Die Begriffsbestimmung des Versuchs und ihre Auswirkung auf den Versuchsbeginn [1 ed.] 9783428522910, 9783428122912

§ 22 StGB enthält die gesetzliche "Begriffsbestimmung" zum "Versuch"; dem entspricht seine Formulier

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Die Begriffsbestimmung des Versuchs und ihre Auswirkung auf den Versuchsbeginn [1 ed.]
 9783428522910, 9783428122912

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 183

Die Begriffsbestimmung des Versuchs und ihre Auswirkung auf den Versuchsbeginn

Von

Luis C. Rey-Sanfiz

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

LUIS C. REY-SANFIZ

Die Begriffsbestimmung des Versuchs und ihre Auswirkung auf den Versuchsbeginn

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 183

Die Begriffsbestimmung des Versuchs und ihre Auswirkung auf den Versuchsbeginn

Von

Luis C. Rey-Sanfiz

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Günther Jakobs, Bonn Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Sommersemester 2004 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D5 Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-12291-7 978-3-428-12291-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern, Luis Rey und Leonor Sanfiz, und meinen Schwestern, Celia und María

Vorwort Die vorliegende Arbeit stellt mit geringfügigen Änderungen die im Sommersemester 2004 der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms Universität Bonn vorgelegte Dissertationsarbeit dar. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Prof. Dr. Günther Jakobs, der meine Arbeit auf vielfältige Art unterstützt hat. Auch meinem Zweitgutachter, Prof. Dr. Reiner Zaczyk, danke ich für die verständnisvolle und kontinuierliche Hilfsbereitschaft und großzügige Aufnahme im Rechtsphilosophischen Seminar der Bonner Rechtsfakultät. Zu danken habe ich außerdem Prof. Dr. Enrique Bacigalupo, der meine Arbeit von Anfang an gefördert hat. Das Cusanuswerk ermöglichte die Entstehung dieser Arbeit mit einem Promotionsstipendium und gab mir dadurch die Gelegenheit, die Arbeit in einem anregenden akademischen Forum zur Diskussion zu stellen. Nicht zuletzt schulde ich denjenigen Personen Dank, die zur Überarbeitung der sprachlichen Form der Dissertation beigetragen haben: Frau Julia Kleynmans, Herrn Andreas von Medem, Frau Caroline Scherholz, und insbesondere Frau Dr. Isabel Voßgätter gen. Niermann, die den großen Teil der Korrekturen auf sich genommen hat. Schließlich danke ich den vielen Freunden, die meine Überlegungen interessiert verfolgten. Pontevedra, im September 2006

Luis C. Rey-Sanfiz

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts und ihre Auswirkung auf die Zurechnungskriterien zumVersuchsbeginn §1

§2

Versuchsunrecht und Naturalismus: die Versuchstheorie Feuerbachs . . . A. Zur naturalistischen Beobachtung des Versuchsunrechts . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Relevanz der systematischen Ausgangspunkte Feuerbachs für die strafrechtliche Versuchslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Naturrecht und Zurechnungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Trennung von Moral- und Rechtssystem . . . . . . . . . . . . . b) Naturalistisches Naturrecht als Beobachtungsperspektive des (Straf-)Rechtssystems und der Zurechnungslehre zum Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schuldprinzip, Menschenwürde und naturalistisches Strafrechtssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Naturalismus und Rechtspositivismus nach Feuerbach – Abgrenzung von präventivem Polizeirecht bzw. „Sicherungspolizei“ und Versuchsstrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Strafandrohungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Strafvollzugstheorie als Vergeltungstheorie . . . . . . . . . . . B. Versuchszurechnung bei Feuerbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Positivismus und Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die ordentliche Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die außerordentliche Zurechnung: der Mangel am Tatbestand . . II. Subjektivismus und Objektivismus in der Zurechnung und Versuchsbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur naturalistischen Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts . . . A. Monistische Zurechnungslehren zum Versuchsunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . I. Objektiv-kausale Gebundenheit von Individuen – die Gefährdung eines Rechtsguts als Versuchsbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die ältere objektive Theorie: Versuch als ex-post Bestimmung des Gefährlichkeitsbegriffs (der Ansatz von Mittermaier) . . . . .

21 21 21 21 22 22 22

26 32

37 37 38 41 41 41 42 43 47 47 47 47 48

10

Inhaltsverzeichnis 3. Die neuere objektive Theorie: Versuch als ex-ante Bestimmung des Gefährlichkeitsbegriffs (der Ansatz von v. Hippel) . .

50

4. Der Versuch als konkretes Gefährdungsdelikt (der Ansatz von Spendel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

5. Der Versuch als abstraktes Gefährdungsdelikt (der Ansatz von Kratzsch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

Die subjektive Gebundenheit von Individuen – die subjektiv-materielle Gefährdung eines Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

1. Die Durchsetzung der subjektiv-kausalistischen Theorie in der Rechtsprechung – der Ansatz v. Buris und des Reichsgerichts . .

63

2. Die subjektive Versuchstheorie des Finalismus und ihre Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

a) Der Ansatz von Welzel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

b) Der Ansatz von Armin Kaufmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

c) Der Ansatz von Struensee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

B. Vereinigungstheorien zum Versuchsunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

II.

§3

I.

Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

II.

Subjektivierung der objektiv-kausalistischen Theorien . . . . . . . . . . .

74

1. Die dualistische Versuchslehre Schmidhäusers . . . . . . . . . . . . . . .

74

2. Die Tätergefährlichkeit: die Tätertheorie Langes . . . . . . . . . . . . .

79

III. Die Hervorhebung der Tatbestandsverwirklichung – die neueren Lehren vom Mangel am Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

IV. Eindruckstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

Die Diskussion zu § 22 StGB („Begriffsbestimmung des Versuchs“) . . . . 101 A. Die Kollision der herkömmlichen naturalistischen Methode zur Bestimmung des Versuchsunrechts mit § 22 StGB („Begriffsbestimmung des Versuchs“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 I. Das Problem: § 22 StGB als Versuchsbegriff oder als Abgrenzungsregel des Versuchsbeginns? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Die naturalistisch vereinfachte Begriffsauslegung des Versuchs: der Versuch als hypothetischer Imperativ bzw. als Klugheitsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Reduzierung der Positivität des Gesetzes auf den formell- oder materiell-naturalistischen Sinn des Wortlauts . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II.

Versuchstatbestand und Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Versuchs- und BT-Vollendungstatbestand als unterschiedliche Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Versuchs- und BT-Vollendungstatbestand als Verwirklichungsstufen einer gemeinsamen Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Inhaltsverzeichnis

11

III. Bezogenheit des Versuchs auf die Norm und den Vollendungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Der Versuch als Normbruch oder versuchter Normbruch? . . . . . 110 2. „Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung“ (§ 22 StGB) als vor- oder als (teilverwirklichendes) tatbestandsmäßiges Verhalten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 IV. Der Vorrang der Präzisierung der Abgrenzungsformel als Klugheitsregel vor dem Begriff des Versuchsunrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 116 B. Die (Un-)Maßgeblichkeit naturalistischer Kriterien bei der Bestimmung des unmittelbaren Zusammenhangs vom Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung (§ 22 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 II.

Formelle Formeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. Der Versuch als Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals . . . 118 2. Der Versuch als (Teil-)Verwirklichung der bzw. einer Tatbestandshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3. Teilaktstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

III. Die Franksche Formel und methodischer Reduktionismus bei den materiellen Formeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 1. Die Zusammengehörigkeit der Versuchshandlung mit der Tatbestandshandlung nach dem „natürlichen“ Zusammenhang (Frank) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2. Der Mangel des naturalistischen Prinzips: methodischer Reduktionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 IV. Materielle Konkretisierungsformeln des „natürlichen Zusammenhangs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Subjektive Konkretisierungsformeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Die „Jetzt geht es los“-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Das Bestehen der „Feuerprobe der kritischen Situation“ (Bockelmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Objektive Konkretisierungsformeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Gefährlichkeitskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 b) Das Kriterium der unmittelbaren bzw. ungestörten BT-Tatbestandsbezogenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 c) Der zeitliche und räumliche Zusammenhang mit der Tatbestandserfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 d) Die „Einwirkung auf die Opfer- bzw. Tatbestandssphäre“ (Roxins „konkretisierte Teilaktstheorie“) . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 e) Die Anreicherung der Verursachungshandlung zu einem Handlungsgeschehen als kommunikativer Sinneinheit (Jakobs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

12

Inhaltsverzeichnis

§4

Normativ-(inter-)subjektives Verständnis des Strafrechts – das Selbstbewußtsein als Grund einer vernünftigen Gestaltung des Strafrechts – Zaczyks personale (Versuchs-)Unrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Selbstbewußtsein als Grund einer vernünftigen Gestaltung des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Metaempirische Dimension des (Straf-)Rechts . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines und Einzelnes im Individuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Freiheits- und Personbegriff – das Individuum und die Bedeutung des kategorischen Imperativs im Strafrecht . . . . . . . b) Sittlich freiheitlicher Charakter des (Straf-)Rechts und der (Straf-)Rechtsperson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die soziale Welt in der Begründung des Rechts . . . . . . . . . . . . . a) Die Begründung von Selbstbewußtsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Selbstbewußtsein als Grund einer vernünftigen Gestaltung der sozialen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Interpersonal und gesellschaftlich konstituierte Daseinselemente der Freiheit als Rechtsgüter . . . . . . . . . . . bb) Staatliche und gesetzliche Konstitution der Rechtsgüter und die Rechtsgüter des Staats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Versuchsunrecht und Versuchsbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Strafgrund des Unrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unrecht des Versuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unmittelbares Ansetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die mangelhafte Vermittlung des Sozialen – Subjektivismus und Dualismus in der Versuchslehre Zaczyks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

144 144 144 145 145 145 146 148 148 150 151 152 153 153 155 155 160 162

2. Kapitel § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs“ §5

Bestimmung des freiheitlichen Versuchsbegriffs anhand einer einheitlichen innerstrafrechtlichen Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Das unterschiedliche Grundverständnis von Freiheit und Strafrecht . . . . B. Der strafrechtliche Versuchsbegriff als innerstrafrechtlicher Begriff der Verletzung von Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Dualismus (anhand des Realismus und des subjektiven Idealismus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Objekt der Freiheitsverletzung beim Versuch im dualistischen Strafrechtsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

172

172 172 174 174 174

Inhaltsverzeichnis 2. Vergleichende Stellung des Täter-, Tat- und Zurechnungsbegriffs in Grundzügen nach dualistischer und nach einheitlicher Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Feststellungen in der Natur als Abstraktionen des Zurechnungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Täterbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kausalität und objektive Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Überwindung des Dualismus: die Begriffe eines vernünftigen Strafrechtssystems (anhand vom absoluten Idealismus) . . . . . . . . . . 1. Begriffe als autonome Selbstbestimmungen eines freiheitlichen (Strafrechts-)Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Momente des Begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wirklichkeits- versus Abstraktionscharakter der Momente des Begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Momente des Versuchsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die freiheitliche Funktion des heutigen Strafrechtssystems . . . . . . . . . . . . I. Strafrechtssystem als Teilsystem der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . II. Die freiheitliche Funktion des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Das (inner-)systematische Kriterium der strafrechtlichen Zurechnung (objektive Zurechnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Täterbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Personbegriff als Struktur des (Straf-)Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Personalität als Voraussetzung von Selbstbewußtsein und Trennung der Strafrechtsperson vom praktischen Subjekt . . . . . . . . . . 3. Personale und instrumentale Kommunikation: Trennung der Strafrechtsperson vom Individuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strafrechtsperson – Individuum – Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . II. Tatbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Strafbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §6

Das „Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung“ (§ 22 StGB): das Unrecht des Versuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Rück- und Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Personen- und Tatbegriff im Hinblick auf freiheitliche Anerkennungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur freiheitlichen Perspektive des Begriffs der (Straf-)Rechtsperson als Eigentümer bzw. Inhaber von Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zur freiheitlichen Perspektive des Begriff der (Straf-)Rechtsperson als Inhaber von Pflichten bzw. als Garant von Freiheit . . . . . . . . . . . 1. Positive Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Negative Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Der Versuchsbegriff als Teilbegriff des Tatbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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178 178 180 182 184 184 187 187 190 192 192 194 196 196 196 197 199 199 201 204 208 209 209 210 210 213 213 214 215

14

Inhaltsverzeichnis I.

Der Tatbegriff als freiheitlich-kommunikativer Begriff von Pflichtverletzung (objektive Zurechnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Vollendungsbegriff als Bezugsbegriff des Versuchbegriffs . . . . 1. Die materielle Grundlage des Vollendungsbegriffs als kommunikativ-normativ komplette Organisationsanmaßung . . . . . . . . . . 2. Kommunikativ-freiheitliche Tatbestandskonkretisierungen . . . . . a) Rückverlagerungen bzgl. des materiellen Vollendungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorverlagerungen bzgl. des materiellen Vollendungsbegriffs, insbesondere Gefährdungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Exkurs: Zum Status des naturalistisch beobachteten Erfolgs als (Rechts-)Gutsverletzung bzw. (Rechts-)Gutsgefährdung im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der genuin strafrechtliche Erfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die naturalistische Trennung von Unrecht und Erfolg . . cc) Erfolg und Rechtsgüterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Erfolg und Schutz von Normtreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der materielle Versuchsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Versuch als gegenwärtige, zum Tatzeitpunkt stattfindende (Straf-)Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Versuch und Vollendung als perfekte Normbrüche und die Verwirklichung des Gesamtunrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Versuch und die Vollendung als perfekte Tatbestandsverwirklichungen – die Ebene des Anerkennungsverhältnisses zwischen Täter und Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Versuch als Teilverwirklichung des Tatbestands – die Ebene des interpersonalen Anerkennungsverhältnisses . . . . . 3. Das „Versuchen“ als Zusammenhang zwischen strafbarem vorvollendetem Verhalten und Vollendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zweckbestimmtheit des Versuchsbegriffs? . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweckbestimmtheit als objektive Zurechenbarkeit . . . . . . . . . D. § 22 StGB, die „Begriffsbestimmung des Versuchs“ als „Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Versuch als „Ansetzen zur (BT-Vollendungs-)Tatbestandsverwirklichung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung und die Tatbestandsmäßigkeit des Versuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Versuch, Feststellung eines unerlaubten Risikos nach tatbestandsspezifischer Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Versuch und unerlaubtes Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatbestandsspezifische Auslegung des Versuchsbegriffs . . . . . . .

215 217 217 218 218 220

223 223 223 224 227 228 228 229

229 231 232 232 232 234 234 234 235 238 238 241

Inhaltsverzeichnis §7

15

„Tätervorstellung“ (§ 22 StGB) und Schuldzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . 243 A. Der Versuch als Schuld und Unrecht – Tätervorstellung und objektive Schuldzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 I. Die Tätervorstellung als begriffliches Merkmal des Versuchsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 1. Die (Versuchs-)Unrechtsbezogenheit der Tätervorstellung . . . . . 243 II.

2. Die Schuldbezogenheit des (Versuchs-)Unrechts . . . . . . . . . . . . . 243 Täterbegriff und objektive Schuldzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Tätervorstellung und Schuldzuschreibung zu einem Willen . . . . 244

2. Versuchsdogmatik zwischen Personalität und Individualität . . . . 245 3. Die Versöhnung von Person und Individuum im Täterbegriff, scil. in der konkreten Person des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 4. Fazit: Die Tätervorstellung des Versuchstäters als Zurechnung zum Willen der konkreten Person, scil. als normatives Konstrukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 B. Tätervorstellung und § 22 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 I. II.

Der Zusammenhang zwischen § 22 StGB und §§ 16 f. StGB . . . . . 253 Ausschluß von Tätervorstellungen bzgl. vortatbestandlichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1. Betätigung des bösen Willens vor einer Freiheitsverletzung . . . 254

2. Exkurs: Das Versuchsdelikt als tatbestandliches, ausführendes Verhalten und der Versuch der Beteiligung (§ 30 StGB) als Zuständigkeit für ein kommendes (Versuchs-)Delikt . . . . . . . . . . 257 III. Ausschluß von Tätervorstellungen bzgl. außertatbestandlichen Verhaltens zum „Tatzeitpunkt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 1. Ausschluß von nicht den Norminhalt betreffenden Tätervorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 a) Tätervorstellung der Norminterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 b) Sonderwissen und -fähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 2. Ausschluß von Tätervorstellungen, die kommunikativ irrelevante Lagebeurteilungen einschließlich der Prognosen betreffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) Kommunikative Relevanz versus „irrealer“ bzw. „unverständiger“ – auch „abergläubischer“ – und „untauglicher“ Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) Der konkreten Person werden nur rationale Wahrnehmungen bzw. Lagebeurteilungen zugeschrieben . . . . . . . . . . . . . . . 264 c) Der konkreten Person werden nur rationale Prognosen zugeschrieben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 d) Zum untauglichen Versuch – Instrumentalität als personales Konstrukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

16

Inhaltsverzeichnis aa) Strafbarkeit des untauglichen Versuchs auf der Basis zugeschriebener Tätervorstellung (objektive Zurechnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 bb) Untauglicher Versuch und interpersonale Anerkennung nach Maßgabe objektiver Anerkennungsverhältnisse . . . 268 e) Exkurs: § 23 Abs. 3 StGB (grob unverständiger Versuch) als (innerbegriffliche) Unterscheidung im Versuchsbegriff . . 271 aa) Die Grenzen des Strafrechts und die Unterscheidung im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 bb) Kommunikativ relevante und kommunikativ irrelevante grob untaugliche Versuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 cc) Die Rollenbezogenheit des kommunikativ Relevanten bzw. des unerlaubten Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 dd) Grob unverständiger Versuch und Rand- bzw. Grauzonen des (Un-)Erlaubten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 ee) Strafzumessung, Strafgrund des Versuchs und Versuchsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 IV. Exkurs: § 22 StGB und fahrlässiger Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

§8

Konkretisierung des schuldhaften Versuchsunrechts: die „Unmittelbarkeit“ gemäß § 22 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 A. Die „Unmittelbarkeit“ als Konkretion der Eigentumsumschichtung bzw. der Organisationsanmaßung beim Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 I. Die formell-rechtliche Betrachtung der Unmittelbarkeit . . . . . . . . . . 283 1. Spezifizierung des Teilverwirklichungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . 283 2. Die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale beim Versuch . . . . . . . . 284

II.

3. Die Tatbestandshandlung: konkretes Sollen (Schuld), abstraktes Sollen (Unrecht) und Unmittelbarkeitszusammenhang (Vollendungsbezogenheit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Die materiell-rechtliche Bestimmung des abstrakten Sollens (Unrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 1. Nochmals: Die Unmittelbarkeit als Frage des abstrakten Sollens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 2. Unmittelbarkeit und tatbestandliche Ausdifferenzierung des Sinns einer Eigentumsumschichtung bzw. der Rechtsusurpation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 3. Unmittelbarkeit als Umschichtung eines tatbestandlichen Rechts versus Erwartungsenttäuschung als Indiz eines kommenden Normbruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 4. Die Unmittelbarkeit als Frage des Tatstrafrechts . . . . . . . . . . . . . 289 5. Das unerlaubte Versuchsrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292

§9

Inhaltsverzeichnis

17

B. Konkretisierung anhand von Streitfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Problem: Behandlung von außertatbestandlichem Verhalten als Versuch? Ausdifferenzierung der Kommunikation . . . . . . . . . . . . 1. Strafrechtlicher Sinn und Grenzfälle bei Tatbeständen betreffend sensible Freiheitsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Individualisierung der objektiven Zurechnung in Grenzfällen? – Undifferenzierte Beobachtung der Kommunikation? . . . . . . . . . . II. Tatbestandsspezifische Rechtsusurpation als Einwirkung auf die Schutzsphäre des Opfers oder bloß auf die Tatbestandssphäre? . . . . 1. Die Einwirkung auf die Schutzsphäre als unzureichender Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz und freiheitliches Strafrechtssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Kriterium der Einwirkung auf die Tatbestandssphäre . . . . . III. Zeitliche Tatbestandsnähe versus unmittelbare Bezogenheit auf den BT-Vollendungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Versuch als Rechtsusurpation im genuin tatbestandlichen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Einige klassische Diskussionsfelder zum Versuchsbeginn . . . . . . . . . 1. Diebstahlsversuch und Wegnahmebegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Grenzen der Rechtsusurpation, kommunikativ-normative Freiheitspraxis und sozialer Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorverlagerung des Versuchsbereichs beim Diebstahl . . . . . . c) Die Problematik des Versuchsbeginns bei den Erschwerungsmerkmalen und Qualifizierungstatbeständen . . . . . . . . . d) Der Prozeß des Gewahrsamsbruchs nach seinem kommunikativen Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Einwirken auf die Opfersphäre versus unmittelbares Einwirken auf das Tatbestandsrecht des Opfers (zu § 176 StGB) . . 3. Typische Begehungsvorgänge bei versuchter Tötung und Versuchsbegriff bei Tötungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

292 292 292 295 296 296 298 300 300 302 304 304 305 307 309 310 313 316

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352

Abkürzungsverzeichnis a. A. Abs. AE a. F. AKAlt. Anm. ARSP Art. AT Bd. BGB BGH BGHSt. BT BT-Drucks. BVerfG BVerfGE bzw. d.h. ders. FS f. (ff.) Fn. GA GS GS (Jahr)

GG hrsg. Hrsg. i. d. R. JA JR

anderer Ansicht Absatz Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches alte Fassung Alternativkommentar zum Strafgesetzbuch (-Bearbeiter) Alternative Anmerkung Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Allgemeiner Teil Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Besonderer Teil Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise das heißt derselbe Festschrift folgende Seiten Fußnote Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gedächtnisschrift Der Gerichtssaal, Zeitschrift für Strafrecht, Strafprozeßrecht, Gerichtliche Medizin, Gefängniskunde und die gesamte Strafrechtsliteratur, hrsg. von M. Stenglein Grundgesetz herausgegeben Herausgeber in der Regel Juristische Arbeitsblätter Juristische Rundschau

Abkürzungsverzeichnis JRR Jura JuS JW JZ LG KritV LKLM LZ MDR MKm. w. N. m. w. H. n. F. NJ NJW NKNr. NStE NStZ ÖJZ OLG OWiG Pkw resp. RGSt. Rn. S. scil. SKStGB StPO StV StVG u. a. usw. v. vgl.

19

Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Landgericht Kritische Vierteljahreszeitschrift für die Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch (-Bearbeiter) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs im Nachschlagewerk von Lindenmaier, Möhring u. a. Leipziger Zeitschrift Monatsschrift für Deutsches Recht Münchner Kommentar zum Strafgesetzbuch (-Bearbeiter) mit weiteren Nachweisen mit weiteren Hinweisen neue Fassung Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch (-Bearbeiter) Nummer Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht Österreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht Gesetz für Ordnungswidrigkeiten Personenkraftwagen respektive Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Randnummer Satz, Seite scilicet Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch (-Bearbeiter) Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung Strafverteidiger Straßenverkehrsgesetz unter anderem, und andere und so weiter von/vom vergleiche

20 Vorbem. VRS z. B. zit. ZStW z. T.

Abkürzungsverzeichnis Vorbemerkung Verkehrsrechts-Sammlung (Band, Seite) zum Beispiel zitiert Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil

1. Kapitel

Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts und ihre Auswirkung auf die Zurechnungskriterien zum Versuchsbeginn § 1 Versuchsunrecht und Naturalismus: die Versuchstheorie Feuerbachs A. Zur naturalistischen Beobachtung des Versuchsunrechts I. Einleitung Anhand der Versuchstheorie Feuerbachs wird im folgenden die Bedeutung der naturalistischen Methode für die herkömmlichen Versuchslehren in ihren Grundzügen abgehandelt. Bei Feuerbach heißt es, daß „bürgerliche Strafbarkeit ohne eine dem äusseren Rechte widersprechende Handlung unmöglich, eine Handlung aber nur dann (äusserlich) rechtswidrig ist, wenn sie das Recht verletzt oder gefährdet. Die rechtswidrige Absicht allein gibt keiner Handlung das Merkmal der Rechtswidrigkeit. Wer von dem Verbrechen der Mittheilung eines vermeintlichen Gifts, von dem Versuch der Tödtung eines Leichnams und dergl. spricht, verwechselt das Moralische mit dem Rechtlichen, die Gründe der Sicherungspolizei mit dem Recht zur Strafe, und muss auch jenen Baiern eines strafbaren Versuchs der Tödtung schuldig erkennen, der nach einer Kapelle wallfahrtete, um da seinen Nachbarn – todt zu beten“1. Für Feuerbach verbietet es sich, bei der Behandlung des strafrechtlichen „strafbaren Versuchs“ „das Moralische mit dem Rechtlichen2, die Gründe der Sicherungspolizei mit dem Recht zur Strafe“ zu verwechseln3. Insbesondere auf die These von der Trennung der Welt des Rechts von derjenigen der Moral wird in der Nachfolge Feuerbachs nachdrücklich, aber meist oberflächlich, rekurriert, vor allem von den objektiven Versuchstheorien4. Die Frage nach dem Einfluß 1 2 3

Feuerbach, Lehrbuch, § 42, Anm. 3, S. 72. s. hierzu Feuerbach, Revision I, Einleitung, S. XXI. Vgl. Feuerbach, Lehrbuch, § 42, Anm. 3, S. 72.

22

1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

polizeirechtlicher Vorstellungen auf die strafrechtliche Zurechnungslehre, insbesondere in der Behandlung des strafrechtlichen Versuchs, stellt sich gleichfalls als aktuelles Problem dar5. Diese Fragen sind letztendlich die unumgänglichen, grundlegenden Fragen zur Problematik, wie strafrechtliches Unrecht festzustellen ist, d.h., welche die Zurechnungskriterien zum genuin strafrechtlichen Unrecht sind und warum. Eine präzise Antwort auf diese Fragen ist vor allem in der Versuchslehre, insbesondere beim Versuchsbeginn, nötig, da es sich hierbei um einen Grenzbereich des Unrechts handelt. Das System Feuerbachs zeichnet eine vorherrschende Richtung in der Strafrechtsdogmatik zur Beantwortung der Zurechnungsfragen aus: die naturalistische Betrachtung des (Versuchs-)Unrechts. Zunächst sei deswegen die Bedeutung des Prinzips des (Straf-)Rechts bei Feuerbach für die Versuchslehre hervorgehoben, wozu einleitend erstens auf Kant und zweitens auf die Erläuterung der Grundprämissen des naturalistisch beobachteten Systems einzugehen ist. Im folgenden wird die Straftheorie und die Zurechnungslehre Feuerbachs zum Versuch zu erläutern sein. II. Die Relevanz der systematischen Ausgangspunkte Feuerbachs für die strafrechtliche Versuchslehre 1. Naturrecht und Zurechnungslehre a) Die Trennung von Moral- und Rechtssystem Feuerbach geht vom Kantschen System aus. Die Welt ist für Kant in eine a priorische, transzendentale, noumenale, intelligible, metaphysische und eine a posteriorische, phänomenale, empirische Wirklichkeit gespaltet. Der Mensch ist dementsprechend ebenfalls in zwei Dimensionen als homo noumenon und homo phänomenon geteilt6: Als homo phänomenon ist er ein unfreies, notwendig determiniertes Triebwesen; als homo noumenon ist er ein Vernunftwesen mit einem freien Willen, d.h. mit der Fähigkeit, nach den Geboten und Verboten der Vernunft zu handeln. In jeder dieser Welten – in der empirischen und in der metaphysischen – regieren unterschiedliche Deutungsschemata für die Interpretation „menschlicher“ Handlungen. Eine Handlung kann nach einer noumenalen Beobachtung als frei gelten, auch wenn wir nach einer phänomenalen, nur empirischen Beobachtung die Handlung aus ihren vorhergehenden Bedingungen als notwendig determi4

Exemplarisch Spendel, FS Stock, S. 91. s. für die Verbrechenslehre im allgemeinen nur Lesch, Verbrechensbegriff, S. 175 ff. 6 Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 550 f., S. 500 f. 5

§ 1 Versuchsunrecht und Naturalismus

23

niert erkennen können. Denn, so Kant wörtlich, „ob man nun gleich die Handlung dadurch bestimmt zu sein glaubt: so tadelt man nichts destoweniger den Täter, und zwar nicht wegen seines unglücklichen Naturells, nicht wegen der auf ihn einfließenden Umstände, ja sogar nicht wegen seines vorher geführten Lebenswandels, denn man setzt voraus, man könne es gänzlich beiseite setzen, wie dieser beschaffen gewesen, und die verflossene Reihe von Bedingungen als ungeschehen, diese Tat aber als gänzlich unbedingt in Ansehung des vorigen Zustands ansehen, als ob der Täter damit eine Reihe von Folgen ganz von selbst anhebe“7. Dank der noumenalen Dimension des Menschen als von jeden empirischen Referenzen gereinigtem homo noumenon wird dem Täter im Gegensatz zu naturalistischen Ansätzen als zurechnungsfähiger Person, die Fähigkeit zugeschrieben, frei nach den Geboten der praktischen Vernunft zu handeln8. Diese freiheitliche Ordnung ist eine überindividuelle bzw. überphänomenale, objektive und auch sittliche Ordnung9. Derjenige, der nicht dieser Freiheit gemäß handelt, bleibt trotzdem in formeller Hinsicht Person, d.i. ein zur Befolgung der praktischen Vernunft Fähiger. Seine Freiheit ist deswegen „kein empirisches, realpsychisches, sondern als kontrafaktisches, dem Täter qua Vernunftallgemeinheit unterstelltes Anders-Handeln-Können, resp. als rein begrifflich-normatives Anders-Handeln-Sollen definiertes“10, normativ-gebundenes Konstrukt. Der Vorwurf gegenüber dieser Person besteht nach Kant darin, „daß sie ihr Personsein in concreto verfehlt und sich rein faktisch zu einem Triebwesen erniedrigt hat“11. Der Täter ist nach dieser Betrachtung also ein normatives Konstrukt, eine Sollgestalt, die vom Empirischen kategorial getrennt ist. Ist bei Kant die genuine Ebene des (Straf-)Rechts eine metaphysisch-normative12, liegt es nahe zu vertreten, daß das eigentliche Substrat des Verbrechens nicht eine materielle Verletzung von individuellen Rechten oder Gütern, sondern die immaterielle Verletzung der sittlich-vernünftigen Ordnung ist. Ein Verbrechen würde zwar die Verletzung der äußeren Ordnung des staatlichen Strafrechts darstellen; diese Verletzung wäre aber nur deshalb Verbrechen, weil sie mit der Verletzung der äußeren Rechtsordnung zugleich die Gebote der a priori gesetzgebenden praktischen Vernunft verletze, d.h., weil sie ihre „praktische Letztbegründung“13 im Sittengesetz fände. Nicht die Störung von äußerlich-ma7

Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 554 f., S. 503 f. (Hervorh. von mir). Kant, Die Metaphysik der Sitten, AB 22, S. 329. 9 Gemeint ist die Ordnung eines objektiven Willens. Dazu Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 20. Zu Kant ausführlicher unten, 2. Kap., § 5. B. I. 10 Lesch, Verbrechensbegriff, S. 39. 11 Lesch, Verbrechensbegriff, S. 27. Dazu auch Oberer, Begründungsaspekte, S. 413. 12 Vgl. hierzu Naucke, Kant, S. 26, S. 28, S. 30 ff., insbes. S. 32; Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 146 ff., S. 151; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 23; Oberer, Begründungsaspekte, S. 400, S. 401 ff. 8

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

teriellen Freiheitssphären an sich würde den Verbrechens- bzw. Straftatbegriff charakterisieren, sondern die Verfehlung des ihm zugrundeliegenden kategorischen Imperativs wäre entscheidend für die Zurechnung14. Die absolute strafrechtliche Strafe bekäme andererseits nach Kant eine sehr konkrete restitutive, nicht präventiv bzw. zukunftsorientierte Funktion: die Wiederherstellung der durch die in ihrer noumenalen Bedeutung bzw. Dimension verstandenen Tat verletzten sittlich-vernünftigen Ordnung15. Entscheidend bei Feuerbach ist, ob diese noumenale Welt nicht nur die Moralität, sondern auch das System des Strafrechts ausmacht, d.h., ob hierbei mit dem Allgemeinbegriff „Täter“ nicht nur der (un-)moralische, sondern auch der strafrechtliche Täter gemeint ist. Nochmals: Es geht um das Problem, ob diese metaphänomenale Ebene auch für die Sphäre des Rechts gilt oder nur für diejenige der Moral und, letztendlich, ob die relevante Wirklichkeitsebene des strafrechtlichen Verbrechens auch in einer noumenalen, „der praktischen Vernunft a priori zugänglichen, metaphysischen, außerstaatlichen Ordnung“16, „in der Verletzung einer metaphysischen, unnachläßlichen Pflicht“17 zu finden ist, oder ob die Sphäre des Rechts eine ganz phänomenale ist, die von anderen Prinzipien als denjenigen der moralischen Welt regiert wird. Zusammenfassend ist die Frage zu beantworten, ob der Adressat der Norm, der Strafe und der Zurechnung eine (formell) freie Person oder ein unfreies Triebwesen ist, scil. wie stehen die beiden getrennten Wesen und Welten (die phänomenale und die noumenale) im Strafrecht überhaupt zueinander. Feuerbach deutet die Kantsche Rechtsphilosophie dahin um, daß das Recht von der Moralität im Vergleich zu Kant radikaler zu trennen ist: Der moralische und der rechtliche Straf-, Tat- und Täterbegriff beruhten auf ganz verschiedenen Prinzipien, die für unterschiedliche, nebeneinanderstehende Ordnungen bzw. Systeme, scil. die Ordnung der Moral und diejenige des Rechts, gelten sollten18. Darf nach Feuerbach beim Versuch das Moralische nicht mit dem Rechtlichen verwechselt werden, so ist damit zweierlei gemeint. Ganz im Sinne Kants kann der einzelne für Feuerbach die Erfordernisse der juridischen Gesetze erfüllen, ohne zugleich sittlich gehandelt zu haben19, d.h., er muß – ganz nach der 13

Oberer, Begründungsaspekte, S. 400. Eingehend Lesch, Verbrechensbegriff, S. 24. 15 Vgl. Oberer, Begründungsaspekte, S. 402 f.; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 38. 16 Lesch, Verbrechensbegriff, S. 23. Vgl. auch Oberer, Begründungsaspekte, S. 399 ff., S. 400. 17 Naucke, Kant, S. 32. 18 Vgl. Feuerbach, Kritik des natürlichen Rechts, Vorrede, S. XI f., S. 55, 59. 19 Vgl. Feuerbach, Revision II, S. 112 und Kant, Metaphysik der Sitten, AB 15, S. 324. Siehe auch Feuerbach, Revision I, S. 24 ff., S. 66, der in diesem Sinne die (innere, moralische) Pflichtverletzung der (äußeren, juridischen) Rechtsverletzung gegenüberstellt. 14

§ 1 Versuchsunrecht und Naturalismus

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Unterscheidung von Kant – bei der (Rechts-)Pflichterfüllung nicht zugleich aus Pflicht als Handlungsmotiv, als Triebfeder gehandelt haben. In der Strafrechtlichen Ordnung ist also nicht die innere Haltung des Individuums zum Gesetz, die innere Handlung als Gesinnung, sondern nur die äußere Handlung, die (Nicht-)Übereinstimmung ihrer äußeren Beschaffenheit mit der (Rechts-)Pflicht relevant. Für Feuerbach ist die Grundunterscheidung aber eine andere: Nach Kant meinen die (Straf-)Rechtsnormen ein transzendental begründetes System von kategorischen Imperativen20, die rein rechtsintern nur juridisch erfüllt werden können, aber ebenso wie das Moralsystem auf einer transzendentalen Ebene fundiert werden und auch moralisch verpflichten. Der grundlegende Punkt bei Feuerbach ist nun, daß die (Straf-)Rechtsnormen keine kategorischen Imperative enthalten, d.h., keine metaphysische oder metaphänomenale Ordnung meinen, vielmehr rein empirischer Natur sind, so daß nur eine empirische Welt verletzt wird, wenn solche Normen gebrochen werden. Feuerbach weist zwar vereinzelt darauf hin, daß die praktische Letztbegründung der strafrechtlichen Norm auch in einer a priorischen Welt liege21. Dies soll aber nicht als a priorische Ableitung des Rechts aus dem Sittengesetz, aus den genuinen Gesetzen der Freiheit verstanden werden. Das Recht diene der Moralität, der sittlich genuinen Freiheit in einem ganz äußerlichen Sinne: Nach Feuerbach kann „der Freiheitsbegriff durchaus nicht über das Gebiet des Sittengesetzes hinaus ausgedehnt werden“22. Die Welt des Rechts ist also nicht die Welt der genuinen, noumenalen Freiheit. Die Theorie Feuerbachs „(verweist) die Freiheit in die intelligible Welt“, so daß sie ihn „also in dem Gebiete der Rechtslehre nöthigt, Deterministen zu seyn“23: „Nicht Freiheit, sondern das, was an dem Menschen Natur ist, macht den Gegenstand der strafenden Gewalt aus“24. Denn „das höchste Prinzip für alles, was äußerlich recht ist, ist nur, daß die Freiheit eines jeden mit der Freiheit aller bestehe, daß jeder die freye Ausübung seines Rechts habe, und keiner die Rechte des anderen beeinträchtige. Die rechtliche Ordnung besteht darin, daß der wirkliche Zustand der Menschen, diesem nothwendigen Gesetze der Freiheit nicht widerspreche“25. Wenn es hier nicht um genuine, a priorisch-normative Freiheit geht, dann berührt der Rechts- und „Freiheits“-begriff ein anderes Niveau, nämlich das phänomenale Niveau der Wirklichkeit: die Welt des Verstandes nach hypotheti20 Kant, Metaphysik der Sitten, B 226, S. 453: „Das Strafgesetz ist ein kategorischer Imperativ“. 21 Hierzu Grünhut, Feuerbach, S. 13 ff., S. 19. Siehe auch Naucke, Kant, S. 65 f., zur Entwicklung dieses Gedankens bei Feuerbach. 22 Feuerbach, Revision II, S. 107, S. 70 f., S. 75 ff., S. 147, S. 291, S. 319 f.; weiterhin ders., Revision I, Vorrede, S. VIII f. 23 Feuerbach, Revision II, S. 134, Anm. 24 Feuerbach, Revision II, S. 133. 25 Feuerbach, Revision I, S. 26.

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schen Imperativen, nicht diejenige der Vernunft nach den kategorischen Imperativen Kants. Gemeint ist der nicht genuine, durch Normen und Rechte negativ abgegrenzte, naturalistische Freiheits- bzw. Willkürbegriff. Zusammenfassend ist Feuerbachs Auffassung so zu verstehen: Erstens gibt die für den transzendentalen, moralischen Kantschen Freiheitsbegriff notwendige, innere Handlung des Täters, als Gesinnung aber auch „die rechtswidrige Absicht allein keiner Handlung das Merkmal der Rechtswidrigkeit“26. Es ist vielmehr eine, der äußeren phänomenalen Welt angehörende Handlung notwendig. Zweitens ist bei dieser äußerlichen Handlung nicht ihr moralischer, immaterieller, und das heißt noumenaler Gehalt bzw. Wert relevant, sondern die äußerlich-materielle Störung als empirische Kausalität oder Gefahr individueller, materieller Freiheitssphären, „weil bürgerliche Strafbarkeit ohne eine dem äussern Recht widersprechende Handlung unmöglich, eine Handlung aber nur dann (äusserlich) rechtswidrig ist, wenn sie das Recht verletzt oder gefährdet. (. . .) Wer von dem Verbrechen der Mittheilung eines vermeintlichen Gifts, von dem Versuch der Tödtung eines Leichnams und dergl. spricht, verwechselt das Moralische mit dem Rechtlichen“27. Gibt es also eine rechtswidrige Absicht und eine phänomenale äußere Handlung, gefährdet diese nach kausalen Gesetzen keine äußeren Rechte, und hält man die für einen strafrechtlichen Versuch, dann müsste man „auch jenen Baiern eines strafbaren Versuchs der Tödtung schuldig erkennen, der nach einer Kapelle wallfahrtete, um da seinen Nachbar – todt zu beten“28. Zuletzt sind Täter, Norm, Tat und Strafe auf derselben systematischen Ebene zu beobachten, d.h. rein phänomenal. Dieser letzte Punkt soll im Einzelnen erklärt werden. b) Naturalistisches Naturrecht als Beobachtungsperspektive des (Straf-)Rechtssystems und der Zurechnungslehre zum Versuch Das (Strafrechts-)System von Feuerbach gilt auf der Basis der auf Hobbes zurückzuführenden empirischen Methode der Neuzeit29, welches als Grundmodell der naturalistischen30 Zurechnungslehre31 und auf diese Weise auch der 26

Feuerbach, Lehrbuch, § 42, Anm. 3, S. 72. Feuerbach, Lehrbuch, § 42, Anm. 3, S. 72. 28 Feuerbach, Lehrbuch, § 42, Anm. 3, S. 72. 29 Dazu Welzel, Naturrecht, S. 1, S. 108, S. 116. Vgl. auch Hobbes, Der Körper, S. 74 ff., S. 82 f., der die analytische Methode der Naturwissenschaften auf ihre politische Philosophie systematisch anwendet; Kersting, Politische Philosophie, S. 1 ff., S. 10, S. 62 ff.; dens., Die Begründung der politischen Philosophie, S. 14 f., S. 24. 30 Zum Terminus Naturalismus siehe Keil/Schnädelbach, Naturalismus, S. 7 ff., die darauf hinweisen, daß der Naturalismus „weniger ein Ismus der Natur als ein Ismus der Naturwissenschaften“ ist (S. 12 f.), d.h. eine methodische Beobachtung der Wirklichkeit kennzeichnet. Zum naturalistischen Strafrechtsdenken, Voßgätter genannt Niermann, Soziale Handlungslehren, S. 20 ff. 27

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Versuchslehre dient. In seinem Modell werden die Grundprämissen angesprochen, welche die naturalistisch geprägte Versuchsdogmatik bis heute bestimmen – wie im ersten Teil der Arbeit gezeigt werden wird. Dementsprechend werden die Begriffe und Ergebnisse des Strafrechts – hier insbesondere der Rahmen der Markierung des (un-)erlaubten Risikos als Frage nach der Zurechnung zum Versuchsbeginn – nach diesen Prämissen bzw. nach dieser Beobachtung des Phänomens „Strafrecht“ und „Versuchsbeginn“ konsequent erklärt werden müssen. Dies soll nachfolgend kurz aber grundlegend erörtert werden. Der Täterbegriff, d.i. die Identität des strafrechtlichen Täters, wird nach der empirischen Methode analytisch beobachtet. Er wird erstens von seinem gesellschaftlichen Kontext abstrahiert, als ursprünglich frei, d.h. als an nichts außer sich gebunden und insofern als vor- oder asozial, kurz: als ungebundenes Individuum gedacht32. Weiterhin wird er teilweise als „ein interpretationsfrei gegebenes Etwas“33, als „Mensch“ betrachtet bzw. genommen, was nach den Grundprämissen nichts anderes heißt, als daß er in seiner natürlichen Verfaßtheit oder – in Kantscher Sprache – als homo phänomenon, d.h. in seiner Faktizität, in seiner naturkausalen Antriebshaftigkeit als psycho-physische Wirklichkeit, in seiner aktuell vorliegenden empirisch-realen Ausstattung, in seinem faktischen, individuellen Können genommen wird. Dabei wird oft vergessen, daß der Täter, indem er nach bestimmten Prämissen – hier denjenigen des Naturalismus – „beobachtet“ bzw. „genommen“ wird, so wie die anderen Erkenntnisobjekte, nach einem bestimmten systematischen Gesichtspunkt interpretiert wird, d.h. letztendlich (durch Zuschreibungen34) konstruiert wird. Wird dies nicht berücksichtigt, dann verwechselt man auch unter anderem das, was der Mensch ist, mit der nach Prämissen systematisch konstruierten Täterperson bzw. dem Täterbegriff. Eine solche Betrachtung der strafrechtlichen Wirklichkeit bleibt bei einer physisch-kausalen Dimension der vom strafrechtlichen Täter vorgefundenen Umwelt, d.h. der anderen „Menschen“ (Gesellschaft) und somit des Strafrechts als im Verhältnis zum Täter externer Naturphänomene. Andere, zur Umwelt des Täters gehörende Menschen, werden ebenfalls als psycho-physische Gegebenheiten zur Kenntnis genommen. Diese Umwelt wird dementsprechend in einem 31

Dazu neulich Lesch, Verbrechensbegriff, S. 41 ff., S. 57 ff. Vgl. Köhler, Strafrecht AT, S. 39; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 19; Hobbes, Vom Bürger, S. 76 ff.; dens., Leviathan, S. 94 ff., S. 131 ff. S. ferner Welzel, Naturrecht, S. 113; Kersting, Politische Philosophie, S. 9; dens., Begründung, S. 16. 33 Pawlik, Betrug, S. 19. 34 So weist Jakobs darauf hin, daß die Tatsache, daß bei dem – in der heutigen Strafrechtsdogmatik vorherrschenden – Begriff des Individuums als eines etwa mit Bewußtsein Ausgestattenen nur vom Ordnungsinteresse (Lustmaximierung) abhängt: „In der Perspektive – etwa – eines Biochemikers wäre das Individuum ein biochemisches System; Lust und Bewußtsein kämen in dieser Weltbeschreibung nicht vor“ (Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 43). 32

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empirischen, mechanistisch-kausalen Sinn mit dem Täter in Beziehung gesetzt35. Nach dem hierbei zugrundeliegenden faktizitätsorientierten, ohne jeden positiven, identitätsbestimmenden Bezug zur Umwelt konstruierten und insofern abstrakt-naturalistischen Freiheitsbegriff36 ist Freiheit also ursprünglich als bindungslose Willkür37 zu definieren. Sie wird an der Macht über die naturale Welt gemessen; die Welt – Objekte und andere Individuen – wird zum Mittel des eigenen Zwecks, zur Erfüllung der eigenen Präferenzen gesetzt: Der Mensch ist in dem Maße frei, in dem er seine Willkür machtvoll gegenüber Hindernissen durchsetzen kann38. Das auf Selbsterhaltung und Machtsteigerung hin konstruierte Handlungssubjekt handelt vernünftig im Sinne von klug, soweit es mit der Umwelt hedonistisch unter Maximierung seiner Lust oder utilitaristisch39 unter Maximierung der Nützlichkeit40 für seine egozentrischen Interessenlagen umgeht41. In dieser Welt von Individuen kann nur von einer rein kognitiven Handlungsorientierung die Rede sein42: Die Nützlichkeit wird nominalistisch nach den subjektiven Präferenzen jedes Individuums als individuelles Gesetz bestimmt43. Es handelt sich also um Klugheitsethik, um strategisch instrumentale Vernünftigkeit bzw. Kommunikation44 bezüglich einer vorgefundenen, dem Individuum zufällig gegebenen Umwelt45. 35

Pawlik, Betrug, S. 18 ff., S. 20. Die Abstraktheit wird insofern in der Bestimmung des Freiheits- und Identitätsbegriffs des Täters ohne Berücksichtigung des positiv konstituierenden, identitätsbestimmenden, nicht negativ begrenzenden Charakters der Umwelt des Täters, d.h. der Gesellschaftlichkeit und so auch des Strafrechts gesehen. Dazu in der neuesten Literatur Pawlik, Betrug, S. 18 f.; ferner zur Abstraktheit dieses Freiheitsbegriffs im Rahmen des Kontraktualismus Kersting, Politische Philosophie, S. 7. 37 Hobbes, Leviathan, S. 99. 38 Vgl. Pawlik, Betrug, S. 21, der zutreffend bemerkt, daß es nach diesem Freiheitsbegriff bei Hobbes, Leviathan, S. 163, konsequent wäre, auch dem ungehindert strömenden Wasser Freiheit zuzusprechen. Zur Kritik dieses Freiheitsbegriffs Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 473 f., S. 427 f. 39 Die Begriffe Utilitarismus und Hedonismus werden hier nicht im Sinne konkreter Philosophien, sondern in ihrer allgemeinen Bedeutung benutzt. 40 Die Grundlage des Strafrechts als „Beitrag zum ,Glück‘“ oder als „Nutzen“ nach „ökönomisch-technischem Sprachgebrauch“ oder im ökonomisch-technischen Sprachgebrauch ansehend Adams/Shavell, GA 1990, S. 341. 41 Hobbes, Leviathan, S. 95, S. 99. Dazu Welzel, Naturrecht, S. 117; ferner Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 843 ff., S. 869; Kersting, Politische Philosophie, S. 9 f.; ders., Begründung, S. 26; Pawlik, Betrug, S. 20; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 177. 42 Pawlik, Betrug, S. 21; Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 23. 43 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 9, S. 28, hier unter Berufung auf Spinoza, Theologisch-politischer Traktat, S. 473. Vgl. auch Hobbes, Leviathan, S. 40 f. 44 Kersting, Politische Philosophie, S. 10; Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 843 ff., S. 867 ff.; Pawlik, Betrug, S. 20 ff.; Köhler, Strafrecht AT, S. 18, S. 39, S. 44 f. 36

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Entscheidend ist, daß der Täter als Individuum seine Wahrnehmungen nach einem Grundschema von Lust und Unlust ordnet und demnach dahin handelt, „das Lustbringende herbeizuführen und das Unlustbringende zu meiden“46. Die Welt wird von jedem Individuum auf diese Weise einzig und allein über diesen einen Code Lust/Unlust begriffen. Ein anderer Code existiert nach den naturalistischen Prämissen nicht, denn die Wirklichkeit ist nur empirisch, und eine andere, anders geordnete Welt wird somit vom Individuum nicht begriffen47. Unter dieses Schema fällt konsequenterweise der Umgang mit der gesamten Umwelt, mit anderen Individuen und damit auch das Verständnis des Strafrechts48. Die vom Strafrecht zu verwaltende Gesellschaft bezieht sich auf eine Anhäufung oder „Ansammlung sich gegenseitig beeinflussender Individuen“49 bzw. nebeneinander stehender, jeweils mit ihrem entsprechenden Code Lust/Unlust bestimmter, individueller Systeme bzw. Welten50. Gesellschaft trägt die Bedeutung einer „instrumentalen Gemeinsamkeit“, was heißt: Gemeinsamkeit von kooperierenden Individuen „zum Zwecke der Lustmaximierung in einer je eigenen Welt“51. Zum Zweck der Gemeinsamkeit von individuellen Welten schaffen die Individuen sogenannte gesellschaftliche bzw. strafrechtliche Normen, welche von den Individuen einerseits als freiheitsbeschränkende, andererseits als den Rest der übriggebliebenen Freiheit garantierende Vorrichtungen verstanden werden. Die Normen werden also in ihrem negativen Charakter für den Täter begriffen: Sie reduzieren den Bereich seiner Freiheit. Insoweit Normen den dem Individuum verfügbaren Raum realer Möglichkeiten beschränken, können sie nach diesem Schema nur noch unter dem erwähnten Gesichtspunkt des „klug bedachte(n) Eigeninteresse(s)“52 des Individuums gerechtfertigt werden: Sie nutzen dem einzelnen Individuum insofern, als es bei allseitiger Begrenzung der real-möglichen Freiheit aller Individuen zur Garantie der für unverzichtbar gehaltenen Freiheit von allen53, d.h. der rechtlich garantierten Freiheit, kommen 45

Pawlik, Betrug, S. 18. Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 9 ff., siehe auch S. 43 zur Bezeichnung dieses Codes als Lust/Unlust. Vgl. auch Köhler, Strafrecht, S. 39. 47 Dazu eingehend Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 9 ff., S. 14 ff., S. 28. 48 Eingehend zu diesem Modell Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 14 ff. 49 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 29. 50 Hierzu Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 18, S. 24. 51 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 17, S. 23; Ludwig Feuerbach, Geschichte der neuen Philosophie, S. 108. 52 Pawlik, Betrug, S. 21. Vgl. zu der Fragestellung auch Kersting, Begründung, S. 16 f.; dens., Politische Philosophie, S. 15; Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 15 ff. 53 Was Hobbes, Leviathan, Kap. 21, S. 171, vor allem in Bezug auf den Schutz des Lebens im Satz obedientiae finis est protectio zusammengefaßt hat. Die Funktion des Rechts liegt im äußerlichen Schutz gegen das bellum omnia contra omnes eines Naturzustandes, d.h. in der Zähmung der zügellosen Willkür, was der äußerliche Frieden und so auch das Wohl von zusammen wirtschaftenden Individuen ermöglichen soll. 46

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kann. Es geht also allein darum, daß das Leben neben anderen Individuen mit der je eigenen Welt verträglich und sozusagen möglichst angenehm sein soll54. Normen werden auf diese Weise strategisch notwendige, freiheitsbeschränkende, „subjektsexterne Veranstaltungen“55. Die normative Wirklichkeit, in der sich das Individuum nach diesem Schema im Strafrecht befindet, fällt freilich unter das Ordnungsschema von Individuen56. Für das Strafrecht bedeutet dies, daß die verhaltenssteuernde Strafrechtsnorm und die ihr Wirksamkeit verleihende Sanktion die Aufgabe haben, das vom Individuum bevorzugte normwidrige Verhalten auf einen negativen Kosten-Nutzen-Saldo57 zu bringen (präventive Strafe, sei es auch durch Eliminierung des Täters58), wobei Normen auch auf „kognitiv ermittelbare Situationen“ in der je eigenen Welt reduziert werden59. Die Norm ist erst wirklich,

Zu diesem Zusammenhang näher Kersting, Begründung, S. 17 ff.; Welzel, Naturrecht, S. 118; Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 24. 54 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 15; ders., Zur Genese von Rechtsverbindlichkeit, S. 23. Vgl. zur Versuchstheorie Adams/Shavell, GA 1990: Ausschluß der Strafbarkeit aus „Wohlfahrtgesichtspunkten“. 55 Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 843 ff., S. 868 ff.; ders., Norm, Person, Gesellschaft, S. 27; weiterhin Pawlik, Betrug, S. 20; Köhler, Strafrecht AT, S. 17 ff.; Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 85 ff. 56 Vgl. Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 27, S. 29. Man bleibt also bei einem „amönen Naturzustand“ (Ludwig Feuerbach, Geschichte) S. 108, von nebeneinander stehenden Individuen. Der kontraktualistische Prozeduralismus, der seit der Neuzeit die (Rechts-)Ordnung rechtfertigen soll (Kersting, Politische Philosophie, S. 11 ff.) vermag ein Sollensmodell nicht spontan als „Bindewirkung interessenkomplementärer Privatverträge“ zu begründen, sondern allenfalls abstrakt zu konstituieren (Jakobs, Zur Genese von Rechtsverbindlichkeit, S. 27): Der legitimatorische Vertrag ist nur dank außenverträglicher Reglementierungen sozialen Ursprungs möglich, d.h., er setzt ein vorhergehendes Sollensschema voraus (Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 272, S. 450; weiterhin Kersting, Politische Philosophie, S. 39 ff.; Jakobs, Zur Genese von Rechtsverbindlichkeit, S. 9, insbesondere S. 20 ff. zu Hobbes). Solange aber dieses Sollensschema nicht begründet wird, bleibt es in diesem naturalistischen Modell immer noch bei einer individuellen, ausschließlich auf dem Schema von Lust/Unlust beruhenden Welt von ungebundenen Individuen und der Vertrag wird als „Metapher“ dafür verstanden, „daß ein Individuum klug kalkuliert“ – so Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 40; ders., Zur Genese von Rechtsverbindlichkeit, S. 22, zu Hobbes – wenn es sich einer effektiv eingerichteten Ordnung, die ihm ein Mindestmaß an rechtlich gesicherter Freiheit garantiert, nicht widersetzt. 57 Vgl. exemplarisch Adams/Shavell, GA 1990, S. 341 ff., S. 342, S. 343 ff. Darum soll es um „die allgemeine ökönomische Theorie menschlichen Entscheidungsverhaltens, übertragen auf das Strafrecht“ gehen (dies., S. 344). 58 Dazu Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 843 ff., S. 870; ders., Norm, Person, Gesellschaft, S. 55; Köhler, Strafrecht AT, S. 38 f.; ders., FS Lackner, S. 14, wo er hierbei vom Strafrecht als „umfassend(em) Zwangsmotivierungsinstrument“ spricht; Hobbes, Vom Bürger, 8. Kap., S. 104; ders., Leviathan, S. 238. In diesem Zusammenhang Hobbes näher Schild, Notwendigkeit, S. 82 ff., S. 85; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 15. 59 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 27 f. unter Berufung auf Spinoza, Theologisch-politischer Traktat, S. 473 ff.; ferner Pawlik, Betrug, S. 21.

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wenn sie die faktische Chance zum Ausdruck bringt, „ein Verhalten eines anderen Individuums zu erzwingen“60. Normen werden bei einem solchen Verständnis auf kognitive Erwartungen reduziert61: Sie dienen dazu, die Individuen so zu beeinflussen, daß erwartbar wird, daß sie sich auf eine konkrete Weise verhalten. Verkalkuliert man sich bei dieser Einschätzung, so muß daraus gelernt werden und die Norm „vernünftig“ nach Klugheitsregeln62 reformuliert werden – damit sie zu einer wirklichen, sich durchsetzenden Norm wird – oder die Sanktion ist so zu ändern, daß die Normen als kognitive Erwartungen bei einer Nutzenkalkulation in Rechnung zu stellen sind63. Das mit dieser Funktion begründete Recht findet auf diese Weise nach Feuerbach seinen echten Berechtigungsgrund nicht in dem moralischen, immaterialen, überphänomenalen Wert der Handlung64, sondern „nur“65 in der Verträglichkeit der Willkür des einen mit derjenigen der anderen. Die Aufgabe des Staates liegt darin, aus dem unsicheren Naturzustand einen Zustand der äußeren Ruhe und des äußeren Friedens zu schaffen und die negative Abgrenzung von äußerlichen „Freiheits“- bzw. Rechtssphären durch eine Gewalt zu garantieren66. Funktion des Staates ist „das Bestehen, die Erhaltung und Wiedererhaltung der äussern vollkommenen Rechte“67. Es ist ein rechtlich geordneter Zustand zu erreichen, in dem sich dann jeder Bürger privat der Frage der sittlichen Freiheit zuwenden kann68. Schützt die Norm naturalistisch beobachtete Freiheitssphären, können diese Sphären nur nach empirischen Kriterien bzw. durch empirische Gegebenheiten 60 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 28, weiterhin S. 55. Ein solcher Zusammenhang von Norm (Pflicht) und Zwang bei Hobbes, Leviathan, S. 95. 61 Spezifisch zum Begriff der kognitiven Erwartung in einem strafrechtlichen Rahmen Jakobs, AT, 1/5; vgl. weiterhin dens., Norm, Person, Gesellschaft, S. 23. 62 Paradigmatisch Hobbes, Leviathan, Kap. 14, S. 99 f., Kap. 15, S. 110 ff. Dazu, daß die Klugheitsregeln in ihrem vollen Umfang nicht empirisch zur Gänze zu verstehen sind, sondern stillschweigend – wie der Staatsvertragsgedanke – gesellschaftliche Normen, d.h. eine andere sie erklärende systematische Größe, voraussetzen, Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 41. 63 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 23, S. 24 ff. 64 Feuerbach, Revision I, S. 33 f. Siehe hierzu Lesch, Verbrechensbegriff, S. 46; von Bubnoff, Entwicklung, S. 22. 65 Naucke, Kant, S. 46, S. 68. 66 Vgl. Feuerbach, Anti-Hobbes, S. 17 ff. Der Staat findet seinen Grund also nicht im kategorischen Imperativ, sondern im hypothetischen Imperativ, zum Zweck der äußeren Ruhe. Feuerbach fehlt im Vergleich mit Kant eine „absolute Deduktion des Staates und seiner Aufgabe“ (Naucke, Kant, S. 71, weiterhin S. 46 f., S. 69 ff.). 67 Feuerbach, Revision I, S. 31, S. 38. 68 Ausführlich und kritisch Naucke, Kant, S. 72 f. Nach Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 151 f., beruht diese Ansicht auf der Vorstellung, daß das Recht verzichtbar wäre, wenn sich alle moralisch verhalten würden. Für Zaczyk bedeutet dies eine Überschätzung einer ausschließlich auf subjektive Weise geleisteten Art des Umgangs mit Anderen.

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gestört werden, d.h. durch den nach psychischen Kriterien (das im Können angelegte Wissen und Wollen, aber auch durch Gesinnungen, einen Vertrauensbruch, die Beeinträchtigung der Sicherheit69 etwa durch erschütterungsfähige Eindrücke, etc.) oder durch physische Kriterien (etwa kausal-mechanisch definierte Kausalität und Gefahr für Rechtsgüter oder Rechtsgutsobjekte) gefaßten Bruch (bzw. Beeinträchtigung) strafrechtlich geschützter Objekte. Die strafrechtliche Versuchshandlung wird nach diesem Prinzip von jeder außer- bzw. metaempirischen Dimension gelöst. Damit ist nach naturalistischer Methode „die Natur“70 des Rechts und des Staats ausgemacht. Diese Natur prägt den Sinn des Strafrechts und konstituiert den „natur“-rechtlichen Teil der Zurechnung und dementsprechend der naturalistisch geprägten Versuchslehre. 2. Schuldprinzip, Menschenwürde und naturalistisches Strafrechtssystem Wie die Strafrechtsdoktrin richtig bemerkt, wird der naturalistisch begriffene Täter eines Strafrechts als Bekämpfungsstrafrechts hauptsächlich zu einem objektiv-subjektiv definierten Störpotential71, zu einem (potentiellen) Feind des Rechtsguts72. Der Täter wird dadurch definiert, daß er Rechtsgüter bzw. naturalistische Freiheitssphären gefährden bzw. stören kann. Der so definierte, asoziale Täter hat im Prinzip keinen Bereich des „noch-nicht-relevanten Verhaltens“73, d.h., der Grundsatz de internis non judicat praetor (wobei mit interna der [straf-]rechtlich relevante private Rechtskreis gemeint wird74) gilt im Prinzip nicht und damit auch nicht das Prinzip cogitationis poenam nemo patitur: Nach dem Prinzip des Rechtsgüterschutzes als des Schutzes von naturalistischen Freiheitssphären sind nicht nur Vorbereitungshandlungen gefährlich, sondern schon die Gedanken. Die Behauptung, Gedanken seien keine Störung des sozialen Lebens, – so Jakobs – „stammt überhaupt nicht aus dem Arsenal der Argumente, die sich aus den Prinzipien des Güterschutzes ableiten lassen“75. 69 Etwa bei der herrschenden Meinung zur Urkundenfälschung; siehe nur Wessels/ Hettinger, BT, Rn. 789. Dazu kritisch im hiesigen Sinne Jakobs, Urkundenfälschung, S. 5 ff. 70 Vgl. Feuerbach, Revision II, S. 12 f., der aus naturrechtlichen Erwägungen seine Schlüsse zieht und nicht ein positives Gesetz, sondern ein nach den naturalistischen Prinzipien seiner Naturrechtslehre „allgemeines (eben darum aber nicht positives) peinliches Recht“ zugrunde legt. 71 Köhler, FS Hirsch, S. 69; dazu auch ders., Strafrecht AT, S. 46, nach dem der Täter als Subjekt verfehlt wird. 72 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 109 ff., nach dem der Täter als Person verfehlt wird. Vgl. schon davor dens., ZStW 97 (1985), S. 751 ff., S. 753. 73 Jakobs, ZStW 97 (1985), S. 751 ff., S. 753. 74 Jakobs, ZStW 97 (1985), S. 751 ff., S. 753.

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Die subjektive Tatseite verkümmert auf diese Weise zu einem Moment der objektiven Gefährlichkeit unter anderen76, ebenso wie die objektive Gefährlichkeit auf eine Vorverlagerung des Versuchsbeginns, d.h. des zurechenbaren Verhaltens hinausläuft77. Nicht von ungefähr ist vom Versuch behauptet worden, er verwirkliche kein Unrecht, nur die Schuld als Versuchsschuld78, und wird in der strafrechtlichen Versuchslehre immer noch eine die Grenzen des Tatprinzips überschreitende, die (gefährliche) Einstellung des Täters berücksichtigende, auf die Gefahr der Person des Täters abstellende Tätertheorie vertreten79. Dies ist insoweit konsequent, als in naturalistischen Strafrechtssystemen das Schuldprinzip, der funktionale Zusammenhang zwischen Tat und Strafe als Tatschuldausgleich, in eine Krise gerät80. Für ein Unrecht als schädliche Veränderung der empirischen Welt kommt nur ein materieller Schuldausgleich wie im Zivil- und subsidiär im Polizeirecht in Betracht81. Da für das Strafrecht in den meisten Fällen eine materielle Wiederherstellung des empirischen Rechtszustandes nicht in Frage kommt (etwa des Lebens beim Totschlag), vertritt die herrschende Meinung eine naturalistisch-präventive Strafandrohungs- und Straftheorie82. Der funktionale Zusammenhang zwischen Tat und Strafe verkümmert also nicht nur in der Tätertheorie sondern insgesamt in den naturalistisch-präventiven Theorien dahin, daß die Tat als bloßer Anlaß zur Verhängung der präventiven Strafe genommen wird: Sie erfüllt keine Funktion für die Strafe, da der Strafgrund in der künftigen Sicherheit, im äußeren Frieden von Triebwesen liegt83. Dabei geht es um den funktionalen Zusammenhang zwischen der künftigen Sicherheit der Rechtsgüter und der Strafe, also nicht um Schuldausgleich, sondern um Instrumentalisierung des Täters zu dem außerhalb seiner Tat unmittelbar verfolgten Zweck der Prävention bzw. Verbrechensbekämpfung – dabei soll das unklar gewordene Schuldprinzip ein begrenzender bzw. mitbegründen75 Jakobs, ZStW 97 (1985), S. 751 ff., S. 753 f. Siehe auch dens., FS Seiji Saito, S. 770 (27). 76 Köhler, FS Hirsch, S. 69. 77 Siehe die Argumentation von RGSt. 59, S. 386; 69, S. 237 ff., S. 328; BGHSt. 20, S. 150 ff., S. 151 f.; 22, S. 81 f., S. 82. 78 Siehe Nowakowski, ZStW 63 (1951), S. 299; vgl. auch Goldschmidt, FG Frank I, S. 434 ff. 79 Unter anderen insbes. Kohlrausch/Lange, StGB, Anm. III ff., vor § 43, § 43 ff. Unter ausdrücklicher Verweisung auf Lange neulich Roxin, FS Nishihara, S. 157 ff., S. 161. Siehe hierzu unten Kapitel I, § 2 B. 80 Eingehend Lesch, Verbrechensbegriff, S. 1 ff., S. 21, S. 168 (zu Roxin), S. 190 ff. 81 Daß dies auch nur grob gesagt stimmt, d.h., daß diese Rechtsgebiete auch nicht empirisch zu begreifen sind, sei hier dahingestellt. 82 Siehe hierzu ausführlich Lesch, Verbrechensbegriff, S. 175 ff., m. w. H. 83 Köhler, Strafrecht AT, S. 41; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 21; Schild, Notwendigkeit des Strafens, S. 85. Zum Mangel an empirischen Beweisen, d.h. an naturalistischer Schlüssigkeit der Präventionstheorien siehe Lackner/Kühl24, § 46, Rn. 28 m. w. H.

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der Maßstab der (präventiven) Strafe sein84. Innerhalb dieses Modells stellt eine Tätertheorie als Versuchstheorie eine konsequente Weiterentwicklung zu einer weitergehenden Prävention durch Versuchsstrafbarkeit dar. Daß naturalistisch-präventive Theorien das Prinzip der Menschenwürde unbeachtet lassen, ist ein klassisches Diskussionsfeld, das wieder aktuell geworden und als Kritik von den naturalistischen Verbrechenstheorien ernst genommen wird (!)85. Nach dieser Kritik wird der Mensch bei den empirischen Verbrechenstheorien, so Kant, „unter das Sachenrecht gemengt“86 oder nach Hegel in seiner Kritik an der „Feuerbachschen Straftheorie“, „nicht nach seiner Ehre und Freiheit, sondern wie ein Hund behandelt“, gegen den man den Stock erhebt87. Diese (teilweise auch Selbst-)Kritik führen die Autoren, die auf der Basis eines solchen Modells argumentieren, über den Begriff der Instrumentalisierung nicht direkt auf eine Freiheitsverletzung zurück88, sondern auf eine Verletzung der Menschenwürde89. Wäre nach dem Präventionsstrafrecht der Strafrechtsakteur darauf zu reduzieren, ein über die Sanktion zum Zwecke der Prävention zu lenkendes, herabgewürdigtes Stück Natur zu sein, wäre es erlaubt, jede Art von Prävention auf seine Kosten auszuüben90, was im Hinblick auf die Menschenwürde bzw. Menschenrechtskonzeption und im Einklang mit der heutigen Strafrechtsdogmatik nicht akzeptiert wird91. Dadurch wird die Semantik der Menschenwürde, trotz ihres grundrechtlichen Status, als eine im Endeffekt leere Abstraktion, als Klugheitsregel einer rechnerischen Vernunft konzipiert, die eine nutzenmaximierende Abwägung zwischen der Freiheit des vorsozialen Individuums als homo oeconomicus und der Notwendigkeit des Beitrags zu einem sicheren und gedeihlichen 84 Zu den Problemen der Harmonisierung des naturalistisch-präventiven Strafrechts mit dem unklar gewordenen Schuldprinzip (§ 46 I 1 StGB: nulla poena sine culpa) siehe Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 92 („Prävention im Rahmen der Repression“); Streng, Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 283 ff., 285 ff.; neulich im Rahmen der Vereinigungstheorien Lampe, Strafphilosophie, S. 200 ff., S. 265 ff. 85 Siehe Warda, Grundlagen des richterlichen Ermessens, S. 163 ff.; neulich Kremkus, Strafe, S. 73; eingehend insbesondere zur Generalprävention Neuß, Strafzweck der Generalprävention im Verhältnis zur Würde des Menschen, passim, mit dem Endergebnis, S. 185, daß sowohl die positive als auch die negative Generalprävention verfassungswidrig seien. 86 Kant, Metaphysik der Sitten, A 196, S. 453. 87 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 99, Zusatz, S. 190. 88 Daß in solchen Fällen keine Freiheitsverletzung vorliegt, hatten schon Hobbes und nach ihm u. a. Feuerbach über den Ausweg des Staatsvertrags und des Gesetzlichkeitsprinzips zu begründen versucht. 89 Dazu Neuß, Strafzweck der Generalprävention im Verhältnis zur Würde des Menschen, S. 158 ff. 90 Sogar eine Eliminierung wäre denkbar. Hierzu Köhler, FS Lackner, S. 14. 91 Auf diese Inkonsistenz des strafrechtlichen Naturalismus weist Pawlik hin, in: Betrug, S. 23 m. w. N.; Roxin, AT 1, § 3 Rn. 16 f., 31.

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Zusammenleben voraussetzt, so daß es in diesem Modell – so Kersting – „auf menschenrechtlicher Basis (. . .) nur eine Politik der Bereitstellung und Pflege eines sozioökonomischen Milieus (geben kann), in dem die im menschenrechtlichen Gedanken eingelassene individuelle Autonomie gedeihen kann“92. Es wird immerhin versucht, dieses Ergebnis dadurch zu entschärfen, daß alarmierend auf den Hobbesschen „Kampf aller gegen alle“93 als Folge der NichtExistenz der Strafe hingewiesen wird, d.h., das Modell geht letztendlich davon aus, daß die Strafe eine notwendige gesellschaftliche Funktion erfüllt (Sicherheit und Frieden). Auf einem nur-empirischen Niveau ist aber keine in sich schlüssige, den Erfordernissen der Strafrechtsdogmatik und der Menschenrechte adäquate Erklärung dieses Phänomens aufzufinden. Das naturalistische Grundmodell ist schlicht eine Antwort auf die Frage nach der Entzauberung der Welt seit der Neuzeit: Es gibt keine vorgegebene Naturordnung mehr, keine lex aeterna94; der Mensch soll aus seiner Vernunft und seinem freien Willen eine Neuordnung schaffen. Der Mensch, seine Vernünftigkeit und praktische Freiheit wurden aus verschiedenen Perspektiven begriffen. Neben dem Naturalismus eines Hobbes95 oder letztendlich auch eines Feuerbachs steht die Konzeption dieser Begriffe etwa von Kant und Hegel: Wird nicht ein empirisch-individualistischer Naturzustand, sondern zum Beispiel eine normative Freiheit vernünftig definierter Personen zugrundegelegt, dann ist die Hauptfrage, wie diese vernünftig-normative Identität zu bewahren ist. Es geht also um eine andere Funktion der Strafe als die der kriminalpolitischen, der kognitiven Sicherheit gewidmete Funktion der naturalistisch konzipierten Strafe, die den Strafgrund und die Unrechtslehre entscheidend prägen96. Meint der Name Strafe nämlich verschiedene Arten von Strafen, d.h. verschiedene funktionale Ebenen, sind die verschiedenen Strafsysteme und ihre Begriffe zu unterscheiden. Hierauf weist etwa die Differenzierung zwischen Bürger- und Feindstrafrecht hin97. 92

Kersting, Politische Philosophie, S. 7. Leviathan, S. 96. Dieser Ansatz basiert auf der Alternative eines wilden, hobbessianischen Naturzustandes (Kriegszustandes), der (wieder-)einträte, wenn die Strafe ihre Funktion nicht erfüllte. 94 Siehe Welzel, Naturrecht, S. 1; Kersting, Politische Philosophie, S. 17. 95 Vgl. Hobbes, Der Körper, S. 74 ff., S. 82 f., der diese Methode systematisch auf seine politische Philosophie anwendet. Dazu Kersting, Politische Philosophie, S. 1 ff., S. 10, S. 62 ff.; ders., Die Begründung, S. 9 ff.; Welzel, Naturrecht, S. 108, S. 116. 96 Beim Strafgrund wird die allen naturalistischen Theorien trotz so tiefer Verschiedenheiten gemeinsame Grundfrage dementsprechend dahin formuliert: „Wie können die Menschen friedlich zusammenleben?“ (Kremkus, Strafe, S.125). 97 s. zu dieser Differenzierung Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 109 ff.; dens., Das Selbstverständnis der Strafrechtswissenschaft vor den Herausforderungen der Gegenwart, S. 47 ff., S. 51 ff.; dens., Staatliche Strafe, S. 40 ff. Insgesamt zu dieser Problematik auch Köhler, Strafrecht AT, S. 45 ff., S 47. 93

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Trotz allem findet oft die Argumentation auf der hier beschriebenen Ebene statt98. Um Ergebnisse zu erreichen, die für die jeweilige Gesellschaft als plausibel erachtet werden, wird auf menschen-, allgemein- und strafrechtliche Prinzipien und auf Regeln rekurriert, welche erstens der Sittlichkeit der konkreten Gesellschaft gerecht werden und zweitens auch das Individuum vor Exzessen in der Rechtsetzung und Rechtsauslegung schützen sollen99. Die Prinzipien und Regeln, die für eine plausible zeitgemäße Anwendung des Strafrechts entwikkelt werden, werden als Regeln der Ordnung von Individuen konzipiert. Sie werden also als hypothetische Imperative, als Klugheitsregeln100 einer über Kalkül funktionierenden Anhäufung von Individuen bzw. einer naturalistisch verstandenen Gesellschaft begriffen. Demnach gilt: Wird es zur Verhinderung einer Rückkehr in den Hobbesschen Naturzustand als nützlich und notwendig angesehen, jede Art von Prävention etwa zugunsten des Friedens einzusetzen, so müßte sie prinzipiell erlaubt sein. Die Klugheitsregeln (Menschenrechte eingeschlossen), die das Individuum schützen, wären dementsprechend (wenn man so will: nach unten) zu korrigieren. So ist (lediglich) davon die Rede, „inwieweit die Grundrechte aus Gründen der inneren Sicherheit bereits zur Disposition stehen“101. Gleiches würde um so mehr für andere Prinzipien gelten, so beispielhaft für gewöhnliche Prinzipien wie die Verhältnismäßigkeit, die Erforderlichkeit, sogar die Rechtssicherheit102 und zahlreiche Regeln, die als Zuständigkeits- und Zurechnungskriterien angeboten werden, so beispielhaft bei der objektiv-naturalistischen Versuchstheorie die „ernsthafte Gefahr“ oder die „unmittelbare Gefahr“ u. a.103. Die Tatsache, daß mit Hilfe dieser Prinzipien und Regeln als Leerformeln in der naturalistischen Darstellungsform des Strafrechts bestenfalls plausible (ad hoc104) Ergebnisse erreicht werden können, liegt darin begründet, daß sie eine „Karikatur“105 einer von ihnen vorausgesetzten, genuin gesellschaftlichen Größe darstellen, welche sie stillschweigend voraussetzen und die es aufzuzeigen gilt106. 98

s. Pawlik, Betrug, S. 23. Vgl. zur Problematik der Menschenrechte, insbesondere zu der Frage nach den Grenzen des Staats im Verhältnis zum Individuum, Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 42 f. Vgl. auch Kersting, Begründung, S. 26 f. Zur allgemeinen strafrechtlichen Problematik: Schuldbegründung, -maß und Strafe, SK-Horn, § 46, Rn. 1 ff., kritisch insbesondere 25 ff. 100 Paradigmatisch Hobbes, Leviathan, Kap. 14 und 15, S. 99 f., S. 110 ff. 101 Kremkus, Strafe, S. 127. 102 Vgl. zu den Versuchstheorien exemplarisch nur Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 436 ff. 103 Hierzu auch Stratenwerth, AT3, Rn. 673. 104 Pawlik, Betrug, S. 99. 105 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 40, der diesen Ausdruck für den Staatsvertragsgedanken benutzt. 106 Dazu Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 41 f. (hier insbesondere zu Hobbes). 99

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3. Naturalismus und Rechtspositivismus nach Feuerbach – Abgrenzung von präventivem Polizeirecht bzw. „Sicherungspolizei“ und Versuchsstrafbarkeit a) Zur Strafandrohungstheorie Systematisch und methodisch eingeordnet, sind die strafrechtlichen Ausführungen von Feuerbach jetzt deutlich zu verstehen. Zum Strafrecht führt er aus, daß der Mensch „nicht bloß ein vernünftiges, sondern auch ein sinnliches Wesen (ist). (. . .) Alle Übertretungen haben ihren psychologischen Entstehungsgrund in der Sinnlichkeit“107. Strafrechtsnormen haben durch genaue Beschreibung von Tat (Tatprinzip) und Strafe auf die Psychologie des Bürgers so einzuwirken, „daß jeder weiß, auf seine That werde unausbleiblich ein Uebel folgen, welches grösser ist, als die Unlust, die aus dem nicht befriedigten Antrieb zur That entspringt“108. Im Einklang mit dem naturalistischen Modell Hobbes wird der Bürger als nutzenmaximierendes Individuum verstanden. Der Täter wird im Strafrecht also nicht als Rechtsperson, als ein normatives Konstrukt von Rechten und Pflichten, ins Visier genommen, sondern als eine sich rational-nutzenmaximierend verhaltende, psycho-physische Einheit, von welcher naturalistisch beobachtbare Gefahren für subjektive Rechte bzw. für Rechtsgüter(objekte) ausgehen, d.h., der Täter wird streng phänomenal berücksichtigt. Dieses verhaltenssteuernde Anliegen formuliert Feuerbach in seinem Strafbegriff generalpräventiv: Das Strafrecht sucht das geeignetste Mittel, um generell, „überhaupt“ Verbrechen zu bekämpfen, dies im Gegensatz zur Polizei, die konkrete Gefahren abwenden will109. Das strafrechtliche Mittel sieht Feuerbach darin, über die abschreckende Wirkung der gesetzlichen Strafandrohung psychisch den Nutzenmaximierer Bürger zu steuern110: Es gehe um „General“-prävention, und die Strafe diene diesem Ziel, keinem konkret polizeirechtlichem Ziel. Strafe soll also nicht auf die konkrete Tätergefährlichkeit reagieren – Spezialprävention scheidet aus –, sondern dafür sorgen, daß die Drohung wirkt. Der naturrechtliche Rechtsbegriff macht aus dem Rechtssystem ein phänomenologisches System; die naturrechtliche Staatsstrafe bedingt die empirische Zweckmäßigkeit des Strafrechts. Die Theorie des psychologischen Zwangs erklärt die Funktion des Strafrechts und die wichtigsten Elemente der Zurechnung genauer: den psychologischen und physischen Inhalt des Täters, eine (phäno107

Feuerbach, Anti-Hobbes, S. 16. Feuerbach, Lehrbuch, § 13; weiterhin ders., Revision I, S. 40 ff.; ders., AntiHobbes, S. 213 ff. Kritisch schon Mittermaier in: Feuerbach, Lehrbuch, § 20a. 109 Also nicht gegen einen bestimmten potentiellen Täter, sondern gegen alle Bürger als potentielle Täter. Dazu Feuerbach, Revision I, S. 40. 110 Vgl. Feuerbach, Revision I, S. 49 f. 108

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menal) äußere Handlung, den Zusammenhang der Handlung mit äußerlichen, rechtlich geschützten Freiheitssphären. Ebenfalls im Vordergrund stehen die Bestimmungen des positiven Gesetzes, welches die Voraussetzungen und Begrenzungen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit aufstellt: Es geht nicht um eine irgendwie geartete Sicherungspolizei, sondern um ein positiv-rechtliches, tatbestandsmäßiges Strafunrecht, auf das eine nach allgemeinen Maßstäben festgelegte Strafe folgt: Der Philosophie – bei Feuerbach ein naturalistisches Naturrecht – bleibt im Rahmen der Zurechnung lediglich die Aufgabe, „eine unterthänige Dienerin der Gesetze zu seyn“111. Die Gesetze bestimmten in erster Instanz, wann es sich um Strafrecht – und nicht etwa um Polizeirecht – handele. b) Zur Strafvollzugstheorie als Vergeltungstheorie Im Gegensatz zu seiner voll im Dienste des rechtsstaatlichen Zwecks stehenden Theorie des Zwecks des Strafgesetzes, d.h. seiner naturalistisch-präventiven Strafandrohungstheorie als Theorie des psychologischen Zwangs, vertritt Feuerbach eine normativ formulierte Vergeltungstheorie als strafrechtliche Straftheorie, welche auf die absolute Straftheorie Kants ausdrücklich Bezug nimmt und den Unterschied zwischen Straf- und Polizeirecht bzw. „Sicherungspolizei“ weiter klären soll: Beim strafrechtlichen Versuch sollen „die Gründe der Sicherungspolizei mit dem Recht zur Strafe“112 nicht verwechselt werden: „Richterliche Strafe (poena forensis) kann niemals bloß als ein Mittel sein, ein anderes Gute zu befördern, für den Verbrecher selbst, oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern muß jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat; denn der Mensch kann nie blos als Mittel zu den Absichten eines andern gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden, wowider ihn seine angeborne Persönlichkeit schützt“113. Anders als bei der (auch) Theorie des psychologischen Zwangs von Fichte114 scheint sich der Täter bei Feuerbach schließlich nicht zu einem Stück Natur oder, mit den Worten Fichtes, zu einem „Stück Vieh“115 zu machen, sondern er muß nach seiner trotz des Verbrechens andauernden sittlichen Natur, nach seiner „Persönlichkeit“ behandelt werden116. Feuerbach sieht die Anerkennung der Würde des Täters in der Respektierung seiner Persönlichkeit, was seine Be-

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Feuerbach, Vorrede zur Revision I, S. X. Feuerbach, Lehrbuch, § 42, Anm. 3. 113 Feuerbach, Revision I, S. 48; ders. Anti-Hobbes, S. 204 ff., 210. Vgl. auch Kant, Metaphysik der Sitten, B 226, S. 453. 114 Fichte, Naturrecht, § 14, S. 139 ff. 115 Fichte, Naturrecht, § 20, S. 278. 116 Vgl. Feuerbach, Revision, S. 91 ff.; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 44 f. 112

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handlung als Mittel für nützliche Zwecke untersagt117. Für Feuerbach ist zwar der homo phänomenon, der Mensch als sinnliches, d.h. psycho-physisches Triebwesen die Ursache der Übertretung118 und Adressat der strafrechtlichen Androhung. Der Täter in seiner sittlichen Natur als vernünftiges Wesen soll aber das verantwortliche Subjekt der staatlichen Repression und demnach auch Adressat der Strafe sein. Es stellt sich hier wiederum die Frage, ob der Täter als Vernunftwesen, als Person, nicht ein Verstandeswesen, ein homo phänomenon, ist, sondern kontrafaktisch-normativ als ein – im Kantschen Sinn – vernünftiges Wesen, als Person, behandelt werden soll119. Das streng naturalistische Strafrechtsverständnis etwa eines Hobbes wäre vielleicht überwunden. Nun ist aber erstens der rechtliche Vergeltungsbegriff für Feuerbach nicht Grundlage der strafrechtlichen Zurechnung und beansprucht zweitens für ihn einen wesentlich anderen Sinn als für Kant, nämlich keinen metaphysischen Sinn. Freilich zieht Feuerbach Parallelen zum sittlichen Begriff Kants: Im Verhältnis zum Polizeirecht gehe es bei der strafrechtlichen, auf eine vergangene Tat reagierenden Bestrafung nicht „unmittelbar“120 um Zweckmäßigkeitserwägungen und Nützlichkeitsgedanken, sondern „kathegorisch“121 um die Notwendigkeit der Exekution der Strafe nach allgemeingültigen Gesetzen. Es handle sich um einen absoluten, nicht präventiven Straf(vollzugs)begriff. Vergeltung bedeutet trotzdem „mittelbar“122 – und so kommt Feuerbach zur Begründung der „rechtlichen“ bzw. rechtsstaatlichen Berechtigung der Strafe – die ernsthafte Abschreckung der Bürger durch das Gesetz, die durch Exekution wirkliche, wirksame Strafandrohung wird. Dieser mittelbare Zweck macht eigentlich den „Endzweck“123 der Strafe aus: „Der allgemeine Rechtsgrund des Daseyns aller bürgerlichen Strafen ist die Nothwendigkeit der Abwendung einer Gefahr für den rechtlichen Zustand“124; „der Staat hat bei der Verfügung der Strafe keinen andern Zweck, als durch diese Zufügung andere von ähnlichen Handlungen ab117

Feuerbach, Revision I, S. 48, S. 89 ff. Vgl. Feuerbach, Anti-Hobbes, S. 16; dens., Revision, S. 91 ff. 119 Siehe auch Lesch, Verbrechensbegriff, S. 44 f. 120 Feuerbach, Anti-Hobbes, S. 202 ff. 121 „So wie in der moralischen Welt Verminderung der Glückseligkeit mit der Immoralität nach der Idee von Glückswürdigkeit notwendig verbunden ist, so ist es unter der Voraussetzung eines solchen drohenden Gesetzes nach einer rechtlichen Ordnung notwendig, daß auf das Verbrechen das Übel folge (. . .) Das Gesetz sagt kathegorisch: Das Verbrechen soll mit dem Übel verknüpft sein; es ist daher notwendig und nach einer rechtlichen Ordnung an dasselbe geknüpft“ (Feuerbach, Revision I, S. 55, ähnlich S. 146 f., Anm., S. 141). 122 Feuerbach, Revision I, S. 60. Nichts anders die heute herrschende Meinung „Prävention im Rahmen der Repression“; dazu siehe Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 92. 123 Feuerbach, Lehrbuch, S. 39. 124 Feuerbach, Lehrbuch, § 103; weiterhin ders., Revision I, Einleitung, S. XXII, ders., Revision II, S. 204. 118

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zuschrecken“125. Diese sekundäre Berechtigung der Strafe126 untermauert Feuerbach freilich nicht mit einem kategorischen Imperativ der Gerechtigkeit unter Berufung auf die Vernunft sondern anhand des Einwilligungsgedankens des Menschen als Verstandeswesen: Wußte der Täter von der gesetzlichen Bestrafung der Tat, so muß er zwangsläufig mit seiner Handlung die Strafverhängung billigen127. Die vergeltend, schuldausgleichend formulierte Strafe Feuerbachs trägt nicht wie bei Kant die metaphysische Bedeutung der Wiederherstellung eines „ideellen Rechtszustandes“128, sondern zielt auf diesen Sicherungszweck des Staats ab, scil. auf die „vollkommene Sicherung wechselseitiger Freiheit“129. Die Funktion der Strafe ist nicht die nach a priorischen Prinzipien stattfindende, schuldausgleichende Beseitigung der vergangenen Tat und so die Wiederherstellung einer metaphysischen Ordnung, sondern (General-)Prävention zur Vermeidung künftiger Taten bzw. Störungen, um dem Zweck des Staats, der Sicherung ungestörter äußerlicher Freiheitssphären bzw. Rechte, gerecht zu werden130. Vergeltung als in der begangenen Tat ihren Grund findende Strafe, meint also schlichtweg „die formale Struktur dieses Strafrechts, die ausnahmslose Verknüpfung bestimmter Tatbestände mit feststehenden Strafgrößen“131 zur Verwirklichung der Abschreckung: die absolute – im Sinne von „ausnahmslose“ – Gültigkeit des (abschreckenden) Gesetzes.

