978). Lemaire definiert die »écrivains-dandys« Baudelaire, Stendhal, Gautier, Huysmans, Barbey und Mallarmé als diejenigen, die in ihrer Person und ihrem Werk Dandyismus und literarische Kreation verbunden haben (S. 11). Die Existenz als écrivain-dandy macht er dabei alleine an der Rekonstruktion ihrer inneren Beweggründe fest: »[J]e […] concentrerai mon attention […] sur la forme que ces écrivains-dandys, par cela même qu’ils se voulurent écrivains et dandys, donnèrent, imposèrent à leur vie, sur cette forme qui modela leur vie.« (S. 12) Problematisch ist dieser Ansatz, weil Lemaire seine Behauptung von écrivains-dandys nicht als eigene Interpretation, sondern als Intention des Autors darstellt. Er versucht somit, den Dandyismus zum zentralen und einzigen Lebenszweck des Autors zu erklären und leitet darauf aufbauend den spezifischen Dandyismus des Autors aus seinem Werk ab. Um den Dandyismus als einzigen Lebenszweck des Autors teleologisch zu (v)erklären, wird ein psychologischer Zusammenhang zwischen Autor und seinem literarischen, essayistischen und autobiographischen Werk hergestellt.17 Im Einklang mit dieser Methode, die bereits Paul Bourget in seinen Essais de Psychologie Contemporaine (1883) u.a. in Bezug auf Baudelaire anwandte,18 15 Vgl. Bourdieu: Les règles de l’art, S. 268. 16 Vgl. zu Gautier: Lemaire: Le Dandysme, S. 107, Feldman: Gender on the Divide, S. 25-53, zu Proust: Françoise: Le Dandysme et Marcel Proust, Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 178-215. 17 Vgl. eine ähnliche Kritik an teleologischer Werkdeutung in Bourdieu: Les règles de l’art, S. 263. Auch Didier Eribon kritisiert dies in Bezug auf die Biographien von Foucault, da es zu verschiedenen Zeiten verschiedene Foucaults gegeben habe. Er folgert: »Il faut se défaire de toute vision téléologique et revenir à l’histoire dans sa contingence […].« (Eribon: Foucault, S. 26-34, Zitat S. 34) 18 Vgl. Bourget: Essais, Bd. I, S. 1-34 (Baudelaire), Bd. I, S. 275-355 (Stendhal) sowie Bd. II, S. 238-254 (Barrès).

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schreibt Schickedanz nahezu fatalistisch: »Der Dandyismus entfaltet sich für Baudelaire immer mehr zum vorwiegend existentiellen Problem. […] Baudelaires Dandyismus […] ist als Mystifikation des eigenen Schicksals zu verstehen.«19 Besonders in der oft geäußerten Behauptung, Barbey wolle »durch sein Dandytum die frühe narzistische [sic] Kränkung, von seiner Familie als häßlich abgestempelt worden zu sein, vergessen machen«20 wird deutlich, wie der Autor einer Psychologisierung unterworfen wird, die es ermöglicht, einen kausalen Zusammenhang zwischen vermeintlichen Kindheitserfahrungen und dandyistischem Werk herzustellen, um seine Biographie als lineare Abfolge verschiedener Etappen seines Dandyismus darzustellen, wie hier Minderwertigkeitskomplex, Sublimation und Etablierung als Dandy.21 Auf diese Methode greifen die meisten wissenschaftlichen Untersuchungen zurück, zumeist ohne dies zu reflektieren. Eisenberg z.B. folgert in The Figure of the Dandy: »The issue of dandy sexuality, or Barbey’s sexuality, is still at stake, which makes ›Le bonheur dans le crime‹ a piece of dandy writing and Barbey, a dandy-writer.« (S. 125) Nicht nur wird hier der Autor mit seinem Werk gleichgesetzt, zudem wird in einem Zirkelschluss die Thematisierung von Sexualität als Beweis für den Dandyismus von Autor und Werk gesehen, wobei dieser Zusammenhang von Dandyismus und Sexualität gleichzeitig die Ausgangsthese der Untersuchung ist (S. 16). So wird in den Figuren des Werkes die Person des Autors wiedergefunden und das Werk als »eigene Seelenbiographie« rezipiert.22 Auch Feldman sieht in den fiktionalen Dandyfiguren den Ausdruck der Inszenierung des Autors als Dandy: »[T]he dandy created within the work of art […] is actualized, rendered ›real‹ in print by the living, breathing dandy-writer who chooses to make of himself and his daily life a fiction. Such is the dandy centralized.«23 Die Methode, das Werk des Autors als Ausdruck seiner Persönlichkeit zu lesen, rechtfertigt sie hier, indem sie dies als ureigene Intention des Autors behauptet, und gibt somit ausdrücklich zu verstehen, dass die Vorstellung des Autors als Dandy zentrale Interpretationsschaltstelle der Untersuchung wird. Elisabeth Reed identifiziert zudem die Intention von Barbeys Essay Du Dandysme et de George Brummell als den Wunsch, zu einem eigenen Dandyismus zu finden.24 Der Autor wird also nicht nur mit seinen fiktionalen Dandyfiguren, etwa aus Barbeys Novellen, sondern auch mit historischen Personen, wie hier George Brummell, identifiziert. Auch Susanne Rossbach setzt 19 Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 30 f. 20 Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 175, vgl. Miguet: Barbey d’Aurevilly et Baudelaire, S. 75, Petit: Notes, S. 1234, Seillière: Barbey et le Dandysme Romantique, S. 392. 21 Gnüg meint, in Des Esseintes aus Huysmans A Rebours den inneren Antrieb des Autors und »seine verborgenen Wunsch- und Angstvorstellungen« enthüllen zu können (Gnüg: Kult der Kälte, S. 283). 22 Gruenter: Formen des Dandyismus, S. 189. 23 Feldman: Gender on the Divide, S. 3. 24 Vgl. Reed: Le Dandysme catholique de Jules Barbey d’Aurevilly, S. viii, sowie ihre Erklärung zu Barbeys Korrekturen in der zweiten Auflage seines Essays: »Barbey a eu le temps de réfléchir entre temps à son propre dandysme et il voit en quoi il diffère de son modèle. Il se condamne en tant que dandy. ›Si on était passionné, on serait trop vrai pour être dandy‹.« (S. 57) Sie interpretiert die Aussage aus Barbeys Essay, die sie hier zitiert (vgl. Barbey: Du Dandysme, S. 686), als Selbstdarstellung des Autors, wobei sie voraussetzt, dass Barbey sich den von ihm beschriebenen Brummell selbst als Modell nimmt.

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in Des Dandys Wort als Waffe Barbey mit den Erzählerfiguren aus seinem Werk gleich, die sie als Dandys bezeichnet (S. 78), um dies in der Figur des »›écrivain-dandy‹ Barbey« zusammenzuklammern:25 So kann sie die Identifikation von Barbey mit seinen Erzählungen betonen,26 um abschließend festzustellen, Barbey treibe ein Versteckspiel mit dem Leser, indem er den Text, der seine eigene Person verkörpere, nie vollständig enthülle.27 Diesen Ansatz, selbst die Rezeption der Leser als Ausdruck des Dandyismus zu sehen, beschreibt auch Rhonda Garelick in Bezug auf die Essays von Barbey und Baudelaire: »The texts […] mimic both the dandies of whom they ostensibly write and those whom they address. […] Baudelaire’s in particular demonstrates as well as narrates the movement of the dandy’s performance towards the public space.«28 Die Performanz des Schriftstellers als Dandy wird in der Rekonstruktion seiner Biographie beschworen und zudem das Schreiben an sich als Akt des Dandys (für Dandys) gelesen. Dabei wird das Verhältnis von Dandy und Gesellschaft auf das Verhältnis von Autor und Leser projiziert, etwa wenn Natta bemerkt, Dandyismus und Literatur vereinten sich im Prozess des Schreibens selbst, und den »dandysme littéraire« definiert als metafiktionales Spiel mit der Erzählung, in der sich der Erzähler dem Leser gegenüber so provokativ verhält wie der Dandy gegenüber der Gesellschaft.29 Der Bezug zwischen

25 Rossbach: Des Dandys Wort als Waffe, S. 193. Dabei werden bei der Konstruktion des écrivain-dandy mitunter auch äußerst kreative Schlüsse vollzogen. In mehreren Assoziationsschritten setzt Wohlfarth im Prosa-Gedicht »Perte d’auréole« den Autor mit dem lyrischen Ich und beide mit dem Dandy gleich. Zunächst bezeichnet er Baudelaire selbst als »actual dandy«, belegt durch einen Augenzeugenbericht von Camille Lemonnier, die Baudelaire beim Flanieren eine »allure un peu dandinée« bescheinigt. Aus der nicht weiter kommentierten Übertragung von dem Verb »dandiner«, dt. tändeln, auf dandy, folgert er, Baudelaire sei nicht nur ein Flaneur, sondern auch ein Dandy im wörtlichen Sinn, ein »literal dandy« (Wohlfarth: Aspects of Baudelaires Literary Dandyism, S. 21). Dann stellt er aufgrund der Existenz Baudelaires als écrivain-dandy fest, dessen Gedicht Dandyismus stelle dar: »the poet of Perte d’Auréole has transformed his literal dandyism into a literary pose […].« (S. 22) Claire Nicolay liest Baudelaires Gedicht »Une mort héroique« als Ausdruck der dandyistischen Revolte Brummells gegen den König und begründet dies mit einer Verbindung zwischen den beiden, die sie von Brummell und seinem Biographen Jesse, zu dem ebenfalls in Caen ansässigen Verleger Trebutien zieht, der mit Jesse Kontakt hatte und Barbeys Essay Du Dandysme herausgab, den Barbey wiederum Baudelaire zukommen ließ (Nicolay: Fatal Attractions, S. 336). 26 Vgl.: »Barbey’s text is also Barbey himself«, »Barbey is constantly present in the text, as ›je‹ […].« (Eisenberg: The Figure of the Dandy, S. 123 f.), vgl. Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 180. 27 Eisenberg: The Figure of the Dandy, S. 130 f. Dass die unterschiedlichen Ebenen dieser Aspekte nicht reflektiert werden, zeigt sich exemplarisch in Erbes Aufsatz »George Brummell und Charles Baudelaire: zum Vergleich zweier Dandytypen«, in dem er beide Personen vergleicht, ohne zu kommentieren, dass er den Dandyismus Brummells durch Interpretation seiner Biographie und den Baudelaires durch Rückschluss aus dessen literarischem Werk formuliert. 28 Garelick: Rising Star, S. 42. 29 Natta: Grandeur Sans Convictions, S. 195, 15. Auch Saidah nimmt diese Definition als Ausgangspunkt in Saidah: Dandysme social et dandysme littéraire.

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Autor und Publikum wird dabei sowohl als ursprüngliche Intention als auch als interaktiver »dialogue with an audience«30 gesehen. Lemaire ergänzt in Le Dandysme diese interpretatorische Zusammenschau von Autor und Dandyismus, wenn er vermerkt, dass sich der Formwillen dieser Dandy-Autoren ebenso in einer ›dandyistischen Form‹ des Werkes niederschlage, ohne diese indes genauer zu definieren (S. 12). Auch andere Arbeiten sprechen vom Dandyismus nicht nur in Bezug auf Protagonisten, Erzähler und Leser, sondern auch als literaturspezifische Ästhetik: André Ferrans Untersuchung L’Esthétique de Baudelaire (1968) zufolge ist Baudelaire der vollkommene Dandy, ein »Dandy intégral« (S. 72) und sein Dandyismus ausschlaggebend für die »Esthétique baudelairienne«, eine Ästhetik der reinen Kunst: »Le dandysme de Baudelaire […] conduit le poète au seuil de l’art pur.« (S. 69-70) So wird der Dandyismus auf die unterschiedlichen Ebenen projiziert und durch die Autor-als-Dandy-Funktion wieder zu einer einheitlichen und widerspruchslosen Werkkonzeption gebündelt. Biographien, literarische Werke, philosophische Betrachtungen, Tagebuchaufzeichnungen bis hin zu der formalen Gestaltung und der Rezeption werden zu einem konsistenten Dandyismus zusammengefügt, der zum herrschenden Diskurs über sämtliche überlieferte Texte und Bilder eines Autors wird. Dabei zeigt der Umgang mit Balzacs Traité de la vie élégante exemplarisch, dass bei dieser Methode widersprüchliche Aussagen eines Autors zugunsten einer eindeutig positiven Äußerung zum Dandyismus ausgemerzt werden. Denn in der Comédie Humaine treten zwar einige als Dandy apostrophierte Figuren auf, wie Lucien de Rubempré oder de Marsay, im Traité indes wird der Dandy als hirnloser Kleiderständer denunziert: »Le Dandysme est une hérésie de la vie élégante. En effet le Dandysme est une affectation de la mode. En se faisant dandy, un homme devient meuble de boudoir, un mannequin extrêmement ingénieux qui peut se poser sur un cheval ou sur un canapé, qui mord ou tète habilement le bout d’une canne, mais un être pensant?… jamais!« (S. 247) Damit der Traité dennoch als Abhandlung über den Dandyismus gelesen und Balzac als écrivain-dandy etabliert werden kann, wie dies oft getan wird,31 ist eine starke Umdeutung des Textes nötig. Roger Kempf vereint in der von ihm herausgegebenen Anthologie Sur le Dandysme Balzacs Traité mit Barbeys und Baudelaires Essays und bezeichnet sie auf dem Klappentext als »trinité philosophique du dandysme«. Um dies zu rechtfertigen, behauptet er die eindeutigen Äußerungen Balzacs über die Dandys lediglich als Kritik an falschen Dandy-Kopien (S. 20). Er geht mit anderen Worten davon aus, Balzac beschreibe in seinem Traité einerseits Dandyismus ohne diesen beim Namen zu nennen, und meine andererseits mit der abschätzigen Verwendung des Wortes »dandysme« im Grunde nicht den Dandyismus, sondern etwas anderes. Erbe, Gnüg und Schickedanz halten ebenso die Behauptung aufrecht, Balzac kritisiere nur den »Pseudo-Dandy«, obgleich er im Grunde implizit die Grundlage des eleganten Lebens des Dandys erarbeite.32 Diese Argumentation beansprucht also die Entscheidungsgewalt, erstens 30 Garelick: Rising Star, S. 135. 31 Vgl. u.a. Garelick: Rising Star, S. 14-19, Kempf: Dandies, Bertin: Il mito formativo del dandy, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 144-162, Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 67 f., Gnüg: Kult der Kälte, S. 87, Rossbach: Des Dandys Wort als Waffe, S. 23, Gould: Monsieur de Balzac, S. 383. 32 Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 67, vgl. Gnüg: Kult der Kälte, S. 87, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 144-162.

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Balzacs Intention gegen seine eigenen Äußerungen herauslesen zu können und zweitens zwischen ›wahren‹ und ›falschen‹ Dandys nach eigenen Maßstäben unterscheiden zu können. Rossbach stellt folglich fest, Balzacs Traité, Barbeys Du Dandysme und Baudelaires Peintre »basieren alle drei auf der gleichen Prämisse: Der Dandy oder ›fashionable‹ ist diesen Studien zufolge kein geistloser Stutzer«, obwohl in Balzacs Traité genau dies zu lesen ist.33 Neben Honoré de Balzac werden so eine Reihe anderer Autoren als écrivains-dandys kanonisiert, z.B. die bereits erwähnten Gautier, Barbey34, Baudelaire35 und Proust, sowie Stendhal36, Alfred de Musset37, Joris Karl Huysmans38, oder in England George Byron39, Benjamin Disraeli und Edward Bulwer-Lytton40, Oscar Wilde41 und Max Beerbohm42. Zeichnet diese Autoren noch aus, dass sie in ihren Werken auf Dandyfiguren explizit zurückgreifen, so ergibt sich durch die interpretative Methode des L’Homme et L’Œuvre 33 Rossbach: Des Dandys Wort als Waffe, S. 23. Garelick wiederum deutet äußerst kreativ Balzacs Traité als »vision of one kind of man – the dandy«, indem sie, wohl in Bezug auf Agamben, Balzacs Bezeichnung des Dandys als hirnloses »mannequin« als Faszination für einen mechanischen Fetisch deutet (Garelick: Rising Star, S. 15, 18, vgl. Agamben: Stanzen, S. 91). 34 Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 89-104, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 172-181, Lemaire: Le Dandysme, S. 108, Feldman: Gender on the Divide, S. 54-96, Eisenberg: The Figure of the Dandy, Rossbach: Des Dandys Wort als Waffe, Ernest Seilliere: Barbey et le Dandysme Romantique, Creed: Le Dandysme de Jules Barbey d’Aurevilly, Reed: Le Dandysme catholique dans l’œuvre de Jules Barbey d’Aurevilly, Liedekerke: Talon Rouge, Lever: Barbey d’Aurevilly, Humphrey: Barbey, Baudelaire and the Imprévu sowie daran anschließend Rossbach: Dandyism in the Literary Works of Barbey. 35 Raynaud: Baudelaire et la Religion du Dandysme, Buck: Baudelaire und das Problem des Dandyismus, Wohlfarth: Perte d’Auréole, sowie Wohlfarth: Aspects of Baudelaires Literary Dandyism, Black: Baudelaire as Dandy, Bollon: La Figure du Dandy, Cingolani: Le Professeur et le dandy, Howells: Baudelaire. Individualism, Dandyism and the Philosophy of History, Hadlock: The Other Other, Coblence: Baudelaire, Sociologue de la Modernité, Burt: A Cadaver in Clothes, Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 105-125, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 181-190, Feldman: Gender on the Divide, S. 97-142. 36 Grün: Hommes-Copies, Dandies und Fausses Passions, Martineau: Stendhal. Dilettant et dandy, Gnüg: Kult der Kälte, S. 135-141, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 134-144, Lemaire: Le Dandysme, S. 107. 37 Mehnert: Alfred de Mussets Lorenzaccio. 38 Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 126-136, Lemaire: Le Dandysme, S. 153-184. 39 Gnüg: Kult der Kälte, S. 178-207, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 60-71, Prévost: Dandysme, S. 27-32, Fratz: Dandy und Vampir, S. 51 ff. 40 Vgl. zu beiden Rosa: The Silver Fork School, Schubel: Das englische Dandytum, Coblence: Disraeli, Adburgham: Silver Fork Society, Hughes: Silver Fork Writers and Readers, Bachman: Bulwer-Lytton’s Pelham, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 71-82, Moers: Dandy, S. 68-83. 41 Roditi: Oscar Wilde, Dichter und Dandy, Kranz: Der Dandy und sein Untergang, Eichler: Dandytum und Narzißmus, Hees-Lüttich: Die Strategie der Paradoxie, Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 137-151, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 216-236. Klaus-Dieter Herlemann betont indes zu Recht, dass zwischen dem psychologischen Ich von Wilde und der Pose, die sich in seinen Werken zeigt, eine ambivalente Maske stehe (Herlemann: Oscar Wildes ironischer Witz, S. 5). 42 Moers: Dandy, S. 315-331, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 236-243.

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zudem eine Vielzahl an unterschiedlichen Autoren, von Eugène Sue43 bis Stéphane Mallarmé44, von Robert de Montesquiou45 bis Jean Genet46, die von ihren Zeitgenossen (wie Montesquiou) oder aber ausschließlich im Rahmen der jeweiligen wissenschaftlichen Untersuchung als Dandys bezeichnet werden.47 Diese bei weitem nicht vollständige Liste von écrivains-dandys zeigt, dass die Dandy-als-Autor-Funktion die Behauptung von immer neuen Dandys zwar erleichtert, indem Werk und Biographie aufeinander bezogen werden. Allerdings führt dies nicht zur Formulierung relevanter Kriterien für die Antwort auf die Frage, was ein Dandy sei. Vielmehr entsteht ein Konglomerat an zumeist männlichen écrivains-dandys, bei dem grundlegende Gemeinsamkeiten kaum festzustellen sind. In dem Maße, in dem diese Methode die Werksdeutung auf den Aspekt des Dandyismus konzentriert, sprengt die Vielzahl an daraus resultierenden écrivains-dandys jede Möglichkeit, einen gemeinsamen Bezugspunkt unter den Autoren zu formulieren und sich so dem Phänomen Dandyismus anzunähern. Ein allgemeiner Erkenntnisstand 43 Bory: Eugène Sue. Dandy mais socialiste, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 163-172. 44 Garelick: Rising Star, S. 47-77, Lemaire: Le Dandysme, S. 247-286. 45 Jullian: Robert de Montesquiou, Chaleyssin: Montesquiou, mécène et dandy, Link-Heer: Robert de Montesquiou, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 259279, Lemaire: Le Dandysme, S. 219-239. 46 Nachmann: Genet. Dandy of the Lower Depths. 47 Vgl. zur Behauptung weiterer écrivains-dandys: Gnüg: Kult der Kälte, S. 235270, Lemaire: Le Dandysme, S. 123, Garelick: Rising Star, S. 78-98 (Villiers de l’Isle-Adam); Prevost: Dandysme, S. 164 (Paul Bourget); Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 37 (Roger de Beauvoir); Lemaire: Le Dandysme, S. 141 (Paul Verlaine); Boüexière: Dandysme, S. 173, 181 (Francoise Sagan und Pierre Loti); Jean Frémon: Le dandysme intérieur (Jean Crevel); Rabourdin: Un dandy engagé (Georges Henein); Leroy: Du Dandysme, de Barnabooth et de Dan Yack (Valéry Larbaud); Blanchard: The Dandy and the Commissar (André Malraux); Setz: Jacques d’Adelswärd Fersen; Rohmann: Der Dichter als Dandy (Edgar Allan Poe, vgl. dazu Lemaire: Le Dandysme, S. 118); Snodgrass: Aubrey Beardsley, dandy of the grotesque (vgl. Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 244-252); Pine: The Dandy and the Herald, S. 34 (Anaïs Nin); Levillain: Élégants et dandys, S. 151 (Paul Morand); Meisel: The Cowboy and the Dandy, S. 63-74, 105-114, 85-94 (Walter Pater, Virginia Woolf, Laurence Durell, Henry Miller und Willa Cather, vgl. zu Cather auch Feldman: Gender on the Divide, S. 143-179); Genova: Terrorism with Style, S. 90 (William Borroughs); Feldman: Gender on the Divide, S. 180-268 (Wallace Stevens, Vladimir Nabokov); Jennifer Blessing: Claude Cahun, Dandy Provocateuse; Garelick: Quentin Crisp: The Last Dandy? Walden: Who is a dandy, S. 49 (Martin Amis); Webb: The Black Dandyism of George Walker; Glick: Harlem’s Queer Dandy (Wallace Thurman und Richard Bruce Nugent); Martinelli: La guerra di D’Annunzio; Benedetto: Il dandy e il sublime (Vittorio Alfieri); Badenes: Performing the dandy, S. 6, 16 (Manuel Machado); Fernando Aínsa: Del escritor dandy (Roberto de las Carreras und Julio Herrera y Reissig); Mussy Roa: Teófilo Cid; Hofmiller: Von Dandies, Dandytum und Dandyverehrung in der Geschichte und bei Richard Schaukal (vgl. Krobb: Über einen Versuch); Neumeister: Der Dichter als Dandy (Kafka, Baudelaire, Thomas Bernhard); Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 57-63, 166-177 (Herrmann Pückler-Muskau, Stefan George); McGann: Dandy, S. 15 (Rainer Maria Rilke); Gruenter: Formen des Dandysmus (Ernst Jünger); Ihrig: Literarische Avantgarde (Carl Einstein, Walter Serner, Konrad Beyer, Oswald Wiener).

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der Forschungsliteratur in Hinblick auf die Frage nach dem Dandy ist also nicht zu definieren. Wohl aber kann vom Stand der angewandten Methode gesagt werden, dass diese sich nach wie vor am Diskurs des L’Homme et l’Œuvre orientiert.

3. T H E O R I E

U ND

METHODE C’est tout bonnement une dissertation historique, de l’archéologie en matière de baiser. Théophile Gautier

Anstelle einer Behauptung von écrivains-dandys nach dem Vorbild des L’Homme et l’Œuvre werde ich die Methode der archäologischen Diskursanalyse, wie sie Foucault beschreibt, für die Frage nach dem Dandy fruchtbar machen. Allerdings betont Foucault in der Archéologie du savoir, der methodologischen Erläuterung seines archäologischen Ansatzes, dass die Konstellationen, die er im interdiskursiven Vergleich von Allgemeiner Grammatik, Naturgeschichte und Analyse der Reichtümer in Les mots et les choses beschrieben hat, nicht auf andere Gebiete angewandt werden sollten: »Les relations que j’ai décrites valent pour définir une configuration particulière; ce ne sont point des signes pour décrire en sa totalité le visage d’une culture.« (S. 207) Die Formulierung mutet paradox an, da der Begriff der Definition eine Verallgemeinerung und Gesetzmäßigkeit beinhaltet und damit der Partikularität der Konfiguration zunächst zu widersprechen scheint. Tatsächlich ist dieses Spannungsverhältnis bezeichnend für die Methode von Foucault, bei der sich partikuläre Beispiele und allgemeine methodische Reflexion gegenseitig bedingen.1 Insofern empfiehlt sich eine differenzierte Betrachtung der Anwendbarkeit der Archéologie du savoir auf die Behauptung des Dandys, zumal Foucault nur die Methodik für eine Wissenschafts-Archäologie entwirft.2 Dennoch räumt er ein, es könne neben einer solchen epistemologischen auch andere Archäologien geben (S. 251). Die theoretischen Grundlagen dieser nicht-epistemologischen Archäologien reißt er kurz an und gibt einige Beispiele, wie etwa eine Archäologie der Sexualität oder der Malerei 1

2

So betont Gilles Deleuze in Foucault, dieser habe in seinen vorherigen Arbeiten Beispiele für seine Methode, die er in der Archéologie du savoir vorstellt, gegeben, ohne zu wissen, dass es Beispiele seien (S. 12). Die Häufigkeit, in der Foucault dort auf Les mots et les choses zurückgreift, bestätigt diese These. Andererseits ist zu bemerken, dass Foucault bereits Les mots et les choses als Une archéologie des sciences humaines untertitelt und dort ankündigt, in einem nächsten Werk die Methodenprobleme einer solchen »archéologie« zu untersuchen (S. 13). Die häufige, um nicht zu sagen inflationäre Verwendung von Foucaults Diskurs- und Archäologie-Begriff in Arbeiten mit unterschiedlichsten Zielsetzungen verrät allerdings, dass das »Jahrhundertbuch« Les mots et les choses (Link-Heer: Michel Foucault) eher in Theorie und Methodik der Archäologie als im konkreten Vergleich der Wissenschaften fruchtbar gemacht wird (vgl. Eribon: Contemporains, S. 49). Er bezeichnet sein Projekt als »entreprise dont l’Histoire de la Folie, la Naissance de la clinique, Les mots et les choses ont fixé, très imparfaitement, le dessin« (Foucault: Archéologie du savoir, S. 25).

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(S. 252 f.). Die Literatur lässt er bezeichnenderweise aus, obwohl er bereits Aufsätze über Jules Verne, Raymond Roussel, Maurice Blanchot, Stéphane Mallarmé oder Gustave Flaubert verfasst hat.3 Zu folgern, dass mit dem zeitgleich mit der Archéologie du savoir entstandenen Auteur-Aufsatz Foucaults Zwiesprache mit der Literatur beendet sei,4 hieße indes, die Rolle der Literatur innerhalb einer epistemologischen Archäologie zu verkennen. Denn die Literatur hat insofern einen besonderen Stellenwert, als literarische Texte Träger eines Wissens sein und zu einem Teil eines Wissenschaftsdiskurses gemacht werden können: »Le savoir n’est pas investi seulement dans des démonstrations, il peut l’être aussi dans des fictions, dans des réfléxions, dans des récits […].« (S. 239) Gemäß dieser These beginnt Les mots et les choses mit der Analyse des Status der Repräsentation in Velásquez’ Gemälde Las Meninas, zudem werden Cervantes’ Don Quijote und de Sades Justine et Juliette als Eröffnung bzw. Abschluss des klassischen Zeitalters dargestellt.5 In Bezug auf Cervantes und Sade spricht Foucault der Literatur dabei die Fähigkeit zu, wissenschaftliche Diskurse zu verarbeiten und gleichzeitig über deren epistemologische Grenzen hinauszuweisen.6 Dieser synthetisierende Charakter der Literatur, für den Link den Begriff des Interdiskurses geprägt hat, erklärt, warum die Literatur innerhalb anderer Archäologien eine wichtige Rolle spielt.7 Wie wiederum umgekehrt eine archäologische Beschreibung der Literatur auszusehen hat, wird nun für den partikulären Fall der Literatur zum Dandy erörtert. Die theoretischen und methodischen Konsequenzen dabei sind die Demokratisierung der Text-Kontext-Beziehung (Kapitel 3.1) sowie das Konzept der Behauptung (Kapitel 3.2).

3.1 Die Demokratisierung der T e x t- K o n te x t- B e z i e h u n g Foucault gibt der Archéologie du savoir die Aufgabe, die Selbstbezeichnungen wissenschaftlicher Disziplinen kritisch zu hinterfragen und eine neue Möglichkeit der Strukturierung durch Formulierung von Formationsregeln aufzuzeigen. Dabei gelte es, durch Ablehnung jeder Art von Vorannahmen einen leeren Raum (»espace blanc«) zu schaffen, in dem die Äußerungen neu strukturiert und in diskursive Formationen eingeteilt werden können (S. 54). Einen ähnlichen espace blanc möchte dieses Buch schaffen, um eine Alternative zu der herkömmlichen Strukturierung der Dandyliteratur um das Leben und Werk eines écrivain-dandy zu bieten. Anders als z.B. Moers, Erbe, Schickedanz, Gnüg, Neumeister oder Lemaire, die jedes Kapitel einem Dandy-

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Vgl. insbesondere den ersten Band von Foucaults Dits et écrits. Vgl. Gehring: Foucault, S. 32, 41. Foucault: Les mots et les choses, S. 222 f., vgl. Link-Heer: Weltbilder, Epistemai, Epochenschwellen, S. 51, Link-Heer: Michel Foucault, S. 321. Vgl.: »Der Literatur […] wird damit tendenziell eine generelle bzw. prinzipiell mögliche Freisetzung aus der ihr jeweils ›eigenen‹ Episteme zugemutet.« (LinkHeer: Weltbilder, Epistemai, Epochenschwellen, S. 51). Vgl. Link: Diskurs/Interdiskurs, S. 92.

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Autoren widmen, soll der Korpus hier nicht das gesamte Werk eines oder mehrerer écrivains-dandys, sondern vielmehr Texte über den Dandy verschiedener Autoren sein. So werden Werke von kanonisierten écrivains-dandys, wie Baudelaire, gleichberechtigt neben anonymen oder kaum bekannten Autoren, wie z.B. Arnould Fremy, betrachtet. Louis Montrose skizziert in seinem Artikel »Die Renaissance behaupten«9 eine neue Literaturwissenschaft unter den Prämissen des New Historicism und greift (in der Übersetzung von Moritz Baßler) auf den Terminus der Behauptung zurück, um die traditionelle Einteilung nach Autor und Kontext zu kritisieren. Die von ihm beschriebene verbreitete Tendenz, »ein einheitliches und autonomes Individuelles – sei es ein Autor oder ein Werk – zu behaupten und zu bevorzugen, das dann von einem gesellschaftlichen oder literarischen Hintergrund abgesetzt wird«10, trifft insbesondere auf die Behauptung der écrivains-dandys zu, bei der zumeist ein kanonisierter Autor und sein Werk als Übergröße in einen Kontext kleiner Texte gestellt werden. Stattdessen möchte ich hier die hierarchische Einteilung von Text und Kontext abschwächen und den Austausch zwischen Texten auf eine Weise untersuchen, bei der die Text-Kontext-Beziehung reziprok verläuft, jeder Kontext zugleich auch als eigener Text seine Wertigkeit hat.11 Als Konsequenz eines solchen Vorgehens gibt Stephen Greenblatt in Shakespearean Negotiations an, einen kanonischen Autor wie Shakespeare nicht als Alleinherrscher über den Text anzusehen, sondern als Ausführender einer sozialen Praxis (S. 4 f.). Der große Einfluss von Shakespeares Werken bis in die heutige Zeit ist Greenblatt zufolge nicht dem Genie des Autors zu verdanken, sondern dessen Fähigkeit, soziale Energie im Theaterstück zu bündeln (S. 6). Gemäß dieser Demokratisierung der Text-Kontext-Beziehung, welche im Rahmen einer kulturwissenschaftlichen Erweiterung der Literaturwissenschaft12 die Annahme beinhaltet, dass literarische und nicht-literarische Texte gemeinsam zirkulieren,13 wird diese Untersuchung abseits des Kanons der écrivains-dandys nicht nur nach literarischen, sondern auch nach journalistischen, essayistischen oder biographischen Darstellungen des Dandys suchen. Dies impliziert zunächst die Berücksichtigung nicht nur der gängigen Dandyliteratur wie Barbeys Du Dandysme oder Baudelaires Peintre, sondern auch unbekannter Texte von kanonisierten Autoren: Gautiers journalistische Arbeiten z.B. werden derzeit überhaupt das erste Mal in einer Gesamtausgabe

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Vgl. Ellen Moers: Dandy, dessen Untertitel »Brummell to Beerbohm« lautet, sowie Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, Schickedanz: Ästhetische Rebellion, Gnüg: Kult der Kälte, Neumeister: Der Dicher als Dandy, Lemaire: Le Dandysme. Da im Original von »Professing the Renaissance« die Rede ist, verliert die Übersetzung etwas an Schärfe hinsichtlich der Kritik an dieser Art Behauptung als ›professionelle‹ also akademische Beschäftigung. Mit Formulierungen wie »professional reader« für den Wissenschaftler oder die »profession« des Wissenschaftlers (Montrose: Professing the Renaissance, S. 30) möchte er insbesondere den akademischen Usus dieser Behauptung kritisieren. Montrose: Die Renaissance behaupten, S. 64. Vgl. Montrose: Professing the Renaissance, S. 18, Fox-Genovese: Literary Criticism, S. 217, Simonis: New Historicism, S. 157. Nünning: Kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft, S. 20 ff. Vgl. Veeser: Reader, S. 16 ff., Veeser: New Historicism, S. xi, Neumeyer: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 182.

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herausgegeben,14 und auch die fashionable novels von Bulwer-Lytton und Disraeli werden momentan das erste Mal neu editiert, seit sie im 19. Jahrhundert erschienen.15 Des Weiteren werden bislang unbeachtete Textsorten ebenso unbeachteter Autoren betrachtet:16 Essays wie Amédée Pichots Essai sur le génie et le caractère de Lord Byron (1824), journalistische Beiträge, Briefe, (Auto-)Biographien, Anekdotensammlungen, Reiseliteratur sowie die in Frankreich populären Formen der Traités, Codes, Manuels, Physiologies oder auch Lexika wie das Dictionnaire de la conversation et de la lecture (1835/ 1870), aus dem die als Motto angeführte Definition des Dandys als ex-centric man stammt. Ferner, Zeichnungen, Fotografien und Porträts, oder Musik wie die Operette Brummell von Reynaldo Hahn (1931) sowie Mode-Artikel, wie sie nicht zuletzt Barbey unter dem Namen Maximilienne de Syrène schrieb. Barbey oder auch Balzac als Autor des Traité de la vie élégante war diese Gebrauchsliteratur, die sie selbst produzierten, also durchaus vertraut.17

3.1.1 Die Anekdote Dass die Untersuchungen zu den écrivains-dandys viele Anekdoten über die behandelten Autoren zitieren, kann als erstes Indiz für die Wichtigkeit anekdotischen Wissens in der Frage nach dem Dandy gesehen werden. Gleichzeitig definieren diese Arbeiten die Anekdote nicht und reflektieren auch kaum ihre Funktionsweise, da diese in ihrer vielfältigen Verbreitung und Unabhängigkeit von der Frage nach ihrem Autor nicht mit dem Konzept eines zentralen écrivain-dandy zu vereinbaren ist. Die Arbeiten sind deswegen darum bemüht, die Anekdote als kalkulierte Inszenierung eines écrivain-dandy darzustellen. Dazu Lemaire: »L’anecdote constitue l’équivalent d’une scène de roman: c’est une création d’un dandy non écrite mais vécue, destinée non pas à l’imprimerie mais à la chronique orale qui lui donne son public.«18 Für dieses Buch, das die Anekdote nicht als bewusste Inszenierung eines écrivains-dandys etablieren, sondern der Darstellung durch Anekdoten methodisch auf den Grund gehen möchte, gilt es zunächst, drei Ansätze der Anekdotenforschung zu betrachten – den normativen, den deskriptiven sowie denjenigen des New Historicism – und sich der vielfach beschriebenen »Misere der Anekdotentheorie« zu stellen.19 Die mangelnde theoretische Durchdringung der Anekdote, die damit beklagt wird, liegt an der kaum erschöpfenden Forschungsliteratur einerseits und an den komplexen Entwicklungssträngen der Anekdote in verschiedenen Ländern andererseits. In Frankreich stützen sich die Forscher zumeist mangels Alternativen auf deutsche Unter-

14 Bei Honoré Champion, hg. v. Alain Montandon. 15 Bulwer-Lytton in der Reihe Silver Fork Novels, hg. v. Harriet D. Jump, Disraeli in der Reihe The Earl Novels of Benjamin Disraeli, hg. v. Daniel R. Schwarz, beide bei Pickering & Chattoo. 16 So beklagt Sandra Pott die mangelnde Erschließung populärer Literatur, insbesondere der Reiseliteratur (Pott: Triangulärer Transfer, S. 7). 17 Einzig Erbe berücksichtigt solche nicht kanonisierten Texte in einem kurzen Artikel (Erbe: Der Modeheld). 18 Lemaire: Le Dandysme, S. 15, vgl. Eisenberg: The Figure of the Dandy, S. 5. 19 W. Schäfer: Anekdote – Antianekdote, S. 5, vgl. Grothe: Anekdote, S. 1, Hilzinger: Anekdotisches Erzählen, S. 16 f., Weber: Erscheinungsformen der Anekdote, S. 11, Neureuter: Zur Theorie der Anekdote, S. 458.

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suchungen zur Anekdote, obwohl auch dort die Forschung, nicht zuletzt durch den Missbrauch der Anekdote im Dritten Reich als besonders ›deutsche‹ Gattung, noch in den Kinderschuhen steckt.21 Dabei zeigen sich vor allem in Deutschland, Frankreich und England autonome Entwicklungen der Anekdote. Zunächst war der altgriechische Begriff anékdota ein editionstechnischer Fachausdruck für ein unpubliziertes Werk, verwendet etwa von Cicero. Unter dem Titel wurde vermutlich im 11. Jahrhundert die von Prokopios von Caesarea im 6. Jahrhundert verfassten Darstellungen des Kaisers Justinian I. herausgegeben, die eine Gegendarstellung zu Prokopios offiziellen und durchweg positiven Darstellungen der militärischen und architektonischen Verdienste des Kaisers in De bellis und De aedificiis darstellten. Demgemäß wurde der Begriff anecdote zunächst in Frankreich ab dem 17. Jahrhundert im Sinne von bislang unveröffentlichter Geschichte, als »histoire secrète« oft mit explizitem Bezug auf Prokop verwendet.22 Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wandelte sich der Anspruch einer Gegengeschichte zur offiziellen Historiographie fort zu der eher der Unterhaltung dienenden Darstellung von Gelehrten und Künstlern, insbesondere Literaten.23 Das deutsche Wort Anekdote bezeichnet hingegen neben dem editionstechnischen und dem französischen Verständnis auch einen sehr viel längeren, literarischen Text, der noch nicht zur Kenntnis genommen wurde – und wäre so auch für einen Teil der hier untersuchten Dandyliteratur zu verwenden. So paraphrasiert z.B. Friedrich Schlegel in Bezug auf Boccacios Novellen die Anekdote als »noch unbekannte Geschichte«24. Und auch wenn sich schwerlich ein Zeitpunkt für diese »Ablösung des literarischen Gattungsbegriffs aus dem Umkreis der pragmatischen Formen der Historiographie«25 festlegen lässt, ist doch als prägende Zeit der Anfang des 19. Jahrhunderts zu nennen, mit den literarisch verarbeiteten Polizeimeldungen von Heinrich von Kleists Berliner Abendblättern oder den Kalendergeschichten Johan Peter Hebels aus seinem Rheinländischen Hausfreund, die dieser nach eigenen Angaben mündlichen Erzählungen oder anderen Sammlungen entnahm.26 In England orientierte sich der Begriff anecdote am französischen Verständnis. Der Biograph Boswell stellt dementsprechend in seiner mit Anekdoten gespickten Life of Johnson fest, dass das englische anecdote neben dem Sinn der histoire secrète vom Französischen die Bedeutung einer aussagekräftigen Besonderheit und schließlich diejenige eines kleinen Auszugs aus dem Leben einer Persönlichkeit übernommen hat, die sich gegenseitig über20 Vgl. Hendrix: Historiographical anecdotes sowie die Beiträge im Sammelband L’Anecdote, hg. v. Alain Montandon. 21 Vgl. Hilzinger: Anekdotisches Erzählen, S. 16 FN, W. Schäfer: Anekdote – Antianekdote, S. 6. 22 Vgl. dazu ausführlich Schäfer: Die Anekdote, S. 9 f., Hilzinger: Anekdotisches Erzählen, S. 22 f. 23 Hilzinger: Anekdote, S. 36 ff., vgl. zu einer detaillierten Begriffsentwicklung Hadjadi: L’anecdote au péril des dictionnaires, S. 11. 24 Schlegel: Kritische Ausgabe, Bd. II, S. 394, vgl. Montandon: Anecdote, S. 224, Grothe: Anekdote, S. 20-23. 25 W. Schäfer: Anekdote – Antianekdote, S. 9. 26 Vgl. W. Schäfer: Anekdote – Antianekdote, S. 10 f., Neureuter: Zur Theorie der Anekdote, S. 475, Grothe: Anekdote, S. 54, 57, Weber: Erscheinungsformen der Anekdote, S. 20.

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lagern.27 Zunehmend wurde unter Anekdote in England indes in einem weiten Sinn unterhaltende Wortspiele, faszinierende Geschichten jeglicher Art, idealtypische Personenzeichnungen und Bildungsinformationen wie etwa Auszüge aus bekannten Büchern verstanden, die vom bürgerlichen Leser zu Konversationszwecken eingesetzt werden konnten.28 Angesichts dieser unterschiedlichen historischen Entwicklungen des Begriffs muss sich der Versuch, die Anekdote als überzeitliches Phänomen zu betrachten und eine allgemein verbindliche Anekdotentheorie zu formulieren, zwangsläufig als »Misere« erweisen. Sonja Hilzinger diagnostiziert folglich, »daß das deduktiv-normative Vorgehen bei der Erfassung des Merkmalkatalogs der Gattung […] dem strukturellen und funktionalen Wandel der Gattung selbst sowie der Wechselwirkung zwischen Gattungs- und sozialem bzw. kulturellem Wandel nicht gerecht werden kann.«29 Anstelle einer normativen Annäherung favorisiert sie eine pragmatischdeskriptive Untersuchung der Gattung Anekdote, die sie »exemplarisch« an ausgewählten Werken vollführt.30 Allerdings sind weder der eine noch der andere Ansatz mit dieser Untersuchung vollständig kompatibel. Zwar tragen tatsächlich einige der behandelten Veröffentlichungen die Bezeichnung »anecdote« im Titel, allerdings sind diese nicht als solche, sondern nur die darin enthaltenen Dandy-Anekdoten relevant. Es wird also nicht darum gehen, alle Anekdoten deskriptiv auf einen Nenner zu bringen. Zudem wird es vor allem um die Verarbeitung dieser Anekdoten in Essays, Biographien, Romanen oder auch Gedichten gehen, in denen sie in den unterschiedlichsten Variationen und Formen auftauchen. Deswegen werde ich nicht versuchen, eine besondere Form für die Anekdote normativ zu definieren, sondern verwende Anekdote als Arbeitsbegriff für eine in komprimierter Form dargestellte Handlung eines Dandys. Anekdote wird nicht kontextuell, wie beim deskriptiven Ansatz oder formal, wie beim normativen Ansatz definiert, sondern inhaltlich in Orientierung an der ursprünglichen Bedeutung als ein bemerkens27 Zit. n. Sutherland: Anecdote, S. vii, vgl. Schäfer: Die Anekdote, S. 19. 28 Vgl. Schöwerling: Anekdote, S. 30 f., 57. 29 Hilzinger: Anekdotisches Erzählen, S. 16. Das Dilemma einer normativen Annäherung an die Anekdote zeigt sich exemplarisch bei Grothe, der anhand seiner Definition Salomons Urteilsspruch beim Streit zweier Frauen um die Mutterschaft (1. Könige 3, 16-18) als »wahrhaft vollkommene Anekdote« bezeichnet (Grothe: Anekdote, S. 94) und so den ohnehin schon weiten Rahmen seines Korpus noch weiter spannt. Auch bei Walter Schäfer zeigt sich die Problematik einer normativen Definition, wenn er einerseits Kleist als »Meister der Anekdotenliteratur« behauptet (W. Schäfer: Anekdote – Antianekdote, S. 10), andererseits feststellen muss, dass eine Notiz Kleists tatsächlich den Titel Anekdote trägt »ohne daß doch ihre stilistische Ausgestaltung die bekannte Kleistsche Prägung erhielte« (S. 9 FN). Neureuter, der nicht den »Namen«, sondern die »Sache« Anekdote beschreiben will (Neureuter: Zur Theorie der Anekdote, S. 460), löst dieses Problem, indem er einerseits versichert, eine von Kleist als »Witz« bezeichnete Geschichte sei eine Anekdote, andererseits die Bezeichnung Anekdote für die von Kleist entwickelte Kunstform mit Doderer als »Fehlbenennung« bezeichnet (vgl., S. 470, 476). Wenn Rudolf Schäfer wiederum eine Facezia von Leonardo da Vinci als »eine dem Witz nahestehende Anekdote apophthegmatischen Charakters« bezeichnet (Schäfer: Anekdote, S. 37), führt er seine eigenen normativen Gattungsabgrenzungen zwischen Anekdote, Apophthegma, Facetia und Witz (vgl. S. 11-20, 57, 64-66) ad absurdum. 30 Hilzinger: Anekdotisches Erzählen, S. 19.

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wertes, inoffizielles Erlebnis. Dennoch sollen die Anekdoten sowohl in den Kontext der deskriptiven Untersuchungen gestellt werden, wie es gilt, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu den normativen Definitionen von Fall zu Fall herauszuarbeiten. Diese Untersuchung grenzt sich somit auch von der Forderung des New Historicism nach der Analyse der »exzentrischen Anekdote« ab: Diese wird von Moritz Baßler als »Signum des New Historicism« bezeichnet und solle für die ungelösten Widersprüche, die offenen Widerstände gegenüber einem vereinheitlichenden Geschichtsdiskurs stehen.31 Sie soll disparate Texte und Diskurse zusammenführen, damit »am exzentrischen Gegenstand der Sinn für die virtuell unendliche Komplexität jeder historischen Situation geweckt und wach gehalten« werden könne.32 Den »grands récits«, so erläutert auch Gallagher in Practicing New Historicism, solle die Anekdote als subversiver »petit récit« entgegengestellt werden, der die »Big Stories« unterbreche und in Frage stelle, indem die ›Exzentrik‹ in den Fokus gebracht werde.33 Dem New Historicism geht es somit weniger um eine normative oder deskriptive Untersuchung der Anekdote, sondern um ein Dienstbarmachen im Rahmen einer literaturhistorischen Analyse. Greenblatt, der jedes seiner fünf Kapitel der Shakespearean Negotiations mit einer Anekdote zu dem Thema beginnen lässt,34 betont in Practicing New Historicism, die Suche nach »oddly marginal or eccentric works«, welche kanonischen Texten entgegengesetzt werden sollen, habe zur Beschäftigung mit der Anekdote geführt (S. 36). Auch wenn diese Konzeption von Exzentrik als Gegenstück zum Zentrum an späterer Stelle noch zu kommentieren ist, kann dieser Gegensatz hier der Pointe dienen, dass es dieser Untersuchung nicht darum gehen wird, die ›Exzentrik‹ der Anekdote zu behaupten, sondern umgekehrt die Zentralität der Anekdote in der Behauptung des Dandyismus herauszuarbeiten. Denn nur indem die Anekdote als zentraler Bestandteil gewürdigt wird, kann tatsächlich von einer Text-Kontext-Demokratisierung gesprochen werden: Greenblatt selbst räumt ein, dass die Beschäftigung mit der Anekdote zumindest in den ersten Arbeiten des New Historicism die kanonischen Texte mehr bestätigt als in Frage gestellt habe. De facto sorgte die Anekdote also für eine Wiederbelebung von kanonischen Werken, indem sie diesen neue Aspekte abzugewinnen trachtet.35 Wenn Greenblatt z.B. in Shakespearean Negotiations die Interferenzen zwischen Shakespeares Drama King Lear und dem Bericht über exorzistische Praktiken A Declaration of Egregious Popish Impostures von Bischof Samuel Harsnett untersucht, rückt dies die religiöse Schrift weniger in das Zentrum als es vielmehr die außergewöhnliche Erzeugung sozialer Energie des Dramas King Lear bestätigt. Allein aus dem Titel des Kapitels »Shakespeare and the Exorcists« geht hervor, dass der ›exzentrische‹ Text eher dazu dient, die Faszination an Shakespeares Drama um die 31 Baßler: Die kulturpoetische Funktion, S. 40, 38 f. 32 Ebd., S. 41. 33 Gallagher: Practicing New Historicism, S. 52, 74. Der Larousse definiert den Ausdruck La petite histoire demgemäß als »anecdotes en marge d’une période historique« (S. 495). 34 Vgl. Greenblatt: Shakespearean Negotiations, S. 1, 21, 66, 94, 129. Frank Lentricchia kritisiert dies in »Foucault’s Legacy – A New Historicism?« streng als Behauptung der Unkonventionalität des eigenen Ansatzes (S. 234). 35 Gallagher: Practicing New Historicism, S. 47 f., vgl. Greenblatt: Auerbach, S. 80, 98.

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Facette des Exorzismus zu erweitern (S. 128) als das exorzistische Traktat Shakespeares Drama gleichwertig gegenüberzustellen. Mit anderen Worten dient die behauptete Exzentrik der Anekdote dem New Historicism in erster Linie dazu, die Besonderheit, um nicht zu sagen: Exzentrik, des eigenen Ansatzes zu behaupten.36 Gleiches gilt, wenn Greenblatt in Practicing New Historicism fordert, nicht nur Texte kanonisierter Autoren, sondern auch marginale Texte zu betrachten, etwa von »dandies whose writings had been discarded as ephemeral«37. Auch wenn dieser Vorsatz den Ansatz bestätigt, bislang als ephemer missachtete Texte zu betrachten, zeigt sich darin eine essentielle Diskrepanz zu dieser Arbeit. Denn wenn Texte von Dandys für den Shakespeare-Forscher Greenblatt marginal und als exotisches Beiwerk erscheinen mögen, sind sie hier das hauptsächliche und zentrale Thema.

3.1.2 Elementare und elaborierte Literatur Um Texte zu betrachten, ohne eine hierarchische Einordnung nach Autor und Kontext – wie bei der Forschungsliteratur zum Dandy – oder Zentrum und Exzentrik – wie beim New Historicism – aufzustellen, greife ich auf die Einteilung von Jürgen Link in elementare und elaborierte Literatur zurück. Diese Einteilung bezieht sich nicht auf die Frage nach der Trivialität, dem Gebrauchswert, der Sachlichkeit der Texte, sondern nach dem Umgang mit interdiskursiven Elementen, d.h. mehrere Spezialdiskurse übergreifende Vorstellungen, wie beispielsweise Kollektivsymbole. Solche Elemente stellen »Halbfabrikate« für die Literatur dar, die sich als »Rohstoffe« bearbeiten lassen.38 Link zufolge strebt die Literatur, anders als Wissenschaftsdiskurse, nach Entdifferenzierung und nicht nach Spezialisierung ihres Diskurses.39 Diese Entdifferenzierung durch Re-Integration anderer Spezialdiskurse vollzieht sie durch Herstellung von Interdiskursen, wobei die elementare Literatur die Fähigkeit auszeichnet, diese Interdiskurse in ihrer Rohform herzustellen, welche die elaborierte Literatur dann verarbeitet und reflektiert.40 Hier lässt sich auch an Greenblatts Vorstellung von literarischen Werken als Strukturen zur Akkumulation, Transformation, Repräsentation und Kommunikation gesellschaftlicher Energien und Praktiken anknüpfen:41 Wenn die Werke, Greenblatt zufolge, die Struktur bilden, mit der die Literatur soziale Energie erzeugt und verbreitet, so sind die elementar-literarischen Elemente, so ließe sich sagen, die Substanz. In Bezug auf Greenblatts Shakespearean Negotiations etwa ließe sich die elementare Form der Darstellung des Exorzismus von Harsnett von der elaborierten Form Shakespeares unterscheiden. 36 Vgl. zu einer ähnlichen, selbstkritischen Einschätzung eines New Historicist: Liu: Formalismus, S. 95. 37 Gallagher: Practicing New Historicism, S. 9 f. Zur Autorschaft der einzelnen Kapitel vgl., S. 19. 38 Link: Elementare Literatur, S. 9, Link: Literaturanalyse als Interdiskursanalyse, S. 286. 39 Ebd., S. 285 f. Nimmt man die Bezeichnung Literaturwissenschaft ernst wäre diese Wissenschaft der Diskurs über die interdiskursive Elaboration anderer Diskurse, anders gesagt die Spezialisierung auf die Entdifferenzierung der Literatur, wobei die Wissenschaftlichkeit der Untersuchungen zum Dandy aufgrund ihrer Tendenz zum essaystischen Schreiben bereits relativiert wurde. 40 Link: Elementare Literatur, S. 15. 41 Greenblatt: Culture, S. 230, vgl. für die Übersetzung Greenblatt: Kultur, S. 55.

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Allerdings möchte ich die Unterscheidung elaboriert und elementar-literarisch lediglich in Bezug auf bestimmte Aspekte auffassen, folglich die Frage nach elementarer oder elaborierter Verwendung nicht als absolute Kategorisierung verstehen, sondern lediglich auf einzelne Aspekte beziehen. Schließlich kann ein Text sich z.B. gleichzeitig einiger Elemente der Kollektivsymbolik nur bedienen, während er andere elaboriert.42 So kann auch die Frage nach der Verankerung des Textes in einer institutionalisierten Praxis wie z.B. der Zeitung, die Link als Merkmal elementarer Literatur angibt (S. 26), nicht als absolutes Kriterium verwendet werden. Etwa Baudelaires Aufsatz Peintre de la vie moderne, obwohl zunächst im Figaro erschienen, weist in verschiedenen Aspekten eine elaboriert-literarische Vorgehensweise auf. Als Kategorien elementarer Literatur nennt Link Kollektivsymbole, Mythen, Polysemien, Wortspiele, prägnante Formen, prägnante subjektive Situationen und »Charaktere« (S. 18). Insofern er keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt (S. 17), wäre hier die Anekdote zu ergänzen. So wird gemäß Links Kategorisierung folglich zwischen einer elementar-literarischen Anspielung oder einfachen Wiedergabe einer Anekdote und der elaborierten Reflexion ihrer Funktion, etwa in Barbeys Essay, unterschieden. Auch die Figur des Dandys selbst kann so differenziert in ihrer elementar-literarischen Existenz, z.B. in der Physiologie du Lion, als auch in der elaborierten Form der Essays und anderen Texten untersucht werden.

3 . 2 D i e B e h a u p t u n g d e r B e h a u p tu n g Basis dieser Untersuchung ist die Entwicklung der ›Behauptung‹ als theoretisches Instrumentarium. Die Doppeldeutigkeit des Begriffs – einerseits etwas nicht Erwiesenes als Tatsache hinstellen, andererseits sich bzw. etwas durchsetzen43 – zeigt sich sowohl in Bezug auf die wissenschaftlichen als auch auf die essayistischen, biographischen und literarischen Texte. Montrose warnt in »Die Renaissance behaupten« davor, das Werk eines Autors vor einem gesellschaftlichen Kontext zu behaupten,44 und drückt so beide Aspekte der Behauptung aus. Nicht nur werden Aussagen über ein Werk getroffen, gleichzeitig wird dieses dadurch auch gegenüber anderen Texten in den Vordergrund gespielt. Auf die Forschungen zum Dandy bezogen, ließe sich demgemäß festhalten, dass diese nicht nur Aussagen über écrivains-dandys treffen, sondern dadurch auch gleichzeitig diese Autoren als Dandys etablieren oder: behaupten. Der Essay, der, Adorno zufolge, nicht mimetisch Realität abbildet, sondern im Bewusstsein der Nicht-Identität von Sache und Darstellung45 suggestiv arbeitet, realisiert ebenso eine Behauptung im doppelten Sinn, Bürger bringt dies zum Ausdruck, wenn er in seinem Essay über den Essay schreibt, dieser sei sich bewusst, »dass seine Begriffe den Gegenstand formen und ihn zu dem machen, als den sein Text ihn zeigt.«46 Wenn z.B. 42 Link selbst betont in Elementare Literatur, dass »elementare Literatur im strengen Sinne gar nicht ganze Texte oder ganze Genres, sondern nur Teile davon« umfasse (S. 26). 43 Vgl. Duden: Universalwörterbuch, S. 223. 44 Montrose: Die Renaissance behaupten, S. 64. 45 Adorno: Der Essay als Form, S. 38. 46 Bürger: Über den Essay, S. 8, vgl. zur Selbstbenennung als Essay S. 13.

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Bamm schreibt »In der überraschenden Art eines Meteors taucht im Beginn des XIX. Jahrhunderts in der europäischen Gesellschaft der Dandy auf«47, so beinhaltet die Betrachtung dieses Satzes als Behauptung, ihn nicht als mimetische Beschreibung eines historischen Ereignisses zu begreifen, sondern als Teil einer Ansammlung von Behauptungen, die seit dem 19. Jahrhundert für die Emergenz des Dandys zuständig sind. Neben literarischen Texten, auf die später eingegangen wird, sollen aber auch biographische und autobiographische Quellen über Dandys unter dem Aspekt ihrer Behauptung betrachtet werden. Wie Levillain bemerkt, wird der Dandy durch seine doppelte Zugehörigkeit als historische und literarische Figur nie durch neutrale Quellen dargestellt,48 sondern ist Interpretationen ausgesetzt, in denen sich subjektive Vorstellungen mit Bezügen auf eine historische Realität vermengen. Allerdings ist Levillains idealistischem Glauben an neutrale Quellen mit Hayden White zu entgegnen, dass auch geschichtliche Dokumente immer einer Fiktion, der Erfindung ihres Autors unterworfen und somit der Literatur näher als der Wissenschaft seien.49 White stützt sich dabei auf den Diskursbegriff Foucaults und schreibt in wörtlicher Übereinstimmung mit Foucaults Definition des Diskurses: »[A]ll discourse constitutes the object which it pretends only to describe realistically and analyze objectively.«50 Das heißt, dass auch historische Quellen durch die Theorie-Brille der Behauptung betrachtet werden sollen, die dieser doppelten Funktion gerecht wird, da sie impliziert, dass Dinge wie in einem Diskurs nicht nur bezeichnet, sondern erst erzeugt, in ein spezielles Licht gerückt und gewisse Aspekte als relevant postuliert werden. Allerdings soll hier statt vom Diskurs von der Behauptung des Dandys gesprochen werden, da dieser Begriff ein Instrumentarium eröffnet, das für diese Untersuchung geeigneter ist, da sich Foucault, wie bereits gezeigt, lediglich Wissenschaftsdiskurse untersucht. Die Erarbeitung, Spezifizierung und Modifikation der foucaultschen Formationsregeln für eine nicht-epistemologische Archäologie der Dandy-Literatur soll zumeist mit neuen Begriffen geschehen. Diese sind nun vorzustellen, um die Behauptung gegenüber dem Wissenschaftsdiskurs, aber auch anderen Theorien und Methoden abzugrenzen – und zu behaupten. Zunächst werden beide Aspekte des Begriffs vertiefend erörtert: das Treffen einer Aussage als Positivität sowie das Konstituieren von Objekten und Sich-Durchsetzen als Performativität der Behauptung.

3.2.1 Positivität und Performativität Um von der Behauptung eines Dandys zu sprechen, ist es unabdingbar, dass der Begriff Dandy überhaupt verwendet wird, eine Bedingung, an die sich etwa diejenige Forschungsliteratur nicht hält, die Villiers de l’Isle-Adam als 47 Bamm: Über den Dandy, S. 569. 48 Levillain: Élégants et dandys, S. 152, vgl. Garelick: Rising Star, S. 6. 49 White: Tropics of Discourse, S. 82, vgl. Gallagher: Practicing New Historicism, S. 31. 50 White: Tropics of Discourse, S. 2, vgl.: »[H]istorians constitute their subjects as possible objects by the narrative representation by the very language they use to describe them.« (S. 95) Foucault spricht ebenso in der Archéologie von der »Tâche qui consiste à […] traiter les discours […] comme des pratiques qui forment systématiquement les objets dont ils parlent.« (S. 66 f.) Zur Übertragung dieses Diskursbegriff auf die question gay vgl. Eribon: Question Gay, S. 413.

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écrivain-dandy behauptet, ohne dass Zitate zum Dandy aus seinem Werk bemüht werden51 oder Balzacs Traité als Darstellung von wahren Dandys umdeutet, obwohl die Dandys dort nur als negatives Beispiel erwähnt werden. Die Behauptung hingegen soll nicht zwischen oder hinter den Zeilen, sondern auf dem Niveau ihrer Existenz im Text betrachtet werden, in dem, was Foucault in der Archéologie du savoir die Positivität des Diskurses nennt (S. 173). Damit ist nicht die ›positivistische‹ Überzeugung gemeint, dass Sprache die Realität abbilden kann, sondern die Bedingung, dass die Behauptung nur untersucht werden kann, sobald ein ›positiver Befund‹ in Form des Begriffs vorliegt.52 Dies geschieht durchaus im Bewusstsein, dass »Dandy«, wie alle Begriffe, Mieke Bal zufolge »niemals unkompliziert« seien, da sie nie genau im gleichen Sinn verwendet werden.53 Wo die Behauptung von écrivains-dandys der Forschungsliteratur ein festes Konzept »Dandy« voraussetzt, wird es mir hingegen darum gehen, in der Historizität des Begriffes unterschiedliche und wandelbare Bedeutungen zu erfassen. In der untrennbaren Verbindung mit der konkreten Bezeichnung ist der Begriff der Behauptung mit dem énoncé zu vergleichen, wie ihn Foucault in der Archéologie du savoir entwickelt. Als kleinste Einheit des Diskurses – Foucault spricht vom Atom des Diskurses (S. 107) – bezieht sich der énoncé ausschließlich auf alle tatsächlich getätigten Äußerungen, anders als etwa die grammatikalische Einheit des Satzes oder die langue, die sich auf alle Äußerungen bezieht, die möglich sind (S. 39). Der énoncé (oder dt. die Äußerung54) wird somit nicht nach seinem Aussagecharakter, sondern in der Materialität seiner Existenz befragt. Foucault bezeichnet sich deswegen als »positiviste heureux« (S. 164), wobei sein Positivismus, wie gesagt, auf der Ebene des énoncé verbleibt und sich eben nicht auf die außersprachliche Realität bezieht. Nicht das, über was sich geäußert wird, sondern die Äußerung selbst soll positivistisch als das ›Tatsächliche‹ betrachtet und in ihrer Eigenschaft als Ereignis analysiert werden. Die Behauptung in ihrer Positivität zu betrachten, bedeutet nicht, die zugrunde liegende Intention eines Autors auszumachen, wie es in Bezug auf Balzac getan wird, auch nicht, nach einem tieferen Sinn hinter der Äußerung zu suchen oder den wahren Dandy zu finden, sondern zu fragen, wie historische oder literarische Figuren als Dandys darund hergestellt oder eben: behauptet werden.

51 Vgl. Gnüg: Kult der Kälte, S. 235-270, Lemaire: Le Dandysme, S. 113-123, Garelick: Rising Star, S. 78-98. 52 Pham-Thanhs Untersuchung, die Dandyismus als terminus ombrellone für ein einheitliches Konzept diverser literarischer und historischer Figuren nimmt wie Macaroni, Corinthien, Incroyable, Ruffian, Exquisite, Fashionable, Fop, Beau, Buck, Lion, Tigre und Petit-Maître (Pham-Thanh: Du Dandysme en Angleterre, Bd. I, S 17), zeigt in ihren knapp 900 Seiten, wie ausufernd und gleichzeitig unerquicklich eine Arbeit sein kann, die sich nicht auf die Positivität der Dandyfigur beschränkt. 53 Bal: Kulturanalyse, S. 13. 54 Vgl. Foucault: Michel Foucault explique, S. 778. Die in der deutschen Übersetzung verwendete Bezeichnung »Aussage« ist insofern irreführend, als dies ein Terminus aus der Grammatik und der Logik ist und Foucault den énoncé auch von der logischen Aussage abgrenzt (S. 107-109). Ich ziehe deshalb die deutsche Bezeichnung Äußerung vor (vgl. auch Angermüller: Nach dem Strukturalismus, S. 26).

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Hierzu ein Beispiel: In Du Dandysme führt Barbey Brummell als den ersten Dandy an und lehnt die Bezeichnung Beau ab (S. 680), obwohl er die meisten Informationen aus William Jesses Biographie The Life of George Brummell, Esq. commonly called Beau Brummell entnimmt, in der Jesse wiederum ausdrücklich die Bezeichnung Dandy ablehnt und, wie der Titel verkündet, die geläufige Bezeichnung Beau postuliert (S. 40). Wenn Jesse und Barbey ausgehend von der gleichen Biographie Brummells diesen einmal kategorisch nicht als Dandy, einmal als ultimativen Dandy behaupten, so bestätigen sie Whites Postulat, dass biographische ›Fakten‹ unterschiedlich interpretiert werden können und keine neutralen Tatsachen darstellen.55 Zudem zeigt sich hier, dass die Existenz von Brummell als Dandy nicht in seiner Person selbst begründet liegt, sondern auch der historischen Entwicklung des Begriffes Dandy geschuldet ist, die in England und Frankreich unterschiedlich verlief. Wenn auch die Existenz der historischen Figur Brummell unbestritten ist, bleibt Brummells Existenz als Dandy eine Frage der Behauptung. Zudem lässt sich an der Auseinandersetzung von Barbey und Jesse vor Augen halten, dass die Behauptung, ebenso wie sie die Hervorbringung des Dandys durch eine Äußerung beinhaltet, auf anderer Ebene verbunden ist mit der Selbstbehauptung des Autors, dem Willen, seine Interpretation durchzusetzen. Barbeys subtile Kritik an Jesses Biographie in seinem Essay sowie die darauf folgende vernichtende Kritik von Jesse in einer Rezension, in der er Passagen von Barbey bewusst verzerrend übersetzt,56 zeigt, dass die Behauptung des Dandys auch einen Kampf um die Diskurs-Macht zum Thema oder auch einen Kampf gegen den Einfluss anderer Autoren beinhaltet, im Sinne von Harold Blooms Anxiety of Influence. Für die Methode heißt dies, dass sich die Behauptung nicht nur auf die Behauptung des Dandys, sondern auch auf die Behauptung des Autors gegenüber anderen Autoren bezieht. In dieser untrennbaren Verbindung mit dem Aspekt des Sich-Durchsetzens differiert der Begriff der Behauptung vom foucaultschen énoncé. Denn anders als dieser, den Foucault in der Archéologie du savoir nur als materielle Basis des speech act auffasst (S. 112) und in seiner Eigenschaft als Ereignis als neutral begreift, wird das Konzept der Behauptung auch dem subjektiven Handlungsaspekt der Äußerung und der Frage nach dem Durchsetzen gegenüber anderen Autoren (wie im gewählten Beispiel von Barbey und Jesse) gerecht. In der Archéologie du savoir bleibt der Zusammenhang von Behauptung und Performativität im Sinne von John Austins speech act uneindeutig. Foucault räumt zwar ein, die Ähnlichkeit von énoncé und speech act sei nahe liegend, trotzdem herrsche keine eindeutige Reziprozität, denn der énoncé sei weniger stark strukturiert und mit weniger Determinationen beladen (S. 110). Später hat er diese Abgrenzung vom speech act, die selbst als Autor-Behauptung gegenüber Austin in unserem Sinn betrachtet werden kann, allerdings wieder zurückgenommen.57 Zudem spricht Foucault nicht nur in Bezug auf die Autorfunktion vom speech act,58 auch in der Archéologie du savoir relativiert er seine Abgrenzung, wenn er schreibt, man könne ausgehend von den énoncés beurteilen, »quelle sorte d’acte se trouve effectué par leur formulation (orale ou écrite).« (S. 115) Er spricht in Bezug 55 56 57 58

White: Tropics of Discourse, S. 127 f. Vgl. dazu ausführlich Greene: Barbey et le capitaine Jesse sowie Kapitel 6.4.3. Dreyfus: Foucault, S. 73. Foucault: Qu’est-ce qu’un auteur, S. 789, 796.

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auf den énoncé also selbst von einem Sprechakt. Auch auf der Ebene des Diskurses lässt sich grundsätzlich das Formen der Dinge, von denen der Diskurs spricht, als Performativität bezeichnen, auch wenn Foucault dies nicht weiter ausführt. Das Konzept der Behauptung jedenfalls, das sich sowohl auf die Ebene des énoncé als Atom des Diskurses, wie auf die Gesamtheit ›Diskurs‹ bezieht, ist eindeutig performativ im Sinne von Austins Theorie der Sprechakte, da es eine Äußerung impliziert, die gleichzeitig Handlung ist (S. 112). Performativität entstehe Austin zufolge dann, wenn durch eine Äußerung, einen lokutionären Akt, ein illokutionärer Akt, eine Handlung, vollzogen wird (S. 116 f.). Dabei kann die Behauptung mehrere von Austins illokutionären Rollen gleichzeitig spielen, die er kategorisiert als verdiktiv (beurteilend), exerzitiv (Macht ausübend), kommissiv (versprechend), konduktiv (soziales Verhalten) und expositiv (die eigene Äußerung erläuternd) (S. 169 f.): Die Behauptung kann gleichzeitig ein Urteil (etwa über einen Dandy), eine Machtdemonstration (des Autors) oder eine expositive Erläuterung sein und zudem einen perlokutiven Akt, den Versuch, ein Gegenüber zu überzeugen (S. 119 f.), beinhalten.59 Allerdings schließt Austin dies im Allgemeinen für die Literatur aus, da diese »nicht ernsthaft« und nur »parasitär« von der Sprache Gebrauch mache.60 Die Übertragung von Austins Konzept der Performativität auf die Behauptung erfordert deswegen die Auflösung eines terminologischen Missklangs, der dadurch entsteht, dass in deutschsprachigen Untersuchungen der Terminus Behauptung oft für nicht-performative Aussagesätze verwendet wird. Demnach vollzieht Austin in der Übersetzung von Eike von Savigny eine »Unterscheidung zwischen Behauptungen und ›explizit performativen Äußerungen‹« (S. 7) und setzt sich von der Überzeugung von Grammatikern und Philosophen ab, Aussagen hätten nur die Funktion »eine Tatsache zu behaupten« (S. 25). Austin suche die Performativität folglich in dem, was über das ›Behaupten‹, wie es hier verwendet wird, hinausgeht.61 Dieser scheinbare Widerspruch ist auf die Übersetzung dieser Stellen zurückzuführen, welche das Nomen »statement« sowie das Verb »to affirm« aus dem Original62 mit »behaupten« wiedergibt, anstelle mit ›Aussage‹ und ›bestätigen‹. Die Be59 Mieke Bal zeigt in »Performanz und Performativität« anhand von Derridas Kritik an Austin in Limited Inc. auf, dass die sprechakttheoretische Handlung keine einmalige Aktion sein und nicht auf dem originären Akt eines Subjekts beruhen muss, sondern wiederholbar (iterabel) sein kann und notwendigerweise auf sozialen Konventionen beruht (S. 200). Austin selbst verortert ja in Theorie der Sprechakte Performativität auch in der Kategorie der konduktiven Äußerungen (engl. behabitives), d.h. sozialem Verhalten (S. 169). Zudem zeigt sein Beispiel des Jaworts bei der Hochzeit (S. 29) einen ganz konkret iterativen Sprechakt (»… so antworte mit: Ja«), der institutionell fest definiert ist, aber dennoch eine Handlung vollzieht. 60 Austin: Sprechakte, S. 121, vgl. Bal: Performanz und Performativität, S. 200. 61 Auf die gleiche Problematik trifft man, wenn Austin das Verb »behaupten« in seiner Funktion als expositive Äußerung eines illukutionären Sprechakts einordnet: Etwas zu behaupten ist für Austin nur performativ, wenn ein Satz mit »ich behaupte, dass…« o.ä. eingeleitet wird, d.h. allein die ›selbstreflexive‹ Ankündigung einer Äußerung, also der gleichzeitige Akt des Äußerns und der Ankündigung der Äußerung bewirke, dass eine Behauptung zu einer Handlung wird (S. 178). 62 Vgl. Austin: How to do things with words, S. 1, 161.

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hauptung im hier verwendeten Sinn wiederum würde eher dem englischen ›to assert‹ entsprechen. Diese Problematik lässt sich insofern auflösen, als Austin die Unterscheidung von konstativen Äußerungen, die man als wahr oder falsch beurteilen kann (»Behauptungen« gemäß der Austin-Übersetzung) und performativen Äußerungen selbst wieder zurücknimmt und betont, auch Äußerungen, welche scheinbar konstativ sind, wie »France is hexagonal«, beinhalten in ihrer Vereinfachung oder ihrem Postulat einen performativen Akt.63 Darauf aufbauend etabliert Gottfried Gabriel unter der Kapitelüberschrift »Der Sprechakt des Behauptens« in Fiktion und Wahrheit die Behauptung (im Sinne von Äußerung) als Sprechakt. Er argumentiert, »daß die Sprechakttheorie behauptet, daß Behauptungen keine ausgezeichneten Sprechakte sind«, sei bereits Beweis, dass sie es doch seien (S. 44). Die Nähe der Behauptung im Sinne Gabriels zur logischen Aussage zeigt sich, wenn er als eine von vier Bedingungen für eine Behauptung anführt, dass sie wahr sein muss (S. 45) und folglich als »nicht-behauptend« eine Rede definiert, welche diese Kriterien nicht erfüllen muss (S. 46). Während Gabriel die Behauptung als misslungen definiert, sobald der Fall vorliegt, dass sie weder wahr noch falsch sei (S. 45), spielt der Wahrheitsgehalt für den Begriff der Behauptung in dieser Untersuchung keine Rolle. Das Konzept der Behauptung grenzt sich von demjenigen Gabriels ab, weil nicht die Kriterien wahr oder falsch (ob George Brummell ›wirklich‹ ein Dandy war) oder gelungen oder misslungen (ob Barbeys Sicht überzeugen kann) beurteilt werden sollen.

3.2.2 Realität und Fiktionalität Wenn Gabriel fiktionale Rede als »nicht-behauptende Rede« definiert, ist dies Ausdruck der meinem Konzept der Behauptung gegenläufigen Verwendung als rein konstative Äußerung (S. 28). Scheffel verortet die Ausgangspunkte dieser These in der aristotelischen Unterscheidung zwischen Geschichtsschreibern, die Tatsachen zutragen und Dichtern, die Wahrscheinliches beschreiben, in Philip Sidneys Argument, der Dichter würde nicht lügen, da Dichtung keinen Anspruch auf Wahrheit beanspruche sowie bei Gottlob Frege, der von den »Scheinbehauptungen« in fiktionalen Texten spricht. Scheffel bezieht sich auch auf Austins Vorstellung, Literatur verwende Sprache nicht ernsthaft und vollziehe keine ernsthaften Sprechakte64 und fasst zusammen, dass »die Rede des Dichtes in der Dichtung eine besondere, nämlich nicht-behauptende Rede ohne unmittelbare Referenz in der Wirklichkeit«65 sei. Dem widerspricht nicht nur mein Konzept der Behauptung, in dessen Sinne auch Wolfgang Iser in Die Appellstruktur der Texte dagegenhält, die Literatur bringe die Gegenstände, über die sie spricht, hervor und erzeuge Einsicht in eine Realität, die sie selbst erst erzeugt (S. 10 f.). Allerdings ist die Aufgabe des Lesers, die Leerstellen und Unbestimmtheiten der Literatur auszufüllen, die Iser dort vorsieht (S. 16, 26), in der hier relevanten 63 Austin: Performative-Constative, S. 21. Die Übersetzungsproblematik nimmt hier fast babylonische Ausmaße an, da Austin den Vortrag auf Französisch hielt und dort von »énoncé« sprach. Der Übersetzer, welcher Austins Text ins Englische zurückübersetzt hat, betont, Austin selbst wollte dies mit »utterance«, also Äußerung, übersetzt wissen (S. 13 FN). 64 Vgl. Scheffel: Formen selbstreflexiven Erzählens, S. 32 f. Zitate ebenda. 65 Ebd., S. 28, vgl. 24-28.

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Literatur oft zu vernachlässigen, geht es etwa einer Biographie doch um eine umfassende Darstellung oder einem Essay darum, den Leser möglichst suggestiv zu lenken. Anders als Iser, der in Der Akt des Lesens der Vorstellung einer nicht-performativen Literatur mit Verweis auf die Besonderheit der Autor-Leser-Interaktion widerspricht (S. 101), werde ich nicht in erster Linie die Performativität im Verhältnis zwischen Leser und Autor suchen. Denn die von Scheffel zusammengefasste Vorstellung, dass Literatur nur einen uneigentlichen Sprechakt vollziehe, die er und Iser neben Searle und Genette auch bei Roman Ingardens Vorstellung des Quasi-Urteils der Literatur wiederfinden,66 basiert auf einer rigorosen Trennung von Fiktion und Realität, die nicht auf die partikulären Texte zum Dandy zutrifft. Lukács Behauptung in Die Seele und die Formen, der Essay erfinde anders als die »Dichtung« (S. 21) keine neuen Personen, sondern gestalte bestehende Personen neu, die ausschließlich in dieser neu geschaffenen Welt des Essays existierten (S. 22), gilt ebenso für Biographien wie für Romane und Gedichte, die sich allesamt auf historische Dandyfiguren gründen oder zumindest auf diese anspielen. Somit finden die Sprechakte der Literatur zum Dandy sowohl innerhalb wie außerhalb der ›Fiktion‹ und der ›Realität‹ statt, eine komplexe Beziehung, die in Kapitel 4 und 5 untersucht wird und deren methodische Konsequenzen in Kapitel 3.2.5 zu erläutern sind.

3.2.3 Kultur und Text Der Performativitätscharakter der Behauptung grenzt diese vom starren, neutralen Ereignis der foucaultschen Äußerung ab und deutet auf einen weiteren Aspekt des Verhältnisses zwischen Text und außertextlicher Realität bei dieser Fragestellung hin: Denn in gleichem Maße, wie das Konzept der Behauptung von der Vorstellung einer Literatur ohne Wirklichkeitsbezug abgegrenzt werden muss, ist die gegenteilige Vorstellung von einer Literatur, welche die bloße Funktion hat, die gesellschaftliche Realität widerzuspiegeln, zu relativieren. Wenn Bart Keunen die Dandy-affinen Figuren flâneur und bohémien als ideales Thema einer Untersuchung von »Literature as Cultural Memory« aufführt und fordert, eine neue »Cultural Thematology« solle nicht von einer autonomen Entstehung von Kultur ausgehen, sondern verstärkt die soziale Komponente berücksichtigen (S. 19-22), ist dies zunächst einleuchtend, da sich, wie noch zu zeigen ist, Bohemien und Flaneur (und der Dandy) eben durch ihre Einstellung gegenüber der Gesellschaft definieren (lassen).67 Indem Keunen von diesen als kollektiven Bildern spricht, die zugleich im sozialen Leben und der Literatur präsent sind, beschreibt er sie also als interdiskursive Elemente. Jedoch scheint mir die Vorstellung, die Literatur würde diese »lifestyles«, wie Keunen schreibt (S. 19), als kulturelles Gedächtnis lediglich konservieren, etwas kurz gegriffen, da Literatur mit diesen Figuren auch etwas Neues erschafft, das wiederum auf die historische Realität wirkt. So schreibt Domna Stanton zu Recht, es sei unentscheidbar, ob tatsächlich die soziale Realität die literarische Formulierung von Dandys erzeugt oder 66 Iser: Der Akt des Lesens, S. 96-106, vgl. Scheffel: Formen selbstreflexiven Erzählens, S. 30 f., 33 FN. In ähnlichem Sinn schlagen Dreyfus/Rabinow eine Einteilung in seriöse und nicht-seriöse Diskurse vor (Dreyfus: Foucault, S. 76). 67 Der Zusammenhang von Dandy, Flaneur und Bohème wird in den Kapiteln 5.6.2 sowie 6.5 erläutert.

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nicht umgekehrt historische Personen literarische Konzepte nachgeahmt haben. Anstelle eines klaren kausalen und chronologischen Zusammenhangs vermutet sie eine schwer zu fassende gegenseitige Beeinflussung.68 Mit anderen Worten wird beim Dandy, wie bei anderen literarisierten Figuren wie dem Honnête Homme, die Stanton untersucht, ebenso Kultur in Textform gegossen, wie umgekehrt Texte soziale Realität erzeugen, indem sie eine Vorlage für eine gesellschaftliche Inszenierung liefern, die von Lesern umgesetzt werden. Im Epigramm zu Gautiers »Sous la Table«, der fiktionalen Darstellung seines eigenen Literatenkreises, heißt es programmatisch: »En avant les viveurs! Usons bien nos beaux ans./ Faisons les lord Byron et les petit don Juan.« (S. 25) Diese Vermengung von Literatur und Realität in der Literatur wird noch ausführlich zu betrachten sein, denn die Literatur behauptet diese Elemente erst in unserem Sinn. Doch nicht nur bei Byron und der Figur des Don Juan, auch bei den von Keunen gewählten Beispielen, z.B. bei Murgers Scènes de la Vie de Bohème69 oder Baudelaires Entwurf des Flaneurs und des Dandys im Peintre werden diese Figuren nicht nur mimetisch wiedergegeben, sondern in Besitz genommen, instrumentalisiert, umgedeutet und weiterentwickelt, kurz: behauptet. Das Konzept der Behauptung in seiner Öffnung für die Performativität entspricht somit der Forderung, in literarischen Texten, wie Klaus Scherpe schreibt, nicht nur die Zeugenschaft, sondern das Bezeugen selbst als kulturelle Konstellation zu untersuchen.70 Methodisch ergeben sich daraus Konsequenzen beispielsweise bei der für den Dandy zentralen französischen Begeisterung für die englische Kultur. Wenn etwa der Dictionnaire de la conversation et de la lecture die Exzentrik der Engländer lobt und den Dandy als »L’ex-centric man« bezeichnet (Bd. VII, S. 133), soll weder die Frage erörtert werden, inwiefern dies die englische Kultur richtig beschreibt, noch nach ›authentischeren‹ Dokumenten der englischen Kultur gesucht werden. Vielmehr steht die Definition in ihrer Positivität als Dokument für das französische Bild der Engländer. Bereits die kuriose Sprachmischung verdeutlicht die Präsenz der französischen Kultur in der Behauptung der englischen.71 Nicht die Frage, ob die Engländer wirklich exzentrisch sind, spielt hier eine Rolle, sondern wie dies in diesem französischen Lexikon behauptet wird. Der Behauptung wird dabei in dem Maße Bedeutung beigemessen, in dem sie Teil eines verbreiteten Diskurses über England ist. Die Behauptung von Kultur wird also untersucht, indem Regularitäten aufgespürt werden, um gemeinsame Aussagen, aber auch gemeinsame Konzepte und Mittel der Darstellung zu formulieren.72 Über Greenblatts Beschreibung einer literaturwissenschaftlichen Konzeption von Kultur hinausgehend, in der Literatur die Unterstützung oder Unterdrückung von sozialem Verhalten beinhaltet,73 wird die Kultur, in 68 69 70 71

Stanton: The Aristocrat as Art, S. 10. Vgl. Bourdieu: Les règles de l’art, S. 84-89. Vgl. Scherpe: Kanon – Text – Medium, S. 21 f. In Marie-Claire Hamards Untersuchung L’image de l’anglo-saxon (1992) wird ihr eigener Artikel »Le Dandy, type et stéréotype, conformisme et subversion« auf S. 59 fälschlich mit »The Dandy […]« betitelt. Dass diese umgekehrte Kombination von englischem Artikel und französischem Hauptwort nicht aufgefallen ist, zeigt anekdotenhaft die enge Verschränkung von englischer und französischer Kultur selbst in den wissenschaftlichen Untersuchungen. 72 Vgl. Foucault: Archéologie du savoir, S. 188. 73 Vgl. Greenblatt: Culture, S. 225-232.

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der sich der Dandy bewegt, als etwas betrachtet, das im Akt der Beschreibungen erst erzeugt wird, sofern dabei textübergreifend Regularitäten entstehen. Der Terminus der Behauptung ermöglicht demnach einen methodischen Ansatz, der den Bezug von Texten zur Realität differenziert, indem er Literatur nicht als realitätsgetreue Darstellung von Kultur, aber nichtsdestotrotz mit ›realer‹ Performativität betrachtet. Diese Konzeption der Behauptung, welche der Interaktion zwischen Literatur und Kultur Rechnung trägt, wirft ein neues Licht auf das von Greenblatt konstatierte Problem, dass die Kultur einer Epoche überhaupt nur noch in textuellen Spuren enthalten sei.74 Montrose bringt dies mit der viel zitierten chiastischen Formel der »historicity of texts« und der »textuality of history« auf den Punkt, die er als zentrale Neuerung des New Historicism herausstellt.75 Einerseits sei Geschichte nur in Texten überliefert und somit, wie White betont, ebenso von der Frage nach der Fiktionalität betroffen wie die Literatur. Auf der anderen Seite bestehe der Ansatz des New Historicism gerade darin, die kulturelle Besonderheit (»cultural specifity«) und die gesellschaftliche Einbettung eines Textes und jeder Art von Schreiben zu berücksichtigen. Aber diese kulturellen Spezifitäten sind nicht nur textueller Natur, auch wenn sie gemäß Montroses These nur in Textform konserviert werden können: »Der New Historicist will Texte geschichtlich, also in ihrem historischem Kontext lesen, weigert sich jedoch, den historisch-kulturellen Kontext eines literarischen Textes anders zu fassen denn in der Form weiterer, je partikularer [sic] Texte.«76 Somit läuft der New Historicism Gefahr, wie auch White kritisch anmerkt, seinen Ausgangspunkt einer soziokulturellen Einbettung von Literatur aufzugeben zugunsten einer radikalen Textualisierung von soziokulturellem Kontext und Geschichte.77 Greenblatt erkennt diese Sackgasse, wenn er in Practicing New Historicism anmerkt, dass sich aus der Annahme, alle Kultur sei Text, das Problem ergebe, dass Texte sowohl als Repräsentation kultureller Ereignisse als auch selbst als kulturelle Ereignisse angesehen werden müssen (S. 15). Für die Theorie der Behauptung stellt das, was für Greenblatt Widerspruch, gerade die Grundannahme dar. So lässt sich am Forschungsgegenstand, z.B. an Baudelaires Essay über den Maler Constantin Guys aufzeigen, dass die zugrunde gelegten Texte immer sowohl ›Kultur‹ (die Bilder Guys) beschreiben, wie sie selbst ›Kultur‹ (ein literarisches Werk) sind. Zum Tragen kommt diese zweifache Funktion zudem im doppelten Charakter der Behauptung als Äußerung und performativer Akt, der beinhaltet, dass nicht einfach nur etwas über ›Kultur‹ ausgesagt, sondern immer auch die eigene Vorstellung durchgesetzt wird. Dadurch entgeht diese Untersuchung der Streitfrage, inwieweit tatsächlich eine forschungspolitische »Verschiebung des kulturellen Paradigmas vom Textmodell zum Peformanzmodell« stattgefunden habe in mehrfacher Hinsicht.78 Zunächst wird die auch von Greenblatt erkannte Gefahr des Kultur-als-Text-Paradigmas, den materiellen Körper auf kulturelle Repräsentationen zu reduzieren (S. 15) vermieden, indem eben die 74 Greenblatt: Shakespearean Negotiations, S. 5. 75 Montrose: Professing the Renaissance, S. 20, vgl. Fox-Genovese: Literary Criticism, S. 219, Veeser: New Historicism, S. 219. 76 Baßler: Die kulturpoetische Funktion, S. 20. 77 White: Comment, S. 293 f. 78 Vgl. zu konkurrierenden Behauptungen der beiden Ansätze Scherpe: Kanon – Text – Medium, S. 29, Baßler: Die kulturpoetische Funktion, S. 1 ff.

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Frage nach dem materiellen Körper und anderen textuell nicht fassbaren Phänomenen gestellt wird. Methodisch wird dabei zwischen »Performanz und Performativität« zu unterscheiden sein, zwei Begriffe, die »bereits ausführlich verallgemeinert, ihrer theoretischen Klarheit beraubt und auf eine große Bandbreite an kulturellen Praktiken angewendet« wurden (S. 199), wie Mieke Bal in ihrem gleichnamigen Aufsatz schreibt. Die Performativität wird dabei auf der Ebene der Darstellung verwendet, indem Austins Sprechakt, wie besprochen, auf einen literarischen ›Behauptungsakt‹ übertragen wird.79 Die Performanz wiederum wird im Sinne von performance als ästhetische Inszenierung verstanden, die lediglich auf der Ebene des Dargestellten zu untersuchen ist, etwa, wenn der Dandy als jemand behauptet wird, der sich selbst zu einem Kunstwerk macht.80 Das Konzept der Behauptung ermöglicht hier, gerade die Kombination von textueller Performativität und körperlicher Performanz ins Auge zu fassen, indem z.B. das Paradox untersucht wird, wie die textlich nicht zu erfassende Performanz des Dandys eben doch performativ in Texten dargestellt wird. Dabei führt die Konzentration auf die Positivität, also auf konkrete Äußerungen dazu, diese performativen Eigenschaften der Behauptung nicht hinter oder außerhalb von Texten oder zwischen den Zeilen, sondern auf ihrer materiellen Ebene zu untersuchen. Demzufolge wird insbesondere die Frage nach der Materialität des Textes eine große Rolle spielen, z.B. bei Barbeys in einer Auflage von 30 Exemplaren erschienenem Du Dandysme. Darüber hinaus wird die Behauptung aber nicht nur auf Textebene verortet, sondern auch in Porträts, Karikaturen, Fotografien etc. ins Auge gefasst, da visuelle Inszenierungen für den Dandy eine große Rolle spielen. Dies wird allerdings weder im Rahmen der Kultur als Text-Debatte unter einem erweiterten Textbegriff rezipiert,81 noch zum Anlass genommen, einen iconic turn zu postulieren. Vielmehr sollen, analog zu McLuhans Einsicht, dass sich Medien nicht gegenseitig ersetzen, sondern lediglich neue Rollen zuweisen,82 sowie Thomas Kuhns These, Paradigmen seien inkommensurabel und bilden gleichberechtigte Erkenntnisfundamente, ohne sich gegenseitig aufzuheben oder zu revidieren,83 beide Ansätze zur Ausdifferenzierung in unterschiedliche mediale Formen der Behauptung und zur gegenseitigen methodischen Erhellung und verwendet werden.84

3.2.4 Objekt und starkes Subjekt Foucault schreibt, der Archéologie du savoir soll es nicht darum gehen, die wahren Dimensionen der »folie« zu beschreiben, die wahrhaftig Verrückten auszumachen, sondern die Regeln zu analysieren, nach denen Menschen zu Personen gemacht werden, deren Verrücktheit untersucht werden muss (S. 55). Wie die »formation des objets« ausdrückt, schafft der Diskurs der Medizin die Verrückten, um sie auf einen Gegenstand der Untersuchung, ei79 Vgl. zu einer ähnlichen Übertragung von Austins Sprechakt auf den Expositionsakt eines Museums: Bal: Kulturanalysen, S. 36 sowie Bal: Double Exposures, S. 1-4. 80 Vgl. Fiebach: Performance sowie Kapitel 7.7 bis 7.9. 81 Vgl. dazu Baßler: Die kulturpoetische Funktion, S. 9, 197. 82 McLuhan: Die magischen Kanäle, S. 63. 83 Vgl. ausführlich Kutschera: Thomas S. Kuhn, S. 304 ff. 84 Vgl. Scherpe: Kanon – Text – Medium, S. 22.

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nen Objektstatus zu reduzieren. Überträgt man dieses Prinzip der konstituierenden Eigenschaft des Diskurses auf die Behauptung des Dandys, ist die Pointe zu betrachten, dass diese den Dandy allerdings nicht zu einem Objekt, sondern zu einem eigenständigen Subjekt macht: Wie in Kapitel 4 Die Behauptung des Subjekts zu zeigen ist, wird der Dandy gerade als derjenige dargestellt, der sich selbst am besten darzustellen weiß, oder pointierter: Der Dandy wird als Subjekt behauptet, das sich selbst als Subjekt behauptet. Selbst Foucault unterstreicht in »Qu’est-ce que les Lumières?« bei Baudelaire den »ascétisme du dandy qui fait de son corps, de son comportement, de ses sentiments et passions, de son existence, une œuvre d’art.« (S. 571) Dieser Performanz des Dandys steht allerdings Foucaults kritische Infragestellung des Subjektbegriffs gegenüber. Er schreibt, dass die Betonung der synthetischen Kraft des Subjektes einer linearen Geschichtsschreibung gleichzusetzen sei, deren diskursive Verfasstheit in beiden Fällen aufgedeckt werden solle.85 Und auch in Les mots et les choses trifft er über die humanistische Subjektvorstellung die vieldiskutierte Aussage, dass sie ebenso unmittelbar, wie sie im 19. Jahrhundert entstanden ist, wieder verschwinden könne wie ein in den Sand gezeichnetes Gesicht am Meeresufer (S. 398), was ihm den Vorwurf einbrachte, polemisch das Ende des Menschen beschwören zu wollen.86 Allerdings trifft der Vorwurf nicht nur nicht den Kern seiner Aussage, sondern interpretiert sie auf eine Art und Weise, die dem foucaultschen Ansatz fundamental widerspricht, geht der Vorwurf doch von einer eindeutigen Verbindung zwischen dem ›Wort‹ und dem ›Ding‹ Mensch aus, während Les mots et les choses gerade die diskursive Verfasstheit einer solchen Vorstellung einer universalen Begrifflichkeit Mensch herausarbeitet. Der Titel Les mots et les choses – ist folglich, wie auch Foucaults Selbstbezeichnung als Positivist – ironisch, wie dieser selbst betont, da Foucault eben die Untrennbarkeit von Wort und Ding in Frage stellt und stattdessen ein komplexes diskursives Zusammenspiel setzt.87 Der Hinweis auf das Ende des Menschen meint nicht den Tod dieser Spezies, sondern appelliert auf provokantironische Art daran, das Konzept Mensch nicht als Realität, sondern als Diskurs zu sehen, als die empirisch-transzendentale Doublette, die den Menschen seit Kant gleichzeitig als empirisches Objekt und subjektives Konstitutionsprinzip sieht.88 85 Foucault: Archéologie du savoir, S. 24, vgl. Foucault: Sur l’archéologie des sciences, S. 700, 731. 86 Baßler etwa hält »die Emphase, mit der Foucault manchmal vom Verschwinden des Menschen spricht, einer bloßen methodologischen Option nicht immer angemessen.« (Baßler: Die kulturpoetische Funktion, S. 103) Die intensive Diskussion dieser These führte auch dazu, dass Simone de Beauvoir in Reaktion auf die omnipräsente Diskussion von Foucaults These diese in ihrem Roman Les Belles Images parodierte (vgl. Eribon: Contemporains, S. 170 f. sowie ausführlich Eribon: Foucault, S. 190-195). 87 Vgl. den Kommentar: »Mon titre Les mots et les choses était parfaitement ironique. Personne ne l’a vu clairement […].« (Foucault: Michel Foucault explique, S. 776). Vgl. zur Ironie White: Tropics of Discourse, S. 232. 88 Foucault: Les mots et les choses, S. 329-333, vgl. Link-Heer: Michel Foucault, S. 333. So betont Link, die Diskurstheorie würde nicht das unbestreitbare Faktum der Subjektivität leugnen: »sie behaupte [!] bloß, daß eben dieser typ von subjektivität (wie alle anderen auch) ein applikationseffekt von diskursen auf körper/seelen« sei (Link: Diskurs, Interdiskurs, Macht, S. 6).

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Eben diese doppelte Funktion als Subjekt und Objekt zeigt sich bei der Behauptung des Dandys, wenn das ›Objekt‹ Dandy als ein sich selbst behauptendes Subjekt beschrieben wird. Wenn Foucault in der Archéologie du savoir vom Ende des humanistischen Subjekts spricht, das sich durch Bildung forme, und stattdessen ein Subjekt beschreibt, das Gesetzen des Verlangens, Formen der Sprache und Diskursen unterworfen ist (S. 24), lässt sich hier pointiert formulieren, dass die Behauptung des Dandys als Subjekt, indem sie seine Selbstbestimmtheit unterstreicht, gleichzeitig aufzeigt, wie sehr der Dandy den Formen der Sprache, genauer: der Behauptung in Texten unterworfen ist. Glaubt man Greenblatt, dass der Mensch ständig der Illusion anheim falle, dass er seine eigene Identität schaffe,89 so beruht diese Illusion eines selbstbestimmten Erschaffens beim Dandy auf einer fiktionalen Fremderschaffung: Erst die Behauptung des Dandys produziert den Dandy also als denjenigen, der sich selbst in der Gesellschaft produziert.90 Die Behauptung des Dandys ist somit dem Konzept der Selbstbehauptung, wie sie Horkheimer/Adorno in der Dialektik der Aufklärung konzipieren, diametral entgegengesetzt. In der Auseinandersetzung von Odysseus mit dem Zyklopen, in der sich Odysseus als ›Niemand‹ ausgibt, sehen sie das Grundmuster der neuzeitlichen Selbstbehauptung durch Selbstentsagung.91 Dass Odysseus die Ähnlichkeit seines Namens mit Udeis (niemand) ausnutze, um den Zyklopen zu überlisten, sei eine dünne rationalistische Hülle, die nur dürftig die Tatsache verdecke, dass Odysseus als Symbol für die Verleugnung der eigenen Identität stehe: »Seine Selbstbehauptung aber ist wie in der ganzen Epopöe, wie in aller Zivilisation, Selbstverleugnung.«92 Die Selbstbehauptung der Neuzeit nach Horkheimer/Adorno setzt also voraus, dass überhaupt eine Identität gegeben ist, die dann verleugnet werden kann. Über die Behauptung des Dandys als Subjekt lässt sich indes genau umgekehrt sagen, dass keine essentielle Identität vorliegt, die verleugnet werden könnte. Nicht nur wird die selbstbehauptende Identität des Dandys erst behauptet, sondern diese Behauptung impliziert zudem, dass sich der Dandy ganz im Gegensatz als ›Jemand‹ ausgebe, obwohl er ein ›Niemand‹ ist: Mit »a nobody, who made himself somebody, and gave the law to everybody« gibt der Erzähler in Cecil: or, the adventures of a coxcomb von Catherine Gore diesen Grundsatz wieder (S. 17). Dabei gilt es, zwei Ebenen zu unterscheiden. Feldman gesteht: »If I try to capture dandies by studying pictures and accounts of actual, historical dandies, I am struck by these dandies’ inevitable slide into fiction, for the ›realer‹ the dandy, the more a product of (his own) make-believe he is.«93 In Parenthese gibt sie die doppelte Betrachtungsweise an, die man auf den Dandy anwenden kann: So wie der Dandy Teil der Behauptung oder des »makebelieve« eines Essays oder anderen Textes ist, wird er innerhalb der Fiktion selbst dargestellt als jemand, der sich als Dandy behauptet, sich durch eine besondere Kunst der Selbstdarstellung auszeichnet. Es lässt sich demnach 89 Greenblatt: Renaissance Self-Fashioning, S. 257. 90 In Coblences Kapitel »L’invention de Brummell« ist eine ähnliche Offenheit in der Bedeutung zu sehen, die gleichzeitig auf Brummells Erfindung und die Erfindung Brummells verweist (Coblence: Obligation d’incertitude, S. 31-59). 91 Vgl. Schweppenhäuser: Am Ende der bürgerlichen Geschichtsphilosophie, S. 195. 92 Adorno: Dialektik der Aufklärung, S. 62 f. 93 Feldman: Gender on the Divide, S. 2.

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sowohl innerhalb der (geschichtlichen oder literarischen) Fiktion die Selbstdarstellung des Dandys untersuchen als auch die Darstellungen dieser dandyistischen Selbstdarstellung. Somit ist zwischen der Selbstbehauptung des Dandys sowie der Behauptung dieser Selbstbehauptung zu differenzieren. Das Konzept der Selbstbehauptung impliziert dabei nicht, wie z.B. bei Blumenberg und Brenner, den Versuch einer aufklärerischen, »neuzeitlichen Wirklichkeitsauslegung«94. Eher näher an der aktuellen Verwendung in soziologischen, politikwissenschaftlichen oder pädagogischen Untersuchungen, in denen der Begriff der Selbstbehauptung im Sinne einer Durchsetzung von Interessen oder Eigenheiten einer kleinen Gruppe gegenüber einem größeren Ganzen verwendet wird,95 beinhaltet er eine Behauptung des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft, mit dem Unterschied, dass der Dandy keiner Gruppe, Minderheit etc. angehört, sondern in seinem Status als isoliertes Subjekt verbleibt. Bezeichnenderweise untertitelt Gerd Stein den dritten Band Philister – Kleinbürger – Spießer seiner Anthologie Kulturfiguren und Sozialcharaktere des 19. und 20. Jahrhunderts mit »Normalität und Selbstbehauptung« und den zweiten Band Dandy – Snob – Flaneur mit »Dekadenz und Exzentrik«. Dass er die Selbstbehauptung als Inbegriff kleinbürgerlicher Normalität der Exzentrik des antibürgerlichen Dandys gegenüberstellt, bringt gerade seinen von dieser Untersuchung abweichenden Ansatz hervor. Wenn er z.B. von der »behauptete[n] Unvereinbarkeit« spricht, welche die Mitglieder der »christlich-deutschen Tischgesellschaft« um Clemens Brentano und Achim von Arnim zwischen sich und den Philistern sehen möchten (S. 11), fasst er zwar die Unterschiede der Tischgesellschaft zu dem Kleinbürgertum nicht als Realität, sondern als eine Behauptung auf. Dennoch beurteilt er, anders als diese Untersuchung, die Behauptung nach qualitativen Kriterien und ihrem Erfolg: Die Statute, dass jeder von der Gesellschaft ausgeschlossen werde, sobald er ein Philister geworden sei (S. 27), bezeichnet Stein, dem scheinbar die Selbstironie entgeht, selbst als spießig (S. 11) und rechtfertigt damit die Aufnahme in den Band Philister – Kleinbürger – Spießer. Insofern diese Untersuchung nicht über Erfolg oder Misserfolg einer Behauptung urteilen möchte, muss das Konzept der Behauptung nicht als per se bürgerliche oder antibürgerliche Geste festgelegt werden, wie es Stein impliziert. Auch die im Kapitel 6 vorzunehmende Untersuchung der Behauptung von Exzentrik des Dandys, die Stein voneinander isoliert betrachtet, wird nicht den Vorsatz haben, wahre Exzentrik von falscher zu unterscheiden, sondern lediglich die zugrunde liegenden Taktiken der Behauptung zu untersuchen, mit denen der Dandy gegenüber Kategorien wie Exzentrik und Bürgertum positioniert wird.

3.2.5 Modalität, Autor und literarisches Feld Foucaults zweite Formationsregel der Archéologie du savoir, die Modalität der Äußerung, bezieht sich auf die Positionierung des Sprechers zu der von ihm vorgenommenen Formation von Objekten. So legitimiere etwa der Arzt seine Diagnose der Geisteskrankheit aus der Institution der Medizin heraus, 94 Brenner: Selbstbehauptung, S. 4, Blumenberg: Selbstbehauptung, S. 159. 95 Vgl. z.B. Schmidt: Die Selbstbehauptung Europas von Altkanzler Helmut Schmidt (2000) oder Dünzelmann: Aneignung und Selbstbehauptung über die Integration und Akkulturation von »GastarbeiterInnen« in Bremen (2005).

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die ihm Autorität verleiht, sein Status als Mediziner beinhalte Kompetenzund Wissenskriterien und unterstreiche seine Kenntnis in Theorie und Praxis der Medizin (S. 68 f.). Jene Autoren, die über den Dandy schreiben und in Kapitel 5 Die Behauptung des Autors untersucht werden, verfügen hingegen nicht in gleicher Weise über eine Institution, die ihre Behauptung unterstützt und legitimiert. Auch Pierre Bourdieu lehnt die in der Archéologie verwendete Bezeichnung »institution« für die Literatur ab, da dieser Begriff die Illusion von innerer Einigkeit anstatt von Konfliktreichtum beinhalte.96 Hier kommt die Besonderheit der Literatur als Interdiskurs zum Tragen. In seinem Aufsatz »L’arrière-fable« über Jules Verne, im gleichen Jahr wie Les mots et les choses erschienen, erläutert Foucault, der Diskurs der Literatur habe sich im 19. Jahrhundert insofern verändert, als nun Erzähltechniken möglich werden, die zwischen verschiedenen Arten der Fiktionalität differenzieren könnten, wie der neutrale Erzähler, die Verknüpfung verschiedener Erzählstrukturen oder die fremde Rede. Daraus folgert er: »Depuis que de nouveaux modes de la fiction ont été admis dans l’œuvre littéraire […] il redevient possible de lire, selon leur architecture propre, des textes qui, peuplés de ›discours parasites‹, avaient été pour cela même chassés de la littérature.« (S. 507) Erst im 19. Jahrhundert werden demnach die Voraussetzungen geschaffen, die es ermöglichen, die Literatur nicht als autarken und abgeschlossenen, ›reinen‹ Diskurs zu sehen, sondern als Zusammensetzung verschiedener anderer Diskurse. Allerdings scheint es mir verkürzt, Literatur lediglich als einen Hybrid-Diskurs zu definieren, der sein Wurzelgeflecht im gesamten Feld der »Spezialistendiskurse« ausdehnt.97 Denn zugleich versucht die Literatur, sich durch die Elaboration interdiskursiver Elemente selbst zu einem Diskurs zu institutionalisieren, Link spricht von der »paradoxen Verwandlung des Interdiskurses in einen eigenen Spezialdiskurs«98. Foucault hebt demgemäß nicht nur die interdiskursiven Bezüge Vernes hervor, sondern betont in anderem Kontext in Bezug auf Vernes Zeitgenossen Mallarmé, die Literatur würde sich von anderen Diskursen abkapseln und sich fortan nur noch auf sich selbst beziehen: »[La littérature] devient pure et simple manifestation d’un langage qui n’a pour loi que d’affirmer – contre tous les autres discours – son existence escarpée; elle n’a plus alors qu’à se recourber dans un perpétuel retour sur soi; comme si son discours ne pouvait avoir pour contenu que de dire sa propre forme.«99 Somit wird Literatur von Foucault, wie er immer wieder betont,100 nicht nur in ihrer Eigenschaft als Interdiskurs dargestellt, sondern auch ihr Versuch evoziert, sich selbstgenügsam zurückzuziehen und sich als autarker Diskurs oder, wie er in Bezug auf Sade schreibt, als ein »discours non discursif«101

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Bourdieu: Le champ littéraire, S. 17 FN. Küpper: Was ist Literatur, S. 194. Link: Literaturanalyse als Interdiskursanalyse, S. 300 f., vgl. Link: Elementare Literatur, S. 30. Foucault: Archéologie du savoir, S. 313. Vgl. Foucault: Archéologie du savoir, S. 313, 119, 233, 316, Borsò: Michel Foucault und Emmanuel Lévinas, S. 27, Vogl: Für eine Poetologie des Wissens, S. 125. Foucault: Les mots et les choses, S. 134, vgl. Borsò: Michel Foucault und Emmanuel Lévinas, S. 26.

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auf einsamen Höhen zu behaupten. Diese widersprüchlichen Aussagen Foucaults sollen hier nicht aufgelöst, sondern vielmehr selbst als Behauptungen angesehen werden. Analog zu der zuvor untersuchten Behauptung der Selbstbehauptung des Dandys wird in dieser Untersuchung die Behauptung einer sich behauptenden Literatur zu untersuchen sein. Wenn Scheffel aus der Selbstreferentialität der Literatur schließt, sie sei »nicht-behauptende Rede ohne unmittelbaren Wirklichkeitsbezug«103, liegt hier, aufgrund des unterschiedlichen Verständnisses der Behauptung, der umgekehrte Schluss nahe: Da die Literatur selbstreflexiv ist, behauptet sie sich selbst. Dieses durchaus realitätsbezogene Anliegen wird hier ins Auge zu fassen sein als der Versuch der Literatur, etwas über sich zu behaupten, um dadurch sich zu behaupten.104 Für diese doppeldeutige Selbstbehauptung der Literatur ist Bourdieus Untersuchung zur Entwicklung des literarischen Feldes in doppelter Hinsicht relevant, sowohl – wie später zu zeigen – methodisch, als auch inhaltlich, insofern Bourdieu die Wichtigkeit der Figur des Dandys für die Selbstbehauptung der Literatur betont. Er spricht diesbezüglich von der Ausprägung des literarischen Felds, das er ebenso wie das ökonomische als ein Machtfeld sieht, das geprägt ist von der Konkurrenz entgegengesetzter Kräfte.105 In den Auseinandersetzungen innerhalb des literarischen Felds mit den ökonomischen Zwängen zwischen 1830 und 1848 sieht Bourdieu in Les règles de l’art drei unterschiedliche Kräfte am Werk. Zum einen »l’art bourgeois« eines Casimir Delavignes, das sich den Zwängen der bürgerlichen Nachfrage unterordnet, dann »l’art social« eines Henry Murgers oder Champfleurys, das durch realistische Darstellung (z.B. der Bohème) sich für die gesellschaftlichen Belange der armen Bevölkerung einsetzt sowie »l’art pour l’art«, das sich jeglicher sozialer Funktionen enthält (S. 20). Letztere Richtung sieht Bourdieu schließlich verantwortlich für die Ausprägung der Autonomie des literarischen Feldes, oder mit den Worten Foucaults, für die Behauptung der Literatur als eigenen Diskurs. Dabei spielt der Dandy für l’art pour l’art, Bourdieu zufolge, eine wichtige Rolle. So greift er auf diesen zurück, um ihn in doppelter Weise von der Figur des Bohemiens, Sinnbild des art social, abzugrenzen. Anders als die »dandys romantiques de la ›bohème dorée‹«, wie z.B. Musset, zeichne die zweite Generation der Boheme-Autoren wie Murger und Champfleury ein mit der Armut verbundener Zwang, sich den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen aus, der der Ausprägung eines autonomen literarischen Feldes konträr gegenüberstehe.106 Zudem betont Bourdieu oft die Wichtigkeit Baudelaires 102

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Foucault zufolge ist die Vorstellung einer Einheit Literatur auf eben diese Behauptung als eigenständiger Diskurs zurückzuführen. Daraus leitet er die Notwendigkeit ab, die ›Literatur‹ nicht als unumstößliche Größe, sondern als historisch bedingt zu behandeln (Foucault: Sur l’archéologie des sciences, S. 701). Scheffel: Formen selbstreflexiven Erzählens, S. 41. Vgl.: »Literatur ist selbst eine diskursive Formation – dort etwa, wo sie zum besonderen Organ und Medium von Einheiten wie Autor und Werk geworden ist […].« (Vogl: Für eine Poetologie des Wissens, S. 124). Vgl. Jurt: Das literarische Feld, S. 81. Bourdieu: Les règles de l’art, S. 88. Er setzt hier das Feld des Autors Murger mit dem seiner fiktionalen Bohème-Figuren aus Scènes de la vie de Bohème gleich, was noch ausführlich zu kommentieren ist.

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für die Autonomisierung des literarischen Feldes, da dessen Selbstinszenierung als eleganter Dandy für die Abgrenzung von der Bohème stehe.107 Zusätzlich zum modischen Aspekt betrachtet Bourdieu den Dandy als eine ethische und ästhetische Haltung, die besondere Sensibilität und intellektuelle Fähigkeiten zum Ausdruck bringe (S. 116 f.): Der Dandy ist primärer Ausdruck eines »processus d’esthétisation«108. Bourdieu sieht den »dandy« insofern als intellektuellen Helden, der die neuen ästhetischen Anforderungen für die Rezeption von autonomer Kunst verkörpere und ergänzt, dass dieser »dandysme« die bis zum Esoterismus betriebene Abgrenzung gegenüber der »existence bourgeoise« symbolisiere.109 Diese Abgrenzung des Dandys sowie der l’ar- pour-l’art-Autoren von der Bourgeoisie vollzieht sich unter den drei Aspekten Aristokratismus, Antiutilitarismus und Einzigartigkeit.110 Albert Cassagne konstatiert in seiner viel zitierten Untersuchung zu l’art pour l’art, auf die sich auch Bourdieu oft bezieht: »Le dandy […] est un personnage fréquent parmi les adeptes de l’Art pour l’Art, comme aussi parmis leurs héros.«111 Diese doppelte Funktion des Dandys als Autor und fiktionale Figur, die Cassagne hier anspricht, wird in ihrem komplexen Zusammenspiel zu untersuchen sein, ohne indes, wie die wissenschaftlichen Untersuchungen der écrivains-dandys, von vornherein von einer Identität von Autor und Figur auszugehen. Wohl aber soll die Untersuchung der Dandy-als-Autor-Funktion in doppelter Hinsicht im Vordergrund stehen. Zum einen ist in Übertragung von Foucaults Modalität der Äußerung zu fragen, wie die Selbstbehauptung der Literatur den Status eines Autors, der vom Dandy spricht, unterstützt und in welcher Modalität sich der Autor äußert. Zum anderen umgekehrt, welche Rolle die Figur des Dandys für die Selbstbehauptung der Literatur, bzw. konkreter des Literaten spielt. Diese Funktion soll dabei nicht – wie beim Großteil der Forschungsliteratur – durch Psychologisierung des Autors, sondern durch die Untersuchung von Regularitäten in den Behauptungen verschiedener Autoren vollzogen werden. Trotz der sich wandelnden Bedeutungen des Begriffs Dandy, gehe ich davon aus, dass es eine gemeinsame oder zumindest vergleichbare Modalität der Äußerung gibt, für die sich Regularitäten formulieren lassen. Analog zur Differenzierung zwischen Behauptung und Selbstbehauptung in Bezug auf das Subjekt wird dabei gleichzeitig untersucht, wie sich der Autor selbst durch seine Figuren behauptet und wie er von seinem zeitgenössischen und posthumen Publikum behauptet wird. Denn die Untersuchung des literarischen Feldes und seines symbolischen Kapitals setzt Greenblatt zufolge voraus, dass Kunst grundsätzlich als Produkt der Verhandlung, als negotiation zwischen einem Produzenten und der Gesellschaft entsteht und somit sowohl während der Produktion, als auch während der Rezeption Manipulationen unterworfen ist.112 Gemäß Harold Blooms Anxiety of Influence geht es dabei oft um hartes Ringen, mutwillige Missinterpretationen und eigenmächtige Ergänzungen rezipierter Autoren, kurz gesagt, um verschiedene Taktiken, mit denen sich der Autor gegenüber seinen Vorgängern behauptet. Dabei 107 108 109 110 111 112

Bourdieu: Les règles de l’art, S. 100, vgl. 366, 76, Bourdieu: Le champ littéraire, S. 15. Bourdieu: Champ du pouvoir, champ intellectuel et habitus de classe, S. 9 FN. Bourdieu: Disposition esthétique et compétence artistique, S. 1351, 1365. Zima: Vom Dandy zum Künstler, S. 408. Cassagne: La Théorie de l’Art pour l’Art, S. 186. Greenblatt: Towards a Poetics of Culture, S. 12.

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ist zu beachten, dass Bourdieu seine Untersuchung zum literarischen Feld auf Frankreich, sogar auf Paris beschränkt. Insofern muss nicht nur der Bezug des literarischen Felds zu anderen Feldern in Frankreich, sondern auch die von Bourdieu ausgeklammerte Frage beantwortet werden, welche Ähnlichkeiten und Beziehungen zwischen literarischen Feldern unterschiedlicher Nationen, hier England und Frankreich bestehen, ob ein Autor in jedem Land für die gleiche Position im literarischen Feld steht, oder sich durch Übersetzung und Rezeption neue Konstellationen ergeben. Dabei ist grundsätzlich festzustellen, dass sich das Projekt der Feldanalyse, Eigenschaften der Felder zu beschreiben und sie in ihrem Zusammenspiel zu vergleichen, der archäologischen Beschreibung interdiskursiver Bezüge annähert.113 Bourdieus Verwendung des Begriffs Diskurs knüpft insofern an Foucault an, beispielsweise, wenn er in Bezug auf Balzacs Traité de la vie élégante die konstituierende und nicht nur beschreibende Wirkung des Diskurses betont: »[S]ous apparence de dire ce qui est, ces descriptions visent à faire voir et à faire croire, à faire voir le monde social conformément aux croyances d’un groupe social qui a la particularité d’avoir un quasi-monopole de la production de discours sur le monde social«.114 Dass Bourdieu seinen Feldbegriff dennoch scharf von Foucault abgrenzt, mag gerade an den Gemeinsamkeiten liegen, die eine Abgrenzung und ›Behauptung‹ von dem anderen oft erst notwendig macht. In Bezug auf die Analyse von kulturellen Werken (»œuvres culturelles«), so der Kritikpunkt Bourdieus, siedle Foucault jedes Werk in einem Feld von strategischen Möglichkeiten an. In der Tat schreibt Foucault, Ähnlichkeiten etwa zwischen dem Diskurs der Physiokraten und dem der Utilitaristen seien nicht durch einen gemeinsamen Zeitgeist, sondern durch ein gemeinsames strategisches Feld zu erklären.115 Bourdieu wirft in Les règles de l’art Foucault dabei vor, diese strategischen Möglichkeiten nur innerhalb des Felds des Diskurses selbst zu verorten und so auszuschließen, dass Divergenzen in den individuellen Interessen und Gewohnheiten einen Ausschlag gäben. Damit würde er die Beziehung von Werken zu den sozialen Bedingungen ihrer Produktion unberücksichtigt lassen (S. 278 f.). Bourdieu ordnet insofern Foucaults Ansatz, den er auch als »structuralisme symbolique« (S. 289) bezeichnet, in die Kategorie der ›internen‹ Analysen ein, welche Texte intrinsisch erklären ohne gesellschaftliche Aspekte zu erörtern (S. 282 f.). Gleichzeitig grenzt sich Bourdieu auch von den ›externen‹ Analysen ab, welche kulturelle Werke als bloße Widerspiegelung oder symbolischen Ausdruck der sozialen Welt sehen und sie ausschließlich mit der sozialen Herkunft des Autors (wie z.B. Friedrich Engels) oder einer allgemeinen »Weltanschauung« (wie z.B. Lucien Goldmann) erklären (S. 284). Bourdieus Feldanalyse kombiniert beide Ansätze,116 inso-

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Bourdieu: Les règles de l’art, S. 254, 257. Ebenso betont er im Sinne Foucaults die Notwendigkeit, jedes Feld als partikulären Fall anzusehen, ohne zu generalisieren (S. 258). Ebd., S. 87. Unter dieser Prämisse wird der Traité deswegen in Kapitel 4.2 in Hinblick auf die Rolle der Anekdoten untersucht. Ebd., S. 278, vgl. Bourdieu: Le champ littéraire, S. 7, Bourdieu: Absolute, S. 133 ff., Foucault: Sur l’archéologie des sciences, S. 718 f. Beider Konzeptionen der Strategie werden im nächsten Kapitel verglichen. »La notion de champ permet de dépasser l’opposition entre lecture interne et analyse externe sans rien perdre des acquis et des exigences de ces deux ap-

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fern als sie Kunstwerke sowohl in ihrer Beziehung untereinander, als auch zum jeweiligen Produktionsfeld betrachtet und somit die spezielle Position der Handelnden im Feld, ihre Möglichkeiten und Entscheidungen, symbolisches oder anderes Kapital zu erwerben und die Wahl der dafür notwendigen Strategien berücksichtigt (S. 290). Bourdieu spricht in diesem Sinne von den coups doubles künstlerischer Strategien, die interne und externe, ästhetische und politische Relevanz hätten (S. 289). Diese Differenzierung zwischen interner und externer Analyse ermöglicht zudem, die Relevanz der Feldanalyse für das Konzept der Behauptung zu unterstreichen, welche ebenso die ›interne‹ Analyse der Literatur als ausschließlich selbstreferentielle Kunst mit der ›externen‹ Analyse, bei der Literatur als kulturelles Gedächtnis verstanden wird, verbindet, und sich so zugleich von beiden Positionen abgrenzt. Denn die Behauptung in der Literatur (bzw. den Bildern) zum Dandy ist gleichzeitig in Bezug auf ihre Intertexte (bzw. die Ikonographie) sowie den gesellschaftlichen Kontext zu betrachten. Der Rückgriff auf Bourdieu soll insofern auch dazu dienen, der Gefahr einer a-historischen Betrachtung zu entgehen, welche Bourdieu an Foucault bemängelt: Bourdieu differenziert zwischen der Position eines Autors, d.h. seiner Situation und seiner Positionierung, d.h. seiner Stellungnahme, die Bourdieu zumeist im literarischen Werken selbst gegeben sieht.117 An Foucault kritisiert er, dass dieser nur letztere beachte, ohne die Situation des Autors zu berücksichtigen (S. 7). Der Vorwurf kann allerdings nicht aufrecht erhalten werden, da Foucault durchaus den Status des Sprechers betrachtet, allerdings ist das Beispiel des Status des Mediziners, der aus der Institution des Krankenhauses spricht, wie gezeigt, kaum auf die Literatur übertragbar.118 Ferner räumt Foucault ein, dass es vordiskursive oder primäre Beziehungen gäbe, diese seien indes nicht Gegenstand einer archäologischen Untersuchung. Seine Beispiele, etwa Beziehungen zwischen Institutionen und sozialen Formen, zwischen der bürgerlichen Familie und gesellschaftlichen Instanzen, legen nahe, hier den bourdieuschen Feldbegriff anzusiedeln.119 Bourdieus Feldtheorie wird folglich in dieser Untersuchung also als Ergänzung für den von der Archéologie du savoir unberücksichtigten Zusammenhang zwischen Position und Positionierung eines Autors verwendet. Doch auch wenn beide bei der Behauptung des Autors in einem engen Zusammenhang stehen, muss Bourdieus These, eine Position ziehe zwangsläufig eine bestimmte Positionierung nach sich, relativiert werden.120 Diese Annahme Bourdieus zeigt sich insbesondere bei seinem »Prologue. Flaubert

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proches, traditionnellement perçues comme inconciliables.« (Bourdieu: Les règles de l’art, S. 288). Bourdieu: Les règles de l’art, S. 322, zur Übersetzung vgl. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 365. Im Französischen verwendet er an anderer Stelle prise de position (Positionierung) und œuvre nahezu synonym (vgl. Bourdieu: Le champ littéraire, S. 6, 11). Vgl. etwa Foucault: Archéologie du savoir, S. 68. Ebd., S. 62 f. Foucault sieht durchaus die grundsätzliche Möglichkeit der Verküpfung diskursiver und nicht-diskursiver Praktiken, meint aber, diese Frage in der Archéologie nicht weiter vertiefen zu können (S. 86, 90). Eine Antwort darauf gibt allerdings sein späterer Begriff des Dispositivs, vgl. dazu u.a. Link: Dispositiv und Interdiskurs. Vgl. Bourdieu: Champ du pouvoir, champ intellectuel et habitus de classe, S. 15.

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analyste de Flaubert«, welche er Les règles de l’art vorausstellt. Dort beschreibt er das literarische Feld in Flauberts Éducation Sentimentale, das von der Auseinandersetzung mit ökonomischen Zwängen und dem Anspruch auf ästhetische Autonomie geprägt ist. Dazu stellt er die unmissverständliche These auf, beim literarischen Feld des Romans handle es sich um eine mimetische Wiedergabe der Struktur von Flauberts eigener sozialer Realität (S. 59 f.). Deutlich wird dies vor allem im Verhältnis, das er zwischen Flaubert und dem Protagonisten Frédéric etabliert. Bourdieu geht davon aus, dass Flaubert in Frédéric ein Leben schildert, das er hätte haben können, und spricht von der Éducation Sentimentale als »possibilité dépassée et conservée de Gustave.« (S. 54) Indem er von Gustave spricht und nicht von Flaubert, unterscheidet er zwischen dem Autor Flaubert und seinem autobiographischen Ich, auf das er zurückblickt. Frédéric sei keine autobiographische Projektion, sondern Selbst-Objektivierung (S. 50). Dem Roman von Flaubert kommt somit in der Analyse des literarischen Feldes eine ähnlich außergewöhnliche Rolle zu wie Kunst und Literatur in Foucaults Les Mots et les Choses. Der soziologischen stellt Bourdieu eine literarische Analyse voran, unter der Prämisse, dass der Roman eine Objektivierung des literarischen Feldes sei, in dem sich der Autor Flaubert selbst bewege.121 Das literarische Feld bezieht sich somit sowohl auf literarische Welten – auf das fiktive Feld in der Literatur – wie auf die Welt des Autors – das Feld des Literaten. Indem er beide Ebenen aufeinander projiziert und als identisch ansieht, weicht er allerdings die Differenzierung zwischen Autor und Erzähler auf. So betont er die Neutralität des Erzählers in der Éducation Sentimentale, da er diese als Ausdruck von Flauberts eigener Neutralität sieht, und erklärt die Unmöglichkeit, den Protagonisten einer Position zuzuordnen wie folgt: »Cette ambivalence que Flaubert a en commun avec Frédéric (en qui il l’objective), et qui fait qu’il ne peut jamais s’identifier complètement à aucun de ses personnages, est sans doute le fondement pratique de la vigilance extrême avec laquelle il contrôle la distance inhérente à la situation de narrateur.« (S. 58) Die Neutralität des Erzählers wird folglich mit der Distanz Flauberts zu allen seinen Figuren erklärt. Wenn Bourdieu auch ablehnt, Flaubert mit seinem Protagonisten zu identifizieren, in dem er die Objektivierungsarbeit des Autors betont, so basiert diese Ablehnung auf einer Identifikation des Autors mit seinem Erzähler,122 die Bourdieu zufolge beide aus der gleichen Position der Neutralität sprechen. Bourdieu rechtfertigt die Gleichsetzung der position von Frédéric und Flaubert also durch die Tatsache, dass beide die gleiche, nämlich keine Positionierung vornehmen. Diese Gleichsetzung ist insofern 121

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Bourdieu: Les règles de l’art, S. 76. Dass der Roman nicht nur aus der Lebenswelt des Autors schöpft, sondern auch intertextuelle Verarbeitung anderer Literatur ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass auch der Protagonist in Mussets Novelle »Les deux maîtresses« zwischen der Liebe einer Adeligen und einer Arbeiterin schwankt (Musset: Maîtresses, S. 357). Bezeichnenderweise greift Frédéric nach einem Band von Musset, bevor er Mme Arnoux seine Liebe gesteht: »Un volume de Musset se trouvait par hasard sur la commode. Il en tourna quelques pages, puis se mit à parler de l’amour, de ses désespoirs et de ses emportements […].« (Flaubert: Éducation Sentimentale, S. 230). So betont er auch, dass Faulkner (und nicht der Erzähler) ständig unpersönliche Ausdrücke verwendet, um den Leser in die Erzählung mit einzubeziehen (Bourdieu: Les règles de l’art, S. 446 f.).

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strukturell bedingt, als Bourdieus Ausgangsfrage, was Flaubert zur Autonomisierung des literarischen Feldes beigetragen habe, eben nur an den literarischen Texten, die Flaubert hinterlassen hat, bemessen wird. Dieser Ansatz ist auf doppelte Weise zu modifizieren. Zum einen gehe ich nicht, wie Bourdieu, von einer objektivierenden Beschreibung des literarischen Feldes aus, sondern frage vielmehr mit Foucault nach der besonderen Modalität der Behauptung, die den Autoren gemeinsam ist. Zum anderen halte ich das Feld des Autors und das der Protagonisten auseinander. Meine Prämissen stehen demnach denen Bourdieus chiastisch gegenüber: Während Bourdieu zunächst als Ausgangspunkt die Identität des literarischen Feldes von Autor und Protagonist voraussetzt, um den Roman als Ausdruck der soziologischen Beobachtungen Flauberts darzustellen, möchte ich beide Felder getrennt voneinander betrachten. Dabei soll diese Abtrennung gerade dazu dienen, die für die Behauptung des Dandys charakteristischen Ähnlichkeitsbeziehungen und Verweise zwischen Autor, Erzähler und Protagonisten ins Auge zu fassen. Gerade die Ablehnung der Vorannahme eines écrivaindandy soll dabei helfen, den Zusammenhang zwischen Figur und Autor bei den Schriftstellern zu untersuchen, die für das literarische Feld eine prägende Rolle spielen und für ihre Behauptung des Autors auf die Figur des Dandys zurückgreifen.

3.2.6 Die Begriffe Originalität und Exzentrik Während die Modalität der Aussage abhängig ist von der Positionierung des Sprechers zu den Objekten – in diesem Fall der Beziehung zwischen écrivain und dandy – sind die verwendeten Begriffe123 eines Diskurses, Foucaults Archéologie du savoir zufolge, abhängig von der Koexistenz der Äußerungen. Foucault fordert, diese Begriffe weder als Ausdruck eines jeweiligen Zeitgeistes noch als Erschaffung eines kreativen Subjektes anzusehen. Denn es gehe nicht darum, die Begriffe direkt, sondern nur die Organisation des Feldes (»champ«) zu beschreiben, in denen diese auftauchen und zirkulieren (S. 183). Auch wenn er den Feldbegriff hier nicht im Sinne Bourdieus, sondern in einem allgemeinen Sinn als Gesamtheit der Äußerungen verwendet,124 möchte ich genau dies hier tun, indem ich die Behauptung der Originalität und Exzentrik in Kapitel 6 vor dem Hintergrund der Behauptung des Autors betrachte. Denn wie Bourdieu immer wieder betont, ist die »reconnaissance de l’originalité« ein wichtiger Faktor für die Etablierung im literarischen Feld.125 Dennoch fordert er, wie auch Foucault, eine Abkehr vom Begriff der Originalität, und beide scheinen stattdessen das Konzept der Exzentrik zu favorisieren. Zwei Ebenen müssen insofern auseinander gehalten werden: erstens die theoretische Annäherung Bourdieus und Foucaults an die

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So die deutsche Übersetzung von »concept« (vgl. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 83 ff. Foucault: Archéologie du savoir, S. 75. Wenn er im Folgenden von einem »champ d’objets« oder einem »champ énonciatif« spricht (S. 128 f.), zeigt sich, dass das Feld für ihn kein Ort der Machtbeziehungen ist. Vgl. Bourdieu: Champ du pouvoir, champ intellectuel et habitus de classe, S. 22, Bourdieu: Disposition esthétique et compétence artistique, S. 1359, 1368, Bourdieu: Le marché des biens symboliques, S. 62, Bourdieu: Les règles de l’art, S. 194.

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Begriffe Originalität und Exzentrik, zweitens die Verwendung und Untersuchung beider Begriffe in ihrer Positivität bei der Behauptung des Dandys. Schon in etymologischer Hinsicht können beide im Wortsinn nicht weiter voneinander entfernt sein. Die ursprüngliche Bedeutung des französischen Wortes original ist abgeleitet vom lateinischen Wort origo (Ursprung), welches wiederum abgeleitet wurde von oriri, d.h. sich erheben, entspringen, entstehen.126 Zurückzuführen ist diese Ableitung auf die Übernahme des lateinischen Begriffs für Erbsünde »peccatum originale« in der englischen, französischen und deutschen Sprache.127 Als Substantiv wird es in der französischen Sprache seit dem 13. Jahrhundert im Sinn von Herkunft, Abstammung oder Anfang verwendet. Der Begriff »exzentrisch« wiederum stammt aus dem griechischen Wort ékkentros, abgeleitet von kentron (Zentrum). In Auseinandersetzung mit dem ptolemäischen Weltbild bildete die mittellateinische Sprache aus diesem Wort das Begriffspaar concentricus (den gleichen Mittelpunkt habend) und eccentrus (aus dem Zentrum gerückt), das in der Astronomie zur Beantwortung der Frage verwendet wurde, ob ein Objekt kreisförmig um einen Punkt kreist oder nicht.128 Während original sich also auf einen zentralen Ausgangspunkt in der Zeitdimension bezieht, verweist excentrique im Gegenteil auf etwas, das in der Raumdimension aus dem Zentrum gerückt ist. Dieser etymologische Antagonismus lässt sich noch in den wissenschaftlichen Verwendungen dieser Begriffe aufspüren. Greenblatts Beschäftigung mit der exzentrischen Anekdote bei Shakespeare etwa wehrt sich gegen die Vorstellung einer zentralisierenden Originalität, welche auf der Vorstellung von Shakespeare als Genie basiert.129 Bloom wiederum stellt dem einen westlichen Kanon entgegen, in dessen Zentrum er Shakespeare behauptet.130 Dafür greift er inflationär – alleine in seinem zwölfseitigen »Preface and Prelude« mindestens fünfzehn Mal (S. 3-12) – auf den Begriff original/originality zurück.131 Die Originalität dient Bloom der Rechtfertigung der Kanonbildung und steht Greenblatts Interesse an der Exzentrik diametral gegenüber. Bourdieu und Foucault tragen dieser Konkurrenz der Begriffe Rechnung. Auf der einen Seite lässt sich ein grundsätzliches Interesse Bourdieus und Foucaults für Exzentriker im (w)örtlichen Sinne von Außenseitern erkennen. Etwa wenn Bourdieu den selbst gewählten Außenseiter-Status von Flaubert und Baudelaire, auch gegenüber anderen Außenseitern, wie z.B. der Bohème,

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Kluge: Etymologisches Wörterbuch, S. 604. Vgl. Saur: Original, S. 1373, Stoellger: Herkunft, S. 338. Kluge: Etymologisches Wörterbuch, S. 242, 476, Grand Robert, Bd. III, S. 389. Gallagher: Practicing New Historicism, S. 9-14, 36. Bloom: The Western Canon, S. 45-75. Er bezieht sich explizit auf Greenblatt (S. 3) und bezeichnet Ansätze wie den New Historicism, die den literarischen Kanon in Frage stellen, als »School of Resentment« (S. 4). Die Rechtfertigung seiner Kanonbildung vollzieht sich indes in einem Zirkelschluss. Einerseits betont er, alle starke Originalität werde kanonisch (S. 25), andererseits bleibt er eine Definition des Begriffes Originalität schuldig und gibt wiederum Shakespeare als Inbegriff sowohl der Originalität (S. 10, 521) wie auch als Zentrum des Kanons an (S. 3). Bereits in The Anxiety of Influence behauptet Bloom die Zentralität des Kanons (S. 11) und stellt die Anxiety als Kampf gegen den Vorgänger-Autor als »Great Original« dar (S. 32, 34) und dem Versuch, diesem die Originalität abzusprechen (S. 101).

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unterstreicht.132 Foucault betont in Les mots et les choses den marginalen Status sowohl des Dichters als auch des Verrückten (S. 63) und analysiert die Unterdrückungsmechanismen von Außenseitern, darunter auch die »excentriques«133. Auf der anderen Seite lehnen beide die Vorstellung von Originalität als Ursprung in einem Diskurs bzw. Feld vehement ab. So fordert Foucault im Kapitel »L’original et le regulier« (S. 184-194) der Archéologie du savoir, die Diskurse nicht in originelle und kopierende Diskurse einzuteilen. Statt eine Hierarchie von origineller Neuheit und Kopie zu etablieren, sollten Regularitäten festgestellt werden.134 Er knüpft die Distanzierung von der Originalität an die Kritik der Vorstellung des schöpferischen Subjektes, wenn er den engen Zusammenhang zwischen den Begriffen Originalität und Tradition kritisch betont, den Bloom affirmativ etabliert. Foucault bemerkt, das Konzept einer unveränderten Tradition diene als Hintergrund, vor der sich Innovationen als Ausnahmeerscheinung der Originalität eines Genies abgrenzen ließen, wie es ja auch Bloom tut. Anstelle von der Originalität eines Autors zu sprechen und so den Autor als freie Entscheidungsinstanz und kreativen Schöpfer zu sehen, solle die Archéologie du savoir diese als Teil eines diskursiven Systems sehen (S. 31 f.). Ähnlich wie Foucault argumentiert Bourdieu, wenn er sich kritisch von Sartre abgrenzt: Bourdieu zufolge versucht Sartre in L’Être et le Néant, die Vorstellung eines eigenständigen Schöpfers und seiner ursprünglichen Schöpfung gegenüber materialistisch-deterministischen, soziologischen und psychologischen Theorien zu verteidigen, die Arbeit des Autors als freien Akt der Selbst-Determination im Sinne einer »prise de conscience« zu behaupten und so sämtliche äußere Einflüsse zu leugnen.135 Sartre lege, so Bourdieu, jedem schriftstellerischen Akt das »projet originel« zugrunde, eine ursprüngliche Entscheidung, bei der sich eine Person selbst als Schriftsteller erschaffe und im Folgenden frei danach handle. So könne Sartre den Schriftsteller als außerhalb des literarischen Feldes und als selbstgenügsamen Schöpfer darstellen (S. 264) und gleichzeitig ein einheitliches Werk konstruieren.136 Sowohl Bourdieu wie Foucault kritisieren also am Begriff der Originalität die Vorstellung eines autonomen, ursprünglichen Schaffens und setzen dieser Vorstellung die Verknüpfung in diskursiven Formationen, respektive im soziologischen Feld entgegen. Der Widerstreit der Begriffe wird deutlicher noch in der Foucault-Rezeption. Borsò etwa spricht von der Hauptanregung der Archéologie du savoir als einer »Erarbeitung des Wissens nicht allein oder gerade nicht aus der Position des Zentrums heraus« und betont das Potential der Außenperspekti-

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Vgl. Bourdieu: Les règles de l’art, S. 55, 97, 100, 102, 115. In einer Radiosendung vom 7.1.1963, zitiert im Film Michel Foucault par lui même von Philippe Calderon (2003). Natürlich ließen sich zur Faszination an Außenseitern auch die Verrückten zählen, die er in Histoire de la Folie untersucht, die Unterdrückten aus La vie des hommes infâmes oder allgemein die »grande famille indéfinie et confuse des ›anormaux‹« bezeichnet (Foucault: Résumé des Cours, S. 73). Foucault: Archéologie du savoir, S. 188, vgl. Foucault: L’ordre du discours, S. 55 f. Bourdieu: Le champ littéraire, S. 10. Vgl. Bourdieu: Champ du pouvoir, champ intellectuel et habitus de classe, S. 13.