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Feuerbach, Revision I, Einleitung, S. XIX. Grünhut, Feuerbach, S. 22. 127 Vgl. Feuerbach, Anti-Hobbes, S. 222 ff.; dens., Revision I, S. 54. 128 Oberer, Begründungsaspekte, S. 407. 129 Feuerbach, Anti-Hobbes, S. 35. 130 Dazu Feuerbach, Revision I, S. 34: „Ich kann wohl wissen, wie viel Uebel ich zufügen muß, um die gefährlichen Neigungen und Triebfedern des andern zu überwiegen. Denn dazu bietet mir die Erfahrung die Hand. Aber um die sittliche Schuld mit dem Uebel in Proportion zu setzen, dazu haben wir nirgends ein Prinzip, und es ist die lächerlichste Anmaßung, hiervon auch nur die Möglichkeit zu träumen“. 131 Grünhut, Feuerbach, S. 90 f. Weiterhin weist Naucke, Kant, S. 56, auch S. 84 f., darauf hin, wie Feuerbach den Strafgrund im zweifachen Verständnis zugrundelegt, als Rechtsgrund (Prävention und nicht Vergeltung) und als äußere Ursache im Sinne einer Tatsache, welche unter der Drohung eines Strafgesetzes enthalten ist, d.h. als Prinzip der Anwendung des Strafgesetzes. Nur in diesem positiv-rechlichen Sinne ist die Tat „Grund“ der Strafe und die Bestrafung quia peccatum est, d.i. Vergeltung als Prinzip der Anwendung des positiven Strafrechts. 126

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B. Versuchszurechnung bei Feuerbach I. Positivismus und Naturrecht 1. Die ordentliche Zurechnung Feuerbach betont zwar die positiv-rechtliche Gesetzlichkeit der Drohung, wodurch die Autorität des positiven Gesetzes, die Rechtsstaatlichkeit gegenüber der (absoluten) Staatlichkeit des Hobbes gestärkt wird132. Nicht zuletzt versucht Feuerbach dem Prinzip der Gewaltenteilung entsprechend, den Richter strenger an das positive Gesetz zu binden133, sowohl bezogen auf das Strafmaß134 als auch auf die Voraussetzungen und Grenzen der strafrechtlichen Verantwortung, scil. auf die Zurechnung. Das Gesetz soll zum „hinreichenden rechtlichen Grund“135 der Strafe werden. Feuerbach geht es um den Schutz der Bürger vor willkürlicher richterlicher Praxis136, was in seiner general-präventiven Formulierung des Zwecks des Strafrechts deutlich zum Ausdruck kommt. Erstens wird der Bürger vor einer individuellen staatlichen Behandlung zum Zwecke künftiger Handlungen (Besserung bzw. „Züchtigung“ und Spezialprävention) geschützt137. Wie schon gesehen, bleibt es zudem ausgeschlossen, daß der Richter zur Erreichung der von ihm behaupteten Gerechtigkeit nach seinem Maßstab moralische Kriterien heranzieht: Intelligible Prinzipien aufzustellen, wäre lediglich die „lächerlichste Anmaßung“138. Für Feuerbach ist also das geltende positive Recht der Garant der äußeren Ruhe, das Recht soll auf diese Weise „Frieden im Handeln begründen, während des Krieges der Meinungen, während des Kampfes der Philosophen“139. Es geht also nicht um die Kantsche Menschenwürde, um die Idee der Kantschen Persönlichkeit, auch nicht um eine fruchtbare Ausgestaltung der absoluten Theorie Kants140 für das Strafrecht, son132

Grünhut, Feuerbach, S. 22. Feuerbach, Revision I, Einleitung, S. XXIII ff.; ders., Revsion II, S. 3. 134 Wegen seines Begriffs der Steuerung der Allgemeinheit über gesetzlich-abstrakte, feststehende Strafmaße sind für den einzelnen Fall sowohl übermäßige als auch unwirksame Strafen von Feuerbach in Kauf zu nehmen; moralische (gerechte) oder außerhalb der (durch absoluten Strafmaße verwirklichten) Zweckhaftigkeit des Gesetzes liegende Zwecke der Strafe – Besserung und Spezialprävention – scheiden dementsprechend auch aus. Vgl. Feuerbach, Anti-Hobbes, S. 204 ff. Hierzu auch Grünhut, Feuerbach, S. 24 f.; Naucke, Kant, S. 57 ff. 135 Feuerbach, Revision I, S. 66. 136 Eingehend Schmid, GS Horst Schröder, S. 22; Grünhut, Feuerbach, S. 90. 137 Feuerbach, Revision I, S. 14 ff., S. 19 f. 138 Feuerbach, Revision I, S. 34. 139 Feuerbach, Über Philosophie und Empirie in ihrem Verhältnisse zur positiven Rechtswissenschaft. Landshuter Antrittsrede 1804, zitiert von Grünhut, Feuerbach, S. 26. 140 Dazu Grünhut, Feuerbach, S. 95 f. 133

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dern um die nach gesetzlich-abstrakten Maßstäben gesicherte Art der generellen Abschreckung, des (psychologischen) Zwangs als Mittel des Staats zum Zweck einer friedlich gedeihenden bürgerlichen Gesellschaft141. Zweitens soll das Gesetz vor willkürlichen Zurechnungskriterien schützen: Handelt der Täter verbotswidrig, d.h. gegen den Imperativ der Norm, so ist das – anders als bei der Sicherungspolizei – für das Strafrecht und seine Strafe noch nicht relevant, d.h., er begeht keine strafwürdige Tat, solange die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt sind. Zum Versuch legt Feuerbach ein besonderes Gesetz als Erklärung seiner Strafbarkeit zugrunde. Handlungen, die weder die Vollendung erreicht haben noch den besonderen Versuchstatbestand erfüllen, können dennoch bestraft werden, wenn sie die Voraussetzungen vom Mangel am Tatbestand, d.h. der außerordentlichen bzw. -gesetzlichen aber nicht willkürlichen Strafbarkeit erfüllen142 (!). In diesen Fällen findet lediglich eine Strafmilderung statt. 2. Die außerordentliche Zurechnung: der Mangel am Tatbestand Bei Feuerbach wird der Tatbestand zu einer schieren Aufstellung unabhängiger Voraussetzungen, zu einer von gesellschaftlicher Bedeutung losgerissenen Formel143. Bei der Bestrafung des nicht vollendeten Delikts soll es nicht um die Bestrafung qua Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens gehen (Tatbestandsmäßigkeit verstanden als die Summe aller Merkmale des Gesetzes als mathematisches Kompositum), sondern um den Mangel am Tatbestand als zwar außergesetzlichen, aber aus der Natur des Strafgesetzes entnommenen Milderungsgrund144. Die Lehre vom Mangel am Tatbestand Feuerbachs ist so zu verstehen, daß bereits die Anwesenheit eines Tatbestandsmerkmales zur (gemilderten) Strafbarkeit reicht. Wenn nämlich die Gesamtzahl aller Voraussetzungen die volle Strafe verdient, entsprechen damit die einzelnen Strafmerkmale einem Teil der Strafe145. Handlungen, die den Versuchstatbestand nicht erfüllen, können auf diesem Weg als strafbar erachtet werden. Dies ist eine weitere Folge der Anlehnung an die Naturwissenschaft und bedeutet die Verbannung der genuin sozialen Wirklichkeit aus dem Verbrechensbegriff: Der Tatbe141

Ebenso Naucke, Kant, S. 78, S. 80 Siehe Feuerbach, Revision II, S. 3 f. 143 Feuerbach, Lehrbuch, § 81, S. 150, verwendet außerdem den Ausdruck „corpus delicti“ und spricht vom Tatbestand im extrem formellen und naturalistischen Sinne. So wird der Tatbestand, wie bei Hobbes, als naturwissenschaftlich auseinandernehmbarer Ausschnitt der Wirklichkeit betrachtet. Seine primäre Bedeutung als Ordnung der Welt in einer bestimmten Gesellschaft wird nicht berücksichtigt. 144 Vgl. Feuerbach, Lehrbuch, § 97, S. 189. 145 Feuerbach, Revision II, S. 4; ders., Lehrbuch, § 97, S. 189. 142

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stand wird mathematisch geteilt, ohne auf seine (pauschale) soziale Bedeutung Rücksicht zu nehmen. Zugleich wird Feuerbach auf diese Weise seinem Anspruch der strengen Trennung von Strafrecht und Sicherungspolizei und dem der Zurückhaltung staatlicher Macht durch das Gesetz nicht gerecht146. Außerdem vermögen die Schranken des Prinzips nulla poena sine lege, welche die Vergeltung und die Zurechnung bei Feuerbach prägen, die Mängel einer streng naturalistischen Zurechnungslehre nicht auszugleichen: Der Bürger bleibt Triebwesen, wird als potentielle Gefahrenquelle für fremde Rechtsgüter betrachtet, als schädliches Tier, als Hund, gegen den der Stock ständig erhoben gehalten wird147. II. Subjektivismus und Objektivismus in der Zurechnung und Versuchsbeginn Die Theorie des psychologischen Zwangs in dem eben geschilderten Hobbesschen natur-148 und positiv-rechtlichen Sinne begründet die Zurechnungslehre und damit die Zurechnungskriterien des strafrechtlichen Versuchs. Diese stehen unter dem Einfluß der in der Strafrechtsdoktrin immer noch vorhandenen Auswirkungen der Imperativentheorie, scil. sie sind „nicht auf eine der Tat nachfolgende, retrospektiv-schuldausgleichende Funktion der Strafe, sondern bloß auf die der Tat vorausgehende, prospektiv-präventive, also verhaltensleitende Funktion der Strafdrohung zu fundieren und allein aus dem subjektiven, individuellpsychischen ex-ante-Horizont der Willensmanipulation heraus entfaltet“149. Für die Zurechnung sind Pflicht- bzw. Normbefehlsverfehlung und Rechtsverletzung festzustellen150. Zur Normbefehlsverfehlung gehören die – so Feuer146 Ebenso Mittermaier, in: Feuerbach, Lehrbuch, Note I. des Herausgebers zu § 97, S. 190, der bei einem derart begriffenen Mangel am Tatbestand außerordentliche Strafen – d.h. Strafen, die bei unvollkommenem Beweis einer gesetzlichen Vollendung einzusetzen sind – und Verdachtstrafen zur Konsequenz sieht; eingehend auch Schmid, GS Horst Schröder, S. 25, auch S. 27, S. 32 ff. und passim m. w. N., der darauf hinweist, daß Feuerbach auf diese Weise Strafe und Sicherungsmaßnahmen verwechselt. Dies heißt letztendlich nichts anderes als die von Feuerbach getadelte Verwechslung von Straf- und Polizeirecht bzw. „Sicherungspolizei“. Siehe auch Mezger, Lehrbuch, § 53 Fn. 11 m. w. H. 147 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 99, Zusatz, S. 190. 148 In diesem Sinne ist Feuerbach, Revision I, S. 187, zu verstehen: „Die Gründe der Strafbarkeit (. . .) müssen als enthalten in dem stillschweigenden, obgleich nothwendigen Willen des Gesetzgebers dargestellt werden und müssen daher, weil kein anderer Grund, der den stillschweigenden und zugleich nothwendigen Willen des Gesetzgebers bestimmte, möglich ist, aus der Natur der Strafe und des Strafgesetzes entwickelt werden“. 149 Lesch, Verbrechensbegriff, S. 57. 150 Denn nach Feuerbach, Revision II, S. 67, besteht die „juridische Imputation (. . .) blos in der Beziehung eines vorkommenden rechtswidrigen Factums auf das Be-

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bach – subjektiven Gründe der Strafbarkeit bzw. der Zurechnung oder Gründe der „äußeren“ (d.i. bürgerlichen, nicht moralischen) Strafbarkeit des Subjekts151. Die Pflichtverletzung wird durch einen rechts- bzw. gesetzwidrigen Akt des (sog. „unteren“) Begehrungsvermögens charakterisiert, und zwar als „verständiges“ (willkürliches) oder „thierisches“ (unwillkürliches, etwa aus Leidenschaft hervortretendes) Begehren152, d.h. als eine rechtswidrige Willensbestimmung eines „positiven rechtswidrigen Vorsatzes“153. Dieser rechtswidrige Vorsatz ist rein psychologisch sowohl als dolose als auch als culpose Willensschuld zu begreifen154. Ohne Willensschuld liegt nach Feuerbach nur ein „zufällig(es) Verbrechen“ vor, d.h. „ein solches, wo nach bloßen Gesetzen der Natur, ohne daß der Entschluß einer Person die Ursache war, das rechtswidrige Factum hervorgebracht worden ist“155: Zur culpa gehöre also auch ein Entschluß bzw. eine Begierde, nicht ein bloßes Anders-Wissen-Können156, ein Fehler des Willens, nicht des Verstandes. Das Problem stellt sich bei der „Wissentlichkeit“, beim dolus indirectus und insbesondere bei der Fahrlässigkeit, da das rechtswidrige Faktum hier nicht gewollt bzw. nicht „begehrt“ wird. Feuerbach erklärt seinen Ansatz folgendermaßen157: Die culpa der Moral ist „nur darum strafbar (. . .), weil die Pflicht, sich die Gesetze der Vernunft immer gegenwärtig zu erhalten (. . .) übertreten worden [ist] (. . .). Nicht anders kann es bei der äußern Strafbarkeit der Culpa seyn“: Es ist also auch ein gebotswidriges Begehren, „ein positivböser Wille“, ein „dolus“ aber nicht als „actus voluntatis proximus“, sondern als „actus voluntatis remotus“ wider die „Verbindlichkeit zum gehörigen Fleiß“158, was die Rechtswidrigkeit derjenigen Handlungen begründet, „aus welchen ein gesetzwidriger Erfolg nach Naturursachen entspringen kann“159. gehrungsvermögen des Subjekts. Sie umfaßt weiter nichts, als das Urtheil, daß die Person durch ihren Willen (Begehrungsvermögen) Ursache des rechtswidrigen Factums sey und daß die psychologischen Bedingungen vorhanden waren, unter welchen die mögliche Abschräckung durch das Strafgesetz begründet war“. 151 Feuerbach, Revision II, S. 12, S. 34. 152 Vgl. Feuerbach, Revision II, S. 146 ff., auch S. 72, zum Verbrechen „aus Leidenschaft“ S. 167. 153 Feuerbach, Revision II, S. 50. 154 Vgl. Feuerbach, Lehrbuch, §§ 116, 117, 55, S. 207 ff., S. 102 f.; dens., Revision II, S. 53 ff., S. 57. Vgl. ferner Grünhut, Feuerbach, S. 102; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 60; von Bubnoff, Entwicklung, S. 24. 155 Feuerbach, Revision II, S. 50. 156 „Wo keine Verbindlichkeit verletzt, kein dieser Verbindlichkeit correspondierendes Recht gekränkt worden ist, da läßt sich durchaus keine Strafbarkeit als mögliche und rechtliche denken“, Feuerbach, Revision II, S. 55. Feuerbach, S. 60, ist derjenigen Ansicht, nach welcher der Erfolg „vorausgesehen worden seyn müsse“. 157 Feuerbach, Revision II, S. 52 f. 158 Feuerbach, Revision II, S. 64. Siehe hierzu die ausführliche kritische Darstellung von Lesch, Verbrechensbegriff, S. 61 ff. 159 Feuerbach, Revision II, S. 64.

§ 1 Versuchsunrecht und Naturalismus

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Für Feuerbach sind die „subjektiven Gründe der Zurechnung“ nicht die einzig relevanten. Es soll nämlich „auch“ nicht-positivierte, naturrechtlich gewonnene „objective Gründe der Strafbarkeit“ oder „der Zurechnung“ oder „äußere Bedingungen zur That“ geben160. Bei diesen geht es vornehmlich um „äußerlich erkennbare Handlungen“161, mit denen nicht ausschließlich innerpsychische Vorgänge gemeint sind, die auch nur aufgrund von Naturursachen entstanden, empirisch feststellbar sein sollen, d.h. beweisbare Fakten umfangen: Zauberei als Delikt ist also von Natur aus ausgeschlossen162. Die Besonderheit der Zurechnung zum Versuch liegt nach Feuerbach darin, daß keine Rechtsverletzung eintritt und er trotzdem strafbar ist. Naturrechtlich gelte folgendes: „Der rechtliche Grund des Daseyns aller bürgerlichen Strafen ist die Gefahr für den rechtlichen Zustand, welche durch die Androhung des Uebels abgewendet werden soll“163. Aus diesem naturrechtlichen Prinzip folge unmittelbar: „Dem Staate muß daran liegen, daß auch nicht solche Handlungen geschehen, die zwar nicht die Rechtsverletzung zum wirklichen Effecte, aber gleichwohl die Rechtsverletzung zum Objekte haben. Denn diese Handlungen führen auf das Verbrechen selbst“, so daß der Bürger, wenn er eine Rechtsverletzung beabsichtigt, auch „von diesen Versuchen abgeschreckt werden“164 soll. Der Versuch besteht bei Feuerbach nur „in einer, direct auf die Hervorbringung eines bestimmten rechtswidrigen Effects gerichteten Handlung, welche diesen rechtswidrigen Effect nicht bewirkt hat“165. Warum eine objektiv gefährliche Tat (sei es „wenig oder viel“166) nur strafbar sein soll, wenn die Begierde die Rechtsverletzung unmittelbar beabsichtigt hat167, bleibt ohne Erklärung. Feuerbach läßt im Rahmen der subjektiven Gründe der Strafbarkeit keine Nuancierungen („wenig oder viel“) zu, auch wenn er die Tat sogar bei fahrlässigen Handlungen auf einen positivbösen Willen zurückführt. Aber nicht nur der fahrlässige Versuch, sondern auch der Versuch bei Wissentlichkeit und beim bedingten Vorsatz bliebe außer Betracht. Anscheinend sind die subjektiven Gründe der Gefährlichkeit für die Konstituierung der Zurechnungskriterien zum Versuch naturrechtlich ausschlaggebend. Dies wird aber von Feuerbach nicht weiter verfolgt. Insbesondere bei der culpa – etwa bei grob fahrlässigen Handlungen, die in objektiver Hinsicht sehr gefährlich ausfallen können – scheinen für diesen Lösungsweg auch praktische Beweisprobleme entscheidend zu sein. So liegt die Vermutung nahe, daß ohne Blick auf den Plan des Täters keine soliden Anhalts160 161 162 163 164 165 166 167

Feuerbach, Revision II, S. 11 f., S. 13, S. 36, auch S. 201. Feuerbach, Revision II, S. 12, weiterhin gestützt auf das Gesetz, S. 269. Feuerbach, Revision II, Anm., S. 15. Feuerbach, Revision II, S. 204. Feuerbach, Revision II, S. 249. Feuerbach, Revision II, S. 266. Vgl. Feuerbach, Lehrbuch, § 42, S. 71. Feuerbach, Lehrbuch, § 42, S. 71.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

punkte für die Zurechnung zum Versuch gegeben sind, sie sind erst beim corpus delicti, d.h. bei vollendeter Fahrlässigkeit, ernst zu nehmen. Dies übersieht Feuerbach nicht. Wird die Strafbarkeit der versuchten Rechts(guts)verletzungen bei Feuerbach überprüft, wird sichtbar, daß diese mit der Behandlung des Feuerbachschen Versuchsbegriffs noch nicht abgeschlossen ist. Der Begriff vom Mangel am Tatbestand vermag nicht nur die Strafbarkeit untauglicher Versuchshandlungen zu rechtfertigen168, sondern auch die Strafbarkeit „versuchter“ fahrlässiger Handlungen, so daß die Fälle von Wissentlichkeit, dolus indirectus und Fahrlässigkeit in den strafbaren Bereich einfließen können. Dieser Begriff spricht von der Notwendigkeit, einerseits ein eng positivistisches Verständnis der Voraussetzungen der Zurechnung und letztendlich des Tatbestandsbegriffs zu überwinden169 und andererseits die weitgehenden Forderungen der Prävention zu berücksichtigen. Die Gefährlichkeit der Handlung ist nach Feuerbach um so größer, je wahrscheinlicher der Eintritt einer Rechtsverletzung ist170; ihre Gefährlichkeit betrifft also nicht die „Wahrscheinlichkeit künftiger Rechtsverletzungen“171. Die Wahrscheinlichkeit bzw. Gefährlichkeit der Tatverwirklichung ist „sowohl durch die objectiven, als auch die subjektiven Eigenschaften der That“ bestimmt172. Objektiv ist für den Versuch die „Beschaffenheit der Handlung“173 relevant: „Je näher der Versuch der Vollendung des Verbrechens ist, je weniger Zwischenhandlungen zur wirklichen Hervorbringung des rechtswidrigen Effects zwischen diesem und dem Versuche liegen, desto größer ist die Strafbarkeit“174: Die Bestrafung von gefährlichen Vorbereitungshandlungen muß in Kauf genommen werden. Zur Zurechnung zum Versuchsbeginn und seiner Abgrenzung zur Vorbereitung wie auch zu den verschiedenen Stufen des Verbrechens sind bei Feuerbach keine „abstrakten“, d.h. allgemein festzulegenden Kriterien auszumachen, und das – so Feuerbach ohne nähere Erklärung –, „wie sich wohl von selbst ergibt“175. Damit ist der Rahmen (und die Problemfelder) der künftigen naturalistischen Versuchstheorien dargestellt.

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Ebenso Schmid, GS Horst Schröder, S. 25. In ähnlichem Sinne Schmid, GS Horst Schröder, S. 36. 170 Feuerbach, Revision II, S. 206 f., unter anderen Gründen: Wichtigkeit und Mannigfaltigkeit der betroffenen Rechte und Dauer und Festigkeit der Gefahr. Der gefährlichste Grad einer Handlung ist dann erreicht, wenn die Rechtsverletzung eintritt. Hierzu Feuerbach, Revision II, S. 249. 171 Feuerbach, Revision II, S. 208. Anders die die Versuchsstrafbarkeit erweiternde Tätergefährlichkeitstheorie. 172 Feuerbach, Revision II, S. 211, wobei, wie schon gezeigt, beim Versuch nur der dolus directus ersten Grades relevant zu sein scheint. 173 Feuerbach, Revision II, S. 243. 174 Feuerbach, Revision II, S. 271. 175 Feuerbach, Revision II, S. 272. 169

§ 2 Zur naturalistischen Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts Das gerade skizzierte naturalistische Grundmodell des Strafrechtsverständnisses bildet das bis heute im Großen und Ganzen herrschende Argumentationsmuster zur Begründung der Versuchslehre. Ob subjektive oder objektive – oder gemischte subjektiv-objektive – Versuchstheorien, „die Theorien differieren nicht etwa kategorial, sondern sie sind (. . .) genuin naturalistisch“1.

A. Monistische Zurechnungslehren zum Versuchsunrecht I. Objektiv-kausale Gebundenheit von Individuen – die Gefährdung eines Rechtsguts als Versuchsbeginn 1. Überblick In den objektiv-naturalistischen Versuchstheorien definiert das Feuerbachsche Urteil einer objektiven Gefährlichkeit für ein Rechtsgut den zu verhütenden gesellschaftlichen Schaden. Nach dieser Definition – bzw. systematischen Konstruktion – des sozial Schädlichen wird der Zustand markiert, in den Rechtsgüter bzw. empirische Freiheitssphären nicht gebracht werden sollen. Die (gesellschaftliche) Störung liegt in einem konkreten empirischen Sachverhalt: der Auslösung eines äußerlichen Kausalstranges, der dem Rechtsgut äußerlich-physisch schaden kann. In der bei diesen Theorien typischen Spaltung von Schuld und Unrecht liegt die Tatschuld in der innerseelischen Beziehung zu dem rechtswidrigen Erfolg als psychologischer Willensschuld, als gleichsam zweiter Vorwurf nach dem Unrechtsvorwurf2. Zum Versuchsunrecht bei den objektiv-kausalen Versuchslehren wird aufgrund dessen nur der eine erste Vorwurf als conditio sine qua non 1 Jakobs, Urkundenfälschung, S. 79, hier in Bezug auf den Ausstellerbegriff bei der Geistigkeits- und der Körperlichkeitstheorie. 2 Eingehend Lesch, Verbrechensbegriff, S. 1 ff. Siehe schon früher Jakobs, Handlungsbegriff, S. 44; neulich auch González-Rivero, Strafrechtliche Zurechnung bei Defektzuständen, S. 129 ff. Dies hat weitere Konsequenzen für die Versuchslehre: In diesem Sinne wird von nicht schuldhaftem Versuchsunrecht (dazu Köhler, Strafrecht AT, S. 27) oder von Versuchsschuld ohne Versuchsunrecht (Nowakowski, ZStW 63 [1951], S. 299) gesprochen. Diese dem Naturalismus typische Trennung vom Subjekt(iven) und Objekt(iven) führt auch dazu, daß Armin Kaufmann, FS Welzel, S. 403, für den

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

zur Überprüfung des zweiten, scil. Schuldvorwurfs, analysiert. Ausgehend vom Unrecht als strafrechtlicher Schuld, interessieren uns diese Theorien insofern, als sie relevante Aspekte des normativen Kontexts ansprechen, aus welchem der einzige strafrechtliche Vorwurf, nämlich der Unrechts- bzw. Schuldvorwurf abgeleitet werden kann3. Die Lehren nehmen ihren Ausgangspunkt bei der kausalen Gebundenheit von naturalistische Rechtsgüter besitzenden Individuen und dem zu Verhütenden, der Läsion solcher Rechtsgüter bzw. Freiheitssphären. Besteht diesbezüglich seit Feuerbach Einigkeit, so geht es nunmehr darum, zu definieren – wieder ein systematisches (Strafrechts-)Konstrukt – wann also ein kausaler Strang für strafrechtsrelevant zu erklären ist, wann die empirisch beobachteten Rechtsgüter in einem Kausalzusammenhang stehen, der für das Individuum nicht mehr zu ertragen ist. Für ein solches qualitatives Kriterium, das gesellschaftlich plausibel ausfallen soll, sorgen die naturalistisch-objektiven Theorien. 2. Die ältere objektive Theorie: Versuch als ex-post Bestimmung des Gefährlichkeitsbegriffs (der Ansatz von Mittermaier) Das objektiv-naturalistische Gefährlichkeitsurteil wurde bis von Liszt4 expost5 gefällt. Die ex-post Definition des Gefährlichkeitsbegriffs basiert auf der nach der Tat erlangten äußerlich-kausalen, die Unversehrtheit des wiederum auch äußerlich-kausal definierten Rechtsguts betreffenden Information über die Umstände der Tat. Dies ist unabhängig von anderen (naturalistischen oder normativen) Perspektiven, etwa davon, ob eine solche Information dem Täter zum Tatzeitpunkt zugänglich war oder nicht. Anhand einer solchen Information soll der Richter die Erfolgstauglichkeit des äußerlichen Verhaltens des Täters beurteilen. Es geht hierbei um ein nicht täterbezogenes naturalistisches Kriterium des Versuchsunrechts bzw. eine nicht täterbezogene Unrechts- oder Schadensmarkierung. Trifft auf das Rechtsgut – dem Paradigma der Physik- und Naturwissenschaften durchaus vergleichbar – kein äußerlich-zerstörerischer KausalVersuch im Inneren des Täters einen maßgeblichen Handlungsunwert ohne Erfolgsunwert ausreichen läßt. 3 Ganz anders also die hier angesprochenen Lehren, denn – mit den Worten von Lesch, Verbrechensbegriff, S. 100 – „(wird) die Willensschuld nicht (. . .) als normativer Begriff mit einem expressiven Gehalt, sondern als ein durch und durch psychologischer Begriff interpretiert, der mit dem ,Anders-handeln-Können‘ des Täters einen empirisch-realen, innerseelischen Befund bezeichnet“. 4 Vgl. von Liszt, Lehrbuch, 2. Aufl., S. 188 ff., S. 191. 5 Vgl. zu den alten objektiven Theorien insbesondere Mittermaier, Beiträge in: Neues Archiv des Criminalrechts, 1817, S. 163 ff., S. 170 ff., S. 183 ff.; dens., GS 1859, S. 403 ff. und passim; dens., in: Feuerbach, Lehrbuch, § 42, Noten VII und VIII m. w. H.

§ 2 Zur naturalistischen Entwicklung des Begriffs

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strang, dann hat sich der Täter – ohne daß er es vielleicht wissen könnte – nicht vorwerfbar verhalten. Zur technischen Gefährlichkeitsdefinition hat Mittermaier6 die terminologisch bis heute anzutreffende Unterscheidung zwischen absolut bzw. abstrakt untauglichen und relativ bzw. konkret untauglichen Verhaltensweisen bzw. Versuchen eingeführt. Nur die ersten wären nach dem Kriterium der ex-post Definition des Gefährlichkeitsurteils straffrei, d.h. strafrechtlich irrelevant und damit strafrechtlich ungefährlich. Der straffreie, absolut untaugliche Versuch bezieht sich auf die Fälle, in denen das angegriffene Rechtsgutsobjekt nicht das in einem positivistisch-naturalistischen Sinne tatbestandsmäßige Objekt ist, so z. B. beim Versuch der Tötung einer Leiche, oder in Fallkonstellationen, in denen das Mittel zum Ziel nicht tauglich ist, so z. B. wenn gezuckertes Wasser als Gift verabreicht wird. Zum relevanten „normativen Kontext“ gehört also eine Selektion von Informationen. Diese Selektion beachtet den Prämissen und dem konkreten Kriterium nach nur den äußerlich-kausalen, physikalischen Zusammenhang. Daß zum Tatzeitpunkt alles dafür spricht, daß ein Verhalten schädlich sein wird und deswegen solches Verhalten unerlaubt und zu unterlassen ist, bleibt auf diese Weise unberücksichtigt. Der bzgl. des Mittels relativ untaugliche Versuch kann also strafrechtlich gefährlich ausfallen. Denn auch wenn sich die angewandten Mittel als konkret untauglich zum Erfolg entpuppen, können sie im allgemeinen (potentiell oder abstrakt) für zum Erfolg tauglich gehalten werden, so z. B. das zufällige Erbrechen des generell wirksamen Gifts oder die Verabreichung von Arsen in unbedeutenden, ubiquitären Mengen. Das entsprechende Argument wurde auf die bzgl. des Objekts relativ untauglichen Versuche übertragen: der Täter will ein mit einem Panzerhemd geschütztes Opfer niederstechen. Im Ergebnis nehmen die genannten Lehren eine Abstraktion des konkreten Falls vor: Da ex-post alle Versuche ungefährlich ausfallen, wird mit der Hypothese gearbeitet, nach der nicht der konkrete, geschehene Fall berücksichtigt wird, sondern dasjenige, was hätte eintreten können. Absolut untaugliche Mittel oder Objekte, wird behauptet, seien erfolgsuntauglich. Mit relativ untauglichen Mitteln oder Objekten komme man nicht konkret, aber doch unter anderen Umständen zum Erfolg. Das genannte Kriterium ist einerseits wirklichkeitsfremd. Ausgehend von einer naturalistischen Beobachtung des Strafrechts, d.h. der Reduktion des normativen Kontexts auf empirische Information, ist immer noch nicht verständlich, warum die empirisch-konkrete Situation nicht umfassender berücksichtigt wird, insbesondere warum bei der Definition des Gefährlichkeitskriteriums von der Täterbezogenheit abstrahiert wird. Warum wird also die Gesellschaft über Zustände definiert, die dem Täter nicht zugänglich sein müssen, oder umgekehrt, 6

Mittermaier, GS 1859, S. 403 ff., S. 404 f., S. 422 ff. und passim.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

warum wird die Organisationsfähigkeit des Täters in das Gefährlichkeitskriterium nicht eingebettet? Spricht zum Tatzeitpunkt alles dafür, daß das Verhalten gefährlich ist, und konnte der Täter nicht wissen, daß sein Verhalten ex-post ungefährlich ausfallen wird, dann wird das Unrechtsurteil, die Strafe zu einer Sache des Glücks7. Der Grund für eine solche Argumentation liegt letztendlich in einem nicht richtigen Begreifen des Strafrechts in der heutigen Gesellschaft. Knapp gesagt: Nur motivierbares Verhalten, nicht das Schicksal wird als gesellschaftlich relevante, sinnvolle Handlung angesehen (Schuldzurechnung)8. Die mangelnde Täterbezogenheit dieser Versuchsdefinition führt andererseits dazu, daß dieses Kriterium nicht praktikabel wird. Erstens kann ohne Täterbezogenheit, d.h. ohne Berücksichtigung der Fähigkeiten des Täters und sonstiger kontextbezogener Angaben, jedes Objekt (ein Bleistift, eine entladene Pistole, Salz, Zucker) je nach seinem Einsatz erfolgstauglich (Benutzung des Bleistifts als Dolch, Schlagen mit der Pistole, Verwendungen von Salz gegen Nierenkranken, Zucker gegen Zuckerkranke) oder auch erfolgsuntauglich ausfallen (Verabreichung von Arsen in ubiquitären Mengen). Soll dennoch an einer Abstraktion festgehalten werden, dann ist zu definieren und rechtfertigen, wovon und aus welchem Grund abstrahiert werden soll. Denn es macht einen Unterschied, ob berücksichtigt wird, nur „Arsen zu verabreichen“ oder – konkreter – „Arsen in ubiquitären Mengen zu verabreichen“ oder „eine lebensbedrohliche Menge Arsen zu verabreichen“ oder „eine lebensbedrohliche Menge Arsen in mehreren ubiquitären Dosen zu verabreichen“. 3. Die neuere objektive Theorie: Versuch als ex-ante Bestimmung des Gefährlichkeitsbegriffs (der Ansatz von v. Hippel) Auch nach der sog. neueren objektiven Theorie liegt die Unrechtsmarkierung, d.h., der Anfang des unerlaubten Verhaltens bzw. die erste strafrechtlich relevante Störung, in der objektiv-naturalistischen Gefährdung von Rechtsgütern9. Es geht um ein materielles, nicht formelles Kriterium: Es muß nur der Erfolg ausbleiben, „gleichgültig aus welchem Grunde“10. Dementsprechend müssen die anderen Tatbestandsmerkmale – entgegen der Lehre vom Mangel am Tatbestand – nicht zwingend vorliegen. Diese neuere Theorie kritisiert mit von Hippel die Definition des Gefährlichkeitskriteriums in seiner ex-post Version, d.h. seine nachträgliche Betrachtung zur Festlegung der Gefahr. Die Kritik der neueren Theorie geht dahin, Feuer7

Mezger, Lehrbuch, S. 398. Eingehend Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 81 ff., S. 84 ff. 9 von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 403 ff., S. 405. 10 von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 433, auch S. 396. 8

§ 2 Zur naturalistischen Entwicklung des Begriffs

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bach und seine Nachfolger hätten mit einer Abstraktion des Gefahrbegriffs operiert und sich somit „von der konkreten Lage der Verhältnisse zur Zeit der Tat“11 distanziert, mithin von der Frage, ob zu diesem Zeitpunkt die Gefahr feststellbar gewesen sei oder nicht. Bei dieser nachträglichen Betrachtung handelt es sich eigentlich um die Feststellung, ob eine Handlung im allgemeinen, nicht in concreto, geeignet ist, zum Erfolg zu führen oder nicht12. Ein angemessenes Kriterium dürfe also nicht in diesen „allgemeinen Durchschnittsmaßstäben (absolute oder relative Tauglichkeit)“ liegen, sondern darin, daß man „den Einzelfall ins Auge faßt und seiner Lage gerecht wird“13. Um dieses konkrete Problem zu lösen, greift von Hippel auf den Gefahrbegriff von Liszts zurück: Maßgeblich sei nicht eine abstrakt-generelle, sondern eine konkret-objektive Gefahr nach dem Kriterium der nachträglichen Prognose14. Es geht vornehmlich darum, die kognitiven Fähigkeiten des Täters bei der Definition des Gefährlichkeitskriteriums einzuschließen: Ein Versuch soll gefährlich sein, wenn ein einsichtiger Mensch mit den Kenntnissen des Täters und zusätzlich denjenigen eines aufmerksamen Beobachters zur Zeit der Tat (ex-ante) die Vollendung für nicht unwahrscheinlich, also für adäquat gehalten hätte15. Dieser Gefahrbegriff beansprucht für sich, „konkret“ zu sein, da er die Täterbezogenheit der konkreten Lage, die konkrete Lage des Täters vor der Willensbetätigung, berücksichtigt16. Darüber hinaus ist er „objektiv“, da erstens die Kenntnisse des Täters durch diejenigen eines einsichtigen Beobachters ergänzt werden. Dementsprechend ist bei der konkreten Gefährlichkeit das später Erkennbare nicht zu berücksichtigen17. Der unberechenbare Zufall bleibt außer Betracht. Außerdem wird zweitens das Urteil der Gefährlichkeit von eben diesem einsichtigen Beobachter gefällt. Die Verabreichung von Abtreibungsmitteln bei eindeutigen Schwangerschaftssymptomen soll Versuch sein, auch wenn sich nachträglich herausstellt, daß die Frau nicht schwanger war. Das Urteil der konkreten Gefahr muß also nicht mit einem konkreten Gefährdungsdelikt zusammenfallen. So kann etwa beim Fehlen des Objekts ein untauglicher Versuch (konkrete Gefahr) vorliegen, nicht aber ein (vollendetes) konkretes Gefährdungsdelikt.

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von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 418. Vgl. von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 419; Reinhard von Hippel, Untersuchungen, S. 2. 13 von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 429. 14 Vgl. von Liszt, Lehrbuch, S. 191. 15 Siehe nur Roxin, FS Haruo Nishihara, S. 161, der in diesem Beitrag für die Fälle des tauglichen Versuchs diese Theorie vertritt; Zieschang, Die Gefährlichkeitsdelikte, S. 140; Hirsch, FS Roxin, S. 718 (wenn auch als Gefahr der Tatbestandsverwirklichung konkretisiert); Malitz, Der untaugliche Versuch, S. 163, S. 169 ff., S. 183 ff. 16 Siehe nur Hirsch, FS Roxin, S. 718. 17 von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 427. 12

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

Notwendiges Fundament für diese Definition des Gefährlichkeitskriteriums bzw. des relevanten Kausalzusammenhangs ist die Theorie der adäquaten Verursachung18. Im Strafrecht geht es um die kausale Gebundenheit von Individuen und ihre objektiv-naturalistisch definierten Freiheitssphären, aber nur adäquate Kausalzusammenhänge sollen relevant sein. Adäquat in diesem Sinne bedeutet, daß jeder Bürger bei der Vornahme einer Handlung mit einem Wahrscheinlichkeitsurteil operieren soll und Verhaltensweisen an den Tag legen kann, die nicht als adäquat für Rechtsgutsverletzungen betrachtet werden. Dieses Urteil, das demjenigen eines objektiven Beobachters zu entsprechen hat, soll für die Inadäquanz des Kausalverlaufs sprechen (Ungefährlichkeit und Nicht-Zurechenbarkeit des Erfolgs bei Vollendung), wenn der Verlauf nicht erfahrungsgemäß oder unberechenbar Zufall ist, scil. wenn er „völlig unvorhersehbar oder doch derart unwahrscheinlich war, daß er für menschliches Verhalten im sozialen Leben als gleichgültig erscheint“19. Wann der Eintritt des Erfolgs anzunehmen ist, „welchen Grad der Möglichkeit man dabei noch für berechenbar im Sinne adäquater Verursachung erklärt und welchen nicht mehr, das läßt sich natürlich weder ziffermäßig noch logisch, sondern nur nach Erwägungen der Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit“20 beurteilen. Diese Theorie der Kausalität21 und ihre Auswirkungen auf die Erklärung des Versuchs erkennt jedenfalls richtig, daß bloße Kausalität (im Sinne der Bedingungstheorie) den Tatbestand axiologisch nicht ausreichend22 zu erklären vermag. Sie versucht statt dessen die Relevanz des Verlaufs durch einen objektiven Beobachter, d.h., durch eine – wenn auch noch sehr rudimentäre – Umschreibung eines sozial-relevanten Urteils zu erfassen23. 4. Der Versuch als konkretes Gefährdungsdelikt (der Ansatz von Spendel) Dem von v. Hippel herausgearbeiteten Gefahrbegriff v. Liszts wurde schon früh vorgeworfen, daß er in Wirklichkeit kein objektiv-konkretes Kriterium verwende, vielmehr auf eine Subjektivierung angewiesen sei. Eberhardt Schmidt kritisierte den Ansatz von Liszts insoweit, als bei diesem auch dann von objek18 Vgl. von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 146 ff.; Engisch, Kausalität, S. 41 ff., S. 51 ff., insbesondere S. 58 bezüglich des Versuchs, auch S. 61 ff. 19 Vgl. von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 149. 20 von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 149. 21 Eingehend und kritisch Jakobs, AT, 7/33 f.; schon davor ders., Studien, S. 63 f., S. 90 ff. mit Fn. 183; zum Versuch auch Timpe, Strafmilderungen, S. 110 ff. 22 Siehe schon Engisch, Kausalität, S. 47 ff.; Jakobs, AT, 7/33 ff. 23 Zur Beziehung dieser Lehre mit der Lehre von der objektiven Zurechnung siehe neulich Jakobs, FS Hirsch, passim; diesen Verdienst hervorhebend auch LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 92.

§ 2 Zur naturalistischen Entwicklung des Begriffs

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tiver Gefahr die Rede bleibe, wenn es überhaupt kein (naturalistisches) Rechtsgutsobjekt gebe, der Täter dessen Anwesenheit jedoch hätte annehmen können – und sei es auch, wenn jeder es angenommen hätte: Der Täter verwechselt etwa einen Baum mit seinem Feind und schießt auf ihn. Für v. Hippel sei nicht die „konkrete Lage“ ausschlaggebend, sondern das von der konkreten Lage Erkennbare. Im Ergebnis werde also ausschließlich auf die Kenntnisse des Täters oder Beurteilenden abgestellt, so daß es erklärbar sei – so endet die Kritik Eberhardt Schmidts –, daß v. Liszt „fast ganz und gar zu den Ergebnissen der subjektiven Theorie des Reichsgerichts gelangte“24. Eine ähnliche Kritik findet sich später bei Spendel25, der meint, daß dieser Gefahrbegriff kein konkreter Begriff sei, sondern das Ergebnis einer Generalisierung26. Nach der dem Standpunkt v. Liszts zugrundeliegenden Adäquanztheorie sei für die Haftung nicht der konkrete Erfolg, sondern seine Entsprechung mit dem erfahrungsgemäß voraussehbaren Erfolg relevant. Gleiches soll für die Markierung des Versuchs gelten: Maßgeblich ist demnach nicht die wirkliche Gefährdung eines anwesenden Rechtsguts in der konkreten Lage, sondern die erfahrungsgemäße Abschätzung der Folgen der Handlung (daher die Generalisierung), auch wenn konkret bzw. in Wirklichkeit (d.h. hierbei: ex-post) das Rechtsgut nicht gefährdet wurde. Von Liszts Gefahrbegriff sei also kein objektiv-konkreter, sondern ein subjektiv-abstrakter. Auf der Basis des von v. Hippel herausgearbeiteten Kriteriums der objektiv nachträglichen Prognose versucht Spendel den Gefahrbegriff weiter zu konkretisieren. Als Reaktion auf die damals geäußerte Kritik der Jurisprudenz soll der Gefahrbegriff seine Legitimation in seiner Entsprechung mit dem Kausalitätsprinzip finden. Die Begründung korrespondiert dem naturalistischen Verständnis des Strafrechts: „Der Kritik am Gefahrbegriff ist entgegenzuhalten: einmal ist es ein ontologisches Problem, ob es nicht zwischen dem Nicht-Sein und der Wirklichkeit (Wirklich-Sein) eine reale Möglichkeit (Seinsmöglichkeit) gibt (die von dem logischen Begriff der formalen Möglichkeit als dem Denkbaren zu unterscheiden ist). Sodann ist gerade in der modernen Naturwissenschaft das Kausalitätsprinzip problematisch geworden und nach manchen Physikern [scil. nach Max Planck] durch Wahrscheinlichkeitsregeln zu ersetzen“27. Um von einer objektiv konkreten Gefahr zu sprechen, sei zwar eine ex-ante Betrachtung im Sinne v. Hippels nötig, da ohne diese Perspektive keine Gefahr auszumachen sei (nachträglich fielen alle Versuch ungefährlich aus). Diese Perspektive spreche von der „potentiellen“ Kausalität nach den (gerade eben gerechtfertigten) „Wahrscheinlichkeits“-kriterien28. Dies gelte aber nur für die 24 25 26 27

v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, § 45, S. 312 mit Fn. 15. Spendel, FS Stock, S. 89, S. 103 ff. Spendel, FS Stock, S. 104. Spendel, FS Stock, S. 101.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

Handlung, da diese zu etwas Zukünftigem (scil. dem Erfolg) tendiere und ein Werdendes (den Erfolg erstrebender Verlauf) sei. Die anderen, vom Täter unabhängigen gegenwärtigen Tatumstände, insbesondere das Tatobjekt, seien dem Tatprinzip nach und in Anlehnung an die (unten anzusprechende) Lehre vom Mangel am Tatbestand ex-post festzustellen, weil sonst keine Objektivierung des Gefahrbegriffs stattfinde. Diese ex-post Betrachtung diene also der Mitbegründung des Gefährdungsdenkens als gedanklicher Vorstufe der ex-ante Betrachtung und verleihe die gebotene Objektivität. So wie ein vollendetes Verletzungsdelikt das Stadium der konkreten Gefährlichkeit durchlaufen habe, sei auch der Versuch eine konkrete Gefährdung im Sinne der konkreten Gefährdungsdelikte, bei denen die Handlung nicht zur Vollendung habe führen können. Nur im Vorsatz sei das Versuchsunrecht strukturell von den konkreten Gefährdungsdelikten zu unterscheiden29. Auch hier bleibt die Gefahr Strafgrund des Versuchsunrechts, aber nach einer im Verhältnis zur neueren Theorie unterschiedlichen Perspektive und Bedeutung: v. Hippel stellt auf das vom Täter Erkennbare ab, so daß die Normativierung der Täterkenntnisse zum objektivierenden Element wird. Parallel zu der älteren Theorie findet Spendel das Objektive der Gefahr insbesondere in den ex-post festzustellenden Tatumständen, obwohl er, wie schon erwähnt, das Erkennbare, scil. das Kriterium der nachträglichen Prognose – subjektivierender Teil des Begriffs als täterbezogener Begriff – als Basis des „objektiven“ Gefahrbegriffs zugrunde legt30. Diese Vorgehensweise erklärt sich aufgrund der Prämissen der Sichtweise der Objektivität. Voraussetzung einer objektiven Erkenntnis, eines objektiven Urteils, ist strafrechtlich eine äußerlich tatbestandsentsprechend gestaltete, naturalistische Welt, auf die sich das Subjekt mit seiner Handlung beziehen soll. Dieser Dualismus von Täter und Außenwelt, von Subjekt und Objekt, charakterisiert die realistische Philosophie und dementsprechend die naturalistische Strafrechtslehre. Das Objekt ist das Wirkliche, die Basis jeden gültigen Urteils, und gibt dem Subjekt als leere bzw. formale Identität den Inhalt des Wirklichen, bzw. die Basis des Gültigen. Liegt das Wirkliche, das (naturalistisch beobachtete) Objekt nicht vor, so ist die Erkenntnis, so sind die Urteile des Subjekts bloß etwas Subjektives, Ungültiges, eine Leerheit31. Wird dieses realistisch-naturalistische Grundverständnis nicht überwunden, dann sind bestimmte Konsequenzen für das Versuchsunrecht – insbesondere die Unmöglichkeit der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs – nicht auszuräumen32. 28

Spendel, FS Stock, S. 103. Spendel, FS Stock, S. 104. 30 Spendel, FS Stock, S. 103. 31 Vgl. knapp und aufklärend nur Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 3. 32 Zu denselben Problemen gelangen normativ-dualistische Straftheorien, so etwa Zaczyk. Siehe hierzu unten 1. Kap., § 3. Eingehend zur Systematik des Dualismus auch unten 2. Kap., § 5 B. 29

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Parallel zu den Defiziten der neueren Lehre vom Mangel am Tatbestand auf einer formalen Ebene, führt die Trennung von täterbezogener Handlung und den vom Täter unabhängigen, aktuellen Tatumständen zu unbefriedigenden Ergebnissen. Diese „Neubegründung der objektiven Versuchstheorie“33 geht nämlich auch von einem im Verhältnis zu der neueren Lehre vom Mangel am Tatbestand parallelen, positivistischen Tatbeständsverständnis aus. Zunächst wird die Handlung, als täterbezogener Begriff, von nicht täterbezogenen Tatumständen unterschieden. Von diesen Tatumständen gehören nur einige zu den Tatbestandsmerkmalen. Vom Versuchstäter wird ein böser Wille und – dem positivistisch-naturalistischen Grundverständnis vom Tatbestand entsprechend – die Kenntnis der Tatbestandsmerkmale verlangt (d.h. der Vorsatz bezieht sich nur auf die Tatbestandsmerkmale). Das Verlangen des Erfolgs einer konkreten Gefährdung des Rechtsguts – vermeintlich ein der Rechtsstaatlichkeit besser entsprechendes Kriterium – kann unter diesen Umständen zu nach heutigem strafrechtlichen Verständnis unakzeptablen Konsequenzen führen. So ist für Spendel die Strafbarkeit der ungerechtfertigten Herbeiführung eines Kausalstrangs mit dem Willen der Deliktsvollendung auch möglich, wenn der Täter die (positivistisch-naturalistisch verstandenen) Tatbestandsmerkmale, nicht aber andere (angeblich) „nicht typifizierte“, im Tatbestand nicht erwähnte, Tatumstände kennt. Beispielsweise: Der Täter will eine Person töten, indem er ihr a priori (ex-ante) harmlose Schnitte zufügt; die Schnitte fallen aber tödlich aus, weil das Opfer bluterkrank war, welches einen Tatumstand darstellt, den der Täter nicht wissen konnte34. Da für Spendel der Vorsatz bzgl. der Tatbestandsmerkmale ausreicht – scil. Anwesenheit eines Menschen (Tatprinzip) – und ein zusätzlicher Vorsatz bzgl. ihrer begleitenden Tatumstände nicht notwendig ist, diese Tatumstände aber ex-post berücksichtigt werden, um auf deren Basis das Gefährlichkeitsurteil ex-ante (aber mit den als Voraussetzung geltenden ex-post Daten) zu fällen, kann er ein Versuchsunrecht behaupten, auch wenn die „Gefahr“ nach der Erfahrung unvorhersehbar, nach v. Hippel also inexistent war. In Fällen wie im Bluterfall gerät die Strafrechtszurechnung in die Nähe des versari in re illicita35. Müßte wegen eines Zufalls die Unberechenbarkeit bestraft oder wegen Glücks nicht bestraft werden, dann wäre dies – wie Wolter treffend hervorhebt – schon mit dem geläufigen Verständnis vom Schuldprinzip schwer zu vereinbaren; außerdem kann der Bürger nicht für unerkennbare Pflichten zuständig gemacht werden, denn solche Fälle würden ihm „als unglücklicher Zufall und allgemeines Lebensrisiko erscheinen“36.

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So tituliert Spendel seinen Aufsatz in FS Stock, S. 89. Vgl. Spendel, FS Stock, S. 104. Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 86 f. Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 86 f., S. 87.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

Problematisch ist bei dieser positivistisch-naturalistischen Theorie auch die Frage, wann die Voraussetzung der Anwesenheit des Objekts anzunehmen ist. Ein Beispiel: Greift jemand in der U-Bahn in die Hosentasche eines Mitfahrenden, um ihn zu bestehlen, und befindet sich die Wertsache in der Jackentasche, gefährdet die Handlung das Eigentum, „da das Verhalten objektiv einen Eingriff in dessen tatsächlichen Herrschaftsbereich bedeutet“37 (tauglicher Versuch im Gegensatz zum – immerhin strafbaren – relativ untauglichen Versuch der älteren Theorie); befindet sich überhaupt kein Eigentum in den Taschen, so kann das Eigentum des Fahrgasts objektiv in concreto nicht gefährdet werden. Bei diesem letzten Beispiel wird das Objekt durch einen anderen Begriff, scil. den Herrschaftsbereich, die Machtsphäre des Opfers, ersetzt, um die Abwesenheit des Objekts auszugleichen. Es handelt sich wiederum um einen naturalistischen Begriff vom Objekt38, der aber weiter gefaßt ist als der ursprüngliche. Solche argumentativen Umwege – eigentlich Ausnahmen – wurden auch von den Anhängern der Lehre vom Mangel am Tatbestand gegangen39. 5. Der Versuch als abstraktes Gefährdungsdelikt (der Ansatz von Kratzsch) Ein konkreter Gefahrbegriff kann für Kratzsch aus mehreren Gründen nicht das entscheidende Kriterium bilden. Erstens umfasse er nicht den untauglichen Versuch und neige dazu, Vorbereitungshandlungen zu bestrafen, da diese in konkreten Fällen äußerst gefährlich erscheinen40. Zweitens berücksichtigten die objektiven Theorien „rechtsgutserhaltende Veränderungen“41 nicht, scil. sie beachteten nicht die Tatsache, daß das Verhalten, das im Vorbereitungsstadium gefährlich erscheine, nachträglich die Gefährlichkeit verlieren könne, so daß das Strafrecht hier nicht zum Zweck der Rechtsgutserhaltung eingreifen müßte: Die Veränderlichkeit des Zustands zwinge den Richter um des Erforderlichkeitsprinzips willen zu einer Prognose der objektiven Gefährlichkeit der Handlung in dem Sinne, daß das Merkmal „objektiv“ in der Zukunft beibehalten würde42. Es bestehe jedoch keine Prognosesicherheit: „Da angesichts einer unübersehbaren Fülle von sich wechselseitig beeinflussenden ,Kausalfaktoren‘ (Täter, Tatsituation, Reaktionen des Opfers oder Dritter, Distanz zum Ziel usw.) der Eintritt 37

Spendel, FS Stock, S. 107. Anders, aber im Grunde richtig in der Kritik, Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 88. 39 Siehe nur zu Dohna, FS Güterbock, S. 61 ff. 40 Vgl. Kratzsch, JA 1983, S. 420, 424. Dieser Autor begründet trotzdem eine Erweiterung der Versuchsstrafbarkeit über die von den klassischen Theorien umfaßten Fälle hinaus, und zwar nicht nur des untauglichen Versuchs. Siehe unten im Text. 41 Kratzsch, JA 1983, S. 579. 42 Zu diesem Aspekt eingehend Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 433; ders., JA 1983, S. 425. 38

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oder das Ausbleiben des Erfolgseintritts vom Zufall abhängt, ist es für Gesetzgeber und Richter faktisch unmöglich“, die Kausalität in concreto vorauszusehen43. Im Rahmen der herkömmlichen Versuchstheorien sollen die behandelten Fallkonstellationen normalerweise Verletzungsdelikten betreffen; in diesen Fällen herrsche die von Kratzsch genannte „lineare Kausalität“, bei der normalerweise nur der Täter den Erfolg bedingen soll44. Diese Betrachtung ist nach Kratzsch aber „problemverkürzend“ und kann leicht zu Einseitigkeiten und Verzerrungen im Normverständnis führen. Das Zusammenwirken einer Vielzahl von Kausalfaktoren werde ignoriert (sog. Zirkelkausalität oder Kausalität durch Wechselwirkungen, welche als Zufall bezeichnet werden könne), so daß alle Prognosen „zufallsabhängige Einzelergebnisse“45 und als solche nicht legitimierbar seien. Letztlich würden Täter begünstigt, die wegen Zufalls nur einen untauglichen Versuch ausführten46. Kratzschs Position kann nur auf der Basis seines Strafrechtsverständnisses verstanden werden. Ziel des Strafrechts ist für Kratzsch ein umfassender Rechtsgüterschutz: Diese Zwecksetzung ist nur gewährleistet, wenn „im Kampf gegen das Unrecht jeder Zufall ausgeschaltet ist“47. Mit dem Strafrecht sei also einzugreifen, bevor der Schaden für das Rechtsgut einzig vom Zufall abhänge. An diesem strategischen Ziel seien Strafgesetzgebung und Rechtsprechung auszurichten. Dabei setze das Strafrecht als „Kampfmittel“ immer häufiger abstrakte Gefährdungs- oder Tätigkeitsdelikte ein. Für diese ist kennzeichnend, daß man „von jeder konkreten Beziehung der Täterhandlung zu einem individuellen Handlungsobjekt abstrahiert, d.h. nicht notwendigerweise eine reale Chance der Rechtsgutsverletzung voraussetzt“48. Ihnen soll die Funktion zukommen, „daß zufallsabhängiges und deshalb zunächst nicht beherrschbares Verhalten sowohl für den Täter wie auch für das Strafrecht als Schutzorganisation beherrschbar gemacht wird“49. Mit der Interpretation des § 22 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt wird der Weg zu einer Erklärung des untauglichen Versuchs gebahnt. Das „taktische Zwischenziel“ des Versuchsunrechts ist in diesem Konzept „die rechtzeitige Unterbindung von deliktischen Willensbetätigungen im Vorfeld der Verletzungstat“50, wenn „die Erfolgsabwendung von Strafrechts wegen geboten und noch möglich ist“51. Die Unrechtsbekämpfung soll durch das Erforderlichkeitsprinzip 43

Kratzsch JA 1983, S 579. Siehe auch dens., Verhaltenssteuerung, S. 432, S. 435. Kratzsch, JA 1983, S. 428. 45 Kratzsch, JA 1983, S. 579. 46 Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 435. 47 Kratzsch, JA 1983, S. 427. 48 Kratzsch, JA 1983, S. 427, S. 428. 49 Kratzsch, JA 1983, S. 428. 50 Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 436; ders., JA 1983, S. 580; ähnlich Mir-Puig, FS Roxin, S. 743. 44

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

und die Prinzipien der Rechtssicherheit und Verhältnismäßigkeit begrenzt werden, was sich darin widerspiegele, daß § 22 StGB ein „abstraktes Gefährdungsdelikt mit konkreten Grenzwerten“ ausmache52. Im Ergebnis sei das Geschehen „Rechtsgütergefährdung“ wegen der Zirkelkausalität als individuelles Ereignis nicht hinreichend beherrschbar. Es gehe nämlich nicht darum, ob eine konkrete Handlung in einer konkreten Situation tatsächlich gefährde oder nicht, also nicht um eine individuelle Messung des Grades der drohenden Rechtsgutsgefährdung, sondern darum, ob ein sehr fortgeschrittenes Handlungsstadium erreicht worden sei53. Die Frage ist folglich, ob eine solche Handlung zwar nicht in der konkreten Situation, aber in einer anderen Sachverhaltskonstellation erfahrungsgemäß, statistisch54 und typischerweise zu einer erfolgreichen Vollendung hätte führen können. Im Ergebnis wird mit einem „Standardwert als Grenzmarkierung des Versuchsbeginns“55 operiert. Auf diese Weise wird das Versuchsunrecht um das auch statistisch Gefährliche erweitert, und unter anderem um den untauglichen Versuch. Kratzschs Interpretation des Versuchsunrechts als „abstraktes Gefährdungsdelikt“ bereitet Schwierigkeiten. Im Ergebnis existieren zwei Delikte zur Erreichung desselben Zwecks (einen umfassenden Rechtsgüterschutz): ein Vollendungsdelikt einerseits und ein Versuchsdelikt bzw. das „abstrakte Gefährdungsdelikt“ des § 22 StGB56 andererseits; aber – so fragt Jakobs: „Wieso soll demjenigen Täter, der eine Verletzungsvollendung trotz eines bestehenden Verbots anstrebt, das Verbot der abstrakten Gefährdung etwas bedeuten, so daß es zur Verwirklichung der Normziele auch kommt?“57. Zaczyk weist zu Recht darauf hin, daß sich die Versuchsstrafe am Strafrahmen des vollendeten Delikts des BT mit der Möglichkeit einer Vollendungsstrafe nach § 23 II StGB orientiert, was nicht gerade für die Eigenständigkeit beider Unrechte spreche58. Es wäre von Kratzsch näher zu begründen, warum die strafrechtliche Natur des Versuchsunrechts ein eigenständiges (abstraktes Gefährdungs-)Delikt ausmachen soll59. Was die Abstraktheit dieses Gefährdungsdelikts des § 22 StGB angeht, zieht Kratzsch vergleichend eine Parallele zwischen dem Versuchsunrecht als abstrak51

Kratzsch, JA 1983, S. 578 (Hervorh. dort). Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 436. 53 Vgl. Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 437; dens., JA 1983, S. 581. 54 Siehe neulich auch Mir-Puig, FS Roxin, S. 745 f. 55 Kraztsch, Verhaltenssteuerung, S. 438. 56 Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 436. 57 Jakobs, AT 25/15, Fn. 16. 58 So Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 39. 59 Dies wird von Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 39, auch ausdrücklich verlangt. 52

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tem Delikt und dem ehemaligen § 306 StGB (Schwere Brandstiftung). Wie Zaczyk bemerkt, berücksichtigt dieser Vergleich aber nicht, daß im ehemaligen § 306 Nr. 2 StGB60 wegen §§ 23 I, 12 I StGB der Versuch selbst strafbar ist, d.h., „ein abstraktes Gefährdungsdelikt würde durch ein noch abstrakteres Gefährdungsdelikt“ ergänzt61. Bei Kratzsch fehlt es an einer Begründung dafür, warum die Struktur normaler abstrakter Gefährdungsdelikte von der Struktur des Versuchsdelikts – auch ein abstraktes Gefährdungsdelikt – dennoch unterscheidbar bleiben soll. Der Versuchstäter verfügt nämlich in der Regel über einen relativ weiten – und nicht wie bei abstrakten Gefährdungsdelikten über einen gegen null tendierenden – Einschätzungsspielraum. Sowohl die formelle Regelung des Versuchs im Allgemeinen Teil des StGB62 als auch – in materieller Hinsicht – die Gestalt der heutigen Gesellschaft, in der das Strafrecht seine Funktion erfüllt, sprechen dafür, es dem Einzelbürger zu überlassen, das Versuchsunrecht nach den geschriebenen Normen des StGB und nach sonstigen (straf-)rechtlich relevanten, gesellschaftlichen Regeln zu konkretisieren. Die heutzutage dezentral organisierte, auf immer differenzierter gestaltete Kontakte von Personen eingestellte Gesellschaft verlangt nämlich einen hohen Grad von Selbststeuerung bzw. -organisation. Aufgabe des Bürgers ist es, je nach dem normativen Kontext die Norm situationsadäquat zu konkretisieren und dabei, sich im erlaubten Rahmen verhaltend, den Herausforderungen der konkreten Lage im Einzelfall gerecht zu werden63. Im Falle des Versuchs muß bei dieser Sichtsweise schon eine vom Strafrecht nach seinen Zurechnungskriterien festgestellte mangelhafte Selbstorganisation bestehen64. Dies ist der Grund, warum abstrakte Gefährdungsdelikte als „verhaltensgebundene“65 Delikte im heutigen Strafrecht nur schwer strafrechtlich begründbar sind66. Der Gedankengang von Kratzsch basiert im Grunde darauf, daß das Ziel des Versuchsunrechts umfassender Rechtsgüterschutz sein soll, jeder Zufall also auszuschließen sei; das radikalste Mittel des StGB für die Ausschließung von Zufälligkeiten einer Rechtsgüterverletzung seien die abstrakten Gefährdungsdelikte, scil. das Verbot, von konkreten Handlungen abzusehen, weil sie statistisch gefährlich ausfallen können. Dies soll am effektivsten erreicht werden können, wenn das Versuchsunrecht als abstraktes Delikt und das Kriterium als statisti60 Der Tatbestand des ehemaligen § 306 Nr. 2 StGB ist heute in § 306a I Nr. 1 StGB enthalten. 61 Zaczyk, Unrecht der Versuchten Tat, S. 39, weiterhin S. 40 f. 62 Vehling, Abgrenzung, S. 68; Bloy, Unrechtsgehalt, S. 81. 63 Eingehend Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 81 ff., S. 86; ders., Imputación objetiva, S. 132; ders., Über die Aufgabe der subjektiven Deliktsseite im Strafrecht, in: H. Witter (Hrsg.), Der psychiatrische Sachverständige im Strafrecht (1987), S. 272. 64 Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 278. 65 Bloy, ZStW 113 (2001), S. 76 ff., S. 81. 66 Siehe nur Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 843 ff., S. 855 ff.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

sches gefaßt wird. Die Möglichkeit der Einbeziehung aller möglichen Versuchsfälle bzw. Angriffe auf Rechtsgüter liefert allerdings noch keine hinreichende strafrechtliche Begründung der Versuchsstrafbarkeit. Die Definition der Funktion des Strafrechts anhand der Rechtsgüterschutzlehre führt außerdem, wie Jakobs nachgewiesen hat67, insbesondere bei der Bestimmung des Versuchsunrechts, zur Tendenz einer uferlosen Ausdehnung der Strafbarkeit. Kratzsch ist sich dieses Problems bewußt, sei doch das Versuchsunrecht ein „abstraktes Gefährdungsdelikt mit konkreten Grenzwerten“68. Das Problem dieser Grenzwerte (Verhältnismäßigkeits-, Erforderlichkeits- bzw. Rechtssicherheitsprinzip, Übermaßverbot, usw.) im naturalistischen Strafrechtsverständnis wurde oben analysiert69. Diese Prinzipien sind in einem naturalistischen System als Regeln der Ordnung von Individuen für eine plausible, der Sittlichkeit einer Gesellschaft gemäße Anwendung des Strafrechts und zum Schutz der Individuen vor Exzessen des Strafrechts gedacht. In diesem Modell sind sie als Klugheitsregeln bzw. hypothetische Imperative einer über Kalkül funktionierenden Anhäufung von Individuen zu verstehen, so daß ihr „Grenzwert“ Produkt dieses Kalküls ist. Ist das Ziel des Strafrechts ein umfassender Schutz, eine umfassende Sicherheit, so ist der Grenzwert dieser Prinzipien dementsprechend sozusagen nach unten zu ziehen, d.h. abzuschwächen70. 6. Fazit Wie zu Anfang bemerkt, liegt die Bedeutung der dargestellten Versuchstheorien darin, daß sie wichtige Aspekte des normativen Kontexts ansprechen, aus welchem der einzig strafrechtliche, nämlich der Unrechts- bzw. Schuldvorwurf zu entnehmen ist. Trotzdem fehlt es wegen der oben dargestellten naturalistischen Methode dieser Theorien an einer adäquaten Aufnahme des Sozialen in die strafrechtliche Zurechnungslehre71: Der soziale Schaden des (Außen-)Verhaltens des Bürgers läge beim Versuchsunrecht in der naturalistischen Gefahr für naturalistisch beobachtete Sachverhalte bzw. Objekte. Auf diese Weise simplifizieren diese Theorien die gesellschaftliche und so die strafrechtliche Bedeutung (die Zurechnungskriterien) des Verhaltens von Bürgern auf der Basis des schon überholten Kausaldogmas72: So wie das Vollendungsunrecht eine realphysische, äußerlich-kausale Rechtsgutsverletzung sei, müsse das Versuchsun67

Jakobs, ZStW 97 (1985), S. 751 ff., S. 753 f. Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 436. 69 Siehe oben 1. Kap., § 1 A. II. 1. b) und 2. 70 In diesem Sinne auch die Kritik von Vehling, Abgrenzung, S. 67: „Was verhältnismäßig ist, richtet sich danach, was erforderlich ist zur Erreichung eines (vorher) bestimmten Zwecks“. Vgl. auch Roxin, AT II, § 29, Rn. 185. 71 Vgl. nur Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 344 ff. 72 So Jakobs, AT, 25/15. 68

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recht eine äußerlich-kausale Rechtsgutsgefährdung sein. Der Sinn der sozialen Kommunikation läge in der extern-kausalen Gebundenheit des Individuums an andere Individuen und Rechtsgüter. Daß dieses Prinzip zur Begründung und Lösung des Problems der interpersonalen Zuständigkeitsverteilung im Strafrecht nicht ausreicht, ist leicht ersichtlich. Mit einem Beispiel: Die Herstellung von sehr schnellen Autos unter Berücksichtigung der geltenden Gesetze verursacht jährlich Tausende von Toten, schwere Verletzungen und die damit verbundenen gefährlichen Situationen. Die entsprechenden Unternehmer wegen Versuchs oder Vollendung zur Verantwortung zu ziehen, wird nicht einmal in Betracht gezogen73. Unter den genannten Umständen dürfen sie also Rechtsgüter verletzen oder gefährden. In der heutigen Gesellschaft sind also nicht alle ihrer Gestalt nach extern-naturalistisch beobachteten Gefahren unerlaubt und nicht jeder ist für jede Gefahr, die er verursacht, verantwortlich74. Will die Gesellschaft ihre aktuelle Gestalt erhalten (und so über die Möglichkeit verfügen, schnelle Autos benutzen zu können), anders ausgedrückt: Will die Gesellschaft überhaupt ihre aktuelle breite Palette an differenzierten sozialen Kontakten erhalten, dann muß sie äußerlich-kausale Gefahren in Kauf nehmen und über das Kausalitätsprinzip, über das Gefährlichkeitsprinzip als Basis des Täter-, Tat- und Strafbegriffs und im Ergebnis über das naturalistische Verständnis von sich selbst und dementsprechend auch seinem Strafrecht ihren Zusammenhalt bzw. ihre Identität behalten. Wird heutzutage in der Lehre der objektiven Zurechnung von unerlaubtem Risiko gesprochen, ist dieses Risiko ein genuin gesellschaftliches, nicht naturalistisches Konstrukt, womit die objektiv-kausalistischen Versuchslehren den Strafzweck, den vom Strafrecht auszuräumenden sozialen Schaden, verfehlen. Stellen die genannten Theorien auf den Feuerbachschen „ursächlichen Zusammenhang“75 als Reduzierung des genuin strafrechtlich normativen Zusammenhangs zwischen Agens und Erfolg, also auf die Gefahr ab, abstrahieren sie von der sozialen Relevanz und infolgedessen vom genuin sozialen Kontext. Das 73 Jakobs, Vorwort zu Imputación objetiva, S. 12. Weitere Beispiele bei dems., AT, 25/47 f. 74 Vgl. Jakobs, AT, 2/22 f; Welzel, ZStW 58 (1939), S. 491 ff., S. 515. Bei dieser Lage wäre es schon falsch, von Rechtsgüterschutz zu sprechen. Nicht einmal von Rechtsgüteroptimierung unter Rückgriff auf eine Abwägung von Rechtsgütern oder Interessen kann die Rede sein. Solch kluges Kalkül, solche Kosten-Nutzen-Saldierung wäre in diesem Fall nicht zu leisten, denn was für einen sozialen Nutzen bringt das Fahren auf der Autobahn mit Tempo 250? In diesen Fällen bietet allein das Erlaubtsein bestimmter Gefahren per historische Legitimation oder die Vorherrschaft vom Interesse an individueller Selbstverwirklichung eine Erklärungsmöglichkeit, wobei historische Legitimation hier einfach die in einer Gesellschaft überkommenen Sitten, scil. die tatsächliche Gestalt der Kommunikation in der Gesellschaft, meint. Hierzu eingehend Lesch, Verbrechensbegriff, S. 228 ff., S. 230; davor schon Jakobs, AT, 7/37 mit Fn. 63; ders., Imputación objetiva, S. 104, S. 119 ff. 75 Feuerbach, Lehrbuch, § 42, S. 71.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

in diesem sozialen Kontext ankernde Strafrecht wird nur unvollständig begriffen, denn die Bedeutung des Unrechts, die Analyse des normativen Kontexts, die Kriterien der Zuständigkeitsverteilung nach außerstrafrechtlichen Kriterien werden (fehl-)gedeutet. Begriffe wie Erfolg und Gefahr bzw. Risiko werden als empirische Größe vereinfacht, teilweise unter Rückgriff auf Argumente der Naturwissenschaften, etwa der Physik oder Statistik76, als wäre die empirische Dimension des Strafrechts die ausschlaggebende, ja die einzige. So warnt etwa Zaczyk, daß der kausal-objektive Gefahrbegriff Risiko läuft, „verselbständigt zu werden und nicht mehr mit Blick auf das Recht und den ,rechtlichen‘ Erfolg gesehen zu werden, sondern isoliert als für sich bestehende Größe“77. Ein sich daraus ableitendes weiteres Problem, das auch im naturalistischen Verständnis des Zurechnungskriteriums liegt, besteht im Unvermögen dieser Theorien, den strafrechtlichen Gefahrbegriff qualitativ so festzulegen, daß er eine Erklärung zur positiv-rechtlichen Unterscheidung zwischen Vorbereitung und Versuch bietet. Dieses Manko liegt in der Natur des Kriteriums: Durch die Gefahr als quantitativen Begriff läßt sich nur eine kontinuierliche quantitative Steigerung der Gefährdung von der ersten Vorbereitungshandlung bis zur Vollendung, also „Gefahrengrade“, ausmachen, nicht aber „Gefahrenqualitäten“78. Erst wenn der Täter seine Handlung aus der Hand gibt, also nach der Versuchsbeendigung, wäre die Gefahr an objektiven Momenten feststellbar, was aber zu spät wäre79. Wegen der Unmöglichkeit, nicht nur ein sozialadäquates, sondern auch ein klares Kriterium zu liefern, scheitern diese Theorien an ihrem Ziel einer rechtsstaatlichen, strengen Abgrenzung von Versuch und Vorbereitung80. Hinzu kommt, daß diese Theorien in der Praxis auf die subjektiv-naturalistische Versuchstheorie hinauslaufen. Seit dem Gefahrbegriff von v. Liszt wird wegen der ex-ante Prognose das Wissen des Täters herangezogen. Sind dieses individuelle Wissen des Täters und sein Plan zu berücksichtigen, um in concreto von Gefahr sprechen zu können, ist also der extern-objektive Gefahrbegriff täterbezogen unter Beanspruchung der individuellen Ausstattung des Täters (Wissen und Willen) zu bilden, um die nachträgliche Gefahrprognose durchführen zu können, dann geht die objektive Gefährdungstheorie indirekt in 76 Zur strafrechtlichen Rechtfertigung des Gefahrenbegriffs greift etwa Spendel, FS Stock, S. 102, auf die Theorie Max Planks zurück; oder Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 438, reduziert das Kriterium zum Versuchsbeginn zu einem statistischen Kriterium. 77 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 47. 78 Vgl. Jakobs, AT, 25/15; SK-Rudolphi, § 22, Rn. 10; Rudolphi, JuS 1973, S. 20 ff., S. 23; von Hippel differenziert selbst zwischen Strafgrund und Abgrenzung in: dems., Deutsches Strafrecht, S. 400; Bockelmann, JZ 1955, S. 193 ff., S. 195; Roxin, FS Haruo Nishihara, S. 164; LK10-Vogel, § 22, Rn. 55; Berz, Jura 1984, S. 513. 79 Jakobs, AT, 25/15. 80 Was sich auch in der Unmöglichkeit der Erklärung des untauglichen Versuchs widerspiegelt. Dazu Lesch, Verbrechensbegriff, S. 201 ff.