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ve der Literatur. So betrachtet auch Linda Hutcheon die Poetics of Postmodernism als problematisierende Kraft, die durch epistemologische Verschiebung neue Diskurs-Formationen erreichen soll (S. 87-101). Ausgehend davon, dass Identität diskursiv geprägt und ideologisch hervorgerufen ist, beschreibt sie die Postmoderne als ›ex-zentrischen‹ Diskurs und gleichzeitig als Diskurs der ›Ex-zentrischen‹ (S. 57-73), wobei die Schreibweise mit Bindestrich untermalt, dass sie an die ursprüngliche Bedeutung des Wortes, dem Gegensatz zum Zentrum, anknüpft. Dass diese Ex-zentrik euro-, phallo- und ethnozentristische Sichtweisen mit ihren binären Oppositionen wie Westen/Osten, Mann/Frau, Schwarz/Weiß etc., die immer die Überlegenheit einer Seite implizieren, in Frage stellt, lässt sich als Versuch beschreiben, die Vorstellung eines ursprünglichen Zentrums als diskursiv verfasst darzustellen und auch diskursiv wieder aufzulösen. Dass dies auch als Konkurrenz zwischen Ex-zentrik und Original zu verstehen ist, spricht sie an anderer Stelle an, wenn sie in Bezug auf Foucault betont, die postmoderne Parodie stelle die Vorstellung von Originalität, dem Originalgenie sowie dem Autor als »original instigator of meaning« in Frage.138 In dieser Bedeutung ist die Ex-zentrik sowohl vom historischen Begriff der Exzentrik, deren Bedeutung man grob umrissen mit ›Extravaganz‹ umschreiben könnte, als auch von der Marginalität abzugrenzen. Denn während Marginalität den zentralen Diskurs durch die Betrachtung vom Rand aus bestätige, hebt die Ex-zentrik deren diskursive Funktion heraus, um sie zu problematisieren.139 Ex-zentrik wird also als transformatorische Kraft konzipiert, durch die herrschende Diskurse weder verneint noch bestätigt werden, sondern ihre Widersprüche aufgezeigt würden und durch Offenlegung eines nicht aufzulösenden Widerstreits in der Schwebe gehalten werden. Borsò spannt den Bogen zurück zur Archéologie du savoir, wenn sie Luce Irigarays Erkenntnis, dass einfache Negation das patriarchalische System nur bestätige, kommentiert mit: »Sie dezentriert die Philosophiegeschichte, indem sie mit ex-zentrischem Blick die Geschichte archäologisch und diskontinuierlich liest.«140 Trotz der theoretischen Befürwortung der Ex-zentrik und der Ablehnung der Originalität spricht Foucault aber auch affirmativ von der Originalität, z.B. wenn er 1980 in seinem Nachruf auf Roland Barthes die »originalité« des Autors lobt,141 der ja wiederum selbst in »La mort de l’auteur« die Rolle des Autors zugunsten derjenigen des Lesers verschoben hat.142 Ähnlich para-

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Borsò: Michel Foucault und Emmanuel Lévinas, S. 22, vgl. 25. Hutcheon: A theory of Parody, S. 4. Auch Diederich Diederichsen bezeichnet es als das politische Verdienst der Dekonstruktion, uns u.a. von Konzepten wie Originalität zumindest symbolisch befreit zu haben (Diederichsen: Politische Korrekturen, S. 138 f.). Hoogland. From Marginality to ex-centricity, S. 7 f. In ähnlichem Sinn differenziert Levinas zwischen Exteriorität und Außen, vgl. Borsò: Grenzen, Schwellen und andere Orte, S. 33-36. Borsò: Die Subversivität des Randes, S. 144. Auch Homi Bhabha fordert in The Location of Culture unter Rückgriff auf Foucault, die Gegenwart als exzentrischen Schauplatz von Erfahrungen und Befähigungen zu denken, um das »Post-« in Begriffen wie Poststrukturalismus, Postkolonialismus und Postfeminismus nicht als ein bloßes »danach« oder »dagegen«, sondern als ein »Darüber Hinaus« zu verstehen (S. 4). Foucault: Roland Barthes, S. 124. Vgl. Barthes: La mort de l’auteur, S. 44.

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dox betont Deleuze in Foucault dessen These, dass es keiner Originalität bedarf, um Aussagen zu tätigen (S. 13), und dass die Unterscheidung von Originalität und Banalität nicht triftig sei (S. 14), um im selben Kapitel affirmativ von der »originalité de Foucault« zu sprechen (S. 26). Die Originalität Foucaults besteht somit gerade in der Ablehnung einer die Vorstellung von Originalität begünstigenden Autor-Funktion, da er diskursive Formationen nicht nach großen Denkern oder Autor-Subjekten kategorisiert. Mit anderen Worten behauptet Deleuze bei Foucault eine besonders originelle Ablehnung des Konzepts der Originalität. Diese Dialektik bestätigt meinen Ausgangspunkt, die Originalität nicht als gegebene Größen, sondern als Behauptung gegenüber einer Allgemeinheit zu betrachten, die als nicht-originell oder als Zentrum etabliert wird. Auch Greenblatts Behauptung, die Anekdote sei exzentrisch oder ex-zentrisch, wie man vielmehr mit Hutcheon schreiben müsste, basiert auf der Vorannahme von zentralen Texten. Unter dieser Prämisse, dass die Begriffe Originalität und Exzentrik nur als relative Kategorien betrachtet werden können, soll deren Behauptung in Bezug auf den Dandy untersucht werden. Levier schreibt folglich: »L’étude de l’excentricité, c’est aussi et d’abord celle des normes du conformisme du temps […].«143 Die Behauptung der Originalität und Exzentrik kann also ebenso wie die Behauptung des Autors im literarischen Feld nur vor dem gesellschaftlichen Kontext untersucht werden. Betrachtet man nun die Verwendung der Begriffe beim Dandy in ihrer Positivität, also in ihrem konkreten Auftreten in den Texten, so lässt sich ein paradoxes Verhältnis zwischen der eben dargelegten theoretischen Annäherung und dem tatsächlichen Auftauchen der Begriffe in der Dandyliteratur formulieren. Denn Foucaults Forderung, die Untersuchung der Originalität durch die der Regularität zu ersetzen, lässt sich dahingehend pointieren, dass eben der Rückgriff auf Originalität und Exzentrik die Regularität in der Behauptung des Dandys ist. Ein Blick auf die Forschungsliteratur belegt gleichzeitig die Virulenz beider Begriffe, wie sie die Notwendigkeit einer genaueren Betrachtung aufzeigt, denn die Begriffe werden in äußerst unterschiedlichen Zusammenhängen und offensichtlich unterschiedlichen Bedeutungen verwendet: Erbe betont etwa, Pückler-Muskau paraphrasierend, Brummell habe, nur »kraft seiner Originalität und seines modischen Talents, sich an die Spitze der exklusivsten Kreise der Gesellschaft stellen könne[n].«144 Gnüg hingegen stellt im Kapitel »Originalitätswille und Konvention« fest, »seine Originalität, sein Wille zur Andersartigkeit, macht den Dandy […] zum Außenseiter.«145 Und anders als Barthes, der warnt, der Dandy »ne doit jamais tomber dans l’excentrique, qui est une forme éminemment imitable«, lobt Camus gerade die Wichtigkeit der Exzentrik für den Dandy: »[P]lus d’un siècle de révolte s’assouvit à bon compte dans les audaces de ›l’excentricité‹.«146 Die Zitate zeigen repräsentativ die Notwendigkeit einer historisierenden Betrachtung der Begriffe auf, denn die konträren Beantwortungen der Fragen, ob der Dandy exzentrisch sei oder welche Konsequenz seine Originalität habe, sind darauf zurückzuführen, dass die meisten Wissenschaftler die 143 144 145 146

Levier: Anatomie de l’excentricité, S. 17. Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 31, vgl. Pückler-Muskau: Briefe, Bd. II, S. 410. Gnüg: Kult der Kälte, S. 26. Barthes: Le Dandysme et la Mode, S. 965, Camus: L’Homme Révolté, S. 462, vgl. Creed: Le Dandysme de Jules Barbey d’Aurevilly, S. 5.

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Begriffe Originalität und Exzentrik verwenden oder aus den untersuchten Texten zitieren, ohne den unterschiedlichen Bedeutungskontext zu reflektieren, und stattdessen historische mit aktuellen Vorstellungen vermengen. Um dies zu vermeiden, muss die Behauptung der Originalität und Exzentrik in Kapitel 6 demnach in der Besonderheit ihres Ereignisses erfasst werden,147 um die in den Behauptungen prominenten Auffassungen der Begriffe durch das Aufspüren von Regularitäten zu verdeutlichen. Dabei gehe ich nicht von einer linearen Begriffsgeschichte und einer fortschreitenden Verfeinerung ihrer Bedeutung aus, sondern davon, dass Begriffe mit der Zeit immer weitere Gültigkeitsfelder erhalten,148 wobei andere in den Hintergrund gedrängt werden. Es geht also darum, Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Begriffe in immer neuen Konstellationen aufzuzeigen und ihre Topologie zu ergründen. Dies soll in den Kategorien von elementarer und elaborierter Behauptung vollzogen werden. Während die bloße Erwähnung der Attribute Originalität und Exzentrik als elementar-literarische Behauptung anzusehen ist, die »gleichermaßen metaphorisch wie repräsentativ-synekdochisch und nicht zuletzt pragmatisch«149 verwendet werden kann, greift eine elaborierte Behauptung nicht nur auf diese Begriffe zurück, sondern macht sie zu einer generierenden Instanz des Textes.150 Die elaborierte Form weist dabei ein durchgängiges Motiv auf, z.B. wenn Barbey Brummell als das Original des Dandyismus behauptet. Eine Behauptung als elaboriert zu betrachten, bedeutet also, eine Stringenz in der Verwendung dieser Begriffe herauszuarbeiten und sie in den Kontext der Behauptung von Subjekt und Autor einzuordnen.

3.2.7 Strategie und Taktik Die Art und Weise, wie Begriffe innerhalb eines Diskurses zum Tragen kommen, fasst Foucault in der Frage nach der Strategie zusammen. Ohne als Absichtserklärung des Sprechers oder Autorintention gedacht zu sein, bestehe die Strategie in der Wahl von Theorien und Themen, die der Argumentation zugrunde gelegt werden. Bei der Grammatik z.B. bestehe die Strategie darin, der Untersuchung von Sprache des 17. Jahrhunderts das Thema einer Ursprache zugrunde zu legen, auf der alle Sprachen aufbauen sollen.151 Allerdings muss der Begriff der Strategie zunächst näher beleuchtet werden, bevor Foucaults Ansatz für das Kapitel 7 Die Taktiken der Behauptung fruchtbar gemacht werden kann. In L’invention du quotidien, seiner Auseinandersetzung mit Bourdieu und Foucault, nimmt Michel de Certeau auch einen Vergleich des Strategiebegriffs bei beiden vor (S. 75-96). Demnach ähneln sich Diskurs- und Feldanalyse insofern, als bei beiden die Strategie immer einen eigenen Ort habe, von dem aus sie operieren könne. Strategien gingen immer von einer definierten Machtinstanz aus, de Certeau gibt als Beispiele ein Unternehmen, die Armee, eine Stadt oder eine wissenschaftliche Institution, die von einem fest definierten Ort aus operiere und ihre Handlungen auf etwas außerhalb richte (S. 53). Bei Foucault zeige sich diese 147 148 149 150 151

Vgl. Foucault: Archéologie du savoir, S. 40. Bal: Kulturanalyse, S. 13, vgl. Foucault: Archéologie du savoir, S. 11. Link: Literaturanalyse als Interdiskursanalyse, S. 286. Vgl. Link: Elementare Literatur, S. 62. Foucault: Archéologie du savoir, S. 85.

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fest verortete Strategie etwa in dem in Surveiller et Punir untersuchtem Panoptikon, ein Gefängnis, in dem alle Räume von einem zentralen Ort eingesehen werden können (S. 81). In Bourdieus Le Bal des célibataires sei das Haus der Ausgangspunkt aller strategischen Prinzipien: als Ort des Besitzes und der Nachfahren gleichzeitig.152 Diesem Fokus auf fest verortete Strategien setzt de Certeau die Auseinandersetzung mit dem taktischen modus operandi entgegen. Anders als die immer zu verortende Strategie, so de Certeau, dringe die Taktik in den Ort des anderen ein und versuche, mit den Gegebenheiten und Gelegenheiten zu spielen (S. 62). Sie sei weder das Mittel diskursiver Überwachung wie beim Panoptikum, noch eine verwurzelte ›Tradition‹ wie bei Bourdieu, sondern eine ständige Reaktion, die jedoch durchaus in der Lage sei, Veränderungen herbeizuführen. Die Taktik könnte demnach als Reaktion auf die Macht der Strategie gesehen werden. Die Kompatibilität mit Bourdieus Feldtheorie wird deutlich, wenn de Certeau im Sinne des bourdieuschen Habitus, auf den er sich oft bezieht,153 betont, die Taktik könne keine Strukturen schaffen, sondern sei abhängig von den ihr gebotenen Strukturen – oder, wie Bourdieu sagen würde: dem Feld, in dem sich der Handelnde befindet –, gleichzeitig aber die Möglichkeiten darstellt, welche die Taktik schaffen kann: Während strategische Vorgehensweisen lange Planung einer etablierten Macht beinhalten und auf zeitliches Fortdauern angelegt sind, sei die Taktik improvisierend und versuche, einzelne ›Coups‹ zu landen.154 Man könnte also von der Taktik als einer ex-zentrischen Strategie sprechen.155 Ein genauerer Blick auf Bourdieus Analyse der Éducation Sentimentale zeigt allerdings, dass er dort den Begriff der Strategie just im Sinne der certeauschen Taktik verwendet als ein Verhalten, das keinen festen Ort als Aus152

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Certeau: L’invention du quotidien, S. 85-89. Dass Foucault in seinem Aufsatz »Le pouvoir, comment s’exerce-t-il?« die Strategie definiert als Versuch mit dem festen Ziel, andere zu kontrollieren und zu besiegen und betont, dass die Formen des »gouvernement« des Menschen immer stärker rationalisiert und zentralisiert wurden (S. 318), rechtfertigt de Certeaus Interpretation, auch wenn Foucault Macht nicht grundsätzlich fest verortet. Ähnliches gilt für Bourdieu, in dessen Esquisse d’une théorie de la pratique de Certeau zufolge, trotz aller Unterschiede zu Foucaults strategischem Panoptikum, insofern eine ähnliche Konzeption der Strategie zeige, als sie ebenso an einem festen Ort verankert sei. Zwar erläutere Bourdieu, dass die von ihm beschriebenen Strategien keine freie Wahl beinhalten, alternativlos seien und ohne Berechnung vollzogen werden, de Certeau betont aber, dass auch sie von einem festen Ort aus gesteuert werden und spricht von einer »économie du lieu propre« (Certeau: L’invention du quotidien, S. 90). Vgl. Certeau: L’invention du quotidien, S. 71, 92 ff., 97. Vgl. ebd., S. 51, 57-63. Diese Differenzierung ist durchaus schon bei Foucault angelegt, der 1977 in »L’Œuil du Pouvoir«, dem Vorwort zu Benthams Le Panoptique, in Bezug auf die Architektur von den »grandes stratégies de la géopolitique« und von den »petites tactiques de l’habitat« (S. 192) spricht und Strategien als größere Einheiten sieht, die sich aus verschiedenen, partikulären Taktiken zusammensetzen, etwa wenn er über die Entstehung eines Machtdispositivs sagt: »Ces tactiques ont été inventées, organisées à partir de conditions locales et d’urgences particulières. Elles se sont dessinées morceau par morceau avant qu’une stratégie de classe les solidifie en vastes ensembles cohérents.« (S. 202).

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gangspunkt haben kann. Dies wird insbesondere beim Protagonisten Frédéric deutlich, der, wie Bourdieu betont, zwischen Zugehörigkeit zur Bohème und zur Bourgeoisie schwankend, »stratégies de double jeu ou de dédoublement« verfolge: durch gleichzeitige Liebeserklärungen an die provinzielle Louise Roque, an die großbürgerliche Mme Dambreuse, an Rosanette als Vertreterin der künstlerischen Bohème sowie an die Frau von M. Arnoux, der als Galerist und Herausgeber einer Kunstzeitschrift sowohl ästhetischen wie ökonomischen Anspruch in einem »établissement hybride« vereint.156 Frédérics Spielen mit verschiedenen Optionen ohne Festlegen auf eine Position, müsste nach Definition de Certeaus nicht als Strategie, sondern als Taktik bezeichnet werden. Denn Frédéric beweist seine Ortlosigkeit à la lettre darin, dass er seine Geliebten immer in ihren Häusern aufsucht und dadurch zwischen den Orten des Großbürgertums, der Bohème, der Provinz und des Kleinbürgertums (Mme Arnoux) verkehrt, ohne sich an einem Ort niederzulassen. Von den Taktiken der Behauptung soll indes nicht nur in Bezug auf literarische Protagonisten gesprochen werden. Vielmehr soll dies auf alle bisher untersuchten Ebenen, des Subjekts, des Autors sowie der Begriffe übertragen werden. In Bezug auf das Subjekt lässt sich von einer taktischen Behauptung sprechen, da der Dandy nicht von einem zentralen Ort seiner Behauptung ausgehen kann. Denn auch wenn die Behauptung des Dandys als »König der Mode« zunächst eine starke Machtposition suggeriert,157 ist diese Herrschaft ohne festen Ort. Da die Mode einem beständigen Wandel unterworfen ist, kann der Dandy nicht kontinuierlich über sie herrschen, sondern muss ununterbrochen neue Erscheinungen kreieren. Wenn der »König der Mode« aber begeistert nachgeahmt wird, ist seine Erscheinung schnell nicht mehr modisch und er muss nach anderen Mitteln der Distinktion suchen. Elena Esposito zufolge wird Originalität in der Mode dadurch möglich, dass sie zwar ständig kopiert werde, doch ebenso »unaufhörlichen Transformationen« folge, die einzige Konstanz der Mode bleibe ihre ständige Verwandlung.158 Auch Barthes betont die besondere Temporalität der Mode, die als ein rächerisches Heute das vorherige Jahr seiner Bedeutung beraube.159 Deswegen bleibt dem Dandy nichts anderes übrig, als immer wieder kurz aufflackernd Überlegenheit zu demonstrieren und, bevor er der allgemeinen Nachahmung zum Opfer fällt, auf andere Weise originell zu sein, ohne dabei eine tatsächliche strategische Machtposition innezuhaben. Deutlich wird dies am Beispiel Brummells gerade in Bezug auf den tatsächlichen König, George IV., dessen Herrschaftsanspruch Brummell durch Selbsternennung zum ›König der Mode‹ beständig aufs Neue herausfordern kann, ohne dazu indes eine ähnliche Legitimation zu besitzen. Das Subjekt kann seine Coups nur landen, indem es auf vorgegebene Konstellationen reagiert, aber gleichzeitig kann es diesen neue, allerdings nur temporäre Hierarchien, wie die des ›Königs der Mode‹, entgegensetzen.160 156 157

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Flaubert: Éducation Sentimentale, S. 35, vgl. Bourdieu: Les règles de l’art, S. 25, S. 42 f. Vgl. Fremy: Le Roi de la Mode, Barbey: Du Dandysme, S. 701, Boulenger: George Brummel, S. 10-14, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 32, Natta: Grandeur Sans Convictions, S. 43, Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 112. Esposito: Die Verbindlichkeiten des Vorübergehenden, S. 27. Barthes: Système de la Mode, S. 366. Anstelle einer Topographie mit festen Raumstrukturen impliziert die Taktik eine dynamische Topologie, in der das Subjekt Raumstrukturen erst durch

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Auf der Ebene von Foucaults zweiter Formationsregel, der Modalität der Äußerung, verdeutlicht de Certeaus Differenzierung den Unterschied zwischen den Taktiken der Behauptung und den Strategien der epistemologischen Diskurse. In der Tat kann in Bezug auf die Modalität der Äußerung bei wissenschaftlichen Diskursen von Strategien gesprochen werden, insofern diese oft vom festgelegten Ort einer wissenschaftlichen Institution operieren, ein Beispiel, das de Certeau selbst angibt.161 Die Diagnose der Verrücktheit etwa operiert von der Institution Psychiatrie aus. Die Behauptung indes wird nicht aus einer institutionalisierten Stellung vollzogen und der Autor muss seine Autorität auf dem Gebiet des Dandyismus eigens und immer wieder neu behaupten.162 Bezogen auf die Frage nach der Selbstbehauptung der Literatur heißt dies, dass, ähnlich wie das Subjekt, sich der Autor nicht losgelöst von seiner Situation behaupten kann, sondern mit den gegebenen Konstellationen leben muss, beispielsweise Gautier, der sein Bedürfnis nach autonomer Literatur mit journalistischen Beiträgen finanzieren muss. Auch in Bezug auf die textuellen Behauptungen des Autors lassen sich wechselnde Taktiken beobachten. Barbey vertraut beispielsweise am 29.3.1844 seinem Verleger Trebutien über seinen Essay an: »[J]e prétends, dans Brummell, que le Dandysme ne s’acclimatera jamais parfaitement dans ce pays […].«163 So stellt er seine Behauptung distanzierend als Anmaßung dar. Die Behauptung einer Autor-Intention müsste sich, ähnlich wie die Aufteilung in wahre und Pseudo-Dandys in Balzacs Traité, darum bemühen, eine der beiden Aussagen umzudeuten und sich fragen, ob Barbey nun ernsthaft glaubt oder nur vorgibt, dass es in Frankreich keine richtigen Dandys geben könne. Hier wiederum soll dies als wechselnde Taktiken der Behauptung angesehen werden, deren grundlegende Eigenschaft es ist, sich den ›Begebenheiten‹ bzw. hier dem Kontext anzupassen, um einen rhetorischen Effekt zu erzielen. Dementsprechend wird nicht nach der Autor-Intention hinter dem Text gefragt, sondern die Aussagen vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Taktik erörtert, ohne sich die Frage nach der Meinung des Autors oder der Wahrheit stellen zu müssen. Die Wechselhaftigkeit der Taktik bei der Behauptung der Originalität und Exzentrik ist schon in deren etymologischen Gegensatz zwischen zeitlichem Ursprung und örtlicher Abgrenzung zu beobachten. Denn, wie in Kapitel 7 zu zeigen ist, wird dem Dandyismus einerseits immer wieder ein Ursprung zugesprochen: ein erstes einzigartiges Original, nach dem sich alle anderen Dandys orientieren. Andererseits wird diese Konzentration auf einen Mittelpunkt ex-zentrisch aufgelöst, indem die Universalität und Diversität des Phänomens bedeutet wird. Diese unterschiedlichen Taktiken lassen sich, ähnlich wie Whites Begriff der Diataktik, nicht als These und Antithese dialektisch zu einer Synthese auf einer höheren Ebene aufzulösen, da dies eine übergeordnete Position implizieren würde, welche sich über die Widersprü-

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Handlungen performativ schafft. Borsò bezeichnet diesen performativen Aspekts der Taktik im Sinne der Performativität der Behauptung als »›performance‹ del espacio« (Borsò: La performance del espacio, S. 315 f., vgl. Borsò: Grenzen, Schwellen und andere Orte, S. 20 f.). Certeau: L’invention du quotidien, S. 53. Der Zusammenhang von Diskurs und Macht, auf den Foucault sich bekanntlich in seinen späteren Arbeiten konzentriert, spielt insofern für die Taktiken der Behauptung keine zentrale Rolle. Barbey: Lettres à Trebutien, Bd. I, S. 124.

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che hinwegsetzt. Stattdessen sollen diese taktischen Spannungen als solche stehen gelassen werden, da sie es sind, welche dem Dandy die von Baudelaire ins Spiel gebrachte ewige Überlegenheit sichern – in Form von ständig neuen Behauptungen, was ein Dandy ist.

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Vgl. White: Tropics of Discourse, S. 4.

4. D I E B E H A U PT U N G

DES

S U BJ E K T S To have done it was nothing, but to make people think one had done it was a triumph. Oscar Wilde

Die Frage nach dem Dandy beginnt nicht mit dem Ursprung der Behauptung, stützt sich aber auf die Behauptung des Ursprungs: »Am Anfang war George Bryan Brummell«, so der Forschungskonsens, den Hans Hinterhäuser hier in Anlehnung an die Genesis formuliert.1 Diesem Konsens möchte ich insoweit folgen, als ich Brummell zwar nicht als zeitlichen, so doch als inhaltlichen Ausgangspunkt für die Behauptung des Subjekts nehme.2 Über Brummell heißt es in einer Fachzeitschrift für Psychoanalyse: »A Lady Hester, grande figure de l’excentricité britannique, Brummell aurait confié: ›Qui a jamais entendu parler du père de Brummell, et qui aurait entendu parler de Brummell lui-même, s’il avait été simplement ce qu’il est? Mais vous savez ma chère Lady Hester que c’est ma folie qui fait mon succès (it is my folly that is the making of me). Si je ne dévisageais pas avec impertinence les duchesses décontenancées, si je ne saluais pas les princes d’un signe de tête désinvolte, on m’oublierait 3 en une semaine.‹«

Diese Anekdote illustriert bereits die hier relevante Kopplung von Behauptung und Selbstbehauptung. Denn es soll erstens darum gehen, wie George Brummell sich selbst gegenüber der Gesellschaft als Subjekt behauptet und, im doppelten Wortsinn, sich produziert: eine Persönlichkeit konzipiert und sich mit dieser in Szene setzt.4 Die zitierte Anekdote thematisiert explizit seine performative Impertinenz, die das implizite Thema vieler anderer, hier zu untersuchenden Anekdoten ist. Zweitens soll gefragt werden, wie Anekdoten 1

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Hinterhäuser: Fin de Siècle, S. 77, vgl. Moers: Dandy, S. 17, Lemaire: Le Dandysme, S. 5, Prevost: Dandysme, S. 27, Laver: Dandies, S. 9, Mann: Der moderne Dandy, S. 2, Stanton: The Aristocrat as Art, S. 41, Boüexière: Dandysme, S. 23, Delbourg: Masculin Singulier, S. 9, Natta: Grandeur Sans Convictions, S. 37, Coblence: Obligation d’incertitude, S. 37, Scaraffia: Petit dictionnaire du dandy, S. 17, Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 39, Feldman: Gender on the Divide, S. 1, Levillain: L’esprit dandy, S. 8, Eisenberg: The Figure of the Dandy, S. 1, Gnüg: Dandy, S. 816. Zur näheren genealogischen Auseinandersetzung des Ursprung vgl. Kapitel 7.1. Coblence: L’être hors de soi, S. 156. Vgl. zum Begriff des Sich-Produzierens Hörner: Original à tous les sens, S. 73, 77 f.

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als elementar-literarische Elemente dazu benutzt, weitergegeben und modifiziert werden, um Brummell als ein sich selbst behauptendes Subjekt darzustellen. Der Rahmen lässt sich hier von den Memoiren Hester Stanhopes (1846), aus denen diese Anekdote stammt, bis zur Nouvelle Revue de Psychanalyse spannen, in der die Freud-Expertin Françoise Coblence die Anekdote von Stanhope dazu benutzt, dem Dandy einen Hang zum Exzess und zur Überspanntheit zu diagnostizieren – und ihn so zu pathologisieren.5 Die biographischen Eckdaten von George Bryan Brummell erscheinen, ohne pikante Anekdoten gespickt, zunächst unspektakulär und keineswegs exzessiv. Er wird am 7.6.1778 geboren, sein Vater stand in Kontakt zu den liberalen Politikern Sheridan und Charles Fox. Brummell besucht Eton und Oxford und wird 1794 Kornett des 10. Husaren-Regiments, wo er die Bekanntschaft des Prinzen und späteren Königs George IV. macht. 1796 wird er zum Captain befördert, tritt 1798 aus der Armee aus und wird Mitglied der exklusiven Clubs White’s und Watier’s. Brummell, der sich bei einem Reitunfall die Nase brach, sei Arnould Fremy zufolge kein schöner Mann gewesen.6 Er überwirft sich mit dem König, verlässt England 1816 wegen Spielschulden, um nach Calais zu ziehen, reist 1830 kurz nach Paris und nimmt dann eine Stelle als Konsul in Caen an, die ihm bald wieder gekündigt wird. Er begegnet 1832 Jesse, kommt 1835 ins Schuldengefängnis, dann in die Psychiatrie und stirbt am 30.3.1840 im Armenhaus Bon Sauveur.7 Nach bürgerlichen Maßstäben gemessen dürfte seine Karriere trotz bescheidener Militärlaufbahn wohl als gescheitert gelten. Und auch sein modisches Erscheinungsbild war, Zeitgenossen zufolge, unauffällig. »Brummell […] was exceedingly plain and simple in dress«, schreibt sein Freund Thomas Raikes.8 Erst die Anekdoten erzeugen also die Faszination am Dandy: 5

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Ihre Übersetzung des englischen folly mit folie zeigt, dass sie Brummells Selbstinszenierung, im Sinne von Foucaults Formation von Objekten, als Geisteskrankheit pathologisiert (vgl. Coblence: Le dandysme et la règle, S. 170), obwohl folly eher im Sinne von ›Absurditäten‹ zu verstehen ist, ein Begriff, den Brummell im Original selbst verwendet: »But you know, my dear Lady Hester, it is my folly that is the making of me. If I did not impertinently stare duchesses out of countenance, and nod over my shoulder to a prince, I should be forgotten in a week: and, if the world is so silly as to admire my absurdities, you and I may know better, but what does that signify?« (Stanhope: Letters, Bd. II, S. 244, vgl. Moers: Dandy, S. 18, Prevost: Dandysme, S. 29, Campbell: Brummell, S. 96). Fremy: Le Roi de la Mode, S. 246. In seinem Nachruf auf Brummell formuliert er etwas euphemistischer, Brummells gebrochene Nase hätte jeden anderen Mann entstellt (Fremy: La Mort de Brummell, S. 22). Harriette Wilson folgert aus Brummells Unglück resolut: »nobody could have mistaken him for handsome«, auch wenn sie an anderer Stelle schreibt: »No doubt he was very handsome.« (Wilson: Memoirs, S. 40, 60) Brummells Biograph Jesse merkt konzilianter an, er sei weder schön noch hässlich (Jesse: Brummell, S. 36). Die unterschiedlichen Darstellungen von Brummells Nase in Porträts sind wohl auf die verschiedenen Beschönigungstechniken zurückzuführen (vgl. die Abbildungen und den Kommentar in Kelly: Brummell, gegenüber von S. 242). Vgl. zu dieser Darstellung die Biographien: Campbell: Brummell, Jesse: Brummell, Kelly: Brummell. Raikes: France, Bd. II, S. 374. Zu Raikes Bekanntschaft mit Brummell vgl. Prevost: Dandysme, S. 19 FN. Vgl. zum Erscheinungsbild Brummells: »There was in fact nothing extreme about Brummell’s personal appearance.« (Jesse: Brummell, S. 47) »He was always studiously and remarkably well-dressed, never

DIE BEHAUPTUNG DES SUBJEKTS | 65 »Le dandy ne pourrait vivre sans la pérennité de l’anecdote; l’éphémère de ses gestes et de ses conduites se fixe en récits journaliers qui bientôt deviennent, d’écho en écho, des exemples typiques, sinon idéal-typiques, du comportement dandy. […] Le dandy vit de l’anecdote et de l’écho de cette anecdote, qui, amplifiée, magnifiée, et figée, devient œuvre d’art du quotidien.«9

Dass die Anekdote das Vergängliche des Dandys nicht nur für die Ewigkeit bewahrt und einen Kanon von Eigenschaften dandyistischen Verhaltens aufstellt, sondern durch ständige Überlieferung ein überlebensgroßes Bild liefert, wie Martinon hier schreibt, deutet an, dass die Anekdoten ebenso wie sie die Selbstbehauptung Brummells darstellen, selbst Behauptungen über Brummell sind und ein Eigenleben entwickeln. Weitergehend als Sima Godfrey, welche die Anekdote als transzendentale Vergegenwärtigung der Gesten des Dandys betrachtet,10 möchte ich hier der Frage nachgehen, wie Brummells Selbstbehauptung durch Anekdoten überhaupt erst dargestellt wird; zunächst als elementar-literarisches Element in ihrer Zirkulation in unterschiedlichen Texten, dann in den fashionable novels und Balzacs Traité und schließlich reflektiert und elaboriert in Barbeys Essay Du Dandysme.

4 . 1 D i e B r u m m e l li an a Neben den biographischen Daten zu Brummell liefert Jesses Biographie eine nahezu vollständige Sammlung der Anekdoten über Brummell.11 Moers zufolge erweist sich Jesses Biographie als Zusammenschau verschiedener Anekdoten, die er selten aus erster Hand erhielt, da er zumeist außerhalb Englands weilte: »The principal source, on which Jesse drew, however, was the ephemeral literature of the day: fashionable novels, salon verses, lampoons, burlesques and miscellaneous sketches. These trifles are still the fountainhead of Brummelliana […].«12 Auch wenn sie den elementar-literarischen Charakter dieser Quellen mit abschätzigen Formulierungen wie ephemeral und trifles zum Ausdruck bringt, unterstreicht sie doch deren Ergiebigkeit für An-

outré.« (Raikes: Journal, Bd. II, S. 217) oder Wilson, die als eine Maxime Brummells (»maxims of dress«, S. 41) wiedergibt, dass man nicht gut gekleidet ist, wenn sich der Durchschnittsengländer nach einem umdreht: »If John Bull turns round to look after you, you are not well dressed; but either too stiff, too tight, or too fashionable.« (Wilson: Memoirs, S. 40, vgl. Ribeiro: The Art of Dress, S. 100, Laver: Dandies, S. 21). 9 Martinon: Dandy, S. 20 f. Darauf weisen ferner hin: Onfray: Journal hédoniste, S. 24, Godfrey: The Dandy as Ironic Figure, S. 23, Onfray: Journal hédoniste, S. 24, Forbes: Dandyism, S. 527, Frain: J’ai écouté les hommes, S. 70, Eisenberg: The Figure of the Dandy, S. 5, Boulenger: George Brummel, S. 9, 18, Pezzini: Dandy, S. 93. 10 Godfrey: The Dandy as Ironic Figure, S. 23. 11 Jesse selbst berichtet in seiner Biographie, er sei bei seinen Recherchen auf die Sammlung Anecdotes of Impudence gestoßen und enttäuscht gewesen, dort keine Anekdoten über Brummell gefunden zu haben (Jesse: Brummell, S. 71). Alle Zitate Jesses beziehen sich im Folgenden auf seine Biographie The Life of George Brummell. 12 Moers: Dandy, S. 23.

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ekdoten über Brummell; ihrer Aufzählung sind nur noch Memoiren13 und Zeitungsartikel als hier relevante Literatur hinzuzufügen.

4.1.1 Selbstbehauptung und Ironie Mit »Brummelliana« ist auch ein Artikel des Literaturkritikers William Hazlitt betitelt, erschienen am 2.2.1828 in der London Weekly Review. Brummells Selbstinszenierung besteht Hazlitt zufolge darin, kleine, ihn betreffende Banalitäten auf provokante Weise zu Dingen von eminenter Wichtigkeit zu stilisieren. Als Klassiker bezeichnet Hazlitt die Antwort gegenüber einem Bekannten, der Brummells Fußverletzung bedauerte: »I am sorry for it too, […] particularly as it’s my favourite leg!«14 Mehr noch als die Anekdote die Empfindlichkeit Brummells und seine Fähigkeit, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen, zum Ausdruck bringt, wie Hazlitt schreibt, berichtet sie von einer Provokation, die typisch für Brummell ist. In ihrem Aufsatz »The Dandy as Ironic Figure« bezeichnet Sima Godfrey dies als dandyistische Ironie. Während unter Ironie im allgemeinen Sinn verstanden werde, das Gegenteil dessen zu sagen, was man meint, bestünde Brummells Ironie darin, so ließe sich Godfrey paraphrasieren, das Gegenteil dessen zu sagen, was der Gesprächspartner meint, erwarten zu dürfen (S. 28). Mit der Replik des favourite leg, so Godfrey weiter, ästhetisiere Brummell nicht nur den eigenen Körper, sondern verblüffe seinen Gesprächspartner, weil er auf das aus Höflichkeit vorgetragene Bedauern über sein Malheur, eine ebenso konventionalisierte wie unpassende Antwort gibt (S. 30). In einem weiteren Beispiel, das Hazlitt in »Brummelliana« anführt, unterbricht Brummell die romantische Unterhaltung über Gänseblümchen, in dem er seinen Diener fragt: »On what day of the month did I first see a daisy, Matthew?« und dieser antwortet, am 1. Februar (S. 154). Durch die exakte Information, die er anfordert, macht er eine Fortführung des Gespräches über den kommenden Frühling zunichte, lagert die Erinnerung an das poetische Erlebnis in das Gedächtnis seines Dieners aus und ironisiert so die zum Ausdruck gebrachten Frühlingsgefühle.15 Diese performative Provokation des Gegenübers durch überraschende Antworten, die den Konversationsversuch des Gegenübers ins Leere laufen lassen, zeigt sich in ihrer pointiertesten

13 Vgl. Raikes: Journal, Hobhouse: Recollections, Gronow: Reminiscences and Recollections, Gronow: Recollections and Anecdotes, Lennox: Fashion, bis zu heutigen Anekdotensammlungen wie George: A Book of Anecdotes, S. 146, Fadiman: Anecdotes, S. 82. Vgl. auch die Scholie »Brummelliana« in Agamben: Stanzen, S. 95 f. 14 Hazlitt: Brummelliana, S. 152 f., vgl. Fadiman: Anecdotes, S. 82, Prevost: Dandysme, S. 29. 15 Ähnlich funktioniert die Anekdote, bei der ihn ein Gesprächspartner fragte, welcher See ihm auf seiner Reise durch Nordengland am meisten gefallen habe. Brummell gibt auch diese Frage an seinen Diener weiter: »Which of the lakes do I admire?« und bestätigt dessen Antwort mit »Windermere, […] so it is, – Windermere« (Jesse: Brummell, S. 80, vgl. Fadiman: Anecdotes, S. 82, Timbs: Eccentrics, S. 33, Woolf: Brummell, S. 4, Moers: Dandy, S. 18). Hier kommt nicht nur das Desinteresse an allem, was außerhalb des urbanen Zentrums London liegt, zum Ausdruck, sondern die Aussage wird, indem sie explizit bestätigt wird, gleichzeitig ironisch gebrochen.

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Form in Brummells Antwort auf die Frage, ob er jemals einen so verregneten Sommer gesehen habe: »Yes, last winter«16. Die Performativität einer solchen Ironie spricht Hazlitt an. Ihm zufolge ist Brummells Antwort auf die Frage, ob er denn kein Gemüse esse – nämlich: er habe in der Tat einst eine Erbse gegessen – die Kunst, die Beleidigung auf das geringste Maß zu reduzieren.17 Brummells geistesgegenwärtige Weigerungen, der Konversation in ihren vorgeschriebenen Bahnen zu folgen, geht also mit einer demonstrativen Herabsetzung des Gesprächspartners in möglichst kurzer Form einher. Brummell bricht nicht nur die Erwartung des Gegenübers, wie Godfrey schreibt, sondern tut dies auf eine Weise, bei der sich dieser in seinen eigenen Motiven karikiert sieht. So soll Brummell einer adeligen Frau, die sich glücklich äußerte, dass er sich mit ihr unterhält, entgegnet haben, sie solle dies nicht weitererzählen, denn es habe keiner gesehen.18 Die Antwort Brummells entlarvt die Hoffnung der Adligen, sich mit ihrer neuen Bekanntschaft vor anderen zu brüsten.19 Seine Aufmerksamkeit wird dabei als besondere Gnade für Auserwählte dargestellt, welche den tatsächlichen Standesunterschied zwischen der adligen Lady und dem bürgerlichen Brummell umkehrt. Dass diese Aufmerksamkeit im wahren Sinne Gold wert ist, illustriert eine weitere Anekdote: Einem Schuldner entgegnet er, er habe ihm doch schon damit seine Schulden beglichen, dass er sich in der Öffentlichkeit nach seinem Wohlbefinden erkundigt habe.20 Die Selbstbehauptung besteht also darin, trotz der unterlegenen und eigentlich ›peinlichen‹ Situation, Geistesgegenwart und Kaltblütigkeit zu bewahren, um Herablassung zu demonstrieren. So treibt Brummell, einer Anekdote zufolge, den Vorschlag des Gastgebers, seine Freunde mitzubringen, zum Äußersten, indem er erstaunt berichtet, dass der Gastgeber tatsächlich den Mut hatte, sich dazuzugesellen.21 Barbey kommentiert in Du Dandysme, Brummell benutze die Ironie dazu, seine Gesprächspartner zu überraschen und zu täuschen, um sie in ihrer Eigenliebe erstarren zu lassen: »C’est le génie de l’Ironie qui le rendit le plus grand mystificateur que l’Angleterre ait jamais eu.« (S. 694) Diese schlagfertigen und kunstvollen Täuschungen, die Barbey hier lobt, entsprechen dem theoretisch postulierten Grundzug der Anekdote, mit einer ungewöhnlichen Ent16 Brummell: Jesse, S. 81, vgl. Timbs: Eccentrics, S. 33. 17 Hazlitt: Brummeliana, S. 153, vgl. Jesse: Brummell, S. 80, Fadiman: Anecdotes, S. 82, George: A Book of Anecdotes, S. 25, Fremy: Le Roi de la Mode, S. 256, Moers: Dandy, S. 21. Byron zitiert diese Anekdote mit dem Hinweis, sie sei ihm von einem Augenzeugen berichtet worden (Moore: Life of Byron, S. 189). 18 Jesse: Brummell, S. 81. 19 Ebenso soll er eine Einladung akzeptiert haben, unter der Bedingung, dass es der Gastgeber, ein reicher Händler, es niemandem erzähle. Die feierliche Formulierung »With pleasure, if you will promise faithfully not to tell« lässt an ein unmoralisches Angebot des Gastgebers denken und erinnert den Händler daran, dass er dies nur aus Prestigegründen tut. Vgl. Jesse: Brummell, S. 79 f., Lemoinne: Brummell, S. 232 f., Sitwell: English Eccentrics, S. 134. 20 Jesse: Brummell, S. 226. Einer anderen Version zufolge soll Brummell gar mehrere Schuldner damit abgewiesen haben: »have not I called you Dick, Tom, and John, you rogues? And was not that worth all the money to you?« (Wilson: Memoirs, S. 604). 21 Jesse: Brummell, S. 74, vgl. Lemoinne: Brummell, S. 232, Sitwell: English Eccentrics, S. 134.

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wicklung der Handlung oder einer Pointe zu enden.22 So gliedert Schäfer die Anekdote in occasio, provocatio und dictum.23 Die hier dargestellten Aussprüche Brummells weisen zumeist diese Struktur auf: Zunächst wird eine bestimmte Situation beschrieben, dann eine provocatio, eine Herausforderung an den Helden, gestellt – oft nur eine wohlmeinende an Brummell gerichtete Frage –, worauf dieser mit einem dictum, einem Ausspruch, reagiert. Die Provokation ist dabei allerdings nicht in der provocatio, sondern erst im dictum Brummells zu finden.

4.1.2 Das Wort als Waffe Dieses provokative dictum bezeugt den performativen Charakter der Behauptung, die gleichzeitig Aussage sowie Selbsterhöhung und Erniedrigung des Gegenübers ist. Judith Butler spricht in Bezug auf Austin von einem hatespeech, derzufolge Worte nicht nur Handlungen darstellen, sondern auch physisch verletzen können.24 Dieses Wort als verletzende Waffe ist ein zentrales Bild in der Behauptung von Brummells Selbstbehauptung. Barbey folgert in Du Dandysme aus seinem oben zitierten Lob der Ironie Brummells mit lobender Erwähnung Hazlitts: »Il était mordant dans la conversation autant qu’Hazlitt dans ses écrits. Ses mots crucifiaient […].« (S. 694 f.) Das Wortfeld der Körperverletzung, das mit mordre und crucifier bedient wird, erweitert Barbey, wenn er folgert, Brummell habe mit dieser Waffe so geschickt umgehen können, dass er seine Worte seinem Gegenüber nicht an den Kopf warf, sondern beiläufig fallen ließ. In einer Fußnote präzisiert er: »Il ne les lançait pas, mais il les laissait tomber.« (S. 695 FN) Auch Boulenger spricht von der »ironie brutale« von Brummells Aussprüchen in martialischen Formulierungen: »Ses ›mots‹ sont brutaux comme des coups de poing« und folgert: »Ainsi les ›mots‹ de Brummel25 sont sans pointe; ils ne piquent pas, ils assomment.«26 Sein Wortspiel, dass die Anekdoten keine Pointen haben und somit den Gegenüber nicht ›sticheln‹, sondern erschlagen, unterstreicht, dass Brummell nicht nach geistreicher Konversation strebt, sondern das Wort als gefährliche Waffe gebraucht.27 Während Butler die direkte physikalische Implikation des Körpers betont und das Wort als Waffe über das

22 Vgl. Grothe: Anekdote, S. 30, Hendrix: Historiographical anecdotes, S. 19. 23 Schäfer: Die Anekdote, S. 30, vgl. W. Schäfer: Anekdote – Antianekdote, S. 13, Neureuter: Zur Theorie der Anekdote, S. 473, Montandon: Anecdote, S. 215. 24 Vgl. Butler: Excitable Speech, S. 1 ff., Schuhen: Dandy, Dichter, Demagoge, S. 339. 25 Die Schreibweise Brummel war fast ebenso weit verbreitet wie die korrekte Schreibweise Brummell, die auf der Geburtsurkunde steht, vgl. Kelly: Brummell, S. ix. 26 Boulenger: George Brummel, S. 14, 15, 17, vgl. u.a. Montandon: Honnête Homme, S. 256, Lemaire: Le Dandysme, S. 17, Eisenberg: The Figure of the Dandys, S. 5, Ihrig: Literarische Avantgarde, S. 18-23. 27 Auch Alain Montandon spricht so von den »plaisanteries cruelles« des Dandys (Montandon: L’étiquette et le dandy, S. 8). Überraschend ist, dass Stanton in ihrem Kapitel »Self-Assertion and Metaphors of War« über Selbstbehauptung und Kriegsmetaphern nicht das Wort als Waffe behandelt (Stanton: The Aristocrat as Art, S. 63-106), obwohl sie selbst sich solcher Kriegsmetaphern bedient, wenn sie über den Dandy feststellt, »he could […] crush his interlocutor under the dead weight of a lapidary phrase.« (S. 171)

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rein Metaphorische hinausgehend konzipiert,28 zeigt sich hier also die Ausarbeitung dieser Metapher – und zwar ›nur‹ in Worten. Das diesbezüglich oft verwendete Verb »to cut«, im Sinne des ›Schneidens‹ einer Person, bringt die Verletzung des Gegenübers bildhaft zum Ausdruck.29 Ein Beispiel dafür gibt Medwin in seinen Conversations: Bei einem Dinner stellt Thomas Raikes fest, es seien insgesamt dreizehn Personen anwesend, darauf Brummell: »Why don’t you make us twelve?«30 Der Hinweis auf die Unglückszahl wird für Raikes selbst zum Unglück. Dass der ›geschnittene‹ Raikes in seinen eigenen Memoiren diese Anekdote verschweigt, jedoch feststellt: »Never was there a man who during his career had such unbounded influence, and what is seldom the case, such general popularity in society«31, kann als Hinweis dienen, dass die Brutalität dieser Aussprüche von Brummells Zeitgenossen durchaus toleriert wurde. Brummells Entgegnung auf die Forderung seiner Schuldner, seine Schulden seien durch ein freundliches Wort von ihm getilgt worden, versinnbildlicht, dass die Ehre seiner Aufmerksamkeit mit dem Preis der zu erleidenden Unverschämtheiten bezahlt werden muss. So meint Gregor Schuhen über Brummell, »seine Position als arbiter elegantiarum [wird] innerhalb der Gesellschaft sowohl mit Macht als auch mit einer gewissen Freiheit im Benehmen ausgestattet, die sein impertinentes, ja verletzendes Verhalten nachgrade legitimiert.«32 Das Attribut des arbiter elegantiarum war eine geläufige Paraphrase für Brummells Einfluss in Modefragen, in Anlehnung an die Darstellung von Petronius als elegantiae arbiter durch Tacitus.33 Raikes schreibt in seinem Journal: »No one was a more keen observer of vulgarism in others, or more piquant in his criticisms, or more despotic as an arbiter elegantiarum.« (Bd. II, S. 218) Diese Entscheidungsgewalt untermauert die bekannte Anekdote, in der der Duke of Bedford Brummell um Einschätzung seines neuen Mantels bittet und als Antwort bekommt: »Bedford, do you call this thing a coat?«34 Die Replik lässt Bedford auf schmerzhafte Weise Brummells Wort als Waffe spüren und bedeutet gleichzeitig dem Leser auf scherzhafte Weise – Jesse spricht von »badinage« (S. 43) –, dass Brummell nicht nur Entscheidungsgewalt über die Qualität der Kleidung hat, sondern ebenso über die Frage, was überhaupt ein Kleidungsstück und somit ein Urteil wert sei.

28 Butler: Excitable Speech, S. 4 f. 29 Vgl. Hazlitt: Brummelliana, S. 152, Moers: Dandy, S. 27, Jesse: Brummell, S. 71, Lister: Granby, S. 111. 30 Medwin: Conversations with Lord Byron, S. 107 f. 31 Raikes: Journal, Bd. II, S. 206, vgl. Raikes: France, Bd. II, S. 374. 32 Schuhen: Dandy, Dichter, Demagoge, S. 339. 33 Vgl. Lennox: Celebrities, Bd. I, S. 291, Forgues: Originaux, S. 65, Jesse: Brummell, S. 493, Melville: Brummell, S. 155, Coblence: Obligation d’incertitude, S. 77 ff. 34 Jesse: Brummell, S. 43, vgl. Robins: How to be a Complete Dandy, S. 73, Montandon: L’étiquette et le dandy, S. 13, Forgues: Originaux, S. 67. Eine ähnliche Anekdote besagt, dass Brummell bei einem Spaziergang den ihn begleitenden Lord gefragt haben soll, wie er den Gegenstand an dessen Füßen nenne, um nachdenklich zu erwidern: »Shoes, are they? […] I thought they were slippers.« (Jesse: Brummell, S. 43, vgl. Jerrold: Dandies, S. 208).

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4.1.3 Karneval und the great George himself Diese Selbstbehauptung durch das Wort als Waffe wurde insbesondere in Anekdoten über Brummells Verhältnis zu George IV. illustriert. Laut der bekanntesten Anekdote begegnet Brummell dem König nach einem Streit im Park. Als der König Brummell demonstrativ ignoriert und nur seinen Begleiter anredet, fragt Brummell seinen Begleiter laut: »Who’s your fat friend?«35 Die Anspielung auf die Körperfülle des Königs, die, für sich gesehen, eine plumpe Beleidigung wäre, erhält dadurch ihre Pointe, dass sie ein übertriebenes Echo auf das Verhalten von George IV. darstellt.36 Brummell übertrifft die zur Schau gestellte Ignoranz des Königs, indem er das Spiel des Königs, so zu tun, als würde man sich nicht kennen, übertrumpft. Wo George das Schweigen als Kränkung benutzt, bedient sich Brummell des Redens als Waffe. Die der Anekdote eigene »exemplarische Begegnung gegensätzlicher Mächte«37 ist geprägt von einer Umkehrung der Machtverhältnisse, bei der Brummell als der eigentliche Herrscher über den König behauptet wird. Subtil illustriert dies Brummells kolportierter Ausspruch über den König zu dessen Vertrautem McMahon: »I made him what he is, and I can unmake him.«38 Der ihm durch Geburt zustehende Herrschaftsanspruch des Monarchen wird hier der Herrschaft über die Welt der Mode untergeordnet, die Würde des Königs wird nicht durch seine Herkunft, sondern sein äußerliches Erscheinungsbild legitimiert, das er gemäß der Selbstbehauptung nur Brummell zu verdanken habe. Einer anderen Version zufolge soll Brummell nicht nur mit dem Sturz von George IV., sondern auch mit der Wiedereinsetzung seines Vaters gedroht haben, was angesichts der damaligen politischen Situation umso provokanter erscheint: Zu dieser Zeit lebte George III. in geistiger Umnachtung und wurde seit 1811 von seinem Sohn George IV. vertreten, die Bezeichnung Prinzregent (»prince-regent«) bringt diese uneindeutige und somit schwierige Position von George IV. zum Ausdruck: Die liberalen Whigs, mit denen Brummell verkehrte39, warfen George IV. vor, er habe seine liberalen Prinzipien nach der Aufnahme der Regency aus Angst vor sei35 Jesse: Brummell, S. 190, vgl. Fadiman: Anecdotes, S. 82, Timbs: Eccentrics, S. 33, Timpson: English Eccentrics, S. 90, Medwin: Conversations with Lord Byron, S. 183, George: A Book of Anecdotes, S. 25, Boulenger: George Brummel, S. 14, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 42, Scaraffia: Petit Dictionnaire du Dandy, S. 96, Schickedanz: Dandy, S. 17, Laver: Dandies, S. 16, Campbell: Brummell, S. 117, Moers: Dandy, S. 27 f., Montandon: L’étiquette et le dandy, S. 8, Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 122, Hinterhäuser: Fin de Siècle, S. 79, Robins: How to be a Complete Dandy, S. 73, Walden: Who is a dandy, S. 23. Im Film Beau Brummell von Curtis Bernhardt (1954) stellt Brummell (gespielt von Peter Ustinov) diese Frage an seinen Begleiter Byron. 36 Auf das Übergewicht des Königs soll Brummell einer anderen Anekdote zufolge auch angespielt haben, indem er den König als Big Ben und seine Frau als Benina bezeichnete. Der Vergleich assoziiert die Glockenform der königlichen Figur und setzt diesen mit einem untersetzten Bediensteten des Könighofs gleich, der diesen Spitznamen trug. (Jesse: Brummell, S. 189, vgl. Barbey: Du Dandysme, S. 701, Boulenger: George Brummel, S. 13). 37 Neureuter: Zur Theorie der Anekdote, S. 462. 38 Jesse: Brummell, S. 189 f., vgl. Moers: Dandy, S. 28, Lemoinne: Brummell, S. 235. 39 Jesse bezeichnet Brummell als »a staunch whig« (Jesse: Brummell, S. 136).

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nem Vater aufgegeben und seine ehemaligen Freunde verraten.40 Brummells Drohung spielt also mit der vermeintlichen Vaterangst und unterstellt, dass der Prinzregent keinen Deut besser sei als sein konservativer Vater. Die Drohung Brummells wurde in einem Gedicht von Thomas Moore aufgegriffen, in dem er den Prinzregenten in einer Parodie eines bekannten Briefes von diesem an den Duke of York vom 13.2.1812 sagen lässt: »Neither have I resentments, nor wish there should come ill To mortal – except (now I think on’t) Beau Br–mm–l Who threaten’d, last year, in a superfine passion, 41 To cut me, and bring the old K–ng into fashion.«

Dass die Königsherrschaft als eine Frage der fashion dargestellt ist, unterstreicht hier Brummells Dominanz als König der Mode. Während die Ressentiments des Königs dabei als äußerst humorlos parodiert werden, wird Brummells Reaktion auf den Bruch mit dem König als geistreicher dargestellt. Jesse berichtet, dass sich bei der Versteigerung von Brummells Besitz, nachdem dieser England verlassen musste, in einer seiner vielen Tabakdosen die Widmung von Brummell fand: »This snuff-box was intended for the Prince Regent, if he had conducted himself with more propriety towards me.« (S. 244) Die typische Ironie Brummells inszeniert die Verkehrung der Machtverhältnisse auf süffisante Art. Hier lässt sich der »komische Konflikt« wiederfinden, den Friedrich Jünger definiert als eine Handlung, in der ein »Unterlegener« einen »Überlegenen« provoziert, ohne sich der Anmaßung seiner Provokation bewusst zu sein, und der Überlegene mit seiner Replik die alte Hierarchie wieder herstellt.42 Brummells Auseinandersetzung mit dem König kehrt allerdings die von Jünger aufgestellte Hierarchie zwischen »Überlegenem« und »Unterlegenem« um: Während bei Jünger der Reichsfreiherr, der den König »in der pomphaften Art eines gleichberechtigten Herrschers empfängt«43, durch seine Anmaßung komisch ist, liegt die Komik der Anekdoten darin, dass es dem König als eigentlichem Überlegenem nicht gelingt, die Anmaßungen von Brummell zurückzuweisen. Ganz im Gegenteil behaupten die Anekdoten Brummells Überlegenheit über den König. Diese Untergrabung der königlichen Macht illustriert die Anekdote, derzufolge der Schneider Schweitzer, der zu seinen Kunden den König sowie Brummell zählte, gegenüber einem Baron geäußert haben soll, dass der von Brummell verwendete Stoff dem des Königs eine Idee (»a trifle«) überlegen sei.44 Jesse leitet aus dieser Begebenheit die Aussage ab, dass sich der König an Brummells Kleidungsstil orientierte und ergänzt, dass sich der König des 40 Vgl. dazu Nicolay: Fatal Attractions, S. 330 f. 41 Moore: Works [1901], S. 454. Vgl. Jesse: Brummell, S. 189, Raikes: Journal, Bd. II, S. 207. Anders als Moers behauptet (Moers: Dandy, S. 27), stammt dieses Zitat nicht aus Intercepted letters; or, the twopenny post-bag [1813], in dem allerdings auch mit »B–l« auf Brummell angespielt wird (Moore: Works [1901], S. 460), sondern aus dem Gedicht Parody of a Celebrated Letter. 42 Jünger: Über das Komische, S. 15-28, vgl. Schäfer: Die Anekdote, S. 51. 43 Jünger: Über das Komische, S. 16. 44 Melville: Brummell, S. 42 ff., vgl. Gronow: Recollections and Anecdotes, S. 44 f. Beerbohm folgert aus Brummells stilistischer Überlegenheit: »He patronised all his patrons.« (Beerbohm: Dandies, S. 7, vgl. Hamard: Le Dandy, type et stéréotype, S. 69).

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Öfteren zu Brummell begab, um ihm beim Ankleiden zuzuschauen.45 Darüber berichtet Raikes: »He […] lived in a house in Chesterfield-street; where, as he has often told me, the Prince would come in the morning to see his toilette, and would sit there so late, that he would send away his horses, and insist on Brummell giving him a quiet dinner, which generally ended in a deep potation.«46 Die Aufhebung der hierarchischen Barrieren, die im gemeinsamen Alkoholkonsum enden, betont Raikes explizit auch in seinem Journal, wenn er die Beziehung der beiden als »violent intimacy, notwithstanding the disparity of rank« (Bd. II, S. 207) bezeichnet. Ähnlich wie im Bachtinschen Karneval werden die Machtverhältnisse in der Anekdote dauerhaft aufgehoben und auf den Kopf gestellt: Aus der feierlichen Zeremonie des lever du roi, wie von Louis XIV. zelebriert, wird der Besuch des Königs bei Brummell als »lever du roi à l’envers«47. Im Gegensatz zur karnevalistischen Exzentrizität des monde à l’envers48 wird diese Umkehrung allerdings nicht in ihrer Willkürlichkeit gefeiert, sondern ist Ausdruck der erfolgreichen Selbstbehauptung Brummells. Wo im Karneval im Bachtinschen Verständnis ein gewöhnlicher Sklave zum König gekrönt wird und gleich wieder erniedrigt wird, schwingt sich Brummell in den Anekdoten zu einem ernstzunehmenden Herrscher auf, Raikes etwa bezeichnet ihn als »the supreme dictator, ›their club’s perpetual president,‹ laying down the laws in dress« und Lennox spricht von den »days that Brummell reigned supreme as the king of dandies«49. Diese Ernennung von George Brummell zum König im Reich der Mode und somit als Gegenkönig zu George IV. wird verstärkt durch die Namensgleichheit, die Gronow ausnutzt, wenn er in seinen Reminiscences and Recollections Brummell als »king of the dandies« und als »the great George himself« bezeichnet (S. 1 f.): eine Bezeichnung, die im Grunde Königen wie »Alexander the great« vorbehalten ist und somit auch die Ruhmlosigkeit von George IV. konterkariert. Die Vorstellung, wie ein Land, so habe auch das Reich der Mode seinen Herrscher in der Person Brummells, äußert auch Lemoinne, der die Behauptung Brummells als »roi des dandies« rechtfertigt mit: »En Angleterre […] ce pays de la discipline, la mode est une institution monarchique et héréditaire; il y a toujours un prince régnant.«50 Anders als Esposito oder Barthes, welche

45 Jesse: Brummell, S. 44. 46 Raikes: Journal, Bd. II, S. 207, vgl. Raikes: France, Bd. II, S. 376 f., Timbs: Eccentrics, S. 23, Moers: Dandy, S. 32, Chenoune: Des modes et des hommes, S. 21. 47 Chenoune: Des modes et des hommes, S. 21. Wenn Brummell den Verlust seines Talismans, eines Sixpence-Stücks (vgl. Raikes: Journal, Bd. II, S. 210 f.) beklagt und seine anhaltende Pechsträhne kommentiert mit: »no doubt that rascal Rothschild, or some of his set, got hold of it« (Jesse: Brummell, S. 227), zeigt sich eine ähnliche karnevaleske Behauptung als Finanzmogul. 48 Bachtin definiert »Exzentrizität« in Probleme der Poetik Dostojewskis als »Kategorie karnevalistischen Weltempfindens« (S. 138), die ein Leben, »das aus dem gewöhnlichen Gleis geraten ist«, offenbart, in dem auf ambivalente Weise gegenseitige Pole wie oben/unten oder innen/außen vertauscht werden (S. 141). 49 Raikes: Journal, Bd. III, S. 85, Lennox Fashion:, S. 58. Auch John Cam Hobhouse bezeichnet Brummmell am 19.3.1815 seiner Recollections of a long life als »king of well-dressed dandies« (Bd. I, S. 214 f.). 50 Lemoinne: Brummell, S. 228 f., vgl. u.a. Coblence: Obligation d’incertitude, S. 37, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 9, Schickedanz: Ästhetische Rebelli-

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die ständigen Wandlungen der Mode betonen,51 versucht Lemoinne also, das flüchtige Reich Brummells, das sich lediglich auf Anekdoten gründet, als ein endgültiges zu zementieren. Für diese Behauptung von Brummells herrschaftlicher Selbstbehauptung spielen die Aspekte Ikonographie, Oralität, Mythos und Geschichtsschreibung die zentrale Rolle.

4.1.4 Die Ikonographie des Broken Beau Angesichts von Brummells Ruf als König der Mode ist es erstaunlich, dass die meisten Texte, die Anekdoten über Brummell liefern, keine Abbildungen von diesem bereitstellen. Während heutige Anekdotensammlungen und selbst wissenschaftliche Untersuchungen häufig auf Bilder von Brummell zurückgreifen, spielen diese in den Original-Ausgaben der hier zitierten Texte, insoweit ich diese einsehen konnte, keine Rolle. Dass trotz der zahlreichen Anekdoten um Brummells Kleidung nur wenige Bilder von ihm existieren, macht Brummell zu einem Mysterium und unterstreicht die Dominanz der Anekdoten. Denn im Grunde lässt sich Brummells Kleidungsstil lediglich an einer einzigen Darstellung nachvollziehen. (Abbildung 1)

Abbildung 1: Robert Dighton »Beau Brummell« (1805) on, S. 39. Nicht zu vergessen natürlich Fremys Panegyrik auf Brummell (Fremy: Le Roi de la Mode). 51 Esposito: Die Verbindlichkeiten des Vorübergehenden, S. 27, Barthes: Système de la Mode, S. 366.

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Da die anderen Abbildungen von Brummell nur den Kopf zeigen, wie die Miniatur von James Hook, von der eine Kopie im Musée Carnavalet steht,52 bezeichnet Moers dieses Bild, die 1805 erstellte Radierung »Beau Brummell« von Robert Dighton, als das einzige aussagekräftige Ganzkörperporträt von Brummell in seiner Londoner Glanzzeit. In der Tat entspricht die Darstellung von Brummell in Schaftstiefeln, langen Hosen, weißer Weste, blauem Frack, weißer Krawatte und Zylinder, der Darstellung der Biographen.53 Die Körperhaltung mit dem in die Hüfte gestützten Arm stellt Selbstbewusstsein zur Schau, die Augenbrauen sind so stark geschwungen, als wären sie hochgezogen und suggerieren mit den geschürzten Lippen eine verächtliche Arroganz. Allerdings sind mir keine Informationen über Verbreitung und Rezeption dieser Bilder in der Zeit Brummells bekannt. Die einzigen mir bekannten Bildkommentare der Zeit finden sich in Jesses Brummell und in Gronows Reminiscences and Recollections, die auch überhaupt als einzige Abbildungen von Brummell liefern. Beide beziehen sich allerdings nur auf Porträts von Brummell, die sie selbst das erste Mal veröffentlichen und die zuvor nur privat zirkulierten. Jesse gibt als Frontispiz des ersten Bandes der Originalausgabe von 1844 ein Selbstbildnis Brummells wieder, das die Widmung »Very Sincerely Yours, George Brummell« trägt. (Abbildung 2)

Abbildung 2: George Brummell: Selbstbildnis (1838)

52 Vgl. Boüexière: Dandysme, S. 50, Levillain: Dandy, S. 106, Laver: Dandies, S. 31, Schickedanz: Dandy, S. 14. Das Portrait von James Holmes in der National Portrait Gallery wiederum zeigt einen sehr jungen Brummell, vgl. Boüexière: Dandysme, S. 49. 53 Moers: Dandy, S. 332, Kelly: Brummell, S. 7, Campbell: Brummell, S. 70.

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Die Zeichnung zeigt Brummell vor dem Geschäft seines Förderers Charles Armstrong eingehüllt in einen dicken Pelzmantel, sodass von seiner übrigen Kleidung nichts zu sehen ist; einzig sein Gesicht mit einem verschmitzten Lächeln und schütterem Haar unter einem Zylinder sowie einen Stab, der in einem Lockenkopf endet. Dass der Knauf seines Spazierstocks an die Marotte eines Narren erinnert, kann als ein selbstironisches Symbol für Selbstverliebtheit gesehen werden.54 Das Frontispiz von Jesses zweitem Band zeigt nicht weniger allegorisch ein von Brummell 1835 im Gefängnis gemalten Cupido als »The Broken Beau Bow!«, wobei das durchgestrichene Beau durch »Bow!« ersetzt ist. (Abbildung 3)

Abbildung 3: George Brummell: »The Broken Beau Bow!« (1835) Der gebrochene Bogen, auf den Cupido blickt, verstärkt das Wortspiel und allegorisiert den gebrochenen Beau. Da das eine Bild aus Jesses Privatbesitz und der Broken Beau aus dem Album von der von Brummell verehrten Aimable de St. Ursain stammt, die Jesse als »Mademoiselle« anonymisiert, dürften beide Bilder nur wenigen Personen bekannt gewesen sein.55 Das Frontispiz zu Gronows Reminiscences and Recollections, »Sketch of a Ball at Almack’s, 1815« betitelt, stammt wiederum, wie dieser betont, aus Brummells Privatbesitz und wurde Gronow erst durch die Versteigerung von Brummells Privateigentum zugänglich gemacht (S. 2). Für die Veröffentlichung wurde es von Joseph Grego als Radierung kopiert, die Max Beerbohm in Dandies and Dandies lobt (S. 1). 54 Eine weitere Version des Bildes existiert unter dem Namen »Beau Brummel«, signiert 1838 von D.C.W. in der Bibliothèque de Caen (Boüexière: Dandysme, S. 52). Die Widmung Brummells ist hier ersetzt durch die Unterschrift »Ehem! Quam mutatis« und spielt auf die Verwandlung Brummells von dem perfekt gekleideten Dandy zu dem verwahrlosten Mann an. Die Datierung 1838 deckt sich mit der Entstehung des Bildes, da Jesse versichert, Brummell habe dieses fast sechzigjährig erstellt (Jesse: Brummell, S. 467). 55 Jesse: Brummell, S. 468, vgl. Kelly: Brummell, S. 395, Campbell: Brummell, S. 188. In vornehmen Kreisen war es üblich, ähnlich den bis heute verbreiteten Poesiealben, Freunden persönliche Gedichte oder eben Bildnisse zu widmen, Jesse zitiert ausführlich aus Brummells eigenem Album (S. 104 f., 177-186).

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Anders als die Anekdoten zirkulierten die Bilder also nicht allgemein, und auch in den Kommentaren wird deutlich, dass sie in erster Linie als Illustration der Anekdoten fungieren: Jesses Kommentar des Broken Beau beschränkt sich auf das Lob von dessen Qualität angesichts der nachlassenden Sehkraft des alten Brummells und auf den Hinweis, dass die esquisse allegorisch die Vergänglichkeit anmahne. Sehr viel ausführlicher zitiert er hingegen aus Brummells Korrespondenz, in der er die Adressantin bittet, den Untertitel seines Bildes unkenntlich zu machen (S. 467) und stellt so dem Bild die Anekdote Broken Beau an die Seite. Diese anekdotische Funktion der Bilder manifestiert sich auch in der von Gronow in Reminiscences and Recollections gelieferten Skizze, wenn Gronow die Authentizität des Titelbildes betont, die lässige Haltung Brummells beschreibt, der eine Hand in der Westentasche hält, und dann folgert: »His neckcloth is inimitable, and must have cost him much time and trouble to arrive at such perfection.« (S. 1) Aus der Bildbetrachtung erschließt sich diese Perfektion der Krawatte allerdings kaum, da diese nur sehr schemenhaft zu erkennen ist. Gronows Bildbeschreibung dient somit mehr der Bestätigung von Brummells Kunst des Krawattenbindens, die, wie noch zu zeigen sein wird, zahlreiche Anekdoten belegen. Auch hier ist das Bild nur aussagekräftig durch den intermedialen Bezug zu den Anekdoten über Brummell. Diese Rezeption der Bilder durch die Brille der Anekdote zeigt sich noch bei dem aus heutiger Sicht zentralen Bild der Ikonographie Brummells: eine 1844 von James Cook erstellte Radierung nach einem Kupferstich eines unbekannten Künstlers. (Abbildung 4)

Abbildung 4: James Cook: Radierung nach dem Kupferstich eines unbekannten Künstlers (1844) Obwohl das Bild erstens nur die Kopie eines unbekannten Porträts und zweitens als Brustbild Brummells Kleidungsstil nur ansatzweise zeigen kann, ist es das zentrale Bild der Ikonographie56 und so kommentiert Laver in seiner 56 Für Rückgriffe auf das Bild vgl. z.B. Agamben: Stanzen, S. 97, Laver: Dandies, S. 29, Delbourg: Masculin Singulier, S. 8, Wiener: Eine Art Einzige, S. 49, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 28, Scaraffia: Petit dictionnaire du dandy,

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kulturgeschichtlichen Untersuchung Dandies: »The portrait has all the marks of authenticity and must have been taken from real life. It is all here: the handsome features, the good-humoured arrogance, the hint of impertinence, the complete self-possession, and of course, the immaculate cravat.« (S. 29) Wie bei Gronow lässt sich die Makellosigkeit der Krawatte kaum auf dem Bild nachvollziehen. Die vestimentäre Diagnose ist nicht so sehr Produkt der Analyse dieses Bildes, als vielmehr das Bild als Bestätigung von Brummells kunstfertiger Performanz fungiert. Einer von den einschlägigen Anekdoten unvorbelasteten Bildbetrachtung würde eine Besonderheit hinsichtlich der Krawatte nicht auffallen. Nach meinem Empfinden wirkt der leichte Silberblick Brummells eher träumerisch und abwesend als impertinent. Auch seine humorvolle Arroganz, die Laver im Bild erkennen möchte, ist wohl kaum ohne Kenntnis der einschlägigen Anekdoten nachzuvollziehen, die somit Leitfaden für die ikonographische Deutung sind: Nicht die Bilder, sondern die Anekdoten fungieren als Illustration von Brummells Bekleidung und formen die Wahrnehmung seiner Erscheinung.

4.1.5 Oralität und Ondit Dabei sind die Parallelen und Gegensätze zwischen den Anekdoten über Brummell und den Ana-Literatur des 18. Jahrhunderts aufschlussreich. Im Gegensatz zu den Ana, die Ansammlungen unveröffentlichter Texte und Konversationen eines Autors herausgeben, um dessen Persönlichkeit mittels seiner Aussprüche zu erhellen,57 also verschiedene Anekdoten über eine einzelne Persönlichkeit liefern, finden sich die Anekdoten hier in Memoiren, in denen eine Person über verschiedene Zeitgenossen berichtet. Während bei den Ana die Person des Herausgebers keine große Rolle spielt, drängt sich also hier der Autor in den Vordergrund, der seine Kenntnis von Anekdoten zur Selbstdarstellung nutzt: Titel wie Harriette Wilson’s Memoirs of herself and others (1824) oder Celebrities I have known (1877) von William Lennox verheißen dem Leser intime Einblicke in das Leben berühmter Persönlichkeiten, wie Brummell.58 Wilsons Versprechen, Einblick in »George Brummell’s inmost soul« zu liefern, ihre Versicherung, Brummell habe ihr mehrere Liebesanträge gemacht, die Betonung ihrer Komplizenschaft beim Verspotten anderer Leute oder die Schilderung ihres Besuchs bei Brummell in Calais zeigen, wie diese Autoren ihre Bekanntschaft mit Brummell betonen, um die Attraktivität des Buches zu steigern.59 Bereits die in Memoirs of the Lady Hester Stanhope angeführte Anekdote über Brummells folly unterstreicht mit Formulierungen wie »you and I may know better« oder »my dear Lady Hester« die enge Vertrautheit der beiden und zeichnet diese als intime Mitwisserin um Brummells Geheimnis aus (S. 244). Ihre Freundschaft belegt sie mit der Ankündigung, Brummell werde bei Erhalt eines Briefes von ihr sagen: »There she is again, the dear creature!« (S. 246) Der zeitliche Abstand von 30 S. 152, Meisel: The Cowboy and the Dandy, S. 63 sowie das Titelblatt von Eisenberg: The Figure of the Dandy. 57 Vgl. Schöwerling: Anekdote, S. 55, Hilzinger: Anekdotisches Erzählen, S. 2230. 58 Wilson soll viele mit ihr liierte Männer mit der Veröffentlichung ihrer Memoiren erpresst haben (vgl. Sutherland: Anecdotes, S. 185 f.). 59 Vgl. Wilson: Memoirs, S. 41, 649, 62, 74, 42, 610.

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Jahren zwischen Brummells Zeit in London und der Veröffentlichung der Anekdoten wird also durch die Behauptung von Vertrautheit überbrückt, die wie bei den Ana gleichzeitig die Unmittelbarkeit wie die Authentizität der Anekdoten unterstreichen soll.60 Hazlitts »Brummelliana« wiederum bezieht sich explizit auf die Tradition der Ana, indem er den Titel nach überliefertem Muster durch Anhängen des Suffixes ana an den Namen bildet und auch selbst von »anecdote« spricht (S. 152, 154). Anders als die Ana präsentiert Hazlitt allerdings keine erschöpfende Sammlung, sondern kommentiert Anekdoten, die er als bekannt voraussetzt. Deutlich wird dies, wenn er sich auf zwei Anekdoten mit »the common story« bzw. »the gabble about Hopkinses and Tomkinses« bezieht.61 Beide Formulierungen suggerieren dabei, dass Hazlitt auf mündliche Wiedergabe von Anekdoten rekurriert, was insofern erstaunlich ist, als Brummell England bei Erscheinen von Hazlitts Artikel bereits seit zwölf Jahren verlassen hatte. Diese Inszenierung einer mündlichen Weitergabe ist sowohl den Memoiren wie der Ana-Literatur gemein, über die Richard Maber schreibt: »Le caractère oral ou pseudo-oral contribue beaucoup à l’effet de ces recueils, et c’est sans doute ce manque de contrainte dans l’expression, cette impression d’un bon mot, d’un jugement ex cathedra, ou d’une historiette malicieuse, pris au vif, qui leur donne un ton qu’on ne trouve guère ailleurs, et qui en rendait la lecture si divertissante à l’époque. Même quand un auteur écrit son propre ana, il essaie en général 62 de retrouver le style de la langue parlée.«

Die freien Formulierungen, die Bonmots, die unkonventionellen Urteile sowie die lebensnahen Darstellungen von kleinen Boshaftigkeiten der AnaLiteratur spiegeln sich in den bislang untersuchten Anekdoten Brummells wider, wie in seinem Kommentar zu Bedfords Mantel. Den Versuch wiederum, den Stil der gesprochenen Sprache zu treffen, belegen die Memoirs von Stanhope. Dort gibt ein Arzt, ein gewisser »Dr. M.« in direkter Rede Stanhopes Äußerungen wieder, nur unterbrochen von Erläuterungen der Umstände.63 Diese etwas künstlich wirkende Dialogform führt dazu, dass die anfangs zitierte Anekdote über Brummells making of me von Stanhope und diese wiederum vom Erzähler zitiert wird. Doch eben in diesem direkten Zitat eines direkten Zitats kann der orale Charakter der Anekdote aufrechterhalten werden, ohne dass Kommentare der Autorin zu den Hintergründen diese Illusion einer oralen Wiedergabe brechen. Da diese pseudo-orale Wiedergabe von Brummells Aussprüchen für zeitgenössische Autoren Brummells wie Stanhope, Lennox, Wilson oder Jesse für Authentizität und ein Wissen aus erster Hand bürgt, muss zunächst erstaunen, dass dieser orale Charakter selbst in Texten beibehalten wird, welche die Anekdoten aus anderen literarischen Quellen zitieren. Insbesondere bei den französischen Autoren, denen offenkundig die Anekdoten nicht 60 Vgl. Schöwerling: Anekdote, S. 156. 61 Hazlitt: Brummelliana, S. 153 f., vgl. zu diesen Anekdoten Jesse: Brummell, S. 72 f., Fadiman: Anecdotes, S. 82, Lemoinne: Brummell, S. 232. 62 Maber: Ana, S. 101. 63 Vgl. den aussagekräftigen vollen Titel Memoirs of the Lady Hester Stanhope as related by herself in conversations with her physicians; comprising her opinions and anecdotes of some of the most remarkable persons of her time.

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mündlich weitergegeben wurden, ist dies ein auffälliges Charakteristikum. Wenn Arnould Fremy in »Le Roi de la Mode« (1836) über Brummell schreibt »On fit courir sur lui cette anecdote entièrement fausse […]« (S. 252), wird der besondere Status der Anekdote zwischen Oralität und Literalität deutlich. Denn auch wenn Fremy eine mündliche Zirkulation der Anekdote suggeriert, hat er die Anekdote aus schriftlichen Texten bezogen und gibt sie selbst in schriftlicher Form wieder. Diese Suggestion einer mündlichen Vermittlung bleibt eine Konstante in der Behauptung des Subjekts. Noch 1906 leitet Jacques Boulenger in »George Brummel, esq.« eine Anekdote ein mit: »On a raconté qu’une nuit […].« (S. 13 FN) Anstelle der literarischen Quelle wird, verstärkt durch das unpersönliche »on«, ein Rückgriff auf die Anekdote vom Hörensagen suggeriert. Auch die Erläuterung, »Brummell s’est toujours défendu de cette histoire« erzeugt den Eindruck einer unmittelbaren und wiederholten Teilhabe an Brummells Stellungnahme. Dabei gibt Boulenger Jesse nicht als Quelle an, obschon sein Hinweis, Brummell habe die Anekdote als »positivement vulgaire« bezeichnet, eine wörtliche Übersetzung von Jesse ist.64 Diese Strategie übernimmt Barbey in Du Dandysme: »On a raconté des anecdotes qui ne méritent pas qu’on les cite. Qu’a-t-on-besoin de ces commérages?« (S. 684) schreibt er, obwohl er an den Gerüchten nur durch die Lektüre von Jesse teilhat. Deutlich wird dies, wenn er, um den Einfluss Brummells zu betonen, dem Leser in einer scheinbaren Vertraulichkeit verrät: »On a dit que Mme de Staël fut presque affligée de ne pas lui avoir plu.« (S. 698) Obwohl er auch dies von Jesse übernimmt,65 behauptet er mit der Formulierung »On a dit« eine mündliche Wiedergabe dieser Anekdote und anonymisiert die Behauptung. So wird die literarische Herkunft des Wissens verschwiegen und eine direktere Teilhabe am Leben Brummells inszeniert. Selbst Laver leitet in seiner 1971 erschienenen Untersuchung Dandies eine Anekdote über Brummell mit »The story has often been told« ein (S. 36). 160 Jahre Zeitdifferenz zwischen Brummell und Laver werden also überbrückt, indem eine unmittelbare Mund-zu-MundWeitergabe suggeriert wird. Dass dies in schriftlicher Form geschieht, legt es nahe, mit Walter Ong von sekundärer Oralität, einer auf Schriftkultur basierenden Inszenierung von Oralität zu sprechen.66 Lavers Beispiel zeigt, dass nicht nur die Anekdoten, sondern ebenso die Praktiken, wie diese Oralitätsfiktion erzeugt wird, aus den vorherigen Texten intertextuell übernommen werden. Lemaire begnügt sich dabei nicht mit der Suggestion einer mündlichen Weitergabe der Anekdoten als Ondit, sondern stellt die Anekdote teleologisch als ursprüngliche Intention des Dandys dar, wenn er sie definiert als »création d’un dandy non écrite mais vécue, destinée non pas à l’imprimerie mais à la chronique orale qui lui donne son public.«67 Der orale Charakter wird hier nicht nur explizit behauptet, sondern im Diskurs des écrivain-dandy wird nahegelegt, der Dandy inszeniere Situationen, so wie der Autor seine Werke entwerfe. Die Unmöglichkeit, einen Ursprung der Anekdote auszumachen, wird kompensiert durch das Setzen des Subjektes an den Ursprung der Anekdote. Dadurch wird eine orale Chronik evoziert, welche die Illusion einer bewussten Inszenierung 64 65 66 67

Vgl. Jesse: Brummell, S. 187. Jesse: Brummell, S. 68, vgl. Timbs: Eccentrics, S. 26. Ong: Oralität und Literalität, S. 136. Lemaire: Le Dandysme, S. 15, vgl. Eisenberg: The Figure of the Dandy, S. 5.

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Brummells und der kontinuierlichen mündlichen Weitergabe der Anekdoten von seinen Zeitgenossen bis ins 20. Jahrhundert schafft.

4.1.6 Mythos und die Funktion von Kartoffelstärke Auch wenn Lemaire oder Martinon von der bewussten Selbstbehauptung des Dandys durch Inszenierung von Anekdoten sprechen, soll dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die wenigsten Anekdoten tatsächlich von Brummell selbst in Umlauf gebracht wurden. Seltenheitswert hat deswegen Gronows Hinweis, Brummell habe ihm anvertraut, er benütze zum Polieren der Stiefel Champagnerschaum, damit sie mehr glänzten.68 In Pursuits of Fashion, einem 1810 von Edward Goulburn verfassten Gedicht, wird diese Politur noch um ein weiteres, für die Schuhpflege noch zweifelhafteres Ingredienz erweitert: »My boot-tops – those unerring marks of a blade,/ With champaigne are polish’d, and peach marmalade«69. Insofern hier kein »gradliniger, sich auf die Pointe zuspitzender Aktionsablauf«70 vorhanden ist, sondern eine Gewohnheit beschrieben wird, ohne dass eine Pointe zustande kommt, weicht dieses elementar-literarische Element von den bislang zitierten Anekdoten ab. Dafür nähert es sich dem Mythos aus Barthes Mythologies an. Ausgehend vom Saussureschen Zeichenmodell konzipiert Barthes den Mythos als sekundäres Zeichensystem: Der Sinn, der aus Signifikant und Signifikat entstehe, werde vom Mythos wiederum zu einem einfachen neuen Signifikanten reduziert, der zusammen mit einem neuen Signifikat, dem Konzept, den Sinn des Mythos ergebe (S. 687 ff.). Bei der hier angeführten Anekdote wird demgemäß der Sachverhalt, dass Brummell seine Stiefel mit Champagner poliert, seiner eigentlichen Aussage entleert und mit dem Konzept von Brummells Überlegenheit in Kleidungsfragen verknüpft. Die Anekdote erweist sich dabei als ideale Form, den Sinn einer Begebenheit zu einem einfachen Signifikanten zu reduzieren: Der Sinn ist nicht mehr, dass marmeladenpolierte Stiefel besser glänzen, sondern dieser Bedeutung enthoben, kreiert die Anekdote als Signifikat den neuen Sinn, dass Brummell keine Mühen scheut, das Optimum seiner Erscheinung zu erreichen, um sich als König der Mode zu behaupten. Der bekannteste Mythos rankt sich um Brummells Krawatte, von der Jesse versichert, er wisse von Augenzeugen, wie Brummell diese gebunden habe: Er habe die acht Fuß lange Krawatte mit Hilfe des Kiefers langsam nach unten geschoben, und wenn der Knoten nicht beim ersten Mal reüssierte, sofort mit einer neuen Krawatte von vorne begonnen und die Fehlversuche direkt wieder neu waschen und stärken lassen (S. 42). Reynaldo Hahns Operette Brummell (1931) nimmt diese Anekdote auf und lässt den Chor sich immer wieder singend fragen, was einen Mann zum Dandy mache: »Il faut… Un joli petit quoi?«, bis Brummell antwortet »un joli mouvement du menton«71. Eine andere Version liefert auch die bei einer Anekdote erwartete Pointe. Einem Gast, den Diener nach einem Wäschekorb voller Krawatten fragend, den 68 Gronow: Recollections and Anecdotes, S. 52, vgl. Gronow: Reminscences and Recollections, S. 56. 69 Zit. n. Moers: Dandy, S. 31, vgl. Fremy: Le Roi de la Mode, S. 246, Timpson: English Eccentrics, S. 88. 70 Vgl. zu dieser Definition der Anekdote Grothe: Anekdote, S. 10. 71 Hahn: Brummell, S. 125 ff.

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dieser wegtrug, wurde geantwortet: »Oh they are our failures«72. Die 1818 bei J.J. Stockdale erschienene Sammlung Neckclothitania; or, tietania being an essay on starchers. By one of the cloth beweist die Popularität dieser Anekdoten.73 Dass der Titel hier aus den Begriffen neckcloth und tie und nicht – wie bei den Ana – aus dem Autornamen gebildet wird, führt ironisch die Relevanz des Kleidungsstücks vor Augen, das wie eine bekannte Persönlichkeit behandelt wird.74 Das Geheimnis der besonderen Steife seiner Krawatten, die Brummell als erster mit Kartoffelstärke behandelt haben soll, beschreibt ein Frage- und Antwortenkatalog, veröffentlicht unter dem Titel »Examination of a Young Pretender to Fashion« im London Magazine (Mai 1825). Auf die Frage, was die beste Erfindung der Moderne sei, wird die gestärkte Krawatte genannt, die Brummell erfunden habe. Niemand, so die Examination, habe um das Geheimnis von Brummells steifen Krawatten gewusst, bis er beim Verlassen Englands auf seiner Ankleide die Botschaft »Starch is the man«, das Stärken mache den Mann, hinterlassen habe.75 Pückler-Muskau kommentiert wortwitzig, dass »Brummells Stärke noch immer am Halse jedes fashionable sichtbar« sei, und gibt als Höhepunkt dieses Mythos einen Bericht der Literary Gazette wieder, demzufolge sich zwei »elegants« umgebracht hätten und ein Herzog vor Kummer verstarb, weil sie niemand in dieses Geheimnis einweihte.76 Auch die Anekdote, nach der die Krawatte eines Dandys so sorgfältig gestärkt war, dass sie diesem ins Ohr schnitt,77 präsentiert den Mythos um Brummells Krawattenkunst in nicht ernst gemeinter, parodistischer Übertreibung. Wenn Rainer Emig und Hiltrud Gnüg (fälschlicherweise) berichten, es sei Byron gewesen, der an der Imitation von Brummells Krawatte verzweifelte,78 zeigt sich, dass diese Anekdoten nicht als authentische Beschreibung, sondern als mystifizierende Behauptungen fungieren: »Nicht auf die Realität ihres Inhalts kommt es an, der historisch verbürgte Text der Anekdote ist vielmehr selbst die Realie – allein darin, daß sie zu ihrer Zeit erzählt wurde […] liegt ihre Authentizität.«79 Neben Moritz Baßler schreibt Oscar Wilde aus Sicht des Subjekts der Anekdote, der Triumph bestehe nicht darin, es getan zu haben, sondern die Leute dies glauben zu machen.80 Anders als die neureutersche Anekdote, deren Eigenschaft der Faktizität darin besteht, dass sie, auch wenn sie nicht wahr ist, geglaubt werden muss,81 spielt die Glaubwürdigkeit von derart gestärkten Krawatten hier keine Rolle, sondern nur die 72 Jesse: Brummell, S. 42, vgl. Agamben: Stanzen, S. 95, Forgues: Originaux, Timbs: Eccentrics, S. 24, Laver: Dandies, S. 36, Moers: Dandy, S. 31, Pezzini: Dandy, S. 93. 73 Vgl. Prevost: Dandysme, S. 20. 74 Dennoch liefert das Buch ganz unironisch neben Anekdoten zur Entstehung der Krawattenknoten praktische Anweisungen zum Krawattenbinden, illustriert von dem Karikaturisten George Cruikshank. 75 Zit. n. Godfrey: The Dandy as Ironic Figure, S. 21. 76 Pückler-Muskau: Briefe eines Verstorbenen, Bd. IV, S. 330, 334. 77 Cole: Brummell, S. 80, vgl. Coblence: Obligation d’incertitude, S. 114. 78 Emig: Right in the Margins, S. 104, Gnüg: Kult der Kälte, S. 187, vgl. Schickedanz: Dandy, S. 12. 79 Baßler: Die kulturpoetische Funktion, S. 40. 80 Zit. n. Holland: Oscar Wilde Album, S. 16. 81 Neureuter: Zur Theorie der Anekdote, S. 464 f.

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mythische Überhöhung von Brummells Performanz als lebendes Gesamtkunstwerk. Dass eine solche Behauptung stattgefunden hat, dass sie möglich war, ist als ›authentischer‹ Ausdruck der Berühmtheit Brummells und der Faszination an seiner Selbstbehauptung zu sehen. Die Krawatte hat darüber hinaus die Funktion, Brummells Impertinenzen zu versinnbildlichen. Einer Anekdote zufolge soll er im Restaurant seinen Diener gefragt haben, wer rechts und links neben ihm säße, und diese Personen dann angesprochen haben, ohne den Blick zur Seite zu wenden. Hazlitt folgert daraus: »Had his head been fastened in a vice, it could not have been more immovably fixed […] the air of fashion and affectation ›bound him with Styx nine times round him‹.«82 Die Assoziationskette vom Hals, der in der Krawatte wie in einem Schraubstock steckt, über die modische und affektierte Erscheinung, die Brummell umwindet wie seine Krawatte, bis hin zum Fluss der Sage, der den Hades neun mal umfließt, macht aus der Krawatte als modisches Detail einen essentiellen und existentiellen Bestandteil des Dandys und wird zum ironischen Echo des Mythos um Brummells Erscheinung. Diese mythologische Funktion zeigt sich auch in der Gegenüberstellung von Brummell mit Napoleon. Medwin zufolge ist dieser Vergleich auf Byron selbst zurückzuführen: »[Byron] used to say there were three great men ruined in one year, Brummell, himself, and Napoleon!«83 Die Anspielung auf das Jahr 1815, in dem Napoleon die Schlacht bei Waterloo verlor und schließlich verbannt wurde, Brummell immense Spielschulden anhäufte und sich mit George IV. überwarf, und Byron sich nach der Heirat mit Annabella Milbanke Inzestvorwürfen mit seiner Halbschwester ausgesetzt sah, führt drei verschiedene Felder, in denen sich Ruhm erwerben lässt, Mode, Literatur sowie Politik, und drei verschiedene Arten von Ruin, finanziellen, moralischen sowie militärischen, zusammen.84 Aufschlussreich sind die Modifikationen, welche diese Anekdote erfährt. Jesse beginnt seine Biographie mit: »I will now enter upon the life of him who Lord Byron said was one of the three great men of the nineteenth century, placing himself third, Napoleon second, and Brummell first.«85 Diese zu Byrons Ungunsten veränderte Hierarchie (die allerdings wiederum die relative Bescheidenheit Byrons zu seinen Gunsten zum Ausdruck bringt) findet sich wörtlich in Amédée Pichots 1825 erschienenem Voyage historique et littéraire en Angleterre et en Écosse (S. 287), der ersten mir bekannten Erwähnung Brummells in der französischen Literatur überhaupt. Welche Hierarchie Byron tatsächlich aufgestellt haben mag, lässt sich indes nicht klären. Medwins Hinweis, dies sei ein häufiger Ausspruch Byrons gewesen, lässt den Ur82 Hazlitt: Brummelliana, S. 153, vgl. Jerrold: Dandies, S. 208. 83 Medwin: Conversations of Lord Byron, S. 72. 84 Dass Hazlitt dieser Ausspruch Byrons als Abschluss seiner Brummelliana dient, weist auf die Wichtigkeit des viel zitierten Ausspruchs in der anekdotischen Behauptung hin (Hazlitt: Brummelliana, S. 154), vgl. Timbs: Eccentrics, S. 30, Gilmour: The idea of the gentleman, S. 50. Hobhouse bezeichnet die Verschuldung Brummells als »as great a fall as Napoleon’s« (Hobhouse: Recollections, Bd. II, 1). Inwiefern der Vergleich mit Byron nicht nur der Aufwertung Brummells, sondern auch Byrons dient, zeigt Kapitel 5.1. 85 Jesse: Brummell, S. 11. Jesse fügt, offenbar von der Verbindung der drei fasziniert, hinzu, Brummell habe einen Briefbeschwerer besessen, der zuvor Napoleon gehörte (S. 246), und berichtet von der Versteigerung eines Gemäldes von Brummell, das Byron und Napoleon gegenüberstellt (S. 270).

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sprung dieser Anekdote im Dunklen verschwinden und deutet auf einen unbekannten Fleck diesseits der Textualität von Geschichte. Belegt werden kann indes, dass Byron diesen Vergleich in einem Brief an seinen Trauzeugen86 Hobhouse vom 3.3.1820 verwendet, in dem er auf deren ähnlich prekäre Situation verweist, denn Hobhouse saß wegen seiner politischen Ansichten im Gefängnis: »Brummell at Calais; Scrope at Bruges, Buonaparte at St. Helena, you in your new appartments, and I at Ravenna, only think, so many great men! There has been nothing like it since Themistocles at Magnesia, and Marius at Carthage.«87 Während Byron durch Rückgriff auf die Antike diesen Vergleich selbstironisch in eine mythische Dimension rückt, lässt sich mit Barthes tatsächlich von einer mythologischen Funktion dieser Anekdote sprechen. So wie der Mythos komplexe Tatsachen reduziert und ihre geschichtlichen Hintergründe verdampfen lässt,88 werden hier die Ereignisse des Jahres 1815 auf das Exil dreier Männer reduziert. Nicht die historischen Umstände zählen, sondern einzig und allein die Koinzidenz des Jahres, die es ermöglicht, Brummell und Byron als Napoleon ebenbürtige Herrscher in verschiedenen Reichen zu etablieren. Indem die Geschehnisse des Jahres 1815 zu einem bloßen Signifikanten ausgehöhlt werden, kann diese Anekdote für einen anderen Sinn geöffnet werden. Jesse z.B. benutzt ihn, um das globale Interesse an Brummell zu unterstreichen: »Brummell and Bonaparte who had hitherto divided the attention of the world, fell almost together […].« (S. 227) Fremy verwendet diesen Vergleich für eine Geschichtsdeutung, in der er Brummell zum direkten Widersacher Napoleons stilisiert und als Sinnbild für den hegemonialen Kampf zwischen England und Frankreich nimmt: Da die Franzosen ihren Ruhm durch Napoleons Feldzüge verbreiteten, habe England darauf mit der Person 86 Vgl. dazu Hobhouse: Recollections, Bd. I, 165, Medwin: Conversations with Lord Byron, S. 15. 87 Zit. n. Quennell: Byron, Bd. II, S. 504. Medwin zufolge soll sich Byron des Öfteren mit Napoleon verglichen haben: »Like Napoleon, I have always had a great contempt for women […].« (Medwin: Conversations with Lord Byron, S. 73) »Several extraordinary things have happened to me on my birth-day; so they did to Napoleon […].« (S. 104) Medwin stellt fest, dass es in Byrons Werk widersprüchliche Äußerungen über Napoleon gebe, den er als Gegenbild von Byron darstellt: »Napoleon was his own antithesis (if I may say so).« (S. 184) Byrons Ode an Napoleon wollte er Hobhouse zufolge ihm widmen (Hobhouse: Recollections, Bd. I, S. 106). Für Bezüge auf Napoleon in Byrons Ode, dem dritten Canto von Childe Harold und dem 11. Canto des Don Juan vgl. McGann: Byron and Romanticism, S. 155. Stendhal wiederum soll Byrons Interesse mit Anekdoten über Napoleon geweckt haben, wie George Rosa anhand unveröffentlicher Passagen des Tagebuchs von Hobhouse aufzeigt (Rosa: Anecdotes, vgl. Coblence: Obligation d’incertitude, S. 52). Hunt fügt dem hinzu, Byron habe seit seiner Heirat als Noel Byron unterschrieben, um die Initialen von Napoleon Bonaparte zu haben (Hunt: Lord Byron, S. 125, vgl. Beßlich: Napoleon, S. 87), was auch Stendhal in »Lord Byron en Italie« zuträgt (S. 242). Vgl. zu weiteren Zitaten dieser Anekdote: Agamben: Stanzen, S. 96, Gilmour: The idea of the gentleman, S. 52, Schmiele: Dandy, S. 62, Maurer: Dandy, Snob und Kleinbürger, S. 160, Bamm: Über den Dandy, S. 570, Reboul: Le mythe anglais, S. 124, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 80, Moers: Dandy, S. 22, Grün: Hommes-Copies, Dandies und Fausses Passions, S. 73, Seillière: Barbey et le Dandysme Romantique, S. 393, Jerrold: Dandies, S. 192, Hinterhäuser: Fin de Siècle, S. 79. 88 Vgl. Barthes: Mythologies, S. 689.

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Brummell als »constellation rivale« reagiert. Fremy folgert: »Napoléon et Brummell, ces deux noms ont été souvent comparés avec raison.«89 In Catherine Gores Roman Cecil, aus dem Jesse im Schlusswort seiner Biographie zitiert (S. 527), vergleicht der Protagonist mit dem bezeichnenden Namen »Danby« in seiner Rede über den »Dandyism« Brummell, der den Prinzen seine Gesetze diktierte und in einem Armenhaus starb, mit Napoleon, der die Kaiser beherrschte und in St. Helena starb. Er stellt die Prophezeiung an, dass beide als große Reformer in Erinnerung bleiben und Brummells sterbliche Überreste, wie die Napoleons im Jahr 1840, zur feierlichen Bestattung zurückgeholt würden (S. 88 f.). Hier dient der Vergleich gleichzeitig einer politischen Würdigung Napoleons wie der Betonung von Brummells Verdiensten für die Mode. Lemoinne wiederum nimmt in »Brummell«, seiner Rezension von Jesse, in der er seinen eigenen Ansichten viel Raum lässt, den Vergleich auf, um zu betonen, dass weder Byron noch Bonaparte auf ihrem Gebiet eine so radikale Revolution zu verursachen in der Lage waren wie Brummell in Bezug auf die Mode (S. 231). Diese radikale Revolution Brummells spielt sich, gleich einem Sturm im Wasserglas, nur in der Welt der Anekdoten ab.

4.1.7 Geschichtsschreibung und der fat friend Eine wichtige Rolle für den Mythos von Brummells Bekleidung spielt die Anekdote, dass Brummell zwei verschiedene Schneider mit dem Fertigen seiner Handschuhe betraute.90 In seinem Nachruf »La Mort de Brummell« greift Fremy darauf zurück: »Cette première phase de la vie, qui n’est pas la moins importante, fut signalée par ces fameuses paires de gants qui sortaient des ateliers de deux fabricants différents; l’un traitant uniquement le pouce, l’autre chargé de la main tout entière.« (S. 23) Er ergänzt die von ihm erfundene Anekdote, Brummell habe drei Frisöre für Hinterkopf, Schläfen und Vorderkopf beauftragt. Beide dienen als Form, um im Sinne Barthes mythisch den gesellschaftlichen Aufstiegswillen des jungen Brummell auszudrücken. Den hohen Bekanntheitsgrad der Anekdote, auf den die Formulierung »fameuses paires de gants« abzielt, merkt bereits Jesse an, der diese Anekdote in seiner Biographie zitiert und übersetzt (ohne den Autor zu nennen) und ironisch angesichts der fortschreitenden Industrialisierung die Fortschrittlichkeit dieser Arbeitsteilung lobt.91 Wie Jesse süffisant registriert, benötigt die Brummell nachempfundene Figur Russelton in Bulwer-Lyttons Pelham schon drei Schneider.92 Barbey, der in seiner Geschichte »Le dessous de carte d’une partie de whist« diese Anzahl noch übernimmt,93 steigert sie in Du Dandysme auf vier (S. 674). Anders als Bulwer-Lytton, der die Zahl drei noch mit speziellen Anforderungen für Daumen, Finger und Hand rechtfertigt, oder Fremy, der Daumen, Zeigefinger und restliche Finger aufzählt, ordnet Barbey einen Schneider dem Daumen und den Rest pauschal der Hand zu.94 89 90 91 92 93 94

Fremy: Le Roi de la Mode, S. 244. Jesse: Brummell, S. 37. Ebd., vgl. Fremy: Le Roi de la Mode, S. 246. Bulwer-Lytton: Pelham, S. 134. Barbey: Œuvres, Bd. II, S. 140. Vgl.: »quatre artistes spéciaux, trois pour la main et un pour le pouce« (ebd., S. 674) sowie Bechtel: Livre des bizarres, S. 52, Pezzini: Dandy, S. 93.

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Die Authentizität spielt also eine weniger große Rolle als die mythologische Funktion dieser Behauptung. Dabei zeigt sich, dass die Begebenheit mit dem Handschuh zwar zu einem einfachen Signifikaten reduziert wird, der den Mythos von Brummells Kleidung bezeichnen soll, diese Reduktion aber zur besseren Anschaulichkeit zwar nicht in ihrer Komplexität, so doch in der Anzahl der Schneider wieder gesteigert wird. Dies entfernt die Anekdote von der Tradition Prokops als historisches Gegen-Dokument. Die Anekdote ist nicht Träger von Geschichte, sondern komprimierter Ausdruck der Selbstbehauptung Brummells. Ihre Aufgabe ist nicht historische Information, sondern, durch kalkulierte Unwahrheiten und Übertreibung einen Mythos zu erzeugen, dessen Signifikant immer weiter gesteigert wird, um die vorgängigen Varianten zu übertreffen. Dieser Unterschied zur Konzeption der Anekdote als historisches GegenDokument des New Historicism zeigt sich insbesondere bei den zahlreichen Variationen der Anekdote, die Virginia Woolf als »his dexterous ›Who’s your fat friend?‹« bezeichnet.95 In seinem »Appendix« korrigiert Jesse seine Version der Anekdote mit der Begründung, er habe einen anonymen Hinweis von einem guten Freund Brummells erhalten, dessen Authentizität er betont (S. 529). Dieser Person zufolge habe Brummell zusammen mit Lord Alvanley, Henry Pierrepoint und Harry Mildmay einen so genannten »Dandies’ Ball« in den Ballsälen am Hannover Square organisiert. Der König, der zunächst nicht eingeladen wurde, rächte sich für das demonstrative Desinteresse an seiner Person, indem er bei seinem Erscheinen drei Gastgeber begrüßte und so tat, als kenne er Brummell nicht, worauf dieser die Nichtbeachtung von Seiten des Königs mit der Frage nach dem fetten Freund satirisch karikierte.96 Diese Version kombiniert zwei Anekdoten von Jesse: Erstens hatte er zuvor berichtet, der Ball habe im Juli 1813 in den Argyle Rooms stattgefunden, und Brummell habe sich lediglich damit gerächt, dass er diesen beim Abschied nicht zu seinem Wagen geleitet habe (S. 222). Zweitens hat Jesse die fat-friend-Anekdote im Park angesiedelt. Die Kombination beider Anekdoten zu einer einzigen lässt erkennen, dass es weniger um ein historisch nachvollziehbares Ereignis, als um eine aus Ort- und Zeitzusammenhängen gelöste Behauptung geht. Auch diese Anekdote bietet Anlass zu mythischen Bedeutungszuweisungen im Sinne Barthes’. Grantley Berkeley dient sie in seinen Life and Recollection als Anlass zu unterstreichen, dass keiner der Organisatoren aus dem »Dandy Club« Brummell sein impertinentes Verhalten je übel nahm, da er in dieser Zeit das Maß aller Dinge war: »We were all dismayed; but in those days Brummel could do no wrong.«97 Pückler-Muskau nimmt in seinen Briefen die Anekdote im Gegenteil als Ausgangspunkt, um die Impertinenz der Engländer zu unterstreichen: Er versichert, ihm wurde aus »ganz authentischer Quelle« von einem Augenzeugen mitgeteilt, Brummell sei von sich aus auf den König und den ihn im Park begleitenden Colonel zugegangen und habe gefragt: »Who the devil, Colonel, is Your fat old friend, You were just talking to?« (Bd. IV, S. 333) Forgues und Barbey benutzen die Anekdote, um 95 96

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Woolf: Brummell, S. 4. Jesse: Brummell, S. 535 f., vgl. Raikes: Journal, Bd. II, S. 207, Gilmour: The idea of the gentleman, S. 52, Lemoinne: Brummell, S. 235, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 42, Woolf: Brummell, S. 4. Zit. n. Timbs: Eccentrics, S. 28.

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das endgültige Ende der Freundschaft zwischen Brummell und dem König zu bedeuten.98 Für Schickedanz wurde aufgrund dieser Anekdote George IV. »zum erklärten Gegner und Konkurrenten Brummells«, für Laver Brummell nicht mehr in die königliche Residenz in Carlton House eingeladen und für Campbell eine anstehende Versöhnung der beiden zerschlagen.99 Natta und Boulenger benutzen die Anekdote, um Brummells Machtposition zu festigen, und Moers nimmt sie zum Anlass, den impertinenten Dandy als Vorbild einer ganzen Generation darzustellen.100 Kurz, die Anekdote wird nicht nur unterschiedlich bewertet, sondern durch Loslösung aus dem Kontext und neue Zuordnung als Ergebnis oder Ursache für das Zerwürfnis der beiden oder auch als Beweis für die ruhmreiche Selbstbehauptung Brummells präsentiert. Deutlich wird dies auch an der umstrittenen Anekdote, derzufolge Brummell bei einem Besuch in der Residenz des Königs in Carlton House diesem »Wales, ring the bell« befohlen haben soll und deswegen des Hauses verwiesen wurde. Jesse zufolge habe Brummell dies ausdrücklich als Erfindung dargestellt, gegenüber ihm sowie der anonymisierten Adressatin eines abgedruckten Briefs.101 In Jesses Version hat der König Brummell gebeten zu läuten und Brummell geantwortet: »Your Royal Highness is close to it«. Daraufhin läutete der König, um Brummells Aufbruch zu veranlassen.102 Dass beide Antworten die gleiche Handlung in einem diametral entgegengesetzten Umgangston beschreiben – aus »Your Royal Highness« wird »Wales« und aus der Umschreibung ein Befehl –, lässt erahnen, wie der Ausspruch Brummells vermutlich immer weiter ins Unhöfliche gesteigert wurde.103 Raikes gibt die Anekdote ebenfalls als Grund für das Zerwürfnis an, und obgleich er einräumt, dass Brummell diese abstreitet, stellt er sie als Ursache für den 98 99 100

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Forgues: Originaux, S. 78 f., Barbey: Du Dandysme, S. 702. Schickedanz: Dandy, S. 17, Laver: Dandies, S. 16, Campbell: Brummell, S. 117. Vgl.: »Brummell avait exclu de sa compagnie le régent bedonnant, ›this fat man‹, dit Big-Ben.« (Natta: Grandeur Sans Convictions, S. 168) »[S]a vanité et son insolence deviennent vraiment héroïques. Loin de céder devant le prince, il se raidit glorieusement dans son attitude […].« (Boulenger: George Brummel, S. 13) »[T]he Beau, who had taught a whole generation how to cut […].« (Moers: Dandy, S. 27) Schon ein Karikaturist der Zeitschrift Punch liefert am 18.5.1844 »A suggested statue to Brummell and George IV«, in der Brummell auf eine andere Statue des König deutet und dabei auf einem Sockel steht, in dem die impertinente Frage als Motto eingraviert ist. (Zit. n. Kelly: Brummell, S. 464, vgl. Boüexière: Dandysme, S. 50, Scaraffia: Petit dictionnaire du dandy, S. 96). Jesse: Brummell, S. 187, 467, vgl. Raikes: Journal, Bd. II, S. 207, Fremy: Le Roi de la Mode, S. 252, Fremy: La Mort de Brummell, S. 25, Barbey: Du Dandysme, S. 701 f. Jesse versichert, in der Zeitschrift La Quotidienne sei ein Bericht über Brummell mit dieser Anekdote erschienen (S. 476), ohne indes das Datum zu nennen. Jesse: Brummell, S. 188, vgl. Moers: Dandy, S. 22, Medwin: Conversations with Lord Byron, S. 183, George: A Book of Anecdotes, S. 24, Robins: How to be a Complete Dandy, S. 73, Hamard: Le Dandy, type et stéréotype, S. 62. Boulenger mit »Georges, mon cher, sonnez-donc« (Boulenger: George Brummel, S. 13) und Pückler-Muskau mit »Pray G[eorge], will You ring the bell for me!« (Pückler-Muskau: Briefe, Bd. IV, S. 331 f.) wählen dabei einen Mittelweg zwischen Affront und vorsichtiger Formulierung. Einer anderen Version von Jesse zufolge soll der Rechnungsprüfer des Königs John Willett Payne diese Unhöflichkeit im Rahmen einer Wette begangen haben (S. 188).

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endgültigen Bruch dar. Gronow widerlegt die Anekdote dergestalt, dass Brummell lediglich zu viel getrunken habe und George seinen Wagen geordert habe, um Brummells Schwäche auszunutzen und sich so für die fatfriend-Beleidigung zu rächen.105 Man erkennt an diesen Interpretationen die Langlebigkeit von Anekdoten, welche trotz intensiver Dementis »korrekturresistent« bleiben, d.h. weitergegeben werden, selbst wenn sie längst als Erfindung entlarvt wurden.106 Da, wie gezeigt, ihr Wahrheitsgehalt oder zumindest der Grad ihrer Wahrscheinlichkeit diskutiert wird, ist festzustellen, dass die Anekdoten – anders als im England des 18. Jahrhunderts – nicht nur der reinen Unterhaltung dienen, sondern auch als Erklärungsmöglichkeiten historischer Begebenheiten geprüft werden. Ähnlich wie im New Historicism erzeugen die Anekdoten neue Zusammenhänge. Aber anders als dort werden sie nicht als Ausdruck der Komplexität der Geschichte stehen gelassen, sondern sollen einfache kausale und lineare Zusammenhänge plausibel machen. Sie haben keinen exzentrischen Standpunkt inne, wie es der New Historicism konzipiert, sondern werden als zentraler Ausgangspunkt einer Entwicklung behauptet.

4.1.8 Theatralität und ein Dinner for One Ebenso wie die Anekdoten der Erklärung für Brummells Exil dienen, erfüllen sie die Aufgabe, dieses Exil zu versinnbildlichen. Eine zentrale Rolle spielt dabei Jesses tragikomischer Bericht, demzufolge Brummell imaginäre Empfänge veranstaltete. Er beauftragte einen Diener, einen Whist-Tisch vorzubereiten und um punkt acht Uhr die Tür zu öffnen und die »Duchess of Devonshire« anzukündigen. Brummell begrüßte diese und andere imaginäre Gäste, wie Lord Alvanley oder Worcester, und leitete sie an ihren Platz.107 Auch hier wird die Anekdote als Signifikat ausgehöhlt, um den geistigen Verfall – Jesse spricht von »mental decay« (S. 486) – von Brummell an seinem Lebensende als Mythos auszudrücken. Lemoinne liefert mit dieser Anekdote die Begründung für die Einweisung in das Hospiz, demgegenüber Forgues sie in einer Version wiedergibt, nach der Brummell sich der Wahnvorstellung halbwegs bewusst wurde und »demi réveillé de son illusion« wieder zu Sinnen kam.108 Barbey stellt diese Anekdote in Du Dandysme weniger als Ausdruck pathologischer Verwirrung, sondern als Trauer um vergangene Zeiten dar, indem er aus den in Brummells Fantasie anwesenden Personen ausschließlich Tote macht und nicht ohne Pathos feststellt: »[I]l attendait… Il attendait l’Angleterre morte!« (S. 713 FN) Somit nimmt er die Anekdote als noch in Kapitel 7 zu erläuternden Ausdruck, dass die englische Gesellschaft sich verändert habe. Alle Variationen verdeutlichen: Brummells Selbstbehauptung beruht auf einer theatralischen Performanz, die so existentiell für ihn ist, dass er sich zur Not auch ohne Publikum ständig ›in Szene setzen‹ muss. 104 105 106 107

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Raikes: Journal, Bd. II, S. 208. Gronow: Recollections and Anecdotes, S. 46. Vgl. Hendrix: Historiographical anecdotes, S. 20 f. Jesse: Brummell, S. 486 f., vgl. Pham-Thanh: Du Dandysme en Angleterre, S. 31, Timbs: Eccentrics, S. 32. Ähnlich wie Coblence pathologisiert die Psychoanalytikerin Dolto Brummell, indem sie ihm die Diagnose der Schizophrenie stellt (Dolto: Le Dandy. Solitaire et Singulier, S. 37). Lemoinne: Brummell, S. 240, Forgues: Originaux, S. 98.

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Bemerkenswert dabei ist die Vielfalt der Kontexte, in denen diese Anekdote verwendet wird: In dem Anfang der 30er Jahre entstandenen Kammerspiel So war Herr Brummell entwickelt Ernst Penzoldt diese Anekdote weiter. Nach einer Reihe von Anspielungen auf andere Anekdoten109 lässt er das Stück mit dem einsamen Empfang enden. In dieser Version gibt Brummell ein Dinner für Sheridan, Queensbury, den Prinzregenten George und die Herzogin von York, ist sich jedoch seiner Sinnestäuschung auf fatale Weise bewusst. Denn als tatsächlich Friederike von Preußen110 in leibhaftiger Person sein Zimmer betritt und zwischen Brummell und George IV. vermitteln will, hält er diese ebenso für eine Illusion und ignoriert sie. In der 2001 uraufgeführten Komödie Beau Brummell über den laut Klappentext »most famous wit and dandy of them all« spielt Ron Hutchinson auf diese Anekdote an, indem er den Diener Austin einen imaginären Besuch, diesmal des Duke of Devonshire ankündigen lässt, mit dem sich der stark verwirrte Brummell unterhält (S. 28 f.). Virginia Woolf verwendet sie als Ausdruck der Allgegenwärtigkeit der Duchess of Devonshire, denn so wie die Duchess den HomerÜbersetzer William Cowper heimsuchte, sodass er sie in seinen Olney-Hymns verwünscht, habe sie Brummell aufgesucht.111 Bechtel wiederum ordnet die Anekdote dem Exzentriker Robert Coates zu, um dessen gescheiterte schauspielerische Ambitionen zu unterstreichen; Coates, der sich mit seinem großen Vermögen in Hauptrollen am Theater einkaufte, verkörpert hier im Sinne von Brummells making of me die Unfähigkeit damit aufzuhören, für andere Theater zu spielen.112 Die bekannteste Version dieser Anekdote findet sich schließlich in dem in Deutschland populären Film Dinner for One wieder, der, anders als es der Titel vermuten lässt, eine deutsche Produktion ist. Der Chef der Unterhaltungsabteilung des NDR, Heinz Dunkhase, sah 1962 in Blackpool den seit 1945 aufgeführten Sketch Dinner for One von Freddy Frinton und Mary Warden und ließ diesen 1963 von den beiden für den NDR produzieren.113 Die imaginären Gäste sind in Admiral von Schneider, Lord Winterbottom und Mr. Pommeroy umbenannt, Brummell durch die Protagonistin Miss Sophie ersetzt und der Butler muss die imaginären Gäste nicht nur spielen, sondern auch noch deren Sherry, Weißwein, Champagner und Portwein trinken. Diese Anekdote behauptet gleichzeitig das Ende Brummells, wie seine und ihre eigene Unsterblichkeit. Als »the same procedure as every year« einer alten Dame und ihres Dieners fungiert eine einzelne Anekdote Brummells als Plot für Sketche, Kammerspiele und Filme. Brummells

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Z.B. lässt Penzoldt Brummell zu dem Prinzen sagen: »Rock? Welcher Rock? Ach so, das nennst du einen Rock!« (S. 27) Zudem spielt er an auf die Krawatten-Anekdote (S. 28), den Spitznamen Big Ben für den König (S. 38) und den Befehl an diesen, zu läuten (S. 50). Dass Penzoldt diese als Herzogin von York ankündigen lässt (S. 96) ist offensichtlich eine Verwechslung, denn Friederike war die Frau von George V. von Hanover und nicht von George IV. Woolf: Brummell, S. 1, vgl. Kelly: Brummell, S. xi. Bechtel: Livre des bizarres, S. 89. Dieser Irrtum ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass Sitwell Brummell direkt nach Coates vorstellt (vgl. Sitwell: English Eccentrics, S. 162). Vgl. http://www1.ndr.de/ndr_pages_std/0,2570,OID258514,00.html, 1.2.2007. Dass die Autoren die Anekdote Brummells kannten, lässt sich indes nicht nachweisen.

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theatralische Selbstbehauptung findet ihren ultimativen Ausdruck in einem Theaterstück.

4.2 Die Anekdote in Balzacs T r ai t é de la v i e é lé g an t e Eine literarische Verarbeitung der Anekdoten zeigt sich allerdings schon im 19. Jahrhundert in Balzacs Traité de la vie élégante und den fashionable novels, die sich durch einen noch stärkeren Bezug zu der historischen Figur Brummell auszeichnen. Neben dem Dinner for one mythologisiert vor allem die Anekdote, dass Brummell in Frankreich Perücke trug, sein Exil. Ebenso wie die Krawatten-Anekdoten den Mythos seiner Makellosigkeit unterstreichen, versinnbildlicht diese zunächst von Wilson kolportierte Anekdote umgekehrt den körperlichen Verfall Brummells.114 Balzac übernimmt im Traité diese Anekdote von Wilson:115 »[L]’ex-dieu du dandysme portait une perruque! […] Brummell en perruque; Napoléon en jardinier; Kant en enfance; Louis XVI en bonnet rouge, et Charles X à Cherbourg, voilà les cinq plus grands spectacles de notre époque.« (S. 230) Balzac ergänzt also die mythische Gegenüberstellung von Brummell und Napoleon um den flüchtenden König Charles X. und den von den Revolutionären gedemütigten Louis XVI. So bestätigt er, wie die Anekdote über das Jahr 1815, Brummells hohen Rang als König der Dandys, zieht aber auch eine Parallele zwischen Brummells Untergang und den Revolutionen von 1789 und 1830. Dass der Tod Napoleons 1821 vielfältig literarisch als Symbol für das Ende einer Ära verarbeitet wurde,116 erhellt diese Gegenüberstellung. Indem Balzac Brummell als »exdieu du dandysme« bezeichnet, beschreibt er so das Ende nicht nur von Brummell, sondern auch des Dandyismus an sich, der wie zuvor die Monarchie von Louis XVI. und Charles X. oder Napoleons Empire dem Untergang geweiht sei. So wie Kant seinen Geist habe Brummell sein wichtigstes Attribut – sein Erscheinungsbild – verloren. Vor diesem Hintergrund erklärt sich Balzacs ätzende Kritik am Dandy, welche das Ende des Dandyismus endgültig zu besiegeln versucht. Seine Polemik ist also keine Verteidigung des Dandyismus vor den Pseudo-Dandys, sondern ein Abgesang. Balzac suggeriert aber nicht nur das Ende des Dandys, sondern bettet den Traité, der in fünf Teilen im Oktober und November 1830 in La Mode veröffentlicht wurde, gleichzeitig in eine Rahmenhandlung ein, in der Brummell auftritt. So erhält Brummell eine doppelte Funktion: In dieser Rahmenhandlung, die erst im Nachhinein im dritten Kapitel als »Plan de ce Traité« präsentiert wird,117 schmieden »un des plus élégants rédacteurs de la Mode«, ein 114

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Wilson Memoirs, S. 610, vgl. Fremy: Le Roi de la Mode, S. 254. Raikes gegenüber stellt Brummell lakonisch seine Perücke als Ausdruck verlorener Eleganz dar: »your own head of hair is but a scanty possession in comparison with that which now crowns my pristine baldness; a convenient, comely scalp, that has divested me of my former respectability of appearance.« (Raikes: Journal, Bd. II, S. 212 f.). Vgl. Fortassier: Les Mondains de la Comédie Humaine, S. 135, Fortassier: Interview d’un dandy, S. 76. Beßlich: Napoleon, S. 71. Zur häufigen Mitarbeit Balzacs in La Mode vgl. Kleinert: Modejournale, S. 182-205.

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»honorable ami L.-M.«, »E. de G.«, später als »notre honorable ami E. de G.« und »le sagace E. de G.« bezeichnet, den Plan, einen Traité über das elegante Leben zu schreiben.118 Die Ehrerbietung an Charles Lautour-Mézeray, Begründer des Journal des Enfants, und Emile de Girardin, dem Begründer der Zeitschrift La Mode, ist kaum versteckt,119 auch im Manuskript stand ein Hinweis an die Leser von La Mode, dass der Autor seinen Traité auf Veranlassung des Redakteurs geschrieben habe.120 Explizit wiederum ist der Verweis auf Brummell, denn die Verfasser nehmen sich vor, Brummell, der gerade in Boulogne sein soll, zu Rate zu ziehen, da ohne diesen das Vorhaben undenkbar sei (S. 229). Dies wird kommentiert mit: »Il est inutile d’ajouter que nous devons à Brummel les inductions philosophiques par lesquelles nous sommes arrivés à démontrer, dans les deux précédents chapitres, combien la vie élégante se liait fortement à la perfection de toute société humaine.« (S. 229) Die Bemerkung gibt sich einerseits als Kommentar zu den aufgestellten Maximen und den folgenden fiktiven Gesprächen mit Brummell, lässt sich aber auch als Eingeständnis einer intertextuellen Beeinflussung verstehen. Denn anhand eines aufgetauchten Manuskripts, das Brummell geschrieben hat – und von dem in Kapitel 7.2 noch die Rede sein wird –, kann Rose Fortassier nachweisen, dass diese Abhandlung von Brummell zuvor in Auszügen in La Mode anonym veröffentlicht wurde.121 Das »nous« aus der oben zitierten Stelle des Traité zieht also tatsächlich nicht nur den fiktiven, sondern auch den realen Brummell ein. Tatsächlich klopft der konsultierte fiktive Brummell, dessen vergangener Glanz mit Attributen wie »prince de la mode« und »immortel créateur du luxe anglais« gewürdigt wird (S. 229), energisch auf den Tisch und diktiert dem Erzähler den Aufbau der folgenden Kapitel des Traité (S. 232-236). Die im Anschluss formulierten Maximen werden nicht nur innerhalb der Fiktion mit Hilfe von Brummell formuliert, sondern es wird auch eine Anekdote Brummells aus Wilsons Memoiren zitiert, derzufolge Brummell geäußert habe, man sei nicht gut gekleidet, wenn es dem Durchschnittsengländer auffalle.122 Diese wird eingeleitet mit: »Brummel a du reste, laissé la maxime la plus admirable sur cette matière […].« (S. 255) Und wenn es später über Brummell und George IV. heißt: »Hélas, ils sont maintenant ambo pares, morts tous deux ou à peu près« (S. 231), wird drastischer formuliert, dass der reale Brummell nur noch ein Schatten seiner selbst ist. Demgegenüber steht der fiktionale Brummell, der äußerst lebhaft und dominant auftritt. So erzeugt der Traité eine Oszillation zwischen histori118

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Zitiert nach der Ausgabe, hg. von Marcel Bouteron (S. 156, 163 f.), die nach dem Manuskript erstellt wurde. In der Veröffentlichung in La Mode, abgedruckt in der Pléiade-Ausgabe, werden die Initialen ersetzt durch »A-Z«. Im Folgenden beziehen sich die Seitenangaben auf die Pléiade-Ausgabe. Fortassier zufolge ist mit dem dritten, eleganten Redakteur Eugène Sue gemeint (Fortassier: Notes, S. 943, vgl. Erbe: Modeheld, S. 83). Dieser wird auch einmal erwähnt: »Un des nos meilleurs amis, M. E. Sue, aussi remarquable par l’élégance de son style et l’originalité de ses aperçus […].« (Balzac: Traité de la vie élégante, S. 235) Vgl. Fortassier: Introduction, S. 187. Ebd., S. 193. Insofern ist Emigs Behauptung, Brummell habe als einziges schriftliches Vermächtnis Kleiderrechnungen hinterlassen (Emig: Right in the Margins, S. 95), nicht aufrecht zu erhalten. Wilson: Memoirs, S. 40, vgl. Fortassier: Histoire, S. 924.

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schem und literalisiertem Brummell, die einerseits von der Popularität Brummells und der Faszination an seinem Untergang profitieren möchte, andererseits diesen aber als eigenständigen Autor behauptet: in der Rahmenhandlung des Traité sowie indirekt als Eingeständnis einer literarischen Beeinflussung, die erst durch die Veröffentlichung von Brummells Manuskript erkennbar wird.

4 . 3 D i e A n e k d o t e i n d e n f a s h i o n a b le n o v e l s Diese Doppelfunktion Brummells als historische und literarische Figur ist zentraler Bestandteil einer besonderen Art von Romanen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, der fashionable novels.123 Wenn Schöwerling in Bezug auf die Anekdotensammlungen anmerkt, das »stetig anwachsende saturierte Bürgertum der Zeit entwickelt einen bisher ungekannten Lesehunger, den geschäftstüchtige Verleger geschickt auszunutzen verstehen«124, gilt dies auch für die von Henry Colburn verlegten Romane wie Theodore Hooks Sayings and Doings (1824), Robert Plumer Wards Tremaine (1825), Thomas Listers Granby (1825), Benjamin Disraelis Vivian Grey (1826), Edward BulwerLyttons Pelham (1828),125 Catherine Gores Cecil (1841) sowie W. Massies bislang unbeachtetem Sydenham (1830). Diese Romane zeugen von einer besonderen Verwendung der Anekdoten, da sie diese in die Handlungen und Äußerungen ihrer (mehr oder weniger) fiktionalen Helden einbauen. Die alternative Bezeichnung silver fork novels verdeutlicht den engen Zusammenhang mit anekdotenhaftem Wissen. Denn obwohl Hazlitt selbst in seinem Aufsatz »The Dandy School« abschätzig von »dandy scribbler« spricht,126 prägte er die Bezeichnung silver fork novels mit seiner Bemerkung, der Informations- und Unterhaltungswert dieser Romane bestehe darin, wie in Sayings and Doings zu berichten, dass »real fine gentlemen« ihren Fisch mit silbernen Gabeln zu sich nehmen, während der Rest des Landes verhungere.127 Die von Colburn geschickt vermarkteten fashionable novels, die man als erste Bestseller bezeichnen kann,128 versprachen, eine authentische Darstellung der englischen Oberschicht zu liefern und die »secrets of the beau monde« zu enthüllen, Adburgham spricht von einem »voyeurism into upper class life«129. Eindeutige Gemeinsamkeiten der Prota123

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Vgl. Schubel: Das englische Dandytum. Hier bezeichnet er den Dandyismus »als Quelle einer Romangattung« (S. 1) sowie Schubel: Fashionable Novels, in dem diese Romane als »Ein Kapitel zur englischen Kultur- und Romangeschichte« vorgestellt werden (S. 1). Schöwerling: Anekdote, S. 30. Zur Behauptung des Autors bei Bulwer-Lytton und Disraeli vgl. Kapitel 5.2. Hazlitt: The Dandy School, S. 147, vgl. Adburgham: Silver Fork Society, S. 1, Hughes: Silver Fork Writers and Readers, S. 329, Rosa: The silver fork school, S. 3. Hazlitt: The Dandy School, S. 146, vgl. Eichler: Dandytum und Narzißmus, S. 144. Vgl. Schubel: Fashionable Novels, S. 206, Hughes: Silver Fork Writers and Readers, S. 328. Adburgham: Silver Fork Society, S. 2. Umgekehrt suggerierte Pierce Egans Zyklus Life in London voyeuristische Einblicke in die Unterschicht (vgl. Henkle: Comedy and Culture, S. 42

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gonisten mit bekannten Persönlichkeiten der Zeit waren dabei Teil dieser Strategie.130 Wenn Rosa schreibt, dass sich zu dieser Zeit in England eine neue Aristokratie bildete, die nicht mehr auf Geburt, sondern auf Reichtum basierte, und die Romane ihren Platz in dieser Begegnung von Mittelklasse und Oberklasse fanden,131 ist trotz Rosas fragwürdiger Idealisierung festzuhalten, dass es die Verheißung dieser Romane war, dem Leser einen exklusiven, ›angesagten‹ Lebensstil zu vermitteln. Bulwer-Lytton meint: »In proportion as the aristocracy had become social, and fashion allowed the members of the more mediocre classes a hope to outstep the boundaries of fortune, and be quasi-aristocrats themselves, people eagerly sought for representation of the manners which they aspired to imitate, and the circles to which it was not impossible 132 to belong.«

Dass die Mode der Mittelklasse ermöglichte, sich mit der Aristokratie zu messen, kann als Anspielung auf Brummell gesehen werden, dem NichtAdligen, der es schließlich zum »king of dandies« gebracht hat. Dabei spielt Brummell als arbiter elegantiarum und Dandy eine zentrale Rolle, was sich nicht zuletzt daran ersehen lässt, dass die in den zwanziger Jahren erschienenen novels ein Jahrzehnt zuvor spielen: zu Brummells Zeit in London. Dies liegt auch darin begründet, dass diese Periode als Zeit angesehen wurde, in der die aristokratischen Kreise noch nicht von den bürgerlichen gekreuzt wurden. Indem die fashionable novels also aufstiegshungrigen Lesern die Exklusivität adliger Kreise nahe bringen, können sie diese durch die Vordatierung noch als unberührt von bürgerlicher Infiltration darstellen.133 So heißt es in Sydenham, als Beaumont, der »autocrat of the dandies« (S. 261), gefallen war: »No person was deemed worthy to succeed to the station which Mr. Beaumont had filled. The empire of fashion was at an end, its policy hath, since that epoch, gradually degenerated into a republican character.« (S. 257) In Pelham beklagt Mr. Clarendon, der in Anspielung an »Beau Brummell« als »old beau« bezeichnet wird, den Verlust gesellschaftlicher Distinktion guter alter Zeiten: »People were not tolerated, as now, merely for their riches.« (S. 318) Dem bürgerlichen Leser wird also eine möglichst authentische, d.h. eine von seiner eigenen Partizipation noch weitgehend freie Highsociety präsentiert, um ihm eben diese Partizipation durch ›authentische‹ Informationen zu ermöglichen. Hazlitt bemängelt demgemäß, der Leser wer-

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Hughes: Silver Fork Writers and Readers, S. 334, vgl. Rosa: The Silver Fork School, S. 105, Pham-Thanh: Du Dandysme en Angleterre, S. 634. Rosa: The Silver Fork School, S. 5. Bulwer-Lytton: England and the English, S. 251. Dass es allerdings sein Ehrgeiz war, einen Roman zu schreiben, der über diese Funktion hinausgeht, lässt Bulwer-Lytton den Erzähler darlegen, der rhetorisch um Verzeihung bittet, dass er kein »fashionable hero« sei, und in Anspruch nimmt, eine neue Erscheinung in der Literatur (»a novelty in print«, S. 481) zu sein. Im von seinem Sohn herausgegebenen literarischen Nachlass wird Bulwer-Lytton zitiert, er wolle keine fashionable novel schreiben, sondern einen Roman mit eindrücklicher Charakterzeichnung: »For I understand by the term ›fashionable novel‹ a description of things, and I intended for Pelham a description of persons.« (Zit. n. Schubel: Fashionable Novels, S. 203). Vgl. Elfenbein: Silver-Fork Byron, S. 77.

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de statt an einen fiktiven Ort an die Bond Street (Brummells Wohnort) oder Almack’s (Brummells Club) geführt.134 Insofern belehrt Hooks Saying and Doings seinen Leser mit: »Felton was a thorough-bred Dandy – and never sure was word so profaned, so misused, or so woefully misapplied by the more ordinary juges of society than this. The uninitiated call a man a dandy who wears a stiff neckcloth […]. Never was such a mistake. Felton was really a dandy.«135 Dass hier der Leser aufgeklärt wird, der Dandyismus erstrecke sich nicht im Tragen von steifen Krawatten, verrät den Anspruch, dem Leser authentisches Insider-Wissen der High-Society zu liefern. Die Definition eines echten Dandys, die daraufhin folgt, nämlich dass er sich in Oxford über schlecht gebratene Kartoffeln beschwerte oder dass er die Stadt verließ, wenn man Spargel aß, basiert auf Brummells Aversion gegen Gemüse, die sich in der Anekdote über die Erbse manifestiert oder auch in seinem Ausspruch, er könne unmöglich Lady Mary heiraten, da sie Kohl essen würde.136 Die Anekdoten, auf die Hook anspielt, sind so Basis für die Identifikation von Brummell mit Felton sowie Ausgangspunkt für die Definition eines ›echten‹ Dandys. Ein Rezensent im London Magazine (März 1825) warf Hook dabei vor, abgenutzte Späße von Brummell zu verwerten: »A catalog of Brummel’s Facetiae would bring the whole tribe of pretenders into contempt, as it would show what a servum pecus it is.«137 Dass eine Auflistung der Anekdoten über Brummell Hooks Roman als billige Kopie entlarven würde, unterstreicht die Sicht des Rezensenten auf die Anekdoten als authentische und ursprüngliche Dokumente über den Dandy. Komplexere Bezüge auf die Anekdoten finden sich in Pelham, Granby und Sydenham. Als sich der Protagonist und Ich-Erzähler Pelham von Russelton verabschiedet, kommentiert eine Fußnote: »It will be perceived by those readers who are kind or patient enough to reach the conclusion of this work, that Russelton is specified as one of my few dramatic personae of which only the first outline is taken from real life, and from a very noted personage; all the rest […] is drawn solely from imagination.« (S. 137 FN) In dieser Leseransprache wird die Anlehnung an die »very noted personage« – sprich Brummell – erwähnt, aber auch die imaginative Leistung des Autors betont, was der Erzähler am Ende des Romans ausdrücklich wiederholt (S. 480). So lebt die Figur Russelton, die wie Brummell zur Zeit der Veröffentlichung in Calais wohnt, einerseits von der Faszination, die Brummell auf seine Zeitgenossen ausgeübt hat, andererseits ist sie offen für literarische Neu-Interpretation. In einer abschließenden Fußnote betont der Erzähler, absichtlich genügend Variationen eingebracht zu haben, um dem Makel einer Kopie zu entgehen (S. 480 FN). Für diesen komplexen Bezug auf Brummell spielen die Anekdoten die zentrale Rolle. Pelham kommentiert seine erste Begegnung mit Russelton: 134 135 136

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Hazlitt: The Dandy School, S. 144. Zit. n. Prevost: Dandysme, S. 38. Ebd., S. 21, vgl. Jesse: Brummell, S. 80, 85. Die Literary Gazette vom 26.9.1818 liefert unter dem Titel »The Dynasty of Dandies« eine Parodie auf Brumell der sich, zitiert als »B«, verächtlich über cabbage äußert, der Autor bedauert dann in Anspielung auf Brummells Exil, dass »B« sich zurückgezogen habe, ohne das Zepter aus der Hand gegeben zu haben (S. 620, vgl. Prevost: Dandysme, S. 21). Zit. n. Prevost: Dandysme, S. 38.