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eine (heute vorherrschende) subjektiv-objektive Versuchslehre über, und „die Gefährdung [ist] keine objektive mehr“81. Der strafrechtliche Vorwurf liegt demnach nicht in der Feststellung von extern-kausalen schädlichen bzw. gefährlichen Zuständen, sondern – im Ansatz richtig, methodisch aber verfehlt – in einer mangelhaften Selbstorganisation des Täters bei der Ausübung seiner strafrechtlichen Zuständigkeiten82. Aufgrund des Zwecks des Strafrechts, scil. der Feuerbachschen „Sicherung wechselseitiger Freiheit“83 aller Individuen, wird der strafrechtliche Erfolg über die Relevanz des Kausalstrangs für die konkrete Betroffenheit des Opfers definiert. Indem die Verletzung von Rechten für relevant erachtet wird, welche in ihrer privat-individuellen Dimension genommen werden, nimmt das Strafrecht eine „Privatisierung des Verbrechensbegriffs“84 vor. Es wird also auf ein verkürztes Verständnis der Gesellschaft und des Status des Opfers abgestellt. Bei einer solchen Sichtweise wird das Opfer nämlich zu einem „festen Block, auf den Kausalstränge zuliefen oder nicht“85. Sein Status als ein auch verantwortlicher Interaktionspartner im Kontext wird vergessen. Ebenso wie beim Opfer, findet beim Täter und beim Dritten eine Reduktion ihres Status als Verantwortlicher statt, denn ihre Zuständigkeit wird mit dem Raster der kausalen Gebundenheit und nicht der sozialen Zuständigkeitsverteilung gemessen. II. Die subjektive Gebundenheit von Individuen – die subjektiv-materielle Gefährdung eines Rechtsguts 1. Die Durchsetzung der subjektiv-kausalistischen Theorie in der Rechtsprechung – der Ansatz v. Buris und des Reichsgerichts Die subjektiv-kausalistischen Versuchstheorien begründen das Versuchsunrecht mit der Betätigung des bösen Willens. Obwohl die objektiven Theorien die gängigen und dogmatisch am weitesten entwickelten Lehren waren, hat die Rechtsprechung des Reichsgerichts sehr früh eine subjektiv-kausalistische Auffassung vertreten. Schon im Abtreibungsfall wird zur Begründung der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs vertreten, es könne „kein Zweifel aufkommen, daß im Versuch der verbrecherische Wille diejenige Erscheinung ist, gegen welche das Strafgesetz sich richtet“86. Zudem sei nicht mehr zu verlangen, „als daß Vgl. Bockelmann, JZ 1954, S. 471; Stratenwerth, AT, Rn. 673; dens., AT4, § 11, Rn. 20; Waiblinger, SZS 1957, S. 123; Roxin, FS Haruo Nishihara, S. 163. 82 Grundsätzlich dazu Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 278. 83 Feuerbach, Anti-Hobbes, S. 25. 84 Vehling, Abgrenzung, S. 171. 85 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 48. 86 RGSt. 1, S. 439 ff., S. 441. 81

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

der verbrecherische Wille sich in äußeren Handlungen kundgegeben habe“87. Dieser Gesichtspunkt wurde im Laufe der Zeit zur ständigen Rechtsprechung88, vom Bundesgerichtshof fortgesetzt89, und findet bis heute Vertreter im Schrifttum90. Der Erfolg der subjektiven Theorie in der Rechtsprechung erklärt sich einerseits in der nicht ausreichenden Erklärungsmöglichkeit der Versuchsstrafbarkeit und des untauglichen Versuchs durch die objektiven Theorien und andererseits dadurch, daß die subjektive Seite des Unrechts vor allem durch die Entwicklung der Unrechtslehre Welzels dogmatisch Untermauerung gefunden hat. Eine dogmatische Begründung für seine Stellungnahme fand das Reichsgericht zunächst in der von v. Buri zur Kausalität entwickelten Äquivalenztheorie, nach der alle Bedingungen eines Erfolges qualitativ und quantitativ gleichwertig sein sollen. Scheidet in diesem Sinne nur eine Bedingung aus, dann fällt auch der nicht genügend bedingte Erfolg weg91. Ist der Erfolg nicht hinreichend bedingt gewesen, so soll das Gut auch nicht gefährdet gewesen sein. Das führt zur Verneinung des konkreten Gefahrbegriffs: „Hat die Handlung im konkreten Falle das Rechtsgut nicht verletzt, so beweist dies unwiderleglich, daß sie es im konkreten Falle nicht verletzen konnte, und war sie dazu außerstande, so war durch die Handlung das Rechtsgut nicht gefährdet“92. Ebenso wie gefährlicher und ungefährlicher Versuch nicht unterscheidbar seien, sei eine Differenzierung auch zwischen tauglichem und untauglichem Versuch nicht möglich93. Alle Versuche seien vielmehr ungefährlich und untauglich. Wird das äußere Geschehen ausschließlich nach dieser Kausalitätslehre betrachtet, verschwinden alle „Bedeutungsunterschiede sozialen Handelns“94 und 87

RGSt. 1, S. 439 ff., S. 442. Siehe RGSt. 8, S. 198 ff., S. 202 f.; 11, S. 72 ff., S. 79; 39, S. 316 f.; 47, S. 65 ff., S. 66; 55, S. 138 ff., S. 142; 56, S. 316 ff., S. 317 f. 89 Siehe BGHSt. 1, S. 13 ff., S. 15 f.; 11, S. 324 ff., S. 327; 11, S. 268 ff., S. 270; 34, S. 265 ff., S. 269; 40, S. 257 ff., S. 271; 77, S. 1 ff., S. 2. 90 Vgl. u. a. Welzel, Strafrecht, S. 189, S. 192 f.; Baumann/Weber, AT, § 32, I. 2. c); Baumann/Weber/Mitsch, AT § 26, Rn.17; Tröndle/Fischer49, § 22, Rn. 24 bzgl. des untauglichen Versuchs; Struensee, ZStW 102 (1990), S. 21 ff.; Lackner/Kühl24, § 22, Rn. 11. 91 Siehe RGSt. 1, S. 439 ff., S. 442 f.; von Buri, Ueber Causalität und deren Verantwortung, S. 1. Zur engen Verbindung zwischen der subjektiven Lehre des Reichsgerichts und der Kausalitätslehre von Buris siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 78 f. 92 RGSt. 8, S. 198 ff., S. 202. Zur Kritik von Hippel, Lehrbuch, S. 422: „Nach v. Buri und dem Reichsgericht sind unsere gesamten in die Heimat zurückgekehrten Kriegsteilnehmer in keinerlei Gefahr gewesen. Sie meinten dies (. . .). Aber das war ein Irrtum (. . .). In Gefahr waren nur die Gefallenen!“; vgl. auch Spendel, NJW 1965, S. 1885; dens., FS Stock, S. 101 f.; Roxin, FS Haruo Nishihara, S. 166. Ohnehin greifen sowohl Reichsgericht als auch Bundesgerichtshof in anderen Urteilen auf das Gefährdungsmoment zurück. Siehe dazu Niepoth, Der untaugliche Versuch, S. 55, Fn. 159 m. w. H. 93 Vgl. RGSt. 1, S. 439 ff., S. 442 f. 88

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es bleibt nur die subjektive, inner-seelische Seite als naturalistisch definierter Vorsatz als Anknüpfungspunkt, der sich in der Tat offenbart, und an die daraus entstehende, immateriell-abstrakte Gefährdung der Friedensordnung. Besonders problematisch und begründungsbedürftig scheint folgende dogmatische Gegenüberstellung von Versuch und Vollendung durch das Reichsgericht, „daß im Versuch der verbrecherische Wille diejenige Erscheinung ist, gegen welche das Strafgesetz sich richtet, im Gegensatz zu dem in der Vollendung zu Tage tretenden, aus dem verbrecherischen Willen hervorgegangenen rechtswidrigen Erfolge“95. Denn warum können das Versuchsunrecht und das Vollendungsunrecht so unverbunden nebeneinander gestellt werden?96 Warum wird vom streng objektiv gefaßten Begriff des Vollendungsunrechts nicht darauf geschlossen, daß der Versuch kein Unrecht ist? Und weiter: Woher erhält der Wille seine rechtliche Relevanz?97 Denn nach der Adäquanztheorie, wie v. Buri sie formuliert, kann der Wille nur „als ein Bestandtheil des Causalzusammenhangs angesehen werden“98, ist also eine gleichwertige Bedingung als Teil des Kausalverlaufs. Unbegründeterweise soll der Wille jedoch – mit den Worten von Zaczyk – „eine die übrigen Kausalfaktoren deutlich übersteigende Bedeutung besitzen, indem er sich über den wirklichen (,untauglichen‘) Kausalverlauf erhebt und dadurch erst Anknüpfungspunkt für die Versuchsstrafbarkeit sein kann“99. 2. Die subjektive Versuchstheorie des Finalismus und ihre Entwicklung a) Der Ansatz von Welzel Die subjektivistische Tendenz zur Erklärung des Versuchsunrechts fand ihre wichtigste dogmatische Durchsetzung100 in der personalen Unrechtslehre des Finalismus. Welzel zufolge vermochten die objektiv-naturalistischen Lehren al94

Jakobs, AT, 25/17. RGSt. 1, S. 439 ff., S. 441. 96 Jakobs, AT, 25/17; Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 79; Roxin, FS Haruo Nishihara, S. 166. 97 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 79; Roxin, FS Haruo Nishihara, S. 165. 98 von Buri, Ueber Causalität und deren Verantwortung, S. 1. 99 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 79. Siehe schon Welzel, ZStW 58 (1939), S. 498. 100 Mangels dogmatischer Untermauerung griffen die subjektiven Theorien auf den Umkehrschluß aus § 59 StGB a. F. zurück. Er lautet: Wie der tatsächliche Irrtum nach § 59 StGB die Schuld ausschließt, so findet er auch umgekehrt zuungunsten des Täters Beachtung, wenn er zur Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorhandenen Tatbestandserfordernisses führt. Das Argument hat sich als logisch unhaltbar und axiologisch zumindest verkürzt entpuppt. Siehe dazu nur Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 81 m. w. H. 95

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

lein das Unrecht des Versuchs nicht zu erklären, da Strafunrecht ein täterbezogenes Unrecht sei. Konkreter: „Rechtsnormen, d.s. die Verbote oder Gebote des Rechts, können sich nicht an blinde Kausalprozesse, sondern nur an Handlungen wenden, die die Zukunft zu gestalten vermögen. Normen können nur ein zwecktätiges Verhalten gebieten oder verbieten“101. Nur in diesem Sinne konzipierte Handlungen könnten also bei diesem normtheoretischen Ansatz gegen die Norm verstoßen. Der Handlungsbegriff als auf die Finalität des Willens bezogener Handlungsbegriff wird so zum Baustein des Unrechtsbegriffs102. Menschliches Handeln sei in diesem Sinne die „Ausübung der Zwecktätigkeit“103, d.h. „ein bewußt vom Ziel her gelenktes Wirken“104. Diesem Begriff von Finalität liegt der Willensbegriff Welzels zugrunde. Der Wille ist hier nicht mehr der inhaltsleere Kausalfaktor v. Buris und des Kausalismus, sondern er ist der „Steuerungsfaktor, der das äußere Kausalgeschehen überdeterminiert und es dadurch zur zielgelenkten Handlung macht“105. Er sei nicht der „blind“ verlaufauslösende Willkürakt, sondern der „sehend“, durch Lenkung des Verlaufs die Wirklichkeit bewußt gestaltende Wille. Bei der Erfassung des Unrechts könne demzufoge die subjektive sinngebende Seite von der objektiven Seite nicht getrennt werden. Die subjektiven Unrechtselemente, z. B. der Tatentschluß beim Versuch, seien keine „bloße(n) Ausnahme(n) von der Regel“, daß Unrecht sich auf „äußeres (objektives, körperliches) Verhalten“ beziehe. Ebenso wie bei der Vollendung sei beim Versuch der Vorsatz ein Unrechtselement106. Diesem Schema entstammt die folgende Definition: „Vorsatz ist Verwirklichungswille, und zwar nicht nur i. S. des der Verwirklichung mächtigen Willens“107. Der ohnmächtige Wille ist kein strafrechtlich relevanter Vorsatz. Diese Macht spiegelt sich bei der Beurteilung der Tauglichkeit des Versuchs wie auch in der Relevanz des Erfolgs wider: „Wo daher die Versuchshandlung jeden Boden der Realität verläßt, wie z. B. beim abergläubischen Versuch, da fehlt dem Willen grundsätzlich jede Strafwürdigkeit“108; „Zum Mord gehört nun mal eine Leiche; ein Mordversuch ist eben nur versuchter Mord“109. Dank dieser Sinnsetzung des Willens werde die Handlung vom blinden Verlauf zum Sinnausdruck110, was heißt, Sinnhaftigkeit als Fähigkeit des Menschen 101

Welzel, Strafrecht, S. 37. Welzel, ZStW 58 (1939), S. 497. Siehe auch Armin Kaufmann, FS Welzel, S. 393 f. 103 Welzel, ZStW 58 (1939), S. 502; ders., Strafrecht, S. 33. 104 Welzel, ZStW 58 (1939), S. 497. 105 Welzel, Strafrecht, S. 34. 106 Vgl. Welzel, Strafrecht, S. 60 f; dens., ZStW 58 (1939), S. 491 ff., S. 522 zu den Auswirkungen des Handlungsbegriffs auf den Unrechtsbegriff. 107 Welzel, Strafrecht, S. 187. 108 Welzel, Strafrecht, S. 193. 109 Welzel, Strafrecht, S. 189. 102

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zur Regulierung des Kausalverlaufs aufgrund individuellen Voraussichtsvermögens. Der Handlungsbegriff, der individuelle, mächtige Wille des Täters bzw. der individuell-naturalistische Sinnausdruck des Täters wird zur ontologischen, dem Strafrecht vorgegebenen Basis des Unrechts bzw. des strafrechtlichen Vorwurfs. Das Strafrecht, das durch sein System von Geboten und Verboten (Tatbestände) die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens schützen soll111, bewerte auf dem Unrechtsniveau von seinem Gesichtspunkt aus die Handlung und knüpfe Rechtsfolgen an sie an112. Dem Staat gehe es aber nicht darum, böse Erfolge zu vermeiden, also nicht um „aktuellen Rechtsgüterschutz“, sondern in erster Linie um den sozialen Wert der Handlung („Sozialnützlichkeit oder Sozialschädlichkeit“), um „Achtung vor den Rechtsgütern“, um „die reale Geltung (Befolgung) der Aktwerte rechtlicher Gesinnung“113. Beim Versuch bewährt sich dieses Schema: Es geht hierbei um den Aktunwert, obwohl kein Erfolg eintritt. Aufgrund dessen richtet die objektiv-kausalistische Theorie gegen den Finalismus den Vorwurf, daß dieser zu einem Gesinnungsstrafrecht führe und damit dem Tatprinzip nicht gerecht werde, wenn dem entgegen „die Strafen nicht schon auf Vorstellungen, Willensentschlüsse, oder auch eine bestimmte Gesinnung des Täters, sondern immer noch auf Taten zu gründen sind“114 (Tatprinzip). Dagegen haben die Anhänger der subjektiven Theorie wiederholt betont, daß ihre Auffassung keinen Verzicht auf die Tat impliziere, da sich nur derjenige Wille strafbar machen könne, „der Handlungen vornimmt“, und zwar Handlungen, die der Wille „für eine taugliche Ausführungshandlung eines Verbrechens hält“115. Der zentrale Vorwurf gegen den Finalismus ist, daß er „den quasi individualanthropologischen Teil des Problems, nicht aber den gesellschaftlichen“ enthält116. Das Strafrecht knüpft an eine ontologische, vorstrafrechtliche Ordnung an117, in der die Sinnhaftigkeit des handelnden Willens ein anthropologisches 110 Vgl. Welzel, ZStW 58 (1939), S. 491 ff., S. 503; dens., ZStW 51 (1931), S. 703 ff., S. 712 f., S. 720. Hierzu Jakobs, Handlungsbegriff, S. 23 f.; Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 94 ff., S. 96. 111 Welzel, Strafrecht, S. 1. 112 Welzel, Strafrecht, S. 50. 113 Hierzu Welzel, Strafrecht, S. 3, S. 193; dens., ZStW 58 (1939), S. 502. 114 So insbesondere Spendel, NJW 1965, S. 1881 ff., S. 1882. Vgl. auch Weigend, Entwicklung, S. 122. 115 So Welzel, Strafrecht, S. 193; Jakobs, AT, 25/17, der nuanciert, daß „auch wenn der Vorsatz (der sowieso etwas anderes ist als die Gesinnung) dasjenige Element ist, bis zu dem bei der Tatzurechnung die Tat zurückgeführt wird, heißt das nicht, auf die Tat könne überhaupt verzichtet werden“; Roxin, FS Haruo Nishihara, S. 160; Schmidhäuser, AT, 6/7; ders., Vorsatzbegriff, S. 35; Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 218; LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 67, 69; auch Baumann/Weber, § 32 II. 1., m. w. H. 116 Jakobs, Handlungsbegriff, S. 27 mit Fn. 27.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

Substrat der strafrechtlichen Zurechnung bildet118. Soweit der Kausalverlauf sinn-intentionales, finales Geschehen ist, gehört er zum Subjekt als eigene Tat, als „objektiv zurechenbar“119 – objektive Zurechnung hier im Sinne als einer dieser (vor-strafrechtlichen) Ordnung entsprechenden Zurechnung. Ein solches Verständnis des Täters entspricht aber der Täterkonstruktion einer naturalistischen Beobachtung des Strafrechts. Es geht erstens um eine abstrakt-naturalistische120 Beobachtung des Täters, ohne Berücksichtigung des den Täter als Strafrechtsperson positiv konstituierenden, identitätsbestimmenden Charakters der Gesellschaftlichkeit und so auch des Strafrechts. Demnach wird der Täter zweitens als (abstrakt-naturalistisch) frei definiert: Es geht um eine vorgegebene bzw. ursprüngliche anthropologische Ausstattung als bindungslose Willkür, soweit sie die Fähigkeit besitzt, willentlich, bewußt und machtvoll die kausale Welt in ihren Dienst zu stellen121. Der Mensch ist aufgrund dieser natürlichen Ordnung Person. An diese Person knüpft die Ordnung der Gesellschaft und des Strafrechts an. Das Gesellschaftliche ist somit von außerhalb an die personale Handlung heranzuziehen. Über seine Handlung wird der Einzelne erst dadurch zum Mitträger der sozialen Ordnung, daß der Sinn seiner Handlung als den Werten der Gesellschaft entsprechender Sinn bewertet werden kann. Subjekt der Zurechnung ist nicht eine (Straf-)Rechtsperson, sondern ein Individuum122. Bereits der Finalismus betrachtet die Täterbezogenheit des strafrechtlichen Urteils als zur Bestimmung des (Versuchs-)Unrechts notwendig. Er erkennt ebenfalls die eigentliche Dimension des Strafrechts in einer von den Rechtsgütern unterschiedlichen Sinnebene. Nur ordnet er das Problem in eine letztendlich individualistische und damit außerstrafrechtliche Dimension ein, ohne ihre Entsprechung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu kontrastieren. Wird das Versuchsunrecht nicht in einer äußerlich-kausalen Störung, sondern in einer immateriellen Verletzung der „Geltung (Befolgung) der Aktwerte rechtlicher Gesinnung“123 gesehen, dann läuft das Strafrecht beim Versuchsunrecht Gefahr, nur subjektivistisch nach dem individuell Gemeinten als Aktunwert bestimmt zu werden124, wie insbesondere bei Armin Kaufmann und Zielinski. 117

Welzel, Naturalismus, S. 74. Welzel, Naturalismus, S. 79; ders., ZStW 51 (1931), S. 719. 119 Welzel, ZStW 51 (1931), S. 703. 120 Vgl. nur Pawlik, Betrug, S. 18 f. 121 Vgl. Pawlik, Betrug, S. 21. 122 Vgl. Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 271 ff., S. 274 ff., S. 287, S. 288; dens., ZStW 107 (1995), S. 859 f.; Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 96 m. w. H., S. 103. Eingehend zur Gegenüberstellug von Person und Individuum siehe Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 9 ff. und passim. 123 Hierzu Welzel, Strafrecht, S. 3, S. 193; ders., ZStW 58 (1939), S. 502. Daß das frühe Strafrechtsverständnis von Welzel trotzdem, insbesondere über den Begriff der Sozialadäquanz, einen brauchbaren Gesichtspunkt zu einem funktional-normativen Verständnis des Versuchsunrechts liefern könnte, wird unten weiterverfolgt. 118

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b) Der Ansatz von Armin Kaufmann Eine naturalistisch-subjektivistisch radikale Fortentwicklung des Finalismus mündet in die folgende Position Armin Kaufmanns: „In konsequenter Durchführung des personalen Unrechtskonzepts (und auch der subjektiven Versuchstheorie) bestimmt allein der Sinn, den der Täter im Tatvorsatz seiner Tat gibt, das Wertungssubstrat des Normwidrigkeitsurteils. Selbst der abergläubische Versuch ist also Unrecht“125. In dieselbe Richtung argumentiert Zielinski, daß der Täter „einen rechtswidrigen untauglichen Versuch begeht, wenn er glaubt, durch Anrufung des Teufels beherrschenden Einfluß auf den Blitzschlag zu haben“126, um so einen anderen töten zu können. Erfülle der Täter seinen Plan, dann sei das Handlungsunrecht in diesen Fällen qualitativ und quantitativ vollständig und „der Eintritt des Erfolges (Erfolgsunwert) vermag dem nichts hinzuzufügen“127. Vielmehr: „Die Realisierung des Erfolgsunwerturteils ist dem Unrecht gegenüber immer nur zufällig mitgegeben“128. Diese Schlußfolgerungen sind schon im Hinblick auf die dogmatische Stellung des Erfolgs in sich widersprüchlich, denn der Finalismus geht von der machtvollen Fähigkeit des Willens aus, blinde Kausalverläufe sehend in seinen Dienst zu stellen. Da die Handlung vorrechtlich konstruiert ist, wäre der Erfolgseintritt nicht nur in Bezug auf die strafrechtliche Vollendung, sondern für das Handeln überhaupt zufällig: Wer aber beispielsweise ein Glas Wasser trinkt, erlebt es nicht als „existentielles Glücksspiel“, also nicht als zufällig, sondern geht „von der vorausgesetzten Einheit von Handlung und Erfolg immerfort aus“129. Dem hier beschriebenen Konzept fehlt die Einbeziehung des Sozialen in das Strafrecht. Bestimmte nur der individuelle Sinn des Täters die Bedeutung eines Verhaltens im Strafrecht, dann spielte der Sinn des Opfers, der anderen Bürger, der Gesellschaft, keine Rolle, dann fände Unrecht immer zwischen der imperativistisch gedachten Norm und dem Individuum statt130. Unrecht hätte nur zu124

Vgl. neulich warnend auch Roxin, FS Haruo Nishihara, S. 165 f. mit Fn. 20. Armin Kaufmann, FS Welzel, S. 403. 126 Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 161, Fn. 33. 127 Armin Kaufmann, FS Welzel, S. 403; auch Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 128 ff.; SK-Horn, § 46, Rn. 47, der meint, in der Vornahme einer finalen Handlung erschöpfe sich das Unrecht „auch seinem Quantum nach. Der nach Beendigung der Handlung eingetretene tatbestandsmäßige Erfolg vermag das Unrecht weder zu begründen noch zu erhöhen“. 128 Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 142. 129 Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 102. Siehe auch Stratenwerth, FS Schaffstein, S. 183. 130 Vgl. hierzu Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 859 mit Fn. 41; dens., Norm, Person, Gesellschaft, S. 53 ff., S. 83; dens., AT, 6/73; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 213 ff.; 86 ff. 125

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

fällig eine soziale Dimension in Kleingruppen oder in religiösen Gemeinschaften, bei denen vielleicht sozialer und individueller Sinn zusammenfallen131, aber nicht in unserer Gesellschaft. Wie Jakobs richtig dargestellt hat, geht Armin Kaufmann von einem zutreffenden Gesichtspunkt des Finalismus aus, nämlich davon, daß die bloße Kausalität kein maßgebliches Kriterium des Unrechts sein kann, denn – so Jakobs – „ob der Schütze oder der Getroffene für die Enttäuschung zuständig ist, wenn der Schütze dorthin schießt, wo der Getroffene steht, läßt sich allein durch Kausalbetrachtung nicht ausmachen. Das zu Bestrafende muß also über die Kausalität hinaus spezifiziert werden“132. Zutreffenderweise kommt es deswegen auf die Bedeutung an, auf den Sinn des Verhaltens in Bezug auf die Norm: Soll der Bürger sein Verhalten normgemäß organisieren, stört der Erfolg nicht per se, sondern als „Objektivierung einer fehlerhaften Planung, die sich freilich auch ohne Gutsverletzung objektivieren kann“133. Armin Kaufmann übernimmt aber bei der Definition der fehlerhaften Planung die Definition des Täters, ohne zu berücksichtigen – so zutreffend Jakobs134 – ob diese Individualisierung gesellschaftlich kompatibel ist. Daß nämlich das rein Individuelle – etwa Träume, Intuition, Irrationales, Aberglaube – in der sozialen Interaktion die Kommunikation, daß heißt, die differenzierten und anonymen Verschachtelungen von Verhalten im sozialen Leben unserer Gesellschaft, nicht leiten kann, läßt sich leicht zeigen. Ein Mitbürger mißt der Aussage des Abergläubischen kein Gewicht zu: „Ich schieße auf dich, aber meine überirdischen Kräfte werden das Geschoß harmlos machen“ (im Glauben, dadurch ein wirkliches Risiko bis zum Erlaubten zu vermindern). Der Vater kann nicht vorbringen: „Ich habe mein nun ertrunkenes Kind nicht aus dem Wasser gezogen, weil ich die abergläubischen Rettungsmaßnahmen für effektiver hielt. Ich habe meine Pflicht erfüllt, wenn auch erfolglos“. Daß die abergläubischen Mittel in diesen Fällen keine Wirkung zeigen, kann für den Abergläubischen Zufall bedeuten, nicht aber für die anderen Bürger. Eine solche Erklärung kann den Konflikt gesellschaftlich nicht beseitigen und den Abergläubischen nicht entlasten. Umgekehrt: Niemand kann vor der heutigen Gesellschaft behaupten, er sei dabei, jemanden zu töten, weil er einen Todestanz um seinen Feind herum tanzt; diese Erklärung kann nicht belasten, auch wenn der Feind unerklärlicherweise dabei umfällt. Anders verhält es sich vielleicht in einer Gesellschaft, in der das Gemeinte, das Überirdische, die Offenbarung, das 131

So Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 274; ders., ZStW 107 (1995), S. 860. Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 278. Vgl. auch dens., ZStW 107 (1995), S. 84, 85; dens., Handlungsbegriff, S. 14 ff., S. 20 f.; dens., Über die Aufgabe der subjektiven Seite im Strafrecht in: H. Witter (Hrsg.), Der psychiatrische Sachverständige im Strafrecht, 1987, S. 271 ff., S. 272 f. 133 Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 278. 134 Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 278. 132

§ 2 Zur naturalistischen Entwicklung des Begriffs

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Magische als relevantes Medium für den Umgang mit anderen gilt. In einer solchen Gesellschaft oder Gruppe hätte der Vater – soweit er und seine Gruppe an die grundsätzliche Effektivität bzw. Maßgeblichkeit der (nicht mehr abergläubisch zu nennenden) Rettungsmaßnahmen glauben – die Rettung seines Kindes unternommen und das bedeutete, daß er seiner Pflicht nachgekommen wäre135. Entsprechendes gilt für die anderen Beispielsfälle. Da in den Augen einer abergläubischen Gruppe die Welt von wunderbaren Energien regiert wird, hat sich der Abergläubische mit diesen Energien in die Pflicht begeben und deswegen pflichtgemäß gehandelt. Das könnte auch in einer Gesellschaft gelten, in der jeder das Normsystem der anderen kennt136. In unserer Gesellschaft, in der anonyme Kontakte vorherrschen, wäre es unmöglich, die maßgeblichen Systeme der anderen Bürger zu kennen und sich ihnen zufolge zurechtzufinden. Alle Erwartungen wären dann kognitiv. Durch solche strafrechtlichen Normen – schließt Jakobs – „können Gesinnungen stabilisiert werden, nicht aber differenzierte Interaktionen“137. Dabei würde das wohlgesinnt Irrationale entgegen dem Übelwollenden als pflichtgemäß definiert, d.h., das Gesetz stärkte immerhin irrationale Maßstäbe für die gesellschaftliche Interaktion138. Dies würde auf diese Weise den Schutz der Normgeltung nicht verschärfen, denn „damit sperrt sich der Täter gegen die Regeln, derer die Gesellschaft bedarf und versucht, Regeln zu oktroyieren, mit denen sich in der Gesellschaft nicht kommunizieren läßt“139. Geht es beim Versuchsunrecht um eine mangelhafte Selbstorganisation des Täters, dann ist dieser Begriff und damit der Versuchsbegriff ein nach der Identität der jeweiligen Gesellschaft strafrechtlich konstruierter Begriff, d.h., das Strafrecht konstruiert den Täter und seine Zurechnungskriterien „nicht willkürlich, sondern systematisch“140. Hat der Finalismus zu Recht die Sinnhaftigkeit des Verhaltens und dabei die Täterbezogenheit der Zurechnung hervorgehoben, dann sind diese Begriffe auf ihre kommunikative, (inner-)strafrechtliche Bedeutung zurückzuführen – ein Weg, den Jakobs richtig eingeschlagen hat. c) Der Ansatz von Struensee Obwohl der Finalismus die Hauptmängel seiner Auffassung nicht zu ändern vermag, ohne sein System verlassen zu müssen, ist Struensee ein im Ergebnis bedeutender Ansatz gelungen, den Finalismus zumindest zu plausiblen Lösun135 Vgl. in diesem Sinne Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 279; Timpe, Strafmilderungen, S. 124 f., Fn. 110. 136 Vgl. Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 860. 137 Jakobs, AT, 25/23 b) aa). 138 Jakobs, AT, 25/23 b) aa). 139 Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 281. 140 Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 279.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

gen zu führen und aufzuzeigen, daß eine konsequente Durchführung des Finalismus nicht zu einer exzessiven Strafbarkeitausdehnung führt. Nach Struensee bezieht sich das individuelle Täterwissen im Vorsatz auf die real-naturalistischen Tatumstände, die unter die begrifflichen Tatbestandsmerkmale zu subsumieren sind. Der inhaltliche Zusammenhang von subjektivem und objektivem Tatbestand wird so gekennzeichnet, daß „die als objektiv vorgestellten Umstände dieselben tatbestandlichen Begriffe erfüllen wie die objektiv vorhandenen Umstände“141. Die Kausalität sei auch ein objektives Tatbestandsmerkmal, welches als naturgesetzlicher Zusammenhang zu verstehen und so auch Gegenstand des Vorsatzes sei. Die gültigen Kausalgesetze „ziehen die äußersten Grenzen derjenigen tatsächlichen Umstände, die Gegenstand eines Verursachungsvorsatzes sein können“142. Die irrtümliche Ausweitung des kausalgesetzlichen Geltungsbereichs („Wahnkausalität“) führt nach diesem Autor zum straflosen „wahntauglichen“ bzw. „nomologisch untauglichen“ Versuch. Auszuscheiden sind demzufolge nicht nur der abergläubische, sondern auch der grob unverständige Versuch, wobei als grob unverständig ein weites Feld von Versuchen definiert wird: Wer einem Kleinkind Dosenchampignons zum Essen gibt in der Meinung, es damit vergiften zu können, befindet sich in einem nomologischen Irrtum143; „ebenso handelt derjenige nicht tatbestandsmäßig, der sein Opfer mit einer bestimmten Menge Arsen umbringen will, nicht wissend, daß erst die doppelte Dosis tödlich wäre“144. Abgesehen von der Frage, ob das Kriterium der Unterscheidung zwischen nomologisch relevanten und ontologisch irrelevanten Vorsatzarten „rechtlich ganz gleichgültig“145 bzw. strafrechtlich „willkürlich“146 ist und ob dieses Kriterium „nomologischer (Un-)Tauglichkeit“ klar durchführbar ist147, mag diese Konstruktion Struensees die Strafbarkeit in Fällen des nomologischen Irrtums bis zu den Fällen des § 23 III StGB und vielleicht darüber hinaus ausschließen. Sie erklärt materiell-rechtlich 148 aber nicht, wie die Vorbereitungshandlungen aus der Strafbarkeit auszuscheiden sind, da die subjektive Theorie das Moment 141

Struensee, ZStW 102 (1990), S. 24. Struensee, ZStW 102 (1990), S. 30. 143 Struensee, ZStW 102 (1990), S. 30. Richtig auch die Kritik Zieschangs, Gefährdungsdelikte, S. 136, Fn. 301, denn hier wird abstrahiert, ebenso wie auf objektiver Ebene von der älteren objektiven Theorie abstrahiert wurde. Das Kind kann nämlich beispielsweise etwa auf solche Champignons allergisch reagieren. 144 Struensee, ZStW 102 (1990), S. 30 f. 145 von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 438, Fn. 3. 146 Jakobs, AT, 25/36, Fn. 56a. 147 Die Willkürlichkeit dieser Unterscheidung zeigen deutlich Jakobs, Studien, S. 84; ders., AT, 25/36, Fn. 56a; Timpe, Strafmilderungen, S. 120 f.; Radtke, JuS 1996, S. 882; Bloy, ZStW 113 (2001), S. 104. 148 Sie stützt sich bloß auf das Gesetz, hierbei auf das „unmittelbares Ansetzen“ (siehe nur LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 71). 142

§ 2 Zur naturalistischen Entwicklung des Begriffs

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einer irgendwie gearteten Betätigung in der Außenwelt ausreichen läßt, so daß auch tatbestandsferne Handlungen umfaßt sind149.

B. Vereinigungstheorien zum Versuchsunrecht I. Überblick Die objektiv-naturalistischen Theorien zum Versuchsunrecht stoßen auf zwei dogmatische Grundprobleme: die Unmöglichkeit, alle für strafwürdig gehaltenen Versuchsfälle als strafbar begründen zu können oder die exzessive Ausdehnung der Versuchsstrafbarkeit, weil bestimmte Handlungen – dem entsprechenden Gefahrbegriff nach – für gefährlich erklärt werden, die eigentlich als Vorbereitungshandlungen angesehen werden könnten. Die subjektiv-naturalistischen Theorien zum Versuchsunrecht laufen nach ihren Kriterien Gefahr, eine uferlose Ausdehnung der Versuchsstrafbarkeit zu ermöglichen. Aus dieser Problematik heraus sind die dualistischen, subjektiv-objektiven Versuchstheorien und sonstigen Vereinigungstheorien zum Versuchsunrecht zu verstehen. Für das kriminalpolitische Anliegen, alle für strafwürdig gehaltenen Versuche – insbesondere die untauglichen Versuche – als strafbar zu begründen, sind die objektiv-naturalistischen Theorien in systematischer Hinsicht unzulänglich, wie anhand der Tätertheorie und der dualistischen Theorie Schmidhäusers gezeigt werden wird. Sie benötigen ein Zusatzstück, das Versuchsunrecht der objektiv nicht faßbaren Fälle, welches grundsätzlich den subjektiven Theorien entnommen wird. Indem sie den Versuch unter die „besondere[n] Erscheinungsformen des Verbrechens“150 einordnen, greifen sie zu einer unrechtsverleihenden Dimension des Täters, des herkömmlichen Bereichs der Schuld. Dies ermöglicht die Ausdehnung des Unrechtsbegriffs und letztendlich des angestrebten Rechtsgüterschutzes151. Im Ergebnis wird zusätzlich auf einen ausschließlich subjektiven (täterbezogenen) Interpretationsrahmen zurückgegriffen. Alle Versuche dieser Theorien, innerhalb eines objektiven Rahmens zu argumentieren, sind ein verzweifelter Versuch, das Objektive im Subjektiven zu finden, und im nachhinein das eigentlich Subjektive der Schuld zuzuschlagen. Darin liegt letztendlich das Eingeständnis, daß nur die subjektive bzw. eine subjektiv-objektive Theorie

149 In diesem Sinne auch Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 136; eingehend Niepoth, Der untaugliche Versuch, S. 57 ff. 150 Kohlrausch/Lange, StGB, Systematische Vorbemerkungen, V. 151 Vgl. exemplarisch Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 67: „Da wir aber unter Rechtsgutsgefährdung nur die objektiv-finale Substratwidrigkeit als aktuelles Hierauf-objektiv-gerichtet-sein verstehen, ist die Versuchsstrafe folglich im äußersten Falle keine Vergeltung für geschehene Rechtgutsgefährdung, sondern generalisierende Maßnahme zum Schutz der Rechtsgüter“.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

in einem naturalistischen Strafrecht dem erwünschten Rechtsgüterschutz dienen kann152. Um dem Anliegen gerecht zu werden, eine exzessive Ausdehnung der Strafbarkeit zu verhindern, versuchen objektive, subjektive, und subjektiv-objektive Theorien, Vorbereitungshandlungen dadurch aus dem Bereich der Strafbarkeit auszuschließen, daß sie weiterhin mit den schon kritisierten Klugheitsregeln (menschen-, allgemein- und strafrechtliche Prinzipien und Regeln) operieren, welche der Sittlichkeit der konkreten Gesellschaft gerecht werden und auch das Individuum vor Exzessen in der Rechtsetzung und Rechtsauslegung schützen sollen. Daneben werden zusätzlich Kriterien herangezogen: eher formelle, wie die neuere naturalistisch-positivistische Lehre vom Mangel am Tatbestand oder eher materielle, wie die heute vorherrschende Vereinigungstheorie: die Eindruckstheorie, die auf der Basis der positiven Generalprävention ein ausgleichendes und vereinheitlichendes Kriterium im rechtserschütternden Eindruck des Versuchsverhaltens sucht. II. Subjektivierung der objektiv-kausalistischen Theorien 1. Die dualistische Versuchslehre Schmidhäusers Die „teleologische Methode“153 Schmidhäusers versucht „bewußt“, die Straftatmerkmale in ihrem Gehalt und in ihrer Relation zueinander und zu dem Ganzen so zu ordnen, daß „eine möglichst gerechte und vernünftige Strafrechtsfolge“154 deduziert werden kann (Systemgedanke von Straftat und Strafe). Zur formellen Seite der Straftat (dem Tatbestand) tritt nach Berücksichtigung und Abwägung der „mannigfachsten Momente(n)“155 der Strafwürdigkeit entsprechend ein unwertiger Gehalt des Tatgeschehens (Systemgedanke vom Zusammenhang von Form und Gehalt)156. Zum Strafwürdigkeitsurteil gehört ein erstes strafwürdigkeitsbegründendes Moment des Tatgeschehens, scil. ein „mißbilligenswertes menschliches Verhalten“157: ein Angriff auf Rechtsgüter bzw. auf die durch „praktische Anerken152 So ist es auch überraschend, daß sich Waiblinger (ZStW 69 [1957], S. 189 ff., S. 219) ausgehend von einer rein subjektiven Theorie der Tätertheorie Langes anschließt und teilweise dieselben Argumente anführt. 153 Siehe Schmidhäuser, AT, 6/2 ff., ferner 15/12. 154 Schmidhäuser, StuB 1/17, 3/41 ff.; ders., AT, 2/14. 155 Solche Kriterien bzw. Momente sollen aus Wertprinzipien deduziert werden, die aus der ganzen Rechtsordnung und aus materiellen Prämissen zu entnehmen seien. Dazu Schmidhäuser, StuB 3/33 ff., 3/40; ders., AT, 5/33. 156 Vgl. Schmidhäuser, AT, 6/1 ff., ferner 2/8 ff., 8/2; Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 21 ff. 157 Schmidhäuser, AT, 2/15, 6/5 ff.

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nung“ des Gemeinwesens zu seiner Grundlage gemachten Güter. Der „allgemeinen Wertlehre“ entsprechend158 umfassen Güter wertvolle Gegenstände oder Sachverhalte und auch, „mehr ideell gesehen“, einen davon ausgehenden, eine Pflicht begründenden „Achtungsanspruch“ bzw. „Wertanruf“ gegenüber jedermann. Rechtsgut soll dieser Achtungsanspruch bzw. die Pflicht zur Achtung des entsprechenden Gutes sein, auf dessen Verletzung mit Rechtsfolgen reagiert wird159. Im Vergleich zum kausalen Handlungsbegriff als isolierte, klassifikatorisch vorangestellte, wertfreie Grundlage des Unrechts kommt dem teleologischen Handlungsbegriffs Schmidhäusers eine untergeordnete Rolle zu, er wird aus dem wertwidrigen Geschehen als dem Unrecht abgeleitet160. Der Natur der moralischen und rechtlichen Verpflichtungen entsprechend sei zur Pflicht- bzw. Rechtsgutsverletzung ein „bestimmt gestaltetes menschliches Verhalten“161 erforderlich: Basis des Unrechtsurteils ist entgegen den objektiven Theorien nicht ein auf die kausale Erfolgsherbeiführung gerichteter Blick auf die Basis des Verhaltens, „sondern das Verhalten selbst in dem entscheidenden Augenblick, in dem der Täter sich anders hätte verhalten sollen. Da aber solch ein anderes Verhalten nur denkbar ist, wenn das unerlaubte Tun vom Willen beherrscht ist bzw. das gebotene Tun vom Willen hätte erbracht werden können, gehört zu dem als Unrecht geschilderten Verhalten, daß es in diesem Sinne auf den menschlichen Willen bezogen ist“162. Im Unrechtstatbestand wird demnach ein „rechtsgutsverletzendes Verhalten, d.h. ein auf den menschlichen Willen bezogenes äußeres Geschehen“163 geschildert. Der Wille ist also Unrechtselement, aber nur als Verhalten bzw. als betätigter Wille: Bloße böse Gedanken scheiden aus164. Es geht nämlich um einen „dialektischen Handlungsbegriff“ als „dialektische Einheit von Wille und Tun“: der Wille als Innenseite, als MittelZweck-Zusammenhang, und die Außenseite als körperliche Bewegung, Ursache-Wirkung-Zusammenhang165. Vom Finalismus grenzt sich Schmidhäuser ausdrücklich ab. Vom herkömmlichen kausalistischen Handlungsbegriff soll sich sein Handlungsbegriff lediglich 158 Zur Beziehung der Lehre Schmidhäusers zu philosophischen Strömungen der Wertlehren, Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 61 ff., S. 64 f. 159 Vgl. Schmidhäuser, AT, 2/30 ff., ferner 6/5, 8/28; dens., StuB 5/25 ff. 160 Schmidhäuser, AT, 8/20, 7/3, 7/33. 161 Vgl. Schmidhäuser, AT, 2/36; dens., StuB, 5/33; Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 218. 162 Schmidhäuser, AT, 6/7. 163 Schmidhäuser, StuB 4/17. Vgl. ferner dens., AT, 6/7. 164 Schmidhäuser, AT, 6/7; ders., Vorsatzbegriff, S. 35; Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 218. 165 Vgl. Schmidhäuser, AT, 8/19 ff.; dens., StuB, 11/16; dens., Vorsatzbegriff, S. 23 ff.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

dadurch unterscheiden, „daß das Moment des Willens in der notwendigen Seite des Vorstellungsinhalts (. . .) als Phänomen festgehalten wird“166. Dabei soll eine Subjektivierung des Unrechts stattfinden, die eine Begründung von Delikten mit überschießender Innentendenz etwa der Urkundenfälschung („zur Täuschung im Rechtsverkehr“) erlaubt. Im Gegensatz zum Finalismus differenziert Schmidhäuser zwischen Willen und Vorsatz. Der Wille ist rein psychologisch zu verstehen und weist eine bestimmte Ausstattung auf: Es geht nicht um eine inhaltsleere Willkür, sondern um einen Willen, der sich aus Zielsetzung und der dem Handlungswillen zugrundeliegenden Vorstellung des Gewollten zusammensetzt. Dieser Wille liegt auch bei dolus directus 2. Grades, bei dolus eventualis und sogar bei fahrlässigen Taten vor. Er beinhaltet lediglich das psychologische Ziel zum Tatzeitpunkt. Schmidhäuser kritisiert den Finalismus, Vorsatz und Wille gleichzusetzen und sich damit in einen Widerspruch zu verstricken, denn nur im übertragenen Sinn könne bei dolus directus zweiten Grades und dolus eventualis von einem Wollen gesprochen werden. Dadurch ist der Wille „nicht mehr der psychologisch-wertfreie Begriff, sondern ein wertender, psychisches Material nur mittelbar bezeichnender Begriff“167. Der Vorsatz ist nach Schmidhäuser nicht eine „sachliche Struktur“, sondern gesamtsystematisch aus seiner Funktion im Ganzen zu definieren: Nach dem StGB (§ 16 StGB bzw. 59 a. F. StGB) bezögen sich Vorsatz und Fahrlässigkeit auf Kenntnis und Unkenntnis von Tatumständen, so daß sie als Teil des Tatbewußtseins zur Schuld gehörten168. Wegen der dialektischen Natur der Handlung kann die Rechtsgutsverletzung in zweifacher Weise den Strafgrund des Versuchs (wie auch der Vollendung)169 ausmachen, sowohl als subjektive Tendenz des Willens (Zielunwert), wie auch als objektive Tendenz des gewollten Tuns (Gefährdungsunwert). Zielunwert bedeutet die Verletzung des Rechtsgutsanspruchs dadurch, daß der Täter mit dem Willensziel handelt, den dem Rechtsgut entgegengesetzten Unwertsachverhalt herbeizuführen. Schmidhäuser stützt sich auf das Argument der „spezifische(n) Bedrohlichkeit des Willens“170: Der Wille entscheidet über die Richtung der Handlung, so daß der Erfolg wahrscheinlicher eintritt, wenn der Wille vorliegt, als bei anderen psychischen Momenten, etwa bei bloßen Gewißheits- und Möglichkeitsvorstellungen. Darüber hinaus besteht hier eine „Wiederholungsgefahr“ als Möglichkeit der Wiederholung der Handlung, bis die 166

Schmidhäuser, AT, 8/20; ders., Vorsatzbegriff, S. 26. Schmidhäuser, Vorsatzbegriff, S. 8 ff., S. 14. Dazu auch Jakobs, Handlungsbegriff, S. 24. 168 Vgl. Schmidhäuser, Vorsatzbegriff, S. 17 ff.; dens., AT, 7/36, 10/31, 8/26. 169 Schmidhäuser, AT, 8/29 ff., legt demnach viel Wert darauf, hervorzuheben, daß der Versuch entgegen dem Wortlaut des § 22 StGB („Eine Straftat versucht“) genauso wie die Vollendung Straftat ist. 170 Vgl. Schmidhäuser, AT, 8/30; dens., StuB 11/34 ff.; Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 163 ff., 169 ff. 167

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Gefahr tatsächlich eintritt. Im Fall der Untauglichkeit von Mittel und Objekt kann Schmidhäuser daher problemlos Versuch bejahen, z. B. beim „Abtreibungsversuch der Nichtschwangeren mit Himbeersaft“171. Gefährdungsunwert meint, daß äußerlich-kausal eine Rechtsgutsverletzung begründet oder erhöht wird. Unabhängig davon, ob das Gewollte einen Zielunwert begründet, liegt hierbei immer eine willentliche Handlung vor. Das Gefährlichkeitskriterium sei wie bei den älteren Versuchstheorien ein ex-post Urteil. Die Gefahr sei „objektiv allgemeiner Natur“, es komme also auf „überhaupt niemandes Erkenntnisvermögen“ zum Tatzeitpunkt an. Ein Beispiel: Auch bevor man wußte, daß die septische Behandlung des Wochenbettfiebers das Leben der Frau gefährdet, sei diese Behandlung durch Ärzte „eine Verletzung des Rechtsguts Leben“ und deswegen „unerlaubt“ gewesen172. Ein solcher Gefahrbegriff, in seiner radikalen Version ex-post und unabhängig von der Voraussehbarkeit und sozialen Wertungen, ist heute, wie beim Gefahrbegriff der älteren Theorie gezeigt wurde, nicht mehr vertretbar173. „Mit dem Strafgrund ist zunächst nur der moralische Unwert“ des Versuchs als materielle Grenze gemeint174: Er liegt in der ersten Verletzung des Achtungsanspruchs der Rechtsgüter, wobei „die Verwirklichung des Entschlusses schon im ersten Beginn unerlaubt“ ist. Würde nur der Strafgrund in den Blick genommen, so können – so Schmidhäuser ausdrücklich – Vorbereitungshandlungen unter Strafe gestellt werden175. Erst eine weitere Frage, scil. die Frage der Strafwürdigkeit der vom Strafgrund erfaßten Versuche, trennt die straflosen von den strafwürdigen Versuchen. Nicht im Mangel am Strafgrund, sondern im Mangel an Strafwürdigkeit soll die Straflosigkeit liegen. Die §§ 22–24 StGB begründen eine weitere (formelle) Grenze176, bei der unterschiedliche Strafwürdigkeitskriterien hinzukommen: so eine erforderliche Vollendungsnähe177 und die Gesamtbetrachtung des Handlungsplans, dessen respektive Besonderheiten je nach dem Einzelfall178 unterschiedlich zu bewerten sind179. 171

Schmidhäuser, AT, 15/37. Schmidhäuser, AT, 8/31, 8/33; ders., StuB, 11/27 ff. 173 Vgl. nur Jakobs, Handlungsbegriff, S. 14 ff., S. 17 ff. 174 Schmidhäuser, AT, 15/28. 175 Siehe Schmidhäuser, AT, 15/18, 15/50; dens., StuB, 11/13. 176 Schmidhäuser, AT, 15/1, 15/50; ders., StuB, 11/5 f. 177 Anders Schmidhäuser, StuB 11/23, bei dem die Vollendungsnähe keine allgemeine, sondern nur beim Gefährdungsversuch Voraussetzung der Strafwürdigkeit ist. Siehe weiterhin, dens., 11/30, 11/47. 178 Weigend, Entwicklung, S. 121 kritisiert zu Recht, daß Schmidhäuser und Alwart hierbei mehr mit dem Rechtsgefühl als mit den theoretischen Grundlagen argumentieren. 179 Hierbei bestehen Unterschiede zwischen Schmidhäuser, AT, 15/46 und Alwart in: Schmidhäuser, StuB, 11/49 ff. Bei Alwart wird die ganzheitliche Methode bei der Berücksichtigung des Handlungsplans nur auf den Zielversuch angewendet. 172

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

Das System Schmidhäusers stellt einen für die naturalistische Betrachtung der Dogmatik des Versuchs charakteristischen Ansatz dar. Geht es im Strafrecht um Prävention von Rechtsgutsverletzungen, dann stellen die ersten Vorbereitungshandlungen schon einen gefährdenden Sachverhalt dar, d.h. – mit den Worten Schmidhäusers – eine Mißachtung des Rechtsguts, eine Pflichtverletzung. Diese Mißachtung liegt dann auch schon in einem bösen (irgendwie in ein Körperverhalten umgesetzten) Gedanken, so z. B. beim „Abtreibungsversuch der Nichtschwangeren mit Himbeersaft“180. Soll die Gesellschaft auf einen Kosmos von Gütern reduziert werden und die Rechtsperson als psychologische oder kausale Konstruktion begriffen werden, ist es konsequent, schon eine kausale Auslösung eines schadensträchtigen Verlaufs oder den kausalen Beitrag zu diesem Verlauf oder die auf die Mißachtung der Achtungsansprüche der Güter gerichtete Betätigung der psychologischen Ausstattung (welche auch immer, hier der Wille und seine zugrundeliegende Vorstellung) für unerlaubt zu halten. Die auf der Unterscheidung von naturalistisch Subjektivem und Objektivem basierende, dualistisch genannte Versuchslehre findet in einer naturalistischen Ausgangslage ihre einheitliche Grundlage: in der Prävention von auf Individuen zurückführbaren, naturalistisch beobachteten Störungen. Damit werden alle für strafwürdig gehaltenen Versuche faßbar. Soll eine solche Ausdehnung der Strafbarkeit in Grenzen gehalten werden und eine „möglichst gerechte und vernünftige Strafrechtsfolge“181 erreichbar werden, wird eine Abwägung (nach Klugheitsregeln) der Gesamtlage als Analyse der Strafwürdigkeit des Falls erforderlich. Diese „Gesamtbetrachtung“ (ganzheitliche Methode) entscheidet darüber, welche materiell definierten unerlaubten Versuche zu strafwürdigen Versuchen werden. Daß diese Gesamtbetrachtung auf die Betrachtung des Einzelfalls, insbesondere des Handlungsplans – unter „Betätigung der juristischen Urteilskraft im Einzelfall“182 – beschränkt wird, scheint zwangsläufig zu sein, denn die externen, gesellschaftlichen Kriterien werden auf Kausalität reduziert. Die gesellschaftliche Wirklichkeit wird ignoriert. So ist es verständlich, daß es – parallel zu Armin Kaufmann – im Hinblick auf den Zielunwert unerlaubt sein soll, mit Himbeersaft abtreiben zu wollen, wenn sich etwa die Frau die tödliche Wirkung des Safts eingebildet hat, oder daß beim abergläubischen Versuch „am Versuchsdelikt nicht zu zweifeln (ist)“183. Da sich der Zielunwert auf die Betätigung des bösen Willens gegen das Rechtsgut beschränkt, scheiden aus der Versuchsstrafbarkeit Handlungen aus, die mit dolus directus 2. Grades oder dolus eventualis begangen werden, 180

Schmidhäuser, AT, 15/37. Schmidhäuser, StuB 1/17, 3/41 ff.; ders., AT, 2/14. 182 So der Ausdruck von Zaczyk in: NK, § 22, Rn. 24, zu einer Schmidhäuser parallelen Position zum Versuchsbeginn. 183 Schmidhäuser, AT, 15/44. Anders zum abergläubischen Versuch aber ders., StuB, 11/45. 181

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wenn mit ihnen nicht eine Gefährdung des Rechtsguts einhergeht184. Auf der Grundlage einer kausalen Betrachtung der Gesellschaft und ihres Strafrechts ist verständlich, die septische Behandlung des Wochenbettfiebers ohne Berücksichtigung des Stands der Kenntnisse in der Gesellschaft zu jener Zeit, welcher für eine solche Behandlung sprach, für unerlaubt zu erklären. Im Falle der Sozialadäquanz zeigt sich die Fehlerhaftigkeit seines Ansatzes: Schieres rechtsgutsverletzendes Verhalten kann die Norm nicht brechen, was er dann auch selbst korrigiert185. Die Existenz der von Schmidhäuser in bestimmten Fällen als Rechtfertigungsgrund anerkannten Sozialadäquanz zeigt schon, daß die Behauptung, die Gesellschaft beruhe auf Rechtsgütern, nur über Korrekturen durch die echte, das Rechtsgüterschutzdogma überspringende Identität der Gesellschaft zu jeder Zeit durchzuhalten ist186. 2. Die Tätergefährlichkeit: die Tätertheorie Langes Ein Teil der Literatur sieht – nach ihren Dafürhalten innerhalb eines Tatstrafrechts – ein Zurechnungskriterium zum Versuch im Gedanken der Gefährlichkeit des Täters. Diese Stellungnahme findet in der sogenannten „Tätertheorie“ oder „Vereinigungstheorie“ Langes ihren bedeutendsten Niederschlag187. Nach Lange stellt die Idee der Tätergefährlichkeit keine Besonderheit des Versuchsunrechts dar, sie gehört vielmehr zur „Struktur der Tatbestände“ als „spezifisches Aufbauelement“ neben der Rechtsgutsverletzung188. Im Strafrecht 184

Hierzu auch Weigend, Entwicklung, S. 120, S. 121. Schmidhäuser, AT, 9/26. 186 Siehe auch die Kritik von Roxin, FS Klug, S. 303 ff., S. 306 f.; dems., ZStW 83 (1971), S. 383 ff. 187 Vgl. Kohlrausch/Lange, StGB Anm. III ff., vor § 43, § 43 ff.; Lange, JZ 1958, S. 669 ff. Mit ausdrücklichem Verweis auf Lange auch Reinh. von Hippel, Untersuchungen über den Rücktritt vom Versuch, S. 26 ff.; Oehler, Das objektive Zweckmoment, S. 111 ff., S. 121 f.; Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 53; Cramer, Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, S. 63 f.; Engisch, Der Unrechtstatbestand in Strafrecht, S. 435 ff. mit Fn. 72. Vgl. auch Waiblinger, ZStW 69 (1957), S. 189 ff., S. 219, der in der Tätergefährlichkeit und in der Ansicht Langes einen Annäherungspunkt an die subjektiven und objektiven Theorien sieht, so insbesondere S. 220. In neuerer Zeit vgl. auch Benfer, Allgemeines Strafrecht, Rn. 475. Jüngst auch Roxin, FS für Haruo Nishihara, S. 161. 188 Lange verweist auf den Diebstahl mit Waffen, der mit einer höheren Strafe belegt wird, und auf verschiedene Gesetzentwürfe, die den Gedanken der Tätergefährlichkeit berücksichtigen: Der Entwurf 1956 (Bestrafung des abergläubischen Versuchs nur bei Tätergefährlichkeit); Entwurf 1959, § 27 (Möglichkeit des Absehens von Strafe bei Versuch aus grobem Unverstand); auch der § 43 StGB in der Fassung des Thüringischen Anwendungsgesetzes von 1. 11. 1945 (Möglichkeit des Absehens von Strafe, wenn weder Tat- noch Tätergefährlichkeit vorliegen). Hierzu Lange, in: Kohlrausch/Lange, StGB Anm III 3. d) und f), vor § 43; Oehler, Das objektive Zweckmoment, S. 121; Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 54. 185

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

gehe es nämlich nicht nur um Reaktion auf die Tat bzw. auf die Rechtsgutsverletzung bzw. -gefährdung, sondern auch um Prävention gegen die Gefährlichkeit des Täters, scil. um Spezialprävention189. Der spezialpräventive Gedanke der Tätergefährlichkeit für den Versuch komme etwa in der Kann-Milderung des heutigen § 23 Abs. 2 StGB zum Ausdruck. Denn der bloßen Gefährdung des Rechtsguts ohne zusätzliche Tätergefährlichkeit entspreche nur eine Muß-Milderung190. Beim Versuch aus grobem Unverstand soll von Strafe abgesehen werden können, da in diesen Fällen weder Tat- noch Tätergefahr vorliege. Die Betonung des spezialpräventiven Strafzwecks und dementsprechend der Tätergefährlichkeit bildet eine Antwort der objektiv-kausalistischen Unrechtstheorien auf ihr prinzipielles Unvermögen, auf der Basis des Tatprinzips – Reaktion auf die nach dem System bestimmte objektiv-gefährliche Tat – viele Versuchsfälle als Versuchsunrecht zu begründen, die für strafwürdig gehalten werden, insbesondere freilich – aber nicht nur – den untauglichen Versuch191. Die Anhänger der Tätertheorie konstruieren überwiegend den Tatbegriff als naturalistische Außenweltveränderung durch beobachtete Gefahr für ein Rechtsgut bzw. durch Rechtsgutsverletzung auf der Basis des Adäquanzgedankens (objektive Finalität, objektive Bezweckbarkeit)192. Die Tätertheorie wurzelt also im Verbrechensbegriff der objektiv-kausalistischen Verbrechenslehren. Sie geht innerhalb eines zugrundeliegenden naturalistischen Strafrechts von der Trennung von Täter (Schuld) und Tat (Unrecht) aus. Die Kluft zwischen dem eigenen System und dem angestrebten Rechtsgüterschutz mündet in die Ausdehnung einerseits des Unrechtsbegriffs durch die Tätergefährlichkeit (in den prinzipiellen Bereich der Schuld), und andererseits des Angriffsbegriffs auf Rechtsgüter. Zur Ausdehnung des Unrechtsbereichs heißt es – so Stöger –: „Will man den untauglichen Versuch bestrafen, so muß nach anderen Kriterien gesucht werden. Hier hat nun Richard Lange den entscheidenden Schritt getan, wenn er erklärt: ,Strafbarer Versuch liegt vor, wenn die Handlung für das angegriffene Rechtsgut gefährlich war oder sonst den Täter als gefährlichen Angreifer dieses 189

Vgl. Kohlrausch/Lange, StGB Anm. III 3. a). Kohlrausch/Lange, StGB Anm. III 3. e), vor § 43. Vgl. auch Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 54. 191 Nicht nur die Fälle des untauglichen Versuchs sind der Grund der Ausdehnung der Strafbarkeit durch die Tätertheorie. So Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 55: „Dieser Schritt von der Tat zum Täter ist im Versuchsbereich nicht nur beim untauglichen Versuch notwendig. Denn bei der Abgrenzung der Vorbereitung vom Versuch steht die herrschende Lehre zu Recht auf dem Standpunkt, daß die vordere Versuchsgrenze nicht erst mit dem Beginn der objektiven Finalität der Handlung auf die Rechtsgutsverletzung hin zusammenfallen kann, sondern schon früher gezogen werden muß“. 192 Vgl. etwa Lange, in: Kohlrausch/Lange, StGB, Systematische Vorbemerkungen II. B. I., S. 5; Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 47; Oehler, Das Objektive Zweckmoment, S. 72; Reinh. von Hippel, Untersuchungen, S. 24. 190

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Rechtsguts erweist‘“193. So wird eine dualistische Versuchstheorie durch die Übertragung des Gefährlichkeitsgedankens von der Tat auf den Täter vollzogen. Den Grund dieser Übertragung findet Lange darin, daß die Elemente der Schuld (der Täter) auf der Basis des spezialpräventiven Strafzwecks allein ein Unrecht begründen können: kein Tatunrecht, sondern ein nur täterbezogenes Unrecht. So erklärt Lange, daß die Schuld nicht nur mit der Tat (Adäquanzgedanke) das Unrecht „mit-gestalten“, sondern „über die Einzeltat hinaus“ das Unrecht gestalten könne: „Tat und Täter bilden eine unlösbare Sinneinheit. Der Gefährlichkeitsgedanke muß daher mit dem richtigen Kern der subjektiven Theorie, der Erfassung des verbrecherischen Willens als tatgestaltenden oder über die Einzeltat hinaus relevanten Faktors verbunden werden“194. Für die Fälle, die aus dem Bereich des Adäquanzgedankens fallen, insbesondere für den untauglichen Versuch, bedeutet dies, daß nur der Täter die Gefährlichkeit trägt, daß das Unrecht außerhalb der Tat im prinzipiellen Bereich der Schuld eine plausible Begründung finden soll. Zur Ausdehnung des Angriffsbegriffs auf Rechtsgüter muß man sich zunächst den Ausgangspunkt dieser Theorien vor Augen führen: Die mit dem neuen Zurechnungskriterium begründeten (Versuchs-)Unrechte müssen der gebotenen rechtsstaatlichen Garantiefunktion des Verbrechensbegriffs entsprechen195, d.h. es geht um fragmentarischen Rechtsgüterschutz196 bzw. um die Gefährlichkeit für ein bestimmtes Rechtsgut, wenn auch nicht um die Gefährlichkeit einer Tat, sondern eines Täters, für das einzelne Rechtsgut197. Insoweit unterscheiden sich diese Theorien vom Ansatz eines Täterstrafrechts, der generell auf die Rechtsfeindlichkeit des Täters abstellt und die Gefahr betont, daß der Täter „irgendwelche weiteren Straftaten begehen werde“, also irgendwelche anderen Rechtsgüter angreifen werde198. Unrecht ist also der Angriff auf ein bestimmtes Rechtsgut.

193 Versuch des untauglichen Täters, S. 53. Vgl. auch Kohlrausch/Lange, StGB Anm. III 2., 3., vor § 43. 194 Kohlrausch/Lange, StGB Anm. III 2. a. E., vor § 43. Siehe auch Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 64. 195 Vgl. nur Kohlrausch/Lange, StGB, Anm. III 4. e), vor § 43. 196 Siehe statt aller Kohlrausch/Lange, StGB Anm. III 3. b) und 4. e), vor § 43. 197 Nach Lange, JZ 1958, S. 672, sind also sowohl die Stellungnahmen der subjektiven Theorien abzulehnen, die auf die Auflehnung gegen die Rechtsordnung als solche abstellen, als auch diejenigen, die auf die Gefährdung des Rechtsfriedens abstellen, und sei es als Abfall von den Grundwerten rechtlicher Gesinnung oder sonst als „verschwommenes Rechtsgut“. Vgl. auch Kohlrausch/Lange, StGB Anm. III 4. c) und e), vor § 43; Reinh. von Hippel, Untersuchungen, S. 10 f.; Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 40; Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 63 f. Anders Waiblinger, ZStW 69 (1957), S. 220; Benfer, AT, Rn. 475. 198 Vgl. Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 40.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

Andererseits ist der Angriffsbegriff auf ein bestimmtes Rechtsgut zu erweitern: „Das Verbrechen ist niemals nur Angriff auf das einzelne Objekt, sondern stets auch auf den im Rechtsgut verkörperten Rechtswert“199. Beim untauglichen Versuch „kann man nur sagen, daß in solchen Fällen das konkrete Angriffsobjekt nicht gefährdet war und nicht gefährdet werden konnte“200. Nur wegen des „über die Einzeltat hinaus relevanten“ Willens sei das Unrecht zu begründen, und zwar mangels der ersten Art eines Verbrechens (Angriff auf das einzelne Objekt) wegen des Angriffes „auf den im Rechtsgut verkörperten Rechtswert“201. Um sich besser von einem Täterstrafrecht abzugrenzen, versuchen diese Theorien die Tätergefährlichkeit möglichst an das – nicht zu einer Tat gewordene – Verhalten des Täters zum „Tatzeitpunkt“ zu binden. Ist äußerlich-kausal keine Tat festzustellen, wird die Innenseite, d.h. der Vorsatz, zum notwendigen Anknüpfungspunkt mit dem Tatstrafrecht. Auf diese Weise ist nach Lange ein „subjektiver Tatbestand“ von dem (objektiven) Tatbestand zu unterscheiden: „Entschluß und Absicht sind hier aber nichts anderes als Vorsatz. Es genügt also auch hier Eventualvorsatz (. . .)“202. Bei der besonderen Erscheinung, die den Versuch ausmache, „ist der Gesamtplan des Täters mit heranzuziehen“203, so daß Versuch auch vorliege, „wenn die Handlung, bei Unterstellung ihrer vom Täter angenommenen Tauglichkeit (. . .) das Rechtsgut unmittelbar gefährden würde“204. „Auch die irrige Annahme eines nicht vorhandenen Tatbestandsmerkmals begründet Versuch“205. Die verschiedenen Elemente der Zurechnung finden auf diese Art und Weise unabhängig von ihrer systematischen Einordnung Berücksichtigung. Grundlegende Begriffe – Unrecht, Schuld, Wille und Vorsatz, Rechtsgut – werden somit in ihrer Aufgabe und Identität thematisiert. Die Schuld des kausalistischen Systems, genauer, ihre Elemente in der Form von Vorsatz, vermögen beispielsweise einem nach den sonstigen Kriterien des Unrechts irrelevanten Verhalten einen unrechts-„begründenden“ Sinn zu verleihen. Diese hervorragende Bedeutung der Schuld im System „folgt (. . .) allgemein dem Grundsatz des Schuldstrafrechts“206, nach dem – so etwa § 56 StGB a. F. (§ 18 StGB n. F.) – „die 199

Kohlrausch/Lange, StGB Anm III 3. b) und Systematische Vorbemerkungen III.,

S. 13. 200

Lange, JZ 1958, S. 672. Sehr eindeutig Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 54. 202 Kohlrausch/Lange, StGB, § 43 II. 203 Kohlrausch/Lange, StGB, Anm. III 4. a). Siehe zur Heranziehung des Plans insbesondere Oehler, Das objektive Zweckmoment, S. 118; Waiblinger, ZStW 69 (1957), S. 203. 204 Kohlrausch/Lange, StGB, Anm. III 4. d). 205 Kohlrausch/Lange, StGB, Anm. IV. In diese Richtung argumentiert vor allem auch Engisch, Der Unrechtstatbestand im Strafrecht, S. 435. 201

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Handlungsschuld, nicht der Taterfolg [bestraft wird]“207. Andererseits sollen Täter und Tat eine unlösbare Sinneinheit bilden208. Um die originäre objektive, tatstrafrechtliche Struktur beizubehalten, soll der Vorsatz als täterbezogenes Zurechnungskriterium, d.h. als Schuld- bzw. Täterelement, nicht zum Unrechtselement erhoben werden209. Sein Einsatz bei der Zurechnung zum Versuchsunrecht wird einfach nur als „Voraussetzung“ des Unrechtsvorwurfs verstanden210. Trotz des Eingriffs in die Elemente der Schuld zur Unrechtsbegründung und der exklusiven Täterbezogenheit der nur auf der Tätergefährlichkeit beruhenden Versuche, versuchen Anhängern dieser Theorien, die Tätergefährlichkeit (irgendwie) materiell tatstrafrechtlich und kausalobjektiv umzudeuten. Unterbreitet werden verschiedene Vorschläge: Stöger findet eine Kontinuität der objektiven Finalität des Adäquanzgedankens darin, daß nicht die subjektive Finalität bestraft wird, sondern das „Verhaftet- und Abhängigbleiben vom kausalen Zwang der Antriebe“ als „gefährlicher Persönlichkeitszustand, der – unabhängig vom Bewußtsein – eine Wiederholungsgefahr befürchten läßt (. . .). Der konkrete Vorsatz beim Beginn der Ausführungshandlung des untauglichen Versuchs ist (. . .) nur Folge einer schon vorhandenen objektiven Täterfinalität“211. Der übliche Weg ist einfach die Betonung der Ähnlich206

Kohlrausch/Lange, StGB Anm. III 3. f), vor § 43. Kohlrausch/Lange, StGB Anm. III 3. a), vor § 43. 208 Siehe vor allem Kohlrausch/Lange, StGB Anm. III 2., vor § 43; Reinh. von Hippel, Untersuchungen, S. 27; Oehler, Das objektive Zweckmoment, S. 114 f., für den eine solche Sicht Folge der „Einheit des Verbrechensbegriffes“ ist. 209 Wobei dies nicht ausnahmslos geschieht. Siehe Oehler, Das objektive Zweckmoment, S. 122; Engisch, Der Unrechtstatbestand im Strafrecht, S. 435, der den Vorsatz nur bei den sonst nicht zu erfassenden, als strafwürdig gesehenen Versuchsfällen als Unrechtselement einordnet, insbesondere bei den untauglichen Versuchen, denn – so Engisch, S. 436 – „der Versuch – zumal als untauglicher Versuch – stellt sich als ,Strafausdehnungsgrund‘ dar, der deshalb seine eigentümlichen, unrechtsbegründenden Merkmale benötigt. Diese liegen eben darin, daß hier der Vorsatz als Träger der abstrakten Gefährdung des Rechtsgutes den Unrechtstatbestand mitkonstituiert. Beim vollendeten Delikt, bei dem der Unrechtstatbestand schon ,objektiv‘ verwirklicht ist, bedarf es des Vorsatzes als eines Unrechtselementes grundsätzlich nicht. Daher hat er hier bei seiner Funktion als Schuldform sein Bewenden“. Beim Versuch besitzt die Norm nach Engisch einen modifizierten Sinn: Die Sorgfaltspflicht erhalte einen „gewissen subjektivistischen Einschlag, nämlich in der Weise, daß es befohlen ist, unter allen Umständen Handlungen zu unterlassen, von denen man sich vorstellt und erwartet, daß sie geeignet sind, das jeweils geschützte Rechtsgut zu gefährden und den Unrechtstatbestand konkret zu verwirklichen“. Immerhin lasse sich auch hier behaupten, daß der Täter des untauglichen Versuchs „im gewissen Sinne auch objektiv (. . .) gegen die Regeln der Sorgfalt“ verstoße (Engisch, Der Unrechtstatbestand im Strafrecht, S. 437). In diesem Sinne auch Oehler, Das objektive Zweckmoment, S. 122, und S. 114 f., der erklärt, die „Einheit des Verbrechensbegriffs“ sei der Grund, aus dem „man aus einem erst später bejahten Schuldmerkmal dessen objektive Wirkung schon vorher (. . .) zum Tatbestand heranziehen [kann]“. 210 Vgl. nur Kohlrausch/Lange, Systematische Vorbemerkungen, S. 13 und Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 44, S. 63 f. 207

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keit der Tätergefährlichkeit mit der Struktur eines abstrakten Gefährdungsdelikts, z. B. mit Hilfe der Argumentation, der gefährliche Täter werde früher oder später eine Rechtsgutsverletzung bzw. -gefährdung verursachen, wie zum Beispiel der betrunkene Fahrer „früher oder später die Sicherheit des Straßenverkehrs auch konkret gefährden und u. U. einen Verkehrsunfall verursachen wird“212. Reinhard v. Hippel kann die Idee der konkreten Gefährlichkeit innerhalb des Adäquanzgedankens beibehalten, da er den Begriff des Angriffs auf Rechtsgüter ausdehnt. „Infolge naturalistischer Fehldeutung“ sei nämlich noch nicht gesehen worden, daß die „real seienden intentionalen Gegenstände des Täters mittelnde Rechtsgutssubstrate (sind)“213. Das neue täterbezogene Merkmal, die Befürchtung einer Wiederholungsgefahr, wird dadurch zum eigentlichen Zurechnungskriterium, so daß das vorsätzliche Verhalten – der strafrechtlich sonst nicht relevante Versuch einer Rechtsgutsverletzung – einfach nur als notwendige Voraussetzung zur Ermittlung einer Tätergefährlichkeit angesehen wird, als Indiz bzw. Symptom der erst danach mit der Befürchtung einer Wiederholungsgefahr ernst zu nehmenden Tätergefährlichkeit. In diesem Sinne ist eine böse Willensäußerung nur dann strafbar, wenn sie eine nach den üblichen Zurechnungskriterien gekennzeichnete Straftat befürchten läßt. Ausschlaggebend ist die innere Einstellung des Täters gegenüber dem Rechtswert des Rechtsguts bzw. das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr von Seiten des Täters. Nach Stöger ist dies der Fall, wenn das Verhalten des Täters eine „objektiv-finale und tatbestandsmäßige Gefährdung unmittelbar zu erreichen droht“214, d.h., wenn die (noch nicht objektiv-finale!) Handlung „von einem für das angegriffene Rechtsgut gefährlichen Täter begangen worden ist“215 und so eine Wiederholungsgefahr besteht. Mit den Worten Langes, der insoweit mit dem Entwurf 1956 übereinstimmt: „Der richtige Grundgedanke kommt immerhin zum Ausdruck, wenn es [im Entwurf] heißt: ,Ein Täter, der durch Totbeten oder ähnliche abergläubische Machenschaften einen Menschen töten zu können glaubt, ist in der Regel nur strafwürdig, wenn sein verbrecherischer Wille befürchten läßt, daß er nach dem Fehlschlagen seines ersten Versuchs zu tauglicheren Mitteln greift‘“216. Wegen dieser Wiederholungsgefahr soll also 211

Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 63 f. Vgl. Waiblinger, ZStW 69 (1957), S. 220; vgl. ferner Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 64; Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 66; Engisch, Der Unrechtstatbestand im Strafrecht, S. 435. 213 Siehe Reinh. von Hippel, Untersuchungen, S. 26 f. 214 Vgl. Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 57. 215 Vgl. Stöger, Versuch des untauglichen Täters., S. 59. 216 Lange, JZ 1958, S. 672 (Hervorhebung dort). Im Hinblick auf den abergläubischen Versuch ebenfalls übereinstimmend Waiblinger, ZStW 69 (1957), S. 221. Anders aber Kohlrausch/Lange, StGB Anm. III 3. c), vor § 43, der Fälle des abergläubi212

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nach Waiblinger „der Strafrechtsschutz schon ante muros verlegt und nicht zugewartet werden, bis der Angreifer statt der verwendeten untauglichen, taugliche Angriffsmittel herangeschafft hat, um den Angriff fortzusetzen“. Etwas Anderes soll freilich dann gelten, wenn der Täter nach dem Fehlschlag nicht nach tauglichen Mitteln zu greifen bereit ist, dann gäbe es „keine latente Gefahr mehr für das angegriffene Rechtsgut. Damit entfällt dieser Grund für die Bestrafung solcher Versuchsfälle“217. Die Vereinigungstheorie stellt sich auf diese Weise als Anhäufungstheorie zweier unverbundener Interpretationsrahmen dar: Täter- und Tatgefährlichkeit. Das Konzept der Tätergefährlichkeit entspricht keinem Tatstrafrecht, denn es verläßt den Bereich des Verhaltens und greift auf die Täterpersönlichkeit zurück218. Bestraft wird nicht wegen der (Straf-)Tat, sondern anhand der (noch nicht Straf-)Tat wegen des gefährlichen Zustands, in den sich der Täter versetzt. Wird auf die „Tat als Ausdruck der Persönlichkeit“219 abgestellt, um nicht den Vorwürfen eines Täterstrafrechts ausgesetzt zu werden, läßt sich schwer erklären, daß jede Versuchstat ein Zeichen für eine konstante Gefährlichkeit des Täters (bzw. seine Persönlichkeit) sei, wobei Verdachtsstrafen in Kauf genommen werden müssen220. Der Bürger erlangt eine gefährliche Identität, welche beim untauglichen Versuch (keine Straftat: Adäquanzgedanke) als objektiver Zustand allein das zu bestrafende Unrecht kennzeichnen soll (!): Der Täter wird als Gefährdungszustand begriffen, insofern als Feind221, als gefährlicher, vorwiegend durch den betätigten bösen Willen ungleich gewordener „Bürger“. Diese Reduktion des Status Bürger zeigt sich exemplarisch bei Stöger, der den Täter als etwas objektiv Gefährliches wahrnehmen will, da die Triebe die Willensfreiheit unterdrückt hätten. Strafgrund wäre demnach das „Verhaftet- und Abhängigbleiben vom kausalen Zwang der Antriebe“222. Dieser so erlangte „objektive“ gefährliche Zustand bedroht latent das entsprechende Rechtsgut und bringt, mit den Worten Zaczyks, das Rechtsgut in eine unterlegene Position223. Das Rechtsgut gerät in „objektive“ Gefahr, so daß auf den schen Versuchs allgemein für nicht strafbar erklärt, da „nicht der Wille des Täters, sondern nur ein Wunsch in Erscheinung tritt“; übereinstimmend mit dieser anderen Argumentation auch Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 58; Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 64. 217 Waiblinger, ZStW 69 (1957), S. 220. Vgl. auch Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 66. 218 Vgl. auch Albrecht, Der untaugliche Versuch, S. 36; Papageorgiou-Gonatas, Grenze, S. 76; Niepoth, Der untaugliche Versuch, S. 65; Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 213. 219 Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 65. 220 Vgl. Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 64 f., der in Anlehnung an Bokkelmann solche „ernst zu nehmende Bedenken“ analysiert. Hierzu auch Bloy, ZStW 113 (2001), S. 97, m. w. H. 221 Vgl Jakobs, ZStW 97 (1985), S. 751 ff., 753 f. Siehe auch Köhler, AT, S. 589. 222 Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 63.

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Täter spezialpräventiv eingewirkt werden muß. So wie eine Sache, die in einen gefährlichen Zustand gerät, so muß auch ein Täter als gefährlicher Sachverhalt harmlos gemacht werden. Im Ergebnis: Der Begriff „Tatverantwortlichkeit“ gehört nicht mehr zum Begriff Person und wird durch den der „Tätergefährlichkeit“ ersetzt224. Bestraft wird nicht wegen eines aktuellen gesellschaftlichen Konflikts, d. h., nicht um einen gesellschaftlichen Konflikt durch Zurechnung zu beseitigen, sondern um den eigentlichen Konflikt (in diesen Theorien: die Rechtsgutsverletzung) dadurch zu vermeiden, daß subjektive Indizien einer individuellen Feindlichkeit in Bezug auf dieses Unerwünschte zum Anlaß der individuellen Behandlung durch Strafe genommen werden: ein polizeirechtlicher Gedanke225. Die Tätertheorie verlagert den eigentlichen strafrechtlichen Konflikt (das Unrecht) auf die Gefahr seiner Entstehung vor. Jakobs führt richtig aus, daß in einem so definierten Strafrecht, „die Frage, wie man sich verhalten soll, (sich) für alle Menschen in die Frage (wandelt), wie man sich verhalten wird“226, d. h., es geht nicht darum, ob man ein Verbrechen begangen hat, sondern ob man eine Rechtsgutsverletzung bzw. -gefährdung begehen wird. Es käme also nicht auf Normgeltung an, sondern auf die Enttäuschung kognitiver Erwartungen, was unser heutiges gesellschaftliches Leben unorganisierbar machen würde227. Die Behauptung, Gedanken seien keine Störung des sozialen Lebens, erweist sich im Konzept der Tätergefährlichkeit als nicht zum Prinzip des Rechtsgüterschutzes gehörig228. Die subjektive Tatseite verkümmert auf diese Weise zu einem Moment der objektiven Gefährlichkeit unter anderen229. Wie oben dargestellt, ist diese unrechtstheoretische Entwicklung insoweit konsequent, als in naturalistischen Strafrechtssystemen das Schuldprinzip, der funktionale Zusammenhang zwischen Tat und Strafe als Tatschuldausgleich, in eine Krise gerät230. Der funktionale Zusammenhang zwischen Tat und Strafe verkümmert 223 Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 311. Zu bemerken ist auch das Eingeständnis von Zaczyk zu einer gewissen Nähe zu den Positionen dieser Theorien, siehe S. 82. 224 Dazu eingehend, Lesch, JA 1994, S. 593. Als Problem stellt sich das Schuldprinzip dar: Da nicht wegen des eigentlich zu vermeidenden Konflikts bestraft wird, sind das Quantum des Sozialschadens und das Quantum der Reaktion des Strafrechts nicht zu harmonisieren: Bei schweren untauglichen Delikten ohne Wiederholungsgefahr vielleicht keine Strafe und bei leichten (sogar untauglichen) Delikten mit hoher Wiederholungsgefahr doch (sogar harte) Strafe. Vgl. Jakobs, AT, 1/45. 225 Vgl. auch Spendel, FS Stock, S. 97. 226 Jakobs, AT, 1/39. 227 Vgl. Jakobs, AT, 1/35 ff., 39 f. 228 Jakobs, ZStW 97 (1985), S. 751 ff., S. 753 f. 229 Köhler, FS Hirsch, S. 69. 230 Eingehend Lesch, Verbrechensbegriff, S. 1 ff., S. 21, S. 190 ff. und passim.

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nicht nur bei der Tätertheorie, sondern überhaupt bei den naturalistisch-präventiven Theorien dahin, die Tat als bloßen Anlaß zur Verhängung der präventiven Strafe zu erwägen. Sie erfüllt keine Funktion für die Strafe (muß nicht einmal als Tat bzw. Störung vorliegen), da der Strafgrund in der künftigen Sicherheit, im äußeren Frieden von Triebwesen liegt231. Dabei geht es um den funktionalen Zusammenhang zwischen der künftigen Sicherheit der Rechtsgüter und der Strafe, also nicht um Schuldausgleich, sondern um Instrumentalisierung des Täters zu dem außerhalb seiner Tat unmittelbar verfolgten Zweck der Prävention bzw. Verbrechensbekämpfung, wobei eine Tätertheorie nur einen konsequenten Schritt für eine weitgehende Prävention ausmacht: Wenn es um Prävention von Rechtsgüterverletzungen geht, warum auf die – vielleicht rechtsgutsverletzende – Tat warten, wenn der Schaden nicht mehr zu prävenieren ist? Zugespitzt für diese Tätertheorie: Warum auf das – vielleicht zu einer Tat werdende – Verhalten des Täters warten, wenn das Verhalten in eine rechtsverletzende Tat umschlagen könnte? Die Risiken einer exzessiven Ausdehnung der Strafbarkeit sind unausweichlich. Das Strafrecht tritt auf das Niveau eines polizeilichen Staates. Als präventive Behandlung des Täters wird das Strafrecht zu einer Art Sozialpolitik – wie etwa die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit –, die wegen des Tatprinzips sehr spät einsetzt und mit ihren Mitteln, insbesondere mit der Strafe schlecht wirkt. Entweder ist das Strafrecht dann eine schlechte Technik der Sozialpolitik in der Gesellschaft oder es gibt eine ungerechtfertigte Invasion von polizeirechtlichen Gedanken, und das Strafrecht spielt seine Rolle auf einem anderen Niveau und mit einer anderen Bedeutung und anderer Aufgabe. Zur Lösung des Problems ist zunächst ein adäquates Verständnis des Strafrechts in seiner Gesellschaft zu entwickeln, was die naturalistische Rechtsgutstheorie nicht leistet. Die Tätertheorie als Versuchstheorie, d.h. als Theorie zum Versuchsunrecht findet heute immer noch Anhänger232. Roxin hat sich in einem jüngsten Beitrag der Position von Lange weitgehend angeschlossen. Er verteidigt wie Lange den Gefahrbegriff als Hauptkriterium der Versuchszurechnung für die tauglichen Versuche233. Den untauglichen Versuch will Roxin in Anlehnung an Lange in subjektiver Hinsicht nach der Tätertheorie234, und in objektiver bzw. externer 231 Köhler, Strafrecht, AT, S. 41; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 21; Schild, Notwendigkeit des Strafens, S. 85. 232 Vgl. auch Benfer, Allgemeines Strafrecht, Rn. 475; Roxin, FS für Haruo Nishihara, S. 161. 233 Siehe Roxin, FS Haruo Nishihara, S. 158 f.; dens., AT II, § 29, Rn. 13 ff., zum Gefährlichkeitsgedanken als leitenden Gedanke des Versuchsbegriffs, und S. 161, zur Option für die neuere objektive Theorie. Vgl. dementsprechend Lange in: Kohlrausch/ Lange, StGB Anm. III 2., vor § 43, der sich in diesen Fällen ebenfalls für die neuere objektive Theorie (Adäquanzgedanke) entscheidet. 234 Roxin, FS Haruo Nishihara, S. 161; vorsichtiger jetzt Roxin, AT II, § 29, Rn. 39, 42.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

Hinsicht („nach draußen“) – ebenso Lange – nach der Eindruckstheorie235 lösen. Dabei wird der Begriff des Eindrucks, wie unten dargestellt wird, als heute meist vertretenes, einschränkendes Kriterium innerhalb einer umfassenden Vereinigungs- bzw. Anhäufungstheorie zum Versuch eingesetzt. III. Die Hervorhebung der Tatbestandsverwirklichung – die neueren Lehren vom Mangel am Tatbestand In der Tradition von Feuerbach ist das Versuchsunrecht für die Vertreter der Lehre vom Mangel am Tatbestand ein Ausdehnungsgrund der Strafbarkeit zur Verhinderung des durch den Willen angestrebten rechtswidrigen Erfolgs: Normtheoretisch wendet sich die Norm an den menschlichen Willen236. Dem individuellen Willen ist es verboten, solche Handlungen vorzunehmen, die auf die Herbeiführung eines rechtswidrigen Erfolgs gerichtet sind. Auf der Basis dieses Strafrechtsverständnisses verteidigen die Vertreter dieser Theorie unterschiedliche materiell-naturalistische Zurechnungskriterien zum Versuch237. Diese Lehre hebt hervor, daß der materiell rechtswidrige Erfolg auch ein formell tatbestandsmäßiger Erfolg sein muß, wobei der Tatbestand – methodisch konsequent – verkürzt positivistisch-naturalistisch gedeutet wird. Nach der Lehre vom Mangel am Tatbestand gehört nämlich zum Versuch das Vorhandensein sämtlicher gesetzlicher Deliktsmerkmale mit Ausnahme des Erfolgs (strafbarer Mangel am Tatbestand im weiteren Sinne). Fehle anstatt des Erfolgs ein anderes Tatbestandsmerkmal, so liege ein strafloser Mangel am Tatbestand vor (Mangel am Tatbestand im engeren Sinne)238. Bei der Tat soll es also nicht um eine bloß materielle Tat (etwa eine Rechtsgutsgefährdung) gehen, vorausgesetzt wird vielmehr ein strafrechtlich relevanter, positiv-gesetzlich definierter normativer Kontext, d.h. ein im Gesetz bewerteter Sachverhalt. Dieser als Ausgangslage definierte Sachverhalt bzw. Zustand ist die unbedingte Voraussetzung, das die Möglichkeit des Verbrechens Bedin235 So Roxin, FS Haruo Nishihara, 161 (neulich AT II, § 29, Rn. 46 ff.), wie Lange, in: Kohlrausch/Lange, StGB, Anm. III a), vor § 43. 236 Vgl. zu Dohna, FG Güterbock, S. 58. 237 Was die wichtigsten Vertreter dieser Lehre angeht, vertritt etwa Frank, Strafgesetzbuch, § 43, Anm. III, S. 70, zusammen und in Anlehung an zu Dohna, FG Güterbock, S. 58, eine naturalistisch-subjektive Position, denn dem Menschen sei nicht zu verbieten, was kausal ist, „sondern nur, was er für kausal hält“. Die Strafbarkeit etwa von abergläubischen und untauglichen – nicht positivierten (hierzu gleich im Text) – Mitteln sehen diese Autoren in der Eignung zur Erfolgsherbeiführung des vom Einzelnen Gedachten, d.h. keine Strafbarkeit bei unmöglicher Kausalität bzw. nomologischem Irrtum (vgl. Frank, Strafgesetzbuch, § 43, S. 70; zu Dohna, FS Güterbock S. 59 f.). Eberhard Schmidt, in: v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, § 45, S. 312, greift seinerseits auf den Gefahrbegriff von v. Liszt zurück, während Mezger, Lehrbuch, S. 397, die Eindruckstheorie vertritt. 238 Siehe statt aller Mezger, Lehrbuch, S. 393.