94 | DIE BEHAUPTUNG DES DANDYS »At the name of the person thus introduced to me, a thousand recollections crowded upon my mind: the contemporary and rival of Napoleon; the autocrat of the great world of fashion and cravats; the mighty genius before whom aristocracy hath been humbled and ton abashed; at whose nod the haughtiest noblesse of Europe had quailed; who had introduced, by a single example, starch into neckcloths, and had fed the pampered appetites of his boot-tops on champagne; whose coats and whose friends were cut with an equal grace; and whose name was connected with every triumph that the worlds great virtue of audacity should achieve, – the illustrious, the immortal Russelton, stood before me.« (S. 128)

Die Passage liest sich wie eine Zusammenfassung der in diesem Kapitel dargestellten Anekdoten: die Konkurrenz mit Napoleon, die Schuhputztechnik, die gestärkten Krawatten. Auch das Zeugma des geschnittenen Mantels und der geschnittenen Freunde, die konsternierten (man of) ton und die in Schrecken versetzte Aristokratie spielen auf Brummells Selbstbehauptung an. An anderer Stelle wird in Pelham, wie gezeigt, die Handschuh-Anekdote übernommen und zudem fasst Russelton in Anspielung an die Bedford-Anekdote den Mantel seines Begleiters mit zwei Fingern, um Brummell zitierend auszurufen: »[C]oat, Sir Willoughby! Do you call this thing a coat?« (S. 130) Die Anekdoten bilden somit die Schnittstelle zwischen fiktionalem Russelton und realem Brummell, da sie einerseits Brummell erkennbar machen, es andererseits unnötig machen, seinen Namen zu erwähnen. Während der Autor die Anekdoten Russelton zuordnet, bezieht der Leser diese also, wie bei Felton, auf Brummell. Diese Oszillation zwischen literarischer Figur und historischer Vorlage wird augenfällig, wenn der Protagonist vom unsterblichen Russelton spricht, der vor ihm stünde. Denn zum einen besteht die Faszination der Figur Russelton lediglich in ihrem Bezug zu Brummell: Die Figur Russelton wird schon bei ihrem ersten Auftreten als Berühmtheit bezeichnet, ohne dass sie in der Fiktion des Romans etwas Spektakuläres getan hätte. Zum anderen bewahren die Betonung des Namens Russelton und die verschiedenen Kommentare des Erzählers der Dandyfigur eine Spur Fiktionalität. Gleiches gilt, wenn Russelton sagt, seine Veranlagungen hätten ihn zu einem Shakespeare machen können, doch sie machten mehr aus ihm: »[T]hey made me a Russelton!« (S. 134) Dem am fashionable life interessierten Leser wird so eine fiktionale Authentizität präsentiert, bei welcher er den Protagonisten als Brummell identifizieren soll. Gleichzeitig verheißen die fashionable novels eine authentische Fiktion, insofern sie sich als realistische Darstellung der High Society präsentieren.138 In Auseinandersetzung mit Roland Barthes bezeichnet Ottmar Ette dieses beständige Wechseln zwischen Realität und Fiktion als Friktion: »Friktionale Texte sind hybride Texte, die zwischen den Polen von Fiktion und Diktion ständig hin und her springen. Friktion ist eine vom Text selbst inszenierte

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Pückler-Muskau berichtet in einem Brief vom 27.12.1828, des Erscheinungsjahrs von Pelham, von einer ähnlichen Begegnung mit Brummell. Dass er Brummell unter »angenommenen Namen« besucht haben und ihm ein »Fremder zuvorgekommen« sein soll, kann, ähnlich wie bei Balzac, als Geständnis einer friktionalen Verarbeitung von Pelham gesehen werden (PücklerMuskau: Briefe, Bd. IV, S. 334 ff.).

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(und den Text selber inszenierende) Hybridität.«139 Legt man die französische Bedeutung von friction zugrunde, ließe sich von einer ständigen Reibung der Fiktion an der Realität – und umgekehrt – sprechen, die sich, anders als nicht nur wie bei Barthes und Ette auf die Sprache der Literaturkritik, sondern auf die Literatur selbst bezieht.140 Eine Äußerung Jesses bezeugt, dass er selbst dieser friktionalen Identifikation zum Opfer gefallen ist, wenn er berichtet, dass er bei seinem Treffen mit Brummell mit schwarzer Weste, Jacke und Hose erschien, und dies auf böse Kritik von Brummell stieß, der ihm vorhielt, nach dem schlechten Vorbild von Pelham, nämlich wie eine Elster gekleidet zu sein.141 Auch der mit Bulwer-Lytton befreundete fashionable author Benjamin Disraeli tat öffentlich kund, sich nach Vorbild Pelhams zu kleiden.142 Die Überlappung von Literatur und Realität gipfelt in der Darstellung Brummells durch die fiktionale Figur Russelton, die von Jesse und anderen in der Realität ihrer Lebenswelt angewandt, von Brummell kritisiert und die Kritik wiederum zu Jesses literarischem Werk über Brummell gemacht wird. Der inneren Logik dieser Verwechslung von Fiktion und Realität folgend, kolportiert Jesse, dass Brummell sich, im Gegensatz zu Russelton, in der Figur Trebeck wiedergefunden und den Roman Granby mit den Worten gelobt haben soll: »Lister must have known those who were intimate with me […].«143 Auch hier wird die Basis dieser Friktion wie bei Pelham bereits in der Inszenierung des Textes gelegt. Die Figur Trebeck weist, wie Russelton, biographische Übereinstimmungen mit Brummell auf, z.B. darin, dass Trebeck ebenfalls zunächst Eton und dann Oxford (S. 106) besucht. Ebenso wird 139 140

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Ette: Roland Barthes, S. 312. Er verwendet hier die Differenzierung von Gérard Genette zwischen Fiktion und Diktion (ebd., S. 310). Ebd., S. 313, vgl. das Kapitel »Fiction and Friction«, in dem Greenblatt auf die sexuellen Konnotationen von ›Reibung‹ zurückgreift (Greenblatt: Shakespearean Negotiations, S. 66-93). Brummell kommentiert: »My dear Jesse, I am sadly afraid you have been reading Pelham; but excuse me, you look very much like a magpie.« (Jesse: Brummell, S. 324, vgl. Campbell: Brummell, S. 162) Hintergrund ist, dass sich Pelham in Kapitel 39 dazu entscheidet, Brummells Kleidungsstil der blauen Weste zur schwarzen Hose abzuschwören und sich nach dem Rat seiner Mutter künftig ganz in schwarz zu kleiden, was als »Pelhamism« von Bulwer-Lyttons Zeitgenossen rezipiert und imitiert wurde (vgl. Schubel: Fashionable Novels, S. 94). Henkle: Comedy and Culture, S. 25. Henkle gibt als weiteres Beispiel für die Friktion die in der Zeitschrift The Age erschienenen Kopien von Pelham, deren Entstehungsbedingungen wiederum Disraelis Roman The Young Duke offen legt (ebd., S. 26). Jesse: Brummell, S. vii. Dass die Anekdoten die Identifikation der Protagonisten mit Brummell ermöglichen, bestätigt auch die spärliche Forschungsliteratur: So wird Trebeck aus Listers Granby als »Brummell-type dandy« (Adburgham: Silver Fork Society, S. 92, vgl. 93, 97 f., Rosa: The Silver Fork School, S. 70), Pelham als »Brummell-figure« respektive »dandy heroe« (Moers: Dandy, S. 54 f., 74, vgl. Hughes: Silver Fork Writers and Readers, S. 342), Russelton als Darstellung von Brummell bezeichnet (Adburgham: Silver Fork Society, S. 129, Gilmour: The idea of the gentleman, S. 53) und Bulwers Pelham als Dandy-Fibel, »a dandy’s hornbook« ausgewiesen (Rosa: Silver-Fork, S. 74). Die Anekdoten über Brummell sind nicht nur zentrales Element der Behauptung des Subjekts, sondern auch Basis der literaturwissenschaftlichen Argumentation.

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die Bekanntheit Brummells auf die ihm nachempfundene Dandyfigur Trebeck übertragen, wenn Lady Daventry Trebeck mit den Worten ankündigt: »Oh! and who do you think we have here now? Mr Trebeck – the Trebeck – you know who I mean.« (S. 80 f.) Wenn Caroline Jermyn darauf nachfragt, wer dieser Mann sei, antwortet ihre Mutter, er sei ein »great dandy« und Carolyn fragt sich deswegen umso mehr, was Trebeck für ein Mann sei (S. 82). Als sie ihm dann begegnet, ist sie überrascht, da Trebeck dezent angezogen und nicht affektiert ist: »She had been rather misled by her mother’s word ›dandy‹, and expected to view in him an excess of all peculiarities of that numerous but decreasing tribe. She saw, therefore, with surprise, that he wore a dress in no respect distinguishable from that of ten thousand others […], that the quiet and almost careless tie of his cravat, plainly showed that he had neither studied ›Neckclothiana‹, nor believed in the axiom that ›Starch makes the man‹. There was nothing supercilious or affected in his manner.« (S. 88)

Die Anekdote über die gestärkten Krawatten, die hier fast wörtlich aus der Examination of a Young Pretender to Fashion übernommen ist,144 dient dem friktionalen Bezug zu Brummell. Und auch das Desinteresse Trebecks an der Neckclothiana ist, trotz der abweichenden Schreibweise, als Anspielung auf die Neckclothitania zu sehen.145 Während aber Bulwer-Lytton Russelton gemäß der historischen Realität in Bezug auf Brummell in Calais wohnen lässt, ist Listers Trebeck noch in London zu finden. Dadurch entsteht ein Bruch zwischen historischem Brummell und der ihm nachempfundenen Figur, welcher die zeitliche Distanz zwischen Brummell und dem Mythos Brummell nachempfindet. Denn die Anekdoten um Brummell gelangten in England erst zu ihrem Höhepunkt, als Brummell bereits England verlassen hatte, Neckclothitania etwa erschien 1818, also mit zwei Jahren Verspätung. Diese Zeitdifferenz zeigt sich in der doppelten Rolle von Trebeck, der einerseits als friktionaler Brummell den Krawatten-Mythos verkörpert und andererseits mit diesem konfrontiert wird und ihn wieder relativiert, um ein friktionalauthentischeres Bild des Dandys darzustellen. Die literarische BrummellFigur begegnet den über Brummell kursierenden Anekdoten und entlarvt sie als Klischee. In Sydenham wundert sich der gleichnamige Protagonist ebenso über den unangemessenen Ruf des immer wieder als »archdandy« bezeichneten Beaumont (S. 32, 41, 54). Sydenham zufolge sei Beaumont, der nach dem Vorbild Brummells ungestärkte Krawatten kritisiert (S. 131) und nicht lacht, weil es seine Krawatte derangieren könnte (S. 37), durch diese Anekdoten falsch dargestellt, da er weder eitel, noch unverschämt, sondern unauffällig gekleidet und ein »capital fellow« sei (S. 38). So wird den um Brummell kursierenden Anekdoten vorgeworfen, ihn im falschen Licht zu zeichnen, wohingegen Beaumont als Mann von Welt präsentiert wird. Als Beaumont fragt, was die Leute über ihn denken, antwortet Sydenham: »I have seen more than one party made very merry at your expense, when some facetious fellow has 144 145

Vgl. Godfrey: The Dandy as Ironic Figure, S. 21. Eine andere Anekdote über das Versterben von Brummells Hund, auf die in Granby angespielt wird, erwähnt Jesse: Brummell, S. 253, zu weiteren Anspielungen vgl. Sadleir: Bulwer-Lytton, S. 190 f.

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mimicked your manner, your voice, your conversation, and has told anecdotes of you, with a view, in short, of making you appear a very personification of absurdity.«146 Während die eingangs zitierte Stanhope-Anekdote über Brummells folly seinen Willen zur Absurdität illustriert, relativiert Sydenham dies, indem die weite Verbreitung von Anekdoten über Brummell explizit thematisiert, kritisiert und die Vorstellung von Brummell als Personifikation des Absurden abgelehnt wird. Stattdessen wird friktional ein vorbildhafter fashionable entworfen, bei dem sich allerdings ebenso der Anekdoten bedient wird, um diesen fiktionalen Helden mit Brummell zu identifizieren. Die selbst mit Anekdoten gespickten fashionable novels behaupten sich also als authentischere Darstellung als die kursierenden Anekdoten.

4 . 4 D i e A n e k d o t e i n B a r b e y s D u D an dy s m e Barbeys Du Dandysme et de George Brummell zeichnet sich sowohl durch einen häufigen Rückgriff auf Anekdoten sowie die friktionalen Dandyfiguren Russelton und Trebeck, als auch durch elaborierte Reflexion der Funktion dieses elementar-literarischen Bestandteils aus. Entgegen der Meinung des Herausgebers, Barbey habe nur wenig aus Jesses Schrift entnommen,147 verwendet Barbey eine Reihe von Anekdoten von Jesse. Wie die Entstehungsgeschichte des Textes erkennen lässt, war er an diesen von Anfang an besonders interessiert: An seinen in Caen wohnenden Verleger schreibt er in Bezug auf Brummell am 16.4.1843: »Ne pourriez-vous m’envoyer des détails sur ce gaillard-là? Vous m’obligerez. Songez que je suis friand de tout ce qu’il y a de plus excentrique.«148 Wie der New Historicism bekundet Barbey Interesse an exzentrischen petits récits über Brummell. Er schickt deswegen dem am Manuskript zu Brummell arbeitenden Jesse einen Katalog an Fragen, in dem er vor allem sein Interesse an den Aphorismen und Anekdoten Brummells betont.149 Jesse nimmt in seiner Biographie auf diese Anfrage als die eines »witty Frenchman« Bezug und zitiert Barbeys Post Scriptum, welches nochmals Barbeys Interesse an Anekdoten und Marginalia bekundet.150 Gleichwohl wirft Barbey bei aller Faszination an den Anekdoten Jesse vor, keine großen geschichtlichen Hintergründe geliefert zu haben. Er spricht von dessen Biographie, die er im April 1844 erhält – also drei Monate vor Fertigstellung seines eigenen Werkes im Juli –, als »chronique timorée, sans le dessous des cartes de l’histoire« und stellt fest: »C’est l’explication historique qui manque à Brummell.«151 Somit fällt sein Urteil über Jesses Werk in einem Brief vom 26.6.1844 an Trebutien vernichtend aus. Er nennt es ab146

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Massie: Sydenham, S. 43. Über Beaumonts Nachahmer Snowdown heißt es in Anspielung an Brummell: »he would have given half his property to have said, when asked at a dinner-table whether he ate vegetables, that he had a faint recollection of having once swallowed a pea.« (S. 52). Petit: Notes, S. 1442. Barbey: Lettres à Trebutien, Bd. I, S. 66, vgl. Petit: Notes, S. 1423. Vgl. ebd., S. 1428 f. Jesse: Brummell, S. 38, vgl. Petit: Notes, S. 1429. Barbey: Du Dandysme, S. 678 f. Das Motiv nimmt Barbey später in der Geschichte »Le dessous de cartes d’une partie de Whist« auf, die erstmalig in La Mode als Fortsetzung am 5., 15. und 25.5.1850 erscheint (Petit: Notes, S. 1271).

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schätzig »les anecdotes de M. Jesse« und bezeichnet es als ungenießbar.152 Dass Barbey sich hier kritisch über Jesses Ansammlung von Anekdoten äußert, obwohl er selbst auf diese zurückgreift, zeigt, dass er in der reinen Ansammlung keine sonderliche Leistung sieht. Wenn er in Du Dandysme feststellt: »M. Jesse, cet admirable chroniqueur qui n’oublie pas assez, raconte plusieurs anecdotes sur l’indiscipline de son héros« (S. 689), bemängelt er das Versäumnis einer repräsentativen Auswahl explizit.153 Die Anekdoten sollten also, so Barbeys Vorwurf, kein Selbstzweck sein, sondern sorgfältig ausgewählt in den Dienst der Behauptung gestellt werden. Diese Aufgabe der Anekdote reflektiert er am 23.4.1844 in einem Brief an Trebutien: »Le capitaine est l’anecdote incarnée et l’anecdote n’est pas toujours très piquante. Quoi qu’il en soit, ces faits, ramassés avec une patience de botaniste, ont une valeur pour moi, malgré leur insignifiance. Ils confirment ce que j’ai compris de l’espèce d’influence d’un homme tel que Brummell. Brief, cette communication change l’encadrure de mon travail.«154 Auch wenn er einräumt, Jesses Anekdoten seien nicht immer prickelnd, betont er doch, dass sie ihm geholfen haben, den Fokus des Essays auf Brummells Einfluss zu legen.

4.4.1 L’influence Diese Möglichkeit der Anekdote, den Einfluss Brummells darzustellen, elaboriert Barbey, indem er den Einfluss zunächst als essentiell und gleichzeitig als nicht darstellbar behauptet. Brummells Ruhm, so Barbey, habe sich in erster Linie in seinem Einfluss auf die herrschende Meinung manifestiert, und dies sei ebenso schwer zu belegen wie die Wirkungen, die dieser Einfluss erzielt habe (S. 676). Zudem betont er die Vergänglichkeit eines solchen im Augenblick verhafteten Einflusses, was er durch einen Vergleich von Brummells Ruhm mit einem Spiegel versinnbildlicht: Zu Lebzeiten Brummells wurde sein Ruhm wie durch einen Spiegel verstärkt, mit dem Tod jedoch verschwinde Brummells Glanz, da ein Spiegel keine Bilder konserviere, sondern nur das zeigen könne, was – im wahren Wortsinn – im Augenblick präsent sei.155 Insofern entziehe sich auch mit dem Verschwinden von Brummells Einfluss jede Möglichkeit, diesen angemessen zu beurteilen (S. 689). Folglich gibt Barbey als Grund, sich nicht mit dem vereinsamten Brummell in Caen auseinanderzusetzen, an: »C’est du dandy qu’il est question, de son influence […].« (S. 713) Ihm geht es indes nicht um die Betonung der Ver152 153

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Barbey: Lettres à Trebutien, Bd. I, S. 135, vgl. Petit: Notes, S. 1430. In seinen Memoranda kritisiert er bei einem Besuch in Caen an Jesse, dass er dem unrühmlichen Ende zuviel Bedeutung beigemessen habe: »Vu les fenêtres du pavillon qu’habita Brummell dans les derniers temps de sa vie, – le pavillon d’Hanovre de sa folie. – L’historien et le médecin de cet homme, qu’avait aimé George IV et qu’avait envié Byron, étaient là, à trois pas du dernier théâtre de ce dieu de la Mode, qui avait eu l’Angleterre pour théâtre. Et le médecin donnait à l’historien des détails si dégradants pour l’ancien beau, que même ici, dans ce Memorandum intime, il est impossible de les répéter« (S. 1056). Barbey: Lettres à Trebutien, Bd. I, S. 131, vgl. Petit: Notes, S. 1430. «La gloire aura été pour Brummell un miroir de plus. Vivant, elle l’aura réfléchi dans l’étincelante pureté de sa fragile surface; mais – comme les miroirs, quand il n’y a plus là personne – mort, elle n’en aurait rien gardé.« (Barbey: Du Dandysme, S. 679).

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gänglichkeit des Ruhmes im Sinne des vanitas-Diskurses, von dem er sich, wie noch zu zeigen sein wird, zu Beginn des Essays absetzt, sondern um eine positive Darstellung von Brummells im Moment verhafteten Ruhm. Bevor er mit der Erläuterung des Einflusses von Brummell beginnt, stellt er die Besonderheit seines Ansatzes dar und behauptet sich als einziger ernsthafter und kritischer Erforscher der Fragestellung nach der »influence«. Abgesehen von Lister, auf den er noch zurückkommt, habe niemand Brummells mächtige Persönlichkeit darstellen können (S. 678). Um den als undarstellbar dargestellten Einfluss Brummells selbst schließlich doch darzustellen, greift Barbey, der sich am Ende des Essays im pluralis majestatis als »chercheurs d’influence« (S. 715) präsentiert, in erster Linie auf die von Jesse bekannten Anekdoten zurück, die nicht nur als Beiwerk fungieren, sondern ausdrücklich in seine Argumentation eingebunden werden. Wenn er Brummell als »autocrate de l’opinion« bezeichnet und darlegt, dass ein Wort Brummells hoch im Kurs stand (S. 687), belegt er dies an einer von Jesse übernommenen Anekdote: »Une duchesse (et l’on sait ce qu’un titre permet de hauteur dans les salons de Londres) disait en plein bal à sa fille, au risque d’être entendue, de veiller avec soin sur son attitude, ses gestes, ses réponses, si par hasard M. Brummell daignait lui parler.« (S. 687) Barbey verzichtet hier auf die Pointe, dass bei Jesse eine Anstandsdame dem Mädchen diese Anweisung gibt, anstatt es zu ermahnen, sich von Männern fernzuhalten.156 Stattdessen spricht er von einer Adligen, auf deren gesellschaftliche Position er in der Klammer ausdrücklich hinweist, um das gesellschaftliche Prestige Brummells symbolisch zu erhöhen. Dabei greift er auch auf bekannte Personen zurück, um den Einfluss Brummells zu belegen. Er vermutet, dass Henriette Wilson Brummell in ihren Memoiren unterstellt hat, in sie verliebt zu sein, um sich an seiner Missachtung zu rächen und kommentiert: »[E]lle était jalouse non du cœur de Brummell, mais de sa gloire.«157 Als Beleg für Brummells gesellschaftlichen Erfolg führt er die Anekdote an, dass sich Hester Stanhope nach ihrem langen Aufenthalt im Libanon insbesondere an Brummell erinnerte (S. 698). Dabei ist Barbey bei dieser Anekdote, die er aus Jesses Darstellung von Stanhopes Äußerungen über Brummell kondensiert,158 wie schon bei der Duchesse offensichtlich darum bemüht, das Prestige der an Brummell faszinierten Person ausdrücklich ins Bewusstsein zu rücken, um den Effekt der Anekdote zu gewährleisten. Schließlich nimmt er die Anekdote von Jesse auf, dass Mme de Staël es als das größte Unglück angesehen habe, Brummell nicht gefallen zu haben, und als zweitgrößtes, dass sie von Napoleon nicht eingeladen wurde.159 Er kommentiert: »Corinne échoua sur Brummell comme sur Bonaparte: rapprochement qui rappelle le mot de lord Byron cité déjà.« (S. 698) Bereits am Anfang des Essays, nach der Feststellung der Undarstellbarkeit Brummells, gibt 156 157

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Vgl. Jesse: Brummell, S. 68. Barbey: Du Dandysme, S. 688, vgl. Moers: Dandy, S. 36. Tatsächlich berichtet Wilson in ihren Memoirs von einer »foolish profession of love« von Brummell (S. 62), der ihr Liebesbriefe geschrieben haben soll. Vgl. Jesse: Brummell, S. 93-103. Barbey: Du Dandysme, S. 698, vgl. Jesse: Brummell, S. 68, Pichot: Voyage historique et littéraire, S. 287. Medwin zufolge soll die Abneigung auf Gegenseitigkeit beruht haben: »Brummell was her aversion; – she, his […].« (Medwin: Conversations with Lord Byron, S. 182) Dies macht deutlich, wie die Anekdote bei Jesse und Barbey funktionalisiert wird.

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er, wie er hier andeutet, auf diesen mythischen Vergleich abzielend, das evozierte »mot de Byron, qui disait aimer mieux être Brummell que l’empereur Napoléon« wieder (S. 677). Und auch wenn er betont, der wahre Sinn dieses Ausspruchs sei nicht mehr nachzuvollziehen, stellt er fest: »C’est pourtant avec des mots semblables à celui de Byron que l’histoire de Brummell sera écrite […].« (S. 677) Somit behauptet er gleichzeitig, dass sich der Dandyismus Brummells nur anhand von Anekdoten nachvollziehen lässt und dass die mythologische Reduzierung des Jahres 1815 die einzige bleibende Möglichkeit sei, Brummells Einfluss zu erfassen. Um die Behauptung von Brummells Einfluss zu steigern, greift Barbey auf die Vorstellung von Brummell als König der Dandys zurück. Indem er ihn als allmächtigen Despoten präsentiert, kann er ihn als das non plus ultra des gesellschaftlichen Einflusses verankern. Auffällig oft rekurriert er dabei auf das Wortfeld der autoritären, königlichen Herrschaft160 und folgert: »Il versait à doses parfaitement égales la terreur et la sympathie […].« (S. 694) Dabei inszeniert Barbey Brummells Macht als direkte Bedrohung für die Macht des Prinzregenten und als Kampf in erster Linie um gesellschaftlichen Einfluss. Er kommentiert Brummells Spielschulden mit: »Le Régent vit avec amertume un Dandy à moitié ruiné lutter fièrement d’influence contre lui, l’homme le plus élevé de la Grande-Bretagne.« (S. 702) Die Konkurrenz unterstreicht er mit der Aussage, Brummells anschließender gesellschaftlicher Untergang habe der Eitelkeit des Königs geschmeichelt, Brummell wäre dennoch jeder Zeit in der Lage gewesen, seine Herrschaft (»empire«) zurück zu erobern (S. 676). Zumindest im Bereich der Mode ordnet Barbey folglich den Prinzregenten der Herrschaft Brummells unter, etwa wenn er betont, dass Barbey ein nicht zu erreichendes Ideal für den König dargestellt habe (S. 684) oder wenn er über Brummell feststellt: »[I]l ne voulait point demander d’audience au prince qui n’était qu’un Dandy fort inférieur à ce qu’il était, lui, à ses propres yeux.« (S. 711) Barbey stellt dann Vermutungen an, was geschehen wäre, wenn Brummell den König bei dessen Aufenthalt in Calais getroffen hätte: »Le roi de Calais, comme on disait de Brummell, serait-il retourné régner à Londres?« (S. 711) Indem er, ohne dass sich dies an anderen Dokumenten belegen ließe, Brummell zum König von Calais ernennt, verlegt er dessen Herrschaft nach Frankreich, ersetzt dessen Königreich der Mode durch ein konkretes Territorium und macht aus Brummell so einen ebenbürtigen Konkurrenten zu George IV. Er zitiert deswegen Moores Parody of a Celebrated Letter: »Je n’ai jamais eu de ressentiment ou d’envie de nuire à personne, excepté, maintenant que j’y pense, au beau Brummell […].«161 Indem er nicht angibt, dass dies ein Gedicht ist und eine ProsaÜbersetzung liefert, raubt er Moores Gedicht seinen satirischen Charakter und lässt es wie ein authentisches Bekenntnis des Königs klingen. Neben der Widmung der Tabakdose (S. 707), der Bezeichnung des Prinzregenten als Big Ben (S. 701), der Aufforderung an diesen zu läuten (S. 701), die fatfriend-Frage (S. 702) instrumentalisiert er auch die Äußerung Brummells: »Je l’ai fait ce qu’il est, je peux bien le défaire« (S. 703), um Brummells reale 160

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Barbey spricht von Brummell als »prince de son temps« (S. 677), »autocrate de l’opinion« (S. 687), »roi de la mode« (S. 687), »dictateur« (S. 698), von dessen »souveraineté sur l’opinion« (S. 687), »règne« (S. 685), »empire« (S. 676 und 677). In einem Brief an Jesse bezeichnet er Brummell als »Louis XIV de la fashion« (zit. n. Petit: Notes, S. 1430). Barbey: Du Dandysme, S. 703, vgl. Moore: Works [1901], S. 454.

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Gefahr für den König zu suggerieren. Auch die Bezeichnung Brummells als »Warwick de l’élégance« (S. 703) bringt dies zum Ausdruck, da Richard Nevill, Earl of Warwick, der »fameux Warwick, le faiseur de rois«, von dem auch de Staël spricht, zwei Könige gestürzt hatte.162 Für die Verkehrung der Machtverhältnisse, die in diesen Anekdoten zum Ausdruck kommt, findet Barbey die subtile Differenzierung zwischen Brummell als »roi des Dandys« und dem Prinzregenten als »dandy royal« (S. 703). So unterstreicht er die unterschiedliche Legitimation des königlichen Dandyismus, der eine legitimiert durch seinen herrschaftlichen Einfluss, der andere lediglich durch seine Geburt. Dies elaboriert Barbey anhand der Doppeldeutigkeit des Wortes grâce. Zunächst betont er an auffällig vielen Stellen die »grâce« Brummells im Sinne von Anmut, wenn er die Eifersucht der Frauen auf seine »grâce« betont (S. 689) oder diese als Grund dafür angibt, dass sein provokatives Spiel mit den Konventionen akzeptiert wurde: »Pour jouer ce jeu, il faut avoir à son service toutes les souplesses qui font la grâce […].« (S. 675 f.) Wenn er daraus folgert, »[i]l avait la grâce comme le ciel la donne« (S. 676), lässt die Formulierung an die evozierte Anmut denken, gleichzeitig aber auch als Gnade im Sinne einer göttlichen Gabe. Dadurch bringt er die Konkurrenz mit der grâce de Dieu, der Legitimation des königlichen Herrschaftsanspruchs, zum Ausdruck. Barbey treibt dies auf die Spitze, indem er ein Zitat vom Prince de Ligne wiedergibt: »Il fut roi par la grâce de la Grâce«163. Dass Brummell anders als der König nicht roi par la grâce de dieu ist, sondern par la grâce de la Grâce, führt – auch durch die Großschreibung – zu einem anderen Verständnis von Grâce im Sinne von göttlicher Gnade und verdeutlicht die Konkurrenz zu dem König. Brummells Weihen als König der Dandys erhält dieser demnach nicht von Gottes Gnaden, sondern von seiner eigenen Anmut. Indem die Gnade nicht auf Gott, sondern durch die Doppeldeutigkeit auch in einem Zirkelschluss auf sich selbst zurückgeführt wird, stellt sie das Konzept monarchistischer Legitimation radikal in Frage.164 Barbey folgert am Ende seiner Darstellung: »On sait maintenant quelle fut cette vocation et comme il la remplit. Il était né pour régner par des facultés très positives, quoique Montesquieu, un jour dépité, les ait appelées le je ne sais quoi […].«165 Dass Brummell geboren sei, um zu herrschen, ist ein Echo auf das königliche Recht, das sich auf die Geburt stützt. Zudem nimmt Barbey, wenn er von den beschreib- und analysierbaren Eigenschaften spricht, die Brummells Herrschaft ermöglicht haben, in Anspruch, dass er 162 163 164 165

Vgl. Staël: Œuvres, Bd. III, S. 284. Barbey: Du Dandysme, S. 715. Die Lettres et Pensées von de Ligne erscheinen 1809 mit einem Vorwort von de Staël (vgl. Staël: Œuvres, Bd. II, S. 260). Montandon spricht von »le dandy se pose lui-même comme le nouveau Roi […] le roi qui détrône le roi« (Montandon: Honnête Homme, S. 245). Barbey: Du Dandysme, S. 715. Die Kritik am Kapitel »Du je ne sais quoi« von Montesquieus Essai sur le goût dans les choses de la nature et de l’art äußerte er bereits in seinem Artikel »De l’Élegance« (1843), in dem er bemerkt, diese Bezeichnung sei »je ne sais quelle sottise« (zit. n. Petit: Notes, S. 1424). Auch Jesse meint: »had Montesquieu known Brummell, he would never have said, ›Le goût est un je ne sçais [sic] quoi‹.« (S. 48) Die Orthographie lässt darauf schließen, dass Jesse diese Idee aus Tremaine übernimmt, in dem ebenfalls von dem »je ne sçais quoi« von Tremaine die Rede ist (Ward: Tremaine, S. 120).

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diese Herrschaft anhand der Anekdoten über die Konkurrenz mit dem Prinzregenten beschreibbar gemacht habe.

4.4.2 La manière Neben dem Einfluss verortet Barbey den Dandyismus Brummells in dessen Manieren, die noch schwieriger schriftlich festzuhalten seien als der Einfluss: »En effet, ce qui reste le moins de toute société, la partie des mœurs qui ne laisse pas de débris, l’arome [sic] trop subtil pour qu’il se conserve, ce sont les manières, les intransmissibles manières.« (S. 677) Die Metapher des Aromas beschreibt die Flüchtigkeit der Manieren, in denen sich Brummells Dandyismus manifestiert, evoziert aber auch die subtile Distinktion Brummells. Barbey definiert im Folgenden die Manieren als Bewegung von Körper und Geist und betont, dass sich Bewegungen im Wortsinn nicht festhalten ließen (S. 677). Insofern sei Dandyismus weder zu definieren noch schriftlich zu fixieren. Um diese Unbegreifbarkeit noch zu steigern, stellt Barbey den Dandyismus gleichzeitig als bewegliches und nicht immer sichtbares Phänomen dar: »Le Dandysme est toute une manière d’être, et l’on n’est pas que par le côté matériellement visible.« (S. 673 f.) Der Dandyismus sei demnach nicht in der Kleidung begründet, sondern die Kleidung ist nur Ausdruck einer dandyistischen manière d’être, eine Formulierung, die Barbey immer wieder aufnimmt,166 z.B. wenn er von einer »science de manières et d’attitudes […] dont Brummell fut l’expression achevée« spricht (S. 682). In Bezug auf die Kleidung betont er ebenso, dass sich der Dandyismus Brummells nicht so sehr in der Mode an sich zeige, sondern in einer »certaine manière de porter« (S. 673 FN), eine These, die schon Balzac in seinem Traité in Bezug auf Brummell formuliert.167 Dieser Hang zum stilisierten Verhalten legt es nahe, mit Kusenberg vom Dandyismus als manieristische Lebensform zu sprechen,168 wenn man das stilisierte Verhalten im doppelten Sinne der Behauptung sowohl der Selbststilisierung Brummells als auch der Stilisierung Barbeys zuordnet. Wie bei der influence stellt Barbey auch bei der manière zunächst die Schwierigkeit fest, diese darzustellen, um sie dann doch anhand von Anekdoten zu illustrieren. Analog zur manieristischen Dominanz der Form über den Inhalt169 unterstreicht Barbey, um seine These zu untermauern, dass man selbst in zerrissener Kleidung Dandy sein könne, und trägt zwei Anekdoten dazu bei. Der ersten zufolge soll Lord Spencer das gleichnamige Kleidungsstück erfunden haben, indem er bei einem Frack, an dem ein Rockschoß fehlte, den anderen auch noch entfernte. Der Dandyismus bestehe demzufolge nicht in der Wahl von wertvoller Kleidung, sondern wie beim Manierismus durch die Abweichung vom Normalen und einem unbedingten Stilwillen.170 Zweitens berichtet Barbey in einer Fußnote, dass sich die Dandys zu Brummells Zeiten eines Tages ihre Kleidung verwüsteten und im »habit râpé« er166

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Vgl.: »la manière d’être qu’on appelle Dandysme« (S. 675), »C’est une manière d’être, entièrement composée de nuances« (S. 674), »Il n’avait que des manières dont le sens se perd de plus en plus tous les jours.« (S. 710 FN). Vgl.: »La toilette ne consiste pas tant dans le vêtement que dans une certaine manière de le porter.« (Balzac: Traité de la vie élégante, S. 254). Kusenberg: Fragment, S. 726, vgl. Link-Heer: Manierismus, S. 794. Kusenberg: Fragment, S. 724. Vgl. Link-Heer: Manierismus, S. 794.

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schienen: »Ils trouvèrent celle-là si dandie (je ne sais pas un autre mot pour l’exprimer), de faire râper leurs habits avant les mettre […].« (S. 674 FN) Auffällig ist hier der Zirkelschluss, da Barbey auf der einen Seite das Dandyistische des habit râpé alleine dadurch definiert, dass er von nicht weiter spezifizierten Dandys getragen wurde, auf der anderen Seite aber als einzige Erklärung für ihr Verhalten gibt, dass sie dies für »dandie« hielten. Ihre Beweiskraft fordert die Anekdote folglich weniger aufgrund ihrer logischen Stringenz ein, sondern durch die Tatsache, dass sie Barbey zufolge von Dandys aus Brummells Zeit stamme. Allerdings ist genau diese Behauptung nicht belegt. Jesse berichtet zwar, dass Brummell in Caen am Ende zerschlissene Kleidung trug, dies ist jedoch Ausdruck von Brummells Armut, der nur noch eine Hose besaß.171 Wahrscheinlicher ist deswegen, dass sich Barbey auf einen in Frankreich verbreiteten Mythos bezieht, den er den englischen Dandys zuschreibt. Denn die Dandys um Théophile Gautier sahen es als Ausdruck ihres antibürgerlichen Dandyismus an, ihre Hemdkragen abzuschneiden und die Kleidung zu verwüsten, Gautier schreibt über Baudelaire: »Charles Baudelaire appartenait à ce dandysme sobre qui râpe ses habits avec du papier de verre pour leur ôter l’éclat endimanché.«172 Wo für Gautier die Kleidung eine wichtige Rolle spielt und es gilt, elegant zu sein, ohne wie ein Bürger im Sonntagsstaat zu wirken, nimmt Barbey diese Anekdote zum Anlass, die Rolle der Kleidung herunterzuspielen: »L’habit n’y est pour rien. Il n’est presque plus.« (S. 674 FN) Anstatt die manière de porter in Worte zu fassen, erfindet er also die Anekdote des habit râpé, welche die Unwichtigkeit der Materialität der Kleidung und die Wichtigkeit der flüchtigen manière betont, obwohl das Zerschneiden der Kleidung im Grunde nur deren Wichtigkeit bestätigt. In der gleichen Fußnote zitiert Barbey die Handschuh-Anekdote und kommentiert diese mit: »Mais le Dandysme n’était pas la perfection de ces gants qui prenaient le contour des ongles, c’est qu’ils eussent été faits par quatre artistes spéciaux, trois pour la main et un pour le pouce.« (S. 674) In diesem ausweichenden Definitionsversuch des Dandys gibt er selbst die Rolle der Anekdoten an. Zwar lasse sich die Eleganz der Handschuhe konstatieren und mit einem anschaulichen Vergleich verdeutlichen, wesentlicher für das Verständnis von Brummells Erscheinung sei jedoch der durch die Anekdote dargestellte Mythos. In einer kursivierten Fußnote zu dieser Fußnote – ein Kuriosum auf das Barbey selbst hinweist – illustriert er den Dandyismus anhand einer weiteren Anekdote: »Kaunitz n’était pas un Dandy quand il mettait un corset de satin comme l’Andalouse d’Alfred de Musset, mais il l’était quand, pour donner à ses cheveux la nuance exacte il passait dans une enfilade de salons dont il avait calculé la grandeur et le 171 172

Vgl.: »his linen was ›en lambeaux‹, his boots percées […].« (Jesse: Brummell, S. 481). Gautier: Portraits et souvenirs littéraires, S. 135, vgl. Gautier: Baudelaire, S. 78. Die Zeitschrift Le lion vom 20.7.1842 unterstreicht, der »habit râpé« sei nicht die Kleidung des Dandys, sondern des Künstlers, denn nur die Reichen könnten in einem solchen Aufzug originell erscheinen (vgl. Erbe: Modeheld, S. 96). Bereits August von Kotzebue schreibt in seinen Erinnerungen aus Paris (1804), alles was ein élégant trage, müsse alt und zerrissen aussehen (zit. n. Chenoune: Des modes et des hommes, S. 9). Vgl. ausführlich Kapitel 5.5 und 6.2.

104 | DIE BEHAUPTUNG DES DANDYS nombre et que des valets armés de houppes le poudraient, seulement le temps qu’il 173 passait!«

Nicht die Imitation von Mussets Gedicht »L’Andalouse«, sondern nur die abenteuerliche Puderzeremonie macht Kaunitz zu einem Dandy und ist Ausdruck seiner manière de porter. Die außergewöhnliche Handhabung von Kaunitz, die Barbey als Ausdruck des Dandyismus behauptet, untermauert so den manieristischen Stilwillen des Dandys.174 An dem Punkt, an dem sich die manière Brummells selbst durch Anekdoten nicht mehr erfahrbar machen lässt, bedient sich Barbey der fashionable novels. Diese Taktik ist bereits bei Jesse zu finden, der Brummells Lob von Granby zum Ausgangspunkt nimmt, um auf den Roman zurückzugreifen, als wäre dieser eine authentische Darstellung von Brummell. Im Vorwort kündigt Jesse an, aus dem intelligenten und unterhaltsamen (»clever and entertaining«) Buch zu zitieren (S. vii). So führt er in Anspielung auf die Anekdote, Brummell habe dem Prinzregenten befohlen zu läuten, zwei längere Zitate aus Granby an, um dessen Wortgewaltigkeit und »art of cutting« zu beschreiben.175 Der fiktionale Protagonist Trebeck wird also von Jesse aufgrund Brummells Äußerung als authentische Beschreibung Brummells behandelt.176 Barbey übernimmt diese Strategie und rechtfertigt dies mit »le portrait de Trebeck semble avoir été fait sur le vif […].« (S. 678) Wenn er im Folgenden von der zu spürenden »présence réelle« von Brummell in Granby spricht, zollt er dem von Jesse zugetragenen Lob Brummells von Granby Tribut. Somit schenkt Barbey, wie auch Jesse, der Behauptung der fashionable novels Glauben, mit ihren friktionalen Dandyfiguren ein authentischeres Bild von Brummell zu liefern, als es die Anekdoten tun. Folglich fungiert insbesondere Granby als letzte Option, die Unbeschreibbarkeit des Dandys zu beschreiben: Wenn Barbey von der Erscheinung Brummells spricht, betont er zwar, er habe Brummell in Caen gesehen und seinen Glanz vergangener Zeiten erahnen können (S. 692 f.), benutzt aber als erste Referenz für Brummells Londoner Zeit Granby. Auch um die manière zu beschreiben, mit der Brummell Leute ignoriert, greift er auf den

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Barbey: Du Dandysme, S. 675. Da er diese Anekdote bereits in seinem Aufsatz »De l’élégance«, erschienen im Moniteur de la Mode am 20.4.1843, wiedergegeben hat (vgl. Petit: Notes, S. 1427), muss sie ihm schon vor Lektüre von Jesses Biographie, in der diese auch enthalten ist (vgl. Jesse: Brummell, S. 8), bekannt gewesen sein. Jesse: Brummell:, S. 70 f., vgl. Lister: Granby, S. 110 f. Dieser friktionale Bezug wird auch von Fremy in Le roi de la mode in Bezug auf Pelham übernommen. So schreibt er, dass die Aussage von Russelton, er habe sich bereits mit sechs Jahren aus dem schönsten Kleid seiner Mutter eine Weste geschneidert, tatsächlich auf Brummell zutreffe (Fremy: Le Roi de la Mode, S. 245). Fremy scheint indes aus dem Gedächtnis zu zitieren, da Russelton in der Stelle in Pelham behauptet, er habe die Weste aus dem Unterrock seiner Tante geschneidert (Bulwer-Lytton: Pelham, S. 134). Auch der Hinweis, Brummell habe sich dagegen entschieden, Shakespeare zu werden und sich vorgenommen: »Je serai Brummel« (Fremy: Le Roi de la Mode, S. 248 f.), ist ein Echo auf Russelton, der sagt: »I came into the world with an inordinate love of glory and a great admiration for the original: these propensities might have made me a Shakspeare: they did more, they made me a Russelton.« (S. 134).

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Roman zurück. Brummells spezielle Kunst, Leute ins Lächerliche zu ziehen, illustriert Barbey in gleicher Weise durch die fashionable novels, wenn er schreibt, Brummell benutze die Ironie, um die Selbstliebe der Leute zu erschüttern. Er spricht dabei von der manière (»Brummell s’en servait de manière à transir tous les amours propres«) und zitiert Lister: »Il n’y avait pas – dit l’auteur de Granby – de gardien de ménagerie plus habile à montrer l’adresse d’un singe qu’il ne l’était à montrer le côté grotesque caché plus ou moins dans tout homme; son talent était sans égal pour manier sa victime et pour lui faire exposer elle-même ses ridicules sous le meilleur point de vue possible.« (S. 694) Das Verb manier erinnert hier an die Finten eines Fechtkampfes und führt auf die ursprüngliche Bedeutung des Manierismus als Handhabung hin.178 Barbey verwendet zudem die beiden Zitate aus Granby, die auch Jesse anführt, um Brummells Scharfzüngigkeit zu behaupten.179 Er benutzt Granby aber auch, um die Behauptung, Brummell habe den Ruhm seinen Schneidern zu verdanken, mit der Jesse seine Biographie beschließt (S. 527), zu widerlegen und als »bêtise de l’insolence« zu bezeichnen.180 Barbeys Übersetzung von Lister, die einige Sätze aus dem Original unmarkiert auslässt, ist insofern geschickt gewählt, als vom Protagonisten Trebeck nur in der 3. Person Singular die Rede ist, so dass der Eindruck entsteht, die Beschreibung beziehe sich direkt auf Brummell.181 An anderen Stellen nimmt Barbey die Beschreibung von Trebeck ebenso als allgemeine Aussage über den Dandyismus. So überträgt er, ohne auf Lister zu verweisen, die Beschreibung von Trebeck, »[h]e wished to astonish, even if he did not amuse«182, generell auf die Dandys: »Comme tous les Dandys, il aimait encore mieux étonner que plaire […].« (S. 694) Barbey steigert die Friktion in Granby also, indem er aus der friktionalen Aussage über Brummell eine Maxime des Dandyismus macht. Während Lister und Bulwer-Lytton mithilfe der Anekdoten eine Beziehung zwischen dem Protagonisten und Brummell herstellen, wird dieses Oszillieren zwischen literarischer und historischer Figur von Barbey kurzgeschlossen, indem er sich wiederum auf diese friktionale Figur bezieht,

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Vgl.: »Écoutons Lister: ›Il n’était ni beau ni laid; mais il y avait dans toute sa personne une expression de finesse et d’ironie concentrée, et dans ses yeux une incroyable pénétration.« (Barbey: Du Dandysme, S. 692, vgl. Lister: Granby, S. 111) »›Il n’affectait pas d’avoir la vue courte, mais il pouvait prendre – dit encore Lister – quand les personnes qui étaient là n’avaient pas l’importance que sa vanité eût désirée, ce regard calme, mais errant, qui parcourt quelqu’un sans le reconnaître, qui ne se fixe ni ne se laisse fixer, que rien n’occupe et que rien n’égare.« (Barbey: Du Dandysme, S. 692, vgl. Lister: Granby, S. 111) An einer anderen Stelle bedient er sich sogar des Romans von Lister, um zu beschreiben, dass sich Brummell mit zunehmendem Alter von dem Versuch, mit der Kleidung Einfluss zu nehmen, distanzierte: »Mais plus tard il se déprit, comme le dit Lister, de cette préoccupation de jeunesse […].« (Barbey: Du Dandysme, S. 692, vgl. Lister: Granby, S. 109). Vgl. Link-Heer: Manierismus, S. 794, Kusenberg: Fragment, S. 726. Vgl. Barbey: Du Dandysme, S. 692, 694. Vgl.: »Écoutons Lister plutôt; il peint ressemblant: ›Il lui répugnait de penser que ses tailleurs étaient pour quoi que ce fût dans sa renommée, et il ne se fiait qu’au charme exquis d’une aisance noble et polie qu’il possédait à un très remarquable degré.‹« (ebd, S. 691). Vgl. Lister: Granby, S. 108 f. Ebd., S. 111.

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um den realen Brummell und die manière d’être des Dandyismus im Allgemeinen zu beschreiben.

4.4.3 Die Anekdote als Form Barbeys Behauptung zeugt nicht nur von einem reflektierten und systematischen Gebrauch von Anekdoten und friktionalen Bezügen, sondern auch von der Elaboration einer besonderen Form. Sein Ansatzpunkt, durch Anekdoten und friktionale Bezüge die vergängliche Manier und den Einfluss einzufangen, entspricht somit dem zentralen Ansatzpunkt des Essays, wie ihn Lenk definiert, sich gegen die »seit Plato eingewurzelte Doktrin, das Wechselnde, Ephemere sei der Philosophie unwürdig« zu wenden.183 Denn der Essay »will nicht das Ewige im Vergänglichen aufsuchen und abdestillieren, sondern eher das Vergängliche verewigen.«184 Wenn Barbey betont, der Dandyismus Brummells bestehe nicht in seinen Handschuhen, sondern in der besagten Anekdote, untermauert er, dass die manière nur punktuell und anekdotenhaft beleuchtet werden kann und er sich durchaus, wie Adorno formulieren würde, der Nicht-Identität von Sache und Darstellung bewusst ist.185 Tatsächlich spricht Barbey von seinem Text als »histoire d’impressions plutôt que de faits« (S. 700). Statt den Einfluss Brummells objektiv erfahrbar zu machen, begnügt sich Barbeys Essay im Sinne Adornos damit, an einem partiellen Zug die Gesamtheit der Sache aufleuchten zu lassen, wie hier Brummells Einfluss an der Reaktion von ausgewählten bekannten Persönlichkeiten zu illustrieren. Barbey reflektiert gegenüber Trebutien am 29.2.1844 die Bedeutung der influence: »[J]e me suis mis à penser sur Brummell et sur le Dandysme bien plutôt que je n’ai écrit une histoire fondée sur les commérages les plus incertains. J’ai cherché à m’expliquer une influence, j’ai marqué les besoins que cette influence révélait, je l’ai circonscrite, etc., etc. En d’autres termes, j’ai fait de si haut l’histoire que ce n’en est presque plus.«186 Dass er also gleichzeitig die geschichtlichen Hintergründe erläutert habe,187 ohne die besondere Position Brummells (und die Anekdoten über ihn) aus den Augen zu verlieren, entspricht Greenblatts Konzept der Foveation: In Anlehnung an den medizinischen Begriff, der die Fähigkeit bezeichnet, gleichzeitig einen Punkt zu fokussieren, ohne die Umgebung aus dem Auge zu verlieren, beschreibt dies das Kunststück des literaturwissenschaftlichen Essays nach dem Vorbild von Erich Auerbachs Mimesis, gleichzeitig den Kontext wie auch ein konkretes Textbeispiel genau zu betrachten.188 Die Metapher der Höhe, aus der Barbey die Geschichte betrachtet habe, drückt dieses Kunststück zwischen Distanz und Betrachtung der Einzelheiten aus. Zudem bezieht sich Barbey explizit auf die Gattung Essay, wovon der ursprünglich vorgesehene Titel »Essai sur le Dandysme, avec une biographie de Brummell« zeugt.189 Doch auch der definitive Titel Du Dandysme et de George Brummell orien183 184 185 186 187 188 189

Lenk: Georg Simmel, S. 420, vgl. Adorno: Der Essay als Form, S. 23. Adorno: Der Essay als Form, S. 25. Ebd., S. 38. Barbey: Lettres à Trebutien, Bd. I, S. 119, vgl. Petit: Notes, S. 1430. Vgl. zur Umsetzung dieses Anspruchs Kapitel 6.4. Zur Dokumentation Barbeys über die englische Geschichte vgl. Greene: Histoire. Gallagher: Practicing New Historicism, S. 26, vgl. Greenblatt: Erich Auerbach. Petit: Notes, S. 1427.

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tiert sich an der typischen Betitelung von Essays, die das Thema seit Montaignes Essais mit De… einleitet.190 Schließlich beweist auch der Aufbau des Textes eine essayistische Form. Wie im adornoschen Essay fordert Barbey die cartesianischen Regeln der analytischen Zergliederung des Gegenstandes, der systematischen Ordnung der Gedanken sowie der möglichst vollständigen Aufzählung heraus, indem er anstelle der rationalen Wahrnehmung eine suggestive Behauptung durch Anekdoten setzt.191 So teilt seine Argumentation den Gegenstand nicht systematisch auf, sondern betrachtet im Gegenteil repräsentative Beispiele und strebt somit keine vollständige Aufzählung an. Barbeys Vorwurf an Jesse, er könne nicht genügend vergessen, zeigt, dass er eine subjektive Selektion als notwendig erachtet. Dieser Versuch (frz. essai), den Dandyismus Brummells aus einzelnen Anekdoten sprechen zu lassen, entspricht der von Erich Auerbach in Mimesis oder von Walter Benjamin in Ursprung des deutschen Trauerspiels zugrunde gelegten These, dass das Ganze im einzelnen Teil ersichtlich sei, und »der Wahrheitsgehalt sich nur bei genauester Versenkung in die Einzelheiten eines Sachverhalts fassen läßt.«192 Ähnlich wie das von Benjamin in diesem Zusammenhang beschriebene Traktat (S. 10 f.), entwickelt Barbeys Text keine linearen Gedankengänge, sondern hält mit jedem Satz inne und hebt neu an, kommt immer wieder auf den Gegenstand seiner Betrachtung zurück. Denn anders als Jesses chronologisch angelegter Brummell beginnt Barbey mit einer Abhandlung über vanité, die ganz im Stile von Montaignes Essais mit Beispielen illustriert wird. Nach der Reflexion über Brummells Einfluss und dem Kommentar der fashionable novels folgt ein kurzer kulturgeschichtlicher Exkurs über den französischen Einfluss auf die englische Kultur, dann erst beginnt Barbey mit der mit Anekdoten gespickten Biographie Brummells, der er wieder allgemeine Überlegungen folgen lässt. Somit lässt sich Barbeys Text wie Lukács’ Essay keinem eindeutigen Themenbereich zuordnen, sondern bewegt sich in unterschiedlichen Bereichen wie Wissenschaft, Moral und Kunst.193 Barbey liefert, wie auch zeitgenössische Rezensenten erkannten, neben einem biographischen Abriss eine im französischen Sinne moralistische Reflexion über die vanité sowie einen geschichtlichen und politischen Überblick der englischen Gesellschaft.194 Schließlich spielt die Auseinandersetzung mit der Literatur, wie den fashionable novels oder Byrons Werk eine Rolle, selbst autobiographische Anspielungen lassen sich finden.195 190 191 192 193 194 195

Vgl. Montaigne: Œuvres, S. 15. Vgl. Adorno: Der Essay als Form, S. 30-34. Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels, S. 10, Auerbach: Mimesis, S. 509, vgl. zu Auerbach ausführlich Greenblatt: Auerbach, S. 91. Lukács: Die Seele und die Formen, S. 29, vgl. Adorno: Der Essay als Form, S. 9. Vgl.: »il unit les méditations de l’historien aux observations du moraliste.« (Méril: Dandysme o.S.). So fügt er seiner Bemerkung, die Ironie verleihe Brummell ein »air de sphinx« in einer Fußnote hinzu, dass ihm selbst nachgesagt wurde, er sei ein Palast in einem Labyrinth (S. 694 FN), ein Kompliment von Eugénie de Guérin, das Barbey in seinen Memoranda wiedergibt: »[Guérin] A dit de moi que j’étais un beau palais dans lequel il y a un labyrinthe.« (Barbey: Memoranda, S. 982, vgl. Petit: Notes, S. 1448) Zudem berichtet er über Brummell: »Nous qui lui consacrons ces pages, nous l’avons vu dans sa vieillesse […].« (S. 692)

108 | DIE BEHAUPTUNG DES DANDYS

Dass sich Barbey nicht an eine systematische Ordnung der Gedanken hält, bringt insbesondere seine Fußnote in der Fußnote zum Ausdruck, die er selbst kommentiert: »J’ai si bonne envie d’être clair et d’être compris que je risquerai une chose ridicule. Je mettrai une note dans une note.« (S. 674 FN) Barbey stellt seine mise en abyme also paradoxerweise als Element dar, das der Klarheit und dem besseren Verständnis dient. Die Fußnote in der Fußnote, die sich in der Pléiade-Ausgabe über drei Seiten hinzieht und insgesamt circa die Hälfte des ganzen Kapitels einnimmt, zeigt, dass sich Barbeys Argumentation eben nicht durch einen zentralen Strang, sondern durch exzentrische Randbemerkungen vollzieht, die mit jeder neuen Ausgabe anwuchsen: Viele der Fußnoten, die zusätzliche Ausführungen und Anekdoten bieten, fügte Barbey erst nachträglich ein, die Ausgabe von 1861 ergänzt er u.a. um einige Bemerkungen zu d’Orsay und die von 1879 um ein Kapitel über Lauzun.196 Barbeys ausführliche Abschweifungen, Zitate und Anekdoten ziehen sich durch den ganzen Text und prägen maßgeblich den typographischen Gesamteindruck. Die Vielstimmigkeit des Textes schlägt sich also auch in seiner »Schriftbildlichkeit« nieder.197 Nicht zuletzt in der Materialität des Textes präsentiert sich die elaboriert-zerstückelte Form der Behauptung des Subjekts durch Anekdoten.

196 197

In einem Brief an Trebutien vom 15.4.1843 bestätigt er, Brummell in Caen gesehen zu haben (Barbey: Lettres à Trebutien, Bd. I, S. 66, vgl. Petit: Notes, S. 1423). Vgl. Petit: Notes, S. 1434, 1439. Vgl. Krämer: Schriftbildlichkeit, insbesondere S. 160.

5. D I E B E H A U PT U N G

DES

AUTORS Behaupte dich, sonst gedeihst du nimmer. Es gilt Ich gegen Ich, überall und immer. Christian Morgenstern

Das vorherige Kapitel hat gezeigt, wie der Dandyismus Brummells durch Anekdoten behauptet wird, die, unabhängig vom Autor, der die Anekdote verwendet oder elaboriert, Brummell als genuinen Schöpfer der Anekdote darstellen. Dabei übte Frage, ob Brummell selbst schriftliche Dokumente hinterlassen habe, bereits auf seine Zeitgenossen große Faszination aus. In der Sammlung Anecdotes von Thomas Moore wird berichtet, Moores Verleger Thomas Murray habe Brummell die für diese Zeit unverhältnismäßige Summe von 5.000 ₤, die circa 300.000 heutigen englischen Pfund entspricht,1 für die Publikation der Memoiren geboten, woraufhin der König 6.000 ₤ an Brummell geschickt habe, damit er diese nicht veröffentliche (S. 76). Die hohe Summe suggeriert nicht nur, dass Details über das Verhältnis der beiden den König hätten kompromittieren können, vor allem anekdotisiert sie das allgemeine Interesse an Brummells literarischer Selbstdarstellung, das sich auch in diversen posthumen Veröffentlichungen unter dem Autornamen Brummell zeigt.2 Nicht nur Balzac zitiert Brummell in seinem Traité, auch Fremy versichert in »Le roi de la Mode«, einen Auszug aus diesen Memoiren sowie einen von Brummell verfassten Aufsatz über die Mode gelesen zu haben, und äußert die Hoffnung, seine Hommage an Brummell möge diesen dazu bewegen, die »immortels pamphlets sur la mode et ses Mémoires d’outre-tombe« endlich zu veröffentlichen (S. 260). Obschon Fremy Brummell in den Rang eines Chateaubriand stellt und ein provokantes Pamphlet verspricht, bleiben Brummells Memoiren verschollen. Auch sein um Instruktion und Gefälligkeit bemühtes Manuskript Male and Female Costume hält nicht Fremys Versprechen, die anekdotische Selbstbehauptung durch das Wort als Waffe literarisch realisiert zu haben. Gleichwohl ist Brummell Leit- und Vorbild für die Behauptung des Autors George Byron, des zentralen Autors 1 2

Vgl. Kelly: Brummell, S. ix. The book of fashion: being a digest of the axioms of the celebrated Joseph Brummell Esq. (London: Simpkin & Marshall 1835) gibt einen falschen Vornamen an (vgl. Fortassier: Interview d’un dandy, S. 83). Im Artikel aus Fashion von März 1898 »What the World is Wearing« (Bd. 1, London Fashions Publishing Company) ist der Autorname »Beau Brummell Junior« lediglich Hommage, ähnlich wie beim unter dem Autornamen »Brummell and Beau« veröffentlichten Deportment for Dukes and Tips for Toffs (London: Simpkin Marshall 1900) sowie dem »Brummel« signierten Aufsatz »The Philosophy of Men’s Clothes« im Windsor magazine (1895), der neue modische Krawattenknoten beschreibt.

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dieses Kapitels. Byron wiederum prägt eine besondere Modalität, in welcher der Dandy behauptet wird und auf welche die nachfolgenden Autoren Bezug nehmen. Die Behauptung des Autors beschreibt also das Einnehmen einer bestimmten Position – gegenüber Byron oder anderen Vorgänger-Autoren – sowie eine besondere Art der Äußerung, worunter Foucault, entgegen anderer Annahmen, ausdrücklich auch die Frage nach dem literarischen Stil versteht.3 Eine, nach Vorbild Brummells, ›dandyistische‹ Ironie und die in den fashionable novels beschriebene Friktion sind die wesentlichen Erscheinungsformen dieser Positionierung und Äußerungsmodalität.

5 . 1 D i e P o si ti o n v o n B y r o n Wie in Kapitel 4.1.6 gezeigt, etabliert der Vergleich zwischen Byron, Napoleon und Brummell Letzteren als Herrscher über die Mode. Ebenso hebt dieser Mythos umgekehrt die literarischen Verdienste Byrons hervor und stellt ihn als ebenbürtig schillernde Persönlichkeit dar. Diese Faszination für die Person des Autors sieht Bourdieu als wichtigen Faktor für die Ausprägung des literarischen Feldes und setzt sie mit dem Beginn der Romantik gleich: »Si l’intérêt pour la personne de l’écrivain et de l’artiste progresse parallèlement à l’autonomisation du champ intellectuel et artistique […] c’est seulement à l’époque romantique que la vie de l’écrivain, devenue elle-même une sorte d’œuvre d’art (que l’on pense par exemple à Byron), entre en tant que telle dans la littérature.«4 Wenn nun ausgehend von der Figur Byron die eigene und fremde Behauptung des Autors untersucht wird, so nicht unter der Prämisse, dass Byrons Leben »als solches« in die Literatur eingeht, wie Bourdieu schreibt. Vielmehr ist Jerome McGanns These zuzustimmen, in den autobiographischen Bezügen von Byron sei weniger eine tatsächliche Selbstdarstellung als vielmehr ein Versuch der Selbst-Mystifizierung zu sehen.5 Byron ist dabei nicht nur als Vorbild für die Selbstbehauptung des Autors in der Literatur relevant, sondern auch, weil die erste schriftliche Erwähnung von Brummell als Dandy überhaupt sowie die erste literarische Verarbeitung des Dandys von ihm stammt: Sein Gedicht Beppo wurde 1818, noch vor den ersten fashionable novels, veröffentlicht. In Byrons Brief vom 25. Juli 1813 an seinen Vertrauten Thomas Moore, der 1830 The Life of Byron, with his letters and journals herausgab, ist der Begriff Dandy in unserem Kontext zum ersten Mal nachgewiesen: »The season has closed with a dandy ball […].«6 In einem anderen Brief an Lord Blessington wird deutlich, dass damit eine Feier im Watier’s Club gemeint ist, in dem Byron und Brummell verkehrten: »[I]n my time Watier’s was the Dandy Club, of which (though no dandy) I was a member, at the time too of its greatest glory, when Brummel and Mildway, Alvanley and Pierrepoint

3

4 5 6

Vgl. Foucault: Archéologie du savoir, S. 47, 100. Zu Unrecht sieht also Ihrig seinen Ansatz, »Dandyismus als Kategorie des Stils zu betrachten«, als inkompatibel mit Foucault (Ihrig: Literarische Avantgarde, S. 10). Bourdieu: Champ du pouvoir, champ intellectuel et habitus de classe, S. 8 f. McGann: Byron and Romanticism, S. 287. Moore: Life of Byron, S. 189. Zur etymologischen Abstammung des Wortes Dandy vgl. Kapitel 7.3.

DIE BEHAUPTUNG DES AUTORS | 111 7

gave the Dandy Balls […].« Gegenüber Thomas Medwin identifiziert sich Byron indes vorbehaltlos als Dandy, wobei er den Dandyismus mit dem Auftreten eines Lebemanns verbindet. Rückblickend auf seine erste Begegnung mit seiner Frau Annabella Milbanke schreibt er: »I was the fashion when she first came out: I had the character of being a great rake, and was a great dandy – both of which young ladies like.«8 Dass Byron sich gleichzeitig mit den Dandys identifiziert und sich von diesen abgrenzt, deutet auf eine besondere Position hin, die deutlich wird, wenn er gegenüber Medwin die Bedeutung der Bekanntschaft mit Brummell für seinen Status als Autor betont: »I received everywhere a marked attention, was courted in all societies, […] was in favour with Brummell, (and that was alone enough to make a man of fashion at that time) in fact, I was a lion – a ballroom bard – a hot-pressed darling!«9 Demnach ist seine Bekanntschaft mit Brummell von zentraler Bedeutung für seine Existenz als Autor: Gestützt durch die Alliteration verknüpft ballroom bard mondänes Leben mit der von Byron häufig verwendeten Bezeichnung bard für den Dichter10 und ist die Chiffre für seine doppelte Selbstinszenierung als Schriftsteller und Dandy. In diesem Sinn berichtet Stendhal von seiner Begegnung mit Byron in »Lord Byron en Italie. Récit d’un témoin oculaire« (1816), dass Byron voller Bewunderung und Eifersucht gegenüber Brummell war, betont jedoch auch, dass es im Charakter des großen Dichters liege, nur ein Drittel des Tages Dandy zu sein (S. 245). Diese doppelte Rolle als Dandy und Autor beschreibt Byron selbst gegenüber Moore: »I liked the Dandies, they were always very civil to me, though in general they disliked literary people, and persecuted and mystified Mme de Stael [sic], Lewis, Horace Twiss, and the like, damnably. They persuaded Madame de Stael that Alvanley had a hundred thousand a year, &c. &c., till she praised him to his face for his beauty! and made a set at him for Albertine, and a hundred other fooleries besides. The truth is that, though I gave up the business early, I had a tinge of Dandyism in my minority, and probably retained enough of it to conciliate the great ones at four and twenty. I had gamed and drunk and taken my degrees in most dissipations; and, having no pedantry, and not being overbearing, we ran quietly together. I knew them all more or less, and they made me a member of Watier’s (a superb club at that time), being, I take it, the only literary man (except ›two‹ others, both men of the 11 world, Moore and Spenser) in it.«

7

Moore: Life of Byron, S. 578. Auch in Bezug auf den Argyle Club berichtet Byron von einem »dandy-ball«, organisiert von »Brummel, Mildmay, Alvanley, and Pierrepoint« (S. 303, vgl. Prevost: Dandysme, S. 30). 8 Medwin: Conversations with Lord Byron, S. 46. Im Don Juan heißt es: »His manner was perhaps the more seductive/ Because he ne’er seemed anxious to seduce […] And seem to say ›resist us if you can‹/ Which makes a dandy while it spoils a man.« (Byron: Works Bd. V, S. 592) Im Folgenden beziehen sich alle Byron-Zitate auf diese Ausgabe. 9 Medwin: Conversations with Lord Byron, S. 214. 10 Vgl. etwa seine English Bards and Scotch Reviewers (1808). 11 Moore: Life of Byron, S. 303. Er schreibt auch, dass Albertine von Brummell Libertine genannt wurde, betont aber ihre Tugendhaftigkeit (ebd.).

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Byron nimmt für sich eine besondere Situation als Schriftsteller in der High Society in Anspruch, die sich durch die Angabe seines Alters, 24, auf die Zeit um 1812 datieren lässt. Zwar relativiert er, in seiner Jugend lediglich einen Hauch (tinge) Dandyismus besessen zu haben, andererseits unterstreicht das Pronomen »our« seine Identifikation mit den Dandys. Dass die Voraussetzung für seine Aufnahme in den Dandy Club seine Bereitschaft war, sich für Glücksspiele und Alkoholkonsum zu begeistern, von denen er als »business« und von »taken my degrees« spricht, also vom Erwerben akademischer Grade, unterstreicht, dass die Mitglieder des Dandy Clubs äußerst begütert waren, nicht arbeiten mussten und sich somit mit aller Ernsthaftigkeit und Muße diesen Beschäftigungen hingeben konnten. Durch die angedeutete und wieder zurückgenommene Distanzierung zu den Dandys untermauert Byron seine Rolle als Mitglied des exklusiven Dandy Clubs sowie als eigenständiger Literat, der seine eigenen Aktionen rückblickend und mit Distanz beschreibt.12 Dabei stellt er eine Diskrepanz zwischen den Literaten einerseits und den Dandys des Watier’s Club andererseits fest. Indem er die Verachtung letzterer für erstere hervorhebt und de Staël naiven Opportunismus unterstellt, kann er sich neben Spenser und seinem Freund Thomas Moore als einziger den Dandys ebenbürtiger Literat und man of the world behaupten. Dabei ist zu bedenken, dass das Prestige der Mitgliedschaft in exklusiven Clubs immens war. Byron selbst berichtet, dass die strengen Aufnahmeregeln der Clubs seine Abendgestaltung mit Thomas Moore einschränkte, da dieser, anders als er, lediglich Mitglied im Watier’s Club war.13 In seiner Anekdotensammlung über das Club Life of London gibt John Timbs eine Beschreibung der Statuten von den Clubs Almack’s und White’s, in denen Brummell und Byron verkehrten.14 Der White’s Club beispielsweise unterstrich seine Exklusivität, indem er auf 500 Mitglieder limitiert war, neue Bewerber auf Vorschlag alter Mitglieder erst als Kandidaten ernannte und ihre Aufnahme dann zur Wahl gestellt wurde (S. 83). Byrons zweiseitige Selbstbehauptung als Autor und Dandy nimmt die mit Byron befreundete Lady Blessington in ihrem Journal of Conversations of Lord Byron (1834) auf, wo sie Byron als »poet among lords and a lord among poets« bezeichnet.15 Gemäß dieser Formel, die auch in der geläufigen Bezeichnung »Lord Byron« für den adligen Dichter zum Ausdruck kommt, schreibt Medwin in seinen Conversations: »Lord Byron frequently spoke and with almost envy of Brummell and prided himself much on his intimacy with him, or rather on Brummell’s condescension in patronizing him. […] There was a time when if Byron had not been Childe Buren, he would have wished 12 Doris Langley Moore bestätigt zumindest für die Zeit von 1811 bis 1816 Byrons immense Ausgaben für Kleidung (zit. n. Jones: Fantasy and Transfiguration, S. 112). 13 Moore: Life of Byron, S. 150. Die elitäre Auswahl belegt auch die Anekdote Pückler-Muskaus, dass für einen Ball im Almack’s die Regelung getroffen worden sei, »daß jeder, der nach Mitternacht auf den Ball käme, nicht mehr eingelassen werden sollte. Der Herzog von Wellington kam einige Minuten später aus der Parlamentssitzung und glaubte, für ihn werde die Ausnahme nicht fehlen. Point du tout, der Held von Waterloo konnte diese Festung nicht erobern, und mußte unverrichteter Sache wieder abziehen.« (Pückler-Muskau: Briefe, Bd. II, S. 414). 14 Vgl. zu Brummells Mitgliedschaft in diesen Clubs Jesse: Brummell, S. 224. 15 Zit. n. Moers: Dandy, S. 51.

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to be Brummell.« (S. 183) Dass er an Byrons zweifache Existenz als folgsamer Bewunderer Brummells sowie als Childe Buren16 erinnert, deutet in der Anspielung auf Byrons Childe Harold, dem gleichnamigen, des Lebens überdrüssigen und mit Weltschmerz behafteten Protagonisten, auf eine Friktion zwischen literarischer und historischer Ebene hin, die für das ganze Werk Byrons kennzeichnend ist und die sich in der doppelten Behauptung einer Existenz als (zurückgezogener) Autor und als (weltgewandter) Dandy zusammenfassen lässt. Wenn Byron in einem Brief an Thomas Moore vom 5.7. 1821 schreibt, Moores Freund Irving sei erstaunt gewesen, in Byron keinen »misanthropical gentleman«, sondern einen »man of this world« gefunden zu haben, wiederholt die Äußerung diese zentralen Gegensätze von Byrons Selbstinszenierung17 und deutet an, wie stark Byron mit seinen Protagonisten identifiziert wurde. Diese Friktion war, ähnlich wie bei den fashionable novels, zweifelsohne auch ein Grund für das nun zu ergründende Phänomen »Byron«, denn anders als die aristokratischen Literaten vorgängiger Zeiten18 zeichnete Byron ein immenser Bekanntheitsgrad in allen gesellschaftlichen Schichten aus. Byrons viel zitierter Ausspruch nach Veröffentlichung seines Childe Harold – »I awoke one morning and found myself famous«19 – drückt anekdotisch die grassierende Byromania aus, wie Byrons zukünftige Frau Annabella Milbanke die fanatische Begeisterung für Byron nennt.20 Auch der kommerzielle Erfolg seiner Bücher spricht – im Wortsinn – Bände: Die erste Auflage von Childe Harold von 500 Exemplaren war 1812 innerhalb von drei Tagen vergriffen und erschien 1815 bereits in der zehnten Auflage; der Corsair stellte mit 10.000 verkauften Exemplaren alleine am Tag seines Erscheinens am 1.2.1814 einen Verkaufsrekord auf, bei einem allgemeinen Auflagendurchschnitt von Büchern zwischen 1000 bis 1250 insbesondere für Lyrik eine beachtliche Zahl, zu der im Fall von Childe Harold eine Vielzahl von nicht-lizensierten Nachdrucken für ärmere Schichten der Bevölkerung kamen.21 Wenn Samuel Rogers in seiner Anekdotensammlung Table-Talk verbreitet, dass die Leser verrückt nach Byron waren – »Byron had become the rage« –, bringt er zum Ausdruck, dass sich diese Begeisterung auf Autor und Protagonist gleichermaßen bezog: »The genius which the poem exhibited, the youth, the rank of the author, his romantic wanderings in Greece, – these combined to make the world stark mad about Childe Harold and Byron.« (S. 189 f.) Duncan Wu zufolge trägt diese Verwechslung von Autor und Protagonisten dem literarischen Versteckspiel von Byron Rechnung, das er als eine der erfolgreichsten Marketingstrategien dieser Zeit bezeichnet und – zu Recht, wie noch zu zeigen sein wird – als grundlegendes Merkmal auch der späteren Veröffentlichungen sieht.22 16 17 18 19

Eine historische Schreibweise von Byron, vgl. Hunt: Lord Byron, S. 178. Vgl. Stanton: The Aristocrat as Art, S. 35. Vgl. dazu Costadura: Der Edelmann am Schreibpult. Moore: Life of Byron, S. 159, vgl. Chew: Byron in England, S. 5, Schmid: Byron and Wilde, S. 85, Wilson: Byromaniacs, S. 4. 20 Vgl. Wilson: Byromaniacs, S. 3, 5. 21 Vgl. ebd., S. 4, Wu: Appropriating Byron, S. 141, Schenk: George Cruikshank im Wandel der Bildmedien, S. 71. Vgl. zu den Nachdrucken Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 53, 62, 84). 22 Wu: Appropriating Byron, S. 141, wörtlich spricht er von »literary hide and seek«.

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Der zeitgenössische Rezensent Francis Jeffrey konstatiert so über den ersten Canto von Childe Harold, Byron und seine Protagonisten zeichne die gleiche düstere und misanthropische Lebenseinstellung aus. Ein anderer Rezensent bemerkt lapidar: »The hero is, as usual, himself«, und fügt hinzu, dass sich Byron aufgrund seiner augenfälligen Identifikation mit dem Protagonisten nicht über diese Bemerkung beschweren könne.23 Dass der Rezensent also nicht die Protagonisten als Ausdruck Byrons, sondern umgekehrt Byrons Nachahmung seiner Protagonisten erkennen will, deutet auf eine komplexe Beziehung zwischen Byron und seinen Protagonisten hin, in der es kein Original zu geben scheint. Der Maler William Edward West berichtet, dass Byron beim Sitzen einen unnatürlichen Ausdruck annahm, als wäre er für das Titelblatt von Childe Harold gedacht, und dem Bildhauer Thorwaldsen zufolge setzte Byron beim Sitzen für die Büste, die er anfertigen sollte, einen für ihn untypisch traurigen Gesichtsausdruck auf, den er als seinen natürlichen ausgab.24 Auch hier soll demnach das Gemälde einen ›wahren‹ Gesichtsausdruck wiedergeben, den das Original, wie der skeptische Maler betont, gar nicht hatte. Leigh Hunts Abrechnung mit Byron, Lord Byron and his Contemporaries (1828), die diesem vorwirft, er habe kein wirkliches Selbst, sei falsch und unehrlich und bestehe nur aus einer Abfolge von Posen, trug zum allgemein verbreiteten Bild von Byron als Poseur bei.25 Und obwohl Moore sein Life of Byron als Gegendarstellung zu Hunt konzipiert und diesem oft widerspricht, erwähnt er in der Conclusion ebenso Byrons »pride of personating every description of character«, der ihn zur Nachahmung der eigenen Figuren führe.26 Der in diesem Kontext erhobene Vorwurf an Byron, er würde den Byronism, also die Nachahmer seiner eigenen Person nachahmen,27 zeigt, wie sich Fremd- und Selbstbehauptung im doppelten Sinn der Behauptung des Autors auf komplexe Art und Weise miteinander vermengen, sodass bei Byron und seinen Protagonisten nicht mehr eindeutig zwischen Original und Kopie unterschieden werden kann.28

23 Beide zit. n. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 57. 24 Zit. n. Lovell: His very self and voice, S. 212, 297, vgl. Jones: Fantasy and Transfiguration, S. 124. 25 Vgl. Chew: Byron in England, S. 133 f., Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 78. 26 Moore: Life of Byron, S. 645 ff., vgl. Chew: Byron in England, S. 134, Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 78 f. 27 Vgl. Wilson: Byromaniacs, S. 11. 28 Byrons Erfolg zog zudem eine Reihe von literarischen Nachahmungen, Plagiaten und Parodien nach sich, die Chew Apokryphen nennt. Chew betont, dass sie einzigartig in der bibliographischen Geschichte der englischen Literatur seien. Die Erzählung The Vampyre (1819) etwa wurde von Byrons Arzt Polidori als Byrons Werk herausgegeben, die Figur Ruthvyn ist an Lord Ruthven aus Glenarvon (1816) von Caroline Lamb, der Geliebten Byrons, angelehnt, wobei Glenarvon selbst eine Imitation von Byron darstellt. Bereits während der sukzessiven Veröffentlichung von Don Juan wurden von anderen Autoren oft parodistische Fortsetzungen geschrieben (Chew: Byron in England, S. 31, 176, 193, vgl. Wilson: Byromaniacs, S. 5 f., 16). In Frankreich veröffentlicht Cyprien Bérard 1820 Lord Ruthwen ou les vampires, mit einem Vorwort von Charles Nodier, vgl. Martin: Les Romantiques, S. 26.

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5.1.1 Die Friktion des Außenseiters Diese friktionale Selbstbehauptung, die beständig mit der Identifikation von Autor und Figuren spielt, zeigt auch, dass Elfenbeins These, die Berühmtheit ›Byron‹ habe nichts mit der Autorfunktion Byron zu tun,29 so nicht haltbar ist. Im Vorwort zu Childe Harold betont Byron selbst, die Beschreibungen des Gedichts seien seinen Reisen nachempfunden, und stellt dem ein Zitat aus der Zeitschrift Le Cosmopolite voran: »L’univers est une espèce de livre, dont on n’a lu que la première page quand on n’a vu que son pays.« (Bd. II, S. 3) Die Metapher der Welt als Buch und umgekehrt die literarische Verarbeitung des Weltenbummlers Byron drückt bereits die reziproke Verwechslung von Realität und Fiktion aus, welche seine Werke prägt. Dass der Hinweis im Vorwort von Childe Harold, die Figur habe keinerlei Ähnlichkeit zu lebenden Personen (Bd. II, S. 4), als literarisches Versteckspiel im Sinne Wus zu sehen ist, bringt Byron selbst zum Ausdruck, wenn er im nach Childe Harold veröffentlichten Corsair bemerkt, dass er für die Figuren seiner Gedichte persönlich verantwortlich gemacht worden sei. Er kommentiert: »Be it so – if I have deviated into the gloomy vanity of ›drawing from self‹, the pictures are probably like, since they are unfavourable […]. I have no particular desire that any but my acquaintance should think the author better than the beings of his imagining […].« (Bd. III, S. 149) Bezeichnend für die uneindeutige Beziehung zwischen Autor und Figur ist, dass Byron keine Stellung bezieht, sondern nur eine Wahrscheinlichkeit äußert, als kommentiere er ein fremdes Werk. Gleichzeitig ist das Argument, mit dem er zu der Projektion auf die eigene Person einlädt, doppelbödig. Denn die Unvorteilhaftigkeit der Darstellung ist auch Indiz, dass er nichts beschönigt hat, und suggeriert eine unverhohlene Selbstanklage im Gedicht. Durch die scheinbar zugegebene Selbstdarstellung friktionalisiert sich Byron in der Figur des Piraten Conrad als unmoralischer, aber stolzer und unabhängiger Mann, der durch seine Verbrechen zum Außenseiter geworden ist: »Lone, wild, and strange, he stood alike exempt/from all affection and from all contempt.« (Bd. III, S. 159) Susanne Schmid zufolge bietet Byron eine voyeuristische Lesart seiner Gedichte, welche ihre Faszination aus der – im doppelten Sinn – Veröffentlichung von (vermeintlich) persönlichen Gefühlen bezieht. Der Autor öffnet sein Herz, gibt sich hinter seinen Figuren zu erkennen, um seine Einsamkeit kundzutun, auch Moore betont Byrons »art of ›making the public a party to his private sorrows‹«30. Denkt man dies weiter, lässt sich das Paradox formulieren, dass Byron, der sich als Vertrauter Brummells zu dieser Zeit großer Beliebtheit erfreut, die Einsamkeit seiner Protagonisten darstellt, die von einem großen Publikum als die seinige rezipiert wird. Der Corsair wird als »outlaw« dargestellt (Bd. III, S. 198), der ohne Freunde sei und sich niemandem anvertrauen könne.31 Dass die Einsamkeit des Helden und die Unmöglichkeit, seine Leiden und seine Todessehnsucht mitzuteilen, den zahlreichen Lesern eben doch 29 Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 47. 30 Schmid: Byron and Wilde, S. 85, vgl. Schmid: Gespräch, S. 53, Moore: Life of Byron, S. 159. 31 Vgl.: »With no friend to animate, and tell/ to other ears that death became the well.« (Bd. III, S. 197).

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mitgeteilt wird, zeigt die paradoxe friktionale Inszenierung der Einsamkeit eines Autors, der sich eines großen Publikums sicher ist. Wie die aufgesetzte Traurigkeit in den Porträts Byrons ist die Einsamkeit eine Pose, bei der die vermeintlich authentische Vorlage selbst zu einer Inszenierung wird.32 In einem Essay über Byron, den er als Essenz seiner dreißigjährigen Forschung darstellt, bezeichnet McGann diese Inszenierung, in der nicht mehr zwischen dem fiktionalen und dem ›wahren‹ Byron unterschieden werden kann, als Grundzug seines »lyrical dandyism«33. Da Byrons ›wirkliches‹ Sein die Form dessen annimmt, was es den Lesern scheint, bezeichne ich diesen byronschen Modus als parêtre, bei dem (anders als bei Lacans »par-être«34) Sein und Schein, être und paraître eine hybride Form bilden. Insofern das parêtre die Unmöglichkeit ausdrückt, zwischen friktionaler Behauptung und Realität eine Grenze zu ziehen, kann es als byronsche Steigerung der Friktion gesehen werden, die zwischen diesen Polen oszilliert, ohne sie indes ganz aufzulösen. Dieses Phänomen zieht sich durch das gesamte Werk, seinen Manfred etwa inszeniert Byron als friktionale, ›persönliche‹ Beichte, die ein Rezensent der Day and New Times auf den Punkt bringt: »He has committed incest! Lord Byron has coloured Manfred into his own personal features.«35 Wichtig für die Behauptung des Dandys ist vor allem die friktionale Identifikation mit dem Teufel, unterstrichen durch Manfreds Zwiesprache mit den ihn heimsuchenden Geistern, die der Abt mit »Avaunt! Avaunt ye evil ones« vergeblich zu vertreiben versucht, sowie die Ankündigung des Geistes, Manfreds Seele seinem Herren zuzuführen (Bd. IV, S. 100). Tatsächlich führte dieses parêtre als Teufel dazu, dass Byron von konservativen Kreisen Satanismus und Manichäismus vorgeworfen wurde: In einem Artikel in der Quarterly Review stellt Bischof Heber fest, ein Autor habe sich ganz der Verehrung Satans hingegeben, was Byron in einem Brief an Moore vom 17.7.1820 auf sich bezog.36 Robert Southey nimmt diesen Vorwurf im Vorwort zu seinem Gedicht A Vision of Judgement (1821) auf, in dem König George III. vor dem jüngsten Gericht verurteilt wird.37 Southey beklagt, ohne Byron explizit zu nennen, das Teuflische habe in der Literatur Einzug gehalten und bezeichnet die Satanic School als größte Bedrohung für die Gesellschaft.38 Im Sinne des parêtre reagiert Byron auf diese Vorwürfe mit einem friktionalen Spiel der Selbstidentifizierung, die sich sowohl auf der Ebene der Biographie wie des 32 Vgl. Soderholm: Confession, S. 190, Wilson: Byromaniacs, S. 11. 33 McGann: Byron and Romanticism, S. 101, 110. 34 Während das lacansche par-être das Neben-der-Existenz-Sein ausdrückt, das durch die Vermittlung der Sprache bedingt ist (Lacan: Encore, S. 44, vgl. Ternes: Paradoxie, S. 101), bezeichnet das parêtre die Untrennbarkeit von Existenz in der Realität und der Sprache bzw. Literatur. 35 Zit. n. Soderholm: Confession, S. 187, der auch die friktionalen Identifizierung mit Rousseau und seinen Confessions herausarbeitet. In Lady Byron Vindicated [1870] nimmt Harriet Beecher Stowe, die Autorin von Uncle Tom’s Cabin, dieses verbreitete Gerücht einer inzestuösen Beziehung Byrons zu seiner Halbschwester Augusta auf und gibt es als Grund für Byrons Trennung von seiner Frau an (vgl. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 233). 36 Byron: Works, Bd. VI, S. 309 f., Moore: Life of Byron, S. 452, vgl. Schock: Satanism, S. 101, 190 FN. 37 Vermutlich um sich an seiner Verspottung in Byrons English Bards and Scotch Reviewers (1809) und in der Dedication des Don Juan zu rächen, vgl. Byron: Works Bd. V, S. 3 sowie, Bd. I, S. 233. 38 Beide zit. n. Rutherford: Byron, S. 179 ff.

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Werkes erkennen lässt. In Bezug auf seine Lebenswelt berichtet er Medwin über seine Wirkung bei einem Empfang von Mme de Staël: »One of the ladies fainted, and the rest looked as if his Satanic Majesty had been among them«39. Zudem bezeichnet er sich in Anspielung auf seinen deformierten Fuß als »Le diable boiteux«, in Anlehnung an Alain René Lesages verführerischen, satirischen, aber gutmütigen Dämon Asmodée aus der gleichnamigen Erzählung.40 Schock folgert: »Byron clearly cultivated the aura of the fallen angel […].«41 Literarisch kultiviert Byron dieses parêtre insbesondere in den Gedichten Cain und The Vision of Judgement, welche er 1821, also noch im Jahr des Erscheinens von Southeys fast gleichlautendem Titel herausbringt. Über sein Gedicht Cain, in dem der blasphemische Luzifer der biblischen Figur Kain die Revolte gegen Gott einimpft und ihm all das zu zeigen verspricht, was Gott Adam und seiner Familie vorenthält, schreibt Byron an Moore am 31.8.1821, es solle Southey Alpträume bereiten.42 Wenn Byron im Vorwort von Vision of Judgement versichert, dass er über die übernatürlichen Personen, die dort auftreten, mindestens so viel wisse wie Southey und größeres Recht habe, über diese zu sprechen (Bd. VI, S. 310), befeuert er selbst durch die Anspielung die Gerüchte um seinen Satanismus. Byrons Gedicht handelt wie Southeys vom jüngsten Gericht über George III., lässt jedoch Southey in eigener Person auftreten, der zunächst Satan, dann dem Erzengel Michael anbietet, deren Memoiren zu schreiben, und alle Anwesenden schließlich durch das Rezitieren einiger Verse aus dem Manuskript seiner Vision of Judgement belästigt, bis Petrus ihn niederschlägt (Bd. VI, S. 344). Die metafiktionale Verballhornung von Southeys Gedicht lässt anstelle des göttlichen Judgement über George III. das nicht minder vernichtende himmlische Urteil über Southeys Judgement treten. Nicht nur der Erzähler, der das Geschehen mit einem Teleskop beobachtet, lässt dabei seine Sympathie zu Satan offen durchscheinen. Auch vom Erzengel Michael wird Satan mit »[m]y good old friend« angesprochen, der seinen großen Respekt (»great respect«) damit erklärt, dass er ihn nicht als persönlichen Feind betrachte, sondern lediglich eine politische Differenz zwischen den beiden erkenne (Bd. VI, S. 331). Michael begrüßt Satan mit einer tiefen, orientalischen Verbeugung, anstelle einer Verbeugung eines »modern beau«. Satan hingegen begegnet seinem einstigen Freund mit »hauteur«, so wie ein kastilischer Adeliger einen Neureichen begrüßen würde (Bd. VI, S. 323). Dass Satan konterkarierend zum Erzengel Michael, der kein moderner Beau ist, anstelle einer Verbeugung nur seine Augenbraue neigt und wieder hochzieht (Bd. VI, S. 323), evoziert Brummells steife Art (wie sie in der gestärkten Krawatte mythologisiert wurde), seine subtile Distinktion sowie seine Überlegenheit gegenüber den Neureichen, wie sie die Geldverleih-Anekdote ausdrückt. 39 Medwin: Byron, S. 12, Vgl.: »Byron que les dames du salon de Mme de Staël regardaient comme une incarnation de Satan […].« (Boüexière: Dandysme, S. 82). 40 Jones: Fantasy and Transfiguration, S. 116. 41 Schock: Satanism, S. 98. Stanhope schreibt über die Zeit in Griechenland: »Lord Byrons ambition […] was to make the world imagine he was a sort of ›Satan‹« und Edward E. Williams berichtet, dass Byron ihm amüsiert eine Ausgabe des Annuaire historique universel gab, in dem bewiesen wurde, dass er der Teufel sei (zit. n. Lovell: His very self and voice, S. 546, 261). 42 Moore: Life of Byron, S. 536, vgl. Schock: Satanism, S. 101.

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5.1.2 Die Ironie des broken dandy Anders als es die Kongruenz der Felder der literarischen Figur und des Autors Flaubert bei Bourdieu vorsieht, sind die Felder zwischen Autor Byron und seinen literarischen Figuren demnach diametral gegenübergestellt. In seiner gesellschaftlich erfolgreichen Zeit im Dandy Club inszeniert er sich als satanischer, misanthropischer Einzelgänger. Wenn er dann wegen Gerüchten über seine inzestuöse Beziehung zu seiner Halbschwester England verlassen muss und tatsächlich wie Childe Harold durch Europa pilgert und wie Manfred für ein moralisches Vergehen büßen muss, stellt er sich nun friktional als ein lebensgewandter Dandy dar. Aus dem begehrten Dichter, der sich als einsamer Außenseiter inszeniert, wird ein Dichter, der zumindest aus der englischen Gesellschaft ausgeschlossen ist, sich aber jetzt als Mann von Welt inszeniert. Das Elaborieren der Felder seiner Protagonisten ist folglich nicht als Objektivierung der Kräfte des eigenen literarischen Feldes zu sehen wie bei Bourdieu, sondern als friktionale Selbstbehauptung, welche die doppelte Inszenierung als einsamer Autor und Gesellschaftslöwe um den jeweils fehlenden Aspekt ergänzt. Die zentrale Rolle spielt dabei das Gedicht Beppo, welches als erste literarische Verarbeitung des Dandys, Byrons Zeitgenossen Glenbervie zufolge, diesen Begriff erst populär machte.43 Die friktionale Selbstinszenierung Byrons zeigt sich zunächst in der Identifikation mit dem Protagonisten. Beppo spielt in Venedig, wo sich Byron selbst zu dieser Zeit aufhielt, und die Handlung spiegelt Byrons Erlebnisse mit Pietro und Marianne Segati wider.44 Laura, eine Venezianerin, heiratet Beppo45, der zu einer Geschäftsreise in die Türkei aufbricht, worauf Laura sich einen »Cavalier Serventes«, einen Liebhaber, nimmt. Als Beppo wiederkehrt und Laura mit ihrem Liebhaber trifft, bleibt der Eklat aus, und die drei einigen sich gütlich. Dass die Handlung mit der Schilderung des Karnevals beginnt, ist dabei ein erster Hinweis, dass in Bezug auf Byrons frühere Werke im Sinne Bachtins die Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden.46 Der unglücklichen Liebe oder der unausgesprochenen Sünde, die Childe Harold und Manfred in die Einsamkeit treiben, wird nun ein unmoralisches Verhalten gegenübergestellt, das alle Beteiligten zufrieden und harmonisch eine Lösung finden lässt. Zudem wird Byrons friktional unglücklichen Einzelgängern ein Erzähler entgegengesetzt, der einerseits durch ständige metafiktionale Kommentare die Handlung unterbricht und so Distanz schafft, andererseits dazu einlädt, Byron selbst mit dem Erzähler zu identifizieren. René Bourgeois bezeichnet diese »technique toute byronienne de la rupture d’illusion« als zentrales Merkmal der romantischen Ironie,47 welche sich, last but not least am Ende von Beppo zeigt:

43 Vgl. Moore: Life of Byron, S. 303, Godfrey: The Dandy as Ironic Figure, S. 22, Prevost: Dandysme, S. 20, 89. 44 Vgl. Bone: Beppo, S. 98. 45 Beppo ist die venezianische Abkürzung von Giuseppe (vgl. Glenbervie: Diaries, Bd. II, S. 338). Zur Anspielung auf Petrarcas Laura vgl. Thomson: Beppo, S. 57. 46 Vgl. zum Karnevalesken bei Byron Ferriss: Carnivalesque, S. 137. 47 Bourgeois: Ironie romantique, S. 152.

DIE BEHAUPTUNG DES AUTORS | 119 »My pen is at the bottom of a page, Which being finished, here the story ends; ’Tis to be wished it had been sooner done, But stories somehow lengthen when begun.« (Bd. IV, S. 160)

Zweifelsohne ist ein solches Infragestellen des Werkes durch das Werk selbst grundlegender Bestandteil der romantischen Ironie.48 Allerdings ist die Behauptung von Byrons Werk als »locus classicus« und Musterbeispiel der romantischen Ironie, wie sie oft anzutreffen ist,49 zu hinterfragen. Dies liegt zunächst darin begründet, dass sich das Phänomen der romantischen Ironie kaum auf einen eindeutigen Nenner bringen ließe, für den ein zentrales Vorbild formuliert werden könne. Der Ursprung des Begriffs führt insofern kaum weiter, als diese Ironie, anders als etwa die Anekdote, von ihren Autoren nicht als solche bezeichnet wurde und die Bezeichnung erst im Nachhinein, wenn auch bereits Mitte des 19. Jahrhunderts zugeschrieben wurde.50 Beide Teile der Bezeichnung sind zudem irreführend, da die Ironie nicht darin besteht, wie bei der klassischen Ironie das Gegenteil dessen zu sagen, was gemeint ist, sondern beide Optionen, die Aussage und ihr Gegenteil, zu verwerfen.51 Ebenso ist der Verweis auf die Romantik nur bedingt hilfreich und Ingrid Strohschneider-Kohrs nennt folglich in ihrer eminenten Studie Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung den Terminus »künstlerische Ironie« als den glücklicheren Begriff (S. 7). Gleichwohl hat sich »romantische Ironie« durchgesetzt und wird hier, wie »Anekdote«, als Arbeitsbegriff verwendet, um kontrastierend dazu die Besonderheit der byronschen Ironie hervorzuheben. Die Vorstellung von Byron als Musterbeispiel für die romantische Ironie ist indes nicht nur wegen terminologischer Vorbehalte zu relativieren. Denn ausgehend von Strohschneider-Kohrs Ausformulierung der romantischen Ironie lässt sich eine bezeichnende Diskrepanz zwischen romantischer und byronscher Ironie herausarbeiten. Der oben zitierte selbstreferentielle Kommentar des Erzählers in Beppo bezieht sich nämlich auf die Überlänge des Gedichts, welche dadurch zu Stande gekommen ist, dass sich der Erzähler selbst ständig unterbricht, sodass gut die Hälfte der 100 Stanzen nicht der dargestellten Erzählung dienen, formal an der hohen Zahl von 35 in Klammern eingefügten Bemerkungen zu erkennen.52 Die Figur des Erzählers, ohnehin durch biographische Anspielungen stark an den Autor gebunden, bekommt dadurch ein so starkes Gewicht, dass das Erzählen selbst gegenüber dem Erzählten in den Vordergrund geschoben wird. Der Inhalt der Erzählung und der Kommentar dazu sind dergestalt in einer Meta-Erzählung verbunden, dass der Kommentar der Handlung zur eigentlichen Handlung wird. In der Mitte des Gedichts hält der Erzähler die Handlung an, um aufzuzählen, was er an Italien und an England mag (Bd. IV, S. 141-144), und un48 Vgl. ebd., S. 37. 49 Vgl. Fetzer: Irony, S. 29, Ferriss: Carnivalesque, S. 138, Mellor: Irony, S. 31 (in Bezug auf Byrons Don Juan). 50 Vgl. Fetzer: Irony, S. 21, zu drei, allerdings kaum aufschlussreichen Erwähnungen des Begriffs bei in Friedrich Schlegels Notizheften vgl. Strohschneider: Romantische Ironie, S. 7 FN. 51 Vgl. Fetzer: Romantic Irony, S. 22. 52 Vgl. ausführlich Bone: Beppo, S. 97.

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terbricht wiederum diese Unterbrechung der Erzählung: »But to my tale of Laura, – for I find/ Digression is a sin, that by degrees/ Becomes exceeding tedious to my mind […].« (Bd. IV, S. 144 f.) Der Erzähler schweift also von seiner eigenen Abschweifung ab und klagt sich selbst dafür an.53 Im Sinne der romantischen Ironie wird der Erzähler zur causa sui, zum Subjekt und Objekt der Reflexion gleichzeitig.54 Schlegels Forderung, Dichtung soll »in jeder ihrer Darstellung sich selbst darstellen, und überall zugleich Poesie und Poesie der Poesie sein«55, treibt Byron auf die Spitze, indem die eigentliche Erzählung von den selbstreferentiellen Ausschweifungen des Erzählers in den Hintergrund gedrängt wird. Doch geschieht dies bei Byron nicht im Bestreben, ein allgemeingültiges Kunstwerk im Sinne Schlegels zu schaffen, indem der Erzähler durch metatextuelle Brechungen die Bedingtheit der sprachlichen Vermittlung verdeutlicht und so überwindet.56 Gnüg unterscheidet deswegen zu Recht zwischen einer »dandystische[n] Ironie« und dem Versuch der romantischen Ironie, »sich über sich selbst hinwegzusetzen, sich in seiner Bedingtheit und Beschränkung in Frage zu stellen«57. Anders als Gnüg möchte ich das dandyistische dieser Ironie indes weniger an der Verhaftung am Künstlichen und dem Verzicht auf das »idealistische Versöhnungsparadigma« der romantischen Ironie festmachen,58 sondern vielmehr an der Funktion der Metatextualität. Dient diese in der romantischen Ironie dazu, ein objektives, d.h. allgemein mögliches Inneres freizulegen,59 so wird sie in Beppo im Gegensatz dazu gerade für die friktionale Selbstbehauptung Byrons als subjektive und außerordentliche Person instrumentalisiert. Statt durch die Brechung eine neue Fiktionsebene zu erzeugen, dient dies Byron in erster Linie dazu, die Barrieren zur Realität des Autors spielerisch niederzureißen.60 So beklagt der Erzähler, wie schwer es sei, eine Geschichte zu erzählen und wünscht sich, er besäße die Kunst des leichten Schreibens, »the art of easy writing«, mit der er nette Gedichte liefern könnte, die abendländischen Sentimentalismus mit »finest Orientalism« vermengen (Bd. IV, S. 145), eine Anspielung auf Byrons Turkish Tales untertitelten Gedichte The Giaour oder The Bride of Abydos.61 Durch diese selbstironischen Kommentare schwingt sich der Erzähler zum eigentlichen Protagonisten auf und wird wiederum friktional mit Byron identifiziert. In Variation der für die romantische Ironie 53 Vgl. Bone: Beppo, S. 102. 54 Vgl. Bourgeois: Ironie romantique, S. 32, Drouart-Fiske: Romantic irony, S. 31. 55 Schlegel: Kritische Ausgabe, Bd. II, S. 204 [Athenäums-Fragment 238], vgl. Strohschneider: Romantische Ironie, S. 47. 56 Vgl. Schlegel: Kritische Ausgabe, Bd. II, S. 392, Strohschneider: Romantische Ironie, S. 10. 57 Gnüg: Dandy, S. 822. 58 Ebd., vgl. dazu Schlegel: Kritische Ausgabe, Bd. II, S. 204 [238]. 59 Vgl.: »Ein ideales Projekt müßte zugleich ganz subjektiv, und ganz objektiv, ein unteilbares und lebendiges Individuum sein. Seinem Ursprung nach, ganz subjektiv, original, nur grad in diesem Geiste möglich; seinem Charakter nach ganz objektiv, physisch und moralisch notwendig.« (Schlegel: Kritische Ausgabe, Bd. II, S. 168 [22]) Zur Interpretation von anderen Zitaten Schlegels, die diese Idee aufnehmen vgl. Strohschneider: Romantische Ironie, S. 10. 60 Vgl. Gnüg: Kult der Kälte, S. 204. 61 Vgl. McGann: Byron and Romanticism, S. 38. Das easy writing könnte auch eine Anspielung darauf sein, dass Byron selbst behauptet, das Gedicht Lara während des Umziehens nach einem Ball, The Bride in vier und den Corsair in zehn Tagen geschrieben zu haben (vgl. Wilson: Byromaniacs, S. 8).

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kennzeichnenden Metafiktionalität ließe sich hier von Metafriktionalität sprechen, da nicht nur die Vermittlung des Gedichtes thematisiert, sondern dies zur Selbstinszenierung des Autors genutzt wird. Bei der romantischen Ironie nach Strohschneider-Kohrs greift der Künstler sich und sein Werk selbst als Thema auf, um eine feste Bindung an den Gegenstand zu verhindern (S. 57). Bei Byron hingegen sollen Autor und Gegenstand ein und dasselbe werden: in der friktionalen Selbstinszenierung von Byron als Erzähler zusammengeführt und aneinander gebunden. So grenzt sich die Metafriktionalität einerseits durch die Selbstinszenierung des Autors von der Metafiktionalität ab und steigert andererseits die Friktion durch Thematisierung des Schreibvorgangs auf Meta-Ebene. Wenn der Erzähler feststellt, ihm gelänge das easy writing nicht, suggeriert er dabei einmal mehr Byrons eigenen Schreibvorgang und verbindet dies friktional mit seinem Dandyismus: »But I am but a nameless sort of person (A broken Dandy lately on my travels) And take for rhyme, to hook my rambling verse on, The first that Walker’s Lexicon unravels.« (Bd. IV, S. 145)

Der broken Dandy ist demnach ähnlich wie der ballroom bard antithetischer Ausdruck von Byrons doppelter Inszenierung von Weltgewandtheit und Trauer/Exil. McGann zufolge, der Byron selbst an anderer Stelle als »broken dandy« bezeichnet, diene diese Stelle dazu, dass der Leser in der mystifizierenden Beschreibung Byron selbst erkennt.63 Dass sich der Dandy-Erzähler willkürlich des Reimlexikons von Walker bedient, steigert die Selbstinszenierung durch die Illusion, der Autor selbst kommentiere den Schreibvorgang. Ähnlich wie bei Jean Paul oder E.T.A. Hoffmann,64 wird hier eine Unmittelbarkeit des Schreibens suggeriert, die dabei Erzähler und Autor ineins setzt und beim Lesen Byron im Moment des Schreibens evoziert, sodass auch hier der besondere Fall einer Metafriktion zu erkennen ist. Die Selbstbezeichnung »nameless person« steht dabei im Widerspruch zur friktionalen Inszenierung der durchaus ›namhaften‹ Berühmtheit Byrons. Diese Situation bekommt durch die zeitgenössische Redensart »lately on my travels« für das Exil65 einen spezifisch autobiographischen Kontext. Der broken dandy qualifiziert somit den ironischen Erzähler und spielt gleichzeitig darauf an, dass Byrons Tage als Dandy im Watier’s Club der Vergangenheit angehören.66 In Stanze 59 und 60 wird demgemäß das grundsätzliche Ende der Dandys zum Ausdruck gebracht. Die Gesellschaft eines italienischen Balls sei aufgeteilt in ei62 Vgl. etwa Strohschneider: Romantische Ironie, S. 421. 63 McGann: Byron and Romanticism, S. 114, McGann: Fiery Dust, S. 285, 287. Auch das Kapitel über Beppo nennt McGann »The Broken Dandy« (S. 277300), räumt dem Zitat aber in der Analyse keinen herausragenden Stellenwert ein (S. 285). Eine weitere Deutung gibt Fisher, der aufgrund der Homonymie eine Anspielung auf (den englisch ausgesprochenen) Dante sieht, gestützt durch die Anzahl der 100 Strophen (Fisher: Dante, S. 66). McDonald wiederum sieht in broken dandy ein Synonym für einen Libertin (McDonald: Libertinism, S. 291). 64 Vgl. Strohschneider: Romantische Ironie, S. 344, 346. 65 Vgl. Thomson: Beppo, S. 51. 66 Möglicherweise ist Brummells Selbstporträt The Broken Beau ein Echo auf Byron als broken dandy.

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nige wenige »well-bred persons called ›The world‹« und die vulgäre Masse derer, die kommen, um ebenjene Leute von Welt zu beobachten, was dann mit England verglichen wird: »This is the Case in England, at least was During the dynasty of Dandies, now Perchance succeeded by some other class Of imitated imitators: – how Irreparably soon decline, alas! The demagogues of fashion: all below Is frail; how easily the world is lost By love, or war, and, now and then by frost!« (Bd. IV, S. 148)

Auch hier findet sich eine Anspielung darauf, dass Byrons und Brummells Tage im Dandy Club vorbei sind. Dabei wird das Ende der Dandys der kurzen Haltbarkeit der Mode zugeschrieben, bei der man, im Sinne der exzentrischen Taktik, sich immer nur für kurze Zeit als Herrscher über die Mode behaupten könne, bis man selbst von der Masse nachgeahmt werde.67 Im Kontrast zu den eher tragischen Verlusten in Childe Harold oder Conrad wird das Ende der Dandys aber durch die Doppelbedeutung der Vergänglichkeit der ›Welt‹ gebrochen: Mit dem Diskurs der vanitas, imitiert durch Formeln wie »how irreparably soon decline« oder »all below is frail«, wird die Vergänglichkeit von the world als Bezeichnung für ›Leute von Welt‹ vermengt. Wie die romantische Ironie, die eine eindeutige Stellungnahme ablehnt und alle möglichen Positionen in Frage stellt, bringt »how easily the world is lost« folglich ebenso die Nichtigkeit der Dandys zum Ausdruck wie es den Diskurs der vanitas parodiert. Neben dem Verhaftet-Sein am Dandyismus wird so das Beklagen von dessen Vergänglichkeit parodiert, was Byron in einem Brief in ähnlichen Formulierungen durchaus ernsthaft äußert.68 Weder Aussage noch Verneinung einer Idee, sondern das Subjekt, das negiert, ist das Zentrum dieser Ironie, die in Beppo durch die Omnipräsenz des Erzählers zum Ausdruck gebracht wird: »[D]’une double négation jaillit l’affirmation, non d’un ›objet‹ ou d’une ›idée‹, mais de l’éminente valeur de l’acte négateur et du sujet qui l’accomplit.«69 Zudem wird das Bedauern des Erzählers durch das inhaltlich unpassende Reimwort »frost« gebrochen, das die Überleitung zu einer weiteren, nur für den informierten Leser nachvollziehbaren Anspielung auf Brummell bildet: »Crush’d was Napoleon by the northen Thor, Who knock’d his army down with icy hammer, 67 Vgl. Cohen: Beppo, S. 35. 68 Vgl.: »I wonder how the deuce any body could make such a world; for what purpose dandies, for instance, were ordained – and kings – and fellows of colleges – and women of ›a certain age‹ – and many men of any age – and myself, most of all!« (Moore: Life of Byron, S. 228) Diese Frage nach Bestand und Sinn der von ihm frequentierten Gesellschaft zeigt sich auch im Don Juan: »When we have made our love, and gamed our gaming,/ Drest, voted, shone, and may be something more;/ With dandies dined; heard senators declaiming; […] There’s little left but to be bored or bore.« (Bd. V, S. 564). 69 Bourgeois: Ironie romantique, S. 47.

DIE BEHAUPTUNG DES AUTORS | 123 Stopp’d by the elements, like a whaler, or A blundering novice in his new French grammar […].« (Bd. IV, S. 148)

Das kursivierte elements verdeutlicht, dass darunter neben den Naturgewalten – Napoleons Armee hatte bekanntlich in Russland stark mit Schnee und Kälte zu kämpfen – das seinerzeit gebräuchliche Französisch-Lehrbuch Elements zu verstehen ist. Byron selbst erläutert Moore, Brummell habe diese Grammatik besessen, als er ins französische Exil ging und Scrope Davies soll Brummells Fortschritte in der französischen Sprache kommentiert haben mit: »B[rummell] had been stopped like Buonaparte in Russia by the Elements«. Byron ergänzt explizit: »I have put this pun into ›Beppo‹ […].«70 Auch wenn der Erzähler ausruft, »›England! with all thy faults I love thee still,‹/ I said at Calais, and have not forgot it« (Bd. IV, S. 144), spielt dies auf Byrons und Brummells Vita an, die beide England 1815 über Calais verließen, und evoziert das mythische Dreiergestirn, was durch die Anspielung auf Scropes Bonmot über die Elements noch verstärkt wird.71 Im Don Juan, in der 76. Strophe des Canto 11, wird diese Anspielung auf das Ende der Dandys aufgenommen: »›Where is the world?‹ cries Young ›at eighty? Where The world in which a man was born?‹ Alas! Where is the world of eight years past? ’Twas there I look for it – ‘tis gone – a Globe of Glass! […] Statesmen, chiefs, orators, queens, patriots, kings And dandies, all are gone on the wind’s wings.« (Bd. V, S. 488)

Die Anspielung auf Edward Youngs Gedicht Resignation, in dem dieser, nahezu 80-jährig, das lyrische Ich die Vergänglichkeit des Seins beklagen lässt,72 wird hier gesteigert, wenn selbst das verronnen sein soll, was vor acht Jahren noch da war. Ausgehend vom Erscheinungsjahr des Canto, 1823, spricht Byron demnach vom mythischen Jahr 1815, und tatsächlich folgt in den nächsten Strophen die Erwähnung von Napoleon73 und Brummell: »Where is Napoleon the Grand? God knows«, heißt es in der ersten Zeile der Strophe 77, und die Strophe 78 beginnt wiederum mit der Zeile »Where’s Brummell? Dished« (Bd. V, S. 488 f.), eine Zeile, der Fremy zufolge der Name Brummell seine Verbreitung in Frankreich zu verdanken hat.74 Die friktionale Behauptung von Byron als broken dandy vollzieht sich also in Anspielung auf den anekdotischen Vergleich mit Brummell und Napoleon. Ähnlich wie in Beppo folgt dem Beklagen des Verlustes und der Vergänglichkeit allerdings eine ironische Brechung, indem mit »And where is ›Fum‹ the Fourth, our ›royal bird?‹« auf Moores Satire auf George IV. Fum and 70 Moore: Life of Byron, S. 304. 71 Vgl. zu Byrons Vita Bone: Beppo, S. 106. 72 Vgl. Young: Resignation, S. 84-126. Anders als die Anführungszeichen suggerieren, zitiert Byron Young indes nicht korrekt. 73 Auf Napoleon nimmt Byron bereits im 11. Canto in einem vielzitierten Vergleich Bezug: »But Juan was my Moscow, and Faliero/ My Leipsic, and my Mount Saint Jean seems Cain […].« (Bd. V, S. 482, vgl. Chew: Byron in England, S. 28). 74 Vgl. Fremy: Le Roi de la Mode, S. 256.

124 | DIE BEHAUPTUNG DES DANDYS

Hum. Two Birds of Royalty angespielt wird.75 Hazlitt bezeichnet dies als Abfolge von seriösen Aussagen und kreischenden Brechungen und führt dies auf Byrons dandyistisches Genie zurück:76 »You laugh and are surprised that any one should turn round and travestie himself: the drollery is in the utter discontinuity of ideas and feelings: […] dandyism is (for want of any other) a variety of genius«.77 Diese Diskontinuität ließe sich aber auch als Oszillation zwischen den für Byron zentralen Polen romantisch-tragischer Einzelgänger und provokanter Dandy bezeichnen. In der Tat gibt Hazlitt als Beispiel die der Don Juan-Ausgabe von 1832 vorangestellte Stanze an, in der der Erzähler sein melancholisches Lamento mit dem Hinweis unterbricht, dass er einen Kater habe und sich deswegen das damals verwendete Gegenmittel Sodawasser und Weißwein verordnet: »I say – the future is a serious matter –/ And so – for Godsake – Hock and Soda water!«78 Diese Diskontinuität, unterstrichen durch den nicht assonanten Augenreim matter/water, relativiert im Sinne der romantischen Ironie die Absolutheit der Aussage, indem sie die Befindlichkeit des Erzählers in den Vordergrund rückt und dieser gleichzeitig Subjekt und Objekt der Behauptung wird.79 Hier realisiert Byron dies indes auf eine für die romantische Ironie ungewöhnlich provokante Weise durch den schroffen Gegensatz zwischen warnenden Worten und dem Alkoholkonsum, der dazu führt, dass sich der Erzähler schließlich übergeben muss (Bd. V, S. 88). Dass Hazlitt dieses Ansinnen der romantischen Ironie, der Verabsolutierung und Idealisierung von Ideen vorzubeugen,80 als Dandyismus sieht, geht wohl zurück auf die von ihm in Brummelliana besprochenen Anekdoten, in denen Brummell auf ähnliche Weise das ernste Gesprächsansinnen seines Gegenübers mit unerwarteten Erwiderungen ins Leere laufen lässt. So ironisiert Brummell in Hazlitts Daisy- oder Lake Windermere-Anekdote zwar nicht die eigenen, aber zumindest die Gefühlsbekundungen des Gegenübers. Ähnlich wie Byrons friktionale Inszenierung die Natur der Sprache als konstruiertes Medium der Vermittlung entlarven will, indem die literarische Kreation gleichzeitig metafiktional bestätigt und ironisiert wird,81 bricht Brummell die Gesprächskonventionen, indem er sie als solche offen legt und parodiert. Diesen Vergleich der Performativität Brummells mit der Ironie Byrons stellt auch Barbey in Du Dandysme her, der Hazlitt lobt, er sei in seinen Schriften ebenso bissig gewesen wie Brummell in seinen Unterhaltungen (S. 694 f.), und Hazlitts Gedanken konkretisiert: »Brummell fut peut-être une des muses de Don Juan, invisible au poète. Toujours est-il que ce poème étrange a le ton essentiellement dandy d’un bout à l’autre, et qu’il éclaire puissamment l’idée que nous pouvons concevoir des qualités et du genre de l’esprit de Brummell.«82 75 Vgl. Moore: Works [1901], S. 579. 76 Wörtlich »serious writing« und »flashy passages« (Hazlitt: Lord Byron, S. 75). Zur Behauptung von Byrons als exzentrisches Genie vgl. Kapitel 6.1.6. 77 Hazlitt: Lord Byron, S. 75. 78 Byron: Works, Bd. V, S. 88, vgl. Hazlitt: Lord Byron, S. 75. 79 Vgl. Bourgeois: Ironie romantique, S. 32. 80 Vgl. ebd., S. 26. 81 Vgl. Bone: Beppo, S. 98. 82 Barbey: Du Dandysme, S. 698 f. In seinen Memoranda, die nach dem Vorbild von Byrons London Journal verfasst sind (vgl. Miguet: Barbey d’Aurevilly et Baudelaire, S. 74), schreibt Barbey, Byrons Don Juan sei eine treffendere Be-

DIE BEHAUPTUNG DES AUTORS | 125

Byrons Dichtung wird also auch von seinen Zeitgenossen weniger als Musterbeispiel der romantischen Ironie, sondern vielmehr als deren ›dandyistische‹ Variante behauptet. Byrons doppelte Rolle als empfindsamer Autor und nonchalanter Dandy trägt dem Rechnung, indem sie ihm ermöglicht, gleichzeitig große Gefühle und deren Brechung friktional zu inszenieren. Wenn Natta behauptet, dass der écrivain-dandy sein provokatives Verhalten in der Gesellschaft auf den Leser übertrage,83 lässt sich hier zwischen Subjekt und Autor differenzieren und präzisieren, dass sich Brummells Selbstbehauptung gegenüber dem Gesprächspartner bei Byron als selbstreferentielle Brechung des eigenen Werks wieder findet. Es geht also nicht um die Behauptung des Dandys gegenüber einem im Sinne Isers impliziten Leser84, sondern um die Behauptung gegenüber der eigenen Behauptung. Diese metatextuelle Selbstironisierung beruht auch bei den nun folgenden Autoren auf der friktionalen Selbstbehauptung des Autors als Dandy.85

5.2 Die Behauptung Byrons in England Kurz nach Byrons Tod beginnt Bulwer-Lytton eine Affäre mit dessen ehemaligen Geliebten Caroline Lamb und gibt dafür einen vielsagenden Grund an: »She interested me chiefly […] by her recollections and graphic descriptions of Byron, with whom her intimacy has lasted during the three most brilliant years of his life in England […].«86 Diese Anekdote ist repräsentativ für die elementare Behauptung Byrons in England, da sie die reziproke Beziehung zwischen Fiktion und Realität widerspiegelt, die darin gipfelt, dass sich Bulwer-Lyttons Interesse an der realen Caroline Lamb auf ihre Dokumente über Byron beschränkt. Zudem ist sie Ausdruck der Faszination für Byron, bei der hier Blooms Metapher der ödipalen Beziehung des Autors zu seinem Vorgänger wörtlich realisiert wird. So kann Sadleir die Entwicklung bei BulwerLytton von uneingeschränkter Begeisterung – z.B. in England and the English – zu einer nüchternen Revision von Byrons Werk in Bulwer-Lyttons essayistischen Werken und persönlichen Aufzeichnungen nachweisen,87 die sich auch bei fashionable authors wie Disraeli oder später bei dessen Freund

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schreibung von England als Bulwer-Lyttons England and the English (S. 762). Bei einem Besuch in Caen notiert er am 29.9.1856: »Ah! Si Byron avait vécu ici comme Brummell, cette promenade sublime aurait son rang dans les admirations officielles du monde et de l’Europe! cela est vraiment digne des vers du Don Juan ou du Childe-Harold.« (Barbey: Memoranda, S. 1034). Natta: Grandeur Sans Convictions, S. 15. Vgl. Iser: Der implizite Leser sowie Iser: Die Appellstruktur der Texte, S. 33. Garelick bezeichnet sie gar als prägend für das gesamte 19. Jahrhundert (Garelick: Rising Star, S. 9). Zit. n. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 214. »You are like me – too fond of Byron« schreibt er Caroline Lamb in Bezug auf Byrons Werke (zit. n. Sadleir: Bulwer-Lytton, S. 56). Zudem berichtet seine Ehefrau Rosina Bulwer in ihrer Autobiographie A Blighted Life, ihr Mann habe sich damit gebrüstet, ein ebenso schwieriger Ehemann wie Byron zu sein (vgl. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 242). In ihren erstmalig komplett herausgegebenen Briefen, die 2008 bei Pickering & Chattoo erscheinen werden, insinuiert sie, dass BulwerLytton eine homosexuelle Beziehung zu Disraeli gehabt habe. Bulwer-Lytton: England and the English, S. 230-245. Vgl. Sadleir: BulwerLytton, S. 26, 29, 52-56.

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Oscar Wilde, aber auch bei deren erklärten Gegnern wie Thomas Carlyle und William Thackeray zeigt.88 In Pelham wird dies friktional verarbeitet in den häufigen Diskussionen der Protagonisten über Byrons Werke in den Kapiteln 8, 12, 16, 24, 43 und 68, in denen Byron überschwänglich gelobt wird.89 Dennoch betont BulwerLytton bereits im Vorwort der 1840 erschienenen Neuauflage von Pelham, im Sinne der bloomschen »Tessera«, der Ergänzung durch Antithese,90 er wolle eine Alternative für die »Byron-School« aufzeigen, die, so dechiffriert er sein eigenes Werk, in Reginald Glanville, Pelhams langjährigem Freund verkörpert werde:91 »[Pelham] contributed to put an end to the Satanic mania, – to turn the thoughts and ambition of young gentleman without neckcloths, and young clerks who were sallow, from playing the Corsair, and boasting they were villains.«92 Der Bezug zu Byron ist widersprüchlich. Einerseits impliziert das Zitat, nur nach der Neckclothitania gekleidete Dandys dürften sich Byrons satanischem parêtre hingeben. Andererseits stellt Bulwer-Lytton zufrieden fest, dass er seinen Lesern die Faszination an Byron ausgetrieben habe. Hierin ist insofern ein friktionaler Bezug zu sehen, als er selbst von seinen Zeitgenossen als satanischer Dandy à la Byron rezipiert wurde.93 Die Abrechnung mit den Byron-Nachahmern unterstreicht also seine Anxiety of Influence, der er sich hier durch offensive Polemik zu erwehren sucht. Dieser Versuch der 88 Benjamins Vater Isaac Disraeli war Autor einer berühmten Anekdotensammlung, den Curiosities of Literature, sowie bekennender Byron-Bewunderer. Im Vorwort der von ihm neu herausgegebenen Sammlung The Literary Character illustrated by the History of Men of Genius merkt er an, ein mit Kommentaren von Byron versehenes Exemplar der ersten Ausgabe habe ihn dazu inspiriert (vgl. Sadleir: Bulwer-Lytton, S. 205). Seine Begeisterung für Byron drückt Benjamin Disraeli in seinem Roman Venetia (1837) aus. Die friktionale Darstellung von Byron und Shelley in den Figuren Herbert und Cadurcis kündigt er bereits im Vorwort an, wenn er die Darstellung von »two of the most renowned and refined spirits« verspricht (vgl. Chew: Byron in England, S. 153 ff.). Charles Sanders belegt in »The Byron closed in Sartor Resartus«, dass Carlyles Byron Begeisterung – 1824 schreibt er seiner zukünftigen Frau Jane Baillie Welsh, er fühle sich bei Byrons Tod »as if I had lost a Brother« (zit. n. Rutherford: Byron, S. 286) – zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem von Byron verkörperten Status des Schriftstellers führt. Zur Wildes Entwicklung von uneingeschränkter Begeisterung, wie in den Gedichten »Ravenna« und »The Tomb of Keats« (1877) bis hin zur Revision vgl. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 230 f. 89 Vgl. über Byrons Childe Harold: »[I]t has so much energy, action – variety!« (S. 55) oder: »Of all English writers […] I know none that equal Byron […] You are enchained by the vague but powerful beauty of the style; the strong impress of originality which breathes throughout.« (S. 175 f.) Zudem stammen vier der jedem Kapitel vorangestellten Epigramme von Byron (Kapitel 6, 30, 66, 70). 90 Bloom: Anxiety of Influence, S. 14. 91 Tatsächlich wurde Pelham auch als friktionale Darstellung von Byron rezipiert (vgl. Adburgham: Silver Fork Society, S. 131, Henkle: Comedy and Culture, S. 24). 92 Zit. n. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 221, Bachman: Bulwer, S. 184 FN. 93 Bulwer-Lyttons Zeitgenosse Leslie Ward schreibt von einem »satanic looking […] touched up as the dandies of his day were«, zit. n. Mitchell: Bulwer, S. 89.

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Abnabelung vom byronschen Dandy wird in der Figur Henry Pelham friktional verarbeitet. So behauptet dieser, die Schule der »fashionable« sei vulgär, weil von Byron verdorben, und entschließt sich dazu, sich ganz in schwarz zu kleiden (S. 159), was, wie erwähnt, Jesse nachahmt und so die Missgunst Brummells auslöst. Dennoch gibt sich Pelham, zumindest vorübergehend, dem Dandyismus hin und erläutert: »[I]t is now my object to be a dandy; hereafter I may aspire to be an orator – a wit, a scholar […].« (S. 176) Dieses Projekt, den Dandyismus als ersten Schritt in der Karriere zu nutzen, kann er tatsächlich realisieren, und er wird zu einem erfolgreichen Politiker; so wie sein Namenspatron Henry Pelham, der Premierminister von Großbritannien von 1743 bis 1754 war, oder der von Bulwer-Lytton selbst als Vorbild angegebene Frederick Villiers, dessen Bruder, ebenfalls Politiker, Charles Pelham-Villiers hieß.94 Nicht zuletzt wegen dieser Wendung des Protagonisten Pelham vom modischen Leben hin zu politischem Engagement wird Pelham als ein Bildungsroman und der Dandyismus darin als erste Etappe eines politisch verantwortungsvollen Lebens angesehen:95 »I was not prepared to find you grown from a roué into a senator« gesteht Vincent angesichts Pelhams Entwicklung (S. 169). Wenn Elfenbein in Bezug auf Bourdieu bemerkt, es sei die erfolgreiche literarische Karriere gewesen, die Bulwer-Lytton ermöglichte, genügend kulturelles Kapital für eine politische Karriere zu sammeln,96 lässt sich in Pelham von einer gleichzeitigen friktionalen Inszenierung und Beförderung des eigenen Aufstiegs sprechen, für den der Dandyismus die erste Etappe darstellt. Dies zeigt sich auch bei Benjamin Disraeli, dessen Freundschaft zu Bulwer-Lytton die Veröffentlichung seines Vivian Grey bei Colburn zu verdanken ist,97 und der als Kandidat der Tories 1868 sowie 1874 Premierminister Englands wurde, während sich Bulwer-Lytton 1831 zunächst als liberaler Whig in das Parlament wählen ließ und sich den Tories später anschloss.98 In seinem posthum erschienenen Tagebuch beschwört Disraeli schon 1833, also noch vor Beginn seiner politischen Laufbahn mit dem Einzug ins Unterhaus 1837, die autobiographischen Elemente von Vivian Grey und gibt dadurch der Friktion zwischen Realität und Literatur eine neue Dimension: »My works are the embodifiaction of my feelings. In Vivian Grey I have portrayed my active and real ambition.«99 Auch Vivian, der gleich zu Beginn von seinen Kommilitonen als Dandy identifiziert wird,100 dient der Dandyismus dazu, sich nach dem Vorbild Brummells in der Gesellschaft souverän und scharfzüngig zu präsentieren: »But Vivian Grey was a graceful, lively lad, with just enough of dandyism to preserve him from committing gaucheries, and with a devil of a tongue.« (S. 16) Wie Bulwer-Lyttons Pelham zeichnet sich Vivian Grey durch eine friktionale Behauptung gegenüber Byron aus. Zu 94

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Vgl. Grand dictionnaire universel XV, S. 1064. Bulwer-Lytton gibt selbst an, Pelham nach dem Vorbild Villiers gestaltet zu haben (vgl. Mitchell: Bulwer, S. 98). Vgl. zu diesem Forschungskonsens: Bachman: Pelham, S. 182, Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 218. Vgl. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 219. Ebd., S. 217. Bachman: Bulwer, S. 182 FN, Mitchell: Bulwer, S. 169-220. Zit. n. Schubel: Fashionable Novels, S. 162. »›A dandy, by Jove!‹ whispered St. Leger Smith« (Disraeli: Sybil, S. 4), »some say you are a dandy«, sagt Poynings zu Vivian (S. 10).

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Beginn beklagt Vivians Bekannter Cleveland, der sich als ehemaligen Dandy bezeichnet (S. 142), ein Autor wie Byron fehle der Gesellschaft (»We want Byron«), und berichtet von seinen Begegnungen mit Byron. Diese Freundschaft bezeichnet Cleveland als erhebendstes Ereignis seines Lebens (S. 142). Byron sei gekleidet gewesen im »most dandified style that you can conceive; but not that of an English dandy either.« (S. 141) Dass dieser friktionale Byron also nicht im Stil eines englischen Dandys gekleidet war, sondern eine exotische Feldmütze trug, entspricht wörtlich einer mündlichen Schilderung Moores von Byron, die Disraelis in seinem Tagebuch am 27.11.1822 festhält.101 Für Vivians Abkehr von diesem byronschen Dandyismus ist es bezeichnend, dass er später mit Cleveland mit allen Mitteln um die Liebe von Mrs. Felix Lorraine konkurriert und diesem in einem Duell tötet. Vivian geht zum Duell mit »an air at once dandyish and heroical, a mixture at the same time of Brummell and the Duke of Wellington.« (S. 159) Dass er den Bewunderer Byrons mit einem Auftreten à la Brummell und Wellington, dem Besieger Napoleons, tötet, spielt auf den mythischen Vergleich der drei an und symbolisiert die Abkehr vom einzelgängerischen Dandyismus Byrons zugunsten der souveränen gesellschaftlichen Selbstbehauptung Brummells. In Sybil or the two nations spaltet Disraeli für die friktionale Inszenierung von Byron dessen widersprüchliches parêtre als Einzelgänger und Dandy in zwei befreundete Figuren auf: erstens Mick Radley, genannt »Dandy Mick«, der sich durch ein bleiches Gesicht und ein im Stile Byrons sorglos gebundenes Halstuch auszeichnet, zweitens der Findling Devilsdust, der Byrons satanische, misanthropische Seite evoziert.102 Wenn der Erzähler betont, dass beide sich gegenseitig anzogen, weil sie derart unterschiedlich waren, wird die Friktionalisierung beider Seiten des byronschen parêtre offenkundig: »Devilsdust was dark and melancholy; ambitious and discontented; full of thought, and with powers of patience and perseverance that alone amounted to genius. Mick was as brilliant as his complexion; gay, irritable, evanescent, and unstable. Mick enjoyed life; his friend only endured it;« (S. 98) Dass beide schließlich ihre antikapitalistische, revolutionäre Gesinnung (S. 100) zusammen mit ihrem Dandyismus aufgeben, gemeinsam eine Firma gründen, zwei respektable Damen ehelichen und Devilsdust einen bürgerlichen Namen annimmt (S. 420), unterstreicht, dass die Abkehr vom Dandy Byron die Aufgabe des gesellschaftlichen Außenseiterstatus und stattdessen ein neues Bewusstsein für gesellschaftliche Verantwortung beinhaltet: »We live in an age when to be young and to be indifferent can be no longer synonymous«, appelliert der Erzähler abschließend (S. 422). 101

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Vgl. Chew: Byron in England, S. 152. Dieser Aufzug ist auch im Porträt Byrons von Thomas Philips wiederzuerkennen, das 1814 in der Royal Academy ausgestellt, 1835 für Byrons Tochter Ada vom Maler selbst kopiert wurde und heute in der National Portrait Gallery steht. McGann zufolge zeige dieses Gemälde Byron als modernen Dandy (McGann: Dandy, S. 6, vgl. Jones: Fantasy and Transfiguration, S. 129, sowie die Abbildung 3 nach Seite 116). Disraeli: Sybil, S. 87. Dass der Aristokrat Byron durch zwei arme Leute aus der Unterschicht repräsentiert wird, ist Ausdruck der konsequenten literarischen Repräsentation der Aristokratie durch die Unterschicht und umgekehrt, wie Gallagher herausarbeitet (Gallagher: Industrial Reformation, S. 202 f.). Dass sich die Aristokratie für die Belange der Arbeiterklasse einzusetzen habe, war eine verbreitete Überzeugung, die Disraeli auch in der friktionalen Figur Walter Gerard zum Ausdruck bringt (vgl. ebd, S. 212).

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Die aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Mick und Devilsdust sind demnach Ausdruck gesellschaftlicher Verantwortung wie der Aufstiegsmöglichkeiten der Unterschicht. So lässt Disraeli einen Fremden äußern, die Aristokratie solle sich lieber der geistlichen Karriere widmen und der Minister sollte sie nicht mit politischen Ämter beehren, denen sie nicht gewachsen seien: »He need not […] make governors of colonies out of men who never could govern themselves, or find an ambassador in a broken dandy […].« (S. 62) Die Anspielung zielt nicht nur auf Byrons berühmtes Zitat, sondern auch auf Brummell ab, der in Caen einen Posten als britischer Konsul annahm. Die Figur des Dandys wird dergestalt Symbol für die Bevorzugung Adliger vor der besser qualifizierten, aufstrebenden Unterschicht. Die sich weiter entwickelnden Protagonisten aus armen Verhältnissen werden konträr den stagnierenden Dandys gegenüber gestellt. In Disraelis Roman mit dem bezeichnenden Titel Coningsby or the new generation wird eben dieser geforderte Generationswechsel in der Politik beschrieben, den ein – so wie Brummell mit dem König befreundeter – Dandy kommentiert mit: »›I say, Jemmy,‹ said the eldest, a dandy who had dined with the Regent, but who was still a dandy […], I say, Jemmy, what a load of young fellows there are!‹« (S. 324) Der Dandyismus ist hier Ausdruck einer altmodischen Einstellung, die sich nur schwerfällig mit gesellschaftlichen Veränderungen und der neuen, nicht mehr adligen Generation von Politikern auseinandersetzen kann. Coningsby, einem solchen »representative of the New Generation«, dämmert es, dass er, anstatt auf dem Herrschaftssitz seines Großvaters auf ein Treffen mit einem als »London dandy« bezeichneten Politiker zu warten, sich lieber mit der nahe gelegenen Stadt Manchester auseinandersetzen sollte: »[S]uddenly it occurred to him, that the Age of Ruins was past, and that he ought to seize the opportunity of visiting Manchester […] the great METROPOLIS OF LABOUR.« (S. 126) Anstelle sich mit den ruinösen, dem Verfall geweihten aristokratischen Dandys abzugeben, stellt sich Coningsby der Herausforderung der industriellen Revolution und widmet sich dem Anliegen der armen Arbeiterklasse. Disraeli, der Sybil und Coningsby 1844 und 1845 veröffentlicht, als er bereits Politiker ist, nutzt die Romane also als Plattform seiner politischen Ansichten und Ambitionen.103 In der Widmung an Henry Hope in Coningsby betont er, mit dem Roman die positive politische Entwicklung Englands unterstützen zu wollen (S. xxxi). Im gleichen Maße wie diese Romane den politischen Aufstieg der von Byron beeinflussten und sich emanzipierenden Dandyfiguren darstellen, dienen sie also den Autoren selbst zu ihrer politischen Karriere.104 Anders als bei Bourdieu ist die Figur des Dandys somit nicht Ausdruck der Autonomisierung des literarischen Feldes, sondern eine Etappe für Protagonist und Autor in der Beherrschung des politischen Feldes. Die Literatur, weit davon entfernt, einen autonomen Status zu besitzen, wird

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Vgl.: »Dans le style politique disraëlien, c’est la présence constante de la fiction […] Le recours à la littérature vient saper le sérieux de la scène politique […] renforce l’étrangeté de Disraeli et lui offre cet ›étroit-à-côté‹ imaginaire du fugitif où il se constitue en aventurier, s’expose (to venture) en héros.« (Coblence: Disraeli, S. 293). Vgl. ausführlich Hibbert: Disraeli. Ähnliches beschreibt Benjamin in Frankreich für Eugène Sue und Alphonse de Lamartine (Benjamin: Charles Baudelaire, S. 533).

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zur Darstellung von Dandys instrumentalisiert, die der friktionalen Selbstdarstellung der politischen Positionen des Autors dienen. Dies gilt auch für die Autoren des 1830 von Hugh Fraser und William Maginn gegründeten Fraser’s Magazine, obgleich diese Zeitschrift teilweise konträre Ansichten äußert. So preist sie Disraelis Venetia als Alternative zu Bulwer-Lytton, wobei letzterer, trotz seiner friktionalen Abnabelung von Byron, selbst als Verkörperung einer zu überwindenden Aristokratie rezipiert wird.105 Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass der Verleger Colburn insbesondere in seiner Zeitschrift New Monthly Magazine die adelige Herkunft Bulwer-Lyttons als Beleg für die Authentizität seiner fashionable novels anführt.106 Das an der Mittelklasse ausgerichtete Fraser’s Magazine sah in diesem also einen Gegenspieler und so polemisierte dessen Autor William Thackeray unter dem Namen Charles Yellowplush gegen »Sawedwadgeorgeearllittnbulwig«107. In einem Maginn zugeschriebenen108 Artikel wird BulwerLyttons Werken dabei das Fehlen gesellschaftlicher Relevanz vorgeworfen: »What we said was, that the word ›Fashionable Novel‹ was a contradiction in terms, inasmuch as novel-writing predicated philosophical views for the elaboration of utility to society at large […].«109 Bulwer-Lyttons Darstellung des Lebens der Oberschicht biete, so die utilitaristische Argumentation, keinen gesamtgesellschaftlichen Nutzen. Vielmehr zeige sie, dass diese Ober105

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«[W]e are convinced that, morally and political speaking, the Conservatives have received, and are likely to continue to receive, good service from the younger Disraeli.« (Zit. n. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 228 f.) Der friktonalen Inszenierung Disraelis folgend, der im selben Jahr als Konservativer in das Parlament einzog, wird dessen Werk also untrennbar mit den politischen Positionen seines Autors verknüpft und nach seinem Nutzen für den von der Zeitschrift vertretenen Konservatismus angesehen. Im »Our ›confession of faith‹« betitelten Vorwort der ersten Ausgabe wird die Wahl zum Premierminister von Earl Grey, dem Namenspatron der Teemischung und Mitglied der liberalen Whig-Partei, äußerst kritisch kommentiert und bündig erklärt, »we are not of liberal principes« (S. 5). Vgl. Elfenbein: Silver-Fork Byron, S. 79, Moers: Dandy, S. 52 f. Auch Disraelis Vivian Grey wird von Colburn als anonymer roman à clef eines jungen Adeligen angekündigt, obwohl Disraeli nicht adelig war, vgl. Adburgham: Silver, S. 81. In Wards Tremaine wird diese Verbindung zwischen Autor und Protagonisten bereits auf dem Frontispiz suggeriert. Auf der einen Seite befindet sich ein Bild des Autors mit dunklem neckcloth und den bereits von Jesse karikierten spitzen Hemdkragen des Dandys, die bis unter die Ohren reichen, auf der gegenüberliegende Seite ein Bild des Protagonisten von Tremaine, dem »man of refinement« (i f.). Lies: Sir Edward George Earl Lytton Bulwer, vgl. Moers: Dandy, S. 199. Das Fraser’s Magazine vermengte mit seiner literarischen Kritik eine Polemik, die Bulwer-Lytton persönlich treffen sollte, etwa wenn in den »Epistles to the literati« Anekdoten über den vermeintlichen Alkoholismus von »Brandy-Bulwer« verbreitet wurden (S. 525). Diesen traf diese Vermengung von Literaturkritik und persönlichen Attacken durch ihre ungewöhnliche Schärfe sehr schwer: »That magazine […] long continued to assail me, not in any form that can fairly be called criticism, but with a kind of ribald impertinence offered, so far as I can remember, to no other writer of my time.« (Zit. n. Moers: Dandy, S. 175) Vgl. zur »Fraserian Persecution« von Bulwer-Lytton Sadleir: Bulwer-Lytton, S. 255-266. Vgl. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 264 FN. Culpepper: Mr Edward Lytton, S. 532.

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schicht, obwohl sie von der Gesellschaft am meisten profitiere, ihr am wenigsten zurückgebe. Der Autor, der sich des Pseudonyms »Culpepper« bedient, stellt dem die Verdienste der Mittelschicht gegenüber: »It is from the middle classes that men of genius have in general risen.«110 Unmissverständlich stellt er klar, je weniger Leute vom Schlage Pelhams im Parlament säßen, desto besser sei dies für England und folgert: »The deliberative Assembly of the representatives of England is no meet place for dandies […].«111 Der Dandy als Verkörperung der aristokratischen Zeit der Regency, der wie bei Disraeli mangelnde politische Verantwortung, Elitarismus und Untätigkeit verkörpert, steht somit dem aufstrebenden Bürgertum im Weg.112 Auch das Fraser’s Magazine konzipiert den Dandy also als Symbol einer abzulösenden Aristokratie, allerdings nicht zugunsten der Unterschicht wie in Disraelis Sybil. Dass die Mitarbeiter der Zeitschrift, die Moers in Anlehnung an Carlyles Sartor Resartus als »anti-dandiacals« bezeichnet,113 vielmehr die bürgerliche Mittelschicht als Alternative zu dem Dandy als Verkörperung des aristokratischen Müßiggangs darstellt, betont Thackeray in einer Rezension von Jesses Biographie, in der er die Herkunft Brummells aus der Mittelschicht und seine Herrschaft über die aristokratischen Dandys als positives Beispiel hervorhebt: »It may be consoling to the middle classes to think that the great Brummell, the conqueror of all the aristocratic dandies of his day, nay, the model of dandyhood for all time, was one of them, of the lower order… Let men who aspire to the genteel, then, never be discouraged.«114 Selbst wenn er Brummell als Beleg für die Überlegenheit der Mittelschicht darstellt, macht er – wie auch Bulwer-Lytton und Disraeli – dennoch deutlich, dass die Figur des Dandys der Vergangenheit angehört. »Dandies and fops have always been ephemeral productions, and the former are now extinct, or sobered down into gentlemanly well-dressed man«, heißt es im Artikel »Dress, Dandies, Fashion, &c.«115 und auch in Vanity Fair beschreibt Thackeray friktional die Loslösung vom Dandyismus hin zur gesellschaftlichen Verantwortung. Jos Sedley z.B. vergleicht sich selbst mit Brummell116 und steht mit »several immense neckcloths that almost rose to his nose« im »morning costume of a dandy« (S. 20) als Anhänger der Neckclothitania als abschreckendes Beispiel für stumpfe, unbelehrbare Eitelkeit.117 Captain 110

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Ebd., S. 514 f., vgl. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 102 f. BulwerLytton entgegnet dieser Kritik, seine Romane seien in der Darstellung der Aristokratie gerade für die aufstrebende Mittelschicht von Nutzen gewesen und folgert: »The Utilitarians railed against them, and they [the fashionable novels] were effecting with unspeakable rapidity the very purposes the Utilitarians desired.« (Bulwer-Lytton: England and the English, S. 252, vgl. Sadleir: Bulwer-Lytton, S. 121). Culpepper: Mr Edward Lytton, S. 518. Vgl. Lambert: Thackeray, S. 60 f. Moers: Dandy, S. 167. Zit. n. Gilmour: The idea of the gentleman, S. 57. Anonymus: Dress, S. 238. Die Übersetzung des Artikels, erschienen in der Revue Britannique (1837) lautet noch radikaler: »Que la terres soit légère à la race éteinte des dandys! qu’ils reposent en paix!« (S. 343 f.). «[H]e used to […] give you to understand that he and Brummell were the leading bucks of the day […].« (Thackeray: Vanity Fair, S. 23). «He was as vain as a girl […].« (S. 24) Vgl. Lambert: Dandy, S. 64-67. Bulwer-Lytton entwirft in England and the English ein ähnlich negatives Bild der eitlen Dandys, die er Paul Snarl und Lord Mute nennt (S. 72 ff.).

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Crawleys Jahrmarkt der Eitelkeiten endet damit, dass der »famous dandy« seine Insignien der fashionable life seiner Frau Becky vermacht und in der Ausrüstung eines einfachen serjeant in den Krieg zieht.118 Auch in Pendennis lässt Thackeray seinen Protagonisten Pendennis, der als »dandified« beschrieben wird (Bd. II, S. 140), viel Kritik ernten, etwa wenn Mr Bowes Pendennis’ Avancen an Fanny Bolton als Eitelkeit eines Dandys entlarvt: »That’s what the world makes of young dandies, you gentlemen of fashion, you high and mighty aristocrats, that trample on the people.«119 Trotz der unterschiedlichen Positionen von Bulwer-Lytton, Disraeli und der ätzenden Polemik von Thackeray ist der von Byron verkörperte Dandy in England also Symbol einer unverantwortlichen Aristokratie, welche die Unter- und Mittelschicht unterdrückt, mit Füßen tritt und der politischen Entwicklung der Autoren sowie der Ausbildung des literarischen Feldes im Wege steht.120

5 . 3 D i e P o si ti o n v o n C a r l yl e Der Anfrage von Macvey Napier, für die Encyclopedia Britannica den Artikel über Byron zu schreiben, stimmt Carlyle in einem Brief am 28.4.1832 zu mit dem Hinweis, dass Byrons Ruhm nicht von Dauer sein werde, da sein Werk falsch, theatralisch und unehrlich sei. Über Byron selbst ringt er sich den lakonischen Kommentar ab: »What was he, in short, but a huge sulky Dandy«; Napier, der wohl anderes im Sinn hatte als die Darstellung Byrons als launischer Dandy, kommt nicht mehr auf sein Angebot zurück.121 Dass sich diese Reaktion gegen Byrons Verkörperung des aristokratischen Dichters richtet, mag auch Carlyles Biographie erklären, der selbst der Mittelschicht angehörig, sich anders als Byron auch aus finanziellen Gründen als akzeptierter und professioneller Autor durchsetzen musste. In der Tat nimmt Carlyles mittlerweile kanonisierter Sartor Resartus, der zunächst im Fraser’s Magazine erschien, da er keinen Verleger fand,122 des-

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Thackeray: Vanity Fair, S. 291, vgl. Gilmour: The idea of the gentleman, S. 65, 72. Zur romantischen Ironie in Vanity Fair vgl. Fletcher: The Dandy and the Fogy, S. 385-393. Thackeray: Pendennis, Bd. II, S. 144 f., vgl. Lambert: Dandy, S. 68. Die sozialistischen Denker in Deutschland sehen den Dandy wiederum kritisch als Ausgeburt des industriellen Kapitalismus. Neben der bereits zitierten Kritik von Engels an der Verschwendungssucht des Dandys vgl. Stirner: Das unwahre Prinzip unser Erziehung, S. 82, Grün: Die soziale Bewegung, S. 116. Zit. n. Sanders: Carlyle, S. 80. Vgl. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 98. Wenn der Erzähler zu Beginn betont, dass sich das Fraser’s Magazine als einzige unabhängige Zeitschrift zur Veröffentlichungen eignete (S. 6), so ist dies eine Anspielung daran, dass Colburn an den Zeitschriften Literary Gazette, New Monthly Magazine, Athenaeum und The Court Journal beteiligt war und so den Veröffentlichungen seines Verlages in seinen eigenen Zeitschriften stets exzellente Kritiken angedeihen lassen konnte. So ließ er seine Autoren selbst in seinen Zeitschriften arbeiten, Bulwer-Lytton war Herausgeber des New Monthly Magazine und rezensierte teilweise sogar seine eigenen Bücher (vgl. Adburgham: Silver Fork Society, S. 177, Elfenbein: Silver-Fork Byron, S. 79). Das Fraser’s Magazine kritisiert diese Praktiken indirekt, wenn es über sich selbst sagt: »The Journal is not connected with any large publishing house, and the public have there-

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sen Plädoyer für die Mittelschicht auf. Carlyle entwickelt das drohende Szenario eines Englands, bei dem es nur noch arm und reich, verarmte, irische Sklavenarbeiter und Dandys geben werde, denn die Selbstherrlichkeit der Dandys und der stumpfsinnige Materialismus der Armen werde zu einer Teilung des Landes führen (S. 214). Dabei wird Bulwer-Lytton von Professor Diogenes Teufelsdröckh als oberster Priester der »Dandiacal Sect« bezeichnet. Diesem fiktiven Professor zufolge gelte dort wie bei einer religiösen Sekte als zentraler Aberglaube die Selbsthuldigung (»Self-worship«), als Palast und Pilgerort der Club Almack’s und als heilige Schriften (»Sacred Books«) die fashionable novels (S. 207 f.). Er stellt fest, das Lesen einer fashionable novel habe ihn in ein Delirium Tremens geworfen, worauf ihm der Arzt weitere Lektüren dieser Art verboten habe. Nur durch Zufall sei er in den Besitz einiger Makulaturblätter gekommen, die in der »Stillschweigen’sche Buchhandlung« als Verpackungsmaterial benutzt wurden und die von einem Roman stammen, dessen Held Pelham heiße. Dass dieser Ausschnitt, auf welchen der Erzähler der Fiktion zufolge zufällig gestoßen ist, identisch ist mit dem des bereits erwähnten Artikels im Fraser’s Magazine (S. 516 ff.), lässt sich als fiktional verkleidetes Geständnis verstehen, dass Carlyle Pelham gar nicht selbst gelesen hat, wie er an anderer Stelle durchweg zugibt.123 Die Abgrenzung von Bulwer-Lytton beschränkt sich insofern auf dessen Verkörperung des aristokratischen Dandys als Schriftsteller.

5.3.1 Die Friktion des Byronkritikers Carlyles friktionale Behauptung gegenüber Byron zeigt sich schon im Namen des Professors Teufelsdröckh, der sich auf das Bild von Byron als Oberhaupt der Satanic School bezieht, zu dem der Vorname Diogenes, der GottGeborene, ähnlich antithetisch gegenübersteht124 wie Byrons Einzelgängertum seinem Leben als Mann von Welt, oder Devilsdust und Dandy Mick bei Disraeli. Darin könnte man das Eingestehen einer bloomschen Poetic Influence sehen, derer sich der Autor durch Missinterpretation und »self-saving caricature« zu erwehren sucht.125 In einer der vielen Anspielungen, Parallelen und antithetischen Entwicklungen der Biographie des Professors zu der im gleichen Jahr wie Sartor erschienenen Byron-Biographie von Thomas Moore, die Andrew Elfenbein aufzeigt,126 steht der Professor nach einer unglücklichen Liebe vor der Wahl, entweder satanische Gedichte zu schreiben, sich zu erschießen oder wie Byrons Childe Harold auf Pilgerreise zu gehen.127 Schließlich entschließt sich Teufelsdröckh, seine byronsche Lamentationen und Selbstquälereien aufzugeben und befiehlt sich: »Close thy Byron; open thy Goethe«128. Ein viel zitierter Ausspruch, der Carlyles eigene Entwicklung

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fore the guarantee that its opinions will neither be sold for lucre, nor biased by self-interest.« (zit. n. Adburgham: Silver Fork Society, S. 158). Vgl. Adburgham: Silver Fork Society, S. 133. Vgl. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 107. Bloom: Anxiety of Influence, S. 30. Vgl. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 105-120, Carlyle las Moores Biographie 1830 und schlug Macvey Napier für dessen Edingburgh Review eine Rezension darüber vor (vgl. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 105 f.), was oben zitierte Anfrage Napiers ergab (Sanders: Carlyle, S. 79). Carlyle: Sartor, S. 147, vgl. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 111. Carlyle: Sartor, S. 191 f., vgl. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 116.

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friktional nachzeichnet, welcher sich nach anfänglicher Byronbewunderung der Übersetzung Goethes ins Englische widmet. Aufschlussreich hierbei ist Carlyles Aufsatz »Goethe’s Works«, der vor dem Hintergrund des mythischen Vergleichs zwischen Brummell, Byron und Napoleon zu betrachten ist. Zunächst distanziert sich Carlyle dort vom Ruhm Brummells, indem er zu denken gibt, dass in Ermangelung großer Männer (»great men«), bekannte Männer wichtig werden. Indes habe die Vergötterung Brummells vielen Männern geschadet und Brummell letztlich anstatt ans Ziel (»goal«) ins Gefängnis (»gaol«) geführt (S. 141). Darauf zitiert er eine Passage aus seinem Sartor Resartus, in der Teufelsdröckh die Anbetung falscher Vorbilder anprangert, denen Opfer gebracht werde und folgert: »Byron […] ›must sit sulking like a great schoolboy, in pet because they have given him a plain bun, and not a spiced bun.‹« (S. 143) So kritisiert er die übermäßige Byron-Vergötterung, wobei die Metapher des Brötchens, die er in seiner Erwiderung an Napier über den sulky dandy aufnimmt, Byron den Vorwurf macht, er habe aus seinem Talent nichts machen können. Schließlich kann Carlyle, einmal Brummell und Byron als unzulässige Vorbilder entlarvt, den mythischen Vergleich herausfordernd Goethe und Napoleon als die beiden größten Männer der Zeit darstellen (S. 144). Dennoch ist Elfenbeins Folgerung, Carlyle habe mit der Kritik an Byron die Rolle des professionellen Intellektuellen und somit des literarischen Feldes in England begründet, zu weit gegriffen.129 Denn während Carlyle der Mittelklasse zuarbeitet, ist Voraussetzung für das literarische Feld, dass der Schriftsteller sich nicht als Sprachrohr einer Klasse, sondern als eigene Klasse behauptet, wie auch Joseph Jurt betont.130 Zudem läuft die utilitaristische Kritik an den fashionable novels, sie haben keinen gesellschaftlichen Nutzen,131 dem Prinzip des autonomen literarischen Feldes zuwider, welches die »utilité directe de l’art« ablehnt, wie Hugo in der Einleitung zu Littérature et philosophie mêlées schreibt – und wie noch ausführlich zu zeigen sein wird.132 Zudem sollte auch der von Elfenbein, aber auch von Bourdieu vernachlässigte Aspekt der Rezeption betrachtet werden. Denn anders als Zolas J’accuse, das Bourdieu als Ausgangspunkt des Intellektuellen nimmt133 und das sich eines großen Echos ›erfreute‹, wurde Carlyles Sartor zunächst kaum beachtet und dann paradoxerweise, wie Elfenbein selbst angibt, als besonders starker Ausdruck des Byronism rezipiert: Der zeitgenössische Rezensent John Morley z.B. spricht vom »Carlylism« als »the male of Byronism«134, und

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Vgl. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 90. Jurt: Vorwort, S. 3. Auch im Essay »Characteristics« betont Carlyle: »Utilitarianism […] has still its long task to do.« (S. 36). Vgl. Bourdieu: Les règles de l’art, S. 193, Einfalt: Autonomie der Poesie, S. 85. Vgl. Bourdieu: Les règles de l’art, S. 186 f. Zit. n. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 96, 124, Carlyle selbst betont indes im Aufsatz »Characteristics«, die alten Ideale von »Manhood« seien nutzlos geworden und neue Konzeptionen, wie die von Brummell oder Byron längst wieder überholt: »Wertherism, Byronism, even Brummellism, each has its day.« (S. 26)

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auch ein Teil der Forschungsliteratur sieht bei Carlyle ein positives Bild des Dandyismus gezeichnet.135

5.3.2 Die Ironie des Autors Dass Carlyles Sartor trotz seiner Kritik an Byron als Byronismus rezipiert wurde, ist in erster Linie auf die für Byron typische uneindeutige Ironie zurückzuführen, die Carlyle paradoxerweise für die Kritik eben an Byron und am Dandy verwendet. Der Sartor gibt vor, Übersetzung der fiktiven wissenschaftlichen Abhandlung »Die Kleider, ihr Werden und Wirken« von Professor Diogenes Teufelsdröckh zu sein, erschienen im Verlag Stillschweigen und Compagnie in Weissnichtwo im Jahre 1831 (S. 4) und besteht demnach aus übersetzten Passagen aus dem fiktiven Werk des »Author« sowie Kommentaren des »Editor«. Der Kontrast zwischen philosophischen Abhandlungen, in denen Editor und Author Carlyles profunde Kenntnis deutscher Philosophen unter Beweis stellen, und dem Thema Kleidung erzeugt eine charakteristische Spannung. So wird im ersten Teil in einer Geschichte der Kleidung festgestellt, der Zweck der Kleidung sei zunächst die des Ornaments gewesen, deren sich der Mensch als »handthierendes Thier«, als »Tool-using Animal« bedient (S. 30); des Weiteren wird die große symbolische Rolle der Kleidung in verschiedenen Revolutionen (S. 167) und in der Auszeichnung von Würdenträgern (S. 46) hervorgehoben, um dann zu folgern, das wichtigste Ereignis des 19. Jahrhunderts sei die Anfertigung eines Lederanzugs von George Fox gewesen (S. 157). Damit wird der historisch belegte Beweis der Wichtigkeit der Mode wieder ad absurdum geführt. Ebenso wird die »scientific strictness«, mit welcher der Professor die Definition des Dandys anstrebt, durch das banale Ergebnis seiner Studie gebrochen: »A Dandy is a Clotheswearing Man, a Man whose trade, office and existence consists in the wearing of Clothes. Every faculty of his soul, spirit, purse, and person is heroically consecrated to this one object, the wearing of Clothes wisely and well.« (S. 204) So werden gleichzeitig die wissenschaftlichen Bemühungen des Professors wie der sinnentleerte Lebensinhalt des Dandys auf gemäß der romantischen Ironie auf doppelte Weise ironisiert, was dazu führt, dass Barbey und Beerbohm den parodistischen Unterton in »heroically« und »wisely« nicht erkennen (wollen): Barbey wirft Carlyle vor, in On Heroes den Dandy als Helden ausgeklammert zu haben und Beerbohm bezeichnet diese Aussage provokant als einzig ›weisen‹ Satz im Sartor.136 Tatsächlich bleibt im Sartor durchgängig offen, ob der Dandy als weiser Held oder hirnloser Kleiderständer und seine Kleidung als ein komplexes oder außerordentlich simples Phä135

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Vgl. Clare: Dandies, S. 10, 367. Zu Ähnlichkeiten zwischen Carlyles und Baudelaires Dandy vgl. Howells: Baudelaire, S. 104-124. Auch der mit »Brummel« signierte Aufsatz im Windsor Magazine benutzt Carlyles Zitat »The essence of all science lies in the Philosophy of Clothes« als unironisches Epigramm (S. 70). In der Forschungsliteratur sieht Adams in Carlyles Sartor ein unsicheres Selbst, einen »dandy as a figure of masculine identity under stress« (Adams: Dandies and Desert Saints, S. 22, 24) und Coblence schreibt: »Carlyle voit dans l’apothéose de Beau Brummel […] l’effort pitoyable sans doute de fabrication d’un idéal« (Coblence: Obligation d’incertitude, S. 175). Barbey: Du Dandysme, S. 674 FN, Beerbohm: Dandies, S. 8, vgl. Hamard: Le Dandy, type et stéréotype, S. 60.

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nomen anzusehen ist. Der doppeldeutige Titel des Kapitels »The Dandiacal Body« kann in diesem Sinn komplex als »Das dandyistische System« oder einfach als »Der Körper des Dandys« verstanden werden. Ebenso lädt Carlyles Titel Sartor Resartus einerseits dazu ein, dies im Sinne der NeuEinkleidung des deutschen Textes durch seinen Übersetzer und die sartoriale Tätigkeit demnach als Metapher für intertextuelle Verarbeitung der Literatur zu verstehen. Andererseits wird dieser Zusammenhang zwischen Textilien und Text immer wieder ironisiert. Etwa wenn Teufelsdröckh postuliert, der Dandy führe diese »all-importance of Clothes« intuitiv, mit seinem »instinct of genius« weiter und ist als Poet der Kleidung (»Poet of Cloth«) zu sehen, der die göttliche Idee der Kleidung in aktive Handlung umsetzen könne (S. 204 f.). So parodiert Carlyle gleichzeitig die Ideenlehre Hegels und erweist dieser Reverenz, bringt ironisch die Nichtigkeit der Kleidung zum Ausdruck (wie es auch die Neckclothitania tut) und wertet den Dandy und sein eigenes Werk durch den Bezug auf Hegel auf. Wie bei Byrons Spiel mit der Doppeldeutigkeit von The World bleibt Carlyles Position dabei offen. Mit Jean Paul, den Carlyle übersetzte, ließe sich sagen, er stelle das »Große« der Philosophie Hegels und das »Kleine« der Kleidung nebeneinander, um »so beide zu vernichten«137. Nach dem Vorbild der romantischen Ironie wird diese Brechung metatextuell thematisiert: »[T]he Professor’s keen philosophic perspicacity is somewhat marred by a certain mixture of almost owlish purblindness, or else of some perverse, ineffectual, ironic tendency; our readers shall judge which.«138 Einerseits wird, wie an anderen Stellen (S. 152), die Glaubwürdigkeit des Professors in Frage gestellt, andererseits identifiziert sich der Übersetzer mit diesem durch das »our readers« und somit kann die professorale Tendenz zur Ironie ebenso als Selbstbeschreibung des Editors gesehen werden. Denn der Kommentar über den Professor selbst ist von einer ähnlichen uneindeutigen Ironie geprägt, da diesem mangelnde philosophische Weitsicht im Vergleich mit der Kurzsichtigkeit der Eule vorgeworfen wird, obwohl diese im Gegenteil ausgesprochen weitsichtig – und vor allem Symbol für Weisheit ist. Indem metatextuell auf die ineffektive, und somit uneindeutige Ironie des Professors hingewiesen wird und der Erzähler ebenso diese Ironie unter Beweis stellt, wird dieser Hinweis wieder gebrochen. Carlyles Sartor zeichnet sich somit nicht nur durch die friktionale Selbstbehauptung des Autors gegenüber Byron aus, sondern gleichzeitig auch durch Imitation und sogar Steigerung von Byrons ironischen Brechungen.

5 . 4 D i e B e h a u p t u n g B yr o n s i n F r an k r e i c h Der seinerzeit sehr populäre Autor Roger de Beauvoir schreibt 1835 über Byron: »[I]l épure le dandysme, il l’élève à la hauteur d’une pensée. Misérable dandysme que celui de Londres si Byron n’était pas venu!«139 Anders als Carlyle, der Byrons Inszenierung als Dandy zum Ausgangspunkt der Kritik an seinen Werken nimmt, wird hier also umgekehrt die Popularität der Werke Byrons zur Aufwertung des Dandyismus benutzt. Denn während sich die 137 138 139

Zit. n. Strohschneider: Romantische Ironie, S. 149. Carlyle: Sartor Resartus, S. 206. Beauvoir: De la vie de Londres, S. 18, vgl. Bray: Préciosité, S. 253.

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englischen Autoren friktional an Byrons Popularität als Autor und Dandy stoßen, ist bei den französischen Autoren der gleichen Zeit eine enthusiastische Rezeption von Byron zu konstatieren.140 Wohingegen Brummell für den Dandyismus in Frankreich, bis zur Veröffentlichung von Barbeys Essay Du Dandysme, auf den erst später zurückzukommen ist, kaum eine Rolle spielt, vollzieht sich die Rezeption des englischen Dandys insbesondere anhand von Byrons friktionaler Inszenierung: Ein Konversationslexikon definiert den »dandy«: »Les dandies anglais réclament comme un des leurs le célèbre poète Byron […]; le héros de son poème original, Don Juan, est aussi, dans plus d’un passage, le représentant du dandysme de Londres.«141 Obwohl die Erwähnungen des Dandys in Byrons Don Juan spärlich und eher negativ besetzt sind,142 wird hier gemäß Byrons parêtre nicht der Autor mit den Protagonisten identifiziert, sondern umgekehrt der Dandyismus des Autors auf seine Figuren projiziert. Prevost bestätigt, dass die Rezeption von Byron stärker noch als in England auf der Figur des Dandys basierte und verdeutlicht dies exemplarisch anhand des Artikels »Lord Byron and Some of His Contemporaries«, in dessen französischer Übersetzung drei Mal das Attribut Dandy hinzugefügt wurde. Dass aus dem »neckcloth« die »robe de chambre du dandy britannique« wird, kann in unserem Zusammenhang als Hinweis für den französischen Leser gelten, der diese Krawattenanekdoten nicht kennt. Ebenso zeigt der Einschub des Übersetzers, Byron würde mal den Herren von Welt, mal den Dandy spielen, dass er es wohl für nötig hält, dem französischen Leser Nachhilfe in Bezug auf Byrons doppelte Selbstbehauptung zu geben. Wenn schließlich Byrons »swaggering style« ersetzt wird durch den »style indolent et saccadé des dandys modernes«,143 wird Byrons abschweifender Stil im Sinne von Hazlitts Analyse von Byron als gefühlloses Schreiben einer ganzen Generation moderner Dandys präsentiert. Eine zentrale Rolle kommt hier Alfred de Musset zu, dessen Gedichte in Frankreich nicht nur als dandysme littéraire bezeichnet wurden,144 sondern der Barbey zufolge auch »Lord Byronnet« genannt wurde.145 Die Parallelen waren dabei so groß, dass Musset diese Ähnlichkeiten in seinem eigenen Werk kommentiert. In Namouna heißt es: »›Byron, me direz vous, m’a servi de modèle.‹/ Vous ne savez pas qu’il imitati Pulci?«146 Musset lässt das lyrische Ich den Einfluss Byrons also nicht abstreiten, sondern behauptet mit dem Verweis, Byron habe selbst einen Autoren des 15. Jahrhunderts kopiert, ganz im Sinne von Blooms Anxiety of In140

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Allein im Salon de 1827 z.B. veröffentlicht Delacroix drei Bilder, die Byrons Figuren Sardanapalus, den Doge Marino Falièro sowie den Giaour darstellen, vgl. Martin: Les Romantiques, S. 41. Ourry: Dandy, S. 90. Mit »a Dandy’s dandiest chatter« wird im Don Juan die Geschwätzigkeit des Dandys kritisiert (Bd. V, S. 286) sowie die unadligen »Mister« in ihrem Kampf um gesellschaftliche Anerkennung als »desperate dandy« angeprangert (Bd. V, S. 504). Ausnahme ist die bereits zitierte Stelle, welche den Dandy mit der Figur des Don Juan verbindet. Alle zit. n. Prevost: Dandysme, S. 91. Auch sein Bruder Paul de Musset wurde des literarischen Dandyismus bezichtigt, vgl. ausführlich zu beiden Prevost: Dandysme, S. 147 ff. Zitiert nach Estève: Byron 444. Musset: Poésies 265. Byrons Übersetzung von Pulci wird in Barbeys Memoranda kritisiert (740).

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fluence mit der Strategie der »Daemonisation« (S. 101), dass sein Vorgänger ebenfalls beeinflusst war, um sich so als ebenbürtig zu behaupten.147 In der etwas später erschienenen Dédicace von La Coupe et les Lèvres von 1832 wird der Einfluss von Byron dann im Sinne der bloomschen Askesis (S. 121) mit stolzer Bescheidenheit abgestritten.148 Ein Selbstbildnis Mussets in byronscher Kleidung trägt den Untertitel: »Don Juan allant emprunter dix sous, pour payer son idéale [sic] et enfoncer Biron«.149 Dass das Selbstporträt Mussets durch den Erwerb käuflicher Liebe Byron in den Schatten stellen möchte, unterstreicht die friktionale Verbindung Byrons mit seinem Don Juan, wobei nicht zuletzt die französisierte und durchaus gängige Schreibweise Biron, welche die tatsächliche Aussprache wiedergibt, verdeutlicht, dass es sich hierbei um einen spezifisch französischen Byron handelt, den es nun zu umreißen gibt. Bezeichnend für diese Neuentdeckung und Neuinterpretation Byrons in Frankreich ist die Übersetzung aus Beppo in der Übersetzung von Pichot: »Mais je ne suis qu’un méchant-écrivain, un dandy qui commence mes voyages […].«150 Obwohl die Prosa-Übersetzung keinem Metrikzwang unterworfen ist, wird aus dem broken dandy ein im Wortsinn ungebrochener, dafür aber böswilliger Dandy und Schriftsteller. Dass dieser Dandy, anstatt »lately on my travels« und im Exil zu sein, seine Reise eben erst beginnt, bringt eine bezeichnende Perspektivenverschiebung zum Ausdruck. Während für den englischen Leser Byrons friktionale Selbstbehauptung des Exils ein Ende evoziert, stellt Byrons Aufenthalt in Europa für den Leser der französischen Übersetzung einen Neuanfang dar.151 Auch das Theaterstück Lord Byron à Venise, uraufgeführt am 6.11.1834 und geschrieben von François Ancelot, der 1841 in der Wahl für die Académie Française Victor Hugo unterlag, bringt dies zum Ausdruck.152 Diese europäische Vereinnahmung Byrons schlägt sich insbesondere in den Veröffentlichungen einer Unzahl von Memoiren und Erinnerungsberichten nieder. Der Mercure du XIXe siècle kommentiert die Veröffentlichung der Correspondance de lord Byron avec un ami (1825) von Robert Dallas mit: »Tout le monde a voulu étudier dans ces documents privés l’âme d’un poète qui, suivant l’opinion commune s’est peint dans ses ouvrages.«153 Die Veröffentlichung von persönlichen Doku-

Bezeichnenderweise belegt der Trésor de la Langue Française das Adjektiv byronien erstmalig 1831 bei Musset (Bd. IV, S. 1089 f., vgl. Saidah: Le Dandysme. Continuité et rupture, S. 141). Wie noch zu zeigen ist, wird das Adjektiv zur gleichen Zeit aber auch in Gautiers Jeunes-France verwendet. 148 »On m’a dit l’an passé que j’imitais Byron:/ Vous qui me connaissez, vous savez bien que non./ Je hais comme la mort l’état de plagiaire/ Mon verre n’est pas grand, mais je bois dans mon verre.« (Musset: Poésies, S. 166). 149 Album de George Sand, Bibliothèque de l’Institut, colllection Spoelberch de Lovenjoul, E 956, S. 21-22, zit. n. Lestringant: Musset 78). Zur literarischen Verarbeitung des Don Juan motivs vgl. sein Gedicht Namouna, bei der Don Juan in Verknüpfung mit der Figur des dandys und Satans als »beau comme Satan« bezeichnet wird (Musset: Poésies, S. 266-267). Zur Verbindung von Don Juan und Dandy (allerdings nicht bei Musset), vgl Gnüg: Kult der Kälte, S. 178-234. 150 Zit. n. Estève: Byron, S. 418. 151 Zur Rezeption von Byron in Spanien vgl. Borsò: Lord Byron. 152 Vgl. Martin: Les Romantiques, S. 257, Estève: Byron, S. 206. 153 Zit. n. Estève: Byron, S. 206.

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menten Byrons wird demnach als ultimative Steigerung der Lektüre seines friktionalen Werks gesehen. Neben seinen Werken war ein zentraler Aspekt der Begeisterung für Byron dabei das verbreitete Bild als leidender Romantiker. Als besonders prominent erweist sich das Gemälde Lord Byron and a companion, with a boat vom schottischen Maler George Sanders. (Abbildung 5).

Abbildung 5: George Sanders: »Lord Byron and a companion, with a boat« (1809) Entstanden 1807-1809 und 1809 fertiggestellt, wurde es in Byrons Anwesen in Newstead Abbey aufgehängt, um seine Mutter über seine Abwesenheit zu vertrösten. 1811 übernahm es Hobhouse nach dem Tod von Byrons Mutter und stellte es für die Veröffentlichung von Moores Biographie 1830 zur Ver-

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fügung,154 welche in der Originalfassung 1830 auch in Frankreich veröffentlicht wurde.155 Auch in vielen anderen Veröffentlichungen ist dieses Bild vorhanden. In den 1833 bei Murray erschienenen Works of Byron findet sich ein Ausschnitt des Bildes unter dem Titel »Lord Byron at the age of 19, engraved by W. Finden«, das Byron vor einem Felsen darstellt. In The poetical works of George Byron, 1844 bei Murray erschienen, bietet der Bildausschnitt von Sanders nur noch Byrons Oberkörper mit der Unterschrift: »Lord Byron at the age of 19, from an original Picture in possession of Sir John Cam Hobhouse Bart, printed by G. Sanders, engraved by E. [sic] Finden.« (S. viii) Das Originalgemälde zeigt Byron, die rechte Hand auf einen Felsen gestützt am Ufer, während sein Companion, identifiziert als Robert Rushton,156 im Wasser stehend das Ruderboot vertäut, mit dem sie das Schiff im Hintergrund verlassen haben. Auch wenn Jones betont, dass Bilder mit Booten nach Nelsons Flottensieg über Napoleon in England äußerst populär waren,157 fällt doch die romantische Inszenierung sofort ins Auge. Im Hintergrund ragt ein von Wolken umhangener Felsen bedrohlich bis an den oberen Bildrand und lässt Byrons Kleidung im Wind flattern. Das Bild suggeriert Entwurzelung und Exil: Byron steht zwischen Wasser und Land, die englische Flagge im Hintergrund macht die Abwesenheit der Heimat deutlich, gleichzeitig sind er und vor allem Rushton noch nicht angekommen, sondern befinden sich in einem Niemandsland, das durch die kargen Felsen und die Abwesenheit von Pflanzen nahezu unbewohnbar wirkt. Obwohl Byron wie Brummell in dunkler Hose, dunkler Weste und weißem Hemd zu sehen ist, fallen sofort essentielle Unterschiede zu Brummells strengem Kleidungsstil ins Auge. Die Jacke ist vom Wind aufgeblasen, sodass ihre Innenseite und das Hemd unter den Ärmeln zu sehen ist und anstelle der steifen Krawatte trägt er über einem offenen Hemdkragen ein locker geknotetes Halstuch, das wie das Haar im Wind flattert, der leichenblasse Byron blickt verträumt links in das Bild hinaus, derweil der im Wasser watende Rushton bewundernd zu Byron hinaufblickt.158 Die bereits von Caroline Lamb gerühmte Blässe Byrons ist für diesen »Romantic ›Byronic‹ look«, wie Wilson ihn nennt, besonders relevant. Dass die Blässe auf die durch strenge Diät und Abführmittel ausgelöste Blutarmut zurückzuführen ist,159 wird vom Mythos von Byrons Enthaltsamkeit bestätigt, der in der populären, von Samuel Rogers verbreiteten Anekdote illustriert wird, nach der Byron von Rogers zum Essen eingeladen wurde, die Suppe, den Fisch, das Lamm und den Wein ablehnte und nach trockenen Keksen und

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Vgl. Rees: Byron landing from a boat, S. 152, Wilson: Byromaniacs, S. 126. Vgl. ausführlich Estève: Byron, S. 208. Vgl. Rees: Byron landing from a boat, S. 151. Jones: Fantasy and Transfiguration, S. 126 f. Auch in Frankreich findet Géricaults Darstellung eines Schiffsbruchs »Le Radeau de la Meduse« im Salon de 1819 große Bewunderung, vgl. Martin: Les Romantiques, S. 25. Zur Behauptung Géricaults als Dandy vgl. Chénique: Géricault, S. 143. Der romantische Topos des Sturms wird in den 1833 erschienenen Works of Byron noch verstärkt, da auf der gegenüberliegenden Seite ein Schiffsbruch in düsteren Farben nach Gemälde von C. Stanfield abgebildet ist. Wilson: Byromania, S. 119.

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Soda verlangte. Philarète Chasles schreibt in seinen Mémoires über die Zeit in London: »Dans les salons que je visitais, on ne parlait que de ce dandy satanique, qui s’astreignait à une diète outrée et vivait de biscuit pour combattre l’embonpoint […].« (S. 148) Der Gegensatz zwischen asketischer Diät und satanisch-dandyistischem Salon-Leben entspricht Byrons doppelter Selbstinszenierung und unterstreicht das Verhängnisvolle von Byrons Selbstgeißelung. Chateaubriand schildert ebenso in seinem Essai sur la littérature anglaise einen fashionable der Zeit um 1822 in London in Übereinstimmung mit dem krankhaften Erscheinungsbild von Byron: »[L]e fashionable devait offrir au premier coup d’œil un homme malheureux et malade […] mèche de cheveux au vent, regard profond, sublime, égaré et fatal, lèvres contractées en dédain de l’espèce humaine; cœur ennuyé, byronien, noyé dans le dégoût et le mystère de l’être.«161 Indem er die in der Ikonographie erläuterten Aspekte wiedergibt, bringt er den Einfluss von Byrons Childe Harold oder Manfred auf seine Zeitgenossen zum Ausdruck. Dabei betont er auch seine Sympathie zum exilierten Byron (Bd. I, S. 15) und erinnert an sein eigenes Exil (Bd. I, S. 4). Diese Parallele ist wichtig, da sich in Frankreich dieses Bild Byrons mit Chateaubriands René verband, wie letzterer bestätigt: »René entrât […] dans le fond du personnage unique mis en scène sous des noms divers dans Childe Harold, Conrad, Lara, Manfred, le Giaour […].« Demnach wurde in der zeitgenössischen Rezeption Byrons friktionale Selbstinszenierung mit Chateaubriands René vermengt als Inbegriff des einsamen, von der Welt abgewandten Helden. So wie Chateaubriand hier Byrons friktionale Selbstinszenierung zum Ausdruck bringt, beschreibt er im Kapitel »École de lord Byron« die Verwechslung der Leser von byronschen Helden und ihrem Autor, in der er Parallelen zu seinem René sieht: »[L]es jeunes gens ont pris au sérieux des paroles magiques; les femmes se sont senties disposées à se laisser séduire, avec frayeur, par ce monstre, à consoler ce Satan solitaire et malheureux.«162 Dass die Leserinnen wie selbstverständlich auf eine Verführung des fiktionalen Helden hofften, verdeutlicht, dass auch die weiblichen Leser der friktionalen Inszenierung Byrons zum Opfer fallen, wie bereits Jesse, dem Brummell Pelhamism vorhielt. Dieses parêtre von Byron als unglücklicher Satan, der die Existenz verachtet, beschreibt Gautier in Histoire du Romantisme als romantische Mode in Frankreich: »Il était de mode alors dans l’école romantique d’être pâle, livide, verdâtre, un peu cadavéreux, s’il était possible. Cela donnait l’air fatal, byronien, giaour, dévoré par les passions et les remords.« (S. 31) Byrons friktionale Figur Giaour wird also als ultimativer Ausdruck des Romantikers und seines Weltschmerzes gesehen.163 Neben den hier erwähnten friktionalen Byronfiguren betont René Chenoune auch das romantische 160 161

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Rogers: Table-Talk, S. 188 f., vgl. Moore: Life of Byron, S. 234, Timpson: English Eccentrics, S. 219. Chateaubriand: Essai, Bd. II, S. 289. Wörtlich übernommmen, wie er selbst ankündigt (Bd. I, S. 3), aus Chateaubriand: Mémoires, S. 77. Noch 1888 trägt Matthew Arnold der Popularität des Bildes Rechnung, wenn er von den Bewunderern Byrons spricht, welche ihr Haar absichtlich durcheinander bringen, ihr Halstuch locker knoten oder den Hemdkragen aufgeknöpft lassen (zit. n. Wilson: Byromaniacs, S. 5). Beide Zitate in Chateaubriand: Essai, Bd. II, S. 328 sowie wörtlich auch in Chateaubriand: Mémoires, Bd. I, S. 720, 417. Vgl. ausführlich Estève: Byron.

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Potential von Beppo: »A l’approche de 1830, une nouvelle génération cultive la maigreur, la pâleur, la lividité du broken dandy.«164 Während Byrons Dandyismus um 1830 in England also als Ausdruck einer längst überholten oder zu überwindenden Herrschaft der Aristokratie betrachtet wird, ist im Gegensatz dazu in Frankreich die Behauptung des byronschen Dandyismus als Ausdruck der Erneuerungskraft des Romantismus zu erkennen.

5 . 5 D i e P o si ti o n v o n G a u t i e r Dieses revolutionäre Potential des Dandys bringt Félix Dériégé in seiner Physiologie du Lion zum Ausdruck, wenn er in einem für die Physiologien typischen Wortspiel den »dandy féroce« als ein gefährlicheres Tier als den Gesellschaftslöwen bezeichnet und folgert: »Le dandy quelque peu clerc en littérature escarmouche aux avant-postes du parti romantique. Il a fait de Victor Hugo son idole, regarde Casimir Delavigne avec un dédain superbe, trouve Boileau ridicule et Racine déjà bien roccoco.« (S. 26) Dass Dériégé sich hier auf Gautier bezieht, zeigt sich daran, dass er die wichtigen Aspekte des romantischen Kreises um Gautier anspricht, die hier eine Rolle spielen. Erstens einte den Künstlerkreis der Jeunes-France – der jungen Romantiker um Gautier, Gérard de Nerval, Pétrus Borel, und Théophile Dondey – die Bewunderung Hugos, der im Übrigen als einziger französischer Schriftsteller Brummell getroffen haben soll.165 Zweitens kann der Anspruch, clerc im Sinne von Spezialist der Literatur zu sein, als Ausdruck der Behauptung Gautiers im literarischen Feld gesehen werden. Ebenso ist drittens die Abgrenzung vom art bourgeois eines Delavigne, wie Bourdieu betont, Voraussetzung für die Autonomisierung der Literatur. Dass dazu auch Byrons Werk dient, erläutert Gautier im Artikel »Peintre et Bourgeois« kurz und bündig mit einem anderen Autor des art bourgeois: »Vous préferez Paul de Kock à lord Byron,– bourgeois […].«166 Die Vorliebe für Byron, die also Ausdruck eines antibürgerlichen literarischen Empfindens ist, drückt sich auch in den Zeitschriften Le Corsair und Le Satan aus. Beide sind als Huldigungen an Byrons Corsair und die gleichnamige englische Zeitschrift, in der u.a. Thackeray publizierte,167 sowie an sein satanisches parêtre zu verstehen und fusionieren 1844 zu Le Corsaire-Satan. Die Zeitschrift Satan, zunächst von Francisque Borel, dem Bruder des Jeunes-France Pétrus Borel, danach von Pétrus selbst geführt, war dabei eine wichtige Anlaufstelle, in dessen Büro die Jeunes-France und Baudelaire verkehrten und in der auch Henry Murger seine Vie de Bohème veröffentlichte.168 Neben der literarischen Bewunderung Byrons, spielte auch, wie van Tieghem schreibt, die Nachahmung des romantischen Byronic Look eine große Rolle: »Le Jeune-France de 1830 sera byronien […] ceux d’entre nos jeunes Romantiques qui en auront les moyens seront des dandys à 164 165

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Chenoune: Des modes et des hommes, S. 53. Vgl. Boulenger: George Brummel, S. 27, Campbell: Brummell, S. 157, Fortassier: Interview d’un dandy, S. 75. Zum Verhältnis Gautiers zu Hugo vgl. Gautier: Portraits, S. 7 ff. Die Abkehr vom klassischen Dichtungsideal von Nicolas Boileau wird in Kapitel 6.2. untersucht. Erschienen am 31.12.1855 im Moniteur universel, Gautier: Paris, S. 456. Vgl. Henkle: Comedy and Culture, S. 71. Vgl. ausführlich Martin: Les Romantiques, S. 356-364, Asselineau: Baudelaire, S. 43 f., 63, Bandy: Baudelaire, S. 24.

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son image […].« Für die Behauptung des Autors Gautier spielen zwei Thesen Bourdieus eine wichtige Rolle. Denn zum einen zeichnet Gautiers Werk ein intensiver Rückgriff auf Byron und die Figur des Dandys aus, deren beider wichtige Rolle, Bourdieu, wie erwähnt, für die Ausprägung des literarischen Feldes in Frankreich unterstreicht. Zum anderen gilt Gautiers Mademoiselle de Maupin als Begründungstext des art pour l’art, welches für Bourdieu zentrale Kraft in der Ausprägung des literarischen Feldes ist.

5.5.1 Die Friktion der Jeunes-France Schon der Titel von Gautiers 1833 erschienener Geschichtensammlung Les Jeunes-France. Romans Goguenards evoziert eine friktionale Selbstdarstellung, indem sowohl auf Gautiers realen Literatenkreis als auch auf eine scherzhafte Fiktion verwiesen wird. Dabei ist zu beachten, dass JeunesFrance nicht die ursprüngliche Bezeichnung des Kreises gewesen ist. Zunächst nannte sich der Kreis »petit cénacle«, als Weiterführung des berühmten »cénacle« um Victor Hugo, den u.a. Gautier und Nerval frequentierten, was jedoch, wie Nerval in einem Brief im Sommer 1832 an Sainte-Beuve betont, weder als Parodie noch als Konkurrenz gemeint sei, sondern als fruchtbare »association«, die sie gegenseitig zum Schreiben motivieren solle.170 Der frühsozialistische Terminus der association171 unterstreicht die linken Prägungen des Kreises, die in der anderen Bezeichnung bousingot ebenfalls zum Ausdruck kommen: Ursprünglich einen Matrosenhut bezeichnend – bzw. Seeleute aus Le Havre, die nach Paris gekommen waren, um die Revolution zu unterstützen und diesen trugen – wurde dieser Begriff generell auf Revolutionäre jakobinescher Prägung und schließlich auf Gautiers Kreis übertragen.172 Die Bezeichnung Jeunes-France bezog sich zunächst ebenfalls auf eine politische Richtung mit revolutionären Tendenzen173 und wurde vom Figaro in einer Serie von parodistischen Artikeln zwischen dem 30.8. und dem 24.10.1831 auf die jungen Romantiker um Gautier verwendet.174 169 170 171 172

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Tieghem: Les influences étrangères, S. 183. Nerval: Œuvres, Bd. I, S. 1285. Vgl. Einfalt: Zur Autonomie der Poesie, S. 92. Benichou: Jeune-France, S. 462, vgl. Einfalt: Zur Autonomie der Poesie, S. 94, Hassel: Formation. Arsène Houssayes Anekdote, der Begriff wurde bei einem »punch« als Kombination aus bousin und goth als Reim auf Hugo kreiert (zit. n. Benichou: Jeune-France, S. 459), ist weniger wegen seiner etymologischen Herleitung relevant, als darin, dass er zentrale Aspekte des Kreises zum Ausdruck bringt: die Omnipräsenz von Hugo, die Faszination für das gothische Mittelalter sowie das hemmungslose Feiern, für das Byron Vorbild war. Vgl. Benichou: Jeune-France, S. 457 f., 439. Fernand Baldensperger sieht dies im Kontext einer Bewegung »Jeune Europe« zu der er auch Giovane Italia, Junges Deutschland etc. zählt (vgl. Baldensperger: Jeune Europe). Eine ausführliche Untersuchung wäre zu wünschen, insbesondere in Bezug auf die Rezeption von Byron als Kämpfer für nationale Autonomie (vgl. Baldensperger: Jeune Europe, S. 13) oder die Bekanntschaft von Gautier mit Heinrich Heine, der diesen in der Entstehungszeit dieser Bewegung (1831) in Paris kennen lernte, vgl. das Kapitel »Henri Heine« seiner Portraits et souvenirs littéraires (Gautier: Portraits, S. 108). Benichou: Jeune-France, S. 440, vgl. Jasinski: Les années romantiques, S. 149 ff.

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Im Sinne des byronschen parêtre verschmilzt Gautiers Übernahme des Begriffes in Les Jeunes-France also Fremd- und Selbstbehauptung. Das Vorwort leitet diese Uneindeutigkeit ein, wenn sich Gautier, oder wie man mit Crouzet treffender sagen sollte: der »Préfacier«175 als Inbegriff des Bourgeois präsentiert, bis er von seinen Freunden zu einem Jeunes-France gemacht wird.176 Der Préfacier nimmt sich ein Pseudonym, wie es andere Jeunes-France wie Pétrus Borel, alias Champavert, Le Lycanthrope und Reblo oder Philothée O’Neddy alias Théophile Dondey177 taten und wird zu einem begeisterten byronien, was sich unter anderem darin äußert, dass er sich auf eine Weise »tout à fait byronienne« betrinkt.178 Zudem sieht er sich als Verkörperung des Don Juan, gegenüber dem Byrons ein »misérable cokeney« sei und er ergänzt anspielend auf den Byronic Look: »Comme je suis naturellement olivâtre et fort pâle, les dames me trouvent d’un satanique et d’un désillusionné adorable.« (S. 23) Wenn Michael Einfalt schreibt, dass seit »Victor Hugos Préface de Cromwell […] das Vorwort der Ort [ist], an dem Dichter ihre literarischen Grundsatzerklärung formulieren und somit literarische Originalität beanspruchen«179 – Gautier selbst tut dies im Vorwort zu Albertus und Mademoiselle de Maupin180 –, wird hier diese Erwartung eines literarischen Bekenntnisses getäuscht. Denn insofern das Vorwort als Schwelle zwischen Autor und Werk zu betrachten ist, wie es Gérard Genette in Seuils beschreibt, ist hier das für die hier behandelten Autoren typische Oszillieren zwischen Fiktion und Diktion zu beobachten. Dies erfordert, die binäre Einteilung Genettes in fiktionalen und authentischen Autor des Vorworts (S. 166) um die Kategorie des friktionalen Autors zu ergänzen. Denn einerseits ist das Vorwort auktorial, d.h. der Préfacier gibt vor, Autor der folgenden Erzählungen zu sein, andererseits ist er durch seine ironisierte Konversion von Bourgeois zu Jeunes-France weder eindeutig ein authentischer, noch ein fiktionaler Erzähler. Ein »contrat de fiction« den Genette zufolge Autor und Leser in fiktionalen Vorworten schließen (S. 170, 200), kommt in Gautiers Préface nicht zustande. Vielmehr wird von vornherein der Leser in Unsicherheit gesetzt, wo der Autor Gautier zu verorten ist, und welchen Sinn das Vorwort hat. »Depuis longtemps l’on se récrie sur l’inutilité des préfaces – et cependant l’on fait toujours des préfaces«, lautet der erste Satz von Gautiers Vorwort zu Fortunio, ein Zitat das

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Crouzet: Présentation, S. 17. Gautier: Romans, Bd. I, S. 19. Alle folgenden Angaben Gautiers beziehen sich auf diesen Band. Man beachte die phonetische Ähnlichkeit zu dandy. Gautier: Jeunes-France, S. 22. In Histoire du Romantisme unterstreicht er den engen Bezug von byronschem Alkoholkonsum zum Dandyismus, wenn er nach dem Eindruck von Moores Life of Byron schreibt: »Ces banquets où circulait, pleine d’une sombre liqueur, une coupe plus blanche que l’ivoire, effleurée par des lèvres de rose avec un léger sentiment d’effroi nous semblaient la suprême expression du dandysme, par l’absolue indifférence pour ce qui cause l’épouvante du genre humain.« (Gautier: Romantisme, S. 50, vgl. Crouzet: Présentation, S. 12). Einfalt: Zur Autonomie der Poesie, S. 108. Vgl. Gautier: Albertus, S. 81-85, Gautier: Romans, S. 211-244 sowie Kapitel 6.2.

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Genette übrigens mit dem Hinweis wiedergibt, er habe die Belegstelle nicht mehr finden können.181 Das Spiel mit Selbstdarstellung und Parodie des Bourgeois wird noch verschärft, wenn man sich die im Vorwort angelegte Spannung vor Augen hält, die auch Derrida in Bezug auf Gautier formuliert. Derrida beschreibt eine widersprüchliche Doppelung des Vorworts, das vorgibt, auf den folgenden Text als etwas Zukünftiges zu verweisen, was im Grunde schon geschehen bzw. geschrieben ist, das Vorwort ist Rekapitulation und Antizipation zugleich.182 Gautier selbst deutet dies an, wenn er im Vorwort der JeunesFrance verrät: »La préface de l’auteur, c’est le post-scriptum d’une lettre de femme […].« (S. 15) Diese zeitliche Doppelfunktion des Vorworts lässt offen, ob die Konversion des Erzählers zu den Jeunes-France der Erzählung Gautiers vorausgeht und als Bedingung oder als nachträgliche Ironisierung der Geschichten zu lesen ist.183 René Jasinski versucht, diese Spannung zu lösen, indem er, einem zeitgenössischen Rezensenten des Figaro folgend, darin die Schilderung von Gautiers eigener Biographie sieht.184 Dass die These der Selbstobjektivierung des Autors im bourdieuschen Sinn so nicht haltbar ist, zeigt die Geschichte »Celle-ci et celle-là ou la Jeune-France passionnée«, in dem die Verwandlung von Bourgeois in Jeunes-France umgekehrt wird. Der Protagonist Rodolphe, der, wie der Titel verheißt, repräsentativ für die Jeunes-France steht, wird als junger Mann beschrieben, der sich durch byroneskes Auftreten abzuheben versucht: »[D]e grands cheveux noirs, des yeux longs et mélancoliques, un teint pâle, un front assez vaste et une petite moustache qui ne demandait qu’à devenir grande: un physique complet de jeune premier byronien!«185 Die Beschreibung entspricht demnach der modischen Erscheinung des Romantikers à la Byron, dessen Begeisterung so groß war, dass er sich kosmetischen Eingriffen aussetzte: Für die notwendige byronsche Blässe wurde mit Schminke nachgeholfen, ferner die Haare gefärbt und selbst die Schläfen rasiert, um sich den Anstrich einer Denkerstirn zu geben.186 Dass darin eine friktionale Selbstbeschreibung zu sehen ist, zeigt die Tatsache, dass Rodolphe wie Gautier beim Verfassen der Geschichte 21 Jahre alt wird187 sowie der für Gautier typische Schnurrbart, der noch in seiner juvenilen Anfangsphase steckt und dessen Vorbild Byrons Erscheinungsbild im Griechenland-Krieg war, wie Étienne-Jean Delécluze zu berichten weiß.188 Insbesondere im Porträt des mit Gautier befreundeten Schriftstellers und Ma181 182 183

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Gautier: Romans, Bd. I, S. 605, Genette: Seuils, S. 214. Vgl. Derrida: Dissémination, S. 13, 33, 35. Verstärkt wird dies durch die Behauptung Gautiers, die Préface sei das einzig Wichtige am Werk (S. 14), was die Idee von Tiecks Ein Prolog aufnimmt, bei dem dieser Prolog nicht Ankündigung, sondern das Kunstwerk selbst sein soll, vgl. Strohschneider: Romantische Ironie, S. 287. Jasinski: Les années romantiques, S. 147, 160. Gautier: Jeunes-France, S. 83. Die Denkerstirn war auch typisch für Hugo, vgl. Chenoune: Des modes et des hommes, S. 53, Kleinert: Modejournale, S. 219, Martin: Les Romantiques, S. 47, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 119. Gautier schreibt an Ludovic Baschet am 27.10.1851, er habe während der Arbeit an den Jeunes-France die Volljährigkeit (damals 21 Jahre) erreicht und dies in einer Geschichte verarbeitet (vgl. Jasinski: Les années romantiques, S. 134). Die Stelle aus »Celle-ci« lautet: »[Il vit] que c’était précisement le jour de sa naissance et qu’il avait vingt et un ans.« (S. 83) Delécluze: Les barbus, S. 45, vgl. Martin: Les Romantiques, S. 93, 139.

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lers Auguste de Chatillon inszeniert sich Gautier als echter byronien. (Abbildung 6)

Abbildung 6: Auguste de Chatillon: »Portrait de Théophile Gautier« (1839) Über das Gemälde, das im Musée Carnavalet steht, und das auch Agnès de Noblet zufolge Gautier als »dandy romantique« zeigt, sagt dieser selbst: »Voilà comme j’étais à vingt-huit ans; c’est là l’image que je voudrais laisser de moi, elle est d’une ressemblance absolue.«189 Der byronien Rodolphe aus »Celle-ci« trägt also alle Züge von Gautier: große, dunkle Augen, blassen Teint, eine hohe Stirn, lange, schwarze Haare und einen Schnurrbart. Wenn Rodolphe, als er sich in »Mme de M« verliebt, zunächst 200 bis 300 Verse aus Victor Hugos Hernani zitiert und dann sein »gilet« auszieht (S. 90), um dann später mit Albert den Plan eines »gilet sans boutons et imitant le pourpoint« zu entwerfen (S. 94), spielt dies zudem friktional auf Gautiers eigene Hugo-Begeisterung an, die ihren bekanntesten Ausdruck im gilet rouge bei der spektakulären und tumulthaften Erstaufführung von Hugos Hernani

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Noblet: Un Univers d’artistes, S. 84, zit. n. ebd.

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fand. Dass Rodolphe diese Verse nicht nur deklamiert, sondern aus vollen Lungen herausposaunt, bringt die Distanz des Erzählers zum Protagonisten stilistisch zum Ausdruck: »[I]l se mit à donner du cor à pleins poumons; il déclama à tue-tête deux ou trois cents vers d’Hernani; puis il se déshabilla, jeta son gilet sous la table […].«191 Als Rodolphe schließlich von seiner Angebeteten erhört wird, bemüht er sich, wie Gautier bei der Bataille d’Hernani um ein spektakuläres gilet für die erste Einladung: »[N]otre héros ne laissa aucun repos au tailleur pour l’achèvement de son gilet phénomenal […].« (S. 102) Diese Erscheinung wird als diejenige eines Dandy verstanden, da Rodolphe im Anschluss in Anspielung an Brummells Anekdoten unzählige Versuche beim Krawattenbinden vornimmt: »[I]l déploya et fripa plus de vingt cravates avant de se fixer à une […].« (S. 102) Wenn, wie Michael Einfalt schreibt, die Gruppe um Gautier aus der Faszination am gilet rouge tatsächlich die Konsequenz gezogen hat, »ihr Äußeres auch in Zukunft in ihre künstlerische Selbststilisierung« einzuschließen,192 ist in dieser Geschichte allerdings eine kritische Revision dieses Versuches zu sehen, da der Erzähler die dandyhaften Bemühungen Rodolphes kommentiert mit: »Ces préparations sentaient le bourgeois d’une lieue à la ronde.« (S. 102) Dabei ist die Verschiebung der Bedeutung eines modischen Details zu erläutern, denn obwohl bei Brummell die gestärkte, riesige Krawatte zum Ausdruck seiner provokanten Gleichgültigkeit funktionalisiert wurde, waren die steifen und hoch aufgeschlossenen Hemdkragen bei den Jeunes-France als bourgeoise Mode verschrien. Gautier schreibt in der Monographie du bourgeois parisien (1836): »Un signe distinctif et principal des bourgeois, c’est un immense col de chemise, en toile fortement empesé […]. L’oreille du malheureux […] se trouve, malgré son innocence, impitoyablement guillotinés par ces deux triangles blanc.«193 Während in England die guillotinierten Ohren noch Ausdruck von Brummells Performanz als lebendes Kunstwerk waren, sind sie bei den Jeunes-France derart verpönt, dass sie sich, wie die Anekdote des habit râpé besagt, die Hemdkragen abschnitten. Brummells Krawattenkunst wird also umgedeutet als der bürgerliche Versuch, sich durch Äußerlichkeiten zu distinguieren. Dass Rodolphes Versuch, durch Kleidung aufzufallen als bürgerlich dargestellt wird, kann als Gegenreaktion auf den Eingang des gilet rouge als Symbol der romantischen Revolte in das bürgerliche Bewusstsein angesehen werden, die sich bis heute in der Deutung des gilet als symbolischer Ausdruck einer kulturellen Revolution vor der politischen Juli-Revolution 1830, als »prise de la Bastille littéraire« erhalten hat.194 In der Histoire du Romantisme bemerkt Gautier im Kapitel »La légende du gilet rouge«, dass sich sein 190

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Vgl.: »Le gilet de satin rouge de Gautier, à la première d’Hernani, s’inspirait des ›pourpoints des Valois busqués en pointe sur le ventre‹.« (Chenoune: Des modes et des hommes, S. 54). Gautier: Jeunes-France, S. 90. Das cor spielt auf das Horn an, das Hernani als Pfand für sein Leben Don Ruy Gomez überlässt und bereits Thema ist der Vaudeville-Parodie von Hernani mit dem Titel Harnali ou la contrainte par cor, uraufgeführt am 12.5.1830, also kaum drei Monate nach Hernani (vgl. Hugo: Hernani, S. 1252, Martin: Les Romantiques, S. 128). Einfalt: Zur Autonomie der Poesie, S. 89. Gautier: Paris, S. 442. Martin: Les Romantiques, S. 117, vgl. Bell-Villada: Art for Art’s Sake, S. 40, Galibert: Le poète et la modernité, S. 9, Le Bris: La Bouche d’ombre, S. 23.

148 | DIE BEHAUPTUNG DES DANDYS

Qualen bereitendes Nessoshemd wider seines Willens unauslöschlich in die »imagination des bourgeois« eingegraben habe (S. 92). Im Stile Byrons bricht er diese pathetische Klage wieder, indem er diese bürgerliche Vereinnahmung affirmierend eine mythische Entstehungsgeschichte des gilets liefert. Demnach soll er mit einem »aplomb digne de Brummel […] ou de tout autre célébrité du dandysme« dieses in Auftrag gegeben und dem Hinweis seines Schneiders, dies sei nicht in Mode, entgegnet haben, dass es das sein werde, sobald er es getragen habe (S. 95). Dass der Erzähler die Legende um Gautiers gilet antizipierend prophezeit, bietet demnach ein ironisches Echo auf die symbolische Vereinnahmung des gilet rouge durch das Bürgertum und ist mitnichten eine authentische Beschreibung von Gautiers Einkleidung, wie Einfalt zur Bestätigung seiner oben genannte These behauptet.195 Das Kapitel endet mit der in Majuskeln gesetzten Formel: »ICY FINIT LA LÉGENDE DU GILET ROUGE.« (S. 98) Die Übernahme der mittelalterlichen Handschriftenformel bringt ironisch das vermeintliche Alter dieses Mythos zum Ausdruck. Wenn Estève schreibt, »les Jeunes-France et les dandys […] vont se concilier en un même sentiment de mépris pour le ›bourgeois‹«196, trifft dies auf die historische Figur zu. In den friktionalen Inszenierungen indes wird der Dandy mit den Jeunes-France verbunden, um die Bedeutung des romantischen Autors für den bürgerlichen Leser zu reflektieren. Der »dandysme« verkörpert, anders als es Bourdieu beschreibt, keinen elitären Kunstzugang,197 sondern dient der ironischen Auseinandersetzung mit dem Kunstzugang des Bourgeois. In »Celle-ci« wendet sich der Erzähler so am Ende der Geschichte an den Leser, versichert ihm den praktischen Erkenntnisgewinn der Lektüre und liefert gleich ein Deutungsmuster für alle Protagonisten mit. Rodolphe z.B. stehe für die ästhetische Suche nach Schönheit der Jugend (S. 144) und Albert bringe Rodolphe wieder auf den richtigen Weg, er stehe für die feine Prosa, welche die Poesie auf ihrem Weg in hohe Sphären mit den Fingerspitzen aufhalte und für Bodenhaftung sorge: »[C]’est don Juan qui donne la main à Childe Harold.« (S. 145) Hält man sich vor Augen, dass das Aufkommen eines bürgerlichen Lesepublikums die Verschiebung innerhalb der Gattungshierarchie von der Poesie zur Prosa ausgelöst hat, wie es Gautier selbst beklagt,198 wird diese bürgerliche Idealvorstellung der Literatur ironisiert, indem Byrons doppelte Selbstbehauptung als Mann von Welt im Don Juan und romantischem Einzelgänger in Childe Harold auf Prosa und Poesie übertragen wird. Gleichzeitig untergräbt die Selbstdeutung die interpretatorische Annäherung an die Geschichte sowie die Konstruktion einer Autor-Intention durch parodistische Affirmation. Am Ende seiner Selbstdeutung folgert der Erzähler, dass der Leser diese Erklärung nicht vermutet hat, und apostrophiert ihn als »garde national de lecteur que vous êtes?« (S. 145) Dass der Leser durch das abschätzige Attribut199 polemisch zum Herrscher über den

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Einfalt: Zur Autonomie der Poesie, S. 89. Estève: Byron, S. 228. Der gleiche Satz findet sich in Creed: Le Dandysme de Jules Barbey d’Aurevilly, S. 10, vgl. 22. Bourdieu: Disposition esthétique et compétence artistique, S. 1365. Gautier: Utilité de la poésie, S. 214, vgl. Einfalt: Zur Autonomie der Poesie, S. 77. Garde national war eine Beschimpfung der Romantiker für Moralapostel. Als Daniel Jovard in der gleichnamigen Geschichte zu einem Jeunes-France kon-

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Text erhoben wird, ist im Kontext der sich immer weiter verbreitenden Tendenz des bürgerlichen Lesepublikums zu sehen, das literarische Werk als persönlichen Ausdruck des Autors zu lesen und einen psychologischen Zusammenhang zwischen Autor und Werk herzustellen. Diesen Vorgang, den auch Foucault im Auteur-Aufsatz beschreibt, kritisiert Gautier in der Préface von Maupin: »C’est le personnage qui parle et non l’auteur, son héros est athée, cela ne veut pas dire qu’il soit athée […]. C’est une des manies de ces petits grimauds à cervelle étroite, que de substituer toujours l’auteur à l’ouvrage et de recourir à la personnalité.« (S. 226) Dieser Einwand polemisiert nicht nur gegen den bourgeoisen Leser und Rezensenten, sondern stellt auch Bourdieus Ausgangspunkt der objektiven Widerspiegelung des Feldes des Autors durch die literarische Figur in Frage. Durch die explizite Selbsterklärung der Geschichte durch den Erzähler wird das Bedürfnis parodiert, im Protagonisten eine symbolische Figur zu sehen, anhand derer man eine Autor-Intention, oder, mit Bourdieu gesprochen, eine Positionierung rekonstruieren kann. Es geht Gautier also weniger um eine Literatur, die als l’art pour l’art Eingeweihten vorbehalten ist, sondern um eine Literatur, die sich dem nach der Autorintention suchenden Leser entziehen möchte. Agamben spricht in diesem Sinn von der »Theorie des art pour l’art, die durchaus nicht Genuß der Kunst an sich selbst bedeutet, sondern Zerstörung der Kunst auf dem Wege der Kunst […].«200 Dennoch wird der Bourgeois, wie auch Bourdieu betont, als Leser benötigt.201 Gautier wird dem gerecht, indem er sich im Vorwort seinem Leser betont unterwürfig präsentiert und sich verabschiedet mit: »Madame, je vous baise les mains et dépose mes hommages à vos pieds.« (S. 24) Dabei zeigt sich hier nicht nur die Übernahme der friktionalen Ironie Byrons, sondern auch einer konkreten Textpassage aus Byrons Don Juan.202 Der von Widersprüchen geprägten Beziehung zum bürgerlichen Leser wird die Literatur gerecht, indem sie diesen und gleichzeitig ihre eigene Unterwürfigkeit gegenüber dem Bourgeois parodiert. Fiske beschreibt diesen Vorgang der romantischen Ironie: »The artist may ›smile‹ on his work in more subtle ways, using the very tension and reflection of opposites to indicate that he is not the dupe of either extreme.«203 Gemäß dieser doppelten Distanzierung parodiert Gautier nicht nur die Rezeption des bürgerlichen Lesers seiner Werke, sondern auch die eigene, begeisterte Rezeption von Byron.

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vertiert, lernt er als erste Lektion: »employer garde national comme injure« (Gautier: Romans, S. 78). Agamben: Stanzen, S. 90, vgl.: »L’art pour l’art at its best is always a mask, carrying its own destruction and disillusionment.« (Drouart-Fiske: Romantic irony, S. 142). Bourdieu: Disposition esthétique et compétence artistique, S. 1360. Von der Einigkeit aller Autoren des 19. Jahrhunderts in der Ablehnung des bourgeois zu sprechen (vgl. Neuschäfer: Autonomiebestreben, S. 568), scheint mir insofern etwas verkürzt. Vgl.: »Gentle Reader! and/ Still gentler Purchaser! the Bard – that’s I –/Must, with permission, shake you by the hand,/ And so your humble Servant, and Good Bye!« (Bd. V, S. 79 f.). Drouart-Fiske: Romantic irony, S. 30. Fletcher favorisiert deswegen die Bezeichnung »double irony« anstatt »romantic irony« (Fletcher: Dandy and the Fogy, S. 385).

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So repariert Rodolphe, aus Versehen mit seinem bonnet auf die Straße gegangen, sein Missgeschick, indem er seinen Hut aufsetzt »avec l’air de Manfred, sur le bord du glacier ou de Faust au moment de se donner au diable.« (S. 95) Der groteske Vergleich von Byrons Einzelgänger mit Rodolphe, der das Insignium des Bourgeois auf dem Kopf trägt, wie der Erzähler selbst unterstreicht, lässt eine Diskrepanz zwischen Byron als dem Ideal und der Realität des Daseins von Rodolphe aufkommen, als »décalage entre le réel et l’imaginaire« einer situation ironique.204 Diese décallage tritt ebenfalls zutage, wenn der Erzähler auf den mythischen Vergleich anspielend berichtet, dass Rodolphe nicht wie Byron und Napoleon die gleichen Initialen besäße und folgert: »Rodolphe […] n’avait fait ni Le Corsaire ni Don Juan; parce qu’il avait été trop occupé jusqu’à ce jour, et non pour un autre motif, je vous jure.« (S. 95) Dass Rodolphe gerne in kongenialem Verhältnis zu Byron stünde, kann als friktionale Selbstreferenz auf Gautiers Gedicht »Imitation de Byron« (1830) gesehen werden, welches die Strophen 122-127 des ersten Cantos von Don Juan nachahmt, in dem der Leser mit einem anzüglichen Ende provoziert wird.205 Durch diese durchgehend vorgenommenen friktionalen Selbstbezüge ironisiert Gautier seine eigene Bewunderung von Byron, denn die Gegenüberstellung von Byron, der an anderer Stelle mit Homer verglichen wird (S. 141), und dem bemützten Rodolphe, der keine Zeit hatte, ein Meisterwerk zu schreiben, unterstreicht, dass Rodolphe nicht als gleichwertiger Dichter Byrons anzusehen ist. Vielmehr ist Rodolphe bemüht, eine spektakuläre Liebesbeziehung nach dem Vorbild seines »maître« Byrons zu erleben (S. 84) und muss schließlich feststellen: »Je vois décidément que je suis né pour être un marchand de chandelles, et non pour être un second tome de lord Byron.« (S. 123) Byron wird also als Gegenbild zur bürgerlichen ›Kleinkrämerei‹ – symbolisiert durch den Kerzenverkäufer – konzipiert. Zudem wird Byrons Oszillation zwischen Realität und Fiktion hier gesteigert im Versuch von Rodolphe, selbst zu einem – innerhalb Gautiers Fiktion – realen materiellen Zeugnis von Byron literarischer Selbstbehauptung zu werden. Dieser Versuch Rodolphes, der als »donquichotisme de passion« (S. 111) bezeichnet wird, zeigt sich in vielen Variationen in anderen Geschichten der JeunesFrance.206 Dabei muss die friktionale Gautier-Figur Rodolphe einsehen, dass sie an das Vorbild nicht heranreicht. Gegenüber der englischen Rezeption Byrons als einem zu überwindenden aristokratischen Dandy, wird dieser hier selbstironisch als nicht zu erreichende Übergröße dargestellt. Der Einsicht entsprechend, dass die Abgrenzung vom Bourgeois den Schriftsteller möglicherweise in genau die Position eines Außenseiters stellt, die für ihn von der Gesellschaft vorhergesehen ist, zeigt sich also hier das Prinzip der romantischen Ironie sowohl das Bürgertum wie sich selbst als Dichter zu ironisie-

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Bourgeois: Ironie romantique, S. 31. Gautier: Poésies, Bd. I, S. 74 f., vgl. Byron: Works, Bd. V, S. 47 ff. Vgl. das bereits erwähnte Epigramm zu »Sous la Table«: »En avant les viveurs! Usons bien nos beaux ans./ Faisons les lord Byron et les petit don Juan« (S. 25) sowie »Le Bol de Punch«, in dem sich die Protagonisten, darunter auch ein »dandy« (S. 155) darum bemühen, literarische Darstellungen von Orgien aus Balzacs La Peau de Chagrin, Jules Janins Barnave, Eugène Sues La Salamandre und Jacobs Le Divorce nachzuspielen.

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ren. Diese »fissure ironique«, wie sie Court-Pérez nennt,208 die sich durch Gautiers Werk zieht und eine abschließende Deutung unmöglich macht, unterstreicht, dass Bourdieus These, die Position des Autors spiegele sich in seinem Werk objektiviert wider, hier nicht greift, da seine These, eine Position ziehe zwangsläufig eine bestimmte Positionierung nach sich,209 ironische Texte nicht vorsieht.

5.5.2 Die teuflische Ironie Die Schwierigkeit, aufgrund der ironischen Brechungen eine konsistente Positionierung zu formulieren, lässt sich an der Geschichte »Onuphrius ou les vexations fantastiques d’un admirateur d’Hoffmann« verdeutlichen. Wie der Titel andeutet, geht es um fantastische Erlebnisse von Onuphrius,210 der wie Gautier »poète et peintre« zugleich ist.211 Die friktionale Selbstdarstellung Gautiers ist hier noch eindeutiger, insofern Onuphrius ein Werk »La vie dans la mort« schreibt, das Gautier später selbst veröffentlicht, ebenso wie sich Gautier auch in einem Artikel als »admirateur d’Hoffmann« zu erkennen gibt.212 Onuphrius Freundin Jacintha verkörpert diese Friktion, indem sie sowohl Ähnlichkeiten zu Gautiers Angebeteten Eugénie Fort aufweist als auch Hommage an E.T.A. Hoffmanns Giacinta aus Prinzessin Brambilla ist.213 Wie Gautier trägt Onuphrius lange Haare, sodass der Erzähler aus der Beschreibung von Onuphrius folgert: »[J]e n’ai pas besoin de vous le dire, Onuphrius était jeune-France et romantique forcené.« (S. 43) Als Onuphrius auf einer Soiree ein romantisches Liebesgedicht deklamieren will, raubt ihm der anwesende Teufel seine Worte und verwandelt diese in klassische Verse (S. 63). Der Teufel wiederum wird als »fashionable à gilet écarlate« (S. 64) und ein halbes Dutzend Mal als »dandy« bezeichnet (S. 63), trägt Gautiers berühmte »gilet de velours rouge« (S. 61), und um seine zarten Hände würden ihn – in Anspielung an den Vergleich mit Brummell – Byron und Bonaparte beneiden (S. 61). Wenn der Erzähler schreibt: »[I]l y avait tant d’ironie dans cette bouche pâle et mince, dont les coins fuyaient perpétuellement sous l’ombre de leurs moustaches fauves« (S. 61), ist die selbstreferentielle Anspielung Gautiers sowohl auf der Ebene des Beschriebenen im kapitalen Schnurrbart als auch auf der Ebene der Beschreibung, ähnlich wie bei Carlyle, in der distinguierenden Ironie zu verorten. Der Figaro vom 7.9.1833 sieht

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Bourdieu: Les règles de l’art, S. 55, vgl. Drouart-Fiske: Romantic irony, S. 114, Strohschneider: Romantische Ironie, S. 264, 274. Court-Pérez: Gautier, un romantique ironique, S. 421. Bourdieu: Champ du pouvoir, champ intellectuel et habitus de classe, S. 15, 23 FN, vgl. Bourdieu: Le marché des biens symboliques, S. 100 f. Zu der Fantastik und ihrer Behauptung gegenüber dem Positivismus, vgl. Hörner: Zwischen Pathologie und Fantasie. Gautier: Jeunes-France, S. 44. In Gautiers Gedicht Paris (1831) bezeichnet sich das lyrische Ich ebenso als »moi, poète et peintre« (Gautier: Poésies, Bd. I, S. 117). Bourdieu zufolge war der Maler Vorbild für künstlerische Autonomie (Bourdieu: Les règles de l’art, S. 194). Vgl. zu Gautiers gleichnamigen Artikel Whyte: Notice, S. 1255 f. Vgl. Whyte: Notice, S. 1255 f., Hoffmann: Werke VII, S. 129.

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darin den Einfluss Byrons, wenn er Onuphrius als »dévergondage ironique et byronien« bezeichnet.214 Dem Dandy-Teufel gelingt es, indem er Onuphrius durch das Einflößen der klassischen Verse verwirrt, diesem seine geliebte Jacintha auszuspannen, die sich direkt in ihn verliebt. Onuphrius sieht die beiden fassungslos verschwinden: »[E]t le dandy à barbe rouge […] riait comme une hyène […].« (S. 65) Der Dandy wird nun also zum Gegenspieler der Jeunes-France, lässt Onuphrius klassisch deklamieren und löst so seinen gesellschaftlichen Misserfolg aus. Dabei bleibt im Sinne des conte fantastique offen, ob der Teufel wirklich vorhanden oder nur in der Vorstellung von Onuphrius existiert,215 sodass der innere Kampf des Protagonisten zwischen Wahrheit und Wahn, aber auch zwischen romantischem und klassischem Dichten in eine äußere Figur des Teufels projiziert wird, die ihn selbst vernichtet.216 Wenn der Teufel seinen Schwanz versteckt und auf Onuphrius Anschuldigung zu Jacintha sagt, »me prendre pour le diable, l’invention est plaisante« (S. 64), ließe sich darin eine Anspielung an die ›Verteufelung‹ Byrons sehen. Denn auch wenn Stendhal die Bezeichnung Satanic School für Byron als hypocrite brandmarkt, erfreute sich die byronsche Verbindung von Teufel und Dandy großer Beliebtheit.217 Ein Grund für diese Verbreitung ist Goethes Faust.218 1828 stellt Eugène Delacroix im Louvre seine Lithographien über Faust aus und der neunzehnjährige Jeunes-France Gérard de Nerval veröffentlicht seine Prosaübersetzung von Faust, die Goethe selbst ausdrücklich lobt.219 Das elegante, weltmännische Auftreten von Mephistoteles, das bereits de Staël hervorhebt,220 und seine Überredungskünste zur Verführung von Grete bieten die Überschneidung des teuflischen Verführers mit der Eroberung von Frauen und einem dandyhaften Auftreten.221 Pückler-Muskau berichtet in seinen Briefen von einem »Dandy«, der betont, dass es Byron war, der Goethe und seinen »Fost« zur Mode gemacht habe (Bd. I, S. 90). Wo Carlyle Byron ausdrücklich Goethe unterordnet, werden beide Autoren hier als ebenbürtige Genies betrachtet. Auch in Gautiers Gedicht »Dédain« (1833) ist die Rede von der »ambition terrible qui nous ronge […] d’être salué grand comme Goethe ou Byron.«222 Neben der schriftstellerischen Größe betont Gautier auch die Gemeinsamkeit von Goethe und Byron in Bezug auf ihre Entwürfe eines teuflischen Dandys. In Gautiers Gedicht Albertus ou l’âme et le pêché verliebt sich die 214

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Whyte: Notice, S. 1258, vgl Jasinski: Les années romantiques, S. 161. Auch Jasinski selbst spricht bei Gautiers Jeunes-France von »éclats sataniques et byroniens« (S. 167). Vgl. ausführlich Drouart-Fiske: Romantic irony, S. 112. Drouart-Fiske: Romantic irony, S. 88. Stendhal: Lord Byron en Italie, S. 239, Boüexière: Dandysme, S. 82. Eine andere Parallele von Goethe zum Dandy sieht Schmiele in der Ähnlichkeit von Werthers Frack, in dem er sich umbringt, zur Kleidung Brummells (Schmiele: Vom Dandy zum Provokateur, S. 65). Dorian Gray wiederum will, damit sein Bildnis anstelle seiner altert, in Anspielung an den faustschen Teufelspakt, seine Seele verkaufen (S. 26). Vgl.: »Im Deutschen […], mag ich den Faust nicht mehr lesen; aber in dieser französischen Übesetzung wirkt alles wieder durchaus frisch, neu und geistreich.« (Eckermann: Goethe, S. 373). Staël: Œuvres, Bd. II, S. 172, vgl. Prevost: Dandysme, S. 112. Vgl. Boüexière: Une nouvelle image du diable, S. 77. Gautier: Poésies, Bd. II, S. 139, vgl. Esteve: Byron, S. 201.

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Hexe Véronique in Albertus und Gautier unterstreicht deren Ähnlichkeit zur Hexe in Goethes Faust in einem metafiktionale Kommentar (S. 133). Véronique verwandelt sich dann in eine hübsche Frau und ihren Kater in Don Juan, der wiederum eindeutig satanische Züge aufweist: »[C]’était Juan […], et quoiqu’il n’eût ni queue, ni cornes, ni pied-bot […] tout homme un peu prudent aurait couru bien vite à sa bible et vous l’eût aspergé d’eau bénite.« (S. 168) Albertus verkauft schließlich seine Seele, um Véronique zu besitzen, was naturgemäß den Teufel auf den Plan ruft, der als »Belzébuth dandy« mit einem »talent exquis pour mettre sa cravate« vorgestellt wird. Neben der Hommage an Brummell wird auf Byron angespielt, denn Don Juan erweist sich als »boiteux comme Byron, mais pas plus […].« (S. 184) Byrons deformierter Fuß wird so im Sinne Barthes zum Mythos seines Satanismus, indem die Krankheitsgeschichte Byrons ausgeblendet und nur die Gemeinsamkeit mit Mephistoteles herausgearbeitet wird, auch Alfred de Musset merkt süffisant die Tatsache an, dass der Autor des Don Juan hinke wie Mephistoteles.223 Wenn sich der Dandy in »Onuphrius« über seine ›Verteufelung‹ lustig macht, ist dies also eine Anspielung an die Satanic School Byrons, bei der sich allerdings weder ausdrückliche Kritik an der Verteufelung, noch eine positive Darstellung des teuflischen Dandys erkennen lässt. Denn der Teufel trägt zwar die Züge Byrons und Gautiers gilet rouge, ist aber gleichzeitig der Gegenspieler des Romantikers Onuphrius, der ebenfalls Parallelen zu Gautier aufweist und vom Teufel gezwungen wird, klassische Verse zu deklamieren. Hierin lässt sich zudem eine weitere friktionale Ebene erkennen, denn die Begegnung Onuphrius, des »admirateur d’Hoffmann«, mit dem Teufel ist eine intertextuelle Verarbeitung von Hoffmanns Klein Zaches, genannt Zinnober (1819).224 Dort trägt Balthasar auf einer ähnlich beschriebenen Soiree sein »Gedicht von der Liebe der Nachtigall zur Purpurrose« vor, um seiner angebeteten Candida zu gefallen und das Alraunchen Zinnober bewirkt, dass die Leute glauben, es habe das Gedicht geschrieben und vorgetragen. Balthasar verlässt entsetzt die Gesellschaft und rennt verstört durch den Regen. Gautier übernimmt nicht nur diese Szene in »Onuphrius«,225 auch die metafiktionale Kommentare des Erzählers lassen sich bereits in Zaches finden.226 Durch diese Überblendung von Hoffmans Alraunchen Zinnober, dem Teufel, der friktionalen Selbstdarstellung Gautiers und den Anspielungen auf Byron, die alle in der Figur des Dandys konvergieren, entsteht ein äußerst ambivalentes Werk, durchaus im Sinne des psychologischen Begriffs der Ambivalenz als Konkurrenz gegensätzlicher Sichtweisen.227 So lässt sich als einzige eindeutige Intention von Gautier nur diejenige festhalten, jeglicher Festschreibung auf eine Position, jeglicher interpretatorischer Reduzierung und abschließender Deutung des Dandys zu entgehen: »[L]es tensions internes

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Zit. n. Boüexière: Une nouvelle image du diable, S. 78 f., Boüexière: Dandysme, S. 83. Auch Jasinski deutet dies ohne weitere Präzisierungen an (Jasinski: Les années romantiques, S. 1399). Zu Parallelen mit Hoffmanns Sandmann und Jean Paul, vgl. Drouart-Fiske: Romantic irony, S. 111, 87. Gautier: Jeunes-France, S. 64, vgl. Hoffmann: Werke VII, S. 45-49. Gautier: Jeunes-France, S. 67, vgl. Strohschneider: Romantische Ironie, S. 361. Vgl. Dorsch: Psychologisches Wörterbuch, S. 34.

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des œuvres, la non clôture de l’œuvre globale, en sont un indice: pour l’ironie, il n’y a pas de mot de la fin.«228 Bezeichnenderweise wird diese ambivalente Ironie im Kontext des art pour l’art bei Gautier oft schlichtweg nicht erkannt, so schreibt Gene BellVillada von einer Selbst-Ironie bei Wilde »inconceivable in a Gautier or Mallarmé«229 und auch Einfalt nimmt, wie gezeigt, die »Légende du Gilet Rouge« à la lettre. Ausgangspunkt hierfür ist m.E. Bourdieus Vorstellung der Selbstobjektivierung des literarischen Feldes in der Literatur sowie, daran anschließend, die vereinfachende Interpretation, Gautiers Préface von Mademoiselle de Maupin postuliere als Begründungstext des art pour l’art die Abkehr von jeglicher gesellschaftlicher Funktion der Kunst. Norbert Kohl z.B. schreibt, Gautier habe »sich in eine Position drängen lassen, in der die Kunst wie ein selbstgenügsames Spiel anmutet […], dem jede humanitäre und gesellschaftliche Bezogenheit fehlt«230, und auch Bourdieu definiert l’art pour l’art als Verzicht auf jeglichen sozial markierten Inhalt.231 Dabei lässt sich Bourdieus These, seit 1830 isoliere sich der Autor von der Gesellschaft,232 als nicht zutreffende Idealisierung bezeichnen, die zu der Bataille d’Hernani oder der beständigen Ironisierung des bourgeois in krassem Widerspruch steht. Insofern sollte Gautiers im Vorwort von Mademoiselle de Maupin geäußerte Maxime »Il n’y a de vraiment beau que ce qui ne peut servir à rien« (S. 230) nicht als Ausdruck der völligen gesellschaftlichen Bezugs- und Funktionslosigkeit von Kunst gesehen werden. Auch wenn sich Gautier hier von der Argumentation von Carlyle und Thackeray eines gesellschaftlichen Nutzens der Literatur abgrenzt, möchte ich nicht, wie Bourdieu, von einem eindeutigen »refus de justification sociale de l’art« sprechen,233 sondern von einer mit gautierscher Ironie gespickten Provokation. Schließlich geht der Stelle die Bemerkung voraus, dass ein Roman zwei »utilités« besäße: zum einen liege der materielle Nutzen darin, seinem Autor Geld einzubringen, Drucker, Buch- und Papierhändler zu beschäftigen und auch Kleinkrämer und Pommes-frites-Verkäufer könnten sich über hochwertiges Verpackungsmaterial freuen. Zum anderen: »L’utilité spirituelle est que, pendant qu’on lit des romans, on dort, et on ne lit pas de journaux utiles […]« (S. 228 f.), was als Attacke gegen das 1831 von Emile de Girardin gegründete Journal des connaissances utiles, politique, agricole et commercial zu sehen ist, das von Gautier des Öfteren verspottet wird.234 Anders als Luck228 229 230

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Court-Pérez: Gautier, un romantique ironique, S. 421. Bell-Villada: Art for Art’s Sake, S. 86. Kohl: L’art pour l’art, S. 162, vgl. Iser: Walter Pater, S. 42, Bell-Villada: Art for Art’s Sake, S. 1, Einfalt: Zur Autonomie der Poesie, S. 86 sowie jüngst Asholt: Französische Literatur, S. 130 f. Bourdieu: Champ du pouvoir, champ intellectuel et habitus de classe, S. 20. Starke, der dies auch als Forschungskonsens dar- und in Frage stellt, betont Gautiers »Lebensbejahung« (Starke: Gautier, S. 186) am Beispiel seiner Bemühungen, Kunst von den industriellen Entwicklungen profitieren zu lassen. Ähnlich argumentiert Lloyd in Bezug auf Gautiers Kunst- und Musikkritik und fragt polemisch »Gautier est-il aussi partisan de la doctrine de l’art pour l’art qu’on veut nous le faire croire?« (Lloyd: Gautier, S. 1). Bourdieu: Le marché des biens symboliques, S. 55. Bourdieu: Les règles de l’art, S. 194. Gautier: Jeunes-France, S. 232. In diesem Kontext wurde Gautier wiederum von Lavedant in der Zeitschrift La Démocratie pacifique als »inutilitaire« bezeichnet (zit. n. Lloyd: Gautier, S. 5 f.).

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scheiter, der darin Pragmatismus sieht, möchte ich die für Gautier typische ambivalente Ironie betonen. Denn weit davon entfernt, Kunst um der Kunst willen zu propagieren, wirft sich Gautier in den Kampf, der im progressiven Charivari vom 30.4.1833 als »guerre civile littéraire« bezeichnet wird,236 d.h. der Kampf zwischen contra- und pro-romantischen Zeitschriften, der seinen Höhepunkt in der Wiederaufnahme der Zensur im Mai 1834 findet. Der von Gautier ironisierte Constitutionnel, der die Aufführung von romantischen Theaterstücken am Théâtre-Français als Entwürdigung bezeichnet, wird wegen seines diffamatorischen Verrisses von Gautiers Artikel über Villon vom Verleger Malo der France Littéraire verklagt. Wenn Gautier von der Nützlichkeit der Literatur spricht, von der Lektüre von utilitaristischen Zeitschriften abzuhalten oder sagt, die einzige Nützlichkeit der menschlichen Existenz bestehe darin, nicht den Constitutionnel zu abonnieren (S. 229) und weitere Attacken gegen diesen fährt (S. 239), ist festzustellen, dass sich die Préface, die vermeintlich die Abkehr der Kunst von der Gesellschaft einfordern soll, durch polemische, aber immer ironische Bezüge auf das gesellschaftliche Leben und Kritik an den konservativen Zeitschriften auszeichnet.237 René Bourgeois – nomen non est omen – spricht insofern von der romantischen Ironie Gautiers als l’art comme l’art, die anders als l’art pour l’art kein Selbstzweck, sondern eine eigene Realität darstellt.238 Diese Realität zeichnet sich weniger durch das Fehlen von gesellschaftlichem Bezug, sondern durch die Behauptung des romantischen Autors gegenüber dem Bourgeois aus. Da Gautier selbst den Begriff in seinen Schriften gar nicht verwendet, sind die Souvenirs von Maxime Du Camp aufschlussreich, der diesen performativen Aspekt des art pour l’art in seinem Bericht über die literarischen Abende mit Gautier verdeutlicht: »On causait de bien des choses, quelquefois trop frivoles et parfois trop sérieuses; chacun avait son dada […]. Celui de Gautier, de Flaubert et de Bouilhet était le même: l’art pour l’art. […] Là on prêchait – et l’on prêchait l’exemple – la prédominance de l’artiste sur l’homme.« (S. 202)

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Luckscheiter: L’art pour l’art, S. 19. Jasinski: Les années romantiques, S. 176. Vgl. ausführlich zu den Hintergründen, S. 169-217. Umgekehrt bedienen sich auch die Autoren des art pour l’art des Journalismus, um Position zu ergreifen. Maria Teresa Giaveri spricht sich deswegen »Pour un double circuit des biens symboliques« aus (Giaveri: Pour und double circuit, S. 111). Gautier selbst lobt in seiner Histoire du Romantisme (1877) Nestor Roqueplan, Gründer der pro-romantistischen Zeitschrift La Charte de 1830, in der Gautier, wie er erwähnt (S. 175), seine ersten journalistischen Versuche gemacht hat, schreibt: »Au milieu du désordre pittoresque de la bande romantique, il se distinguait par des recherches de toilette, un goût et un soin de costume qu’eussent approuvé Brummel et le beau Nash […] et il eût au besoin écrit la Théorie du dandysme si bien posée par Barbey d’Aurevilly.« (S. 166) Dass Gautier Roqueplan, als vorbildlichen Dandy lobt, zeigt eine Differenzierung zwischen dem wilden Dandyismus à la Byron der jungen Romantiker und einem gedeckten Dandyismus à la Brummell. Anders als in England, wo der Dandyismus Brummells als Ausdruck der Mittelschicht behauptet wurde, wird er hier, nicht zuletzt aufgrund Barbeys Essays, als dezente Form der vornehmen Distinktion gedeutet. Bourgeois: Ironie romantique, S. 18.

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L’art pour l’art heißt demnach nicht Kunst ohne Realitätsbezug, sondern die Herrschaft des Künstlers über die Welt.239 Diese Überlegenheit des Künstlers wird im Werk Gautiers in seiner ironischen Behauptung gegenüber dem Bourgeois zum Ausdruck gebracht, die diesen und auch sich selbst ironisiert, als »Ironie der Ironie«, wie es Schlegel formuliert.240 Weniger als um ›Kunst um der Kunst willen‹, geht es um ›Kunst der Kunst‹, in Abwandlung von Schlegels »Poesie der Poesie«, welche die doppelte Existenz der Kunst als Produkt und Produzierendes und die ironische Brechung von beiden beinhaltet.241 Wenn Strohschneider-Kohrs die romantische Ironie als Mittel bezeichnet, »die Kunst als Kunst vorzutragen« (S. 424), so zieht sie im Allgemeinen den Zusammenhang zwischen l’art pour l’art und romantischer Ironie, der hier konkret bei Gautier erarbeitet wurde, nämlich, dass die Ironie Mittel der Selbstrepräsentation von Kunst ist.242 Nicht die Abschottung von der Realität, sondern deren konsequente, in alle Richtungen weisende Ironisierung steht im Mittelpunkt der Behauptung des Autors. Dabei geht es in erster Linie nicht um eine »negative Metareflexion«, welche die Unmöglichkeit der Selbstreflexion reflektiert, wie es Oliver Kohns formuliert.243 Vielmehr steht hier die Reflexion über die Rezeption des Werks im Vordergrund, das sich durch Ironie der Konstruktion einer Autor-Aussage seitens des Lesers entziehen möchte. Strohschneider-Kohrs betont, die romantische Ironie verhindere die Reduktion der Kunst auf einen sittlichen Auftrag und folgert »mit der romantischen Theorie der Ironie [wird] die Frage nach der Autonomie der Kunst […] bis an die äußerste Grenze vorgetrieben […].« (S. 236) Die Behauptung des Autors erschließt sich somit nicht durch das Formulieren einer Intention hinter seinen Aussagen, sondern die ironischen Brechungen stehen in ihrer Positivität für eine Ambivalenz, in der gerade das Verhindern der Konstruktion einer konsistenten Aussage selbst die Aussage ist und eine Selbstbehauptung gegenüber dem Bourgeois als Leser impliziert.

5 . 6 D i e P o si ti o n v o n B a u d e l ai r e In seinen Souvenirs Littéraires folgert Gautier aus der bereits erwähnten Anekdote von Baudelaires habit râpé: »On peut dire de lui que c’était un dandy égaré dans la bohème, mais y gardant son rang et ses manières et ce culte de soi-même qui caractérise l’homme imbu des principes de Brummel.« (S. 141) Auch Bourdieu schreibt in Les règles de l’art von der »élégance du dandy« von Baudelaire, der mit der Bohème die Ablehnung des Bürgertums gemein habe, sich aber auch von dieser durch die Kleidung distanziere (S. 100). Bourdieu interpretiert dies, anders als Gautier, als symbolische Abgrenzung Baudelaires vom Realismus der mit ihm befreundeten BohèmeSchriftsteller. Angesichts seiner These, dass Baudelaire zusammen mit Flaubert die Ausprägung des literarischen Feldes maßgeblich geprägt habe 239 240

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Vgl. Iser: Walter Pater, S. 48. Schlegel bezeichnet die Ironie der Ironie als eine Machart, bei der die »Ironie Manier wird und so den Darsteller gleichsam ironisiert.« (Schlegel: Kritische Ausgabe, Bd. II, S. 369). Vgl.: Schlegel: Kritische Ausgabe, Bd. II, S. 204 [238], Strohschneider: Romantische Ironie, S. 47, 274. Vgl. Strohschneider: Romantische Ironie, S. 74, 201, 425. Kohns: Romantische Ironie, S. 199.

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(S. 76), wird deutlich, dass Bourdieu diese Distanzierung von der Bohème als das für das autonome literarische Feld zentrale Prinzip der Ablehnung jeglicher Zugehörigkeit zu bestimmten literarischen Gruppen und Strömungen sieht:244 »L’esthétique de Baudelaire elle-même trouve sans doute son principe dans la double rupture qu’il accomplit et qui se manifeste notamment dans une sorte d’exhibition permanente de singularité paradoxale: le dandysme n’est pas seulement volonté de paraître et d’étonner […] c’est aussi et surtout une posture éthique et esthétique tout entière tendue vers une culture (et non un culte) du moi.«245

Analog zum »double refus« als »formule de Flaubert« (S. 55) spricht Bourdieu bei Baudelaire von der »double rupture« sowohl mit dem art bourgeois als auch mit dem art social, die versucht, die Stimme der Unterdrückten zu ergreifen (S. 115). Er ergänzt, Baudelaires Dandyismus bestehe darin, wie Gautier, Flaubert oder Barbey sowohl dem Anspruch zu widerstehen, wahre Gefühle darzustellen, wie es z.B. Émile Augier fordert, als auch der leichtfertigen Brechung von Dichtungstraditionen, wie es Musset kultiviert (S. 117). Bourdieu fasst dies in der Formel zusammen, sowohl X als auch das Gegenteil von X zu verachten. Die von Bourdieu evozierte Exhibition Baudelaires, die einerseits geprägt ist vom Inszenieren des Scheins, andererseits von der Arbeit am Selbst, lässt sich mit dem byronschen parêtre fassen. Auch McGann betont die wesentliche Ähnlichkeit zwischen Byrons Infragestellen der Dichtungskonvention eines authentischen Ichs und der Apostrophe der Fleurs du Mal an den »Hypocrite lecteur«246. Wenn Jerome McGann schreibt, »[t]he connection between Byron and Baudelaire is most easily traced through the cultural history of dandyism« (S. 92), deutet er dieses parêtre als Zurückhaltung des Dichters gegenüber den dargestellten Gefühlen, das er mit dem Attribut Dandyismus bedenkt. Er spricht vom »cold style of the dandiacal poet« (S. 92), der darin bestünde, hinter seinen Gedichten anonym zu bleiben und die Subjektivität des Gedichtes als Maske und Pose zu benutzen. Baudelaire selbst stellt, wie McGann erinnert, Byron in diesem Sinne neben Barbier und Tennyson als Vertreter der »poésie lyrique anonyme« dar.247 Auch wenn McGann im anonymen Stil Baudelaires eine Abkehr von der englischen Romantik sieht, zeigen sich doch einige Parallelen zur ›romantischen‹ Ironie. In seinem Artikel »De l’essence du rire et généralement du 244

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Tatsächlich zeigt sich in einer der beiden Stellen seiner Korrespondenz, in denen sich Baudelaire selbst als Dandy bezeichnet, die von Bourdieu beschriebene Konsekration des literarischen Feldes im »jeu à qui perd gagne«, wenn Baudelaire an Sainte-Beuve am 21.2.1859 schreibt, er sei der kleinen Revue Contemporaine treu geblieben »par un dandysme d’héroïsme« (Baudelaire: Correspondance, Bd. I, S. 554, vgl. Burt: Baudelaire, S. 38). In der anderen Stelle, einem Brief am 20.1.1858 an seine Mutter, bezeichnet er das Verstecken seiner Gefühle als »Dandysme« (Bd. I, S. 448). Bourdieu: Les règles de l’art, S. 116 f. McGann: Byron and Romanticism, S. 92, vgl. Baudelaire: Œuvres, Bd. I, S. 6. Baudelaire: Œuvres, Bd. II, S. 194, vgl. McGann: Byron and Romanticism, S. 94 f. In einem Brief an Ancelle gibt Baudelaire zu Protokoll, das Buch, das er mit »fureur et patience« geschrieben habe, werde seinen Platz neben Gautier und Byron finden (Baudelaire: Correspondance, S. 411).

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comique dans les arts plastiques« (1855) gibt Baudelaire tatsächlich als Vorbild für das Lachen die romantische Ironie E.T.A. Hoffmanns an und definiert das Lachen als »Idée satanique« der eigenen Überlegenheit.248 Wie Gautier verbindet also auch Baudelaire Hoffmann und Byron durch das Konzept der romantischen Ironie und er ergänzt: »L’école romantique, ou, pour mieux dire, une des subdivisions de l’école romantique, l’école satanique, a bien compris cette loi primordiale du rire […].« (S. 531) Er verortet also Gautiers ambivalente Ironie, welche die Überlegenheit des Künstlers gegenüber dem Bourgeois beweisen soll, in dessen Faszination an Byrons satanic school und der Ironie Hoffmanns und bestätigt, indem er Gautiers Kreis nach Byrons parêtre als satanisch bezeichnet, Byrons wichtige Rolle für die Behauptung des Autors in Frankreich. In gleichem Maße ist auch Baudelaires eigenes satanisches Prinzip seiner »esthétique du mal«, das Borsò und Bohrer herausarbeiten, im Kontext von Byrons Satanic School zu sehen.249 Dies wird deutlich, wenn Baudelaire Jules Janin positiv affirmiert, Byron besitze »ce qui fait les poètes: une diabolique personnalité« (S. 232), den »caractère satanique et byronien« des Gedichts »La Danse des morts en 1848« von Alfred Rethel lobt (S. 600) oder in seinem Aufsatz über Banville es als Byrons und Poes Verdienst hervorhebt, entgegen der herkömmlichen Intention der Kunst, dem Geist zu gefallen, das Blasphematorische der Leidenschaft ausgedrückt zu haben, denn »l’art moderne a une tendance essentiellement démoniaque.«250 Mit diesem Blick auf Byrons diabolische Ironie ist nun Bourdieus Interpretation von Baudelaires Dandyismus als Ausdruck der Abgrenzung von realistischer und ›bourgeoiser‹ Literatur zu überprüfen.

5.6.1 Die Friktion beim habit noir und bei Guys Seinen in der Zeitschrift L’Écho erschienenen Salon de 1846 widmet Baudelaire »[a]ux Bourgeois«, denen er mit gautierscher Ironie versichert: »Vous êtes la majorité – nombre et intelligence; – donc vous êtes la force« (S. 415), um dann die Kunst als ein erfrischendes und erwärmendes Getränk darzustellen, das Leib und Seele in das natürliche Gleichgewicht des Ideals versetze. Er folgert: »Vous en concevez l’utilité, ô bourgeois […].« (S. 416) Neumeister, der darin die »Selbstbehauptung« Baudelaires zum Preis der Selbstverleugnung sieht, entgeht indes die Rolle der Selbstironie, was wohl auch darauf zurückzuführen ist, dass Neumeister nur von der gängigen Definition der Ironie in der Rhetorik als Gegenteil dessen, was gemeint ist, ausgeht.251 Denn auch wenn unzweifelhaft die Affirmation der Nützlichkeit der Kunst die bür248

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Baudelaire: Œuvres, Bd. II, S. 530, vgl. Strohschneider: Romantische Ironie, S. 364, 387. Der Bohème-Autor Champfleury lobt diesen Artikel ausdrücklich (vgl. die Anmerkung von Pichois in Baudelaire: Œuvres, Bd. II, S. 1343). Im Folgenden beziehen sich alle Angaben zu Baudelaire im Fließtext auf diesen Band. Borsò: Baudelaire, Benjamin et la/les modernité/s, S. 154. Karl-Heinz Bohrer in Nach der Natur deutet den Einfluss Byrons für die »satanisch zu umschreibende Thematik« (S. 115) an, wenn er Baudelaires Huldigung an Delacroix‹ malerische Umsetzung von Byrons Sardanapalus untersucht (S. 118). Baudelaire: Œuvres, Bd. II, S. 168, vgl. Einfalt: Zur Autonomie der Poesie, S. 256, vgl. zu dem Diabolischen in der Kunst Borsò: Baudelaire, Benjamin et la/les modernité/s, S. 154, 158 FN. Neumeister: Der Dichter als Dandy, S. 62 f.

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gerliche Sicht auf die Literatur ironisiert und als kritische Reaktion auf die Demokratisierung der Gesellschaft zu sehen ist,252 sollte man hier ebenso wenig von kompromissloser Kritik am Utilitarismus sprechen, wie dies etwa Zima tut.253 Zu bedenken ist, dass Baudelaire nicht als Künstler, sondern als Kunstkritiker spricht und sich somit bereits in einer Kompromisssituation befindet. Und dieser Situation begegnet er mit ambivalenter Ironie nach dem Vorbild Byrons. So betont er im Kapitel »A quoi bon la critique?«, der Kritiker könne der Kunst zwar nichts Neues abgewinnen (S. 417), andererseits hätten viele Künstler ihren Ruf nur der Kritik zu verdanken (S. 418). Diese neue Position Baudelaires als Kritiker lässt erkennen, dass die Widmung an den Bourgeois eine doppelte Ironisierung ist: gleichzeitig von dessen Nützlichkeitsideologie wie von der eigenen Aufgabe, dem Leser ›nützliche‹ Kommentare über die Kunst zu übermitteln. Diese Ambivalenz kommt zum Ausdruck, wenn Baudelaire den schwarzen Anzug als die einzige der Zeit angemessene Erscheinung kommentiert: »Remarquez bien que l’habit noir et la redingote ont non seulement leur beauté politique, qui est l’expression de l’égalité universelle, mais encore leur beauté poétique qui est l’expression de l’âme publique; – une immense défilade de croque-morts, croque-morts politiques, croque-morts amoureux, croque-morts bourgeois. Nous célébrons tous quelque enterrement.« (S. 494) Weit mehr als Ausdruck einer allgemeinen bedrückten Stimmungslage, wie Benjamin meint,254 ist hier ein friktionaler Bezug zu Baudelaires eigenem Kleidungsstil zu erkennen. Denn für die Ikonographie Baudelaires ist sein strenger u.a. von Nadar fotografierter Aufzug in schwarzem Anzug und Weste mit weißem Hemd von zentraler Bedeutung.255 (Abbildung 7). Nadar selbst betont die schlichte, schwarze Erscheinung Baudelaires und gibt an, was auf der Schwarz-Weiß-Fotografie nicht zu erkennen ist, dass die Krawatte weinrot gewesen sei.256 Ebenso betont Charles Asselineau, Herausgeber und Autor von Charles Baudelaire. Sa vie et son œuvre (1869), er habe diesen 1845 als »ultra-fashionable« kennen gelernt im für ihn typischen »habit noir d’où s’échappent un bout de cravate blanche et des manchettes de mousseline plissée« sowie im »chapeau de dandy« und betont, dass Baudelaire in seinen Gesprächen oft vom Dandy sprach (S. 33, 57, 105). Dass dieser Aufzug mit dem Erscheinungsbild Brummells in Verbindung gebracht wurde, zeigt sich daran, dass Catulle Mendès, Autor und Ehemann von Gautiers Tochter Judith, Baudelaire im Vorwort seines Roman d’une nuit als »Son Eminence Monseigneur Brummell« bezeichnet, eine Anekdote, die im Passagen-Werk von Walter Benjamin Eingang fand.257 Le Vavasseur, der Baude252 253 254 255

256 257

Vgl. Compagnon: Antimodernes, S. 33. Zima: Vom Dandy zum Künstler, S. 412. Benjamin: Charles Baudelaire, S. 579 f. Vgl. zur Ikonographie des habit noir die Abbildungen 21, 22, 25, 26, 28, 34, 35, 36, 40, 49, 50 der Iconographie de Charles Baudelaire von Claude Pichois. Am bekanntesten ist die Fotografie von Carjat, Abbildung 35, die 1862 entstand und als Frontispiz der 3. Ausgabe der Fleurs du Mal (1868) erschien (Pichois: Iconographie, S. 49), der Kleidungsstil zeigt sich bereits gegen 1853 in einer anonymen Fotografie, vgl. ebd., Abbildung 15. Zit. n. Bandy: Baudelaire, S. 18, vgl. Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 182 f. Benjamin: Passagen-Werk, S. 333 [J17, 6], vgl. Coblence: Obligation d’incertitude, S. 209.

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laire als »Byron, habillé de Brummel« bezeichnet,258 verbindet das Erscheinungsbild Brummells schließlich mit der byronschen Selbstbehauptung. Betrachtet man zudem Baudelaires auf mehreren Bildern eingenommene Pose,259 im Stile Napoleons die rechte Hand in die Weste zu stecken, lässt sich hier ein Echo auf den mythischen Vergleich zwischen Byron, Brummell und Napoleon festhalten, den Baudelaire mit seiner Pose komplettiert.

Abbildung 7: Nadar: Fotografie von Charles Baudelaire (1862)

258 259

Zit. n. Benjamin: Passagen-Werk, S. 317 [J 9,7], vgl. Moers: Dandy, S. 272. Vgl. in der Iconographie neben der dem hier abgebildeten Foto (Abb. 40) die Fotos von Nadar (1855, Abb. 22) sowie von Carjat (1861-8162, Abb. 34). Letzteres wurde zweimal, von Nargeot (Abb. 36) und Eugène Giraud (Abb. 37), abgezeichnet.

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Im obigen Zitat spielt Baudelaire also auf seine allgemein bekannte Erscheinung als Dandy an und stellt dies gleichzeitig als Verkörperung der allgemeinen, grauen (bzw. schwarz-weißen) Einheitlichkeit dar. Dass der habit noir als Bekleidung des Leichenträgers dargestellt wird, symbolisiert einerseits das Zu-Grabe-Tragen des Bourgeois. Andererseits wird diese polemische Abgrenzung wieder dadurch gebrochen, dass der habit noir als allgemeine Erscheinung der âme publique und auch des Bourgeois dargestellt wird. So lässt Baudelaire offen, ob in der égalité universelle tatsächlich poetische Schönheit zu finden ist, oder ob es nicht gerade die fortschreitende Demokratisierung der Gesellschaft ist, die zu betrauern ist. Zwar folgert er aus dem habit noir, dass diese »livrée uniforme de désolation« trauriger Ausdruck der neuen Gleichheit sei, betont aber auch in Anspielung an Gautiers gilet rouge, dass die »excentriques que les couleurs tranchées et violentes dénonçaient facilement aux yeux« (S. 494) sich heute durch subtile Nuancen distinguieren. Der habit noir des Dandys ist also gleichzeitig Möglichkeit der subtilen Distinktion wie er im allgemeinen Schwarz-Weiß unterzugehen droht. Gemäß dieser Ambivalenz bezeichnet er die Maler Lami und Gavarni, welche diese Nuancen darstellen, als »poète[s] du dandysme« und betont deren Modernität, da Dandyismus, wie er Barbey zitierend behauptet, ein modernes Phänomen sei: »En relisant le livre du Dandysme, par M. Jules Barbey d’Aurevilly, le lecteur verra clairement que le dandysme est une chose moderne et qui tient à des causes tout à fait nouvelles.« (S. 494) Dieser Widerspruch des Dandyismus zwischen Verlust der Distinktion und »chose moderne« ist die für die romantische Ironie zentrale Oszillation zwischen Ideal und Wirklichkeit, die für Baudelaires Behauptung als Autor ausschlaggebend ist. Sie findet sich in der Frage, ob der Dandy als Ausdruck eines verschwindenden Ideals oder als Kind seiner Zeit zu sehen ist, aber auch darin, ob im Sinne des art pour l’art von der »supériorité ontologique du Beau sur la réalité«260 zu reden ist, also ob sich die Kunst der Suche nach ästhetischen Idealen oder ob sich wie das art social der Realität widmen solle. Allerdings hat Baudelaire sein Projekt einer Veröffentlichung über den literarischen Dandyismus, das in dieser Frage aufschlussreich wäre, nie realisiert, gleichwohl aber beständig ankündigt. Poulet-Malassis und später Hippolyte Garnier verspricht er eine Veröffentlichung »Le Dandysme littéraire, ou la Grandeur sans convictions« zusammen mit dem Aufsatz über Guys, das er ebenso zahlreichen anderen Verlegern in Aussicht stellt.261 Schließlich versichert er seiner Mutter: »Les Dandies littéraires passeront à La Pres-

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Crouzet: Présentation, S. 25. Baudelaire: Correspondance, Bd. I, S. 664, Bd. II, S. 591 sowie gegenüber Alphonse de Calonne in einem Brief vom 31.7.1860 (Bd. II, S. 69), am 3.12.1860 (Bd. II, S. 108), am 9.2.1861 konkretisiert er sein Projekt als »Le Dandysme dans les lettres« und gibt als Autoren Chateaubriand, de Custine, Ferrari, Paul de Molènes und eben Barbey an (Bd. II, S. 128), auch Auguste Lacaussade lockt er mit der Aussicht auf eine Veröffentlichung über »Chateaubriand, père des Dandies, et sa postérité« (Bd. II, S. 147, vgl. 335, 472, 491) bzw. »Le Dandysme littéraire«, über den er am 7.5.1861 schreibt: »Quant au Dandysme, bien que ce soit encore très confus, j’espère vous le remettre avant le 25.« (Bd. II, S. 158) Auch Mario Uchard wird eine solche Veröffentlichung in Aussicht gestellt (Bd. II, S. 283) ebenso wie dem Verleger von Le Pays (Bd. II, S. 335).

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se.«262 Die zahlreichen Versuche, einen Verleger für ein ungeschriebenes Projekt zu finden, das sich nur in einigen Notizen in Baudelaires Carnets niedergeschlagen hat,263 sprechen nicht nur von der finanziellen Not Baudelaires, sondern bezeugen auch das offensichtliche Interesse an einem Aufsatz über den literarischen Dandyismus. Obwohl der Aufsatz über den Maler Guys also nur ein Teil eines doppelten Projekts war, muss anstelle von écrivains-dandys mit Baudelaires Behauptung von Guys als artiste-dandy vorlieb genommen werden. Ähnlich wie bei den zuvor dargestellten Autoren zeigt sich hier eine komplexe Friktion, die zwischen Bildbetrachtung, Biographie Guys und eigener Interpretation des Dandyismus oszilliert. Baudelaire anonymisiert Guys als »M. G.« und gibt als Grund, dies würde dem seltsamen Wunsch des Malers nach Anonymität entsprechen (S. 688). Indes verrät schon der Hinweis des Herausgebers bei der ersten Veröffentlichung im Figaro vom 29.11.1863,264 dass diese Anonymität nur eine scheinbare ist, die darauf baut, dass der Maler Guys sofort erkannt wird, zumal Baudelaire die Titel von dessen Bildern preisgibt (S. 701). Wenn er am scheinbaren Inkognito des Malers festhält, dient dies weniger dem Schutz von Guys als vielmehr der Strategie, den Künstler scheinbar gänzlich von seinen Werken abzutrennen: »[N]ous feindrons de croire, le lecteur est moi, que M.G. n’existe pas, et nous nous occuperons de ses dessins«, schreibt er, räumt aber ein, dass er ebenso über die »nature si curieusement et si mystérieusement éclatante« von der Person Guys sprechen werde (S. 688), den er als »dandy« bezeichnet (S. 691). Während Baudelaire im Aufsatz »L’Œuvre et la vie d’Eugène Delacroix« eindeutig vom Maler Delacroix als Dandy spricht (S. 756, 759), so argumentiert er hier, man solle diese Eigenschaften der Person doch so behandeln, als hätte er sie vollständig durch Betrachtung seiner Kunstwerke erhalten. Baudelaire übernimmt also die Inszenierung des byronschen parêtre, wendet sie aber nicht auf sich selbst, sondern auf einen anderen Künstler an. So kann er die Darstellung der faszinierenden Persönlichkeit Guys als »hypothèse poétique, conjecture, travail d’imagination« präsentieren (S. 688) und Guys als Dandy sowie als Maler des Dandyismus behaupten. Am Ende seines Aufsatzes kann er so folgern: »[L]e pinceau de M. G. […] était merveilleusement propre à représenter les pompes du dandysme […].« (S. 722) Mehr als ein Vorwand für Betrachtungen allgemeinerer Natur über den Dandy265 sind die Bilder Guys also Teil einer komplexen Oszillation zwischen der Person Guys als Dandy, seinen Porträts von (vermeintlichen) Dandys, seinen ›dandyistischen‹ Bildern und nicht zuletzt Baudelaires eigenen Ansichten über den Dandy. Dass nicht mehr genau rekonstruiert werden kann, welche Bilder von Guys Baudelaire bis 1864, dem Zeitpunkt, an dem er Paris verlassen musste, besaß,266 verstärkt diese Friktion seines Essays zwischen Kunstkritik und Imagination der Figur des Dandys, da uneindeutig bleiben muss, auf welche Bilder er sich bezieht. Zum einen, weil, wie Baudelaire ja selbst betont, Guys seine Zeichnungen nicht nur nicht signierte, sondern ihnen auch keinen Titel gab, was auf der hier wiedergegebenen Zeichnung auch 262 263 264 265 266

Baudelaire: Correspondance, Bd. II, S. 237. Vgl. u.a. Baudelaire Œuvres, Bd. I, S. 718, 720, 723, 727. «[T]out le monde sait qu’il s’agit ici de Constantin Guys«, zit. n. Pichois: Notices, S. 1414. Vgl. Armel: Guys, S. 52. Vgl. Pichois: Baudelaire et Constantin Guys, S. 19.

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nachvollziehbar ist. (Abbildung 8) Dass sich das Werk von Guys in erster Linie auf die Darstellungen von Frauen beschränkt – welche Baudelaire im Peintre ebenso ausführlich kommentiert (S. 713-722) – und die Männer oft nur im Hintergrund zu sehen sind,267 vergrößert den Stellenwert der kreativen Imagination Baudelaires. Der verbreitete Titel »Second Empire Dandy« für nachfolgende Tuschezeichnung, wie ihn etwa Moers wiedergibt,268 wurde nachträglich zugefügt.

Abbildung 8: Constantin Guys: »Second Empire Dandy« Diese Uneindeutigkeit der Rolle des Dandys in den Werken Guys ermöglicht Baudelaire, ähnlich wie der écrivain-dandy der Forschungsliteratur, einen artiste-dandy zu konzipieren, der alle Aspekte des Werkes zusammenklammert und viel Raum für Interpretation offen lässt. Deutlich wird dies, wenn Baudelaire vom »air froid« des Dandys spricht und folgert: »[O]n dirait un feu latent qui se fait deviner, qui pourrait mais qui ne veut pas rayonner. C’est ce qui est, dans ces images parfaitement exprimé.« (S. 712) Das doppeldeutige »air froid« wird von der Bedeutung ›Erscheinungsbild‹ übertragen auf den wörtlichen Sinn einer atmosphärischen Erscheinung und in die Metapher des unterschwelligen, nicht auflodernden Feuers gefasst. Diese Farbqualität wiederum wird dann in Guys Bildern als Ausdruck des Dandyismus wiedergefunden. Dabei bleibt offen, auf welche Art von Bildern sich Baudelaire bezieht, das Porträt des »Client« bzw. »Second Empire Dandy« etwa ist eine Tuschezeichnung auf Pergamentpapier, so dass das schlummernde Feuer hier mit der abwesenden Kolorierung erklärt werden könnte. Man könnte das air froid aber auch auf den häufig verwendeten blassen Blauton von Guys Aquarellzeichnung zurückführen, den Baudelaire auf den Dandy projiziert.269 267 268

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Vgl. Moers: Dandy, S. 281. Vgl. ebd. Der von José Alvarez herausgegebene Ausstellungskatalog Constantin Guys 1802-1892 betitelt das Bild mit »Client« und betont ebenfalls, dass die Titel nachträglich entstanden seien (S. 142, 145 f.). Vgl. ebd., S. 146 zum »Client« sowie ebd. für die Bilder Guys.

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Anders als Pichois, der die Bilder Guys als »prétexte« für Baudelaires Konzeption des Dandys bezeichnet,270 möchte ich hier die Friktion betonen, nach der Baudelaires Behauptung des Dandys zwischen eigenen Idealvorstellungen und der Beschreibung von nicht eindeutig rekonstruierbaren, aber existenten Bildern Guys oszilliert. Diese Vermischung von Ideal und Wirklichkeit prägt nicht nur die Argumentationsweise, sondern ist vor allem in dem Grundgerüst von Baudelaires Konzeption des Dandys wiederzufinden. Demzufolge sind zwei Interpretationen zu überprüfen, die, beide weit verbreitet, jeweils einen einzelnen der beiden Aspekte betonen. Zum einen Bourdieus Interpretation eines baudelaireschen Dandyismus, der dem Ideal des art pour l’art verhaftet ist, zum anderen Benjamins Interpretation des Dandys als Großstadtflaneur. Zugunsten Bourdieus These lässt sich feststellen, dass Baudelaire, ähnlich wie Gautier, bestrebt ist, den Dandyismus explizit vom utilitaristischen Denken des Bürgertums abzugrenzen. Er stellt als zentrale Bedingung für den Dandyismus den materiellen Reichtum und die Muße dar und betont, dass dies ebenso Voraussetzung für die Suche nach der Erfüllung in der Liebe sei. Mische sich die Liebe allerdings mit der Notwendigkeit des Gelderwerbs, verkomme sie zu einer Ehepflicht, einer spießbürgerlichen Orgie oder zu einer »répugnante utilité« (S. 709 f.). »Un dandy ne fait rien« schreibt er in den Fusées (Bd. I, S. 684), und lässt dort auf die zu Beginn der Arbeit zitierte Frage »Éternelle supériorité du Dandy. Qu’est-ce que le Dandy?« (Bd. I, S. 682), chiastisch folgen »Dandysme. Qu’est-ce que l’homme supérieur?« (Bd. I, S. 689) Die Überlegenheit des Dandys, welche die chiastische Konstruktion ausdrückt, wird im Sinne des honnête homme begründet mit: »Ce n’est pas le spécialiste. C’est l’homme de Loisir et d’Éducation générale.« (Bd. I, S. 689) Indem er auch im Peintre von den »dons célestes que le travail et l’argent ne peuvent conférer« (S. 711) spricht, konzipiert er Dandyismus somit als eine Form des aristokratischen Müßiggangs, der für die bürgerliche Anstrengung unerreichbar bleibt. Baudelaire spricht allerdings von einer »espèce nouvelle d’aristocratie« (S. 711), die sich in einer ästhetischen Veranlagung und nicht der Geburt manifestiere. Hier folgt Baudelaire Gautier, der ihm Bilder von Guys schenkte, und Guys ebenfalls als aristokratischen Dandy bezeichnet: »Guys exprimait, à se faire approuver par un Brummel, le haut dandysme et les grandes allures aristocratiques de la duckery […].«271 Während Grundvoraussetzung für die Behauptung des Autors im literarischen Feld in England die Abkehr von Byrons aristokratischem Dandy war, geht es also bei Gautier und Baudelaire umgekehrt eben um die Behauptung des Dandys als Aristokraten. Folglich schreibt Baudelaire im Gegensatz zu den Autoren, welche das Ende des byronschen Dandys in England beschwören: »Les dandys chez nous se font de plus en plus rares tandis que chez nos voisins, en Angleterre, l’état social et la constitution […] laisseront longtemps encore une place aux héritiers de Sheridan, de Brummel et de Byron.«272 270 271

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Pichois: Baudelaire et Constantin Guys, S. 26. Gautier: Souvenirs Littéraires, S. 259. Er ergänzt, dass Baudelaire durch ihn Bekanntschaft mit Guys geschlossen und er Baudelaire aus seinem Besitz von 60 Bildern von Guys einige vermacht habe (S. 260). Baudelaire: Peintre, S. 712. Auch Bulwer-Lyttons Pelham, der noch im Erscheinungsjahr 1828 auf Französisch erschien und von Roger de Beauvoir in Ecolier de Cluny (1832) als »fleur du dandysme« angepriesen wurde (S. xv,

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Angesichts der in Bezug auf den habit noir erwähnten Demokratisierung, ist der Dandyismus allerdings zum Scheitern verurteilt und lediglich der »dernier éclat d’héroïsme dans les décadences« (S. 711), Borsò spricht vom »Fortschrittspessimismus« des Dandys273 und Cassagne stellt den Dandy als Verkörperung der aristokratischen Suche nach dem Schönen in den Dienst des art pour l’art, der den Bourgeois verachte weil dieser der Suche nicht nachgehen könne: »[L]e dandy de Baudelaire […] est plutôt le survivant des aristocraties diminuées et finissantes; il aspire moins à régner qu’à abdiquer pour se renfermer dans un isolement superbe, mais impuissant.«274 Cassagne, der die Suche nach dem Ideal betont, verschweigt dabei indes, dass Baudelaire den Dandy gleichzeitig als eine neuartige, ›moderne‹ Erscheinung darstellt, die keineswegs in stolzer Isolation gelebt wird: Denn Baudelaire zufolge verdiene Guys sich das Attribut »dandy« durch subtile Kenntnis des »mécanisme moral de ce monde«, also durch tief greifende Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit (S. 687). Zudem bezeichnet er Guys als Flaneur, der, wie auch Benjamin schreibt, sich die Straße zur Wohnung macht.275 Da die Figur des Flaneurs im Forschungsdiskurs oft als Entwicklung Baudelaires dargestellt wird, sollte beachtet werden, dass dies bereits in den 1840er Jahren eine populäre Erscheinung war. Bereits die 1841 erschienene Physiologie du Flâneur von Louis Huart nimmt diese elementar-literarische Figur auf und betont, ebenso wie Baudelaire, der Flaneur benötige »de la poésie du cœur […] et enfin de l’imagination« und folgert: »Le flâneur compose tout un roman, rien que sur la simple rencontre en omnibus d’une petite dame au voile baissé […].« (S. 55) Baudelaire elaboriert diese elementare Figur allerdings, indem er die leicht ironische Darstellung des Flaneurs als allgemeine Suche nach dichterischer Imagination von Huart in ein konkretes ästhetisches Projekt umdeutet: »[C]et homme tel que je l’ai dépeint […] a un but plus élevé que celui d’un pur flâneur, un but plus général, autre que le plaisir fugitif de la circonstance. Il cherche ce quelque chose qu’on nous permettra d’appeler la modernité.« (S. 694) Auch wenn, oder gerade weil diese Suche nach modernité bei Baudelaire zu Genüge untersucht wurde,276 ist zu erwähnen, dass die Modernität, die er in Bezug auf den Dandy auch im Zitat des habit noir unterstreicht, nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern Teil eines zweiteiligen Konzepts der Kunst ist, das er zuvor etabliert hat: »La modernité, c’est le transitoire, le fugitif, le contingent, la moitié de l’art, dont l’autre moitié est l’éternel et l’immuable.« (S. 695) Das Kunstkonzept Baudelaires setzt sich also aus einem ewigen, unveränderlichen Ideal und einem gegenwärtigen, volatilen Bestandteil zusammen, das sich wie ein roter Faden durch den Aufsatz zieht. Demnach ist Guys einerseits als Dandy Mitglied einer »institution […] très ancienne« (S. 709), andererseits als Flaneur auf der Suche nach Modernität. Umgekehrt bezeichnet Baudelaire Delacroix als »génie complet«, weil er ne-

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vgl. Prevost: Dandysme, S. 108), rezipierten die Franzosen anders als die Engländer positiv als aristokratischen Dandy. Gustave Planche etwa schreibt, Pelham, das »manuel du dandysme« sei Modell für alle, die sich dem aristokratischen Müßiggang hingeben können (Planche: Poètes, S. 551 f.). Borsò: Die Aporie von Eros und Ich-Kult, S. 129. Cassagne: La Théorie de l’Art pour l’Art, S. 186, vgl. 184. Baudelaire: Œuvres, Bd. II, S. 691, vgl. Benjamin: Charles Baudelaire, S. 539. Vgl. u.a. Borsò: Baudelaire, Benjamin et la/les modernité/s, S. 124, Kopp: Mythe, moderne et modernité, S. 44, Pichois: La Modernité de Baudelaire.

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ben seiner künstlerischen Genialität sich ebenso den »vanités les plus matérielles du dandysme« gewidmet habe (S. 759). Der Dandy verkörpert demnach einmal das ideale, einmal das materielle Element und wird selbst an anderer Stelle als Kombination von Ideal und Manifestation in der Wirklichkeit definiert, wenn Baudelaire von »le dandy, suprême incarnation de l’idée du beau transportée dans la vie matérielle« (S. 326) spricht und demnach betont, dass der Dandy in der Lage sei, das Ideal des Schönen durch die Materialität seiner Kleidung zu verkörpern. Die Verschachtelung dieser doppelseitigen Kunstkonzeption sieht den Dandy folglich zum einen als Ausdruck des Ideals, zum anderen als materielle Realität und zum dritten schließlich als Kombination von idealer Schönheit und konkreter Lebenssituation. Dabei fasst Baudelaire das Schöne selbst wiederum als Kombination von Ideal und Wirklichkeit auf: »Le beau est fait d’un élément éternel, invariable, dont la qualité est excessivement difficile à déterminer, et d’un élément relatif, circonstanciel […].« (S. 685) Dieser ewige Bestandteil der Schönheit speist sich gleichermaßen aus Ideal und Wirklichkeit. So arbeitet Baudelaire einerseits den wirklichen Aspekt des Ideals heraus und unterstreicht andererseits das Ideal im konkreten, scheinbar völlig wechselbaren Phänomen der Mode, die ebenso aus einem veränderlichen und fortdauernden Teil besteht und als immer wieder in neuen Erscheinungen auftretendes »symptôme du goût de l’idéal« zu sehen sei (S. 716). Er lobt an Guys Darstellung der Mode: »Il s’agit, pour lui, de dégager de la mode ce qu’elle peut contenir de poétique dans l’historique, de tirer l’éternel du transitoire.« (S. 694) In ihren unterschiedlichen historischen Erscheinungsformen berge die Mode also ein überzeitliches Ideal, das Guys herausarbeitet. Diese Kombination von ewiger Schönheit und vergänglicher Materialität gibt eine andere Antwort auf die Frage nach Ideal und Wirklichkeit als die romantische Ironie. Anstatt beide Elemente auf ambivalente Weise zu ironisieren, räumt sie beiden affirmativ einen Platz ein, indem sie eine komplex verschachtelte Verbindung beider als Ausgangspunkt für die Definition sowohl der Schönheit, der Mode, der künstlerischen Verdienste Guys als auch des Dandys und der Kunst nimmt. Baudelaire spricht in diesem Sinn von einer zeitgemäßen Darstellung der Moderne, die nicht ausschließlich realistisch ist, sondern eine »idéalisation forcée« beherbergen solle (S. 694). An Guys lobt er, dass dieser, da er aus dem Gedächtnis male, nur die Höhepunkte erinnere und somit eine »traduction légendaire de la vie extérieure« im Sinne einer imaginierten Übersetzung liefere (S. 698). Foucault kommentiert Baudelaires Konzeption der Modernität: »Pour l’attitude de la modernité, la haute valeur du présent est indissociable de l’acharnement à l’imaginer, à l’imaginer autrement qu’il n’est et à le transformer non pas en le détruisant, mais en le captant en ce qu’il est.«277 277

Foucault: Qu’est-ce que les Lumières, S. 570. Auch Pichois und Launay betonen die »imagination qui invente cette beauté moderne que nul copieur réaliste et minutieux ne pourra découvrir« (Pichois: La Modernité de Baudelaire, S. 206). Da Baudelaire keine reine Beschreibung des modernen Lebens anstrebt, ist die Untersuchung Baudelaires als »sociologue de la modernité«, die Coblence vornimmt, auch in der historischen Relativierung des Begriffs problematisch (vgl. Coblence: Sociologue, S. 11). Die Verbindung von Wirklichkeit und Ideal lässt sich auch in den Fleurs du Mal oder dem Spleen de Paris wiederfinden. Denn auch wenn Benjamin schreibt, »[d]ie Poetik des l’art pour l’art geht bruchlos in die aesthetische Passion der Fleurs du mal ein« (Benja-

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Zwar bestätigt dies die von Bourdieu beschriebene Abgrenzung Baudelaires von den realistischen Darstellungen der Bohème, doch ist zu bedenken, dass andererseits die Suche nach der konkreten Wirklichkeit im Widerspruch steht zu dessen Interpretation von Baudelaire als Vorreiter des selbstgenügsamen l’art pour l’art.278 Schließlich meint Baudelaire selbst: »Pour le croquis des mœurs, la représentation de la vie bourgeoise et les spectacles de la mode, le moyen le plus expéditif et le moins coûteux est évidemment le meilleur.« (S. 686) Explizit gibt er somit die vie bourgeoise als das Thema der Kunst an und er nennt als Vorbild für zeitgenössische Sittengemälde mit schnellem Strich Balzac und Guys (S. 687). Auch Gautier hält die Maler dazu an, die zeitgenössische Mode, insbesondere den habit noir darzustellen.279 Somit situieren sich beide entgegengesetzt zu l’art pour l’art, über das Bourdieu als repräsentatives Merkmal das Vorhaben von Flaubert angibt, ein Buch über nichts zu schreiben und alle »marqueurs sociaux« aus der Literatur zu verbannen.280 So wie die Faszination an der Gegenwart sich also nicht mit der Konzeption des art pour l’art als reine Suche nach dem Ideal vereinbaren lässt, ist nun die Interpretation Benjamins als hingebungsvolle Auseinandersetzung mit der Modernität zu relativieren.

5.6.2 Die Ironie des Flaneurs Wie bekannt ist, sieht Benjamin insbesondere in Baudelaires Poème en Prose »Perte d’auréole« eine allegorische Darstellung des Flaneurs. Im PassagenWerk folgert er aus dem Gedicht, in dem sich das lyrische Ich nach dem Verlust seines Heiligenscheins inkognito promeniert, der Poet sei gezwungen, »sich in eigener Person auf dem Markt auszustellen« (S. 422 [J 59, 7]. Anstelle einer Loslösung des literarischen vom ökonomischen Feld müsste hier folglich die Verschmelzung beider Felder konstatiert werden, bei der der Poet nicht nur seine Werke, sondern auch sich selbst im ökonomischen Feld zu präsentieren hat. Allerdings lässt Baudelaires Ironie es fragwürdig erscheinen, die Ankündigung des lyrischen Ichs, sich in der Masse zu promenieren à la lettre zu nehmen, wie es Benjamin tut. So wie Graham Robb, Michel Viegnes und Silvia Disegni grundsätzlich in den Poèmes en Prose den Versuch einer dialektischen Aufhebung des Antagonismus zwischen Poesie und Journalismus, Ideal und Wirklichkeit wieder erkennen,281 lässt sich in Perte d’auréole eine doppelte Bestätigung und gleichzeitige Ironisierung beider Positionen aufzei-

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min: Passagen-Werk, S. 422 [J 59, 6]), schildern diese Gedichte ganz im Sinne des ersten Teils »Spléen et Idéal« ebenso Ideal wie Hässlichkeit des Alltagsleben (vgl. Einfalt: Zur Autonomie der Poesie, S. 238), wie auch die Einleitung des Spleen de Paris eine wohlgemerkt abstrahierende »description de la vie moderne« verspricht (Baudelaire: Œuvres, Bd. I, S. 275, vgl. Robb: Baudelaire, S. 15). Vgl. für eine weitergehende Analyse in Bezug auf »Le Cygne« Schlossmann: Baudelaire sowie für den Spleen de Paris: Viegnes: Faits divers et choses vues. Bourdieu: Les règles de l’art, S. 100, 76. Gautier: De la Mode, S. 17 ff., vgl. Godfrey: Baudelaire, Gautier, S. 80 f., zum Zusammenhang von Mode und Modernität vgl. Lehnert: Mode. Bourdieu: Champ du pouvoir, champ intellectuel et habitus de classe, S. 22. Vgl. Robb: Les origines journalistiques, S. 17, Disegni: Les poètes journalistes, S. 88, Viegnes: Faits divers et choses vues, S. 100.