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gende, das äußerlich-realistische Objekt, auf das sich der böse Wille richten soll, damit er strafrechtlich relevant wird. Wie im Rahmen der Darstellung der Theorie Spendels betont, entspricht dieses Konzept dem realistisch-naturalistischen Grundverständnis. Das empirisch-reale Objekt ist das Wirkliche, die Basis jedes gültigen Urteils. Liegt das Wirkliche, das Objekt nicht vor, so sind die Urteile des Subjekts bloß subjektiv, ungültig, leer: Der böse Wille bezieht sich nicht auf den von der Norm gemeinten, von ihr definierten Sachverhalt, d.h., die Norm wurde nicht gebrochen239. Die Vertreter dieser Lehre erklären ihren Ansatz wie folgt: Die Straftat bedeutet, daß eine gegenwärtige (durch alle Tatbestandsmerkmale außer dem Erfolg definierte) Ausgangslage durch ein Verhalten des Täters bzw. durch einen vom Willen produzierten Kausalstrang in einen zukünftigen Sachverhalt gestaltet wird (der Erfolg als übriges Tatbestandsmerkmal). Das Wollen könne nämlich nur etwas in der Zukunft Liegendes zu verwirklichen erstreben240. Der Versuch soll also ein „Irrtum über einen zukünftigen Tatumstand“ sein (kurz: über den Erfolg als Tatbestandsmerkmal), d.h. der Täter irrt ausschließlich über die Kausalität der Handlung. Der Mangel am Tatbestand (Straflosigkeit) liegt demnach nicht in der Handlung, sondern in einem „Irrtum über einen gegenwärtigen Tatumstand“241, d.h. der Täter täuscht sich über das Vorliegen der Bedingungen (begleitende Umstände), die den Erfolg als tatbestandlich und normwidrig ermöglichen sollten, wenn die Handlung die Kausalität nicht verfehlt. Demzufolge läge kein Versuch vor, wenn „der Täter die eigene Sache, die er irrig für die von ihm zu entwendende fremde Sache hält, in Aneignungsabsicht wegnimmt; wenn er als Witwer, ohne sich dieser Eigenschaft bewußt zu sein, eine neue Ehe eingeht; wenn er eine über 14 Jahre242 alte Person zur Duldung unzüchtiger Handlungen verleitet; wenn er im irrigen Glauben an seine Beamteneigenschaft Geschenke annimmt“243. Verdienst der Lehre vom Mangel am Tatbestand ist es, die Bedeutung des Tatbestands und der Tatbestandsverwirklichung gegenüber der objektiven, auf die Rechtsgutsverletzung bzw. -gefährdung und der subjektiven, auf den bösen Willen abstellenden materiell-naturalistischen Theorien, hervorgehoben zu haben. Sie betont zudem zu Recht die Positivität des Strafrechts, nach der die 239 In diesem Sinne auch Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 283, nach dem diese Theorie durch Verwechslung des „kommunikativen Mediums“ mit „Teilen der Handlung (Mittel, Objekt)“, „die Bedingungen“ verfehlt, „unter denen die Selbstableitung der Pflicht aus der Norm stattfindet“. Mit demselben Problem müssen im Großen und Ganzen auch normativ-dualistische Straftrechtstheorien kämpfen, so etwa Zaczyk. Siehe hierzu unten Kapitel I, § 4. Eingehend zur Systematik des Dualismus auch unten, Kapitel II, § 5 B. 240 Vgl. zu Dohna, FG Güterbock, S. 47; Frank, Strafgesetzbuch, § 43, S. 66. 241 Frank, Strafgesetzbuch, § 43, S. 66; zu Dohna, FG Güterbock, S. 38 f., S. 56 ff. 242 Nach heutigem Recht liegt die Grenze beim 16. Lebensjahr, § 182 I StGB. 243 von Liszt/Schmidt, Lehrbuch, § 44, S. 300.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

Konstitution des normativen Kontexts, aus dem die Zuständigkeitsverteilung in der strafrechtlichen Zurechnungslehre erfolgen soll, an das Gesetz gebunden ist. Im Strafrecht geht es letztendlich um Normbrüche und nicht direkt um Rechtsgüterbeeinträchtigungen. Jedoch bleibt wiederum jedoch die methodische Herangehensweise an die Auslegung der Norm bzw. des normativen Kontexts verfehlt. Die genuin soziale Wirklichkeit der Norm wird vernachlässigt, denn beim Tatbestand und bei den Tatbestandsmerkmalen geht es nicht um naturalistische Ausschnitte bzw. Stücke der empirischen, psycho-physisch beobachteten Realität, sondern um die Ordnung der Welt in einer bestimmten Gesellschaft, d.h. um eine normative Wirklichkeit. Aus dieser materiellen Perspektive war bereits die Kritik v. Hippels zutreffend. Nach v. Hippel berücksichtigt die Begrenzung des Versuchsbegriffs, die die Lehre vom Tatbestand leistet, nicht zugleich einen einheitlichen sachlichen Maßstab. Denn sachlich „sind alle Deliktsmerkmale, Erfolg und andere, rechtlich gleich notwendig und inhaltlich gleich wesentlich: Die vorsätzliche Wegnahme, Zueignung oder Beschädigung einer (nicht fremden) Sache, die vorsätzliche Tötung eines Lebewesens ist ein juristisches Nichts (. . .). Angesichts dessen besteht schlechterdings keine sachliche Berechtigung, den einheitlich gedachten und nur so überhaupt zu erklärenden und zu rechtfertigenden Deliktstatbestand gerade in der Versuchslehre in zwei angeblich ungleichwertige Teile zu zerreißen“244. Naturalistisch gesehen kann zwar die Norm bzw. der normative Kontext, der die Norm konkret ausmacht, in empirische Elemente zerstückelt werden, nicht aber der Sinn des Tatbestandes als Ordnung einer Gesellschaft, als kommunikativer Zusammenhang, der durch die Versuchshandlung in diesem genuin strafrechtlichen Sinne perfekt gebrochen wird245. Erst eine Auslegung des Tatbestands, die den normativen Kontext definiert, ist die relevante, nicht aber eine auseinandergelegte, vereinzelte, notwendige Anwesenheit von naturalistisch gedeuteten Tatbestandsmerkmalen. Daß dadurch ein Tatbestandsmerkmal, nicht als ordnungsbeschreibendes Element, sondern als empirisches Element vorliegen muß (etwa ein konkreter Mensch beim Totschlag) ist auf diese Weise nicht ausgemacht. Problematisch ist schließlich die Verabsolutierung der Positivität des Strafrechts im Sinne eines geschriebenen und empirisch gedeuteten Gesetzes, die Gleichsetzung des Normtextes mit der (positiven) Norm, d.h. die Reduzierung der Positivität des Strafrechts auf einen empirisch gedeuteten Normtext, die es zur absoluten (Un-)Tauglichkeit der Tatmittel darauf ankommen läßt, daß – so 244 von Hippel, Lehrbuch, S. 432, S. 397 (Hervorh. dort). Vgl. auch die in diese Richtung gehende Kritiken von Bockelmann, JZ 1954, S. 470; Maurach/Gössel/Zipf, AT § 40, Rn. 130; Jakobs, AT, 25/16. 245 So Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 277; ders., AT, 25/21, 6/71; ders., ZStW 104 (1992), S. 82 ff., S. 83. Ihm folgend schon Reyes, ZStW 105 (1992), S. 109 ff., S. 133, 134; Vehling, Abgrenzung, S. 87; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 200 ff., S. 205, S. 237 f.

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v. Hippel – „das Mittel ausnahmsweise zum Tatbestandsmerkmal erhoben ist“246: Der Versuch der Tötung mit irrtümlich für giftig gehaltenen Mittel wäre zum Beispiel strafbar, weil § 212 StGB keine Mittel nennt; der Versuch der Vergiftung mit einem vermeintlich giftigen Mittel wäre nach § 229 StGB a. F. dagegen straflos, weil die Qualität als Gift ein Tatbestandsmerkmal bildete. IV. Eindruckstheorie Im Rahmen der Entwicklung der naturalistischen Versuchslehren konkretisiert die Eindruckstheorie die vorherrschende Version des naturalistisch-präventiven Ansatzes des Strafrechts, scil. der positiven Generalprävention, in einer Vereinigungstheorie zum Versuchsunrecht. Sie bildet heutzutage die herrschende Meinung zur Strafbarkeit des Versuchsunrechts247. Der Eindrucksgedanke wird vor allem für die Bestimmung des Versuchsbeginns und damit für die Abgrenzung des Deliktischen vom Noch-Nicht-Deliktischen entscheidend. Strafgrund des Versuchs ist – mit den Worten Weigends – „der einer Verhaltensnorm entgegengesetzte und betätigte Wille; die Strafwürdigkeit der auf die Tat gerichteten Handlung wird aber nur dann bejaht, wenn dadurch das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Geltung der Rechtsordnung erschüttert und das Gefühl der Rechtssicherheit und damit der Rechtsfriede beeinträchtigt werden kann (Eindruckstheorie)“248. 246 von Hippel, Deutsches Strafrecht, § 30, S. 434. Siehe auch etwa Mezger, Lehrbuch, § 53, S. 397. 247 Mit unterschiedlichen Nuancen Jescheck/Weigend, AT, § 49 II. 3., S. 514; (wenn auch kritisch) Weigend, Entwicklung, S. 121; Roxin, JuS 1979, S. 1 ff.; Mezger, Lehrbuch, S. 397; Schönke/Schröder /Eser, Strafgesetzbuch, Vorbem. 22, vor § 22, wenn auch „in Ermanglung eines bislang besseren“ Arguments; weiterhin Grünwald, FS Welzel, S. 712; SK-Rudolphi, Rn. 13, 14, vor § 22; Geilen, AT4, S. 149; Wessels/Beulke33, AT § 14, Rn. 594; Tröndle/Fischer51, § 22, Rn. 8; Streng, ZStW 109 (1997), S. 865; ders., FS Zipf, S. 333 f.; Walder, FS Leferenz, S. 537; Papageorgiou-Gonatas, Grenzen, S. 200 ff.; Maurach/Gössel/Zipf, AT § 40, Rn. 41; Gropp, Strafrecht AT, 9/ 48; Bloy, ZStW 113, (2001), S. 98; LK10-Vogler, vor § 22, Rn. 52 ff., 136; Schünemann, GA 1989, S. 311 („konkurrenzlose“ Versuchstheorie); Seier/Gaude, JuS 1999, S. 457; diese Theorie als „erklärungs-, teils ergänzungsbedürftig“ charakterisierend, sie aber dennoch befürwortend Radtke, JuS 1996, S. 878 ff., S. 880; mit Nuancierungen auch Niepoth, Der untaugliche Versuch, S. 84 ff.; J. Meyer, ZStW 87 (1975), S. 612. Vgl. schon zuvor von Gemmingen, Die Rechtswidrigkeit des Versuchs, S. 160 ff.; von Bar, Gesetz und Schuld II, S. 485 ff., § 256, § 273; Horn, ZStW 20 (1900), S. 346. Dem Eindrucksgedanken wird von manchen Kritikern dieser Lehre sogar eine gewisse „Berechtigung“ (Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 237) bzw. „Überzeugungskraft“ (Kühl, JuS 1980, S. 506; ders. Strafrecht AT4, 15/41, 15/93) bzw. ein unbedingter „Anlaß“-Charakter zur Konstruierung des Versuchsunrechts (Jakobs, AT, 25/20) eingeräumt. 248 Jescheck/Weigend, AT, § 49 II. 3., S. 514. Wobei die Akzente unterschiedlich gesetzt werden. Nach Bloy, ZStW 113 (2001), S. 98, bezeichnet der positiv generalpräventive Gedanke nicht die Strafwürdigkeit (Unwertaspekt), sondern die Strafbedürf-

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Wann eine solche Erschütterung anzunehmen ist, läßt sich ausgehend von einem subjektiv-naturalistischen Grundverständnis des Unrechts nur auf der Basis des bösen Willens begründen, welcher in Übereinstimmung mit der subjektiven Theorie und dem ontologischen Handlungsbegriff des Finalismus als Baustein des strafrechtlichen Systems nie fehlen darf249. Der Finalismus geht nämlich von einer naturalistischen Grundordnung aus, die entscheiden soll, welche Gegebenheiten die ontologischen Grundlagen der strafrechtlichen Wertung ausmachen250. Der auf der individuell-psychologischen, im Sinne Welzels auch „anthropologischen“ Intentionalität beruhende teleologische Zusammenhang zwischen Erfolg und Subjekt sei die gegenständliche Seinsgrundlage einer möglichen strafrechtlichen Wertung251. Aber selbst bei einer nicht ontologisierenden, sondern teleologischen, an naturalistisch-präventiven Strafzwecken orientierten Konzeption liegt solch eine subjektivistische Tendenz nahe. Verkümmert in einem naturalistisch-präventiven Strafkonzept die subjektive Tatseite zu einem Moment der objektiven Gefährlichkeit252 und kommt es zu keiner Rechts(guts)verletzung, dann kann man die Richtung der subjektiven Tatseite, den Plan des Willens, die böse oder gute Motivation des Handelnden (psychologischer Wille als Element, ohne das man im naturalistischen Sinne nicht versuchen kann) zur (sei es wieder betont: naturalistischen) Konstruktion des Versuchsunrechts „schwerlich ganz außer Betracht lassen“253. Liegt der Wille als unbedingtes bzw. unerläßliches Unrechtselement, als Vorsatz254 vor, können die sonstigen Wertungen bzw. – nach einem finalistischen Konzept – die (ersten) Wertungen des Strafrechts auf das Täterverhalten bzw. – nach einem finalistischen Konzept – auf die „personale Handlung“ projiziert werden. Schon Welzel hatte versucht, die Strafbarkeit finaler Handlungen bzw. vorsätzlicher Handlungen mit Hilfe des Gedankens der Sozialadäquanz einzuschränken. Dieses Kriterium wäre auf diese Weise eine zum vorsätzlichen Verhalten hinzukommende, soziale, ergänzende Haftungsbegründung255: Bei indivi-

tigkeit. Radtke, JuS 1996, S. 880 m. w. H., sieht seinerseits die Strafwürdigkeit als „Bestandteil der Unrechts- und Schuldebene“. Der Gedanke ist aber der gleiche: Die als Versuche gekennzeichneten Verhaltensweisen müssen zudem die Erfordernisse der positiven Generalprävention erfüllen. 249 Roxin, Jus 1979, S. 1. Siehe zur ontologischen Grundordnung bzw. Grundlage des Strafrechts im Finalismus oben 1. Kap., § 2 A. II. 2. a). 250 Siehe Welzel, Naturalismus, S. 74 ff.; dens., ZStW 51 (1931), S. 703 ff. 251 So Welzel, Naturalismus, S. 79; ders., ZStW 58 (1939), S. 497 ff. 252 Köhler, FS Hirsch, S. 69. Dazu schon oben 1. Kap., § 1 A. II. 1. b) und 3. 253 Roxin, FS Klug, S. 311. Vgl. auch Cancio-Meliá, GA 1995, S. 183. Zu Roxin, Lesch, Verbrechensbegriff, S. 166 f. 254 Zur Gleichstellung von Vorsatz- und Willensbegriff im Welzelschen Finalismus Jakobs, Handlungsbegriff, S. 23 f. 255 Der Gedanke der Sozialadäquanz wurde auf verschiedenen Ebenen eingeordnet: als Tatbestandsausschließungsgrund, als Rechtfertigungsgrund oder als Entschuldi-

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duellen Sinnausdrücken sind also nur diejenigen unrechtsrelevant, die auch in sozialer Hinsicht verwerfliche Sinnausdrücke konstituieren. Werden der individuell-personale Sinnausdruck bzw. der böse Wille und der soziale Sinnausdruck letztendlich auf einem empirisch-faktischen Niveau beobachtet, dann bleibt man bei einer naturalistischen Methode stehen: Der geäußerte Vorsatz wäre sozial relevant, wenn nach einer sozialen Wertung, d.h. nach sozial relevanten Kriterien das Verhalten störend ausfiele; ist aber das Soziale naturalistisch zu beobachten, sind naturalistische Sachverhalte und Wertungskriterien für das Strafrecht auch ausschlaggebend: faktische Feststellungen bzw. Erwägungen, etwa Normalitäts- bzw. Auffälligkeitskriterien zum Verhalten im sozialen Kontext, statistische bzw. quantitative Kriterien, utilitaristisch oder hedonistisch orientierte Abwägungen, sonstige sog. sozialethische Urteile in Form von Intuitionen vom sozial Abstoßenden bzw. in Form von Eindrücken bzw. Gefühlen davon, daß bestimmte Verhalten das Vertrauen in die Norm brechen und so die Normtreue oder die Rechtssicherheit untergraben können. Solche Aspekte, für die mit Klugheitserwägungen argumentiert werden kann, beanspruchen, kluge naturalistisch-präventive Zwecke zu befriedigen, die sich freilich innerhalb eines naturalistisch beobachteten Strafrechts unterschiedlicher Plausibilität erfreuen. Hervorzuheben ist an erster Stelle der eher am Begriff der Normgeltung orientierte Zweck, scil. der Schutz vor anormal auffallenden bzw. asozialen Eindrücken des Verhaltens, um das Vertrauen in das normtreue Verhalten der Mitbürger, ihre Rechtssicherheit, die Stärkung ihrer Gesinnung zu sichern. An zweiter Stelle ist der eher am Rechtsgüterschutzdogma orientierte Zweck zu betonen, scil. der Schutz von Rechtsgütern bzw. ihre wirtschaftliche oder nach vielfältiger Berücksichtigung anderer Aspekte determinierte Maximierung oder Optimierung, usw. Die Zurechnung zum Versuchsbeginn kann nach diesem Konzept nicht anders konstruiert werden. Die heute herrschende Meinung hat sich hierbei für den Ausdruck „Eindruckstheorie“ entschieden. Nach dem Eindruck als Begriff bzw. Konstruktion eines rechtsfriedensstörenden, sozial-psychologischen Erlebnisses in der Gesellschaft soll die Zuständigkeitsverteilung zum Versuch und im konkreten zum Versuchsbeginn im Strafrecht stattfinden. Der die Normtreue erschütternde Eindruck als ergänzende soziale Haftungsbegründung wird als faktisch-soziale Bewertung zumeist sowohl auf faktisch-subjektive256 wie faktischgungsgrund, als Auslegungsprinzip u. a. Siehe dazu Roxin, FS Klug, S. 303 ff., S. 304 ff. 256 Zur tendenziellen Subjektivierung bei faktisch-sozialer Bewertung der Handlung siehe Roxin, FS Klug, S. 311; Cancio-Meliá, GA 1995, S. 183. Einige Autoren, wie Baumann/Weber, AT § 26 I. c); Vehling, Abgrenzung, S. 60, kritisieren an der Eindruckstheorie, daß eine Handlung, die das Rechtsgut nicht einmal zu gefährden vermag, den – sozialpsychologisch gemessenen – Rechtsfrieden nicht erschüttern kann. Dabei vergessen sie, daß sich die Gesellschaft durch bösen Willen erschrecken läßt,

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objektive Momente zurückgeführt, je nach dem Wirkungsgehalt der entsprechenden objektiven und subjektiven Gegebenheiten für die Allgemeinheit257. Die auf der Basis dieser empirisch-faktischen Sachverhalte konstruierte Wirkung des Verhaltens als „sozialpsychologische Wirkung“258 des Verhaltens wird heutzutage259 durch eine nachträgliche Feststellung der Eignung des Verhaltens zur Herbeiführung dieser Wirkung gemessen260. Der rechtserschütternde Eindruck kommt auf diese Weise zu den anderen naturalistischen Kriterien hinzu und bildet in Zusammenhang mit diesen eine Vereinigungsformel261, die nach der konkreten nachträglichen Prognose im Einzelfall zu spezifizieren ist. In einigen Fällen werden objektiv-naturalistische Kriterien (etwa eine objektive Rechtsgutsgefährdung) eindruckstragend und folglich unrechtsbestimmend, in einigen Fällen nicht262. Der Versuch wäre die vorsätzliche Produktion eines rechtserschütternden Eindrucks in der Allgemeinheit. Nach Ansicht der Verfechter dieser Theorie, werde eine solche Leseart der Fassung des geltenden Rechts am ehesten gerecht. So erkläre es sich, „daß der Versuch nach § 22 StGB erst mit dem unmittelbaren Ansetzen beginnt; denn d.h. der Eindruck ist nicht notwendig ein durch die Augen wahrnehmbarer und in diesem Sinne objektiv-naturalistischer Begriff als ein äußeres Erscheinen, er ist ein naturalistisches Konstrukt. 257 Roxin, Jus 1979, S. 1: „Der rechtserschütternde Eindruck (kann) sowohl auf der betätigten rechtsfeindlichen Willenstendenz des Täters wie auf der objektiven Gefährdung des Handlungsobjekts beruhen“. Anders Roxin, FS Haruo Nishihara, S. 158 ff., welcher den Gefährlichkeitsgedanken neuerdings hervorhebt und den Eindrucksgedanken in Frage stellt. Er zieht ihn aber für die Fälle des untauglichen Versuchs als Ergänzung zur Tätergefährlichkeit heran. Den Begriff des Gefährlichkeitsgedanken neuerdings auch betonend schon Weigend, Entwicklung, S. 126 f. 258 Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. 22, vor § 22. 259 Vgl. aber von Bar, Gesetz und Schuld, S. 534 ff., der auf die tatsächliche, nicht konstruierte Erschütterung der Allgemeinheit abstellt. Zu v. Bar und zum „dolus ex re“ eingehend kritisch Niepoth, Der untaugliche Versuch, S. 73 ff. 260 Siehe Roxin, FS Haruo Nishihara, S. 170; dens., AT II, § 29, Rn. 47; ausführlich Niepoth, Der untaugliche Versuch, S. 88 ff. Wobei die Eignung unterschiedlich konstruiert wird, was nicht zuletzt in der Vagheit des Eindruckskriteriums liegt. Dazu kritisch u. a. Weigend, Entwicklung, S. 123; Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 138; neulich in diese Richtung auch Roxin, AT II, § 29, Rn 47. 261 Wobei fraglich bleibt, ob diese Theorie als bloß ergänzende Theorie den anderen naturalistischen Theorien etwas Wesentliches hinzufügen kann. Hierzu auch Kühl, AT4, 15/42, der in diesem Sinne darauf hinweist, wie zur Eindruckstheorie die verschiedensten Kriterien und Lösungen passen. Siehe dazu auch Weigend, Entwicklung, S. 122; Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 138 f., der zutreffend kritisiert, daß das zugrundeliegende Hauptproblem – wie noch zu sehen sein wird – im Begriff der Allgemeinheit liegt. 262 Roxin, JuS 1979, S. 1; Radtke, JuS 1996, S. 880, nach dem (S. 881) an der möglichen Relevanz der Rechtsgutsgefärdung „deutlich“ werde, daß „der Rechtsgutsbezug für die Begründung des Versuchsunrechts dennoch nicht vollständig verloren“ gehe. Der Paradigmenwechsel ist aber deutlich. Es geht in dieser Arbeit genau darum, diesen Paradigmenwechsel in der herrschenden Meinung präziser zu fassen.

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bloße Vorbereitungen bleiben meist im Verborgenen, lassen verschiedenen Deutungen Raum und beeinträchtigen den Rechtsfrieden in der Regel nicht so sehr, daß Strafe erforderlich wäre“263. Außerdem werde verständlich, daß bei „grobem Unverstand“ (§ 23 III StGB) mangels stärkerer Erschütterung von Strafe abgesehen werden könne, bei untauglichem Versuch (etwa Schießen mit einer heimlich entladenen Waffe) wegen Störung des Rechtsfriedens zu bestrafen sei, oder je nach der Stärke des Eindrucks die Strafe gemildert werden könne (Kann-Milderung)264. Dieser auf die Psychologie des Bürgers abstellende Ansatz stößt jedoch schon auf das Problem, daß die sozialpsychologische Wirkung empirisch kaum zu ermitteln ist; sie ist eine Konstruktion der nachträglichen Prognose, so daß die Entscheidung über das rechtliche Empfinden dem konkreten Richter überlassen bleibt265. Entgegen der von ihren Vertretern behaupteten Straflosigkeit abergläubischer Versuche, könnten z. B. diese je nach der konkreten Konstellation eine erschütternde Wirkung herbeiführen, etwa in bestimmten ländlichen Gegenden266 oder beim öffentlichen Gebet eines Landesbischofs um den Tod des Landesherrn267. Der Eindruckstheorie ist grundsätzlich entgegezuhalten, nicht hinreichend zu berücksichtigen, daß strafbar nur das Unrecht in konkretisierter Form, als Delikt, als Tatbestandsverwirklichung ist, und nicht ein Eindruck bzw. eine Erschütterung des Rechtsfriedens, des Normvertrauens268. Wird dem strafrechtlichen Versuch nicht das Tatunrecht, sondern der Verhaltenseindruck als Substrat zugrundegelegt, liegt es nicht fern, nicht nur den Plan (den bösen Willen), sondern auch die Tätergefährlichkeit als subjektives Zurechnungskriterium etwa bei 263 Roxin, Jus 1979, S. 1; ders., AT II, § 29, Fn. 46; Jescheck/Weigend, AT, § 49 II. 3., S. 514. Kritisch LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 79 f. Zu Recht Rath, JuS 1998, S. 1008: „Welcher Grad von Erschütterung(seignung)“ soll erfoderlich sein? 264 Siehe statt aller Roxin, JuS 1979, S. 1; Jescheck/Weigend, AT, § 49 II. 3., S. 514; Radtke, JuS 1996, S. 881 ff. Zweifel an der Plausibilität dieser Argumentation werden zunehmend geäußert, etwa von Roxin selbst, FS Haruo Nishihara, S. 158 f, wo er neuerdings den Gefährlichkeitsgedanken für vorrangig hält; Weigend, Entwicklung, S. 122, Fn. 48, nach dem der Eindrucksgedanke nicht erklären kann, warum bei durchaus tauglichen Versuchen die Strafe gemildert werden kann (im Anschluß an die Formulierung Roxins, JuS 1979, S. 1, daß bei Ausbleiben des Erfolges „das allgemeine Gefühl der Rechtssicherheit meist weniger beeinträchtigt als bei vollendeter Tat“), und warum eindrucksvolle Vorbereitungshandlungen straflos bleiben, selbst wenn sie die Rechtssicherheit verletzen. Kritisch auch LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 79 f.; MK-Herzberg, § 22, Rn. 7, Rn. 18 f. 265 So u. a. LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 78. 266 Baumann/Weber, AT, § 32 I. 2. c). Auf „ganz diffusen, irrationalen Faktoren“ weist auch Rath, JuS 1998, S. 1008. 267 Jakobs, AT, 25/22. 268 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 23; Jakobs, AT 25/20; Bottke, FG 50 Jahre BGH, S. 140 ff.; Vehling, Abgrenzung, S. 60; Kühl, Strafrecht AT3, 15/41, der Bedenken bzgl. des Grundsatzes „nullum crimen“ für naheliegend hält.

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untauglichen Versuchen als sicherheitsbeeinträchtigendes Moment für relevant zu erklären, so vor kurzem noch Roxin269. Damit nähmen die individuell-subjektiven Momente des Kontexts eine entscheidende Rolle ein. Sie würden nämlich zu einem das Normvertrauen, das Gefühl der Sicherheit beeinträchtigenden Grundaspekt, was dem vornehmlich subjektivistischen Ansatz ihrer Vertreter entspricht. Bei einem solchen Ansatz ist eine exzessive Ausweitung der Strafbarkeit von vornherein nicht auszuschließen, auch Vorbereitungshandlungen wären strafbar. So kritisiert Jakobs, daß die minutiöse Vorbereitung eines Totschlags eindrucksvoll sein kann, aber nicht bestraft werden darf. Und Jakobs bemerkt wiederum, daß sich das Problem auch umgekehrt stellt, denn die (formelle) Vollendung des Delikts mag schon stattgefunden haben und erst später geeignet sein, in der Allgemeinheit Eindruck zu hinterlassen, wie etwa bei der Urkundenfälschung270. Der Eindruck scheint also – so etwa Zaczyk – ein rein äußerliches271 Einschränkungs- oder Strafwürdigkeitskriterium zu sein, welches – zum Unrechtsbegriff eigentlich nicht gehörend – zum Unrechtsurteil hinzukommen muß272. Die Kritik Zaczyks lautet: „Eine Tat, die nach den sonst geltenden Kriterien (etwa Gefährdung eines Rechtsguts) kein Unrecht darstellt, wird als Unrecht behandelt, weil sie so erscheint. Damit aber wird das Tatstrafrecht auf eine Stufe zurückversetzt, die es in einer zum Teil mühsamen Entwicklung verlassen hat; das Eindrucksmoment als Entscheidung über die Strafbarkeit ist gedanklich anzusiedeln etwa bei Feuerbachs Lehre vom Mangel am Tatbestand, der Lehre vom versari in re illicita (. . .). Hier zeigt es sich (. . .), weshalb man das Eindrucksmoment nicht dadurch retten kann, daß man es als bloßes Korrektiv einer im übrigen subjektiven Versuchstheorie verwendet. Denn das heißt, daß man einen zugegebenen Mangel der subjektiven Theorie (daß sie zu viele Fälle als Versuch erfaßt) zugibt, ihn aber durch ein selbst mangelhaftes Moment auszugleichen verspricht“273. 269

Roxin, FS Haruo Nishihara, S. 161. So die Beispiele von Jakobs, AT, 25/20. Siehe auch Kühl, Strafrecht AT3, 15/43. Jetzt auch Roxin, FS Haruo Nishihara, S. 170 und Weigend, Entwicklung, S. 122. 271 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 26; ähnlich LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 78. 272 In diesem Sinne etwa auch Murmann, Versuchsunrecht, S. 4; Hirsch, FS Roxin, S. 714. 273 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 26 f. Siehe auch Vehling, Abgrenzung, S. 60; Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 210; Schmidhäuser, StuB 11/20; Murmann, Versuchsunrecht, S. 4. Auch nach der Ansicht Stratenwerths, AT3 § 11, Rn. 567, soll die Eindruckstheorie keine Unrechtslehre ausmachen. Sie liefert höchstens „Plausibilitätsgründe“ zur Lösung von Einzelfällen. Nach Herzberg schildert die Eindruckstheorie nicht den Strafgrund, sondern eine mögliche Konsequenz eines strafbaren Versuchs: „Nicht der rechtserschütternde Eindruck würde die Strafbarkeit wegen Versuchs begründen, sondern das Vorliegen eines strafbaren Versuchs wäre der Grund, einen rechserschütternden Eindruck“ hervorzurufen (MK-Herzberg, § 22, R. 18). 270

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Daß das Unrecht äußerlich bzw. von Außen her bestimmt werden kann, d.h. nach gesellschaftlichen Erwägungen der Allgemeinheit, ist an sich kein Einwand, sondern vielmehr ein legitimer Ansatzpunkt, wenn die Gesellschaftlichkeit adäquat im strafrechtlichen System, im Unrechtsbegriff, integriert wird. Nach der Ansicht Zaczyks geht das nur deswegen nicht, weil die Bestimmung der strafrechtlichen Kategorien (scil. Unrecht und Schuld) in seinem System nicht zweckrationalen Gesichtspunkten (von außen) untergeordnet werden können. Die Zwecke der Gesellschaft sollen der Subjektivität des Einzelnen als Leitmotiv nicht entgegenzuhalten sein. Seiner Kritik ist immerhin insoweit zuzustimmen, als erstens die gesellschaftlichen Erwägungen schon in das Unrecht zu integrieren sind274 und zweitens das Kriterium ein mangelhaftes ist, weil – so Stratenwerth – „sich Erfordernisse der Generalprävention (. . .) nicht unmittelbar in Regeln der strafrechtlichen Wertung umsetzen lassen, schon deshalb nicht, weil dies, mangels verläßlichen Erfahrungswissens, wiederum nur auf der Basis sehr anspruchsloser Alltagstheorien geschehen könnte“275. Das führt nach Stratenwerth zu einem Zirkelschluß: „Der Versuch soll das Vertrauen auf die Geltung der rechtlich geschützten Ordnung dann gefährden, wenn er als strafwürdig erscheint, und umgekehrt“276. Und drittens soll der sozialen Sinnhaftigkeit des strafrechtlichen Unrechts ein nicht nur nach Gefühlen, mangelhaft konstruiertes, sondern anspruchsvolles gesellschaftstheoretisches Verständnis zugrundeliegen, das der Funktion des Strafrechts und den Kriterien der strafrechtlichen Zuständigkeitsverteilung gerecht wird277. Die Theorie der Generalprävention, die diese Theorie impliziert, baut nämlich auf einem sehr psychologisierenden Verständnis der Gesellschaftlichkeit auf, das dem noch „in Mode“278 stehenden Naturalismus entspricht: Gesellschaftlichkeit bedeutet für das Strafrecht hiernach Gebundenheit über Sicherheitsgefühle, über kognitive Erwartungen. So wie die Strafe die Aufgabe hat, dem Täter und allen Bürgern sozialpsychologisch zu demonstrieren, an dem falschen Verhalten sei nicht festzuhalten (Einübung in Normtreue), so wird ein Verhalten erst dann strafbar, wenn es sozialpsychologisch geeignet ist, der Allgemeinheit zu verdeutlichen, daß eine Verhaltensweise (die Norm) nicht mehr als leitend gilt. Anders ausgedrückt: Die Strafe soll ihre sozialpsychologische Wirkung nur auslösen, wenn das Vertrauen der Bürger sozialpsychologisch er274

Zutreffend insoweit Murmann, Versuchsunrecht, S. 4. Stratenwerth, Strafrecht AT3 § 11, Rn. 658; ders., Strafrecht AT4, 11/21; ähnlich Rath, JuS 1998, S. 1108; Hirsch, FS Roxin, S. 714 f. Der Versuch bliebe nur eine Frage der Kriminalpolitik, so auch Kühl, Strafrecht AT3, 15/41; Weigend, Entwicklung, S. 122. 276 Stratenwerth, Strafrecht AT4, 11/21. 277 Vgl. hierzu auch Hirsch, FS Roxin, S. 714 f. 278 Diese Ausprägung der Strafzwecklehre wird selbst von Weigend, Entwicklung, S. 122, als eine „spezifische“ erachtet, die „morgen jedoch schon wieder aus der Mode sein kann“. 275

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

schüttert werden kann. Nicht die Kausalität, nicht die Gefährdung und auch nicht der böse Wille sind letztendlich der Strafgrund des (Versuchs-)Unrechts, sondern eine Sozialpsychologie, die, wenn sie in ihrer Identität erschüttert wird, gleichsam wieder therapeutisch ausgeglichen werden soll. Der Täter darf solange strafrechtlich mit den anderen umgehen, wie sein Verhalten seine Mitbürger mit einem „anormalen“ Verhalten nicht zu erschüttern vermag. Das Problem der Eindruckstheorie ist also nicht nur eine falsche Formulierung des strafrechtlichen Zusammenhangs279, sondern ein zu faktisches, sozialpsychologisches und naturalistisches Begreifen der strafrechtlichen Sozialwirklichkeit, der Funktion und Identität des Strafrechts. Das Strafrecht verbietet nämlich nicht sozialpsychologisch erschütternde Verhaltensweisen, nicht eine auffällige, anormale „Tat“, sondern tatbestandsverwirklichendes Verhalten280, das eine Gesellschaft mit ihren Maßstäben für unvereinbar hält. Dem Täter wird vorgeworfen, er habe etwas getan, was in dieser konkreten Gesellschaft strafrechtlich nicht erlaubt ist, nicht aber, daß er die Allgemeinheit verunsichert hat. Bei der Bewertung des Verhaltens geht es also nicht darum, daß das Täterverhalten den Richter (als „Umschreibung“ der anderen Bürger) in seinem sozialpsychologischen Empfinden des Strafrechts erschüttert hat. Denn der Richter muß nicht psychologisch, sondern normativ bewerten. Die Herausforderung liegt nicht darin, die Kriterien der Zuständigkeitsverteilung juristisch-intuitiv bzw. juristisch-psychologisch zu fassen oder irgendwie der konkreten juristischen Urteilskraft zu überlassen, sondern sie nach einem adäquaten Gesellschaftsverständnis als strafrechtlich-normatives281 Deutungsschema dogmatisch plausibel zu erläutern.

279 Vgl. in diesem Sinne die mild formulierte Kritik von Jakobs, AT, 25/20; dens., Zur gegenwärtigen Straftheorie, S. 39. 280 Vgl. Jakobs, AT, 25/20; Kühl, AT4, 15/41; Hirsch, FS Roxin, S. 723 f.; aus verfassungsrechtlicher Perspektive Bottke, FS 50 Jahre BGH, S. 142. 281 Hier liegt der Hauptpunkt der Kritik von Jakobs, die Eindruckstheorie sei zumindest falsch formuliert. Sie mag zu plausiblen Ergebnissen kommen, aber nur weil sie bestenfalls das Deutungsschema des Kommunikationszusammenhanges im Einzelfall je nach der „juristischen Urteilskraft“ des Auslegers gleichsam „juristisch-intuitiv“ durchschaut, um es nachher in die (fast alles erlaubende) Formel der Eindruckstheorie einzupassen. Die rechtswissenschaftliche Aufgabe, diese Kommunikationszusammenhänge zu erörtern, bleibt aus. Resultat ist erstens eine insoweit zufällige Dogmatik (siehe auch Kühl, AT4, 15/42 f.). Zweitens wird die Anstrengung des „Begriffs“ aufgespart (im Hegelschen Sinne, dazu unten 2. Kapitel, § 5 B. II.), und ein tieferliegender Sachverhalt wird falsch formuliert, nämlich, wie Habermas zum Gedanken Cassirers hervorhebt, daß „die Stellung des Menschen in der Welt sich durch eine formgebende Kraft aus(zeichnet), die sinnliche Eindrücke in sinnhafte Gebilde verwandelt“ (Habermas, Die befreiendende Kraft der symbolischen Formgebung, in: Vom sinnlichen Eindruck zum symbolischen Ausdruck, S. 37); „Daß die über Sinnesreize laufenden Kontakte mit der Welt symbolisch zu etwas Sinnhaftem verarbeitet werden, ist konstitutiv für die menschliche Existenz und bildet zugleich, in einem normativen Sinne, den Grundzug eines humanen Daseins“ (Habermas, S. 15).

§ 2 Zur naturalistischen Entwicklung des Begriffs

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Interessanter in diesem Zusammenhang ist der erste Ansatz Welzels zur Sozialadäquanz282: „Handlungen, die sich innerhalb des Rahmens der sozialen Ordnungen bewegen, unterfallen niemals Deliktstatbeständen (. . .)“. „Sozialadäquat sind alle Betätigungen, die sich innerhalb des Rahmens der geschichtlich gewordenen sozialethischen Ordnungen des Gemeinschaftslebens bewegen“283. „Nun ist der Gedanke, daß das Heer im Kampf um Leben und Tod lauter strafrechtliche Tatbestände – wenn auch rechtmäßig – verwirkliche, zu absurd, zu papieren konstruiert, als daß er richtig sein könnte. In Wahrheit liegen die Dinge genau so wie im Verhalten innerhalb der Friedensordnung: wie innerhalb der Friedensordnung sozial-adäquate Handlungen, auch wenn sie Güterverletzungen herbeiführen, keine deliktisch-tatbeständsmäßige Handlungen sind, so ist es auch in den kriegerischen Kampfsituationen: auch hier unterfallen (wie wir sagen können) ,kriegsadäquate‘, kriegsnormale Handlungen von vornherein nicht deliktischen Tatbeständen. Diese beginnen erst da, wo die Adäquanz überschritten wird“284. Die tatbestandlichen Handlungen haben nach diesem Gesichtspunkt „weder mit Kausalität, noch mit Vorsatz etwas zu tun, sondern mit der sozialen Bedeutung der Handlung, die wir als soziale Adäquanz bezeichnet haben“285. Ist hiernach der „strafrechtliche“ Handlungsbegriff ein Produkt der geschichtlichen sozialen Ordnung, der sozialen Bedeutung, der sozialen Sinnhaftigkeit, müssen die sozialen Bedingungen von Sinn beachtet werden286. Der Handlungsbegriff ist mit seinen Elementen – Vorsatz und Fahrlässigkeit eingeschlossen287 – ein soziales Begreifen, nämlich die schuldhafte Handlung288. Dieses Begreifen ist nicht eine faktische, empirische Feststellung, sondern Produkt einer geschichtlichen Ordnung, die empirischen Fakten eine soziale Bedeutung zumißt. Nicht die Fakten, sondern das, was sie nach einem sozialadäquaten, strafrechtlichen Deutungsschema an Sinngehalt ausdrücken, sind demnach relevant. Kurz: Nicht eine naturale, vor-strafrechtliche oder außer-strafrechtliche Ordnung determiniert den Tatbestand. Der strafrechtlichen (Täter-)Person ist weder eine vor-gelagerte, ontologische (nach einer Naturordnung determinierte) Person (daher der Ausdruck personale Handlung) zugrundezulegen, noch ist an ihre 282 Zur Entwicklung der Sozialadäquanz bei Welzel, Cancio-Meliá, GA 1995, S. 179 ff., S. 182 f. m. w. H. Zu den unterschiedlichen Fassungen des Gedankens der Sozialadäquanz siehe Roxin, FS Klug, S. 303 ff., S. 304 ff. 283 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 2. Aufl., 1949, S. 36. Vgl. dens., ZStW 58 (1939), S. 491 ff., S. 516. 284 Welzel, ZStW 58 (1939), S. 491 ff., S. 527. 285 Welzel, ZStW 58 (1939), S. 491 ff., S. 517. 286 So die Kritik von Jakobs, Handlungsbegriff, S. 30, an dem Welzelschen Handlungsbegriff. 287 So auch Roxin, ZStW 74 (1962), S. 434. 288 Vgl. Roxin, ZStW 74 (1962), S. 434; Jakobs, Handlungsbegriff, S. 27 f., S. 30, S. 45 f.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

Taten von außen nach faktischen Strukturen der Gesellschaft ein ergänzendes, haftungsbegrenzendes Wertungsschema anzulegen. Es geht vielmehr um die strafrechtliche Ordnung als Ordnung einer Gesellschaft, die ihre (inner-)strafrechtlichen Kategorien und damit einen genuin strafrechtlichen Tat- bzw. Handlungs- und Täterbegriff schafft289. Nicht der empirische Eindrucks-, sondern der normative Ausdrucksgehalt bestimmt dann das Versuchsunrecht, die Versuchshandlung und das Schon-Deliktische, den Versuchsbeginn.

289

So Jakobs, Handlungsbegriff, passim.

§ 3 Die Diskussion zu § 22 StGB („Begriffsbestimmung des Versuchs“) A. Die Kollision der herkömmlichen naturalistischen Methode zur Bestimmung des Versuchsunrechts mit § 22 StGB („Begriffsbestimmung des Versuchs“) I. Das Problem: § 22 StGB als Versuchsbegriff oder als Abgrenzungsregel des Versuchsbeginns? 1. Die naturalistisch vereinfachte Begriffsauslegung des Versuchs: der Versuch als hypothetischer Imperativ bzw. als Klugheitsregel Nach seiner Überschrift enthält § 22 StGB die gesetzliche „Begriffsbestimmung“ zum „Versuch“; dem entspricht auch seine Formulierung: „Eine Straftat versucht, wer . . .“. Dagegen wird aber vorgebracht, daß die Begriffsbestimmung des Versuchs eigentlich nicht den Versuch insgesamt, sondern einfach eine (approximative) Abgrenzungsformel enthalte oder nur den Versuchsbeginn – nicht also den der h. M. entsprechenden, schon den Tatbestand teilverwirklichenden (unbeendeten oder beendeten) Versuch – begrifflich erfasse1. Die Auseinandersetzung zum Begriff des Versuchs wird also nicht nur materiell-rechtlich über den Strafgrund des Versuchs, sondern positiv-rechtlich über die Diskussion in 1 Vgl. u. a. Jakobs, AT, 25/55; Schönke/Schröder/Eser, § 22, Rn. 1 („Entgegen seiner Überschrift gibt § 22 keine volle Begriffsbestimmung, sondern nennt lediglich die für den Versuchsbeginn maßgeblichen Kriterien“), 25/37 („Versuchsminimum“); Hruschka, GS Zipf, S. 253 („Die Kriterien des § 22 dtStGB werden für das delictum perfectum also regelrecht umgedreht, um ein angemessens Ergebnis zu erzielen“); Jescheck/Weigend, AT, S. 521 („unbeendigter Versuch“); Kühl, JuS 1980, 121(„nur eine Formel für die Abgrenzung“, „nicht mehr als eine Leitlinie für die Lösung“ der Abgrenzung); dens., AT4, § 15, Rn. 1, Rn. 20 („Mindestvoraussetzung“; „hat der Täter schon mehr getan (. . .) so muß die Abgrenzungsformel des § 22 nicht bemüht werden“); Jescheck AT4, S. 469 („Mindestvoraussetzung“); Meyer, JuS 1977, S. 20 („nur eine Formel“ „im technischen Sinne“); LK10-Vogler, § 22, Rn. 30 („verkürzte Begriffsbestimmung“ und „Leitlinie zur Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch“), auch wenn für diesen Autor, § 22, Rn. 75 ff., auch § 22 StGB beim beendeten Versuch und Versuch durch mittelbaren Täterschaft anzuwenden ist; Vogler, FS Stree/Wessels, S. 285, Fn. 1 („Leitlinie für die Lösung des Abgrenzungsproblems“), S. 298 („Mindestvoraussetzung“); LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 11 (unvollkommene Begriffsbestimmung), § 22, Rn. 1, Rn. 8 („Bestimmung des Versuchsbeginns“); NK- Zaczyk, § 22, Rn. 1 („Die Begriffsbestimmung des § 22 gilt nicht dem Versuch insgesamt, sondern lediglich seinem Beginn“).

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

der Literatur zum „Versuchsbeginn“ anhand § 22 StGB geführt. Auf der Basis der naturalistischen Methode wird die Gesetzesbestimmung nicht in vollem Umfang ernstgenommen; die naturalistische Lesart strafrechtlicher Begriffe, nicht die Gesetzesbestimmung bleibt ausschlaggebend. Der Versuch schützt nach naturalistischer Methode – auf der Basis des Verständnisses des jeweiligen Strafgrundes unterschiedlich – naturalistisch beobachtete Freiheitssphären. Beim Versuch, wie bei der Vollendung, können diese Sphären nur durch empirische Gegebenheiten oder Konstrukte beeinträchtigt werden, was sich insbesondere in der Bildung irgendwie konstruierter psychischer Kriterien niederschlägt (das Wissen und Wollen des Täters als Individuum, seine Gesinnungen, ein – eben innerpsychischer bzw. psychosoziologischer – Vertrauensbruch, die Beeinträchtigung der Sicherheit etwa durch erschütterungsfähige Eindrücke, etc.), sowie physische Kriterien (kausal-mechanistisch definierte Kausalität und Gefahr für Rechtsgüter bzw. Rechtsgutsobjekte). Mit solchen Kriterien wird auf der Basis eines naturalistisch-präventiven Strafrechts anhand hypothetischer Imperative argumentiert, d.h. auf der Basis von Klugheitsregeln. Auf diese Weise wird unter Anwendung des naturalistisch gebildeten Strafgrunds des Versuchs die Abgrenzung von Versuch und Vorbereitung je nach Abwägung des jeweiligen Urteilers zu einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden beweglichen, nicht entscheidenden Grenze. Dies sieht auch Roxin: „Aus den Kriterien, die für den Strafgrund des Versuchs maßgebend sind, lassen sich für die Abgrenzung von strafloser Vorbereitung und strafbarem Versuch keine weiterführenden Lösungen entwickeln (. . .). Denn alle diese Gesichtspunkte treffen mehr oder weniger auch auf Vorbereitungshandlungen schon zu“2. Je nach dem Gewicht des präventiven oder an Rechtsgutsobjekten gebundenen Strafzwecks gelangen die jeweiligen Theorien zu einer verallgemeinert statistischen Gefahrenbestimmung (Kratzsch, Mir-Puig) oder zu einer konkreten ex-post Bestimmung des Gefahrenbegriffs (wie zum Teil die älteren objektiven Theorien) und können auf diese Weise die jeweils anderen Theorien etwa deswegen kritisieren, weil diese ausgehend von den je eigenen Kriterien der Strafwürdigkeit „zu eng“3 sind, und so die Grenze zur Vorbereitung je nach den und in der Art vertretenen Klugheitsprinzipien nach vorne oder nach hinten verschieben.

2 Roxin, AT II, § 29, Rn. 99; ebenfalls Meyer, GA 2002, S. 368. Anders aber Kühl, AT4, § 15, Rn. 38. 3 Burkhardt, JuS 1983, S. 427; LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 96.

§ 3 Die Diskussion zu § 22 StGB

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2. Reduzierung der Positivität des Gesetzes auf den formell- oder materiell-naturalistischen Sinn des Wortlauts Betonen die unterschiedlichen naturalistischen Versuchstheorien unterschiedliche Konkretisierungen des Präventiven, so stellt immerhin Roxin zu der neueren Diskussion um § 22 StGB den gemeinsamen Ausgangspunkt fest: „Der maßgebende Gesichtspunkt, der sich theoretisch mit allen Strafgrundstheorien verknüpfen läßt, ist der der Tatbestandsnähe“4. Nur interpretieren sie diese Nähe zum Tatbestand mit dem Gesetzeswortlaut „unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestands“ auf der Basis eines engen Verständnisses der Positivität des Rechts. Der Gesetzestext wird angeblich nach seinem Wortlaut „ausgelegt“, scil., nach dem gemeinen Sprachgebrauch gedeutet5, was hierbei letztendlich heißt: innerhalb der sonst angewandten naturalistischen Methode. Der § 22 StGB bzw. der Versuchsbeginn umfasse nicht unbedingt ein tatbestandliches Verhalten. So stellt Roxin ohne weiteres fest: „Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist keine Teilverwirklichung des Tatbestandes, sondern nur ein Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung erforderlich“6. Damit soll der Begriff im Wesentlichen ausgelegt sein. Die naturalistisch bestimmte Tätervorstellung und ein naturalistisch-materiell zu deutender Nähebereich des Tatbestandlichen verweisen den Versuchsbegriff und den Versuchsbeginn auf naturalistische Überlegungen (Klugheitsregeln). Der Versuchsbeginn befindet sich in einem Bereich des Vortatbestandlichen, der einfach durch den unpräzisen Begriff der „Unmittelbarkeit“ eingegrenzt werden soll, und d.h. wiederum durch bewegliche Klugheitsregeln. Besteht die Klugheit im Oberbegriff der Prävention, dann ist stets mit einer weiten Vorverlagerung der Versuchsstrafbarkeit zu rechnen. 3. Fazit Der (naturalistisch verstandene) Strafgrund des Versuchs bietet keine „weiterführenden Lösungen“ für eine qualitative Abgrenzung strafbarer und nicht strafbarer Handlungen. Gemäß § 22 StGB soll das „unmittelbare Ansetzen“ als vortatbestandliche („am Rande des Tatbestandes liegende“) Handlung entscheiden. Da es vor der Vollendung schon tatbestandliches Verhalten gebe, umfasse der gesetzliche Begriff also nicht die Bestimmung seiner Überschrift, sondern nur den Versuchsbeginn als tatbestandsnahes Verhalten.

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Roxin, AT II, § 29, Rn. 102. Siehe auch MK-Herzberg, § 22, Rn. 156. Siehe kritisch dazu auch Stratenwerth, AT3, Rn. 668; dens., AT4, § 11, Rn. 30 f.; Burkhardt, JuS 1983, S. 427. 6 Roxin, AT II, § 29, Rn. 105. 5

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

Behaupten ansonsten naturalistische Ansichten, es gehe nicht um ein vortatbestandliches Tatverhalten, sondern um eine Teilverwirklichung des Tatbestandes, dann wird diese Teilverwirklichung so gedeutet, daß sie eine ähnliche – wenn nicht eine weitere – Vorverlegung des Versuchsverhaltens, scil. und wie Roxin meint, einen „Nähebereich“ des „Tatbestandlichen“ umfangen könne. Auf diese Weise wird der Diskussion über die konkreten Abgrenzungsregeln bzw. über die beweglichen Klugheitsregeln Vorrang vor der Frage eingeräumt, ob der Versuch ein vor- oder tatbestandliches Verhalten, und welcher der Strafgrund des Versuchs ist. Die Elemente des § 22 StGB werden dementsprechend nicht als Begriffsmerkmale, sondern als Elemente einer (Klugheits-)Regel zur Abgrenzung von „Vorbereitung“ und Versuchsbeginn ausgelegt. Dies ist in sich konsequent, denn auf der Basis der naturalistischen Methode werden die Begriffe nicht als Produkte eines sich selbstreferenziell eine Wirklichkeit gebenden Strafrechtssystems verstanden. Begriffe werden auf diese Weise nicht zu den eigentlichen, kommunikativ-normativ bestimmten, freiheitlichen Wirklichkeiten im Strafrecht, sondern zu einem Produkt einer Abwägung nach Klugheitsregeln und damit selbst zu einer Klugheitsregel zur Bewertung einer naturalistisch beobachteten Wirklichkeit. Geht es um nach naturalistischer Methode gebildete Freiheitsbegriffe, dann kann Freiheit über bloße Gedanken (paradigmatisch: die heute immer noch berücksichtigte Tätertheorie) bzw. über das bloße Wissen oder die Absicht eines gefährlichen Täters „verletzt“ werden. Denn nicht die normative Verletzung von Freiheitsbegriffen, sondern die kognitive Prävention von naturalistisch beobachteter Freiheit soll bei der Auslegung von § 22 StGB ausschlaggebend sein7. Diese Kollision – „gesetzliche Begriffsbestimmung als Versuchsbegriff versus naturalistisches Verständnis von § 22 StGB als Regel zum Versuchsbeginn“ – ist in zwei Grundfragen zu trennen, die nachfolgend mit Blick auf ihre Behandlung in der Doktrin dargestellt werden sollen. Erstens geht es darum, ob der Versuchstatbestand auch die Norm des BT-Vollendungstatbestands bricht und zweitens, wie der Versuchstatbestand zum BT-Vollendungstatbestand und zur gebrochenen Norm steht.

7 Zum Problem der Vereinbarkeit des Naturalismus mit dem Schuld- und Tatprinzip und mit der Menschenwürde siehe oben 1. Kap., § 1 A. II. 2.

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II. Versuchstatbestand und Straftat 1. Versuchs- und BT-Vollendungstatbestand als unterschiedliche Straftaten Unstrittig ist der Versuch im Verhältnis zum Vollendungstatbestand ein vortatbestandliches Verhalten. Teilweise wird in dieser Vortatbestandlichkeit nicht nur eine Vollendungsbezogenheit auf der Basis eines Gesamtunrechts bzw. Gesamttatbestandes gesehen, der Versuch soll vielmehr einen anderen Tatbestand im Sinne einer anderen Straftat bilden. Paradigmatisch ist hierbei die dualistische Auffassung von Alwart vom Versuchsdelikt als „eigenständigem Rechtsbegriff“ als „einer anderen (Straf-)Tat als das entsprechende Vollendungsdelikt“8. Der Versuchsbegriff bildet einen dem Vollendungsdelikt neben-, nicht untergeordneten Begriff. Trotz der Bezugnahme des Versuchsdelikts auf das Vollendungsdelikt verlange das Prinzip „nullum crimen sine lege“, daß nach „Geschehensausschnitten“ bzw. nach „Momentaufnahmen“ bestraft werde, im Gegensatz zu der Stufenlehre und dem Straftatbegriff, den der Finalismus als „Straftatganzes im Nacheinander einzelner Verwirklichungsstufen der vorsätzlichen Straftat“9 eingeführt hatte. Der Finalismus führe nämlich, so Alwart, eine nicht ernstliche Analyse der Begriffe durch und gerate so in Zweideutigkeiten: Der Begriff der Teilverwirklichung beim Versuch ignoriere, daß der Begriff des „Verwirklichens“ auf eine äußerlich-naturalistische „Anfang-Ende Betrachtung“ hinauslaufe, die einer subjektiven Lehre widerspreche10. Entsprechend der alltäglichen Begriffsanalyse wird hierbei deduziert, daß Versuch und Anfang unterschiedliche Begriffe seien, denn beim untauglichen Versuch versuche der Täter etwas, aber fange nichts an. Die Bedeutung des Versuchs müsse aus diesem Grund nicht in der Außenwelt, sondern in der Innenwelt liegen, wobei es keine „Teilverwirklichung“ gebe: Das Versuchsdelikt sei „nicht notwendig ein Teil des Geschehens des Vollendungsdelikts“11 und innerhalb der Stufenlehre nicht zu erfassen. Die Definition der Straftat als Geschehensausschnitt oder Momentaufnahme bei Alwart läuft auf eine Deutung der Straftat als positivistische Aufstellung von irgendeinem Sinn prinzipiell losgelösten Äußerlichkeiten bzw. Innerlichkeiten (z. B. die gewollten Äußerlichkeiten beim sog. Zielunwert) hinaus. Eine bloße Äußerlichkeit bzw. Innerlichkeit muß immer (und das ist konsequent in dem von Alwart zugrundegelegten System Schmidhäusers) von einer anderen getrennt, „nebengeordnet“ stehen. In einem solchen System überrascht es auch 8

Alwart, GA 1986, S. 245 ff., S. 246; ders., Strafwürdiges Verhalten, S. 89 ff. Vgl. Alwart, GA 1986, S. 246. 10 Siehe Alwart, Strafwürdiges Verhalten, S. 133. 11 Schmidhäuser, StuB 11/2. Siehe auch Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 89 ff., insbesondere S. 90 und 95, S. 131 ff. 9

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

nicht, wenn die sprachliche Begriffsanalyse zu einem entscheidenden Instrument der strafrechtlichen Dogmatik wird12. Im Finalismus hingegen beschreiben die Tatbestände des BT unwertige Sachverhalte, die für das Strafrecht einen Sinn erhalten, wenn das Kausalgeschehen von dem mächtigen „sehenden“ Willen überdeterminiert wurde. Die Tatbestände des BT beschreiben also Erfolge in der naturalistischen Welt, die solch einen kriminellen Sinn tragen, und als Vollendungen begriffen werden. Was davor innerhalb der Sinneinheit des Verhaltens geschieht, wird als Phasen auf dem Weg zu diesem Erfolg begriffen13. Der Versuch als deliktisches Geschehen bekommt erst dann einen solchen strafrechtlichen Sinn, wenn der sehende Wille den unwertigen Erfolg anstrebt, wobei er, mit den Worten Alwarts, dem Vollendungsdelikt als „untergeordnet“ erscheint. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Schmidhäuser und Alwart behaupten Küper und Streng, daß es – so Küper – „zutreffend“ sei, „vom Straftatbestand als Typisierung eines Vollendungsdelikts ein ,Versuchsdelikt‘ strukturell zu unterscheiden“14. Die BT-Tatbestände erschöpften sich in der Typisierung eines (vollendeten) Delikts. Bei Alwart und Küper geht es ausdrücklich nicht um eine Teilverwirklichung des BT-Tatbestandes, bei Küper auch nicht um ein in Bezug auf den BT-Tatbestand „spezifisch tatbestandsmäßiges“ Versuchsverhalten. Das „Spezifikum“ des Versuchs folge nämlich „nicht aus dem Deliktstatbestand, sondern nur aus der Anwendung der Versuchsprinzipien auf ein Verhalten“15, das diese Prinzipien erfüllt. § 22 StGB wird also verselbständigt (nullum crimen sine lege). Eine solche Verselbständigung verkennt aber, daß die sog. Versuchsprinzipien eine Norm voraussetzen, die zugleich im BT-Tatbestand vom Gesetzgeber eingeführt wurde. Der Versuchstatbestand erweitert die Möglichkeit, eine Norm zu brechen (etwa Betrügen), diese Erweiterung geschieht vollendungs- und normbezogen eben durch die Erweiterung des BT-Tatbestands, nicht durch Setzung eines selbständigen Zusatzes. Bei der materiell- und positivrechtlichen Fundierung des Versuchs gerät Küper in folgenden, dem Dualismus der naturalistischen Methode typischen Widerspruch. Versuch und Vollendung sollen nämlich tatbestandlich unterschied12 Vgl. auch Gössel, GA 1984, S. 44 ff., S. 45, der insbesondere Alwarts fast ausschließlich auf den „Umgangssprachgebrauch“ abstellende Methodik und zugleich seinen Anspruch kritisiert, diese mit dem anspruchsvollen Prädikat der „Begriffsanalyse“ i. S. der „analytischen Sprachphilosophie“ belegen zu wollen. 13 Vgl. Maurach/Gössel/Zipf, AT II, § 39, Rn. 4. 14 Küper, JZ 1992, S. 347, Fn. 58. In Anlehnung an Schmidhäuser und Alwart in diesem Sinne auch Streng, ZStW 109 (1997), S. 867, auch in Anlehnung an Hardtung, Jura 1996, S. 293 ff., der das Verhältnis zwischen Versuch und Vollendung als bloße Konkurrenzfrage behandelt (S. 295 f.). 15 Küper, JZ 1992, S. 346 f., S. 347.

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lich sein und sich selbst genügen, doch der Versuch soll materiell eine Teilverwirklichung des Sachverhaltes des Vollendungstatbestandes erfüllen, scil. – in Anlehnung an Zaczyk und sodann implizit an den „mächtigen“ Willen des Finalismus16 – die „Begründung eines freiheitsverletzenden Unterwerfungsverhältnisses“17. Betrugsversuch liege demnach noch nicht vor, „solange der Täter – trotz Täuschung – diese Freiheit nicht antastet, sondern sich nur ein gewisses Vertrauen erschleicht oder erschleichen will“. Die materielle Bezogenheit muß aber auch in das Verständnis des Tatbestands, d.h. des Gesamttatbestandes und des Versuchs- und Vollendungstatbestandes, eingebracht werden. Diese Spannung zwischen BT-(Vollendungs-)Tatbestand, Versuchstatbestand und Norm durchzieht die gesamte Diskussion zur „Begriffsbestimmung des Versuchs“ (§ 22 StGB). Das naturalistische Problem zeigt Streng auch auf subjektiver Ebene auf. Für ihn sind Tätervorstellung und Vorsatz nicht identisch. Bei der Vollendung soll nämlich das im Kopf des Täters Stehende ein dem Objektiven entsprechendes Wissen darstellen. Beim Versuch – deutlich am untauglichen Versuch – habe das im Kopf Stehende (im Subjekt) keine solche Entsprechung im Objektiven, vielmehr sei eine mangelnde Entsprechung mit dem (Rechtsguts-)Objekt notwendig. Beim Versuch gehe es nicht um das „Wissen“, sondern um die „Vorstellung“, d.h., nicht das Rechtsgut, sondern „die Erschütterung der Rechtsordnung“ sei das objektiv-naturalistisch Feststellbare18: Subjektives und Objektives seien bei Versuch und Vollendung unterschiedlich. 2. Versuchs- und BT-Vollendungstatbestand als Verwirklichungsstufen einer gemeinsamen Straftat Nach Gössel verstößt die Auffassung Schmidhäusers und Alwarts gegen den Gesetzestext des § 22 StGB („unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung nach der Tätervorstellung“). Dem Gesetzestext liege nämlich eine „Vorstellung vom Verbrechen“ als prozeßhaftem, finalzeitlichem Geschehensablauf zugrunde19, die der Tatbestandsverwirklichung vorausgehende Stadien anerkenne und für strafbar (durch Strafausdehnungsgründe wie den Versuch) erklären könne. Mit einem solchen Konzept sei die Strafbarkeit des untauglichen 16

Zu Zaczyk und zu diesem Zusammenhang siehe unten § 4. Küper, JZ 1992, S. 347, auch zu folgendem Zitat. 18 Vgl. Streng, ZStW 109 (1997), S. 864 ff., S. 870 f.; ähnlich Murmann, Versuchsunrecht, S. 9 ff.: Es „ist also der subjektive Tatbestand bei der versuchten Tat durchaus von dem bei vollendeter Tat zu unterscheiden“. Vgl. auch Struensee, GS Armin Kaufmann, S. 523 ff. 19 Gössel in: Maurach/Gössel/Zipf, AT § 39, Rn. 6; Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. § 22, Rn. 1; Polaino-Navarrete, FS Gössel, S. 163, der sich trotzdem von dieser Lehre distanziert. 17

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Versuchs durchaus vereinbar, denn hier werde mit dem Prozeß angefangen, jedoch nur mit einem für das Ziel (Rechtsgutsverletzung) ungeeigneten Mittel20. Die Argumentation, der Gesetzestext des § 22 StGB basiere auf einer solchen finalistische Vorstellung, ist fraglich. Ist damit gemeint, daß die Ansatzformel von Welzel stammt21, bestätigt dies nur eine – vom Gesetzgeber wohl geteilte22 – systematische Herangehensweise an die strafrechtliche Wirklichkeit. Entscheidend für die Auslegung der Norm bleibt aber nicht das Welzelsche System oder der Wille des historischen Gesetzgebers als Vorgeschichte der „Formel“23, maßgeblich ist vielmehr die genuin strafrechtliche Deutung des Gesetzestextes als Versuchsbegriff. Soll demzufolge der Wortlaut des Gesetzes nur eine naturalistische Deutung erlauben und ist von einem empirischen Täter und einer naturalistischen Methode auszugehen, wird in dieser Arbeit eine solche Auslegungsmethode gerade in Frage gestellt. Eine Sichtweise der Norm, die das Verhalten von Individuen steuert, bleibt aus ontologischen Gründen, naturalistischer Methode oder pragmatischen Gründen24 dabei, daß die Norm den mächtigen Willen steuern muß, so daß ab dem Zeitpunkt der ersten Gedanken schon eine Phase vorliegt25, die vom Gesetzgeber nach Klugheitsregeln (grundsätzlich Prävention, von einer Tätertheorie bis zur Eindruckstheorie) anerkannt werden und unter Strafe gestellt werden könnte. Die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch bzw. von bestrafter und unbestrafter Verwirklichungsphase wird danach nur über Klugheitsregeln, etwa auf der Basis von Kriminalpolitik, psychosoziologischen Erwägungen (auch Sozialadäquanz), etc. möglich. Hierbei sind darum die unterschiedlichen Verwirklichungsstufen – als „mehr oder weniger abstrakte oder konkrete Gefährdungszustände“26 – um so strafwürdiger, je näher sie an die tatbestandsmäßige Vollendung heranreichen27. Der Begriff des unerlaubten Risikos wird auf diese 20 Maurach/Gössel/Zipf, AT § 39, Rn. 6; Reinh. von Hippel, Untersuchungen, S. 16. Nach Gössel soll diese die herrschende Meinung in der Literatur sein (§ 29, Rn. 4). 21 Vgl. Welzel, Strafrecht, § 24 III, S. 190. 22 Vgl. BT-DrS. V/4095, S. 11. 23 Hierauf stark abstellend LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 60 ff. 24 Etwa deswegen, weil davon ausgegangen wird, der Sinn des Verhaltens des Täters vor der Vollendung sei ansonsten nicht zu ermitteln (siehe Engisch, FS Hundertjährigen Bestehen, S. 436; LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 13; Kühl, AT4, § 15, Rn. 7/ 17, 40). 25 Dieses Modell ist immer noch stark in der Dogmatik verankert. Siehe SK-Rudolphi, § 22, Rn. 1; neuerdings LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 1. 26 Freund, AT, § 8, Rn. 18. 27 Vgl. LK10-Vogler, vor § 22, Rn. 2; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT, § 39, Rn. 6 m. w. N.; LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 2. Die Gründe der Straflosigkeit der Vorbereitungen (erwartbare Verfolgungsdefizite, Tatbestandsunbestimmtheit, Ferne vom Unrechtszentrum, die Ultima-ratio-Funkion des Strafrechts), wie diejenigen der Strafbarkeit (kriminalpolitische Gründe [LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 6] bzw. es gebe keinen „genügend intensiven Einfluß“ auf das „friedliche Miteinander der Bür-

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Weise – so Roxin28 – ebenso wie der des Eindrucksgedankens, dementsprechend ausdehnbar. Als bloßer „Steigerungsbegriff“ kann er damit die Abgrenzung nicht leisten. Wird der Begriff des unerlaubten Risikos nicht über Klugheitsregeln (hypothetische Imperative), sondern über institutionalisierte Freiheitspraxis (und in dem Sinne kategorische Imperative) begriffen, geht es nicht um Kalkül, sondern um das Begreifen gesellschaftlich-freiheitlicher Identität, um durch das Strafrechtssystem geschaffene, festgelegte kategorische Imperative, deren Feststellung mehr oder weniger kompliziert ausfallen mögen. Die Tatbestände bezeichnen nicht naturalistische Erfolge, die aufgrund eines Versagens29 der verhaltenssteuernden Funktion der Norm herbeigeführt wurden (sei es auf der Innen- oder Außenseite), auch nicht, wenn sie ein Produkt eines vom Willen überdeterminierten Kausalverlaufs sind und somit finalistisch einen Sinn erhalten. Hierzu kritisch Polaino-Navarrete: „Das Delikt ist dem Begriff nach eine Projektion des Tätervorhabens, d.h. des Vorsatzes des Täters. Hierbei trifft man auf die Grundlage des Handlungsunwerts, der den Ausgangspunkt eines subjektiven Verständnisses des Unrechts bildet“30. Tatbestände stellen hingegen nicht naturalistisch subjektive oder subjektiv-objektive, sondern kommunikative Bedeutungsebenen dar. Die BT-Tatbestände drücken die Gestalt der Kommunikation aus, d.h. die Ordnung der Welt in einer bestimmten Gesellschaft. Nicht der „sehende Wille“, sondern sein „sozialadäquater“ 31 Charakter verleiht den Sinn des Verhaltens. Die Sozialadäquanz ist aber in einer ausdifferenzierten Gesellschaft ein teilgesellschaftlicher Begriff. In diesem Zusammenhang bedeutet dies, daß das Strafrecht sein eigenes Zurechnungsmuster bzw. seinen eigenen Begriff der Sozialadäquanz schafft. Damit bildet die Vorbereitung des Delikts – wie die Beendigung, die ersten Gedanken oder die Täterpersönlichkeit – keine „Phase“ der Verbrechenslehre; wenn ein solches Modell auch bildhaft ist, ist es ungenau und irreführend zu behaupten, daß der Versuch eine Vorbereitungshandlung darstellt, die das Versuchsstadium erreicht hat32. Bestraft das Gesetz ausdrücklich „Vorbereitungsger“ [Rath, JuS 1998, S. 1007]) betreffen bloße Kalküle, nicht eine ausreichende freiheitliche Auseinandersetzung, und bleiben sehr unbestimmt. Geht es nicht um Kalkül, sondern um „Beschränkung aus eigener Vernunft“ (Rath, JuS 1998, S. 1007), dann geht es darum, zu bestimmen, was eigene Vernunft ist. Eine eingehende Auseinandersetzung hiermit erfolgt unten §§ 4 f. 28 Gegen das Kriterium des unerlaubten Risikos zur Abgrenzung des Strafbaren vom nicht Strafbaren Roxin, AT II, § 29, Rn. 189. 29 Dazu Lesch, Verbrechensbegriff, S. 231 f. 30 So unter kritischer Perspektive Polaino-Navarrete, FS Gössel, S. 163; vgl. eingehend Jakobs, GS Armin Kaufmann, passim. 31 Vgl. schon oben 1. Kap., § 2 B. IV. zu Welzel im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Eindruckstheorie. 32 Siehe nur Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. § 22, Rn. 13. Oder in subtiler Version: Bilde nicht der Tatbestand die Grenze des Unrechtsbeginns, seien Kriterien er-

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handlungen“, nimmt es aus zu klärenden Gründen Vorverlagerungen in bezug auf eine materielle (genauer: materiell-abstrakte) Rechtsverletzung vor, bleibt strafrechtlich aber von Vollendungen die Rede. Es geht nämlich nicht darum, daß an sich straffreie Handlungen bzw. an sich vorbereitende Handlungen bestraft werden. Denn die Zurechnung ist ein konkret gesellschaftliches Produkt, ein vom Strafrecht geschaffener Begriff: Das Strafrecht wird nicht nachträglich auf diesen Begriff bezogen, der Begriff ist eine konkrete Bestimmung des Strafrechtssystems selbst33. III. Bezogenheit des Versuchs auf die Norm und den Vollendungstatbestand 1. Der Versuch als Normbruch oder versuchter Normbruch? Nach § 22 StGB muß der Versuchstäter „zur Verwirklichung des Tatbestands angesetzt haben“. Das Verständnis vom Ansetzen steht also zum Tatbestandsbegriff und zur Verwirklichung des Tatbestands in Bezug. Die Frage ist nun, ob der Versuchsbegriff gemäß § 22 StGB („Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung“) den Versuch eines Normbruchs bzw. den Versuch eines Unrechtstatbestands oder – ebenso wie der Vollendungstatbestand – einen Normbruch bzw. ein Unrecht konstituiert. Wie dargestellt wurde, wird der Täter in einem präventiv-naturalistischen Strafrechtskonzept zu einem objektiv-subjektiv bestimmten Störpotential34, seine Stellung in der Gesellschaft als Subjekt35 und als Person36 erscheint dadurch reduziert. Die subjektive Seite verkümmert zu einem Moment der objektiven Gefährlichkeit unter anderen, die Grenzen des Tatprinzips werden nicht streng beachtet (deutlich in der Tätertheorie), die Tat erhält durch die Bestrafung ihres Vorfelds nachrangige Bedeutung. In eben diesem Sinne betont Hirsch, daß „der noch ungebremste Siegeszug der Präventionstheorien in rechtsstaatlich bedenklicher Weise den Blick zunehmend von der Tat einseitig auf die Person verlagert und damit einer ausufernden Pönalisierung des Vorfelds der Rechtsgutsverletzung den Weg ebnet“37. Konsequenterweise verwirklicht der Versuch nach einem kleinen Teil der Literatur kein Unrecht, sondern nur die forderlich, nach denen strukturelle Vorbereitungshandlungen als vortatbestandliches Unrecht bestimmt würden. Vgl. hierzu Murmann, Versuchsunrecht, S. 6; Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 300 ff.; Vogler, FS Stree/Wessels, S. 292. 33 An dieser Stelle soll dies genügen. Dazu der 2. Kap., § 5. 34 Köhler, FS Hirsch, S. 69; ders., AT, S. 46; als Objekt eines polizeilichen Konzepts wird er auch von Lesch, Verbrechensbegriff, S. 175 ff., S. 180 ff. eingeordnet. 35 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 135; Köhler, AT, S. 46. 36 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 109 ff. 37 Hirsch, FS Roxin, S. 724 m. w. H.

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Schuld als Versuchsschuld38, und d.h. als Versuch einer noch nicht vorhandenen (kein Unrecht!) sozialen Störung. In der aktuellen Literatur ist heute unstreitig, daß der Versuch auch als Unrecht, als soziale Störung konstruierbar ist. Er soll wie die Vollendung schuldhaftes Unrecht darstellen. Aber die Konstruktion beinhaltet nicht die Lösung des Problems des präventiv-naturalistischen Strafrechts beim Versuch. Ist der Erfolg als Verletzung oder als nach der Tat anhaltende Gefährdung ausgeblieben, dann „gibt es nichts zu vermeiden und das Unrecht des Versuchs ist wiederum kein reales, sondern nur vorgestelltes Unrecht“39. Nach Jakobs haben diese Konstruktionen „keinen Begriff für die Störung, die beim Versuch nicht nur im Täterbewußtsein vorgesetzt, sondern wegen der Sichtbarkeit des Normangriffs perfekt ist, eben für das Versuchsunrecht (. . .). Da die Begriffsbildung freilich vom (polizeilichen) Aspekt der Erfolgsvermeidung ausgeht statt vom strafrechtlichen Aspekt der Abarbeitung einer Normverletzung, (können) sie strafrechtliche Gegenstände nicht adäquat erfassen“40. Die Tat ist bei einem solchen naturalistisch-präventiven Konzept nämlich nicht Grund der Strafe, sondern ihr Anlaß. Es geht dementsprechend nicht um Schuldausgleich. Strafgrund ist, daß die künftige Sicherheit bzw. der Frieden von Triebwesen nicht beeinträchtigt wird. Für Modelle, die dennoch auf der Basis einer soziopsychologisch verstandenen Generalprävention auf die (perfekte) „Sichtbarkeit“ des Normangriffs abstellen, wie beispielsweise die Eindruckstheorie, d.h. Modelle, die beim Versuch schon eine aktuell bleibende Erschütterung der Allgemeinheit feststellen wollen, die per Strafe auszugleichen sein soll, stellt sich ein ähnliches Problem. Denn es geht im Strafrecht nicht um anormale „Taten“ oder Verhalten, sondern um ein tatbestandsverwirklichendes Verhalten. Maßgeblich ist auch nicht der Vertrauenszustand, den das Täterverhalten mit sich bringt bzw. bringen könnte, sondern eine Freiheitsverletzung, welche nicht auf (abstrakten) Rechtsgütern oder Vertrauensbeeinträchtigungen beruht, sondern normativ, genauer: kommunikativ-normativ (konkret) anhand der Verteilung von Rechten und Pflichten zu bestimmen ist. Nach der hier vertretenen Ansicht verfehlt die naturalistische Methode den sozialen Konflikt des Strafrechts, das Unrecht des Versuchs, indem sie von der Läsion von naturalistischen Freiheitssphären, nicht von der Verletzung des kommunikativ-normativen Freiheitsbegriffs des Strafrechts ausgeht. Anders ausgedrückt: Sie legt eine Norm zugrunde, deren Normativität auf Naturalismen verkürzt wird, ohne darauf zu achten, ob diese Verkürzung mit dem freiheitlichnormativen Sinn der Norm übereinstimmt. Wie sich anhand der verschiedenen Abgrenzungsformeln zu § 22 StGB zeigen wird (unten B.), liegt die Basis einer 38 39 40

Vgl. Goldschmidt, FG Frank I, S. 434; Nowakowski, ZStW 63 (1951), S. 299. Jakobs, AT, 6/70; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 181. Jakobs, AT, 6/70 f.; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 175 ff.

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naturalistisch bestimmten Freiheitsverletzung beim Versuch aus präventiv-naturalistischen Gründen vornehmlich in einem den strafrechtlichen freiheitlichen sozialen Konflikt vorverlegenden, präventiv-polizeilichen Schema. Die Begründung eines Delikts auf der Basis des Vorhabens des Täters und der Prävention bzw. Vorbeugung bedingt auch eine Vorverlegung des eigentlichen sozialen Konflikts, d.h., Versuche von Normbrüchen, nicht nur Normbrüche, werden fälschlicherweise auch unter § 22 StGB gefaßt. 2. „Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung“ (§ 22 StGB) als vor- oder als (teilverwirklichendes) tatbestandsmäßiges Verhalten? Bei einem präventiv-naturalistischen Strafrecht, das auch die Positivität des Rechts insoweit reduziert (nicht als kommunikative41, sondern als naturalistische Wirklichkeit), kann die Auslegung des Versuchstatbestands im Großen und Ganzen nicht anders ausfallen, als die vorherrschende Dogmatik sie betreibt. Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung soll nämlich eine im naturalistischen Geschehensablauf vorverlagerte Phase vor der (wiederum naturalistisch betrachteten) Tatbestandshandlung bzw. vor dem (naturalistisch verstandenen) Tatbestand sein. Kurz: Nicht die Tatbestandsverwirklichung, sondern die Tatbestandshandlung soll Bezugspunkt beim Versuchsbeginn sein42. Der beendete Versuch kann deshalb entgegen dem Gesetzeswortlaut nicht unter den Versuchsbegriff des § 22 StGB fallen, denn in diesem Fall ist schon angesetzt worden. § 22 StGB wird demnach zu einem Teilbegriff des Versuchsbegriffs43. Die Tatbestandshandlung soll nach naturalistischer Ansicht das Tun des Täters, die Körperbewegung betreffen, die zum Erfolg führen kann und nicht die strafrechtlich kommunikative Dimension des (aktiven oder unterlassenden, unoder beendeten) Täterverhaltens. Für Unterlassung und für den beendeten Versuch sollen also andere Regeln bzw. Formeln oder Richtlinien gelten als diejenigen, die für den aktiven Versuchsbeginn anhand der „Abgrenzungsformell“ des § 22 StGB entwickelt werden. Dies gilt nach Jakobs für Delikte, „deren Vollendung einen vom Handlungsvollzug unabhängigen Erfolg (einschließlich einer konkreten Gefährdung)“ voraussetzen: „Die wörtliche Anwendung der (. . .) entwickelten Regelung des § 22 StGB wäre nur begriffsjuristisch ange41 Vgl. einführend Luhmann, Positivität des Rechts als Voraussetzung einer modernen Gesellschaft, in: Die Funktion des Rechts in der Modernen Gesellschaft, JRR I, S. 175 ff., 182 ff. 42 Siehe statt aller Jakobs, AT, 25/58; Meyer, GA 2002, S. 369; Rath, JuS 1998, S. 1106 f. 43 Vgl. etwa Schönke/Schröder/Eser, § 22, Rn. 1; LK10-Vogler, § 22, S. 32 und Rn. 1. Vgl. in der Rechtsprechung BHG StV 84, S. 420; OLG Bamberg NStZ 1982, S. 247: soweit eine Teilverwirklichung des Tatbestandes vorliegt, komme es „auf die besondere Problematik des § 22 StGB“ nicht mehr an.

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bracht, material aber verfehlt. Das Gesetz bezieht seine Regelungen im Grundfall auf Begehung. Die Behandlung eines aus Begehung (Versuchshandlung) und Unterlassung (keine Revokation) zusammengesetzten Verlaufs muß immer auch mit Rücksicht auf das Unterlassungsmoment erfolgen“44. Das neue Versuchsmerkmal bzw. die „zwingende (negative) Richtlinie“ für solche Fälle wäre nach Jakobs nicht die – gemäß § 22 StGB – Unmittelbarkeit der Tatbestandshandlung, sondern, daß „der Aufwand der Erfolgsabwendung (. . .) steigt“45. Man deutet die Begriffsbestimmung des Versuchs in § 22 StGB zu einer das unerlaubt Riskante vorverlegende Regel objektiver Zurechnung bei aktivem vortatbestandlichem Versuch um46. Wegen dieser Verwechslung muß die Regel notgedrungen unvollständig, korrekturbedürftig erscheinen, und die Normativität der Zurechnung steht unter dem Einfluß naturalistischer Erwägungen (Tun, Unterlassung, unbeendete-beendete Versuchshandlung, u. a.). Die Lösung des Problems ist zunächst eine Frage des Tatbestandsverständnisses zum Unrecht, wie in der schon angesprochenen Konzeption von Küper deutlich festzustellen ist. Nach Küper soll der Versuch (konkret: sein Beginn) auch nicht nach einer Teilverwirklichung, sondern materiell nach den Kriterien des § 22 StGB als „Ansetzen ,zur‘ Verwirklichung“ des Tatbestandes bestimmt werden47; es bedürfe also keiner Teilverwirklichung des Vollendungstatbestandes, das Versuchsdelikt mache vielmehr ein strukturell vom Vollendungsdelikt verschiedenes Delikt aus48, wobei Küper sich an Alwart und Schmidhäuser anlehnt. Doch die materielle Bestimmung des Versuchsbeginns wird in Anlehnung an Zaczyk mit einem „freiheitsverletzenden Unterwerfungsverhältnis“ in Verbindung gebracht, d.h. – beim Betrug – mit einem „Eingriff in die vermögensbezogene Autonomie der Person“49 und mit der Vollendung, was nicht geschehe, wenn der Täter „diese Freiheit nicht antastet, sondern sich nur ein gewisses 44 Jakobs, AT, 25/72. Vgl. auch Jescheck/Weigend, AT5, S. 521; LK10-Vogler, vor § 22, Rn. 61. Kritisch LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 101. 45 Jakobs, AT, 29/118. Siehe auch dens., 25/73. Diese Regelung betrifft bei Jakobs also Delikte mit Revokationsmöglichkeit, sonst reicht die schlichte Regelung des § 22 StGB aus. 46 § 22 StGB bzw. der Versuch wird durch das Setzen eines – materiell-rechlichen – unerlaubten Risikos begründet. Umgekehrt geht es nicht darum, daß § 22 StGB den Bereich des materiell-rechtlichen unerlaubten Risikos vorverlegt. 47 Küper, JZ 1992, S. 345, S. 347. So auch Roxin, AT II, § 29, Rn. 105, 108 f.; Jakobs, AT, 25/56 ff.; LK10-Vogler, § 22, Rn. 24. 48 Vgl. Küper, JZ 1992, S. 347. Siehe zudem Schmidhäuser, AT, S. 335 ff.; Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 89 ff.; dens., GA 1986, S. 245 ff. 49 Küper, JZ 1992, S. 347. Diese materielle Behauptung gelingt Küper übrigens nur insoweit, als er an die besondere Struktur des Betrugsdelikts anknüpft. Der Betrugsversuch ist insofern also vom Vollendungsdelikt nicht „strukturell zu unterscheiden“, sondern mit ihm zu verknüpfen. Denn § 263 StGB verlangt als Verletzung der Orientierung der Person zugleich eine Konkretisierung dieses Mangels an Orientierung in der Vermögensverletzung des Opfers (dazu neulich Jakobs, FS Roxin, S. 793 ff., S. 800 ff.).

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

Vertrauen erschleicht oder erschleichen will“50. Fazit: Materiell liegt also beim Versuch bereits eine Teilverwirklichung der Rechtsverletzung (schon Eingriff in die Freiheit) vor, was dennoch nicht mit der Teilverwirklichung des Tatbestandes gleichbedeutend ist. Ein solcher Widerspruch beruht darauf, daß trotz Ablehnung der formell-objektiven Tatbestandstheorie die Dogmatik im Großen und Ganzen weiterhin auf der Basis der positivistisch-naturalistischen Grundlagen des Verständnisses vom Tatbestand arbeitet51. In diesem Sinne argumentiert Roxin gegen die „Tatbestandlichkeit“ bzw. gegen die teilverwirklichende Eigenschaft der Versuchshandlung beim Versuchsbeginn: „Hinzu kommt, daß die Orientierung am Tatbestand nur dort für die Versuchsbestimmung hilfreich ist, wo eine konkrete Beschreibung der Tatbestandshandlung vorliegt. (. . .) Bei reinen Erfolgsdelikten (Tötung, Körperverletzung, Sachbeschädigung) beschreibt jedoch der Gesetzgeber die Tathandlung nicht. Wo nur eine vorsätzliche Todes- oder sonstige Schadensverursachung den Tatbestand ausmacht, läßt sich aus ihm über die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch nichts Deutliches entnehmen“52. Damit wird der Tatbestand auf den Gesetzeswortlaut im BT des StGB wie bereits bei der formell-objektiven Theorie reduziert. Die Positivität des Strafrechts wird nicht innerhalb des (einheitlichen) Begriffs des Strafrechts, als die Eigenschaft der Reflexivität eines sich beschreibendes Strafrechts, begriffen. Sie wird bloß als formell-sprachlicher Rahmen konzipiert, in dessen formelle Vorbedingungen – parallel zur ontologischen Basis der naturalistischen Methode – das Strafrecht erst eingeführt werden soll.

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Küper, JZ 1992, S. 347. So die letzte zögerliche Behauptung von Küper, JZ 1992, S. 347, wonach „ein unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung ,aller Tatbestandsmerkmale‘, d.h. zur Deliktsvollendung (. . .), zu formal sein (dürfte)“. Die „Formalität“ dieser anderen Ansicht liegt nur darin, daß Küper selbst dem BT-Tatbestand eine begrenzte, von einem – bzgl. des Versuchstatbestands – einheitlichen Sinn entmaterialisierte Dimension unterstellt. Aufgrund des Mangels einer Anwendung eines naturalistischen Verständnisses des Tatbestandes ist außerdem das Argument nicht relevant, daß die politische Diskussion zur Entstehung des § 22 StGB auf ein „der tatbestandsmäßigen Handlung unmittelbar vorangehende(s) Verhalten“ geschlossen hätte. Diese Diskussion legt ebenfalls ein naturalistisches Verständnis des Tatbestandsbegriffs zugrunde. Nach der hier vertretenen Ansicht muß auch das im konkreten Fall nach naturalistischem Ansatz Vortatbestandliche ein kommunikativ-freiheitliches Tatbestandliches bilden, oder es fällt aus dem gesetzlichen Versuchsbegriff hinaus („Das Gesetz kann klüger sein als seine Verfasser – es muß sogar klüger sein als seine Verfasser“ [Radbruch, Rechtsphilosophie, 6. Aufl., Stuttgart 1969, S. 211], d.h., nicht die politische Diskussion als Vorgeschichte eines Gesetzes, sondern der in diesem Gesetz enthaltene genuin strafrechtliche Begriff ist ausschlaggebend). Dieser systematische Unterschied erklärt die Unmaßgeblichkeit der Widersprüche der politischen Argumentation bei der Entstehung von § 22 StGB (zu diesem Aspekt LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 6 m. w. H.). 52 Roxin, AT II, § 29, Rn. 109. Vgl. auch LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 104, der hierzu auf den Plan des Täters abstellt. 51

§ 3 Die Diskussion zu § 22 StGB

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Sollen die naturalistische Auslegungsebene des Versuchstatbestands und sodann ihre (In-)Konsequenzen unmaßgeblich sein, muß die Begriffsbestimmung des Versuchs als „unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung nach der Tätervorstellung“ nach dem strafrechtlich-normativen Inhalt dieser Begriffsmerkmale erfolgen. Es steht also fest: Soll § 22 StGB nur den Versuchsbeginn erfassen und soll nach dem normalen sprachlichen Sinn nur zur Ausführungshandlung, nicht zum vollendeten Komunikationszusammenhang (kurz: zur Vollendung) angesetzt werden können, so mag das auf gemeinsprachlicher bzw. „natürlicher“53 Deutungsebene der Formulierung von § 22 StGB einleuchten, nicht aber auf einer systematischen normativ-begrifflichen Ebene und ist von § 22 StGB – „Begriffsbestimmung“ vom „Versuch“ (!) – nicht gemeint. Anderenfalls würden alle Stufen und Arten des Versuchs, vom Versuchsbeginn bis zur Vollendung, vom Tun bis zum Unterlassen, von der Eigenhändigkeit bis zur mittelbaren Täterschaft und der actio bzw. ommissio libera in causa im Versuchsbegriff (§ 22 StGB) nicht berücksichtigt. Entscheidend bleibt die Analyse der Tatbestandsmerkmale des § 22 StGB nach ihrem strafrechtlich-kommunikativen, begrifflichen Zusammenhang. Letztendlich handelt es sich um ein methodisches und sodann begriffliches Problem. Auf diese hier kritisierte Weise wird die Auffassung des Versuchs als nicht teilverwirklichende, als vortatbestandliche Handlung über Korrekturen am (auf der Basis der formell-objektiven Theorie entwickelten) Teilverwirklichungsmodell vollzogen. Die eigenen Grundlagen werden nicht in Frage gestellt, es werden lediglich Zusatzkriterien betont oder gesucht. So wird etwa darauf verwiesen, daß die Handlung zudem auf die Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale „gerichtet“54 sein müsse bzw. „auch zur Verwirklichung aller anderen Tatbestandsmerkmale unmittelbar ansetzt“55. Dabei handelt es sich um Zusatzkriterien, die wichtige, naturalistisch formulierte Gesichtspunkte einführen und unten näher behandelt werden sollen. Auf der Grundlage des naturalistischen Verständnisses vom Versuch als doch teilverwirklichende, tatbestandsmäßige Handlung (dazu unten im Text) ähneln die Ergebnisse schließlich nicht selten der gerade kritisierten Auffassung. Ausgehend von einem schlicht präventiven Strafrechtskonzept und einer naturalistischen Methode im Unrechts- und positiv-rechtlichen Tatbestandsverständnis, ist über Nuancierungen in den Ergebnissen nicht hinauszukommen. Eben aus diesem Grund hat man auf der Basis von § 43 StGB a. F., bei dem die Tatbestandsnähe keine direkte Stütze im Wortlaut findet, und auf der Basis der Versuchslehre der Teilverwirklichung des Tatbestandes eine exzessive Vorverlage53 Vgl. Küper, JZ 1992, S. 345 m. w. H. So begeht diese Ansicht letztendlich denselben Fehler, den sie der formell-objektiven Theorie zuspricht. 54 Schönke/Schröder/Eser, § 22, Rn. 35, 37. 55 SK-Rudolphi, § 22, Rn. 7a.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

rung der Strafbarkeit rechtfertigen können. § 22 StGB sollte ihr entgegengewirkt haben. Doch wegen der fortgeführten Methode ist man im wesentlichen bei der Diskussion zu § 43 StGB a. F. stehen geblieben56. IV. Der Vorrang der Präzisierung der Abgrenzungsformel als Klugheitsregel vor dem Begriff des Versuchsunrechts Die Literatur hat immer versucht, allgemein das Tatbestandsspezifische beim Versuch – sei es als tatbestandsmäßig, bloß als vortatbestandlich, als Teilverwirklichung oder als Nähe bzw. bloße Bezogenheit zum Tatbestand – näher zu erörtern. Wird § 22 StGB vorherrschend als allgemeine Abgrenzungsformel verstanden, dann soll die Spezifizierung wiederum eine allgemein spezifizierende Abgrenzungsformel sein. Die Dimension des § 22 StGB ist aber nicht als Formel, sondern als Begriff über das Prinzip objektiver Zurechnung zu thematisieren. Eine solch abstrakte Formel ist nämlich kaum leistungsfähig, denn nicht eine Formel, sondern nur ein Begriff kann strafrechtliche Wirklichkeit als solche ausdrücken. Daß sich Literatur und Rechtsprechung bei der Konkretisierung der Formel des § 22 StGB weitgehend auf eine individuell-objektive Theorie einigen57, rührt daher, daß der Versuch objektive und subjektive Grundlagen haben soll58, was heute aber als selbstverständlich gilt59. Daß die Tätervorstellung eine auf das Individuum abstellende Tatsache und das Objektive weiterhin ein naturalistisches Kriterium ist (etwa eine Gefahr oder Bezug auf ein Rechtsgut), ist eine Behauptung einer Sinnebene (materialistischer Naturalismus), die überhaupt nicht „vom Gesetz geboten“60 ist, sondern direkt die begriffliche Frage, die methodische Ebene und die materiellen Grundlagen des Strafrechts betrifft und zur Diskussion steht. Bis heute versuchen Literatur und Rechtsprechung die allgemeine „Formel“ des § 22 StGB anhand weiterer unterschiedlicher Formeln zu konkretisieren. Die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch, die sich als Grenzbereich des Strafbaren ohnehin als problematisch erweist, wird zu Recht „mit Furcht“ betrachtet. Die angebotenen Formeln oder „Richtlinien“ sind, im Gegensatz zur „Formel“ des § 22 StGB, nicht verbindlich. Ihnen wird ein heuristischer61 Cha56

Vgl. schon die frühe Feststellung von Meyer, JuS 1977, S. 21. Vgl. Schrönke/Schröder/Eser, § 22, Rn. 32; LK10-Vogler, Rn. 27 ff.; Berz, Jura 1984, S. 511, jeweils m. w. H. 58 Siehe hierzu nur LK10-Vogler, vor § 22, S. 5, § 22, Rn. 27; LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 62; Berz, Jura 1984, S. 511. 59 Genauso Freund, AT, § 8, Rn. 57. 60 NK-Zaczyk, § 22, Rn. 23. 61 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 303; NK-Zaczyk, § 22, Rn. 22 ff. Vgl. auch Meyer, GA 2002, S. 377 („Richtpunkte“). 57

§ 3 Die Diskussion zu § 22 StGB

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rakter zugemessen und sie werden oft in variabler Zahl und wechselnder Weise von Literatur62 und Rechtsprechung63 in ein und derselben Entscheidung nebeneinander gestellt. Ihr Zweck erschöpft sich in einem pragmatischen Ziel, der Rechtfertigung möglichst plausibler Ergebnisse: ein praktisch vielleicht interessantes, in strafrechtsdogmatischer Hinsicht aber dürftiges Vorgehen64. Die Skepsis der Literatur gegenüber diesen Formeln kommt in den Worten Burkhardts deutlich zum Ausdruck65 –: „Über den beschränkten Wert der Abgrenzungsformel macht sich kaum mehr jemand Illusionen“, so daß „Ziel dabei nur sein (kann), den Gedankengang von der Norm zur Entscheidung nachvollziehbar zu machen und einen argumentativ fundierten Konsens zu erreichen“66. Bei anderen Autoren heißt es, „daß die schon stereotype Aneinanderreihung derselben Wendungen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Unmöglichkeit einer klaren Abgrenzung verschleiern soll“67, was ebenso für die h. M. gilt. Ist das Generalpräventive und der herrschende Naturalismus das gemeinsame Fundament, werden die herangezogenen Kriterien (die Normalität, der Eindruck, die Berührung von Opfersphären, die Auffälligkeit usw.) häufig nicht einmal näher erörtert, so als ob sie ohnehin nahelägen68.

B. Die (Un-)Maßgeblichkeit naturalistischer Kriterien bei der Bestimmung des unmittelbaren Zusammenhangs vom Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung (§ 22 StGB) I. Einleitung Für die Bejahung der Vortatbestandlichkeit des Versuchs(beginns) als Tatbestandsnähe („Ansetzen“) genügt nicht eine irgendwie geartete Nähe, erforderlich ist vielmehr eine sehr konkrete, die den engen Zusammenhang zwischen Versuchs- und Vollendungstatbestand ausdrückt („Unmittelbarkeit“69). Werden hier 62 Vgl. in der Literatur insbesondere Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 303, S. 308; NK-Zaczyk, § 22, Rn. 22 ff.; Rath, JuS 1998, S. 117 ff., und die ganzheitliche Methode Schmidhäusers in dems., AT1, S. 350 f., sowie Wessels/Beulke33, Rn. 601. Zum heutigen Stand, Roxin, AT II, § 29, Rn. 121 ff. 63 Vgl. BGHSt 26, S. 203 f.; 28, S. 162; 36, S. 249 ff., S. 250; BHG StV 1984, S. 420 64 Kritisch auch MK-Herzberg, § 22, Rn. 119 f. 65 Burkhardt, JuS 1983, S. 430, Fn. 39 m. w. H. zur Skepsis in der Literatur. 66 Burkhardt, JuS 1983, S. 430. 67 Berz, Jura 1984, S. 515 m. w. H. Aus diesem Grund erklärt sich die Diskrepanz innerhalb der Rechtsprechung des BGH – und die noch größere in den Entscheidungen der Oberlandesgerichte (dazu Berz, Jura 1984, S. 515). 68 Dazu näher im Rahmen der Auseinandersetzung mit den gleich zu erörternden Formeln. 69 Vgl. LK10-Vogler, § 22, Rn. 58 ff.; Rath, JuS 1998, S. 1110.

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nicht der objektive Zurechnungszusammenhang beider Unrechtsdifferenzierungen und der Charakter der Positivität des Rechts als Bezogenheit von formellen und materiellen Voraussetzungen des Gesetzes erreicht (welche nicht dualistisch nach Klugheitsregeln kumulativ zu addieren sind), dann bleibt man bei einer den Begriff nicht erreichenden, beweglichen Abwägung von naturalistisch beobachteten Perspektiven70. II. Formelle Formeln 1. Der Versuch als Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals Vertreter der Literatur stellen häufig das Ansetzten zur Tatbestandsverwirklichung über die Teilverwirklichung des Tatbestands fest. Was damit gemeint ist, hängt wieder vom jeweiligen Tatbestandsverständnis ab und fällt je nach strafrechtstheoretischem Ansatz unterschiedlich aus. Auf der Basis eines formell-naturalistischen Tatbestandsverständnisses wird § 22 StGB als Teilverwirklichung des Tatbestandes so konzipiert, daß für den Versuchsbegriff – bzw. für den Versuchsbeginn – die Erfüllung (oder Teilerfüllung) bloß eines Tatbestandsmerkmales ausreicht. So das OLG Bamberg wörtlich: „Hat der Täter ein Merkmal des Tatbestandes verwirklicht, liegt immer eine Versuchstat vor, ohne daß es auf die besondere Problematik des § 22 StGB ankommt“71. Die Tatbestandsmerkmale sind hier nicht in ihrer begrifflichen Bedeutung relevant, sie beinhalten vielmehr empirische Verhaltensbilder, ohne auf den Sinn der Norm zu achten. Aufgrund dessen wäre nach dieser Theorie ein Täuschungsverhalten im Rahmen eines Betrugsvorsatzes oder die falsche Aussage bei Nacheid schon Versuch. Ebenso könnte bereits bei bloßer Gewaltanwendung Raub bejaht werden, lägen erfolgsqualifizierte Delikte schon aufgrund der Verwirklichung der Qualifizierung als Versuch vor72. Eine solche Sichtweise vereinfacht nicht nur den Tatbestandskontext, sie verfehlt ihn sogar kraß. Der Tatbestand bleibt bei der formellen, sprachlichen, empirisch-bildhaften Beschreibung des BT-Tatbestandes (formell-objektive Theorie). 70 Vgl. auch Meyer, GA 2002, S. 377: „Die zur Konkretisierung dieser Richtpunkte entwickelten Kriterien sind nicht mehr als die einem beweglichen System zugehörenden Merkmale“. 71 In: NStZ 1982, S. 247. Nach heute verbreiteter Meinung fängt der Versuch nicht erst mit der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals als teilverwirklichendem Verhalten an. Die Erfüllung eines Tatbestandsmerkmales soll aber schon für Versuch sprechen. Vgl. hierzu zudem BGHSt. 20, S. 80 ff., S. 81; 30, S. 363 ff., S. 364; Vogler, FS Stree/Wessels, S. 297 f., S. 300; Meyer, JuS 1977, S. 20, S. 22; Krey, AT II, § 43, Rn. 417; Berz, Jura 1984, S. 512; Tröndle/Fischer51, § 22, Rn. 9; Baumann/Weber/ Mitsch, § 26, Rn 50. 72 Hierzu kritisch auch Burkhardt, JuS 1983, S. 427 f.; Küper, JZ 1992, S. 347; Meyer, GA 2002, S. 369; MK-Herzberg, § 22, Rn. 160.

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Diese Interpretation der Teilverwirklichung des Tatbestandes leidet also an denselben Mängeln wie die Theorie vom Mangel am Tatbestand. Der Tatbestand ist nicht zerlegbar in selbständige Merkmale, sondern alle Merkmale bezeichnen in Bezogenheit aufeinander einen konkreten Kommunikationszusammenhang, eine Norm. Die Vorstellung des Tatbestands, nach dem das jeweilige Tatbestandsmerkmal ein vom Tatgeschehen trennbares Stück ausmacht, und nach dem der Täter in einer Reihenfolge mehr oder weniger die unterschiedlichen Merkmale bis zur Vollendung verwirklicht, entspricht einem Norm- und Strafrechtsverständnis, bei dem Tatbestände nicht kommunikative Sinngehalte betrachten, sondern die Basis ihrer Wirklichkeit in der Natur gefunden wird. Dementsprechend werden der den Imperativ der Norm mißachtende psychologische Wille, die Rechtsgüter und sonst phänotypische Bilder bzw. Teilakte des Tatgeschehens zum Zurechnungshorizont des Teilverwirklichungsbegriffs. Freilich ist die Theorie der Teilverwirklichung entwickelt und verfeinert worden73, so daß die materiellen Grundlagen des formell Objektiven angereichert worden sind. Es wird etwa zusätzlich unter anderem vorausgesetzt, daß die Handlung auf die Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale „gerichtet“74 sein müsse bzw. „auch zur Verwirklichung aller anderen Tatbestandsmerkmale unmittelbar ansetzt“75. Dann ginge es um eine formelle Voraussetzung (Teilverwirklichung des Tatbestandes) und eine materielle (Bezogenheit zum ganzen Tatbestand). Grundsätzlich ist es zutreffend, den Versuch als Teilverwirklichung des Gesamttatbestands zu sehen. Es genügt aber nicht die bloße (Teil-)Verwirklichung eines Merkmals. Nicht ein Merkmal kann (teil-)verwirklicht werden, sondern nur ein Tatbestand als Unrechtstatbestand. Zur Lösung des Problems müssen das Formelle und das Materielle, das Positiv- und das Materiell-Rechtliche auf eine Einheit und einen Begriff gebracht werden. Maßgeblich sind nicht dualistisch zwei sich addierende, außerdem in selbständige Momente zerlegbare – etwa in Tatbestandsmerkmale oder in Handlungsteile (Mittel, Objekt) – Dimensionen, sondern ein konkreter, aus nicht selbständigen Momenten bestehender Begriff vom Unrechtsversuch und Versuchstatbestand. Dazu ist eine Methode nötig, die den einheitlichen Versuchsbegriff nicht auf enge dualistische Regeln reduziert (Trennung von Positivität und materiellem Recht, Teilung des Unrechts- bzw. des Handlungs- und des Tatbestandsbegriffs in selbständige Teile, die wiederum unterschiedlich wesentlich sind, usf.)76.

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Hierzu allgemein Küper, JZ 1992, S. 338 ff. Schönke/Schröder/Eser, § 22, Rn. 35, 37. SK-Rudolphi, § 22, Rn. 7a. Dazu eingehend unten 2. Kap., § 8 A.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

2. Der Versuch als (Teil-)Verwirklichung der bzw. einer Tatbestandshandlung Ein anderer Ansatz der Teilverwirklichungslehre verlegt den Schwerpunkt von den Tatbestandsmerkmalen auf die Handlung77. Hier soll also nicht die Verwirklichung oder Teilverwirklichung eines (Tatbestands-)Merkmals, sondern die (Teil-)Verwirklichung der78 bzw. einer79 (Tatbestands-)Handlung maßgeblich sein. Übertragen auf mehraktige und qualifizierte Delikte oder besonders schwere Fälle bringt dieses Verständnis mit sich, daß schon das Unternehmen a) einer isolierten, naturalistisch beobachteten Handlung (beim Tun eine Körperbewegung), die b) nur formell-naturalistisch mindestens einem Merkmal des Tatbestands entspricht, den Sinn des (Versuchs-)Unrechts trägt (!)80. Anhand von Beispielen verdeutlicht: Der Täter erzählt zum Zweck eines Betrugs eine Lüge – hierin läge schon eine Täuschung, scil. Versuch des Betrugs; er beseitigt die Löschgeräte eines Raumes zum Zweck einer Brandstiftung, es wäre schon eine schwere Brandstiftung zu bejahen81. Werden die Tatbestandsmerkmale von selbst verwirklicht (etwa ein Unglücksfall bei § 243, Abs. Nr. 6 StGB – Diebstahl beim Ausnutzen eines Unglücksfalls), dann verschiebt sich die Möglichkeit der Verwirklichung oder Teilverwirklichung eines (nur gegebenenfalls notwendigen) Tuns unverhältnismäßig nach hinten. Der BGH82 verlangt deswegen in diesem Sinn, daß die Handlung des Täters nicht bloß einem Tatbestandsmerkmal entspricht, etwa einer Täuschung beim 77

Womit die Theorie teilweise preisgegeben wird (Roxin, AT II, § 29, Rn. 111). Vgl. von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 398, nach dem Versuch „die Tatbestandshandlung des einzelnen Delikts, also dasjenige Verhalten, das logisch bereits als tatbestandsmäßig unter den Deliktstatbestand fällt (. . .). Im Gegensatz dazu sind Vorbereitungshandlungen diejenigen, die, der Tatbestandshandlung zeitlich vorausgehend, deren Vornahme ermöglichen oder erleichtern sollen, selbst aber noch nicht unter den Deliktstatbestand subsumierbar sind, also nicht tatbestandsmäßig sind“ (siehe ebenso paradigmatisch in der Rechtsprechung des RG: RGSt. 70, S. 151 ff., S. 157 f.); zu Dohna, Verbrechenslehre, S. 56; Beling, Grundzüge, S. 56. 79 Siehe von Hippel selbst, Deutsches Strafrecht, S. 401: Versuch ist „bereits die Anwendung des tatbestandsmäßigen Mittels bzw. der Beginn der ersten tatbestandsmäßigen Tätigkeit“; v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, § 44, S. 298; Frank, Strafgesetzbuch, § 43, S. 67. 80 Dies entspricht der Vorstellung, daß die Tat aus mehreren Handlungen besteht, die in einem nicht weit entfernten Kausalzusammenhang stehen (siehe nur Berz, Jura 1984, S. 512). Durch die moderne Lehre von der objektiven Zurechnung wurde aber eine solche am Kausalitätsdogma festhaltende Definition des Tatverhaltens überholt. 81 Man operiert auf der Basis des Vorsatzes – scil. der Täter- und Schuldbezogenheit des Unrechts – als einzige Form, diese Unrechtsformel nachzuvollziehen (etwa: der Täter will betrügen), man trennt aber Unrecht von der Schuld: formell-objektive Theorie. Die Nähe zur (materiell-)subjektiven Unrechtstheorie ist insofern markant. 82 Siehe BGH JZ 1992, S. 379 (kritisch dazu Küper, JZ 1992, S. 338 ff.); BGHSt. 6, S. 98 ff., S. 99; 26, S. 201 ff., S. 203; 28, S. 163; 31, S. 178; OLG Karlsruhe, NJW 1982, S. 59. 78

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Betrug, sondern daß die Handlung „tatbestandsmäßig“ sein soll, etwa eine tatbestandsmäßige Täuschung beim Betrug83. Er nimmt gleichsam eine Normativierung des Zurechnungsmusters der formell-objektiven Theorie vor. Schon das RG verlangte von der Ausführungshandlung, daß sie „begrifflich bereits als tatbestandsmäßig unter den Tatbestand der Straftat fällt“84, der BGH seinerseits, daß der Täter mit der Ausführungshandlung „zu der die Strafbarkeit (. . .) begründenden Rechtsverletzung angesetzt hat“85. Aber schon nach v. Hippel muß die Ausführungshandlung „logisch“86 bzw. „begrifflich“87 bereits „als tatbestandsmäßig unter den Delitkstatbestand“ fallen. „Logische“ bzw. „begriffliche“ oder „tatbestandsmäßige“ bzw. „tatbestandsspezifische“88 Identität der Ausführungshandlungen verweisen aber auf die materielle Grundlagen des Strafrechtssystems. So kommt es bei Berz89 zum Thema Teilverwirklichung „letztlich“ auf die „allgemeinen Kriterien“ an. Da vorwiegend auf der Grundlage des Naturalismus und seiner hypothetischen Imperative bzw. Klugheitsregeln und zweckmäßigen Kalküle argumentiert wird, ist die Abgrenzung von strafbaren und nicht strafbaren Versuchshandlungen eine bewegliche, eine weite Vorverlagerung bzw. Prävention erlaubende Grenze. Verdienst der formell-objektiven Theorien ist es, einen Gewinn an Rechtssicherheit geschaffen zu haben. Werden Tatbestände als Festlegungen von Freiheit im und durch das Strafrecht verstanden, dann bieten diese Theorien wiederum eine bessere Garantie von Freiheit90. Bei der Teilverwirklichung des Tatbestands handelt es sich aber nicht um die (Teil-)Verwirklichung der (formell83 Heutzutage ist die These aufgegeben, Versuch liege nur bei einer so verstandenen Teilverwirklichung vor, es könne Versuch nämlich schon bei einer nicht tatbestandlichen Versuchshandlung geben. Für eine verbreitete Meinung ist bei der Vornahme der Tatbestandshandlung, scil. bei so verstandener Teilverwirklichung, Versuch zu bejahen. Siehe LK10-Vogler, § 22, Rn. 35, 35a, 58 ff.; Kühl, AT4, § 15, Rn. 20, Rn. 55 („tatbestandsspezifische Handlung“); Wessels/Beulke33, Rn. 599; Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 301; Murmann, S. 13–16; Jescheck/Weigend, AT5, S. 520; Zieschang, Die Gefährlichkeitsdelikte, S. 151; Schönke/Schröder/Eser, § 22, Rn. 37; Blei AT I, S. 224. Kritisch zum Begriff der tatbestandsspezifischen Handlung als immer den Versuchstatbestand erfüllend, Burkhardt, JuS 1983, S. 426; Küper, JZ 1992, S. 347; Rath, JuS 1998, S. 1107; LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 93 ff. Vgl. auch die Kritik von MKHerzberg, § 22, Rn. 159 ff. Kritisch zu diesen Kritiken wiederum und zu Recht Murmann, S. 13–16, der ihnen vorwirft, daß sie selbst einem verküzten, naturalistischen Verständnis vom Tatbestands- und Handlungsbegriff verhaftet bleiben. 84 RGSt 66, S. 154. 85 BGHSt 31, S. 178 ff., S. 182. Vgl. früher Dreher/Tröndle, StGB44, § 22, Rn. 10 f. 86 von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 398. 87 von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 401. 88 Vgl. LK10-Vogler, § 22, Rn. 23 ff., Rn. 35a, Rn. 59; auch Vogler, FS Stree/Wessels, S. 291. 89 Berz, Jura 1984, S. 512. 90 Siehe nur Berz, Jura 1984, S. 514; Roxin, AT II, § 29, Rn. 104 ff. Vgl. auch LK10-Vogler, § 22, Rn. 58 f.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

naturalistisch gefaßten) Tatbestandshandlung, sondern um die Teilverwirklichung der Tatbestandshandlung als der Rechtsverletzung91. Es geht also um Teilverwirklichung des Gesamttatbestandes als des Gesamtunrechtstatbestandes. Nach herrschender Meinung beginnt der Versuch daher etwa bei mehraktigen, qualifizierten oder besonders schweren Delikten nicht mit einer (formell-naturalistisch gefaßten) Handlung, sondern wenn der Täter „zur Verwirklichung des ganzen Tatbestandes unmittelbar ansetzt“92: Raub beginnt noch nicht beim (bloßen) Versuch der Nötigung bzw. der Gewaltausübung93, Nacheid nicht mit der unwahren Aussage, sondern erst mit dem Ansetzen zur Eidesleistung94; die Beseitigung von Löschgeräten im Kontext des § 306b Abs. 2 Nr. 3 StGB ist noch nicht Versuch einer besonders schweren Brandstiftung95. 3. Teilaktstheorie Die Teilaktstheorie sieht den – nach der Frankschen Formel ausgedrückt – „natürlichen Zusammenhang“ in dem letzten Teilakt vor der eigentlichen Tatbestandshandlung96. Worin die letzte Teilaktshandlung liegt, soll nach dem Kriterium der „aufspaltenden Betrachtung“97 der Körperbewegung in Teilbewegungen gewonnen werden („Zeitlupen-Strafrecht“ 98). Hiernach fängt der Versuch beispielsweise später an, wenn zum Stehlen einer Sache im Inneren eines Autos das bloße Strecken der Hand nicht ausreicht, sondern der Täter sich eines im 91

Vgl. BGHSt 31, S. 178 ff., S. 182 (Ansetzen zur Rechtsverletzung). Heute h. M. Siehe Jakobs, AT, 25/70; Roxin, AT II, § 29, Rn. 170 ff.; Küper, JZ 1992, S. 338 ff., S. 341 ff.; OLG Karlsruhe NJW 1982, S. 59 f. und Besprechung von Burkhardt, JuS 1983, S. 427 ff.; LK10-Vogler, § 22, Rn. 79 ff.; Berz, Jura 84, S. 512; Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. § 22, Rn. 37; Stratenwerth, AT3 I, Rn. 678; dens., AT4, § 11, Rn. 43. 93 Vgl. hierzu Jakobs, AT, 25/70; Roxin, AT II, § 29, Rn. 112; Rn. 170; Burkhardt, JuS 1983, S. 428, m. w. H. Siehe aber Kühl, AT4, § 15, Rn. 48, nach dem schon das unmittelbare „Ansetzen zur Nötigung und nicht erst das zur Wegnahme“ ausreicht. 94 In diesem Sinne Jakobs, AT, 25/70; Roxin, AT II, § 29, Rn. 111, weiterhin 171; BGHSt 4, S. 173 ff., S. 176. 95 Jakobs, AT, 25/70; Roxin, AT II, § 29, Rn. 114, auch wenn es bei beiden auf die Zeitnähe der geplanten Brandstiftung ankommt, wobei der kommunikative Kontext auf Tatbestandsnähe reduziert wird. Die Tatbestandsnähe schafft aber noch kein unerlaubtes Risiko, keine Eigentumsumschichtung. 96 Vgl. Maurach/Gössel/Zipf, AT II, § 40, Rn. 48; SK-Rudolphi, § 22, Rn. 13; Baumann/Weber/Mitsch, § 26, Rn. 54; Tröndle/Fischer51, § 22, Rn. 10; Freund, AT, 8/58; LK10-Vogler, § 22, Rn. 39 ff.; BGH StV 84, S. 420; BGHSt. 26, S. 201 ff., S. 204; 28, S. 163. Mit weiteren Hinweisen Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. § 22, Rn. 40; Kühl, AT4, § 15, Rn. 58. Vgl. auch v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, § 44, S. 298, wenn auch nicht in Bezug auf die Tatbestandshandlung, sondern auf die Tatbestandserfüllung (Fehlen des „erforderlichen objektiven Schlußstückes“). 97 So kritisch BGHSt. 26, S. 201 ff., S. 204. 98 Geilen, AT4, S. 164, in kritischem Sinne. Ebenso kritisch Kühl, AT3, § 15, Rn. 60; Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. § 22, Rn. 41. 92

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Inneren des Autos befindlichen Stocks bedienen will bzw. muß. Diese enge Betrachtung, die von der Zufälligkeit der Ausgestaltung jedes Einzelfalles abhängt, ist durch das Abstellen auf „wesentliche“ Teilakte korrigiert worden – unwesentliche Zwischenakte werden nicht einbezogen99. Durch den Verweis auf die Wesentlichkeit wird wiederum keine Konkretisierung im Verhältnis zur Frankschen Formel gewonnen100. Die Rechtsprechung greift jedoch wegen des Gewinns an Rechtssicherheit auf die genannte Formulierung dank ihrer Anknüpfung an die Tatbestandshandlung zurück101. Die Theorie muß deswegen scheitern, weil sie – mit den Worten von Vogler – „keine Antwort gibt, weshalb eine Handlung im Vorfeld des Tatbestands schon Unrecht sein kann, und zwar tatbestandliches Unrecht eines noch gar nicht – nicht einmal teilweise – verwirklichten Tatbestands“102. Oder mit Jakobs gesprochen: „Das Gesetz bezeichnet als Ausführungshandlung den Moment der Verursachung, aber nicht, um diesen Moment als einen isolierbaren Teilakt, als abgeschlossene Handlung, auszuweisen, sondern um die relevante Gemeinsamkeit aller möglichen tatbestandlichen Handlungen zu benennen“103. Mit Töten (§ 212 StGB) ist z. B. nicht eine naturalistisch beobachtete Körperbewegung gemeint, nicht bloß ein körperliches Tun oder ein Verursachungszusammenhang, sondern vielmehr ein Sinnzusammenhang, der von allen unter § 212 StGB subsumierbaren Handlungen getragen wird. Die Reduzierung des Versuchszusammenhangs auf naturalistisch wesentliche Teilakte operiert mit Bildern, die nur dadurch Strafrechtssubstanz erhalten, weil die „juristische Urteilskraft des Auslegers“ die soziale Ebene des Verhaltens und der Tatbestandsbedeutung jenseits der dogmatischen Argumentation erreicht. Es geht aber um dogmatische Argumentation. Die Zwischenaktstheorie ist ein Abkömmling der formell-objektiven und der materiell-objektiven Theorie im Sinne der Frankschen Formel. Sie versucht aber das Materielle (den „natürlichen Zusammenhang“) und das Formelle (die Bindung an den Tatbestand) vor der Teilverwirklichung des Tatbestandes zu orten. 99 SK-Rudolphi, § 22, Rn. 13; Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. § 22, Rn. 39, 42 (wobei der Gefährdungsgedanke hier für die Bestimmung der Wesentlichkeit herangezogen wird); Jescheck/Weigend, AT, S. 519; LK10-Vogler, § 22, Rn. 39; LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 77; Berz, Jura 1984, 511, 514, 517; Maurach/Gössel/Zipf, AT II, § 40, Rn. 50; Kühl, JuS 1980, S. 652; ders., AT4, § 15, Rn. 60; Krey, AT II, Rn. 420 ff.; BGHSt. 26, S. 201 ff., S. 204. 100 Zu Recht Roxin, AT II, § 29, Rn. 138; Meyer, GA 2002, S. 372; Rath, JuS 1998, S. 1108; ähnlich Jakobs, AT, 25/62; Murmann, Versuchsunrecht, S. 25; Kratszch, JA 1983, S. 422. 101 Siehe BGHSt. 26, S. 201 ff., S. 203; 35, S. 6 ff., S. 8; 36, S. 259 ff., S. 250; 40, S. 257 ff., S. 268; 43, S. 177 ff., S. 179; mit weiteren Hinweisen LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 66, Fn. 27. 102 Vogler, FS Stree/Wessels, S. 287. 103 Jakobs, AT, 25/62.

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Deswegen nimmt die h. M. sie in Anspruch. Sie bleibt aber dem reduktionistischen Verständnis von Formalität bzw. Positivität und Materialität der älteren objektiven Theorien verhaftet104. Der richtige Weg geht zwar dahin, den Versuch als Teilverwirklichung des Tatbestands zu definieren doch auf der Basis eines normativ-freiheitlichen Verständnisses des Tatbestandes und des Versuchsunrechts. Gerade auf dieser Basis wird § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs“ verständlich und nicht bloß als nichtssagende Klugheitsregel des aktiven unbeendeten Versuchsbeginns. III. Die Franksche Formel und methodischer Reduktionismus bei den materiellen Formeln 1. Die Zusammengehörigkeit der Versuchshandlung mit der Tatbestandshandlung nach dem „natürlichen“ Zusammenhang (Frank) Nach Frank gehören zum Versuchstatbestand alle Handlungen, die „vermöge ihrer notwendigen Zusammengehörigkeit mit der Tatbestandshandlung für die natürliche Auffassung als deren Bestandteil erscheinen“105. Zu den Bestandteilen der Tatbestandshandlung gehören also andere – auch vorgelagerte – Handlungen, zwar nicht formell-positivistisch, aber materiell-positivistisch nach „natürlicher“ Methode. Wichtig ist bei dieser Formel, daß sie die Positivität des 104 Vgl. nur Berz, Jura 1984, S. 517: „Will man dazu [scil. zur Zwischenaktstheorie] nicht weitere – wiederum auslegungsbedürftige, in der Praxis noch nicht durch Präjudizien geprägte und damit jedenfalls zunächst ungewissere – Formeln kreieren, so bleibt nur die sozusagen empirische Methode, den jeweiligen Einzelfall mit denjenigen unterschiedlichen Fallgestaltungen zu vergleichen, in denen ein weitgehender Konsens zur Annahme oder zur Ablehnung des Versuchsbeginns besteht, um so Rückschlüsse für die Bestimmung des erforderlichen Näheverhältnisses bei der entscheidenden Grundlage zu ziehen“ (Hervorh. von mir). Anders ausgedrückt: Die Zwischenaktstheorie ist keine Formel, sondern ein Prinzip (Nähe zur Tatbestandsverwirklichung), als Konkretisierung bleibt nur die empirische Methode, aus der Behandlung von Fällen, die – nach h. M. auf der Basis des (generalpräventiven) Naturalismus – heutzutage als richtig gelöst gelten, vergleichsweise Indizien für andere Fallkonstellationen zu ziehen. Es bleibt in der Gesetzesanwendung bloß Rechtsunsicherheit unter dem Paradigma der Prävention. 105 Vgl. Frank, Strafgesetzbuch, § 43, S. 65. Siehe ebenso von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 399, S. 402, der auf die „natürliche Lebensauffassung“ zur Bestrafung von Handlungen hinweist, die „bis unmittelbar an die Grenze der Ausführung heranrück(en) (. . .). Dringend zu warnen aber ist vor zeitlicher und sachlicher Ausdehnung dieses Begriffs. Denn solche führt zur Bestrafung bloßer Vorbereitung im Widerspruch zum Gesetz“. Und in der Tat wurde das Gesetz geändert, umformuliert, präzisiert (siehe Blei, Strafrecht AT, 17. Aufl. [1977], S. 200 ff.; Meyer, JuS 1977, S. 19 ff.). Daß § 22 StGB und der Diskussion zu ihm dies nicht gelungen ist, wurde schon bald festgestellt (siehe nur Meyer, JuS 1977, S. 21). Denn es ist nicht nur ein Problem der Formulierung des Versuchsbegriffs, sondern der Auslegungsmethode, die heute immer noch Naturalismen (vgl. etwa Weigend, Entwicklung, S. 122) verhaftet bleibt.

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Rechts, den Gesetzeswortlaut ausdrücklich auf seine materiellen – wenn auch „natürlichen“ – Grundlagen verweist: Zum Handlungsbegriff gehört ein Sinnzusammenhang, nicht nur das bloß Formelle des Tatbestands. Das erklärt die breite Anerkennung und Relevanz dieser Formel in Literatur und Rechtsprechung106. Bemerkenswert ist, daß die Franksche Formel auch von Autoren herangezogen wird, die einen „natürlichen Zusammenhang“ zwischen der Tatbestandshandlung und versuchsrelevanten, vorgelagerten Handlungen bejahen, aber solche vorgelagerten Handlungen nicht als „Bestandteil“ der Tatbestandshandlung bzw. als tatbestandlich ansehen und dementsprechend in solchen Fällen nicht von einer Teilverwirklichung des Tatbestandes sprechen wollen107. Meist geht aber die Anwendung der materiellen Grundlagen der Konstruktion theoretischer „Begrifflichkeit“ vor. 2. Der Mangel des naturalistischen Prinzips: methodischer Reduktionismus Die genannten Formeln wollen den genauen Zusammenhang zwischen Versuch und Vollendung („Unmittelbarkeit“ des „Ansetzens“), der das Verhalten als unerlaubt charakterisiert, in materieller Hinsicht näher erklären. Der Begriff der Unmittelbarkeit des Ansetzens leidet unter dem Reduktionismus der naturalistischen Methode. Häufig bleibt der Reduktionismus stark, wie bei der herkömmlichen Teilaktstheorie (letzte Handlung vor der tatbestandsmäßigen Handlung) oder bei den auf den zeitlichen, räumlichen, unmittelbaren, ungestörten Zusammenhang abstellenden Formeln, welche, als Regel formuliert, eigentlich keinen brauchbaren Maßstab anbieten und auf die „juristische Urteilskraft des Auslegers“ angewiesen sind. Sonstige materielle Kriterien, wie etwa der Eindruck, die Auffälligkeit, die Normalität, die Gefahr, der Wille des Täters, sind Kriterien, deren grundlegende Unzulänglichkeit in der Arbeit eingehend gezeigt worden ist. Ausgangspunkt – der „natürliche“ Zusammenhang – ist dasjenige, was letztendlich die Mängel dieser Vorschläge in sich trägt.

106 Vgl. Kohlrausch/Lange, II., vor § 43; Köhler, AT, S. 460, S. 464; SK-Rudolphi, § 22, Rn. 13; LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 57 f.; BGH NJW 1980, S. 1759 f.; BGHSt. 4, S. 273. 107 Siehe etwa Jescheck/Weigend, AT, S. 517, S. 519; LK10-Vogler, § 22, Rn. 25. Die Formel als zu weitgehend ablehnend Kühl, AT4, § 15, Rn. 57.

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IV. Materielle Konkretisierungsformeln des „natürlichen Zusammenhangs“ 1. Subjektive Konkretisierungsformeln a) Die „Jetzt geht es los“-Formel Die Relevanz des Merkmals der „Vorstellung des Täters“ in § 22 StGB wird bei der Anwendung der Frankschen Formel durch die Hervorhebung der Täterbezogenheit der Formel korrigiert. Dies geschieht etwa unter Verweis auf den „Plan des Täters“108, was in der Praxis zu einer exzessiven Subjektivierung der Abgrenzung geführt hat109. Ähnliches gilt für die viel verwendete „Jetzt geht es los“-Formel110. Wird diese Formel isoliert herangezogen, dann bleibt sie, bezogen auf die anderen Tatbestandsmerkmale des § 22 StGB, begrifflich unvollständig. Sie hebt lediglich die Täterbezogenheit des Versuchsunrechts plastisch hervor, ohne dem § 22 StGB mehr als ein fragliches intuitives Bild hinzuzufügen. Deswegen wird sie in Rechtsprechung und Literatur normalerweise unter Hinzuziehung weiterer Abgrenzungsformeln angewendet111. In ihrer subjektivistischen Version112 mißversteht diese Formel zudem die Relevanz des Merkmals der „Tätervorstellung“ bei der Zurechnung zum Versuch. Intuitiv verweist sie auf einen Sachverhalt im Kopf des Täters und stellt die Abgrenzung damit dem Urteil des Täters anheim113, bezieht ihn aber nicht in die objektive Zurechnung ein. Eine innersubjektive endgültige Reflexion bzw. Entscheidung als „Jetzt geht es los“ kann auch bei Vorbereitungshandlungen vorkommen114 oder etwa fehlen, wie bei Delikten mit „materiellem Vorbereitungscharakter“115. Und umgekehrt: Meint der Täter, daß es noch nicht „los 108

Siehe etwa BGHSt. 6, S. 302; BHG NJW 2002, S. 1057. Kritisch etwa Roxin, AT II, § 29, Rn. 135; Geilen, AT4, S. 161. 110 Hall, GS 110, S. 107; Tröndle/Fischer50, § 22, Rn. 10; Fahl, JA 1997, S. 635; Krey, AT II, Rn. 419; Wessels/Beulke33, Rn. 601. In der Rechtsprechung etwa BGHSt. 28, S. 163; 26, S. 203 f.; BGH NJW 1980, S. 1759. 111 So Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 313; NK-Zaczyk, § 22, Rn. 23 f.; Freund, AT, § 8, Rn. 58; Fahl, JA 1997, S. 635 ff.; weiterhin BGHSt. 26, S. 203 f.; 28, S. 162 f. Siehe hierzu Roxin, AT II, § 29, Rn. 133. 112 Siehe nur Hall, GS 110, S. 107. 113 Kritisch auch Roxin, AT II, § 29, Rn. 130; LK10-Vogler, § 22, Rn. 43, („gegen die Subjektivierung des Zeitmoments“ bei dieser Formel); Meyer, GA 2002, S. 373. 114 Vgl. auch Roxin, AT II, § 29, Rn. 130; NK-Zaczyk, § 22, Rn. 24. Die Formel garantiert keine Rechtssicherheit in ihrer Anwendung und wird willkürlich als Pseudoargumentation eingesetzt. Bei demselben Sachverhalt argumentieren mit dem „Jetzt geht es los“ etwa der BGH GA 1980, S. 24 und Roxin, AT II, § 29 Rn. 146, m. w. H., diametral entgegengesetzt. 115 Jakobs, AT, Rn. 25/59. 109

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geht“, weiß er aber, daß er ein unerlaubtes Risiko setzt, dann soll „nach seiner Vorstellung“ ein unmittelbares Ansetzen vorliegen116. Mit den Worten Voglers117: „Die subjektive Vorstellung des Täters von der Tat ist nur Grundlage, nicht Maßstab der Beurteilung“. Das „Jetzt geht es los“ als „unmittelbares Ansetzen“ wird also vom Strafrecht, nicht vom Täter entschieden: Es geht um genuin strafrechtliche Begriffe, scil. objektive (Schuld-)Zurechnung. Bei der Objektivierung der Formel des „Jetzt geht es los“ bezeichnet diese entweder einen dolus ex re, wobei die Erkennbarkeit längst vor der Unmittelbarkeit oder sogar nach der Vollendung deutlich werden oder überhaupt fehlen kann118, oder einfach nur ein zeitlich oder räumlich unmittelbares Ansetzen, ohne das Gesetz, und damit das Ansetzen selbst, den Versuchszusammenhang und die Bezogenheit zum Sachverhalt der Vollendung im Gesamtunrecht, weiter zu präzisieren119. b) Das Bestehen der „Feuerprobe der kritischen Situation“ (Bockelmann) Nach der Formel Bockelmanns liegt Versuch vor, wenn der Täter die „Feuerprobe der kritischen Situation“ bestanden hat. Die kritische Situation „ist dann gegeben, wenn der Täter sich vor der Aufgabe sieht, die Handlung vorzunehmen, die (. . .) zur Verwirklichung des Tatbestandes (. . .) führen wird. Es ist der Augenblick, in dem die letzte maßgebliche Entscheidung über das Ob der Tat gefällt wird“120. Diese Formel leidet an denselben Mängeln wie die Formel des „Jetzt geht es los“: Die Feuerprobe – als endgültiger Entschluß – kann vor oder nach dem unmittelbaren Ansetzen überstanden sein121. Als unmittelbares Ansetzen wird die zeitliche Nähe zur Tatbestandsverwirklichung nur plastisch mehr oder weniger drastisch122 umschrieben, über die Formulierung des § 22 116 Anders Roxin, AT II, § 29, Rn. 132: „Denn natürlich kann niemand nach seiner Vorstellung zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt haben, wenn er der Meinung ist, es solle mit der Ausführung noch nicht losgehen“. 117 LK10-Vogler, § 22, Rn. 44 (Hervorh. dort), weiterhin Rn. 31 mit Fn. 18. Siehe auch J. Meyer, ZStW 87 (1975), S. 604; Kühl, AT4, § 15, Rn. 77; LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 87, jeweils m. w. H. 118 So auch Jakobs, AT, 25/59. 119 In diesem Sinne ist die Berechtigung dieser Formel (wie Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 313, es zu verstehen gibt) auch nicht einzusehen, sondern nur ihre mögliche Entsprechung zum Gesetz (Jakobs, AT, 25/59). Dazu kritisch auch LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 67; Berz, Jura 1984, S. 516. 120 Bockelmann, JZ 1954, S. 468 ff., S. 473. Siehe weiterhin Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 313; NK-Zaczyk, § 22, Rn. 23 f.; Freund, AT, § 8, Rn. 58. Vgl. auch BGHSt. 26, S. 201 ff., S. 203; BGH NJW 1980, S. 1759 f.; StV 1987, S. 529. 121 Roxin, AT II, § 29, Rn. 134; Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 312. 122 Deswegen wird eine Nähe dieser Formel zur Teilaktstheorie erwähnt. Siehe Roxin, AT II, § 29, Rn. 134.

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StGB wird aber nichts gewonnen – außer eine starke Individualisierung der Zurechnung. Es wird also notwendig, sich entweder auf das intuitive Gefühl, auf die „juristische Urteilskraft“123 des Urteilers oder sonst auf die materiellen (naturalistischen) Grundlagen der Zurechnung zu stützen. 2. Objektive Konkretisierungsformeln a) Gefährlichkeitskriterium Die materielle Konkretisierung des (natürlichen) Versuchszusammenhangs wird teilweise im Kriterium der unmittelbaren Gefährdung im Sinne eines unmittelbaren Angriffs auf das geschützte Rechtsgut(objekt)124 gesucht, ein Kriterium, dessen grundlegende Mängel oben hervorgehoben wurden125. Zu Recht wird oft betont, daß selbst bei abstrakten Gefährdungsdelikten eine unmittelbare Gefährdung nicht erforderlich sei126. Es wird deshalb versucht dieses Kriterium als „tatbestandsrelevante oder tatbestandsnahe Gefahr“127 zu spezifizieren. Eser128 etwa nimmt diese Spezifizierung durch Bezugnahme auf die Teilaktstheorie vor („ohne wesentliche Zwischenschritte“), wonach eben das Wesentliche – schließlich wieder die Franksche Formel – auf ein formelles Kriterium (nämlich den wesentlichen letzten Teilakt) zurückgeführt wird, scil. auf die unmittelbare BT-Tatbestandsbezogenheit bzw. Vollendungsbezogenheit. Der nor123 Darauf beruft sich letztendlich NK-Zaczyk, § 22, Rn. 24, der auf die Berechtigung der Formel Bockelmanns und Drehers – „Die Wendung des Verhältnisses hin zum Unrecht“, die mit der „inneren Haltung des Täters“ korrespondiert – und auf ihre Anwendbarkeit hinweist (Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 313). 124 Vgl. BGH NJW 1980, S. 1759 f.; BGH NJW 1952, S. 515; BGH NJW 2002, S. 1057; BGH NStZ 1981, S. 99; BGH NStZ 1989, S. 473; BGH StV 1994, S. 240; BGHSt. 2, S. 380; 3, S. 297 ff., S. 299; 4, S. 273; 6, S. 98; 9, S. 62 ff., S. 64; 20, S. 151 f.; 22, S. 80 ff., S. 82; 30, S. 363 ff., S. 365; 40, S. 257 ff., S. 268. Vgl. mehr oder weniger den Gefährdungsgedanken in Anspruch nehmend Geilen, AT4, S. 164; Tröndle/Fischer51, § 22, Rn. 10; Gropp, AT, S. 273; Stratenwerth, AT4, § 11, Rn. 40; J. Meyer, ZStW 87 (1975), S. 612; Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 148 ff.; Murmann, Versuchsunrecht, S. 17; Otto, AT, § 18, Rn. 28 ff., S. 243; Jescheck/Weigend, AT, S. 519. 125 Siehe 1. Kap., § 2 A. I. 126 Stratenwerth, AT3 I, Rn. 673; ders., AT4, § 11, Rn. 33; LK10-Vogler, § 22, Rn. 55; LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 82; Berz, Jura 1984, S. 511, S. 513; Meyer, GA 2002, S. 375 ff. 127 Vgl. Schönke/Schröder/Eser, § 22, Rn. 39 ff.; v. Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 405 („Gefahr der Verwirklichung des konkreten Deliktstatbestandes“); Geilen AT, S. 164; Hirsch, FS Roxin, S. 716; Tröndle/Fischer51, § 22, Rn. 11; MK-Herzberg, § 22, Rn. 145; den Gefährdungsgedanken als formell begrenzten leistungsfähigen Gedanken, als Indiz, nicht als konstitutives Merkmal des Versuchsbegriffs anerkennend LK10-Vogler, § 22, Rn. 56 f., weil „in den Straftatbeständen Rechtsgutsverletzungen typisiert sind“ (ders., Rn. 59). 128 Schönke/Schröder/Eser, § 22, Rn. 39.

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mativ-freiheitliche Zusammenhang des unmittelbaren Ansetzens wird freilich nicht erklärt. Es gelingt nicht, das Gefährlichkeitskriterium zum unerlaubten Risiko im Sinne der objektiven Zurechnung, scil. zur normativen Freiheitsverletzung bzw. Eigentumsumschichtung (im weiten Sinne), umzudeuten und die Tatbestandsnähe als Tatbestandsmäßigkeit des Versuchs zu begreifen129. b) Das Kriterium der unmittelbaren bzw. ungestörten BT-Tatbestandsbezogenheit Insbesondere die Rechtsprechung schlägt auch eher abstrakte Formeln vor: Die Rede ist von Handlungen, die in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung bzw. zur Tatbestandserfüllung führen130 bzw. die in die Tatbestandshandlung unmittelbar einmünden131. Die bloße Erwähnung dieses „unmittelbaren“ bzw. „ungestörten“ Zusammenhangs des Versuchs mit der Tatbestandsverwirklichung versucht den Versuchszusammenhang schlagwortartig in seiner BT-Vollendungsbezogenheit zu beschreiben. Hierbei findet keine Deutung des gesetzlichen Merkmals der Unmittelbarkeit statt, dieses wird nur wiederholt oder bildhaft ersetzt („ungestört“)132. Die Formeln stellen also auf eine Vorverlagerung vor die Versuchshandlung ab, die eine naturalistische Deutung vom gesetzlichen „unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung“ bloß bildhaft-intuitiv zu konkretisieren vermag133. c) Der zeitliche und räumliche Zusammenhang mit der Tatbestandserfüllung Durch die Formel des „zeitlichen und räumlichen“134 Zusammenhangs mit der Tatbestandsverwirklichung wird das Kriterium der Unmittelbarkeit durch 129

Näher unten 2. Kap., § 6 D. BGH NJW 1952, S. 514 f.; BGHSt. 26, S. 201 ff., S. 203; 28, S. 162 ff., S. 163; 30, S. 363 ff., S. 364; 36, S. 249 ff., S. 250; 40, S. 257 ff., S. 268; 43, S. 177 ff., S. 149; BGH NStZ 1981, S. 99. Wessels/Beulke33, Rn. 601. In diesem Sinne auch die „Zwangsläufigkeitstheorie“ von J. Meyer, ZStW 87 (1975), S. 607: „Das Versuchsstadium dürfte aber immer dann erreicht sein, wenn eine Kausalkette in Gang gesetzt ist, die gewissermaßen ,mit tödlicher Sicherheit‘ zum deliktischen Erfolg führt“. 131 Siehe BGH 28, S. 163; 30, S. 363 ff., S. 364; 35, S. 6 ff., S. 8; LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 99 (Handlungsunmittelbarkeit); SK-Rudolphi, § 22, Rn. 9 m. w. H. 132 Roxin, AT II, § 29, Rn. 129. 133 Roxin, AT II, § 29, Rn. 129; Meyer, GA 2002, S. 373 f. (zutreffend Meyer, S. 374, zum zeitlichen Aspekt: „Der Sache nach wird ein zeitlicher funktionaler Zusammenhang verlangt“). 134 BGHSt. 26, S. 201 ff., S. 203; LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 114; Wessels/Beulke33, Rn. 601; Schlehofer, Vorsatz und Tatabweichung, S. 79; Meyer, JuS 1977, S. 21; BGHSt. 9, S. 62 ff., S. 64; 22, S. 80 ff., S. 82; 28, S. 162 f.; 30, S. 363 ff., S. 364; 36, S. 249 ff., S. 250; 43, S. 177 ff., S. 179; BGH NJW 1980, S. 1759; BGH NJW 1952, S. 515; BGH NStZ 1981, S. 99; BGH bei Dallinger MDR 1973, S. 728. 130

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empirische, stark phänotypische Kriterien ergänzt, die auch auf Vorbereitungshandlungen zutreffen können135. Sowohl bei der zeitlichen und räumlichen Bezogenheit als auch bei der gerade gesehenen „unmittelbaren Vollendungsbezogenheit“ geht es nicht um einen subjektiv oder objektiv „natürlichen“136, sondern – so zutreffend Meyer in seiner Formulierung zum zeitlichen Aspekt – um einen „funktionalen Zusammenhang“137. Abgesehen von Formen wie der mittelbaren Täterschaft oder der actio libera in causa wird der Tatzeitpunkt, innerhalb dessen Versuch und Rücktritt stattfinden, nicht von empirischen Gegebenheiten, wenn diese auch normalerweise regelmäßig vorliegen mögen, sondern vom normativen Prozeß der Usurpation von Rechten bestimmt. Dieser Prozeß legt den Tatzeitpunkt fest. Die Unmittelbarkeit wird nicht bloß zum phänotypischen (zeitlichen Aspekt nach der individuellen Tätervorstellung), sondern genotypischen Merkmal (Rechtsverletzung als objektive Schuldzurechnung). d) Die „Einwirkung auf die Opfer- bzw. Tatbestandssphäre“ (Roxins „konkretisierte Teilaktstheorie“) Zur Konkretisierung der Teilaktstheorie und auch der Frankschen Formel schlägt Roxin neben dem Kriterium des „engen zeitlichen Zusammenhangs“ das Kriterium der „Einwirkung auf die Opfer- bzw. Tatbestandssphäre“ vor. Zur Bejahung des Versuchs müssen beide Kriterien vorliegen („konkretisierte Teilaktstheorie“)138. Roxin will das unmittelbare Ansetzen im Sinne eines zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs mit der Ausführungshandlung erklären. Dabei nimmt er auf subjektiver Grundlage eine objektive Bestimmung dieses doppelten Zusammenhangs vor. Anhand von Fällen versucht er nahezulegen, was zeitlich mit 135 Roxin, AT II, § 29, Rn. 129; aus rechtsstaatlichen Gründen Vogler, FS Stree/ Wessels, S. 287. Sie wird in Zusammenhang mit anderen Kriterien verwendet, wobei die spezifische Funktion der Kriterien, wie bei der Anhäufung und der Anwendung verschiedener Abgrenzungsregeln üblich ist, nicht mehr ersichtlich ist, sie dient vielmehr dazu, Ergebnisse zu rechtfertigen. So erfüllt der zeitliche Aspekt nach Kühl, JuS 1980, S. 811; dems., AT4, § 15, Rn. 70, die Funktion „mehrere Teilakte zu einer letzten Zwischenphase“ zusammenzufassen, so daß „in dieser Funktion das Zeitkriterium die (. . .) Entscheidung im Fall des geplanten sexuellen Mißbrauchs an Kindern: der zeitliche kurze Weg zum Tatort hindert den Versuchsbeginn nicht, wenn es bei Erreichen des Tatortes sofort losgehen soll. Nach dem Herauslösen des Kindes aus seiner gewohnten, ihn schützenden Umgebung läuft das Tatgeschehen fast ,automatisch‘ auf das vom Täter angestrebte Ziel hin zu“. 136 Vgl. Kühl, AT4, § 15, Rn. 68 ff.; MK-Herzberg, § 22, Rn. 156 f. (das Prinzip der „Forderung des sekundennahen, wahrhaft ,unmittelbaren‘ Bevorstehens der Verwirklichung des Tatbestandes“). 137 So die zutreffende Formulierung von Meyer, GA 2002, S. 374. Siehe auch LK10-Vogler, § 22, Rn. 48 („zeit-funktionaler Zusammenhang“). 138 Roxin, AT II, § 29, Rn. 139 ff.; ders., JuS 1979, S. 4 ff.

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unmittelbarer Nähe und sachlich mit Opfer- und Tatbestandssphäre gemeint ist. Eine Erklärung leistet er dennoch nicht. Bedenkt man, daß Roxin diese Kriterien nicht aus dem Strafgrund des Versuchs139 und nicht direkt aus der objektiven Zurechnung140 ableitet, ist die ausbleibende Erklärung beider Merkmale ein nicht zu behebender Mangel. Er benennt zwar die Maßstäbe, diese bleiben aber unbestimmt. Interessanter ist in diesem Zusammenhang der nicht weiter spezifizierte Hinweis Roxins darauf, daß „in dem Abstellen auf die Opfer- bzw. Tatbestandssphäre der von Vogler mit Recht geforderte Bezug auf die Struktur und Auslegung des jeweiligen Tatbestandes (steckt)“141, was in dieser Arbeit weiter verfolgt wird. Durch Bezugnahme auf den Willen und den Plan des Täters sind die Kriterien der Zeitnähe und Einwirkung auf fremde Sphären nicht sauber abgrenzbar142. Will der Täter beispielsweise nach dem Läuten an der Tür sofort stehlen, soll versuchter Diebstahl vorliegen, denn „durch das Läuten“ werde die „Einwirkung“ bzw. „der Bezug zur Opfersphäre hergestellt“143 – auch wenn sich das Opfer ansonsten sozial unauffällig, „nicht beeindruckend“ verhalten habe. Zur zeitlichen Nähe führt Roxin beispielsweise als Erklärung lediglich aus: „Wer einem anderen die Pistole vorhält, aber einstweilen damit nicht schießen will, begeht noch keinen Tötungsversuch“144. Roxins Bezugnahme auf die konkrete Struktur und Auslegung des jeweiligen Tatbestands wird anhand der Formulierungen deutlich, die er zur Lösung der von ihm ausgewählten Fälle verwendet. Bei Vergewaltigung spricht er von „Körpersphäre“145 und bei Diebstahl von „Gewahrsamsbereich“146. „Auch der Staat und andere öffentlich-rechtliche Institutionen können Opfer deliktischer Angriffe werden“, besitzen nach Roxin also eine „Sphäre“147. Bei den „Annäherungsfällen“ heißt es zur Opfersphäre in dem Fall, bei dem der Täter „mit gezogener Pistole in Tötungsabsicht auf sein Opfer‘ zugeht“148, daß hier Versuch vorliege, denn „der Bezug zur Sphäre des Opfers wird durch dessen Bedrohung hergestellt“149. Bei Roxin fehlt es aber an einer überzeugenden An139

Roxin, AT II, § 29, Rn. 99 ff. Roxin, AT II, § 29, Rn. 189. 141 Roxin, AT II, § 29, Rn. 144. 142 In ähnlichem Sinne MK-Herzberg, § 22, Rn. 164. 143 Roxin, AT II, § 29, Rn. 140; nicht von ungefähr ähnlich die subjektivistische Abgrenzung Zaczyks, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 236, in einem ähnlich gelagerten Fall. 144 Roxin, AT II, § 29, Rn. 140. 145 Roxin, AT II, § 29, Rn. 141. 146 Roxin, AT II, § 29, Rn. 141. Im Fall des Diebstahls an einer sich im Auto befindenden Tasche sei neben der Zeitnähe ausschlaggebend, daß man in das Innere des Autos als in „den Gewahrsamsbereich des zu Bestehlenden“ eingreife (Roxin, S. 139). 147 Roxin, AT II, § 29, Rn. 142. 148 Roxin, AT II, § 29, Rn. 145; Streng, FS Zipf, S. 345. 140

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wendung der Begriffe durch eine konkret-rechtliche Tatbestandsauslegung. Zwar markiert die Formulierung „Bedrohung“ im erwähnten Fall einen rechtlichen Begriff, wird aber offensichtlich in einem weiteren Sinne als der „beeindrukkende“ bedrohliche Charakter des Täterverhaltens (die Annäherung mit gezogener Pistole plus Tötungswille) verstanden, was noch nicht ein genuin strafrechtliches Argument darstellt150. Die Bezugnahme auf ein Eindruckselement, nicht aber auf eine rechtliche Analyse der Struktur und Auslegung des entsprechenden Tatbestands, wird auch in folgendem Fall sichtbar: Der Täter teilt dem Opfer (einer Frau) mit, daß er es umbringen will. Er geht bewaffnet zum Mietshaus des Opfers, in dem es wohnt, und klingelt an der Eingangstür. Dem Täter wird nicht geöffnet, sondern er wird festgenommen. Nach Roxin reicht „das Klingeln hier (. . .) als Einwirkung auf die Sphäre des Opfers nicht aus, weil es infolge der Warnung durch den Täter den Schutz der Frau nicht beeinträchtigte und keinen Erfolg versprach“151, d.h., die Gesellschaft wird noch nicht in ihrer Rechtssicherheit erschüttert, weil durch die Warnung noch die Sicherheit des Rechts(-kreises) und so die Erfolglosigkeit des Täterplanes besteht (Eindrucksgedanke). In „Schutzminderungsfällen“ will Roxin beim Vorliegen eines engen Zeitzusammenhangs Versuch bejahen152. Dazu einige Beispiele: „Der Angeklagte war in ein Gehöft eingetreten, um dort zu stehlen. Weil der auf dem Hof angekettete Hund bellte, band er ihn los und führte ihn aus dem Gehöft heraus. Er wollte dann sofort zurückkehren“153; Beseitigung eines Begleiters des Opfers, um es hinterher unmittelbar – oder nicht unmittelbar, aber sich mit dem Opfer bereits auf dem Weg zum Tatort befindend – ungestört zu berauben154; Hinführen des zu mißbrauchenden Kindes zum Tatort, wenn die sexuelle Handlung gegen dessen Willen vorgenommen werden soll, „denn mit dem Wegführen verliert das Kind ,den Schutz seiner vertrauten Umgebung, und jeder weitere Schritt führt direkt in den Erfolg hinein‘“155. Dabei ist zweierlei festzustellen: Erstens scheint 149

Roxin, AT II, § 29, Rn. 145 (Hervorh. von mir). Ebenso bei dem Kriterium der „tätigen Beziehung zum fremden Rechtskreis“ (Kühl, AT4, § 15, Rn. 72–76). 151 Roxin, AT II, § 29, Rn. 151 (Hervorh. von mir). Beiläufig: Daß die Warnung den Schutz des Opfers nicht beeinträchtigt, kann evtl. aus polizeilicher Perspektive interessant sein, besagt aus strafrechtlicher Perspektive an sich aber nichts. Denn dem Opfer ist nicht vorzuhalten, es sei angegriffen worden, weil es sich nicht geschützt habe. Die Pflicht des Täters, nicht anzugreifen, besteht grundsätzlich unabhängig von der Klugheit und Einstellung seines Opfers. 152 Roxin, AT II, § 29, Rn. 162 ff. 153 Roxin, AT II, § 29, Rn. 163 nach RGSt. 53, S. 218; auch Versuch bejahend SKRudolphi, § 22, Rn. 17; Krey, AT II, Rn. 428. 154 Roxin, AT II, § 29, Rn. 164 wie BHGSt. 3, S. 297. Dagegen Berz, Jura 1984, 518; SK-Rudolphi, § 22, Rn. 17. 155 Roxin, AT II, § 29, Rn. 167 in Anlehnung an BGHSt. 34, S. 6; ders., JuS 1979, S. 8. 150

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hier das Kriterium der Zeitnähe auszureichen, die Einwirkung auf die Gewahrsams- bzw. Körpersphäre trägt eigentlich nicht zur Abgrenzung bei156 (man befindet sich außerhalb des Hofs, kein Kontakt zur Körpersphäre in den letzten Fällen). Hier wird deutlich, daß die Opfersphäre eigentlich keinen genuin-juristischen Begriff, sondern ein weites, intuitives, phänotypisches Bild darstellt. Die Reichweite der Opfersphäre wird dem Ergebnis nach gedeutet. Beispielsweise soll im Fall des Setzens einer Pistole auf die Brust mit den zusätzlichen Worten „Geld oder Leben“ nach Roxin weder ein Einwirken auf die Opfersphäre noch eine Zeitnähe zur Bejahung eines Mordversuchs vorliegen157. Auch wenn das Ergebnis richtig ist, „(liegt) der Grund allerdings nicht im Fehlen der Sphärenbeziehung zwischen Täter und Opfer oder eines unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs. Enger als durch das Auf-die-Brust-Setzen der Pistole können die Sphären von Täter und Opfer kaum aneinanderrücken. Der den Rechtsfrieden störende Zugriff auf die Opfersphäre tritt eindrucksvoll in Erscheinung (Eindruckstheorie!). Auch der enge zeitliche Zusammenhang zwischen Täterhandlung und Erfolgseintritt läßt sich schwerlich leugnen, wenn der Täter jeden Augenblick abdrücken kann“158. In diesem Zusammenhang hebt Vogler richtigerweise die Behandlung des Falls bei Roxin hervor, in dem der Täter zuerst mit dem Opfer zechen will, bevor er dann bei passender Gelegenheit über das Opfer herfällt. Nach Roxin soll hier kein Versuch vorliegen, weil es an dem „enge(n) zeitliche(n) Zusammenhang‘ zwischen Täterhandlung und erwartetem Erfolgseintritt“ fehle159. Nur ist das Abstellen auf die Zeitnähe eigentlich eine Korrektur des zu weiten und ungenauen Kriteriums der Berührung der Sphären160. Zweitens ist mit den treffenden Worten Voglers zu bemerken: „Die fehlende Bindung an die Tatbestandsausführungshandlung kommt – unter Einbeziehung des Gefährdungsgedankens und durch ihn verleitet – in Formulierungen zum Ausdruck, die auf das Ausnutzen der eintretenden Schutzlosigkeit für die Tat abstellen“161. Auch im Vergleich der „Auflauerfälle“ untereinander leuchtet es nicht ein, warum der „Pfeffertütenfall“162 anders als der „Tankwart-Fall“163 als bloße Vorbereitungshandlung zu bewerten sein soll. Für Roxin ist der „entscheidende Vgl. Kühl, AT4, § 15, Rn. 68, der auf den gelegentlich „ausschlaggebenden“ Charakter der Zeitnähe bei Roxin hinweist. 157 Roxin, JuS 1979, S. 8 f. 158 So zutreffend LK10-Vogler, § 22, Rn. 86. 159 Siehe Roxin, JuS 1979, S. 4 f. 160 In diesem Sinne auch LK10-Vogler, § 22, Rn. 53. 161 LK10-Vogler, § 22, Rn. 50. 162 BGH NJW 1952, S. 514: Die Täter warteten mit laufendem Motor und einer bereitgehaltenen Tüte Pfeffer nahe an der Haltestelle, wo nach ihrer Berechnung der zu überfallende Kassenbote mit der Straßenbahn eintreffen sollte, um darauf dem Boten Pfeffer in die Augen zu streuen, ihn zu überfallen und schließlich zu fliehen. Die Literatur lehnt überwiegend die Behandlung des Falles als Versuch ab. Siehe nur 156

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Punkt“, daß beim Tankwart-Fall die Täter davon ausgingen „– und allein auf ihre Vorstellung kommt es an –, daß das Opfer nicht erst erscheinen solle, sondern bereits anwesend sei und bei sogleich erfolgenden Öffnen der Türe in die Läufe der gezogenen Revolver blicken werde“164. Was für einen rechtlich relevanten Unterschied das Vermuten des Erscheinens hinter der Straßenbahntür einer jederzeit einzutreffenden Straßenbahn und hinter einer Haustür ausmachen soll, ist, von Vorstellungen der Gefährlichkeit des Plans abgesehen, nicht ersichtlich165. Aber gerade darum scheint es (auch) beim Eindrucksgedanken zu gehen, der an sich – wie schon eingehend kritisiert wurde – ein intuitives Kriterium aufstellt, aber kein Rechtssicherheit garantierender Beurteilungsmaßstab ist166. Roxin behandelt nicht den Begriff der Opfersphäre, sondern den des Einwirkens, wobei vorwiegend der verbrecherische Wille des Täters die Bestimmung der Einwirkung in eine fremde Sphäre prägt. Der Wille bildet nicht nur die Grundlage der Feststellung (und so der Konstruktion) der Zeitnähe, sondern auch der Bestimmung (wiederum der Konstruktion) der Störung einer Fremdsphäre. Dies entspricht dem Gedanken der Eindruckstheorie (subjektive Theorie plus Eindruck); sie steht hinter dem Begriff der Einwirkung auf die Opfer- bzw. Tatbestandssphäre. Roxins Herangehensweise verdeutlicht sich in der Besprechung des folgenden Falles167: Der Täter will eine Poststelle berauben, geht in den Schalterraum und wartet ab, daß die anwesenden Kunden weggehen. Währenddessen schreibt er eine Forderung auf Geldherausgabe auf eine Zahlkarte, die für die Postbeamtin bestimmt ist. Angesichts der Tatsache, daß immer neue Kunden kommen, verläßt der Täter die Poststelle. Nach Roxin liegt hier keine Einwirkung auf die Opfersphäre vor, weil „der Täter sich unauffällig in der jedermann zugänglichen Schalterhalle“ einfach aufgehalten habe168. Roxin argumentiert mit dem Kriterium des Eindrucks, welches noch keine genuin strafrechtliche Argumentation ausmacht169. Das Betreten einer Bank in der Absicht, Freund, AT, § 8, Rn. 61 ff. Anders aber Jescheck/Weigend, AT, S. 520; Fahl, JA 1997, S. 639. 163 BGHSt 26, 201: Die Täter wollten einen Tankwart berauben. Sie läuteten bewaffnet und mit übergestülpten Strumpfmasken an der Haustür in der Vermutung, daß auf ihr Läuten eine Person erscheinen würde, die bedroht, gefesselt und evtl. genötigt werden sollte. 164 Roxin, AT II, § 29, Rn. 156. 165 Siehe die Argumentation von Rath, JuS 1998, S. 1110, der ebenfalls den Begriff der Opfersphäre benutzt. 166 Auch MK-Herzberg, § 22, Rn. 165, sieht das Kriterium der Berührung der (tatbestandlich) geschützten Sphäre als auf das Rechtsgefühl angewiesen an. 167 Siehe BGH GA 1980, S. 24. 168 Roxin, AT II, § 29, Rn. 147. 169 Obwohl er ebenfalls die Eindruckstheorie vertritt, a. A. Jescheck/Weigend, AT, S. 520 – wie oben § 2 B. IV. dargestellt, stellt der Eindrucksgedanke letztendlich auf das Rechtsgefühl des je Beurteilenden ab.