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gen: einerseits des idealen Status des Künstlers in der Gesellschaft, symbolisiert durch den Heiligenschein und andererseits seiner wirklichen Situation in der Hektik der Großstadt. Das Bild der auréole lässt sich dabei als ironische Überspitzung des Anspruchs des Künstlers sehen, verehrt zu werden. Das lyrische Ich sieht sich nicht als »simpl[e] morte[l]« und diese Vergötterung wird neben der christlichen auch mit antiker Mythologie hyperbolisch gesteigert, wenn es als »mangeur d’ambroisie« apostrophiert wird, d.h. als Genießer der Nahrung der olympischen Götter und dem Quell der Unsterblichkeit.282 Diese Überhöhung des lyrischen Ichs wird wieder gebrochen, wenn es aus dem Verlust folgert: »Et me voici, tout semblable à vous, comme vous voyez!«283 Der Heiligenschein symbolisiert nicht (oder nicht nur) den göttlichen Anspruch des lyrischen Ichs, sondern wird als konkretes Attribut auf die äußere Erscheinung reduziert und dergestalt wird die Distinktion des Dichters gegenüber der Masse wieder gebrochen. Der Vorschlag, den Verlust beim commissaire zu melden und die groteske Situation, die sich das lyrische Ich vorstellt, ein schlechter Dichter könne sich mit dem Schein schmücken, macht diese Reduktion des Heiligenscheins auf den Status als Kleidungsstück deutlich, das wie ein aufzusetzender Hut behandelt wird: »[Q]uelque mauvais poète la ramassera et s’en coiffera impudemment«. Ebenso wie das Ideal einer allgemeinen Bewunderung des Künstlers also ironisiert wird, präsentiert sich umgekehrt das Projekt des lyrischen Ichs, sich dem Großstadtleben zu öffnen, nicht in einem ausschließlich gutem Licht, denn dieses Leben wird als »terreur« bezeichnet und die Großstadt mit Attributen wie »boue«, »fange du macadam« und »crapule« im Wortsinn ›durch den Dreck gezogen‹.284 Tatsächlich wird das lyrische Ich im folgenden Gedicht »Mademoiselle Bistouri« nicht als Dichter erkannt und von einer Frau belästigt, die es für einen Arzt hält (Bd. 1, S. 353), sodass es sich im wiederum folgenden Gedicht wünscht, es wäre »Any where out of the world.« (Bd. 1, S. 356) Wenn Fiske vom »Byronesque dandyism of Baudelaire who depicts the artist/priest as alone and aloof amid the uncomprehending crowd of humanity« spricht,285 deutet sie an, dass dieses Paradox bereits in der Selbstbehauptung Byrons zu finden ist, der sich friktional als einsamer und unverstandener Held vor großem Publikum inszeniert. Diesem Paradox wird Baudelaire durch doppelte Ironisierung gerecht, die in Perte d’auréole dazu führt, dass die Idealisierung des Künstlers in l’art pour l’art sowie die Auseinandersetzung mit der Realität des art social gleichzeitig gelobt und verworfen werden. Auch in anderen Schriften Baudelaires ist eine ambivalente Positionierung zu diesen beiden Kräften des literarischen Felds zu beobachten. Anders als Benjamin, der Baudelaires wechselnde Beurteilung des art pour l’art als Ausdruck der Sprunghaftigkeit der Zeit ansieht,286 möchte ich dies vor dem Hintergrund seiner doppelseitigen Kunstkonzeption sehen, die einerseits die Faszination an der Großstadt, andererseits die Idealisierung der Literatur be282 283 284

285 286

Baudelaire: Œuvres, Bd. I, S. 352, vgl. Robert, Bd. I, S. 425. Baudelaire: Œuvres, Bd. I, S. 352. Alle im Fließtext folgenden Zitate aus Perte d’auréole ebd. In der Version der Fusées hebt das lyrische Ich den Heiligenschein wieder auf und verzichtet auf das Inkognito, beunruhigt von einer bösen Vorahnung (Bd. I, S. 659). Drouart-Fiske: Romantic irony, S. 86. Benjamin: Charles Baudelaire, S. 514.

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inhaltet. So schreibt Baudelaire im Artikel »Théophile Gautier« über Mademoiselle de Maupin, den Begründungstext des art pour l’art: »Ce roman […] avait surtout ce grand résultat d’établir définitivement la condition génératrice de l’art, c’est-à-dire l’amour exclusif du Beau, l’Idée fixe.« (S. 11) Er folgert, die Poesie sei nicht »utile« und betont im Sinne des Autonomiebestrebens der Kunst: »La Poésie […] n’a pas d’autre but qu’Elle-même […].« (S. 113) Seine Konsekration der Poesie wird hier nicht zuletzt durch die Großschreibung unterstützt. Er ergänzt, dass, auch wenn die Poesie der Verfeinerung der Sitten diene, dies nicht ihre Aufgabe sei, denn »le principe de la poésie est, strictement et simplement, l’aspiration humaine vers une Beauté supérieure […].« (S. 114) Baudelaire zitiert darauf seinen eigenen Aufsatz »Notes nouvelles sur Edgar Poe«, in dem er von »l’idée de l’utilité, la plus hostile du monde à l’idée de beauté« spricht.287 Während er hier kompromisslos die Suche nach dem ästhetischen Ideal der Literatur betont, bemerkt er an anderer Stelle lakonisch: »L’art est-il utile? Oui. Pourquoi? Parce qu’il est l’art.«288 Dann erläutert er, dass sowohl art bourgeois wie art social einen Nutzen für die Literatur veranschlagen und gibt selbst ihren Nutzen darin an, den vice weder bürgerlich-moralisierend, noch ausschließlich unter sozialen oder sozialistischen Gesichtspunkten darzustellen. In seinem Artikel »Pierre Dupont«289 spricht er von der »puérile utopie de l’art pour l’art«, welche durch Ausschluss von Moral und Leidenschaft steril sei (S. 26). Demgegenüber ziehe er den Dichter vor, der mit den Menschen seiner Zeit kommuniziere, denn seit der Revolution von 1830 stehe fest: »[L]’art fut désormais inséparable de la morale et de l’utilité.« (S. 27) Benjamin, der diese Äußerung in »Charles Baudelaire. Ein Dichter im Zeitalter des Hochkapitalismus« noch als merkwürdig bezeichnet (S. 527), kommentiert im Exposé zum PassagenWerk: »Die Kunst, die an ihrer Aufgabe zu zweifeln beginnt und aufhört, ›inséparable de l’utilité‹ zu sein (Baudelaire), muß das Neue zu ihrem obersten Wesen machen«; ähnlich, so ergänzt er, wie es der Dandy auf dem Gebiet der Mode mache (S. 55 f.). Diese Ambivalenz zwischen Ablehnung und Forderung eines gesellschaftlichen Nutzen der nur wenige Monate auseinander liegenden Arbeiten (zwischen August 1851 und März 1852) ist als Ausdruck der doppelten Kunstkonzeption Baudelaires zu sehen. Im gleichen Maße wie dem ewigen Bestandteil der Kunst die Suche des art pour l’art nach dem Ideal entspricht, muss dem gegenwärtigen Bestandteil durch Öffnung für die Realität Rechnung getragen werden. Dies führt dazu, dass Baudelaire mal die Suche nach dem Ideal, mal die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit in der Kunst fordert. Daraus folgernd möchte ich allerdings nicht analog zu Bourdieus double refus von art social und art bourgeois von einem triple refus sprechen, welche l’art pour l’art einschließt.290 Denn obschon alle drei ironisiert, werden sie doch, das art bourgeois ausgeklammert, ebenso affirmiert, sodass von einer double affirmation zu sprechen ist, die – gemäß der de certeauschen Taktik immer changierend – sowohl das ewige Ideal, wie die Auseinandersetzung mit der Realität sucht. Diese doppelte Affirmation, die in der 287 288 289 290

Vgl. Baudelaire: Théophile Gautier, S. 114, Baudelaire: Œuvres, Bd. II, S. 328. Baudelaire: Œuvres, Bd. II, S. 41. Vgl. zur Freundschaft zu diesem Martin: Les Romantiques, S. 246. Vgl. Coblence: Obligation d’incertitude, S. 258.

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Perte d’auréole nach dem Vorbild Byrons und Gautiers ebenso doppelt gebrochen wird, ist Ausgangspunkt der Behauptung Baudelaires.

5 . 7 D i e P o si ti o n v o n W i l d e »I amused myself with being a flâneur, a dandy, a man of fashion«, schreibt Oscar Wilde in De Profundis (S. 46), einem Brief an seinen Freund Alfred Douglas, den er während seines Gefängnisaufenthalts in Reading Prison schrieb und den Robert Ross 1905, vier Jahre nach Wildes Tod veröffentlicht.291 Wildes Einklammerung des Dandys zwischen man of fashion und Flaneur deutet bereits an, dass seine Behauptung als Autor weniger eine innovative Neuschreibung, als vielmehr eine intertextuelle Verarbeitung von einem Großteil der zuvor behandelten Autoren von Byron bis Baudelaire auszeichnet, sodass man Bell-Villadas Feststellung, Wildes Stärke liege weniger in der Weiterführung als in der Popularisierung von Walter Paters Gedanken,292 auf die Gedanken der hier relevanten Autoren übertragen kann. Wie bereits angedeutet, ist Wilde, wie alle anderen englischen Autoren darum bemüht, sich des Einflusses von Byron zu erwehren. Im Kontext seiner Selbstdarstellung als Dandy schreibt er in De Profundis: »I was a man who stood in symbolic relations to the art and culture of my age. […] I felt it myself, and made others feel it. Byron was a symbolic figure, but his relations were to the passion of his age and its weariness of passion. Mine were to something more noble, more permanent, of more vital issue, of larger scope.« (S. 44 f.) Wilde spielt auf einen ähnlichen Lebensweg an, da er ähnlich wie Byron wegen seiner sexuellen Vorlieben von der Gesellschaft verurteilt wurde – und später ebenso im Exil sterben wird.293 Vor allem aber behauptet er seine besondere Rolle als Künstler in der Gesellschaft, die ihn Byron annähert und diesen übertreffen lässt, eine Behauptung, deren Begründung im Verlauf dieses Kapitels zu erbringen ist.294 Bevor er sich als Dandy, Flaneur und man of fashion präsentiert, erläutert er in der Tat in Bezug auf die Rezeption seiner Werke, dass er im Modus des byronschen parêtre im Zentrum der Aufmerksamkeit stand: »I treated art as the supreme reality and life as a mere mode of fiction. I awoke the imagination of my century so that it created myth and 291

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Auch Zeitgenossen wie Anna de Brémont beschreiben ihn als »resplendant dandy« (zit. n. Mikhail: Wilde, Bd. I, S. 133, vgl. Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 227 f.). Bell-Villada: Art for Art’s Sake, S. 88. Zur Bedeutung der Homosexualität als symbolisches Kapital bei Wilde und Byron vgl. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 206-246, zum Prozess gegen Wilde wegen ›Sodomie‹ vgl. Meyer: Under the sign of Wilde, S. 90-99. In The Soul of Man under Socialism behauptet er gemäß seiner Ausgangsthese, Individualismus könne sich im Sozialismus besser entfalten als im Kapitalismus, dass Byron seine Energie im Kampf gegen die Hypokrisie der Philister verschwendet habe und folgert: »Byron was never able to give us, what he might have given us.« (S. 257, vgl. Schmid: Byron and Wilde, S. 88) Auch in seinen Essays and Lectures ist er bemüht, die Größe Byrons herunterzuspielen: Zwar räumt er ein, dass ein moderner Dichter kein Bücherwurm sein soll, sondern wie Byron Held und Dichter zugleich (S. 40), jedoch kritisiert er, Byron fehle die ruhige Gelassenheit, die ein Kunstwerk auslösen soll (S. 56).

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legend around me.« (S. 46) Wilde bestätigt, dass er sich ebenso wie Byron durch seine Protagonisten inszeniere und insofern merkt McCormack an, das Fehlen eines »sincere self« sei Grundlage des Werkes von Wilde und sieht die Figur des Dandys als Inbegriff einer solchen »mask without the face«, verkörpert insbesondere von Lord Goring, der in An Ideal Husband als »mask with a manner« und Repräsentant der Dominanz von Form über Inhalt vorgestellt wird.295 McCormack überträgt dieses Prinzip auf den Autor Wilde, der sich durch die Rezeption seiner Person und seines Werkes definiere und formuliert in Anspielung auf obiges Zitat ein ähnliches byronsches parêtre: »Oscar Wilde chose to play the part of himself, larger than life, as a Byronic hero who stood in symbolic relations to his age.« (S. 267) Dass Wildes Darstellung seiner Selbst größer als das Leben war, deutet auf eine byronsche Verschmelzung von Leben und Werk, deren Hintergründe es nun zu erläutern gilt. Denn wenn Schmid in diesem Sinn schreibt, dass sich Wilde und Byron als »Gesamtkunstwerke« – man denke an Brummells Performanz– in der Gesellschaft präsentieren, in denen Werk und Person verschmelzen,296 muss eine historische Veränderung verdeutlicht werden, die das Verdienst zweier Dandys ist. Denn tatsächlich wurde unter der Mithilfe von den Politikern BulwerLytton und Disraeli die Besteuerung von Werbung aufgehoben, demzufolge im allgemeinen Zuwachs an Werbung auch Wilde sich vermarkten konnte.297 Seine Lesereisen durch England (auch diese selbst ein Effekt seiner Kommerzialisierung) wurden mit großen Plakaten angekündigt – »He is coming!!! Who is coming??? Oscar Wilde!!! The great Aesthete!!!« – und endeten mit seiner Selbsternennung zum »Professor of Aesthetics«298. Bereits nach der Veröffentlichung seiner ersten Gedichte 1881 lässt Wilde eine Annonce aufsetzen, die dem eher mäßigem Erfolg seines Werkes zum Trotz verkündet, er würde aufgrund der Exzellenz seiner Verse eine Lesereise nach Amerika antreten. Eine Reise zu dem großen »back door market«299, die Meisel als Ausgangspunkt seiner Studie The Cowboy and the Dandy nimmt (S. 5). Anders als die Protagonisten des literarischen Feldes wie Flaubert oder Baudelaire, erfährt Wilde indes keine Konsekration durch einen Literatenkreis. Seine Teilnahme am Künstlerkreis um das Yellow Book findet bald ein Ende, und er sieht sich, nicht zuletzt durch seine kommerzielle Vermarktung, Spott und Anfeindungen seiner Künstlerkollegen ausgesetzt. Beerbohm ironisiert 1894 mit seinem ersten Beitrag im Yellow Book noch in einem satirischen Ton Wildes allzu starke Nachahmung seiner Vorbilder,300 während der 295 296 297

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McCormack: Masks without faces, S. 254 f. Schmid: Byron and Wilde, S. 81. Vgl. Gagnier: Idylls of the Marketplace, S. 52 ff. Gagnier betont, dass die exzessive Werbung Wildes nicht mit seinen in The Soul of Man geäußerten sozialistischen Ideen in Widerspruch stehen, sondern dem Anspruch entsprachen, das Volk zu erreichen. Zit. n. Moers: Dandy, S. 298, 295. Moers: Dandy, S. 297. Vgl. Moers: Dandy, S. 320. Im Aufsatz »1880« kommentiert Beerbohm die Bewegung des Ästhetizismus an deren Spitze er Wilde stellt, äußerst kritisch (S. 40). Wenn er eine neue Art von Dandys, die »Mashers« behauptet, über die er sagt: »Unlike the dandies of the Georgian era, they pretended to no classic taste and, wholly contemptuous of the Æsthetes, recognised no art save the art of dress« (S. 45) bringt dies eine Abkehr vom künstlerischen Ästheti-

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Maler James McNeill Whistler in einem Brief in der Zeitschrift The World vom 17.11.1886 ihn sehr viel direkter des Plagiats beschuldigt und ihn aus dem Kreis der Künstler verbannt: »What has Oscar in common with Art? except that he dines at our tables and picks from our platters the plums for the pudding he peddles in the provinces. Oscar […] has the courage of the opinions of others.«301 Die groteske Alliteration auf p verstärkt den Vorwurf, er würde aus den künstlerischen Ideen der anderen in der Provinz Profit schlagen und mangelnde künstlerische Begabung durch seine kommerzielle Vermarktung kompensieren. Deswegen mag es auf den ersten Blick erstaunen, dass sich in Wildes Texten ein klares Bekenntnis zu l’art pour l’art findet, das Bell-Villada in Art for Art’s Sake auflöst, indem sie Wilde als den nichtpraktizierenden, dennoch brillantesten Theoretiker des art pour l’art bezeichnet (S. 86). Denn wo Gautier und Baudelaire sich in Ambivalenz windend um einen adäquaten Umgang mit dem ›kommerziellen‹ Medium Zeitung rangen, sieht Wilde tatsächlich, etwa in »The Artist as Critic«, den journalistischen Kritiker als idealen Ästheten: »Criticism is itself an art.« (S. 364) Allerdings widerspricht Moe Meyer dem etwas voreiligen Schluss, dass Wilde die Theorie des art pour l’art nicht in die Praxis umsetzte, wenn sie an Wildes Auseinandersetzung mit dem von seinem amerikanischen Produzenten Mackaye weiterentwickelten Stimm- und Ausdruckstraining von François Delsarte erinnert, in dem sie Wildes Willen bestätigt sieht, sich als »apostle of the art for art’s sake movement« besser inszenieren und vermarkten zu können.302 Dieser paradoxe Vorgang der Kommerzialisierung des art-pourl’art-Gedanken, erzeugt eine Spannung zwischen Kommerzialisierung und Autonomiebestreben der Kunst, für die sich die friktionale Selbstbehauptung Wildes in seinen Werken als zentrales Bindeglied erweist.

5.7.1 Die Friktion zwischen Leben und Werk In Wildes Dorian Gray fallen auf den ersten Blick eine Reihe von Querbezügen auf andere friktionale Behauptungen auf. Vivian Grey, der Roman des mit Wilde befreundeten Disraeli, liefert den Nachnamen für Dorian Gray und tatsächlich wird Dorian als »young dandy« bezeichnet (S. 66) und von seinen Kameraden in seiner Art sich zu kleiden bewundert. Byron wiederum wird Reverenz erwiesen, als Dorian die »fashionable young men« in sein Haus in Nottinghamshire einlädt (S. 141), in dem die von Moore dargestellten Feste in Byrons Domizil Newstead Abbey stattfanden.303 Nach dem Vorbild von Vivian Grey äußert Dorian allerdings den Anspruch, mehr als nur ein Dandy zu sein: »to be something more than a mere arbiter elegantiarum, to be consulted on the wearing of a jewel, or the knotting of a necktie […].« (S. 129 f.)

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zismus zum Ausdruck. Indem die Kleidung als Kunst behauptet wird, kann er die Mashers so in Variation des art pour l’art als Anhänger der Kleidung um der Kleidung Willen behaupten. So kürt er in »Dandies and Dandies« Brummell als Vorbild für die Kunst der Kleidung: »[I]t is as an artist, and for his supremacy in the art of costume, and for all he did to gain the recognition of costume as itself an art […] that I do most deeply revere him.« (S. 9). Zit. n. Gagnier: Idylls of the Marketplace, S. 84, zur negativen Rezeption Wildes auch bei Beardsley und Beerbohm vgl. Schönfeld: Der deformierte Dandy, S. 201-223. Meyer: Under the sign of Wilde, S. 80. Vgl. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 243.

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Das Echo auf die Emanzipation des disrealischen (und bulwerschen) Dandys von der Neckclothitania wird allerdings nicht mit politischen, sondern mit ästhetischen Ambitionen begründet. Dies wird deutlich, wenn es in direktem Bezug auf Gautier und indirektem Verweis auf Baudelaire über Dorian heißt: »Like Gautier, he was one for whom ›the visible world existed.‹ And, certainly, to him Life itself was the first, the greatest, of the arts, and for it all the other arts seemed to be but a preparation. Fashion, by which what is really fantastic becomes for a moment universal, and Dandyism, which, in its own way, is an attempt to assert the absolute modernity of beauty, had, of course, their fascination for him.«304

Dorians Sinn für Ästhetik wird so mit Gautiers Faszination für ästhetische Eindrücke verglichen, wie er sie in diesem Wortlaut am 1.5.1857 gegenüber den Goncourts zum Ausdruck bringt.305 Die Definition des Dandyismus als Versuch, die Modernität des Schönen zu erreichen, wiederholt Baudelaires Definition des Dandys, die Wilde auch im Theaterstück A Women of No Importance aufnimmt.306 Neu in Dorian ist die Darstellung des Lebens als größte Form der Kunst, auf welche die anderen Künste nur hinarbeiten, und dessen Stellenwert durch die Großschreibung unterstrichen wird. Wo etwa Schlegel von einer »Universalpoesie« träumt, die zu einem »Spiegel der ganzen umgebenden Welt« werden soll,307 ist es für Wilde schlicht das Leben, welches die Kunst zum Ausdruck bringen solle. Wildes von André Gide notierter Ausspruch, er habe sein Genie in das Leben und nur sein Talent in das Werk gelegt,308 spitzt das byronsche parêtre zu, indem er die Kunst nicht als Ausdruck des Lebens sieht, sondern umgekehrt das Leben als Kunst. Dies könnte erklären, warum Wilde, wie oben erwähnt, seine symbolische Beziehung zur Gesellschaft über diejenige von Byron stellt, weil er meint, dessen friktionale Inszenierung noch steigern zu können, indem er das Leben als das wahre Kunstwerk behauptet. Wie Byron nimmt Wilde jedenfalls die friktionale Identifizierung mit seinem Protagonisten vor, wenn er über sich in wörtlicher Übereinstimmung zu Dorian Gray in De Profundis schreibt: »Like Gautier, I have always been one of those ›pour qui le monde visible existe.‹« (S. 163) Verstärkt wird diese Friktion dadurch, dass Wilde selbst in seiner Vorlesung The English Renaissance Gautiers These der »consolation des arts« als Möglichkeit der Kunst bezeichnet, dem verzweifelten Menschen ein 304 305

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Wilde: The Picture of Dorian Gray, S. 129. Goncourt: Journal, Bd. I, S. 182, vgl. Wilde: Dorian, S. 244 FN. Zum monde visible vgl. Court-Pérez: Gautier, un romantique ironique, S. 109. Bereits in Mademoiselle de Maupin schreibt Albert seinem Freund Silvio: »Tu sais avec quel amour […] je me suis pris pour le monde visible.« (S. 358). Dort sagt Lord Illingworth zu Gerald: »[T]o be modern is the only thing worth being nowadays. You want to be modern, don’t you, Gerald? […] Well, what you have to do at present is simply to fit yourself for the best society. A man who can dominate a London dinner-table can dominate the world. The future belongs to the dandy.« (Wilde: Plays, S. 115) Vgl. dazu die Behauptung Wildes: »I took the drama, the most objective form of art, and made it as personal a mode of expression as the lyric or the sonnet.« (Wilde: Profundis, S. 45). Schlegel: Kritische Ausgabe, Bd. II, S. 182 [116], vgl. Strohschneider: Romantische Ironie, S. 57. Gide: Journal, S. 389, vgl. Eichler: Dandytum und Narzißmus, S. 154.

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»secure house of beauty« zu bieten,309 denn auch Dorian liest Gautier und spricht von der »consolation des arts« (S. 110). Zudem wird eben dieses Trösten der Kunst dann in Kapitel 14 fiktional demonstriert, wenn sich Dorian mit der Lektüre von Gautiers Émaux et Camées von seinem Mord an Basil Hallward abzulenken versucht (S. 163 ff.). Die friktionale Verschmelzung der Ebenen lässt Vivian folglich die Positionen von Gautier und Wilde äußern, um diese These dann in der Handlung des Romans zu verarbeiten. Diese Friktion kulminiert in Wildes berühmtem Ausspruch in einem Brief vom 12.2.1894: »Basil Hallward is what I think I am: Lord Henry what the world thinks of me: Dorian what I would like to be – in other ages, perhaps.«310 Dass das Publikum in Lord Henry das alter ego von Wilde sieht, liegt nicht nur darin begründet, dass auch dieser direkt bei seinem ersten Auftritt als Dandy bezeichnet wird (S. 31), sondern insbesondere an dessen Vorlieben für paradoxe Maximen, die denen in der Preface ähneln, z.B. wenn Henry in ähnlich chiastischer Verkehrung das Paradox äußert, reine Vernunft sei ein Schlag unter die Gürtellinie des Intellekts und kommentiert: »[T]he way of paradoxes is the way of truth. To test Reality we must see it on the tight-rope. When the Verities become acrobats we can judge them.« (S. 39) Die Paradoxie, die Hess-Lüttich biographisch als Ausdrucksform des Dandys Wilde interpretiert, wird zum Widerhaken gegen die bedenklose Übernahme von Allgemeinplätzen und ermöglicht gleichzeitig, durch Verneinung das Sicher-Geglaubte zu hinterfragen.311 Dass Dorian Gray unter dem Einfluss von Lord Henrys Hang zum »wilful paradox« (S. 18) – Dorian selbst nennt Henry »Prince Paradox« (S. 194) – zu einem Dandy wird, kopiert die für die fashionable novels zentrale Struktur, bei der Figuren wie Russelton oder Trebeck als Vorbilder für Pelham bzw. Granby fungieren.312 Bezeichnend ist aber auch, dass Wilde in seinem Brief den Maler Hallward als sein alter ego präsentiert und sich dadurch als Künstler inszeniert, für den im Sinne des art pour l’art ausschließlich die Kunst zählt. Dass dessen Bildnis von Dorian altert anstelle von Dorian, lässt sich dabei im Sinne des byronschen parêtre nicht als Aufhebung, wie Rolf Eichler schreibt,313 sondern als systematische Verwechslung von Kunst und Realität ansehen. In The Decay of Lying wird dies in einem Paradox zum Ausdruck gebracht. Auf die Frage, ob er wirklich glaube, das Leben ahme die Kunst nach, sodass das Leben die Darstellung und die Kunst die Realität sei, antwortet Vivian: »Paradox though it may seem – and paradoxes are always dangerous things – it is none the less true that Life imitates art far more than Art imitates life.« (S. 307) Auch hier entsteht das Paradox also durch chiastische Verkehrung der Mimesis der Kunst. Vivian beklagt, der Tod des Dandys Lucien de Rubempré in Balzacs Comédie Humaine sei eine der größten Tragödien sei309

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Wilde: Miscellanies, S. 271. Eine Anspielung vermutlich auf das Ende des Vorworts von Albertus »l’art est ce qui console le mieux de vivre« (Gautier: Albertus, S. 6). Wilde: Letters, S. 352. In der Theateradaption im Sketch vom 3.9.1913 weist Lou Tellegen als Dorian Gray insofern frappierende Ähnlichkeit mit Wilde auf, vgl. Kaplan: Dandy, S. 323. Hess-Lüttich: Paradox, S. 114. Vgl. für die biographische Identifikation, S. 115, 117, 120. Über die Nähe zu Bulwer-Lytton und den fashionable novels vgl. Gagnier: Idylls of the Marketplace, S. 68. Eichler: Dandytum und Narzißmus, S. 142, vgl. 154.

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nes Lebens gewesen. Diese Friktion erhält noch eine weitere Ebene der Kombination von Fiktion und Realität, wenn Proust in der Recherche den Baron de Charlus sagen lässt: »[C]omment vous ne connaissez pas les Illusions Perdues? […] Et la Mort de Lucien! Je ne me souviens plus quel homme de goût avait eu cette réponse, à qui lui demandait quel événement l’avait le plus affligé dans sa vie: ›La mort de Lucien de Rubempré dans Splendeurs et misères.‹«315 Dass Proust dieses Zitat auch in Contre Sainte-Beuve anbringt und als Äußerung Wildes ausgibt (S. 273), bringt nicht nur zum Ausdruck, dass er die friktionale Figur Vivian als alter ego Wildes sieht. Vor allem unterstreicht die Präsenz von Balzacs Protagonisten in Wildes Essay, zitiert in Prousts Recherche und Contre Sainte-Beuve, dass diese friktionalen Überschreibungen essentiell für die Behauptung des Autors sind. Diese Oszillation im parêtre ermöglicht die Kommerzialisierung des Gedankens von der ›Kunst um der Kunst Willen‹ und somit Wildes Behauptung als Autor. Einerseits bewahrt die paradoxe Verwechslung von Kunst und Realität der Kunst ihre eigene, der Realität überlegene Sphäre. Fiske wandelt so l’art pour l’art ab in »le masque pour le masque«, in dem der Künstler sich der Illusionserzeugung ›um ihrer selbst Willen‹ hingibt.316 Umgekehrt wird das Leben zur wahren Kunst, wenn Wilde behauptet, nur sein Talent in die Kunst und sein Genie in das Leben investiert zu haben. Dieses ›Leben um seiner selbst Willen‹ widerspiegelt die Kunst um ihrer selbst Willen und beide bleiben trotz ihrer jeweiligen Autonomie dennoch durch das parêtre untrennbar miteinander verbunden.

5.7.2 Die paradoxe Ironie Von Disraelis Vivian Grey übernimmt Wilde nicht nur den Nachnamen für Dorian, sondern auch den Vornamen für Vivian aus The Decay of Lying. Dessen fiktives Streitgespräch mit Cyril, der die Kunst als Ausdruck des Zeitgeistes sieht, (S. 314) und der Entgegnung Vivians, die Kunst stelle nur sich selbst dar, kann als fiktionalisierte Darstellung von Baudelaires double affirmation der gegenläufigen Kräfte im literarischen Feld zwischen art social und l’art pour l’art gesehen werden. Vivian polemisiert gegen den Realismus eines Zola (S. 296) und betont, dass Literatur von einem ästhetischen Standpunkt aus beurteilt werden müsse und der Realismus nicht überzeugen könne, denn, so meint er in Anspielung auf Gautier, den er vage »somebody« nennt: »The only beautiful things, as somebody once said, are the things that do not concern us. As long as a thing is useful or necessary to us […] it is outside the proper sphere of art.« (S. 299) Dabei entwickelt Vivian Gautiers These insofern weiter, als er aus seiner Position, die Kunst besitze ein unabhängiges Leben, folgert, die Kunst zu lügen müsse zu neuem Leben erweckt werden, denn dies sei das Ziel der

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Wilde: The Decay of Lying, S. 299, vgl. Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 141, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 216. Proust: Recherche, Bd. III, S. 437 f., vgl. Eribon: Gay, S. 212, Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 141, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 216. Zudem wird Wilde dort als Verkörperung aller diskriminierten Liebenden gewürdigt (vgl. Link-Heer: Robert de Montesquiou, S. 275). Vgl. die besagte Szene in Balzac: Comédie Humaine, Bd. VI, S. 796 ff. Drouart-Fiske: Romantic irony, S. 143

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Kunst.317 Hält man sich die von Austin angestoßene Diskussion, ob die Literatur es ›ernst‹ meine, vor Augen, ließe sich hier von der Forderung nach ernsthaftem Lügen der Literatur sprechen, eine These, die sich auch im Plot von The Importance of being Earnest wiederfinden lässt, wo Algernon es nur ernst (earnest) meinen muss, weil sich Gwendolen in eine Person verlieben möchte, die Earnest heißt.318 In Bezug auf die Diskussion des art pour l’art lässt sich eine für Wilde typische paradoxe Verbindung beider Positionen formulieren: der Forderung sowie gleichzeitig der Ablehnung, dass Kunst gesellschaftliche Relevanz haben soll. Dass die Kunst nicht die Wahrheit aussprechen müsse, betont ihren Autonomiecharakter, dass sie stattdessen lügen solle, setzt anderseits voraus, dass Literatur auch wahre (oder falsche) Aussagen über die Gesellschaft treffen könnte und nicht vollkommen losgelöst von dieser zu betrachten ist, während Philip Sidney, wie erwähnt, betont, die Literatur könne nicht lügen, weil sie nichts behauptet. Indem Wilde beide Positionen kombiniert, lässt er sie sich aber auch gegenseitig widersprechen und nähert sich dem ursprünglichen Verständnis von parádoxos als unerwartete oder sonderbare Verhaltensstrategie an.319 Wilde argumentiert also – im rhetorischen Verständnis des paradoxen Standpunkts – gegen die herrschende Meinung,320 in einem doppelten – oder, wie Herlemann schreibt »absoluten Paradox«321, da er nicht nur der Nützlichkeitsforderung der Literatur, sondern auch der Philosophie des art pour l’art, also sowohl These wie Antithese widerspricht. Ist bei Byron, Carlyle und Gautier von einer doppelten Ironisierung und bei Baudelaire von einer doppelten Affirmation von Ideal und Wirklichkeit zu sprechen, so ist bei Wilde eine Kombination aus beiden Taktiken zu erkennen, die das Verhältnis zwischen Idealität und Realität auf paradoxe Weise umkehrt. Dass er die Kunst als Lüge bezeichnet, ist die Steigerung der Vorstellung, dass Kunst keine Wirklichkeit darstellt, gleichzeitig konstatiert Vivian aber, dass die Lüge von großem Nutzen für die Gesellschaft sein könne, und bindet so die Lüge in die gesellschaftliche Realität ein und gibt ihr eine Aufgabe. Die Lüge ist somit gesellschaftliche Antinorm und Norm zugleich.322 Der Decay of Lying bringt so einerseits eine moralistische Kritik an der ›dekadenten‹ Lüge zum Ausdruck, wie er, den Diskurs des Sittenverfalls imitierend, den Verfall (und zwar der Lüge) in der Gesellschaft beklagt.323 Diese paradoxe Ironie lässt sich in The Picture of Dorian Gray nachverfolgen, welches wie The Decay of Lying die utilité de l’art diskutiert.324 Die

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Wilde: The Decay of Lying, S. 320, vgl. Bell-Villada: Art for Art’s Sake, S. 88 f. Vgl. die Préface von Mademoiselle de Maupin: »Il n’y a de vraiment beau que ce qui ne peut servir à rien; tout ce qui est utile est laid […].« (Gautier: Romans, Bd. I, S. 230) In der Karikatur »Oscar Wilde at Work« stellt Beerbohm Wilde mit einem Buch von Gautier in der Hand dar (Holland: Oscar Wilde Album, S. 136). Wilde: Plays, S. 263, vgl. McCormack: Masks without faces, S. 259. Vgl. Kluge: Etymologisches Wörterbuch, S. 612. Plett: Das Paradoxon als rhetorische Kategorie, S. 93. Herleman: Oscar Wildes ironischer Witz, S. 168. Vgl. Hess-Lüttich: Die Strategie der Paradoxie, S. 121. Zum Spiel mit semantischen Ambivalenzen vgl. ebd., S. 122. Vgl. Bell-Villada: Art for Art’s Sake, S. 88, Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 139, Ruby: Gautier, S. 3.

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unter dem Titel »The Preface« aufgeführten Maximen325, insbesondere die erste: »The artist is the creator of beautiful things« (S. xxxiii) sowie die letzte Maxime: »All art is quite useless« (S. xxxiv) bilden dabei die Klammer für Gautiers These in den Vorworten zu Mademoiselle de Maupin und Albertus, alles Schöne sei unnütz326 und behaupten die Nutzlosigkeit des Künstlers. »There is no such thing as a moral or an immoral book. Books are well written, or badly written. That is all.« (S. xxxiii) Diese Maxime erscheint als direktes Echo auf die Weigerung, wie das art bourgeois, den Leser zur Moral zu erziehen, eine Forderung, die Gautier an den »journalistes moraux« kritisiert.327 Allerdings übernimmt Wilde nicht nur die Maximen des art pour l’art, sondern steigert diese ins Paradoxe. So wird Gautiers Ausspruch »je suis de ceux pour qui le superflu est le nécessaire […]. Je préfère à certain vase qui me sert un vase chinois, semé de dragons et de mandarins, qui ne me sert pas du tout«328, der bereits parádoxos ist, umformuliert in: »We can forgive a man for making a useful thing as long as he does not admire it. The only excuse for making a useless thing is that one admires it intensely.« (S. xxxiv) Hier zeigt sich Gautiers Prinzip der doppelten Ironisierung in abgewandelter Form. Wo Gautier die Forderung der Nutzlosigkeit der Kunst, wie gezeigt, gleich wieder ironisch in Frage stellt, nimmt Wilde im zweiten Satz diese antiutilitaristische Argumentation auf, indem er von der Bewunderung des Künstlers für seine eigene nutzlose Kunst spricht. Dass dieser für sein Schaffen allerdings eine Entschuldigung brauche, bildet ein ironisches Echo auf die Forderung nach utilitaristischer Rechtfertigung der Kunst. Wilde dreht diesen Rechtfertigungszwang der Kunst, dem sich die Philosophie des art pour l’art ausgesetzt sah, allerdings um und formuliert daraus einen Rechtfertigungszwang für nützliche Dinge, sodass er die diskursive Beziehung zwischen der ästhetischen Suche des Künstlers und der geforderten, aber verweigerten Rechtfertigung des gesellschaftlichen Nutzens einerseits sowie andererseits den nützlichen Dingen, wie z.B. die von Gautier ironisierte épicerie, welche keine Rechtfertigung benötigen, chiastisch verkehrt. Anstatt im Sinne der romantischen Ironie eine Stellung zu beziehen, die beiden Positionen übergeordnet ist, spricht Wilde stoisch aus dem Blickwinkel des Künstlers, was wiederum dadurch ironisiert wird, dass er dabei auf das Vokabular der Utilitaristen zurückgreift und deren Argumentation auf paradoxe Weise verkehrt. Mit Paul Geyer ließe sich sagen, dass Wildes Paradox somit »systematischen Begriffsverhärtungen« sowohl der Nützlichkeit von Kunst wie des art pour l’art entgegenwirkt, indem er diese widersprüchlich verknüpft.329 Hess-Lüttich formuliert dabei drei grundlegende Merkmale der Paradoxie – Selbstbezogenheit, Widersprüchlichkeit und Zirkelhaftigkeit –, die sowohl im logischen, als auch im pragmatisch-psychologischen Verständnis zu finden sind.330 Wurden in Bezug auf die Maximen aus der Preface insbesondere die beiden letztgenannten Merkmale untersucht, so ergibt sich eine weitere paradoxale Ebene, wenn man die Maximen auf sich selbst bezieht. Denn diese sagen nicht nur über die Kunst etwas aus, sondern sind selbst Teil 325 326 327 328 329 330

Maxime ist hier durchaus im Sinn der französischen Moralisten des 17. Jahrhunderts gemeint, vgl. ausführlich Lafond: Moralistes, S. vii-xiv. Gautier: Albertus, S. 82, Gautier: Romans, S. 230. Mademoiselle de Maupin, S. 227, vgl. Bourdieu: Les règles de l’art, S. 113. Gautier: Mademoiselle de Maupin, S. 230. Geyer: Paradox, S. 14. Hess-Lüttich: Die Strategie der Paradoxie, S. 110 f.

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des Kunstwerks Dorian Gray, in der von Derrida beschriebenen gleichzeitigen Vor- und Nachträglichkeit des Vorworts. Wenn die Maximen die Nutzlosigkeit der Kunst verkünden, haben sie gleichzeitig den Nutzen, diese These als griffige Paradoxien der Masse zugänglich zu machen. Wildes Präsentation seiner Paradoxien ist selbst paradox.

5.8 Barbey: Die Materialität der Behauptung Wie auch Baudelaire kündigt Barbey mehrfach an, ein Buch über den Dandyismus in der Literatur zu schreiben, indem er u.a. Byrons Werke vorsieht, und das er ebenso wenig realisiert.331 Anders als Baudelaire lässt Barbey indes in Du Dandysme der friktionalen Identifikation mit dem Dandy keinen Raum, da er, wie im nächsten Kapitel zu zeigen ist, den Dandyismus als ausschließlich englisches Phänomen behauptet. Seinen eigenen Selbstbehauptungen als Dandy, die er in Briefen an Trebutien vornimmt,332 widerspricht er deswegen kategorisch im Vorwort zur zweiten Auflage: »L’auteur du Dandysme et de George Brummell n’était pas un Dandy […].«333 Dennoch weist sein Essay einen neuen Aspekt der Behauptung als Dandy im literarischen Feld auf, weniger durch seine Thesen, als vielmehr durch seine Materialität. So bittet Barbey seinen Verleger Malassis, bei der Herstellung des Buches äußerste Sorgfalt walten zu lassen und folgert: »[J]e me fie à vous pour le Dandysme d’un livre sur le Dandysme […].«334 Anstelle des Autors behauptet also das Buch selbst Dandyismus. In einem Brief vom 24.5.1861 setzt er Trebutien diplomatisch unter Druck: »Je suis sûr que vous l’éditerez avec la distinction que ce bréviaire du dandysme exige.« und auch an anderer Stelle fordert er von dem Band in der zweiten Auflage: »[i]l faut qu’il soit aussi Dandy à sa façon«.335 So überträgt Barbey die Sorgfalt in der Kleidung des Dandys auf die Materialität seines Buches: Die erste Auflage (1845) hat eine Höhe von nur 30 Exemplaren, davon einige auf farbigem Papier oder dem Luxuspapier »Hollande«, entworfen von Bernier im Format In-16.336 Ein heute noch verfügbares Exemplar wird beschrieben mit: »[C]arré de demi-maroquin rouge à coins, double filet doré sur les plats, dos à petit nerfs 331

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Barbey skizziert sein Projekt »Le dandysme en littérature« mit den Namen Le Prince de Ligne, Grammont Hamilton, Stendhal, Custine und Byron, vgl. Petit: Notes, S. 1436. Vgl.: »Les blondes et les impertinents du faubourg Saint-Germain m’appellent Brummell II et me détestent comme un concurrent […].« (Barbey: Lettres à Trebutien, Bd. I, S. 220, vgl. Creed: Le Dandysme de Jules Barbey d’Aurevilly, S. 57, 81, Glaudes: La Fantaisie chez Barbey d’Aurevilly, S. 362, Moers: Dandy, S. 266) In seinen Memoranda hinterlässt er ebenso am 3.10.1856 der Nachwelt: »je suis allé acheter une limousine […] dans laquelle je veux envelopper mon dandysme cet hiver.« (S. 1048) Allerdings schreibt er auch relativierend an Trebutien: »J’ai été aussi Dandy qu’on peut l’être en France […].« (Barbey: Lettres à Trebutien, Bd. I, S. 124, vgl.: Lever: Barbey, Marsan: Dandysme, S. 486-490). Zit. n. Petit: Notes, S. 1437. Auch die Exklusivität des englischen Dandys wird taktisch gebrochen, vgl. dazu Kapitel 7.4 und 7.5. Zit. n. Kempf: Dandies, S. 29. Zit. n. Petit: Notes, S. 1434, vgl. Moers: Dandy, S. 231. Vgl. Miguet: Barbey d’Aurevilly et Baudelaire, S. 86, Lemaire: Le Dandysme, S. 111.

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finement orné de caissons et fleurons dorés, titre doré, date en pied, tête dorée (Bernier). Edition originale très rare tirée à petit nombre sur vergé.«337 In einem Brief vom 12.12.1844 bedankt sich Barbey bei Trebutien dafür, dass dieser für eine von Barbey verehrte Baronin ein exklusives, azurblaues Exemplar mit Goldschrift angefertigt hat und bittet, das Exemplar für César Daly, dem er seinen Essay widmet, durch eine besondere Farbe auszuzeichnen.338 In der Ausgabe von 1861 brüstet sich Barbey damit, alle 30 Exemplare der ersten Ausgabe persönlich bei seinen Freunden abgegeben zu haben.339 Auch Baudelaire bittet Barbey in einem Brief am 20.12.1854 um ein Exemplar, das er einer Dame leihen möchte und gibt das Exemplar, das Korrekturen von Barbey trägt, am 17.3.1855 an Ancelle weiter.340 Der Aufwand, den Barbey um seinen exklusiven Leserkreis betreibt, bestätigt Bourdieus These, dass die Konsekration des Kunstwerks auch durch Schaffen von ungleichen Bedingungen in den Möglichkeiten zur Aneignung realisiert wird,341 wobei es hier nicht um die mentale, sondern um die wörtlich zu nehmende, materielle Aneignung des Werks geht. Wenn es durch die Technologisierung des Druckes unprofitabler wurde, wenige Exemplare zu drucken,342 so setzt sich Barbey über die Gesetze der Wirtschaftlichkeit hinweg und erhöht dadurch das symbolische Kapital seines Buches. Diese Strategie zeigt sich friktional verarbeitet in Huysmans A Rebours, wo Des Esseintes die Gedichte Baudelaires in einer Art Triptychon ausstellen lässt, verziert mit Florentiner dalmatica, vergoldetem Kupfer und mit Ornamenten auf Velin-Papier geschrieben (S. 100) und in Dorian Gray, der sich seine Dandybibel in neun verschiedenen Farben gebunden aus Paris schicken lässt, um seinen wechselnden Gemütslagen immer entsprechen zu können (S. 126 f.). Aber auch beim historischen Robert de Montesquiou ist dieser Versuch zu erkennen. Seinen Gedichtband Les Chauves-Souris lässt er von Whistler illustrieren und verschickt ihn persönlich in einer mit Seide ausgelegten Schatulle an ausgewählte Freunde wie Mallarmé.343 Die kleine, aufwendige Auflage bestätigt Bourdieu, dass der »champ de production restreinte« seine eigenen Produktionsregeln und die Kriterien der Evaluation produziert.344 Allerdings bleibt hier – und auch in Bezug auf Barbey – die Frage offen, ob die Rarität des Kunstwerkes letztlich nicht doch wieder den Gesetzen des Marktes geschuldet ist. Proust überschwängliches Lob, Montesquiou habe mit den Chauves-Souris bleibende Literatur geschaffen, die dem Vergleich mit Baudelaire standhielten und wohl noch beständiger sind als der Dandyismus und Satanismus,345 wurde erst posthum veröffentlicht und konnte so nicht verhindern, dass Montesquious Gedichte als »Basar-Ästhetizismus« 337

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Zitiert aus dem Katalog der Librairie Walden (http://www.librairie-walden.com, 1.2.2007), dort ist dieses Exemplar für 2000 € erhältlich, vgl. http:// www.pba-auctions.com/images/catalogues/ventes_2004/pdf_2004/01-04-04. pdf, 1.2.2007 für Fotos des Buches. Barbey: Lettres à Trebutien, Bd. I, S. 202. Vgl. Petit: Notes, S. 1437. Pichois: Notices, S. 1324. Bourdieu: Le marché des biens symboliques, S. 68. Vgl. Neuschäfer: Autonomiebestreben, S. 558. Chaleyssin: Montesquiou, S. 57. Bourdieu: Le marché des biens symboliques, S. 55. Proust: Contre Sainte-Beuve, S. 406 f., vgl. Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 272.

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und willkürliche Kopie Wildes rezipiert wurden 346 und die Faszination an Montesquiou sich beschränkte auf die friktionale Verarbeitung seiner Person in Huysmans A Rebours in der Figur Des Esseintes und Prousts Baron de Charlus der Recherche, was Montesquiou zu der viel zitierten Klage verleitete: »Je ne devrais plus m’appeler que Montesproust.«347 Hier wird eine in ihrer Grundsätzlichkeit zu relativierende These Bourdieus offenbar, denn wenn dieser schreibt, symbolisches Kapital werde durch kommerziellen Misserfolg in einem »jeu à qui perd gagne«348 erworben, muss man sich vor Augen halten, dass er mit Flaubert und Baudelaire kanonisierte Autoren als Beispiel nimmt, deren literarische Qualität unbestritten ist. Für den nicht kanonisierten bzw. nicht als Autor kanonisierten Montesquiou bleibt das Ausbleiben von Erfolg ein Verlust. Auch Barbey veröffentlicht seinen Essay bei Trebutien erst, als er mit seinem Versuch gescheitert ist, diesen im Moniteur de la Mode, der auflagenstarken Revue des Deux Mondes oder im Journal des Débats unterzubringen.349 Zwar nimmt er die Absage des Journal des Débats zum Anlass, der Zeitschrift Vulgarität zu unterstellen,350 äußert aber dennoch den Wunsch, ein großes Publikum zu erreichen. Bei der zweiten Auflage fordert er bei seinem Verleger Malassis eine höhere Auflagenzahl ein und meint: »Être tiré à un petit nombre d’exemplaires et avoir d’autant moins qu’on sera moins répandu, n’est-ce pas là un petit cercle vicieux?«351 Daran lässt sich erkennen, inwiefern Bourdieus These des jeu à qui perd gagne zu relativieren ist. Denn der Misserfolg als Autor sichert noch keine nachhaltige Konsekration. So wie mit dem kommerziellen Misserfolg der Erfolg im literarischen Feld verbunden sein muss, um symbolisches Kapital zu erlangen, wird die materiell aufwendig gestaltete und limitierte Auflage von 30 Exemplaren erst dann wertvoll, wenn darauf die massenhafte Verbreitung des Buches folgt.

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Zit. n. Link-Heer: Robert de Montesquiou, S. 257. Vgl. ebd., S. 274, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 276, Jullian: Montesquiou, S. 368. Zur friktionalen Inszenierung bei Proust vgl. ausführlich Chaleyssin: Montesquiou, S. 106, 125, 185-195, 198, bei Huysmans, vgl. Clarac: Notices, S. 895, Jullian: Montesquiou, S. 73 ff., Chaleyssin: Montesquiou, S. 27-36, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 264. Des Esseintes vergoldete lebende Schildkröte war eine Idee von Gautiers Tochter Judith, der weitgehend platonischen Freundin Montesquious. Bourdieu: Les règles de l’art, S. 44, vgl. Bourdieu: Le champ littéraire, S. 12. Petit: Notes, S. 1431. Vgl. Barbey: Lettres à Trebutien, Bd. I, S. 136. Zit. n. Petit: Notes, S. 1435.

6. D I E B E H A U PT U N G D E R O R I G I N A L I T ÄT U N D E X Z E N T R I K Une des choses qu’on devait savoir […], c’est que le savoir n’est rien et ne pèse pas un fétu à côté de l’originalité Marcel Proust

Für Bourdieu zeichnet sich das literarische Feld auch dadurch aus, dass die Autoren darum konkurrieren, als möglichst originell zu gelten.1 Zweifellos ließe sich die elaborierte Friktion und Ironie, wie sie die im vorherigen Kapitel untersuchten Autoren in ihrer Behauptung vornehmen, durchaus als originell – oder exzentrisch – bezeichnen. In diesem Kapitel geht es allerdings nicht darum, die Produktion im literarischen Feld mit Bourdieu als ästhetische Suche nach distinguierender Originalität zu interpretieren, sondern zu fragen, wo beide Begriffe in ihrer Positivität aufzufinden sind und wie sie – mal eng verknüpft, mal entgegengesetzt – verwendet werden, um den Dandy zu behaupten. Bei der Behauptung der Originalität und Exzentrik spielt das Über-Setzen eine doppelte Rolle: zum einen als sprachlicher Transfer der Begriffe originality, eccentricity – und dandy – von der englischen in die französische Sprache, zum anderen als ›personeller‹ Transfer, da neben Brummell und Byron weitere französische und englische Autoren zwischen England und Frankreich über-gesetzt sind:2 Viele Franzosen, wie Chateaubriand oder de Staël, verließen Frankreich während der französischen Revolution oder des Empire, kehrten später zurück und brachten ihr Verständnis der englischen Lebensart nach Frankreich. Auf der anderen Seite kamen viele Engländer, um (zumindest zeitweise) in Frankreich zu leben, im Jahr 1830 stieg ihre Zahl auf 31.000.3 Der mit Brummell befreundete Rees Howell Gronow widmet in seinen Reminiscences and Recollections ein ganzes Kapitel dem Thema »An English Dandy in Paris«, in dem er diese Überschneidung der englischen mit der französischen Gesellschaft thematisiert: »[A] number of gentlemen, remarkable for their eccentricities of dress and manners, were the lions of the day both in London and Paris.« (S. 70) Das sprachliche Über-Setzen als Behauptung aufzufassen impliziert, nicht von vornherein von der Kongruenz von eccentricity/excentricité und originality/originalité auszugehen, sondern nach den jeweils ausdifferenzierten Vorstellungen hinter diesen Begriffen zu fragen. Anstelle einer vorschnel1 2 3

Bourdieu: Disposition esthétique et compétence artistique, S. 1359. Vgl. zu diesem Begriff ausführlicher Gramatzki: Über-Setzen. Brüch: Anglomanie, S. 38.

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len Gleichsetzung soll vielmehr die Behauptung des kulturellen Aspekts der Begriffe Originalität und Exzentrik betrachtet werden, deren Herkunft eine große Rolle zugesprochen wird. Das materielle Über-Setzen wiederum äußert sich als Behauptung in diversen Reiseberichten, Memoiren etc. Diese Reiseliteratur und ihre Bedeutung für den kulturellen Transfer zwischen England und Frankreich, bei dem George Byron und Germaine de Staël die zentralen Angelpunkte bilden, wurden bislang kaum literaturwissenschaftlich gewürdigt.4

6 . 1 D a s Ü b e r - S e tz e n d e s D a n d y s De Staël und Byron spielen nicht nur aufgrund ihrer viel beachteten, mehr oder weniger literarisierten Reiseberichte eine ausschlaggebende Rolle, sondern auch aufgrund ihres konkreten Über-Setzens der Begriffe originality, eccentricity sowie auch dandy. Während Byron sich über de Staëls Auftritte im Dandy Club, wie gezeigt, eher amüsiert zeigt, berichtet de Staël aus ihrer Sicht vom Dandy Club: »Il y a ici lord Erskins, Spencer… et les daindy, Bramel, Alvanley, etc.«5 In diesem Brief an J. Rocca, geschrieben zwischen 1813 und 1814, taucht der Begriff daindy das erste Mal in der französischen Sprache auf.6 Aus der ursprünglichen Schreibweise »daindy«, die wie »Bramel« die englische Aussprache von Brummell transkribiert, wurde ab 1817 das orthographisch ans Englische angepasste »dandy«, wodurch sich wiederum die Aussprache vom Englischen entfernte, da es nun nasal [dãndy] ausgesprochen wird, eine Lautverschiebung, die für französische Anglizismen typisch ist.7 Anekdotisch wird der englisch-französische Transfer des Dandys in Lady Morgan in France (1817) dargestellt. In England von dem fashionable novels-Verleger Colburn herausgegeben, erscheint es unter dem Titel La France par Lady Morgan im selben Jahr – also zeitgleich mit dem französischen Wort dandy – in Frankreich. Dort berichtet Sydney Morgan von einem Abend bei der Prinzessin von Volkonski, bei der ein junger Mann die Gesellschaft durch sein Monokel mustert, Morgan anspricht und gleichzeitig totales Desinteresse an der Unterhaltung demonstriert. Einer nebenstehenden Französin erklärt sie das Verhalten mit: »C’est un dandi!«, woraufhin diese ausruft: »[U]n dandi! c’est donc un genre parmi vous, qu’un dandi?« (S. 75) Wenn Morgan daraufhin ihrer französischen Gesprächspartnerin das Phänomen der englischen Dandys beschreibt, ist darin eine anekdotenhafte Festschreibung des englisch-französischen Transfers des Dandys zu sehen, zumindest bestätigt es, dass der Begriff in Frankreich noch nicht verbreitet

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Vgl. zu dieser Feststellung Pott: Triangulärer Transfer, S. 7. Zu einer ersten Beschäftigung mit dem Thema vgl. die Beiträge des von ihr herausgegeben Bandes »Triangulärer Transfer. Großbritannien, Frankreich, Deutschland um 1800«, in Germanisch-Romanische Monatsschrift 56.1 (2006). Für die Bedeutung von Byron und de Staël vgl. Pott: Triangulärer Transfer, S. 1, Schmid: Gespräch, S. 57. Staël: Correspondance, Bd. I.1, S. xlix. Vgl. ebd. Grand Robert, Bd. II, S. 953, vgl. zur Lautverschiebung Mackenzie: Les relations de l’Angleterre et la France, Bd. I, S. 148.

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war. So lässt Etienne Jouy in L’Hermite de Londres (1822) den Cousin des Erzählers attestieren, dass überall in England Dandys seien, und ergänzen: »On ne savait de mon tems [sic] ce que c’était qu’un dandy«(S. 337). Jouy scheint dabei davon auszugehen, dass auch 1822 der Leser den Begriff nicht kennt, da er in einer Fußnote »Nom qu’on donne aux petits-maîtres d’une façon outrée« hinzufügt (S. 337 FN). Dass Jouy im Folgenden die »cravate qui vous étrangle« des Dandys hervorhebt,9 lässt auch darauf schließen, dass die Neckclothitania in Frankreich weitgehend unbekannt war. Noch in der Revue de Paris von 1833 warnt Antoine-Vincent Arnault, Mitglied der Académie Française, davor, den Begriff dandy ins Französische zu übernehmen, und stellt den Dandy als abstoßendes Gegenbild des eleganten, geschmackvollen fashionable dar.10 Dennoch kann er das Über-Setzen des Dandys nicht aufhalten und Launay berichtet 1839: »Les dandys anglais ont fait invasion à Paris; leur costume est étrange: habit bleu flottant, col très-empesé, dépassant les oreilles, pantalon de lycéen, dit à la Brummel […] l’air impassible et les sourcils rasés, canne assortie.«11 Launay verbindet also die undurchdringliche Art des Dandys mit Brummells gestärkter Krawatte und der blauen Weste, die Pelham kritisiert, und sieht zudem zu kurze Hosen als Insignien des anglomanen Dandys, wobei die Formulierung ›Invasion‹ polemisch die ›Eroberung‹ der französischen Kultur durch den über-setzenden englischen Dandy untermalt. Das Morgenblatt für gebildete Stände vom 6.10.1840 kommentiert den sprachlichen Aspekt dieses Über-Setzens: »Die Elegans [sic] nennen sich Dandys und ihre Eleganz Fashion […]. Kurz, nach der jetzt herrschenden Anglomanie hat in dem Leben eines rechten Elegants nichts einen französischen Namen.« (S. 953) Tatsächlich wurden in dieser Zeit eine Reihe weiterer englischer Modebegriffe übernommen.12 Diese Anglomanie zeigt sich bereits in der Anekdote, dass Napoleon am 23.11.1806 seinem General Andoche Junot drohte: »Que vos femmes prennet garde que je ne m’aperçoive pas qu’elles portent des robes d’étoffes anglaises; dites cela à Madame Junot […].«13 In M. Symons Gedicht L’Anglomanie ou l’Anti-français (1823) heißt es über den Anglomanen: »Déjà l’on s’aperçoit que s’il est né Français,/ Le costume étranger a pour lui 8 9

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Vgl. Mackenzie: Les relations de l’Angleterre et la France, Bd. I, S. 201. Jouy: L’Hermite de Londres, S. 338, vgl. Bonnaffé: Dictionnaire, S. 43. Jouys Reihe der Hermites (1812-1824), in denen sich ein Eremit auf Reisen in andere Länder begibt, erfreute sich großer Beliebtheit in Frankreich (vgl. Crouzet: Notes, S. 105) und ist bislang, wie andere populäre Literatur der Zeit, wissenschaftlich kaum erschlossen worden. Arnault: Sur quelques mots, S. 247. Launay: Lettres, Bd. II, S. 73. Z.B. fop, exquisite, fashionable, die Frisur »à l’anglaise«, die »veste anglaise«, die »bottes anglaises« (in den Zeitschriften Morgenblatt, Illustration, Chaussier, zit. n. Brüch: Anglomanie, S. 52 f.), die immer noch geläufigen Stoffbezeichnung »tweed« (Grand Robert VI, S. 1587), die »chapeaux et les toques à l’anglaise, des robes à l’écossaise, la couleur fumée de Londres, la coiffure à la Marie Stuart« sowie »l’habit à l’anglaise (vers 1832), la mousseline anglaise (1835-6) et le chapeau à la Paméla« (Mackenzie: Les relations de l’Angleterre et la France, Bd. I, S. 131) sowie die redingote (aus dem englischen riding coat), zudem die wohl erstmalig in Balzacs Traité verwendete Begriffe tigre, groom, britschka, fashionable, lion und stick (Matoré: Le Vocabulaire et la Société sous Louis-Philippe, S. 44, 46). Zit. n. Prevost: Dandysme, S. 44.

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des attraits.«14 Die Begeisterung für die englische Mode war dabei nur ein Aspekt einer allgemeinen Bewunderung und Nachahmung des englischen Lebensstils,15 zu dem ferner die englische Romantik,16 Glücksspiele, Wetten, Boxkämpfe und Pferderennen zählen, vor deren Nachahmung bereits Bérangers Gedicht »Les boxeurs ou l’anglomanie« (1814) warnt. Für das ÜberSetzen der englischen Lebensart im Allgemeinen und des Dandys im Besonderen erweisen sich Originalität und Exzentrik als die zentralen Begriffe.

6.1.1 Die Behauptung der originality Für das Über-Setzen der englischen originality nach Frankreich ist der Begriff des Originalgenies wichtig. Denn auch wenn dessen intensive Diskussion im Sturm und Drang in Deutschland etwas anderes nahe legt, wurde das Originalgenie zunächst in England elaboriert und als typisch englische Eigenart behauptet. William Temple spricht 1690 in seinem Essay Upon Poetry von einem »original genius«, das er allerdings lediglich antiken Autoren wie Homer zuspricht.17 Der Essay hatte den gewünschten Effekt, den alten Richtungsstreit zwischen ancient und moderns neu zu entfachen, der schon 1660 die Gründung der Royal Society – des englischen Pendants zur Académie Française – überschattete.18 Den Fehdehandschuh nimmt Alexander Pope in seiner Ausgabe von Shakespeares Works (1723) auf, wenn er entgegnet, dass durch Homer viele Stimmen anderer Autoren und Kulturen sprächen, mit denen sich dieser befasst hat, hingegen aus Shakespeare die Natur selbst. Er stellt die zu seiner Zeit vieldiskutierte Behauptung auf: »If ever any Author deserved the name of an Original, it was Shakespear.«19 Dem Essay von Temple, der die Fähigkeit der Alten lobte, von Vorbildern zu lernen, stellt Pope ein konträres Ideal dagegen. Shakespeare verdiene das Attribut Original, weil er nicht von anderen gelernt, sondern seine Inspiration direkt aus der Natur gezogen habe (Bd. I, S. ii). Der Begriff der Originalität entsteht somit, wie auch in Frankreich, in engen Zusammenhang mit der Querelle.20 Von den zahlreichen Reflexionen über den Zusammenhang zwischen origineller Schöpfung und dem Einfluss antiker Autoren, die sich daran an-

14 Zit. n. Creed: Le Dandysme de Jules Barbey d’Aurevilly, S. 5. 15 Vgl. allgemein zu diesem Forschungskonsens Gury: Une excentricité à l’Anglaise, S. 194, Eisenberg: The Figure of the Dandy, S. 9, Francois: Dandysme, S. 40, Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 109-122, Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 25-43, Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 90, Coblence: Obligation d’incertitude, S. 179, Stanton: The Aristocrat as Art, S. 32, Prevost: Dandysme, S. 43-53. 16 In Lady Morgan in France (1817) wird die Tatsache, dass ein französische confisier dazu übergegangen ist, englischen Plumpudding anstatt der traditionellen französischen Spezialitäten wie den »Pastilles de Nantes« herzustellen (S. 201 f.), damit erklärt, dass er von der »Romantic School« sei, denn »every thing English […] is now in Paris popular, and is deemed romantic.« (S. 204). 17 Temple: Upon Ancient and Modern Learning, S. 51, vgl. Levier: Anatomie de l’Excentricité, S. 12. 18 Vgl. ausführlich Rötzer: Tradition und Modernität, S. 99. 19 Shakespeare: Works, Bd. I, S. ii. Blooms Behauptung von Shakespeare als Original ist also selbst nicht originell, sondern fast 300 Jahre alt. 20 Vgl. ausführlich für Frankreich Hörner: Original à tous les sens, S. 74 ff.

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schließen, entwickeln Edward Youngs Conjectures on original composition (1759) die Vorstellung einer absoluten Schöpfungsmacht des Originals am folgenreichsten weiter. Ausgehend von einer radikalen Dichotomie zwischen Genie und Gelehrsamkeit (S. 30) in Bezug auf die »Original-Composition« stimmt er mit Pope überein, dass Shakespeares Genie darin begründet lag, dass es nicht unter der »niederdrückenden gebirgegleichen Last« intensiver Lektüre gelitten habe, sondern nur soviel Gelehrsamkeit besitze, wie es »leicht tragen konnte«, und folgert, »wenn ihm auch alle andere Gelehrsamkeit fehlte, so verstand er doch zwey Bücher vollkommen […]; das Buch der Natur und das Buch des Menschen.«22 Nur die Nachahmungen der Natur sind Young zufolge »Originale«, die Nachahmungen anderer Autoren sind Imitationen, jegliche Form der intertextuellen Verarbeitung anderer Werke schließt er somit für eine »Original-Composition« aus.23 Erst die intensive Rezeption der youngschen Thesen in Deutschland führte zur Entwicklung vom »Originalgenie« oder »Originalgeist«,24 welches entgegen seiner eigenen Philosophie also weniger aus sich selbst heraus entstanden ist, sondern aus der Rezeption englischer Literaten wie Young. So konzipiert Sulzer in seiner einflussreichen Allgemeinen Theorie der schönen Künste (1793) wie Young Originalität als authentischen Ausdruck der Gefühle des genialen Dichters, der frei vom Einfluss anderer Autoren ist. Das »Originalwerk« sei das Ergebnis eines unwiderstehlichen Triebs sich zu äußern, dem einzigen Zwang, dem der Originalgeist unterworfen sei. Originalwerke entstünden, wenn der Künstler tief in sich hineinhorche und nur aus sich selbst schöpfend seine Befindlichkeit beschreibe, ohne sich von Regeln bremsen zu lassen.25 Hegel nimmt in den Vorlesungen über die Ästhetik diesen Gedanken auf, grenzt allerdings seinen Begriff der Originalität von der »schiefen Originalität« ab, für die er die Engländer anführt, die sich durch »schlechte Partikularität« auszeichnen: »Niemand z.B. ist in dieser Bedeutung des Wortes origineller als die Engländer, d.h. jeder legt sich auf eine bestimmte Narrheit, die ihm kein vernünftiger Mensch nachmachen wird, und nennt sich im Bewußtsein seiner Narrheit originell.« (S. 381) Wenngleich diese Behauptung der Engländer als Originale hier eher negativ konnotiert ist, findet sich der gleiche Gedanke bei einer Vielzahl der deutschen Theoretiker zur Originalität mit einem positiven Bild der Engländer verbunden. So äußert Ludwig Schubarth in einer Rezension von Young: »Die Briten sind unter den Neuern unstreitig diejenigen, unter denen die köstliche Pflanze der Originalität noch am besten gedieh« und fordert für Deutschland »den Muth – Original zu seyn!«26 Aus englischer Sicht konsta21 Smith behandelt Sharpes A Dissertation upon Genius (1755), Joseph Wartons An Essay on the Genius and Writings of Pope (1757), E. Capells Reflections on Originality in Authors (1766), Mrs Montagus An Essay on the Writings and Genius of Shakespear (1769), Robert Woods An Essay on the Original genius on Homer (1769) und Alexander Gerrards An Essay on Genius (1774) (Smith: Four Words). 22 Zit. n. der bereits 1760 verfassten Übersetzung in Young: Gedanken über die Original-Werke, S. 69. 23 Young: Gedanken über die Original-Werke, S. 15, vgl. Young: Conjectures on Original Composition, S. 551. 24 Vgl. Sauder: Nachwort, Smith: Four Words, S. 29, Mortier: Originalité, S. 95. 25 Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste, S. 625-630. 26 Zit. n. Sauder: Nachwort, S. 155 f.

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tiert selbst Temple schon 1690 in Upon Poetry trotz des Lobs der antiken Autoren, dass es in England eine stärker als in anderen Ländern ausgeprägte Meinungsfreiheit und somit mehr Originale gebe: »Thus we come to have more Originals […] because every Man follows his own, and takes a Pleasure, perhaps a Pride to shew it.«27 Auch die von Addison kreierte fiktive Figur Roger de Coverley bezeichnet am 26.8.1713 im Guardian die originality als überall sichtbare »National Mark« und begründet dies damit, dass sich jeder durch seltsamen Gedankengänge (»odd Cast of Thought«) sowie einen »Original Humor« von seinem Nachbarn abhebe.28 Die Herkunft der Originalität wird also als englisch behauptet. Das Selbstbild der Engländer als liberale Nation voller Individualisten wurde in der französischen Rezeption noch verstärkt und manifestiert sich zunächst in einer Bewunderung englischer Philosophen, Literaten und der toleranten Gesellschaft, ohne dass der Begriff der Originalität eine Rolle spielte. Voltaires Lettres philosophiques ou Lettres Anglaises, Abbé Prévosts Zeitschrift Le Pour et Contre, erschienen ab 1733, oder Montesquieus De l’Esprit des Lois (1748), das die Gewaltenteilung am Vorbild der englischen Konstitution entwirft, festigen den Ruf der Engländer als freiheitsliebend, stolz und gleichgültig gegenüber der herrschenden Meinung.29 Auch der Abbé LeBlanc lobt in seinen Lettres d’un François, England besäße die meisten »Hommes singuliers« (Bd. I, S. 84), da hier jeder nach seinen eigenen Vorstellungen leben könne und wolle (Bd. I, S. 85). Dass diese Englandbegeisterung eher kritisch als überzogene »Anglomanie« rezipiert wurde, bezeugt das bereits 1757 veröffentlichte Préservatif contre l’Anglomanie von Louis Charles Fougeret de Montbron.30 Bezeichnend für den hohen Status der Engländer ist, dass sich der Autor zwar polemisch auf Voltaire und den »Abbé B.« bezieht, sich jedoch nicht gegen die Engländer ausspricht. Vielmehr bestätigt er, sich selbst als den größeren Englandkenner behauptend, das Bild des stolzen und selbstbewussten Engländers und beklagt nur die verzerrende Darstellung Voltaires, die »métamorphose surprenante qu’il a faite des Anglois« (S. 6). Neben Bernard-Joseph Saurin in der Komödie L’Anglomane (1772) betont auch Jean-Louis Ferri in seinem Reisebericht Londres et les Anglais (1803), die liberale Einstellung der Gesellschaft komme der freien individuellen Entfaltung zugute. Ferri, der auch die Wichtigkeit der Anekdoten für seine Darstellung unterstreicht,31 berichtet vom »orgueil national très répandu« (S. 291), der »Indépendance dans la manière de penser« (S. 298), die er auf die Pressefreiheit zurückführt (S. 299), und folgert: »L’Angleterre est le pays natal de la bizarrerie et de la singularité. […]. Ce goût de la singularité 27 Kämper: Temple, S. 73, vgl. Lamoine: Un personnage excentrique, S. 30. 28 Zit. n. Lamoine: Un personnage excentrique, S. 29. 29 Vgl. Montesquieu: Esprit, S. 396-407, Voltaire: Lettres Anglaises, S. 33 f., Gury: Une excentricité à l’Anglaise, S. 189, Tieghem: Les influences étrangères, S. 66 f. 30 Vgl. Gury: Une excentricité à l’Anglaise, S. 192, Brüch: Anglomanie, Lockitt: The Relations of French and English Society, S. 2, Matoré: Le Vocabulaire et la Société sous Louis-Philippe, S. 81. 31 «Les anecdotes sont les pièces justificatives du moraliste; elles prouvent la justesse de ses observations, et les rendent plus frappantes: elles ont aussi l’avantage de soutenir l’attention du lecteur, qui veut joindre l’amusement à l’instruction.« (S. iii) Er betont, wie Barbey, die Aussagekraft der Anekdoten (vgl. Kapitel 4.4) und ihren Anspruch auf Unterhaltung.

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tient sur-tout au gouvernement, qui laisse à chacun la liberté de satisfaire son humeur.«32 Die französischen Bewunderer der englischen liberalen Gesellschaft waren dabei so zahlreich, dass Bulwer-Lytton in England and the English in Bezug auf das typisch englische Unabhängigkeitsbedürfnis süffisant feststellt, dass die Franzosen nicht über die Engländer schreiben könnten, ohne dies bewundernd mit deren Freiheitsdrang zu erklären (S. 23). Ob nun das Bedürfnis nach individueller Freiheit Ausgangspunkt der Unabhängigkeit ist oder anders herum die liberale Gesellschaft die freie Entfaltung des Individuums ermöglicht, so einigen sich beide Positionen im Bild des unabhängigen, eigenständigen Engländers in einer liberalen und toleranten Gesellschaft, die seine Eigenheiten nicht unterdrückt, sondern sogar fördert. Allerdings verbindet sich diese Bewunderung englischer Individualität, anders als in Deutschland, noch nicht mit dem Begriff der originalité. Dies ist mit der verhalteneren Rezeption des Originalgenies in Frankreich zu erklären. Youngs Conjectures finden dort kaum ein Echo, und selbst der Übersetzer Le Tourneur distanziert sich von der Idee eines absoluten Originalgenies. Roland Mortier kommentiert: »L’originalité, admirée dans l’absolu, est encore ressentie en fait comme une anomalie choquante, comme une entorse à la norme.«33 Zudem wird der Geniebegriff in Frankreich rationaler und relativiert betrachtet. Selbst der anglomane Voltaire fragt in seinen Questions sur l’Encyclopédie (1772): »Mais au fond, le génie est-il autre chose que le talent?«34 Er reduziert mit dieser Frage, die sich wörtlich bei Friedrich Schlegel wiederfinden wird,35 das Genie auf eine Begabung und klammert die Vorstellung des ursprünglichen Schaffens aus sich selbst heraus also aus. Bereits Vauvenargues sieht in Hinblick auf das Genie keinen Widerspruch zwischen Originalität und Imitation: »Cependant il ne faut pas croire que ce caractère original doive exclure l’art d’imiter«, denn da man durch Imitation seinen »caractère« kultivieren könne, seien Autoren wie Corneille, obwohl sie ihre Vorbilder kopierten, »originaux« geblieben – und auch Rousseau rät im Artikel »Génie« seines Dictionnaire de Musique (1768), von den Meistern zu lernen.36

6.1.2 Das Über-Setzen der originality Hermann von Pückler-Muskau berichtet in seinen Briefen von einem »Dandy«, der sich »in Mme de Staëls Buch sur ›l’Allemagne‹ anscheinend so vertieft, daß er von der ihn umgebenden Gesellschaft nicht die mindeste Notiz mehr nahm.« (Bd. I, S. 89 f.) Während Pückler-Muskau nicht präzisiert, was der Dandy an De l’Allemagne so interessant fand, kann hier vorwegge32 Ferri: Londres et les Anglais, S. 334. Auch Chasles spricht später von »un besoin de rester soi, un amour de l’individualité, qui font assurément de l’Angleterre le pays le plus étrange et le plus caractéristique des temps modernes« (Chasles: Littérature, S. 170). 33 Mortier: Originalité, S. 812, vgl. Mortier: Une nouvelle catégorie esthétique, S. 95. 34 Zit. n. Pons: Génie, S. 498. 35 Vgl. »Denn was ist Genie anders, als die gesetzlich freie, innige Gemeinschaft mehrerer Talente?« (Schlegel: Kritische Ausgabe, Bd. II, S. 73, vgl. Strohschneider: Romantische Ironie, S. 16). 36 Vauvenargues: Introduction à la Connaissance de l’esprit humain, S. 77, Rousseau: Dictionnaire de Musique, S. 227, vgl. Sommer: Génie, S. 106.

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nommen werden, dass dieses Buch insofern für die Behauptung des Dandys relevant ist, als de Staël das Über-Setzen der englischen originality zu verdanken ist. In ihrer Eloge auf die Originalität beginnt sie ab ovo mit der popeschen Behauptung von Shakespeare als Genie, wenn sie in De la Littérature considérée dans ses rapports avec les institutions sociales (1800) dessen Unterschied zu antiken Autoren beschreibt: »Lorsqu’on se pénètre uniquement des modèles de l’art dramatique dans l’antiquité, lorsqu’on imite l’imitation, on a moins d’originalité; on n’a pas ce génie qui peint d’après nature, ce génie immédiat, si je puis m’exprimer ainsi, qui caractérise particulièrement Shakspeare.« (Bd. I, S. 257) Gemäß ihrer Ausgangsthese, dass die sozialen und politischen Umstände die Literatur prägen, betont sie, die englische Literatur zeichne eine gewisse »gaieté«, der »humour« aus, der »tous les caractères de l’originalité et du naturel« besitze (Bd. I, S. 263). Im Diskurs der Anglomanen sich bewegend, betont sie, dies sei darauf zurückzuführen, dass es in England eine Unzahl von »caractères bizarres« gebe (Bd. I, S. 264), die französischen Autoren des siècle classique seien indes durch ihre Angst, sich lächerlich zu machen, davon abgehalten worden, originell zu sein: »[C]e qu’il fallait éviter avant tout, c’était le ridicule. Cette crainte mettait souvent obstacle à l’originalité du talent.« (Bd. I, S. 280) In ihren posthum veröffentlichten »Considérations sur les principaux évènements de la Révolution Française« (1818) verwendet sie für das anglomane Lob der Engländer auch den Begriff der excentricité: »[I]l n’est point de nation où l’on trouve autant d’exemples de ce qu’on appelle l’excentricité, c’est-à-dire, une manière d’être tout à fait originale, et qui ne compte pour rien l’opinion d’autrui.«37 Wie die Originalität konzipiert sie auch die Exzentrik als ein nationenspezifisches Phänomen. So führt sie die Verdienste der französischen Revolution auf den Einfluss Englands zurück und geht davon aus, England sei gegenüber den Franzosen besonders fortschrittlich (Bd. III, S. 283), insbesondere in Bezug auf die Liberalität (Bd. III, S. 293-306) und die demokratische Einstellung (Bd. III, S. 306-311). Auch wenn die Verwendung von excentricité hier als Neologismus de Staëls anzusehen ist – der Robert belegt den Begriff erst 183238 – spielt Exzentrik hier keine größere Rolle und wird von de Staël nur als besonders ausgeprägte Form der Originalität, als »manière d’être tout à fait originale« definiert. In De l’Allemagne (1810) vertieft sie den Zusammenhang zwischen Originalität und Nationalkultur, indem sie die künstlerische Originalität der Deutschen mit ihrer politischen Isolierung erklärt (Bd. II, S. 47). Das Originalgenie stellt sie als Ergebnis besonderer Natürlichkeit, als innere Disposition, bedingt durch Fehlen äußerer Einflüsse dar.39 Diese Vorstellung des Originalgenies aufnehmend, lobt sie die »originalité« des Stils von Wieland, von Schillers Glocke, oder bezeichnet Zelter als »musicien original«40. Bezeichnend für den hohen Status der Engländer ist, dass sie, obzwar sie die »origi37 Staël: Œuvres, Bd. III, S. 308. Im Folgenden beziehen sich alle Zitate de Staëls auf diese Ausgabe. 38 Vgl. Robert, Bd. III, S. 389, Staël: Œuvres, Bd. III, S. 308. 39 «[L]e génie poétique est une disposition intérieure« (Bd. II, S. 60), Vgl.: »Les Allemands de la nouvelle école pénètrent avec le flambeau du génie dans l’intérieur de l’âme.« (Bd. II, S. 195) So seien auch Rousseau oder Chateaubriand von der »école germanique«: »car ils puisent leur talent que dans le fond de leur âme.« (Bd. II, S. 45). 40 Staël: Œuvres, Bd. II, S. 64, 70, 72, vgl. Mortier: Originalité, S. 193.

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nalité naturelle« der Deutschen rühmt, dennoch die Überlegenheit der Engländer in diesem Punkt einräumt: »[L]’originalité anglaise a des couleurs plus vives, parce que le mouvement qui existe dans l’état politique en Angleterre donne plus d’occasions à chaque homme de se montrer ce qu’il est.«41 Auch wenn die Parallele zu Saurins L’Anglomane Zufall bleiben mag,42 ist die tolerante Gesellschaft beiden gemeinsamer Ausgangspunkt für die Entwicklung von Originalität. De Staëls Verschiebung von individueller zu kulturell und politisch bedingter Originalität ist folglich kein ›originelles‹ Konzept der Originalität, wie Roland Mortier behauptet,43 denn ihr Konzept einer nationenspezifischen Originalität ist nur ein bestätigendes Echo auf die verbreitete anglomane Behauptung der Engländer. Allerdings ist es ihr Verdienst, die Originalität des Originalgenies, zu dem sie über die Beschäftigung mit Deutschland gelangt, im Diskurs der Anglomanen zu verankern und der Englandbegeisterung in Frankreich ein griffiges Konzept zu geben. So nimmt beispielsweise noch Stendhal ihre Thesen in De l’Amour (1822) auf, wenn er schreibt, die »originalité« habe in Frankreich keinen großen Stellenwert, da sie nur selten und bestenfalls unnatürlich oder lächerlich in Erscheinung trete (S. 139). Stendhal stellt, wie de Staël zuvor, fest: »La France est, ce me semble, privée d’originalité«, weil die Franzosen zu sehr darauf bedacht seien, einen guten Eindruck zu hinterlassen und als bon ton zu gelten (S. 142). Demgegenüber stellt er im 45. Kapitel »De l’Angleterre« die Besonderheit der Originalität der Engländer heraus, spricht von der »originalité admirable du caractère national« (S. 152) und lobt Englands »originalité parfaite«44. Der Begriff der Originalität ist also eng an einen philosophischen Diskurs über die individualistische englische Gesellschaft und Literatur verbunden, die im Rahmen der französischen Anglomanie über-setzt wird.

6.1.3 Die Behauptung der eccentricity Während die Behauptung der Engländer als große Individualisten sich also in erster Linie in der französischen (und deutschen) Literatur vollzieht, dient das Attribut eccentricity einer ähnlichen Selbstbehauptung seitens der Engländer vor allem in elementar-literarischen Texten wie Anekdotensammlungen. Denn auch wenn das Adjektiv eccentric und das Substantiv eccentricity in Bezug auf menschliches, abweichendes Verhalten seit dem 17. Jahrhundert belegt sind,45 ist den Anekdotensammlungen die Verbreitung dieser Begriffe zu verdanken. Wie Schöwerling schreibt wurden diese zumeist mit Attributen wie strange, queer, peculiar, odd, droll, grotesque, curious und auch original versehen, die zur Aufgabe hatten, die »kuriose Exzentrizität« der dargestellten Personen zu illustrieren.46 Obwohl Schöwerling selbst von Exzentrizität 41 Staël: Œuvres, Bd. II, S. 137. Ein ausführliches Werk »De l’Angleterre«, in dem sie die Behauptung der Originalität der Engländer, weiter hätte ausarbeiten können, realisiert sie nie (vgl. Schmid: Einsamkeit, S. 56). 42 Vgl.: »A Londres chacun prend la forme qu’il lui plaît/ On n’y surprend personne en étant ce qu’on est.« (Zit. n. Gury: Une excentricité à l’Anglaise, S. 200). 43 Mortier: Originalité, S. 187. 44 Stendhal De l’Amour, S. 154. Obgleich er in diesem Kontext von »le jeune beau anglais« spricht (S. 154), ist der Begriff der Originalität noch nicht auf die Figur des Dandys angewandt. 45 Oxford English Dictionnary, Bd. III, S. 28. Im Folgenden kurz OED. 46 Schöwerling: Anekdote, S. 117, 122.

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spricht, erwähnt er die große Bedeutung des Attributs eccentric nicht, das in den von ihm untersuchten Sammlungen durchaus aufzufinden ist.47 Vor allem aber schmücken sich viele von Schöwerling nicht erwähnte Sammlungen mit dem Attribut eccentric, wie z.B. das vierbändige The Eccentric Mirror von G. H. Wilson.48 Der Untertitel »Reflecting a faithful and interesting definition of male and female characters […] who have been particularly distinguished by extraordinary qualification, talents and propensities, natural or acquired« zeigt, dass Eccentric in diesen Sammlungen außerordentliche und faszinierende Fähigkeiten von Männern und Frauen verheißt, wobei die Bezeichnungen »reflecting« und »mirror« eine ›reflektierende‹ Darstellung meinen, nicht als Problematisierung und ›Reflexion‹, sondern als ›spiegelbildliche‹ Treue, die auch »faithful« betont. Dass in dieser, wie in anderen Sammlungen, keine moralische Verurteilung angestrebt ist, zeigen Formulierungen wie »distinguished«, »talents« oder »extraordinary«, die eher den Vorbildcharakter dieser Personen unterstreichen. Die Entwicklungstendenz verläuft also von didaktischer Belehrung und idealtypischer Personenzeichnung in den Biographien des 17. Jahrhunderts zur Authentizität beanspruchenden Darstellung »unverwechselbare[r] Individuen«49. Dass eccentric als Abweichungen von der Norm in England positiv betrachtet wurde, kann der Neuropsychologe David Weeks zu Beginn seiner medizinischen Untersuchung Eccentrics auch historiometrisch belegen.50 Er wertet 150 Biographien über britische Exzentriker aus den Jahren 1550 bis 1950 aus, da, wie er schreibt, erst ab diesem Zeitpunkt ein rudimentäres wissenschaftliches Konzept von Geist und Persönlichkeit ausgearbeitet war.51 Das Kriterium für die Auswahl dieser Personen als Exzentriker war die Bezeichnung von mindestens drei voneinander unabhängigen Quellen als Exzentriker oder Synonymen. Weeks berücksichtigt zwar nicht, dass der Begriff eccentric erst im 18. Jahrhundert entstanden ist und reflektiert oder erläutert auch nicht die Nuancen und unterschiedlichen Bedeutungshorizonte von eccentric und den Synonymen, die er noch nicht einmal benennt. Dennoch belegt seine quantitative Analyse der Biographien die allgemeine Akzeptanz 47 Vgl. Fifty Years Recollections of an Old Bookseller; Consisting of Anecdotes, Characteristic Sketches, and Eccentricities of Authors, Artists, Actors […] (1837), The Cabinet of Curiosites: Or Mirror of Entertainment. Being a Selection of Extraordinary Legends; Original and Singularly Curious Letters. Whimsical Inscriptions; Ludicrous Bills; Authentic and Remarkable Anecdotes; […] And a Variety of other Eccentric Matter (o.J.), zit. n. Schöwerling: Anekdote, S. i-vi. 48 Andere Beispiele sind Lemoine: The Eccentric Magazine, Oxberry: Encyclopedia of Anecdote: Containing Anecdotes of Illustration and Eccentric Characters of all Nations, Kirby: Kirby’s Wonderful and Eccentric Museum (vgl. dazu Levier: Anatomie de l’excentricité, S. 11), Anonymus: Eccentric Biography; or, Sketches of Remarkable Characters, Ancient and Modern, Anonymus: Eccentric biography, or Lives of Extraordinary Characters, Anonymus: Eccentric and Remarkable Characters. 49 Vgl. Schöwerling: Anekdote, S. 54. 50 Zur Geschichte der historiometrischen Analyse (»historiometric analysis«) seit 1835, ihren Methoden und ihren vom Autor durchaus positiv bewerteten Stand innerhalb der heutigen Psychologie vgl. Simonton: Data, S. 620, Simonton: Historiometry. 51 Weeks: Eccentrics, S. 42, zur kritischen Auseinandersetzung mit dieser These vgl. Greenblatt: Selbstbildung, S. 35.

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und Faszination an ungewöhnlichen Menschen in England. So kann er resümieren, dass knapp die Hälfte der Reaktionen auf seine Exzentriker aus Bewunderung (36 %) und Achtung (13 %) bestand, wobei andere Reaktionen wie Schock oder Belustigung eine deutlich geringere Rolle spielten.52 Auch wenn er sich also nicht auf die Positivität der Bezeichnung beschränkt, kann er empirisch das an den Anekdotensammlungen erläuterte literaturwissenschaftliche Ergebnis bestätigen, dass Exzentrik nicht als verwerfliche Eigenschaft verstanden wird, sondern als ein faszinierendes Phänomen, mit dem das Interesse des Lesers gewonnen werden soll. So stellt Weeks sogar einen Vorbildcharakter der eccentrics heraus, die zu 49 % der oberen Mittelschicht und zu 21 % dem Landadel entstammen, was zusammen demnach mehr als Zweidrittel der Gesamtbevölkerung ausmacht.53 In der Tat waren die eccentrics keineswegs soziale Außenseiter, sondern gehörten zu den privilegierten Schichten, insbesondere den Großgrundbesitzern. Anders als der Hochadel wurde dieser Gesellschaftsschicht erst im Zuge der Privatisierung des Landbesitzes der Macht- und Vermögensausbau ermöglicht, und die zur Schau gestellte Exzentrizität verkörperte so das Bestreben nach gesellschaftlichem Aufstieg.54 Ein probates Mittel der Demonstration von Durchsetzungskraft, so die Grundthese von Douglas Sutherlands, war die Annahme von sportlichen Herausforderungen und das Aufstellen neuer Rekorde. Die eccentricity ist somit weniger mit einem Status als Außenseiter, als mit einer anzustrebenden Auszeichnung verbunden, wie auch John Timbs Schilderung in Club Life of London with Anecdotes (1866) von exklusiven »Eccentric Clubs« belegt. Timbs berichtet dort etwa vom Golden Fleece Club, in dem sich vor allem Börsenmakler betranken (S. 172), vom Everlasting Club, bei dem immer alle Stühle besetzt sein mussten und somit jeder Sitzende hinter sich einen Ersatzmann stehen hatte, falls er aufstehen musste (S. 173), vom Little Club für Leute unter 1,50 Meter Körpergröße (S. 176) sowie von dem bis Ende des 18. Jahrhunderts existierenden Club mit dem Namen »The Eccentrics« auf der Chandos Street, der in seiner ganzen Geschichte insgesamt 40.000 Mitglieder zählte, darunter die Politiker Fox und Sheridan, auf die Barbey und Carlyle in ihren Abhandlungen über den Dandy Bezug nehmen,55 sowie der fashionable author Theodore Hook (S. 307 f.). Wenn Weeks zufolge das »golden age of eccentricity« mit 32 Erwähnungen die Zeit von 1776-1800 ist (S. 14) und somit mit der Zeit von Byron und Brummell im Dandy Club zusammenfällt, legt dies die nun ergründende These nahe, dass insbesondere die Figur des englischen Dandys diese nur für begüterte Engländer mögliche eccentricity verkörpert. In der Tat wer-

52 Weeks: Eccentrics, S. 23. 53 Den verschwindend geringen Anteil von 4% in der Arbeiterklasse erklärt Weeks damit, dass dieser Klasse erstens die nötigen Geld- oder Zeitressourcen nicht zur Verfügung standen, um Exzentrik auszuleben, und sie zweitens auch nicht oft Gegenstand biographischer Darstellungen waren (S. 16). 54 Vgl. Sutherland: Mad Hatters, S. 12. »Mad Hatter« war eine geläufige Bezeichnung für Exzentriker, die auch Gronow in seinen Recollections and Anecdotes verwendet (S. 283 f.). Die »exzentrischen Gewohnheiten« eines solchen vermögenden Adligen beschreibt auch W.G. Sebald in der Person von Edward Fitzgerald (Sebald: Die Ringe des Saturn, S. 237). 55 Barbey: Du Dandysme, S. 691, Carlyle: Sartor Resartus, S. 157.

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den Brummell,56 aber vor allem Byron57 in vielen Anekdotensammlungen als eccentric aufgeführt. Ileys Byron-Biographie drückt bereits im Titel ihre Nähe zu den Anekdotensammlungen aus: »The Life, Writings, Opinions and Times of the Right Hon. George Gordon Noel Byron, Lord Byron; Including, in its Most Extensive Biography, Anecdotes, and Memoirs of the Lives of the Most Eminent and Eccentric, Public and Noble Characters and Courtiers of the Present Polished and Enlightened Age and Court of His Majesty King George The Fourth«

Der ausufernde Titel, den Leigh Hunt verspottet,58 imitiert nicht nur die Titel der Anekdotensammlungen, sondern verweist ausdrücklich auf anecdotes und eccentric.59 Wie in diesen Sammlungen geht es Iley demnach um biographische Daten, Kommentare und Auszüge aus Byrons Werk sowie Anekdoten über Byron und seine Zeitgenossen. Zudem betont er das für die Analiteratur typische Anliegen, das lange gehegte Bedürfnis nach einer umfassenden Biographie zu befriedigen, welche Byron als »the whole man« umfassend darstelle (xvii). Nach dem Vorbild der anékdota verspricht Iley auch Unveröffentlichtes, da er Auszüge aus Byrons eigentlich von Moore vernichteten Memoiren ankündigt.60 Im Sinne der eccentrics konzipiert Iley die Exzentrik Byrons als kauzige Eigenheit der englischen Oberschicht und stellt die Exzentrik insofern, gemäß dem englischen Verständnis, in die Tradition der außergewöhnlichen Sportsmänner. Er berichtet von Byrons Durchschwimmen des Hellespont (S. 134) und belegt Byrons »eccentric character«, indem er im Stil der Anekdotensammlungen authentische Augenzeugen anführt: etwa ei56 Neben Jesse, der das Dinner for One als »One of the most singular eccentricities« von Brummell bezeichnet (S. 486), wird Brummell aufgeführt in Timbs: English Eccentrics, S. 22-35, Sitwell: English Eccentrics, S. 115, 140, Timpson: English Eccentrics, S. 88 f., Bechtel: Livre des bizarres, S. 518 ff. Guy Bechtel und Jean-Claude Carrière stellen den Zusammenhang von Exzentrik und Dandys bereits im Vorwort vom Livre des bizarres dar, wenn sie in einem Atemzug von »originaux«, »excentriques« und »dandys« sprechen (S. 481). Vgl. auch ihre Kapitel über Brummell, die englischen Exzentrikern (S. 577-580), die Originale (S. 685 f.) sowie die Dandys (S. 551 f.). 57 Vgl. Howart: Lord Byron and Other Eccentrics, Nash: Zanies, S. 59 f., Timpson: English Eccentrics, S. 219, Donaldson: Brewer’s Rogues, S. 118-121 sowie mit indirekter Implikation der Exzentrik Keddie: Cyclopaedia, S. 309 f., George: A book of anecdotes, S. 146, Fadiman: Anecdotes, S. 91 f. 58 Hunt: Lord Byron, S. 172 ff. 59 Das Inhaltsverzeichnis des ersten Bands kündigt bereits »Anecdotes of Lord Byron and Mr. Shelley«, die »Anecdote of a Gondolier« und Anekdoten von »Lord Byrons eccentricities« an (xxiv). 60 Iley tauft diese »Memoirs of My Own Life and Times, by the Right Hon. Lord Byron« (S. xvii). Obwohl von Byron testamentarisch verfügt, löste die Zerstörung durch Moore generelle Empörung aus (vgl. Chasles: Littérature, S. 141). Iley gibt einen Brief von Thomas Moore wieder, in dem dieser die Vernichtung des Manuskriptes aus Pflichtbewusstsein gegenüber Byrons letztem Willen schildert (S. viii-ix). Jules Janin in der Revue de Paris vom 1.1.1831 oder Prosper Mérimée in Le National vom 7.3.1830 nehmen das Lob von Byrons Genie zum Anlass, diese Vernichtung zu kritisieren (vgl. Estève: Byron, S. 209) und auch Nietzsche prangert dies als Unfähigkeit an, die Wahrheit zu ertragen (Nietzsche: Genealogie der Moral, S. 404).

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nen Bauern, der beobachtet haben soll, dass Byron sich vom Boot aus in einen See gestürzt habe, um sich von seinen Neufundländer-Hunden ans Ufer bringen zu lassen (S. 60). So stellt er Byron in eine direkte Linie mit der kuriosen Exzentrik der Anekdotensammlungen.

6.1.4 Das Über-Setzen der eccentricity Obschon Peter Schulman vom Anglomanen als »precursor to the Modern French Eccentric« und Jacques Gury von der Anglomanie als »excentricité à l’Anglaise« sprechen,61 existiert das Wort excentricité im Französischen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, de Staëls bereits zitierte Verwendung bildet die einzige Ausnahme. In der Tat zeichnet das Über-Setzen von excentrique bis in die 1830er Jahre eine Spannung zwischen selbstverständlicher Übernahme und Betonung der Fremdheit aus. So ist das Nomen »excentrique« als Bezeichnung für eine Person bezeichnenderweise im Wörterbuch der englischen und französischen Sprache A Dictionarie of the French and English Tongues von Randle Cotgrave bereits 1611 verbürgt. Dort wird, neben der ursprünglichen Bedeutung von »ecentrique« (»without center, out of center, also without measure, whereof no measure can be taken«), aufgeführt: »Fol ecentrique. An unrulie or irregular coxcombe; one that can be held within no compasse« (o.S.). Damit wird mit fol ecentrique eine Person bezeichnet, welche die gesellschaftlichen Regeln nicht befolgt (unrulie) und deswegen nicht anerkannt ist (irregular), aber gleichzeitig ein ungemeines Selbstbewusstsein an den Tag legt. Der coxcomb (aus cock’s comb, dt. Hahnenkamm) verbildlicht das zur Schau gestellte stolze Auftreten. Die Bezeichnung compasse (frz. und engl. für Zirkel) wird dabei im weiteren Sinn von Horizont verwendet. Das Adjektiv excentrique für ein Verhalten, das im Horizont der Vernunft nicht mehr zu fassen ist, führt den Begriff zu einer übertragenen Bedeutung von völlig außerhalb ›gewöhnlicher Kreise‹. Dabei geht die Bezeichnung fol ecentrique vermutlich auf Rabelais’ Tiers Livre zurück, in dem eccentrique (in dieser Schreibweise) wohl das erste Mal in einem anderen als dem geometrisch-astronomischen Sinn verwendet wird. Triboullet wird dort von Panurge als »f[ol] lunaticque, f. erraticque, f. eccentrique« bezeichnet.62 In der Umschreibung für ein Leben, das in ungewöhnlichen Bahnen verläuft, bezieht sich eccentrique das erste Mal auf einen Menschen. »Eccentricque« wird – immer noch an das astronomische Bild gebunden – zu einer Metapher für den Geisteszustand einer orientierungslosen Person.63 Obwohl das Wörterbuch von Cotgrave das Wort als französisches behandelt, gehen die französischen Wörterbücher von einem englischen Ursprung des übertragenen Sinnes von Exzentrik aus. Der Grand Robert belegt zwar die Herkunft von excentrique durch Cotgrave, gibt jedoch an, dass der Begriff erst 1830 vom Englischen wieder ins Französische übertragen wurde (Bd. III, S. 389). Dem OED zufolge ist das Adjektiv eccentric in Bezug auf Eigenschaften von Menschen und die Substantivierung eccentricity als abweichendes Verhalten zwar seit dem 17. Jahrhundert belegt, das Substantiv eccentric für eine Person mit ungewöhnlichem und ungebührlichem Verhal61 Schulman: Sunday of Fiction, S. 12, Gury: Une excentricité à l’Anglaise, S. 189. 62 Rabelais: Œuvres, S. 464. 63 Vgl. Eichel: Excentricité, S. 23.

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ten (»a person whose conduct is irregular, odd, or whimsical«) kann indes erst 1832 durch Walter Scotts St. Ronan’s Well verbürgt werden (Bd. III, S. 28). Wie gezeigt, verwenden auch die Anekdotensammlungen eccentric ausschließlich adjektivisch in Kombination mit »mirror«, »museum«, »character« oder »biography«. Dass das OED die Person eccentric erst in der englischen Sprache verbürgt, nachdem er bereits seit zwei Jahren ins Französische übernommen wurde, verrät einen intensiven englisch-französischen Austausch, bei denen die Kategorien des Eigenen und des Fremden kaum auseinander zu halten sind. Dass trotz der Erwähnung der excentricité bei de Staël der Begriff nicht direkt in die französische Sprache übergegangen ist,64 lässt sich an vielen elementar-literarischen Texten belegen. So berichtet Pichots in Voyage historique et littéraire en Angleterre et en Écosse (1825) aus England von der »bizarrerie, ou, pour employer le mot local, l’eccentricité« und paraphrasiert diese als »originalité d’outre-mer«65. Wie de Staël präsentiert er excentricité als eine besondere Form der originalité, wobei die Schreibweise mit »cc« die englische Entlehnung verdeutlicht, deren Exotik durch die Umschreibung »Übersee« für England noch unterstrichen wird.66 An anderer Stelle berichtet er wie de Staël von der »originalité naturelle« und bezeichnet als typisch englische »eccentricité«, dass ein »lord« Arm in Arm mit seinem Kutscher spazieren gehe.67 Er kombiniert also die Vorstellung einerseits der adligen, englischen Exzentriker, andererseits des philosophischen Lobs der demokratischen Gesinnung. Das für einen Franzosen unglaubliche Verhalten verdeutlicht die Unfassbarkeit der eccentricity. Auch Dallas betont gegenüber Byron in einem Brief vom 5.9.1811 seine Jugend habe sich durch einige »excentricités« ausgezeichnet, was der Übersetzer dementsprechend erläutert: »Nous laissons ici le mot anglois, parce qu’il n’a point d’équivalent en notre langue; ceux d’originalités, singularités, bizarreries ne le rendraient pas parfaitement. Les excentricités sont des actions excentriques, c’est-à-dire littéralement qui sortent de la sphère commune.«68 Wie bei anderen elementar-literarischen Vorstellungen wird hier interdiskursiv die geometrische Vorstellung der excentricité mit einem randständigen Verhalten in der Gesellschaft verbunden.69 Die eccentricity wird als englisches Phänomen etabliert, für das es keine französische Entsprechung geben könne, sie bezeichnet nicht nur einen Mann außerhalb des Zentrums, sondern ist auch selbst für einen Franzosen außerhalb seiner Vorstellungskraft, ein un(be)greifbarer Begriff. Die Betonung der englischen Herkunft des Begriffs findet sich noch in Mérimées Le Vase étrusque, erschienen am 14.2.1830 in der Revue de Paris. Dort ist die Rede von »femmes, et le nombre en est grand, qui ont la prétention d’avoir un caractère original, eccentric,

64 Vgl. Mackenzie: Les relations de l’Angleterre et la France, Bd. I, S. 260. 65 Pichot: Voyage historique, S. 288, vgl. Mackenzie: Les relations de l’Angleterre et la France, Bd. I, S. 201, 260. 66 Reboul folgert aus der Rezeption von Pichots Voyage über die Leser: »ce qui les frappait, c’était la grossiéreté, l’orginalité, l’excentricité de la humour.« (Reboul: Le mythe anglais, S. 128). 67 Pichot: Essai sur le génie, S. 285, 289. 68 Dallas: Correspondance, Bd. II, S. 8, vgl. Reboul: Le mythe anglais, S. 411 FN. 69 Vgl. Link: Diskurs/Interdiskurs, S. 94, Foucault: Les mots et les choses, S. 172, 202.

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comme on dit en Angleterre.«70 Dass einerseits die Zahl der Frauen mit vorgeblich exzentrischem Charakter groß sein soll, dies andererseits eine englische Erscheinung bleibt, bestätigt, dass die paradoxe Spannung der excentricité zwischen Eigenem und Fremden noch bis 1830 zu beobachten ist.

6.1.5 Byroniana. Byron als exzentrisches Originalgenie Dass die gerade zitierten Texte von Pichot und Dallas von Byron handeln, lässt bereits darauf schließen, dass die friktionale Selbstbehauptung des broken dandy von zentraler Bedeutung für das Über-Setzen der eccentricity ist. Die Rezeption von Byron in Frankreich erweist sich als der Schlüssel, mit dem Originalität, Exzentrik und Dandyismus auf einen Nenner gebracht und in eine Person projiziert werden. Bereits Iley überträgt in seiner 1825 ByronBiographie die verschrobene eccentricity des Adligen Byron auf seine Position als origineller Autor. Seine Präsentation Byrons als »Noble and Eccentric Bard« (S. xiii) entspricht somit Byrons bereits untersuchter doppelter Selbstbehauptung als Dichter und Adliger. Iley berichtet in diesem Sinn von einem englischen »Gentleman«, der Byron als »most eccentric character« bezeichnet, worauf der Gondoliere ergänzt, indem der liebe Gott aus Byron einen »Lord« und einen »poet« gemacht habe, sei der Welt ein Gondoliere verloren gegangen (S. 374). Byrons eccentricity manifestiert sich hier in einer Zwischenposition zwischen Literat und Lord und bestätigt das verbreitete Bild von Byron als Poseur, der in der Lage war, jede Rolle anzunehmen.71 Iley überträgt dieses Bild von Byron als exzentrischem Lord auf dessen Status als Schriftsteller. So zitiert er Byrons Ausspruch gegenüber Shelley, er hoffe, die Nachwelt werde von ihnen sagen, sie seien imposante Nichtsnutze und ausgezeichnete Verrückte gewesen (»important triflers, and eminent madmen«), und kommentiert: »Lord Byron’s ideas of posthumous fame were as eccentric as everything else in his character.« (S. 366) Gemäß der doppelten Behauptung des Autors Byron als Ballroom Bard verbindet Iley also Byrons Exzentrik mit seiner Fähigkeit zum Originalgenie. Schon im Inhaltsverzeichnis subsumiert er so Byrons Schulzeit mit: »More remarkable for his Eccentricities, than for any early display of Genius.« (S. xxi) Er erklärt dies mit Byrons mangelndem Interesse an der Schullektüre, die er wiederum rechtfertigt mit: »Lord Byron was himself – a copy of no man – an original genius […].« (S. 48) Iley greift also auf die Theorie des bücherfreien Originalgenies zurück, um Byrons Existenz als eccentric mit dem die Schule verschmähenden Originalgenie zu verbinden.72 Immer wieder lobt Iley Byron als Originalgenie73 und fasst schließlich dessen Leben und Werk als »the whole career of so eccentric and transcendant a genius« zusammen (S. xvi). In Byron als écrivain-dandy wird so die faszinierende ec70 Mérimée: Œuvres, S. 516. 71 Eine weitere von »Byron’s eccentricities« bestand Iley zufolge darin, sich als Bauer zu verkleiden (S. 367). 72 Chasles schreibt: »Incapable de se livrer à des études fortes et soutenues, il se distingue à l’Université de Cambridge par ces prouesses excentriques dont les jeunes gens se font honneur.« (Chasles: Littérature, S. 141). 73 Es ist die Rede von Byron als »genius« (v), »GOOD GENIUS OF GREECE« (S. xvi), »universal genius« (S. xvii), »transcendant genius« (S. xix und vi), »so great a genius« (S. xv), der »rapidity of his genius« (S. vi f.) sowie Byron als »original genius« (S. 48).

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centricity des Dandys mit der von den Anglomanen bewunderte Originalität des genialen Autors verbunden. Wenn Byron gegenüber Jean-Jacques Coulmann Goethe als »génie excentrique« bezeichnet,74 so nimmt er also eine Verbindung vor, die von anderen Autoren auf ihn selbst bezogen wird. Von noch größerer Resonanz ist diesbezüglich Thomas Moores Biographie Life of Byron, die in Frankreich schon in ihrem Erscheinungsjahr 1830 in der englischen Originalfassung sowie in drei verschiedenen Übersetzungen veröffentlicht wurde.75 Die Behauptung Byrons als »original genius« ist bei Moore zentrales Anliegen, auf welches er immer wieder zurückkommt. Insbesondere in seiner Conclusion gebraucht er den Begriff inflationär, z.B. wenn er schreibt, Byron ähnele Dante darin, dass er aus bitteren Erfahrungen die »pure essence of his genius« gezogen habe.76 Moore bringt Byrons Genie mit seinem Außenseitertum in Verbindung, indem er Byrons gesellschaftliche Isolation als Quelle seines Genies darstellt. Dass er zudem Byrons Vater als »eccentric peer« bezeichnet,77 ist insoweit wichtig, als dies eine Regularität in der Behauptung von Byrons Exzentrik ist, die Byron selbst gegenüber Medwin bestätigt.78 Denn die Verbreitung der Anekdoten über Byrons exzentrischen Vater reicht von Goethe79 bis zu Amédée Pichots Essai sur le génie et le caractère de Lord Byron (1824), der, Moore wiedergebend, von der »bizarrerie (eccentricity)« von Byrons Vater berichtet.80 Selbst in der Baudelaire zugeschriebenen Biographie des Excentriques heißt es: »Il serait injuste de refuser à lord Byron un brevet d’excentricité […].« Und dann: »L’originalité était, dans sa famille, disposition héréditaire […].«81 Die Überzeugung einer genetischen Veranlagung zur Exzentrik zeigt, obwohl sie positiv konnotiert ist, ihre Pathologisierung als Gemütskrankheit, die sich auch in Balzacs Comédie Humaine wiederfinden lässt, in der mehrfach die Vorstellung der Exzentrik als Geisteskrankheit geäußert wird.82 74 Coulmann notiert am 7.1.1823 den Ausspruch von Byron: »Un des hommes que je désirais le plus voir, […] c’est Goethe. C’est là un génie excentrique.« (Coulmann: Réminiscences, Bd. I, S. 167, vgl. Martin: Les Romantiques, S. 38) Goethe wiederum bezeichnet Byron als »das größte Talent des Jahrhunderts« (Eckermann: Goethe, S. 250). 75 Vgl. ausführlich Estève: Byron, S. 208. 76 Moore: Life of Byron, S. 644, vgl. 645, 646, 515, 251, vgl. Elfenbein: Byron and the Victorians, S. 91, 105. Elfenbein bezeichnet Byron als Prototyp des romantischen Genies (Elfenbein: Romantic genius, S. 203). 77 Moore: Life of Byron, S. 20, 22. 78 Medwin: Byron, S. 57 f. 79 Vgl. Eckermann: Goethe, S. 149. 80 Vgl.: »›La bizarrerie (eccentricity) semble être une maladie héréditaire dans la famille,‹ observe l’auteur d’un mémoire sur lord Byron […].« (Pichot: Essai sur le génie, S. 28) Coulmann zufolge bat Byron ihn in einem Brief am 12.7. 1823 Einfluss zu nehmen, um das negative Bild des Vaters bei Pichot zu korrigieren (Coulmann: Réminiscences, S. 168-171). 81 Baudelaire: Excentriques, S. 13 f. Die Herausgeber Jacques Crépet und Claude Pichois geben die Autorschaft als »tout à fait incertaine« an (S. 13), in der ebenfalls von Pichois besorgten Pléiade-Ausgabe fehlt der Text, der auch 1923 unter dem Titel Excentriques par Charles Baudelaire. Avec un portrait inédit et une notice par Florian Parmentier veröffentlicht wurde. 82 Vgl.: »Vous savez peut-être qu’il y a dans la société anglaise beaucoup de fous que l’on n’enferme point et nommés excentriques; ce sont des gens à idées bizarres […].« Les Martyrs ignorés (Balzac: Comédie XII, S. 738) »La jalousie

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Dass Byron trotz dieser Pathologisierung gleichzeitig als ultimatives Vorbild eines Originalgenies rezipiert wurde, ist auch auf seinen hohen Stellenwert im literarischen Feld in Frankreich zurückzuführen. So sagt Fabre d’Olivet im Vorwort zu seiner Übersetzung von Byrons Cain über Byron, den er mit »My Lord« apostrophiert: »il tendait, par la force et l’orginalité de son génie, à saisir le sceptre de la poésie parmi les poètes de toutes les nations européenes.« (S. 1) Auch in Pichots Essai sur le génie samt der »Préface« von Charles Nodier greifen inflationär auf den Begriff génie zurück, etwa wenn Nodier schreibt von »cette audace d’un génie indépendant, qui, sûr de lui-même, dédaigne de rien emprunter aux autres, et réunit tous les caractères de la véritable inspiration […].«83 Dabei übernehmen sie den Diskurs der Anglomanen und übertragen diesen auf Byrons parêtre als Außenseiter. Byrons friktionale Selbstbehauptung als outlaw erscheint als beispielhafte Kombination des originellen Engländers mit dem unabhängigen Genie.84 Erst die Rezeption Byrons in Frankreich führt also zu einem Konzept des Genies im Sinne des englischen und deutschen Originalgenies. Pichot identifiziert so Byron mit seinen Protagonisten (S. 20) und schwärmt: »On s’abandonne en lisant Childe-Harold à l’impulsion du génie de l’auteur; […] C’est le vol audacieux de l’aigle qui parcourt librement les cieux […] et qui plane avec orgueil au-dessus des mortels.« (S. 65) Somit überträgt er den von den Anglomanen gelobten Stolz der Engländer auf den friktionalen Byron, der sich in Childe Harold als jenseits aller menschlichen Sphären inszeniere. Er lobt auch die »originalité« seines Stils (S. 74) im Allgemeinen, und von Childe Harold im Besonderen (S. 108), und schreibt in Anlehnung an das ursprüngliche Schöpfen des Originalgenies, alles entstehe aus spontaner Reflexion und Deklamation (S. 122 f.). Byrons metafiktionale Kommentare des Schreibens tragen demnach dazu bei, dieses als Ausdruck des originalen und spontanen Schaffens zu rezipieren. Seine eigene Übersetzung von Medwins Conversations, veröffentlicht als Conversations de Lord Byron (1825), nimmt Pichot dabei zum Anlass, einen Teil seines Essays wieder abzudrucken und Lord Byron als »homme de génie dans la République des lettres« auszuzeichnen (S. 7). Schließlich räumt er ein: »Lord Byron a pu être ce que les Anglais appellent un homme excentrique (un homme fantasque et original) […].« (S. 126) Diese Bedeutung Byrons für die excentricité betont auch das Dictionnaire de la conversation et de la lecture, das den Dandy als »L’ex-centric man« bezeichnet und erläutert: »Les dandies anglais réclament comme un de leurs le célèbre poète Byron dont les bizarreformait la base de ce caractère plein d’excentricité, mot trouvé par les Anglais pour les folies […].« La Cousine Bette (Balzac: Comédie, VII, S. 80, vgl. Sangsue: Récit excentrique, S. 51) In seiner ré-écriture des Anglomanie-Diskurses beschreibt Pierre Reboul diese pathologisierende Rezeption der Engländer mit: »les Anglais, au lieu de cacher l’humeur dont ils étaient, s’abandonnaient aux joies sombres de l’originalité et de l’excentricité.« (Reboul: Le mythe anglais, S. 128) 83 Pichot: Essai sur le génie, S. 19 f., vgl. 7, 9, 13. Auch Paulin Paris, Herausgeber der Œuvres Complètes de Byron (1830) lobt das »génie« Byrons (zit. n. Estève: Byron, S. 218). 84 Auch die Physiologie, ou l’Art de connaître les hommes par les traits du visage et les manifestations extérieures von Isidore Bourdon (1830) lobt das »génie sublime« von Byron und führt es auf seinen marginalen Status in der Gesellschaft zurück, zit. n. Estève: Byron, S. 208 FN.

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ries un peu affectées lui donnaient quelque droit à ce titre.«85 Indem hier von den Anekdoten über den eccentric Byron auf den Dandyismus geschlossen wird, ist das Über-Setzen der Exzentrik als englisches Phänomen eng mit der Rezeption von Byron als Dandy verbunden, was sich auch in vielen anderen Zitaten nachweisen lässt. So meint Delécluze 1832, Begründer eines anglomanen Kreises, in dessen Zentrum Lektüre und Übersetzung von Byron standen: »Lord Byron, par ses ouvrages […] imposa aux hommes de son temps un goût tout particulier, excentrique, comme disent les Anglais, et qui n’est autre chose que les fantaisies énergiques et fashionables tout à la fois de l’auteur de Lara et de don Juan.«86 Dass Byrons Werke aus einer energetischen Fantasie heraus entstanden seien, verdeutlicht nochmals die Verbindung der Exzentrik mit dem Originalgenie. Dass diese Energie gleichzeitig fashionable ist, zeigt wiederum, wie eng dies mit der Behauptung Byrons als modischer Dandy verbunden ist.

6 . 2 G a u t i e r s e la b o r i e r te B e h a u p tu n g Im Essai sur le génie kommentiert Pichot die Nachahmungen Byrons in England mit: »L’originalité a plus de priviléges [sic] de l’autre côté du détroit que chez nous; mais l’originalité d’emprunt y trompe plus difficilement.« (S. 163) Wie die Anglomanen betont er den englischen Hang zur Originalität, kritisiert jedoch ebenso die nachgemachte Originalität der Bewunderer Byrons. In dieser Nachahmung von Byron, so Pichot, sei die »nouvelle école« in Frankreich erfolgreicher gewesen mit ihrem Aufschrei: »Nous sommes Romantiques comme lord Byron.« (S. 164) Auch Nodier bezeichnet Byron als »génie reveur de la nouvelle école« (S. 6) und instrumentalisiert so Byrons Genie für die Behauptung der école romantique, die hier gemeint ist. Diese Behauptung von Byron als exzentrischer, origineller Dandy für die Zwecke der Romantiker zeigt sich insbesondere in Gautiers Werken Anfang der 1830er Jahre.

85 Dictionnaire de la Conversation, Bd. VII, S. 133. Dieser Satz aus der zweiten Auflage von 1870 findet sich, anders als die Äußerung über »L’ex-centric man«, auch in der ersten Auflage des Lexikons von 1835, hier aufgeführt als Ourry: Dandy, S. 90. 86 Delécluze: Barbus, S. 45, zum Kreis vgl. Martin: Romantiques, S. 93. Das Zitat findet sich auch in Matoré: Le Vocabulaire et la Société sous Louis-Philippe 318, Klein: Vocabulaire, S. 110, die indes keine bibliographischen Hinweise auf den Artikel angeben. Der Comte de Monte-Christo von Dumas, der Schulman zufolge wie Jules Verne den byronschen Helden des Exzentrikers propagiert (Schulman: Sunday of Fiction, S. 13, 32-35), stellt diese Verbindung mit mehreren byronschen Figuren ebenfalls her: »Sans doute, vous vous empressez de me faire une réputation d’excentricité: je suis, selon vous, un Lara, un Manfred, un lord Ruthwen; puis, le moment de me voir excentrique passé, vous […] me voulez commun, vulgaire […].« (S. 1093 f.) Reboul bestätigt über den englischen Mythos: »[On vit] dans les poèmes byroniens l’excentricité bien anglaise de l’auteur« und wiederholt: »Byron était anglais par son excentricité.« (Reboul: Le mythe anglais, S. 150, 153) Vgl. auch: »L’anglomane est devenu le dandy, il cultive le spleen et admire Lord Byron, se prend pour Beau Brummel et dévore les romans de W. Scott.« (Gury: Une excentricité à l’Anglaise, S. 208).

DIE BEHAUPTUNG DER ORIGINALITÄT UND EXZENTRIK | 199

Zwar lässt sich Matorés Behauptung, excentricité und excentrique seien Neologismen von Gautier,87 nicht aufrecht erhalten, da die zuvor zitierten Texte belegen, dass bereits vor Gautier eine intensive Auseinandersetzung mit der englischen Exzentrik stattgefunden hat. Dennoch ist mit Daniel Sangsue von Gautiers erfolgreicher »›promotion‹ de la notion d’excentricité« zu sprechen.88 Dass der Grand Robert zu den Einträgen »excentrique« zwei und zu »excentricité« ein Zitat von Gautier anführt, zeigt zudem, dass mit Gautier der erste vom Robert zitierbare, d.h. kanonisierte Autor das Attribut konsequent verwendet. Gautiers Behauptung der Originalität und Exzentrik des Dandys ist folglich nicht nur als Elaboration vorhandener elementarer Diskurse zu sehen, sondern zudem noch, zumindest in Bezug auf die excentrité, als wirkungsvolle Familiarisierung des Attributs, was wiederum die Funktion der elementaren Interdiskurse ist. Diese elementare und elaborierte Behauptung ist nun im Kontext des Dandys byronscher Prägung aufzuzeigen.89 Eine genauere Betrachtung des Kontexts der vom Robert angeführten Zitate zeigt dabei, dass Gautier die excentricité, auch wenn er sie ebenso intensiv mit Byron verknüpft, anders konzipiert als z.B. Pichot. Insbesondere in Mademoiselle de Maupin ist die Suche nach Exzentrik der Inbegriff der ästhetischen Suche Alberts: »[Q]uelque chose est en moi […] qui me fait agir sans ma participation et toujours en dehors des lois communes; le côté simple et naturel des choses ne se révèle à moi qu’après tous les autres, et je saisirai tout d’abord l’excentrique et le bizarre.« (S. 413) Zwar wird die excentricité, interdiskursiv anknüpfend an die geometrische Vorstellung, als ›Abwegigkeit‹ konzipiert,90 jedoch ist dies positiver Ausdruck von Alberts feinsinniger Suche nach ästhetischer Verfeinerung. Im vom Grand Robert angegebenen Zitat aus Fortunio ist das erste, was Musidora zum gleichnamigen Protagonisten sagt, nachdem sie wochenlang auf ein Treffen mit ihm gehofft hat und er sich ihr schließlich als »garçon le plus uni du monde« vorstellt: »[V]ous êtes modeste en ne vous croyant pas singulier; savez-vous donc, monsieur Fortunio, que vous êtes d’une excentricité parfaite?«91 Die excentricité ist positiv konnotiert als zur Perfektion gebrachte Außergewöhnlichkeit von Fortunio. Dabei verweist Gautier implizit auf Byron und Brummell, indem er Fortunios Freund »Georges« tauft, ab der fünften Ausgabe sogar in der englischen Schreibweise »George«92. Denn Fortunios »excentricité parfaite« äußert sich nicht zuletzt in seinem Wunsch, gleichzeitig Brummells Eleganz und Byrons parêtre als Dandy nachzueifern: »Un des plus grands plaisirs qu’il eût, c’était de mélanger la vie barbare et la vie civilisée, d’être à la fois un satrape et un fashionable, Brummel et Sardanapale […].« (S. 712) Dass Gautier in Byrons Sardanapalus die Verkörperung von ›ultimativer‹ Sinne87 Matoré: Le Vocabulaire et la Société sous Louis-Philippe, S. 318. 88 Vgl. Sangsue: Récit excentrique, S. 40 und Sangsue: Vous avez dit excentrique, S. 44. 89 Auch in seiner sprachwissenschaftlichen Analyse von Gautiers Vokabular stellt Matoré die Begriffe dandy und excentricité in einem Schema in engen Zusammenhang (Matoré: Le Vocabulaire et la Société sous Louis-Philippe, S. 6). 90 Vgl.: »J’ai mis à nu devant toi les plus secrètes fibres de mon cœur; si bizarres, si ridicules, si excentriques que soient les mouvements de mon âme […].« (Gautier: Mademoiselle de Maupin, S. 358) 91 Gautier: Romans, Bd. I, S. 680, vgl. Grand Robert, Bd. III, S. 389. 92 Vgl. Brunon: Notice, S. 1368, 1377.

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slust sieht, bringt er in der Histoire de l’art dramatique zum Ausdruck, wenn er über den orientalischen Herrscher schreibt: »Lord Byron, qui était un dandy accoutumé à bien vivre […] en a fait un prince oriental un peu efféminé, non par lâcheté, mais par raffinement.«93 Eine besondere Bedeutung hat dabei die Doppeldeutigkeit von lion und tigre, denn Fortunio wird sehnsüchtig von George und den mit ihm befreundeten ›Gesellschaftslöwen‹ (»quelques lions et […] tigres«, S. 608) erwartet und hält sich gleichzeitig wirkliche Löwen und Tiger in seinem »El Dorado«, seinem Nachbau eines Harems (S. 681). Fortunios excentricité besteht demnach in der durch die Doppeldeutigkeit von lion und tigre symbolisierten Kombination aus Brummells Dandyismus und dem Orientalismus Byrons. Zentrale Elemente der Rezeption von Byron als orientalischem Dandy war neben seinen Turkish Tales seine Faszination an Albanien, die in dem bekannten Porträt im »Albanian costume« Verbreitung fand.94 Dass Fortunio über immensen Reichtum verfügt, kann dabei als Anspielung auf die reichen Engländer gesehen werden, die in Frankreich in großem Luxus lebten. Dies hatte den praktischen Hintergrund, dass das Leben in Paris, bedingt durch Englands Vorsprung in der industriellen Revolution, zweieinhalb mal so billig war wie in London, sodass viele Engländer regelmäßig nach Frankreich reisten und in prunkvollem Aufzug Aufsehen erregten.95 Der Byron-Übersetzer Eusèbe-François de Salle berichtet in seinem unter dem Pseudonym Arcieu veröffentlichten Diorama de Londres: »Les immenses richesses, que le commerce a accumulées dans Londres, permettent aux dandys de cette capitale de traiter tous les objets de mode avec un luxe inimitable, et une prodigalité scandaleuse, qui nous est interdite.« (S. 135) Demzufolge könnte die orientalische Herkunft Fortunios als literarische Übertreibung der Exotik der Engländer angesehen werden. Gleichzeitig aber zeichnet Fortunio – wie Gautiers Jeunes-France – ein friktionaler Selbstbezug aus, der in der Préface offen angesprochen wird, wenn der Erzähler von den Masken der Protagonisten spricht, welche die realen Physiognomien dahinter durchscheinen lasse (S. 606). Tatsächlich wurde Gautier, nicht zuletzt aufgrund seiner genauen Beschreibung des Protagonisten, von seinen Zeitgenossen mit Fortunio und mit dessen Dandyismus identifiziert.96 Auch die excentricité war ein Attribut, das häufig auf Gautier selbst angewendet wurde. Arman de Pontmartin spricht von den »pourpoints façon moyen âge plus excentriques et plus râpés« der Jeunes-France, Baudelaire evoziert in Anspielung an das gilet rouge die »excentriques que les couleurs tranchées et violentes dénonçaient facilement aux yeux« (S. 494), und

93 Gautier: Histoire de l’art dramatique en France, Bd. III, S. 185. 94 Vgl. McGann: Dandy, S. 6. 95 Brüch: Anglomanie, S. 38 f. Dass viele Engländer ebenfalls die französischen Hafenstädte Calais und Boulogne für kurze, aber intensiv genutzte Aufenthalte besuchten, ließ Brüch zufolge die Bezeichnung »capote anglaise« für Präservative entstehen (S. 41). 96 Vgl. Gautier: Romans, Bd. I, S. 622. Der anonyme Rezensent der Revue française sieht die Darstellung von Dandys, kritisiert jedoch die Dominanz von abstrakten Ideen: »Ses livres sont l’expression de ce dandysme nouveau, tout à fait indépendant de la position sociale, qui ne consiste plus à faire mais à dire.« (Anonymus: Gautier, S. 1370, vgl. Coblence: Obligation d’incertitude, S. 175) Kritikpunkt ist hier der byronsche metafiktionale Selbstbezug, in der die eigentliche Handlung verzögert wird.

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Gautier selbst reflektiert die »époque d’excentricité où chacun cherchait à se signaler par quelque singularité du costume […].«97 Nicht nur die Forschungsliteratur überträgt diese excentricité der Kleidung dabei auf einen allgemeinen Status in der Gesellschaft,98 auch in den Jeunes-France dient dieser Begriff der Abgrenzung gegenüber dem Bourgeois. In »Celle-ci et celle-là« wird Rodolphe als »byronien« (S. 83) und als »un homme aussi excentrique que notre ami Rodolphe« vorgestellt (S. 122). Er verliert dieses Attribut, als er sich dem bürgerlichen Leben anpasst, um Mme de M zu gefallen, was kommentiert wird mit: »L’épicerie du siècle avait enfin rompu le cercle magique d’excentricité dont Rodolphe s’était entouré […].« (S. 103) Die von Gautier häufig verwendete Bezeichnung »épicerie« zielt auf die aufs Geld fixierte, kleinkrämerische Lebenseinstellung des Bürgertums,99 etwa als Rodolphes Suche nach einer großen Leidenschaft erklärt wird mit: »[C]’est qu’il lui fallait une passion, non une passion épicière et bourgeoise, mais une passion d’artiste […].«100 Dass Gautier die originalité, wie bereits de Staël, synonym zur excentricité verwendet, zeigt sich daran, dass es, kurz bevor Rodolphe seine excentricité an die épicerie verliert, heißt: »[T]out le monde, qui s’attendait à voir un original, un lion comme disent les Anglais, était émerveillé de le voir s’acquitter des devoirs sociaux avec une aisance aussi parfaite.« (S. 103) Im Kontext des Salonlöwen, den Fortunio als Dandy à la Byron und Brummell verkörpert, werden original und excentrique synonym als Gegenteil der gesellschaftlichen Konventionen konzipiert, denn auch Onuphrius wird als »original« charakterisiert, bevor ihn der Teufel in einen Klassiker verzaubert.101 Die Rolle dieser Begriffe reflektiert Gautier in seinem programmatischen, am 14.6.1832 im Cabinet de Lecture erschienenen Aufsatz »De l’originalité en France«, in dem er den Konflikt zwischen Originalität und bürgerlichem Empfinden herausstreicht: »Ce mot seul, ›c’est un original‹, équivaut à une réprobation et établit comme un cordon sanitaire entre vous et ces Dreux-Brézé de l’étiquette bourgeoise barricadés derrière le banal, embastionnés dans le convenu dont la grande maxime, l’apophtegme sacramentel 97 98

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Gautier: Romantisme, S. 74, vgl. Martin: Les Romantiques, S. 154. Martin-Fugier widmet Gautier das Kapitel »Excentricités: les gothiques de 1832« und spricht von den »costumes excentriques« und den »excentricités« (Martin: Les Romantiques, S. 138 ff.). Crouzet spricht von »un dandysme fashionable excentrique et raffiné« (Crouzet: Présentation, S. 13). Schulman nimmt die Jeunes-France in die Liste seiner »Literary Eccentrics« auf (Schulman: Sunday of Fiction, S. vii, vgl. 1, 25). Auch Victor Hugo wird als Maler ein »Grand Eccentric« genannt (Hess: The Grand Eccentrics, S. 9). Im Dictionnaire de l’argot Parisien erklärt Lorédan Larchey dazu: »Les romantiques n’avaient de commun que leur haine des bourgeois qu’ils appelèrent génériquement épiciers (1830). La société ne se divisa plus à leurs yeux qu’en bourgeois et en artistes, – les épiciers et les hommes.« (Larchey: Argot, S. 126). Gautier: Jeunes-France, S. 84. Vgl.: »il se prit à réfléchir que […] sa passion d’artiste s’emmanchait exactement comme aurait pu le faire celle d’un marchand de bougies diaphanes […].« (S. 90) Rodolphes beschriebene Versuche, Byrons Protagonisten nachzueifern, stellt also seinen Mangel an Originalität und gleichzeitig Byrons Werk als authentischen Ausdruck des Dichters dar. Während Rodolphe nur die Nachahmung bleibt, präsentiert sich Byrons Werk nach dem Muster des Originalgenies als authentische Äußerung des Dichters. Gautier: Jeunes-France, S. 43.

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[sic] est: Il faut être comme tout le monde.«102 Der »cordon sanitaire«, ein Bewachungsring, der um eine von einer Epidemie befallene Stadt gelegt wurde,103 und die bürgerliche Stigmatisierung der originalité, zeichnet durch den gleichzeitigen Verweis auf die Revolution ein kämpferisches Bild zwischen banalem Bourgeois und Original, stilistisch unterstrichen durch die Alliteration auf b: Dreux-Brézé war Vorsitzender der Assemblée Nationale von 1789 und Gautiers hier geschaffener Neologismus »embastionné« – der Grand Robert verbürgt das Wort erst seit 1853 (Bd. II, S. 1994) – bezieht sich auf die Bastille. Die Formulierung »barricadé« lässt ebenso an die Revolution denken, allerdings eher an die Barrikadenkämpfe von 1830.104 Dass der Bourgeois mit sakralem Ernst am Zwang zur Konvention festhält, den Gautier mit einem Zitat von Beaumarchais’ Le Mariage de Figaro wiedergibt,105 evoziert zudem einen heiligen Krieg. Diese rhetorische Beschwörung des Kampfes zwischen Original und Bourgeois erläutert Gautier im Folgenden: Jeder junge Mann, der in irgendeiner Weise auffalle, werde entweder von der Gesellschaft vollständig eliminiert oder umerzogen (S. 11). Gautier ergänzt, durch die Repression entstehe die Angst, durch Individualität negativ aufzufallen, oder wie er es ausdrückt, »d’être surpris en flagrant délit d’individualité« (S. 11), und demnach werde jede Spur von Exzentrik, »la plus minime excentricité« vermieden (S. 12). Obwohl von Gautier nicht verwendet, drängt sich der Begriff des Normalen auf, der laut Jürgen Link erstmals 1830 zu einem neuen »Reizwort« in der Konversation wurde: »Romantiker wie Realisten, Reaktionäre wie Sozialisten werden vom Diskurskomplex des Normalen gleichermaßen ›angesteckt‹.«106 Dass sich Bourdieu zufolge der Schriftsteller eben ab 1830 vom Bourgeois zu distanzieren beginnt,107 lässt darauf schließen, dass normalité und originalité/excentricité komplementäre Begriffe sind. Während die eccentricity als Vorbild für das Bürgertum, um nicht zu sagen als Normalität der Adligen, und originality als Attribut des Originalgenies dargestellt wurden, sind excentricité und originalité Attribute, die den Konflikt mit der bürgerlichen Normalität widerspiegeln und Schlüsselworte des »comportement romantique« sind.108 Anders als etwa Schlegel in seiner Forderung nach »ekzentrischen« Werken für die Romantik konzipiert Gautier die Originalität dabei aber nicht als Eigenschaft des Originalgenies, sondern synonym zur Exzentrik.109

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Gautier: Œuvres, Bd. III, S. 10. Vgl. Grand Robert, Bd. II, S. 605. Vgl. zu den Barrikadenkämpfen Benjamin: Charles Baudelaire, S. 516-520. Vgl.: »Sois belle si tu peux, sage si tu veux; mais soi considérée, il le faut.« (Beaumarchais: Le mariage du Figaro, S. 265). Link: Normalismus, S. 221. Bourdieu: Le marché des biens symboliques, S. 55. Chenoune: Des modes et des hommes, S. 56, vgl. Matoré: Le Vocabulaire et la Société sous Louis-Philippe, S. 23. Vgl.: »Aus dem romantischen Gesichtspunkt haben auch die Abarten der Poesie, selbst die ekzentrischen und monströsen, ihren Wert, als Materialen und Vorübungen der Universalität, wenn sie nur original sind.« (Schlegel: Kritische Ausgabe, Bd. II, S. 187 [139]) Schlegel sieht die exzentrischen Werke also als ein Mittel, sich einer Universalpoesie anzunähern, sofern sie von einem Originalgenie entstammen.

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Insbesondere in Gautiers Literaturanthologie Les Grotesques erhalten beide Begriffe ihre Wertigkeit als Abgrenzung gegenüber der Konformität.110 So wie er in »De l’originalité en France« in Anlehnung an Hugos Vorwort zu Cromwell111 für die Literatur das Groteske einfordert (S. 15), propagiert er umgekehrt in den Grotesques die Begriffe Originalität und Exzentrik. Er konstatiert, dass zeitgenössische französische Autoren aufgrund von starrer Regelgläubigkeit Angst vor literarischen Experimenten zu haben scheinen. Dies erklärt er nicht durch mangelndes Talent, sondern durch einen gesellschaftlichen Diskurs, der Innovationen gegenüber misstrauisch gegenüberstehe: »Il n’y a qu’en France que le mot original, appliqué à un individu, soit presque injurieux. […] A cause de cela, notre littérature est plus pauvre que toute autre en ouvrages excentriques […].« (S. 351 f.) Wie de Staël erklärt Gautier die mangelnde Qualität der Literatur, die er beklagt, mit dem hohen Druck der Normalität, obwohl er andere Literatur als de Staël behandelt, denn seine »collection de têtes grimaçantes« (v) stellt in erster Linie Autoren dar, die er als »poëtes du second ordre« bezeichnet (S. 1). Dabei grenzt er sich auch polemisch von Boileaus kanonischer und kanonisierender Art Poétique ab, auf die er immer wieder zurückkommt, um diese zu revidieren und ein genau entgegengesetztes Urteil zu fällen.112 Dass seine Autoren im literarischen Kanon keinen Platz haben, sieht er dabei weniger als Zeichen ihrer geringeren literarischen Fähigkeiten, sondern vielmehr in ihrem Verzicht auf Anpassung an den Geschmack der Masse. Gegenüber den erfolgreichen Autoren, die sich nur wenig mit großen Ideen befasst haben, lobt Gautier die vermeintlich zweitklassigen Autoren: »[C]ar c’est dans les poëtes du second ordre, je crois pouvoir l’avancer sans paradoxe, que se trouve le plus d’originalité et le plus d’excentricité.« (S. 1 f.) Dabei greift er häufig auf die Begriffe originalité und excentricité zurück, um seine grotesken Autoren gegenüber dem Kanon durchzusetzen.113 Wenn Einfalt berichtet, »[n]ach der Preisgabe des großen Publikums als Konsekrationsinstanz wird die ästhetische Originalität zum Distinktionskriterium«114, bestätigt sich zum einen, dass die Originalität für Gautier als Ausdruck des Bruches mit den Normen konzipiert wird. Zum anderen lässt sich ergänzen, dass Gautier selbst den Begriff originalité – und synonym dazu excentricité – verwendet, um die Wertschätzung der grotesken Werke durchzusetzen. Auch in Bezug auf Baudelaire ist diese Behauptung durch Zuschreibung von originalité und ex110

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Gautiers Grotesques erscheinen zunächst in einzelnen Artikel in diversen Zeitschriften von 1834 bis 1835 und 1844 schließlich als eigenständige Veröffentlichung, wobei sein Artikel über Villon den in Kapitel 5.5.1 erwähnten Rechtstreit auslöste, vgl. Diaz: Grotesques, S. 173, Lacoste: Notice, S. 1296 f. Vgl. Hugo: Cromwell, S. 419. Vgl. Gautier: Grotesques, S. 4, 154, 156 f., 209, 213, 370, 400. Er bezeichnet Boileau als die reaktionäre Kraft, welche darüber entscheidet, welche Autoren vergessen werden und welche nicht (S. 339). Vgl. über das Gedicht La Magdalanéide: »Le poème du père Pierre de SaintLouis est indubitablement l’ouvrage le plus excentrique, pour le fond et la forme, qui ait jamais paru dans aucune langue du monde« (Gautier: Grotesques, S. 149), eine Stelle, die auch der Grand Robert zitiert (Bd. III, S. 389). Bei Scarron spricht Gautier von der »originalité aussi forte que la sienne« (S. 390) und von seinem »roman comique« als »vrai modèle de naturel, de narration et d’originalité« (S. 396). Auch Cyrano de Bergerac wird bezeichnet als »original dans le fond et la forme« (S. 210). Einfalt: Zur Autonomie der Poesie, S. 80.