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zu stehlen, sei dementsprechend „unauffällig“, nicht hingegen das bewaffnete oder maskierte Hineingehen170. Roxin bejaht auch in den „Probier- bzw. Überprüfungsfällen“ eine Einwirkung auf die Opfersphäre: Untersuchung einer Schwangeren, ob eine Abtreibung noch gefahrlos möglich ist; Untersuchung der Manteltaschen eines potentiellen Opfers, um festzustellen, ob eine Geldbörse darin ist; Untersuchung eines Autos, um festzustellen, ob das Lenkrad durch das Schloß blockiert ist, um gegebenenfalls in unmittelbarem Anschluß die Ausführungshandlung zu beginnen (abtreiben, stehlen, usw.). Bei Roxin heißt es zur Begründung, daß „bereits in der Untersuchung eine Einwirkung auf die Opfersphäre (des Gewahrsamsinhabers bzw. des Embryos)“ liege171. Warum eine Untersuchung auch eine Einwirkung auf die Opfersphäre bedeutet, wird nicht erklärt und ist nicht ersichtlich. Es geht offensichtlich nicht um juristische Begriffe, sondern um bloß extern-naturalistische Feststellungen („Berührung“ von Sphären), die auf das Eindruckselement der Beurteilung gerichtet sind. In Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH führt er weiter aus, daß dann Versuch vorliege, „wenn der Täter im unmittelbaren Anschluß an einen erfolgreichen Ausgang der Prüfung die Wegnahme bzw. die Abtreibung durchführen wollte“172. Die Zeitnähe wird zum eigentlichen Kriterium, wobei dieses unbestimmt bleibt, denn eine zeitliche Maßeinheit wird nicht gegeben und kann auch nicht gegeben werden173. Wird dabei ein „zeitlich-funktionaler Zusammenhang“174 als ein Zustand gemeint, der „automatisch“ zum Erfolg führen soll175, dann bleibt das Kriterium weiterhin unklar. Die Zeitnähe dient zur „Ausweitung der Handlungsunmittelbarkeit“176, zur Vorverlagerung des Versuchs im Sinne des phänotypischen Eindrucksgedankens. Hieran wird deutlich, daß der Begriff der Vorbereitung und der des Versuchs nicht nur in genuin normativen Systemen eine Konstruktion ist, denn in den behandelten Fällen ist an sich denkbar, daß der Täter nur Vorbereitungen trifft177. Die Maßstäbe dieser Konstruktion sind entgegen Roxin dem Strafgrund strafrechtlicher Handlungen immanent. Sie sind genauer darzustellen und zu untersuchen. Bei abstrakten Gefährdungsdelikten wie beispielsweise Geldfälschung durch Nachmachen (§ 146 I Nr. 1 StGB) und Sprengstoffexplosionen (§ 308 StGB) fehlt es zwar an einer Opfersphäre178. In diesen Fällen soll aber eine Tatbe170

Siehe Roxin, AT II, § 29, Rn. 148, 177. Roxin, AT II, § 29, Rn. 160 f., 161. 172 Roxin, AT II, § 29, Rn. 21; BGHSt. 22, S. 80; OLG Hamm MDR 1953, S. 568. 173 Zu Recht kritisch also LK10-Vogler, § 22, Rn. 48. 174 LK10-Vogler, § 22, Rn. 48. 175 Vgl. LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 113; Kühl, AT4, § 15, Rn. 70. 176 LK10-Vogler, § 22, Rn. 49. 177 So nämlich etwa LK10-Vogler, § 2, Rn. 47 ff., 70; Schönke/Schröder/Eser, § 22, Rn. 45. 171

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standssphäre bestehen, wobei Roxin allerdings nicht erklärt, wodurch sich eine solche Sphäre auszeichnet179. Daneben soll es nach Roxin sog. Qualifikationssphären geben, wie im Fall des § 306b II Nr. 3 StGB, bei dem das Ansetzen zum Grundtatbestand nicht ausreichen soll. „Denn da man es auch bei der Erfüllung des Grundtatbestandes bewenden lassen kann, fehlt bei seinem Beginn noch der Bezug zur Qualifikationssphäre: Die Inbrandsetzung läßt noch keinen Schluß darauf zu, daß der Täter auch Löschgeräte unbrauchbar machen will“180. Mehr als auf Sphären ist auf den Tatbestand und auf Freiheitsverletzungen (Eigentumsumschichtung im weiten Sinne) abzustellen. So bildet das Wegschaffen von Löschgeräten keine Sphäre, sondern beschreibt eine besondere Form der Eigentumsverletzung, die ohne das Vorliegen des Ansetzens zum Grundtatbestand keine tatbestandliche Relevanz erlangt. Handelt es sich schließlich bei Roxin in Übereinstimmung mit Vogler um ein Problem der Struktur und Auslegung des jeweiligen Tatbestands, dann sind die Abgrenzungsregeln („der ,Entlassung aus dem Herrschaftsbereich‘, eines ,engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen Täterhandlung und Erfolgseintritt‘ oder ,der Berührung von Täter und Opfersphäre‘“181) – nicht mehr nötig182. Es ist nur noch der Versuchs- und Vollendungstatbestand als genuin strafrechtlicher, kommunikativ-freiheitlicher Zusammenhang bzgl. eines Normbruchs zu erklären (objektive Zurechnung). e) Die Anreicherung der Verursachungshandlung zu einem Handlungsgeschehen als kommunikativer Sinneinheit (Jakobs) Jakobs legt seinem Ansatz richtige Prämissen zugrunde. Strafgrund des Versuchs ist das „Expressiv-Werden eines Normbruchs“183. Dabei ist nicht bloß auf Eindruckskriterien, sondern auf die kommunikative Relevanz184 und somit auf die objektive Zurechenbarkeit des Täterverhaltens abzustellen185. Dabei wird der Versuch „kontextabhängig“186, wobei Kontext konsequenterweise als sozialer Kommunikationszusammenhang zu verstehen ist187. 178

Roxin, AT II, § 29, Rn. 142. Aber das „Bereitstellen der in § 149 StGB genannten Gegenstände zum Zwecke einer ohne zeitlichen Verzug ins Werk zu setzenden Fälschung“ sowie die „Einleitung des Explosionsvorganges“ und bei Einfuhr von Betäubungsmitteln (§ 30 I Nr. 4 BTMG), das Heranfahren an die Landesgrenze oder einer ihr vorgelagerten Zollstelle als Tatbestandssphären soll Versuch sein. Siehe Roxin, AT II, § 29, Rn. 142. 180 Roxin, AT II, § 29, Rn. 171. 181 LK10-Vogler, § 22, Rn. 35a. 182 Wie hier insoweit also LK10-Vogler, § 22, Rn. 35a. 183 Jakobs, AT, 25/21; ders., GS Armin Kaufmann, S. 271 ff., S. 277. 184 Jakobs, AT, 25/22 f.; ders., GS Armin Kaufmann, S. 277 ff. 185 Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 283 ff. 186 Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 277, Fn. 20. 179

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Jakobs und auch Vehling, der die genannten Prämissen teilt, ordnen aber das Strafrecht und die personale Kommunikation auf einer sozio-psychologischen Wirklichkeitsebene ein188. Methodisch greifen sie damit auf nach empirischen Sachverhalten naturalistisch konstruierte Zurechnungskriterien zurück, letztendlich einseitig auf die positive Generalprävention189. Konkret heißt es zum unmittelbaren Ansetzen bei Jakobs: „Soziale Störung ist allein das Ausführungsverhalten. Es geht also bei der hiesigen Sicht nicht darum, irgendein Vorverhalten zur Störung zu stempeln und anläßlich einer als Störung nicht erkennbaren Ausführungshandlung auf das Vorverhalten zurückzugreifen. Da Unrecht eine soziale Störung ist, kann immer nur ein Verhalten Unrecht sein, mit dem der Täter etwas nach außen hin verdeutlicht, scil. daß eine Tatbestandsverwirklichung stattfindet (. . .). In einem freiheitlichen Staat darf die interne Sphäre nicht interpretiert werden. Die damit dem Täter gewährte Freiheit zur beliebigen Gestaltung steht freilich in einem Synallagma: Der Täter muß seine Sphäre beherrschen; erst Folgenverantwortung macht Gestaltungsfreiheit erträglich. Deshalb endet die Privatheit, wenn der Täter seine Herrschaft preisgibt, also ein Delikt ausführt, und deshalb ist das Ausführungsverhalten Unrecht“190. „Die Preisgabe der Herrschaft zum potentiellen Nachteil eines anderen ist ein Versuch im materiellen Sinn (. . .); die Preisgabe der Herrschaft mit der Folge einer potentiellen Tatbestandsverwirklichung ist ein Versuch in formellem Sinn“191. Was „Ausführungsverhalten“ ist und wann der Täter „seine Herrschaft preisgibt“ bzw. wann verdeutlicht wird, daß „eine Tatbestandsverwirklichung stattfindet“, soll dadurch festgestellt werden, daß „die im Gesetz beschriebene, abstrahierende Momentaufnahme (die Verursachung) zu einem Handlungsgeschehen als Sinneinheit angereichert“ wird192. Dies ist grundsätzlich richtig und hierauf beruht nicht zuletzt (abgesehen von der methodischen Frage) die weite Akzeptanz etwa der Frankschen Formel. Die Konkretisierung hängt nach Jakobs erstens davon ab, „was der Täter bewirken will (um welche Verursachung es geht)“, und zweitens davon, „in welchem sozialen Zusammenhang etwas geschehen soll“193. Wegen der Formulierung von § 22 StGB interessiere dabei 187 Deutlich wie hier Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 283, konkret in Abgrenzung zur Lehre vom Mangel am Tatbestand; weiterhin, ders., AT, 25/63. 188 Anders von den Grundlagen her Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 843 ff., passim. 189 Jakobs, AT, 1/4 ff. Gegen diesen Sozialpsychologismus in neuerer Zeit ders., etwa in: Strafe muss sein, Muss Strafe sein, S. 40; auch Lesch, Verbrechensbegriff, S. 202; González-Rivero, Defektzustände, S. 111 ff. Kritisch hierzu auch LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 82. 190 Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 283 (Hervorh. dort); weiterhin ders., AT, 25/ 21; ders., FS Hirsch, S. 47. 191 Jakobs, AT, 25/21. 192 Jakobs, AT, 25/63.

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nicht eine Teilverwirklichung des Tatbestandes, sondern schon ein Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung194. Der Täter müsse ein Verhalten „mit der perfekten Bedeutung“ vollziehen, „daß das tatbestandsmäßige Verhalten stattfinden werde“195, d.h. es findet noch nicht statt, aber werde jetzt gleich stattfinden196. Im Ergebnis beginnt der Versuch bei Jakobs mit der Ausführungshandlung, wenn der Täter seine Herrschaft preisgibt, „denn erst Folgenverantwortung macht Gestaltungsfreiheit erträglich“197. Dies geschieht schon vortatbestandlich, wenn das Täterverhalten verdeutlicht, jetzt werde das Tatbestandsmäßige stattfinden198. Der Versuch wird zum expressiven Ausdruck davon, daß die Norm gebrochen wird. Nur wird dieser Ausdruck von Jakobs im Endeffekt auf der Basis einer noch zu naturalistisch berücksichtigen Generalprävention, scil., im „Ausdruck“ davon, daß das Tatbestandliche nicht jetzt, sondern in der (nächsten) Zukunft kommen wird, verstanden. Er liegt nicht in der bereits stattfindenden Eigentumsumschichtung, sondern vor ihr, was nach der in dieser Arbeit vertretenen Position allein das Synallagma Folgenverantwortung und Gestaltungsfreiheit in einem normativen, freiheitlichen System rechtfertigen kann. Der Kommunikationszusammenhang wird letztendlich antizipiert199, man befindet sich wegen einer nicht ausreichend genuin innerstrafrechtlichen Deutung von § 22 StGB – wie bei der herrschenden Meinung – außerhalb des Strafrechts bzw. im Bereich des Versuchs eines Normbruchs. Dies soll näher verdeutlicht werden. Jakobs schlägt zum einen positive Entscheidungsrichtlinien vor, die „beweglich“ seien und nicht zwingend vorliegen müssen. Diese seien zusammen zu be193 Jakobs, AT, 25/63. In Anlehnung an diese Kriterien von Jakobs und seinen Ansatz der Versuchsbehandlung („Konkretisierte Typen von Verursachungshandlungen“) will neulich Meyer, GA 2002, S. 378 ff., die Konkretisierung der Versuchsgrenze unabhängig vom Strafgrund „eigenständig“ (S. 368) und losgelöst von herkömmlichen Abgrenzungsregeln bilden. Es gehe um eine „typengebundene Methode der Fallvergleichung. Damit wird der Schwerpunkt bei der Bestimmung der Versuchsgrenze in den Besonderen Teil des StGB verlagert“. Genauer geht es um „individualisierte Begehungstypen der jeweiligen Delikte des Besonderen Teils“ (S. 378), scil. um für den Typ entwickelte Klugheitsregeln: Etwa bei „Tötung durch Erschießen“ sei die „Distanzwirkung und die leichte Handhabbarkeit des Tötungswerkzeugs“ der „wesentliche Gesichtspunkt“ (S. 378 ff., S. 380). Die Autorin vernachlässigt die allgemeine Natur des Besonderen Teils, d.h. auch des Tatbestandsbegriffs. 194 Jakobs, AT, 25/56. 195 Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 277. 196 So wird diese Position „Indiztheorie“ genannt (so Kindhäuser, LPK, § 22, Rn. 21, auch in Bezug auf Vehling, Abgrenzung, S. 141 ff.). 197 Jakobs, GS Armin Kaufmann, S 283. 198 Siehe Jakobs, AT, 25/61: „Es geht nach dem Gesetz also um objektiv-formelle (Tatbestand), objektiv-materielle (Unmittelbarkeit; als Tatbestandsnähe materiell, freilich in Abhängigkeit vom Tatbestand formell) und individuelle oder subjektive Momente (die Vorstellung des Täters)“ (Hervorh. dort.). 199 Kritisch auch LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 82.

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rücksichtigen. Außerdem gebe es negative Entscheidungsrichtlinien, die „zwingend“ seien. Hierbei soll sich das Verhalten der Situation der Vollendung „annähern“ und es soll sich nicht um ein Verhalten handeln, „mit dem jemand in sozial üblicher Weise seine Rechte wahrnimmt oder Gemeingebrauch übt“200. Zu den nicht zwingenden Richtlinien zähle erstens die „zeitliche Nähe des Verhaltens zu der ohne Unterbrechung angestrebten Ausführungshandlung“201. Versuch liege demnach etwa vor, „wenn Bedingung der Ausführungshandlung nur noch das jederzeit erwartete Erscheinen des Opfers ist, auch wenn das Opfer letztendlich ausbleibt“202. Versuch liege also beim Tankwartfall vor203, beim Pfeffertütenfall sei dies zweifelhaft204. Im Hinblick auf „Überprüfungsfälle“ heißt es: „Versuch ist – vorbehaltlich der Sozialadäquanz des Verhaltens – auch die Untersuchung des Objekts auf seine Tauglichkeit, um bei positivem Ausgang ad hoc die Ausführungshandlung zu vollziehen“205. Das Rütteln an den Vorderrädern, um festzustellen, ob das Lenkrad durch ein Schloß versperrt ist, wäre also Versuch206. Wegen retardierenden (sich nicht annähernden) oder sozial üblichen Verhaltens soll als Versuchstäter ausscheiden, „wer bloß die Faust in der Rocktasche ballt, um gleich loszuschlagen oder – ohne Auffälligkeit – an einer Haustür klingelt, um den Öffnenden anzugreifen“207. Wie das Kriterium des Eindrucks bei Roxin wird hier das Kriterium der Sozialadäquanz bzw. der Auffälligkeit nicht näher erklärt, jedenfalls steht es dem Eindruckskriterium sehr nah. Bei beiden handelt es sich um eine Konstruktion im Dienst des Gedankens der positiven Generalprävention, scil. zur Feststellung eines zur Unterminierung der Normtreue bzw. des Vertrauens der Bürger auf die Normgeltung geeigneten Sachverhalts. Beim Tankwartfall (Läuten mit aufgezogenen Masken und herausgezogenen Pistolen) und beim „Rütteln an den Vorderrädern“ ist ein sozial unübliches, auffälliges, untypisches Verhalten zu erkennen. Bei Kenntnis des Plans des Täters sind beide genannten Fälle „beeindrukkend“. In beiden Fällen ist ein Verhalten festzustellen, das geeignet ist, das Vertrauen der Bürger zu brechen bzw. das expressiv macht, daß die Norm im konkreten Fall in ihrer Geltung nicht bestätigt wird. Wie bei Roxin ist bei Jakobs das Kriterium der Auffälligkeit direkt an das Wollen bzw. den Plan des Täters gebunden. Wollten sich die Täter im Tankwart-Fall nur einen Scherz erlauben und würde der „Rüttelnde“ nicht stehlen wollen, wäre das Verhalten in strafrechtlicher Hinsicht adäquat und unauffällig. Dieser Rang des Wollens jen200 201 202 203 204 205 206 207

Jakobs, AT, 25/65 (Hervorh. dort). Jakobs, AT, 25/66. Jakobs, AT, 25/66. Jakobs, AT, 25/66, Fn. 62. Jakobs, AT, 25/66, Fn. 62. Jakobs, AT, 25/66. So Jakobs, AT, 25/66 Fn. 93 wie BGHSt. 22, S. 81 f. Jakobs, AT, 25/66.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

seits der „individuellen Vermeidbarkeit“ (Vorsatz und Fahrlässigkeit) müßte dogmatisch sauber geklärt und eingeordnet werden, was bei diesen Autoren und in der Literatur nicht überzeugend geschieht. Nach diesem Schema verständlich ist schließlich, daß das Ballen der Faust in der Rocktasche als unauffällig interpretiert wird: Es ist nicht sichtbar, es entspricht nicht der typisch vertrauensunterminierenden Geste des Ausholens zum Schlag. Warum aber zweifelhaft sein soll, ob im Pfeffertütenfall ein Versuch vorliegt, ist nach dem der positiven Generalprävention entsprechenden, nach dem äußeren Verhalten des Täters im Prinzip nicht vorliegenden Kriterium der Auffälligkeit nicht ganz ersichtlich208. Zweifel hat auch Vehling erhoben. Nach Vehling liegt das Problem darin, daß auf der einen Seite das Sitzen im Auto und das Halten einer Tüte Pfeffer im Vergleich zum In-der-Hand-Halten einer Pistole mit aufgezogener Maske nicht auffällig sei, auf der anderen Seite sich vielleicht – wie Vehling andeutet – das Bereithalten des Pfeffers als Bereithalten einer Waffe konstruieren ließe209, und sogar die Unauffälligkeit des Verhaltens mit dem BGH als perfekte Tarnung210 des Täters erklären ließe. Die Argumentation weist eigentlich in eine andere Richtung als in die der äußeren Auffälligkeit, nämlich dahin, daß es um ein Problem der Definition des rolleninadäquaten Verhaltens, scil. des unerlaubten Risikos und der objektiven Zurechnung geht. Der Hinweis von Vehling darauf, daß „der Sachverhalt des Pfeffertütenfalls keine Anhaltspunkte für die mißbräuchliche Verwendung des Pfeffers, die Instrumentalisierung des Pfeffers als ,Waffe‘ bietet“211, um den Versuch zu verneinen, ist wiederum nicht nachvollziehbar. Anhaltspunkte dafür, daß die Waffe im Tankwartfall als Waffe und nicht zum Scherz genutzt werden sollte, war nicht bloß die äußere Auffälligkeit, sondern auch das innerliche Vorhaben des Täters. Nichts anderes gilt für den Pfeffertütenfall212. Wird durch Verwendung einer Pistole ein typisches Vorgehen beim Diebstahl gekennzeichnet, während das Einsetzen des Pfeffers untypisch wäre, dann würde die Phänotypik zu weit vorangetrieben und der Versuch parallel zu den abstrakten Gefährdungsdelikten oder bloß nach einer statistischen Standardisierung bzw. Typisie208 Zögernd aber den Versuch eher verneinend und auf den Prämissen von Jakobs arbeitend, letztendlich auch Vehling, Abgrenzung, S. 148. Kritisch auch LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 80. 209 Vehling, Abgrenzung, S. 147 f. 210 BHG bei Mezger NJW 1952, S. 515. A. A. Vehling, Abgrenzung, S 147, Fn. 16. 211 Vehling, Abgrenzung, S. 148. 212 Der Vorrang des Willens bei der Auslegung der Verhaltensbedeutung ist auch an der Ausnahme des versuchshindernden Charakters des Sozialauffälligen bzw. -üblichen festzustellen, scil., „wenn dieses Verhalten nach der Tätervorstellung schon die Ausführungshandlung selbst sein soll (deshalb beginnt mit dem Druck auf den häuslichen Lichtschalter mit vermeintlich angeschlossener Höllenmaschine trotz der Sozialüblichkeit dieser Bewegung ein Versuch)“ (Jakobs, AT, 25/65). Dies entspricht dem vorherrschenden Verständnis des Versuchs, nach dem objektive Kriterien dem Willen untergeordnet sind.

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rung von Verhalten konstruiert, die unserer dezentral organisierten Gesellschaft nicht entsprechen würde213. Diese auf Phänotypen abstellende Durchführung der Dogmatik wird deutlich am weiter von Jakobs vorgeschlagenen Kriterium des „Einbruchs des Täters in die Schutzsphäre des Angegriffenen“ zur unmittelbaren Nutzung der gewonnenen Position, was heißt, wenn der Täter also sofort auch verbrechen will. Das Einsteigen in das Haus des Opfers zum sofortigen Stehlen wäre als „Eindringen in die Gewahrsamssphäre“214 bereits versuchter Diebstahl. Nach Jakobs soll es immerhin zweifelhaft sein, ob dieses Kriterium nicht nur beim Diebstahl, sondern auch im Falle von Tötung, Vergewaltigung, Sachbeschädigung oder etwa Brandstiftung „mit dem Eindringen in das Haus“ Bestand haben soll215. Diese Frage steht nach Jakobs gleichwertig neben derjenigen, ob bei diesen weiteren Delikten parallel zu den Diebstahlsfällen „eine Typizität des Fortgangs hinzukommen muß“216. Nach dieser Überlegung von Jakobs wird die Schutzsphäre (wie bei Roxin) nicht strafrechtlich definiert, sondern vage juristisch umrissen bzw. suggeriert. Sie nimmt eher typische Bilder der Tatbegehung in Bezug. Bei fehlender Zeitnähe soll in Anlehnung an Frank auf die „natürliche Einheit eines Angriffsverhaltens“ in dem Sinne abgestellt werden, daß schon „die Einwirkung auf das Tatobjekt“ ohne „eingeplante (notwendige oder fakultative) Unterbrechungen durch anderweitige Beschäftigung“217 für Versuch spreche. Dieses bewegliche Kriterium bzw. Indiz ist eben nicht ausschlaggebend, denn es beruht auf phänotypischen Grundlagen. Gelddiebstahl beginne demnach mit dem Anfang der kontinuierlichen Schweißarbeit am Tresor218, versuchte Vergiftung bei zeitlich versuchtem Tun aber „erst mit dem Ansetzen zur Eingabe derjenigen Dosis, die nach seinem Vorsatz erstmals tödlich sein könnte“219. Beim Prozeßbetrug liegt Versuch mit dem Ansetzen zur Bezugnahme auf den Schriftsatz in der mündlichen Verhandlung und nicht beim Einreichen eines Schriftsatzes bei Gericht vor220. 3. Fazit Die vorstehenden Kriterien vermögen den Versuchszusammenhang nicht adäquat zu erfassen. Letztendlich unterbleibt eine dogmatisch anspruchsvolle Überprüfung des normativen, kommunikativ-freiheitlichen (Gesamt-)Tatbestandes. 213 214 215 216 217 218 219 220

Hierzu allgemein Lesch, Verbrechensbegriff, S. 243, S. 270. Jakobs, AT, 25/68. Dafür bei Tötungsfällen aber BGH NStZ 1987, S. 20. Jakobs, AT, 25/68. Kritisch hierzu auch Meyer, GA 2002, S. 373. Vgl. Jakobs, AT, 25/67. Siehe Jakobs, AT, 25/67. Jakobs, AT, 25/67. Jakobs, AT, 25/67.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

Sie scheitern teilweise in ihren Ergebnissen nicht zuletzt deswegen, weil der strafrechtliche Versuchszusammenhang in Wirklichkeit noch nicht vorliegt, was letztendlich auf der Relevanz des Plans des Täters und der Definition des Versuchs(-beginns) als vortatbestandliches Geschehen beruht. Täter-, Tat- und Tatbestandsbegriff – dieser wiederum in seinen Teilen (als Versuchs- und als Vollendungstatbestand) – bedürfen einer näheren Auseinandersetzung. Dies soll nicht geschehen, ohne den begrifflichen Zusammenhang des Strafrechtlichen zu erörtern. Teile des kommunikativ-freiheitlichen Zusammenhangs werden damit zu außerhalb des einheitlichen Begriffs verselbständigten Zurechnungskriterien erhoben. Wird eine Zerlegung des Begriffs vorgenommen, befindet sich der Betrachter außerhalb des Begrifflichen und damit auf einer anderen Ebene als derjenigen einer genuinen strafrechtlichen Beobachtung. Die Teile der strafrechtlichen Handlung abstrahieren also von dem kommunikativen Kontext, der ihnen strafrechtliche Relevanz verleihen dürfte. Bereits auf der Ebene der Grundlagen findet eine Abstraktion des strafrechtlich Relevanten statt: Das Soziale und so der begriffliche Zusammenhang des Strafrechts wird auf Soziopsychologie, auf Rechtsgüter, auf psycho-physische Individuen anstatt auf Kommunikation reduziert. Auf der Basis der positiven Generalprävention heißt das: soziopsychologisch konstruiertes Vertrauen auf die Geltung der Norm bzw. Normtreue und Einübung in Normtreue statt einer Überprüfung normativ verstandener Freiheitsverletzungen und kommunikatives – nicht soziopsychologisch konstruiertes – Zur-Geltung-Bringen der Norm. Dementsprechend wird auf sinnliche Sachverhalte ohne kommunikative Bearbeitung derselben abgestellt, etwa auf das Vorhaben des Täters als tatbestandsindizierender Sachverhalt, auf die Normalität bzw. Auffälligkeit des Verhaltens oder auf Eindrücke anstatt auf die kommunikative Wirklichkeit symbolischer Ausdrücke221 nach einem normativ begründeten Deutungsmuster. Ist nach § 22 StGB der Versuch ein Normbruch und nicht der Versuch eines Normbruchs und ist er damit nicht ein vortatbestandliches Ereignis, sondern ein Teil des (Gesamt-)Tatbestandes, und so nur dem Vollendungstatbestand vorverlagert, dann ist die Deutung des Kommunikationszusammenhangs bzgl. der entsprechenden Norm und dementsprechend die Deutung des Tatbestandes222 Ausgangspunkt aller Überlegungen. Die üblichen Zurechnungskriterien benennen immerhin – wenn auch abstrakt – durch Hervorhebung von Teilen des entsprechenden Kontexts wichtige Perspektiven des Zurechnungszusammenhangs, aber eben ohne das KommunikativVerbindende, so daß ein Sammelsurium von Schutzzwecken bzw. Schutzobjek221 Vgl. nur Habermas, Die befreiende Kraft der symbolischen Sinngebung, in: Vom sinnlichen Eindruck zum symbolischen Ausdruck, S. 15, S. 37. 222 Insofern zutreffend LK10-Vogler, § 22, Rn. 59 f.

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ten (Rechtsvertrauen, Rechtssicherheit, Rechtsgüterschutz, Tätergefährlichkeit) und Formeln entsteht, das unter Umgehung der Anstrengung des Begriffs keine Rechtssicherheit mit sich bringt. In Wirklichkeit geht es nicht um Zeitnähe, sondern um die Erfassung des Tatzeitpunkts – ein Problem, das mit Hilfe der Tatbestandsauslegung erfolgen soll. Maßgeblich ist weiterhin nicht die Einwirkung auf Schutzsphären oder Tatobjekte, sondern die Erfassung von normativen Pflicht- bzw. Rechtsverletzungen. Worin ein zu verletzendes Recht bzw. eine „strafrechtlich“ relevante „Sphäre“ besteht, ist ein genuin kommunikatives Konstrukt, welches die Regeln von kommunikativem Sinn beachten soll223.

223

Jakobs, Handlungsbegriff, S. 30.

§ 4 Normativ-(inter-)subjektives Verständnis des Strafrechts – das Selbstbewußtsein als Grund einer vernünftigen Gestaltung des Strafrechts – Zaczyks personale (Versuchs-)Unrechtslehre A. Selbstbewußtsein als Grund einer vernünftigen Gestaltung des Strafrechts I. Ausgangspunkt Daß das Grundmodell der naturalistischen Methode bzw. die naturalistische Beobachtung des Strafrechts nicht die einzige Referenz in der Strafrechtsdogmatik zum Versuch konstituiert, zeigt sich an der Arbeit von Zaczyk1, Autor einer der letzten wichtigen Monographien zum Versuchsunrecht. Die hiesige Auseinandersetzung mit seinem Versuchsbegriff dient als Übergang zu der eigenen Ansicht. Auf der Basis einer normativ-(inter-)subjektiven Beobachtung des Strafrechts und in Anlehnung an Kant und Fichte strebt Zaczyk eine autonome (Neu-)Begründung des Rechts an. Soll nach Zaczyk der vom Recht auferlegte Zwang – hier: die strafrechtliche Strafe – das Individuum „in seiner Individualität“ nicht vernichten, sind für das Verständnis des Rechts zwei Überlegungen zugrundezulegen. Einerseits soll das Individuum als „Maß und Schranke bewahrt werden“, in ihm sollen „wie in einem Brennpunkt Allgemeines und Einzelnes zusammentreffen. Da ferner das Recht als Regelung menschlichen Zusammenlebens das Individuum immer in seinem Verhältnis zu anderen trifft, muß andererseits auch der Sozialbezug Teil der Begründung sein“2. Im folgenden sind beide Momente der (Straf-)Rechtsbegründung zu analysieren, auf denen die Versuchslehre Zaczyks basiert. Zaczyk beruft sich vornehmlich auf Kant und Fichte. Da sein Ansatz aber letztendlich mit diesen Autoren nicht in allen Punkten übereinstimmt, sind die philosophischen, unrechtsbegründenden Gedanken unmittelbar nach der Interpretation von Zaczyk darzustellen.

1 2

Das Unrecht der versuchten Tat, 1989. Zaczyk, Rechtslehre J. G. Fichtes, S. 14, ferner S. 31.

§ 4 Normativ-(inter-)subjektives Verständnis des Strafrechts

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II. Die Metaempirische Dimension des (Straf-)Rechts 1. Allgemeines und Einzelnes im Individuum a) Freiheits- und Personbegriff – das Individuum und die Bedeutung des kategorischen Imperativs im (Straf-)Recht Im Gegensatz zu Feuerbach, der ebenfalls die Kantsche Philosophie für das Strafrecht in Anspruch genommen hat, nimmt Zaczyk für das (Straf-)Recht seinen Ausgangspunkt in dem normativen Freiheitsbegriff Kants. Die Welt, konkreter: die Subjekte und das Strafrecht, sollen um eine metaempirische neue Dimension bereichert werden: die noumenale Welt, in der die Freiheit ankert und das Strafrecht als vernünftiges Strafrecht letztendlich seinen metaempirischen Geltungsgrund findet3. Der Freiheitsbegriff findet also seinen Ursprung in der noumenalen Welt, so daß er nicht naturalistisch nach Kausalgesetzen determiniert zu verstehen ist. Vielmehr beschreibt er „das Vermögen des Menschen als intelligibles, noumenales Wesen, einen Kausalzusammenhang von selbst anzustoßen“4. Der Freiheitsbegriff und die noumenale Dimension des Menschen überhaupt ermöglichten auf diese Weise ein vollständiges, über die empirische Dimension der Wirklichkeit hinausreichendes Verständnis des Selbst und der anderen Subjekte, dementsprechend auch des Strafrechts. Die einseitig naturalistische Betrachtung des Strafrechts und der Subjekte ist dementsprechend für Zaczyk „unvollkommen“ bzw. eine „beschränkte Wahrheit“, so daß die Wirklichkeit des Strafrechts nicht richtig begriffen werde. Hauptmangel der naturalistischen Beobachtung des Individuums und des Strafrechts sei, daß der Naturalismus „nicht auf die Konstitutionsbedingungen dieser Betrachtungen selbst reflektiert“5. Im Gegensatz zur realistischen Erkenntnistheorie des Naturalismus soll die menschliche Erkenntnis nicht nach den außerhalb von ihr stehenden Gegenständen ausgerichtet werden, sondern nach den Bedingungen des Denkens des Einzelnen, d.h. nach den Konstitutionsbedingungen der Erkenntnisse im Subjekt. Ausgehend von der Kantschen Auffassung gehe es nämlich um die das Denken aufbauende, vor aller Erfahrung a priori bestehende, transzendentale Logik6. Der Freiheitsbegriff thematisiert, „wie das Denken aus sich heraus gehen und die Welt nach seinem Bild ordnen kann“7. In Rede steht hier nicht der naturalistische Freiheitsbegriff, d.h. nicht die bloße Willkür, sondern die sittlich freie 3

Hösle, Intersubjektivität, S. 29. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 130 ff., insbesondere S. 130, S. 134, S. 136 f. 5 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 135. 6 Ausführlich hierzu Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 131 ff. 4

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Willkür, die Freiheit als vernünftiger Wille. Der Wille bedürfe somit eines vernünftigen Maßstabes bzw. objektiver Bestimmungsgründe „mit Verbindlichkeit für alle vernünftigen Wesen“8: des kategorischen Imperativs, der den (individuellen) Willen bestimmen müsse9. Der kategorische Imperativ sei im Gegensatz zu den hypothetischen Imperativen des Naturalismus nicht zweckbedingt und gelte uneingeschränkt. Dadurch, daß er das Handeln unabhängig von den Befindlichkeiten der Einzelnen bestimme, werde prinzipiell „ein Beieinanderstehen der Vielen“ ermöglicht10. Deswegen gehe es nicht um einen materialen, sondern um einen formalen Bestimmungsgrund: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“11. Bei diesem „Faktum der Vernunft“12 zeige sich der kategorische Imperativ „in einem für jeden erlebbaren Phänomen – das uns gedanklich unaufgelöst erscheint“13. Der große Gewinn dieses Begriffs von Freiheit soll nach Zaczyk darin liegen, daß die Freiheit „nicht als etwas Gegenständliches behauptet wird, sondern auf eine von jedem Einzelnen zu erbringende Leistung aufbaut“14. b) Sittlich freiheitlicher Charakter des (Straf-)Rechts und der (Straf-)Rechtsperson Aus dem Freiheitsbegriff ergebe sich zweitens ein wichtiges Element (straf-) rechtlicher Freiheit: Die Wirklichkeit freiheitlichen Daseins sei nur als „Produkt einer von allen erbrachten Leistung“15 und nicht als von einem oder einigen produziert zu begreifen. „Es ist also dem Einzelnen gegeben, sich zur Freiheit zu erheben, und dies gelingt ihm nur, wenn er sein Handeln in eine Gemein7 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 136. Zu dieser Fragestellung in der Kantschen Philosophie und ihrem Bezug zur transzendentalen Einheit der Vernunft Kants grundlegend Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 24 ff., S. 29. 8 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 137 ff., S. 139. 9 Hierbei seien hypothetische, d.h. durch einen vorgesetzten Zweck bedingte Imperative auszuschließen, weil sich der Einzelne einerseits der Zufälligkeit der vorgesetzten Zwecke aussetze, sobald einzelne Zwecke zu letztgültigen Bestimmungsgründen des Willens erhoben würden und sich andererseits der Einzelne für die praktische Entscheidung ein unerreichbares Wissen anmaße. Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 139. 10 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 140. 11 Kant, Kritik der praktischen Vernunft, A 54, S. 140; Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 140. 12 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 140. Siehe auch Kant, Kritik der praktischen Vernunft, A 56, S. 141 f., weiterhin A 72, S. 155. 13 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 140. 14 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 140. 15 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 140.

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schaft mit anderen Vernünftigen einordnen kann. Dabei ist das keine heroische Tat (. . .), sondern liegt alltäglichem, als ,richtig‘ verstandenem Handeln zugrunde. Die Richtigkeit dieser Einschätzung kann dabei übrigens nicht nur am Phänomen eigenen Erlebens eines Sollens (. . .) aufgewiesen werden, sondern gerade auch aus der Sicht der Anderen. Denn nur eine Praxisvernunft wie die von Kant beschriebene kann der Grund für Vertrauen der Anderen sein. Wäre das Verhalten der Einzelnen den Gründen eigener Glückseligkeit ausgeliefert, wäre das nicht möglich“16. In Rede steht zunächst also ein sich zu verwirklichender Freiheitsbegriff. Er erlange „über die Bedeutung für die Person Bedeutung für das Recht“17. Die Rechtsbegründung soll daher an der so begriffenen, autonomen, sittlichen Person ansetzen. Da der kategorische Imperativ als die sittliche Autonomie die Anderen bloß allgemein und nicht als in ihrer konkreten mir begegnenden Wirklichkeit aufnehme, könne er nicht die Außenseite der in der äußeren, phänomenalen Welt stattfindenden Autonomie jedes Einzelnen berücksichtigen. Das Recht bilde hierbei das die sittliche Autonomie ergänzende Prinzip als Kriterium dafür, „in welchem Maß mein Raum in der Endlichkeit zu Recht gegenüber dem jedes Anderen als eines in gleicher Weise endlichen besteht“18. Das Recht trage dabei der Tatsache Rechnung, daß Vernunft nicht nur in mir als gedankliches Prinzip im kategorischen Imperativ erscheine, sondern auch in einem vernünftigen, mir in einer uns gemeinsamen phänomenalen Welt begegnenden Anderen erscheine19. Die Richtigkeit werde so notwendigerweise nicht von einer einsichtigen Person, sondern von allen als gemeinschaftliche Leistung gesetzt20. Es gehe nicht um Unabhängigkeit von Recht und Moralität, sondern um wechselseitige Notwendigkeit: „Nur in sittlicher Autonomie wird der Mensch richtig verstanden, und im Recht erscheint die Autonomie in der Sozialität von Wesen, die je für sich autonom sind und einer endlichen Welt angehören“21. Diese „interpersonale Allgemeinheit des Rechtsgesetzes“22 bedinge, daß viele miteinander als freie Wesen leben können, und bilde die Möglichkeit der äußeren Übereinstimmung der eines jeden Willkür nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit23 – von Zaczyk wohlgemerkt: Willkür umfasse hier „auch freie Willkür, d.h. sittlich richtiges Verhalten“24. 16

Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 141 (Hervorh. von mir). Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 141. 18 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 149. Vgl. dens., Rechtslehre J. G. Fichtes, S. 14 ff. 19 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 149. 20 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 147 ff., der darauf hinweist, daß das ergänzende Prinzip des Rechts „die in der Sittlichkeit immer latent vorhandene Gefahr des Terrors der Moral beseitigt“ (S. 152). 21 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 150 (Hervorh. dort). 22 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 151. 17

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2. Die soziale Welt in der Begründung des Rechts Die intelligible Welt (Freiheit) und die phänomenale (die äußere) Welt sollen nach Zaczyk miteinander versöhnt werden. Freiheit könne in der Außenwelt „erscheinen“, so daß sie mir in der äußeren Welt als Freiheit eines Anderen begreiflich werde und zwar in einer Art der Erkenntnis, „die sich grundlegend von der Konstitution der Welt als mir natürlich begegnender unterscheidet“25. Über die Erkenntnis der „Einbeziehung der äußeren Seite des Daseins der Freiheit als notwendig“26 analysiert Zaczyk, wie im folgenden zu sehen ist, die Lehre Fichtes zur Intersubjektivität als Bedingung der Subjektivität, als Begründung von Selbstbewußtsein. Dies wird für die Versuchslehre entscheidende Konsequenzen mit sich tragen. a) Die Begründung von Selbstbewußtsein Schon Kant hatte darauf hingewiesen, daß Erkenntnis und Freiheit nur über die ursprüngliche, transzendentale Einheit des die Mannigfaltigkeit der Anschauungen zusammenhaltenden Selbstbewußtseins möglich ist27. Selbstbewußtsein sei in jedem Denkakt vorausgesetzt28 und zwar nicht empirisch, sondern es sei über Selbstreflexion zu begreifen als „Erkenntnis seiner selbst als eines reflexiven (tätigen) und gleichwohl begrenzten“29. Im praktischen Vermögen der Vernunft kommen Freiheit und Beschränkung, Vernünftigkeit und Endlichkeit zu einer Einheit, in der das Ich als „begrenztes Wesen das Grenzbildende konstitutiv für sein Dasein braucht“30. Zum Verhältnis zwischen Selbstbewußtsein und begrenzter äußerer Welt sei zunächst ein 23 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 152 unter Berufung auf Kants Rechtsbegriff, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § B und C, AB 33. 24 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 152. 25 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 153 unter Berufung auf Fichte, Naturrecht, § 6, S. 80: „Wie kommen wir dazu, auf einige Gegenstände der Sinnenwelt den Begriff der Vernünftigkeit zu übertragen, auf andere nicht (. . .)?“. Die phänomenale Welt sei nicht nur das, was sie für uns ist, sie stelle auch das Medium dar, in dem wir uns als Vernünftige begegnen (eingehend dazu Zaczyk, S. 153; ders., Das Strafrecht, S. 29 f.). 26 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 154, als „nicht weiter auflösbare Erscheinung von Freiheit und Endlichkeit“. 27 So Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 155 unter Berufung auf Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 131 ff. Dazu eingehend und auch kritisch Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 4 ff. 28 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 156 in Anlehnung auch an Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg, 1982, S. 91 ff. 29 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 157 f. Wiederum unter Berufung auf Fichte, Naturrecht, § 2, S. 23: „Durch dieses Setzen seines Vermögens zur freien Wirksamkeit setzt und bestimmt sich das Vernunftwesen eine Sinnenwelt außer sich“.

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Sich-einander-Bedingen von theoretischem und praktischem Vermögen festzustellen, was soviel heißt wie: „Ein Wollen ohne Vorstellen ist ebenso undenkbar, wie eine willenlose Vorstellung“31. Diese wechselseitige Abhängigkeit zeige sich wie ein Zirkel: „Ein Objekt als Gegenstand der äußeren Welt kann man nur erfassen, wenn man sich als getrennt von ihm begreift, d.h. Selbstbewußtsein hat. Selbstbewußtsein aber hat man nur, wenn man sich im praktischen Vermögen auf der Tat ergreift und das kann man nur, wenn man bereits eine Materie vorausgesetzt hat, auf die man wirkt“32. Zur Überwindung dieses Zirkels und zur Begründung von Selbstbewußtsein sei es nötig daß „in ein- und demselben Moment ,Wirksamkeit des Subjekts‘ und ,Objekt‘ verknüpft seien: ,Die Wirksamkeit des Subjekts sei selbst das wahrgenommene und begriffene Objekt, das Objekt sei kein anderes, als diese Wirksamkeit des Subjekts‘“33. Es bedürfe also eines Gegenstandes der äußeren Erfahrung als der Form nach äußerlich fixierten Aufforderung an das Subjekt, sich zu einer Wirksamkeit zu entschließen: „ein Bestimmtsein zur Selbstbestimmung. Hier erfährt es sich als Entwurf, es begreift etwas Äußerliches als seine eigene Möglichkeit“34. Als Folge jener Aufforderung setze das Subjekt sich selbst als „das die Aktion Bestimmende; sie ist nunmehr seine Tat“35. Jene Aufforderung zur Selbstbestimmung kann aber nur über Fremdbestimmung36 von einem anderen vernünftigen Wesen stammen, so daß Selbstbewußtsein nur denkbar ist, wenn andere vernünftige Wesen da sind. Der Andere sei im Gegensatz zu naturalistischen Ansätzen nicht additiv zu mir gegeben, sondern der Andere, der mir in der Sozialität äußerlich begegne, sei ursprünglich in mir37: Das Individuum trage eine über es selbst hinausweisende Dimension in sich38, welche die anderen einschließe39. Es geht bei dem „Umweg‘ über die äußere Welt (durch die Aufforderung)“ also nicht um „zwei reine Bewußtsein“, „sondern die äußere Welt ist konstitutiv als Entstehungsbedingung des Selbstbewußtseins und 30 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 158. Vgl. zum folgenden dens., Die Struktur des Rechtsverhältnisses, S. 20 ff. 31 Zaczyk, Rechtslehre J. G. Fichtes, S. 22. 32 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 158. Vgl. auch Düsing, Intersubjektivität, S. 249. 33 Zaczyk, Rechtslehre J. G. Fichtes, S. 23 unter Berufung auf Fichte, Grundlage des Naturrechts, § 3, S. 31. 34 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 159. Vgl. auch dens., Rechtslehre J. G. Fichtes, S. 21, S. 24 ff. Kritisch zur logisch-systematischen Stringenz der Notwendigkeit des so konzipierten „Faktums der Aufforderung“ im Fichteschen System, Düsing, Intersubjektivität, S. 254 ff., S. 256; vgl. auch Hösle, Intersubjektivität, S. 32. 35 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 159. 36 Hierzu eingehend Düsing, Intersubjektivität, S. 244. 37 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 159 unter Berufung auf Fichte, Naturrecht, § 3, S. 35 ff. Vgl. auch dens., Rechtslehre J. G. Fichtes, S. 25 ff. 38 Zaczyk, Rechtslehre J. G. Fichtes, S. 31. 39 Vgl. auch Zaczyk, Rechtslehre J. G. Fichtes, S. 31.

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dann (. . .) als Erhaltungsbedingung Teil von mir selbst“40. Das Individuum ist bei Zaczyk kein isoliertes, naturalistisches Wesen, sondern in der Tradition Fichtes ein „Wechselbegriff“41, d.h. nur über den Verweis auf andere vernünftige Individuen begreiflich. b) Selbstbewußtsein als Grund einer vernünftigen Gestaltung der sozialen Welt Sei das Selbstbewußtsein einmal zur Freiheit gelangt, brauche es eine Abgrenzung vom Anderen und dessen Wirksphäre: Beide sollen sich eine selbstbestimmte Sphäre des das Selbstbewußtsein ermöglichenden Sich-Selbst-Setzens zuschreiben42. Gemeint sei aber ein Sich-Setzen und Sich-Bewahren im Wechselverhältnis. Beide seien aufeinander angewiesen: Vernünftiges gegenseitiges Verhalten sei für die Selbsterhaltung des Bewußtseins als notwendig anzusehen43. Da außerdem Selbstbewußtsein nicht „rein“ zu erkennen sei, sondern erst „äußerlich vermittelt an seinen Werken – indem der Andere sich in der Begegnung vernünftig verhält“44, gehe es bei der Aufforderung davon aus, daß die Vernünftigkeit des Anderen „vermutet‘“, auf sie vertraut werde: Der Auffordernde verhält sich vernünftig, indem er seine Tätigkeit durch den Begriff des Anderen als auch Vernünftigen und nicht als mögliche Materie des eigenen Wirkens begrenzt. Die Reaktion des Aufgeforderten bewirkt nicht nur Selbstbewußtsein in seiner inneren Dimension, sondern sie bestätigt auch im äußeren Bereich seine vom Anderen nur vermutete Vernünftigkeit: Die Anerkennung wird erst dann „wechselseitig, unbedingt, sie wird (aus der Sicht des Auffordernden) ,kategorisch‘“45. Freiheit sei keine Art, den Anderen zu denken, sondern ihn zu behandeln46. Der Prozeß der Schaffung von Selbstbewußtsein transzendiert so zum Grund einer vernünftigen Gestaltung der sozialen Welt, „weil von ihm aus das Dasein von Freiheit je erneut seinen Ausgang nimmt“47. Diese 40 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 160. Vgl. dens., Rechtslehre J. G. Fichtes, S. 29, der explizit darauf hinweist, daß die Freiheit und die Wirklichkeit von Vernunftwesen verkürzt werden, wenn sie nicht in der Außenwelt verfestigt werden: Ein Vernunftwesen brauche „Raum zum Dasein, Nahrung um sich zu erhalten, möchte bestimmte Interessen verfolgen usw.“. 41 Siehe Fichte, Naturrecht, § 4, S. 47. Dazu Düsing, Intersubjektivität, S. 274, S. 275 f. 42 Siehe Zaczyk, Rechtslehre J. G. Fichtes, S. 29 f., S. 36, wobei die Zuordnung der individuellen Sphären nicht als außenbestimmt, sondern als Ergebnis des Gegenseitigkeitsverhältnisses anzusehen sei. 43 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 160. 44 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 160. 45 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 161; dens., Rechtslehre J. G. Fichtes, S. 28. 46 Nachdrücklich Zaczyk, Rechtslehre J. G. Fichtes, S. 29. 47 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 171.

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Überlegungen werden von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der Versuchslehre Zaczyks sein. aa) Interpersonal und gesellschaftlich konstituierte Daseinselemente der Freiheit als Rechtsgüter Der Begriff der Rechtsperson (bzw. der Freiheit und Autonomie) basiert auf dem Prozeß der gegenseitigen Anerkennung und konkretisiert sich in ausdifferenzierter Weise in den Rechtsgütern. Zaczyk definiert infolgedessen Rechtsgüter als Daseinselemente der Freiheit. Die verschiedenen Rechtsgüter richten die interpersonale Anerkennung (das zu leistende richtige Verhalten) inhaltlich aus und sind gleichzeitig Produkt dieser Anerkennung. Dabei meinen sie das sich ständig und prozeßhaft entwickelnde Anerkennungsverhältnis der Einzelnen in der Gesellschaft. Sie sind also als Produkt dieses Prozesses Umschreibungen für das Dasein des Einzelnen als Rechtsperson und zugleich für das zu erbringende Verhalten im Anerkennungsverhältnis: Sie „beziehen ihre Geltung aus einem Prozeß, in dem sie sich auch immer wieder bewähren müssen. Sie sind aus der Sicht des Anerkennenden Begriff, aus der Sicht des ,Rechtsgutsträgers‘ seine Realität, und das wechselseitig“48. Der kategorische Imperativ soll in diesem Sinne nach Zaczyk als vergeschichtlicht, „materialisiert‘“ verstanden werden, indem die Basis des rechtlichen Handelns schon bereits in den anderen liegt „und damit die großen Linien des Recht-Handelns feststehen, daß aber andererseits die in der Praxis liegende Dynamik es erfordert, jene Gegebenheiten stets erneut zu bestätigen, anzuerkennen und damit erst in je aktuelle Wirklichkeit zu überführen (. . .). Das bedeutet auch, daß nie mehr an rechtlichen Verhältnissen gegenwärtig ist als die Einzelnen kraft ihrer autonomen Leistung schaffen“49. Interpersonale Rechtsgüter werden nach Zaczyk also konstituiert, wenn „die Einzelnen ihre je konkreten Handlungen an dem Rechtsgut ausrichten, sein Dasein und damit die Freiheit der Anderen wollen und dieser Einsicht gemäß handeln“50. Interpersonale Rechtsgüter im engen Sinn (Leben, Körper, Freiheit, Eigentum)51 entstünden auf diese Weise direkt aus der einfachen Zweierbeziehung. Berücksichtigt man in einem zweiten Schritt die bürgerliche Gesellschaft, d.h. den „durch das Zusammenleben der vielen hergestellten vermittelten Bereich der Begegnung“52, so entstünden andere Rechtsgüter als „vermittelte 48 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 170. Selbst höchstpersönliche Güter seien also interpersonal konstituiert. Siehe auch S. 191. 49 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 162. Vgl. auch dens., Rechtslehre J. G. Fichtes, S. 30. 50 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 198. 51 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 165 ff., S. 171; auch eingehend dens., Rechtslehre J. G. Fichtes, S. 35 ff. 52 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 172.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

Strukturen“, die dem einzelnen eine vernünftige Ausgestaltung ihres Lebens unter Menschen erlaube. Sie enthielten eine andere, vermittelte Qualität: Sie strukturierten das Leben der Gesellschaft zwar „vom konkreten Einzelnen abgehoben“; trotzdem seien sie „mit ihrer Freiheit vermittelt“53. bb) Staatliche und gesetzliche Konstitution der Rechtsgüter und die Rechtsgüter des Staats Die gerade erwähnten Daseinselemente der Freiheit sollen von den Einzelnen als je Einzelne konstituiert werden, so daß sie nur eine „subjektive Allgemeinheit“ ausmachen. Erst der Staat schaffe die Dimension, in der das Allgemeine für alle und damit befreit von subjektiver Beschränkung angestrebt wird54. Der Prozeß der Konstitution des Selbstbewußtseins komme im Staat zu seinem Abschluß, in dem alle Stationen dieser Konstitution mitenthalten seien55: Eigentlich existierten Rechtsgüter erst im Staat, dadurch daß sie gesetzlich (rechtlich) anerkannt würden. Nach Zaczyk ist es nämlich Aufgabe des Rechts, des Gesetzes, seine zu erbringende Leistung von den Zufälligkeiten und Besonderheiten zu befreien56 und so zu verfassen und bestimmen. Die Tatbestände des Strafrechts seien als „gedankliche Durcharbeitung einer bestimmten Materie“, als zusätzliche Leistung praktischer Vernunft zu begreifen57, wobei die materiale Seite des Unrechts der Formulierung des Tatbestandes vorausgehe58. Die Festlegung in den Tatbeständen „bedeute also gerade nicht ,Abstraktion‘, sondern inhaltliche Genauigkeit“, so daß die materiale und formale Seite des Unrechts „von gleichrangiger Bedeutung“ seien59. Der Einzelne müsse sich am Tatbestand orientieren. Bei staatlichen Rechtsgütern60 werde Unrecht durch die Unterdrückung nicht eines Gleichen (eines anderen Individuums) sondern eines Überlegenen (des 53 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 173, auch S. 200. Rechtsgüter dieser Art seien in den Umwelt, Aussage- und Urkundendelikten verkörpert. Sie verlangen vom Einzelnen die Reife, das Hineinwachsen in die Gesellschaft, da sich die Anerkennungsleistung vom Einzelnen ablöse. Je nach Bedürfnis könnten neue Begriffe entstehen oder überkommene an Bedeutung verlieren. 54 Hierzu Köhler, Strafrecht AT, S. 16. 55 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 185 unter Berufung auf Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 260. 56 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 185 f. 57 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 185 f., S. 193, S. 215. 58 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 193, S. 195. Siehe auch NK-Zaczyk, § 22, Rn. 48. 59 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 216 f., S. 217. 60 Zur Staatsgründung als Staatsvertrag siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 184 unter Berufung auf Kant, Metaphysik der Sitten, § 45 und Fichte, Naturrecht, S. 201 ff. Vgl. auch Köhler, Strafrecht AT, S. 16.

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Staats) verwirklicht, und zwar durch den Angriff auf den Staat als Ganzen oder auf eine seiner Ausformungen61. In subjektiver Hinsicht handle es sich nicht um die Instrumentalisierung eines Gleichen, sondern um die Besonderung aus dem von Einzelnen mitgetragenen Allgemeinen, nämlich die Anmaßung, das Allgemeine für sich zu bestimmen62. Eine Straftat sei die „Vernichtung allgemein anerkannter Freiheit“63, nicht bloß subjektiv empfundener Selbständigkeit: Die Tat setzt also eine positiv staatliche Gemeinschaft mit dem Täter voraus, „die erst durch die Tat (und d.h.: auf nachrangiger Stufe seines Daseins als Freier) zerstört und dann durch die Strafe wiederhergestellt wird“64. Strafrechtliches Unrecht heiße nicht „Streit des Täters mit den Anderen, sondern setzt das freiheitlich konstituierte Verhältnis als Ganzes herab (. . .), die Selbständigkeit des Anderen wird direkt angegriffen, die staatliche Leistung der Wirklichkeit des Allgemeinen wird (partiell) aufgelöst“65. Die Strafe mache deutlich, „daß der Täter selbst eine Leistung erbringen muß, um als Rechtsperson wieder anerkannt zu werden und an der Konstitution des Gemeinwesens wieder (im freien praktischen Handeln) teilnehmen zu können“66.

B. Versuchsunrecht und Versuchsbeginn I. Strafgrund des Unrechts Unrecht bedeutet bei Zaczyk die Verneinung des Rechtszustandes67. Bei interpersonalen Rechtsgütern stehe der Täter vor der Tat nämlich in einer Beziehung zum Rechtsgut, und zwar in einem Gleichheitsverhältnis zum künftigen Opfer und zu den anderen Rechtspersonen. Bei staatlichen Rechtsgütern stehe der Täter in einer Beziehung zum nicht gleichen, sondern überlegenen Staat. Da der Einzelne als Person unmittelbar Rechtsperson sei, müsse das Unrecht (die Verneinung des Rechtszustandes) das Subjekt „ebenso konstitutiv miteinbeziehen wie die Tatsache, daß dieses Subjekt in einem Zusammenhang steht mit der äußeren Welt als solcher und anderen Subjekten in ihr“68. Die Einzelnen als 61

Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 206, S. 239. Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 207 f. Amtsträger handeln nicht nur „bejahend“ sondern auch „konstituierend“ (S. 239). 63 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 186 f. 64 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 188. 65 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 186 f. 66 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 189. 67 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 196. Vgl. auch Köhler, Strafrecht AT, S. 22. 68 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 126. 62

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

Rechtspersonen seien vor allem Willenssubjekte69, d.h. reflektierende, nicht ausschließlich der Naturkausalität unterworfene Subjekte. Finde das Recht seinen Ursprung in einem von Willenssubjekten gestalteten Bereich, so „liegt darin auch die Abhängigkeit der äußeren Gestaltung (. . .) vom Willen der Beteiligten beschlossen. (. . .) Unrecht hat damit notwendig seinen Grund im Bewußtsein und gestaltenden Willen des Täters“70. Hieraus leitet sich folgende Definition ab: „Versuch ist vom Tatentschluß getragenes, unvollkommen verwirklichtes Unrecht“71. Der Grund der Überbrückbarkeit der Distanz zwischen unvollendeter Tat und angestrebter Vollendung liege „in der Relevanz des Selbstbewußtseins des Einzelnen für das Dasein des Rechtsguts“72. Diese Relevanz des Willens lasse sich nur über die Relevanz des Selbstbewußtseins begründen, nicht kriminalpolitisch oder strafzwecktheoretisch73. Nur wenn der Wille als Basis auch des Rechts begründet werde, sei eine einheitliche Betrachtung von Recht und Unrecht zu leisten: Die subjektive Versuchstheorie habe zwar auf diese Weise „unabsichtlich den Grund des Unrechts angesprochen“, doch nur als „innerliches Prinzip“74. Notwendig sei aber eine zusammenhängende Begründung aus innerer und äußerer Seite: Es gehe dabei um die Identifikation des rechtlich relevanten Willens vor dem Hintergrund der rechtlich konstituierten Welt (der Rechtsgüter)75. Der Wille ist bei Zaczyk also kein inneres Prinzip der Moralität76, sondern „– sofern er als die äußeren Handlungen lenkender Wille verstanden wird – rechtlich relevanter Wille; das aber heißt: er wird in seiner Bedeutung für andere genommen“77. Anders als bei Welzel gehe es nicht um die Auflehnung gegen die Rechtsordnung, sondern um „die Negation dessen, was das Rechtsgut überhaupt hervorbringt“78: „Wenn das Rechtsgut sein Dasein nur der Anerkennung durch die Anderen verdankt, dann wird mit der Wandlung des Anerkennenden in den verletzenden Willen dem Rechtsgut die Basis entzogen“79.

69 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 221 f., S. 230 ff. Selbstbewußtwerden, d.i. zu sich selbst zu finden, heißt nach Fichte: „Ich finde mich wollend; und allein als wollend kann ich mich finden“ (Düsing, Intersubjektivität, S. 243 f., sowie S. 253 in fine). 70 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 233. Vgl. in diesem Sinne auch Köhler, Strafrecht AT, S. 23; Murmann, Versuchsunrecht, S. 5; Rath, JuS 1998, S. 1008. 71 NK-Zaczyk, § 22, Rn. 1. 72 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 286. 73 Siehe NK-Zaczyk, § 22, Rn. 1. 74 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 233. 75 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 231. Siehe auch NK-Zaczyk, § 22, Rn. 7; übereinstimmend Köhler, Strafrecht AT, S. 20. 76 Kritisch in diesem Sinne auch Köhler, AT, 453, S. 20. 77 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 233. Siehe auch NK-Zaczyk, § 22, Rn. 12. 78 Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 234.

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II. Unrecht des Versuchs 1. Zurechnungskriterien Beim Unrecht geht es also um die Relevanz des Bewußtseins vor dem Hintergrund der Rechtsgüter als rechtlich konstituierter Welt80. Beide Aspekte sind hier im Zusammenhang mit der Konstituierung der Zurechnungskriterien darzustellen. Aus der notwendigen subjektiven Leistung des Einzelnen für die Konstitution und Erhaltung der Rechtsgüter will Zaczyk die Konsequenz ziehen, daß „es für einen Eingriff in ein fremdes Rechtsgut überhaupt auf den Willen (der dabei keineswegs instrumental unterbestimmt werden darf) ankommen muß“81. Das Gewicht des Willens liege der Rechtsbegründung nach „in der vorausgesetzten Vollendungsmacht des Einzelnen und schließt damit unmittelbar an den Gedankengang an, daß das Recht an seiner Basis vom Einzelnen konstituiert wird“82. In der Rede vom „Vermögen der Realisierung des Angestrebten“, d.h. vom Vermögen, eine äußere Veränderung herbeizuführen83, kommt ein Verständnis der Rechtsperson als im Verhältnis zu äußeren Kausalität überlegen zum Ausdruck. Aus diesem Grund habe die Handlung nicht nur eine metaempirische Dimension, sie sei in einem empirischen, psycho-physischen Sinne „auch kausales und finales Bewirken, sofern die von ihr intendierte Gestaltung einen Einfluß auf äußere Objekte voraussetzt“84. Der Täter sei also auch ein „den Kausalverläufen naturhafter Art Überlegener“85, wenn Wille und Verhalten (bzw. Bewirktes) in einem Entsprechungsverhältnis zueinander stehen: Nur beides zusammen könne Unrecht begründen86. Zusammenfassend entspringe der Rechtszustand einer eigenen „inneren Leistung des Konstituenten“87 als vernünftiger Wille; die subjektive Seite mache „die soziale Relevanz“ des Unrechts aus88. 79 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 234. Siehe auch NK-Zaczyk, § 22, Rn. 12 und Rn. 10, mit der Hervorhebung, daß es im Gegensatz zum Finalismus nicht um Willensstrafrecht gehe: Die äußere Seite der Tat soll an Bedeutung gewinnen. Zaczyk folgend, Murmann, Versuchsunrecht, S. 5. 80 Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 233. 81 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 170, S. 230. 82 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 228. Siehe auch NK-Zaczyk, § 22, Rn. 1. So darf die Relevanz der „subjektive(n) Entscheidungsmacht jedes Handelnden (auch des Schuldunfähigen)“ schließlich nicht unberücksichtigt bleiben. Siehe außerdem NK-Zaczyk, § 22, Rn. 31; Köhler, AT, 521 f.; dens., FS Hirsch, S. 65 ff., S. 76; Rath, JuS, 1998, S. 1008. 83 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 202. 84 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 202. 85 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 204. Dazu auch Köhler, Strafrecht AT, S. 10. 86 Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 222. 87 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 209.

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Beim Versuch sei eine Trennung zwischen äußerer und innerer Tatseite „begriffsnotwendig“89: Da beim Versuch die äußerliche Realisation zurückbleibe, sei es die Hauptaufgabe der Versuchslehre, die Relevanz der inneren Tatseite zu begründen. Dabei bilde der subjektive Tatbestand die Grundlage der Zurechnung90. Das in ihm enthaltene „intellektuelle Moment“ verbinde die äußere Handlung mit der Intention des Täters, dessen Bedeutung von der äußeren Handlung übernommen werde: Der Verletzungswille als Entschluß besitze die Kraft, „den Mangel der äußeren Realisation zu überspielen und allein aus sich – über ihn hinweg – zur Vollendung verlängert zu werden“91: „Der Vorsatz muss auf die Vollendung der Tat gerichtet sein (. . .); für den Versuch genügt (auch normtheoretisch) nicht der Vorsatz, der nur auf Schaffung eines Risikos gerichtet ist“92. Beim fahrlässigen Versuch suche der Einzelne nicht den Ausschluß des Zufalls, sondern setze sich selbst zum Zufall herab: Es gehe also nicht um „bewußte Unterdrückung“, sondern um sein Vergessen des Anderen93. Die Negation des Anderen sei nicht Inhalt der Handlung. Fehle in diesem Fall der mächtige Wille als „Verbindungsglied zum Erfolg“, so sei der Erfolgseintritt für das Unrecht (bei Unbedachtsamkeit also) notwendig, denn die Möglichkeit, daß alles gutgeht, müsse dem Einzelnen erhalten bleiben94: Ein fahrlässiger Versuch sei nicht möglich95. Beim fahrlässigen Versuch werde die Verletzungsmacht des Willens nicht in Anspruch genommen, sie – und hierzu sind Zaczyks Erläuterungen sehr knapp – „scheint bloß auf, indem der Andere einer als kontrollierbar begriffenen Gefahr ausgesetzt wird“96. Dieser Mangel rechtfertige nicht die gedankliche Ergänzung der Vollendung: Die für das Unrecht maßgebliche Unterdrückung der Freiheit sei nicht gegeben97. Beim verletzenden Willen gehe es nicht um Tatneigung (Vorbereitung), sondern um einen konkreten Willen als Tatentschluß98. Er gleiche die Unvollkom88

Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 219. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 234. 90 Vgl. NK-Zaczyk, § 22, Rn. 13; weiterhin Köhler, FS Hirsch, S. 65 ff., S. 68. 91 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 234, S. 259. Siehe auch NK-Zaczyk, § 22, Rn. 13. „Jeder Mangel der Handlung wird gesetzt als vom Täter selbst überwindbar“ (Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 250); Rath, JuS 1998, S. 1008. 92 NK-Zaczyk, § 22, Rn. 13, 15. In diesem Sinne auch Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 228. Siehe auch Köhler, AT, 164 f.; dens., Die bewußte Fahrlässigkeit, S. 283 ff.; dens., FS Hirsch, S. 65 ff., S. 75 ff., insbesondere S. 76, S. 78. Anders Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 57 ff., 118 ff., 255 ff., zitiert nach Zaczyk. 93 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 213. 94 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 214; NK-Zaczyk, § 22, Rn. 21. 95 Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 214; NK-Zaczyk, § 22, Rn. 21. 96 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 235. 97 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 235; NK-Zaczyk, § 22, Rn. 21; übereinstimmend Rath, JuS 1998, S. 1011. 89

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menheit der äußeren Tatseite aus. Der Konstitutionswille schaffe es, durch seine Leistung, „Egoismen und Triebhaftigkeiten“ zu überwinden. Wandle sich nun „der Konstitutionswille in den Verletzungswillen, so erscheint er aus der Sicht des Anderen notwendig zugleich als verletzungsmächtiger“ 99. Es geht um Bruch der Anerkennung, und zwar als „Vertrauensbruch“100. Zaczyk lehnt eine objektive Theorie ab. Der objektiven bzw. instrumentalen Tatseite wohne nämlich ein Scheitern beim kausalen Hervorbringen des Erfolgs inne: Konkrete Mittel seien immer der Zufälligkeit ausgesetzt. Nicht die objektive Seite, sondern die „Handlung“, sei diejenige die eine Brücke zum Erfolg schlage101. Konkreter: Das Tatbewußtsein leiste die Ergänzung zum Erfolg102. Im Falle der Untauglichkeit des Mittels, wie z. B. einer zu geringen Dosis Gift, der Verabreichung eines vermeintlichen Gifts, der fehlenden Schußkraft eines Gewehrs, spricht Zaczyk dem gesagten Prinzip entsprechend von einer „tauglichen“ Innenperspektive des Täters. Köhler, der ebenfalls von einer das interpersonal-wirkliche Anerkennungsverhältnis voraussetzenden Versuchstheorie ausgeht, vertritt jedoch eine andere Auffassung zur Strafbarkeit des Versuchs mit untauglichem Mittel. Nach Köhler können die Subjekte hierbei praktisch-äußerlich überhaupt keinen Einfluß aufeinander nehmen. In Bezug auf die Theorie Zaczyks kritisch: „Nur unter den subjektiv konzipierten objektiven Möglichkeitsbedingungen wechselseitigen Einflusses (. . .) hat der (. . .) Grund des Versuchsunrechts (. . .) seine objektive Realität“103. Der Vertrauensbruch, der bei Zaczyk schon wegen der vorauszusetzenden Willkürmacht des Einzelnen für das Opfer anzunehmen sei, vermag nach Köhler „die objektiv-reale Willkürmacht als Bedingung des Rechtsverhältnisses und seiner Verletzbarkeit nicht zu ersetzen“104. Die Straflosigkeit des abergläubischen Versuch erklärt sich für Zaczyk daraus, daß „transzendente Handlungen weder Recht konstituieren noch also Recht verletzen können“; Vorsatz liege in solchen Fällen nicht vor105. Wie Zaczyk er-

98 NK-Zaczyk, § 22, Rn. 3. Dem Terminus „Entschluß“ (Willen) im Verhältns zum Ausdruck „Vorstellung der Tat“ (nur Wissen) den Vorzug gebend, NK-Zaczyk, Rn. 13, 15. Siehe auch Köhler, FS Hirsch, 65 ff., S. 76. 99 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 235. 100 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 251. 101 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 244. Diese Überlegungen sollen auch die Irrelevanz der Kriterien absolute/relative Untauglichkeit, sowie ontologischer/nomologischer Irrtum aufdecken. 102 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 245. Die metaempirische Dimension der Wirklichkeit erlaubt also eine Interpretation des Willens als dem Kausalzusammenhang überlegen. 103 Köhler, AT, S. 458. 104 Köhler, AT, S. 458, Fn. 13. 105 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 242 ff., S. 245.

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

kennt106, führt dieser Ansatz bei Unzulänglichkeit der Handlung „zu einer weiten Ausdehnung des Versuchsunrechts“. Wie § 23 Abs. 3 StGB zeige, setze das Gesetz „die subjektive Theorie – allerdings mit einer wesentlich anderen Begründung – in ihr Recht“. Er begründet den Versuch mit Hilfe eines „objektiven Begriffs“. Damit meint Zaczyk, der Strafgrund sei „aus der Sicht des betroffenen Rechtsguts“ zu konstituieren und anders als im Finalismuns „nicht etwa ausschließlich aus der Innensicht des Täters“107. Rechtsgüter seien von ihren Konstituenten nicht zu trennen. Ausgangspunkt dieses Ansatzes sei das vor dem Angriff bestehende Recht und dementsprechend die Rechtsgüter108. Es gehe um die Relevanz des Willens für „die Anderen“. Aus diesem Grund könne die Außensicht (die Anderen) „Korrekturen (jedoch nur limitierend, nicht ausweitend) anbringen“109, wobei es sich nicht um ein faktisches Beobachten von außen handeln soll. Dieser sogenannte anschauliche Moment umfasse sozial auffällige Handlungen, die zudem den tatbestandlichen Handlungsbeschreibungen entsprechen müßten. Bei der hervorragenden Position des Willens gehe es nicht um Erkennbarkeit des Willens, sondern um (Teil-)Verwirklichung von Unrecht: Der Übergang von einem Verhältnis der Gleichheit zu einem anderen der Unterdrückung müsse etwa bei interpersonalen Rechtsgütern erkennbar sein. Da das Recht mit dem wirklichen Handeln der Einzelnen im Zusammenhang stehe, bestehe ein Vorverständnis von „normalen“ versus „auffälligen“ Verhaltensweisen110: Dies sei aber nur ein „anschauliches Begreifen sozialer Wirklichkeit“ mit dürftiger begrifflicher Klärung, d.h. eine Folge des Grunds des Unrechts und nicht der Grund selbst, wie die Eindruckstheorie irrig annehme111. Aus materiellen Gründen sei immer eine vergleichende Untersuchung der Normalität der Handlung mit dem Willen des Einzelnen anzustellen: Eine unauffällige Handlung, z. B. das Klingeln an einer Haustür, könne unter Berücksichtigung des Willens deswegen immerhin als Verschlechterung der angegriffenen Rechtsgüter interpretiert werden112. Wie nach der formell-objektiven Lehre, die Unrecht mit Tatbestand gleichgesetzt habe, soll als zusätzliches Kriterium zur materiellen Bewertung die tatbestandliche Handlungsbeschreibung hinzukommen, mit der vortatbestandliche Handlungen als materielles Unrecht erfaßt werden könnten: „Die dort genannten Handlungen muß der Täter irgendwann notwendig begehen wollen“113. Die 106 107 108 109 110 111 112

Zu den folgenden Zitaten Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 251. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 229. So auch Köhler, AT, S. 457. Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 231. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 245. Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 236. So Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 236 mit Fn. 12. Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 236.

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materiellen und formellen Voraussetzungen führen zu bestimmten Konsequenzen. Für das Versuchsunrecht sei von der Überlegung auszugehen, daß „ein Rechtsverhältnis zur angegriffenen Person oder dem Rechtsgut der Allgemeinheit (Gesellschaft114 oder Staat115) wirklich besteht, da nur auf dieser Grundlage der Versuch einer Verletzung vorliegen kann“116: Eine strafrechtliche Verletzung setze stets ein wirkliches Gegenüber voraus. Die Tätervorstellung des einzelnen Individuums, könne die Ebene der allgemein rechtlichen Ordnung nicht ersetzen, so daß „die das Unrecht konstituierenden Merkmale in der Handlungssituation objektiv vorliegen müssen“117. Zum Beispiel: Die entsprechende Stelle muss zur Abnahme von Eiden zuständig sein118, die Steuerpflicht muss bestehen, etc.119 Gesetzliche Merkmale, die das Rechtsverhältnis strafoder außerstrafrechtlich gültig konkretisieren, müssen objektiv vorliegen und können nicht durch subjektive Vorstellungen ersetzt werden120. Beim Diebstahl muß die Sache tatsächlich fremd sein. Beispiel: Versuche jemand eine von ihm fälschlicherweise als Militäranlage indentifizierte Anlage zu fotografieren, dann liege kein Versuch vor (Mangel des Gegenübers – Wahndelikt). Gehe es um außertatbestandliche, den instrumentalen Handlungsvollzug betreffende Merkmale, wie beispielsweise im Fall, daß der Einzelne vergißt, einen Film einzulegen, liege dieser Umstand in seiner Macht und es liege Versuch vor. Handle es sich bei Amtsdelikten um Handlungen von Amtsträgern in Ausübung ihrer Tätigkeit, gelte die erwähnte objektive Grenze nicht. Die Verwirklichung des Allgemeinen sei diesem Einzelbewußtsein aufgegeben121. Bei einem Mangel des Gegenübers kann also nicht von einer Rechtsverletzung die Rede sein122. Unrecht ist bei Zaczyk nämlich dadurch gekennzeichnet, daß der Täter nicht einen „allgemein im Staat etablierten Rechtszustand, sondern ganz konkret das Anerkennungsverhältnis zum anderen“ verletzte123: Der Schuß auf einen Toten, die Abtreibung einer Nicht-Schwangeren, der Schuß auf 113 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 237 mit Fn. 13, nach dem diese Identifizierung des Unrechts mit dem Tatbestand und die nachfolgende Ernstnahme des Unrechts nur von der formell-objektiven Lehre berücksichtigt worden sein soll. Siehe auch Köhler, AT, S. 459. 114 Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 271 ff. 115 Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 240, S. 287 ff. 116 NK-Zaczyk, § 22, Rn. 37; Köhler, AT, S. 457. 117 NK-Zaczyk, § 22, Rn. 48. Übereinstimmend Köhler, AT, S. 457, S. 458. 118 Anders Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 271 ff. 119 Siehe NK-Zaczyk, § 22, Rn. 48. 120 Vgl. NK-Zaczyk, § 22, Rn. 49. 121 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 240, näher S. 291 ff., S. 295. 122 Siehe näher NK-Zaczyk, § 22, Rn. 37. Übereinstimmend Köhler, AT, S. 457, 458. 123 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 255.

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einen Baumstamm in dem Glauben, es sei irgendein Mensch, verwirklicht also kein Versuchsunrecht124. Da weiterhin das Recht die Selbständigkeit des Einzelnen und dementsprechend auch seine Bewegungsfreiheit schützten soll, sei der Schuß auf ein verlassenes Bett Unrecht. Da das Recht außerdem die Freiheit schütze, etwa das Eigentum da oder dort aufzubewahren, sei der Griff in die leere Tasche ebenfalls Unrecht. Denn in solchen Fällen werde dem konkreten Opfer eine seiner Möglichkeiten genommen, so daß es zufällig sei, ob der Täter Erfolg habe oder nicht125. Versuch liege also vor, wenn das Scheitern der Tat „in einem Umstand (gründet), der aus der Selbständigkeit des Opfers als Rechtsperson resultiert“: Der Schuß auf einen Baumstamm in der Meinung, es handle sich um eine bestimmte Person, die etwa auflauert; die Wegnahme einer Sache, hinsichtlich der der Verletzte – ohne daß der Täter es weiß – sein Einverständnis erklärt habe. Das Gesetz kann auch Grenzen aufstellen: So war (gemäß § 177 StGB a. F.) keine Vergewaltigung möglich an einem als Frau verkleideten Mann; bei § 176 StGB ist kein Versuch gegeben, wenn das Kind trotz falscher Vorstellung des Täters 14 Jahre alt ist126. Nur in diesen letzten Fällen und in den Fällen, in denen die Verwirklichungsmacht des Täters die instrumentelle Untauglichkeit der Handlung überwinde, lasse sich also die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs rechtfertigen. Untaugliche Täter seien nicht versuchstauglich, „weil der rechtliche Zusammenhang auf seine Mitwirkung nicht vertraut“127, d.h., die anderen Bürger erwarten nicht ein entsprechendes Verhalten. „Wenn der Vater eines Kindes die Hilferufe eines anderen Kindes für die des eigenen hält und nichts unternimmt“128, soll Versuch vorliegen, da tatsächlich eine Eltern-Kind Beziehung bestehe und das rufende Kind das eigene sein könnte. 2. Unmittelbares Ansetzen Beim unmittelbaren Ansetzen geht es nach Zaczyk um Tatbestandsverwirklichung, nicht um eine unspezifische Rechtsgutsverletzung: Die Tatbestandshandlung bedeute aber nicht bloß einen äußeren Handlungsvollzug, sondern beinhalte eine spezifische Rechtsgutsbeeinträchtigung129. Zaczyk konkretisiert die124

Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 255. Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 255; NK-Zaczyk, § 22, Rn. 37. 126 Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 256. 127 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 270. Eingehend auch NK-Zaczyk, § 22, Rn. 39. In diesem Sinne auch Köhler, AT, S. 457. 128 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 271. 129 So beide Elemente in der knappen Bezeichnung in NK-Zaczyk, § 22, Rn. 22: „Übergang eines Tatmächtigen zum Rechtsgutsangriff, so wie er im Tatbestand umschrieben ist“. Siehe auch Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 300 f., unter Berufung auf Art. 103 Abs. 2 GG. 125

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sen Gedanken, indem er von einer Doppelbezüglichkeit der Versuchshandlung spricht. Einerseits stellt er auf die Tatbestandsbeschreibung ab. In Nachfolge der formell-objektiven Lehre bestimme dementsprechend zwar nur der Tatbestand das Unrecht, „und indem er eine Handlung hinreichend konkret benennt, bezeichnet er damit auch den möglichen ,Anfang‘ des Unrechts“130. Der Fehler dieser Lehre liege nicht darin, daß sie strafwürdige Fälle nicht umfasse, sondern daß „es vor dem formellen Tatbestand schon Unrecht gibt“131. Der Tatbestand müsse also andererseits um seine materielle Unrechtsseite „geöffnet“ werden durch „kategoriale Erweiterung der Unrechtsbestimmung“132: Hierbei gehe es um Unterdrückung rechtlicher Freiheit in einem ihrer Daseinselemente. Bilde der Tatbestand nicht die Grenze des Unrechtsbeginns, seien Kriterien für die Bestimmung „vortatbestandlichen“ Unrechts zu entwickeln133. Heuristische Formeln, wie die von der h. L. verwendeten134, sollen diesem Zweck, d.h. der Konkretisierung der gesetzlichen Umschreibungen in § 22 StGB, dienen. Sie böten nicht subsumierbare Begriffe, sondern beobachteten die konkrete Fallgestaltung aus verschiedenen Perspektiven135. Zur Abgrenzung sei wie folgt vorzugehen: Im Vordergrund stehe die Tatbestandshandlung. Der Täter gestalte die Situation so, daß er „das Rechtsgut bereits so ,in den Griff‘ bekommen“ habe, daß der Vollzug der Tatbestandshandlung „nur noch akzidentielle Bedeutung hat; der Täter hat die Verhältnisse bereits seiner Herrschaft unterworfen“136. Zur Bewertung könne jede der in der Literatur vorgeschlagenen Formeln hilfreich sein (auch die Gefährdung des Rechtsguts137), wobei zu beachten sei, daß diese die „Betätigung juristischer Urteilskraft im Einzelfall“ nicht ersetzen könnten138. Erforderlich sei eine „Gesamtwürdigung der Tatsituation“, was auch der Herangehensweise der Rechtsprechung entspreche139. Beim sog. untauglichen Versuch sei „von der Relevanz subjektiver Annahmen des Täters“ auszugehen und die äußere Gestaltung so zu nehmen, „wie der Täter sie sieht“140. Die Würdigung 130

Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 300. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 300 mit Fn. 218 a. E. 132 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 304, S. 310; vgl. auch NK-Zaczyk, § 22, Rn. 22, 24. 133 Vgl. wie Zaczyk auch Murmann, Versuchsunrecht, S. 6, S. 10 ff. 134 Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 302 ff., S. 304 ff. 135 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 303, S. 308; NK-Zaczyk, § 22, Rn. 22 ff. 136 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 310, S. 311; ihm folgend Murmann, Versuchsunrecht, S. 25 f. 137 Dazu Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 306 ff. 138 NK-Zaczyk, § 22, Rn. 24. 139 Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 311, S. 304; NK-Zaczyk, § 22, Rn. 23. 140 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 311. 131

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des Unrechts „korrespondiert auch mit einer inneren Haltung des Täters“, die sich beim „Sich-Begeben in die Unrechtssituation“ auch Anderen gegenüber festlegt. Die Formeln zum Versuchsbeginn, wie etwa diejenige Bockelmanns, nach der der Täter „die Feuerprobe der kritischen Situation“ bestehen müsse, oder die „Jetzt geht es los“-Formel von Dreher, die nicht als ein subjektives Empfinden des Täters mißverstanden werden soll, sollen jener Würdigung gerecht werden141.

C. Die mangelhafte Vermittlung des Sozialen – Subjektivismus und Dualismus in der Versuchslehre Zaczyks 1. Wird der naturalistische Freiheitsbegriff, die mächtige Willkür als Basis des Personbegriffs überwunden, so gelangt man über Kant zu einem normativen Begriff von Freiheit als Möglichkeit, den Gesetzen der Vernunft nach zu handeln. Freiheit, Vernünftigkeit und letztendlich Personsein bezieht Zaczyk aber in Anlehnung an Kant teilweise abstrakt auf das „Faktum der Vernunft“142 eines vom Empirischen gereinigten homo noumenon zurück. Daß die (sittlichen) Personen unmittelbar Strafrechtspersonen sind, bedeutet, daß die Akteure im (Straf-)Recht insofern zwar normativ, aber wie bei Hobbes vorsozial definiert werden. Es sind einzelne Wesen mit der Fähigkeit, aus sich heraus allgemeingültige kategorische Imperative zu generieren und so „die Welt nach ihrem Bild“ zu ordnen143. Auf diesen vorsozialen Personbegriff nimmt auch das (Straf-)Recht Bezug, so daß die Freiheit über die Person Bedeutung für das Recht erlangt144: Es geht dementsprechend und insofern um einen vor- und d.h. außer(straf)rechtlich determinierten Personbegriff. Die Einzelnen als Rechtspersonen sind nach diesem Personbegriff Willenssubjekte, d.h. reflektierende, nicht ausschließlich der Naturkausalität unterworfene Subjekte145. Trotz der normativen Wirklichkeit der Rechtsperson, wird das Subjekt konstitutiv in das Recht miteinbezogen146, so daß die Voraussetzung der Zurechnung ohne Bezug auf eine die Person erst konstituierende soziale Dimension der Wirklichkeit des praktischen Subjekts, sondern letztendlich im Individuum, im homo phänomenon, zu finden sind. Nicht eine innerstrafrechtlich konstruierte Rechtsperson, sondern die natürliche Beschaffenheit des Individuums, etwa sein Wille, seine Kenntnisse, etc. werden 141

Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 313; NK-Zaczyk, § 22, Rn. 23 f. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, A 55, 56, S. 141. 143 Vgl. dazu kritisch eingehend Pawlik, Betrug, S. 24 f.; Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 185, S. 189. 144 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 141. 145 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 221 f., S. 230 ff. 146 Vgl. Zazcyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 126. 142

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vor dem Hintergrund der Rechtsgüter zum Baustein der Zurechnung erhoben. So heißt es bei Zaczyk, der Versuch sei ein „vom Tatentschluß getragenes (. . .) Unrecht“147. 2. Andererseits wird bereits auf der Stufe der Rechtsbegründung der formal hervorgebrachte kategorische Imperativ weltfremd und tautologisch, wenn nicht materiale, als vernünftig angesehene Zusatzannahmen hinzukommen148. Beispielhaft: Der kategorische Imperativ, der befiehlt, daß gegen die Institution des Depositums nicht gehandelt werden darf, weil es sonst kein Depositum mehr gäbe149, geht von der Vorannahme aus, daß das Depositum sein muß und d.h. als Institution vernünftig sein muß150. Zaczyk versucht zwar der Phänomenalität, der Materialität bzw. der Geschichtlichkeit Einlaß in das normative Modell zu verschaffen und so dem Sittengesetz Lebenswirklichkeit zu gewähren. Diesen Sozialbezug führt er aber in einem weiteren Schritt transzendentalphilosophisch über Fichte auf die Intersubjektivität zurück. Dieser zweite Argumentationsschritt in der Begründung der Vernünftigkeit als Genese von Selbstbewußtsein und d.h. als Konstitution der Person basiert auf einem vorgedachten, vernünftigen Anderen, letztendlich nach Fichte auf Gott als dem ersten Erzieher der Menschheit151: Das (Fichtesche) Ziel einer Pluralität endlicher Geister wäre nicht bewiesen152. Dennoch wird die überindividuelle Dimension des praktischen Subjekts in das Strafrecht einbezogen153. Auf diese Weise wird aber wiederum das vom Individuum hervorgebrachte Bild der Wirklichkeit, d.h. der kategorische Imperativ, nach dem vorgefundenen Inhalt der Vernunft Anderer regiert. Die Erhaltung des Rechts als eine von allen erbrachte Leistung ist also erst auf der Basis einer vorgefundenen Vernunft zu verstehen. Wenn Zaczyk durch den Intersubjektivismus Fichtes von der „Materialisierung“ des kategorischen Imperativs für das Recht in dem Sinne spricht, daß 147

NK-Zaczyk, § 22, Rn. 1. Vgl. schon Hegel, Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, S. 459 ff.; Jakobs, Zur Genese von Rechtsverbindlichkeit, in: Verbindlichkeit unter den Bedingungen der Pluralität, S. 5 ff., S. 15; Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 187; Pawlik, Betrug, S. 25. 149 Vgl. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, A 49, S. 136. 150 Zu dieser Kritik, Hegel, Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, S. 462. 151 Siehe Fichte, Grundlage des Naturrechts, S. 39 f. 152 Hösle, Hegels System II, S. 380, Fn. 85; ders., Intersubjektivität, S. 47, S. 51 f. Schon Zaczyk, Rechtslehre J. G. Fichtes, S. 26 mit Fn. 44, sieht dieses grundlegende Problem in der von ihm übernommenen Lehre Fichtes. Der Ausgangspunkt und das auffordernde Gegenüber sind im Recht nicht ein endliches Individuum oder ein übernatürliches Wesen, sondern eine gesellschaftliche Größe. Siehe hierzu auch in Bezug auf Fichte, Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 49. 153 Pawlik, Betrug, S. 28, spricht von der „Einsicht in die relationale Struktur des Identitätsbegriffs“ als bedeutende Leistung des Fichteschen Systems. 148

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„auch historisch gewendet – die Basis für das Recht-Handeln schon bereit liegt (in der Existenz anderer vernünftiger Wesen) und damit die großen Linien des Recht-Handelns feststehen“154, ist dies widersprüchlich. Die Lehre Fichtes, auf die sich Zaczyk bezieht und stützt, kann die gesellschaftliche Abstraktion der prozeduralen Generierung von formalen Bestimmungsgründen, d.h. kategorischen Imperativen, nicht aufheben. Mit den Worten Pawliks: „Als durch Vernünftigkeit lediglich formal bestimmtes praktisches Subjekt kann ich dem von mir vorauszusetzenden anderen praktischen Subjekt nichts anderes als dieselbe formale Qualität praktischer Vernünftigkeit zusprechen (. . .). Was aber die von mir formal anzuerkennende Gleichheitsbeziehung inhaltlich ausmacht – wen sie erfaßt und welche Pflichten und Ansprüche sie generiert –, dies ergibt sich aus Fichtes Intersubjektivitätskonstruktion ebensowenig wie es sich aus der Konzeption Kants ergeben hat“155. Welcher Bürger also beansprucht wird, und mit welchen Pflichten, kann letztlich nur durch Unterstellung einer nicht auf Prozeduralismus zurückgehenden und trotzdem nicht zufälligen, sondern vernünftigen Zusatzannahme abgeleitet werden, nämlich durch Unterstellung der im System vorausgesetzten, vom Individuum kategorial156 unterschiedenen Größe der „Vernünftigkeit sozialer Praktiken und Institutionen“157; gerade weil Zusatzannahmen „diesen Bedeutungshintergrund erst verschaffen, können sie nicht selbst als intersubjektiv hervorgebracht begriffen werden“158. Diese Unterstellung der Vernünftigkeit sozialer Praktiken und Institutionen wird im Modell Zaczyks an verschiedenen Stellen 154 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 162. Vgl. auch dens., Rechtslehre J. G. Fichtes, S. 30; dens., Die Struktur des Rechtsverhältnisses, S. 23 f. 155 Pawlik, Betrug, S. 29 f. Vgl. zu Fichte in diesem Sinne schon kritisch, Hegel, Glauben und Wissen, insbesondere S. 426, der in den systematischen Grundsätzen des (ersten) Fichteschen Idealismus den Grund dieses Formalismus zu erklären versucht. 156 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 49; Pawlik, Betrug, S. 49. 157 Pawlik, Betrug, S. 26, auch S. 31. Dazu, daß der Prozeduralismus nur über Reglementierungen sozialen Ursprungs zu verstehen ist, d.h. ein vorhergehendes Sollensschema voraussetzt, siehe schon Hegel, Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, S. 459 ff., S. 462; dens., Rechtsphilsophie, § 135, S. 253; weiterhin Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 272, S. 450; Kersting, Politische Philosophie, S. 39 ff.; Jakobs, Zur Genese von Rechtsverbindlichkeit, S. 9, S. 20 ff. Siehe weiterhin kritisch zum kategorischen Imperativ Kants Welzel, Naturrecht, S. 169 f.; Pawlik, Betrug, S. 27, der betont, daß der kategorische Imperativ sich deshalb aufhebt, „weil überhaupt keine Möglichkeit der Ausfüllung gedacht werden kann, ohne ihn als reinen und formellen aufzuheben“. In genau diesem Sinne siehe auch Hegel zur Kantschen und zur (ersten) Fichteschen Philosophie, Glauben und Wissen, S. 415: „Aber der Wille ist reine Identität ohne allen Inhalt und nur insofern rein, als er ein durchaus Formales, Inhaltloses ist“, oder S. 426 f.: „Was denn an sich und für sich Recht und Pflicht ist, eine Bestimmung hiervon zu geben, wäre widersprechend; denn der Inhalt hebt sogleich den reinen Willen, die Pflicht um der Pflicht willen auf und macht die Pflicht zu etwas Materialem“. So ist es letztlich auch verständlich, daß der Staat hier auch vertragstheoretisch verstanden wird. Hierzu Hösle, System II, S. 468 f. 158 Pawlik, Betrug, S. 30 (Hervorh. dort).

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sichtbar: zunächst in der Identifizierung der Aufforderung mit dem Prozeß der Erziehung, weiterhin im sich immer zu bewährenden Prozeß der Konstitution von Rechtsgütern, welche in der konkreten Gesellschaft jeder neue Vernünftigwerdende in einer schon bestehenden Vernünftigkeit vorfindet und mit seinem Verhalten wieder bestätigt, sowie auch im Inhalt der Vernünftigkeit Anderer (dem Kriterium der „Normalität“, der „Nicht-Auffälligkeit“, des alltäglich als richtig Verstandenen159 bestimmter Handlungen). Es geht also um Vernünftigkeit, die letztendlich nicht von Gott herrührt, sondern in der Geschichte, in der Gesellschaft, ihren Praktiken und Institutionen gründet. Die Konstitution des praktischen Subjekts liegt im Ergebnis weder in einem „Faktum der Vernunft“ noch erfolgt sie über das „Faktum“ der subjektiven Anerkennung eines anderen Subjekts – „zwei Schiffe können nicht aneinander ankern“160 – sondern über eine beiden gemeinsame, weder subjektiv noch bloß intersubjektiv begründete, gesellschaftliche Norm161. 3. Diese Aspekte des Modells von Zaczyk bedingen die strafrechtliche Zurechnungslehre und speziell die Zurechnung zum Versuch. Wie anfangs gezeigt, sucht Zaczyk das Allgemeine schon als Postulat im Individuum162. Das inhaltlich Materiale, die Geschichtlichkeit, die soziale Größe des Strafrechts wird also implizit von ihm vorausgesetzt, aber im System nicht thematisiert, so daß das sozial Wirkliche als Basis der objektiven Zurechnung im System selbst nicht aufgenommen wird. Die subjektive Tatseite macht, wie Zaczyk ausdrücklich eingesteht, die soziale Relevanz des (Versuchs-)Unrechts aus163. Sie bildet die Grundlage der Zurechnung164 und wird zum Zentrum des Strafrechtssystems. Die Korrekturen der subjektiven Tatseite durch die „Sicht der Anderen“ vermag die mangelhafte Aufnahme des Sozialen nicht auszugleichen. Die für die einzelnen Fallkonstellationen, für die konkrete Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch von Zaczyk letztendlich verlangte „Betätigung juristischer Urteilskraft“165 überläßt – wie etwa bei der Eindruckstheorie – dem Rechtsgefühl und der Argumentationskraft die dogmatisch notwendige Aufgabe der strafrechtlichen Beschreibung von Kommunikationszusammenhängen als verfestigte, geronnene (soziale) Vernünftigkeit bzw. Freiheit und läßt insofern die Notwendigkeit erkennen, die sozialen Kontakte näher zu beschreiben. Soll die implizite soziale Wirklichkeit ernstgenommen werden und konstituiert infolgedessen das von Zaczyk wiederholte, bestimmte „Miteinander-Umge159 160

Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 141. Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 37. Vgl. auch Hösle, Intersubjektivität,

S. 46. 161 162 163 164 165

Siehe nur Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 29 ff. Siehe Zaczyk, Rechtslehre J. G. Fichtes, S. 14. Vgl. etwa Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 219. Siehe NK-Zaczyk, § 22, Rn. 13. NK-Zaczyk, § 22, Rn. 24.

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hen“ die Rechtsperson, dann ist nicht eindeutig erklärt, warum die Rechtsperson mit dem Einzelnen, mit seinem inneren Willen und all seinen individuellen Kenntnissen identisch sein soll. Zaczyk erhebt aber in seinem System die Innenseite und die Rechtsgüter zum Interpretationsrahmen der Handlungen des einzelnen. Da aber die erforderliche Anerkennung, das praktisch-richtige Verhalten, von den sozialen Kontakten bestimmt werden soll, wären diese Kontakte näher zu klären, um überhaupt erst zu einem Interpretationsrahmen zu gelangen. Dies erkennt auch Zaczyk, wenn er darauf hinweist, daß die „normalen“ Kontakte die Konsequenzen einer Theorie praktisch konterkarieren können166. Wird diese Aussage ernst genommen, dann wären diese Kontakte konsequenterweise von Zaczyk näher zu beschreiben und mit den Ergebnissen seiner Theorie zu kontrastieren. 4. Die Verbindung von Individuen begreift Zaczyk außerdem nicht nur normativ über kategorische Imperative, wie in der (Kantschen) Moralität, sondern sie wird im Recht auch über ein sozio-psychologisch definiertes Vertrauen auf die Verwirklichung rechtmäßigen Verhaltens hergestellt. Das Vertrauen auf die Bestätigung der Norm fließt insbesondere bei der Begründung von Rechtsgütern von der Person und der Gesellschaft in die Unrechts- und Strafbegründung167 ein und ist an sich ein zumindest fragliches Stück in einem transzendental normativ begründeten System168. Schon bei der Entstehung und Erhaltung von Selbstbewußtsein ist dieses psychologische Element thematisiert: Der Auffordernde vertraut darauf, daß sich der Andere vernünftig verhält. Geschieht dies, dann sei die Anerkennung wechselseitig, kategorisch, existierend: Nicht nur in der inneren Perspektive entsteht Selbstbewußtsein, sondern auch „draußen“ wird die von den anderen nur vermutete aber erwartete Vernünftigkeit bestätigt169. Dieses Vertrauen definiert das Rechtsverhältnis; Unrecht wird als Bruch des Anerkennungsverhältnisses, als „Vertrauensbruch“170 definiert, welcher übrigens auch vorliegt, wenn es nicht zur instrumentellen Vollendung der Handlung kommt. Dieser Ansatz schlägt 166

Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 236 f. Siehe etwa Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 141, weiterhin S. 201 f.: „Die Verletzung der genannten Elemente der Freiheit hat eine zusätzliche Qualität dadurch, daß die Rechtsgüter von der Rechtsgemeinschaft anerkannt sind und diese Gemeinschaft (der Staat) ihren Erhalt auch garantiert. Über das Getroffensein der je konkreten Freiheitssphäre hinaus hat deshalb das Unrecht immer auch eine allgemeine Bedeutung; das Vertrauen des Einzelnen auf ein Dasein in Freiheit richtet sich in einem staatlich verfaßten Gemeinwesen nicht nur auf den und die jeweils begegnenden Anderen, sondern auch auf die Gemeinschaft im Ganzen. Wenn auch die Verletzung unmittelbar durch einen Einzelnen geschieht, so ist doch durch jene allgemeine Seite die Wiederherstellung des Rechtszustandes eine Aufgabe, die nur unter Mitwirkung des Staates geschehen kann“. Eingehend Köhler, Begriff der Strafe, S. 44 ff. 168 Hierbei konkret zur Rechtslehre Fichtes Siep, Praktische Philosophie, S. 35 f. 169 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 160; zu Fichte Düsing, Intersubjektivität, S. 276 f. 167

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sich in der Versuchsstrafbarkeit nieder. Trotz des Mangels an Gefahr soll schon beim untauglichen Versuch ein Vertrauensbruch vorliegen – ebenso wie bei der naturalistischen Konstruktion der Eindruckstheorie –, weil der Täter trotz des kausalen Zusammenhangs als Verletzungsmächtiger vorausgesetzt wurde, sein Wille zur Verletzung tauglich war und auf diese Weise die Basis des Vertrauens erschüttern konnte. Beispiel: Wer den fremden Mantel wegzunehmen glaube, in Wirklichkeit aber den eigenen mitnehme, mache sich wegen versuchten Diebstahls strafbar, wenn eine interpersonale Sachlage vorliege: Erstens müßten der eigene und der fremde Mantel griffbereit vorhanden sein, zweitens müsse der fremde Mantel dem eigenen ähnlich sein, da ein Vertrauensbruch des Opfers gegeben sein müsse171. Könnte – § 23 Abs. 3 StGB zufolge und dem Urteil des Richters (als „besonnenem Dritten“) zufolge – „durch die jeweils vorgenommene Handlung das Anerkennungsverhältnis als konkretes Vertrauensverhältnis nicht erschüttert werden“ so „kann er [der Richter] von Strafe absehen“172, eben weil trotz des normativen Unrechtsbegriffs keine psychologische Erschütterung des Vertrauens stattfinde. Damit führt auch Zaczyk in das Arsenal seiner Argumentation ein materielles Kriterium ein, nämlich ein bestimmtes vom Tatbestand und dem jeweiligen Rechtsgut gefordertes Tatbild: Es müsse eine solche Situation vorliegen, „in der nunmehr die Gesellschaft auf sein [des Individuums – L. C. R.-S.] rechtschaffenes Verhalten vertraut“173. Der psycho-soziologische Aspekt seiner Argumentation, den Zaczyk als Folge seiner Begründung von Unrecht174 begreift, vermag immerhin das an sich Strafbare zu korrigieren. An diesem Punkt stimmt Zaczyk konsequenterweise mit der Eindruckstheorie überein175, die auf die psycho-soziologisch definierte normative Identität der Gesellschaft abstellt, die Erschütterung des Vertrauens auf die (weitere bzw. künftige) Geltung der Norm beobachtet und es dem Rechtsgefühl des Richters überläßt, dieses psycho-soziologische Empfinden wahrzunehmen. Diesen Aspekt definiert Zaczyk als das anschauliche Element, welches neben dem intellektuellen Moment bestehen soll. Wie bei der Ein170 Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 250 f. (vgl. auch etwa S. 200 f., 186 ff., S. 196 f.). Ähnlich Köhler, AT, S. 452. 171 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 265. 172 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 251. Siehe auch die Argumentation für die Strafbarkeit fahrlässiger (vollendeter) Taten, Zaczyk, S. 212. 173 Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 279 f., S. 280. Beispiel: Der Angeklagte beruft sich auf einen in derselben Sache geleisteten Eid, was prozessual nicht zulässig war, meint aber Meineid zu leisten. Hier liege Versuch vor, da die anderen Beteiligten in der konkreten Situation eine Bekräftigung der Aussage annehmen könnten. 174 Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 236, Fn. 12. Vgl. auch in diesem Sinne Köhler, Strafrecht AT, S. 23. 175 Siehe Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 236, der aber zu Recht dieser Theorie die mangelnde begriffliche Klärung und die Verwechslung des Grunds mit der Folge des Unrechts vorwirft.

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druckstheorie handelt es sich bei diesem anschaulichen Moment um ein „anschauliches Begreifen sozialer Wirklichkeit“176 im Sinne einer Theorie der normalen Kontakte, bei der sozial auffällige Handlungen von normalen Handlungen zu trennen seien. Zaczyk geht es hierbei – wie auch bei der Notwendigkeit des Gegenübers (dazu unten) – um die Notwendigkeit, die „Sicht der Anderen“ in das Unrechtsurteil einzubetten. Die normalen Kontakte besäßen deshalb eine Relevanz, weil es im Recht darum gehe, die Rechtsgüter „stets erneut zu bestätigen, anzuerkennen und damit erst in je aktuelle Wirklichkeit zu überfüllen (. . .). Das bedeutet auch, daß nie mehr an rechtlichen Verhältnissen gegenwärtig ist als die Einzelnen kraft ihrer autonomen Leistung schaffen“177. Sind bestimmte Kontakte als normal zu definieren, dann ist dieses Urteil relevant für das Unrechtsurteil. Zaczyk gesteht selbst die dürftige Klärung der Begrifflichkeit der normalen Kontakte ein und merkt dazu an, daß „das Eingelassensein der Versuchshandlung in die normalen Lebensvollzüge jede allzu theoretische Konsequenz eine Lehre etwa zum untauglichen Versuch faktisch konterkariert“178. Diese von Zaczyk hervorgehobene wichtige soziale Seite der Lehre, die von der Lehre der objektiven Zurechnung thematisiert wird, bleibt wie die Weiterentwicklung ihrer Konsequenzen – mit den Worten Zaczyks – „begrifflich dürftig“, theoretisch unterentwickelt. 5. Es überrascht auch, daß das vor dem Delikt bestehende Anerkennungsverhältnis von Äußerlichkeiten abhängig bleibt, wie zum Beispiel der Anwesenheit des Tatobjekts – Charakteristika, wie sie für naturalistische, positivistische Systeme, etwa die Lehre vom Mangel am Tatbestand, prägend sind179. Ausgehend vom Verständnis einer institutionalisierten Norm kann das Anerkennungsverhältnis jedoch anders gesehen werden, so Jakobs: „Soweit der Täter in kommunikativ relevanter Weise die Situation als eine solche bestimmt, die nach Anerkennung eines anderen verlangt, können die Regeln der Institution ,Anerkennung‘ verletzt werden“180. Die strafrechtlichen Anerkennungsverhältnisse werden hier aber von den beiden Autoren unterschiedlich begriffen. Ist das anerkennungsverlangende Gegenüber ein anderes Subjekt in der Außenwelt (kurz: ein konkretes Rechtsgut), dann ist es notwendig, daß dieses existiert. Ist das nach Anerkennung strebende Gegenüber ein normativer Kommunikationszusammenhang als gesellschaftliches – genauer: als strafrechtliches – Konstrukt, eine Norm, dann kann je nach dem konkreten Kontext die Existenz des eventuell gegenüberstehenden Subjekts zu einer Äußerlichkeit erklärt werden. Dies soll wegen der strafrechtlichen Konsequenzen zum Versuch kurz erörtert werden. 176

Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 236. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 162. Vgl. auch dens., Rechtslehre J. G. Fichtes, S. 30. 178 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 236. 179 In diesem Sinne auch MK-Herzberg, § 22, Rn. 11 f. 180 Jakobs, AT, 25/36, Fn. 57. 177

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Für Zaczyk bedarf es sowohl für die Konstitution als auch die Erhaltung von Selbstbewußtsein eines Gegenstandes der äußeren Erfahrung, eines Objekts als Gegenstand der äußeren Welt, als der Form nach äußerlich fixierten Aufforderung an das Subjekt, sich zu einer (sittlichen) Wirksamkeit zu entschließen181. Außerhalb der strafrechtlichen Wirklichkeit ist eine äußere, allein kognitiv existierende Wirklichkeit bestimmend, aus der die strafrechtliche Pflicht ihre Basis entnimmt. Das sozial Relevante wird auf diese Weise außerstrafrechtlich geprägt. Menschen, die auf die Erfüllung von kategorischen Imperativen vertrauen oder äußere Umstände, die unabhängig von der urteilenden Person des Täters wegen ihrer Bedeutung für den anderen Einzelnen oder den Staat zu schützen sind, müssen äußerlich entweder situativ oder überhaupt vorliegen: Die äußeren „objektiven“ Voraussetzungen (hier vornehmlich die Existenz des anderen Individuums als die andere Seite des Anerkennungsverhältnisses) müssen bestehen, ebenso wie ein an sich frei und selbstbewußt, subjektiv-idealistisch konstituiertes Individuum auf der anderen Seite für das Verbrechen notwendig ist, was der für Fichte charakteristischen perfekten Trennung von Subjektivität und Objektivität, subjektiver und objektiver Unrechtsseite entspricht182. Verdienst dieser Lehre ist es, eine normative Ebene anzustreben und Rechtsgüter als Begriffe zu konzipieren, die „eine Wirklichkeit haben“, die weder auf Empirie zu reduzieren sind, noch notwendigerweise einen bildhaften Bezug auf einzelne Individuen aufweisen (Rechtsgüter des Staats): „Der Anstrengung, unter einem Begriff etwas Wirkliches zu denken, kann man bei Rechtsgütern des Staats nicht mehr ausweichen“183. Trotzdem ist das die Norm schützende Rechtsgut nur dann für den Täter Begriff, wenn es eine außerstrafrechtliche Wirklichkeit besitzt. Dabei ist das Rechtsgut nur für den Täter Begriff, für das Gegenüber, den Rechtsgutsinhaber, ist es „seine Realität“. Diese Realität, die auf faktischen Gegebenheiten beruht, welche einen Begriff für eine andere Person „auslösen“ kann, ist das, was die Norm durch den kategorischen Imperativ schützt184. Ähnlich meint Köhler in Bezug auf die Nichtstrafbarkeit des untauglichen Versuchs185, es gehe im Strafrecht um „das Rechtsverhältnis des Täters 181

Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 158 f. Zur Nicht-Überwindung des Dualismus von Subjektivität und Objektivität beim subjektiven, obwohl im Ansatz absoluten Idealismus Fichtes siehe Hegel, Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie, in: Jenaer Schriften, S. 11, S. 67; dens., auch eingehend und ausführlich in: Wissen und Glauben, S. 393 ff.; Hösle, System I, S. 43, S. 183. Köhler, Strafrecht AT, S. 22 ff., leidet auch an dieser Spaltung: Es gehe um die „subjektiv-objektiv handelnde Verletzung des Rechts“ (S. 22) nach dem „Begriff des Verbrechens als objektiv und subjektiv zurechenbarer Unrechtstat“ (S. 25). Zu Köhler und zu dieser fortdauernden Spaltung im Zusammenhang mit der Hegelschen Rechtsphilosophie eingehend Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 205 ff., S. 206 mit Fn. 48. 183 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 190. 184 Siehe auch Köhler, Strafrecht AT, S. 454. 185 Köhler, Strafrecht AT, S. 9 ff. 182

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1. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Versuchsunrechts

zur verfaßten Allgemeinheit“186. Nur die Tat betreffe schließlich das „in seiner allgemeinen Geltung partiell negierte Rechtsverhältnis vermittels Negation der äußeren Freiheit des Täters“187: Für Köhler muß also auch ein Rechtsgut existieren, und nicht nur generell, sondern auch situativ. Aus diesem Grund bestimmt er das Versuchsunrecht dem Angriffsbegriff bei der Notwehr vergleichbar nach objektiver Prognose ex-ante: Es wird „ein ,Erfolgs‘-moment der äußeren Freiheitsverletzung vorausgesetzt, sei es auch in ihren abstrakten Bestandsbedingungen (z. B. einer sog. abstrakten Gefährdung)“188: Das Opfer müsse zu schützenden Aktionen Anlaß haben. Diesen Verteidigungsaspekt greift auch Rath189 auf. Versuch wird also „mindestens“ in den Fällen ausgeschlossen, in denen – wie Zaczyk – das Opfer bzw. „der Gutsträger nicht mehr existiert“ oder „das Opfer die Untauglichkeit sogleich ohne weiteres erkennt“, denn „dann liegt überhaupt keine äußerlich wirksame tatbestandsspezifische Destruktion des Rechtsverhältnisses vor“190. Geschützt wird also nicht die normative Identität der Gesellschaft als eigentliche Größe, sondern Rechtsgüter in ihrer Bedeutung für den Rechtsgutsinhaber, für das Opfer; dies vor dem Hintergrund, daß Gesellschaft intersubjektiv begründet wird: Beide Pole der Beziehung müssen faktisch existent sein. Ausgehend von einem Strafrecht als selbständigem System, das sich sein Objekt gibt und das eigene Kriterien der Zurechnung schafft, ist für die Bestimmung des Unrechts, für den Begriff der Tat, nicht eine ihm gegenüberstehende und unverbundene, naturalistische Welt (der Gegenstände, der Objekte und der Menschen) als dem Recht und der Zurechnung vorgegebene Wirklichkeit, als nicht normativiertes Gesellschaftsbild vorauszusetzen. Es geht weder um Mißachtung von Rechtsgütern bzw. Rechtsgutsobjekten auf objektiver Seite, noch um subjektive Mißachtung im subjektiven Bereich. Vielmehr ist die Mißachtung eine genuin strafrechtlich, d.h. normativ-einheitlich aus innerer Sicht des Strafrechtssystems, aus der Sicht der strafrechtlichen Wirklichkeit, von ihm begriffene mangelhafte Kommunikation: Mißachtung ist nämlich die Nichtanerkennung einer strafrechtlichen Norm191. Das strafrechtliche System und die strafrechtliche Zurechnung werden nicht von einem nicht normativierten Gesellschaftsbild abhängig gemacht, das Strafrecht vollzieht vielmehr Gesellschaft nach seinem spezifischen Kriterium „selbständig und weitgehend unabhängig“192. Infolgedessen kann je nach normativem Kontext die Nicht-Anwesenheit 186

Köhler, Strafrecht AT, S. 578. Köhler, Strafrecht AT, S. 580 (Hervorh. von mir). 188 Köhler, Strafrecht AT, S. 20, weiterhin S. 26, S. 28, S. 458. 189 Rath, JuS 1998, S. 1109. 190 Rath, JuS 1998, S. 1112. 191 Im Gegensatz zu Fichte entsteht in der Terminologie Hegels der Begriff des Unrechts in der gegenständlichen Welt als Einheit der Welt des Wesens und der Welt der Erscheinung. Siehe hierzu unten im Text. 187

§ 4 Normativ-(inter-)subjektives Verständnis des Strafrechts

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bzw. Nicht-Existenz eines naturalistisch beobachteten Objekts (etwa des Opfers als anerkennungsverlangender „Mensch“) zu einer bloß innerstrafrechtlich-systematisch nicht relevanten, phänotypischen Äußerlichkeit erklärt werden. Und dies gilt, soweit die Handlung des Täters nicht nach phänotypischen Kriterien, sondern nach dem strafrechtlichen, innen-normativen Kriterium der Zuständigkeit, d.h. nach den Regeln des Strafrechtssystems und nicht nach denen eines neben ihm existierenden, kognitiv zu ermittelnden gesellschaftlichen Systems beobachtet wird193. 6. Es bleibt unklar, warum beim dolus eventualis die Gefahr für das Rechtsgut den Willen ersetzen können soll, wenn die Basis der Vernichtung des Rechts, der Wille, nicht rechtsgutsbeeinträchtigend vorliegt, wie beim (nach der Theorie konsequent nicht strafbaren) fahrlässigen Versuch194. Teilweise wird insoweit auf verschiedenartige, sich ergänzende bzw. ersetzende Zurechnungskriterien zurückgegriffen, was bei der Bestimmung des unmittelbaren Ansetzens zu einer Gesamtwürdigung unter möglichem Zugriff auf alle in der Literatur vorgeschlagenen „heuristischen Formeln“ führt. 7. Die subjektive Versuchslehre von Zaczyk entwickelt das Argumentationsmodell subjektiver Versuchstheorien weiter. Auf der Basis des Intersubjektivismus wird der Tätervorstellung eine Grenze gezogen, indem das Rechtsgut und die formalen Voraussetzungen als Vorbedingungen vorliegen müssen. Wie schon der Finalismus muß diese Lehre ansonsten wegen der strafrechtlichen Relevanz des Vorsatzes eine weite Ausdehnung der Strafbarkeit hinnehmen195. Da außerdem für die soziale Bewertung des Verhaltens außer dem dürftigen, dem Willen untergeordneten, nur naturalistisch begriffenen Kriterium der „Auffälligkeit“ eine objektive Zurechnung ausbleibt, ist für den Versuchsbeginn auf die „heuristischen Formeln“ der Literatur zurückzugreifen und auf eine Gesamtwürdigung abzustellen, die – wie schon angedeutet – eigentlich ein Sammelsurium von Zurechnungskriterien darstellen und einer „Betätigung juristischer Urteilskraft im Einzelfall“196 ausgeliefert sind.

192 González-Rivero, Strafrechtliche Zurechnung, S. 130. Näher zur Selbständigkeit des Systems unten 2. Kap., § 5. 193 Vgl. hierzu González-Rivero, Strafrechtliche Zurechnung, S. 131; Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 126 ff., S. 133. 194 Wie Zaczyk in diesem Sinne Köhler, AT, S. 453. Dahingestellt werden soll hier noch, warum trotzdem die fahrlässige Vollendung strafbar sein soll, was nach vorbedingender Notwendigkeit des Willens in der Theorie nur widersprüchlich auf der Basis sich ersetzender Zurechnungskriterien möglich erscheint. Kohärent Köhler, Strafrecht AT, S. 14, der unbewußt fahrlässiges Handeln für strafrechtlich nicht zurechenbar hält. 195 So Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 251. 196 NK-Zaczyk, § 22, Rn. 24. Kritisch zur praktischen Verwertbarkeit der Theorie Zaczyks LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 89, § 22, Rn. 81; SK-Rudolphi, § 22, Rn. 12a. Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. § 22, Rn. 24; Vogler, FS Stree/Wessels, S. 288 f.

2. Kapitel

§ 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs“ § 5 Bestimmung des freiheitlichen Versuchsbegriffs anhand einer einheitlichen innerstrafrechtlichen Zurechnung A. Das unterschiedliche Grundverständnis von Freiheit und Strafrecht Die Begründung der Zurechnungslehre zum Versuch auf der Basis des subjektiven Idealismus führt bei Zaczyk zur Abstraktion im Gesellschafts- und im Personbegriff, und auch insbesondere zur daraus resultierenden Erhebung der Subjektivität als materiale Grundlage der Zurechnung1, zum Verständnis der „Sicht der Anderen“ als zu „Korrekturen“ der subjektiven Tatseite befähigten Größe, zur Notwendigkeit eines empirischen Gegenübers zur Versuchszurechnung – Konsequenzen, die einerseits als fundamentale Mängel aufgezeigt worden sind und andererseits über die Zurechnungslehre des Naturalismus nicht wesentlich hinausgehen. In diesem Abschnitt soll zunächst ebenfalls von Kant ausgehend die methodische Relevanz der Systematik des Idealismus, insbesondere der dialektischen Methode des objektiven Idealismus von Hegel hervorgehoben werden. Die dialektische Methode des Hegelschen Systems bringt eine grundlegend neue Beobachtungsart der Freiheit, der gesellschaftlichen Verhältnisse und des Strafrechts zur Geltung. Sie zeigt eine Überwindung des Grundmodells des naturalistischen Systems einerseits und der oben angesprochenen Konsequenzen einer subjektividealistisch begründeten Theorie andererseits und bietet das methodische Grundverständnis der hier vertretenen Zurechnungslehre zum Versuch. Der Idealismus stellt ein grundsätzlich neues Verständnis des Rechts und der in ihm sich verwirklichenden Freiheit zur Verfügung. Es wurde oben darauf hingewiesen, wie seit der Neuzeit der Mensch aus seiner Vernunft und seinem Willen eine Neuordnung zu begründen sucht, welche die alte, auf der Basis der lex aeterna beruhende Ordnung ersetzen soll. Wille und Vernunft (Freiheit) wer1

NK-Zaczyk, § 22, Rn. 13.

§ 5 Bestimmung des freiheitlichen Versuchsbegriffs

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den aber aus verschiedenen Perspektiven begriffen, was wesentliche Konsequenzen für das Verständnis der Qualität der Neuordnung hat. Der Empirismus bzw. Naturalismus schafft für das Rechtssystem einen amönen empirischen (Natur-)Zustand2. Der Idealismus legt Vernunft, Willen und Ordnung in einer metaempirischen Art und Weise aus, er begründet für das (Straf-)Recht eine genuine, von empirischen Ordnungen kategorial verschiedene Ordnung. In dieser (Rechts-)Ordnung werden die Interpretationskriterien der Welt, des Rechts, der Person des Täters und seiner Handlungen und der Strafe nicht empirisch begriffen, sondern nach den von der Vernunft geschaffenen, normativen Kriterien gedeutet. Je nach Verständnis spielt hierbei die naturalistische Welt eine unterschiedliche Rolle. Teilweise wird die empirische Welt herabgesetzt und als vom Recht getrennte und zu bezwingende Ordnung gesehen, etwa bei Kant, oder sie wird, etwa von Hegel, zu einem Moment einer einheitlichen Ordnung erhoben und so in die geistige Ordnung eingegliedert, unselbständig und vernünftig gemacht. Diese unterschiedlichen Perspektiven bringen wichtige Konsequenzen für die Zurechnungslehre mit sich. Die im Laufe des Idealismus neu begriffene menschliche Ordnung eröffnet ein neues Verständnis der Zurechnungslehre, welches für die Versuchszurechnung dogmatisch fruchtbar gemacht werden kann. Es wird nachfolgend gezeigt, daß im Strafrecht ein naturalistisches Gesellschaftsbild nicht vorauszusetzen ist, d.h., daß die Natur kein selbständiges Moment der strafrechtlichen Zurechnung ist, und zweitens, daß das Strafrecht sein eigenes (inner-)strafrechtliches Kriterium der Zurechnung schafft. Daß sich das (Straf-)Rechtssystem sein Objekt gibt, der (Straf-)Rechtsbegriff und die einzelnen Begriffe, wie das Kriterium der Zurechnung, ein Konstrukt des Systems sind, ist keine neue, ungewöhnliche Auffassung. Sie findet vielmehr eine Stütze nicht nur im deutschen Idealismus, sondern teilweise auch in der alteuropäischen, etwa der aristotelischen Tradition des zoon-politikon-Axioms, die nicht auf einer psycho-physisch empirischen, sondern auf einer meta-empirischen normativen Ebene zu verstehen ist3: Die nach dem Grundverständnis einer neuen Methode neu „begriffene“ (Straf-) Rechtsperson, der Bürger, besitzt dabei nicht eine bloß empirische, sondern „eine Art normative Verfaßtheit, die das ihm Zuträgliche, seine Bestimmung, sein Recht, festlegt“4. So wie der Personen- und der Zurechnungsbegriff wird dem zufolge auch der Versuchsbegriff systematisch geprägt. Daß die „Kriterien“ des Begriffs des Versuchsbeginns des § 22 StGB auf empirisch beobachtete Sachverhalte hinweisen 2 Ludwig Feuerbach, Geschichte der neuen Philosophie, S. 108. Der Naturzustand wird also nicht überwunden, sondern günstiger gestaltet. 3 Zur aristotelischen Tradition der normativen Naturrechtslehre Kersting, Politische Philosophie, S. 1 ff. 4 Kersting, Politische Philosophie, S. 7 f.

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2. Kap.: § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs‘‘

sollen, wie insbesondere das „Versuchen“ auf den empirischen Willen und die „Vorstellung von der Tat“ auf die aktuellen Kenntnisse des empirischen Täters, ist nicht ausgemacht und auf die im Laufe des 20. Jahrhunderts und bis heute vorherrschende naturalistische Methode zurückzuführen, die sowohl die Zurechnungslehre als auch die juristische Terminologie geprägt hat. Wird das Kriterium der Zurechnung in Anlehnung an die dialektische Methode Hegels als Konstrukt einer einheitlichen Vernunft, d.i. (inner-)systematisch gefaßt, dann sind die Zurechnungskriterien und die Strafrechtsbegriffe anders zu fassen. Die empirische Natur wird zu keinem selbständigen Moment der Zurechnung, d.h., es ist dabei kein naturalistisches, die strafrechtliche Zurechnung (vor-)bedingendes Gesellschaftsbild vorauszusetzen. Die Stellung der Natur wird im System vom System selber, d.i. intern, nach seinem Ordnungskriterium bestimmt. Systemintern wird sozusagen der Status der Natur fixiert und nicht umgekehrt das System von einer vorgegebenen, außer ihm stehenden Umwelt bestimmt und abhängig gemacht. Der damit verbundene Rückgriff auf philosophische Gedanken läßt sich also nicht umgehen. Wegen des Bezugs des Strafrechts auf eine spezifische Beobachtungsart des Rechtssystems, ist es auf philosophische und gesellschaftstheoretische Hauptbegriffe wie Gesellschaft, Person und Norm5 aufzubauen.

B. Der strafrechtliche Versuchsbegriff als innerstrafrechtlicher Begriff der Verletzung von Freiheit I. Dualismus (anhand des Realismus und des subjektiven Idealismus) 1. Das Objekt der Freiheitsverletzung beim Versuch im dualistischen Strafrechtsverständnis Schon früh kritisierte Hegel6, daß der subjektive Idealismus sowohl Kants als auch des frühen Fichte den Dualismus der naturalistischen Systematik des Realismus nicht zu überwinden vermochte. Erkenntnistheoretisch geht der Realismus von der dualistischen Position der Trennung von Geist (bzw. Denken, Subjekt, Form) und Natur (bzw. Gegenstand, Objekt, Inhalt) aus. Beide getrennten Pole werden durch die Erkenntnis nicht zu einer Identität, zu einer Einheit, sondern lediglich in Übereinstimmung gebracht. Erkenntnis ist nach der naturalistischen Methode des Realismus „die Übereinstimmung unseres subjektiven Denkens mit an sich seienden, allem Denken schon vorausgesetzten und ihm nur ,gegebenen‘ Dingen“7 und die Ob5 6

Grundlegend Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, passim. Siehe schon Hegel, Differenzschrift, S. 61.

§ 5 Bestimmung des freiheitlichen Versuchsbegriffs

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jektivität der Erkenntnis besteht darin, daß sie sich lediglich nach dem Objekt richtet. Hierbei würde die eine Seite (das Denken) eine leere, von außen (vom Objekt als der anderen Seite) zu bestimmende Identität ausmachen, die als inhaltlose, leere Form oder leere Unbestimmtheit „die Gedankenbestimmungen von außen in sich aufnehme“8. Danach würde der Täter etwa an seiner psychophysischen Identität erkannt, es ginge beim Versuch also um die Tätervorstellung eines Individuums als innerpsychischer Sachverhalt, die Tat wiederum würde an psycho-physischen Gegebenheiten festgemacht (Eindrücken, Auffälligkeit, Normalität, Gefahren für Rechtsgüter, Betätigung des individuellen Willens), die Aufgabe des Strafrechts wäre eine empirisch feststellbare: naturalistisch beobachtet rechtmäßige Zustände wiederherzustellen oder Prävention für die Zukunft. Das neue Problem der Erkenntnistheorie liegt gegenüber dem Realismus darin, wie das Subjekt von einem selbständigen Objekt getrennt und von ihm bedingt sein kann. Diese Frage wird unter Rückgriff auf den deutschen Idealismus folgendermaßen neu formuliert: Wie kann die Erkenntnis (der Geist) feststellen, daß ein von ihr unabhängiger Gegenstand (die Natur) existiert, wo doch, so formuliert es Luhmann, „alles, was immer sie feststellt, schon Erkenntnisleistungen voraussetzt und gar nicht unabhängig von Erkenntnis (das wäre ein Selbstwiderspruch) durch Erkenntnis feststellbar ist“9. D.h. es erkennt jemand, der eine Identität hat und auf diese Weise selektiv erkennt. Das Strafrecht beobachtet nach seinen eigenen Erkenntnis- und Ordnungsprinzipien, so daß das von ihm Beobachtete solchen Prinzipien folgt. Das Strafrecht konstruiert seine Wirklichkeit also, indem es erkennt. Der Idealismus findet zunächst bei Kant eine Antwort auf diese Frage im Gedanken der „transzendentalen Einheit des Bewußtseins“10 als schöpferischer und einheitlicher Grund der Wirklichkeit, als „objektive Bedingung der Erkenntnis, nicht deren ich bloß selbst bedarf, um ein Objekt zu erkennen, sondern unter der jede Anschauung stehen muß, um für mich Objekt zu werden“11. Die Objekte der Erkenntnis wären demnach Produkte, Konstruktionen des Geistes, des Denkens: Der dem Menschen von außen gegebene Stoff ist bei Kant also nur für das nicht-transzendentale, empirische Bewußtsein ein ich-fremder Stoff, für die Wirklichkeit hervorbringende Tätigkeit des transzendentalen Be-

7 Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 3, wobei Gültigkeit und Gegenständlichkeit doppeldeutig im Begriff der Objektivität enthalten und identifiziert werden. Die Objektivität der Zurechnung oder der Versuchs- und Verbrechenstheorien überhaupt in den naturalistischen Modellen ist mit dieser Zweideutigkeit belastet. 8 Hegel, Enzyklopädie II, S. 503. 9 Luhmann, Erkenntnis als Konstruktion, S. 8. 10 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 129 ff., S. 134 ff. 11 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 138, 139, S. 140 (Hervorh. im Original).

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2. Kap.: § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs‘‘

wußtseins wird der Stoff zu eigen gemacht, was nur geschehen kann, weil das Material der Erfahrung ich-bedingt ist12. Kant differenziert weiterhin zwischen dem „menschlichen“ Verstand einerseits und dem „anschauenden“, dem Menschen unzugänglichen Verstand andererseits13. Beide führten zu unterschiedlichen Erkenntnissen und dementsprechend zu verschiedenen Systemen. Der menschliche Verstand erkenne die Gegenstände so, wie schon gezeigt, wie sie für ihn sind, d.i. wie sie ihm erscheinen. Das Objekt sei, wie beim Realismus, an sich ein von der Erkenntnis unabhängiges, (ich-)fremdes, selbständiges, durch die Erkenntnis und das Ich unbedingtes noumenon, das nicht wie es an sich ist, sondern lediglich so erkannt wird, wie es für den Verstand erscheint. Das Objekt, die Natur, bleibt insofern eine dem Subjekt absolut gegenüberstehende „Gegebenheit“, wobei die Trennung von Subjekt und Objekt als Dinge an sich insoweit nicht überwunden würde. Der anschauende Verstand, „durch dessen Vorstellung zugleich die Objekte dieser Vorstellung existierten“14, erkenne hingegen die Gegenstände so, wie er selbst sie hervorbringt und folglich wie sie an sich sind, was wiederum heißt, daß die Gegenstände keinen von ihr abgelösten Bestand hätten. Das Objekt wird hierbei nur zu einer bezüglich des empirischen Bewußtseins relativen, nicht aber zu einer dem (transzendentalen) Subjekt absolut gegenüberstehenden Gegebenheit15. Soll die Natur also eine bedingende selbständige, der Zurechnung absolut gegenüberstehende Stellung für die Bestimmung der Zurechnung haben, wäre das natürliche Objekt nur für den Erkennenden ein Begriff, für das Objekt wäre es seine Realität. In dieser Richtung, muß für Zaczyk das Rechtsgut existieren, wenn von einem freiheitlichen Anerkennungverhältnis zwischen Personen gesprochen werden soll, denn Rechtsgüter sind „aus der Sicht des Anerkennenden Begriff, aus der Sicht des ,Rechtsgutsträgers‘ seine Realität, und das wechselseitig“16. Innerhalb dieses Verständnisses sind Nuancierungen möglich. Für Zaczyk muß das Gut grundsätzlich nur existieren (kein Versuch beim Schuß auf 12 Denn nur so kann der Stoff der Erfahrung in die Formen unseres Bewußtseins eingehen. Siehe Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 6. 13 Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 138, 139, S. 140; dens., Kritik der Urteilskraft, A 335 ff., S. 517 ff., A 341 ff., S. 522 ff., wo er unseren menschlichen, „diskursiven Verstand“, der subsumierend vom „analytisch-allgemeinen (von Begriffen) zum Besondern (der gegebenen empirischen Anschauung) gehen muß“ von dem „anschauenden Verstand“ oder „intuitiven, urbildlichen Verstand“ als „intellektuelle Anschauung“, als „ursprünglichen Verstand“ unterscheidet, der intuitiv „vom Synthetisch-Allgemeinen (der Anschauung eines Ganzen, als eines solchen) zum Besondern geht, d.i. vom Ganzen zu den Teilen“ (siehe dens., Kritik der Urteilskraft, A 345 f., S. 525). 14 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 138, 139, S. 140. 15 Zu Hegel siehe unten im Text. 16 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 170.

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einen Toten), ebenso für Rath17, für Köhler muß es situativ vorliegen (kein Versuch beim Schuß auf ein leeres Bett)18. Die Ergebnisse ähneln insoweit denjenigen des naturalistischen Modells vom Mangel am Tatbestand. Hier ist das gesetzlich umschriebene, äußerlich-realistische Objekt das Wirkliche, welches das leere Denken aufnehmen muß, um gültiges Denken zu werden. Ist das Objekt nicht anwesend, etwa beim Schuß auf einen Baum, den der Täter nachvollziebar für einen Menschen hält, liegt ein nicht strafbarer untauglicher Versuch vor. Dieses dualistische Grundkonzept, bei dem sich die Zurechnung von einer naturalistischen Welt, gleichsam einer naturalistischen Gesellschaftsordnung bestimmt sieht, prägt nicht nur deutlich die Diskussion zum untauglichen Versuch, sondern auch die subjektiv-objektiv betriebene Strafrechtsdogmatik. Bottke hat kürzlich versucht, das dualistische Konzept zum untauglichen Versuch auf Verfassungsebene (wenn auch entgegen § 22 StGB) zu legitimieren: Die Versuchstat als „strafwürdiges Verwalten von Verfassungsgut muß vorwerfbar ohne Gewaltrecht des Verwalters geschehen (. . .). Er muß darüber hinaus besondere, weil verfassungsgutreferentielle, Verwaltwirklichkeit haben“19, so daß der Täter „verhältnismäßig nur wegen eines hoheitsanmaßenden Tuns bestrafbar (ist), das Verfassungsgut verwaltet. Er ist in verhältnismäßiger und einer dem Prinzip der Staftatbestimmtheit gerecht werdenden Weise nur bestrafbar, wenn er das Strafgut verwaltet, also zumindest hasardiert“20. „Versuchstaten, die sich nie (auch nicht bei indefinit häufiger Tatfortsetzung und Wiederholung) straftatvollenden können, sind untaugliche Versuche“21. Fazit: Das Rechtsgut muß situativ angreifbar sein. Eine sehr geringe Dosis Gift ist also nur dann tauglich, wenn die erforderlich Dosis Gift zur eventuellen Fortsetzung bis zum tauglichen Angriff des Guts situativ vorhanden sei, etwa wenn – beim Vergiften durch Einsatz eines giftigen Sprays22 – „die tatidentitätswährende Risikostiftung durch tatprofilgemäßes Sprayen einer erfolgstauglichen Menge möglich (ist)“23. Einstechen auf eine Leiche, Sterben-Lassen einer für ein Kind gehaltenen Puppe führten nicht zu einem Versuchsdelikt24, denn das Verfassungsgut liege nicht vor.

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Rath, JuS 1998, S. 1109. Vgl. Köhler, AT, S. 20, 26 ff., S. 458. Bottke, FG 50 Jahre BGH, S. 153. Bottke, FG 50 Jahre BGH, S. 159 f. Bottke, FG 50 Jahre BGH, S. 160. Im Anschluß an BGHSt. 41, S. 94 ff., S. 96. Bottke, FG 50 Jahre BGH, S. 161. Bottke, FG 50 Jahre BGH, S. 160.

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2. Vergleichende Stellung des Täter-, Tat- und Zurechnungsbegriffs in Grundzügen nach dualistischer und nach einheitlicher Methode a) Feststellungen in der Natur als Abstraktionen des Zurechnungsbegriffs Im subjektiven Idealismus stehen sich der menschliche Verstand und die Gegenstände als Dinge an sich einander uneinheitlich als absolute Größen gegenüber. Bei Kant vollbringen aber die Ideen als Vernunftbegriffe die Leistung der Einheit, sie führen also das Bedingte zu einem Unbedingten, das Mannigfache der Erfahrung zu einer ursprünglichen Einheit zurück. Im System der Ideen ist das Subjekt also nicht von einem Objekt abhängig, sondern es gibt sich sein Objekt. Da aber die (menschliche) Erkenntnis der Erfahrung (der äußeren Gegenständlichkeit) bedürfe, um nach dem Prinzip des menschlichen Verstandes gültige Wirklichkeit zu beanspruchen, werde den Ideen als aller Erfahrung vorhergehenden Einheiten der Apperzeption diese Realität entzogen. Die Idee wird im Kantschen System für die Erkenntnis zu einem regulativen Prinzip, d.h., die Idee gibt dem Verstand das Ziel, den Stoff der Erfahrung kontinuierlich zu einer Einheit zu synthetisieren. Das Ziel wird aber nie erreicht, denn das SchlechthinUnbedingte wird in der Erfahrung gar nicht angetroffen25. Obwohl diese Einheit für Kant als Prinzip „ebenso notwendig gilt, als ob es ein objektives Prinzip wäre“26, d.i., als ob es dank hypothetischer Gegenständlichkeit „Realität“ für den menschlichen Verstand inne hätte, wird die Einheit für die Erkenntnis im Ergebnis nur zu einem nicht-konstitutiven, sondern regulativen Prinzip, zu einer Anweisung, zu einem (formellen, inhaltslosen) Sollen, nicht zur Wirklichkeit27. Subjekt und Objekt, Geist und Natur werden nicht als Abstraktionen zu einem wirklichen Dritten vereinigt, sie bleiben einander und diesem Dritten gegenüber „in ihrer Selbständigkeit, ihrem Nebeneinander“28. 25

Hierzu Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 11. Kant, Kritik der Urteilskraft, A XXXII, S. 257, in bezug auf den „Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur“, d.i. der Vernünftigkeit der Natur als Idee der Urteilskraft. Dazu Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 11 ff., S. 25 f. Nach Kroner, Von Kant zu Hegel, S. 298, sieht Kant „in den Grundsätzen wieder nur das analytisch Allgemeine, unter das die besonderen Gesetze zu subsumieren sind; er weicht der Dialektik, die schon mitten in die Analytik hereinbricht, aus, und spart sie auf, bis er zur Idee gelangt ist, – die Idee aber behandelt er dann wieder analytisch, macht sie zu einem analytisch Allgemeinen, indem er sie als bloße Möglichkeit der Wirklichkeit der Erfahrung entgegensetzt. Und doch beruht die Wirklichkeit der Erfahrung gerade auf jener bloßen ,Möglichkeit‘, auf der synthetischen Einheit des Allgemeinen und Besonderen, die in der Idee eines Systems der Natur gedacht wird! Wäre dieses System nicht möglich, so gäbe es keine Erfahrung des Besonderen, d.h. überhaupt keine Erfahrung“. 27 Zu dieser „Ohnmacht“ der Vernunft, welche in einem Sollen, einem „schlechtunendlichen Prozeß“ stehen bleibt und so immer nur zu einem Anderen, nie aber zu sich selbst als die Einheit gelangt siehe Hegel, Enzyklopädie, § 94, Zusatz, S. 199 f. 26

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Ist für den menschlichen Verstand das Ganze der Wirklichkeit, die (durch ihre Gültigkeit Wirklichkeit stiftende) Erkenntnis von der Einheit, unerreichbar, so geht es darum, daß dies doch für die Vernunft als den anschauenden Verstand möglich sein kann. Diese Vernunft vermag die Ideen zu erkennen, in welchen die Vernunft „sich selbst als die ursprüngliche Einheit ihrer selbst (als Verstand) und der Gegenstände der Erfahrung denkt“29. Die Objekte der Erkenntnisse, d.i. der Wirklichkeit30, d.h. die Ideen – für die Rechtswissenschaft etwa „Recht, Freiheit, Eigentum, Staat“31 – bezeichnen hierbei selbstverständlich nicht die inner- oder außerempirische Realität, aber auch nicht etwas bloß „Ideelles“, eine bloße Anweisung, ein erstrebenswertes Sollen. Nach Hegel wird hierbei „die Idee als die Vernunft (. . .) begriffen“32, aber im Gegensatz zu Kant nicht so „ohnmächtig“33, daß die Idee als Anforderung, als Ziel, als Sollen nie zur Wirklichkeit wird. Denn „die Idee ist das Wahre“34 und die Ideen „sind wahr, wenn sie das sind, was sie sein sollen“35. Das wahre Wirkliche „ist die Idee und hat seine Wahrheit allein durch und kraft der Idee“36. Im Ergebnis: Was vernünftig ist, das ist die Idee, und die Idee ist die konkrete Wirklichkeit und die Wahrheit37. Was für Kant außerhalb des menschlichen Verstandes lag und nicht zu einem objektiv gültigen, erkennbaren System werden konnte, wird für Hegel zum genuinen System. Das ideale, nicht gültige Objekt der Erkenntnis wird jetzt zum wirklich genuinen Objekt der Wirklichkeit. Die absolute Erkenntnis (die Wirklichkeit, die Idee, das gültige Objekt) besteht nach diesem Verständnis von Vernunft nicht darin, daß die Erkenntnis von einem empirischen Gegenstand affiziert oder von einem an sich seienden, jenseits der Idee liegenden „Gegenstand“ irgendwie bedingt wird. Solche die Erkenntnis bestimmenden, von der Erkenntnis noch unbestimmten „Gegenstände“ 28

Kroner, Von Kant bis Hegel I, S. 227. Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 12. Vgl. auch Kroner, Von Kant bis Hegel I, S. 226. 30 Denn für Hegel, Grundlinien der Philosophie, § 21, Zusatz, S. 73, „(heißt) Wahrheit in der Philosophie das, daß der Begriff der Realität entspreche“. 31 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 1, S. 29. 32 Hegel, Enzyklopädie, § 214, S. 370. 33 Vgl. Hegel, Enzyklopädie, § 94, Zusatz, S. 199 f.; dens., Enzyklopädie, S. 142, Zusatz, S. 280; dens., Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 21, in dem Sinne, daß die Vernunft „nicht so ohnmächtig ist, es nur bis zum Ideal, bis zum Sollen zu bringen und nur außerhalb der Wirklichkeit, wer weiß wo, als etwas Besonderes in den Köpfen einiger Menschen vorhanden zu sein“. 34 Hegel, Enzyklopädie, § 213, S. 367. 35 Hegel, Enzyklopädie, § 213, S. 369. Vgl. auch dens., § 6, S. 48 f.; dens., Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 1, S. 29. 36 Hegel, Enzyklopädie, § 213, S. 368. 37 Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, S. 43. 29

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machen nicht die Wirklichkeit der Idee (die gültigen Objekte) aus. Sie können insofern Abstraktionen der Einheit genannt werden, als sie als unbestimmt beobachtet werden, d.h. als sie von der Vernunft noch nicht gedacht oder, anders ausgedrückt, noch nicht von ihr beobachtet und zum gültigen Objekt gemacht worden sind. Sie tragen deswegen vor dieser vernünftigen Beobachtung keine Objektivität bzw. keine objektive Gültigkeit, d.h., sie sind noch nicht zur objektiven Wirklichkeit bestimmt worden und sind – aus dieser systematischen Perspektive betrachtet – „unwirkliche“38 Gegenstände. Die Wirklichkeit bzw. Gültigkeit des Objekts besteht folglich in ihrem übergegenständlichen Charakter, was heißen soll, daß das gegenständliche Empirische oder Ansichseiende isoliert genommen eine Abstraktion des Objekts ist und die Sphäre der vernünftigen Wirklichkeit noch nicht erreicht. Für den strafrechtlichen Versuch bedeutet dies, daß die äußere Realität zum Tatzeitpunkt (ein Mensch ist da oder nicht) sowie naturalistisch gebildete Kriterien (Eindruck, Gefährdung eines Rechtsguts, der individuelle Wille des Täters, die Anwesenheit oder Existenz eines Rechtsgutsobjekts, die bloße Sozial- noch nicht Strafrechtsadäquanz, die Anwesenheit des Rechtsguts) Abstraktionen des eigentlichen Kriteriums sind (Usurpation von strafrechtlichen, tatbestandlichen Rechten bzw. Verletzung von strafrechtlicher Freiheit), so daß sie nicht unbedingt vorliegen müssen und deren Vorliegen oder Nicht-Vorliegen zu einer bloßen Äußerlichkeit je nach dem konkreten strafrechtlichen Zurechnungsbegriff werden können. Untaugliche Versuche sind also strafbar, wenn sie dem vernünftigen Versuchsbegriff entsprechen. Es geht also nicht darum daß solche Gegebenheiten für die Zurechnung Voraussetzung sind, sondern daß die Wirklichkeit der Natur vom strafrechtlichen System verarbeitet und unselbständig gemacht wird. b) Täterbegriff Für den Täterbegriff gilt nichts anderes: Sind die Einzelnen bei Zaczyk in Anlehnung an Kant und Fichte nicht nur Naturwesen bzw. Individuen, sondern Rechtspersonen, scil. Willenssubjekte, d.h. reflektierende, nicht ausschließlich der Naturkausalität unterworfene Subjekte39, so basiert das Personsein auf einem empirischen Sachverhalt (aktuelles innerpsychisches Wollen und Kennen), scil. so „liegt darin auch die Abhängigkeit der äußeren Gestaltung (. . .) vom Willen der Beteiligten beschlossen. (. . .) Unrecht hat damit notwendig seinen Grund im Bewußtsein und gestaltenden Willen des Täters“40. Gegenüber dem selbständigen Objekt muß auch das Subjekt-Sein, dessen Person-Sein wiederum 38

Zu Hegel siehe unten im Text. Vgl. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 221, S. 230 ff.; Köhler, AT, S. 23 auch in Anlehnung an Kant. 40 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 233; vgl. auch Köhler, AT, S. 23. 39

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grundsätzlich auch auf einem Absoluten, Objektiven beruhen: dem aktuellen innerpsychischen Wollen und Kennen. Zum Versuch heißt es also für Zaczyk zusammenfassend: „Versuch ist vom Tatentschluß getragenes, unvollkommen verwirklichtes Unrecht“41. Nicht nur der fahrlässige Versuch wird unmöglich42, sondern bei Köhler unbewußt fahrlässiges Handeln überhaupt43. Auch der Geist (das Subjekt, das Denken, hier: das Strafrecht), der diese abstrakten Gegenstände als konkret beobachtet, der sich also von diesen Gegenständen, statt allein von sich selbst bestimmen läßt, ist noch nicht Vernunft, kein transzendentales, die Einheit stiftendes Ich und insofern eine Abstraktion der Wirklichkeit (scil. des genuinen Strafrechts), des Objekts als Einheit von Geist und Natur. Das Wirkliche ist also als Einheit von Denken und Gegenstand, von Geist und Natur, von Form und Inhalt zu verstehen, welche dann nicht (mehr) als Pole zu unterscheiden sind, sondern eine Identität bilden: „Das empirisch [oder subjektiv-idealistisch44 – L. C. R.-S.] erkennende Ich und das ihm Entgegenstehende, sein ,Gegenstand‘, sind beide bedingt durch das [objektiv-idealistisch gedachte – L. C. R.-S.] transzendentale Ich, das das Wesen, die Ichheit des empirischen [oder subjektiv-idealistisch gedachten – L. C. R.-S.] Ich ausmacht; in ihm als dem ursprünglichen schöpferischen Grunde sind die Gegensätze von Form und Stoff, Verstand und Gegenstand in ursprünglicher synthetischer Einheit verbunden“45. Die sich zur Wirklichkeit hervorbringende Tätigkeit (transzendentales Ich) ist demnach als das durch sich Bedingte, scil. als das Unbedingte (Freiheit46), die nicht-abstrakte und insofern konkrete und auch totale, absolute Identität von den von ihr abstrahierten Polen zu denken. Das empirische oder subjektiv-idealistisch gedachte Ich ist also eine Abstraktion sowohl als Erkenntnis als auch als Identität – als Verständnis – der Ichheit. Diese ist lediglich eine (empirisch oder subjektiv-idealistisch) formelle Identität, eine einseitige, leere, unbestimmte Form, die dem Inhalt gegenübersteht und zugleich die von ihm abhängige Identität des Verstandes (oder des Dinges an sich) ist. Für den Täterbegriff heißt das, daß der Täter nicht bloß ein Individuum und nicht bloß ein reines Sollen, sondern der konkrete Begriff, d.h. die konkrete Person ist. Übertragen auf den Versuch bedeutet dies, daß weder die Tätervorstellung des Individuums noch diejenige einer abstrakten Maßstabsperson, son41

NK-Zaczyk, § 22, Rn. 1. Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 213; NK-Zaczyk, § 22, Rn. 21; Köhler, AT, S. 453. 43 Köhler, AT, S. 14. 44 Vgl. auch Hegel, Wissenschaft der Logik II, 503. 45 Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 6 f. 46 Der transzendentale Gedanke wird nicht durchgeführt. So die Kritik Hegels, Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, S. 358, nach dem Fichte und Kant dem „Einssein nicht getreu geblieben“ sind. 42

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dern diejenige, die das Strafrecht der konkreten Person zuschreibt, zur relevanten Tätervorstellung nach § 22 StGB wird. c) Kausalität und objektive Zurechnung In der Kantschen Tradition bringt die Trennung von empirischem Ich und (subjektiv-idealistisch) transzendentalem Ich für die praktische Vernunft – und so auch für das Strafrecht – Konsequenzen mit sich. Das vom Empirischen gereinigte transzendentale Ich als inhaltlich leere, formale Identität erlebt als ein „Faktum“47 seine Freiheit. Das empirische Ich ist unfrei, der Kausalität unterworfen: Der Mensch ist als sittliches Wesen in ein sittliches Ich (homo noumenon) und ein nicht-sittliches Ich (homo phänomenon) entzweit48. Die Identität des empirischen Willens mit dem reinen Willen bleibt unbegriffen und der Freiheitsbegriff insoweit widersprüchlich, als er einerseits durch Kausalität kategorial unterschiedliche, nicht-verbundene Elemente, nämlich die freie, noumenale, norm-bestimmte Person mit dem unfreien, phänomenalen Individuum verbindet und andererseits kausal Verbundenes löst, scil. „den Strom des Kausalen beim Individuum unterbricht“49. Das freie Ich ist nach einheitlicher Betrachtung aber nicht ein anderer, ein „intelligibler“ Gegenstand, ein vom empirischen Ich unterschiedliches, getrenntes Ding-an-sich, sondern die alle Wirklichkeit und Gegenständlichkeit hervorbringende Tätigkeit als Freiheit (Unbedingtheit als Bedingung der Notwendigkeit – praktische Vernunft) und als Einheit (Totalität des Mannigfaltigen – theoretische Vernunft). Diese unbedingte Einheit ist nicht eine „besondere Kausalität eines übersinnlichen Wesens“, sondern die „transzendentale Bedingung“ der Möglichkeit des empirischen Ich als verantwortlichen Subjekts, als Persönlichkeit, und ihm insofern „konstitutiv“50. Bei Kant ist ein die einheitliche Wirklichkeit stiftender, „anschauender Verstand“ für den Menschen trotz alledem unerreichbar51. Die Wichtigkeit eines solch anschauenden Verstands und der Einheit steigern sich im Kantschen System derart, daß sie eine so notwendige „Vorstellung“ für das System ausmachen, daß es etwa für die „Idee der formalen Zweckmäßigkeit der Natur“52, d.i. 47

Kant, Kritik der praktischen Vernunft, A 72 f., S. 155 f. Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 550 f., S. 500 f. 49 Vgl. Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 54. 50 Vgl. Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 17 ff. 51 Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 138, 139, S. 140: „Aber für den menschlichen Verstand ist (. . .) so, daß er sich sogar von einem anderen möglichen Verstand, (. . .) einem solchen, der selbst anschaute (. . .), sich nicht den mindesten Begriff machen kann“. Vgl. auch dens., Kritik der Urteilskraft, B. 341 f., S. 519: Es „leuchtet aus der unabläßlichen Forderung der Vernunft ein, irgend ein Etwas (den Urgrund) als unbedingt notwendig existierend anzunehmen, an welchem Möglichkeit und Wirklichkeit gar nicht mehr unterschieden werden sollen, und für welche Idee unser Verstand schlechterdings keinen Begriff hat“. 48

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für die Idee des Begründet-Seins der Natur in einem sie ordnenden Verstand, „nach der Beschaffenheit des menschlichen Erkenntnisvermögens notwendig (ist), den obersten Grund dazu in einem ursprünglichen Verstande als Weltursache zu suchen“53. Die Zweckmäßigkeit der Natur aber nicht nur als zufälliges, für unseren Verstand regulatives Prinzip, sondern als objektives Prinzip zu verstehen54, würde nämlich bedeuten, daß die Natur als vernunftbedingt, als zu einer vernünftigen Ordnung gehörig, zu beobachten ist55, in der deswegen auch unsere „noumenale“ Freiheit als in einem einheitlichen „Organismus“56 agiert, so daß sie folg52 Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, B XXIX ff., S. 254 ff. Unter Zweck ist „der Begriff von einem Objekt, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält“, zu verstehen (B XXVIII, S. 253), er ist „der Gegenstand eines Begriffes, sofern dieser als die Ursache von jenem (der reale Grund seiner Möglichkeit) angesehen wird; und die Kausalität eines Begriffs in Ansehung eines Objekts ist die Zweckmäßigkeit (forma finalis)“ (Kant, B 32, S. 298 f.). 53 Kant, Kritik der Urteilskraft, B 354, S. 528, obwohl eine solche Idee der Zweckmäßigkeit der Natur für unseren Verstand nur den Rang von einem „glückliche(n), unsere Absicht begünstigende(n) Zufall“ besitzt (Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, B XXXIV, S. 257). So nimmt Kant die Einheit der Vernunft wie eine „empirische Tatsache“ auf, wie ein „Finden und Feststellen“, wo das Denken „die Vernunftnotwendigkeit zu der Zufälligkeit eines Zusammentreffens entgegengesetzter Welten oder Sphären stempelt“. Denn: „Wo überhaupt kann die Vernunft Notwendigkeit finden, wenn nicht in sich selbst?“ (vgl. Kroner, Von Kant bis Hegel I, S. 246). „Der ,glückliche Zufall‘ ist die empirisch gefaßte transzendentale Notwendigkeit des Verstandesverfahrens“ (Kroner, Von Kant bis Hegel I, S. 250). Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit fallen zusammen, denn „der Verstand verfährt, transzendental angesehen, niemals ,unabsichtlich nach seiner Natur‘, denn seine ,Natur‘ ist es, Zweck zu sein, den Zweck seiner selbst zu verwirklichen: dies ist seine Spontaneität, der Charakter seiner Tätigkeit, seiner Subjektivität, seiner Freiheit“ (Kroner, S. 248 f.). 54 Vgl. in der Nachfolge von Kant Hegel, Enzyklopädie I, § 204, S. 360: „Der Zweck (. . .) bewirkt nur sich selbst und ist am Ende, was er im Anfange, in der Ursprünglichkeit war; durch diese Selbsterhaltung ist erst das wahrhaft Ursprüngliche. – Der Zweck erfordert eine spekulative Auffassung, als der Begriff, der selbst in der eigenen Einheit und Idealität seiner Bestimmungen (. . .) den Gegensatz des Subjektiven und Objektiven, enthält und ebensosehr das Aufheben desselben ist“. 55 Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, B XXVIII, S. 253, der diese Idee lediglich als regulatives Prinzip formuliert, wonach die Natur so vorgestellt wird, „als ob ein Verstand den Grund der Einheit des Mannigfaltigen ihrer empirischen Gesetze enthalte“. Dazu Kroner, Von Kant bis Hegel I, S. 232. 56 Zum Begriff vom Organismus und dessen Prinzip als innere, objektive und materiale Zweckmäßigkeit der Natur, vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, B 284 ff., S. 481 ff., der den Organismus, als „organisiertes und sich selbst organisierendes Wesen“ definiert (B 293, S. 486). Kroner, Von Kant bis Hegel I, S. 281, erläutert den Organismus bei Kant weiterhin im folgenden Sinne: „Organ bedeutet soviel wie Werkzeug, bezeichnet als etwas Technisches; alles Technische setzt den Zweckbegriff voraus. Der Zweck der Organe darf aber, solange der Begriff oder die Idee des Organismus festgehalten wird, nicht aus dem Organismus herausverlegt werden, – sonst wäre der Organismus nur ein Organ, nur ein Werkzeug für den außer ihm gelegenen Zweck, also nicht Organismus: dieser muß vielmehr selbst als der Zweck seiner Organe gedacht werden. Da er nichts anderes ist als das Ganze derselben, so sind sich

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lich in der Natur „kausal“ werden kann. Hierbei wird der Begriff der Kausalität nicht als etwas der Freiheit Fremdes, sondern – wie die Freiheit selbst – Vernunftgeprägtes, Ordnungsbedingtes betrachtet und wird einer einheitlichen Konstruktion der spontanen Tätigkeit des die Wirklichkeit einheitlich hervorbringenden Ich zugeordnet57. Für das Strafrecht heißt dies, daß es um Kausalität geht, aber nicht lediglich und letztendlich nicht um schlichte Kausalität oder adäquate Kausalität nach phänotypischen Bildern, sondern um „objektive“, für die Strafrechtsordnung „relevante“ Kausalität (objektive Zurechnung). Noumenale und phänomenale Welten wie auch theoretischer Verstand und praktische Vernunft wären hiernach zu einer einheitlichen Ordnung (wieder) als Produkt eines „absoluten“ Denkens bzw. Geistes versöhnt. II. Die Überwindung des Dualismus: die Begriffe eines vernünftigen Strafrechtssystems (anhand des absoluten Idealismus) 1. Begriffe als autonome Selbstbestimmungen eines freiheitlichen (Strafrechts-)Systems Die Wahrheit der Wirklichkeit wird nicht nur der Idee des subjektiven Idealismus entgegengesetzt. Sie bedeutet nämlich auch nicht die Wahrheit des Realismus, d.i., daß die Objektivität unseres Erkennens darin besteht, daß es sich nach dem unserem Denken schon vorausgesetzten, ihm gegebenen Etwas bzw. Objekt richtet, scil. „daß ich wisse, wie etwas ist“58, etwa daß man weiß, wie der Täter ist, z. B.: sein aktuelles, innerpsychisches Wissen und Wollen, sondern umgekehrt und zwar absolut idealistisch, daß dieses Etwas, etwa der Täter, ein Produkt der schöpferischen Freiheit der Vernunft, des „anschauenden Verstands“ als, bei Hegel, des „absoluten Geistes“59 ist. Auf diese Weise fallen Erkennen und Schöpfen, Denken und Wirklichkeit, Wahrheit und Freiheit zusammen, denn, so Hegel: „Das Theoretische ist wesentlich im Praktischen enthalten (. . .), Organismus und Organe, das Ganze und die Teile, wechselseitig Mittel und Zweck, und ebenso die Organe, die Teile in ihren Verhältnissen untereinander“. 57 So wird auf diese Weise für Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 17, „die Kategorie der Kausalität ja selbst nur eine Funktion dieser unbedingten Einheit“ (vgl. auch S. 22 ff.). 58 Hegel, Enzyklopädie, § 213, Zusatz, S. 369. So auch Hegel, S. 368: „nicht daß äußerliche Dinge meinen Vorstellungen entsprechen; dies sind nur richtige Vorstellungen, die Ich Dieser habe. In der Idee handelt es sich nicht um Diesen, noch um Vorstellungen, noch um äußerliche Dinge“. 59 Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Vorrede, S. 28: „Daß das Wahre nur als System wirklich oder daß die Substanz wesentlich Subjekt ist, ist in der Vorstellung ausgedrückt, welche das Absolute als Geist ausspricht“; dens., Enzyklopädie, § 384, Anm., S. 29.

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der Wille hält das Theoretische in sich: der Wille bestimmt sich“60. Beide als getrennte Vermögen abstrakt zu verstehen anstatt als Momente der Vernunft zu begreifen, wäre eine „leere Vorstellung“, eine Abstraktion der Einheit des Denkens61. Nun, so erklärt es Larenz, „es ist der Verstand, der sich seinen Gegenstand selbst gibt, für den dieser daher nicht Gegen-stand, sondern Bestand-teil (. . .) ist“; „Der freie Wille findet seinen Inhalt nicht vor, sondern gibt ihn sich selbst“62. Die Vernunft, Denken und freier Wille, bildet also nicht (nur) instrumentell eine vorgefundene „Wirklichkeit“ bzw. Materie bzw. Natur bzw. einen vorgefundenen „Inhalt“ um, vielmehr ist „ihr Inhalt kein anderer (. . .) als der im Gebiete des lebendigen Geistes ursprünglich hervorgebrachte und sich hervorbringende, zur Welt, äußeren und inneren Welt des Bewußtseins gemachte Gehalt, – daß ihr Gehalt die Wirklichkeit ist“63. Wird die Natur einfach nur vor-gestellt, vor sich hin gestellt und nach bestimmten Merkmalen zerteilt und beschrieben, dann gelangt solches empirisches Wissen nicht zum Begreifen der inneren Notwendigkeit, der inneren Wahrheit des Objekts. Kommt man also nur zur Vorstellung als leeren Begriff eines äußerlichen Gegenstands, aber nicht zum (Vernunft-)Begriff, dann erfaßt man ein Objekt nicht in seiner Wahrheit, dann „erkennt“64 man es nicht. Mit den Worten Hegels: „Idee ist das Wahre an und für sich, die absolute Einheit des Begriffs und der Objektivität. Ihr ideeller Inhalt ist kein anderer als der Begriff in seinen Bestimmungen; ihr reeller Inhalt ist nur seine Darstellung, die er sich in der Form äußerlichen Daseins gibt und [der,] diese Gestalt in seine Idealität eingeschlossen, in seiner Macht, so sich in ihr erhält“65. Die Idee bildet die eigene Wirklichkeit des Begriffs, „so daß die Freiheit seine Substanz und Bestimmung ausmacht und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweite Natur“ ist66. Wie die (sozusagen erste) Natur ihrer „äußeren Notwendigkeit“67, so unterliegt die geistige Wirklichkeit ihrer eigenen 60

Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 4, Zusatz, S. 47. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 4, Zusatz, S. 46. 62 Larenz, Hegels Zurechnunglehre, S. 30, S. 49. Siehe auch dens., Hegels Begriff, S. 9; Hegel, Enzyklopädie, § 469, S. 288. 63 Hegel, Enzyklopädie, § 6, S. 47. Siehe auch Hegel, Phänomenologie des Geistes, Vorrede, S. 28: „Das Geistige allein ist das Wirkliche“ (Hervorh. dort). 64 Siehe Hegel, Wissenschaft der Logik II, S. 503. 65 Hegel, Enzyklopädie, § 213, S. 367. Nach Hegel geht es nicht um bloße Begriffe, sondern „um deren Verwirklichung – Realisierung. Wirklichkeit ist nur die Einheit des Inneren und Äußeren – daß der Begriff nicht ein bloßes Innere sei, sondern ebenso reales, – und das Äußere, Reale nicht eine begrifflose Realität, Dasein – Existenz, sondern sei wesentlich durch den Begriff bestimmt“, so ders., Grundlinien der Philosophie des Rechts, handschriftliche Notizen zu § 1, S. 30. Siehe dazu auch Larenz, Hegels Begriff, S. 16 in Bezug auf Fichte. 66 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 4, S. 46. Vgl. dens., handschriftliche Notizen zu § 29, S. 81: „Die große Stellung des Rechts – Geist sich wirk61

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„inneren Notwendigkeit“, die sich in den Freiheitbestimmungen und ihrer Geltung im Vernunftsystem zeigt. Mit den Worten Hegels: „Die Freiheit, zur Wirklichkeit einer Welt gestaltet, erhält die Form von Notwendigkeit, deren substantieller Zusammenhang das System der Freiheitsbestimmungen und der erscheinende Zusammenhang als die Macht, das Anerkanntsein, d.i. ihr Gelten im Bewußtsein ist“68. Schließlich mit Hegel: „Dieser Entwicklung der Idee als eigener Tätigkeit ihrer Vernunft sieht das Denken als subjektives, ohne seinerseits eine Zutat hinzuzufügen, nur zu. Etwas durch die Vernunft betrachten heißt, nicht an den Gegenstand von außen her eine Vernunft hinzubringen und ihn dadurch zu bearbeiten, sondern der Gegenstand ist für sich selbst vernünftig; hier ist es der Geist in seiner Freiheit, die höchste Spitze der selbstbewußten Vernunft, die sich Wirklichkeit gibt und als existierende Welt erzeugt; die Wissenschaft hat nur das Geschäft, diese eigene Arbeit der Vernunft der Sache zum Bewußtsein zu bringen“69. Das Recht und so das Strafrecht ist also hiernach als ein erkennender und durch seine Erkenntnis- und Ordnungsprinzipien zu Ideen gewordener Begriff zu verstehen. Begriffe sind also die einzig gültigen Objekte, die Wirklichkeiten. Das (Straf-)Recht ist nicht von psycho-physischen Gegebenheiten abhängig, denn sie werden nicht gekannt, sondern erkannt und nach dieser Erkenntnis in ihrer naturalistischen Relevanz aufgehoben. „Die Rechtswissenschaft ist ein Teil der Philosophie“70, des ganzen Vernunftsystems der Hegelschen Philosophie. Die Rechtswissenschaft hat innerhalb dieser Systematik dementsprechend den Begriff des Rechts zum gültigen Objekt, die „Idee des Rechts, den Begriff des Rechts und dessen Verwirklichung“71. Begnügt man sich mit dem Begriff des Rechts als nur formellem Sollen oder empirischer „Vorstellung“ und gelangt nicht zu seinem (Vernunft-)Begriff, dann verfehlt das Recht sein gültiges Objekt. „Die große Stellung des Rechts“ besteht also darin, daß es „als eine Natur – als das System einer Welt sei“72, d.i., es zur Wirklichkeit eines (staatlichen73)

lich machen; – Natur ist, was sie ist; wird begriffen – daß der Geist – als eine Natur – als das System der Welt sei“ (Hervorh. dort). 67 Vgl. Hegel, Enzyklopädie, § 248, Zusatz, S. 30. 68 Hegel, Enzyklopädie, § 484, S. 303 (Hervorh. dort). Vgl. dens., Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 4, S. 46; handschriftliche Notizen zu § 29, S. 81. Dazu Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 49. Vgl. auch Kant, Kritik der Urteilskraft, B 288 ff., S. 483 ff.; Hösle, Hegels System I, S. 244 ff.; Kroner, Von Kant bis Hegel I, S. 279 ff. 69 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 31, S. 84 f. 70 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 2, S. 30 (Hervorh. dort). 71 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 1. Vgl. dens., § 2, S. 30 ff. 72 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 29, handschriftliche Notizen, S. 81 (Hervorh. dort).

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Weltsystems wird, „sich wirklich mach(t)“74. „Die Idee des Rechts ist die Freiheit und um wahrhaft aufgefaßt zu werden, muß sie in ihrem Begriff und in dessen Dasein zu erkennen sein“75 und „hat daher die Idee, als welche die Vernunft eines Gegenstandes ist, aus dem Begriffe zu entwickeln oder, was dasselbe ist, der eigenen immanenten Entwicklung der Sache selbst zuzusehen“76. 2. Die Momente des Begriffs a) Wirklichkeits- versus Abstraktionscharakter der Momente des Begriffs Durch die Selbstentfaltung des Begriffs, d.h. durch die Bestimmung des Wahren und Wirklichen durch die Vernunft, ist die Trennung von Geist und Natur und die scheinbare Selbständigkeit beider überwunden. Die Vernunft (als Denken und Wollen) begreift, daß die Gegenüberstellung von empirischem Bewußtsein bzw. von empirischem Erkennen und Gegenstand eigentlich nur ein Moment des Sich-Begreifens ist, ebenso wie die Entgegensetzung von empirischem Wollen bzw. wählender Willkür und vorgefundenen Inhalten in ihr nur ein Moment des vernünftigen Willens, d.i. des Sich-Bestimmens, ist, so daß die Vernunft eigentlich den Gegenstand hervorbringt und d.h., daß die Möglichkeit des empirischen Bewußtseins und des natürlichen Willens eigentlich in der Vernunft als im spekulativen Bewußtsein, als im freien Willen ihren Grund findet. Die außer sich stehende Vernunft kehrt so wieder zu sich wie in einem begreifenden Kreis: Sie kehrt zu sich als zu ihrem „Grund“, zu ihrem „Anfangspunkt, welcher das Resultat und die Wahrheit von dem ist, was vorhergeht und was den sogenannten Beweis desselben ausmacht“77. Das Ganze, die sich hervorbringende Tätigkeit, ist auf diese Weise nicht ein zu dem Denken und der Natur hinzugefügtes Drittes78 sondern das Heraus-Wer-

73 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 257, S. 398: „Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee“. 74 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 29, handschriftliche Notizen, S. 81. 75 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 1, Zusatz, S. 30. 76 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 2, S. 30. 77 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 2 mit Zusatz, S. 30 f. Vgl. dens., Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 32, Zusatz, S. 86: „Die Idee muß sich immer weiter in sich bestimmen, da sie im Anfang nur erst abstrakter Begriff ist. Dieser anfängliche abstrakte Begriff wird aber nie aufgegeben, sondern er wird nur immer in sich reicher, und die letzte Bestimmung ist somit die reichste“. Das gleiche gilt für die Rechtsphilosophie: Die Sittlichkeit setzt Abstraktes Recht und Moralität voraus. Die Imputationslehre der Moralität darf nicht ohne das abstrakte Recht und um so weniger ohne die Sittlichkeit verstanden werden. Vgl. dens., Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, S. 46; dens., Logik I, S. 70 ff.

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den79 der Vernunft, der einzig allein gültigen Wirklichkeit. Aber – so Hegel – nicht „ein Werden zu einem Anderen, sondern ebenso ein Insichhineingehen, ein Sichinsichvertiefen“80. Das Ganze umfängt alle Momente oder Stufen, die es durchläuft, wo das Resultat seines Werdens, scil. Idee zu werden, die Wahrheit der ersten Momente ist81; das Ganze – so faßt es Larenz aufklärend zusammen – „ent-wickelt sich aus ihnen, indem das erste Moment über das zweite übergreift, es aus sich heraussetzt und bestimmt, indem das zweite Moment die Entfaltung des ersten und jedes ,an sich‘ schon dasselbe ist, was das Ganze ,an und für sich‘ ist“82. „So stellt jedes Moment das Ganze des Begriffs auf eine eigentümliche Weise dar und ist zugleich eine notwendige Stufe in der immanenten Selbstbewegung des Begriffs“83. Die Gegensätze (Geist und Natur, Wesen und Erscheinung) werden auf diese Weise bei Hegel einfach zu Seiten, „Momenten“ einer einzigen, konkreten Wirklichkeit, Seiten, welche isoliert genommen Abstraktionen des Wirklichen ausmachen und kein „wirkliches“ Objekt bezeichnen, sondern eine „wesenlose Erscheinung, Unwahrheit, Täuschung“84. Diese Momente sind aus der Sicht des Ganzen als eines Organismus also nicht abstrakt isoliert, sondern nur in ihrer Bezogenheit aufeinander zu verstehen: So ist das Denken, als Form und Ich, als in seiner Beziehung auf sich stehende, abstrakte Identität, nur in der Beziehung auf das Nicht-Ich zu begreifen, so wie die Vielheit, der Stoff, die Natur, der Standpunkt des Unterschiedes als Beziehung auf anderes nur bezogen auf das Ich, auf die schöpferische Form des Begriffs zu verstehen ist. Jedes dieser beiden Momente bedingt sich. Diese Momente sind folglich „für sich‘ ergänzungsbedürftig85 und ,an sich‘ falsch“: Jedes Moment „(verlangt) sein Anderes, in dem und auf das hin es seine Wahrheit und Wirklichkeit hat“86. Vernunft und 78 Vgl. Hegel, Wissenschaft der Logik II, S. 220: „Die Substanz (. . .) ist die Totalität des Ganzen (. . .), und die Akzidentialität ist die ganze Substanz selbst“, so daß Substanz und Akzidenzien sich nicht unterscheiden. Vgl. Hegel, Enzyklopädie, § 160, S. 307: „Der Begriff ist (. . .) Totalität, in dem jedes der Momente das Ganze ist, das er ist, und als ungetrennte Einheit mit ihm gesetzt ist“. Vgl. dazu auch Hösle, Hegels System I, S. 229. 79 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 2, S. 30. 80 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, S. 47. 81 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 2, S. 30. 82 Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 32. 83 Larenz, Begriff, S. 12. 84 Hegel, Grundlinien der Rechtsphilosophie, § 1, S. 29. Vgl. auch dens., Wissenschaft der Logik II, S. 219; dens., Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, S. 455. 85 Hegel, Enzyklopädie I, § 213, S. 368: „Alles Wirkliche (. . .) hat seine Wahrheit allein durch und kraft der Idee. Das einzelne Sein ist irgendeine Seite der Idee, für dieses bedarf es daher noch anderer Wirklichkeiten, die gleichfalls als besonders für sich bestehende erscheinen; in ihnen zusammen und in ihrer Beziehung ist allein der Begriff realisiert“.