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centricité häufig zu beobachten, so schreibt Gautier: »De tous les poètes éclos après la splendide irradiation de l’école romantique, M. Charles Baudelaire est assurément le plus original […].«115 Dass umgekehrt Baudelaire neben Poes »excentricité« Gautiers »originalité« lobt,116 bestätigt, dass die von Bourdieu beschriebene Strategie, durch gegenseitige Konsekration die Autonomisierung des Feldes zu betreiben, insbesondere durch Rückgriff auf diese häufig verwendeten Begriffe vollzogen wird. Parallel zu seinem Rückgriff auf die Begriffe in ihrer Positivität, elaboriert Gautier aber auch die Problematik, wie Originalität und Exzentrik behauptet werden können. Die in Kapitel 5.5.2 untersuchte Ironie in Les Jeunes-France spielt dabei eine zentrale Rolle. Wie der Préfacier versichert auch der Erzähler von »Daniel Jovard ou la conversion d’un classique«, dass in Daniel die Verkörperung des bürgerlichen Mittelmaßes zu sehen sei (S. 68). Dies ändert sich, als Daniel, der klassische Dichter wie Boileau verehrt und Hugos Hernani (S. 70) verachtet, auf einen alten Schulkameraden, den Jeunes-France Ferdinand de C. trifft, der präsentiert wird als »le dandy, le fashionable Ferdinand de C.« (S. 77). Diese bereits erwähnte Anspielung an Byron wird verstärkt, wenn seine Kleidung kommentiert wird mit: »Sa mise était des plus excentriques et des plus recherchées.«117 Unter Ferdinands Einfluss wird Daniel zu einem glühenden Jeunes-France, zu »le plus endiablé romantique qui ait jamais travaillé sous le lustre de Hernani.« (S. 75) Beide Einflüsse, vom satanischen Byron und von Victor Hugo werden hier also verbunden. Dabei entlarvt Gautier in der Beschreibung dieser Konversion sämtliche Klischees seines eigenen Literatenkreises. Denn ganz im Sinne der romantischen Ironie, macht sich Gautiers Romantisme also nicht nur über bürgerliche, sondern auch seine eigenen Klischees lustig.118 Als zentrale Eigenheiten der Jeunes-France lehrt Ferdinand seinen Schüler Daniel Byrons »habillement complet dans le dernier goût romantique […].«119 Der Erzähler verspricht schließlich, dass Daniel, der nun alles tut um aufzufallen, sich bei 115

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Gautier: Charles Baudelaire, S. 303. Vgl. Gautiers Aussagen in »Le Progrès de la Civilisation Française depuis 1830«, Baudelaire sei »amoureux des originalités voulues« (S. 347) sowie »en dépit de ses excentricités, il aime l’ordre et la nature« (S. 348). In den Portraits Contemporains lobt er die »originalité de Baudelaire« und die Fleurs du Mal als »l’œuvre la plus importante et la plus originale de l’auteur.« (S. 161) Über den Einfluss Edgar Allan Poes sagt er: »On ne pouvait analyser plus finement ce génie d’une excentricité qui semble parfois toucher à la folie […].« (S. 160) Z.B. schreibt er in seinem am 13.3.1859 in L’Artiste erschienen Aufsatz »Théophile Gautier«: »Il en est des vers comme de quelques belles femmes en qui se sont fondues originalité et la correction; on ne les définit pas, on les aime.« (S. 125) Poe bezeichnet er u.a. als »excentrique et orageux écrivain« (Bd. II, S. 289, vgl. Sangsue: L’excentricité fin de siècle, S. 466). Gautier: Jeunes-France, S. 71. Die friktionale Identifikation von Gautier mit Ferdinand de C. zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er tatsächlich einen Klassenkameraden namens Jovard in Charlemagne hatte (vgl. Jasinski: Les années romantiques, S. 145). Vgl. Crouzet: Présentation, S. 9. Gautier: Jeunes-France, S. 78. Zudem ironisiert das »air Moyen Âge« (S. 77) die auch in der Geschichte »Elias Wildmanstadius ou l’homme moyen âge« friktionalisierte Begeisterung der Jeunes-France für das Mittelalter. CourtPérez meint in dieser Anleitung den Zynismus eines Dandys zu erkennen (Court-Pérez: Gautier, un romantique ironique, S. 80).

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Befolgen dieses Rezepts bald des Erfolges sicher sein kann (S. 82). Daniel wird somit sowohl vor als nach seiner Konversion als unoriginell dargestellt. René Jasinski folgert: »Il ne s’agit plus seulement des jeunes-France [sic]: jamais ne seront mieux dénoncées les originalités faciles, ni décélées entre tous les poncifs romantiques.«120 Es ließe sich ergänzen, dass Gautier, indem er das poncif, d.h. die schablonenhafte Pause romantischer Topoi, als willkürliche Originalität entlarvt, wiederum in dieser ironischen Selbstkritik auf elaborierte, byronsche Weise Originalität beweist, indem er das poncif des Romantisme auf ambivalente Art bestätigt und wieder bricht. Demnach ist in dieser Ironie die Ablehnung der elementaren Behauptung der Originalität durch einfaches Befolgen des Byronismus zu sehen. Gautiers Jeunes-France können so als Elaboration der Frage gesehen werden, ob und wie ein populäres Phänomen wie der romantische Dandy nach dem Vorbild Byrons überhaupt Originalität oder Exzentrik beanspruchen kann.

6.3 Die Regularität von excentricité, o r i g i n a l i t é u n d d an dy In der Tat ist Gautiers Behauptung der excentricité und originalité zur Abgrenzung vom bürgerlichen Mittelmaß selbst von der bürgerlichen Vereinnahmung betroffen. In der populären Physiologie Le Bal Musard konstatiert Louis Huart dies – zumindest in Bezug auf die Kleidung – im Kapitel »Les costumes excentriques« (S. 3 ff.). Dort beschreibt er die vermeintlich exzentrischen Kostüme seiner Zeit und verweist dabei ausdrücklich auf die Konsequenzen des Erfolgs, den Gautiers Verbreitung des Begriffs der excentricité in Hinblick auf die Kleidung mit sich geführt hat: »Depuis quelques années, les feuilletons de Théophile Gautier ont porté leurs fruits, et chaque amateur de bal masqué n’a plus connu, pour autre guise du travestissement, que la fantaisie.« (S. 3) Hier ist fantaisie als Synonym für die in Huarts Kapitelüberschrift evozierte excentricité zu sehen, welche in der Zeit in ihrer Konnotation und Bedeutung nahezu austauschbar waren.121 Dass sich alle möglichst außergewöhnlich kleiden, um durch excentricité aufzufallen, so Huart weiter, führe dazu, dass dies äußerst gewöhnlich wirke, insbesondere wenn alle als Pierrot und im nächsten Jahr als Caliban erscheinen (S. 3). Indem Gautiers Begriff der excentricité von seinen bürgerlichen Lesern vereinnahmt und nachgeahmt wird, so suggeriert Huart, ist es seiner Distinktionskraft beraubt. Ebenso ist innerhalb der antikonformistischen Begriffe eine Binnendifferenzierung zwischen excentricité, fantaisie und originalité kaum möglich. Nahezu sämtliche Wörterbücher nach 1830 unterscheiden kaum zwischen den Begriffen originalité und excentricité, sodass die Konnotation mit dem Originalgenie, das, wie gezeigt, in Frankreich ohnehin kaum eine Rolle spielte, im Verlauf der Zeit wieder verschwindet.122 Der 1866 erschienene Grand 120 121

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Jasinski: Les années romantiques, S. 154. Vgl.: »[F]antaisie se charge dans les textes évoqués d’un contenu ›manière d’être, de se comporter en dehors des règles, des habitudes‹, qui se confond presque avec celui d’excentricité.« (Klein: Vocabulaire, S. 111-112, vgl. auch Schulman: Sunday of Fiction, S. 25). So paraphrasiert das später von Boiste und Victoire herausgegebene Dictionnaire universel de la langue française in seiner achten Auflage von 1834 »ex-

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dictionnaire universel du XIXe siècle von Pierre Larousse erläutert im Artikel »original«: »Nous appelons un original l’homme que les Anglais appellent avec plus de raison un excentrique; en empruntant cette expression à la géométrie, ils l’appliquent fort justement à l’homme dont les actions, les paroles, les gestes, la personnalité enfin s’écartent du centre commun, c’est-à-dire des habitudes et des conventions sociales de son époque.« (Bd. XI, S. 1469) Auch wenn der Larousse den englischen Ursprung betont, nimmt er die zaghafte Gegenüberstellung von englischer Exzentrik und französischer Originalität zurück, wenn er im Folgenden beide Attribute, wie auch die anderen Wörterbücher, synonym verwendet.123 Zudem führt er excentrique nicht auf die anekdotische eccentricity, sondern auf die Geometrie zurück. So wird der excentrique zu einem elementar-literarischen »Charakter«, der interdiskursiv die geometrische Vorstellung zurück in das Bewusstsein seiner Leser holt.124 Allerdings widerlegt Larousse seine eigene Verortung der excentricité außerhalb des allgemeinen Zentrums in Bezug auf Chodruc-Duclos, der nur noch in Lumpen bekleidet um den Palais Royal streifte aus Protest, dass ihm keine angemessene Beförderung in der Armee zuteil wurde. Wenn der Larousse von diesem als »[l]e grand excentrique du XIXième siècle« und »excentrique par excellence« spricht (Bd. XI, S. 1470) und ihm somit eine besondere Vorbildfunktion als excentrique bescheinigt, stellt er die Außenseiterposition in den Mittelpunkt eines für das 19. Jahrhundert verbindlichen Bildes des Exzentrikers. Während der Larousse in Chodruc-Duclos einen typischen Exzentriker sieht, lässt sich durchaus auch von einer Stereotypisierung der Exzentrik (und Originalität) sprechen.125 Wie Flaubert an Louise Colet schreibt, solle sein Dictionnaire des idées reçues das Ziel haben »d’en finir une fois pour toutes

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centrique« als unkonventionelles Verhalten eines »homme original« (zit. n. Leduc: Excentrique, S. 153, Schulman: Evolution, S. 175, Klein: Vocabulaire, S. 110 f.). Die zweite Auflage des Dictionnaire de la conversation et de la lecture behauptet die »excentricité« als »essentiellement britannique«, definiert aber reziprok den »excentric« als »original« (Bd. IX, S. 188) und das »original« als »un homme aux goûts, aux habitudes, aux formes excentriques« (Bd. XIV, S. 5). Der Dictionnaire général et grammatical von Landais weiß: »en parlant des personnes d’un caractère original, sujettes à des écarts; c’est un homme excentrique« (zit. n. Schulman: Evolution, S. 175 f.). Im Zusammenhang mit der Bezeichnung »écart« wird so die örtliche Vorstellung eines abweichenden Verhaltens (vgl. Grand Robert, Bd. II, S. 1777) als eines, das sich vom Zentrum entfernt hat, unterstrichen. In Dumas Le comte de MonteCristo heißt es über den Titelhelden, der des Öfteren mit beiden Attributen bedacht wird: »Et l’excentric-man a-t-il fait quelque nouvelle originalité?« (Dumas: Comte, S. 852) oder Albert entgegnet auf die Frage »C’est donc un original?/ Le fait est […] qu’il m’a paru assez excentrique.« (Dumas: Comte, S. 446, vgl. Schulman: Sunday of Fiction, S. 24). Vgl.: »Un franc original fut ce marquis de Brunoy […] C’est que aussi M. de Brunoy fut excentrique à lier«. Über Jean Santeuil wird berichtet, er wäre »un des originaux du XVIIème Siècle, qui mériterait le mieux aujourd’hui le titre d’excentrique« (Bd. XI, S. 1470, vgl. Schulman: Sunday of Fiction, S. 15). Komplementär dazu definiert der Larousse den »excentrique« wiederum als »Singulier, original, qui se place ou qui est en dehors des habitudes ordinaires« (Bd. VII, S. 1178). Link: Diskurs/Interdiskurs, S. 94, vgl. Foucault: Les mots et les choses, S. 172, 202. Vgl. Amossy: Types ou stéréotypes, S. 121.

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avec les excentricités, quelles qu’elles soient«, was auch Sangsue als ironischen Ausdruck sieht, dass die excentricité zum Stereotyp verkommen sei.126 In der Tat kann man von einem »mot évidemment à la mode entre 1840 et 1870« sprechen.127 Insbesondere die Physiologien, wie Huarts Le Bal Musard spielen für die Beliebtheit beider Begriffe eine große Rolle. Die Physiologien sind als erfolgreiche Fortschreibung generalisierender Darstellungen nach Muster der »Codes« oder der »L’art de…« zu sehen.128 Wenn Sieburth diese als Parasiten des wissenschaftlichen Diskurses bezeichnet, bringt er etwas abschätzig ihre Fähigkeit der interdiskursiven Synthese von gesellschaftlichen Phänomenen und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Ausdruck.129 Von der ursprünglichen Physiognomietheorie Lavaters, derzufolge die äußere Erscheinung eines Menschen seinen Charakter widerspiegele, schnell entfernt, entwickelten sie sich zu billigen, kleinformatigen Verkaufsschlagern, die sich in der Schilderung des Pariser Lebens versuchten.130 Nimmt man Benjamins Betrachtung der Physiologien als harmloses, kleinbürgerliches Genre auf, ließe sich damit die endgültige Domestizierung und Normalisierung der excentricité festhalten. Explizit bezieht Benjamin die Verharmlosung der Originalität ein, wenn er schreibt, die Physiologien verzauberten selbst banale Erscheinungen zu einem »Original«131. Indem alltägliche Phänomene von den Physiologien als originell oder exzentrisch behauptet werden, verlieren diese Begriffe ihre Distinktionskraft, Sangsue kommentiert: »Il ne peut y avoir de Physiologie de l’excentrique: singularité irréductible, l’excentricité ne saurait faire l’objet d’une généralisation sauf à perdre son essence.«132 Das Problem löst sich, wenn man excentricité und originalité nicht als absolute Werte, sondern als Behauptung gegenüber einer konformistischen Masse ansieht. Deutlich wird dies in der 1841 anonym erschienenen Physiologie des Physiologies, die wiederum den stereotypischen Aufbau der Physiologies dokumentiert. Der Autor setzt diese Stereotypisierung der Menschen ironisch mit der Klassifizierung der Tierarten nach Vorbild Linnés gleich (S. 19) und warnt vor allzu groben Verallgemeinerungen in den Physiologien, betont jedoch, dass es auch positive Beispiele für Physiologien gibt, die sich vom Gros abgrenzen: »J’entends par meilleurs morceaux les types physiologiques les plus heureux, les plus originaux, les plus excentriques.« (S. 117) Die nahezu wörtliche Wiederholung von Gautiers Behauptung der Grotesques133 126 127 128

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Sangsue: L’excentricité fin de siècle, S. 459, vgl. Sangsue: Récit excentrique, S. 415 ff. Leduc: Excentrique, S. 152. Z.B. Balzacs Code des gens honnêtes ou l’art de ne pas être dupe des fripons (1825) (vgl. Lhéritier: Physiologies, S. 1-11, Sieburth: Same Difference, S. 163). Alleine 1841 erschienen 76 neue Physiologien, vgl. Benjamin: Charles Baudelaire, S. 537. Die satirische Darstellung von Louis Philippe als Birne in der wohl ersten, 1832 erschienenen Physiologie de la Poire von Peytel, wird 1982 von der Satirezeitschrift Titanic in Bezug auf Helmut Kohl wieder aufgenommen, vgl. Titanic: Birnes Abenteuer, S. 35-38. Vgl. Sieburth: Une Idéologie du lisible, S. 46. Vgl. Stierle: Paris, S. 227-288. Benjamin: Charles Baudelaire, S. 541, vgl. ebd 537 sowie Mettler: Ein Ich, das unersättlich nach dem Nicht-Ich verlangt, S. 139. Sangsue: Vous avez dit excentrique, S. 54. Vgl.: »[D]ans les poëtes du second ordre […] se trouve le plus d’originalité et le plus d’excentricité« (Gautier: Grotesques, S. 1 f.), bereits zitiert in Kapitel 6.2.

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zeigt, auch wenn sie Koinzidenz bleiben mag, dass die Behauptung der Originalität und Exzentrik für jeden möglich ist, der eine Allgemeinheit voraussetzt, von der er sich abgrenzen will. So sind Gautiers excentricité und originalité ihr antibürgerlicher Stachel endgültig gezogen. Dies manifestiert sich in einer Reihe anderer populärer Veröffentlichungen der Zeit, die sich mit den beiden Attributen schmücken. So konzipiert zwar Champfleury in Les Excentriques (1852) die Exzentriker als Identifikationsfiguren der antibürgerlichen Boheme. Er kommentiert die Entstehung seines Bandes etwa mit: »Il a fallu plus de courage qu’on ne croit pour faire poser ces modèles, bohêmes véritables […].« (S. 14) Doch während er Anspruch auf eine realistische Darstellung von zeitgenössischen Exzentrikern erhebt,134 welche als Außenseiter in der Gesellschaft leben, tragen andere ›Anthologien‹ von Exzentrikern oder Originalen dazu bei, elementarliterarische Figuren des original und des excentrique zu prägen, welche sich bestenfalls als harmlose Kuriosität präsentieren. Lorédan Larcheys Gens Singulier (1853), später zu der monatlichen Zeitschrift La revue anecdotique des excentricités contemporaines ausgeweitet135 und dann als Wörterbuch Les Excentricités de la langue française en 1860 erschienen – 1888 bereits in der zehnten Auflage –, zeugt von der Popularität des Begriffs und knüpft an die Anfang des Jahrhunderts entstandenen englischen Anekdotensammlungen an. Andere Untersuchungen wie die Extravagants et originaux du XVIIe siècle von Paul de Musset (1848), Larcheys Gens et têtes fêlées. Scènes de la vie excentrique imitées de l’anglais (1862) oder Charles Monselets Les Originaux du siècle dernier (1864) konzentrieren sich auf Exzentriker und Originale der Vergangenheit, die keinerlei antibürgerliche Revolte mehr verkörpern.136 Vielmehr ist eine Rückbesinnung auf die englische anekdotenhafte eccentricity zu beobachten, die sich bei Larchey schon im Titel zeigt. Auch Durand Forgues rezipiert in Originaux et Beaux Esprits de l’Angleterre Contemporaine (1860) Originalität und Exzentrik als »génie complexe de la race anglo-saxonne« (S. iii), die er dem französischen Leser näher bringen möchte. Neben Artikeln über die fashionable authors Bulwer-Lytton und Theodore Hook realisiert er dies in seinem Kapitel über »notre dandy« Brummell (S. 80). Dass er dabei auf die untersuchten Anekdoten zurückgreift, wiederholt die elementare Behauptung der Originalität und Exzentrik als interessante Kuriositäten in der Tradition der Anekdotensammlungen. So kommentiert er Brummells Aufstieg in der Gunst des Königs mit: »Plus tard lorsque Brummell eut débuté à Londres, et qu’on eut parlé de lui à propos de deux ou trois excentricités de bon goût, le prince de Galles qui avait, on le 134

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Zum Zusammenhang von Realismus und Exzentrik vgl. Sangsue: Fantaisie, S. 199-206. Die Ähnlichkeit zur Bohème zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Champfleury ähnlich wie in den Scènes de la Vie de Bohème des mit ihm befreundeten Henry Murger (vgl. Sangsue: Fantaisie, S. 193) seine Excentriques mit einer Szene beginnen lässt, in der ein armer »poëte«, bzw. bei Murger der Komponist Alexandre Schaunard, den Forderungen ihrer Gläubiger entgehen, indem sie Hals über Kopf ihre Wohnung aufgeben, während die Gläubiger ebendort auf sie warten (Murger: Bohème, S. 13-17, Champfleury: Excentriques, S. 22 ff.). Erschienen von 1856-1863, vgl. Schulman: Sunday of Fiction, S. 11. In Mussets »Le Cheval de Créqui« wird der Kauf eines überteuerten Pferdes von M de Guise vom Besitzer Créqui kommentiert mit »Vous êtes un grand original, chevalier.« (Musset: Extravagants, S. 31).

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sait, une prédilection marquée pour les originaux, se souvint que celui-ci ne lui était pas inconnu.« (S. 61 f.) Dass Exzentrik eine Frage des guten Geschmacks sei und der König Faszination an Originalen habe, zeigt, dass Forgues hier, und an anderen Stellen, Originalität und Exzentrik synonym verwendet.137 Ihrer antibürgerlichen Konnotationen bei Gautier entledigt, nähern sich beide Begriffe schlussendlich den englischen Anekdotensammlungen an, die für eine faszinierende, aber harmlose Persönlichkeit stehen. Diese paradoxe Entwicklung der Exzentrik zu einen zentralen Kategorie zeigt sich indes nicht nur in der elementaren Literatur, sondern auch in der Philosophie des Utilitarismus. Der Übersetzer der Werke von Jeremy Bentham, Philarète Chasles, dessen Vermittlungsfunktion zwischen Frankreich und England nicht zuletzt von Baudelaire gelobt wurde,138 leitet seine Untersuchung zu den »excentriques et les humoristes anglais« (1846) mit einem Vorwort ein, in dem er der fiktiven Figur des Engländers Porden folgende Einsicht in den Mund legt: »Mais vous, qui venez de France, du pays social par excellence, comment pouvez-vous comprendre quelle importance nous attachons à l’excentricité, à l’originalité, au mouvement imprévu, indépendant et spontané d’une existence qui se fait elle-même, qui vit en dehors de toutes les sphères et qui ne doit rien à personne. Chez vous originalité est synonyme de folie; chez nous c’est un éloge et un honneur«.139 Hier werden sowohl der geometrische Aspekt der Exzentrik, der sich außerhalb aller Sphären ansiedelt, als auch die Vorstellung, die Engländer schaffen sich gleich dem Originalgenie aus sich selbst heraus, interdiskursiv kombiniert und als polyseme Kollektivsymbole für einen Lebensstil verwendet, der sich wenig um gesellschaftliche Konventionen schert und ein nahezu autarkes Leben außerhalb der Gesellschaft führt. Dass gerade dieses unsoziale Verhalten von großem Nutzen für die Gesellschaft ist, legt Chasles seinem Protagonisten Porden etwas später in den Mund: «[J]e desespérerai de notre Angleterre, quand elle perdra ses Whims, ses Oddities, ses Eccentricities, ses habitudes d’indépendance individuelle. C’est précisement à cette manière d’être antisociale qu’elle doit sa plus grande force.« (S. 17) Diese These des gesellschaftlichen Nutzens von Originalität und Exzentrik nimmt John Stuart Mill auf, den mit Chasles verbindet, dass er Schüler von Jeremy Bentham war, dem Begründer des Utilitarismus.140 Mill beklagt in On Liberty (1859) den allgemeinen Opportunismus der Gesellschaft und

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Vgl. über Brummells Manieren: »original cependant à sa manière, et pouvant se livrer sans crainte à certains accès de fatuité excentrique« (S. 70) oder Brummells Performativität: »Quelquefois les mots de Brummell ne manquaient pas d’une certaine originalité […]. On peut mettre aussi parmi ses excentricités […].« (S. 89) Im Artikel über Hester-Stanhope konzipiert er die excentricité im Sinne der anglomanen Bewunderung englischer Unverschämtheit: »Leurs excentricités s’attiraient comme la laideur de Madame de Staël et celle de Mirabeau […] et ce n’était pas sans plaisir qu’elle se rappelait les innombrables impertinences par lesquelles Geordy Brummell assurait sa domination de ruelles.« (S. 188). Vgl.: »Philarète Chasles, qui a tant contribué à populariser chez nous la littérature anglaise […].« (Baudelaire: Œuvres, Bd. II, S. 256) Auch Reboul bezeichnet Chasles als »un des agents les plus efficaces entre la France et l’Angleterre« (Reboul: Le mythe anglais, S. 267). Chasles: Le dix-huitième siècle en Angleterre, S. 15. Vgl. Reboul: Le mythe anglais, S. 271.

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betont die Wichtigkeit der Individualität, damit man nicht nur den Lebensstil anderer Menschen kopiere. Insbesondere dem Genie, das sich durch Originalität in Gedanken und Handlungen auszeichne, spricht er dabei zu, der Gesellschaft neue Errungenschaften zu bringen. Dass die Gesellschaft die Verdienste des Genies oft nicht anerkenne, liege in der Natur der Originalität, die immer etwas Neues beinhalte und den Sinn für ihre Errungenschaften erst schärfen müsse, denn »Originality is the one thing which unoriginal minds cannot feel the use of.« (S. 73) Insofern müsse der Gesellschaft der Nutzen der Originalität vor Augen geführt werden (S. 73). Angesichts der Masse, die sich durch kollektive Mittelmäßigkeit auszeichne, müsse man für jede Art außergewöhnlichen Individualisten dankbar sein, denn jede Art des Nonkonformismus erweise der angepassten Gesellschaft einen großen Dienst, auch die Exzentrik, auf die er unmittelbar danach zu sprechen kommt: »Precisely because the tyranny of opinion is such as to make eccentricity a reproach, it is desirable, in order to break through that tyranny, that people should be eccentric. Eccentricity has always abounded when and where strength of character has abounded; and the amount of eccentricity in a society has generally been proportional to the amount of genius, mental vigour, and moral courage which it contained. That so few now dare to be eccentric, marks the chief danger of the time.«141

Gerade, weil die herrschende Meinung Exzentrik ablehne, so Mill, sei Exzentrik notwendig, um die Tyrannei dieser Meinung zu durchbrechen. Angesichts einer opportunistischen Gesellschaft solle Exzentrik die Grundlage für geistige Stärke und moralische Integrität bilden. Exzentrik und Originalität sind somit kein selbstverständlicher und allgemein verbreiteter Bestandteil englischer Eigenart mehr, sondern werden als wichtiger Motor für den gesellschaftlichen Fortschritt einer stagnierenden Gesellschaft dargestellt, die Veränderungen und Abweichungen gegenüber misstrauisch ist. Auch wenn die Begriffe hier weniger harmlos als in den Physiologien präsentiert werden, zeigt sich hier die endgültige Vereinnahmung der gautierschen Konzeption von Originalität und Exzentrik. Denn während Gautier mit diesen Begriffen gegen die Zweckhaftigkeit insbesondere der Kunst polemisierte, finden sie hier einen zentralen Platz im Utilitarismus Benthamscher Prägung. Die Popularisierung der Originalität und Exzentrik zeigt sich auch in der Figur des anglomanen Dandys,142 insofern dieser frappierende Parallelen zur eccentricity und originality aufweist. Die Sportbegeisterung der eccentrics, welche auch die Biographie des excentriques betont,143 wird nicht zuletzt mit der Gründung des französischen Jockey Club 1834 nachgeahmt, dessen Prestige so hoch war, dass er es sich leisten konnte, Alfred de Musset die Aufnahme zu verweigern.144 Jener Musset, der sich selbst als Dandy inszenierte 141 142

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Mill: On Liberty, S. 74 f.. Vgl. über die Franzosen: »Ils ne découvraient pas dans le dandysme, une regula vitae, mais une excentricité, typiquement britannique.« (Reboul: Le mythe anglais, S. 123). Vgl.: »Le goût passionné pour la chasse, les courses, le sport, est une des faces de l’excentricité […].« (S. 16). Vgl. den Bericht vom Duc de Brissac, der selbst von 1977 bis 1985 Präsident des immer noch existierenden Clubs war (Brissac: Jockey Club), vgl. ferner Lockitt: The Relations of French and English Society, S. 34, Brüch: Anglo-

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und dessen Werk literarischer Dandyismus bescheinigt wurde,145 beschreibt den Dandy als »jeune homme qui a appris à se passer du monde entier; c’est un amateur de chiens, de chevaux, de coqs et de punch; c’est un être qui n’en connaît qu’un seul qui est lui-même […].«146 Musset greift also gleichermaßen auf die anglomane Sportbegeisterung wie auf die ›typisch englische‹ Charakterunabhängigkeit zurück, die des Öfteren in Frankreich beim englischen Dandy behauptet – und kritisiert – wird:147 So bezeichnet Custine 1830 die Dandys als »espèce de fats grossiers«, die sich in ihrer Unverschämtheit gleichen, »car l’uniformité dans la bizarrerie est le dieu des Anglais […].«148 Die Vorstellung, Engländer seien besonders individuell, findet somit ihren ultimativen Ausdruck in der Impertinenz des Dandys, die sich in zahlreichen populären bis elaborierten Schriften der Zeit finden: von Lady Morgan in France, Arcieus Diorama de Londres, Ronteix‹ Manuel du fashionable, Pichots Voyage en Angleterre, Chasles Etudes sur les Hommes et les Mœurs au XIXe siècle bis hin zu Chateaubriands Essai sur la littérature anglaise, in dem es heißt: »Aujourd’hui le dandy doit avoir un air conquérant et léger, insolent […] il défend la fière indépendance de son caractère en gardant son chapeau sur la tête, en se roulant sur les sofas, en allongeant ses bottes au nez des ladies assises sur des chaises devant lui.«149

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manie, S. 56 ff., Chenoune: Des modes et des hommes, S. 60. Von der PferdeBegeisterung der Dandys handelt auch Beauvoir: David Dick. Duvergier d’Hauranne, der selbst dem anglomanen Kreis der Byronbewunderer um Delécluze angehörte, bezeichnet Mussets Contes d’Espagne et d’Italie als »dandisme pur« (zit. n. Prévost: Dandysme, S. 148). Auf den Einfluss Byrons, nimmt Musset, der, wie Barbey berichtet, auch »Lord Byronnet« genannt wurde (Estève: Byron, S. 444), in seinem Gedicht Namouna Bezug: »›Byron, me direz vous, m’a servi de modèle.‹/ Vous ne savez pas qu’il imitati Pulci?« (Musset: Poésies, S. 265) Auch Moreau bezeichnet Musset als Schüler der »école de […] l’excentricity« (Moreau: L’ironie de Musset, S. 501). «Chute des bals à l’Opéra«, in Revue fantaisiste, 14.2.1831, zit. n. Coblence: Obligation d’incertitude, S. 180. Pückler-Muskau spricht in Anspielung auf die Anglomanie vom englischen Dandy und dessen »Selbständigkeit, die nun sogar als Muster für andere Länder aufzutreten anfängt« (Pückler-Muskau: Briefe, Bd. II, S. 410). Custine: Voyage, S. 221. Chateaubriand: Essai, Bd. I, S. 289. Morgan beschreibt einen englischen Dandy, der gelangweilt die Souvenirs eines Ägypten-Reisenden mustert und ihn selbst keines Blickes würdigt, was diesen zu dem Kommentar verleitet: »Quel drôle de corps qu’un dandi«. Sie kommentiert: »I was surprised to find that the Egyptian traveller had so far extended his study of the human character, as to discover at once an English dandy, by his specific character.« (Morgan: France, S. 75 f.). Einen Londoner Dandy im Jardin des Plantes bezeichnet sie unter Rückgriff auf die ursprüngliche Bedeutung von parádoxos als der Meinung gegenläufig als »ornithorynchus paradoxus« (S. 74). Im Manuel du fashionable verdeutlicht Ronteix durch die eingewobenen englischen Flüche, wie der »dandy britannique« sich über gesellschaftliche Konventionen hinwegsetzt: »Goddam! voyez-vous ce monstre de fatuité, long ou large, mince ou court. […] Une énorme cravatte, un air niais, un vaste lorgnon stupidement dirigé sur quelque face bouffie, et voilà un dandy, goddam!« (S. 18 f.), vgl.: »à Londres, les dandys ont l’air de croire que la fatuité est le signe d’une bonne éducation« (Arcieu: Diorama de Londres, S. 138). Pichot berichtet im Voyage en Angleterre, nachdem er Brummells Ruhm gelobt hat: »Les dandys de nos

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Die Unhöflichkeiten des Dandys werden so zu einem Zerrbild der von den Franzosen bewunderten Unabhängigkeit der Engländer. Gleichzeitig wird hier auch an Brummells performative Selbstbehauptung angeschlossen.150 So berichtet Arcieu über die Dandys: »[I]ils sont gourmés et roides, ainsi qu’on le dit en Angleterre, comme s’ils avaient avalé le poker. Il faut que cette mine empesée soit bien inhérente au caractère national, pour qu’on la retrouve partout.«151 Roides könnte hier als Transkription von »rude« die Unhöflichkeit der Engländer zum Ausdruck bringen, wenn es nicht als fehlerhaft geschriebenes »raides« verstanden werden sollte. In diesem Fall würde es zusammen mit der Übertragung der gestärkten Krawatte auf den gestärkten, d.h. unbeweglichen Gesichtsausdruck den von den Anglomanen behaupteten Nationalcharakter pedantischer Unabhängigkeit zum Ausdruck bringen und diesen mit der Neckclothitania verbinden. Auch Horace Raissons Code de la toilette, manuel complet d’élégance et de hygiène (1828) nimmt diese Verbindung auf.152 Die allgemeine Popularität des Dandys äußert sich nicht zuletzt in zwei Zeitschriften, die sich mit dem Namen schmücken: Le Dandy. Journal non politique liefert vom 31.3. bis 18.4.1833 täglich Neuigkeiten über das mondäne Leben und Le dandy, journal spécial de la coupe de MM. les tailleurs geht 1838 aus dem ein Jahr zuvor gegründeten Le Capricieux, journal des tailleurs hervor und war im Besitz der Société des Journaux des Modes, zu

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jours […] longent Bond-Street à l’heure où les dames viennent y visiter les magasins. Ces incroyables anglais passent pour être moins prétentieux qu’impertinents.« (S. 287 f.) Chasles schreibt in Etudes sur les Hommes et les Mœurs au XIXe siècle über England: »Là rien n’est frivole, pas même la frivolité. Le dandy n’est qu’un papillon aux ailes de plomb.« (S. 170) Das Bild verdeutlicht, dass selbst die Leichtfertigkeit der englischen Dandys auf einem ›schwer‹ bodenständigen Selbstverständnis beruht, das in der anglomanen Vorstellung einer absoluten Unabhängigkeit von den gesellschaftlichen Konventionen fest verwurzelt ist. Auch in »Une bonne fortune« seiner Contes Bruns ist die Rede von der »corruption froidement frivole du jeune dandy« (zit. n. Prevost: Dandysme, S. 111). Reboul kommentiert: »Ainsi apparaissait et prenait racine, provignée de l’excentricité, la notion de la frivolité britannique.« (Reboul: Le mythe anglais, S. 122). Vgl. Pückler-Muskau, der über den englischen Dandy berichtet, er wisse »seine Höflichkeiten so einzurichten, daß sie der Beleidigung nahe sind« (Pückler-Muskau: Briefe, Bd. II, S. 398). Arcieu: Diorama de Londres, S. 139. Vgl. Erbe: Modeheld, S. 81. Gautier selbst beschreibt diese Undurchdringlichkeit des Dandys im Roman de la Momie: »rien n’est plus contraire aux règles du haut dandysme que de se reconnaître, par la surprise ou l’admiration, inférieur à quelque chose« (Gautier: Romans, Bd. II, S. 504), vgl. zur impassibilité des Dandys Barbey: Du Dandysme, S. 681, Gnüg: Dandy, S. 821, Françoise: Le Dandysme et Marcel Proust, S. 21, 29 f., Scaraffia: Petit dictionnaire du dandy, S. 135, Coblence: Obligation d’incertitude, S. 217-226, 134-167, Natta: Grandeur Sans Convictions, S. 87, Kempf: Dandies, S. 35, Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 135, Grün: Hommes-Copies, Dandies und Fausses Passions, S. 94, Genova: Terrorism with Style, S. 77, Forbes: Dandyism, S. 532, Martinon: Dandy, S. 19, Hamard: Le Dandy, type et stéréotype, S. 70, Rieger: Don Juan als Dandy, S. 201, Hess-Lüttich: Die Strategie der Paradoxie, S. 127.

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der auch La Mode gehörte, in der Balzacs Traité erschien.153 Dass die Figur des Dandys als Titel für eine vom Schneiderhandwerk verfasste Modezeitschrift benutzt wird, unterstreicht, analog zur Zentralisierung der Exzentrik, die Stereotypisierung des Dandys als Vorbild für die Mode. So empfiehlt La Mode dem anglomanen Dandy eine Spazierfahrt im Bois de Boulogne und versichert, jeder »véritable dandy« brauche einen englischen tilbury, den er (wie die exzentrischen Engländer) selbst steuert, begleitet von zwei englischen grooms.154 Dabei wird für den Anglomanen insbesondere die Wichtigkeit des richtigen Schneiders betont. Die im Oktober 1835 gegründete Zeitschrift L’Elégant erhebt das Schneiderhandwerk in den Rang ernsthafter Kunst: »Voyez ce jeune dandy, analysez sa toilette, examinez surtout la forme de son habit […] et vous comprendrez la distance immense qui sépare l’art du métier de tailleur.«155 Die Modezeitschriften erheben also – wohl als Echo auf das art pour l’art – den Anspruch, ein ästhetisches Feingefühl zu entwickeln, indem sie das erfolgreiche Schneiderhandwerk zur Kunst erheben. Im April 1837 lobt La Mode das Talent des Schneiders Blanc: »[D]epuis longtemps les magasins de M. Blanc, giletier au Palais-Royal, [sont] le rendez-vous des dandys les plus fashionables«. Barbey, der unter dem Frauennamen Maximilienne de Syrène schreibt, versichert im Constitutionnel, das Herz eines Dandys schlage nur in einem gilet von Blanc. Auch Brummell, so Barbey, »renoncerait bien vite à ses gilets de valencia […] s’il revenait au monde et s’il connaissait le talent de Blanc […].«156 Barbey widerspricht somit seiner Behauptung Brummells als König der Mode, indem er den Schneider Blanc als überlegenen arbiter elegantiarum preist. Dabei stellt er fest: »Le bleu pour les hommes sera la couleur en vogue cet hiver. C’était la couleur chère à Brummell, le grand dandy des temps modernes.«157 Das Lob der Farbe Blau kann insofern als Seitenhieb auf Jesse gesehen werden, dessen schwarze Weste nach Vorbild Pelhams Brummell kritisierte. Wenn schließlich die Zeitschrift Le Lion. Journal des Nouveautés et des Modes d’hommes im Vorwort ihrer ersten Ausgabe am 20.4.1842 versichert, nicht der dandy, sondern der lion sei fortan der zeitgemäße Ausdruck für den »homme à la mode«158, zeigt sich, dass das Modeattribut dandy einem genau so schnellen Wechsel wie die Mode selbst unterworfen ist und tatsächlich in dieser Zeit ›aus der Mode kommt‹.159 Ebenso wie die Zeitschrift L’élégant das Schneiderhandwerk als Kunst deklariert, wird auch der Begriff der Originalität auf das Gebiet der Mode übertragen und als werbewirksames Attribut 153

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Kleinert: Modejournale, S. 242, vgl.: Coblence: Obligation d’incertitude, S. 192. Das Handbuch Petits livres à la mode (1829) gibt als Autor »M. Dandy« an, vgl. Prevost: Dandysme, S. 109. La Mode vom Juli 1837, Juli 1836, zit. n. Creed: Le Dandysme de Jules Barbey d’Aurevilly, S. 31. L’Élégant, 20.5.1836, zit. n. Erbe: Modeheld, S. 91. Le Constitutionnel, 10.12.1845, 15.10.1845, beide zit. n. Creed: Le Dandysme de Jules Barbey d’Aurevilly, S. 63 f. Zit. n. Coblence: Obligation d’incertitude, S. 209. Zit. n. Erbe: Modeheld, S. 93. Vgl. im Allgemeinen Esposito: Die Verbindlichkeiten des Vorübergehenden, S. 27 und konkret in Bezug auf das Attribut Dandy: Boulenger: Sous LouisPhilippe, S. 48, Prevost: Dandysme, S. 8. Fritz Usinger belegt knapp 50 Bezeichnungen für den Modehelden im 18. und 19. Jahrhundert (Usinger: Modehelden, S. 224).

214 | DIE BEHAUPTUNG DES DANDYS

für die Dandy-Mode benutzt.160 So schreibt S.J. de Nogent im Beitrag »Modes« in La mode vom 24.5.1835, »le dandysme de bon ton n’exclut pas une certaine originalité de costume«, und lobt die Schneider, die einen »cachet d’originalité« besitzen.161 Dass Originalität zum guten Ton gehören soll und zu einer zertifizierbaren Auszeichnung wird, macht Gautiers antibürgerliche Konzeption für die kommerzielle Modewerbung dienstbar und zeigt neben der Zentralisierung der Exzentrik auch eine ähnlich paradoxe Vorstellung einer handwerklich erzeugbaren Originalität für den Konsumenten. Das Journal des tailleurs versichert am 1.3.1833 in Bezug auf die Mode: »[C]hacun vise à l’originalité […].«162 Das allgemeine Streben nach Originalität ist Indiz dafür, dass dieser Begriff durch massenhafte Verbreitung und zentralisierende Vereinnahmung seiner Distinktionskriterien beraubt wurde. So wie die Exzentrik in den Physiologien eine zentrale Kategorie geworden ist und die anglomanen Dandys den eccentrics nacheifern, ist die Figur des Dandys in den Modezeitschriften mit der Originalität verbunden.

6 . 4 B a r b e y s e l a b o r i e r te B e h a u p tu n g Barbeys 1845 erschienener Essay Du Dandysme kann insofern als elaborierte Auseinandersetzung mit der Frage gesehen werden, wie die Behauptung der Originalität und Exzentrik des Dandys noch möglich ist, wenn alle drei Begriffe zu Regularitäten geworden sind und bereits oft miteinander verknüpft wurden. Dabei war es ironischerweise gerade Barbeys Mitarbeit beim Moniteur de la Mode, mit der er selbst zur Zentralisierung des Dandys beigetragen hat, die ihn dazu veranlasste einen »article biographique sur Brummell« zu verfassen. Dieser wurde schließlich als Du Dandysme et de George Brummell bei Trebutien veröffentlicht, nachdem die Revue des Deux-Mondes und das Journal des Débats ablehnten.163 Barbey erklärt sich am 2.8.1844 die Absage der Revue de France in einem Brief an Trebutien mit: »Buloz n’a pas osé insérer une étude, coupable de trop d’originalité«164, und auch zeitgenössische Rezensenten bescheinigen Barbeys Essay Originalität.165 Es bleibt nun zu prüfen, wie sich diese ›originelle‹ Behauptung der Originalität und Exzentrik des Dandys vollzieht, die gerade vor dem Hintergrund der Stereotypisierung aller drei Begriffe operiert.

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Vgl. Chenoune: Des modes et des hommes, S. 56. Zit. n. Erbe: Modeheld, S. 86. Zit. n. Chenoune: Des modes et des hommes, S. 56, vgl. Erbe: Modeheld, S. 77. Vgl. Petit: Notes, S. 1423. Barbey: Lettres à Trebutien, Bd. I, S. 136, vgl. Petit: Notes, S. 1431. Vgl. Édelestand du Mérils Rezension in der Revue de Paris: »ce style léché et pailleté qui semble ambitionner autant l’originalité que la justesse et même l’éclat.« (o.S.) Das Écho français lobt offener: »Le portrait de George Brummell ne sera jamais refait. Celui de M. d’Aurevilly restera comme une œuvre originale […].« (Zit. n. Petit: Notes, S. 1433) S.T. in der Gazette de France vom 31.5.1845 hebt die Darstellung des »pouvoir de l’originalité« und der »excentricité de G. Brummell« (o.S.) in Barbeys Essay hervor.

DIE BEHAUPTUNG DER ORIGINALITÄT UND EXZENTRIK | 215

6.4.1 Die Behauptung der Originalität Um von Neuem die Außergewöhnlichkeit des Dandys zu behaupten, um, anders gesagt, eine ›originelle‹ Originalität und Exzentrik des Dandys zu behaupten, greift Barbey in Du Dandysme gleichzeitig auf den Diskurs der Anglomanie zurück und schließt die anglomanen Dandys kategorisch vom Dandyismus aus. Dabei verfolgt er zunächst die Strategie der Anglomanen, wenn er die Herkunft der originalité der toleranten englischen Gesellschaft und der starken Individualität der Engländer zuschreibt und von der unerreichten »force de l’originalité anglaise« spricht (S. 670 f.). Der Bezug auf die englische Herkunft der Originalität zieht sich dabei wie ein roter Faden durch den Text, z.B. wenn er in Anspielung auf Pope von der »originalité du peuple au milieu duquel naquit Shakespeare« spricht.166 Angesichts Byrons Status als original und eccentric ist es kaum verwunderlich, dass Barbey, der sich damit brüstet, als einziger in Frankreich Byrons Werk bis auf das letzte Komma zu kennen,167 dieses häufig zitiert oder darauf anspielt.168 Aufschlussreich ist hier insbesondere seine Bemerkung: »Un dandy qui marque tout de son cachet, qui n’existe pas en dehors d’une certaine exquise originalité (lord Byron)« (S. 688). Er erläutert in einer Fußnote: »Il n’y a qu’un Anglais qui puisse se servir de ce mot-là« und greift somit auf die anglomane Vorstellung der englischen Originalität zurück. Betrachtet man die Stelle in Jesses Biographie, aus der dieses Zitat Byrons stammt, wird deutlich, dass die 166

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Barbey: Du Dandysme, S. 680. Ferner meint er über die englische Kunst: »tout est singulier dans ce pays original« (S. 716). Auch die englischen humour, wit und fun seien eine »originale triplicité«, für die es im Französischen keine Entsprechung gebe (S. 696). Selbst im englischen Akzent von Brummells Französisch sieht Barbey weniger ein Unvermögen, als »une originalité sérieuse«, die von seiner aristokratischen Distinktion herrühre (S. 708). Barbey behauptet er kenne Byrons Werk als einziger in Frankreich »à une virgule près« (Barbey: Lettres à Trebutien, Bd. I, S. 174, vgl. Seillière: Barbey et le Dandysme Romantique, S. 364, Moers: Dandy, S. 260). So zitiert er Byrons Sardanapalus, ohne den Autor zu nennen (S. 712), und um zu beweisen, dass Dandys keine Krawatte tragen müssen, gibt er Byron als Beispiel für den Dandyismus an (S. 699). Wenn er schreibt, »[t]out le temps qu’on est amants, on n’est point amis; quand on n’est plus amants, on n’est rien moins qu’amis« (S. 688 FN), kennzeichnet er dies nicht als Zitat von Byron und gibt auf den Hinweis seines Verlegers Trebutien zu, er habe die Herkunft des Zitats vergessen (Petit: Notes, S. 1446). Auch andere Stellen Byrons zitiert er ohne Quellenangabe, wie z.B.: »Byron parle quelque part d’un portrait de Naploéon dans son manteau impérial et il y ajouta: ›Il semblait qu’il y fut éclos‹.« (S. 685) Wenn Barbey zu dem Kommentar über die Frauen kommt, »Elles ont le génie des mathématiques« (S. 688), so scheint er dabei an Byrons Frau, die Mathematikerin Milbanke, zu denken. Auch die Tatsache, dass Barbey Brummell immer wieder den Hang zum übermäßigen Alkoholkonsum zuschreibt, lässt sich mit dem Einfluss Byrons erklären. Deutlich wird dies in seinem Kommentar über Brummell: »il but une bouteille de vin – Byron en avait bu deux quand il avait répondu à l’article de la Revue d’Edimbourg [sic] par sa satire des Bardes anglais et des Critiques Éccossais […].« (S. 705) Auch wenn Seillières Behauptung, Brummell sei für Barbey nur ein Vorwand, um den Dandyismus Byrons darzustellen (Seillière: Barbey et le Dandysme Romantique, S. 395), zu weit geht, erweist sich Byrons Werk doch als wichtiger Subtext.

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Originalität für Barbey eine zentrale Rolle spielt. Denn Jesse betont, Brummell habe sich durch Sauberkeit und Makellosigkeit ausgezeichnet und zitiert Leigh Hunt, demzufolge wiederum George Byron ausgesprochen haben soll, Brummell habe in seiner Erscheinung nichts Außergewöhnliches gehabt außer einer »certain exquisite propriety«169. Barbey hat also offensichtlich das englische Wort für Sauberkeit mit dem französischen propriété im Sinne von ›Eigenschaft‹ verwechselt und als Eigenschaft des Dandys die Originalität eingesetzt.170 Barbey betont allerdings, dass die Originalität den Franzosen gänzlich vorenthalten bleibe. So bedeutet er, die Franzosen seien bemüht, sich an andere Völker so anzupassen wie ein Chamäleon an seine Umgebung: »[L]e caméléon ne peut réfléchir sur le blanc, et le blanc pour les peuples, c’est la force même de leur originalité.« (S. 670) Dabei verwendet er die Farbe Weiß symbolisch für das unverfälschte authentische Selbst, dem »pouvoir d’être soi« (S. 670) eines Volkes, wie dem der Engländer: ein Selbstverständnis, das Frankreich vermissen lasse und auch nicht kopieren könne. Auch hier geht Barbey konform mit der Argumentation der Anglomanen, wenn er im Lob der Engländer die Kritik an der eigenen Konventionalität verankert. In wörtlicher Anlehnung an Gautiers Kritik der fehlenden Originalität in Frankreich schreibt er: »En France, l’originalité n’a point de patrie; on lui interdit le feu et l’eau; on la hait comme une distinction nobiliaire. […] Être comme tout le monde, est le principe équivalant, pour les hommes, au principe dont on bourre la tête des jeunes filles: ›Sois considérée, il le faut‹ du mariage du figaro.«171 Dass Barbey hier dasselbe Zitat von Beaumarchais wie Gautier verwendet, zeugt von der Gemeinsamkeit ihrer Konzeption von Originalität, welche Barbey, entgegen der stereotypisierenden Verharmlosung seiner Zeit, wieder als antagonistische Kraft zu den gesellschaftlichen Konventionen etabliert. Anders als bei Gautier geht es Barbey indes nicht darum, Originalität für Frankreich einzufordern, sondern den Dandyismus als typisch englische Eigenschaft festzulegen, indem er ihn untrennbar mit der exklusiv englischen Originalität verknüpft: »Nul moyen de partager cela avec l’Angleterre. C’est profond comme son génie même.« (S. 671) Neu an dieser Behauptung der genuin englischen Originalität ist, dass Barbey diese englische Originalität in der jedem Engländer eigenen vanité verwurzelt und diese vanité anglaise wiederum als Grundvoraussetzung für den Dandyismus sieht. Um dies zu verdeutlichen, stellt er der fatuité als »forme de la vanité humaine« den Dandyismus als eine »vanité particulière«, nämlich als »vanité anglaise« gegenüber und folgert: »[C]’est la force de l’originalité anglaise, s’imprimant sur la vanité humaine […] qui produit ce qu’on appelle le Dandysme.« (S. 670) Wenn Barbey folgert, dass sich deswegen das Phänomen des »Dandysme« in Frankreich nicht akklimatisieren könne und so fremd bleibe wie das Wort dandy, für das es im Französischen keine Entsprechung gäbe (S. 670), überträgt er das anglomane Spiel mit der Exotik der eccentricity auf den Begriff der Originalität. Barbey stellt diesbe169 170

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Jesse: Brummell, S. 47. Trotzdem ist dieses Missverständnis ein elementarer Bestandteil der Behauptung des Dandys geworden und die »certaine exquise originalité« wird oft zitiert (vgl. Kempf: Dandies, S. 90, Rossbach: Dandyism in the Literary Works of Barbey, S. 29, Moers: Dandy, S. 264). Einzig Virginia Woolf spricht korrekt von der »certain exquisite propriety« (Woolf: Brummell, S. 4). Barbey: Du Dandysme, S. 688.

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züglich die fatuité als eine im Wortsinn gesättigte vanité dar, die sich in erster Linie bei Männern in Bezug auf ihre weiblichen Eroberungen äußert, sich aber ebenso auf das Standesbewusstsein oder besondere Verdienste stützen könne. Die vanité anglaise hingegen äußere sich nicht nur bei den privilegierten Schichten, sondern bei jedem Tellerwäscher, Barbey bezeichnet sie als »cette vanité ancrée jusqu’au cœur des marmitons et contre laquelle le mépris de Pascal n’était qu’une aveugle insolence« (S. 671). Er zitiert hier in der kursivierten Passage eine der Pensées von Pascal172 und vermengt so zwei verschiedene Ebenen der englischen Überlegenheit: erstens, dass sie die vanité stärker verinnerlicht haben und zweitens, dass sie diese auch eindringlicher als Pascal darstellten könnten. Neben dem Konzept der vanité der französischen Moralisten, auf die noch zu kommen ist, grenzt sich Barbey folglich auch von den kritischen Betrachtungen der englischen vanity ab, wie sie sich in Thackerays Vanity Fair oder auch Gores Cecil zeigt. Gores erstes Kapitel trägt das Epigramm »vanitas vanitatis« und schildert parodistisch die Eitelkeit des Protagonisten,173 worauf sich Barbey bezieht, wenn er von »l’épigrammatique Cecil« spricht (S. 679). Barbeys positive Umdeutung der vanité stützt sich auf BulwerLytton, der die besondere »vanity« der Engländer lobt, die sich ebenfalls in einem besonderen Nationalstolz zeige. Anders als die französische »vanity«, die darin bestünde, stolz zu sein, zu einer großartigen Nation zu gehören, sei der Engländer stolz darauf, dass solch eine großartige Nation ihm gehöre.174 Dieses solide in der Arroganz verankerte Selbstbewusstsein, so folgert Barbey aus dieser These, könnten die Franzosen nicht nachempfinden, nur nachäffen. In Anspielung auf die anglomanen französischen Dandys folgert er: »Qu’ils prennent l’air dégoûté, s’ils veulent, et se gantent de blanc jusqu’au coude, le pays de Richelieu ne produira pas de Brummell.« (S. 671) Die Kopie des impertinenten Verhaltens und der Kleidung der Engländer sei somit noch kein Ausdruck von Dandyismus. Angesichts der anglomanen Nachahmer bindet Barbey den Dandyismus also exklusiv an englische Eigenschaften, um den Dandy als unnachahmlich zu behaupten. Zur Untermauerung dieses englischen Exklusivitätsanspruchs stellt er die vanité von Brummell und Richelieu gegenüber: »[I]ls diffèrent de toute la physiologie d’une race, de tout le génie d’une société. L’un appartenait à cette race nervo-sanguine de France […] l’autre descendait de ces hommes du Nord, lymphatiques et pâles; froids comme la mer dont ils sont les fils, mais irascibles comme elle, et qui aiment à réchauffer leur sang glacé avec la flamme des alcools (highspirits).« (S. 671) Barbey verknüpft hier, wie auch im Folgenden, zwei verschiedene Diskurse der Anglomanen: erstens die antike Vorstellung der Körpersäfte, wie

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Vgl.: »[L]a vanité est si ancrée dans le cœur de l’homme, qu‹ […] un cuisinier, un crocheteur se vante et peut avoir des admirateurs.« (Pascal: Œuvres, S. 1129, vgl. Petit: Notes, S. 1440). Vgl.: »[T]he leading trait of my character has its origin in the first glimpse I caught of myself, at twelve months old, in the swing-glass of my mother’s dressing-room. I looked, and became a coxcomb for life!« (Gore: Cecil, S. 7). Bulwer-Lytton: England and the English, S. 21. Zu Barbeys kritischer Lektüre von Bulwer-Lyttons Werk vgl. seinen Eintrag vom 4.10.1836 (Barbey: Memoranda, S. 762).

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sie Hippokrates und Galen entwickeln175 – und Stendhal in De l’amour aufnimmt; zweitens die Klimatheorie von Montesquieus De l’esprit des lois, dessen These, das Klima wirke sich auf das Verhalten der Bewohner aus, sich wiederum auch bei de Staël wieder findet.176 Zu Montesquieu weist Barbeys Zitat Parallelen auf, insofern als ersterer ebenfalls die Ungeduld der Engländer mit dem rauen Klima erklärt und einen Zusammenhang zwischen dem Körpersaft der Lymphe und dem hohen Alkoholkonsum in den »pays du nord« sieht.177 Barbey gibt den Einfluss von Montesquieu (und Stendhal) selbst gegenüber Trebutien zu: »Je me suis dit: qu’est-ce que Montesquieu aurait pensé du Dandysme? Qu’est-ce que Beyle (Stendhal) en aurait pu écrire s’il y avait pensé? et j’ai écrit avec cette idée.«178 In der Tat äußert Barbey ebenso wie Montesquieu die Vorstellung eines kühlen englischen Temperaments, das immer wieder durch Nervosität, Ungeduld oder Alkohol erhitzt werde. Dabei überträgt er, wie sein Vorbild, das kalte Klima Englands auf die für den Dandy typische Gefühlskälte, wenn er vom Dandyismus als »quelque chose de froid« (S. 710 FN) und den Dandys als »esprits froids« (S. 683) spricht. Wenn er die Engländer, wie oben zitiert, als Söhne des kalten Meeres bezeichnet, unterstreicht er den großen Einfluss des Klimas auf den englischen Gemütszustand. Dabei nimmt er das salzige Meerwasser, dem die Engländer ausgesetzt sind, auch als Erklärung für ihren Alkoholkonsum und ihre Sportbegeisterung, wenn er über Brummells Selbstbehauptung schreibt: »[O]n y sent l’âpre influence du génie salin de ce peuple qui boxe et s’enivre […].« (S. 696) An anderer Stelle führt er die Trinkfestigkeit von Brummell komplementär dazu auf die lymphatische Veranlagung der Engländer zurück: »Comme les hommes de son pays […] il aimait à boire jusqu’à l’ivresse. Lymphatique et nerveux, dans l’ennui de cette existence oisive et anglaise, à laquelle le Dandysme n’échappe qu’à moitié […].« (S. 690) Barbey behauptet den englischen Exklusivitätsanspruch auf den Dandyismus also durch suggestive Assoziationen, die sich auf Klimatheorie und Temperamentenlehre stützen. Wie ein roter Faden zieht sich durch seine Argumentation dabei die Kombination eines ruhigen, inaktiven und eines aufbrausenden Elements. So konzipiert er neben dem Alkohol auch die vanité als ein Element, das die kalten, von der rauen Meeresbrise ersteiften Engländer immer wieder erhitze. Über den Unterschied zwischen Brummell und dem in England lebenden Franzosen d’Orsay schreibt er: »[L]a lymphe cette espèce d’eau dormante qui n’écume que quand la Vanité la fouette est la base physiologique 175

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Vgl. dazu Schöner: Humoralpathologie, S. 15-58, 86-94. Bereits beim Verfassen seines Essays erkundigt sich Barbey bei Jesse über Brummell: »Quel est son tempérament? lympathique, sanguin, ou bilieux? J’ai besoin de son portrait physiologique. Avec son portrait physiologique, j’aurai tout.« (Barbey: Lettres à Trebutien, Bd. I, S. 68). Vgl. Montesquieu: Esprit des Lois, S. 474-487 sowie de Staëls Essay »De l’influence des passions sur le bonheur des individus et des nations« (1796; Staël: Œuvres, Bd. I, S. 107-176). Montesquieu: Esprit des Lois, S. 486 f., 477. Barbey: Lettres à Trebutien, Bd. I, S. 119, vgl. Petit: Notes, S. 1430. Auch wenn Barbeys Bezug zu Stendhal noch zu erläutern ist, soll bereits hier erwähnt werden, dass Stendhal in De l’Amour neben Lauzun (S. 135), den Dandys (S. 141), dem cant (S. 156) auch das Gautier und Barbey angeführten Zitat von Beaumarchais »sois considérée, il le faut« (S. 23) erwähnt.

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du Dandy, et d’Orsay avait le sang rouge de France. C’était un nerveux sanguin aux larges épaules […].« (S. 699 FN) Die Formulierungen eau dormante und écume zeigen, dass Barbey diesen Gemütswechsel des Dandys dem mal ruhigen, mal stürmischen Meer nachempfindet. Diese Vorstellung einer der französischen Heißblütigkeit entgegengesetzten englischen Gefühlskälte, die trotz ihrer Lethargie ab und an durch Eigenliebe zum Erhitzen gebracht wird, beschreibt Barbey auch in Bezug auf das Liebesbedürfnis des Königs George IV.179 Das lymphatische englische Temperament suche demnach immer wieder nach Möglichkeiten, aus seiner Veranlagung auszubrechen. Bereits das dem Essay vorangestellte Zitat aus den Memoiren von Anne de Bourbon, »[i]l est plus difficile de plaire aux gens de sang-froid que d’être aimé de quelques âmes de feu« (S. 668), gibt dieses implizite Muster an, das Barbey dem Dandy zuordnet: die Unmöglichkeit, das Unbewegte zu bewegen: Barbey verwendet sang-froid allerdings nicht nur im allgemeinen Sinn von ›Kaltblütigkeit‹,180 sondern nimmt die feste Wendung wörtlich, wenn er Brummells Desinteresse an amourösen Abenteuer mit »sa vanité ne trempait pas dans un sang brulant« erklärt (S. 686). Das Außergewöhnliche an Brummell liege demnach darin, dass er anders, als der König oder die anderen Engländer, seine Kaltblütigkeit unter keinen Umständen verliere. Die Humoralpathologie dient somit nicht nur der Abgrenzung der englischen vanité von der französischen, sondern auch der Abgrenzung von dem sich niemals ›echauffierenden‹ Brummell gegenüber anderen Engländern. Allerdings findet sich die Zuordnung der vanité zu bestimmten Nationalitäten im Diskurs der Humoralpathologie bereits in Stendhals De l’Amour, wobei Stendhal den Unterschied zwischen Frankreich und England einerseits und Italien andererseits ansetzt. Während in Italien die öffentliche Meinung dem Ausleben der Leidenschaften untergeordnet sei und die Italiener keine Zeit für die vanité finden (S. 147), habe die vanité in Frankreich und England einen zentralen Stellenwert und führe zum Selbstzweck der gesellschaftlichen Anerkennung. Dabei verwendet Stendhal zumindest den Begriff Beau: »[L]e jeune beau anglais n’est forcé à la prudence que par l’excès et la sensibilité maladive de sa vanité.« (S. 154) Wo Stendhal im Einklang mit den Moralisten La Rochefoucauld, Pascal oder La Bruyère die vanité als exzessive und insofern krankhafte Selbstliebe verurteilt,181 entwickelt Barbey ein neues Konzept der vanité, das er eng an die Originalität der Engländern bindet. Zunächst hält er den Moralisten vor, die vanité verschrien zu haben, anstatt sie als menschliche Realität hinzunehmen, ein Vorwurf, der umso schwerer wiegt, da es ja der Anspruch der Moralisten war, schonungslos das menschliche Herz zu porträtieren, wie es etwa La Rochefoucauld ausdrückt.182 Statt179

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«Beau de la beauté lymphatique et figée de la maison de Hanovre, mais cherchant à l’animer, à la vivifier par le rayon de feu du diamant […].« (S. 684) Insofern sei d’Orsay kein Dandy, weil er sich ungehemmt seinen Gefühlsausbrüchen hingebe. Dass dieser einem blasphemierenden Offizier einen Teller an den Kopf warf, kommentiert er mit: »quoi de moins dandy et de plus français?« (S. 700). Die deutsche und die französische Bezeichnung zeigen, wie weit die Vorstellung der Körpersäfte noch im aktuellen Sprachgebrauch verbreitet ist. Vgl. etwa La Bruyères Kritik an der »sotte vanité« (Lafond: Moralistes, S. 686 f.). Vgl. die Einleitung seiner Maximen in der Erstausgabe von 1665 (Rochefoucauld: Œuvres, S. 397).

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dessen, so Barbey, solle man sich der Tatsache stellen, dass sie in jeder Seele einen großen Platz einnehme (S. 669). Barbey stellt somit die vanité nicht nur als unausweichliche Realität dar, sondern ist zudem bemüht, sie moralisch zu verteidigen: »[Q]uoi donc, dans l’ordre des sentiments, peut être d’une utilité plus grande pour la société, que cette recherche de l’approbation des autres, que cette inextinguible soif des applaudissements de la galerie, qui, dans les grandes choses, s’appelle amour de la gloire, et dans les petites, vanité.«183 Barbey betont also den gesellschaftlichen Nutzen der vanité, wobei nicht nur der Begriff der utilité eine frappierende Nähe zu Mills Forderung nach eccentrics und originals aufweist, sondern auch seine Argumentation, das individuelle Streben nach Höherem diene dem Allgemeinwohl. Barbey widerspricht dabei der Ächtung der vanité, indem er sie, anders etwa als de Staël, nicht als Gegenteil, sondern als Pendant zur gloire setzt:184 Im Gegensatz zum Stolz, der blind mache, erweise sich die vanité als klarsichtig und erkenne, mit welchen Mitteln man sich ins Licht rücken könne: »La vanité, elle, tient compte de tout.« (S. 669) Die »vanité clairvoyante« (S. 670) besteht somit in der Fähigkeit der geschickten Selbstinszenierung. Dabei entfernt sich Barbey nun eindeutig vom moralistischen Konzept der vanité, welche den Menschen zu Handlungen bringt, die im Grunde gegen seine Interessen oder zumindest gegen die Vernunft sind.185 Barbey hingegen beschreibt den durch die englische vanité geprägten Dandyismus als rationalen Pragmatismus, wenn er spricht von »un homme aussi positif que Brummell, qui l’était trois fois, puisqu’il était vaniteux, Anglais et Dandy!« (S. 697) Dergestalt kann er betonen, dass Brummell sein Bestreben nach Ruhm und materiellem Reichtum mit rationaler und pragmatischer Effektivität angehe. Er ergänzt in einer Fußnote, dass diese vanité entgegen der Meinung der Moralisten durchaus zu Glück verhelfen könne (S. 697 FN). Somit behauptet Barbey die Einzigartigkeit des Dandys, indem er die anglomane Idealisierung der originalité anglaise kombiniert mit einer pragmatisch konzipierten vanité, welche er als Ausdruck des nüchternen, kalkulierenden Durchsetzungsvermögens des Dandys hinstellt.

6.4.2 Die Behauptung der Exzentrik Dabei setzt sich Barbey vom Diskurs der Anglomanie auch insofern ab, als für diese die Originalität Wirkung der toleranten und liberalen Gesellschaft 183 184

185

Barbey: Du Dandysme, S. 669. Vgl.: »L’amour de la gloire se fonde sur ce qu’il y a de plus élevé dans la nature de l’homme […] la vanité s’attache à ce qui n’a de la valeur réelle ni dans soi, ni dans les autres.« (Staël: Œuvres, Bd. I, S. 127). Vgl. La Rochefoucauld: »La vanité nous fait faire plus de choses contre notre goût que la raison.« Sowie: »La flatterie est une fausse monnaie qui n’a cours que par notre vanité.« (Lafond: Moralistes, S. 175, 148) Die vanité wird hier als Ausdruck menschlicher Verblendung gesehen, die den Menschen unehrliches Lob für bare Münze nehmen oder gegen den eigenen Geschmack verstoßen lässt. Auch bei La Bruyère heißt es: »La sotte vanité semble être une passion inquiète de se faire valoir par les petites choses, ou de chercher dans les sujets les plus frivoles du nom et de la distinction.« (Lafond: Moralistes, S. 686) Auch hier bringt die vanité den Menschen dazu, das Wesentliche aus den Augen zu verlieren und in Kleinigkeiten oder Frivolitäten sein Glück zu suchen.

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gewesen ist, wohingegen Barbey vom Zwang zur Konventionalität spricht, der Originalität produziere: »Nulle part l’antagonisme des convenances et de l’ennui qu’elles engendrent s’est fait plus violemment sentir au fond des mœurs qu’en Angleterre, et peut-être est-ce de ce combat à outrance, éternel, comme le duel de la Mort et du Péché dans Milton, qu’est venue l’originalité profonde de cette société puritaine.« (S. 674) Der Eindruck dieses Antagonismus lässt sich mit den veränderten politischen Bedingungen erklären, welche das restriktive viktorianische Zeitalter mit sich brachte – zum Zeitpunkt des Essays (1844) war Queen Victoria seit sieben Jahren an der Macht. Die Wortfolge »antagonisme«, »combat«, »duel« und schließlich als Klimax »Mort« unterstreicht stilistisch das starke Konfliktpotential, das Barbey sieht zwischen dem Zwang der Konventionen und dem Bedürfnis, daraus auszubrechen. Er lässt dies kulminieren in der Anspielung auf den Kampf von Gott und Satan in Miltons Paradise Lost. Es ist Barbey zufolge also gerade der Diskurs der Konventionalität, der das Bedürfnis nach Unkonventionalität auslöst. Er spricht von der »société hypocrite et lasse de son hypocrisie« (S. 677), aus welcher der Dandyismus als ewiger Kampf zwischen Konventionen und Überdruss an diesen entspringe (S. 675). Aus diesem Konflikt, den auch Stendhal oder Wilde betonen,186 entspringt somit die Originalität als der Versuch, sich im Spannungsverhältnis von Anpassung und Faszination für das Ungewöhnliche zurechtzufinden. Barbeys Vorstellung einer tief verwurzelten Originalität verortet diesen Konflikt somit nicht als oberflächliche Auseinandersetzung mit den Konventionen, sondern als verinnerlichter Kampf. Die Originalität ist für ihn also kein Zeichen individueller Auszeichnung, sondern vielmehr der kulturelle Hintergrund der komplex organisierten, englischen Kultur.187 Entgegen der gebräuchlichen synonymen Verwendung setzt er dabei die excentricité von der originalité ab: »L’Excentricité, cet autre fruit du terroir anglais, le produit aussi, mais d’une autre manière, d’une façon effrénée, sauvage, aveugle. C’est une révolution individuelle contre l’ordre établi, quelquefois contre la nature: ici on touche à la folie.« (S. 675) Auch der excentricité schreibt Barbey englische Herkunft zu,188 definiert sie jedoch anders als die originalité als individuelle Revolution gegen die herrschende Ordnung, was sie der Auffassung Gautiers annähert. Derweil die originalité dem Leben in strengen Konventionen geschuldet sei, zeichne sich die excentricité durch ein blindes, maßloses und unkultiviertes Aufbäumen gegen die Ordnung aus. Barbey betont zudem die Nähe zur folie und spiegelt so das pathologisierende Bild der englischen Exzentrik wider. Gleichwohl spielt die excentricité eine bedeutende Rolle für den Dandyismus. Da die originalité grundlegendes Merkmal der englischen Gesellschaft sei, bestehe die Besonderheit des Dandyismus erst in 186 187

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Vgl. Stendhal: De l’Amour, S. 139, Wilde: De Profundis, S. 44 f. sowie Kapitel 5.7. Barbey fragt rhetorisch: »A quel degré de civilisation raffinée, de corruption secrète, la société anglaise est-elle en effet arrivée […]?« (Barbey: Du Dandysme, S. 715). In Barbeys Le Chevalier des Touches (1864) heißt es über England: »ce pays des grotesques, où le spleen, l’excentricité, la richesse et le gin travaillent perpétuellement à faire un carnaval de figures auprès desquelles les masques du carnaval de Venise ne seraient que du carton vulgairement badigeonné« (Barbey: Œuvres, Bd. I, S. 751), und etwas später in Übereinstimmung mit Du Dandysme »Angleterre, cette terre de l’excentricité« (S. 753).

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der Kombination der beiden. Der Dandy zeichnet sich folglich durch eine besondere Art der Originalität aus, die durch Kombination mit der excentricité entsteht: »Tout dandy est un oseur, mais un oseur qui a du tact, qui s’arrête à temps et qui trouve, entre l’originalité et l’excentricité, le fameux point d’intersection de Pascal.« (S. 689) Berücksichtigt man das vorherige Zitat besteht die Kunst des Dandys darin, sich nicht mit den scheinheiligen Konventionen der Gesellschaft abzugeben und sie durch das Bedürfnis nach originalité zu sublimieren, gleichzeitig aber in den exzentrischen Provokationen rechtzeitig innezuhalten, um nicht die gesellschaftlichen Regeln so weit zu verletzen, dass man von der Gesellschaft ausgeschlossen wird. Barbey konzipiert den Dandyismus somit als Gratwanderung zwischen provozierender Kühnheit und Achtung der Normen, welche ein intuitives Verständnis voraussetzt, wie weit man gehen darf. Allerdings ist die von Barbey evozierte und oft zitierte Schnittstelle,189 ähnlich der exquise originalité, kein genaues Zitat von Pascal, sondern vermutlich eine Anspielung auf eine Äußerung Pascals, in der er die Bildbetrachtung, bei der man den richtigen Blickwinkel finden müsse, als Analogie für das Fällen moralischer Urteile benutzt.190 Eindeutig indes ist Barbeys Nähe zu Listers Granby, in dessen Kommentar über Trebeck alle relevanten Begriffe, die Kombination aus Taktgefühl und Kühnheit sowie die Originalität verwendet werden: »[H]e had considerable tact, and a happy hardihood, which generally carried him through the difficulties into which his fearless love of originality brought him.« (S. 111 f.) Zwar ist die Rolle der Originalität hier eine andere: Lister zufolge bringt Trebeck, über den es vorher heißt »Originality was his idol. He wished to astonish, even if he did not amuse«, die Originalität an den Rande der Vulgarität, während diese für Barbey ein allgemein verbreitetes Phänomen ist und es die Exzentrik ist, die den Dandy an den Rand des Erlaubten drängt. In gleicher Weise wie Barbey Brummell kombiniert auch Listers friktionale Brummell-Figur Trebeck Kühnheit und Taktgefühl, so dass der Dandy zu einem provokanten Grenzgänger wird, der die Toleranz der Gesellschaft ausreizt, ohne die Grenze zu übertreten.191 Barbey schreibt: »Le Dandysme […] se joue de la règle et pourtant la respecte encore. Il en souffre et s’en venge encore tout en la subissant; il s’en réclame quand il y échappe; il la domine et en est dominé tour à tour: double et muable caractère!« (S. 675) Der doppelte Charakter des Dandyismus wird gleich durch vier paradoxe Formulierungen unterstrichen. Insofern als der Dandyismus der gesellschaftlichen Regeln spottet und sie gleichermaßen akzeptiert, grenzt er sich zunächst von der reinen excentricité ab, die sich jenseits aller Regeln situiert. Der Dandyismus situiert sich innerhalb der gesellschaftlichen Regeln, befolgt sie dennoch nicht, wie er es sollte. Das Wortfeld von Leid und Unterdrückung, das sich in den Verben »souffrir«, »se venger«, »subir«, »s’échapper« und »dominer« manifestiert, bringt zum Ausdruck, dass das

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Vgl. Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 261, Chaylessin: Montesqiuou, S. 24, Glaudes: La Fantaisie chez Barbey d’Aurevilly, S. 368, Bulteau: Pour en finir avec le dandysme, S. 238. Pascal: Œuvres, S. 1112, vgl. Petit: Notes, S. 1446 f. Wenn Pham-Thanh Listers Zitat als Kombination von Selbsterschaffung und zerstörung interpretiert (Pham-Thanh: Sur le culte de l’apparence et le dandy, S. 106), ersetzt er das Grenzgängerische des Dandys durch endgültige und absolute Kategorien.

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Verhältnis zum »ordre établi«, wie bei Gautiers Originalität, von Machtkämpfen geprägt ist. Anders als Gautier, der diesen Machtkampf mit den Mitteln der Ironie ausgefochten sieht, evoziert Barbey im obigen Zitat den flexiblen Charakter des Dandyismus, sein Beständiges Wechseln zwischen Über- und Unterlegenheit, Angriff und Verteidigung. Dieser Rückgriff auf de Certeaus Konzept der sich ständig verändernden Taktik ohne festen Ort manifestiert sich gleich auf zwei Ebenen. Nicht nur bestehen die Taktiken des Dandyismus, die Barbey hier darlegt, im ambivalenten Umgang mit den Regeln, sondern auch diese Ambivalenz ist ebenso wenig auf eine einheitliche Strategie festgelegt: Die Kombination der von Barbey konstituierten Gegensätze Originalität und Exzentrik funktioniert ebenfalls nicht nur auf eine vorherbestimmte Weise, sondern in mehrere Richtungen. Barbeys Konzeption von Originalität und Exzentrik zufolge ist der Dandy nämlich gleichzeitig auf originelle Weise exzentrisch und auf exzentrische Weise originell. Dass der Dandyismus jeder Regel spottet und sie dennoch akzeptiert, ist eine im Sinne Barbeys ›originelle‹ Art der Revolte, die eben nicht wie bei Gautiers excentricité auf einen antibürgerlichen Gestus (oder dessen Ironisierung) zurückgreift. Vielmehr hat der Dandy, gemäß der englischen Originalität, das Bedürfnis nach Konventionalität verinnerlicht und bewegt sich ständig zwischen Imitation und Subversion des bürgerlichen Gestus. Dass der Dandyismus die Regel für sich aber nicht nur in Anspruch nimmt, sondern sich gleichzeitig ihr entzieht, zeigt wiederum, dass er sich im Sinne Hutcheons auf ex-zentrische Weise der tief verwurzelten englischen originalité nähert, da er durchaus einen Status für sich veranschlagt, der sich dem Zentrum entzieht: Der Dandy bietet nicht nur Abwechslung von der konventional verordneten Langeweile, sondern da er sich dabei bewusst auf die Konventionen beruft, ist sein Befolgen der Regeln eine von ihm getroffene freie Entscheidung und kein gesellschaftlicher Zwang. Gemäß der Differenzierung von Renée Hoogland verkörpert der Dandyismus also keine marginale Position, indem er sich als Außenseiter geriert und die Regeln einfach nicht befolgt, sondern eine ex-zentrische Position, insofern als er sich den Regeln aus einer übergeordneten Position nähert und alleine durch diese Position ihre Verbindlichkeit in Frage stellt. Borsò bestätigt insofern, dass der Dandy ein »exzentrischer Held« ist, »der vom Außen der Gesellschaft wie ein kritischer Spiegel auf diese blickt […].«192 Diese Gratwanderung zwischen Akzeptanz der gesellschaftlichen Konventionen (sowie umgekehrt die Tatsache, dass er von der Gesellschaft akzeptiert wird) und der provokanten Distanzierung ist das zentrale Spannungsverhältnis, mit dem Barbey den Dandyismus konstituiert. In Abgrenzung zur art de plaire des honnête homme besitzt der Dandy also die »art de plaire en déplaisant«193, die Kunst, durch Unverschämtheit zu faszinieren, sich durch Provokation abzugrenzen, ohne sich auszugrenzen. Barbey bringt diesen Drahtseilakt zum Ausdruck, wenn er immer wieder einerseits die Unabhängigkeit des Dandys betont und andererseits feststellt, dass er ein Produkt der Gesellschaft und innerhalb dieser einzuordnen sei:

192 193

Borsò: Die Aporie von Eros und Ich-Kult, S. 125. Stanton: The Aristocrat as Art, S. 146-150, vgl. Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 279 f., Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 41, 265, Montandon: Honnête Homme, S. 254, Rossbach: Des Dandys Wort als Waffe, S. 100.

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»[L]e Dandysme est le produit d’une société qui s’ennuie […].«194 Demnach entspräche Brummell dem Bedürfnis einer gelangweilten Gesellschaft nach Abwechslung (S. 676). Anders als in seiner Elaboration der Selbstbehauptung Brummells durch Anekdoten, stellt er hier somit die Gesellschaft als denjenigen Faktor dar, der das Subjekt Dandy produziert. Allerdings betont er ebenso, Brummells Selbsterschaffung bestätigend, die Unabhängigkeit des Dandys: »Un Dandy est plus insulaire qu’un Anglais; car la société de Londres ressemble à une île dans une île […].« (S. 708) Das Bild des Dandys als Insel verbildlicht die isolierte Lage des Dandys in der Gesellschaft, die Barbey wieder auf grundsätzlich englische Bedingungen zurückführt. Innerhalb der Londoner Gesellschaft, die eine Insel auf der Insel bildet, sei der Dandy eine eigene Insel. Dies verarbeitet ironisch den berühmten Satz aus John Donnes Devotions Upon Emergent Occasions: »No man is an island entire of it self […] and therefore never send to know for whom the bell tolls; it tolls for thee.«195 Dahingegen behauptet Barbey also, dass der Dandy tatsächlich selbstgenügsam in der Gesellschaft leben könne und die Kirchenglocke, die der Prediger Donne läuten lässt, nicht für ihn schlage. Später spricht Barbey ebenso von »la chose si profondément – si insulairement anglaise du Dandysme« (S. 719). Diese Unabhängigkeit des Dandys betont er mit dem Hinweis, dass Brummell nicht zum Militär geeignet war, weil er jegliche Art der Uniformierung verabscheute (S. 688). Wenn Barbey also gleichzeitig die Abhängigkeit wie die Unabhängigkeit des Dandys von der Gesellschaft betont, reproduziert er seine Konzeption des originell-exzentrischen Dandys, der sich, gemäß den wechselnden Taktiken, mal den Regeln der Gesellschaft unterwirft, mal sich ihnen entzieht. Der barbeysche Dandy ist, anders gesagt, Produkt der Gesellschaft und produziert sich gleichzeitig in ihr. Dieses konstruktive Spannungsfeld zeigt sich auch, wenn Barbey von der Imagination des Dandys spricht: »[D]’une part, la Frivolité chez un peuple d’une tenue rigide et d’un militarisme grossier, de l’autre l’Imagination réclamant son droit à la face d’une loi morale trop étroite pour être vraie produisirent un genre de traduction, une science de manières et d’attitudes, impossible ailleurs, dont Brummell fut l’expression achevée.« (S. 682) Der Dandyismus erweist sich für Barbey demnach als die Kunst, seine Ablehnung der Gesellschaft in eine subtile Manier zu übersetzen, wie sie Barbey anhand der Anekdoten behauptet. So grenzt sich der Dandy von der Gesellschaft ab, ohne ihre Regeln zu brechen. Diese Gratwanderung unterstreicht Glaudes, wenn er analog zu Barbeys Kombination von Originalität und Exzentrik von Barbeys Dandyismus als »fantaisie qui va au centre« spricht, die nicht die Transgression der Verbote, sondern ihr Spiel damit unterstreicht.196 In der Tat greift Barbey oft auf den Begriff der fantaisie zurück, der, wie bereits erwähnt, als Synonym zu excentricité zu sehen ist. Anders indes als die excentricité, die Barbey lediglich als blinde Revolte darstellt, etabliert er die fantaisie als erfolgreiche Waffe gegen die rigide puritanische Gesellschaft, wenn er über Brummell sagt: »Il était la preuve de 194

195 196

Barbey: Du Dandysme, S. 694, Vgl.: »Le Dandysme n’étant pas l’invention d’un homme, mais la conséquence d’un certain état de société« (S. 679) sowie die »société qui produit le Dandysme«, von der er abschließend spricht (S. 716). Carey: Donne, S. 334. Das Zitat verwendet Eisenberg als Motto (Eisenberg: The Figure of the Dandy, S. v). Glaudes: La Fantaisie chez Barbey d’Aurevilly, S. 377, 367.

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cette vérité qu’il faut redire sans cesse aux hommes de la règle: c’est que si l’on coupe les ailes à la Fantaisie, elles repoussent plus longues de moitié.«197 Gemäß der doppelten Behauptung des Dandys als unabhängig und abhängig von der Gesellschaft, betont er allerdings nicht nur die Über-, sondern auch die Unterlegenheit der Fantasie gegenüber der Gesellschaft.198 Diese komplementären Taktiken, die einerseits die Unabhängigkeit des Dandys behaupten und ihn andererseits als Produkt oder gar als Opfer der Gesellschaft darstellen, zeigen sich nicht nur im expliziten Rückgriff auf die Begriffe Originalität und Exzentrik, sondern, wie nun zu zeigen sein wird, auch im übertragenen Sinn in der elaborierten Behauptung von Brummell als das Original des Dandyismus und in dessen Auflösung.

6.4.3 Die taktische Behauptung des Originals Barbey etabliert Brummell als Original, indem er ihn rigoros als einzigen Dandy präsentiert. So stellt er einen doppelten Exklusivitätsanspruch auf, der Brummell ausschließlich als Dandy präsentiert, indem er andere Aspekte seines Lebens ausklammert, und gleichzeitig ausschließlich Brummell als Verkörperung des Dandyismus darstellt und andere Dandys nicht gelten lässt. Diese Argumentation dient dem vierten Kapitel auch formal als Rahmen, das beginnt mit: »En effet, il ne fut qu’un Dandy« und endet mit »réduit à la seule force de ce qu’il le distingua, il s’éleva au rang d’une chose: il fut le Dandysme même.« (S. 672 f.) Brummells einzige Eigenschaft besteht also darin, Dandy zu sein, und andersherum wird Brummell als einzige Person behauptet, die diesen Dandyismus verkörpert. Dadurch wird Brummell zu dem unerreichbaren Original, das eine eigene Kategorie bildet, in der nur er selbst enthalten ist. Die Großschreibung von »Dandy« und »Dandysme«, die Barbey nahezu konsequent einhält, wertet den Dandyismus auf und somit auch den Verdienst Brummells, eine neue manière d’être entwickelt zu haben, die allerdings nur von diesem selbst zu realisieren ist: »On ne se fait pas Brummell. On l’est ou on ne l’est pas« schreibt er in seinem Vorwort zu der Ausgabe von 1861199 und betont im Essay, dass der Dandyismus die Existenz Brummells vollständig ausfülle: »Il n’était propre à être rien de plus, mais aussi rien de moins que le plus grand Dandy de son temps et de tous les temps.« (S. 672) Die Existenz als Dandy an sich sei demnach schon als unmittelbares Verdienst anzusehen, das nicht nachzuahmen ist. Dabei lässt er dem Dandy neben Imagination und Fantasie auch mit »capricieux génie« und »entrainant génie« (S. 677) typische Eigenschaften eines Künstlers zukommen: »Il était un grand artiste à sa manière […]. Il plaisait avec sa personne, comme d’autres plaisaient avec leurs œuvres« schreibt er über Brummell (S. 693). Ähnlich wie das Originalgenie schöpfe Brummell also seinen Dandyismus ganz aus sich selbst heraus.200 Deswegen verweigert Barbey anderen

197 198

199 200

Barbey: Du Dandysme, S. 676, vgl. die »fantaisie de l’habit râpé« (S. 673 FN). «L’aimable fantaisie n’a qu’à jeter son sang d’essence de roses vers le ciel. Elle succombe sous l’opiniâtre nature de ce peuple indomptablement coutumier […].« (Barbey: Du Dandysme, S. 717). Zit. n. Petit: Notes, S. 1438. Vgl. Kapitel 7.7 und 7.8. Insofern grenzt er Brummell auch von d’Orsay ab, da dieser Bildhauer und kein Künstler an sich selbst war: »d’Orsay fut un ar-

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das Attribut Dandy: Richelieu, weil er gleichzeitig auch Staatsmann, Byron, weil er gemäß der doppelten Existenz, Dichter und Lord, und Lord Yarmouth, weil er Großgrundbesitzer war (S. 673). Barbeys Dandy zeichnet sich demnach dadurch aus, dass er in doppeltem Sinne keine Verdienste hat, dass er nichts getan hat und nichts besitzt. Die einzige Tätigkeit des Dandys besteht in seiner Selbstbehauptung als Dandy, die sich weder auf künstlerischen Fähigkeiten, noch auf aristokratischen Privilegien, sondern auf nichts anderem als die Selbstbehauptung selbst stützt. Obgleich Barbey diesen in Kapitel 7.7 ausführlich kommentierten Gedanken von Fremy übernimmt, bezeichnet er dessen Darstellung dennoch in einem Brief an Trebutien vom 18.5.1843 als »mauvaise plaisanterie«, »rien de pensé au fond« und »turlupinade«.201 Auch dies ist Teil der Taktik, George Brummell als das einmalige Original des Dandyismus zu behaupten, indem andere Darstellungen des Dandys ausgeschlossen werden. Die Kritik an den anderen Darstellungen des Dandyismus hat somit die doppelte Aufgabe, Brummells Dandyismus als unbeschreibbar und gleichzeitig die eigene Darstellung als einzig gültige Annäherung zu verteidigen. Auffällig dabei ist der überaus scharfe Ton, der aus dem gelehrten Duktus des Essays herausfällt: »Les prédicateurs méthodistes (et il n’y en a pas qu’en Angleterre), tous les myopes qui ont risqué leur mot sur Brummell, l’ont peint, et rien n’est plus faux, comme une espèce de poupée sans cerveau et sans entrailles […].« (S. 691) Dass Barbey von einer Puppe ohne Gehirn spricht, ist als Anspielung auf Balzac zu sehen, der den Dandy im Traité als »mannequin extrêmement ingénieux«, aber keinesfalls als »être pensant« sieht (S. 247). Während sich Barbey in einem Aufsatz vom 22.6.1853 in Le Pays über Balzacs Urteil verwundert zeigt und ihm konziliant zugute hält, dass seine faszinierendsten Protagonisten Dandys seien,202 ordnet er Balzac hier polemisch in die Reihe der puritanischen Moralapostel ein. Diese Kritik an der linkischen und blinden Empörung gegenüber dem Dandy, die den Ruhm Brummells als erschreckendes Anzeichen sieht, hat Barbey zuvor ausgeführt: »[I]l en est qui s’indignent de bonne foi contre l’éclat attaché au nom de Brummell: lourdauds de moralité grave, cette gloire de la frivolité les insulte.« (S. 679) Die etwas umständliche Formulierung des Eklats der mit Brummells Namen verbunden ist, weist darauf hin, dass sich Barbey auf die scharfen Kritiken an den fashionable novels von Thackeray und Carlyle im Fraser’s Magazine oder in Vanity Fair und Sartor Resartus bezieht, die ihre Kritik selten direkt an Brummell, sondern in erster Linie am byronschen und bulwerschen Dandy festmachen. Er wirft Carlyle ausdrücklich vor, Dandyismus auf die äußere Erscheinung reduziert zu haben: »Tout le monde s’y trompe, les Anglais euxmêmes! Dernièrement leur Thomas Carlyle, l’auteur du Sartor Resartus […].« (S. 673 FN) Wenn er an diesem bemängelt, Brummells feine Nuancen wegen seines »regard embarbouillé d’allemand« übersehen zu haben

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tiste […] il sculptait, et non pas comme Brummel peignait ses éventails pour des visages faux et des têtes vides.« (S. 699 FN). Barbey: Lettres à Trebutien, Bd. I, S. 71, vgl. Fremy: Le Roi de la Mode, S. 258. Vgl.: »[L]es têtes les plus étonnantes de sa Comédie humaine […] sont des têtes de dandys.« (Zit. n. Creed: Le Dandysme de Jules Barbey d’Aurevilly, S. 88).

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(S. 674), so spielt er auf Carlyles Lob (und Übersetzung) von Goethe an, den Barbey in Contre Goethe polemisch diskreditiert.203 Barbeys Kritik trifft ebenfalls die Darstellung von Fremy und Jesse, Brummell habe seinen Ruhm seinen Schneidern zu verdanken: »Ses tailleurs Davidson et Meyer, dont on a voulu faire, avec toute la bêtise de l’insolence, les pères de sa gloire […].«204 Fremy wirft er vor, das Essentielle am Dandyismus übersehen zu haben: »Les esprits qui ne voient les choses que par leur plus petit côté, ont imaginé que le Dandysme était surtout l’art de la mise […].« (S. 673) Mit der Formulierung »imaginé« verbannt er diese Position in das Reich der Vorstellungen, die wenig Bezug zur Realität habe, auch wenn er selbst, wie gezeigt, in seinen Modeartikeln den Verdienst des Schneiders Bland über Brummells Meriten stellt. Barbey spricht an anderer Stelle von den »petits historiens français qui, dans des revues bêtement graves, ont jugé Brummell à peu près comme l’auraient fait des bottiers ou des tailleurs qu’il eût dédaigné de faire travailler.« (S. 674 FN) Auf diese Weise behauptet er nicht nur Brummell als einzigen Dandy, sondern auch seinen Essay als einzig gültige Darstellung von diesem.

6.4.4 Die taktische Behauptung der Ex-zentrik Allerdings löst Barbey diese Exklusivität ›seines‹ Brummell im nachträglich hinzugefügten Aufsatz »Un dandy d’avant les dandys« selbst wieder auf. Zunächst in der Zeitschrift Le Constitutionnel unter dem Titel »Un séducteur par une princesse« erschienen, fungieren die Ausführungen über den Duc de Lauzun, über den auch Stendhal in De l’Amour berichtet (S. 135), in der Ausgabe von 1879 als abschließendes Kapitel. Basierend auf den Mémoires de Mlle de Montpensier kommentiert Barbey die Verführung von Anne Louise d’Orléans, die er »Mademoiselle« nennt, durch Lauzun. Barbey benutzt das Bild der »corde du Dandysme«, einer Saite, die überall vorhanden sei, in England indes am stärksten schwinge. Dass bei Richelieu die schwingende Saite des Dandyismus von anderen Tönen überdeckt worden sei, wohingegen sie bei Brummell alleine schwingen könne, relativiert seinen kategorischen Ausschluss Richelieus vom Dandyismus. Auch die englische Exklusivität des Dandyismus löst Barbey nun auf: »Tout anglaise qu’elle soit […]. Le Dandysme a sa racine dans la nature humaine de tous les pays et de tous les temps, puisque la vanité est universelle.« (S. 719) Diese Aufhebung der Exklusivität der englischen vanité sowie der Differenzierung zur fatuité dient 203

204

Zur Ambivalenz der Taktik gehört, dass Barbey am Ende seines Essays zu verstehen gibt, dass er in Carlyle den einzigen Schriftsteller seiner Zeit sieht, der in der Lage sei, die Imagination zu befeuern (Barbey: Du Dandysme, S. 717). Barbey: Du Dandysme, S. 691, vgl. Fremy: Le Roi de la Mode 250, 253, 259, Jesse: Brummell, S. 527. Jesse revanchiert sich, indem er in der Zeitschrift Bentley’s Miscellany 1845 unter dem Deckmantel einer Rezension und Übersetzung von Barbeys Essay sein eigenes Werk als das Bessere darstellt und auch die ihm gegenüber kritischen Äußerungen Barbeys ausmerzt. Die oben erwähnte Passage über Brummells Schneider übersetzt er mit: »His tailors, Davidson and Meyer, who insolently endeavoured to establish themselves as the authors of his reputations« (zit. n. Greene: Barbey, S. 159), und macht so aus der Kritik an seinem eigenen Hervorheben von Brummells Schneidern einen von diesen selbst anvisierten Status.

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dazu, einen weiteren Franzosen als Dandy vorstellen zu können: »Un Dandy encore, d’avant les Dandys, comme Richelieu, avant même que la chose Dandysme fût nommée […] fut Lauzun […].« (S. 719) Lauzun, später als »Dandy avant le Dandysme« (S. 720) und »dandy anticipé« (S. 733) tituliert, wird dergestalt im Wortsinn als Dandy avant la lettre etabliert. Die Originalität Lauzuns behauptet Barbey nach gleichem widersprüchlichen Muster, wenn er betont, die Gefühle von Mademoiselle für Lauzun seien darin begründet, dass er angesichts der Konventionalität seiner Zeit durch eine außerordentliche Eigenschaft auffalle, die er präsentiert als »c’est ce que nous appellerions maintenant, car alors le mot n’existait pas: l’originalité.« (S. 722) Diese Historisierung des Begriffs, die Barbey nachträglich eingefügt hat,205 macht deutlich, dass er den damals sehr wohl existierenden Begriff nicht im historischen, eher negativ konnotiertem Verständnis des 18. Jahrhunderts,206 sondern in dem von ihm entworfenen Sinn der originalité anglaise verstanden wissen will. Er präsentiert Lauzuns Originalität ebenso wie den Dandyismus als Phänomen ohne historisch angemessenen Begriff und greift auf die Originalität auch zurück, um den bleibenden Eindruck, den Lauzuns unkonventionelles Verhalten auf die Königin ausübt, zu kommentieren: »Toujours les singularités, l’originalité, l’extraordinaire pour elle dans sa routine de high life et de princesse!« (S. 723) Barbey gibt den Gefühlen der Prinzessin für Lauzun dabei die gleiche Struktur wie die der Faszination der Gesellschaft gegenüber Brummell, insofern beide vom Verhalten des Dandys abgestoßen werden und sich gleichzeitig nicht der Faszination an diesem erwehren können. Dabei stattet Barbey Lauzun mit all den Eigenschaften aus, die er zuvor als ausschließlich englisch etabliert hat, indem er ihn nicht nur zu einem Dandy und Original avant la lettre, sondern, in einem ähnlichen Paradox, zu einem Engländer, der kein Engländer war, zu einem »Anglais de France« (S. 720) macht: »Lauzun était digne d’être Anglais. S’il l’eût été, il aurait fait un des plus magnifiques Dandys de l’Angleterre. Il avait l’égoïsme anglais […]. De mise, d’originalité – mais nuancée – dans la mise […], de prétention de n’être pas comme les autres […] de sang-froid, de gouvernement de lui-même, d’inattendu dans la conduite […]. Lauzun fut un Dandy. Il eut la vanité impitoyable, la vanité tigre des Dandys.« (S. 720)

Dass Barbey Lauzun, obwohl dieser keinen Kontakt zu England hatte, die Kaltblütigkeit, die vanité, die originalité sowie das englische Selbstverständnis als eccentric verkörpern lässt, löst die Exklusivität der englischen Originalität und Exzentrik und folglich des Dandyismus von Brummell wieder auf. Die Behauptung Brummells als erstes und ultimatives Original des Dandyismus wird also taktisch ergänzt durch die posthume Behauptung von Lauzun als Prototyp des Dandys lange vor Brummell und die Relativierung der Ausschließlichkeit der englischen originality, der vanity sowie des Dandyismus schlechthin.

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Vgl. Petit: Notes, S. 1456. Vgl. dazu ausführlich Hörner: Original à tous les sens, S. 75.

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6 . 5 B a u d e l a i r e s e l a b o r i e r te B e h au p tu n g In Baudelaires Peintre de la vie moderne wiederum spielt Brummell keine große Rolle, da Baudelaire den Dandyismus als »institution […] très ancienne« (S. 709) darstellt. Er nimmt nicht, wie Barbey, Brummell als Ausgangspunkt, sondern konzipiert den Dandyismus als den Rest einer sehr viel älteren aristokratischen Distinktion im Zeitalter der bürgerlichen Demokratisierung (S. 711). Dabei stilisiert er den französischen Dandy als das letzte Aufbäumen vor dem unausweichlichen Niedergang, derweil England weiterhin Platz ließe für Dandys (S. 712). Damit grenzt er sich, wie gezeigt, nicht nur von der Behauptung der englischen Autoren ab, die das Ende des byronschen, aristokratischen Dandyismus beschworen, sondern auch von Barbey, der das Ende des englischen Dandys als bedauernswerte Niederlage gegen den Puritanismus beklagt.207 Während Barbey den Dandyismus als Kampf gegen die starren Regeln der Gesellschaft auslegt, betont Baudelaire wiederum die strengen Regeln des Dandyismus: »[T]outes les conditions matérielles compliquées auxquelles ils se soumettent, depuis la toilette irréprochable à toute heure du jour et de la nuit jusqu’aux tours les plus périlleux du sport, ne sont qu’une gymnastique propre à fortifier la volonté et à discipliner l’âme.«208 Hier ist das anglomane Bild der sportbegeisterten exzentrischen Engländer wieder zu erkennen, das in der Baudelaire zugeschriebenen Biographie des Excentriques zum Ausdruck kommt, wobei gymnastique als allgemeiner Begriff für mehrere als englisch rezipierte Sportarten zu verstehen ist: »Par gymnastique, il faut entendre non seulement les exercices classiques du trapèze, des parallèles, du tremplin et des ›alters‹ mais encore, et comme complément, la lutte, la boxe, la savate« schreibt der von Gautier als Dandy gelobte Nestor Roqueplan.209 Demnach ist in der gymnastique des Dandys nicht nur asketische Enthaltsamkeit, wie es Sartre versteht,210 sondern vor allem Nachahmung des anglomanen Lebensstils zu sehen. Dennoch betont Sartre durchaus zu Recht die strengen Regeln des Dandyismus in der Konzeption Baudelaires, der in diesem Kontext den Dandyismus mit den »Hachischins« [sic] vergleicht, die er auch in »Le Poème du hachisch« (Bd. I, S. 404) beschreibt. Wie die jungen Schüler, die von ihrem Meister unter Rausch gesetzt wurden und ihm Gehorsam bis in den Tod schuldeten, so schreibt er über den Dandyismus im Peintre: »[C]ette doctrine d’élégance et d’originalité […] impose elle aussi, à ses ambitieux et humbles sectaires […] la terrible formule: Perinde ac cadaver!« (S. 711) Anders als Barbey, der die Originalität als Produkt der strengen Gesellschaft darstellt, unterstreicht Baudelaire die Strenge des Dandys mit der Idee des Kadavergehorsams, den der Dandy der Doktrin der Originalität erweisen müsse. Da207 208

209 210

Vgl. ausführlich Kapitel 7.1. Baudelaire: Peintre, S. 711, vgl. zu den strengen Regeln des Dandyismus Stanton: The Aristocrat as Art, S. 195, Boüexière: Dandysme, S. 15, Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 112, 301, Prevost: Dandysme, S. vi, Raynaud: Baudelaire, S. 19, Scaraffia: Petit dictionnaire du dandy, S. 145, Erbe: George Brummell und Charles Baudelaire, S. 585, Coblence: Le dandysme et la règle, Françoise: Le Dandysme et Marcel Proust, S. 22 ff. Zit. n. Ariste: La vie et le monde du boulevard, S. 258, vgl. Prevost: Dandysme, S. 102. Sartre: Baudelaire, S. 168, vgl. ausführlich Kapitel 7.7.

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bei konzipiert er die Originalität nicht wie Barbey als Eigenschaft der Gesellschaft, sondern als individuelle Errungenschaft: »Qu’est-ce donc que cette passion qui, devenue doctrine, a fait des adeptes dominateurs, cette institution non écrite qui a formé une caste si hautaine? C’est avant tout le besoin ardent de se faire une originalité, contenu dans les limites extérieures des convenances.«211 Zentral für dieses in den äußeren Grenzen der gesellschaftlichen Konventionen zu verortende Bedürfnis, sich zu Originalität zu verhelfen, sind die vielfältigen Widersprüche. Die bereits an sich ungewöhnliche Leidenschaft, die zur Doktrin wurde, steht konträr zur Formulierung der nicht niedergeschriebenen Institution, die wiederum in einem spannungsreichen Verhältnis zum Text von Baudelaire selbst steht, der in seinem Essay den Dandyismus schriftlich fixiert und wie die zahlreiche Forschungsliteratur dazu zeigt, auch ›institutionalisiert‹ hat. In den herrschsüchtigen Schülern schafft er eine contradictio in adjecto, die auf die ambivalente Position des Dandys zwischen dominantem Egozentrismus und Kadavergehorsam zurückgreift. Dass der Wunsch nach Originalität in den äußeren Grenzen der Konventionen anzusiedeln ist, nimmt Barbeys Konzeption des Dandys als Grenzgänger auf. Als letzte, zentrale Paradoxie behauptet die Reflexivkonstruktion »se faire une originalité«, dass Originalität als etwas künstlich Produziertes anzusehen sei. Diese Möglichkeit, Originalität zu erschaffen, konkurriert mit der Vorstellung von Originalität als naturgegebener und authentischer Disposition, die z.B. de Staël in De l’Allemagne zum Ausdruck bringt, wenn sie angesichts der Ironie von Jean Paul bemerkt, seine »originalité naturelle« sei durch die »prétention à l’originalité« verdorben worden.212 Insofern ist Baudelaires Behauptung der Originalität nicht nur existentialistisch zu deuten, wie dies Sartre tut,213 sondern auch als Revision der Vorstellung des Originalgenies und als Elaboration neuer Formen der Originalität. Hält man sich Baudelaires Argumentation im Peintre vor Augen, mit der er, wie in Kapitel 5.6.1 gezeigt, durch die Anonymisierung Guys zu einer Loslösung des Kunstwerkes vom Autor gelangt, lässt sich darin eine Herausforderung für die Konzeption von Originalität als authentischem, unmittelbarem Ausdruck des Originalgenies erkennen.214 So spricht Baudelaire dem untersuchten Maler, den er auch als Dandy bezeichnet (S. 691), eine »originalité saisissante« (S. 697) zu, konzipiert diese aber in deutlichem Kontrast zu der des Originalgenies. Die Tatsache, dass Guys seine Bilder nicht signiert, nennt er »originalité si puissante et si décidée, qu’elle se suffit à ellemême« (S. 687) und stellt dadurch das Nicht-Signieren als eine besonders originelle Art des Signierens dar. Eine solche Behauptung der Originalität setzt indes voraus, dass der Urheber des Kunstwerks dennoch bekannt ist: ein Spiel mit dem Inkognito, das Baudelaire, wie gezeigt, selbst vornimmt, wenn er Guys als »M. G.« anonymisiert. Dass Guys anonym bleiben möchte, kommentiert Baudelaire mit »M. C.G. pousse l’originalité jusqu’à la modestie« (S. 688) und gibt somit zu verstehen, dass sich Guys gerade durch seine inszenierte Anonymität von der Masse der Künstler auf originelle Wei211 212 213 214

Baudelaire: Peintre, S. 710. Staël: Œuvres, Bd. II, S. 151, vgl. Mortier: Originalité, S. 195. Vgl. Sartre: Baudelaire, Mettler: Sartres Baudelaire, S. 141 und Kapitel 7.7. Zur Ironisierung des romantischen Genies in Baudelaires Gedicht »Le Galant Tireur«, vgl. Borsò: Die Aporie von Eros und Ich-Kult, S. 130.

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se abgrenzt. Ähnlich wie in Bezug auf Barbeys und Montesquious Behauptung als Autor gezeigt, funktioniert dieses bourdieusche jeu à qui perd gagne nur, wenn Guys zwar seinen Namen verliert, dieser aber dennoch für den Betrachter bekannt und präsent bleibt. Diese inszenierte Anonymität verschiebt den Künstler aus dem Mittelpunkt seines Werkes an den Rand und unterläuft dadurch die Vorstellung eines authentischen Originalgenies. Zudem besteht die Originalität Guys nicht, wie bei Sulzer oder de Staël im Hineinhorchen in sich selbst, sondern in der Neugierde des Flaneurs, den die Fähigkeit des »Être hors de chez soi« auszeichnet (S. 692). Während das Originalgenie durch äußeren Einfluss in seiner Originalität bedroht wird, stellt Baudelaire den Dandy als Flaneur, als »moi insatiable du non-moi« dar.215 Dieser schöpft seine Originalität somit nicht aus sich selbst, sondern aus seiner Umgebung, womit sich Baudelaire auch von Gautier und Barbey absetzt.216 Baudelaires neue Konzeption von Originalität ist nicht Ausdruck eines authentischen Genies, sondern eines Künstlers, der mit seiner Anonymität innerhalb der Masse spielt. Walter Benjamin deutet diese neue Qualität der Originalität bei Baudelaire an: »Baudelaire hat vielleicht als erster die Vorstellung von einer marktgerechten Originalität gehabt, die eben darum damals origineller war als jede andere. Die création seines poncifs führt ihn zu Verfahrensweisen wie sie in der Konkurrenz üblich sind.«217 Während die »Diffamationen Mussets«, die Benjamin hier als Beispiel für das Konkurrieren angibt, eher der Behauptung des Autors zuzuordnen wären, sind die von Benjamin evozierten »Nachahmungen von Victor Hugo« als bloomsche Anxiety of Influence gegenüber dem bewunderten Autor als »Great Original« (S. 32) zu bezeichnen, die hier, wie Benjamin andeutet, der unerreichbaren Originalität des Vorgängers Herr zu werden versucht, indem sie diesen bewusst schablonenhaften kopiert. Benjamin spricht dies an, wenn er eine Stelle aus Paul Valérys Vorwort zu den Fleurs du Mal als »Problem des poncif« bezeichnet, in der Valéry den Konflikt Baudelaires zwischen Bewunderung und dem Versuch, Victor Hugo zu übertreffen, beschreibt.218 Was sich hinter Benjamins Vorstellung einer ›originellen‹ Behauptung einer massengerechten Originalität bei Baudelaire verbirgt, deutet eine Notiz im Passagen-Werk an: »Mit der Herstellung von Massenartikeln kommt der Begriff der Spezialität auf. Sein Verhältnis zu dem der Originalität ist zu un-

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Baudelaire: Peintre, S. 691 f. Vgl. dazu ausführlich Mettler: Ein Ich, das unersättlich nach dem Nicht-Ich verlangt, S. 130-142. Gautier hält in »Excellence de la Poésie« daran fest, dass man zum Dichten Genie brauche: »[I]l faut un certain sens intime, une disposition secrète, quelque chose qui ne s’acquiert pas et qui tient au tempérament propre et à l’idiosyncrasie.« (S. 48) Auch Barbey spricht von der Originalität als »labarum du Génie« (Barbey: Prophètes du Passé, S. 145). Benjamin: Passagen-Werk, Bd. I, S. 420 [J58, 4]. In Zentralpark findet sich ein identischer Satz, ergänzt um das Baudelaire-Zitat »(créer un poncif)« (Benjamin: Charles Baudelaire, S. 664). Benjamin: Passagen-Werk, S. 301 [J 1,1], vgl. Benjamin: Charles Baudelaire, S. 615. Zu dieser Anxiety of Influence vgl. Baudelaires Notiz in »Sur la Belgique«: »Je voudrais avoir les facultés de… tant d’écrivains dont je fus toujours jaloux. Un certain style, non pas le style de Hugo […].« (Baudelaire: Œuvres, Bd. II, S. 820).

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tersuchen.«219 Demnach wäre diese besondere Originalität das Gegenstück zur industriellen Spezialisierung. Folglich legt Benjamin bei den häufigen Vergleichen zwischen Hugo und Baudelaire in seinem Aufsatz über Baudelaire den Akzent zumeist auf das Verhältnis zur Masse.220 Benjamin zufolge ist Hugo der erste Schriftsteller, der die Menge seiner »Leser- und seiner Wählermassen« im Kopf hatte. Baudelaire lote so im Vergleich zu dem erfolgreichen Hugo sowohl seinen eigenen Misserfolg wie auch seinen verzweifelten Hochmut aus (S. 568). Das von Benjamin erwähnte poncif muss als ein Mittel Baudelaires gesehen werden, Hugos Popularität durch die Beschäftigung mit allgemein verbreiteten poncifs – »Schablonen«, wie Benjamin übersetzt,221 – noch zu übertreffen. Wie sich diese Behauptung gegenüber Hugo vollziehen könnte, deutet Baudelaire im Kapitel »Du chic et du poncif« aus dem Salon de 1846 an. Er bezeichnet dort den chic als Fähigkeit, ohne Vorlage ein Kunstwerk zu entwerfen, das – im Gegenteil zu der Vorstellung des Originalgenies – äußerst konventionell würde. Dabei betont er die Ähnlichkeit zum poncif als »résumé des idées vulgaires et banales« (S. 468). Die Ähnlichkeit mit Flauberts Projekt des Dictionnaire des idées reçues zeigt also, dass entgegen dem von Bourdieu postulierten Verzicht des art pour l’art auf jegliche »idées reçues« und »lieux communs«, seine beiden zentralen Autoren Baudelaire und Flaubert eben daran besonders interessiert waren.222 Baudelaire treibt diese Faszination am Allgemeinplatz auf die Spitze, wenn er in den Fusées die Einführung eines solchen poncif als höchsten Ausdruck des Genies darstellt: »Créer un poncif, c’est le génie. Je dois créer un poncif.«223 Die Originalität dieses poncif besteht somit nicht im authentischen Schaffen aus sich selbst heraus wie beim Originalgenie, sondern alleine darin, dass es nachgeahmt und kopiert wird. Originalität wird nicht als ein Qualitätskriterium gesehen, sondern als ein Merkmal, das erst dann zustande kommt, wenn man am Anfang einer Reihe von Nachahmern steht.224 Der Versuch, Allgemeinplätze nicht zu vermeiden, sondern im Gegenteil zu erfinden, kann als »double affirmation« gesehen werden, da der Anspruch daraus spricht, einerseits an den Allgemeinplätzen teilzuhaben, die, wie Bourdieu meint, die Einigkeit einer Gesellschaft zementieren, andererseits sich von diesen abzuheben, insofern diese nicht übernommen, sondern erfunden werden sollen. Wo Gautier den poncifs der Romantik durch doppelte Ironisierung seiner selbst und des Bourgeois begegnet, zeigt sich hier eine doppelte Affirmation sowohl des poncif als auch des Status des Autors gegenüber dem Bourgeois. Originalität besteht demnach nicht in der Ironisierung des Bourgeois, sondern im Erzeugen einer Schablone, welche dieser dann zu kopieren hat. 219 220 221 222 223 224

Benjamin: Passagen-Werk, S. 93 [A4, 2]. Vgl. u.a. Benjamin: Charles Baudelaire, S. 568, 682, 658. Ebd., S. 651. Bourdieu: Champ du pouvoir, champ intellectuel et habitus de classe, S. 22, vgl. Cassagne: La Théorie de l’Art pour l’Art, S. 181. Baudelaire: Œuvres, Bd. I, S. 662, vgl. Crouzet: Présentation, S. 23. Für Anregungen danke ich Dieter Mettler. Diese Konzeption zeigt sich auch in der etymologischen Entwicklung, insofern der Begriff original immer dann ein neues Bedeutungsspektrum erhalten hat, wenn neue Formen des Kopierens (Buchdruck, Reproduktion etc.) entstanden sind. Vgl. dazu Hörner: Original à tous les sens, S. 74 f., Häseler: Original, S. 643.

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Dass es Baudelaire dabei, analog zu der selbst produzierten originalité, um das künstliche Erschaffen elementar-literarischer Vorlagen geht, zeugt von einer Verschiebung des Geniekonzeptes vom authentischen Ausdruck des Künstlers hin zu einer Auseinandersetzung mit der Massenkultur. Baudelaire präsentiert die Originalität als künstliches Produkt und konzipiert das Erfinden eines poncif als Möglichkeit, reproduzierbares Genie zu zeigen und massentaugliche Originalität zu behaupten.225 Benjamin merkt im PassagenWerk ohne weitere Literaturangaben an, dass Jules Lemaître zufolge Baudelaire tatsächlich ein poncif geschaffen habe.226 Ein genauerer Blick auf diese Aussage Lemaîtres zeigt den engen Zusammenhang zwischen poncif, originalité und Dandy. Im Kapitel »Baudelaire« seiner Contemporains bescheinigt Lemaître den Fleurs du Mal eine »irréductible originalité« (S. 20). Im Sinne von Baudelaires doppelter Affirmation schreibt er, der »baudelairisme« bestehe aus der Mischung von Realismus und Idealismus (S. 28). Analog zur Kombination des Dandys als Aristokrat und modernem Flaneur folgert er: »[C]’est bien là l’effort essentiel du baudelairisme: unir toujours deux ordres de sentiments contraires, et au premier abord, incompatibles, et, au fond, deux conceptions divergentes du monde et de la vie […], le passé et le présent […]. [E]n ce temps d’industrie, de science positive et de démocratie, le baudelairisme a dû naître, chez certaines âmes, du regret du passé et de l’exaspération nerveuse, fréquente chez les vieilles races…« (S. 30 f.)

Angesichts der zahlreichen Nachahmer des baudelairisme folgert Lemaître, dass Baudelaire das Projekt, ein poncif zu kreieren, perfekt gelungen sei (S. 32). Der Erfolg dieser Schablone manifestiert sich in der häufigen Aufnahme dieses Gedankens, zuletzt bei Compagnon, der Baudelaire als repräsentatives Beispiel für sein Konzept der Anti-Modernes als Trauer um die Vergangenheit bei gleichzeitiger Orientierung auf die Zukunft sieht.227 Aber auch Benjamin selbst übernimmt dieses poncif, wenn er den Dandy als ambivalenten »Heros der Moderne« bezeichnet und ihn gemäß Baudelaires Formel des »Hercule sans emploi« als zugleich mächtig und ohnmächtig gegenüber der Gesellschaft etabliert.228 Einerseits sieht Benjamin so den Dandy als Verkörperung der schnellen, doch äußerlich versteckten Reaktionen des englischen Kaufmanns im neu aufkommenden Welthandel, als »eine Prägung der 225

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Auch Disegni spricht von Baudelaires »recherche poétique originale« und kommentiert: »Elle n’en est pas moins présente, d’une manière plus sérielle (et sans aura) dans toute la presse où elle se donne à lire comme l’une des représentations du monde social et politique.« (Disegni: Les poètes journalistes, S. 92). Benjamin erläutert: »Lemaître bemerkt, Baudelaire habe in der Tat, wie er es sich vorgesetzt, ein poncif geschaffen.« (Benjamin: Passagen-Werk, S. 330 [J15a, 2], vgl. ebd., S. 423 [J59a, 1], Benjamin: Charles Baudelaire, S. 686). Compagnon: Les Anti-Modernes, S. 13, vgl. Saidah: Le Dandysme. Continuité et rupture, S. 148. Auch Coblence fragt sich: »[L]e dandy témoigne-t-il d’un héroïsme désormais impossible ou illustre-t-il l’héroïsme de la vie moderne?« (Coblence: Obligation d’incertitude, S. 236) Jean-François Lyotard sieht den Dandy auf der Schwelle zwischen ewiger Wiederkehr und Neuerung stehen und betont dessen Haltung, die Modernität gleichzeitig als Chance und Untergang zu sehen (Lyotard: Assassinat, S. 59 f.). Benjamin: Charles Baudelaire, S. 599 f., vgl. Baudelaire: Peintre, S. 712.

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Engländer, die im Welthandel führend waren«. Demnach bilde der Dandy das »sinnreiche Training« aus, welches zu seiner Bewältigung für die Kaufmänner notwendig sei (S. 599 f.). Andererseits stellt er fest: »Die Moderne erweist sich als sein Verhängnis« und betont, im Kontrast zu den von ihm evozierten schnell handelnden englischen Dandys, den Widerstand des DandyFlaneurs gegen die Geschwindigkeit des Fortschritts (S. 556). Das widersprüchliche Verhältnis des baudelaireschen Dandys zur Gegenwart zwischen neuartiger, massenkompatibler Originalität und Verkörperung des Aristokraten ist also tatsächlich ein von Baudelaires geschaffenes poncif – und zentraler Bestandteil der Behauptung der Originalität.

7. D I E T A K T I K EN

DER

BEHAUPTUNG As to originality, all pretensions are ludicrous, – ›there is nothing new under the sun.‹ George Byron

Die nun vorzustellenden Taktiken kopieren die von Barbey und Baudelaire entwickelten poncifs. Diese Schablonen bilden die Basis der widersprüchlichen Vorstellung eines unwiederbringlich vergangenen und gleichzeitig aktuellen und omnipräsenten Phänomens Dandyismus. Barbeys poncif besteht, wie zuvor gezeigt, aus der Behauptung Brummells als Original des Dandyismus einerseits, der ex-zentrischen Universalität des Dandyismus andererseits. Feldman trägt beiden Positionen Rechnung, wenn sie bemerkt: »[T]he urge to delimit dandyism by time, place, or coterie is both irrestisible and contrary to dandyism’s spirit«, und doch Brummell als »the reigning beau on whom all other dandies necessarly model themselves« bezeichnet.1 Baudelaires poncif schließt an dasjenige Barbeys nahtlos an und beinhaltet, gleichzeitig das Ende des Dandys zu verkünden und diesen als besonders aktuelles, modernes Phänomen zu präsentieren. Dabei geht es mir weniger darum, die poncifs – wie Baudelaire es sich vornimmt – als originelle Schöpfung der beiden, sondern vielmehr als grundlegend für die Behauptung des Dandys nach, aber auch vor Barbey und Baudelaire zu etablieren. Insofern werden die beiden Taktiken nicht innerhalb eines Textes oder Werks als widersprüchliche Autor-Intentionen identifiziert, sondern als grundlegende Eigenschaft der Behauptungen des Dandys aufgefasst. Die Vorstellung von Brummell als Original impliziert dabei die Behauptung als Ursprung – gemäß der ›ursprünglichen‹ Bedeutung des Wortes original – wie auch als unerreichte Vorlage, die vergeblich zu kopieren versucht wird. Hans Jürgen Seemann bezeichnet dies in Copy als »schwarzes Original«, d.h. als nie ganz erreichtes Ideal der Unkopierbarkeit und Unnahbarkeit (S. 17, 74-79). Die Ex-zentrik wiederum wird mit Hutcheons Poetics of Postmodernism aufgefasst als radikales Sowohl-als-auch, das jeden Zentralismus – hier die Zentralität Brummells – wieder in Frage stellt (S. 60 ff.). Während diese Infragestellung bei Hutcheon mit der Intention verbunden ist, zentralistischen Vorstellungen wie dem Eurozentrismus (zumindest theoretisch) ein Ende zu bereiten, stellt die Behauptung der Ex-zentrik hier vielmehr die Universalität des Dandyismus unter Beweis. Die bei einem ex-zentrischen Phänomen auftretenden Widersprüche sollen also weder im Sinne Hegels in einer Synthese aufgelöst, noch als paradoxe Dissonanz stehen gelassen,2 sondern 1

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Feldman: Gender on the Divide, S. 1. Auch Gnüg betitelt ein Kapitel eher kritisch »II. Beau Brummell oder: der Mythos vom englischen Urdandy«, um dann als Ausrufezeichen zu setzen: »[D]as Votum über seine Inkarnation im Leben ist eindeutig: George Brummell!« (Gnüg: Dandy, S. 816). Vgl. Gumbrecht: Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche, S. 474, 26.

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als durchaus in sich stimmiges Kräftefeld beschrieben werden.3 Die Exzentrik wird also, anders als bei Hutcheon, nicht zur Entlarvung der Diskursivität des Zentrums benutzt, sondern ebenso selbst als Teil des Diskurses über den Dandy gesehen. Denn erst diese kombinierte Behauptung von Original und Ex-zentrik des Dandyismus, so die Ausgangsthese, gewährleistet die anhaltende Faszination am Phänomen Dandy.

7.1 Der erste und letzte Dandy Die Vorstellung, Brummell sei eine einmalige Manifestation eines unerreichten Originals, wird bereits von Zeitgenossen in Bezug auf seine Kleidung zum Ausdruck gebracht. Fremy z.B. schreibt über Brummells Kleidung: »[T]out cela a été copié de Brummel, mais avec la différence qui sépare la copie de l’original […].«4 Auch die Psychoanalytikerin Françoise Dolto sieht den Dandy als ständige Avantgarde, dessen Nachahmer ihm im sprichwörtlichen Sinn hinterher sind.5 Chenoune schreibt, die Kunst der Nuancen mache Brummell zu einem »modèle impossible, n’offrant aucune prise à la copie, puisqu’il n’y avait en fait rien à copier.«6 Beide sprechen dem Dandy Brummell somit das unerreichte Ideal der Unkopierbarkeit und Unnahbarkeit als

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Vgl. Geyer: Paradox, S. 12 f., Esposito: Paradoxien als Unterscheidungen von Unterscheidungen, S. 37 f. Wenn Geyer noch 1992 das Paradoxon als Warnzeichen vor systematischen Begriffsverhärtungen lobt (Geyer: Paradox, S. 14), bliebe die Frage, ob angesichts der u.a. von Ternes beobachteten Inflation des Begriffes der Paradoxie seit 20 Jahren (Ternes: Paradoxie, S. 174) nicht schon von einer Begriffsverhärtung des Paradoxons selbst zu sprechen wäre; eine Feststellung, die indes selbst paradox ist und so die Behauptung des Endes der Paradoxie wieder in Frage stellt. Fremy: Le Roi de la Mode, S. 259. Im Gedicht »The Dandy Petition«, veröffentlicht in The Spirit of the Public Journals for 1825, möchte der Erzähler Brummell wieder haben und bietet im Austausch die aktuellen Dandys an (vgl. Prevost: Dandysme, S. 179). Lennox überträgt diese Taktik auf »D’Orsay whose faultless coat and immaculate wristbands were for years the envy of minor dandies« (Lennox: Fashion, S. 65) und Roger de Beauvoir auf Byron: »son dandysme pèse aux dandies qui ne peuvent pas l’imiter […].« (Beauvoir: De la vie de Londres, S. 17 f.). «Le dandy lance des mouvements, mais les gens qui suivent ne sont pas des dandys […] il est déjà très loin quand on l’imite.« (Dolto: Figure de Proue, S. 84). Chenoune: Des modes et des hommes, S. 21. Niklas Luhmann zufolge ist die Vorstellung der Unkopierbarkeit des Dandys Symbol für die Veränderung des Systems der Liebe im 19. Jahrhundert, in dem das Kopieren religiöser Formen durch das Kopieren als solches ersetzt wird (Luhmann: Liebe als Passion, S. 218). Borsò kommentiert: »Der Dandy artikuliert durch die Hervorhebung der Galanterie seinen lauten Protest gegen die Verbürgerlichung des Liebesdiskurses der Romantik […].« Dies sei eine Entwicklung, die ihm die Selbstbehauptung als Individuum gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft durch den Eros unmöglich macht (Borsò: Die Aporie von Eros und Ich-Kult, S. 121). Während das Kopieren religiöser Formen die Absolutheit der Liebe unterstrichen habe, werde sich nun, ganz im Sinne des parêtre, auf die Geste selbst konzentriert. Luhmanns expliziter Bezug auf Wallace Fowlie zeigt, dass er dabei an Stendhals Julien Sorel denkt (vgl. Fowlie: Love in Litterature, S. 122).

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schwarzes Original zu. Während Coblence dies durch das Bild der Bewegung ausdrückt, spielt für Chenoune, der die Unfassbarkeit seiner Nuancen betont, das je ne sais quoi eine große Rolle.8 In dieser unbeschreibbaren Eigenschaft, deren Vorhandensein trotzdem ins Auge fällt und die schon bei Pascal oder Gracián dem honnête homme die Möglichkeit zur unnachahmlichen Distinktion ermöglicht, zeigt sich die Chiffre par excellence für die Behauptung von Brummells Dandyismus als schwarzem Original und nichtartikulierbarem Geheimnis.9 Demgemäß äußert Saidah über den Dandy: »il tente […] de se constituer une originalité et par la seule grâce du je ne sais quoi, d’affirmer un art de vivre […].«10 Die Originalität, die sich der Dandy hier, wie auch bei Baudelaire, künstlich erschafft, wird so durch die Präsenz eines je ne sais quoi wieder mystifiziert und auf einen unbeschreibbaren Ursprung zurückbezogen. Barbey, der diese Verschleierungstaktik kritisiert und in Du Dandysme den Anspruch erhebt, das je ne sais quoi von Brummell beschrieben zu haben (S. 715), betont dennoch die Unerreichbarkeit Brummells (S. 682) und folgert kategorisch: »De Dandy comme Brummell on n’en reverra plus […].« (S. 717) So wird Brummell im Wortsinn als das non plus ultra des Dandyismus dargestellt: »Eh bien on dira c’qu’on voudra. Ce Brummell vraiment, c’est le nec plus ultra«, heißt es im Couplet Final der Operette Brummell von Reynaldo Hahn.11 Da Barbey zuvor, wie gezeigt, Brummell als modellhaften Dandy darstellt, wird Brummell somit zugleich als erster und letzter Dandy behauptet, dessen Ende das Ende des Dandyismus bedeutet. Nicht nur Vigny versichert rückblickend, »[d]epuis Brummel, le sceptre des dandies était resté vacant«12, schon 1836, noch vor Brummells Tod, schreibt Fremy in Le Roi de la Mode, der Dandyismus sei mit dem gesellschaftlichen Niedergang Brummells dem Tod geweiht, da niemand Brummells Erbe angemessen antreten könne und es zu viele unwürdige Nachahmer gäbe.13 Neben Beerbohm, der trotz aller Kritik an Barbey diesen Gedanken in Dandies und Dandies übernimmt (S. 9), elaborieren diese Taktik zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Brüder Jacques und Marcel Boulenger. Wenn Mar-

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Vgl. Seemann: Copy, S. 17, 74-79. Vgl. Wiener: Eine Art Einzige, S. 47, Boüexière: Dandysme, S. 23, Moers: Dandy, S. 17, Saisselin: De l’honnête homme au dandy, S. 10, Coblence: Obligation d’incertitude, S. 122-125, Pham-Thanh: Du Dandysme en Angleterre, S. 32, 506. Vgl. Coblence: Obligation d’incertitude, S. 123, Stanton: The Aristocrat as Art, S. 207 ff., Seemann: Copy, S. 36, Pham-Thanh: Du Dandysme en Angleterre, S. 513. Saidah: Le Dandysme. Continuité et rupture, S. 137. Hahn: Brummell, S. 237. Vigny: Mémoires, S. 173, vgl. Trésor de la langue française: VI, S. 693, Reichardt: Handbuch, S. 26. Vigny lässt lediglich D’Orsay als »prince« in der Erbfolge zu (Vigny: Mémoires, S. 173). Fremy: Le Roi de la Mode, S. 259. Fremy lässt diesem Nachruf in »La mort de Brummell« (1840) einen weiteren folgen. Auch in Granby wird der friktionale Russelton als »old deserted man, forgotten, and decaying inch by inch in a foreign village« (S. 136) und die Dandys als »numerous but decreasing tribe« (S. 88) präsentiert. Auch in Gores Cecil wird kurz nach Brummells Tod über die angemessene Beisetzung des »ex-dandy« diskutiert (S. 89).

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cel Boulenger 1907 in »Le Dandysme«14 in Bezug auf Montesquiou den inflationären Gebrauch des Attributes ›Dandy‹ anprangert und feststellt: »[N]ous voilà bien loin de Brummell!«15 wird deutlich, dass er – ebenso wie Beerbohm dies in Dandies and Dandies in Bezug auf Whistler tut (S. 3) – sich von zeitgenössischen Dandys wie Montesquiou abgrenzen möchte, indem er ihnen Brummell als das unerreichte Original gegenüberstellt. Dass Proust etwa zur gleichen Zeit dagegen hält, Brummell könne im Gegenteil nicht der »prince de l’élégance« sein, denn im Moment, in dem er verarmt in Caen lebte, sei diese Existenz verwirkt worden,16 zeugt von einem Kampf um die Diskursmacht zum Thema ›Dandy‹, den Boulenger durch Rückbesinnung auf Brummell zu gewinnen trachtet. So kritisiert er die Zuschreibungen in Feuilleton und Literatur: »Un artiste célèbre passe-t-il pour un peu excentrique, un poète s’habille-t-il avec soin […] qu’aussitôt on parle de dandysme.«17 Boulenger zufolge reichen Exzentrik und Eleganz seiner Zeitgenossen allerdings nicht aus, um Dandy zu sein, rigoros hält er dagegen, dass der Begriff nur historisch zu verstehen sei und sich auf keine zeitgenössische Realität beziehe (S. 241). Die Dandys hätten in einer historisch umrissenen Zeitspanne gelebt, die nun vorbei sei, sein Fazit lautet unmissverständlich: »[L]es dandys ont vécu.« (S. 242) In dieser Darstellung des Dandys als historisch abgeschlossenes Phänomen räumt Boulenger Brummell als »premier dandy« eine besondere Rolle ein, denn die anglomanen Dandys unter Louis-Philippe hätten diesen zwar nachgeahmt, aber nie erreicht, die französische Bezeichnung sei, wie später fashionable und lion, nur »[s]imple argot du boulevard, simple étiquette« gewesen (S. 241). Boulenger spaltet den Begriff Dandy somit in eine einzigartige, Brummell vorbehaltene Bezeichnung und in ein Etikett der Mode auf, um Brummell als das Original des Dandyismus zu bewahren und zudem die anglomanen Modeliebhaber als gerade noch zulässige Kopien einer historisch abgeschlossenen Periode von den zeitgenössischen Dandys abzugrenzen. Auch Jacques Boulenger sieht den Dandyismus als ein geschichtlich abgeschlossenes Kapitel während der Regierungszeit von Louis-Philippe von 1830 bis 1848, wie bereits der Titel seines Buches Sous Louis-Philippe. Les Dandys18 ankündigt, für das sein Bruder das Vorwort schreibt. Dabei greift Jacques Boulenger Barbeys Taktik ausdrücklich auf: »Depuis qu’avec un talent exquis Barbey d’Aurevilly a écrit […] l’évangile du dandysme, on a beaucoup abusé de ce mot. En réalité, il n’y eut jamais qu’un dandy: Brummel.« (S. 19) Er wiederholt also wörtlich Barbeys Behauptung der Exklusivität Brummells und nimmt auch dessen Idee der vanité anglaise auf: »Au reste, le dandysme est sans doute un aspect exclusivement anglais de la vanité.« (S. 20) Anders als Barbey schließt Boulenger indes kategorisch jegliche excentricité und originalité von Brummell aus: »Toute excentricité, une couleur imprévue, une coupe trop hardie lui paraissaient la marque d’un insupportable goût.« (S. 9) Boulenger entleert die excentricité ihres revoltierenden Po14 Für eine andere Version des Artikels aus den Lettres de Chantilly vgl. Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 271-275. 15 Boulenger: Dandysme, S. 242. 16 Zit. n. Delbourg: Masculin Singulier, S. 79. 17 Boulenger: Dandysme, S. 240, vgl.: »Maurice Barrès […] voulut voir partout des dandys. Rien de plus exagéré […].« (S. 242). 18 Das hier relevante Kapitel erschien zuvor unter dem Titel »George Brummel, esq.« im Mercure de France.

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tentials und konzipiert sie als rein äußerliche, übertriebene Geschmacksverirrung. Aussagekräftig ist in diesem Zusammenhang das Zitat Barbeys von der certaine exquise originalité, denn Boulenger gibt eine weitere, ebenfalls unkorrekte Version wieder, da er ebenso wenig vom Streben nach Sauberkeit spricht: »[I]l voulait s’y distinguer seulement par ce que lord Byron a appelé: ›une certaine convenance exquise en matière d’habillement‹.« (S. 9). Während Barbey aus der »certain exquisite propriety« die Originalität gemacht hat, fügt Boulenger das Wort »convenance« ein, um die Gesellschaftskonformität des Dandys zu unterstreichen. Dies ist vor dem Hintergrund seiner Taktik zu sehen, Brummell als nicht originell und nicht exzentrisch darzustellen: »On se serait engoué de lui, s’il eût été excentrique, mais on s’en serait lassé.«19 Die excentricité wird somit von Boulenger als ein billiges Mittel angesehen, Faszination auszuüben, das sich schnell abnutzt. Deswegen betont er den Konformismus Brummells, wenn er die Faszination, die Brummell auf Thomas Raikes ausübte, erklärt mit: »Et ce Raikes est un des admirateurs, un des sujets de Brummel. Croit-on qu’il le fût resté si le Beau, par quelque excentricité de costume par exemple, avait choqué les »convenances«? […] C’est pourquoi Brummel dut baser tout son dandysme sur les convenances, et sa seule originalité fut de les respecter plus que personne.« (S. 18) Dass die Originalität Brummells darin bestand, die gesellschaftlichen Regeln zu beachten, ist eine etwas verkürzte Darstellung der originalité anglaise, die Barbey als grundlegenden Kampf zwischen Konventionen und Ausbruchswillen dargestellt hat.20 Der Darstellung Brummells als letztem Dandy liegt eine ausdrückliche Behauptung gegenüber den französischen Dekadenz-Interpretationen des Dandys zugrunde, von denen Boulenger den Dandy abgrenzt. Auch andere englische und französische Zeitgenossen sind sich einig in der Behauptung von Brummell als unerreichtem Original.21 Clare Jerrold etwa stellt in Dandys. Nash, Brummell, and D’Orsay With Their Courts (1910) Brummell als unerreichtes Vorbild dar (S. 14) und folgert: »And now the Dandies are all dead!« (S. 383). Derweil diese Autoren des frühen 20. Jahrhunderts das Ende des Dandyismus verkünden, um die dekadente Spielart auszuschließen, ist in heutigen literaturwissenschaftlichen Untersuchungen die Taktik zu erkennen, wiederum die dekadenten Dandys als die letzten Dandys zu etablieren. Gisbert Kranz stellt in seinem Aufsatz »Der Dandy und sein Untergang. Oscar Wil19 Boulenger: Sous Louis-Philippe, S. 9, vgl. Jesse: Brummell, S. 47, Barbey: Du Dandysme, S. 688 sowie Kapitel 6.4.1. 20 Über Brummells Ende schreibt Boulenger: »[E]t le dandy irréprochable qui disait: ›Un homme bien mis ne doit pas être remarqué‹, n’était plus alors qu’un vieux beau un peu excentrique.« (S. 25) Dass Brummell leicht exzentrisch geworden ist, wird als Ausdruck seines jämmerlichen Endes angesehen. 21 Alexander Lamington behauptet sowohl Brummell als »chief of the dandies« (Lamington: In the Days of the Dandies, S. 4), wie er die Nostalgie vergangener glorreicher Dandytage beschwört (S. 132). Vgl. Vincent: Dandies and Men of Letters, sowie für Frankreich Alméras: La Vie parisienne sous le règne de Louis-Philippe, Séché: La Jeunesse Dorée Sous Louis-Philippe, wo Séché sein Bild eines goldenen Zeitalters des Dandys noch dadurch verstärkt, dass er die jeunesse dorée um Alfred de Musset als einmalig in der Geschichte bezeichnet (S. 6). Inwiefern das Totsagen des Dandys eine langlebige Konstante in der Behauptung ist, werden noch die Kapitel 7.8 bis 7.11 zeigen.

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des Gestalt und Weg« zunächst das Gefühl der Dekadenz in Oscar Wildes Schriften wie The Decay of Lying oder The Critic as Artist heraus, um dann am Beispiel von Wildes eigenem Leben den Untergang des Dandys zu betonen. In seiner Studie über Ernst Jünger versichert Rainer Gruenter: »Mit Huysmans hat sich der französische Dandyismus erschöpft« und Hans Hinterhäuser sieht aus europäischer Sicht in der Dekadenz »das vorläufig letzte Kapitel des Dandyismus«22. Ellen Moers nimmt dies wörtlich, wenn sie The Dandy. Brummell to Beerbohm mit einem »Epilogue« über Max Beerbohm beendet. Sie stellt Beerbohm als das abschließende Kapitel des Dandyismus dar, indem sie, wie schon Barbey in Bezug auf Brummell, dessen Vereinsamung am Lebensende betont und ihn zur allegorischen Verkörperung für das Ende des Dandyismus macht: »Serene in exile, he preserved the last of the dandies.« (S. 316) Um die Einmaligkeit des Dandyismus zu betonen, zitiert sie Beerbohm, der sich selbst als »interesting link with the past« bezeichnet (S. 316), und stellt fest, »his self-imposed exile was to be the last word in dandyism.« (S. 328) In der Tat inszenierte sich Beerbohm bereits in seinen frühen Essays wie »1880« als letzter Zeuge einer vergangenen Zeit.23 Gleichwohl hat Moers nicht das letzte Wort behalten, denn Rhonda Garelick bezeichnet den am 1999 verstorbenen Quentin Crisp als letzte Verbindung zu dem Dandy des 19. Jahrhunderts. Obwohl Crisp im von ihr geführten Interview dazu sagt: »I would hate to be that kind of dandy«24, wird auch er als der letzte Dandy behauptet. Diese Taktik wird immer wieder u.a. auf Louis Aragon, Franz Blei, Albert Camus, Jean Cocteau, René Crevel, T.S. Eliot, Jean Giraudoux, Vladimir Majakovskij, Raymond Roussell, James Whistler, Ralph Barton, Sören Kierkegaard und Albert Cossery sowie auf die fiktionale Figur Arsène Lupin übertragen, die jeweils als allerletzte Dandys gesehen werden.25 Zu Recht stellt Ursula Link-Heer fest, »über den Dandy ist stets, beginnend mit Beau Brummell, so geschrieben worden, als erscheine er ein letztes Mal.«26 Diese Konstante ist Ausdruck der Behauptung der Einmaligkeit des Dandyismus, die in taktischer Spannung zur Entdeckung von aktuellen Dandys steht. In immer neuen ›letzten Dandys‹ zeigt sich diese Kombination aus Einzigartigkeit und Universalität in ihrer ganzen Paradoxie.

7.2 Ursprung und Genealogie Ebenso wie Brummell als der (erste) letzte Dandy behauptet wird, ist der Versuch zu erkennen, ihn an den Anfang des Dandyismus zu stellen. Die Vorstellung von Brummell als Original in der ersten Bedeutung des Wortes, ›Ursprung‹, setzt dabei eine neu einsetzende Entwicklung voraus, an deren 22 23 24 25

Gruenter: Formen des Dandysmus, S. 194, Hinterhäuser: Fin de Siècle, S. 103. Vgl. ausführlich Schönfeld: Deformierte Dandy, S. 218. Garelick: Quentin Crisp, S. 270, 274. Vgl. zu den ersten zehn Scaraffia: Gli ultimi dandies, ferner Kellner: The last dandy (zu Ralph Barton) sowie Huizing: Der letzte Dandy, ein Roman, der sich als Realisierung des Projekts von Sören Kierkegaard ausgibt, einen autobiographisch gefärbten Roman zu schreiben, vgl. das Magazine Littéraire mit dem Titel Søren Kierkegaard, philosophe et dandy (April 2007) und dort vor allem Bollon: La tentation du dandysme. Zu Albert Cossery vgl. Kunisch: Dandy, S. V sowie Marill-Albérès: Le dernier des dandies (über Arsène Lupin). 26 Link-Heer: Robert de Montesquiou, S. 261.

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Anfang Brummell gestellt werden kann. Barbey ist deswegen in Du Dandysme bemüht, Brummell nicht als Beau, sondern als Verkörperung der neuartigen Erscheinung des Dandyismus auszuloben: »Qu’on ne s’y méprenne pas, les Beaux ne sont pas les Dandys: ils les précèdent.« (S. 680) Das »on« bezieht sich lehrmeisterlich auf Jesses Darstellung von Brummell als Beau und unterstellt diesem, eine nicht mehr zeitgemäße Bezeichnung für Brummell gewählt zu haben, da die Ära der Beaus bereits beendet war. Barbey schreibt über den Beau: »Déjà le Dandysme, il est vrai, s’agite sous ces surfaces; mais il ne paraît point encore.« (S. 680) Das Bild, das ein kurz vor dem Schlüpfen stehendes Küken evoziert, personifiziert den Dandyismus als ein in der Entstehung begriffenes Phänomen. Allerdings löst Barbey die zeitliche Abtrennung der Beaus von den Dandys taktisch auf, wenn er in Bezug auf Nash einräumt, bei diesem zeige sich die Kombination von Beau und Dandy offen (S. 680), und schließlich, entgegen seiner kategorischen Ablehnung, Brummell selbst als Beau bezeichnet.27 Im Kontext von Brummells Aufenthalt in Calais spricht Barbey vom »Beau malheureux« (S. 707) und von »Le Beau« (S. 708). Diese Gleichzeitigkeit der Behauptung von Brummell als Anfang des Dandyismus und ihrer Auflösung, zeigt sich bereits zu Brummells Glanzzeit als Dandy. Zum einen wird die Darstellung Byrons von Watier’s als Dandy Club von den Beteiligten bestätigt: Henry Pierrepoint spricht von »We of the Dandy Club«28, Brummells Schuldner Richard Meyler wurde der Spitzname »Dick the Dandy-killer«29 und dem vereinsamten Brummell in Calais der Titel »Dowager Dandy«30 zuteil. Zum anderen wird diese Bezeichnung aber schon von Zeitgenossen wie Lennox mit starken Begriffen wie »Entweihung« und »Beleidigung« in Frage gestellt: »He was anything but a dandy. The term ›dandyism‹ never could be applied with justice to him; it would be a profanation to couple his name with such an offensive distinction.«31 Nicht nur Melville, der sich auf Lennox beruft, um Brummell als Beau darzustellen, sondern alle englischen Biographien wählen ausnahmslos diese Bezeichnung Beau.32 Auch Jesse schließt Brummell kategorisch vom Dandyismus aus, 27 Im Rückgriff auf Lister beschreibt er Brummells Aussehen zunächst mit »Son air de tête était plus beau que son visage« und folgert, mit der doppelten Bedeutung des Wortes spielend: »Tel était le beau Georges Bryan Brummell.« (S. 692) Die Kursivierung verdeutlicht, dass beau nicht als das gewöhnliche französische Adjektiv verwendet wird, die Kleinschreibung wiederum, dass nicht die Personenbezeichnung Beau gemeint ist. 28 In Grantley Berkeleys Reminiscences, zit. n. Timbs: Eccentrics, S. 28. 29 Moore: Life of Byron, S. 304, vgl. Jesse: Brummell, S. 225, Wilson: Memoirs, S. 603 f. 30 Vgl. Glenbervie: Diaries, Bd. II, S. 192, Prevost: Dandysme, S. 18, Coblence: Obligation d’incertitude, S. 44. Wilsons zufolge musste Brummell England verlassen, weil er seinen Schuldner Meyler über seine finanziellen Verhältnisse im Unklaren gelassen hatte, woraufhin dieser im Watier’s Club öffentlich Brummells Verhalten bloßstellte. Sie folgert: »Since then, dandies have gone out of fashion.« (Wilson: Memoirs, S. 603 f.). 31 Lennox: Celebrities, Bd. I, S. 291. 32 Melville: Beau, S. 46, vgl. z.B. Shand: Beau Brummell, Melville: Beau Brummell, Woolf: Beau Brummell, Connely: The Reign of Beau Brummell, Campbell: Beau Brummell, Cole: Beau Brummell, Franzero: The Life and times of Beau Brummell, Tennenbaum: The Incredible Beau Brummell. Auch Ribeiro folgert: »Brummell’s refined sobriety of dress was quite the reverse to that of

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verschweigt jedoch nicht Brummells Teilnahme am »Dandy Club« und gibt die entsprechenden Zitate wieder, in denen Brummell als Dandy bezeichnet wird.33 Brummells Selbstbildnis als »The Broken Bow/Beau« ließe vielleicht darauf schließen, dass Brummell sich eher als Beau denn als Dandy verewigen wollte, wenn nicht seine Bitte an die Inhaberin des Bildes, die Bildunterschrift zu streichen oder das Bild ganz zu vernichten, dem widerspricht.34 Diese Widersprüchlichkeit in Brummells Status als Dandy zeigt sich nicht zuletzt im einzigen schriftlichen Vermächtnis Brummells, Male and Female Costume. Dort distanziert sich der als »Beau Brummell (George Bryan Brummell)« angegebene Autor ausdrücklich von den Dandys: Der bewusst nachlässig gekleidete Dichter und der extravagant gekleidete Dandy, so der Autor, ähnelten sich darin, dass sie um jeden Preis auffallen wollen, und offenbaren Eitelkeit und Imponiergehabe. Die Formulierung »coxcomb« verdeutlicht dies äußerst bildhaft (S. 122). Brummell folgert, dass der Dandy ebenso wie der Dichter die Frage »Who is that?« provozieren möchte: »[T]he dandy who scorns to have an id-e-a beyond the set of his clothes, expects the same question, and the answer, ›Oh, this is the best dressing chap in the town‹.« (S. 122) Die Aussage, der Dandy sei jemand, der es verachte, sich mit etwas anderem als seiner Kleidung zu beschäftigen, zeigt Brummells Geringschätzung desselben als oberflächlichen Modegecken. Indes hat ebendiese Autorfunktion »Brummell« selbst einen uneindeutigen Ursprung. Die Herausgeberin Eleanor Parker beteuert, sie habe das Werk 1924 als Manuskript erworben und die Handschrift Brummells identifiziert, zudem sei das Wasserzeichen auf 1820 datiert (S. vii f.). Dass Parker Brummells Buch dem Autor selbst widmet (S. iii), sodass dieser Urheber und erster Adressat des Werkes gleichzeitig ist, unterstreicht den uneindeutigen Ursprung des Werks und stellt somit die vermeintlich ursprüngliche Abgrenzung des Beau Brummell vom Dandy wieder in Frage. Gemäß der Genealogie nach dem Vorbild Nietzsches und Foucaults, die keinen wahren Ursprung behaupten, sondern Behauptungen des Ursprungs untersuchen möchte,35 schwankt der Status von Brummell zwischen vorbildlichem erstem Dandy und dessen Gegenbild. Deutlich wird diese Uneindeutigkeit des Ursprungs in der elementarliterarischen Weiterschreibung der Krawattenanekdoten. In Thomas Moores populärem The Fudge Family in Paris, einem in Versform verfassten Briefwechsel einer englischen Familie in Paris, macht Biddy Fudge die Transformation von Bob Fudge zum »dandy« an der abgeschnürten Taille und vor allem der starren Krawatte fest.36 Bob schreibt: »I rise – put on neckcloth – stiff, tight as can be –/ for, a lad who goes into the world, Dick, like me/ Should have his neck tied up […].«37 Über die französischen Dandys sagt Bob, sie nähmen sich Brummell so sehr zum Vorbild, dass sie Geld sammeln würde, damit er von Calais aus komme, um sie einzukleiden: »They’d club

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the dandy.« (Ribeiro: The Art of Dress, S. 100 f.) Einzig die 2005 erschienene Biographie von Ian Kelly versucht, beiden Bezeichnungen Rechnung zu tragen (Kelly: Beau Brummell: the ultimate dandy, S. 1). Jesse: Brummell, S. 220-225. Ebd., S. 466, vgl. Campbell: Brummell, S. 188. Vgl. Foucault: Nietzsche, la généalogie, l’histoire, S. 136, 141. »Like an hourglass, exceedingly small in the waist […] heads so immoveably stuck in shirt collars […].« (Moore: Works [1875], S. 460). Moore: Works [1875], S. 464.

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for old B–m–l, from Calais, to dress ‘em!« Moores Passage über das neckcloth wird auch in der Neckclothitania zitiert, um die Dandys zu charakterisieren.39 George Cruikshank ist in diesem Kontext durch die Illustrationen dieses Bandes sowie für seine bekannten Dandy-Karikaturen40 relevant, da gerade seine Bilderserie Monstrosities die Dandys in ihren Krawatten karikiert. Auf der Radierung Dandies of 1817 & Monstrosities of 1818 sind die überdimensionierten Halstücher auf ebenso übertriebene Weise dargestellt wie auf Humming Birds – or – a dandy trio – !!! (1819).41 Dort musizieren im Vordergrund drei Dandys mit riesigen Halstüchern, der Flötenspieler betrachtet sich dabei noch im Spiegel.42 Diese Reduktion des Dandys auf eine riesige Krawatte manifestiert sich in vielen anderen Karikaturen.43 Die 1818 erstellte Radierung »The Dandy Club« von Richard Dighton zeigt zwei Dutzend Menschen mit gestärkter Krawatte in Brummells »Dandy Club«. Sie sind dabei so dicht gedrängt, dass das Bild nur noch aus Köpfen mit Halstüchern besteht, wobei die Halstücher deutlich größer als die Köpfe sind. Neben den Krawatten fungieren als einzige Requisiten eine Flasche Champagner der Marke »Best Dandy« und eine Schnupftabakdose mit der Aufschrift »Dandy Mixture«. Der zweite Dandy unten von links ist unschwer als Karikatur Bulwer-Lyttons zu identifizieren, während der Dandy, der in der Mitte ganz oben als einziger direkt den Betrachter anschaut, wohl Brummell darstellen soll. (Abbildung 9)

38 Ebd. 39 Vgl. Prevost: Dandysme, S. 20. 40 Der Begriff Karikatur wird hier mit Schenk als »verzerrende Betonung physiognomischer Besonderheiten« (Schenk: George Cruikshank im Wandel der Bildmedien, S. 86) benutzt. 41 Baudelaire schreibt in diesem Sinn: »Le mérite de George Cruikshank […] est une abondance inépuisable dans le grotesque. […] ce qui constitue surtout le grotesque de Cruikshank, c’est la violence extravagante du geste et du mouvement, et l’explosion dans l’expression.« (Baudelaire: Œuvres, Bd. II, S. 566, vgl. Wood: Satire, S. 228). 42 Die im Bild dargestellten Gemälde, zwei Porträts, eine Frau und ein Mann im Stil des 16. Jahrhunderts, verdeutlichen die Rückwärtsgewandtheit der Dandys, das Bild des Narcisos steht für die Selbstverliebtheit und das Bild der Göttin Vacuna allegorisiert ihren Müßiggang, vgl. Guratzsch: George Cruikshank, S. 238. 43 Im Bild Dandies Dressing, das George Cruikshank 1818 zusammen mit seinem Bruder Robert angefertigt hat, gelingt es einem Dandy nicht, seine Hose anzuziehen, weil seine Krawatte zu steif ist: »D–n it, I really believe I must take off my cravat or I shall never get my trousers on«, ein anderer bedauert: »Dear me, this is hardly stiff enough.« (Wardroper: The caricatures of George Cruikshank, S. 71) In der Zeitschrift The Ton von 1819, die Cruikshank illustriert, wird schließlich in satirischer Weise ein Tag eines Dandys dargestellt, der sich in übermäßigem Trinken, Waschen und Pudern und einer Diskussion mit dem Schneider erstreckt, der die Schulter- und Brustpartien seiner Jacke weiter auspolstern soll. (Wardroper: The caricatures of George Cruikshank, S. 71, 141, vgl. Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 75.) In der anonymen Radierung A Dandy von 1817 trägt der dargestellte Dandy ein überdimensioniertes Halstuch, das so breit ist wie die gesamte Vorderseite seines Fracks. Das Halstuch reicht dabei bis unter die Ohren und bedeckt zudem noch die Wangen (Laver: Dandies, S. 37). Gleiches gilt für die Radierung »The Dandy I’m sure« von 1816 (Moers: Dandy, S. 2).

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Abbildung 9: Richard Dighton: »The Dandy Club« (1818) Das größte Aufsehen erregte indes das Pamphlet The Political House that Jack Built, das sich das Kinderbuch The House that Jack built zum Vorbild nimmt. Dort enthalten ist eine Karikatur Cruikshanks des Prinzregenten, der von William Hone verfasste Text lautet dazu: »THE DANDY OF SIXTY, who bows with a grace,/And has taste in wigs, collars, cuirasses and lace […].«44 Neben der gestärkten Krawatte wird auf die zusammengeschnürte Taille und mit »Brustharnisch« auf die üppig ausgepolsterten Brust- und Schulterpartien angespielt. Diese Eigenschaften betonen andere Zeitgenossen wie Jouy, der auch vom »corset« und den weiten Hosen des Dandys spricht,45 das Gedicht Letters to Julia von Henry Lutrell, das einen Dandy darstellt, der sich eine Wespentaille schnürt, bis ihn seine geliebte Julia eines Besseren belehrt,46 das New Dictionary for the Fashionable World, translated from the french, das die Unmöglichkeit der Spezies Dandy karikiert, den Kopf zu drehen,47 oder das populäre Lied »I’m a fashionable Beau«, enthalten im anonym veröffentlichten Liederbuch The Dandy’s Songster (1815): »My neck a foot in length, I’m quite a dandy o. […]. My chin pok’d out, my neck-cloth

44 Wardroper: The caricatures of George Cruikshank, S. 84. Dies soll den Prinzregenten zu der Forderung nach schärferer Zensur veranlasst haben, dem die Regierung allerdings nicht nachkam (Wardroper: The caricatures of George Cruikshank, S. 98 f., vgl. Wood: Satire, S. 216 f.). Eine verlässlichere Methode war die Bestechung der Karikaturisten, deren Einkünfte auch in dem Geld bestand, das sie erhielten, damit sie nicht publizierten (vgl. Schenk: George Cruikshank im Wandel der Bildmedien, S. 87). 45 Jouy: L’Hermite de Londres, S. 338 f. Moers versichert, dies sei Brummells Erfindung (Moers: Dandy, S. 35). 46 Vgl. Wardroper: The caricatures of George Cruikshank, S. 71. 47 Die englische Adaption von Baudouins Dictionnaire des gens du monde (1820), vgl. Prevost: Dandysme, S. 23.

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stiff and bandy o […].« Im Gedicht »The Dandies«, veröffentlicht am 28.2.1824 in der Zeitschrift The mirror of literature, amusement and instruction wird ebenfalls ein derart halsverlängerter Dandy beschrieben.49 Die Krawatte, bei der Stärke und Fischgräten den Träger in einem Pranger laufen lassen, die ausgepolsterte Brustpartie, die verdeckt, dass nichts dahinter ist, sowie die schmerzhaften Mieder wiederholen die karikaturesken Elemente der Kleidung. Wenn Jesse Brummell als Dandy ausschließt, ist in seiner Begründung ein Echo darauf zu erkennen: »If, as I apprehend, glaring extravaganzas in dress – such, for instance, as excessive padding, trowsers [sic] containing cloths enough for a coat besides, short-collars sawing off the wearer’s ears and the corners threatening to put out his eyes, wristbands intruding upon his plate, or an expansive shirt-front like a miniature bleach-green, &c., &c. – constitute dandyism, Brummell most assuredly was no dandy.« (S. 40)

Obschon der Realitätsgehalt dieser Karikaturen dahingestellt sei – Wardroper betont, dass Cruikshanks Monstrosities kaum übertrieben50 –, zeigt sich doch, dass diese Karikaturen, ob gerechtfertigt oder nicht, das Bild des Dandys maßgeblich geprägt haben. Jesse differenziert deswegen zwischen den Dandys und Brummell, wenn er Brummells Kunst des Krawattenbindens betont, jedoch relativiert: »He did not, however, like the dandies, test their fitness for use by trying if he could raise three parts of their length by one corner without their bending […].«51 Demnach bestünde der Unterschied zwischen Brummell und den Dandys in der Angemessenheit der Mittel. John Lemoinne greift dafür auf den Begriff der Exzentrik zurück, indem er Brummell als »roi des dandies« bezeichnet und bemerkt, anders als diejenigen, die auf dem Boulevard de Gand »gilet excentriques« tragen, vermeide Brummell jede »excentricité«.52 Inwiefern sich Jesse und Lemoinne dabei auf die real existierenden karikaturesken Dandys der Zeit oder auf die Karikaturen von real existierenden Dandys beziehen, kann unbeantwortet bleiben angesichts von Whites Postulat, dass alle historischen Fakten einer Fiktionalisierung unterworfen sind und somit ein objektiver Zugang zur Geschichte nicht mehr möglich ist. Wenn Botz-Bornstein die Ablehnung des Begriffes Dandy für Brummell als Ausdruck der Unfassbarkeit Brummells sieht,53 so können diese widersprüchlichen Darstellungen hier durch die Historisierung des Begriffs in den 1810er Jahren in London fassbar gemacht werden. Unfassbar bleibt indes der Ursprung des Dandys, der gleichzeitig Brummell ist und wieder nicht, gleichzeitig erst in den karikaturesken Figuren, die ihn nachahmen, zu sehen ist und doch vor den Kopien bereits vorhanden war. 48 Zit. n. Breward: The Dandy Laid Bare, S. 221, 223. 49 »The neckcloth neat – where starch and whalebone vie,/ To make the slave a walking pillory!/ The bolsterd bosom – ah, ye envying fair,/ How little dream ye of the stuff that’s there!/What straps, ropes, steel, the aching ribs compress,/ To make the Dandy beautifully less.« (Zit. n. Prevost: Dandysme, S. 23 f.). 50 Wardroper: The caricatures of George Cruikshank, S. 55. 51 Jesse: Brummell, S. 41 f., vgl. Timbs: Eccentrics, S. 24. 52 Lemoinne: Brummell, S. 228, 231. Auch Gronow bezeichnet »all those who, for years, had made it a rule to copy the cut of Brummell’s coat […] or the tie of his neckcloth« wegen ihrer exzessiven Übertreibung als »unspeakably odious« (Gronow: Recollections and Anecdotes, S. 227, vgl Prevost: Dandysme, S. 19). 53 Vgl. Botz-Bornstein: Rule-Following in Dandyism, S. 290.

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7.3 Etymologie Diese Widersprüchlichkeit des Ursprungs zeigt sich auch in der etymologischen Herleitung des Wortes dandy. Barbey folgert aus der Unerreichbarkeit des Dandyismus für die Franzosen: »Comme tout ce qui est universel, humain, a son nom dans la langue de Voltaire; ce qui ne l’est pas, on est obligé de l’y mettre, et voilà pourquoi le mot Dandysme n’est pas français.« (S. 670) In der Tat gibt das OED an, das Substantiv dandy sei am Ende des 18. Jahrhunderts im englisch-schottischen Grenzgebiet verwendet worden (Bd. III, S. 25) für, wie Kluge präzisiert, »junge Leute, die in auffälliger Bekleidung Kirche oder Jahrmarkt besuchten«54. In einem schottischen Lied von 1780 wird der Begriff dandy in diesem Sinn für Menschen verwendet, die mit groben Kurzmänteln bekleidet und Bändern im Haar nach Kirk und Fair gingen.55 Der Refrain »quite the Dandy O« (OED, III 25) zeigt, dass »the Dandy« ein verbreiteter Ausdruck für etwas außergewöhnlich Feines war, im Sinne des Adjektivs »dainty«, von dem es möglicherweise nur eine andere Schreibweise darstellt. »I’m the Dandy O!« war auch ein Lied aus dem Theaterstück »He Would Be A Soldier« von John Kay (1787).56 Im 1809 erschienenen The new Sadler’s Wells songster, for 1809 von John Pitts, der Lieder veröffentlicht, die am noch heute existierenden Sadler’s Wells Theater gesungen wurden, wird das nächtliche Feiern mit dem Attribut gepriesen: »[T]o go to bed at night is all the dandy, o.«57 Das Scottish National Dictionary wiederum gibt ebenfalls das schottische Lied wieder und führt dandy auf das seit Ende des 18. Jahrhunderts belegte Wort dandilly zurück, eine Bezeichnung für jemanden, der entweder zu gekünstelt, körperlich zu schwächlich, von zu empfindsamem Temperament oder durch zuviel Bewunderung verdorben ist (S. 20). Da die von der Stadt Dundee entlehnte Bezeichnung dundee für ein Segelschiff auch in der Schreibweise Dandy existiert,58 könnte man den Begriff auch mit dieser schottischen Hafenstadt in Verbindung bringen. Angesichts Byrons schottischer Mutter – »But I am half a Scot by birth, and bred/ A whole one«, heißt es in seinem Don Juan59 – könnte man noch weitergehend vermuten, dass Byron den Begriff nach London importiert hat. Möglicherweise ist Dandy laut OED aber auch eine Kurzform von Jack-a-Dandy, eine seit 1650 belegte Bezeichnung für eine unverschämte, von sich selbst überzeugte Person, wobei das Präfix jack eine gebräuchliche Verkleinerungsform darstellt.60 Im Kinderbuch Jacky Dandy’s Delight, or the history of birds and beasts von 1788, das diese Form verwendet, ist »Jacky Dandy« der Name eines Kindes, das die Tierarten entdeckt. 54 Kluge: Etymologisches Wörterbuch, S. 162. 55 «I’ve heard my granny crack O‹ sixty twa years back when there were sic a stock of Dandies O; Oh they gaed to Kirk and Fair, Wi‹ their ribbons round their hair. And their stumpie drugget coats, quite the Dandy O.« (OED, Bd. III, S. 25). 56 John Kay: He Would be a Soldier, Edinburgh: S.S. Library 1787, vgl. http://www. lubranomusic.com, 1.2.2007. 57 Zit. n. Pham-Thanh: Du Dandysme en Angleterre, S. 131. 58 Vgl. Grand Robert, Bd. II, S. 953, 1731. 59 Byron: Works, Bd. V, S. 442, vgl. Moore: Life of Byron, S. 22. 60 OED, Bd. V, S. 536, vgl. Bonnaffé: Dictionnaire, S. 43.

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Neben dem schottischen Begriff existiert zudem das Hindi-Wort »dandi«, dessen Verwendung in der englischen Sprache für Fährmänner auf dem Ganges seit 1685 belegt ist (OED III, 25). Als Onomatopoesie schließlich taucht das Wort im Englischen bereits 1582 auf, etwa im Abzählreim »handy, dandy, prickly, prandy which hand will you have?«61 Zudem wird das Wort im Lied »Yankee Doodle Dandy« verwendet, in dem die Engländer im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg 1775-1783 die Uniformen der amerikanischen Truppen parodierten und diese mit dem affektierten und übertriebenen Kleidungsstil der macaronis verglichen, einer Gruppe Engländer, die zwischen 1760 und 1770 gegen die Verschlichtung des englischen Kleidungsstils protestierten, indem sie sich mit aufwändigen italienischen Kostümen schmückten.62 Meisel, der auch die indische Herkunft ins Spiel bringt, konstatiert die Unmöglichkeit, den Begriff auf eine eindeutige Bedeutung zu reduzieren: »The word’s etymology recounts an even longer history of usage and […] systematically undoes any unitary meaning it may seem to have.«63 Gemäß Foucaults Genealogie verläuft sich die Suche nach der Entstehung des Wortes in unterschiedlichen Fährten und zerstört so die Vorstellung einer ursprünglichen, zentralen Bedeutung. Barbey selbst befeuert diese ex-zentrische Auflösung des Begriffs, wenn er über die etymologische Herkunft des Wortes Dandy mutmaßt: »[L]a racine est peut-être française encore […].«64 In der Tat kursierte bereits 1819 die Theorie, der Begriff sei vom französischen dandi-prat abgeleitet. Bezug nehmend auf eine Predigt des Bishop Fleetwood, der diese These wohl anbrachte, um seine Gemeinde vor der Nichtigkeit des Dandyismus zu warnen, schreibt Charles Severn in einem Leserbrief an das New Monthly Magazine vom 1.4.1819: »Perhaps your readers may not be aware of the origin of the word dandy. It appears to have arisen from a small silver coin, struck by King Henry the Seventh, of little value, called a dandy prat; and hence, Bishop Fleetwood observes, the term is applied to worthless and contemptible persons.« (S. 206) Obschon der moralische Appell von Bischof Fleetwood deutlich die etymologische Stichhaltigkeit überwiegt, wird diese Ableitung von vielen Zeitgenossen aufgenommen.65 Auch aktuelle Untersuchungen, die bezeichnen61 Encyclopedia Britannica, CD-Rom. Artikel »nursery rhymes«. 62 Moers: Dandy, S. 11 f., Stanton: The Aristocrat as Art, S. 60, vgl. Kelly: Brummell, S. 2 f. Dieses Lied verloren die Engländer offensichtlich zusammen mit dem Krieg an die Amerikaner, da es, wie Moers schreibt, mittlerweile als amerikanisches Liedgut gilt. 63 Meisel: The Cowboy and the Dandy, S. 64, vgl. 63, Hess-Lüttich: Dandy, S. 52. 64 Barbey: Du Dandysme, S. 680, vgl.: »[L]e précieux français devint en Angleterre, après 1660, le beau, qui, ayant évolué sous le ciel insulaire, revint en France sous la forme du dandy […].« (Mackenzie: Les relations de l’Angleterre et la France, Bd. I, S. 130). 65 Le magasin pittoresque unterstreicht im Sinne der vanitas: »Sous le règne de Henri VIII, on frappa en Angleterre une petite pièce de monnaie d’argent de fort peu de valeur, que l’on appela dandy prat. Depuis, le mot dandy s’est appliqué aux jeunes gens dont l’extérieur est brillant, mais qui manquent de mérite.« (S. 343) Die Encyclopédie du dix-neuvième siècle von Ange de Saint-Priest definiert den Dandy: »Il signifie un jeune homme chez lequel les dehors élégants et la conduite excentrique cachent la nullité morale et intellectuelle de l’individu«, und belegt diese Behauptung mit der Ableitung von dandy prat, »une petite pièce de monnaie d’argent offrant une fort belle apparence, mais qui au

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derweise alle französisch sind, übernehmen diese These. Carassus leitet diese Herleitung mit einer gewissen Distanz ein, wenn er schreibt: »Admettons, si nous le préférons, une autre étymologie et supposons qu’une monnaie d’argent […] soit à l’origine du terme […].«66 Durch seine Distanzierung stellt er die etymologische Herleitung nicht als wissenschaftliche Frage, sondern als persönliche Geschmackssache dar. Natta hingegen fragt suggestiv: »Pourquoi le dandy s’appelle ainsi? […] Parce qu’il ne vaut pas grand chose? Pas plus que le dandy-pratt une pièce de menue monnaie?«67 Hier dient die vorgeschlagene etymologische Abstammung dazu, einerseits ihre Grundthese des Dandyismus als nach bürgerlichen Maßstäben gemessen wert- und ziellose Revolte, als Grandeur Sans Convictions zu stützen, andererseits zu unterstreichen, dass der Dandyismus als Phänomen und Wort nicht fassbar ist: »Le mot dandy suppose donc un infini pluriel et une singularité indéfinie« (S. 13), schreibt sie zu Beginn.68 Weitere Versuche, die französische Herkunft des Dandyismus etymologisch zu untermauern, zeigen sich, wenn Carassus und andere das Wort dandy neben dandiprat aus dem altfranzösischen dandin oder dem noch geläufigen Wort dandiner (dt. tändeln) ableiten. Wieder stellt er den Begriff eher in einen negativen Kontext, wenn er erläutert: »Le mot désignait un sot, un niais, se balançant gauchement d’une jambe sur l’autre, tel le battant d’une cloche.«69 Wenn Carassus ergänzt, dass dandin ebenfalls der Vorname Georges oder Perrin vorangestellt wurde, ist dies eine Anspielung auf die Figur Perrin Dandin, einen Richter, der in La Fontaines Fabel »L’Huître et les Plaideurs«, in Racines Les Plaideurs (1668) und in anderer Schreibweise in Rabelais’ Tiers-Livre im Kapitel XLI auftritt sowie auf Molières Komödie George Dandin ou le mari confondu.70 Molières Dandin, ein Bauer, der versucht,

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fond était de fort peu de valeur et que l’on nomma dandiprat. Cette origine précise, aussi bien que possible, le véritable sens de l’épithète dandy.« (Bd. IX, S. 545) Auch hier dient excentrique als negatives Attribut. Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 6. Natta: Grandeur Sans Convictions, S. 14, vgl. Krobb: Über einen Versuch, S. 75, Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 10, Gnüg: Dandy, S. 814, Boüexière: Dandysme, S. 22, Stanton: The Aristocrat as Art, S. 60, Grundmann: Der Dandy, S. 9-11. Prevost hingegen gibt die unterschiedlichen Herleitungen, u.a. die durch dandiprat, eher widerwillig wieder: »Débarrassons-nous ici de la question étymologique, question de peu d’importance pour notre sujet, et que nous traitons simplement pour être complet.« (Prevost: Dandysme, S. 9). Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 6. Diese Herleitung findet sich auch bei Stanton: The Aristocrat as Art, S. 60, Delbourg: Masculin Singulier, S. 9, Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 10, Gnüg: Dandy, S. 814, Boüexière: Dandysme, S. 22, Planchais: Androgynie et dandysme, S. 72, Coblence: Obligation d’incertitude, S. 14, Pezzini: Dandy, S. 92. Auch der Littré gibt diese Herleitung in der Ausgabe von 1971 an (Bd. II, S. 1286), in den folgenden Ausgaben ist dieser Hinweis indes gestrichen. Das Handbuch politischer Grundbegriffe, das diese Herleitung ebenfalls angibt, übersetzt dandin mit »Idioten« (Reichardt: Handbuch, S. 26). Burt stützt sich darauf, um einen »joli officier […] se dandinant les épaules«, den Baudelaire in Le Peintre de la vie moderne beschreibt (Baudelaire: Peintre, S. 708), als Dandy zu behaupten (Burt: Baudelaire, S. 33). Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 6, vgl. Stanton: The Aristocrat as Art, S. 60, Racine: Plaideurs, S. 314, Rabelais: Œuvres, S. 474, Molière: Dandin, S. 299, La Fontaine: L’Huître et les Plaideurs, S. 226 f.

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durch Heirat seinen sozialen Aufstieg zu forcieren, würde so unterstreichen, dass der Dandy nicht in die feine Gesellschaft gehört, in die er hineinzugelangen versucht. Trotz Molières eher negativer Darstellung haben einige (ausnahmslos französische) Wissenschaftler auch diese Version aufgenommen.71 Coblences Suggestion der französischen Wurzel »dent de lion«, deutsch »Löwenzahn«, englisch »dandelion« ermöglicht, eine Parallele zu der englischen – und später französischen – Bezeichnung »lion« für eine »Personne à la mode«72 zu ziehen. Dabei gibt Coblence ein Wortspiel von Gronow wieder, der Brummell als »dandelion« bezeichnete, das länger als gewöhnlich in London Wurzeln schlagen konnte und nicht nach einem Jahr verblühte, was Gronow wiederum von Lord Alvanley zitiert.73 Zudem verweist Coblence auf weitere Varianten und benutzt die Uneindeutigkeit der Etymologie, um im Essay Le Dandysme. Obligation d’Incertitude die existentielle Unsicherheit als Grundzug des Dandys ins Licht zu rücken: »[L]’incertitude déjà rencontré dans l’étymologie se déploie dans le choix de la fragilité de la vie contre la permanence de l’œuvre.« (S. 19) Hier wird die incertitude der Etymologie zum Ausdruck der Unsicherheit gegenüber der Demokratisierung der Gesellschaft (S. 29). Im Kontext der Anglomanie wird die Diskussion um die etymologische Herkunft ebenso geführt. Dumur stellt in seinem polemischen Nachruf auf den Dandy das Wort als Erfindung der anglomanen Franzosen dar, als »mot inventé par le XIXe siècle anglomane.«74 Hamard wiederum sieht im Gegenteil in ihrer Untersuchung zur Anglomanie in Frankreich in der englischen Herkunft des Wortes ein erstes Indiz dafür, dass der Dandy ein ursprünglich und außerordentlich englisches Phänomen ist.75 Es ist auffällig, dass die französischen Wissenschaftler trotz der negativen Konnotation von Georges Dandin, dandiner und dandiprat die Betonung auf den französischen Ursprung legen. Und so mag es nicht erstaunen, dass der Anglist Schubel auf das schottische Wort »to dandill« (dt. tändeln) hinweist76 und die amerikanische Wissenschaftlerin Moers den etymologischen Ursprung wiederum nach Amerika verlegt. Sie ruft das Lied Yankee Doodle Dandy in Erinnerung: »Yankee Doodle keep it up,/ Yankee Doodle Dandy,/ Mind the music and the step/ And with the girls be handy.« Obwohl »dandy« – wie schon im erwähnten Abzählreim – nur als lautliche Untermalung und als Reimwort für handy (hier nicht im Sinne von ›Hand‹, sondern von ›geschickt‹ verwendet) dient, ist sie bemüht, einen tieferen Sinn darin zu erkennen, und stellt fest: »The oldest stanzas of ›Yankee Doodle‹ bear directly on the origins of dandyism«, um zu folgern, dass es keine passendere Einfüh71 Saidah: Dandysme Social et dandysme littéraire, S. 20, Schubel: Das englische Dandytum, S. 20, Mann: Der moderne Dandy, S. 3, Bamm: Über den Dandy, S. 569, Stanton: The Aristocrat as Art, S. 60. 72 Grand Robert, Bd. IV, S. 842. 73 Coblence: Obligation d’incertitude, S. 14, 65, vgl. Gronow: Reminscences and Recollections, S. 114. Auf Alvanleys Ausspruch spielt Hooks fashionable novel namens Cousin Geoffrey, the old bachelor (1840) an, wenn der Earl auf einen Blumenstrauß deutend fragt »Isn’t that a dande-lion, now?«, und Blanche antwortet: »If it were, I would present it to you«, worauf er beteuert, weder dandy noch lion zu sein (zit. n. Pham-Thanh: Du Dandysme en Angleterre, S. 545). 74 Dumur: Dandysme o.S. 75 Hamard: Le Dandy, type et stéréotype, S. 59. 76 Schubel: Das englische Dandytum, S. 20, vgl. Bamm: Über den Dandy, S. 569.

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rung des Wortes geben könne.77 Dies ermöglicht ihr, den Dandyismus in der amerikanischen Kultur zu verankern. Unterstützung erhält sie dabei von der Amerikanerin Davina Eisenberg, welche die enge Verwandtschaft von Dandys und Macaronis betont, die sie als unmittelbare Vorgänger der Dandys sieht, und so einen engen Zusammenhang zwischen dem lautmalerischen handy-dandy Wortpaar und den Dandys herstellt.78 Pham-Thanh verweist schließlich auf einen möglichen griechischen Ursprung als Verkleinerungsform von Andreas und tut seine Verwunderung kund, dass dies noch nicht eingehender untersucht wurde,79 was tatsächlich erstaunlich ist, da die griechische Wurzel »andreas«, d.h. Männlichkeit und das Wort dandy demgemäß als Verkleinerungsform des Männlichen den gendertheoretischen Untersuchungen des Dandys eine interessante Facette bieten würde. Die abwegigste Herleitung wiederum führt, wie sie selbst zugibt, Delbourg-Delphis an, ausgehend davon, dass Camille Mauclair Whistler als »Asmodée mondain« bezeichnete: »Pour reprendre l’étymologie sans doute contestable, mais opportunément suggestive du nom d’Asmodée – un vieux mot persan asmodi – le dandy est celui qui tente et met à l’épreuve.«80 Dadurch kann sie den Dandy als metaphysischen Asmodée skizzieren, der sich, wie der Dandy bei Barbey und Baudelaire außerhalb der gesellschaftlichen Regeln bewegt. Dabei ist zu beachten, dass die Autoren für ihre Interpretationen keinen Anspruch auf Ausschließlichkeit erheben, sondern lediglich dem Wort und somit der Figur des Dandys interessante Facetten hinzufügen oder eigene Thesen untermauern möchten. Wie Delbourg-Delphis selbst schreibt, sei eher die Suggestionskraft der Herleitung ausschlaggebend. Man kann darin die Strategie erkennen, dem Begriff Dandy eine mythische Herkunft zu verleihen, wie der barthesche Mythos, der gleichzeitig die geschichtlichen Hintergründe aushöhlt, während er sich auf diese bezieht.81 Delbourg-Delphis kommentiert: »Et mieux vaut que l’originalité ne traîne pas après d’elle des siècles ou des millénaires de savoirs et de préjugés, qu’elle demeure floue et, notion incertaine, délaissée par le sérieux des dictionnaires.«82 Dass die Akademikerin gegen die akademische Vereinnahmung des Dandys spricht, die sie selbst vornimmt, ist Ausdruck der paradoxen Beschreibung des Dandys als unbeschreibbares Phänomen. Die Originalität des Dandys wird somit durch etymologische Unstimmigkeiten und möglichst ›originelle‹ Herleitungen gewährleistet, was Boüexière und Favardin bezeichnen als »un jeu de cache-cache ou de chausse-trape où le dandy est passé maître et auquel il nous invite.«83 Aus einem wissenschaftlich uneindeutigen Sachverhalt wird somit ein intentionales und erfolgreiches Verhalten einer konstruierten DandyFigur gemacht. Dies übernimmt Pataut, der neben der Verzweigung des Begriffes in Richtung des Ursprungs die Auflösung in Wortschöpfungen wie »dandiacal«, »dandification«, »dandified«, »dandyish«, »dandiness«, »dandyhood«, »dandily«, »dandyic«, »dandize« und, analog zum Disneyland, dem »Dandyland« betont und folgert: »Le mot, d’origine inconnue […] ne 77 Moers: Dandy, S. 11 f., zit. n. ebd. 78 Eisenberg: The Figure of the Dandy, S. 3. 79 Pham-Thanh: Du Dandysme en Angleterre, S. 15, vgl. Hess-Lüttich: Die Strategie der Paradoxie, S. 126. 80 Delbourg: Masculin Singulier, S. 103. 81 Vgl. Barthes: Mythologies, S. 670. 82 Delbourg: Masculin Singulier, S. 9. 83 Boüexière: Dandysme, S. 22.

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reste pas seul. Il se fait des relations et se divise comme une amibe délirante […].«84 Pataut macht dabei grammatikalisch nicht die Figur, sondern das Wort dandy zum Agens der Unfassbarkeit des Dandys. Richard von Schaukal, der deutsche Übersetzer von Barbeys Du Dandysme lässt wiederum ganz im Gegenteil seinen Protagonisten Andreas von Baltheser versichern, er möchte sich nicht Dandy nennen lassen, er sei ein Dandy, denn »Begriffe begraben das Leben der Erscheinungen«85. Angesichts dieses Misstrauens vor dem Etikett Dandy, lässt sich in der Suche nach neuen Varianten und Herleitungen des Begriffs der Versuch erkennen, einer zentralisierenden Definition des Begriffes durch Behauptung eines vielfältigen Ursprungs und einer exzentrischen Ausdehnung zu entgehen.

7.4 Kulturelle Herkunft Neben der Etymologie wird auch der Verwurzelung des Dandys in der englischen Kultur taktisch widersprochen. Zur gleichen Zeit, in der Barbey im Essay von der Unerreichbarkeit des englischen Dandyismus für die Franzosen spricht, lobt Barbey alias Maximilienne de Syrène im Constitutionnel vom 15.10.1845 einen Schneider: »Tous ceux qui aiment à emprunter les formes et les manières de nos voisins d’outre-Manche, il se présente une bien belle occasion de satisfaire leurs goûts anglomanes. […] En sortant de M. DurandWurgler, on n’est plus Français, on est Anglais pur sang.«86 Wo er den Dandy im Essay noch durch Rückgriff auf die Humoralpathologie als genuin englisches Phänomen der Kaltblütigkeit behauptet hat, stellt er hier also, aller im Essay evozierten Unterschiede der Körpersäfte zum Trotz, den Besuch bei einem Schneider als hinreichende Bedingung in Aussicht, um englisches Blut zu erhalten.87 Doch auch im Essay selbst löst Barbey die Behauptung der englischen Exklusivität wieder auf. Nicht nur nimmt er seine Heimat, die Normandie, aus, indem er an ihre Ähnlichkeit zu England erinnert,88 vor allem stellt er 84 Pataut: La douceur des apparences, S. 9. 85 Schaukal: Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Baltheser, S. 21. Vgl. zu Schaukals Versuch, den Dandyismus in Deutschland einzubürgern Krobb: Über einen Versuch. Eine von Gernot Krämer besorgte Neu-Übersetzung von Barbeys Essay ist erst 2006 bei Matthes & Seitz erschienen. 86 Zit. n. Creed: Le Dandysme de Jules Barbey d’Aurevilly, S. 65 f. 87 In seiner Geschichte »Le Rideau cramoisi« aus den Diaboliques wird der Dandy Brassard (»C’était, en effet, un dandy que le vicomte de Brassard«, Barbey: Œuvres, Bd. II, S. 12) als hybride Mischung von englischer Gefühlskälte und französischer Leidenschaft präsentiert. Eine emotionale Reaktion wird erklärt mit: »car il était sanguin, et l’émotion, lorsqu’il était ému, devait l’empourprer jusqu’au crâne« (Bd. II, S. 21), doch im nächsten Moment ist er wieder zu der englischen Gefühlskälte zurückgelangt: »Le calme était déjà revenu dans ce dandy, le plus carré et le plus majestueux des dandys, lesquels – vous le savez!– méprisent toute émotion comme inférieure […].« (Bd. II, S. 22). 88 Unter Bezug auf die historische Verbundenheit der beiden Regionen betont Barbey, dass die Einwohner Caens den Engländer Brummell zu würdigen wussten, da sie gemeinsame Vorfahren hatten: »La noblesse de cette ville montra, par l’acceuil qu’elle lui fit et la considération dont elle l’entourna que les ancêtres des Anglais étaient des Normands.« (S. 713) In der ersten Ausgabe von Du Dandysme wurde dieser Satz kommentiert mit der Fußnote: »C’est un Normand

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fest, der Dandyismus sei eine Konsequenz aus den gesellschaftlichen Bedingungen, die bereits vor Brummell existierten, und der Ausgangspunkt für diese soziokulturellen Veränderungen sei wiederum Frankreich gewesen: »Tout porte à penser que cette origine est française. La grâce est entrée en Angleterre, à la restauration de Charles II […].« (S. 679) Barbey hebt den großen Einfluss vom Aufenthalt Charles II. in Frankreich hervor, wenn er schreibt: »[L]es courtisanes de Charles II, qui avaient bu, dans les verres à champagne de France, un lotus qui faisait oublier les sombres et religieuses habitudes de la patrie […].« (S. 679) Er greift auf die mythologische Sage der Lotophagen zurück, die Odysseus’ Begleiter durch Verabreichung von Lotus ihre Heimat vergessen ließen,89 um somit zu suggerieren, dass die Kurtisanen von Charles die französische Kultur und Lebensfreude in das puritanische England importierten. Hintergrund ist, dass Charles II. als Sohn von Henrietta-Marie de Bourbon nicht nur französischer Abstammung war, sondern zweimal, 1646 und 1651, nach Frankreich fliehen musste und in der Zeit für sein ausschweifendes und zeugungsfreudiges Leben bekannt wurde.90 Barbey erinnert daran, dass die von Charles II. beeinflussten Georges Hewitt, Fielding und Wilson Beau genannt wurden (S. 680). Diese Behauptung übernimmt er aus Jesses Biographie (S. 3 ff.), und deutet es als eindeutiges Indiz für den französischen Einfluss auf den Dandyismus: »Ainsi qu’on le voit, le nom même qu’ils portèrent accuse l’influence française.« (S. 680) Obwohl Barbey an anderer Stelle beide Begriffe rigoros voneinander abgrenzt, benutzt er die Etymologie des Wortes Beau für die Behauptung des französischen Ursprungs des Dandys. Dabei kann er sich auf zeitgenössische Darstellungen von Brummells französischen Manieren stützen, z.B. bei Raikes: »Much of Brummell’s affectation of vieille cour was gleaned from these old remnants of French manner, as he had never been out of England till he left it for ever; but he imitated well, did it with good taste, and it certainly gave a tone to the manners of the young men of that age, which has since declined among their successors.«91 Dass Brummells ›Frankomanie‹ analog zur Anglomanie viele Bewunderer in England fand, wie Raikes unterstreicht, nehmen zahlreiche Satiren der Zeit auf, wie etwa Slang. A dictionary of the turf, the ring the chaste, the pit, of bon-ton, and the varieties of life (1823) und das Fraser’s Magazine, welche die hochnäsige Art der Dandys kritisieren, die versuchten, die Franzosen zu kopieren und Englisch mit französischem Akzent zu sprechen.92 In George Cruikshanks Karikatur »The Advantages of Travel, or ›a little learning is a dangerous thing‹« vom 18.6.1824 unterhalten sich zwei Dandys mit charakte-

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qui a écrit ce petit livre, et c’est un Normand qui l’édite […].« (Petit: Notes, S. 1454, vgl. Moers: Dandy, S. 258). Barbey deutet also an, dass er sich eher zu den Engländern als den Franzosen hingezogen fühlt. In der Erzählung Ce qui ne meurt pas heißt es über die Nachfahren der Normannen: »pour nous […] la ressemblance entre les paysages anglais et les paysages normands en beaucoup de points, est frappante.« (Bd. II, S. 381). Grand Robert, Bd. IV, S. 928. Vgl. Dictionnaire de la Conversation, Bd. V, S. 256. Raikes: Journal, Bd. I, S. 81 f. Auch würde sich Brummell pudern, was Raikes kommentiert mit: »[H]e rather piqued himself on preserving this remnant of the vieille Cour amidst the inroads of the crops and roundheads, which dated from the Revolution.« (Ebd., Bd. II, S. 217). Vgl. Moers: Dandy, S. 201.

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ristischen neckcloths vor einem Geschäft in London mit »A la mode beef« und »bonbons, patissier et condiseur« über ihren Frankreich-Aufenthalt. In ihrer Unterhaltung werden ihre schlechten Französisch-Kenntnisse karikiert, da sie »harrico blong« für ein Lammgericht von einem Koch namens Blong halten.93 Auch in seiner Karikatur »Anglo Parisian Salutations or practice – par excellence« vom 10.6.1822 sind zwei Dandys vergeblich um französische Konversation bemüht: »Commong porty vous Munseer? – O Oui – il est un tres belle jour!«94 Derweil behaupten andere Texte einen von England und Frankreich gänzlich verschiedenen Hintergrund des Dandyismus und belegen so die kulturelle Universalität des Phänomens. Manche datieren den Ursprung des Dandyismus dabei ebenso vor seinen Beginn im England des 19. Jahrhunderts. Custine findet in seinen Mémoires et Voyages 1830 die Londoner Dandys in Edinburgh im Schottenrock wieder: »Ces mêmes dandies que j’avais laissés à Londres minaudant sur les trottoirs de Bond Street […] sont ridicules sous le bonnet, le manteau et le jupon soi-disant romains des fiers Ecossais!« (S. 281) Auch in anderen Reiseberichten des 19. Jahrhunderts gibt sich diese Taktik zu erkennen, dem Dandyismus eine exotische Note zu verleihen, etwa wenn Andrews von einem Poncho tragenden Argentinier als »Gaucho dandy« und Peter Dobell bereits 1827 von chinesischen Dandys spricht: »It is a fact, however, that dandyism made its way to places in China […].«95 Robert E. Moore betrachtet die »Chinookan Indians« in Columbia als Evidenz für »Indian Dandyism«, und obgleich er die Blütezeit zwischen 1820 und 1830 ansiedelt, setzt er sogar den Beginn um 1790 an, also vor Brummell.96 Christophe Blaser erkennt in den um 1870 entstandenen und vom Geologen Frederick V. Hayden in Auftrag gegebenen Fotos indianischer Ureinwohner den Dandyismus in der hybriden Vermischung von traditioneller Bekleidung mit dem europäischen vestimentären Code, bei Geo Harvey oder Olhate beispielsweise, die er im Aufsatz »Le dandy, l’excentrique et le bourgeois: portraits d’Indiens des collections du Musée d’ethnographie de Lausanne« präsentiert.97 Auch er betont einerseits, der Dandyismus sei zunächst ein streng englisches Phänomen (S. 68), beruft sich aber dann auf Baudelaires Darstellung indianischer Dandys (S. 69), wobei der Titel zudem einen Zusammenhang mit Gautiers Abgrenzung des exzentrischen Dandys vom Bourgeois andeutet. Förderer Haydens war in der Tat derselbe William H. Blackmore, der den Maler George Catlin bei seinen Porträts von Indianern unterstützt hatte, die er 1845 im Louvre ausstellte und die Baudelaire im Salon de 1846 beschreibt (S. 64 f.). Baudelaire, der den stolzen und freien Charakter und den noblen Gesichtsausdruck der dargestellten Indianer hervorhebt, die ihn an antike Skulpturen erinnerten (S. 446), schreibt im Salon de 1859 über die nordamerikanischen Porträts des Malers Fromentin: »Ce n’est pas seulement des étoffes éclatantes et des armes curieusement ouvragées que ses yeux sont épris, mais surtout de cette gravité et de ce dandysme patricien qui caractérisent les chefs des tribus puissantes. Tels nous apparurent, il y a 93 Wardroper: The caricatures of George Cruikshank, S. 116. 94 Guratzsch: George Cruikshank, S. 168. 95 Rezensiert in der Literary Gazette vom 21.7.1827, S. 465 sowie in »Peter Doell: Travels in Kamchatka and Siberia«, in Monthly Review, Juli 1830, S. 345, zit. n. Prevost: Dandysme, S. 24 f. 96 Moore: Indian, S. 60. 97 Blaser: Dandy, S. 63, 73, vgl. 64, 67.

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quatorze ans à peu près, ces sauvages du Nord-Amérique, conduits par le peintre Catlin […].«98 Auch in seinen Études sur Poe betont er, der »sauvage« verfüge, ebenso wie der zivilisierte Mensch, über den Dandy als »suprême incarnation de l’idée du beau transportée dans la vie matérielle« (S. 326). Der indianische Dandy wird somit auch Ausdruck von Baudelaires zwischen Ideal und Wirklichkeit wandelnder Kunstkonzeption. Im Peintre sieht er zudem bei fiktionalisierten Indianerfiguren Dandyismus: »Chateaubriand l’a trouvée dans les forêts et au bord des lacs du Nouveau-Monde.« (S. 709) Die Anspielung auf die edlen Indianer in Chateaubriands Atala und Les Natchez verdeutlicht er nochmals an anderer Stelle, wenn er den »type du dandy retrouvé par le voyageur dans l’Amérique du Nord« als letzten Boten einer untergegangenen Kultur darstellt: »[R]ien n’empêche de supposer que les tribus que nous nommons sauvages soient les débris de grandes civilisations disparues.« (S. 711 f.) Der Vorstellung von der englischen Herkunft des Dandys wird der Dandy als letztes Anzeichen einer verschütteten Kultur gegenübergestellt und somit der Dandyismus als Ausdruck eines verloren gegangenen kulturellen Ursprungs in Amerika behauptet.99 Dass der Dandy seinen Ursprung nicht in England, sondern lange vorher in unterschiedlichen Ländern hat, meint auch McGann: »The most startling, as well as the most significant, concept of dandyism arose when artists came to sense that the modern beau was merely the latest, and perhaps most exquisite, representative of a very ancient and widespread race.« (S. 5) McGann selbst versichert, Byrons »Albanian Costume«, die türkischen Roben Gautiers oder die exotischen Schärpen der Offiziere der Grande Armée seien Ausdruck für die Universalität des Dandyismus, der sich, so erläutert McGann anspielungsreich, bei Aristokraten wie dem Indianer Chingachgook, dem Scheich Abdul Medjuel el-Mezrab, dem Kelten Ossian oder dem Afrikaner Ignosi zeige.100 In der Tat spricht auch Byron im Don Juan von einem türkischen Dandy: »Slippers of saffron, dagger rich and handy;/ In short, all things which form a Turkish Dandy.« (Bd. V, S. 262) Der englischen Eigenart steht somit taktisch die kulturelle Universalität des Dandys gegenüber, denn neben den amerikanischen, indianischen und chinesischen Dandys werden zudem sowjetische, japanische, indonesische und afrikanische Dandys behauptet.101 Sam Driver erinnert in diesem Zusam98 99

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Baudelaire Œuvres, Bd. II, S. 650, vgl. Blaser: Dandy, S. 70, Coblence: Obligation d’incertitude, S. 215. Wenn Benjamin vom »Apachentum« Baudelaires spricht (Benjamin: Charles Baudelaire, S. 583, vgl. 582), bezieht sich dies allerdings auf das französische apache, eine Bezeichnung für einen »Straßenstrolch«. Zumindest ist in der Figur von Dumas‹ Mohicans de Paris die Verbindung von Indianer und Großstadtflaneur zu sehen (vgl. Benjamin: Charles Baudelaire, S. 543 f.). Agamben vermutet, dass die rituelle Verschwendung des Potlach, wie sie Marcel Mauss beschreibt, Baudelaire dazu habe führen können, die Indianer als Dandys zu bezeichnen (Agamben: Stanzen, S. 88 f.), sagt aber nicht, wie Baudelaire über dieses ethnologische Wissen ein Jahrhundert vor Mauss verfügen konnte. McGann: Dandy, S. 6 f. McGann spielt dabei in dieser Reihenfolge auf James Fenimore Coopers Der letzte Mohikaner, den Mann von Jane Ellenborough, den von James Macpherson erfundenen gälischen Dichter Ossian sowie H. Rider Haggards King Solomon’s Mines an. Vgl. Gandoulou: Dandies à Bacongo, Mrázek: Indonesian dandy, Powell: Sartor Africanus, Svede: Twiggy and Trotsky, Bedry: Superfluos Man.

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menhang in seinem Aufsatz »The Dandy in Puškin« daran, dass Puschkin eine russische Version von Pelham entworfen hat und in Onegin, dem die Einbürgerung des Worts Dandy in die russische Sprache zu verdanken ist, Byrons Beppo zitiert. Driver steigert dies noch, insofern ihm zufolge Puschkin bereits vom Dandyismus fasziniert gewesen sei, bevor er Byron kannte. Suggestiv erinnert Driver daran, dass umgekehrt Byron russische Hosen, die cossack, trug, und erinnert an den russischen Prinzen Korassof, der Julien Sorel aus Stendhals Le rouge et le noir Lektionen im Dandyismus erteilt.102 Wie wiederum Nurdan Gürbilek in »Dandies and Originals: Authenticity, Belatedness, and the Turkish Novel« behauptet, liegt die Geschichte der türkischen Kurzgeschichte und ihrer Suche nach Originalität – im Sinne des türkischen »orijinal« als Ursprünglichkeit und Neuheit – in der Auseinandersetzung mit dem türkischen Dandyismus begründet (S. 604 f.). Herman Bang wiederum wird als »erster Dandy des Nordens« und die Figuren von Emilia Pardo Bazán als spanische Dandys behauptet.103 Lucía Ungaro de Fox stellt den currutaco als spanische Übersetzung des Dandys dar, den sie in Peru und Mexiko wieder findet.104 Mit dem nordamerikanischen Dandy konkurriert dementsprechend ein lateinamerikanischer Dandy, der in Figuren wie Juanito Santa Cruz aus Pérez Galdós Fortunata y Jacinta oder Alvaro Mesía aus Claríns La Regenta gefunden wird.105 Gloria Ortiz sieht den literarischen Antihelden des señorito vom Dandy beeinflusst.106 Badenes, der Manuel Machado als Dandy behauptet, folgert mit Barbey, um den Dandyismus auch anderer noventayochistas zu rechtfertigen: »Dandyism has no time or place.«107 Aínsa sieht dabei speziell in Roberto de las Carreras sowie Julio Herrera y Reissig »dandismo uruguayo«108 und Raúl Escari wird als »le dandy le plus secret de Buenos Aires«109 präsentiert. Gabriel García Márquez bezeichnet den kolumbianischen Autor José Ascunción Silva, der lange in Frankreich lebte und Bewunderer von Baudelaire und Barrès war, als Dandy.110 Schließlich muss die Liste der hispanischen Dandybehauptungen um den chilenische Autor Teófilo Cid, von Guillermo Atías »Dandy de la miseria« getauft, komplettiert werden.111 Eine Verankerung in der indischen Kultur gibt die Brockhaus Enzyklopädie an: »Das indische Wort ›dandi‹, ›Stockträger‹ (hoher Beamte des Indian 102

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Driver: The Dandy in Puškin, S. 244 f., vgl. Stendhal: Le Rouge et le Noir, S. 599 f., 702 f. Kelly behauptet wiederum, dass Nabokov durch Übersetzung von Onegin zum Dandy wurde (Kelly: Brummell, S. 476, vgl. Walden: Who is a dandy, S. 49). Keel: Der erste Dandy des Nordens, S. 47, Whitaker: La quimera of Emilia Pardo Bazán. Fox: Era of the dandy, S. 29. Der petitmetre, den sie als Entsprechung des beau sieht, stammt vom petit-maître ab. Whitaker: La quimera of Emilia Pardo Bazán, S. 751 FN. Ortiz: The dandy and the señorito, S. 7. Badenes: Performing the dandy, S. 6, 16. Aínsa: Del escritor dandy, S. 72. Vila-Matas: Une âme belle, S. 24. García Márquez: Prólogo, S. 17, 25. Der Protagonist José Fernández aus De Sobremesa, dem einzigen Werk, das Silva nochmals schrieb, nachdem seine gesamten Manuskripte in einem Schiffbruch untergingen, gibt sich u.a. als Bewunder der Präraffaeliten, von Maurice Barrès und Baudelaire aus (S. 43, 49, 135), vgl. Palacio: Preso entre dos muros de vidrio. Vgl. den gleichnamigen Band in Mussy: Teófilo Cid, S. 47.

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Civil Service) wurde seit 1815 auf den durch Kleidung und Lebensform auffallenden Angehörigen des engl. Adels angewandt«, was viele Autoren übernehmen.112 So wird dem Dandy, anders als in den bislang erwähnten Versionen, eine hegemoniale Position in der Gesellschaft angedichtet, die sich nicht nur durch Zugehörigkeit zum englischen Adel, sondern auch durch eine hohe Führungsposition in der ehemalig englischen Kolonie Indien manifestieren soll. Jesse nimmt seine Erfahrung in Indien zum Anlass, diese indische Herkunft des Dandys zu zementieren: »The only ›dandies‹ I ever knew […] are those the traveller mets with in Hindostan – beings half fish, half men – the boatmen of the Ganges«, und liefert dazu die Anekdote, dass ihn die Schiffer einmal im Stich ließen, was er kommentiert mit dem Gedichtzitat: »The bark was still there, but the ›Dandies‹ were gone.« (S. 39) Einem Leser, welcher das Zitat von Moores Gedicht I Saw From the Beach nicht erkennt, wird somit suggeriert, es gebe ein Gedicht über indische Dandys.113 Jesse folgert: »The dandies are black!« (S. 40)

7 . 5 D e r b l ac k d an dy a l s schwarz-weißes Original Jesses schwarzer Dandy ist auch eine Anspielung auf den sog. black dandy, der, auch wenn er in erster Linie ein amerikanisches Phänomen ist, in England Spuren hinterließ. In seiner Karikatur eines Boxkampfes »Most Humorous Description of the Undeniable Mill Between Gammon And Dandy The Black«, vermutlich zwischen Bill Hall und Phil Sampson, bezeichnet Cruikshank den schwarzen Kämpfer als Dandy.114 Auch auf seiner Karikatur einer Polarexpedition singt ein Geigenspieler schwarzer Hautfarbe, den Wardroper als Billy Waters identifiziert: »O captain he is come to town, doodle, doodle dandy […].«115 Dabei spielt Cruikshank wohl auf das Lied »Yankee Doodle or The Negroes Farewell to America« an, signiert von T.L. (vermutlich Thomas Linley), das Ende des 18. Jahrhunderts populär war und von einem Sklaven handelt, der seinen »Massa« und seine »Missey« in Amerika verlässt, die ihn geschlagen und ausgebeutet haben, um in England ein Leben in Freiheit zu führen. Die erste Strophe lautet: »Now farewell my Massa my Missey adieu […] me go no help make you rich by de sweat of my brow/ Yankee doodle Yankee doodle dandy I vow […].«116 Trotz der unkultivierten Sprache, die dem Protagonisten geliehen wird, ist das Lied als Ausdruck der in England wachsenden Kritik an der Behandlung der Sklaven in Amerika zu sehen; selbst Joseph Haydn wurde mit »The Suffering Negro« ein solches Lied, wenn auch vermutlich zu Unrecht, zugeschrieben.117 Cruikshanks Kari112

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Brockhaus: Dandy, S. 81, vgl. Gnüg: Dandy, S. 814, Fratz: Dandy und Vampir, S. 22, Krobb: Über einen Versuch, S. 75, Rohmann: Der Dichter als Dandy, S. 200, Schmiele: Vom Dandy zum Provokateur, S. 57. »The bark was still there, but the waters were gone.« (Moore: Works [1901], S. 249). George: Catalogue of Political and Personal Satires, S. 331, vgl. Schenk: George Cruikshank im Wandel der Bildmedien, S. 151. Wardroper: The caricatures of George Cruikshank, S. 72. Zit. n. dem Faksimile in Nathan: Dan Emmett, S. 11. Nathan: Dan Emmett, S. 7 f. Die Ansicht, dass Schwarze auch richtige Gefühle haben, schien dabei keineswegs selbstverständlich. Noch Kant, bemerkt

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katuren spielen auf ein Phänomen an, das ein besonderes Kapitel in der Behauptung des kulturellen Ursprungs des Dandys bildet. Denn wo in England und Frankreich die Figur des Dandys in den 1820er und 30er Jahren literarisch erschlossen wird, erscheint zur gleichen Zeit in Amerika in den sog. Minstrel Shows, einer mehr und mehr strukturierten Kombination aus Musik mit Banjo, Tamburin, bones118, Gesang, Tanz und Rezitation, der black dandy.119 Zentraler Aspekt der minstrels ist die Gegenüberstellung von Ruralität und Urbanität,120 einerseits der rurale, hart arbeitende Sklave der Südstaaten, wie die vom Iren Thomas Dartmoure Rice geschaffene Figur »Jim Crow«121, andererseits der urbane, oft befreite Sklave aus den Nordstaaten, der als black dandy Aufsehen erregt, wie »The Dandy Broadway Swell« aus dem gleichnamigen Lied, »Dandy Pete« oder der von George Dixon geschaffene »Zip Coon«, der den Anspruch äußert, amerikanischer Präsident zu werden.122 Das Titelblatt einer Notensammlung der Boston Minstrels kündigt etwa »Celebrated Ethiopian Melodies. Illustrations of the dandyism of the Northern States«123 an. Oft werden ruraler und urbaner Sklave ambivalent in einer Figur verbunden. Jim Crow beweist so einerseits seine animalische Seite, wenn er Alligatoren verspeist und es sich auf Hornissennestern bequem macht, und warnt anderseits: »An’ I caution all white dandies,/ Not to come in my way.«124 Das alleine zwischen 1843 und 1847 in 21 Minstrel Shows aufgeführte Lied »Dandy Jim from Caroline« von den Virginia Minstrels handelt vom »best looking nigga in de country«, der seinen »massah« verlässt, heiratet und Kinder zeugt.125

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Nathan kritisch, denkt in Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764), die Schwarzen »haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege« (Kant: Werke, Bd. II, S. 253, vgl. Nathan: Dan Emmett, S. 4). Knochen, welche ähnlich wie Kastagnetten zusammengeschlagen wurden, vgl. Nathan: Dan Emmett, S. 127 Vgl. Saxton: Blackface Minstrelsy, S. 72. Vgl. Cockrell: Demons of Disorder, S. 92, Lott: Blackface and Blackness, S. 10, Nathan: Dan Emmett, S. 50. Bei der Aufführung von Jim Crow in London, so der New York Herald vom 27.8.1837, wurden auch die Mitglieder von Brummells Club von dem Jim Crow-Tanz angesteckt: »The exclusives of Almacks […] jump Jim Crow.« (Zit. n. Cockrell: Demons of Disorder, S. 65 f.). Vgl. Saxton: Blackface Minstrelsy, S. 71, Lott: Love and Theft, S. 124. »Zip Coon« bildet sich aus der Ableitung von Scipio (vgl. Cockrell: Demons of Disorder, S. 94) sowie dem Mythos, Schwarze würden Waschbärfleisch (»racoon«) bevorzugen (vgl. Nathan: Dan Emmett, S. 57). Im Stile der Anekdotensammlungen wurde Zip Coon als »Ethiopian Eccentricity in One Scene« (vgl. Lewis: Daddy Blue, S. 269) und eine Show im Wood’s Theater als »Dick Parker! The Celebrated Ethiopian Comedian, in his wonderful eccentricities!« angekündigt (vgl. Toll: Blacking Up, S. 77). Dixon wiederum wird später, nach dem Vorbild der eccentrics, für extreme Sportwetten bekannt, etwa der, 50 Stunden ununterbrochen zu laufen (Cockrell: Demons of Disorder, S. 137). Lott: Love and Theft, S. 35. Lhamon: Jump Jim Crow, S. 96 f., 102. Zit. n. Winans: Early Minstrel Show Music, S. 156, vgl. 148. Ein Faksimile einer solchen Ankündigung von »Dandy Jim from Caroline« in London am Soho Square findet sich in Nathan: Dan Emmett, S. 141.

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Indes wurde die Figur des black dandy zunächst, wie die Minstrel Shows überhaupt, von Weißen gespielt, die sich mit verbranntem Kork die Haut schwärzten und in der Mode der Zeit mit engen Hosen, Frack, Krawatte, Lorgnon und Spazierstock auftraten, um Tänze wie den »Tenessee Double Shuffle« oder den »Dandy-Nigger Flourishes« zu vollführen.126 Zu Beginn war der black dandy insofern durchaus ein schwarzes Original, als die weißen black dandys zu Beginn der Minstrel Shows mit dem Gefühl der Unangemessenheit eines black dandy spielten und derart – gemäß eines gängigen Stereotyps – den Dandyismus der Schwarzen als prätentiöse Inkompetenz karikierten.127 Somit wird die Unerreichbarkeit Brummells, zumindest für die ehemaligen Sklaven gefestigt. Allerdings zeigt sich eine durchaus paradoxe Beziehung zwischen diesem schwarzen, unerreichten und dem weißen, kopierbaren Original im Sinne Seemanns. Diese kulminiert im Mythos, wie Master Juba alias William Henry Lane, den Charles Dickens als »the greatest dancer known« bezeichnete, als erster schwarzer Minstrel-Darsteller zu Ruhm gekommen sein soll: Demnach habe Phileas T. Barnum Juba entdeckt und ihn, angetan von seinem Tanzstil, im New York Vauxhall auftreten lassen. Damit sich aber niemand am Auftritt eines tatsächlichen Schwarzen störte, cremte er dessen Gesicht erst weiß ein, bevor er es wieder mit gebranntem Kork schwärzte und setzte ihm eine Perücke auf, damit ihn jeder für einen ›richtigen falschen‹ black dandy hielt. Thomas L. Nichols, der diese Anekdote in Forty Years of American Life (1864) wiedergibt, kommentiert: »Had it been suspected that the seeming counterfeit was the genuine article, the New York Vauxhall would have blazed with indignation.«128 Dennoch zeigt sich in der Entwicklung des black dandy, dass die Vorstellung eines schwarzen Dandys immer weiter normalisiert wurde. 1867 wurde die erste »all-black minstrel troupe« mit ›wirklich schwarzen‹ Darstellern gegründet.129 Powells Position in »Sartor Africanus«, es habe tatsächlich schwarze Dandys außerhalb der Minstrel Shows gegeben, lässt sich an zeitgenössischen Dokumenten ersehen, wie bei Emmeline Stuart Wortley, die ein »very curios specimen of a dandy […] a sable Count d’Orsay […] [whose] toilette was the most recherché you can imagine« sah.130 Und über den black dandy J. Horner Tutt heißt es im Indianapolis Freeman: »In fact his wardrobe easily makes him the Beau Brummel of stage land since the days of George Walker […].«131 Anstelle der Behauptung Brummells als schwarzes Original, wie es etwa die Brüder Boulenger vornehmen, präsentiert sich hier ein Dandyismus, der mit Seemann als weißes Original, als verwendbare und kopierbare Einschreibung des Dandys bezeichnet werden kann, das auf den 126 127 128 129 130 131

Nathan: Dan Emmett, S. 57, 92. Vgl. Toll: Social Commentary, S. 99. Zit. n. Southern: Black Musicians and Early Ethiopian Minstrelsy, S. 48. Southern: Black Musicians and Early Ethiopian Minstrelsy, S. 43. Zit. n. Webb: The Black Dandyism of George Walker, S. 11. Zit. n. ebd., S. 18. Zu George Walker vgl. Kapitel 9. Dass in New Orleans seit 1940 der Beau Brummell Club besteht, der seine Mitglieder, die Frack und weiße Krawatte tragen müssen, offiziell als »Beau« kürt und dessen letztes Gründungsmitglied John Rousseau 2005 verstarb, zeigt, dass diese Behauptung des Dandys als weißem Original bis heute Bestand hat, falls die Aussage von Beau Bashful »we are still very much alive and well« auch nach der Hurrikan-Katastrophe noch gilt (vgl. Slawsky: Black Society and the Carnival Season).

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Anspruch der Einzigartigkeit verzichtet und als »ursprüngliche Kopie« eines nicht (mehr) vorhandenen Originals auch vielfach existieren kann.132 Nicht nur die Grenzen zwischen schwarzer und weißer Hautfarbe, auch die Grenzen zwischen schwarzem und weißem Original werden so überschritten. Somit kann der black dandy sowohl als Ausdruck der Unangemessenheit eines schwarzen Dandys wie als Parodie des weißen Dandys133 oder als Protest gegen die Unterdrückung der Schwarzen gelesen werden, wie dies Webb vornimmt: »The black dandy signified a rebellion […] against a prescribed position in the racial order«. Um diese These zu untermauern zitiert sie u.a. die Christy Minstrels, die in einer Anzeige von 1847 »refined Negro dandyism« versprachen sowie »an elegance and perfection of art which removes the least shade of vulgarity […].«134 Auch wenn damit noch nicht gesagt ist, ob der Dandyismus der Christy Minstrels tatsächlich so rezipiert wie er behauptet wurde, zeigt sich in jedem Fall, dass in gleicher Weise, wie der black dandy den Rassismus sowie die Angst und die Faszination des weißen Mannes angesichts der langsam voranschreitenden Sklavenbefreiung widerspiegelt,135 der vermeintlich englische Dandy mit den spezifischen gesellschaftlichen Problemen Amerikas verknüpft wird. Dabei wird der black dandy zu einer Antwort auf den Mangel an kultureller Verwurzelung instrumentalisiert, indem er als genuiner kultureller Ursprung aufgefasst wird. Im Vorwort des Minstrels Songsters von E.P. Christy heißt es: »After our countrymen had […] confuted the stale cant of our European detractors that nothing original could emanate from Americans […] our countrymen found a triumphant vindicating Apollo in the genius of E.P. Christy, who […] was the first to catch our native airs as they floated wildly […].«136 Wie Mahar schreibt, schwankt selbst die Forschungsliteratur zwischen Kritik am Rassismus der Minstrel Shows und Betonung ihres Verdienstes für die Emanzipation der Schwarzen und die Entwicklung einer amerikanischen Kultur.137 Gerade indem der black dandy, wie bei Christy als »original«, also als ursprünglich amerikanisches Kulturgut behauptet wird, ist er Indiz für die Ex-zentrik des kulturellen Ursprungs des Dandys, der von Nordamerika über Südamerika, Frankreich bis hin zu China reicht: »[L]’originaire en l’homme […], c’est ce qui, en le liant à des chronologies multiples, entrecroisées, irréductibles souvent les unes aux autres, le disperse à travers le temps et l’étoile au milieu de la durée des choses.«138 Die Einordnung des Dandys in unterschiedliche historische Kontexte und Kulturen sieht keinen zentralen Aus-

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Seemann: Copy, S. 21, 18, 70. Vgl. Lott: Love and Theft, S. 183, 69. Webb: The Black Dandyism of George Walker, S. 12 f., Zitat, S. 13. Zur Subversivität der Minstrel vgl. Kleinhans: Taking out the trash, S. 198. Vgl. dazu Kapitel 9. In Frankreich konstatiert Henri Bergson immerhin noch 1899 in seinem Aufsatz Le Rire zwar nicht, wie Powell behauptet, dass ein schwarzer Dandy komisch sei (Powell: Sartor Africanus, S. 217 f.), sondern beantwortet die Frage: »[P]ourquoi rit-on d’un nègre?«, damit, dass schwarze Haut zwar nicht für die rationale, so doch für die einfache Vorstellungskraft überraschend sei (S. 31 f.). Zit. n. Saxton: Blackface Minstrelsy, S. 68. Vgl. u.a. Lott: Blackface and Blackness, S. 3, Lhamon: Crow, S. 8 sowie zum Forschungsstand Mahar: Ethiopian Skits and Sketches, S. 180-184. Foucault: Les mots et les choses, S. 342.

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gangspunkt vor, sondern macht die Ex-zentrik des Ursprungs deutlich, indem dieser gleichmäßig in alle Kulturen und Länder verstreut wird.

7 . 6 D e r U r s p r u n g d e s G e s c hl e c h ts Wie in Bezug auf die kulturelle Herkunft wird auch ein geschlechtlicher Ursprung des Dandys gefunden und gleichzeitig durch widersprüchliche Behauptungen taktisch wieder aufgesprengt, wobei diese Auflösung über die Infragestellung einer substantiellen und ursprünglichen Gender-Identität hinausgeht, wie sie etwa Judith Butler in Gender Trouble vornimmt (S. 41). Wenn sie betont, dass erst Gesten die Illusion eines inneren Organisationskern des gender erschaffen würden und performative Akte den Effekt eines inneren Kerns auf der Oberfläche erzeugen (S. 173), ließe sich in meiner Terminologie von Gender als parêtre sprechen, in dem das Sein aus dem Schein bestimmt wird ohne dass sich beide eindeutig voneinander trennen ließen. Insofern solle eine subversive gender performance bei Butler dazu dienen, die Vorstellung eines Originals und Ursprung in Bezug auf sex und gender zu unterlaufen. Deutlich wird dies, wenn sie den Pastiche-Effekt der Travestie als subversive Parodie bezeichnet, welche das Originale und Authentische eines Geschlechts als Ergebnis diskursiver Zuschreibung und als Imitation ohne Ursprung aufdecke (S. 175 f.). Homosexualität entlarve die Vorstellung eines heterosexuellen Ursprungs als »the original« und mache das Original zu einer Parodie der Vorstellung eines Originals. Während eine Parodie noch Respekt vor dem Original habe, verdeutliche das Pastiche, dass das »original« nur eine verfehlte Kopie einer Ideal-Vorstellung sei und insofern gebe es keine ursprüngliche Sexualität, sondern nur Kopien (S. 41, 176). Für diese Auflösung eines ursprünglichen Geschlechterverhältnisses wird oft die Figur des Dandys ins Spiel gebracht. Rossbach schreibt in Bezug auf Butler: »Der Dandy, dieser Liebhaber der Maske, der wiederholt als Inkarnation der mythischen Figur des Androgyns gefeiert wurde, untergräbt das Konzept der Geschlechterpolarität […].«139 Auch Feldman, Monneyron, Sollers, Seillière oder Planchais behaupten die Androgynie als »sine qua non du dandysme«.140 Paradoxerweise wird die Androgynie als Auflösung mit ihrer 139 140

Rossbach: Des Dandys Wort als Waffe, S. 7. Planchais: Androgynie et dandysme, S. 2. Er ruft in Erinnerung, dass Barbey Artikel über Mode unter dem Frauennamen Maximilliene de Syrène veröffentlicht und insbesondere in seinem Erzählband Les Diaboliques androgyne Figuren entwickelt hat (vgl. Seillière: Barbey et le Dandysme Romantique, S. 394). Feldman schreibt in Gender on the Divide: »In fact the literature of dandyism challenges the very concept of two seperate genders. Its male heroes, artists and their subjects alike, do more than punish woman or dally with them – they relocate dandyism within the female realm in order to move beyond the male and the female, beyond dichotomous gender itself« (S. 11), wobei sie insofern sie von einem »female realm« spricht, eben jene dichotomische Kategorisierung wieder bestätigt. Monneyron spricht von der »collision presque systématique entre la figure de l’androgyne et celle du dandy qui s’affirme dans les nombreux romans de l’époque« (Monneyron: Le dandy fin de siècle, S. 198). Sollers kommentiert lakonisch: »Un dandy dont on pourrait définir la sexualité doit se tuer sur le champ.« (Sollers: Le dandy, S. 74). Er

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Eigenschaft, die Vorstellung einer ursprünglichen Geschlechterpolarität aufzulösen, wiederum selbst als Ursprung des Dandys behauptet. Monneyron etwa bezeichnet sie als »Stade ultime sans doute d’une logique contenue dès l’origine dans les modes d’être du dandy«.141 Gemäß den taktischen Widersprüchen, welche die Behauptung des Dandys prägen, wird aber auch diese Vorstellung eines ursprünglichen Modus des Dandy-Seins wieder aufgelöst durch Behauptungen der Homo-, Hetero- oder Asexualität, Virilität, Feminität, der satanisch-sexuellen Verführung nach Vorbild des Don Juan bis hin zu der der neuen Form der »Metrosexualität«.142 Aufbauend auf Hutcheons Differenzierung, dass die Ex-zentrik die Existenz des Zentrums nicht leugnet oder ein neues Zentrum entgegengestellt, sondern als willkürliches Konstrukt entlarvt,143 soll also hier die Ex-zentrik des Dandys in Bezug auf sex und gender beschrieben werden, sodass nicht nur die Vorstellung einer Verwurzelung des Dandys in der Androgynie in ihren performativen Behauptungscharakter überführt werden kann. Bereits in Du Dandysme ist die widersprüchliche taktische Behauptung verschiedener gender performances angelegt. Barbey stellt fest, dass es Männer wie Brummell immer geben werde: »Natures doubles et multiples, d’un sexe intellectuel indécis, où la grâce est plus grâce que la force, et où la force se retrouve encore dans la grâce; Androgynes de l’Histoire, non plus de la Fable, et dont Alcibiade fut le plus beau type chez la plus belle des nations.« (S. 718) Aus der ambivalenten Kombination von für ihn als männlich markierter Kraft und weiblicher Anmut, zeige sich also die Kombination der Effemination und der Virilität des Dandys. Die Großschreibung »Fable«, die auf Platons Darstellung von Alkibiades anspielt144, stilisiert Alkibiades zu dem unerreichten Prototyp einer androgynen Menschenart und macht Brummell zu einem vorbildlichen Nachahmer. Dadurch löst Barbey einerseits Brummell als Ursprung des Dandyismus auf, behauptet aber gleichzeitig einen antiken Ursprung in der Figur des Androgynen, den er, wie später zu zeigen ist, indes wieder taktisch auflöst. Zunächst bleibt festzuhalten, dass die etymologische Herleitung aus dem schottischen Begriff dainty es nahe legt, den Dandy als Figur des Androgynen zu sehen, auch wenn dies angesichts der etymologischen Uneindeutigkeit nicht als Erweis eines Gender-Ursprungs behauptet werden soll. Tatsächlich wurden die Dandys in Zusammenhang mit der exzessiven Sorgfalt, den sie auf ihre Kleidung legten, insbesondere in zeitgenössischen Karikaturen oft als verweichlicht oder feminin dargestellt. Die Radierung A Dandy, untertitelt

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schreibt aber auch: »Le dandy doit être marié, père de famille et très heureux en ménage.« (ebd.). Vgl. zu weiteren Behauptungen der Androgynie: Eisenberg: The Figure of the Dandy, S. 55-74, Rossbach: Dandyism in the Literary Works of Barbey, Rossbach: Des Dandys Wort als Waffe, S. 125-191, Miguet: Barbey d’Aurevilly et Baudelaire. Monneyron: Le dandy fin de siècle, S. 199. Refuse: Metrosexuelle: Die Rückkehr des Dandys im 21. Jahrhundert. Hutcheon: A Poetics of Postmodernism, S. 60-62. Pham-Thanh bringt diese Ex-zentrik zum Ausdruck, ohne sich auf den Begriff zu beziehen, wenn er über den Dandy schreibt: »C’est pourquoi, au système concentrique patriarcal, il préfère l’excentricité, ou mieux, puisque revendiquer l’excentricité revient à poser ou à reconnaître le centre institutionnel, c’est à un projet d’a-centrisme radical« (Pham-Thanh: Du Dandysme en Angleterre, S. 174). Vgl. Rossbach: Dandyism in the Literary Works of Barbey, S. 80.

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mit »D-m me if she isn’t a Divinity«145, stellt den Dandy zumindest grammatikalisch als weibliche Person dar. George Cruikshanks Bruder Isaac Robert stellt in dem Bild A dandy fainting or – an Exquisite in Fits. Scene a private box opera (1818) fünf Dandys als Besucher einer Oper dar, die allesamt so eng in ihre Korsette und Krawatten geschnürt sind, dass einer von ihnen in Ohnmacht gefallen ist. Die Sprechblasen verraten, dass drei der Dandys mit hilflosen Kommentaren reagieren, während der vierte vorschlägt, sein Korsett zu lösen und ihn auf eine Couch zu legen.146 Die übertrieben affektierte Formulierung »pray unlace the dear loves Stays«, das eher für Frauen dieser Zeit typische in Ohnmacht fallen sowie die nahezu hysterische Reaktion der anderen, könnte dem Bild des trinkfesten Dandys Brummell, der im Watier’s Club sein Geld verspielt ohne mit der Wimper zu zucken,147 kaum stärker entgegengesetzt sein. Dennoch betont auch Hazlitt in »Brummelliana« die Empfindlichkeit Brummells anhand der Anekdote, in der Brummell eine Erkältung erklärt mit: »They put me to bed to a damp – !« (S. 154). Hazlitts Gedankenstrich, der das Wort stranger ersetzt, 148 deutet hierbei suggestiv auf die Doppeldeutigkeit von to bed, das als Nomen im Sinne von ›ins Bett gebracht‹ und als Verb als Geschlechtsverkehr verstanden werden kann. In George Cruikshanks Karikatur The Dandies Coat of Arms (1819), besteht des Dandys Wappenschild aus einem Dandy mit Eselsohren, der von zwei Affen flankiert wird. Neben diesen Symbolen für Dummheit und Eitelkeit wird auch die Effeminität betont: Auf der breiten Brustpartie des Dandys befinden sich zahlreiche Abbildungen, darunter eine zweigeteilte Figur, halb Mann, halb Frau neben zwei Schmetterlingen. Der Untertitel gibt an, dass die Geschlechter fehlerhaft neben zwei Schmetterlingen aufgespießt wurden149 und unterstreicht die ungehörige Kombination von männlichen und weiblichen Zügen beim Dandy. Das Mieder, welches die steife Krawatte à la Brummell noch weiter komprimiert, illustriert so, zusammen mit den anderen dargestellten Insignien weiblicher Kleidung, dass die beengende Kleidung weniger einem Mann als einer Frau gebühre. (Abbildung 10)

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Laver: Dandies, S. 37. Ebd. Auch in Bezug auf Tremaine or the Man of Refinement, der als »great dandy« bezeichnet wird, erläutert Moers: »Refinement comprised shadings of sensitivity, delicacy, exclusivism and effeminacy.« (Moers: Dandy, S. 20). Raikes berichtet, dass Brummell eines Tages beim Macao-Spiel so viel Geld verlor, dass er zum Spaß beim Kellner einen Kerzenleuchter und eine Pistole bestellte, um sich zu erschießen (Raikes: Journal, Bd. III, S. 87, Timbs: Club Life Bd. I, S. 168). Vollständig lautet die Replik Brummells: »the infidel of a landlord put me into a room with a damp stranger« (Jesse: Brummell, S. 80, vgl. Fadiman: Anecdote, S. 82, Timbs: Eccentrics, S. 33). »The sexes impaled improper between two butterflies«, vgl. Moers: Dandy, S. 32.

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Abbildung 10: George Cruikshank: »The Dandies Coat of Arms« (1819) Es lässt sich also feststellen, dass diese Darstellungen des Dandys eng an die schottische Bezeichnung dainty anknüpfen. Zum einen, weil sie den Aspekt der übertrieben auf Wirkung bedachten Kleidung in den Vordergrund rücken, zum anderen, weil sie die körperliche Schwäche, wie in dem Daindy fainting, den Narzissmus (Humming Birds) oder den Kult um die eigene Person betonen. Auch im Rahmen der anglomanen Dandies in Frankreich war dieses Bild des Dandys verbreitet, Ronteuix spricht von dem Dandy als »être d’un sexe douteux«150 und in L’hermite de Londres berichtet der Cousin des Erzählers, überall in London seien Dandys, »ni hommes, ni femmes, ni singes, mais qui semblent réunir en eux les caractères distinctif de ces trois espèces« (S. 337). Barbey bringt in Du Dandysme die Effimination des Dandys im Zusammenhang mit der Sorgfalt, die sie auf Äußerlichkeiten verwenden: »Paraître c’est être pour les Dandys, comme pour les femmes.« (S. 703) Die Wichtigkeit, welche die Dandys ihrem Erscheinungsbild geben, nähere sie den Frauen an, stelle sie aber auch in direkte Konkurrenz zu diesen. Er schreibt über Brummell: »Les femmes ne lui pardonneront jamais d’avoir eu de la grâce comme elles; les hommes de n’en pas avoir comme lui.« (S. 689) Hier 150

Ronteuix: Manuel du fashionable, S. 18, vgl. Planchais: Androgynie et dandysme, S. 79.

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wird nicht nur Brummells Zwischenposition zwischen Mann und Frau deutlich, sondern auch das Konkurrenzdenken der Frauen in Bezug auf die äußere Erscheinung deutlich gemacht. So kommentiert er Brummells Scheitern als Konsul in Caen mit: »il lui fallait des hommes à séduire, et on lui donna des affaires à régler.« (S. 712 FN) Brummell versuche also, wie die Frauen, Männer zu verführen. Deutlicher behauptet Barbey dieses typisch weibliche Wetteifern in einem Brief an Trebutien am 18.5.1843: »[Le livre d’] Henriette Wilson est l’opinion la plus étendue sur Brummell, mais Brummell devait lui inspirer une jalousie de femme à femme […]. Les femmes ne nous pardonnent jamais quand nous sommes plus élégants qu’elles«.151 Dass die Beziehung zwischen Brummell und Henriette Wilson als eine Frauenangelegenheit betrachtet wird, setzt Brummell zumindest in Bezug auf die Eifersucht und die Eleganz mit einer Frau gleich. In dieses Bild von Brummell passt, dass Barbey die Freundschaft mit der Duchesse de York als ungewöhnlich bezeichnet, da Frauen keine Freundschaften untereinander pflegen: »L’amitié n’existe pas entre les femmes« und fügt hinzu »un Dandy est femme par certains côtés« (S. 710). Neben der bedingungslosen Konkurrenz um die Aufmerksamkeit für sein Äußeres, behauptet Barbey auch die Häuslichkeit Brummells (bezeichnet mit dem englischen home) als typisch weibliche Eigenart, wenn er in Bezug auf die Soireen bei Brummell erläutert: »Bryan Brummell eut […] le home d’une femme qui serait poète« (S. 690). Diese weibliche Seite Brummells bekommt bei Barbey insofern eine besondere Note, als er die Homosexualität Brummells verhalten, aber durchaus insistierend evoziert, etwa wenn er auf die Außergewöhnlichkeit des Verhältnisses von Brummell und George IV. hinweist: »On s’est beaucoup efforcé pour expliquer le goût si vif que Brummell inspira soudainement à ce prince. On a raconté des anecdotes qui ne méritent pas qu’on les cite.« (S. 684) Auch hier spielen die Anekdoten eine zentrale Rolle, denn auch wenn sich Barbey weigert, diese anzuführen, wird doch deutlich, dass er hierbei auf ein mögliches homosexuelles Verhältnis anspielt und gerade indem er vorgibt, sich gegen bestimmte Gerüchte oder Anekdoten zu wehren, stellt er die Beziehung zwischen Brummell und dem König in einen sexuellen Subtext, den er immer wieder evoziert. So kommentiert er deren erste Begegnung mit »Ce fut simple comme une conquête de femme. N’y a-t-il pas des amitiés qui prennent leur source dans les choses du corps« (S. 684). Auch wenn mit den körperlichen Dingen hier in erster Linie die Faszination des Königs für die Eleganz Brummells gemeint ist, bleibt die Anspielung ebenso wie im Vergleich mit der Eroberung der Frau vorhanden. An anderer Stelle spricht Barbey auch von dem »prince qui l’avait aimé et qui avait été, pour ainsi dire, le seul courtisan de leurs relations« (S. 701). Nicht nur benutzt Barbey hier das starke Wort »aimé«, sondern verdeutlicht auch mit dem Begriff »courtisan«, dass der Prinz Brummell ›den Hof‹ gemacht habe. Eine weitere Anspielung ist, dass Brummell Barbey zufolge, auf eine Publikation seiner Memoiren verzichtet habe, um den König nicht zu kompromittieren: »il avait promis de ne point révéler ce qu’il savait de la vie intime du Régent« (S. 711). Moore berichtet von der hohen Summe, welche der König Brummell für den Verzicht auf die Veröffentlichung seiner Memoiren gab und behauptet, Murray soll ihm versichert haben, ein Gedicht über Brummell und den König im Stile der

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Barbey: Lettres à Trebutien Bd. I, S. 71, vgl. Petit: Notes, S. 1446.

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Fudge Family seien ihm 1000 Guineas, also mehr als 1000 ₤ wert.152 Die augenfällige Behauptung des Dandys als Homosexuellen ist freilich in Person und Werk Oscar Wildes zu sehen, dessen Dorian Gray bereits zu Wildes Lebzeiten als Inbegriff des Homosexuellen galt.153 Susan Sontags Notes on Camp, das sie Oscar Wilde widmet und in dem sie Camp, eine Bezeichnung für einen affektierten Homosexuellen154 als »Dandyism in the age of mass culture«155 bezeichnet, greift auf diesen Kontext zurück. Moe Meyer, welche Sontags Interpretation als Pop-Camp und Kolonialisierung brandmarkt,156 tut dies gerade unter dem Hinweis auf den untrennbaren Zusammenhang zwischen Homosexualität und dem Dandy Wilde sowie im Anschluss daran Camp,157 während Glick und Rolley die lesbische Homosexualität des Dandys behaupten.158 Allerdings existieren auch Behauptungen der Heterosexualität des Dandys, etwa bei Jesse, der im allgemeinen darum bemüht, jeden Verdacht einer Abweichung von der Norm, auch der sexuellen auszuschließen, immer wieder die Virilität Brummells betont und verschiedene heterosexuelle Abenteuer darstellt (S. 84-103). In ihren Memoirs spricht Wilson von einer »foolish profession of love« von Brummell (S. 62), der ihr den Liebesbrief geschrieben haben soll: »›When‹, he wrote, ›beautiful Harriette, will you admit me into your house? Why so obstinately refuse my visits? Tell me, I do entreat you, when I may but throw myself at your feet, without fear of derision from a public homage on the pavement, or dislocation from the passing hackney coaches‹« (S. 74). Auch der Brummell-Biograph Cole berichtet von diversen Liebesaffären Brummells mit Frauen.159 Barbey wiederum behauptet in Du Dandysme einerseits im Gegensatz dazu die Asexualität des Dandys, die er damit begründet, dass Brummells vanité keinen Platz für andere Leidenschaften gelassen habe,160 andererseits schließt er trotz seiner vielfältigen Anspielungen auf das Verhältnis von Brummell und dem König, die homosexuellen Beziehungen für den Dandyismus aus. D’Orsays offen bekannte Bisexualität benutzt er im folgenden Zitat, um ihn vom Dandyismus auszuschließen: »D’Orsay plaisait si naturellement et si passionnément à tout le monde, qu’il faisait porter son médaillon jusqu’aux hommes! tandis que les Dandys ne font porter aux hommes que ce que vous savez, et plaisent aux femmes en leur déplaisant.« (S. 699 FN). Dass d’Orsay den Männern sein Medaillon brachte ist hierbei als Anspielung auf den Brauch zu verstehen, in einem Medaillon oder einem anderen Schmuckstück ein Foto oder eine Haarsträhne seines Partners aufzubewahren.161

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Moore: Anecdotes, S. 76) Vgl. Gagnier: Idylls of the Marketplace Marketplace, S. 60, Moers: Dandy, S. 306, 304 FN. OED, S. 161. Sontag: Notes on Camp, S. 116. Meyer: Introduction, S. 5, 10. Meyer: Under the sign of Wilde, S. 77. Glick: Harlem’s Queer Dandy, Rolley: Lesbian Dandy. Cole: Brummell, S. 73. Barbey: Du Dandysme, S. 686. Daoust behauptet im Gegenteil: »Les dandys aiment aimer« (Daoust: Du Dandysme, S. 11). Vgl. Grand Robert Bd. IV, S. 1295.

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Dabei behauptet Barbey in Widerspruch zu seiner Evokation der Effeminität, auch die Virilität Brummells. Er ruft in Erinnerung, dass dieser in seiner Jugend Buck genannt wurde und fügt in Anspielung auf die Bezeichnung buck (Bock) für männliche Tiere hinzu: »Buck signifie mâle, en anglais, mais ce n’est pas le mot, qui est intraduisible, c’est le sens.« (S. 683) Insofern ist es naheliegend, dass der Dandy oft in einem Spannungsfeld zwischen Weiblich- und Männlichkeit angesiedelt wird. Stanton greift auf Barbey zurück und definiert die art de plaire en déplaisant des Dandys als Kombination von weiblichem Bedürfnis zu gefallen und männlichem Wunsch nach Härte und Gewalt.162 Für Lemaire und Coblence fusioniert der Dandy männliche und weibliche Eigenschaften163, während Delbourg-Delphis die Effemination als latente und ständig wiederkehrendes Problem für die Männlichkeit des Dandys sieht: »comment se faire dandy quand l’effémination est le spectre du masculin que pourtant la féminité enchante comme une étrange obsession«.164 Diese Obsession mit dem Weiblichen kommt auch in Baudelaires Mon cœur mis a nu zum Ausdruck: »La femme est le contraire du Dandy./ Donc elle doit faire horreur./ La femme a faim et elle veut manger. Soif, et elle veut boire […]. La femme est naturelle, c’est-à-dire abominable./ Aussi est-elle toujours vulgaire, c’est-à-dire le contraire du Dandy.«165 Die Frau sei also das Gegenteil des Dandys, da sie ihren niederen Instinkten nachgehe, während der männliche Dandy sich, so wird impliziert, durch Askese und Arbeit an sich selbst auszeichne. Bezeichnend für diese genderbezogenen Spannungen sind die unterschiedlichen Interpretationen von Baudelaires Zitat. Monneyron interpretiert diese Mysogynie als Behauptung der eigenen Weiblichkeit des Dandys, Kempf optiert für den Begriff »spernogyne« von lat. spernere, verachten, während Schmiele in Bezug auf Baudelaire entgegenhält, »der Dandy ist ein betont und exklusiv männliches Ideal« und Saisselin behauptet »c’est très masculin […]. Le dandy est au fond anti-feminin«166. Andere Untersuchungen argumentieren weniger kategorisch, betonen aber auch die Wichtig-

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Stanton: The Aristocrat as Art, S. 151. Vgl. dazu Benjamin über Baudelaire: »Er besaß die Gabe nicht, zu gefallen, welche ein so wichtiges Element in der Kunst des Dandys, nicht zu gefallen, ist.« (Benjamin: Paris, S. 600). Lemaire: Le Dandysme, S. 60, Coblence: Obligation d’incertitude, S. 292. Delbourg-Delphis: Masculin Singulier, S. 143. Während Kristeva in Bezug auf Baudelaire in der Weiblichkeit, die sich der Dandy gestattet, eine symbolische Kreativität erkennt (Kristeva: Histoires d’Amour, S. 314), betont Hadlock des Dandys Bemühen, in dem Schreiben seine Männlichkeit zu überwinden: »Writing, a phallic construct the dandy must embrace in order to renounce, eradicate, or otherwise overcome the conditions of his physical maleness, is, in effect, a mirroring of clothing.« (Hadlock: The Other Other, S. 63). Baudelaire: Œuvres, Bd. I, S. 677. Monneyron: Le dandy fin de siècle, S. 200, Kempf: Dandies, S. 163, Schmiele: Vom Dandy zum Provokateur, S. 64, Saisselin: De l’honnête homme au dandy, S. 17, vgl. Pham-Thanh: Du Dandysme en Angleterre, S. 111 f. Dolto warnt in ihrer Psychoanalyse »des Dandys« vor dem Irrtum zu glauben, der Dandy sei verweiblicht (Dolto: Le Dandy. Solitaire et Singulier, S. 17), vielmehr sei er dazu geschaffen, die Frau zu verführen (S. 19): »Drapeau de la séduction masculine, élévé au degré de la pure esthétique, tel est le dandy, drapeau d’une virilité qu’aucun joug ne saura soumettre, pas même celui de l’amour.« (S. 21 f.).

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keit der Maskulinität für die gender performance des Dandys oder in den Worten Lanes die »difficulty of masculine pleasures«.167 In kreischender Form präsentiert sich hingegen die Virilität des black dandy. Im Lied Long Tail Blue, erstmalig aufgeführt 1827, braucht es kaum dem Hinweis, dass »tail« aus dem lateinischen Wort für Penis abgeleitet ist,168 um die Symbolik von Phallus und Kastration zu deuten: Der Dandy Blue Jim verlässt seine Farm, zieht in die Stadt und besorgt sich einen blauen Frack mit langen Schössen (»long tail blue«), der ihm die Eroberung zahlreicher Frauen ermöglicht und da er in diesem Zusammenhang mit dem Gesetz in Konflikt kommt, beschädigt ihm ein Polizist (»watchman«) diesen,169 Blue rät seinem Publikum für den Erfolg bei amourösen Abenteuer, sich einen long tail blue schneidern zu lassen. Zu Recht sieht Lott in Long Tail Blue die Verkörperung eines potenten »black ›dandy‹«, so formuliert Victor Turner, die angstvolle Obsession des weißen Mannes mit einem wild wütenden schwarzen Penis widerspiegelt.170 Die bekannteste Behauptung des Dandys als männlichen Verführer zeigt sich indes in der Kombination mit der Figur des Don Juan, für die Byrons friktionale Inszenierung in seinem Don Juan von großer Bedeutung ist. In der 12. Stanze des 15. Canto heißt es über Don Juan: »His manner was perhaps the more seductive Because he ne’er seemed anxious to seduce […] And seem to say ›resist us if you can‹ Which makes a dandy while it spoils a man.«171

Der Erfolg bestehe also darin, dass Don Juan nicht aktiv um die Eroberung der Frauen bemüht, sondern vielmehr eine souveräne Indifferenz an den Tag legt, die ihn unwiderstehlich macht. An dieser Indifferenz oder »impassibilité«172 im Bewusstsein des Erfolges scheide sich dann ein echter Dandy von einem normalen Mann. Auch wenn das lyrische Ich weder ein klassischer Dandy, noch ein Don Juan ist,173 liegt auf der Hand, dass Byrons parêtre stark zu der Verbreitung dieser Vorstellung beigetragen hat.174 Die Popularität dieser Verbindung zeigt sich etwa in dem am 15.10.1832 uraufgeführten 167

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Lane: The drama of the Impostor, S. 30, vgl. Badenes: Performing the dandy, Adams: Dandies and Desert Saints, Delbourg-Delphis: Masculin Singulier, Luckett: Performing Masculinities. Lewis: Daddy Blue, S. 268, 284 FN. Vgl. Lewis: Daddy Blue, S. 258. Lott geht soweit, mit Frantz Fanon zu sagen, für das Publikum sei der minstrel Darsteller selbst der Penis gewesen (Lott: Blackface and Blackness, S. 13, 29). Byron: Works, Bd. V, S. 592. Gnüg: Kult der Kälte, S. 205. Vgl. ebd., S. 187. Bereits in der Tatsache, dass Brummell kein Libertin war, sieht Barbey schon ein Anzeichen von Originalität und bestätigt so indirekt die Popularität der Verbindung von Dandy und Don Juan: Brummell habe zwar eine starke Faszination auf Frauen ausgeübt, so Barbey, sie aber nur zu den »trompettes de sa gloire«, zu den Verkündern seines Ruhms gemacht hat: »car c’est ici, l’originalité de Brummell. […] Il n’était pas ce que le monde appelle un libertin.« (Barbey: Du Dandysme, S. 686).

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Vaudeville-Stück »Le Dandy« von dem Theaterkritiker Léon Laya und dem Autor François Ancelot, der 1841 in der Wahl für die Académie Française Victor Hugo unterlag.175 In dem in London spielenden Stück, das in einer Rezension vom 27.10.1832 in La Mode als »peinture de mœurs assez vraie de la vie et des habitudes des Dandys à Londres« bezeichnet wird,176 weigert sich der als Dandy bezeichnete Walmoor zu heiraten, da er sich nicht an eine Frau binden möchte, die sich als Drachen manifestieren könnte, was ein Chor kommentiert mit: »C’est la devise et le sort du dandy: Ne croyant point à d’éternelles flammes, Il obéit à la voix du désir, Et, sans chercher le bonheur près des femmes, Il lui suffit d’y trouver le plaisir.« (S. 9)

Ganz im Sinne von Byrons Don Juan, der kühl »angesichts erotischer Lockungen« bleibt,177 wird auch hier die Devise ausgegeben, sich nicht emotional an Frauen zu binden, und in seinen Liebesabenteuern nur die momentane Lustbefriedigung zu sehen, in dem Bewusstsein, dass jede Leidenschaft schnell wieder versiegt. Die Liebesaffären des Dandys Walmoor sind durch strategisches Kalkül und nicht durch Leidenschaft geprägt.178 Auch in Roger de Beauvoirs Aventurières et Courtisanes kristallisiert sich die Eroberung von Frauen als Hauptaufgabe des Dandys. Anarchisis, genannt »le dandy« begibt sich mit dem kulturell interessierten Apotheker Pluchot auf Reisen, hat aber selbst nur Augen für Frauen.179 Wie Byrons Don Juan zeichnet er sich durch eine offen zur Schau gestellten Übersättigung und Langeweile an den gesellschaftlichen Vergnügen aus, von der er sich mit amourösen Abenteuern ablenken will. Eben dies realisiert er dann erfolgreich z. B. mit der »comtesse C.«: »la comtesse l’avait piqué au jeu, il crut la séduire par sa toilette.«180 Neben der Wichtigkeit der Kleidung für die Verführung des Dandys wird hier auch expliziert, dass die Verführung nur ein Spiel ist, die der Selbstbestätigung dient und an dem keine emotionale Anteilnahme hängt.181 175 176 177 178

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Vgl. Martin: Les Romantiques, S. 257. Zit. n. Prevost: Dandysme, S. 112. Gnüg: Kult der Kälte, S. 52. Allerding geht sein aus Rache gefasster Plan, Dona Maria zu kompromittieren, indem er sie verführt und ihren Mann davon in Kenntnis setzt, nicht auf. Das Verhalten des Dandys wird als unmoralisch entlarvt, während Dona Maria von ihrem Mann verziehen wird. Dona Maria gelingt es, sich zu rechtfertigen und zu entschuldigen, indem sie als Motivation für ihren Seitensprung angibt: »Nous savons quelque fois la tentation de plaire à un fat, pour savoir, s’il serait possible à la rigueur qu’il aimât quelque chose que lui-même« (Ancelot: Le Dandy, S. 45). Vgl. Levillain: L’esprit dandy, S. 221. Der Name ist offensichtlich eine Anspielung auf das Schulbuch Voyage du jeune Anacharsis en Grèce dans le milieu du IVe siècle (1789) des Académiciens Jean-Jacques Barthélemy, ein Buch, das auch Flauberts Charles Bovary als Schüler liest (Flaubert: Madame Bovary, S. 299). Zit. n. ebd., S. 223. In Barbeys Novelle »Le plus bel amour de Don Juan« aus Les Diaboliques heißt es in über Ravila, der zwölf Frauen gleichzeitig verführt: »Comme

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Die Vorstellung des Dandys als gefühlskalten Eroberer findet ihren Ausdruck in der Kombination mit der satanischen Verführung, was auf die besondere Stellung Byrons als Dandy, Verführer und Oberhaupt der satanic school hinweist. Auch Baudelaire notiert in den Fusées, »le plus parfait type de Beauté virile est Satan«, und schickt in einem Gedicht »Don Juan aux Enfers«.182 An anderer Stelle scheint er die Übersättigung an der Figur des Don Juan zum Ausdruck zu bringen: »l’illustre don Juan qui […] est devenu, grâce à MM. Alfred de Musset et Théophile Gautier, un flâneur artistique […] n’est plus qu’un vieux dandy éreinté de tous ses voyages […].«183 Das Echo auf Byrons »broken Dandy lately on my travels« führt den verführerischen Dandy wieder zu seinem Ursprung Byron zurück. Wie Rieger in »Don Juan als Dandy. Zu den Don Juan Bearbeitungen von Baudelaire« zeigt, elaboriert Baudelaire auch in der Skizze eines Theaterstück La fin de Don Juan diese Vorstellung des alternden Don Juans.184 Auch Barbey nimmt diese Verbindung von Eroberung und Diabolismus in seinem Kapitel über Lauzun auf, insofern als dieser seine Eroberung mit eisiger Gefühlskälte betrieben habe.185 Barbey gibt Lauzun nicht nur sadistische Züge, wenn er berichtet, dieser sei einer Frau mit einem Absatz auf die Hand getreten und habe sich auf diesem Absatz gedreht, um ihr wehzutun (S. 720), sondern verweist auch auf die Diabolik Lauzuns: »le profond séducteur devient admirable, sataniquement admirable de plus en plus.«186 Noch in L’homme révolté zeigt sich diese Verbindung, wenn Camus die Revolte des Dandys zwischen de Sade und die Revolte gegen Gott setzt und ausgehend von dem Bild des Teufels als Dandys den Dandy als Verkörperung des Kampfes von Satan gegen Gott setzt (S. 458-459). Auch Hiltrud Gnüg betont die Ähnlichkeit insbesondere von E.T.A. Hoffmanns Don Juan mit dem Dandy bei Baudelaire und Barbey.187 Diese Verbindung wird wieder im Kontext des Playboy aufgenommen, wie etwa in Maud Sacquard de Belleroches Du Dandy au Playboy oder, wie noch zu zeigen bei Schumann, Carassus und Maurer oder bei Stein für den beide für ihre Zeit charakteristische Handlungsmustern verkörpern,188 auch Zielcke gibt in seiner Biographie über Porfirio Rubirosa zu bedenken, dass der Playboy wie der Dandy die Frauen zu einem amourösen Spiel einladen, bei denen sie ihnen nicht ernsthaft etwas versprechen und sie so auch nicht enttäuschen.189

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d’Orsay, ce dandy taillé dans le bronze de Michel-Ange, qui fut beau jusqu´à sa dernière heure, Ravila avait eu cette beauté particulière à la race Juan – à cette mystérieuse race qui ne procède pas de père en fils, comme les autres, mais qui apparaît ça et là, à de certaines distances, dans les familles de l´humanité.« (Barbey: Les Diaboliques, S. 62). Baudelaire: Œuvres, Bd. I, S. 658; Bd. I, S. 19 f. . Ebd., Bd. I, S. 551. Rieger: Don Juan als Dandy, S. 194 ff. »L’homme d’acier se servait de son acier pour déchirer davantage ce cœur de princesse« (S. 731). Barbey: Du Dandysme, S. 728, vgl.: »D’ailleurs il y a dans la vanité surexcitée une inflammation qui ressemble diablement à l’amour. Diablement est le mot« (S. 725). Gnüg: Kult der Kälte, S.178-234; Gnüg: Don Juan, S. 232. Stein: Dandy – Snob – Flaneur, S. 16. Zielcke: Der letzte Playboy, S. 24.

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Während die Behauptung der Virilität, oder auch der Effeminität von einem männlichen Geschlecht des Dandys ausgeht, wird auch das weibliche Geschlecht des Dandys ins Spiel gebracht. So betont Barbey in dem Kapitel über Lauzun die Verwischung von männlichen und weiblichen Rollenmustern: »Les rôles sont invertis. D’ordinaire, c’est l’homme qui persuade, et la femme qu’il veut persuader. La princesse ici est l’homme; le cadet de famille, la femme… et quelle femme! Célimène et Tartufe combinés!« (S. 728) Die Prinzessin kombiniert also die typisch weibliche Koketterie Célimènes aus Molières Misanthrope mit dem Ehrgeiz seines Tartufe. Und dass sich die Prinzessin nicht an ihren schwarzen Zähnen stört, kommentiert Barbey mit: »Elle était plus bourbonne que femme« (S. 721). Auch der Comtesse de Stasseville aus Barbeys »Le Dessous de Cartes« der Diaboliques wird bescheinigt, dass sie »une espèce de femme-dandy« sei (S. 148). Für Baudelaire wiederum ist Emma Bovary ein Dandy, da sie sei fast sei männlich und »tous les qualités viriles« besitze, unter denen Baudelaire als drittes dann aufführt: »Goût immodéré de la séduction, de la domination […] le tout se résumant en deux mots: dandysme, amour exclusif de la domination […].«190 Auch die überhaupt einzige Erwähnung des Dandys in Prousts Recherche präsentiert einen weiblichen Dandy: »Andrée gardait le flegme souriant d’un dandy femelle.«191 Die Kombination aus grammatikalisch männlichem Nomen Dandy und dem grammatikalisch (und lexikalisch) weiblichen Adjektiv femelle spiegelt die ungebührliche Mischung des französischen genre, in der Doppeldeutigkeit von Genus und Gender wider. In der Tat zeigt sich insbesondere um die Jahrhundertwende die Aufbrechung der Geschlechterzuordnung durch die Figur des Dandys. Während Moers in The Dandy die Figur des Dandys nur vorsichtig in Zusammenhang mit der New-Woman-Bewegung Ende des 19. Jahrhunderts bringt (S. 308), betont Höfele in »Dandy und New Woman« die Gemeinsamkeiten beider insofern »die streng gehüteten Grenzen der Geschlechterrollen fließend geworden sind« und zitiert Beerbohm: »Our sexes are already nearly assimilate« (S. 160). Während der weibliche Dandy hier noch durch die Auflösung der Gender-Identität erklärt wird, werden andere Frauen, insbesondere aus dieser Periode als Dandys behauptet, etwa Georgia O’Keeffe, Claude Cahun oder Coco Chanel, Fortassier wiederum sieht in dem androgynen top-model eine »femme dandy«.192 Die Suche nach dem ursprünglichen Geschlecht oder nur einer ursprünglichen gender performance des Dandys hat also ebensowenig wie bei den Behauptungen der Etymologie, der kulturellen Herkunft oder der Genealogie einen eindeutigen Ursprung der Behauptung hervorgebracht, sondern nur unterschiedliche Behauptungen des Ursprungs.

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Baudelaire: Œuvres Bd. II, S. 82, vgl. Benjamin: Charles Baudelaire, S. 598, Benjamin: Passagen-Werk, S. 309 [J 5,4]. In diesem Sinne sieht auch Lemaire Villiers de l’Isle-Adams Protagonistin Tullia Fabriana sich dem Dandyismus annähern, da sie die Schönheit der Frau mit den körperlichen Qualitäten eines Reiters und Fechters kombiniere. (Lemaire: Le Dandysme, S. 113 f.). Proust: Recherche, Bd.II, S. 268. Fillin-Yeh: Dandies, Marginality, and Modernism, Blessing: Claude Cahun, Garelick: The Layered Look, Fortassier: Dandysme pas mort, S. 221.

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7 . 7 P o s th u m e P r o to t yp e n Zudem ist auch eine zeitliche Auflösung des Ursprungs des Dandys zu beobachten. Barbey schafft in Du Dandysme mit Lauzun als »dandy d’avant les dandys« nicht nur posthum einen Prototypen, sondern bezeichnet zudem im Vorwort der Ausgabe von 1861 Pascal und Rancé als Dandys und widerspricht so seiner Behauptung des Ursprungs.193 Doch bereits in der ersten Version von 1845 finden sich Stellen, die Brummell als Ursprung in Frage stellen, wenn Barbey z.B. Bolingbroke, der von 1678-1751 gelebt hat, als »vrai Dandy« bezeichnet und ergänzt: »Plus qu’à personne d’ailleurs le Dandysme seyait à Bolingbroke. N’était-ce pas de la libre pensée en fait de manières et de convenances du monde, de même que la philosophie en était en matière de morale et de religion?« (S. 681) Dabei widerspricht er seiner eigenen Behauptung, ein Dandy dürfe nichts anderes als ein Dandy sein, mit der er etwa Byron vom Dandyismus ausgeschlossen hat (S. 673), und geht so weit, in den philosophischen Schriften Bolingbrokes wie den Pensées sur la religion naturelle und der Satire de la théorie du droit divin einen philosophischen Dandyismus auszumachen, da diese von der Gedankenfreiheit gegenüber der Religion künden. Während Schickedanz u.a. im Kardinal de Richelieu und dem Grafen Heinrich von Bühl Dandys sieht, findet Roger Kempf, vom mythischen Vergleich geleitet, in Napoleon Bonapartes Mémorial de Sainte-Hélène Dandyismus wieder.194 Byron, als dritter im Bunde, stellt Petrarca als Dandy dar und beruft sich auf einen Brief von diesem an seinen Bruder, in dem er an die Zeiten erinnert, in denen sie Kleider in makellosem Weiß und zu enge Schuhe trugen, was neben Moore auch Jesse zitiert.195 Oliver Holmes lässt in Autocrats of the Breakfast Table den Protagonisten versichern, »a good many powerful and dangerous people have had a decided dash of dandyism about them« (S. 258), und als Beispiele Alkibiades, Aristoteles als »regular Dandy« und Petrarca als »one of the same sort« angeben (S. 259). Diese Behauptung Alkibiades als Dandy findet sich schon bei Barbey, der diesen als »plus beau type« des Dandys präsentiert.196 Auch Baudelaire benutzt Alkibiades im Peintre, um zu unterstreichen, dass der Dandyismus ein Phänomen ist, das es bereits seit Urzeiten gebe: »Le dandysme est une institution vague, aussi bizarre que le duel; très ancienne, puisque César, Catilina, Alcibiade nous en fournissent des types éclatants […].« 193

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Vgl.: »Pascal qui fut un Dandy comme on peut l’être en France […].« »Rancé fut un Dandy aussi, – un Dandy-prêtre, ce qui est plus fort qu’un Dandy mathématicien, et voyez l’influence du Dandysme!« (Zit. n. Petit: Notes, S. 1439). Schickedanz: Dandy, S. 8 ff., Kempf: Baudelaire, S. 39, vgl. Marsan: Dandysme, S. 491. Eine interessante Verbindung des Dandys mit der Figur Cyrano de Bergerac nimmt Onfray vor, da er sich sowohl auf den Autor des 17. Jahrhunderts als auch auf die Figur des Theaterstücks von Rostand von 1897 bezieht, und somit in gleicher Weise einen posthumen Prototypen wie einen Nachfolger behauptet (Onfray: Journal hédoniste, S. 20-29). Moore: Life of Byron, S. 303 FN, vgl. Prevost: Dandysme, S. 18 FN, Jesse: Brummell, S. 8. Barbey: Du Dandysme, S. 716. Vgl. seinen Kommentar zu Brummells Abneigung gegen das Militär: »Quoique Alcibiade ait été le plus joli des bons généraux, George Bryan Brummell n’avait pas l’esprit militaire.« (S. 688).

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(S. 709) Dass der Rückgriff auf antike griechische und römische Feldherren und Politiker weniger dazu dient, den Ursprung des Dandyismus in die Antike zu verlegen, sondern vielmehr seine Omnipräsenz zu betonen, unterstreicht Baudelaire im nächsten Satz, demzufolge es Dandyismus ebenso bei den Indianern gegeben habe. Es geht also nicht um einen absoluten Prototypen, sondern nur um die Verankerung des Dandyismus als universelles Phänomen. Schmiele schreibt: »Aber der Typus ist schon alt. Schon Alkibiades hat Züge vom Dandy.«197 Carassus gibt in seiner Anthologie Le Mythe du Dandy Plutarchs »Vie des hommes illustres« wieder, in dem das provozierende Auftreten von Alkibiades beschrieben wird, und präsentiert Alkibiades in der Übersetzung von Amyot als »ancêtre du dandysme« (S. 183 ff.). Seine Aussage, der Dandy erobere mit einem Hundeschwanz ein Reich (S. 7), ist eine Anspielung auf die oft zitierte Stelle, dass Alkibiades seinem Hund den Schwanz abschnitt, die auch Genova in Erinnerung ruft: »With cultural ancestry traced back to Alcibiades who, incidentally, made his name as an esteemed dandy forerunner by cutting the tails off its prize dogs so they would stand out among the canine rabble – the nineteenth-century dandy established a reputation of lucid originality, stoicism, challenge, and revolt.«198 Analog zu Barbeys »vanité clairvoyante« behauptet sie die scharfsichtige Originalität von Alkibiades, die sie durch diese Anekdote belegt. Neben Alkibiades199 werden weitere antike Persönlichkeiten dazu benutzt, die Allgegenwärtigkeit des Dandyismus zu verankern. Kempf bestätigt detailliert Baudelaires Zuschreibung von Caesar, Catilina und Alkibiades als Dandys200 und Le Glay stellt in seinem Artikel »Un dandy à Rome« dem Griechen Alkibiades den Römer Maecenas als Dandy gegenüber, von dessen Kunstförderung die Bezeichnung Mäzen stammt. Schickedanz ergänzt dazu: »Bereits zur Zeit des klassischen Altertums hat es Männer gegeben, die als Vorbilder des guten Geschmacks, als Schiedsrichter in Fragen der Mode angesehen und bewundert wurden«, und gibt des Weiteren den syrischen Oberpriester Heliogabal, den Ostgotenkönig Theoderich sowie Petronius als »eine[n] der gefeiertesten Dandys« an.201 Wenn er feststellt, dass Alkibiades als »arbiter elegantiarum« bezeichnet wurde, bezieht er sich auf Tacitus, der allerdings nicht Alkibiades, sondern Petronius als »elegantiae arbiter« oder »Petronius arbiter« bezeichnete, welcher den Kaiser Nero in Fragen des Geschmacks beriet.202 So wird Brummell als »arbiter elegantiarum« nicht zum Ausgangs-, sondern Endpunkt der Entwicklung des Dandys als Herrscher über die Mode. In ihrer Untersuchung »Petronius. A dandy in Antiquity?« räumt Hélène Whittaker zwar ein, dass Brummell allgemein als erster Dandy anerkannt sei 197 198 199

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Schmiele: Vom Dandy zum Provokateur, S. 57. Genova: Terrorism with Style, S. 75. Vgl.: »Assurément ce fut par dandysme qu’Alcibiade coupa la queue de son chien […].« (Boulenger: George Brummel, S. 19) Prevost bezeichnet Alkibiades als Vorgänger der Dandys, nennt ihn allerdings »premier fat célèbre« (Prevost: Dandysme, S. 7 FN). Feldman nimmt Alkibiades als zentrale Gemeinsamkeit ihrer Dandy-Autoren: »All the writers whom I treat refer to him: Barbey and Baudelaire directly and intensely; Théophile Gautier, Wallace Stevens, Willa Cather, and Vladimir Nabokov in passing.« (Feldman: Gender on the Divide, S. 4, vgl. Kastura: The World is my Oyster, S. 403). Kempf: Dandies, S. 137 f. Schickedanz: Der Dandy, S. 8 f., vgl. Blei: Der Dandy. Vgl. Coblence: Obligation d’incertitude, S. 79.

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(S. 17), sieht nichtsdestoweniger in Bulwer-Lyttons The last day of Pompeii den Ausdruck eines antiken Dandyismus (S. 18 f.). Petronius sei ein »expert in refined lifestyle« (S. 19) gewesen, laut Plutarch extravagant in purpurfarbenen Roben gekleidet (S. 21). Zudem habe sich Nero, der jedes Kleidungsstück nur einmal getragen haben soll, durch »Eccentricity« und feminine Kleidung des Dandyismus verdächtig gemacht (S. 21). Diesen Gedanken nimmt Bamm auf, der Neros Ausspruch auf seinem Totenbett zitiert »qualis artifex pereo« (welch ein Künstler geht mit mir zugrunde).203 Bechtel fragt sich, ob nicht im römischen Kaiser Verus der Prototyp der Dandys zu sehen sei, weil dieser (ähnlich wie Nero) keine Kothurne zweimal trug.204 Leroy optiert neben Sokrates für mythologische Figuren wie Sisyphos, Janus, Pygmalion als Prototypen und bezeichnet den Dandyismus als »carrefour des mythes«205. Hier zeigt sich deutlich, wie der Dandyismus zuerst für interpretative Zuschreibung von posthumen Prototypen geöffnet wird und dies dann in einem Zirkelschluss mit der Offenheit des Dandyismus begründet wird. Denn dass der Dandyismus eine Straßenkreuzung für mythologische (oder historische) Figuren ist, liegt nicht in der Natur der Sache begründet, sondern wird durch jede Zuschreibung von Prototypen, welche sich auf dem Diskurs des Dandys bewegen und sich gegenseitig durchkreuzen, erst behauptet. Auch die jüngst erschienene Anthologie Der Dandy. Wie er wurde, was er war übernimmt diese Taktik206 und expliziert bereits mit diesem Untertitel, wie der Versuch, den Dandy in der Vergangenheit zu verankern, eine diskursive Erzeugung seiner Geschichte beinhaltet, in der Vergangenheit und Vorvergangenheit vermengt werden. Die am weitesten zurückreichende Vordatierung des Dandys stammt von Jesse. Unter Bezugnahme auf das Alte Testament betont er, dass schon Jakob, der Stammvater Israels, großen Wert auf Kleidung legte, und spricht diesem »Hebrew beau« im Vergleich zu den Römern einen besonderen »dandyism« zu (S. 2), eine Gleichsetzung von Beau und Dandy, die er in Bezug auf ja Brummell ablehnt. Dabei stützt er sich auf die Genesis, in der zu lesen ist, dass Jakob seinem Sohn Josef als besonderes Zeichen seiner Zuneigung einen bunten Rock vermachte. Vermutlich hat sich Jesse zu dieser Schlussfolgerung von der Gegenüberstellung von Jakob und Esau leiten lassen: einerseits der zarte, von der Mutter bevorzugte, geistreiche Jakob, andererseits der ältere, behaarte, vom Vater geschätzte Esau, dem ein Teller Suppe wichtiger ist als das Erstgeburtsrecht.207 Insofern sich dort der weniger Privilegierte durchzusetzen vermag, erinnert dies an Brummells Selbstbehauptung gegenüber dem König. Diese Verbindungen des Dandys mit der Antike unterstreichen nicht nur die klassische Bildung der Autoren, sondern dienen auch dazu, dem Dandy eine historische Tiefe zu verleihen und ihm dem Weg in den Kanon bedeutender Figuren zu ebnen. Somit kann in diesen Behauptungen der Verdacht, die Beschäftigung mit der Kleidung sei keine intellektuelle Angelegenheit ausgeräumt und, anders als bei Carlyle, unironisch die Beständigkeit und die globale, zeitlose Bedeutung des Dandyismus gesichert werden. Lemaire un203 204 205 206 207

Bamm: Über den Dandy, S. 570, vgl. Boüexière: Dandysme, S. 17, Prevost: Dandysme, S. 7. Bechtel: Livre des bizarres, S. 87. Leroy: Dandy, S. 268. Grundmann: Der Dandy, S. 1-4. Vgl. 1. Mose, 37, 3, 1. Mose 27, 11 und 16.

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terscheidet so zwischen dem historischen Dandyismus Brummells und einem »dandysme éternel, d’Alcibiade à Salvador Dalí«208. Demzufolge ist der Dandy gleichzeitig unnachahmlich wie Brummell – und universell, wie Dalí als Dandy belegen soll. Diese taktische Auflösung von Brummell als Original zeigt sich auch in Baudelaires Peintre, insofern seine Betonung auf der aristokratischen Distinktion den Ursprung des Dandys weiter in die Vergangenheit verschiebt: »Que ces hommes se fassent nommer raffinés, incroyables, beaux, lions ou dandys, tous sont issus d’une même origine, tous participent du même caractère d’opposition et de révolte […].« (S. 711) Demnach setzt er den Dandy in eine lange Tradition gesellschaftlicher Typen, die ihren Ursprung in den raffinés haben, die sich Ende des 16. Jahrhunderts durch einen ›raffinierten‹ Geschmack hervortaten,209 den incroyables, auffällig gekleideten jungen Männer in der Zeit des Directoire von 1795-1804, sowie den zu Brummells Zeiten noch existierenden beau und lion, in deren Eleganz er einen Ausdruck der Revolte sieht. Obwohl Baudelaire in diesem Zusammenhang vom Dandyismus als einer neuen Form der Aristokratie spricht, die sich auf andere Rechte gründe, wird der Dandy in Anschluss an Baudelaire häufig tout court als Aristokrat vergangener Tage dargestellt.210 Dieser Rückbezug zeigt sich in vielen Variationen, beginnend bei Chateaubriand, der die ständig sich verändernden Inszenierungen des Dandys kommentiert: »N’est-il pas curieux de trouver l’original du dandy sous Henri III […].«211 Während Chateaubriand das Original des Dandys im mignon verortet, sieht Chenoune die Vorläufer des Dandys in den »manies précieuses des jeunes fats de Londres, les fops« sowie den italophilen, englischen macaronis, welche aus Protest gegen die Demokratisierung riesige Perücken trugen, den incroyables sowie den mer208

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Lemaire: Le Dandysme, S. 9. Auch Carassus räumt mit Anspielung auf Barbey ein, dass es nicht viel Sinn ergebe, von Alkibiades als einem »dandy avant les dandys« zu sprechen, und differenziert zwischen einem posthumen und einem bewussten Dandyismus (Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 17). Grand Robert, Bd. V, S. 1553. Françoise definiert den Dandyismus als »un essai, après la Révolution, de reconstituer une aristocratie à partir d’autres valeurs que celles de la naissance« (Françoise: Le Dandysme et Marcel Proust, S. 17). Diaz betont als Grundvoraussetzung für den »dandysme littéraire après 1830«, dass sich der Schriftsteller, der sich zuvor von der Noblesse abgegrenzt habe, nun selbst als Aristokrat sehe (Diaz: Le Dandysme littéraire, S. 31). Schickedanz schreibt: »Bezeichnenderweise gehörten fast alle Dandys dem Adel an«, und folgert: »In dieser allgemeinen Krisenstimmung war Brummell schließlich der einzige, der dem Verfall der Adelskaste entschieden entgegentrat und Strategien zu deren Transformation ersann.« (Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 44, vgl. Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 25) Stanton betont in The Aristocrat As Art, dass honnête homme und dandy trotz aller Unterschiede, die sie herausstellt, Repräsentanten der gleichen aristokratischen Tradition seien (S. 12). Franz Werfel sieht das »gepflegte Antlitz des aristokratischen Dandyismus« nach dem Vorbild Oscar Wildes nach rechts blicken (Werfel: Der Snobismus als geistige Weltmacht, S. 25, vgl. Stein: Dandy – Snob – Flaneur, S. 10, Hauser: Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, S. 966, Wuthenow: Der Dandy als Verkleidungsform des Künstlers, S. 185) und Bohrer bescheinigt dem Dandy latenten Konservatismus und gegenrevolutionäre Tendenzen (Bohrer: Die Ästhetik des Schreckens, S. 37, vgl. Gnüg: Kult der Kälte, S. 82, Galibert: Le poète et la modernité, S. 20). Chateaubriand: Mémoires, Bd. II, S. 77.

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veilleux des Directoire und stellt den Dandy somit in eine Traditionslinie von der préciosité bis zur Revolution.212 Diese Vorstellung der Kontinuität bestätigt Oda Schaefer, derzufolge der Dandy »im Grunde der gleiche Stutzer im wechselnden Gewand [bleibe]: Cortegiano, Raffiné, Beau, Buck, Exquisite, Homme de Qualité oder Honnête Homme, Petit-Maître und Muscadin, Incroyable und Merveilleux.«213 Carassus stellt mit den Vorgängern »Maccaronies [sic], Corinthiens, Incroyables, ruffians, exquisites, fashionables, fops, beaux, bucks« eine »série anglaise« auf und skizziert in einer »belle continuité« eine »série française« von mignons, précieux, petits-maîtres über Richelieu zu den muscadins, merveilleux, incroyables und fashionables.214 Gemäß dieser Behauptung einer linearen Entwicklung in einer sukzessiven Serie, die den Ursprung in Brummell wieder auflöst, betont Kyloušek die »tradition courtoise« des Dandys.215 Kusenberg spricht vom »Stammbaum, der von Alkibiades und Catilina bis zu Byron, Barbey d’Aurevilly und Chateaubriand reicht« und stellt fest: »Der Dandy des 19. Jahrhunderts hat Ahnen; die höfischen Ritter des 15. Jahrhunderts […].«216 Auffällig ist das Wortfeld der familiären Abstammung, das einen tatsächlichen Stammbaum des Dandys evozieren soll, etwa wenn Saidah und Bray

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Chenoune: Des modes et des hommes, S. 11, 20. Auch Saidah spricht vom Vorbild der préciosité, um dann im Sinne von Baudelaires künstlich erzeugter Originalität zu versichern: »Ils ont en commun ce souci de la distinction destiné à constituer une originalité […].« (Saidah: Le Dandysme. Continuité et rupture, S. 127). Schaefer: Dandy, S. 12. Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 26 f., 30 f. Gnüg nimmt darauf Bezug: »Vom ›mignon‹ unter Heinrich III. über die ›précieux‹, die Molière verspottete, die ›petits-maîtres‹, die Marivaux zu korrigieren suchte, führten sie zu den ›muscadins‹, ›merveilleux‹, incroyables‹. Und schließlich am Ende des Empire entdeckt man die ›fashionables‹, etwas später den ›Dandy‹, den Elégant britischer Herkunft.« (Gnüg: Dandy, S. 815) Chapus stellt eine ähnliche Genealogie dar von muguet, petit-maître, beau, incroyable, fashionable, merveilleux, fat, faro, bozor bis zum piaffeur (Chapus: Manuel, S. 119 f.). Ourry versichert: »c’est souvent, sous un autre nom, le petit-maître de nos aïeux, l’élégant du dernier siècle, l’incroyable d’une époque plus récente […].« (Ourry: Dandy, S. 90) Marsan betont mit Barbey die Abstammung des Dandys von Buck und Beau (Marsan: Dandysme, S. 487 f.). Bollon bezeichnet die muscadins, die sich um manieriert englische Aussprache des Französischen bemühten, als Vorläufer des Dandys (Bollon: Morale du Masque, S. 22, 37). Auch Delbourg sieht den Dandy in der Tradition der muscadins, den politischen Gegnern der Jakobiner, und folgert daraus: »Le dandysme français naît sous les auspices de la Contre-Révolution […].« (Delbourg: Masculin Singulier, S. 19) Schickedanz stellt die Dandys in den Kontext der cortegiani der italienischen Renaissance und nennt an auch Troubadoure sowie Ritter wie Iwein oder Lanzelot als Vorläufer (Schickedanz: Dandy, S. 9). Sacquard de Belleroche fügt dieser fantasievollen Reihe die brogards, godelureaux du belair, mirliflores, cocodès, gants-jaunes und petits crevés hinzu (zit. n. Badenes: Performing the dandy, S. 17 Carassus und Coblence sehen den Dandy in der Tradition des »bouffon du roi« (Carassus: Dandysme et aristocratie, S. 26, Coblence: Obligation d’incertitude, S. 82-109). Kyloušek: La tradition courtoise. Kusenberg: Fragment, S. 723, 725.

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die Vorstellung einer Familienzugehörigkeit betonen,217 Bedry den Dandy als »direct descendant of the eighteenth-century ›philosophe‹ and educated and noble ›man of letters‹« bezeichnet, Moreau vom roué als dem »ancêtre« des Dandys, Saisselin von »une seule filiation« und Simone François von einer »filiation qui est un sujet d’étude constant pour l’histoire littéraire« sprechen.218 Demnach ist die Behauptung einer linearen historischen Entwicklung des Dandys verbunden mit der Vorstellung eines Stammbaums, der trotz der unzähligen Verästelungen auf einen Ursprung, lange vor Brummell, zurückgeführt werden kann. Diese Suche nach einem posthumen Ursprung dient nicht der Ergründung der Vergangenheit des Dandys, sondern im Bewusstsein ständiger Entwicklungen seiner Vergewisserung in der Gegenwart und der Stiftung einer Tradition. Wie bereits beim honnête homme, der ebenfalls als Vorläufer des Dandys genannt wird,219 dient der Verweis auf antike Vorläufer wie Caesar (bei Méré) oder Alkibiades (bei Méré und Montaigne) dazu, die Universalität zu betonen.220 Die posthumen Prototypen fungieren als Beweis für die Unvergänglichkeit des Dandys und stellen dadurch seine Zukunft sicher. Stanton z.B. sieht im Dandy den Ausdruck apollinischer Selbstkreation und -perfektion und leitet daraus die Überlebensfähigkeit des Dandys ab.221 Somit entspricht diese Taktik dem von Foucault untersuchten Diskurs über den Menschen seit dem 19 Jahrhundert, bei dem Foucault ein ähnliches Suchen eines unfassbaren Ursprungs formuliert: »[L]’homme ne se découvre que lié à une historicité déjà faite: il n’est jamais contemporain de cette origine qui à travers le temps des choses s’esquisse en se dérobant; quand il essaie de se définir comme être vivant, il ne découvre son propre commencement que sur fond d’une vie qui elle-même a débuté bien avant lui […].«222 Die Herkunft des Menschen ist also ein Ursprung ohne Ursprung, der nur in seiner Unsichtbarkeit sichtbar wird. Auch die Frage nach dem Ursprung des Dandys entfernt sich immer weiter von der Gegenwart und versucht nicht, den tatsächlichen Anfang greifbar zu machen, sondern verschiebt diesen so weit wie möglich in eine ferne und fremde Vergangenheit, um ihn exzentrisch aufzulösen und den Dandyismus zu einem universellen und gleichzeitig unergründlichen Phänomen zu machen.

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Angesichts des Dandy-Willens, seine originalité zu erhalten, folgert Bray: »On ne peut nier que le dandy descende du petit-maître«, Bray: Préciosité, S. 254, vgl. Saidah: Le Dandysme. Continuité et rupture, S. 125. Bedry: Superfluos Man, S. 162, Moreau: Musset, S. 503, Saisselin: De l’honnête homme au dandy, S. 15, Françoise: Le Dandysme et Marcel Proust, S. 13. Der Übergang vom honnête homme zum Dandy wird ausführlich erläutert im von Montandon herausgegebenen Band L’honnête homme et le dandy, insbesondere in seinem eigenen Artikel, aber auch im bezeichnenden Aufsatz »Le Dandysme: Continuité et Rupture«. Dort gibt Saidah als Kontinuität den um Originalität bemühten précieux (S. 127), den petit-maître, dessen Nachahmung der Cour bereits La Bruyère als »copies fidèles de très méchants originaux« kritisierte (S. 128 f.), den manierierten muscadin (S. 130) sowie als »frère aîné« den fashionable (S. 131) an und stellt dann als Bruch den Differenzwillen des Dandys dar (S. 141). Vgl. Stanton: The Aristocrat as Art, S. 22. Ebd., S. 224. Foucault: Les mots et les choses, S. 341, Nietzsche: Geneaologie der Moral, S. 259.

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7 . 8 A r i st o k r a ti e u n d N i c h t s Auch wenn Baudelaire den Dandy als Verkörperung eines ewigen aristokratischen Prinzips sieht, so beschwört er dennoch dessen baldigen Untergang angesichts der anhaltenden Demokratisierung, den er im Peintre in einem nicht gerade unpathetischen Bild ausmalt: »Le dandysme est un soleil couchant; comme l’astre qui décline, il est superbe, sans chaleur et plein de mélancolie. Mais hélas! la marée montante de la démocratie, qui envahit tout et qui nivelle tout, noie jour à jour ces derniers représentants de l’orgueil humain.« (S. 712) Die Gegenüberstellung von aristokratischem Dandy und bürgerlichem Utilitarismus vollzieht sich in viel sagenden Bildern: auf der einen Seite die Sonne, dessen ästhetischen Wert er betont, ohne ihr den praktischen Nutzen der Wärme zuzugestehen, auf der anderen Seite das bedrohlich steigende Meer der Demokratisierung, das nach und nach jede Form der Distinktion dem Untergang weiht. Als eine Seite von Baudelaires poncif wird diese Vorstellung des gerade im Verschwinden begriffenen Dandys häufig aufgegriffen.223 Während Baudelaire das Ende der Dandys in Frankreich konstatiert und die Zukunft der Dandys nur noch in England sieht (S. 712), droht Barbey in seinem Essay über Brummell dasselbe in Bezug auf die englische 223

Vgl.: »[T]he dandy’s praise of uselessness represented a conscious rewriting of a bygone aristocratic ideal […]« (Stanton: The Aristocrat as Art, S. 95, vgl. Raynaud: Baudelaire, S. 38) »An eccentric outsider or member of an elite core, he defies social order at the same time that he embodies his ultimate standard in good taste.« (Godfrey: The Dandy as Ironic Figure, S. 24) »C’est une révolte contre la démocratie telle quelle le conçoit le dandy, pour lui, elle veut aplanir toutes les différences entre les hommes.« (Reed: Le Dandysme catholique de Jules Barbey d’Aurevilly, S. 31) »[L]e dandy a existé précisément pour lutter contre l’utilitarisme qui dépossède l’homme de son statut de fin en soi et le relègue parmi les rouages indifféremment nécessaires à l’opération de la machine de l’univers.« (Prevost: Dandysme, S. i) »Bei Baudelaire – ähnlich wie bei Huysmans und Proust – ist der Dandyismus eine Provokation der Bürgerlichkeit, des ›embourgeoisement‹ und des Nützlichen.« (Zima: Vom Dandy zum Künstler, S. 412, vgl. 408) »[S]on mépris pour l’utilitarisme bourgeois le fait opter pour la régression aristocratique.« (Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 174, vgl. Pham-Thanh: Du Dandysme en Angleterre, S. 269) Auch Schäfer, die vom »aristokratischen Individualismus« (Schäfer: Dandy, S. 13), Mann, der vom »aristokratischen Bewusstsein« (Mann: Der moderne Dandy, S. 47) und Schickedanz, der von einer »Absage an das heuchelnde Bürgertum« (Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 46) spricht, betonen die Abgrenzung des Dandys vom Bürgertum (vgl. Frémiot: Du Dandysme et de la transgression, S. 197, Grundmann: Der Dandy, S. 7). Allerdings werden auch andere Positionierungen des Dandys behauptet. Vgl.: »Les dandys ne sont ni des aristocrates […] ni des bourgeois […].« (Martinon: Mythe, S. 20) Während die Surrealistin Annie Le Brun den Dandy als Revolutionär (vgl. Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 173), Dolto als Bourgeois (Dolto: Le Dandy. Solitaire et Singulier Solitaire et Singulier, S. 28), Botz-Bornstein als Anarchisten (Botz-Bornstein: Rule-Following in Dandyism, S. 1, vgl. Pham-Thanh: Du Dandysme en Angleterre, S. 352), und Genoveva als kulturellen Terroristen sehen (Genova: Terrorism with Style, S. 75), betont Françoise die Offenheit des Dandys für alle Überzeugungen: »L’athéisme et la foi, le jacobisme et la droite nationale n’ont-ils pas compté des dandys célèbres?« (Françoise: Le Dandysme et Marcel Proust, S. 23).

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Entwicklung an: »[L]e jour où la société qui produit le Dandysme se transformera, il n’y aura plus de Dandysme; et comme déjà […] l’aristocratique et protestante Angleterre s’est fort modifiée depuis vingt ans, il n’est guères [sic] plus que la tradition d’un jour.« (S. 716) Vor Baudelaire sieht demnach bereits Barbey in der Umwandlung der aristokratischen Gesellschaft das Ende des Dandyismus gekommen und bedauert, dass die Begeisterung für den Dandyismus der Begeisterung für Pferde- und Hunderennen weichen musste: »Le Turf hébétant a remplacé le Dandysme. Il n’y a plus maintenant dans le High life que des jockeys et des fouetteurs de chiens.« (S. 699) Den Niedergang des aristokratischen High Life findet Barbey folglich in der anglomanen Sportbegeisterung wieder, welche die aristokratischen Manieren Brummells abgelöst habe. Dabei macht Barbey weniger die Demokratisierung als das Wiedererstarken des Puritanismus im viktorianischen Zeitalter für das Ende des Dandys als Verantwortlichen aus.224 Barbey spielt auf die leichte, mokante Ironie des Dandys an und ergänzt, die Bigotterie, der englische cant, den auch Stendhal als eine der Sünden Englands bezeichnet,225 sei Sieger über die Fantasie des Dandyismus und Brummell sei letzten Endes ein einsamer, missverstandener Mann gewesen: »Il n’avait que des manières dont le sens se perd de plus en plus tous les jours.« (S. 710 FN) Die unnachahmliche Manier, welche die Unbeschreiblichkeit Brummells garantiert, ist demnach gleichzeitig Grund für seinen Untergang. Die folgenden Nachrufe auf den Dandy lassen sich dabei wie ein Spiegel der jeweiligen Zeit lesen, sodass die Geschichte der Nachrufe auf den Dandy wie eine komprimierte Geschichte der gesellschaftlichen Entwicklungen zu lesen sind. 1962 greift der von der Schifffahrtsgesellschaft United States Line herausgegebene Band Dandies and Dandyism. Customs and Costumes auf die Auseinandersetzung mit den puritanischen Bestrebungen zurück, wenn die Herausgeber als Motivation für die Wahl des Themas angeben: »C’est dans la volonté de réagir contre le conformisme envahissant du monde mo224

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»Aujourd’hui le Puritanisme auquel le Dandysme, avec les flèches de sa légère moquerie, a fait une guerre de Parthe – en le fuyant plutôt qu’en l’attaquant de front – le Puritanisme blessé se relève et panse ses blessures.« (Barbey: Du Dandysme, S. 716) Die Bedrohung des Dandyismus durch den Puritanismus viktorianischer Machart betont er auch an anderen Stellen: »Les Dandys ont beau représenter le caprice dans une société classée et symétrique, ils n’en respirent pas moins, quelque bien organisés qu’ils soient, la contagion de l’affreux puritanisme. Ils vivent dans cette tour de la Peste, et une pareille habitation est malsaine.« (S. 695 FN) Mit Formulierung wie »Ansteckung«, »Pest« und »gesundheitsschädlich« verdeutlicht Barbey die ständige Bedrohung, der die Dandys durch den Puritanismus ausgesetzt sind. Und wenn er an anderer Stelle schreibt, »Les Dandys ne brisent jamais complètement en eux le puritanisme originel« (S. 709) wird deutlich, dass der Puritanismus tatsächlich wie das Pestbazillus eine ständige, latente Bedrohung darstellt. Barbey macht auch in späteren Arbeiten die Religion zum zentralen Movens der englischen Geschichte (vgl. Greene: Histoire). Vgl.: »le titre de dandy ou d’exquisite est à peu près devenu ridicule. La Jeune Angleterre, retranchée dans une austère propreté, méprise tout ce qui ressemble à la recherche du costume; elle se moquerait d’un nouveau Brummell.« (Forgues: Originaux, S. 58) sowie Coles Kommentar über den einsamen Tod Brummells: »The Victorian Age had begun.« (Cole: Brummell, S. 223). Vgl. Stendhal: De l’Amour, S. 156.

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derne, de défendre un ›dandysme‹ plus moral que vestimentaire […].«226 Ähnlich wie Barbey und Baudelaire erkennen auch diese Autoren in ›ihrer‹ Moderne, im konservativen Ambiente vor der 68er Revolution, eine Distinktionen vernichtende Tendenz: In ihrem Artikel »D’Alcibiades à nos jours« stellt Raymonde Moulin fest, dass der soziale Druck und der Zwang zur Uniformisierung so stark seien, dass sich Dandyismus nicht mehr manifestieren könne. Auch Martinon konstatiert noch 1990 gemäß Baudelaires alles verschluckender Demokratie: »À l’époque contemporaine, l’assimilation de toute excentricité par la normalité uniformise – comme variation insignifiante – toute tentative de différenciation.«227 Anders als die Autoren der United States Lines Paris Review sieht er den Dandyismus nicht durch den Konformismus bedroht, sondern im Gegenteil durch das allgemein verbreitete Bestreben nach Singularität, dem Anything goes der 90er Jahre, in dem die Distinktion nicht weiter auffällt und untergeht. Dass durch das massenhafte Bedürfnis nach Exzentrik diese normalisiert werde und somit dem Dandy keine Möglichkeit zur Distinktion bleibe, bildet aber gleichzeitig ein Echo zu der schon Mitte des 19. Jahrhunderts beschriebenen Popularisierung dieses Konzepts. So konstatiert Beat Wyss 1994 in »Das Verschwinden des Dandys«, dass es den Dandy gerade aufgrund des »fehlenden Drucks öffentlicher Normalität« nicht mehr geben könne (S. 37). Der Dandy vereinsame, weil ihm die »geschlossene Arena der Normalität«, also Konventionen, welche er sprengen könnte, fehle (S. 36). Ulf Poschardt geht noch weiter, insofern als er betont, dass der Dandy selbst zur Normalität geworden sei, da das Bildungsbürgertum vom »Geschmacksbürgertum« verdrängt wurde: »Der Dandy verliert seine Ausnahmestellung und wird die Regel. Er ist Massenphänomen.«228 Diese Vereinnahmung des Dandys als Distinktionskriterium gegenüber dem Bürgertum von dem Bürgertum selbst, wiederholt Martinons These von der Uniformisierung der excentricité. Da dieser Abgesang auf den Dandy in Kapitel 6.3 bereits 150 Jahre zuvor im bürgerlichen Diskurs nachgewiesen wurde, beweist, dass die Auseinandersetzung zwischen Exzentrik und Normalität ein immerwährender Prozess ist, der trotz einschlägiger Behauptungen für und wider nie von einer Seite endgültig entschieden werden kann. Ob nun der Dandy untergeht, weil gesellschaftliche Konventionen fehlen (Wyss) oder weil ein Übermaß daran ihn erdrückt (Barbey), oder weil er selbst Ausdruck derselben geworden ist (Poschardt), konzipiert diese Taktik den Dandy in jedem Fall als Opfer der gesellschaftlichen Entwicklungen.

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Das Organ United States Lines Paris Review war ein eigens für die Passagiere konzipiertes Magazin, das helfen sollte, die lange transatlantische Überfahrt zu überdauern und ihre Reisegäste mit zweisprachigen französisch-englischen Beiträgen mental auf das neue Land vorzubereiten: »Inauguré en 1953, peu après le lancement du paquebot ›United States‹, l’United States Line Paris Review voulut être un trait d’union entre le Nouveau Monde et l’Ancien«. Die in der BNF verfügbare Zeitschrift ist nicht paginiert. Martinon: Mythe, S. 21. Poschardt: Die universelle Boutique. Dass das antibürgerliche zur bürgerlichen Normalität wird, zeigt sich vielleicht auch im Life-Style-Magazin Vanity Fair, das sich den Namen von Thackerays Abrechnung mit Dandys und anderen unnützen Gesellschaftsmitgliedern gibt und dies gänzlich unkritisch meint: Chefredakteur war bis vor kurzem eben jener Ulf Poschardt.

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Diesem Abgesang auf den Dandy steht das Betonen seiner autonomen Selbsterschaffung gegenüber. Maurice Barrès bringt dies in Sous l’œuil des Barbares zum Ausdruck, indem er das lyrische Ich – wie der programmatische Titel ankündigt – als empfindsamen Ästheten unter tumben Barbaren inszeniert: »Laisse ces Barbares participer les uns des autres. Qu’on le classe vulgaire ou d’élite, chacun hors moi, n’est que barbare.« (S. 95 f.) Somit grenzt sich das lyrische Ich sowohl von der elitären Aristokratie, als auch von der gemeinen Gesellschaft ab. Barrès belässt den Dandy indes nicht in seiner Autonomie von Adel und Bürgertum, sondern beschreibt die Taktiken, wie man sich als Dandy in einer solchen Gesellschaft behauptet. Im Kapitel »Dandysme« betont das lyrische Ich, das immer wieder durch Einschübe eines anderen Erzählers kommentiert wird, eine gewisse fatuité reiche aus, um zu Ruhm zu kommen, da eine bedingungslose Selbstherrlichkeit faszinierend auf die Gesellschaft wirke (S. 94 f.). Für diesen Tanz des intellektuellen Dandyismus (»pas du dandysme intellectuel«, S. 95) liefert es eine »Recette pour se faire avec rien de la notoriété«. Demnach reiche es aus, sich zunächst eine vorteilhafte Meinung von sich selbst zu schaffen und genügend Zeit und Geld zu haben, sich die nötigen erforderlichen Qualitäten dann zu erwerben. Wenn man dann nicht nach einiger Zeit zu einem neuem Brummell ausgerufen werde, bestätige dies nur die Einzigartigkeit (S. 94 f.). Insofern könne man sich aus dem Nichts in jedem Fall als Original erschaffen, entweder als weißes Original des Dandyismus von Brummell oder als ein neues einzigartiges schwarzes Original. Dabei betont Barrès weniger den Nihilismus als vielmehr die Überzeugung der subversiven Kraft des Dandys durch das Erschaffen aus dem Nichts: »J’entrevois la possibilité de modifier la cote des valeurs humaines et d’exalter par-dessus toutes un pouvoir sans nom, vraiment fait de rien du tout.«229 Aus La Rochefoucaulds Maxime »Le vrai honnête homme est celui qui ne se pique de rien«230 wird der Dandy, der nicht auf nichts stolz ist, sondern auf sein Nichts stolz ist. Bereits Arnould Fremy bemerkt 1836 in seinem Artikel »Le Roi de la Mode«, nur durch die Abwesenheit von effektiven Taten habe Brummell es verdient, den Titel Dandy zu tragen: »[C]e qu’il a fait de plus beau, c’est assurément de n’avoir rien fait, et de s’être rendu immortel à cause de cela. C’est même là le centre principal de son héroïsme.« (S. 258 f.) Dieses Paradox, sich unsterblich gemacht zu haben, ohne irgendetwas getan zu haben, geschweige denn dafür getan zu haben, wird von Fremy dem Ansinnen der Leute entgegengestellt, die das Genie in Geld aufzuwiegen versuchen (S. 258). Diese Kritik am Utilitarismus stellt die bürgerliche Vorstellung also in einem Zirkelschluss bloß. Insofern der Utilitarismus jeden Menschen nach seinen Verdiensten beurteilt, formuliert Fremy den Verdienst von Brummell dahingehend, dass er sich darum verdient gemacht habe, sich um nichts verdient gemacht zu haben, was man nach bürgerlichen Maßstäben messen könnte. Der Dandy, so ließe sich diese Argumentation zusammenfassen, sieht in seinem Beruf nicht wie der Bürger eine Berufung, sondern macht aus seiner Berufung, keinem Beruf nachzugehen, einen Beruf. Er zeichnet sich da229

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Barrès: Barbares, S. 94, vgl. Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 59. Hazlitt lobt Brummells Schlagfertigkeit als »art of making something out of nothing« (Hazlitt: Brummelliana, S. 153, vgl. Stanton: The Aristocrat as Art, S. 43). Vgl. die Definition des Dandys als »nobody, who made himself somebody, and gave the law to everybody […].« (Gore: Cecil, S. 17). Rochefoucauld: Œuvres, S. 333, vgl. Stanton: The Aristocrat as Art, S. 54.

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durch aus, dass er nichts tut, außer seiner Selbstbehauptung, die darin besteht, nichts zu tun. Der Dandy wird also nicht als Opfer der Gesellschaft dargestellt, sondern beweist in Baudelaires Worten Kenntnis ihres »mécanisme moral«. Frémiot spricht in Anspielung auf Baudelaires Darstellung des Dandys als Held der Moderne vom »héroïsme du rien«231 und Mathieu interpretiert den Dandy als letzte Bastion gegen den kapitalistischen Konsum- und Wachstumszwang: »Dans notre société démocratique, capitaliste et individualiste occidentale où le principal moteur des êtres est la compétition en vue de l’acquisition ou de l’accroissement des biens – par le travail ou par ruse – le dandy fait figure d’exception et apparaît comme un héros des valeurs morales.«232 Folglich sei der Dandy nicht Opfer der Kommerzialisierung, sondern deren hartnäckiger Widersacher durch seine, dem Kyniker eigene Zufriedenheit mit nichts. Dem widerspricht Wyss, der den Dandy als vorbildlichen Konsumenten und »avancierteste Figur des Bürgertums« erkennt, der idealtypisch »den Glanz der Warenwelt mit deren Nichtigkeit« verbindet.233 Carassus greift auf das von Mathieu herausgearbeitete antikapitalistische Potential des Nichts zurück. Im Kapitel »Le triomphe sur rien« von Mythe du Dandysme beschreibt er den Dandyismus ausgehend von Baudelaire als »culte de soimême, désir de domination fondé sur l’originalité personnelle«. Diese Originalität gründe sich weder auf aristokratischem oder intellektuellem Standesbewusstsein, noch auf der Entfaltung eines Ichs, sondern auf den vergänglichen Aspekten des Scheins (S. 57 f.). Der Dandy würde spielerisch eine Elite erschaffen, die aus dem Nichts entspringe, und die Gesellschaft somit ironisch-subversiv in Frage stellen (S. 51). Der Dandy, so belegt er an einem Zitat Lemaîtres, sei ein Illusionist, der seine Überlegenheit aus dem Nichts begründe.234 Der Nihilismus des Dandys ist demnach also nicht nur Bedrohung nur für die kapitalistische Gesellschaft, wie bei Mathieu, sondern für alle Gesellschaften, die auf elitären Prinzipien beruhen. Diese Taktik konkurriert zum einen mit dem ex-zentrischen Aufschieben des Ursprungs, da jeder einzelne Dandy als sein eigener Ursprung dargestellt wird. Zum anderen stellt sie aber auch die Grundlage der aristokratischen Distinktion in Frage. Frémiot kommentiert: »[C]omment mieux se dissocier de l’aristocratie qu’en la dominant, sans posséder aucunement la légitimité d’un titre?«235 Dieser taktische Widerspruch behandelt den Dandy zugleich als Verkörperung und als Antagonisten der Aristokratie, und demnach wird 231 232

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Frémiot: Du Dandysme et de la transgression, S. 200. Mathieu: Salut o.S., vgl. Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 316 ff., Eisenberg: The Figure of the Dandy, S. 4. Straub wiederholt dies in Bezug auf Oscar A.H. Schmitz (Straub: Enthemmung, S. 36). Wyss: Vom Verschwinden des Dandys, S. 35. Lemaître: Contemporains, S. 58, Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 58, vgl. Godfrey: The Dandy as Ironic Figure, S. 23. Frémiot: Du Dandysme et de la transgression, S. 199. Laver stellt Brummell als Symbol einer »conspiracy against aristocracy« dar (Laver: Dandies, S. 34, vgl. Pham-Thanh: Du Dandysme en Angleterre, S. 353, Coblence: Le Dandy, S. 346). Vgl. über Brummell: »[H]is terrible independence proclaimed a subversive disregard for the essentials of aristocracy.« (Moers: Dandy, S. 17) »Durch sein impertinentes Verhalten trägt er zur Auflösung der aristokratischen Etikette und zur Entwertung ihrer überlieferten ethischen Prinzipien bei.« (Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 17).

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dieser gleichzeitig sowohl als Opfer der gesellschaftlichen Demokratisierung, wie auch als erster und gewieftester Nutznießer der neuen sozialen Mechanismen dargestellt. Indem der Dandy selbstgenügsam seinen eigenen Ursprung darstellt, erscheint er als eine subversive Insel in der Gesellschaft, die mal heroisch Widerstand leistet, mal unwiederbringlich untergeht.

7 . 9 S e l b s t v e r l u s t u n d s e lf - f as h i o n i n g Das Ende des Dandys wird indes nicht nur mit der Gesellschaft, sondern mit ihm selbst begründet, wobei auch diese Behauptung auf die gesellschaftlichen Umstände zurückzuführen ist. Otto Mann konstatiert in Der moderne Dandy über den »ästhetischen Spättypus«, d.h. den Entwurf von Barbey, der Dandy, der »in das Zentrum seine Absicht stellt, original zu sein, verkündet sinkende Originalität um ihn herum […].« (S. 22) Im verzweifelten Versuch, Originalität zu behaupten, ergänzt Mann, sei der Dandy dem Untergang geweiht. Unter dem Hinweis, dass sich Barbey zum Katholizismus wendet, Huysmans ins Kloster flieht, Baudelaire katholisch wird und sich zu de Maistre bekennt, spricht er die »schließliche Tragödie« des Dandys aus: »[K]ein geschlossenes künstlerisches Bewußtsein trägt noch als schöpferische Kraft seine Existenz und läßt ihn in ihr sich verwirklichen.«236 Bei Mann wird der Dandy also zum Ausdruck für das Fehlen eines konsistenten Selbst, das in der Lage wäre, etwas Originelles zu gestalten oder zu äußern und so sein Heil in der Religion suchen müsse. Mann erklärt diesen Mangel an Kreativität im Sinne der Dekadenz eines Des Esseintes mit dem »Sinken in bloße Ichheit und Isolation nach außen«237. Anders als bei Barrès’ Lob des Nichts, ist die Isolation des Dandys hier nicht Distinktionsmöglichkeit, sondern Grund für seinen Untergang. Delbourg-Delphis sieht das Ende des Dandyismus ebenfalls im Fehlen eines konsistenten Selbst, was sie wiederum nicht mit der Dekadenz, sondern mit der modernen Fragmentierung der Identitäten begründet, in der kein einheitliches Selbstbild mehr entworfen werden könne: »Le dandysme qui est au XIXe siècle une sorte d’éclat, durable ou provisoire, au XXe siècle est éclaté; il resurgit déplacé dans des choix de comportements, des traits de caractères, sans désormais définir en entier un personnage.«238 Gemäß eines weit verbreiteten Diskurses über die Postmoderne verkündet sie die Versprengung des Dandys in verschiedene Fragmente, da Identität nur noch Patchwork sein könne. Auch Gnüg meint in Kult der Kälte über die Dandys:

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Mann: Der moderne Dandy, S. 107. Mit Bezug auf Wildes Darstellung des Verbrechers Wainewrigth, dem »vollkommenen Dandy« (S. 119), endet Manns Aufsatz mit dem Ende des Dandys, dem »nichts geblieben [ist] als seine letzte Konsequenz: Schamlosigkeit und Verbrechen.« (S. 120) Möglicherweise ist auch die kriminalpsychologische Untersuchung von Max Bruns (Bruns: Genie, Dandyism und Verbrechertum. Einige psychologische Anregungen) aus dem Jahr 1903 von Wildes Darstellung von Wainewright beeinflusst, auch wenn der Autor den Dandyismus am Werk von Dostojewski festmacht. Mann: Der moderne Dandy, S. 27. Vgl. zu Huysmans Klein: Dekadent, S. 15. Delbourg: Masculin Singulier, S. 56.

DIE TAKTIKEN DER BEHAUPTUNG | 283 »Die Nivellierung und »Amerikanisierung« der Gesellschaft, gegen die sie ihre ›unicité‹ und Originalität behaupteten, haben in radikalem Maße zugenommen […]. Das Zeitalter der Massenkommunikationsmittel, die mit Bild, Wort, Ton unablässig ihre Nachrichten aussenden, denen sich jeder einzelne gar nicht entziehen kann, hat eine ›Bewußtseins-Industrie‹ geschaffen, die das Konzept autonomer Individualität in Frage stellt.« (S. 316)

Dass die Behauptung der Originalität durch die Nivellierung der Gesellschaft unmöglich wird, überträgt Baudelaires alles verschlingendes Meer der Demokratie mit Adorno auf Amerikas Bewusstseinsindustrie. So sieht Gnüg die Tradition der dandyistischen Revolte im Kampf gegen Amerikas Kulturindustrie weitergeführt und betont zugleich, wie zuvor Baudelaire in Bezug auf die Demokratisierung oder Barbey auf die Puritanisierung, das erfolglose Ende dieser Auseinandersetzung. Neben dem Ende der Originalität beschwört sie dabei auch das Ende der Behauptung, auf das sie noch einmal zurückkommt: »Geistige Grundlage des ästhetischen Selbstentwurfs des Dandys war die Überzeugung, sich als autonomes Subjekt zu behaupten […]. Dieser Glaube ist dem Intellektuellen im fortschreitenden 20. Jahrhundert abhanden gekommen.« (S. 318) Indem sie den Intellektuellen als Dandy betrachtet, sieht sie in seiner postmodernen Skepsis das Ende des Dandys und behauptet somit das Ende der in Kapitel 4 dargestellten Selbstbehauptung als Subjekt. Dem steht konträr die Darstellung des Dandys gerade als ein sich selbst erschaffendes Subjekt gegenüber. Klaus Bartels sieht den Dandy in abweichender Deutung des Phänomens, das Delbourg-Delphis beschreibt, nicht als Opfer der Entwicklung, sondern im Gegenteil als beispielhaften Ausdruck eines fragmentierten, »postmoderne[n] Sozialisationstyp[s]«239, und Isabelle Pezzini schreibt über Brummell: »[D]ie Fähigkeit, ein harmonisches und unwiederholbares Ganzes zu schaffen, die Kleidung zu einem »Original« zu machen, als handelte es sich um ein Kunstwerk: Das gehört zum wichtigsten an dem Erbe, das der Beau der ganzen Mode und ihrer Ideologie vermacht hat.«240 Diese Behauptung des Dandys als Original ließe sich mit dem englischen Begriff fashion umschreiben, im doppelten Sinn von ›Mode‹ und ›etwas ausbilden‹, wie er seit dem 16. Jahrhundert insbesondere für die Formung eines Selbst benutzt wird.241 Lemaire stellt diese Inszenierung des Dandys als Kunstwerk nicht nur in Bezug auf die Mode dar, sondern überträgt Brummells anekdotische Behauptung »it is my folly that is the making of me« auf die Dandys im Allgemeinen: »Ils s’organisent […] en une œuvre élaborée pour masquer et révéler une personne, une œuvre dans l’élaboration de laquelle une personne se créait. Se faire: ›It is my folly that is the making of me.‹«242 Die Reflexivform se faire, mit der sich Lemaire hier auf Baudelaire bezieht, unterstreicht die These, dass der Dandy sich selbst in der Gesellschaft erschafft. Sie beinhaltet ein Sich-Produzieren in der Gesellschaft im doppelten Wortsinn, als Selbstbehauptung sowie als Selbsterschaffung. Carassus ergänzt im Sinne der Kapitalismuskritik des Dandys, das Sich-

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Bartels: Selbstverkunstung, Denaturalisierung, Auflösung, S. 225. Pezzini: Dandy, S. 93 f. Vgl. dazu ausführlich Greenblatt: Renaissance Self-Fashioning. Lemaire: Le Dandysme, S. 16.

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Produzieren beinhalte die Weigerung, im gesellschaftlichen Sinne produktiv zu werden: Anstatt etwas zu produzieren, produziere der Dandy sich selbst.243 Diese Vorstellung vom Dandy als Kunstwerk – die, wie Stanton im Kapitel »The self as art« zu Recht konstatiert, eine gängige Metapher ist244 – zeigt sich schon bei Barbey, der von Brummell weiß: »Il plaisait avec sa personne, comme d’autres plaisaient avec leurs œuvres.« (S. 693) Lemaître nimmt diesen Gedanken auf und überträgt ihn auf Barbey selbst, wenn er schreibt, dass Barbey nicht nur mit seinen Büchern, sondern auch mit seiner Person zu gefallen weiß: »[L]e chef d’œuvre de M. d’Aurevilly, c’est M. d’Aurevilly luimême.«245 Dieses Selbst als Kunstwerk nehmen viele wissenschaftlichen Untersuchungen als Ausgangspunkt für die Behauptung ihrer écrivains-dandys. Dabei finden sich die im vorigen Kapitel vorgestellten Konzeptionen von Originalität in all ihren unterschiedlichen Ausprägungen wieder.246 So wird das Kunstwerk Dandy einerseits im Sinne des Originalgenies als Schaffen aus sich selbst heraus, andererseits im Sinne von Baudelaires künstlicher Originalität behauptet. Ersteres bringt der friktionale Russelton gegenüber Pelham zum Ausdruck: »I came into the world with an inordinate love of glory and a great admiration for the original: these propensities might have made me a Shakspeare: they did more, they made me a Russelton!« (S. 134) In diesem Streben nach dem Originellen macht sich Russelton zu einem besonderen Original. Indem er angibt, er habe es zu mehr gebracht als »Shakspeare«, misst er sich mit diesem original genius und ordnet sein Streben nach Originalität diesem über.247 Moers meint in The Dandy in Bezug auf Baudelaire: »The dandy recognizes before all else ›le besoin ardent de se faire une originalité‹: not, that is, the need to be original (with the naïveté of a romantic or the extravagance of a Bohemian) but the need to make of oneself some-

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Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 61. Stanton: The Aristocrat as Art, S. 108. Lemaître: Contemporains, S. 60, vgl. 58. Scaraffia behauptet die Überlegenheit des Werkes des Dandys: »[L]e dandy est un artiste supérieur, puisqu’à la différence des autres créateurs il fait de sa vie une œuvre d’art.« (Scaraffia: Petit dictionnaire du dandy, S. 105, vgl. Mann: Der moderne Dandy, S. 2). Straumann sieht diese Performanz des Dandys wiederum als ultimativen Ausdruck des art pour l’art: »Der Dandy feiert die Selbsterfindung, das Annehmen einer Pose als Kunstform, die sich als l’art pour l’art ausschließlich auf sich selbst bezieht.« (Straumann: Queen, Dandy, Diva, S. 81) Die in Kapitel 5.5 und 5.6 geäußerte These, dass sich das l’art pour l’art keineswegs in kompletten Verzicht auf gesellschaftliche Bezüge äußert, lässt sich auch hier anführen, insofern als diese gesellschaftliche Nutzlosigkeit des Dandys sich nicht nur auf sich selbst bezieht. Indem er sich zu einem Kunstwerk macht, behauptet er gleichzeitig, dass es möglich sei, ein Selbst zu schaffen. Godfrey sieht darin eine Selbstironie, da der Dandy gemäß Wildes Diktum »All art is quite useless« seine eigene Nutzlosigkeit inszeniere (Godfrey: The Dandy as Ironic Figure, S. 32). Vgl.: »George Brummell was an original too, and a genius in his way […].« (Jesse: Brummell, S. 28) Huyghe unterstreicht den Einfluss von Chateaubriand auf den Dandyismus von Baudelaire und zitiert ersteren: »Le Moi, l’expression du Moi, devient le ressort principal de la création littéraire ou artistique. ›Me peindre à moi-même‹, disait Montaigne. ›Rendre compte à moimême de moi-même‹ énonçait Chateaubriand.« (Huyghe: Passionnés Lucides o.S.).

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thing original – as the artist creates an original work out of his own being.« (S. 282) Moers grenzt folglich die Originalität von der Extravaganz der Boheme ab und bringt sie in Verbindung mit dem Originalgenie als freiem Schaffen aus sich selbst heraus. So schließt sie das Konzept des Originalgenies mit der Vorstellung kurz, dass der Dandy selbst das Kunstwerk sei, das er schafft. Während Moers Baudelaires Begriff der Originalität also umdeutet als authentischen Ausdruck des Selbst, betonen andere Autoren stärker die Künstlichkeit in der baudelaireschen Originalität. So bezeichnet Michel Foucault in »Qu’est-ce que les Lumières?« den Dandy als einen Asketen, der aus seinem Körper und seinem Verhalten ein Kunstwerk mache (S. 570). Anders als für Moers besteht für Foucault dieses Kunstwerk allerdings nicht im authentischen Ausdruck des Selbst oder der Suche nach versteckten Wahrheiten, also nicht in der Selbst-Findung, sondern in der Selbst-Erfindung: »Cette modernité ne libère pas l’homme en son être propre; elle l’astreint à la tâche de s’élaborer lui-même.« (S. 571) Nicht von ungefähr ist für Foucault der Ausgangspunkt dieses souci de soi der prototypische Dandy Alkibiades,248 der Platon zufolge durch Schönheit provozierte und den Sokrates das beständige Arbeiten an sich (askēsis) sowie die Beschäftigung mit sich selbst (epimeleia heautou) lehrt.249 Auch Bourdieu spricht in Les règles de l’art von einer »culture (et non un culte) du moi« (S. 117). Und in seltenem Einklang mit Foucault und Bourdieu betont Sartre den existentialistischen Grundsatz der selbst entworfenen Existenz, der, wie auch Dieter Mettler sieht, ein Echo auf Baudelaires »se faire une originalité« ist. Sartre kommentiert, »peut-être doit-on perpétuellement se faire.«250 Baudelaires Entwurf des Dandyismus als »gymnastique propre à fortifier la volonté et à discipliner l’âme« (S. 711), sieht Sartre in Baudelaire dabei weniger als Ausdruck der Anglomanie, sondern der antiken Askese: »[I]l est d’abord dandy par peur de soi; c’est l’askèsis des Cyniques et de la Stoa.« (S. 168) Anders als Foucault, der die Askese als Allgemeinbegriff für die »culture de soi« verwendet,251 spricht Sartre konkret von der Askese der Kyniker und betont damit die Enthaltsamkeit des Dandys: Die asketische Arbeit, das Zurückhalten und Zügeln ermögliche das Bewusstwerden der Existenz.252 Den écrivain-dandy zeichne aus, dass er das romantische Unwohlsein an der Exis248 249

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Foucault: Résumé des Cours, S. 151, vgl. Foucault: Technologies, S. 789. Foucault: L’usage des plaisirs, S. 27, 85. Hadot kritisiert, Foucaults Ästhetisierung der Arbeit an sich selbst führe zu einer neuen Form des Dandyismus: »[E]n centrant trop exclusivement son interprétation sur la culture de soi, sur le souci de soi, sur la conversion vers soi […], en définissant son modèle éthique comme une esthétique de l’existence, M. Foucault […] propose une culture de soi trop purement esthétique, c’est-à-dire, je le crains, une nouvelle forme de dandysme, version fin du xxe siècle.« (Hadot: Culture, S. 267) Deleuze hingegen betont im bezeichnenden Aufsatz »La vie comme œuvre d’art« (1990) bei Foucault den ethischen Aspekt eines Leben als Kunstwerk (S. 137). Schwarz wiederum meint, die Betonung Foucaults auf der parrhesía, dem freien Sprechen, laufe dem Dandyismus zuwider (Schwarz: Frankness, S. 127 f.). Sartre: Baudelaire, S. 50, vgl. Mettler: Sartres Baudelaire, S. 141. Foucault: Résumé des Cours, S. 155. Vgl.: »Se tenir, se brider, c’est faire naître sous les doigts, sous les brides le soi que l’on veut posséder. De ce point de vue, le dandysme est une épisode de l’entreprise perpétuellement avortée de Baudelaire.« (S. 170).

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tenz als Herausforderung der Arbeit an sich selbst annehme und beständig an seinem Selbst arbeite (S. 171). Sartres existentialistischen Grundsätzen entsprechend ist dieses Schaffen nicht losgelöst von den anderen, sondern finde in Hinblick auf Baudelaire insbesondere im Bedürfnis, zwei zu sein, seinen Ausdruck (S. 30). Dies bedeute, einerseits sich dazu zu entschieden, für die anderen so zu existieren, wie man für sich selbst existiert, was Sartre als den von Bourdieu kritisierten »choix originel« von Baudelaire bezeichnet,253 andererseits sich selbst durch die Augen der anderen zu betrachten, um sich selbst zu verurteilen (S. 191). Wenn Sartre bemerkt, Baudelaires ganzes Werk würde in einem »jeu à qui perd gagne« den Schrei »Je suis Satan«254 ausstoßen, zeigt sich die bereits untersuchte Nähe zu Byron als Oberhaupt der satanic school. Sartre folgert, Baudelaire sei nur mit einem Schuldgefühl Dandy (S. 191) und stilisiere sich deswegen im Prozess der Fleurs du Mal als Bösewicht, um so einerseits die Richter zu verurteilen und sich andererseits, gemäß des byronschen parêtre, mit diesem Bild zu identifizieren, denn: »Ce dandy pervers et excentrique, c’est tout de même lui.« (S. 192) Somit deutet Sartre das parêtre als exzentrischer Dandy existentialistisch als einzige Möglichkeit, durch den Blick der anderen zu sich selbst zu finden. Während Camus kritisch fordert, der Dandy solle vom paraître zum faire übergehen,255 betont Sartre also den existentiellen Nutzen des Scheins: »Le dandysme, l’artificialité et la comédie visaient à le mettre en possession de lui-même.« (S. 201) Erst die Künstlichkeit, die Sartre im Dandyismus sieht, ermöglicht demnach das Formen eines Selbst. Das Kunstwerk, das der Dandy aus seiner eigenen Person macht, wird folglich weniger als Suche nach einem authentischen Selbst, sondern vor allem als ambivalente Artifizialität konzipiert.256 Lemaire erläutert: »L’artiste qui crée une œuvre d’art trouve son être dans cette création; l’œuvre, elle, se meut dans le paraître. Mais le dandy est l’œuvre qu’il veut créer et manifester au monde; comme le comédien, son être est donc dans son paraître.«257 Aus dem Erschaffen des Kunstwerks entsteht kein authentischer Ausdruck, sondern eine unauflösbare Oszillation zwischen être und paraître. Byrons parêtre als friktionales Oszillieren zwischen der Eigenschaft als Autor fiktionaler Gedichte und der Identifikation mit seinen Helden wird also von der Beziehung zwischen Autor und Werk auf die Beziehung Autor und Selbst übertragen. Belege für diese These lassen sich in unterschiedlichen Variationen immer wiederfinden.258 Anders als der honnête homme z.B. bei Méré, der 253

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Sartre: Baudelaire, S. 243. Baudelaires »choix originel« bildet insofern eine Ausnahme, als Sartre in L’être et le néant betont, der Mensch sei sich dieser Wahl nur präreflexiv bewusst (vgl. Mettler: Sartres Baudelaire, S. 143). Sartre: Baudelaire, S. 124. Dieses selbstanklägerische jeu à qui perd gagne ist also von demjenigen Bourdieus, das den Gewinn von symbolischen durch Verzicht auf ökonomisches Kapital beschreibt, grundlegend verschieden. Camus: L’Homme Révolté, S. 463, vgl. Genova: Terrorism with Style, S. 85. So verbindet auch Wiener den Begriff des dandysme mit dem des Künstlichen (Wiener: Eine Art Einzige, S. 39 ff.) und Fratz schreibt: »Selbst zum Kunstwerk stilisiert versucht der Dandy sein persönliches Umfeld immer weiter zu verkünstlichen.« (Fratz: Dandy und Vampir, S. 28). Lemaire: Le Dandysme, S. 79. Vgl.: »Paraître, c’est être pour les Dandys, comme pour les femmes.« (Barbey: Du Dandysme, S. 703 FN) Lemaître wiederum bemerkt, dass man auch bei Barbey nicht unterscheiden könne, was das wahre Gesicht, was die Maske

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die honneteté zu seiner Natur machen und, indem er sie völlig verinnerlicht, die Dichotomie zwischen être und paraître auflösen will,259 überwindet der Dandy dies in der komplexen Verschmelzung im parêtre. Wenn Scaraffia schreibt, »dans une société artificielle, seul l’artifice permet de préserver le naturel«, nimmt er dabei die Idee von Barbey auf, Brummells grâce sei eine »grâce qui se fausse pour être mieux sentie dans une société fausse […].«260 Lemaire betont den konstruktiven Aspekt dieses parêtre: »[L]e dandy choisit le paraître au lieu de l’être. Mais lorsque le paraître est vécu aussi profondément, lorsque le masque non seulement colle au visage, mais devient le visage, n’atteint-on pas à nouveau l’authenticité?«261 Somit wird das parêtre des Dandys als Möglichkeit konzipiert, sich als Subjekt zu behaupten, ohne auf ein konsistentes und authentisches Selbst zurückzugreifen. Während Byrons Zeitgenossen ihm sein parêtre noch zum Vorwurf der inkonsistenten Persönlichkeit machten, wird es hier als einzige für den Dandy in Frage kommende Möglichkeit dargestellt, sich als Kunstwerk zu behaupten.

7.10 Auraverlust und Reproduzierbarkeit Ein weiterer Grund für das Ende des Dandys wird in der technischen Reproduzierbarkeit gesehen, denn wenn der Dandy als Kunstwerk anzusehen ist, so die zugrunde liegende Argumentation, müsse somit sein Auraverlust in Betracht gezogen werden. Bekanntlich deutet Benjamin Baudelaires »Perte d’auréole« als das Schlüsselerlebnis der Moderne und spricht vom Ende des Dandy-Flaneurs durch »die Zertrümmerung der Aura im Chockerlebnis.«262 Während Fratz im Anschluss an Benjamin die »Aura von Individualität und Unabhängigkeit«, die »gelassene Kühle und Aura«, welche den Dandy anziehend mache, die Geheimnisse mit Erwartungsaura, welche der Dandy

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sei: »[S]i c’est un masque, quel prodige de l’art!« (Lemaître: Contemporains, S. 61, vgl. Delbourg: Masculin Singulier, S. 104) Neben Pham-Thanh, der von der »équation de l’être au paraître« spricht (Pham-Thanh: Du Dandysme en Angleterre, S. 73), äußert auch Bechtel: »Avec Brummell, on ne sait jamais, ›ce qu’il y a derrière‹. C’est le vieux problème philosophique de l’être et du paraître.« (Bechtel: Livre des bizarres, S. 519) Vgl.: »For the dandy’s persona comprises a series of antitheses […] which are structured by the binary paraître/être […]. The self-as-art in dandyism consistently provokes the audience to search for the genuine self in a maze of receding mirrors. Exploiting the binary, the dandy mystifies by both revealing and concealing, affirming and denying, through le paraître, the presence and the absence of l’être.« (Stanton: The Aristocrat as Art, S. 189) »Être, pour le dandy, être c’est assurément paraître, mais plus encore, paraître c’est être.« (Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 61) »The dandy is a master of the game between the être and the paraître […] He aims to transform life into art, self into chef-d’œuvre.« (Genova: Terrorism with Style, S. 79) »Hinter den Masken, die er verbrauchte, wahrte der Dichter in Baudelaire das Inkognito.« (Benjamin: Charles Baudelaire, S. 601). Vgl. Stanton: The Aristocrat as Art, S. 187. Scaraffia: Petit dictionnaire du dandy, S. 77, Barbey: Du Dandysme, S. 715 f. Lemaire: Le Dandysme, S. 68. Benjamin: Charles Baudelaire, S. 653. Vgl.: »Die Bedeutung des Stückes Perte d’Auréole kann nicht überschätzt werden. Es ist […] darin von außerordentlicher Pertinenz, daß es die Bedrohung der Aura im Chockerlebniss zur Geltung bringt.« (Benjamin: Passagen-Werk, S. 474 f. [j84 a, 5]).

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kreiere, sowie seine »stoisch überlegene Aura«263 betont, elaboriert Coblence diese Anwendung der Aura auf den Dandy, wenn sie mit direktem Bezug auf Benjamin von der Aura der Bekleidung des Dandys spricht, welche aus dieser mehr als einen Gegenstand mache.264 Schickedanz zufolge strebt der Dandy nach formvollendeter Kleidung, nach schönen Dingen und nicht nach »Waren, die auf Grund ihrer Reproduzierbarkeit verständlicherweise ihren ›Wert‹, ihre Aura verloren haben.«265 Deutlicher kontrastiert Erbe Wildes »spektakuläres Dandytum« mit der »quasi-religiösen Aura«, mit der Barbey und Baudelaire den Dandyismus ausgestattet haben, und stellt sich die Frage nach dem »Überleben des Dandys im Zeitalter der Massenkultur«266. Implizit setzt er somit voraus, dass der Dandy, ähnlich wie das auratische Kunstwerk, durch Massenproduktion dem Untergang geweiht sei. Eindeutiger versichert Gnüg in Kult der Kälte, der Dandy bedürfe der Aura wie kein anderer (S. 23) und widmet dem »Verschwinden des Dandys im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit der Kunst« ein Kapitel (S. 313-320), in welchem sie in Bezug auf Benjamins Postulat des Aura-Verlusts den »endgültigen Untergang« des Dandys konstatiert (S. 317, 320). Allerdings ist hier ein wesentlicher Unterschied zu Benjamin zu betonen. Denn während Benjamin im Kunstwerk-Aufsatz vom Auraverlust spricht, um gleichzeitig die neuen Möglichkeiten des reproduzierbaren Kunstwerks, etwa in Film und Fotografie herauszuarbeiten (S. 485-508), folgern Erbe und Gnüg aus dem Auraverlust das unwiederbringliche Ende des Dandys. Mit Seemann, der in Copy die Aura als ein frühes Konzept des schwarzen Originals bezeichnet (S. 74), lässt sich die beschworene Aura des Dandys in die Taktik einordnen, Brummell oder einen idealtypischen Dandy als dem Untergang geweihtes und somit unerreichtes Original zu statuieren. Doch während Benjamin die Aura anführt, um die Auswirkung der Technologie auf die Kunst herauszuarbeiten, dient die Aura des Dandys der Behauptung seiner Einzigartigkeit als schwarzes Original und als Figur, die dem 19. Jahrhundert vorbehalten bliebe.267 Demgegenüber steht die Taktik, die Performanz des Dandys in Bezug auf jeweils zeitgenössische Entwicklungen der Kunst zu betrachten, neu zu interpretieren und das Kunstwerk Dandy als Inbegriff der jeweils aktuellen künstlerischen Entwicklung zu behaupten. Ähnlich wie in Bezug auf die Nachrufe auf den Dandy, erzählen auch hier diese Behauptungen des Dandys eine kur263 264

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Fratz: Dandy und Vampir, S. 7, 27, 32, 88, vgl. Pham-Thanh: Du Dandysme en Angleterre, S. 12. Coblence: Obligation d’incertitude, S. 73. Sie ergänzt, dass der Dandy sich zu einem Gegenstand mache und bezieht sich dabei auf Agamben, der in der désinvolture des Dandys eine neue Strategie sieht, mit den Dingen als Ware umzugehen und zur Verkörperung der Verdinglichung (»chosification«) wird (vgl. Coblence: Obligation d’incertitude, S. 105, 257). Dem liegt indes ein Missverständis zu Grunde, denn Agamben deutet Barbeys Zitat »il s’éleva au rang d’une chose: il fut le dandysme même« als Dingwerdung des Dandys, indem er nur den ersten Teil des Satzes (in der deutschen Übersetzung) zitiert: »Er erhob sich in den Rang eines Dings«. Ebenso deutet er Balzacs Kritik des Dandys als »mannequin« als positive Beschreibung der Ding-Werdung des Dandys (Agamben: Stanzen, S. 91). Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 120. Erbe: George Brummell und Charles Baudelaire, S. 592. Dass die Aura der Reproduktion nicht präexistent war, sondern erst durch Benjamins Diskurs der Reproduzierbarkeit eben behauptet wurde, unterstreichen Seemann: Copy, S. 77, Gumbrecht: Mapping Benjamin, S. 201.

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ze Geschichte der medialen Veränderung in der Moderne. Und auch wenn dies nicht immer in Rückgriff auf Benjamin vollzogen wird, ist hierin doch die konsequentere Anwendung seiner Thesen zu sehen. Zunächst lässt sich eine beeindruckende Reihe von Künstlern als Dandys aufstellen, die u.a. von Théodore Géricault, Gustave Courbet, Fernand Khnopff, Manet, Marcel Duchamp, Andy Warhol, Jacques Monory, Gilbert & George bis hin zu den Professoren der Düsseldorfer Kunstakademie Joseph Beuys, Jörg Immendorff und Markus Lüpertz reicht.268 Diese Reihe von Künstlern als Dandys spiegeln dabei auch zentrale Entwicklungslinien in der Kunst wider. Die Behauptung Duchamps als Dandy, der wohl als erster konsequent mit den Mechanismen des Kunstmarktes gespielt hat, unterstützt Bourdieu, der im Sinne des parêtre sagt, dessen Kunst sei nicht nur die Kunst, ein Werk zu produzieren, sondern auch die Kunst, sich zu produzieren.269 Die Pop-Art des behaupteten Dandys Andy Warhol zeigt im Anschluss daran, wie der Dandyismus die Reproduktion zu dem Prinzip seiner Kunst und sich selbst zum »Massenprodukt« macht.270 Die Performance-Künstler Gilbert & George als Dandys können wiederum als Parodie par excellence des Versuchs gesehen werden, sein Leben zu einem Kunstwerk zu machen. In Gilbert & Georges Kunstwerk The Singing Sculpture (1969), das nur aus ihnen selbst besteht, die auf einem Sockel in einem Museum zu bewundern sind, präsentieren sich die »sculptors, in their sculpture«271. Dass sie folglich in Laws of Sculpture (1969) den Grundsatz aufstellen, man solle als Sculptor immer perfekt angezogen sein, bezeichnet auch Poschardt als »Dandytum«272. Schickedanz führt diese performativen Strategien der Kunst auf Barbey zurück und vergleicht den Dandy mit dem Aktionskünstler: »[M]it anderen Künstlern vergleichbar, wie etwa dem Maler, dem Sänger oder dem Schriftsteller, so kann auch der Dandy als Künstler bezeichnet werden, wenngleich seine »Werke«, wie die des Aktionskünstlers, freilich ephemerer Art sind […]. Mit der Hervorbringung jenes ›Gesamtkunstwerks‹ ist der Dandy Künstler und Kunstwerk zugleich.«273 Schickedanz sieht die Inszenierung des Dandys als Künstler demnach nicht mehr als Metapher, sondern betrachtet den Dandy tatsächlich, wie bei der Selbstinszenierung von Gilbert & George, als ein zeitgemäßes Kunstwerk, d.h. als Happening oder Performance; analog zur performance art, welche der Notion des unvergänglichen Kunstwerks die Flüchtigkeit des künstlerischen Schaffens und spezifisch kreativen Tuns gegenüberstellen will.274

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Vgl. Chénique: Géricault, S. 143, Spies: Der Aufstand der Provinz, Smet: Khnopff, S. 189, Körner: Manet, S. 120, 174-184, Fillin-Yeh: Dandies, Marginality, and Modernism, S. 135, Le Bot: Warhol, S. 55 sowie Erbe: Der moderne Dandy, S. 34 ff., Lyotard: Assassinat, S. 61, Gayford: Suit, S. 108, Ottinger: Immendorff, S. 41 (vgl. Karcher: Punk unter Dandys, Koch: Ich bin zu sehr noch hier, S. 48, Meister: Lüpertz). Bourdieu: Les règles de l’art, S. 339. Erbe: Der moderne Dandy, S. 34. Zit. n. Poschardt: Cool, S. 123. Poschardt: Cool, S. 127. Allerdings sagt George selbst in einem Interview »Wir sind keine Dandys«, bezeichnet aber wiederum Andy Warhol als Dandy (Liebs: Das Kunstwerk sind wir, S. 13). Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 21. Vgl. Fiebach: Performance, S. 741.

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Scaraffia und Coblence ergänzen dabei, dass der Dandy aus seinem Leben ein Kunstwerk mache, um dem bürgerlichen Universum die Vergänglichkeit allen Tuns zu demonstrieren: »Que la vie soit œuvre, qu’elle soit la seule et la plus grande œuvre, tout en étant œuvre périssable, tel est, sans doute, ce qui fascine dans le dandysme […].«275 Indem sie die Flüchtigkeit des Kunstwerks Dandy betont, argumentiert Coblence teleologisch, der Dandy habe das Prinzip der zeitgenössischen Kunst durch das Schaffen eines flüchtigen und beweglichen Kunstwerks antizipiert.276 Carassus betont, der Ausspruch des Happening-Künstlers J.-J. Lebel, »Aujourd’hui, c’est la vie, minute par minute, qui est une création, qui est l’art«, sei der Ausspruch eines Dandys.277 Die von Barbey dargestellte Flüchtigkeit im Dasein als Dandy wird so zu einer bewussten Selbstinszenierung als Künstler und Kunstwerk im Zeitalter der performance art gemacht. Zudem wird diese Volatilität des Dandyismus als kritische Auseinandersetzung mit der überkommenen Vorstellung des traditionellen Kunstwerks konzipiert und lässt den Dandy – ähnlich der performance art – alte Strukturen in der Betrachtung des Kunstwerks aufbrechen. Für Stanton schafft das Kunstwerk Dandy den Grundsatz der ars aeterna ab, und Coblence bezeichnet das Kunstwerk Dandy mit dem neufranzösischen Begriff »work in progress«, welche die Flüchtigkeit des modernen Kunstwerks betone.278 So spiegelt der Dandy hier gleichzeitig das Eindringen amerikanischer Unternehmersprache in die Alltagssprache wider. Während der Vorstellung, der Dandy als Kunstwerk verliere seine Aura in der Reproduktion, also eine jeweils ›moderne‹ Konzeption des Kunstwerkes entgegenstellt wird, elaboriert Coblence den Dandy zu einem bereits auf Reproduktion angelegten Kunstwerk. Zwar stellt sie Brummell als unkopierbares schwarzes Original dar, allerdings sieht sie ihn zudem als Simulakrum, damit meint sie hier: als Phantasma, da er, wie schon Baudelaire schreibt,279 nur vor dem Spiegel existiere: »Ce simulacre est éminemment paradoxal: réplicable à l’infini, il reste pourtant impossible à copier par autrui, inimitable. L’absence de distinction entre le simulacre, la copie et le modèle constitue le fondement du dandysme, et la condition de son originalité.«280 Der Dandy wird somit zu einem auf Reproduktion angelegten weißen Original, bei dem Brummell sich zwar im Spiegel reproduziert, aber in dieser Konstellation ein schwarzes, unkopierbares Original darstellt.281 Während Coblence die Reproduktion des Dandys auf das Spiegelbild beschränkt, bezieht sich Walden auf die Reproduzierbarkeit des Dandys im Allgemeinen: »Brummell was an ›original‹ in an exclusive society, while the celebrity’s 275 276 277 278 279

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Coblence: Obligation d’incertitude, S. 9, vgl. Scaraffia: Petit dictionnaire du dandy, S. 105. Coblence: Obligation d’incertitude, S. 11. Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 174. Stanton: The Aristocrat as Art, S. 182, Coblence: Obligation d’incertitude, S. 11. «Le dandy doit aspirer à être sublime sans interruptions; il doit vivre et mourir devant un miroir« (Baudelaire: Œuvres, Bd. I, S. 678), vgl. Barbey: Du Dandysme, S. 692 FN, Scaraffia: Petit dictionnaire du dandy, S. 149, Zima: Vom Dandy zum Künstler, S. 415, Pham-Thanh: Du Dandysme en Angleterre, S. 35, 44, Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 301, Maubé: Dandysme, S. 50. Coblence: Obligation d’incertitude, S. 142. Vgl. Seemann: Copy, S. 18.

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dress code and persona are semi-commercial commodities, devised to be reduplicated in the clubs, bars and shopping malls of half the planet.«282 Walden elaboriert das Paradox der Unnachahmlichkeit Brummells und der tatsächlichen Existenz seiner Nachahmer in einer Beziehung zwischen Original, Kopie und Simulakrum, die eine Brücke schlägt zwischen historischem Brummell und Dandyismus als aktuellem globalem Phänomen. So setzt sich der Dandy nicht nur über den Unterschied von Original und Kopie, sondern auch über die zeitliche Differenz zwischen Brummell und seinen ewigen Nachahmern hinweg. Dabei behauptet Walden gleichzeitig die schwarze Originalität des unkopierbaren Dandys Brummells sowie seine Existenz als Vorlage für eine globale, industrielle Erzeugung. Im Sinne Baudrillards wird der Dandy somit zu einem industriellen Simulakrum, das auf seine Reproduzierbarkeit hin angelegt wird.283 Tatsächlich ist bereits in der Dandy-Literatur des 19. Jahrhunderts eine Reproduktion des Dandys zu sehen, für die sich zwar nicht das Simulakrum, sondern die von Seemann in Copy in Anlehnung an Baudrillard beschriebene dreistellige Reproduktion als prägendes Motiv erweist (S.221 f.): Für die beginnende kapitalistische Gesellschaft, in der diese Romane ja entstanden sind, kennzeichne sich die Reproduktion durch ein Ur-Bild, im Falle der Fotografie etwa des Fotografierten, dem Vor-Bild (bei der Fotografie das Negativ), sowie dem Ab-Bild (Foto) (S. 59). Diese von Seemann beschriebene Struktur lässt sich auf viele der besprochenen Romane übertragen, denn in der Tat ist auffällig, dass den Dandy-Protagonisten zumeist eine Bezugsperson zur Seite gestellt wird, die sie in den Dandyismus einführt, sodass das Ur-Bild Brummell nie direkt kopiert wird, sondern erst durch ein Vor-Bild, d.h. eine Nebenfigur, die auch tatsächlich eine Vorbildfunktion hat, zu ihrem Ab-Bild im Protagonisten des Romans wird. In Bulwer-Lyttons Pelham ist die friktionale Brummell-Figur Russelton das Vor-Bild für Pelham als AbBild, bei Gautiers »Daniel Jovard« ist Ferdinand Vor-Bild für das Ur-Bild Byron und Daniel Jovard das groteske Ab-bild, in Wildes The Picture of Dorian Gray ist Lord Henry das Vor-Bild, dessen immenser Einfluss auf Dorian explizit thematisiert wird (S. 17 f.). Auch in Stendhals Le Rouge et le Noir wird Julien Sorel vom »Prince Korasoff«, den er das erste Mal in London trifft, in den Dandyismus eingeführt und bekommt die Regeln der »haute fatuité« beigebracht (S. 599). Als er nach Paris zurückkehrt, heißt es: »Julien était un dandy maintenant, et comprenait l’art de vivre à Paris« (S. 602). Der Erfolg bei der Eroberung von Mathilde de La Mole, stellt sich erst ein, als er das zweite Mal auf Korasoff trifft, diesmal – analog zu Brummells Lebenslauf – in Frankreich. Dann erst gibt ihm Korasoff den Ratschlag, Mathilde mit Liebesbriefen an Mme de Fervaques eifersüchtig zu machen, was auch zum Erfolg führt (S. 703 f.). In Balzacs Illusions Perdues, ist es Henry de Marsay der das Vor-Bild für Lucien de Rubempré ist: »je lui donnerai des conseils qui en feront le plus heureux dandy de Paris« verspricht de Marsay der Geliebten Luciens, Mme de Bargeton (S. 279), wobei nicht zuletzt die Ähnlichkeit des Namens den Comte d’Orsay als das Ur-Bild für das Vor-Bild de Marsay identifizieren lässt.284 Die literarische Darstellung dieser Reproduktion der Ur-Bilder Brummell, Byron oder de Marsay basiert dabei auf der 282 283 284

Walden: Who is a dandy, S. 56. Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod, S. 89. Vgl. Fortassier: Les Mondains de la Comédie Humaine, S. 359.

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friktionalen Identifikation der literarischen Helden mit den historischen Dandys. Dass die Protagonisten also alle über ein Vor-Bild zum Dandyismus gelangen, spiegelt die Prinzipien der industriellen Reproduktion wider und gibt gleichzeitig dem durch eben diese Industrialisierung begünstigten Bürgertum mit den friktionalen Ab- und Vor-Bildern die Blaupause in die Hand, um Brummells Einstieg in die High Society zu kopieren. Während der Dandy hier also zu einem mittels friktionalen Vor-Bilds reproduzierbarem Kunstwerk wird, präsentiert Susan Sontag ihn als Vorbild (im herkömmlichen Sinn) für den Umgang mit der industriellen Reproduktion.285 Auf den Schriften von Oscar Wilde aufbauend, beantwortet sie in »Notes on Camp« die Frage, wie die Lebenseinstellung des Camp als »Dandyism in the age of mass culture« angesichts der technischen Reproduktion und medialen Vermittlung der Kulturgüter den Dandyismus in das heutige Zeitalter retten könne (S. 116). Während der dekadente Dandyismus noch die Vulgarität verabscheut habe, begrüße Camp, der »new-style dandy«, sie (S. 117) und indem er dabei sämtliche Erscheinungen seiner Zeit in Anführungsstrichen betrachte, nehme er eine ironisch-distanzierte Haltung zu allem ein (S. 109) und lerne so, Massenprodukte auf besondere Art und Weise zu besitzen (S. 116). Sontag verortet Camp also weniger in den Dingen an sich, sondern im Auge des Betrachters.286 Somit kultiviere der Dandy der Massenkultur nicht wie Des Esseintes einen exquisiten Geschmack, sondern einen besonders schlechten, jedoch originellen Geschmack, einen »good taste of bad taste« (S. 118), was man mit Seemann als Distinktion zweiten Grades bezeichnen könnte: »Nicht was, sondern wie man etwas mag, distinguiert dann.«287 In diesem Sinn stellt auch Kastura fest, da die äußerlichen Attribute, mit denen der Dandy »Originalität behauptet«, allen verfügbar seien, komme es nicht mehr auf das ›Was‹, sondern das ›Wie‹ an.288 Eine besondere Art der Behauptung der Originalität, die freilich bereits bei Gautier zu finden ist, der die Nachahmung des ›originellen‹ Dandys innerhalb seines eigenen Literatenkreises ironisiert. Sontag indes bezieht die Dominanz des ›Wie‹ vor dem ›Was‹ in erster Linie auf den Besitz von Dingen und gibt unterschiedliche Gegenstände wie Tiffany-Lampen, die Werke von Jean Cocteau, StraussOpern und Flash Gordon Comics als Kanon von Camp an (S. 107). Die Unterscheidungen zwischen ›ernster‹ und ›Unterhaltungsmusik‹, zwischen Literatur und Trivialliteratur, Hoch- und Massenkultur usw. werden folglich ausgehebelt. Damit stellt sich Camp als Lösung des postmodernen Dilemmas der Beliebigkeit dar, in dem Martinon ja das Ende des Dandys begründet sah, indem Camp nicht etwa einen neuen Stil entwickelt, sondern vielmehr die Fähigkeit ausdrückt, aus der Fülle an existierenden Gütern eine Auswahl an Vorlieben zu treffen, die trotz ihrer Diversität in der Inszenierung der eigenen Person zusammengeklammert werden können. Sontag folgert also: »Camp

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Bereits Frémiot stellt den Dandy nicht nur als Kunstwerk, sondern auch als ästhetischen Überlebenskünstler dar: »Le dandy incarne le paradoxe de la modernité, flottant constamment sur l’espace tangent de la multitude et de l’individualité, de l’anonymat et de la différence, de la transgression et de l’obéissance.« (Frémiot: Du Dandysme et de la transgression, S. 202). Vgl. Ross: Uses of camp, S. 10. Seemann: Copy, S. 33. Kastura: The World is my Oyster, S. 417 f.

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taste transcends the nausea of replica.« Während der auratische Dandy der Reproduktion zum Opfer fällt, wird Camp als beispielhafter Umgang damit konzipiert. Im Second Manifeste Camp, einer Weiterschreibung von Sontags Ideen, betont Mauriès, Camp gehe spielerisch mit den Waren des Kapitalismus um, ohne dessen Ideologie der Gütervermehrung zu folgen (S. 27): Camp bevorzuge vor der Wiederholung die Reproduktion und die Imitation und beweise eine positive Vision des Zusammenhangs zwischen Original und Kopie (S. 45). Auch in literarischer Hinsicht forciere Camp die Verwechslung von Original und Nachahmung (S. 36). Während eine Taktik die Unerreichbarkeit des Dandys als Original behauptet, wird Camp als »new style dandy« zum Ausdruck der Auflösung von Original und Reproduktion. Andrew Ross deutet Camp dabei als Möglichkeit des konsumkritischen Umgangs, indem er den engen Zusammenhang von Camp und Pop betont: Während Pop aber nur die Oberfläche der Massenprodukte betrachte, lenke Camp die Aufmerksamkeit auf die Herstellung dieser Produkte und decke dadurch den Aspekt der Produktion und Erzeugung von kultureller Macht auf.290 Obgleich als Feind des Camp dargestellt (S. 79), beruht der von der Agentur Bilwet dargestellte Daten-Dandy auf einem ähnlichen Prinzip, indem er Innovation durch individuelle Kombination von bereits Existierendem beweist. Die Autoren dieses Kollektivs verbinden den Dandy mit dem Internetsurfer und finden so den baudelaireschen Dandy-Flaneur im world wide web wieder: »Was die metropolitane Straße für den historischen, ist das Netz für den elektronischen Dandy. Das Flanieren längs des Boulevards kann nicht verboten werden.« (S. 78) Wie der Flaneur Eindrücke auf der Straße aus reiner Neugierde suche, sammle der Daten-Dandy im Internet eine Fülle an Informationen in völlig beliebiger Zusammenstellung. Die einzige Kontinuität sei in der Person des Daten-Dandy selbst und seiner dandyistischen Art und Weise der Präsentation gegeben (S. 79). In der Verbindung mit dem Internetsurfer wird der Daten-Dandy somit zu einer Person, welche die unendliche Informationsvielfalt des Internets in sich selbst bündelt und eine Auswahl trifft, die nicht mehr den unmöglichen Anspruch aufrechterhalten möchte, repräsentativ zu sein, sondern es ihr ermöglicht, sich durch die Weitergabe der Informationen selbst zu präsentieren.291 Der Dandy als Kunstwerk erweist sich somit als Opfer und Symptom, zugleich aber auch als Instrument und Verkörperung der technischen Reproduzierbarkeit des modernen Lebens.

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Sontag: Camp, S. 116. Wenn Garelick in Bezug auf Jonathan Dollimores Sexual Dissidence: Augustine to Wilde. Freud to Foucault ganz im Sinne des parêtre Camp definiert als Überblenden eines biographischen Selbsts mit einem fiktionalen Helden, bei dem sich keine wahre Person unter der Oberfläche befinde (Garelick: Rising Star, S. 18), zeigt sich der Zusammenhang mit dem Dandy, den sie als Vorläufer des Starkultes präsentiert und beider Gemeinsamkeit mit der Behauptung Byrons. Ross: Uses of camp, S. 15. Anhand des Films The Betsy von Daniel Petry (1977), der gleichzeitig als konventionnelle Geschichte wie als metamediale Parodie gesehen werden könne, beschreibt auch Kleinhans Camp als neuen Umgang mit der Massenkultur (Kleinhans: Taking out the Trash, S. 184). Aus ähnlichem Grund bezeichnet Jörg Lau Norbert Bolz als »Dandy der Medientheorie« (Lau: Dandy der Medientheorie).

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7 . 1 1 G l a n z u n d E l e n d i n d e r P o p k u l tu r Ein weiterer Nachruf auf den Dandy wird im Zusammenhang mit dem Auftreten der Popkultur angestimmt. Bereits 1963 betont Emil Maurer in seiner Studie zum Spätbürger in Anlehnung an Barbey, das Ende des Dandyismus sei in der Uniformisierung der Gesellschaft und dem Aufmarsch der »Populärkultur« (S. 162) zu sehen. Dabei sieht er, anders als die genderorientierten Untersuchungen, welche die Androgynie betonen, den Playboy als letzte Verkörperung des Dandyismus an, der aus »dem einförmigen Grau der heutigen maßstablosen Gesellschaft technisch organisierter Massen« heraussteche. Allerdings sei dieser nur ein »degenerierter Epigone des Dandys«, »völlig unheroisch«, ein »halbgarer Nachkomme«, der nicht wie der Dandy dem arrivierten Bürgertum imponiere, sondern lediglich die Bewunderung des »kleinen Mannes« erhalte, für den er eine unerreichbare Welt verkörpert: »Der Playboy ist folglich nicht provozierend, wie es der Dandy war, vielmehr faszinierend als trefflicher Schauspieler seines oft lasterhaften Glückes. Ein Beweis mehr für die Verflachung der Populärkultur unseres stürzenden Jahrhunderts, die bei allem Prominentenkult, Starfimmel und Playboyrummel eine unsagbare Armut aufweist an Originalen.« (S. 162) Maurer bewertet das Ende des Dandyismus im Kontext einer medialisierten Gesellschaft neu. Demnach bezeugt nicht, wie bei Barbey, die Konventionalität der Gesellschaft, sondern das Bedürfnis des insbesondere durchs Kino geförderten Personenkults den wahren Mangel an Originalität. Die Verflachung des Dandys zum Playboy spiegle infolgedessen die Verflachung der Gesellschaft von originellen Dandyfiguren zum »Playboyrummel« der Unterhaltungsmedien wider. Auch Schumann, der den Dandy als Phänomen des kulturellen Verfalls betrachtet, bezeichnet den Playboy als »der DandyGeneration letztes Produkt« (S. 125). Ebenso betont Carassus im Mythe du Dandy, während der Dandy sich noch auf einem klar umrissenen gesellschaftlichen Areal bewege, sei die Darstellung des Playboys im Zeitalter des Massenmediums eine massentaugliche Popularisierung, die er als immanente Bedrohung für den Dandyismus ansieht (S. 176). Durch diese Verflachung sei dem Dandy die tiefe Originalität verloren gegangen: »L’excentricité a remplacé l’originalité […] les vedettes de la mondanité sont réduites à une figuration bonne tout au plus pour les communiqués mondains du Figaro.« (S. 176) Die Gegenüberstellung von originalité und excentricité verrät hier eine andere Konzeption als bei Barbey: Für Carassus ist die originalité Ausdruck der romantischen Revolte gegen die herrschende Ordnung: »Pour que le dandysme put naître, il fallait que la notion d’individualité, et mieux encore celle d’originalité se fussent opposées au strict conformisme social«, (S. 67) schreibt er an anderer Stelle. Die excentricité, dies bringt das vorangegangene Zitat zum Ausdruck, beinhaltet lediglich den oberflächlichen Versuch, durch eine spektakuläre Aktion in den Blickpunkt des Interesses zu gelangen. Auch für Boüexière/Favardin diene die zeitgenössische Exzentrik nur dazu, um jeden Preis aufzufallen: »Les punks ne sont ni des excentriques ni des muscadins ou des incroyables, moins encore des libertins […]. Il en va de même de ces êtres tapis dans leur look. Leur excentricité ne répond qu’au désir de se faire image.« (S. 208) Somit wird zwischen einer authentischen excentricité des Dandys und der Exzentrik der Punks als reiner Pose unterschieden, um das Ende des Dandyismus zu verkünden. Kategorisch folgern

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sie: »[L]e dandysme est mort irrémédiablement, et s’il s’est réincarné, nous ne le savons pas encore.« (S. 209) Dabei sagen sie nicht nur den Dandy tot, sondern künden nahezu messianisch von dessen möglicher Wiederkehr. Boüexière/Favardin zum Trotz, die den Tod des Dandys 1988 in der Konzeptlosigkeit der Jugend begründet sehen, die sich beim Punk oder auch dem »branché« der 80er Jahre manifestiere,292 verortet Andreas Zielcke den Dandy bei den Punks: »Die Hoffnung der Punks wie aller Dandys, sie seien Originale, erwies sich als flüchtig. Dandyismus ist die ständige Revolte des Individuums gegen den umgekehrten Genieverdacht, den es gegen sich selbst hegt, den Verdacht, es sei eine bloße Nachahmung.«293 Demnach wird das Streben nach Originalität als Konstante des Dandys verankert, das vom Originalgenie bis hin zum Punk reicht. Zielcke diagnostiziert in seinem Umfeld folglich den aktuellen »Popdandy«, den er bei jüngeren Kulturredakteuren seiner Zunft sieht, gemäß der ebenso von Brunn geäußerten Erkenntnis, dass der Dandy gerade um die Jahrhundertwenden immer wieder reaktiviert werde.294 Dass Zielckes Artikel unter der Rubrik »Zeitgemäße Physiologien« erscheint, zeigt seinen Versuch, ähnlich wie im 19. Jahrhundert, auch im 21. Jahrhundert eine stereotype Figur des Dandys zu behaupten. In der Tat erweist sich die Emergenz des Dandys in der Popkultur als bemerkenswerte Konstante. Während Schickedanz noch weit zurückgreifend in den deutschen Dadaisten, englischen Mods, und den Rollkragenpullover tragenden französischen Existentialisten Dandys sieht,295 erinnern Walden, Kelly und Meisel an die Zoot suit riots, bei denen sich die Anhänger des von Cab Calloway popularisierten zoot suit als Dandys ihrer Zeit Schlachten mit der Polizei lieferten.296 Philip Hoare ist sich leider sogar nicht zu schade, auf der Suche nach Dandys in Uniform in Bezug auf Göring vom »deadly dandyism of the Nazis« zu sprechen.297 Dieter Baacke wiederum sieht die Teds, die im England der 50er Jahre durch Windsorknotenkrawatten und Westen mit »exzentrische[n] Farben« sowie die kaum friedfertigeren Mods, die sich als »Flaneure und Dandies durch die Straßen« bewegten, als Nachfolger einer Dandy-Familie von Jugendkulturen.298 Die Behauptung der Mods als Nachfolger Brummells, die auch Terry Rawlings als »teenage dandies« bezeichnet,299 wird von einem Mod selbst bestätigt. Mark Feld, später Sänger von TRex, sagt in einem Interview 1962 über Jesses Biographie: »I read a good book the other day […]. The Life of Beau Brummel. He was just like us really.«300 Gnüg sieht neben den Mods in der New-Wave-Bewegung, dem PunkLook und den Yuppies eine zumindest oberflächliche Imitation des Dandy-

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Boüexière: Dandysme, S. 208. Zielcke: Der Dandy, S. 13. Ebd., Brunn: Auf dem Niveau des blauen Porzellans, S. 903. Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 36. Walden: Who is a dandy, S. 37, Kelly: Brummell, S. 468, vgl. die achte Abbildung in Meisel: The Cowboy and the Dandy, S. 62 f. Hoare: Dandy, S. 270, vgl. zum Dandy in Uniform Kingwell: Manifesto, Natta: Le dandy militaire. Baacke: Jugendkulturen, S. 56 f., 67, vgl. Kelly: Brummell, S. 468. Rawlings: Mod, S. 50. Zit. n. Rawling: Mod, S. 46, vgl. Gnüg: Kult der Kälte, S. 8. Vgl. ausführlicher zu den Mods als Dandys Jenß: Sixties Dress, S. 66.

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ismus,301 dem sich die bereits untersuchte Behauptung entgegenhalten ließe, dass der Dandy gemäß des parêtre nur aus Oberfläche bestehe. Anders als Julia Kristeva, die im Dandy als parasitärem Künstler einen »›punk‹ avant la lettre« sieht, etabliert Hess-Lüttich die Popper und Yuppies als Dandys. Kastura ergänzt die Beatniks und Hippies, schließt aber Mods und Punks aus; Segura schließlich erkennt in der spanischen 80er-Jahre-Figur des pasota einen Dandy.302 Im programmatischen Buch Dandys de l’an 2000 stellt Dominique Noguez die Dandys der Jahrtausendwende als Haschisch rauchende Bohemiens dar (S. 19 f.) und knüpft so an Baudelaires Faszination für die Hachischins und seine Freundschaft mit Champfleury an. Felicitas Dörr-Backes sieht den Dandy in Exzentriker. Die Narren der Moderne als »Berufsexzentriker« (S. 220) und sichert ihm so einen soziologisch fest verbrieften Status in der Gesellschaft. Zudem weiß sie zu berichten: »Ein möglicher Tummelplatz der ›neuen‹ Dandys sind spezielle Clubs von Jugendszenen.« (S. 220) Wo Gnüg den Kult der Kälte der Dandys für heutige Zeiten verloren sieht, betrachtet Dörr-Backes den Dandy folglich als »Inbegriff von Coolness« (S. 224). Stephen Robins versteift sich gar zu der These: »In truth you can take any subculture of the post-war era – they’re all dandies at heart« und versichert über den Dandy: »His time has finally come, he is truly the man of the age.«303 Dem Ende des Dandys durch die Popkultur wird somit nicht nur die Darstellung des Dandyismus in verschiedenen Subkulturen, sondern die Behauptung des Dandyismus als essentielle Grundlage jeder Subkultur entgegengesetzt. Während Carassus und Maurer in der Medialisierung der Gesellschaft die Degeneration des Dandys im Playboy beklagen, fragt sich Agel ergebnisoffener »Le dandy à l’écran. Persistance ou dégradation d’un mythe?« und kommt zur überraschenden Darstellung u.a. von dem von René Navarre gespielten Fantomas als Dandy. Zudem lässt sich in direkter Umkehrung von Carassus’ Nachruf in der Band Splatterdandy der Versuch sehen, angesichts einer technologisierten Gesellschaft den Kampf um mediale Aufmerksamkeit mit den Taktiken des Dandys zu führen. Im Booklet der CD Terrorista bekennt Splatterdandy, selbst negative Kritiken über sich geschrieben zu haben, um von sich reden zu machen: »Selbstkult, Ironie, Impertinenz, Verhüllung und Kälte der Empfindung können als gleich bleibende Attribute des Dandys gelten. Durch das Herausstellen dieser Eigenschaften und ihre fortwährende Thematisierung in den von mir verfassten Verrissen meiner Arbeit gelang es schrittweise, die vom dekadenten Schnösel erwartete Au304 ßenposition einzunehmen und Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.«

Neben dem Rückgriff auf die Ironie des byronschen Dandys – zuvor ist im Sinne von Byrons Ironie von »positionslose[r] Hyperironie« des Splatterdandys die Rede – und der impertinenten Selbstbehauptung Brummells, wird der Dandy als Figur dargestellt, die wie Baudelaires Dandy den »mécanisme moral« der Welt durchblickt. Dies kann man als Kritik an einer nach Skandal 301 302 303 304

Gnüg: Kult der Kälte, S. 11. Kristeva: Histoires d’amour, S. 314, Hess-Lüttich: Dandy, S. 66, Kastura: The World is my Oyster, S. 406 f., Segura: Pasota. Robins: How to be a Complete Dandy, S. 234. Splatterdandy: Terrorista, popup-records 2004, PR1104CD.

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heischenden Medienöffentlichkeit sehen, in der es nur darum geht aufzufallen, ganz gleich ob positiv oder negativ. In diesem Sinn bringt das Stück »Disco 9/11« die Medienwirksamkeit der Terroranschläge vom 11. September ebenso zum Ausdruck, wie in den Statuten der Splatterdandy Armee Fraktion die instrumentalisierende Ausschlachtung der Bilder in den Medien kritisiert wird.305 Dass die CD wiederum ebenso bedeutungsschwer am 9.11.2004 veröffentlicht wurde, ist gleichzeitig der Versuch einer medienwirksamen Vermarktung, die in Bezug auf die Berichterstattung vom 9.11. kritisiert wurde. Die Kritik am Kampf um die Medienaufmerksamkeit führt diesen Kampf also selbst aus. Gemäß des dargestellten Widerspruchs der baudelaireschen Taktik ist Splatterdandy folglich nicht allein als Kritiker oder Opfer der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern auch als deren absolute Verinnerlichung zu sehen. Die Selbstbehauptung als Splatterdandy durch Internet, CD-Veröffentlichungen, Musikvideos und medialer Selbstverrisse weist dabei auf die konsequent genutzten Möglichkeiten hin, welche sich mittlerweile der Performanz des Dandys als Kunstwerk und dem darauf folgenden Kampf um Medienaufmerksamkeit und Beachtung bieten. Gleichzeitig soll Splatterdandy hier repräsentativ sowohl für die unerschöpflich erscheinende Verarbeitung des Dandys in Liedern, Comics, Literatur und Filmen306 als auch für die Behauptung von Künstlern jeglicher Bereiche als Dandys stehen. Den unzähligen Nachrufen auf den Dandy zum Trotz reicht die Liste bei Musikern von Brian Ferry, der »den Dandyismus in den Pop ein[führte]«307 über Prince, Miles Davis, David Bowie, Lou Reed308, Serge Gainsbourg309 bis Brian Eno310. Die Zeitschrift Nous Paris, die gratis an den Pariser Metro-Stationen ausgelegt ist, kündigt auf dem Titelblatt den

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http://www.splatterdandy.com/flash/index.htm, 1.2.2007 (Link: Gründungserklärung). Die zahlreichen Beispiele reichen von T.S. Elliot Old Possum’s Book of Practical Cats, die Vorlage für Andrew Lloyd Webbers Musical Cats, in dem Bustopher Jones der »Brummell of cats« ist (S. 38), von Rosemary Stevens Krimis wie The Tainted Snuff Box (2001) oder The Bloodied Cravat (2002), bis hin zu dem seit 1937 ununterbrochen erschienenen Comic Dandy, deren 3000 Heftnummern Rekord sind (vgl. http://www.dandy.com, 1.8.2006, http:// news.bbc.co.uk/1/hi/entertainment/387517.stm, 1.10.2005 sowie The Beano comic, The Dandy comic: side by side for 60 years (London: D. C. Thomson 1999). Zudem Filme wie Dandy von Peter Sempel mit Blixa Bargeld in der Hauptrolle oder der 2005 erschienene Film »Dear Wendy« von dem DogmaFilmer Thomas Vinterberg, in dem die waffenbegeisterten Protagonisten im Schüttelreim dazu »We’re Dandies« rufen. Die bekanntesten musikalischen Umsetzungen sind neben der bereits 1931 erschienenen Operette Brummell des mit Proust befreundeten Reynaldo Hahn, der Nr.-1-Hit »Dandy« von The Kinks (1966), »Der Tod ist ein Dandy« von den Einstürzenden Neubauten, die Jazz-Standards »Fine and Dandy« und »A Dandy Line« sowie die Band The Dandy Warhols, z.B. mit ihrer 1996 erschienen Platte Dandys rule: ok (Capitol 724349640924). Vgl. Dallach: Bryan Ferry, S. 172. Vgl. Blum: Lou Reed – electric dandy. Vgl. http://sergegainsbourg.artistes.universalmusic.fr/1024/contenu/5/f1.html, 1.2.2007. Garelick: Rising Star, S. 155-158, Meisel: The Cowboy and the Dandy, S. 95104, Delbourg: Masculin Singulier, S. 60.

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Autoren Frédéric Beigbeder als »Dandy déjanté« an,311 während dieser seinen Erzähler in Windows of the World Osama Bin Laden als nihilistischen Dandy bezeichnen lässt (S. 76). Die Berliner Zeitung wiederum wusste bereits 1999: »Die letzte Frankfurter Buchmesse hat es endgültig gezeigt: Der Dandy ist wieder da«. In Bezug auf die »Pop-Literaten« um Benjamin von Stuckrad-Barre, Joachim Bessing u.a. schreibt sie: »Originalität und Exzentrik sind durchaus des Dandys Sache, aber immer mit Stil, bitte!«312 Während Carassus sowie Boüexière und Favardin die Unmöglichkeit von Originalität und Exzentrik in der heutigen Zeit konstatieren, wird dieses in Bezug auf die »Pop-Literaten« ausdrücklich affirmiert. Die Behauptung dieser Autoren als Dandy war dabei so populär,313 dass der als Dandy titulierte Bessing schreibt, es sei aus den Feuilletons herausgeflogen und als Attribut »pappen« geblieben und um sich dieser Zuschreibung zu erwehren, behauptet er: »Alles am Dandy ist müde.«314 Wenn er zeitgleich mit diesem abschätzigen Nachruf auf den Dandy in einem anderen Artikel einen neuen Dandy in der Person des Rappers Outkast behauptet,315 bestätigt er die hier dargestellten Taktiken, den Dandy totzusagen und ihn gleichzeitig anderswo zu neuem Leben zu erwecken.316 Diese vielfältigen Bereiche, in denen der Dandy aufs Neue das Licht der Welt erblickt, weisen dabei auch weit über das Phänomen der Popkultur hinaus. Als einziges Beispiel sei hier die Domäne der Wissenschaft genannt: Elisabeth Lenk etwa behauptet Georg Simmel als »Dandy unter den Philosophen«317 und James Miller sieht in der Philosophie nietzscheanischer und foucaultscher Prägung einen Weg zum Dandyismus.318 Françoise Dolto hat in ihrem Buch Le dandy. Solitaire et Singulier nicht nur »den Dandy« als Objekt der Psychoanalyse entdeckt, wohlgemerkt ohne anzugeben, ob und welche reale (anonyme oder explizit benannte) Person Ausgangspunkt ihrer Analyse sei. Zudem bezeichnet sie, wie auch Rose Fortassier, Jacques Lacan als Dandy, mit dem sie die École freudienne in Paris gegründet hat.319 Während Dietrich Neuhaus den wohl kaum aussichtsreichen Versuch startet, Dandyismus in der evangelischen Theologie zu begründen, da beide, wie er in Bezug auf Baudelaire schreibt, in Übergangszeiten wichtig seien,320 ist Rhonda Ga311

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Nous Paris, 4.4.2005, Nr. 264, S. 1. Beigbeder selbst spielt in seinen Mémoirs d’un jeune homme dérangé (2003) nicht nur auf Simone de Beauvoirs Memoiren, sondern auch auf den Dandy an (S. 15, 93, 95, 98, 99). Quelle: http://www.asta.uni-konstanz.de/literatur/kracht/rezens/trist/bz2.html, 1.2.1999. Vgl. zu dieser Behauptung: Kastura: The World is my Oyster, S. 408, Zaimoglu: Knabenwindelprosa, Radisch: Mach den Kasten an und schau, Mischke: Ein fein gekleidetes Reptil, Clarke: Dandyism, S. 36. Bessing: Alles am Dandy ist müde. Bessing: Krone, S. V. So werden selbst Fußballer wie David Beckham, Michael Ballack oder Thierry Henry als Dandys behauptet, vgl. Cáceres: Ein Tor sagt mehr als jedes Lächeln, S. 3, Ashelm: Drückeberger oder Kämpfer, S. 24, Honigstein: Mal Dandy, mal Provinz-Poet, S. 31. Lenk: Georg Simmel, S. 428. Hierfür behauptet er Foucault als »species of philosophical dandy« (Miller: The Prophet and the Dandy, S. 876). Dolto: Figure de Proue, S. 88, vgl. Dolto: Le Dandy. Solitaire et Singulier Solitaire et Singulier, S. 32, Fortassier: Dandysme pas mort, S. 214. Neuhaus: Der Theologe als Dandy, S. 362.

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relick wiederum bemüht, im Dekonstruktivismus Parallelen zum Dandyismus zu sehen und bezeichnet dementsprechend auch Jacques Derrida als Dandy.321 Andere sehen in Paul de Man oder Phillipe Sollers und Roland Barthes322 prominente Ausgaben dieser Spezies, in die Didier Eribon auch Michel Foucault einreiht.323

7.12 Ende und Neugeburt in der Konfektionsmode In seinem Beitrag »Le Dandysme et la Mode«, der auch in der der United States Lines Paris Review erschien, sieht der selbst als Dandy behauptete Roland Barthes dessen Ende aufgrund der wörtlich zu verstehenden Uniformierung durch die Kleidungsindustrie. Nicht weil Konfektionsmode Individualität in der Bekleidung ausschließe, sondern weil sie gerade die Singularität zu einem zentralen, massenhaft produziertem Attribut gemacht habe, bliebe dem Dandy nur noch Radikalität oder Tod (S. 966). Eisenberg folgert daraus: »The bourgeoisie has scorned standardization and has opted for originality. The proliferation of ›original‹ boutiques has become collective imitation, in other words fashion. In this climate it has thus become impossible for dandy originality to survive.«324 Diese Diagnose wiederholt also die Vereinnahmung der Originalität, die schon für die Mitte des 19. Jahrhunderts im Diskurs der Modemagazine konstatiert wurde. Aus der Behauptung von originellen Schneidern ist dabei die Vermarktung von original als Verkaufsattribut der Geschäfte geworden, welche Eisenberg zufolge, durch ihre globale Verbreitung den Tod des Dandys bedeuten. Auch Carassus gibt dies am Anfang seines Essays zu Protokoll, vor dem Hintergrund, dass sich in seiner Zeit ein Konfektionshaus mit dem Namen Brummell und ein Parfüm mit dem Namen d’Orsays schmückte: »Ces dandy célèbres, reconnus, encensés ou dénigrés par leurs contemporains, les voilà, de nos jours, réduits à servir d’enseigne ou d’étiquette.«325 Indem er in der Vereinnahmung der Namen der Dandys für massenhaft verbreitete Produkte, die nichtsdestotrotz individuelle Distinktion versprechen, das Ende des Dandys sieht, spitzt er Barthes Nachruf auf den Dandyismus noch zu. Während Barthes von der radikalen und zugleich subtilen Distinktion des Dandys spricht, die von der Konfektionsmode neutralisiert wurde,326 ist Carassus zufolge auch der historische Dandy321

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Vgl.: »Like dandyism, the deconstructive movement saw itself as a socially disruptive force […]. It is easy to see Jacques Derridas dandyism; his presence created aesthetic as well as intellectual and social commotion every time he visited the States.« (Garelick: Rising Star, S. 164 f.). Garelick: Rising Star, S. 126, 164 ff., Genova: Terrorism with Style, S. 90. Eribon: Foucault, S. 153, 164, 167. In einem persönlichen Gespräch erläuterte Didier Eribon mir, dass er damit Foucaults Vorliebe für schnelle Autos und einen Hang zur Extravaganz beschreiben wollte. Früchtl bezeichnet Foucault als »Der mündige Dandy« (Früchtl: Der mündige Dandy, S. 31). Eisenberg: The Figure of the Dandy, S. 4. Carassus: Le Mythe du Dandy, S. 5. Auch Oda Schäfer beklagt, dass ein Parfüm den Namen Brummells trage (Schäfer: Dandy, S. 20) und Saisselin sieht sogar die Werbung den Dandyismus ersetzen (Saisselin: De l’honnête homme au dandy, S. 17). Barthes: Le Dandysme et la Mode, S. 966.

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ismus bedroht, der seine Vergangenheit verliere, wenn mit den Namen Brummell oder d’Orsay nur noch Konsumgüter verbunden werden. Durch die Kommerzialisierung sei der Dandyismus davor bedroht, komplett vereinnahmt zu werden und, so ließe sich ergänzen, im Sinne Barthes zu einem Mythos ausgehöhlt zu werden, bei dem Brummell nicht mehr in seinem Detailreichtum als historische Person, sondern nur als ausgehöhltes Signifikant für die Suggestionskraft der Werbung fungiert. Allerdings widerspricht Barthes selbst der eigenen These des Todes durch die Konfektionsmode, wenn er in Système de la Mode den »dandysme« als einen von fünf rudimentären Aspekten eben der Konfektionsmode bezeichnet (S. 132) oder im Aufsatz »La cuisine du sens« von der Jeanshose als »signe d’un certain dandysme adolescent« spricht.327 Laver unterstreicht in Dandies aus seiner Sicht ebenso, dass in den 60er Jahren in Carnaby Street Soho eine Kleiderrevolution stattgefunden habe, in der Männer und Frauen beginnen das gleiche zu tragen und präsentiert dies als »New Dandyism«, der seinen eigenen Stil und Chic behaupte (S. 115). Dass Dandyismus sich also durchaus mit der Kommerzialisierung der Kleidung vertrage, bringt ihn im allerletzten Satz zu der Folgerung: »Perhaps dandyism is something immortal after all.« (S. 116) Dies bestätigend schreibt Alice Cicolini in The New English Dandy (2005), der Dandyismus in der Kleidung präge die Ausbildung maskuliner Identität im 21. Jahrhundert (S. 15) und auch der British Council organisiert 2003 eine Ausstellung 21st Century Dandy über zeitgenössische Dandys. Dass die im Ausstellungskatalog vorgestellten Dandys zumeist Designer sind, die ihre eigene Kollektion präsentieren, beweist, dass der in der Konfektionsmode aussterbende Dandy für exklusive Designermarken ein Ausdruck von modischer Unabhängigkeit ist. Auch prominente Designer wie Karl Lagerfeld, Ralph Lauren und Yves Saint-Laurent werden so als Dandys etabliert.328 Indes ist ebenso die Vereinnahmung des Dandys für massenhaft produzierte Konfektionsmode zu beobachten, wenn in einschlägigen Modemagazinen in regelmäßigen Abständen betont wird, der Dandy-Look sei wieder en vogue.329 Im September 1989 tut dies das gleichnamige Magazin Vogue, 2004 das Männermagazin GQ,330 ein halbes Jahr später das Frauenmagazin Young Miss331 und in der Rubrik »Lifestyle« des Internetproviders gmx wird am 4.4.2005 verkündet, der »Dandy-Look« sei »extrem angesagt«332. Worin allerdings der heraufbeschworene Dandy-Look besteht, darüber herrscht Un327 328

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Barthes: L’aventure sémiologique, S. 228, vgl. Hecken: Theorien der Populärkultur, S. 109. Erbe: Der moderne Dandy, S. 36, Saisselin: De l’honnête homme au dandy, S. 17. Auch die Werbung für Breguet-Uhren mit ihrem Zitat von Alexander Puschkins Eugen Onegin (1829): »Ein Dandy spaziert auf den Boulevards, so lange er will, bis ihm seine wachsame Breguet die Mittagszeit zu Ohren bringt« greift auf den Dandy als Verkörperung von Exklusivität zurück, vgl. die Werbung z.B. in: Süddeutsche Zeitung, 4.9. 2007, S. 5. Dem Kochbuch L’antisteak. Petit Traité de dandysme culinaire zufolge kann man auch durch das Befolgen der aufgeführten Rezepte Dandyismus beweisen. Margrander: Die Mittel zum Zweck, vgl. auch die Titelseite dieser Ausgabe. Roth: Ganz schön sexy: Der Dandy-Look. Http://www.gmx.net/de/themen/lifestyle/mode/trend/891394,page=1.html, 1.1.2005.

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einigkeit. Für gmx existiert er als »Romantisch elegante, extravagante Männermode«, oder als Kombination von Seersucker-Anzügen aus blau-weiß gestreiften Stoffen mit knallbunten Hemden. In einer aktuellen Ausgabe der Vogue wird die Frauen-Frisur im »Dandy-Look« als »Elfengleich und androgyn« beschrieben,333 Young Miss präsentiert die »Dandy Styles« als »Modenschau im Dschungelcamp« (S. 21), das Süddeutsche Zeitung Magazin stellt Dandys in Abwandlung von Gautiers gilet rouge als Männer vor, »die auch mal rote Hosen tragen wollen«334, der Ausstatter Conleys bezeichnet eine Fischgrathose mit weitem Bein als »Dandy Hose«335 und GQ stellt den »Dandy-Look« mit prominenter intertextueller Unterstützung schon mit dem Erwerb eines weißen Anzugs in Aussicht: »Ein echter Dandy, meinte einst Baudelaire, muss leben und schlafen vor dem Spiegel. Wir sagen: Ein weißer Anzug reicht für den Anfang.«336 Dass ein massenhaft produzierter Anzug der literarischen Auseinandersetzung Baudelaires vorgezogen wird, beweist zugleich die Popularisierung des Dandys, wie es ebenso seine Verflachung dokumentiert, die sich nicht zuletzt daran zeigt, dass man einem Hundefriseur-Salon zufolge auch seinen Hund zum Dandy machen könne.337 Dessen ungeachtet fordert im Manager-Magazin der Kolumnist und »Maßschneider« Tom Reimer unermüdlich »Dandys für Deutschland«, denn der Dandy nach dem Vorbild Baudelaires sei »Symbol für stilvolle Eleganz«, das unbedingt einem »Revival« unterzogen werden solle.338 Dabei stellt Reimer mit dem neudeutschen Wort ›Revival‹ die Chiffre für die hier zugrunde liegenden Taktiken auf. Während einerseits der Tod des Dandys beschworen wird, zeigt sich andererseits in den unterschiedlichsten Kontexten, hier als stilvoll gekleideter und erfolgsorientierter Manager, die Wiedererweckung des Dandys zu immer wieder neuem Leben und immer wieder anderen Leben. Diese Neuschreibung des Dandys erscheint in vielen Facetten. Schickedanz etwa möchte den modernen Dandy im Tiger wieder erkennen, der »(t)rendy, (i)nnovativ, (g)ay, (e)litär und (r)ebellisch« sei und sich, wie Baudelaires Dandy, durch »sein nahezu unstillbares Verlangen nach Extravaganz und Originalität« auszeichne.339 In ihrem programmatischen Aufsatz »Dandysme pas mort« betont Fortassier insofern die Überlebensfähigkeit des Dandys, der nur in den »Underground« gegangen sei, sich unauffällig verhalte und beispielsweise in der Werbebranche arbeite.340 Die Homepage www.dandyism.net schließlich ist an sich bereits ein Beweis für den erfolgreichen Umgang des Dandys mit der Massenkommunikation, die für Gnüg das Ende des Dandys bedeuten soll. Zudem findet sich auf dieser Seite für den modernen Dandy-Adepten eine englische Version von Fortassiers telegrammstilartiger Nachricht in Form eines T-Shirts mit dem Portrait von Oscar Wilde und der an den Slogan »Punk’s not dead« angelehnten Unterschrift »Dandyism’s not dead«341. Wenn Erbe also schreibt: »Immer wieder ist das Ende des Dandys 333 334 335 336 337 338 339 340 341

Http://www.vogue.de/vogue/2/2/content/04040/page2.php, 1.2.2007. Süddeutsche Zeitung Magazin, 3.3.2206, Nr. 9. Http://www.conleys.de/sr022produktVP.szz?bestellnummer=2936331&originalSearchURL=http:// Conleys/Search.ff?query=dandy&x=0&y=0, 1.9. 2007. Http://www.gq-magazin.de/gq/2/content/11205/index.php, 1.1.2005. Http://www.toiletteur.com/dandydog/, 1.2.2007. Http://www.manager-magazin.de/life/mode/0,2828,250691,00.html, 1.2.2007. Schickedanz: Ästhetische Rebellion, S. 223. Fortassier: Dandysme pas mort, S. 210 ff. Http://www.tresnormale.com/gallerie/Gallery.htm, 1.2.2007.

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verkündet worden. Und dennoch scheint er allen Versuchen ihn totzusagen, zu widerstehen«, könnte dieses T-Shirt als direkte Bestätigung dessen zu sehen sein.342 Allerdings kann von der Eleganz eines Brummell bei einem bedruckten, massenhaft produzierten T-Shirt nicht mehr die Rede sein. Der Labelname »tresnormale« bestätigt auf ironische Weise ebenso die These, dass der Dandyismus in der Norm der Massenproduktion untergeht, wie das TShirt das von Barthes postulierte Ende des Dandys in der Konfektionsmode mittels der Konfektionsmode selbst ausdrücklich verneint. Dass die subtile Distinktion des Dandys einem Kleidungsstück mit plakativem Dandy-Etikett gewichen ist, lässt sich als Ende des Dandys sehen. Die untersuchten Taktiken haben indes gezeigt, dass gerade ein solcher Nachruf auf den Dandy Ausdruck seines omnipräsenten, ständigen Nicht-Mehr-Da-Seins und NichtMehr-Da-Sein-Könnens ist. So stellt Michel Bulteau in Pour en finir avec le dandysme (2004) Dandyismus als Kunst des Verschwindens und des Understatements dar (S. 236). Über den Fotografen Regisseur Jack Smith sagt er: »Le dandy fauché du Lower East Side s’est assez peu posé la question de trouver le fameux point d’intersection de Pascal, entre l’originalité et l’excentricité, dont parlait Barbey. Smith, qui fut un des pionniers de la photographie en couleurs, se réfugia dans le noir et blanc après 1961.« (S. 238) Dabei nähert sich Bulteau dem baudelaireschen Begriff der modernen Originalität bei Guys an, welcher ähnlich wie Smith, der nur noch schlichte Schwarz-Weiß-Fotografien macht, seine Originalität bis zur Bescheidenheit steigert. Und obgleich Bulteau den Dandyismus von Smith ausdrücklich von Barbeys Behauptung der Originalität und Exzentrik abgrenzt, bestätigt er doch Barbey. Denn auch dieser bezeichnet den Dandyismus als Kunst des Verschwindens, wenn er Trebutien gesteht: »Je ne suis plus un Dandy, mais […] je me ressens de cela, comme un flacon où il y a eu de l’eau de Luce s’en ressent toujours […].«343 Gleich einem flüchtigen Parfum ist der Dandy immer schon verschwunden und doch beständig noch in einer Ahnung vorhanden.

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Erbe: Virtuosen der Lebenskunst, S. 7. Barbey: Lettres à Trebutien, Bd. III, S. 228, vgl. Creed: Le Dandysme de Jules Barbey d’Aurevilly, S. 92 f.

8. Z U S A M M E N F A S S U N G

Barbeys Metapher des flüchtigen Parfüms liefert ein einprägsames Bild für die Behauptung, der Dandy sei ungreifbar und unbegreiflich, die sich wie ein roter Faden durch diese Untersuchung zieht: Bei der Behauptung des Dandys lässt sich auf allen vier behandelten Ebenen – des Subjekts, des Autors, der Begriffe sowie der Taktiken – das Bestreben erkennen, den Dandy als unerreichbar und unfassbar zu beschreiben und ihn gleichzeitig doch zu erfassen. Die Unbegreiflichkeit des ersten Dandys George Brummell wird bei der Behauptung des Subjekts durch elementar-literarische Anekdoten, die Brummelliana, realisiert. Diese ermöglichen es, Brummells Distinktion, etwa seine Kunst des Krawattenbindens, die Verwendung des Wortes als Waffe und seine beißende Ironie, als unnachahmlich darzustellen. So wird Brummell als König der Mode und somit direkter Konkurrent zu George IV. stilisiert. Wie der barthesche Mythos reduzieren die Anekdoten überlieferte Begebenheiten auf einen bemerkenswerten Aspekt, um die unfassbare Performanz und Selbstbehauptung Brummells zu bedeuten. Nach dem Prinzip der Ungreifbarkeit des Dandys wird dabei nie die schriftliche Wiedergabe einer Anekdote markiert, sondern im Sinne der ongschen »sekundären Oralität« selbst in aktuellen Texten eine kontinuierliche mündliche Wiedergabe suggeriert. Die Anekdote wird dabei, anders als im New Historicism, wo sie als historisches Gegendokument fungiert, zum zentralen Element der als oral inszenierten Geschichte des Dandys, sodass selbst die Porträts Brummells durch die Brille des anekdotischen Wissens betrachtet werden. Die fashionable novels und Balzacs Traité greifen auf diese Anekdoten zurück, um ihre Helden als friktionale Abbilder des Dandys zu präsentieren, d.h. zwischen historischem und fiktionalisiertem Brummell zu oszillieren, um sich so als authentische Darstellungen zu profilieren. Barbey instrumentalisiert und elaboriert diese Friktion, indem er sich der Anekdoten bedient und ihre Funktionsweise offen thematisiert. So kann er den Dandy einerseits als unbegreiflich und undarstellbar darstellen, andererseits seinen schwer zu ermessenden Einfluss sowie seine unbeschreibliche Manier eben doch in Anekdoten illustrieren. Für die Behauptung des Autors zeigt sich die in den Anekdoten illustrierte Ironie Brummells insbesondere in George Byrons friktionaler Inszenierung als Dandy umgesetzt. Englische Autoren wie Bulwer-Lytton, Disraeli, Carlyle, Thackeray sind bemüht, sich gegen diesen von Byron verkörperten aristokratischen Dandyismus zu behaupten und sich stattdessen als Autoren der Mittelschicht zu etablieren. In Frankreich hingegen wird der byronsche Dandy nahezu euphorisch rezipiert und Byrons Selbstbehauptung als Dichter und aristokratischer Dandy dazu verwendet, um sich gegen das Bürgertum abzugrenzen, zu dessen Sprachrohr sich die englischen Autoren machten. Trotz

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unterschiedlicher Behauptungen von und gegenüber Byron weisen alle, französische und englische Autoren Ähnlichkeiten zu Byrons komplexer friktionaler Selbstbehauptung auf. Byron inszeniert sich in seinen Protagonisten als teuflischer Dandy, vertauscht dabei konsequent die Unterschiede zwischen Sein und Schein, Fiktion und Realität und sorgt gleichzeitig für ironische Brechungen dieser Selbstdarstellung. Für diese Brechungen ist der für die romantische Ironie zentrale Widerstreit zwischen Ideal und Wirklichkeit relevant, der sich bei Carlyle in metafiktionalen Brechungen, bei Gautier in ambivalenter Parodie, bei Baudelaire in ambivalenter Bestätigung sowie bei Wilde in paradoxaler Verknüpfung von Ideal und Wirklichkeit manifestiert. Diese unfassbare, nicht auf eine Autorintention zu reduzierende Ironie widerlegt Bourdieus These, die Position eines Autors führe zwangsläufig zu einer klaren Positionierung im literarischen Werk. So sind insbesondere bei den für die Ausprägung des literarischen Feldes in Frankreich hauptverantwortlichen Autoren Gautier und Baudelaire zwei Thesen zu relativieren. Erstens ist der hohe Stellenwert der friktionalen Ironie für Gautiers Philosophie des art pour l’art zu konstatieren, die in der bourdieuschen Feldtheorie keinen Raum findet. Anders als Bourdieus Interpretation des art pour l’art als Rückzug der Kunst aus dem sozialen Leben, zeigt sich vielmehr eine ambivalente und doppelte Ironisierung sowohl der sozialen Realität der Bourgeoisie wie auch eine Selbstparodie des antibürgerlichen Gestus des Dandys nach dem Vorbild Byrons, sodass sich Ähnlichkeiten der art pour l’art-Philosophie zu Schlegels Konzept der Ironie als »Poesie der Poesie« ergeben. Bei Baudelaire zweitens relativiert sich das Autonomiebestreben der Kunst durch die Öffnung für das bürgerliche Leben, gleichzeitig wird aber auch der byronsche Dandy als schwindende Möglichkeit aristokratischer Distinktion im alles verschlingenden Meer der Demokratie in Szene gesetzt. Beide Positionen werden, entgegen Walter Benjamins Lesart, in Perte d’auréole auf ambivalente Weise ironisiert und gleichzeitig bestätigt. Diese double affirmation beider für die romantische Ironie zentraler Aspekte von künstlerischer Suche und bürgerlicher Realität ist maßgeblich für Baudelaires Behauptung des Dandys, die Ausdruck einer Ideal und Wirklichkeit verschachtelnden Kunstkonzeption ist. Bei Oscar Wilde finden sich Gautiers doppelte Ironisierung und Baudelaires doppelte Affirmation in der Figur des Paradoxen kombiniert. Byrons friktionale Selbstbehauptung steigert Wilde, indem er sich der neuen Möglichkeiten der Werbung bedient und so die art pour l’art-Philosophie, die er in enger Anlehnung an Gautier konzipiert, durch Behauptung des Lebens als wahre Kunst auf paradoxe Weise kommerzialisiert. Auch für Originalität und Exzentrik, die zentralen Begriffe für die Behauptung des Dandys, spielt die Frage nach ihrer Unbegreifbarkeit eine große Rolle. Hier steht ebenfalls Byron im Zentrum, insofern er, gemäß seiner doppelten Selbstinszenierung, die für die Franzosen unerreichbare anekdotenhafte eccentricity eines englischen Adligen mit der Originalität des genialen Dichters verbindet. Die Analyse des französischen Anglomanie-Diskurses zeigt genauer, wie beide Begriffe als genuin englische Phänomene und somit als für die Franzosen unerreichbare und unbegreifbare Begriffe behauptet werden. Da insbesondere in Frankreich Byrons Verkörperung von Originalität und Exzentrik als Ausdruck seines Status als Außenseiter gedeutet wird, führt die Byron-Rezeption erstens zur Popularisierung der englischen Originalität sowie der Vorstellung des Originalgenies als intuitivem Schöpfer, zweitens zur Einbürgerung des Begriffs eccentric. Hierfür prägt Gautier ei-

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nen Neologismus: Er transformiert den positiv faszinierenden, zumeist adligen englischen eccentric zu dem gegen den bürgerlichen Konformismus revoltierenden excentrique. Barbey siedelt den Dandyismus an der Schnittstelle zwischen Originalität und Exzentrik an, insofern als der Dandy auf dem schmalen Grat zwischen tief verwurzelter Konventionsgläubigkeit und müdigkeit einerseits und exzentrischem Außenseitertum andererseits wandere. Er behauptet Brummell als das Original des Dandyismus, indem er diesen durch Rückgriff auf die Humoralpathologie und den Vanitas-Diskurs an die für die Franzosen unerreichte englische Originalität und Exzentrik koppelt. Dies löst er indes taktisch auf, indem er den Exklusivitätsanspruch Brummells auf eine besondere Originalität und Exzentrik mit der Vorstellung von Lauzun als dandy d’avant les dandys wieder bricht. Baudelaire schließlich setzt dem Originalgenie ein konträres Konzept entgegen, das auf der inszenierten Anonymität des Künstlers beruht und Originalität nicht als Ausdruck der authentischen, unbeeinflussten Äußerung sieht, sondern als Fähigkeit, kreativ ein poncif, eine Denk- und Redeschablone, zu erschaffen. Baudelaires Ansatz, den Dandy gleichzeitig als Opfer der Moderne wie als deren ultimativen Ausdruck zu präsentieren, bildet zusammen mit Barbeys konkurrierenden Taktiken, einerseits Brummell als das unerreichbare Original des Dandyismus zu behaupten, andererseits die Universalität des Phänomens zu illustrieren, die zentralen Taktiken der Behauptung. Diese erstrecken sich von den historischen Texten bis hin zu der aktuellen Forschungsliteratur und etablieren den Dandy so als widersprüchliche Figur der (wohl nicht minder widersprüchlichen) Moderne. Dies wird offenkundig in vielfältigen Behauptungen, etwa einer Abstammung des Dandys, immer wieder neuer letzter Dandys, posthumer Prototypen, verschiedener etymologischer Abstammungen des Begriffs, mannigfachen gender performances sowie schließlich seiner Verankerung in den unterschiedlichsten Kulturen. Der black dandy in der US-amerikanischen Minstrel Show zeichnet sich dabei durch eine besondere Spannung zwischen Unerreichbarkeit des Dandyismus für die ehemaligen Sklaven sowie komplexer Mimikry, also zwischen schwarzem und weißem Original im Sinne Seemanns aus. Dass Baudelaire in der bürgerlichen Demokratisierung sowohl das Ende wie auch einen neuen Anfang des Dandys begründet sieht, wiederholt sich als Diskurs in Bezug auf unterschiedliche, jeweils ›moderne‹ Entwicklungen bis zum heutigen Internetzeitalter. So steht neben dem Selbstverlust in der Dekadenz sowie der Postmoderne die Performanz des Dandys als ein sich selbst erschaffendes Kunstwerk. Ebenso wie die Behauptung des Auraverlusts des Dandys taktisch korrespondiert mit der Konzeption des Dandys als ein modernes oder gar auf Reproduktion angelegtes Kunstwerk, oder im Sinne von Camp als vorbildlicher Umgang mit der Reproduktion, wird auch die Popkultur als Ursache für das Ende des Dandys aufgeführt und parallel dazu die fröhliche Wiedergeburt in den unterschiedlichsten Subkulturen, wie z.B. in der Band Splatterdandy gefeiert. Zu guter Letzt wird auch die industrialisierte Konfektionsmode als Ende des Dandyismus gesehen, wie sich auch umgekehrt der Dandy bis heute als dankbare Figur für zeitgenössische Modedesigner und -magazine erweist. Das beschworene Ende des Dandys, so lässt sich festhalten, ist somit Teil der Taktik, seine Unbegreiflichkeit zu behaupten. Methodisch hat sich der an Foucaults Archéologie du Savoir angelehnte Begriff der Behauptung als praktikabel und fruchtbar erwiesen, sodass sich dieses Konzept, das hier konkret auf den partikulären Untersuchungsstand

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abgestimmt wurde, für weitere theoretische und praktische Ausarbeitung empfohlen hat. Die damit implizierte Distanz zu den Aussagen über den Dandy hat sich insbesondere in der Untersuchung der Taktiken, aber auch im Umgang mit den Begriffen Originalität und Exzentrik sowie der elementaren Literatur, wie Anekdoten, Memoiren, Reiseberichten, Essays und journalistischen Aufsätzen, bewährt. Bei der Untersuchung der friktionalen Beziehung zwischen écrivain und dandy als Behauptung des Autors wurde deutlich, dass diese Distanz dort notwendig war, um die konventionelle biographische Lektüre der Werke nach der Methode des L’Homme et l’Œuvre durch die weniger interpretative Untersuchung der komplexen Beziehung zwischen Autor, Erzähler und Werk zu ersetzen. Die Konzentration auf die Positivität des Begriffs Dandy hat auch gezeigt, dass der Dandy der Dekadenz eine weniger große Rolle spielt, als es die Forschungsliteratur vermuten lässt. Dennoch könnte ein stärker interpretativ ausgerichteter Ansatz die hier entwickelten Taktiken der Behauptung in Bezug auf Anekdoten, die Etablierung im literarischen Feld sowie die Begriffe Originalität und Exzentrik, zum Ausgangspunkt nehmen, um jenseits der Positivität des Begriffes weitere Dandyfiguren zu finden – und zu behaupten. Anders herum ließen sich auch die unzähligen zeitgenössischen Verwendungen des Attributs Dandy in (Kriminal-)Romanen, Comics, Popmusik und Filmen genauer hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten mit den hier dargelegten Taktiken der Behauptung befragen.

9. D I E Z U K U N F T D E S D A N D Y S . VON HENRY ZU MOSES PELHAM

Für den nun folgenden Ausblick soll die distanzierte Beobachtung aufgegeben werden zugunsten einer eigenen Behauptung über die Zukunft des Dandys. Wie bei den zuvor untersuchten Essays wird dies an Anekdoten und Details festgemacht, die als repräsentativ für die Gesamtheit hingestellt werden sollen: Diese These über die Zukunft des Dandys, die wissenschaftlich noch eingehender beleuchtet werden müsste, geht davon aus, dass der Dandyismus des 21. Jahrhunderts der Tradition des black dandy verpflichtet ist. Wie das vorige Kapitel verdeutlichen konnte, beruht die Zukunftsfähigkeit des Dandys auf einer imaginierten kontinuierlichen Abstammung, welche seine ewige Beständigkeit beweisen soll. Deswegen führt auch dieser Ausblick zunächst in die Vergangenheit. Während Baudelaire den Dandy als Mitglied einer Familie von revoltierenden Aristokraten sieht, ist hier der Familienname Pelham das Bindeglied für den Übergang vom bulwerschen zum Dandy der Zukunft. Wie gezeigt, errichtet Bulwer-Lytton mit seinem Pelham der PolitikerDynastie der Pelhams ein friktionales Denkmal. In den Minstrel Shows des black dandys wiederum wurden nicht nur Stücke von Bulwer-Lytton adaptiert,1 sondern der Tamburin-Spieler einer der ersten und wohl der berühmtesten Minstrel-Gruppe, der Virginia Minstrels hieß tatsächlich Dick Pelham.2 Er und seine Virginia Minstrels stießen auch in England auf große Resonanz bei ihrer Tournee in London und Manchester 1843, u.a. im Sadler’s Wells Theater3, in dessen Songster das Wort dandy bereits 1809 verbürgt ist. Während die Frage nach der Emanzipation der Schwarzen zu Beginn der minstrels Mitte des 19. Jahrhunderts kontrovers diskutiert wird, lässt sich in der weiteren Entwicklung der Minstrel Shows tatsächlich von einer Emanzipierung des black dandy sprechen. So behauptet Webb eine genealogische Abstammung desselben, in der sie am Beispiel von George Walker nachweist, dass sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Existenz des black dandy in den Minstrel Shows von allen parodistischen oder satirischen Zügen befreit habe.4 Walker selbst schreibt 1906: »The one hope of the coloured performer must be in making a radical departure from the old ›darky‹ style of singing

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Vgl. Mahar: Ethiopian Skits and Sketches, S. 195. Vgl. Nathan: Dan Emmett, S. 134. Waterhouse: From Minstrel Show to Vaudeville, S. 12, Nathan: Dan Emmett, S. 135-142. Webb: The Black Dandyism of George Walker, S. 9.

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and dancing.«5 Die grundlegende Überzeugung der frühen minstrels, ein eleganter Sklave sei komisch, hat sich gewandelt, da die Anmut nun auch als natürliche, ursprüngliche Eigenschaft des black dandy akzeptiert und behauptet wird. Der Sunday Dispatch stellt über Walker fest: »[N]atural grace and refinement are his attributes […].«6 In der Tat ›spielte‹ der Anfang des 20. Jahrhunderts berühmte Shuffle-Tänzer George Walker nicht nur den Dandy, wie die Darsteller der frühen Minstrel Show, sondern behauptete sich auch außerhalb der Shows als Dandy. Eubie Blake und Noble Sissle gründeten 1924 die Show Chocolate Dandies, die sie selbst komponierten und die diesen neuen Anspruch auf Dandyismus zum Ausdruck brachte. Diese Show, in welcher die erst fünfzehnjährige Josephine Baker als »chorus girl« mitspielte, stellte die Schwarzen nicht nur als Komiker dar, sondern betonte auch ihre Fähigkeit zu großen Gefühlen durch eine romantische Liebesgeschichte, was das weiße Publikum allerdings zunächst noch mit Unverständnis und Ablehnung quittierte.7 Der Jazz spielt hier eine wichtige Rolle, für diese wie für die vorherige und die nächste Etappe des black dandy. Insofern die Musik der minstrel als Vorform des Jazz angesehen werden kann,8 ist unter den Mythen über die Entstehung des Begriffs Jazz, die mindestens ebenso umstritten sind wie die des Dandys, die etymologische Herleitung von Jazz aus dem biblischen Jezebel interessant, da daraus wiederum die Bezeichnung Jazebelle für ein liederliches Frauenzimmer und Jazzbeau für das männliche Pendant geschaffen wurde.9 Zu sehen ist dies vor dem nicht weniger mythischen Hintergrund, dass der Jazz im Prostituiertenviertel Storyville in New Orleans seinen Ursprung nahm.10 Dass in Anlehnung an diese Show aus einem Teil der Band McKinney Cotton Pickers11 die Jazzband The Chocolate Dandies hervorgegangen ist, bei der auch Louis Armstrong mitwirkte,12 kann zunächst als Echo auf die Emanzipation des schwarzen Sklaven der Baumwollplantagen à la Jim Crow zu einem ›echten‹ schwarzen Dandy gesehen werden. Die Broadway Show The Chocolate Dandies, die zunächst im New Colonial Theatre in New York aufgeführt wurde, ist im Kontext der Emanzipierung schwarzer Künstler in der Bewegung der Harlem Renaissance zu sehen, dessen Vordenker W.E.B. (William Edward Burghardt) Du Bois sich ebenfalls als Dandy kleidete und in On being black den immer noch aktuellen Topos des primitiven Sklaven Jim Crow sowie die damit verbundene herab-

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Zit. n. Wood: The Josephine Baker Story, S. 48. Webb: The Black Dandyism of George Walker, S. 16. Zudem ist zu beachten, dass auch Josephine Baker ihre Erfolge bei diesen Auftritten in erster Linie noch der Komik ihres Tanzes im Stile der Minstrels verdankte (vgl. Wood: The Josephine Baker Story, S. 50, 61 f.) und damit noch 1925 in Paris in La Revue Nègre ihre Erfolge feierte (Lewis: When Harlem Was in Vogue, S. 164). Für eine Abbildung von Bakers Performance bei den Chocolate Dandies, bei der Baker schwarz angemalt wurde, vgl. Wood: The Josephine Baker Story, Abbildung nach S. 160. 8 Vgl. Sandner: Vorformen des Jazz, S. 45. 9 Vgl. Starr: Der frühe New Orleans Jazz, S. 85. 10 Vgl. ebd., S. 82 ff. 11 Der Bezug auf die Vergangenheit als Baumwollarbeiter war immer noch populär, wie auch der Cotton Club in Harlem beweist, obwohl Baumwolle nur in den Südstaaten angebaut wurde (vgl. Lewis: When Harlem Was in Vogue, S. 209). 12 Quelle: http://nfo.net/usa/c4.html#CDandies, 1.2.2007.

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lassende Behandlung der Schwarzen kritisierte. Die programmatische Autobiographie Jack Johnson is a Dandy (1969) des ersten schwarzen Schwergewichtsweltmeister Jack Johnson (von 1908 bis 1915) ist beredtes Beispiel für diese Selbstbehauptung als black dandy. In seinem roman à clef über die Harlem Renaissance erschafft Wallace Thurman in Infants of the Spring (1932) dabei die Figur von Pelham Gaylord. Dass Pelhams Wunsch, berühmt zu werden, im Gefängnis endet,14 bildet ein Echo auf Carlyles Wortspiel, nach dem Brummells Streben nach einem goal im gaol endet. Zwar weniger an Pelham, aber an anderen Figuren in Infants of the Spring zeigt sich, dass Thurman die Figur des dekadenten Dandys benutzt, um mit der Vorstellung der ›primitiven‹ – im Sinne von ursprünglichen – Kultur der Afroamerikaner, welche durchaus auch von diesen selbst kultiviert wurde, zu brechen.15 Neu an den black dandys um Pelham Gaylord ist also, dass sie weniger auf ihre afrikanischen Wurzeln, als auf die europäische Dekadenz bezogen werden. In seinem Buch The Cowboy and The Dandy, dessen Ausgangsthese ist, die amerikanische Kultur speise sich aus der Spannung zwischen ländlicher Rustikalität (Cowboy) und urbaner Finesse (Dandy), beschreibt Perry Meisel den Unterschied zwischen dem »Chocolate Dandy« Louis Armstrong und Miles Davis.16 Auf der einen Seite steht Armstrongs populärer warmer Trompetenton, der ›schwarze‹ Natürlichkeit suggeriert: Armstrong taufte seine Bands Hot Five und Hot Seven und auch die Show Chocolate Dandies spielte mit der »fascination with a primitivist vision of the intensity, warmth, and rhythms of black life«17. Dem setzt, wie Meisel zurecht anmerkt, Miles Davis einen unterkühlten, kontrollierten Ton entgegen, der dem, auch von Armstrong kultivierten, Klischee des überschwänglichen Schwarzen zuwiderläuft.18 Insofern ist der Cool Jazz von Miles Davis – erste Aufnahmen machte er als Bandleader in den 40er Jahren, die unter dem programmatischem Namen The Birth of Cool erschienen19 – auch als Gegenreaktion auf die ›heiße‹ Musik von Armstrong zu sehen. Die Anekdote, Miles Davis schlafe nachts mit Sonnenbrille,20 illustriert, dass er nicht nach Natürlichkeit strebt: Analog zu Brummells mit Champagner polierten Schuhen wird die Nutzlosigkeit dieser Handlung zum Mythos vom Streben nach absoluter Künstlichkeit. Die Sonnenbrille selbst steht als Symbol dafür, dass Miles Davis trotz seiner afrikanischen Wurzeln ebenso empfindlich auf die Sonne reagiert wie ein Weißer, oder sogar noch empfindlicher, da er sie selbst nachts tragen muss. Ulf Poschardt schreibt in Cool über Miles Davis: »[D]er Cool Jazz besaß […] ei13 Vgl. Miller: The Black Dandy as Bad Modernist, S. 188, 192. 14 Dass Pelham unschuldig wegen Vergewaltigung verurteilt wird, weil ein Liebesgedicht an das Opfer als Indiz dient, bringt nicht nur den Preis zum Ausdruck, im Interesse der Öffentlichkeit zu stehen, wie dies Herring erarbeitet (Herring: The Negro Artist, S. 591), sondern führt auch das Verhängnisvolle des byronschen parêtre vor Augen, in der sich Fiktion und Realität verbinden. 15 Vgl. ausführlich: Glick: Harlem’s Queer Dandy, S. 415. 16 Erstaunlicherweise geht er aber kaum auf die Minstrel Shows ein, obwohl die mit Jim Crow und Zip Coon beide Prinzipien auf exemplarische Weise verkörpern. 17 Glick: Harlem’s Queer Dandy, S. 418. 18 Vgl. Meisel: The Cowboy and the Dandy, S. 96 ff., vgl. Poschardt: Cool, S. 61. Zur Klanganalyse, vgl. Hellhund: Cool Jazz, S. 155 f. 19 Vgl. Wilson: Miles Davis, S. 111 ff. 20 Meisel: The Cowboy and the Dandy, S. 97.

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ne deutliche Beimischung vom Jazz-Hipstertum weißer Musiker.« (S. 71) Wenn Gnüg in Kult der Kälte die Undurchschaubarkeit des historischen Dandys und gleichzeitig für die heutige Zeit das Ende des Dandys behauptet (S. 23), ließe sich ihres Nachrufs zum Trotz insbesondere in dieser Coolness eine Fortsetzung vom »Kult der Kälte« des Dandys erkennen. Nicht zuletzt aufgrund Davis’ letzter Platte Doo-Bop, deren Veröffentlichung 1991 er nicht mehr erleben konnte und auf der posthum sein Jazz mit Rap kombiniert wurde, erweist sich seine Coolness als grundlegend für den HipHop, der somit ebenfalls in der Tradition des black dandy steht. Alleine die Namen unzähliger Rapper, die sich mit dem Attribut cool schmücken, von Kool and the Gang bis Coolio und den ›eiskalten‹ Ice T und Ice Cube, bringen die Wichtigkeit dieses Konzepts zum Ausdruck.21 Die unterschiedlichen Richtungen zwischen Westküsten- und Ostküsten-Rap, gangsta rap und seichteren Klängen, schwarzen und weißen Rappern, die große Zeitspanne von Anfang der 90er Jahre bis heute, zeigen, dass die Coolness eine Konstante des HipHop ist. Dass diese Notwendigkeit der Coolness längst nicht auf amerikanischen HipHop beschränkt bleibt, lässt sich exemplarisch am letzten Repräsentanten der »Pelham-Familie«, Moses Pelham, belegen. Im Song »Pelham Power Production«, gleichzeitig auch Pelhams Labelname, abgekürzt als 3p, heißt es über den »bastard that has that coolness like a pool«: »Now I must say that the Pelham is laid back, coolin’ with my feet on your table.«22 Der sich als cool behauptende Pelham ist indes nicht der einzige Schlüssel, den Rapper als Dandy des 21. Jahrhunderts zu sehen. So weist Lhamon in seiner Untersuchung mit dem bezeichnenden Titel Raising Cain. Blackface Performance from Jim Crow to Hip Hop anhand der Video-Performance von MC Hammer die Popularität der Tanzbewegungen aus den Minstrel Shows in den HipHop-Performances nach: der Run Step, das auf der Stelle-Rennen, wie es Michael Jackson in seinem Moonwalk perfektionierte, der Wheel Step, dem Drehen auf den nach hinten gestellten Fuß, wie er bereits in Jump Jim Crow als »wheel about and turn about« beschrieben wurde, oder dem Market Step aus der Minstrel Show Dancing for Eels 1820 Catherine Market, bei dem mit gespreizten Beinen und nach außen gedrehten Knien gestampft wird.23 Verbunden mit der Vorliebe für starken Slang, der sowohl für die 21 Vgl. Cool C, Cool-E, Cool Nutz, MC Cool Rock, Cool Breeze, Cool’r, Cool Dre, K-T Cool, Wiz Cool C., Kool Keith, Kool G Rap (kurz für Kool Genius of Rap), Kool DJ GQ, Kool Moe Dee, Kool Rock Jay, Kool Daddy Fresh, To Kool Chris, Kool Kollie, Kool Ace, Kool Skool, S’kool Girlz, dem DJ Kool bis hin zu dem immer noch kommerziell erfolgreichen LL Cool J. Auch französische Rapper wie Kool Shen und Cool Et Sans Reproche oder deutsche wie Kool Savas sind zu erwähnen, ferner Platten wie Cool as Ice von Vanilla Ice, Cool Hand Loc des HipHop-Urgesteins Tone Loc und Stay Cool/Duck down von The Roots, die HipHop mit selbst gespieltem Jazz unterlegen. Auch die Bezeichnung ice, findet sich, gemäß des Mottos »cool as ice« (Vanilla Ice) bei Rappern wie Just Ice mit ihrer Platte Kool & Deadly Justice, Ice Mc, Doctor Ice, Smooth Ice, Fresh Kid Ice. 22 Moses Pelham: Moses P. – The Bastard lookin’ 4 the light, Pelham Power Production 2000, ASIN: B0006BLIT0. Veröffentlicht wurde diese Platte, in der Pelham noch in englischer Sprache rappt, erst 2000. 23 Vgl. Lhamon: Hip Hop, S. 220-226. Dieser Tanzstil ist auf der Ankündigung von Dandy Jim from Caroline im Londoner Soho Square bei der Figur unten rechts zu erkennen, vgl. Sandner: Vorformen des Jazz, S. 53.

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Minstrel Shows wie auch für viele HipHop-Stücke kennzeichnend ist, zeigen sich auch Parallelen im Umgang mit der »blackness«. Analog zu den Schwarzen, welche die Parodien des black dandy nachahmten und schließlich für eine authentische Äußerung vereinnahmten, zeigt sich im amerikanischen HipHop eine ähnliche Vereinnahmung der Bezeichnung »nigger«, zumeist »nigga« geschrieben: die HipHop Formation NWA, abgekürzt für »Niggaz with Attitude«, zu der am Anfang auch der »coole« Ice Cube gehörte, bezeichnete sich auf der Platte Niggaz 4 life als »professional niggers«24. Explizit wird dieser im byronschen parêtre angelegte Umgang mit der Rezeption von den Disposable Heroes of HipHoprisy in dem programmatischen Song »(What will we do to become) famous and dandy just like Amos & Andy« ausgedrückt. Nicht nur könnte das Spiel des Bandnamens mit hypocrisy als selbstironisches Lob der Lüge nach Vorbild von Wildes Decay of Lying betrachtet werden, auch die Parenthese im Titel, die offen lässt, ob das lyrische Wir bereits ein Dandy ist oder es nur werden möchte, löst die Unterschiede von Schein und Sein auf: Im Lied wird die Nähe zum byronschen parêtre noch deutlicher, wenn es, ähnlich wie etwa auch bei Splatterdandys Selbstverrissen, heißt: »we reflect the images by the media’s elite, positive or negative attention is viewed as succes«.25 Der üppige Männerschmuck von Rappern wie der Band Outkast zeigt wiederum Ähnlichkeiten zu den Dandys der Dekadenz.26 Markus Hablizel beschreibt demgemäß bei André Benjamin, einem der beiden Mitglieder von Outkast, dessen »exzentrisch[e] Inszenierungen« und seine »dandyistischfeminin[e]« Pose. Er folgert daraus: »Was er dadurch erreicht, ist die Behauptung totaler künstlerischer Individualität.« Wenn er zudem Pharrell Williams bescheinigt, seine unterschiedlichen Selbststilisierungen kreisten alle um einen »scheinbar unveränderlichen Kern cooler Persönlichkeit«, reißt er somit sukzessiv alle hier relevanten Aspekte der Behauptung des Dandys an:27 die Behauptung, die Coolness, die bei Brummell impassibilité genannt wird, das Streben nach künstlerischer Autonomie sowie den Begriff der Exzentrik. Inwiefern der Rapper als Dandy des 21. Jahrhunderts zu sehen ist, wie seine Verwendung des Worts als Waffe und seine Undurchdringlichkeit der Behauptung des Dandys entspricht, mit welchen Mitteln er – gemäß der Behauptung des Autors im literarischen Feld – künstlerische Autonomie im Modus des parêtre für sich veranschlagt, wie er Exzentrik oder Originalität behauptet und sich nach dem Vorbild der hier untersuchten Taktiken als ein schwarzes und/oder weißes Original behauptet, das bliebe noch ausführlich zu untersuchen.

24 Vgl. Lhamon: Transgression, S. 282. 25 Disposable Heroes of HipHoprisy: (What will we do to become) famous and dandy just like Amos & Andy, Maxi-CD, Workers Playtime 1990, EFA 17641/06. 26 Vgl. dazu ausführlich Bessing: Krone der Schöpfung V. 27 Alle Zitate Hablizel: Kraft des Leibes, S. 14.

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354 | DIE BEHAUPTUNG DES DANDYS

Abbildungen S. 73: Robert Dighton »Beau Brummell« (1805) S. 74: George Brummell: Selbstbildnis (1838) S. 75: George Brummell: »The Broken Beau Bow!« (1835) S. 76: James Cook: »Brummell« (1844) S. 139: George Sanders: »Lord Byron and a companion, with a boat« (1809) S. 146: Auguste de Chatillon: »Portrait de Théophile Gautier« (1839) S. 160: Nadar: Fotografie von Charles Baudelaire (1862) S. 163: Constantin Guys: »Second Empire Dandy« S. 244: Richard Dighton: »The Dandy Club« (1818) S. 263: George Cruikshank: »The Dandies Coat of Arms« (1819)

Lettre Eva Erdmann Vom Klein-Sein Perspektiven der Kindheit in Literatur und Film Mai 2008, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-583-3

Vittoria Borsò, Heike Brohm, Vera Elisabeth Gerling, Björn Goldammer, Beatrice Schuchardt (Hg.) das andere denken, schreiben, sehen Schriften zur romanistischen Kulturwissenschaft April 2008, ca. 250 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-821-6

Monika Ehlers Grenzwahrnehmungen Poetiken des Übergangs in der Literatur des 19. Jahrhunderts. Kleist – Stifter – Poe 2007, 256 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-760-8

Christina Burbaum Vom Nutzen der Poesie Zur biografischen und kommunikativen Aneignung von Gedichten. Eine empirische Studie 2007, 374 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN: 978-3-89942-770-7

Fernand Hörner Die Behauptung des Dandys Eine Archäologie

Ulrike Bergermann, Elisabeth Strowick (Hg.) Weiterlesen Literatur und Wissen

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2007, 332 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-606-9

Anja K. Maier Kisten, Krypten, Labyrinthe Raumfigurationen in der Gegenwartsliteratur: W.G. Sebald, Anne Duden, Herta Müller

Arne Höcker, Oliver Simons (Hg.) Kafkas Institutionen

März 2008, ca. 240 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-908-4

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Vittoria Borsò, Heike Brohm (Hg.) Transkulturation Literarische und mediale Grenzräume im deutsch-italienischen Kulturkontakt 2007, 272 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-520-8

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