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Natur sind zu einer Welt, zu einer einheitlichen Wirklichkeit vereinigt. Entspricht eine Erscheinung nicht dem Begriff, so ist sie zwar da, d.i. sie existiert, nur hat sie keine Wahrheit und keine Wirklichkeit87. Sie ist bloß „vorübergehendes Dasein, äußerliche Zufälligkeit, Meinung, wesenlose Erscheinung, Unwahrheit, Täuschung usf.“88. Die Natur als „der Geist in seinem Anderssein“ ist also Stoff, aber vernunftbedingt (Zweckmäßigkeit der Natur in der „organischen Totalität“89) und das Denken nicht nur Logos, sondern „das Selbst der Natur und des Geistes, das die Natur denkende Selbst“90. Die Natur ist, abstrakt genommen, äußere Notwendigkeit, Zufall, während sie, als Moment der Totalität, die innere Notwendigkeit der sich hervorbringenden Idee als Freiheit ist. Der Logos ist als Moment des Ganzen seinerseits Ausdruck der Überlegenheit des Denkens über allen Bestimmungen, die er sich selber geben kann, aber isoliert genommen wird er zum Prinzip des Bösen91. Die Vernunft bringt die Wirklichkeit aus sich hervor als eine, so Hegel, „organische Totalität“92. Hegel knüpft also an Kants Begriff von den „organisier86 Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 32. Vgl. auch Hegel, Wissenschaft der Logik II, S. 219: „Die absolute Notwendigkeit ist absolutes Verhältnis (. . .), das Sein als absolute Vermittlung seiner mit sich selbst. Dieses Sein ist die Substanz (. . .) – weder das unreflektierte Unmittelbare noch auch ein abstraktes, hinter der Existenz und Erscheinung stehendes, sondern die unmittelbare Wirklichkeit“. Was nicht vermittelte, unmittelbare Wirklichkeit ist, ist nicht wirklich, sondern nur ein leerer Schein (dazu zugleich im Text). 87 Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, S. 42 ff., S. 45, der erklärt, daß die nicht gedachte Natur „darum abstrakt (ist), nicht zur wahrhaften Existenz (kommt); – nicht daß das Abstrakte gar nicht existiere“. 88 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 1, S. 29 (Hervorh. dort). 89 Hegel, Enzyklopädie, § 250, S. 34: „Der Widerspruch der Idee, indem sie als Natur sich selbst äußerlich ist, ist näher der Widerspruch einerseits der durch den Begriff gezeugten Notwendigkeit ihrer Gebilde und deren in der organischen Totalität vernünftigen Bestimmung, – andererseits deren gleichgültigen Zufälligkeit und unbestimmbaren Regellosigkeit“. Die Natur kann also nicht in ihrer Getrenntheit, in ihrer Abstraktheit verstanden werden. In diesem Sinne fährt Hegel nämlich fort: „Es ist die Ohnmacht der Natur, die Begriffsbestimmungen nur abstrakt zu erhalten und die Ausführung des Besonderen äußerer Bestimmbarkeit auszusetzen“. In dieser Abstraktheit ist die Natur, so Hegel, Enzyklopädie, § 248, S. 28, „der Abfall der Idee“, sie erscheint nur dem „sinnlichen Bewußtsein“ als das Erste und Seiende. 90 Kroner, Von Kant bis Hegel II, S. 512. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, S. 36 ff., S. 45: „Wir sagen vom Menschen, er habe Freiheit; die andere Bestimmung ist die Notwendigkeit. ,Wenn der Geist frei ist, so ist er nicht der Notwendigkeit unterworfen‘; und vice versa; ,sein Wollen, Denken ist durch Notwendigkeit bestimmt, also nicht frei‘. ,Eins‘, sagt man, ,schließt das andere aus‘. Hier nehmen wir die Unterschiede als sich ausschließend, als nicht ein Konkretes bildend. Das Wahre, der Geist ist konkret, und seine Bestimmungen Freiheit und Notwendigkeit. So ist die höhere Einsicht, daß der Geist in seiner Notwendigkeit frei ist und nur in ihr seine Freiheit findet, wie seine Notwendigkeit nur in seiner Freiheit ruht“. 91 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 139, S. 260 f. 92 Vgl. Hegel, Enzyklopädie, § 250, S. 34; dens., Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, S. 46.

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ten Wesen“93 an. Der Organismus organisiert „sich selbst“94, verhält „sich zu sich selbst wechselseitig als Ursache und Wirkung“95, er ist zugleich der Konstruierende und die Konstruktion, der deswegen „nur“ „ohne die Kausalität der Begriffe von vernünftigen Wesen außer ihm möglich“96 ist. Auf diese Weise sind „die Teile (ihrem Dasein und der Form nach) nur durch ihre Beziehung auf das Ganze möglich“97. Die Teile „(verbinden) sich dadurch zur Einheit eines Ganzen, daß sie von einander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind. Denn auf solche Weise ist es allein möglich, daß umgekehrt (wechselseitig) die Idee des Ganzen wiederum die Form und Verbindung aller Teile bestimme: nicht als Ursache (. . .) sondern als Erkenntnisgrund der systematischen Einheit der Form und Verbindung alles Mannigfaltigen“98. Das Ganze ist also von den Teilen nicht unterschiedlich, sondern der Zweck seiner Organe, da er nichts anderes, als das Ganze derselben ist und „die Teile desselben einander insgesamt, ihrer Form sowohl als Verbindung nach, wechselseitig, und so ein Ganzes aus eigener Kausalität hervorbringen“99; jeder Teil, d.i. jedes Organ, existiert also „um der andern und des Ganzen willen“ und ist als „ein die andern Teile (folglich jeder den anderen wechselseitig) hervorbringendes Organ“100 zu verstehen. Ist also irgend ein Begriff des Systems, im Strafrecht also etwa Täter, Vorsatz, Tat, Versuch, Strafe, etc. nicht von diesem so gefaßten Zweck durchdrungen, dann gehört er eben nicht zum System, bildet keinen Begriff. Er mag lediglich Relevanz für andere Systeme haben. b) Die Momente des Versuchsbegriffs Die Momente des Rechts – als Momente des objektiven Geistes – sind spekulativ und nach der Hegelschen Logik101, d.i. (inner-)systematisch, zu verstehen. Diese Momente sind erstens das abstrakte Recht als Recht der Persönlichkeit, als Rechtsfähigkeit überhaupt102. Hier wird beim abstrakten Recht als Moment der Entwicklung des Begriffs von der Angewiesenheit des Rechts auf die 93 Kant, Kritik der Urteilskraft, B 288 ff., S. 483 ff. So auch Hösle, Hegels System I, S. 244 ff. Dazu Kroner, Von Kant bis Hegel I, S. 279 ff. 94 Kant, Kritik der Urteilskraft, B 293, S. 486. 95 Kant, Kritik der Urteilskraft, B 289, S. 484. 96 Kant, Kritik der Urteilskraft, B 290 f., S. 485 97 Kant, Kritik der Urteilskraft, B 290, S. 484. 98 Kant, Kritik der Urteilskraft, B 291 f., S. 485. 99 Kant, Kritik der Urteilskraft, B 291 f., S. 485. Dazu Kroner, Von Kant bis Hegel I, S. 279 ff., S. 281 f. 100 Kant, Kritik der Urteilskraft, B 291 f., S. 485 (Hervorh. dort). 101 Siehe hierzu ausdrücklich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 2, Anm., S. 32 in fine. 102 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 36: „Die Persönlichkeit enthält überhaupt die Rechtsfähigkeit und macht den Begriff und die selbst abstrakte

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Besonderheit des Subjekts und auf die gesellschaftlichen und politischen Institutionen abstrahiert103. Das Zweite ist die Moralität als Moment der Besonderheit, als „Pflicht zur Identifizierung des besonderen Willens mit dem Allgemeinen“104, als „Standpunkt des Verhältnisses und des Sollens oder der Forderung“105, als Pflicht zur Verwirklichung des Rechts als Sittlichkeit und so als „Negation der Willkür“106, in welcher aber das „Interesse und Wohl“107 bzw. die Besonderheit der Person bzw. des Subjekts in der Idee des Rechts ihre Berücksichtigung finden. Das dritte Moment ist die Einheit der Sittlichkeit im Staat, die dialektische Einheit des abstrakt Ideellen bzw. Allgemeinen und des Besonderen und so die Wahrheit als konkret-geschichtliche Gestaltung der Freiheit auf der Basis der konkret gesellschaftlichen und politischen Institutionen108. Die Sittlichkeit ist der Grund der ersten Momente (des abstrakten Rechts und der Moralität109). Deswegen ist sie in diesem Sinne überhaupt das Erste110. Jedes der Momente der höheren Einheit bzw. der Sittlichkeit, scil. abstraktes Recht und Moralität, bedingt sich. Beide sind folglich „für sich‘ ergänzungsbedürftig111 und ,an sich‘ falsch“. Jedes Moment verlangt „sein Anderes, in dem und auf das hin es seine Wahrheit und Wirklichkeit hat“112. Die Wahrheit ist also, daß die Idee des Rechts, die Freiheit, die Wirklichkeit beider (abstrakten) Momente – der Person und der Subjektivität – erst in der institutionellen Wirklichkeit, in der konkreten, geschichtlich-gesellschaftlichen Sittlichkeit zu bestimmen ist113. Grundlage des abstrakten und daher formellen Rechts aus“; weiterhin § 34, Zusatz, S. 93; § 35, S. 93; § 36, S. 95. 103 Eingehend Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 200 ff. 104 Lesch, Verbrechensbegriff, S. 120. In der Moralität geht es also um den besonderen Willen, um – so Lesch, S. 126 – „den der Täter als formell vernünftige – und das heißt: als zurechnungsfähige – Person an sich hat und für sich haben soll“. Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 131, S. 244: Der subjektive Wille „steht somit in einem Verhältnis zu demselben [scil. das Gute – L. C. R.-S.] und zwar in dem, daß das Gute für denselben das substantielle sein, daß er dasselbe zum Zwecke machen und vollbringen soll“ (Hervorh. dort). Dazu ausführlich Pawlik, Betrug, S. 34; Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 204 ff., S. 205. 105 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 108, S. 206. 106 Lesch, Verbrechensbegriff, S. 122. Siehe Hegel, Enzyklopädie, § 502, Anm., S. 312, gegen den naturalistischen Freiheits- und Rechtsbegriff der Naturrechtslehre: „Was zu beschränken und aufzuopfern ist, ist eben die Willkür und Gewalttätigkeit des Naturzustandes“. 107 Siehe Hegel, Enzyklopädie, § 509, S. 315. 108 Eingehend Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 207 ff. 109 Siehe etwa Wildt, Autonomie und Anerkennung, S. 15 ff. zur „sittlichen Vermittlung moralischer Autonomie“ (S. 371); Pawlik, Betrug, S. 33 ff. 110 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 256, Anm., S. 397 f. 111 Hegel, Enzyklopädie I, § 213, S. 368. 112 Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 32. Vgl. auch Hegel, Wissenschaft der Logik II, S. 219. 113 Siehe Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 211.

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Zum Zurechnungsbegriff des Versuchs sind die Schuld und Unrechtsdimension des konkreten Tatbegriffs beim Versuch zu behandeln. Die unterschiedlichen Momente dieses Begriffs sollen grundlegend berücksichtigt werden. Tat und Täter, Rechts- bzw. Freiheitsverletzung und Tatbestand, Voraussetzungen der Rechtsverletzungen und Tatbestandsmerkmale sollen einheitlich und ganzheitlich, in Bezogenheit aller Momente zueinander dargestellt werden. Dafür ist zunächst ein Blick auf das Strafrechtssystem als freiheitliches System notwendig.

C. Die freiheitliche Funktion des heutigen Strafrechtssystems I. Strafrechtssystem als Teilsystem der Gesellschaft Nach der funktionalen Ausdifferenzierung der komplexen modernen Gesellschaft114 finden neben dem Rechtssystem115 andere gesellschaftliche Systeme in ihr ihren Platz – mit eben je eigenen Zurechnungskriterien. Nach diesem Befund ist ein Individuum in unserer Gesellschaft in mehrerer Hinsicht, d.h. nach den je verschiedenen (funktionalen) Systemen Person. In gesellschaftlichen Systemen wird die Handlung von Personen eben als personale Kommunikation im jeweiligen ausdifferenzierten Kommunikationssystem verstanden116. Soll in Bezug auf das Strafrechtssystem von einer oder mehreren wie auch immer verstandenen naturalistischen „Gesellschaftsordnung(en)“ als ontologischer, funktionaler oder wie auch immer gedachten selbständigen Systemgrundlage ausgegangen werden, finden diese nicht im Strafrechtssystem ihren Platz: Sie bestimmen prinzipiell nicht die strafrechtliche Zurechnung. Das (Straf-) rechtssystem – wie die (personalen) Gesellschaftssysteme überhaupt – folgt seinen eigenen Gesetzen und bestimmt seinen eigenen Gegenstand117. 114 Dazu aus strafrechtlicher Sicht Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 132, Fn. 14 mit Hinweisen. 115 Das Rechtssystem, welches nach Hegel undifferenziert das Gesellschaftssystem bildet, wird hier im Hinblick auf die Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft als Teilsystem des Rechtssystems und wiederum des Gesellschaftssystems genommen. Siehe Hegel, Enzyklopädie III, § 486, S. 304: „(. . .) das Recht, welches nicht nur als das beschränkte juristische Recht, sondern als das Dasein aller Bestimmungen der Freiheit umfassend zu nehmen ist“. 116 Zu diesem Bruch mit den Hegelschen Grundlagen Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 213 ff. Müssig spricht insoweit von einem Übergang von einer notwendigen substanzialistischen Identitätsphilosophie des Rechts zu einem ausdifferenzierten konstruktiv-funktionalistischen Konzept (in diesem Sinne auch Pawlik, Betrug, S. 130 f.), in dem nicht mehr Subjektivität als absolute epistemologische Sinnstruktur zu verstehen sei, sondern Kommunikation als entscheidendes gesellschaftliches Medium der Gesellschaft – „als der reflexive Prozeß von Differenzierungsschritten“ angesehen werde (S. 218 ff.).

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Normativität ist in Anlehnung an die bisherige Darstellung als „grundlegende Selbstbeschreibung und Organisationsmuster“ des Strafrechts als soziales Teilsystem, als „das (symbolisch generalisierte Selbst-)Konzept einer kommunikativen Praxis und in dieser Gestalt als die Struktur des Kommunikationsprozesses“118 zu verstehen. Das Strafrecht garantiert die grundlegenden Strukturen – die Praxis und Institutionen – der Gesellschaft119, welche als konkrete Freiheit ermöglichende gesellschaftliche Größen den konkreten Bürger als frei anerkennen und ihrerseits wiederum der Anerkennung durch die konkrete Person bedürfen, um weiter zu gelten120. Die Strafe erfüllt eine systematische Funktion, die in Einklang mit der modernen Theorie der sozialen Systeme darin besteht, daß sie eine das System erhaltende Leistung erbringt121: „Strafe disqualifiziert das Verhalten als relevantes Deutungsmuster gesellschaftlicher Praxis und ist zugleich die symbolische Selbstbeschreibung und Bestätigung der gesellschaftlichen Gestalt – im Rechtssystem. Für eine institutionelle Strafrechtstheorie rückt damit die kommunikative Bedeutung eines Verhaltens als Rechtsverletzung in das Zentrum des Verbrechensbegriffs“122. Andere außer(straf-)rechtliche Systeme wie auch außergesellschaftliche Welten – etwa die Ordnung von Individuen mit ihrem Lust/Unlust-Schema – kommen zu dieser strafrechtlichen Welt hinzu123. Würde eine irgendwie gedachte bzw. beobachtete naturalistische Welt als „Gesellschaftsordnung“ behauptet, würde diese nicht im Strafrecht mit einer anderen „vernünftigen“ bzw. „personalen“ „Gesellschaftsordnung“ koexistieren. Es handelte sich um verschiedene Welten, die sich überlagern, „ohne an den Regeln ihrer Konstitution etwas zu ändern“124. Verläßt man schließlich das naturalistische oder normativ-subjektive bzw. -intersubjektive Verständnis von Gesellschaft125, Strafrecht und Zurechnung zum Versuch, und wendet man sich einem Verständnis von freier Person und 117 Siehe Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 14, S. 50: „Nur das Recht selbst kann sagen, was Recht ist“. 118 Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 135. 119 Aus systemtheoretischer Perpektive siehe auch Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 137. 120 Pawlik, Betrug, S. 38 ff. 121 Luhmann in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 2, Funktion IV. Für das Strafrecht Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 844. 122 Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 136. 123 Siehe auch Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 46. 124 So auch das Modell von Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 46 (Zitat grammatikalisch geändert), S. 45. 125 Zur Unzulänglichkeit der normativ-subjektiv bzw. normativ-intersubjektiv begründeten „Konzeption des Guten“ bzw. Richtigen auf der Basis der Freiheitsidee als Legitimationsparadigma, siehe eindringlich und m. w. H. Pawlik, Betrug, S. 31 f.

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sozialen Systemen bzw. personalen Sozialbeziehungen zu, welches die Bestandsbedingungen von Gesellschaftlichkeit126, genauer: von Strafrechtssystem und Autonomie127 richtig erfaßt, lassen sich die „objektiven Wurzeln“128 des Hegelschen „objektiven Geistes“ und dadurch die (Straf-)Rechtsperson und ihr (freiheitlicher) Status129 besser begreifen. Auch werden die einzelnen strafrechtlichen Begriffe anhand eines maßgeblichen (objektiv-normativen) Deutungsschemas darstellbar. Zurechnung und Versuch als strafrechtliche – und das heißt letztendlich, gesellschaftliche – Wirklichkeiten, sollen also als in diesem Sinne objektive Begriffe verstanden werden. Machen die Zurechnung und der Versuch nämlich keinen – in Hegelscher Sprache – objektiven Begriff aus, wird ihre Wirklichkeit eben nicht begriffen, sondern verfehlt. Daß dennoch plausible Ergebnisse erreichbar sind, liegt lediglich daran, daß die soziale Wirklichkeit im System nicht explizit, aber implizit vorausgesetzt wird und im Extremfall über die „juristische Argumentationskraft des Auslegers im Eizelfall“ eingebracht wurde. Aufgabe des Strafrechtlers ist es aber, die normativen Kontexte des Strafrechts als (personale) Kommunikationszusammenhänge zu erörtern. II. Die freiheitliche Funktion des Strafrechts Geht es innerhalb des Rechtssystems, in der Terminologie Hegels: des objektiven Geistes, darum, daß die (Straf-)Rechtsperson inner(straf-)rechtlich – d.h. letztendlich: innergesellschaftlich – konstruiert wird130, so geschieht dies auf der Basis eines Verständnisses von Freiheit – Vernunft und Willen, Autonomie bzw. Selbstgesetzgebung – des praktischen Subjekts, welches das naturalistische und das normativ (inter-)subjektive Freiheitsverständnis aus ihrer Beschränktheit von einer instrumentalen hin zu einer personalen Kommunikation erhebt. Das Subjekt entsteht nicht als natürliche Gegebenheit und auch nicht durch die Anerkennung eines anderen Subjekts. Die hiesige Konzeption, in welcher sich – mit den Worten Pawliks131 – „das Subjekt in der Institution wiedererkennt, ist vielmehr das Ergebnis eines Freiheitsdenkens, das den Inhalt der Formel vom Mit-sich-identisch-Sein, über die sich das vernünftige praktische Sub126 So eher das Modell von Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 51 ff.; ders., ZStW 107 (1995), S. 843 ff., passim. 127 So eher das Model von Pawlik, Betrug, S. 61 ff. 128 Pawlik, Betrug, S. 33. 129 Pawlik, Betrug, S. 36. 130 So geht auch Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, passim, von einem Personbegriff als einer „objektive(n) Konstruktion“ aus (S. 96). Siehe auch Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 128, Fn. 5: „Die ,Person‘, das ,Menschenbild‘ in einer Gesellschaft ist Produkt der sozialen Erkenntnisstrukturen und wandelt sich mit diesen“. 131 Pawlik, Betrug, S. 34.

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jekt der Neuzeit definiert, erst in ihrer vollen Tragweite entfaltet“132. Für das Strafrechtssystem ergeben sich daraus bedeutsame Konsequenzen. Nach diesem Freiheitsverständnis hat das mit dem Anspruch auf Autonomie agierende praktische Subjekt „diejenigen Praktiken und Institutionen anzuerkennen, von denen es sich selbst in seinem Autonomieanspruch anerkannt weiß; Autonomie ist insofern also zugleich Voraussetzung und Folge der gegenseitigen Anerkennung“133. Das Individuum, dem konkrete Freiheit ermöglicht wird, hat bzw. bekommt also als Gegenleistung für eine konkrete, wirkliche Autonomie die Aufgabe, die konkrete und wirkliche autonomieermöglichende Struktur bzw. Identität bzw. Gestalt der konkreten Gesellschaft aufrechtzuerhalten 134. Die strafrechtsdogmatische Aufgabe der Zuständigkeitsverteilung soll demzufolge aus ihrer Beziehung zu den rechtlich verfestigten Institutionen und Praktiken entwickelt werden, aus der Gebundenheit des praktischen Subjekts an die Inhalte einer geschichtlich (mit-)gestaltenden und Freiheit ermöglichenden, gesellschaftlichen Größe. Bei der Gebundenheit des praktischen Subjekts an die Inhalte einer gesellschaftlichen Größe opfert solch ein „gesellschaftsfunktionaler Ansatz also nicht etwa das Subjekt und seine Freiheit, sondern bringt sie aus der Abstraktheit erst zu ihrer Wirklichkeit“135. Das praktische Subjekt erhält über seine Teilnahme an der Gesellschaft (i. e. bei Erfüllung seiner Pflichten) einen dementsprechenden Freiraum (aus rechtlicher Sicht: Rechte)136, dessen pflichtgemäße Verwaltung allgemein verbindliche Selbstdarstellungen der Einzelperson schafft, d.h. legitime Weltentwürfe auf der Basis pflichtgemäßer, aus Institutionen entstandener Willkür137 autonom ermöglicht. Die Selbstbindung bzw. -gesetzgebung der (Straf-)Rechtsperson ist ein „semantisches Kürzel“138 dafür, daß die Rechtsperson – will sie sich als real Autonomes nicht widersprechen139 – die sozialen 132

Hervorh. von mir. Pawlik, Betrug, S. 35. Siehe ähnlich Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 852 mit Fn. 21. In diesem Sinne spricht auch Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 126 ff. von einer „institutionellen Strafrechtstheorie“. 134 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 29 ff. und passim. Zum Begriff der Gestalt der konkreten Gesellschaft eingehend, Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 131. Es geht beim Strafrecht also um die „Garantie rechtlich positivierter Selbstbeschreibung“ (Müssig, S. 134) innerhalb eines freiheitlichen Strafrechtsverständnisses als legitimationstheoretischen Paradigmas (dazu eingehend Pawlik, Betrug, S. 56 ff.; Müssig, S. 210 ff., S. 221 ff.). „Freiheit und die Kriterien der Person (sind) allein Strukturen des Rechts und nicht umgekehrt jene dem Recht vorausgesetzt“ (Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 148, weiterhin S. 164 ff., S. 168). 135 Pawlik, Betrug, S. 36; Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 148, S. 212. Siehe schon davor Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 850 f. 136 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 33. 137 Wohlgemerkt: gesellschaftlich-normative, aus dem Rechtssystem entstandene, nicht naturalistische Willkür; dazu Pawlik, Betrug, S. 35 f. 138 Pawlik, Betrug, S. 129. 133

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Institutionen anzuerkennen hat, die ihm eine Sphäre äußerer Organisationsfreiheit zubilligen, in der sie ihre Autonomie wirklichkeitsmächtig werden lassen kann140. Kurz: Organisationsfreiheit bzw. (rechtlich anerkannte – real-konkrete) Autonomie impliziert die Ausübung von (rechtlich definierter – real-konkreter) Verantwortlichkeit.

D. Das (inner-)systematische Kriterium der strafrechtlichen Zurechnung (objektive Zurechnung) I. Täterbegriff 1. Personbegriff als Struktur des (Straf-)Rechts Der Täterbegriff erschöpft sich nicht in seiner ideellen (paradigmatisch Kant) oder reellen Seite (paradigmatisch Feuerbach)141. Der Täter ist im Recht weder ein abstraktes, einseitig-noumenales Wesen, noch ein wiederum abstraktes, einseitig-phänomenales Wesen, sondern deren Einheit als vom Vernunftsystem definierte Wahrheit als Begriff. Es geht auch nicht um „den Menschen“ als „Leerformel“142, sondern darum, wozu sich „der Mensch“ geschichtlich gesehen in einer konkreten Gesellschaft gemacht hat, d.h. um einen im Hegelschen Sinne objektiven, wirkliche Freiheit schaffenden Begriff, scil. den Begriff der (sittlichen) Rechtsperson. Die in diesem System „begriffene“ (Straf-)Rechtsperson, der Bürger, besitzt in der aristotelischen Tradition des zoon-politikon-Axioms143 nicht eine bloß empirische oder außergesellschaftlich ideelle, sondern – dem objektiven Geist, der konkreten Sittlichkeit einer Gesellschaft entsprechend – „eine Art normative Verfaßtheit, die das ihm Zuträgliche, seine Bestimmung, sein Recht, festlegt“144. Nach dieser Betrachtungsweise werden „diejenigen Institutionen, die in Wahrheit ,verinstitutionalisierte Freiheit‘ sind, ,als vollkommen zugehörig zum Subjekt begrüßt“145. Auf diese Weise drückt der Personbegriff die Struktur der entwik139 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Handschriftliche Notizen zu § 99, S. 188. 140 Damit wird der (Straf-)Rechtsperson ein gesellschaftlich notwendiger – und nicht ein nur für die klassischen Gesellschaftstheorien charakteristischer, kontingenter – Rahmen zugeschrieben (Pawlik, Betrug, S. 129, S. 136 m. w. H.). Dazu ausführlich Hutter/Teubner, Der Gesellschaft fette Beute, S. 118 ff. Notwendig werden nach Pawlik diese dann anzuerkennenden Institutionen, „wenn sie nach der (gegenwärtigen) Organisation der sozialen Nachbarsysteme des Rechtssystems nicht adäquat durch funktionale Äquivalente ersetzt werden können“ (Pawlik, S. 136). 141 Siehe oben 1. Kap., § 1. 142 Luhmann, Was ist Kommunikation?, S. 113. Weiterhin Pawlik, Betrug, S. 39. 143 Kersting, Politische Philosophie, S. 1 ff. 144 Kersting, Politische Philosophie, S. 7 f.

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kelten institutionellen Wirklichkeit im Sinne des freiheitlichen (Straf-)Rechtssystems146 aus. Die (strafrechtliche) Zurechnung ist bei Hegel das vom objektiven Geist vollzogene Begreifen bzw. die Betrachtung, die Anerkennung des Täters in seiner „normativen Verfaßtheit“, und d.h. bei Hegel: als Vernünftiger und dementsprechend „nach der Ehre, ein Denkendes und ein Wille zu sein“147. 2. Personalität als Voraussetzung von Selbstbewußtsein und Trennung der Strafrechtsperson vom praktischen Subjekt Erst über ein anderes, vom Bewußtsein auch umzusetzendes und von dem des Individuums verschiedenes Maßsystem (hier: das Strafrechtssystem) wird der Hintergrund geschaffen, vor dem die dadurch in der „Außensicht“ konstituierte Person in seiner „Innensicht“148 zum Selbstbewußtsein kommen, sich als freies, selbstgesetzgebendes Subjekt begreifen kann149. Denn „nur vor dem Hintergrund von Vergleichbarem heben sich Konturen ab; genauer: Nur vor dem Hintergrund kommunikativen Sinns erscheint subjektiver Sinn“150. Indem sich die einzelne (Straf-)Rechtsperson in ihrer „Innensicht“ als geschichtliches und gesellschaftliches Wesen versteht, nachvollzieht, realisiert und die (straf-)rechtlichen Normen, die sie konstituieren, zu eigen macht bzw. verinnerlicht, wird sie zum selbstbewußten, praktischen Subjekt, das sich als selbstgesetzgebend weiß. Wie sich die Person in dieser „Innensicht“ begreift, ist aber unabhängig von dem Verständnis des Einzelnen als Rechtsperson, so wie sie vom (Vernunft-) System – d.i. in der „Außensicht“151 – verstanden wird. Ob sich nämlich ein 145

Pawlik, Betrug, S. 34. Wobei zu berücksichtigen ist, daß das Rechtssystem heutzutage nicht mehr als das geschichtlich-notwendige Ganze sondern als ein Teilsystem der Gesellschaft zu begreifen ist, welches wiederum auf geschichtlich-kontingente kommunikative Differenzierungsprozesse in der Gesellschaft Bezug nimmt (hierzu Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 213 ff., S. 220). Immerhin bleibt es mit Hegel und gegenüber der subjektiv idealistischen bzw. naturalistischen neuzeitlichen Philosophie dabei: Die Autonomie der Person wandelt sich von einem vorgesellschaftlichen Vermögen des Vernunftsubjekts zum objektiven Prinzip der institutionellen Wirklichkeit rechtlicher Ordnung. 147 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 120, Anm., S. 226. Die (straf)rechtliche Person erkennt sich im Gegensatz zu Fichte also nicht in einem anderen Du, sondern in der sie konstituierenden Institution bzw. gesellschaftlichen Norm. Dazu eingehend Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 35 ff., S. 37 f.; weiterhin Pawlik, Betrug, S. 34, S. 129 f. 148 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 37. 149 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 34 f. Schon davor ders., ZStW 107 (1995), S. 873. 150 Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 852. Eingehend ders., Norm, Person, Gesellschaft, S. 9 ff. Weiterhin Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 128, Fn. 5. 146

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konkretes Individuum in seinem Innern als Subjekt begreift oder mit den strafrechtlichen Normen instrumental umgeht, bleibt ein irrelevanter Befund, solange sein Verhalten strafrechtlich innersystematisch als Verhalten einer Person verstanden werden kann und im Falle des Versagens der Person die Norm weiterhin als wirklich, d.h. als im Strafrechtssystem die Kommunikation leitend begriffen werden kann152. Im Strafrecht bleibt es insoweit bei einem Geschehen in der Gesellschaft, d.h. in der bzw. als personale(n) Kommunikation153, das von faktischen Zuständen im jeweiligen Bewußtsein bzw. davon, wie sich jedes Bewußtsein innensichtlich faktisch zum es beanspruchenden personalen (Rechts-)System verhält, unabhängig ist: Was nämlich das konkrete Bewußtsein von der personalen Ordnung hält, ob es die personalen Normen als solche erkennt, wie es sich der Norm gegenüber motiviert154, wie viel Anstrengung es aufbringen muß, wie es sich tatsächlich orientiert und was es nach individuellen Gesichtspunkten vom gesellschaftlichen Zusammenhang selektiv zur Kenntnis nimmt, etc., ist prinzipiell unerheblich. Schafft das Strafrecht sein eigenes Kriterium der Zurechnung, so geschieht dies dadurch, daß die Natur (etwa psychische und physische Ereignisse bzw. Zustände155) nicht mehr maßgeblich ist. Weder innerseelische noch äußere Zustände geben den Ausschlag. Zur Welt der Natur kommt eine weitere, sie gleichsam überlappende Welt hinzu156, die ihre eigenen Gesetze (ihr Ordnungsschema) und Gegenstände (wenn man so wil Zustände157, genauer: Handlungen von Personen158) besitzt. Das „Verhalten des Leibes“ partizipiert inso151

Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 37; Pawlik, Betrug, S. 39. So Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 44 f., S. 52 f., S. 83, S. 88. 153 Siehe hierzu Müssig, Mord und Totschlag, S. 218: „Gesellschaft erweist sich unter dieser Perspektive nicht als irgendwie gearteter bzw. organisierter Zusammenhang von Subjekten, sondern (. . .) als Kommunikationszusammenhang; das entscheidende Medium ist Kommunikation (. . .). Das Verhältnis von Subjekt und Gesellschaft ist damit keines der Inklusion – Subjekte gehen nicht in der Gesellschaft auf – sondern ein horizontales, genauer: es ist ein Verhältnis der Differenz. Soziale Identitäten erscheinen so als – kontingente – gesellschaftliche Konstruktionen, als kontextabhängige Resultate von Kommunikations- und Beobachtungsformen“. 154 Dazu Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 67 f., S. 88; Pawlik, Betrug, S. 131. 155 Die hiesige Bezeichnung von Natur folgt dem Vorschlag von Jakobs, der bei der Definition von Individuum auf dessen Leib, sein Bewußtsein und sein Schema von Lust/Unlust abstellt und es nicht etwa als biochemisches System heranzieht. Denn so wird die Unterscheidung von Individuum als unbeschränkter je eigener Welt und sollensgeprägter Person deutlich markiert [siehe hierzu Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 43; oben, 1. Kap., § 1, A. II. 1. b) und 2.]. 156 Genauso Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 46. 157 So Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 561/A 533, S. 488, der von Freiheit als vom Vermögen spricht, „einen Zustand von selbst anzufangen, deren Kausalität also nicht nach dem Naturgesetze wiederum unter einer anderen Ursache steht“. Zu Kant und der Trennung von Natur und Freiheit, Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 45, S. 80 f. 158 Dazu Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 80. 152

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weit an (grob gesagt) zwei getrennten Welten, da es „wegen dieser Zuordnung nicht nur in einem äußerlichen, sondern – wie die Person selbst – in einem normativen Zusammenhang steht“159. 3. Personale und instrumentale Kommunikation: Trennung der Strafrechtsperson vom Individuum Was andererseits an instrumentaler Kommunikation – scil. nach im einzelnen Bewußtsein oder in mehreren oder über mehrere Bewußtsein wie auch immer geschaffenen, das Bewußtsein wiederum beanspruchenden Regeln –, also die je eigene Welt bzw. das je eigene System der Individuen nicht übersteigender Verständigung160 überhaupt stattfindet, versteht sich nach dem hiesigen Konzept eben als Geschehnis in anderen Systemen, scil. als außerstrafrechtlich und der Umwelt der Gesellschaft angehörende Wirklichkeit. Es bestimmt daher die strafrechtliche Zurechnung per se nicht und wohnt ihr nicht inne. Denn Strafrecht bzw. die es letztendlich ermöglichende Gesellschaft – mit dem Worten von Jakobs – „läßt sich nicht als Addition der Bewußtseinsvorgänge einzelner Individuen begreifen; deshalb gibt es keine Gesellschaft, solange sich nach dem Bewußtsein eines Individuums oder auch nach den gleichgestimmten Bewußtseinslagen mehrerer Individuen bestimmt, wie an das Verhalten eines Individuums anzuschließen ist. Auf solche Art und Weise ist aus der instrumentalen, also der je eigenen Welt nicht herauszukommen. Erst wenn die Verständigung der Individuen eine von diesen unabhängige Dynamik entwickelt, endet der je eigene individuelle Bereich und beginnt die nicht mehr auf Individuelles zurückführbare Ordnung“161, scil. eine personale Ordnung als personale Verständigung, als nicht mehr individuelles, sondern gesellschaftliches, freiheits- und selbstbewußtseinermöglichendes Ereignis. Person und Individuum, Sollgestalt und Natur, Gesellschaft und Bewußtsein bleiben kategorial getrennte Welten, so daß im Strafrecht „die Welt der Natur ihre Bedeutung (verliert), ohne aufgehört zu haben zu sein – sie ist nur nicht mehr maßgeblich“162. 4. Strafrechtsperson – Individuum – Gesellschaft Ein freiheitliches Strafrechtssystem muß dennoch berücksichtigen, daß das als Person begriffene Individuum nicht so beansprucht werden kann, daß es 159

Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 81. Zur instrumentalen Kommunikation als Verständigung von getrennten, je einer einzig eigenen, unbeschränkten (individuellen) Welt angehörenden Systemen als Basis des Grundverständnisses des Naturalismus oben, 1. Kap., § 1 II. 1. und 2.; ein- und tiefgehend Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 9 ff. 161 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 40 (Hervorh. von mir). 162 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 45. 160

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seine Grundbedürfnisse im Strafrechtssystem grundsätzlich nicht zu befriedigen vermag. Dann ginge es nicht mehr um Anerkennung des Täters als Freier, sondern um schlichte Gewalt163. So wie das Strafrechtssystem sowohl aus gesellschafts- als auch aus freiheitstheoretischer Sicht die institutionalisierten, normativen Erwartungen anderer Sozialsysteme berücksichtigen muß, um seiner gesellschaftlichen Wirklichkeit gerecht zu werden, bzw. weil das autonome praktische Subjekt nicht vorgesellschaftlich gedacht werden kann164, soll es sowohl aus gesellschafts- wie aus freiheitstheoretischer Perspektive den Bedingungen von (Selbst-)Bewußtsein und sonstigen Grundbedürfnissen des Individuums in der Weise Rechnung tragen, daß das Individuum bei der Erfüllung seiner Pflichten auch sein Auskommen finden kann (scil. eine Mindestausstattung an Lebensgütern, sozialem Status, Wissen), welches ihm eine – normgemäße – autonome Selbstverwaltung bzw. -darstellung grundsätzlich ermöglicht165. Prinzipiell sollte also gelten: Je plausibler die einzelne Person vorbringt, dem Individuum werde bei einer Norm bzw. der Anwendung einer Norm auf den konkreten Fall – i. e. beim strafrechtlichen Zurechnungsvorgang einer Tat – sein Auskommen nicht gewährleistet, desto weniger hat die Person vor der Norm versagt. Daß das Strafrecht personal-kommunikativ geformte, außerstrafrechtliche gesellschaftliche Erwartungen einerseits und individuelle, außergesellschaftliche Bedürfnisse andererseits berücksichtigt, bedeutet trotzdem nicht, daß solche Elemente als äußere Daten ohne weiteres in das System einbezogen werden. Sie werden nach den internen normativen Vorgaben des Strafrechts, nach der Maßgabe seines spezifischen Erkenntnis- und Begründungsinteresses aufgenommen166 und insoweit reformuliert. Das Strafrecht definiert also jeweils, was als „Auskommen des Individuums“ und was als zu berücksichtigende „Erwartungen von anderen sozialen Systemen“ innersystematisch bzw. innerstrafrechtlich gilt. Es handelt sich insoweit um eine (inner-)strafrechtliche normative (Re-) Konstruktion167, auf deren genuin strafrechtlichen Basis die verbindlichen Inter163

So Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 32, S. 46, S. 89. Pawlik, Betrug, S. 36, S. 42 f.; Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 143. 165 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 32, weiterhin S. 58 zur Frage der Normwirklichkeit, S. 78 zur Gewährung des Auskommens als Kehrseite der Beanspruchung von Bewußtsein, schließlich etwa auch S. 98, S. 108; ders., Urkundenfälschung, S. 11 f., insbesondere zur Ausstattung mit Wissen; Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 157; Pawlik, Betrug, S. 35, S. 67 ff., S. 68, S. 72, S. 131; Hutter/Teubner, Der Gesellschaft fette Beute, S. 121. 166 Nach Jakobs läßt sich das Interesse der Individuen an den Normen einer Gesellschaft integrieren, „soweit sich dieses Interesse nicht schon im Grundsatz gegen die Möglichkeit einer Gesellschaft richtet“ (Norm, Person, Gesellschaft, S. 89). Vgl. auch dens., S. 92 ff., S. 95: „Die soziale Ordnung läßt sich auf Bedürfnisse des Individuums nur insoweit ein, als die Möglichkeit der Sozialität dadurch nicht aufgehoben wird“. Eine Entwicklung dieses Gedankens im Bereich des Betrugs findet sich bei Pawlik, Betrug, etwa S. 247. 164

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pretationsmuster der Zurechnung entstehen. In Rede steht also eine innerstrafrechtliche Festlegung168, die weder den Individuen (per Einigung oder Kalkül) noch anderen gesellschaftlichen Systemen verfügbar ist. Sie entsteht vielmehr aus einer „kommunikativ verbindlichen“ und in diesem Sinn genuin strafrechtlichen „objektiven Aufgabe, die besteht oder nicht besteht“169. Aufgabe des Strafjuristen ist es, seinerseits solchen Festlegungen des Systems – um wieder mit Hegel zu sprechen – zuzusehen170, wobei bei Grauzonen, wie etwa beim Versuchsbeginn, die „Feststellung“ – wohlgemerkt: nicht die „Festlegung“171 – der Norm erhebliche Schwierigkeiten bereiten kann. II. Tatbegriff Die Anerkennung des Täters „nach der Ehre, ein Denkende(r) und ein Wille zu sein“172, zeigt sich darin, daß seine Handlungen als Handlungen eines Vernunftwesens und nicht als Handlungen eines bloßen Triebwesens oder einer bloßen, nur ideellen Sollgestalt gedeutet werden. Die Tat ist also weder die formell-noumenale Verletzung eines bloßen Sollens in einer bloß meta-empirischen, noumenalen Welt, noch die empirisch gefaßte Verletzung einer wiederum empirischen Gegebenheit. Sie ist spekulativ in ihrem (Vernunft-)Begriff als Handlung eines nach der dialektischen Methode definierten Vernunftwesens zu verstehen. In Rede steht also eine vom objektiven Geist vollzogene Erkenntnis und in diesem Sinne objektive Zurechnung: Werden der Täter, seine Handlungen und dementsprechend auch die Strafe (inner-)systematisch – d.i. als (Vernunft-)Begriffe – beobachtet, so geht es im Strafrecht nicht um Meinungen173, um subjektive Einschätzungen als bloß empirische oder noumenale Beobachtun167 Pawlik, Betrug, S. 43 ff.; Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 130, S. 230; González-Rivero, Strafrechtliche Zurechnung bei Defektzuständen, S. 120. Siehe aus soziologischer Sicht Hutter/Teubner, Der Gesellschaft fette Beute, S. 119. Dazu, daß das Strafrecht seine eigenen Begriffe unabhängig von anderen Rechtsgebieten bildet, siehe Jakobs, AT, 11/4 ff., neulich zum Privatrecht dens., Urkundenfälschung, S. 61, S. 76; ihm folgend Kindhäuser, BT II, Bd. 1, S. 36: „Das Strafrecht betrachtet die Gesellschaft und das Verhalten ihrer Miglieder ausschließlich aus einer rechtlichen Perspektive (. . .). Eine faktische Betrachtungsweise, die diese Wertung unterläuft, hat im Strafrecht keinen Platz (. . .); das Strafrecht kann durchaus Rechte selbständig begründen und schützen. Das Strafrecht ist jedoch insoweit unselbständig, als seine Wertungen den sonstigen Wertungen der Rechtsordnung nicht widersprechen dürfen“. 168 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 68. 169 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 68. 170 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 2, S. 30; § 31, S. 84 f. 171 Die Formulierung stammt von Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 69. 172 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 120, Anm., S. 226. 173 So Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Schriftliche Notizen zu § 101, S. 195, zu der Bedeutung des Verhaltens des Täters: „So hatte er [der Täter] es nicht gemeint – aber als Vernunft, als Wille getan“. Es geht um objektive Zurechnung,

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gen, sondern um die Aufgabe, dem Begriff des Täters und der Tat nach ihrer dialektischen Entwicklung, d.h. objektiv-systematisch – um mit Hegel zu sprechen – „zuzusehen“174. Damit ist der Begriff der objektiven Zurechnung nicht auf einen Teil der strafrechtsdogmatischen Zurechnung (nach der herkömmlichen Strafrechtsdogmatik als Erfolgszurechnung) zu begrenzen. Diese herkömmliche Leseart findet ihren Ursprung in einem strafrechtssystematischen Verständnis, bei dem das Strafrecht nicht als konkret einheitliches, gesellschaftlich vermitteltes Wirklichkeitssystem verstanden wird, das sich selbstreferenziell eine Wirklichkeit gibt und so reflexive Begriffe schafft175, sondern auf einem Verständnis, bei dem erst bei der „objektiven Zurechnung“ die Zurechnungsdogmatik – systematisch uneinheitlich – für (normative oder empirische) Kriterien der „sozialen Relevanz“ geöffnet wird. Die gesellschaftlich-normative Wirklichkeit des (Straf-) Rechts wird nicht in ihrer vollen Tragweite gesehen und die Regeln der Zurechnung werden nicht als genuin rechtlich begriffen, sondern auf unterschiedliche Fundamente zurückgeführt, die unter der einheitlichen Perspektive einer nicht zu einer gesellschaftlichen bzw. personalen, sondern instrumentalen – hier als naturalistisch charakterisierten – Kommunikation gewachsenen „Wirklichkeit“ (wie bei der Eindruckstheorie oder bei der normativ-intersubjektiven Theorie Zaczyks) zusammenzubinden wären. Für die Person bedeutet dies, daß sie teils nach einer normativ definierten Rolle, teils empirisch begriffen wird. Die Normativität der Rolle wird bei einer solchen Sichtweise zu einem bloßen Hilfsbegriff einer instrumentell gefaßten Kommunikation, d.h. zu einem Hilfsbegriff zur Konstruktion von Klugheitsregeln innerhalb eines präventiven Konzepts. Nochmals: Die Zurechnung als objektive Schuldzurechnung erfolgt nach den Erkenntnissen der Vernunft, d.h. nach der Beobachtungsart des Systems, d.h. nach den (inner-)systematischen Kriterien des Vernunftsystems, nach dem Begriff von Zurechnung, den sich die Vernunft selbst als eigene Konstruktion ihrer Welt gibt. Wird unter Rückbezug auf die moderne Systemtheorie der wirklichkeitsschaffende Begriff „Vernunft“ gesellschaftstheoretisch durch den wirklichkeitsschaffenden Begriff „Kommunikation“ ersetzt, ist die Tat die kommunikative – früher: „vernünftige“ – Bedeutung bzw. der Sinnausdruck eines Verhal-

um die gültige, maßgebliche Deutung des Verhaltens des Täters nach dem objektiven Geist. 174 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 2, S. 30; § 31, S. 84 f. 175 Zum Begriff der Selbstreferenz aus erkenntnistheoretischer Perspektive siehe Luhmann, Soziale Systeme, S. 647 ff., S. 660. Zu den erkenntnistheoretischen Prämissen der modernen Theorie der sozialen Systeme, die „in der Tradition des erkenntnistheoretischen Idealismus“ steht, Luhmann, Erkenntnis als Konstruktion, S. 8 ff. Zu einem auf der Systemtheorie basierenden Verständnis des (Straf-)Rechtssystems siehe neulich Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 126 ff.

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tens. Es geht also um die „Zuschreibung rechtlich relevanter Bedeutung als Ergebnis rechtlicher Interpretationspraxis und damit Konstruktion von Wirklichkeit unter den Beobachtungsperspektiven des Rechtssystems“176, d.h. um „objektive Zurechnung“177. Die Handlung ist also als „Emanation“178 des Täters, als – so Hegel weiter – „Denkender und Wille“ bzw. als „Person“179 und insofern als gesetzter subjektiver Wille eines Täters als eines vom Rechtssystem – vom objektiven Geist – anerkannten Vernunftwesens zu verstehen. Wenn auch die Tat inhaltlich dem objektiven Geist, dem Recht nicht entspricht und sich daher als Unrecht darstellt, wird sie dennoch objektiv-normativ bzw. als Emanation eines Vernünftigen, als Geschehen im (Vernunft-)System, d.h. als (formell) nach dem System zu deutender Sinnausdruck beobachtet180. Dadurch ist die gültige Deutung des Verhaltens des Täters charakterisiert. Der Täter wird also als Vernünftiger verstanden, seine Tat wird als seine – dies sei nochmals betont – nicht nur jenseits oder diesseits des Empirischen loziert, sondern als – wenn auch nur formell – vernünftige Erscheinung, als Manifestation bzw. Emanation genommen. Dem Täter werden also eine Identität als (Straf-)Rechtsperson, als Zurechnungsfähiger, und eine Handlung als (Straf-)Tat zugerechnet. Der Begriff der Tat als „subjektiver Wille“ des Täters darf nicht nach der im Strafrecht geläufigen Tendenz zum Naturalismus umgedeutet werden, darf also nicht nach der empirischen Seite181, d.i. nach Hegel abstrakt bzw. ungültig als psychologischer Wille, als Willkür mißverstanden werden. Dies würde das hier dargestellte, einheitliche System182 nicht berücksichtigen und stellte einen Übergang in das von Hegel selbst kritisierte Feuerbachsche System dar183. Die Zuschreibung der Tat als Rechtsverletzung wird nach einem (inner-)systemati176

Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 136. Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 153. Zum Verständnis der Schuldzurechnung im heutigen Strafrecht, siehe Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 85; dens., Handlungsbegriff, S. 40 ff., S. 44. 178 Vgl. heutzutage in diesem Sinne auch das Konzept von Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 81, S. 108. 179 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 36, S. 95. Aus moderner gesellschaftstheoretischer Perspektive Luhmann, Soziale Systeme, S. 225 ff.; weiterhin Jakobs, Norm, Person, Gesellschft, S. 29 ff.; ders., ZStW 107 (1995), S. 844 ff., S. 859 f. 180 Vgl. zu Hegel auch Lesch, Verbrechensbegriff, S. 87, S. 126. Vgl. auch in dieser Tradition das Modell von Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 82: „Freilich wird ein Fehler dem zugerechnet, der ihn begangen hat, und dabei kann es sich nicht um ein Stück Natur handeln, sondern nur um etwas, dem angesonnen werden kann, sich als Teilnehmer der normativen Verständigung zu begreifen. Insoweit wird einer formellen Person zugerechnet“. Siehe auch Jakobs, S. 100. 181 Auch das Modell von Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 103. 182 Zutreffend die Kritik Leschs, Verbrechensbegriff, S. 100 ff., 108 ff., an der psychologisierenden Interpretation des subjektiven Willens bei Hegel in der Literatur. 177

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schen Prozeß realisiert. Dabei wird nicht ein bloß empirisches, auf der empirisch-realen innerseelischen Disposition des handelnden Subjekts und auf kausalen oder bloß psycho-soziologischen Verhältnissen begründetes Kriterium zum Maßstab erhoben, sondern ein (inner-)systematisches, d.i. ein der konkreten Sittlichkeit einer Gesellschaft bzw. dem objektiven Geist entsprechendes, objektiv-normatives Deutungsschema bzw. Zurechnungsmuster184. Da „in seiner [scil. des Täters] als eines Vernünftigen Handlung liegt, daß sie etwas Allgemeines, daß durch sie ein Gesetz aufgestellt ist“185, beinhaltet der Begriff „subjektiver Wille“ als des Täters Wille eine nach der Begriffskonstruktion des Systems (inner-)systematische Bedeutung. Der Begriff des Willen des Täters trägt auf diese Weise einen Gehalt als allgemeines Gesetz, das der Täter als Vernunftwesen in seiner Tat nach (inner-)systematischer Deutung, eben dem Begriff nach, rechtssystemintern, d.i. objektiv ausdrückt186. Das Verhalten des Täters kommuniziert bzw. drückt nach einem objektiv-normativen gesellschaftlichen Deutungsschema einen ernst zu nehmenden, rechtlichen Entwurf aus187. Eine in diesem Sinne kommunikative Theorie bzw. Ausdruckstheorie als (Versuchs-)Unrechtstheorie wird in dieser Arbeit ihrem prinzipiellen Verständnis nach zugrunde gelegt. Aufgabe des Strafjuristen ist es nunmehr, ein solches maßgebliches system- bzw. strafrechtsinternes Deutungsschema darzustellen und für die verschiedenen Bereiche der Dogmatik, hier für das Versuchsunrecht, plausibel188 zu machen. III. Strafbegriff Dementsprechend ist letztlich der Strafbegriff zu verstehen. Die Strafe bedeutet nicht die bloß ideelle Wiederherstellung einer außerstaatlichen Ordnung189 183 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 99, Anm., S. 188 mit Zusatz, S. 190. 184 So auch Lesch, Verbrechensbegriff, S. 126 ff., mit Verweis auf Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte I, S. 43, nach dem „in der Weltgeschichte durch die Handlungen der Menschen noch etwas anderes überhaupt herauskomme, als sie bezwecken und erreichen, als sie unmittelbar wissen und wollen; sie vollbringen ihr Interesse, aber es wird noch ein Ferneres damit zustande gebracht, das auch innerlich darin liegt, aber das nicht in ihrem Bewußtsein und in ihrer Absicht lag (. . .). Dies mag nicht im Bewußtsein, noch weniger im Willen des Täters gelegen haben, aber dies ist seine Tat an sich, das Allgemeine, Substantielle derselben, das durch sie selbst vollbracht wird“. 185 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 100, S. 190. 186 So auch Lesch, Verbrechensbegriff, S. 108. 187 Siehe nur Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 81, S. 83. 188 Denn in vielen Bewertungsfragen bleibt der „Kontingenzbereich zu groß“, um rechtliche Argumente als „zwingend“ zu präsentieren (siehe Pawlik, Betrug, S. 45; ähnlich ders., Der rechtfertigende Notstand, S. 105). 189 Siehe zu Kant, oben 1. Kap., § 1 A. I.

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und auch nicht einen Beitrag zur äußeren Ruhe190 von Triebwesen, sondern einen innersystematischen, spezifischen und genuin funktionalen Zusammenhang bzgl. ihrer Tat191: die Wiederherstellung der durch die Tat gebrochenen Geltung des (Straf-)Rechts als einer in der Weltgeschichte zu seiner Freiheit gekommenen Welt des objektiven Geistes. Ist das Recht nun das System der von der Vernunft, d.i. vom objektiven Willen in seiner geschichtlichen Entwicklung192 hervorgebrachten, gesetzten Freiheit, dann ist der vom Einzelnen gesetzte, der Vernunft widersprechende, besondere bzw. subjektive Wille nach dieser systematischen Beobachtung des Rechts „ungültig“, „unwahr“, „unwirklich“193. Die Wirklichkeit und Gültigkeit stiftende Einheit von Subjekt und Objekt, Form und Inhalt, Wesen und Erscheinung wird nicht erreicht. Die Erscheinung entspricht also der dem Täter zugerechneten Vernünftigkeit, dem „an sich seienden Willen (und zwar hiermit ebenso diesem Willen des Verletzers als des Verletzten und aller)“194, nicht, so daß „der Verbrecher dieser Widerspruch in sich selbst (ist)“195. Der Täter bleibt dementsprechend an sich formell, subjektiv, wesentlich vernünftig bzw. zurechnungsfähig, aber an und für sich, d.i. in Wirklichkeit, objektiv, inhaltlich, in seiner Manifestation unvernünftig, so daß diese seine Erscheinung, scil. das Dasein des Unrechts, als unwirklich „in sich nichtig ist“196. Trotzdem ist die geschehene Tat, d.h. der besondere Wille des Täters, die Existenz des Verbrechens, „anerkannte Existenz (nicht äußerliches, sondern vom Willen gesetztes Dasein)“, so daß „jene besondere gilt“197. Durch die Strafe wird der Täter für seine Tat zur Verantwortung gezogen und das Recht in seiner Geltung bestätigt. Die Strafe „ist das Aufheben des Verbrechens, das sonst gelten würde“198, d.h. „allgemeine Existenz haben würde, denn einzelnes Sein ist hier allgemein – für alle“199, denn „indem (. . .) der Han190 191 192

Feuerbach, Revision II, S. 111. Siehe heute das Modell von Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 103. Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 20 ff., S. 22,

S. 28. 193 Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 52: „Was das Individuum für sich in seiner Einzelheit sich ausspinnt, kann für die allgemeine Wirklichkeit nicht Gesetz sein“. Wobei zu bemerken ist, daß nur der subjektive Wille, die Tat und nicht der Täter als Person unwirklich und zu marginalisieren ist. Hierzu Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 104. 194 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 99, S. 187. 195 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Handschriftliche Notizen zu § 99, S. 188. Siehe auch das Modell von Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 103, zum Tatbegriff: „Aber die Gesellschaft, die auf der Definition seiner als – und sei es eine formelle – Person beharrt, interpretiert das Verhalten dergestalt, solange sie überhaupt wirklich ist; sie versteht es nicht als Natur, sondern als Widerspruch (. . .) als ernstzunehmende Aussage“. 196 So Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 97, S. 185, § 82, S. 172. 197 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Handschriftliche Notizen zu § 99, S. 189. 198 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 99, S. 187.

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delnde ein vernünftiges Wesen ist, so liegt in seiner Handlung, daß sie etwas Allgemeines sei“200. Die Tat wird also zum Grund der sie aufhebenden Strafe: Aus der Tat selbst wird also „der Begriff und der Maßstab seiner Strafe genommen“201, denn – so Hegel schließlich – „was (. . .) nichtig ist, muß sich als solches manifestieren, daß heißt, sich als selbst verletzbar hinstellen. (. . .) Das wirkliche Recht ist nun Aufhebung dieser Verletzung, das eben darin seine Gültigkeit zeigt und sich als ein notwendiges vermitteltes Dasein bewährt“202. Mit anderen Worten: Das (Straf-)Recht wird erst wirklich, wenn es sich in seiner Geltung bewährt und damit auch die „Form von Notwendigkeit“203 seiner Freiheitsbestimmungen. Das Recht als Freiheitssystem muß nämlich seine substantiellen Freiheitsbestimmungen als Pflichten204 in ihrer „Notwendigkeit“ erhalten, d.i. „das Recht soll gelten“205 bzw. soll Wirklichkeit206 bleiben. Denn, so Hegel weiter, „diese Einheit des vernünftigen Willens mit dem einzelnen Willen, welcher das unmittelbare und eigentümliche Element der Betätigung des ersteren ist, macht die einfache Wirklichkeit der Freiheit aus“207. Wird das Recht vom einzelnen nicht unmittelbar in seiner Geltung bestätigt, dann leistet dies die Strafe als „Wegräumung der Existenz des Verbrechens“208, als „Marginalisierung der Tat“209, als „Wiederherstellung des Rechts“210, d.i. 199 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Handschriftliche Notizen zu § 99, S. 187. Wie hier Jakobs, Staatliche Strafe, S. 25 f. 200 Hegel, Rechts-, Pflichten- und Religionslehre für die Unterklasse, Rechtslehre, § 20, in: Nürnberger und Heidelberger Schriften, S. 244, der daraus Konsequenzen für die – von Lesch, Verbrechensbegriff, S. 84, so bezeichnete – „subjektive Rechtfertigung der Strafe gegenüber dem Verbrecher“ zieht. Siehe hierzu Hegel weiter: „Der Handelnde darf daher für sich unter dieselbe Handlungsweise, die er aufgestellt hat, subsumiert und insofern die durch ihn verletzte Gleichheit wieder hergestellt werden: ius talionis“. Vgl. auch Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 100, S. 190: „Die Verletzung, die dem Verbrecher widerfährt, ist nicht nur an sich gerecht – als gerecht ist sie zugleich sein an sich seiender Wille, ein Dasein seiner Freiheit, sein Recht –, sondern sie ist auch ein Recht an dem Verbrecher selbst, d.i. in seinem daseienden Willen, in seiner Handlung gesetzt. Denn in seiner als eines Vernünftigen Handlung liegt, daß sie etwas Allgemeines, daß durch sie ein Gesetz aufgestellt ist, das er in ihr für sich anerkannt hat, unter welches er also als unter sein Recht subsumiert werden darf“. Hierzu ausführlich Lesch, Verbrechensbegriff, S. 84 ff. Zu Recht kritisch zur Bedeutung dieser Stelle in der Straftheorie Hegels, Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 108: „Denn der Normbrecher in seiner nur-formellen Vernünftigkeit (. . .) kann der Gesellschaft nicht aufzwingen, wie zu verfahren ist“. 201 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 100, Anm., S. 191. 202 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 97, Zusatz, S. 186. 203 Hegel, Enzyklopädie, § 484, S. 303 (Hervorh. dort). 204 Hegel, Enzyklopädie, § 486, S. 304. 205 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 29, Handschriftliche Notizen, S. 81. Vgl. auch Hegel, Enzyklopädie, § 484, S. 303. 206 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 51 ff., S. 98 und passim. 207 Hegel, Enzyklopädie, § 485, S. 303. 208 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 99, Anm., S. 188.

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als „die Wirklichkeit des Rechts, als seine sich mit sich durch Aufhebung seiner Verletzung vermittelnde Notwendigkeit“211. Das vom besonderen Willen in der Welt Gesetzte, wenn auch als Erscheinung eines Vernunftwesens und deswegen der Form nach Allgemeines und Gesetz, stellt auf diese Weise kein gültiges Gesetz dar. Es wird nicht zu einem wirklichen, allgemeingültigen Gesetz. Das Recht bewährt sich, gilt, ist erst wirklich in der Vollziehung der Strafe, so daß die Strafe nicht ein Mittel der „Erhaltung“ des (Straf-)Rechts, sondern seine „Erhaltung selbst“ ist212: „Das wirkliche Recht ist nun Aufhebung dieser Verletzung, das eben darin seine Gültigkeit zeigt und sich als ein notwendiges vermitteltes Dasein bewährt“213. „So ist und gilt das Recht, gegen den bloß für sich seienden einzelnen Willen bewahrt, als durch seine Notwendigkeit wirklich“214. Im Ergebnis wird bestraft, weil der Täter verbrochen bzw. das Recht nicht zur Geltung gebracht hat – quia peccatum est –, um das Verbrechen als unmaßgebliches Gesetz zu entlarven, seine Nichtigkeit zu zeigen und das Recht wiederherzustellen – „also relativ und keineswegs absolut ab effectu“215. Hierin liegt die Funktionalität der absoluten Strafe Hegels: Die Strafe zeigt, daß die Tat als Sinnausdruck eines Vernünftigen ernst zu nehmen ist, d.i. „anschlußfähiger“, einen strafrechtlichen Inhalt vorschlagender Sinnentwurf, nicht aber allgemein „maßgeblich“ ist216. Maßgeblich bleibt einzig und allein der objektive Geist, der in seiner Gültigkeit garantiert wird217. Die vorherrschende Auffassung von der (strafrechtlichen) Strafe, nach der ihre Funktion in ihrer Wirkung auf das Bewußtsein liegt (General-, Spezialprävention), „begreift“ nach Hegel das Strafrecht nicht und setzt damit falsch an. Denn „die verschiedenen Rücksichten, welche zu der Strafe als Erscheinung und ihrer Beziehung auf das besondere Bewußtsein gehören und die Folgen auf 209

Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 103. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 99, S. 187. 211 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 97, S. 185. 212 So auch das Modell von Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 844; dems., Norm, Person, Gesellschaft, S. 106. 213 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 97, Zusatz, S. 186. Vgl. auch dens., § 82, S. 172: Das Recht stellt sich durch Aufhebung des Verbrechens wieder her, „durch welchen Prozeß seiner Vermittlung, aus seiner Negation zu sich zurückzukehren, es sich als Wirkliches und Geltendes bestimmt“ (Hervorh. dort). 214 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 104, S. 198. 215 Lesch, Verbrechensbegriff, S. 99; ihm folgend Kohlschütter, Das Maß des Straftatunwerts, S. III, S. 17 ff. Vgl. davor Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 107. 216 Vgl. Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 82 f., S. 108; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 98. 217 Siehe hierzu in einem systemtheoretischen Kontext auch Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 131 f., S. 141 („Rechtsgeltung als Funktion strafrechtlicher Zurechnung“). 210

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die Vorstellung (abzuschrecken, zu bessern usf.) betreffen (. . .) setzen die Begründung voraus, daß das Strafen an und für sich gerecht sei“218, scil. daß das Strafen das Recht als Idee, als System der Freiheit, in seiner Geltung bestätigt. Zum Begriff der Strafe – scil. bei Hegel zur Gerechtigkeit – gehört nur die Aufhebung der Tatschuld, nicht andere Wirkungen, die außerhalb dieser Tatschuld, d.h. außerhalb der Verantwortlichkeit des Täters als Vernünftigen loziert sind219. Freilich muß der konkrete Begriff der Strafe der Wirklichkeit des Rechts220, also der Kommunikation im Strafrechtssystem entsprechen und d.h., die Wirklichkeit von Individuen und Gesellschaft in seinem Begriff auch berücksichtigen. Hier wird das oben dargestellte Modell einer naturalistisch-präventiven Straftheorie verlassen221, die auf Prävention im klassischen Sinne (Verhaltenssteuerung) abstellt222. IV. Fazit Nach dem aus dem Idealismus entwickelten systematischen Verständnis des (Straf-)Rechtssystems gibt sich das (Straf-)Recht sein Objekt, so daß der Strafrechtsbegriff und die einzelnen Begriffe, wie das Kriterium der Zurechnung, ein Konstrukt des Systems sind. Das (Straf-)Rechtssystem setzt also keine Gesellschaftsordnung, kein naturalistisches Gesellschaftsbild, als Objekt voraus, auf das es sich bezieht, sondern es bringt sein eigenes Objekt hervor. Nach diesem Verständnis des Rechts als (vernünftige bzw. personal kommunikative und d.h. auch freiheitliche) Gesellschaftsordnung bildet die Natur also kein selbständiges Moment der (straf-)rechtlichen Zurechnung, das (Straf-)Recht schafft vielmehr sein eigenes (inner-)strafrechtliches Kriterium der Zurechnung. Mag ein Verhalten in anderen Systemen als sozialschädlich oder sozialadäquat, als gerecht oder ungerecht, störend oder nicht störend, gut oder böse gelten, im Strafrecht geht es um ein innerstrafrechtliches Kriterium der Zurechnung: objektive Schuldzurechnung.

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Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 99, Anm., S. 188. Vgl. zum Unterschied zwischen Strafe als kommunikativem Ereignis und Strafe als Geschehen in der Welt von Individuen eingehend Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 103 ff., S. 104, S. 106. 220 Hierzu ausführlich Jakobs, Staatliche Strafe, S. 26 ff. 221 Siehe oben 1. Kap., § 1 A. II. 1. b) und 2. 222 In diesem Sinne Jakobs, Zur gegenwärtigen Straftheorie in: Strafe muss sein! Muss Strafe sein?, S. 40; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 202; Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 132. 219

§ 6 Das „Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung“ (§ 22 StGB): das Unrecht des Versuchs A. Rück- und Überblick Im letzen Abschnitt ist die der Zurechnung zum Versuch zugrunde gelegte, methodische Beobachtung des strafrechtlichen Phänomens erörtert worden. Von freiheitslegitimatorischen Gesichtspunkten her werden dem praktischen Subjekt im Strafrecht als freiheitsermöglichendem gesellschaftlichem System die realen Bedingungen seiner Freiheit garantiert. Als reale Freiheit gewährleistendes Sozialsystem stellt sich das Strafrecht als ein sozial-funktionales Teilsystem dar, welches sich seinen (personal-kommunikativen) Gegenstand gibt. Nach diesen Prinzipien erklärt es die Rechtsperson für bestimmte Aufgaben für zuständig1. Diese Zuschreibung von Zuständigkeiten ist eine innersystematische Definition des Strafrechts. Aus diesem Grund stellt es eine geschichtliche Konstruktion dar, die vom Selbstverständnis der jeweils konkreten Gesellschaft abhängt2. Das Strafrecht dient der Erfüllung dieser (näher zu konkretisierenden) Aufgaben bzw. dazu, daß die Pflichten auferlegende Norm befolgt wird. Kurz: der Normgeltung3. Nachfolgend sollen die allgemeinen Kriterien (straf-)rechtlicher personaler Identität, die auf metadogmatischer Ebene dargestellt worden sind, zur dogmatischen Gestalt eines Zurechnungsmusters zum Versuch entwickelt werden. Ging es metadogmatisch um das personale Schema Sollen/Freiraum, d.h. um die Aufgabenerfüllung als Beitrag zum Bestand der – Freiheit, Selbstbewußtsein und individuellen Sinn erst ermöglichenden – „Gruppe“4 als Synallagma zur Gewährleistung von Freiheitsräumen, so ist strafrechtsdogmatisch die Konkretisierung dieses Gedankens zu bewältigen. Gemeint ist das Konstrukt einer Person als Bündel von Rechten und Pflichten, die strafrechtlich fixierte – und d.h.: normativ, nicht gesellschaftsabgehoben-ontologisch5 festgelegte – interpersonale 1 Es handelt sich also weder um Verhaltenssteuerung noch um Verhaltensprognose (kognitive Erwartungen), sondern um Zuständigkeitsverteilung von Aufgaben zugunsten des Bestands der Gruppe bzw. zugunsten des Zwecks des sozialen Systems, hier des Strafrechts. Der Begriff der Norm als normative Erwartung (siehe nur Jakobs, AT, 1/4) versucht diesen Sachverhalt im Kontrast zu einem naturalistischen Verständnis (Norm als kognitive Erwartung) annähernd zu bezeichnen. 2 Siehe nur Jakobs, Imputación objetiva, S. 89 ff. 3 Siehe nur Jakobs, FS Seiji Saito, S. 770 (20) und passim. 4 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 29 ff.

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Aufgaben- bzw. Zuständigkeitsverteilung, die eine konkret-reale personale Freiheit innerhalb einer konkreten Gesellschaft ermöglicht6. Der Täter tritt ebenso wie der sonstige Bürger also nicht als naturalistisch beobachtete Wirklichkeit in Rechtsbeziehungen ein, sondern als normativ beobachtetes Selbst, so daß er sich in rechtlichen Beziehungen nicht auf seine angeblich ins Strafrecht eingebrachte, naturalistisch vorbestimmte Identität, sondern ausschließlich auf seine normative, sozial-objektiv anerkannte, innerstrafrechtliche Identität berufen kann7. Bei den folgenden Überlegungen handelt es sich noch um einen abstrakten Person- und Tatbegriff, als die Frage der Zurechnungsfähigkeit des Täters, insbes. die Normkenntnis, die die Tatbestandskenntnis einschließt, noch nicht behandelt wird. Um ein konkretes Sollen, die konkrete Tat und die konkrete Tätereigenschaft der agierenden Person zu bejahen, ist die Zurechnungsfähigkeit, d.i. die per objektiver Zurechnung festzustellende Einsichts- und Befolgungsfähigkeit der konkreten Person des Täters, hinzuzunehmen. Diesen Sachverhalt bringt Lesch auf den Punkt: „Das abstrakte ,Sollen‘ besitzt (. . .) lediglich die Qualität eines vorläufigen Moments, ist also an sich bloß ein potentielles Sollen, das sich erst bei gegebener Zurechnungsfähigkeit als wahrhaftes (strafrechtliches) Sollen erweist“8. Der folgende Abschnitt thematisiert das so konzipierte abstrakte Sollen beim Versuch begrifflich, scil. das „Unmittelbare Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung“ (§ 22 StGB), um nachfolgend die hier interessierende Frage der Zurechnungsfähigkeit, nämlich die „Tätervorstellung“ (§ 22 StGB) zu behandeln.

B. Personen- und Tatbegriff im Hinblick auf freiheitliche Anerkennungsverhältnisse I. Zur freiheitlichen Perspektive des Begriffs der (Straf-)Rechtsperson als Eigentümer bzw. Inhaber von Rechten Die Strafrechtsperson – sowie ihre Emanationen (Anerkennung oder ihr Gegenteil, die Tat) – wird innersystematisch konstruiert. In der personal-gesellschaftlichen wie auch in der instrumentell-„gesellschaftlichen“ Kommunikation 5

Pawlik, Betrug, S. 129. Siehe dazu Jakobs, Imputación objetiva, S. 89 ff., insbesondere S. 93 f. Es geht also um objektive Schuldzurechnung. 7 Siehe oben § 5. Siehe auch die Bemerkung von Jakobs, Die juristische Perspektive zum Aussagewert der Handlungsanalyse einer Tat, S. 22: „Was überhaupt ein Subjekt ist, muß erst einmal ausgemacht werden und das Ergebnis wird je nach dem Zweck, zu dem man ein Subjekt ausmacht, verschieden sein. Die Verabsolutierung einer wissenschaftlichen Konzeption eines Subjekts zum Subjekt-an-sich ist nichts anderes als eine Verabsolutierung einer wissenschaftlichen Perspektive zur Realität-ansich“. 8 Lesch, Verbrechensbegriff, S. 220 (Hervorh. von mir). 6

§ 6 Das „Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung‘‘

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ist Interaktion nur über die erfahrbare Welt möglich. Dabei erfolgt Kommunikation über die erfahrbare Welt9 nach den Erkenntnisprinzipien des jeweils ordnenden Systems, und d.h., die Konstruktion der Sollgestalt „Rechtsperson“ sowie die Konstruktion des instrumentell handelnden Individuums finden je nach systematischem Verständnis durch Zuordnung von Mitteln zur Interaktion (etwa einem Leib) statt. In diesem Sinne spezifiziert Jakobs zur Leiblichkeit10 von Personen und Individuen: „Das heißt nicht, die Person sei mit einem Leib von Natur aus verbunden. Es geht nicht um Naturwüchsigkeit, sondern um Zuordnung, und zwar nicht erst bei der Person, sondern schon beim Individuum. Daß bei diesem auf seinen Leib, sein Bewußtsein und das Schema von Lust und Unlust abgestellt wird, hängt vom Ordnungsinteresse ab; in der Perspektive – etwa – eines Biochemikers wäre das Individuum ein biochemisches System; Lust und Bewußtsein kämen in dieser Weltbeschreibung nicht vor. Aber gerade auf letzteres abzustellen wird erforderlich, wenn die maximale Gestalt der noch unbeschränkt eigenen und deshalb sollensleeren Welt bezeichnet und damit der Schnitt zur Person präzise gezogen werden soll“11. Im Strafrecht geht es um eine Ordnung von Sollgestalten, die über ihnen zugeordnete Organisationsmittel bzw. Eigentum Kommunikation vermitteln12. Es handelt sich also weder einseitig um einen Kantschen homo noumenon als reine Sollgestalt, etwa als außergesellschaftliche Normativierung des Täter- bzw. Personbegriffs, noch um einen homo phänomenon bzw. ein Individuum als naturalistisches Konstrukt, sondern um den konkreten Begriff der Rechtsperson als konkretes strafrechtliches Konstrukt. So kritisiert Hegel in seiner Rechtsphilosophie13 die „ideenlose“ Trennung von der Person als Ding an sich und als Ding für sich, so daß die „Seele (der Begriff und höher das Freie) und der Leib14 nicht geschieden“ sind; vielmehr gilt nach Hegel folgendes, „Meinem Körper von anderen angetane Gewalt ist Mir angetane Gewalt“15. Der Leib und/oder die (sonstigen) Zuordnungen zur Sollgestalt sind die Person selbst16 (Eigen9 Zur Gesellschaft als Ordnung dieser Vermittlung siehe Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 80 f.; neulich dens., FS Roxin, S. 795. 10 Wobei hier dahingestellt werden soll, ob sog. juristische Personen auch als strafrechtliche Personen zu berücksichtigen sind; in diesem letzten Fall bliebe Eigentum als Oberbegriff für die Konstitution von Strafrechtspersonen weiter erhalten. 11 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 42, S. 43, S. 81. 12 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 43; ders., FS Roxin, S. 795. 13 Vgl. zum folgenden die Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 48, S. 111. 14 Hier soll der Begriff Leib im weitesten Sinn verstanden werden, d.h. als Eigentum. 15 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 48, S. 112 (Hervorh. dort); weiterhin § 47, S. 110. 16 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 41, Zusatz Gans, S. 102: „Erst im Eigentum ist die Person als Vernunft“, denn so Hegel weiter, „die Person muß sich eine äußere Sphäre ihrer Freiheit geben, um als Idee zu sein“.

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tum17 im weiten Sinn18). Beschränkt auf „leibliche“ (Strafrechts-)Personen heißt dies, daß die freiheitliche (Strafrechts-)Person als eben sich selbstbestimmend zur Formierung der Welt bzw. zu sozialrelevanten Selbstdarstellungen fähig sein muß, wofür nicht nur ein Leib im engsten Sinn, sondern auch weitere Organisationsmittel, etwa Freiheit zur Nutzung der Fähigkeiten, Sachen und Wissen19 notwendig sind: Sacheigentum, Vermögen, Wissen bzw. Orientierung, Entscheidungs- und Verhaltensfreiheit usf. machen die (Strafrechts-)Person konkret aus. Die sonstigen institutionellen Leistungen (dazu gleich im Text), die zur (straf-)rechtlichen Freiheit der Person gehören, sind auch als Eigentum im weiteren Sinne konzipierbar20. Denn in unserer Gesellschaft verfügt die Person zum Zwecke ihrer Freiheitsentfaltung nicht nur über (persönliche) Mittel, sondern auch über (institutionelle, insbes. familiäre und staatliche) Leistungen: polizeilichen und richterlichen Schutz ihres Eigentums, Ausbildung, elterliche Fürsorge. Wird hier verallgemeinernd vom Begriff der Eigentumsumschichtung im weitesten Sinne gesprochen, so wird dieser als prinzipielle Anmaßung der der Person zustehenden Mittel und Leistungen verstanden. Wohlgemerkt konstituieren diese Zuordnungen strafrechtliche Begriffe, scil. Rechte der Person21. Es geht also nicht um Rechtsgüter im herkömmlichen Sinne, ebensowenig wie bei der Tat um eine Rechtsgutsverletzung, sondern vielmehr um eine Rechtsverletzung. Dabei ist folgendes zu berücksichtigen: Erstens bestehen die Rechte zur Ausübung von Freiheit und d.h. auch zur Erfül17

Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 41 ff., S. 102 ff. Jakobs, Urkundenfälschung, S. 11; ders., FS Roxin, S. 796. 19 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 43, Anm., S. 104; Ritter, Person und Eigentum, S. 67; Jakobs, FS Roxin, S. 799; davor dens., Urkundenfälschung, S. 11 f.; dens., FS H. Kaufmann, S. 809; grundsätzlich auch Kindhäuser, BT II, Band 1, S. 37, nach dem das Strafrecht „Eigenschaften von Personen, Sachen oder Institutionen“ schützt, „die eine rechtlich anerkannte freie und gleiche Teilnahme am sozialen Leben ermöglichen und absichern“, wonach solche Eigenschaften „nur nach Maßgabe des an ihnen bestehenden Rechts geschützt werden“. 20 Die außerstrafrechtlichen, etwa öffentlich-rechtlich begründeten Rechtsverhältnisse werden von dieser Perspektive in Rechtspositionen individualisiert; diese Rechtsverhältnisse erscheinen auf diese Weise einem subjektiven Rechtsanspruch gegen den institutionell Pflichtigen vergleichbar. Zur Entwicklung dieses Gedankens bei der positiven Pflicht der Mindestsolidarität des 323c StGB vgl. allgemein Müssig, Mord und Totschlag, S. 367 m. w. H. zur strafrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Literatur. Institutionelle Pflichten werden hier auf dieser allgemeinen Bedeutungsebene also vornehmlich aus freiheits- und geltungstheoretischer Perspektive als subjektiv-rechtlich begründete Rechtsverhältnisse den negativ-pflichtigen Rechtsverhältnissen gleichgestellt. 21 Nicht die „Orientierung an Gütern“ (Polaino-Navarrete, FS Gössel, S. 165) ist „notwendig“, sondern an Begriffen, an strafrechtlich bestimmten Rechten und Pflichten, die freiheitlich je nach dem Selbstverständnis einer Gesellschaft inhaltlich geschaffen und erfüllt werden. 18

§ 6 Das „Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung‘‘

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lung der zu ihrer Freiheit gehörenden und sie ausmachenden Pflichten. Wird der Person Eigentum zugeordnet, dann handelt es sich um ein durch Verantwortung bestimmtes Eigentum, d.h., zum Eigentumsbegriff gehören zwei untrennbare Seiten, scil. Rechte und Pflichten. II. Zur freiheitlichen Perspektive des Begriffs der (Straf-)Rechtsperson als Inhaber von Pflichten bzw. als Garant von Freiheit 1. Positive Pflichten Das Strafrecht hat die Aufgabe, sein geschichtliches und teilgesellschaftliches Verständnis von Freiheit zu gewährleisten. In Anlehnung an eine lange philosophische Tradition, die zwischen negativen und positiven Pflichten differenziert22, entspricht ein Teil der strafrechtlichen Pflichten einerseits der gesellschaftlich-funktionalen, unersetzbaren Abhängigkeit der freiheitlichen Funktion des Strafrechts von anderen (außerstraf-)rechtlichen und gesellschaftlichen Institutionen (insbesondere Staat23 und Eltern-Kind-Verhältnis)24. Die Leistung solcher Institutionen für das Strafrecht, die außerstrafrechtlich unvollständig garantiert werden25, sind wegen ihrer Unersetzlichkeit für das Strafrechtssystem und nach den Prämissen des Strafrechts26 eben strafrechtlich geschützt. Dies gilt insbesondere deswegen, weil sie einerseits den Individuen Fähigkeiten und Güter verleihen, die Voraussetzung der Aufrechterhaltung der freiheitlichen Funktion des Strafrechts sind27. Insbesondere das Eltern-Kind-Verhältnis und der 22 Dazu ausführlich Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 67 ff., S. 89 ff. In der neueren Strafrechtsdogmatik siehe schon Roxin, Täterschaft, S. 352 ff.; Jakobs, AT, 2/17, 29/ 57 ff.; neulich ders., FS Seiji Saito, S. 776 (21) ff.; ders., Urkundenfälschung, S. 9 f. Darauf aufbauend in letzter Zeit etwa Pawlik, Betrug, S. 127 ff. (S. 139 ff., S. 194 ff.); Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 221 ff. (S. 238 ff., S. 384 ff.) mit Nuancierungen im Einzelnen. 23 Diese Erkenntnis beeinflußt die Gesellschaftsvertragstheorie, welche – und sei es nur aus Klugheitserwägungen – den Staat und seine Begründung für die Gewährleistung eines freiheitlichen Rechtszustandes reklamiert. Siehe Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 11 ff. 24 Pawlik, Betrug, S. 136; ebenso Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 227, S. 386 f. 25 So Pawlik, der solche aus der Umwelt des Strafrechts stammenden Institutionen als strafrechtlich relevant unter den Bedingungen kennzeichnet, daß sie unverzichtbar und „mit den Eigenmitteln einer atomistischen Rechts- und Gesellschaftsorganisation nicht hinreichend verläßlich hervorgebracht bzw. erhalten werden können“ (Pawlik, Betrug, S. 136). 26 Siehe hierzu Müssig, Mord und Totschlag, S. 387. 27 Eingehend Pawlik, Betrug, S. 132, S. 194, S. 197, der diese Institutionen in zwei Hinsichten charakterisiert: erstens in ihrer Fähigkeit, abstrakte in konkrete rechtliche Freiheit umzusetzen und zweitens in der unmittelbaren Erforderlichkeit ihrer Leistungen bzgl. der Aufgabe des Strafrechts. Siehe auch Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 224 ff.

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2. Kap.: § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs‘‘

Staat übernehmen hierbei zunächst die Ausbildung von Leib und Geist, d.h. die „Formierung“ einer sozial und instrumental kompetenten Person28. Neben den Bedingungen der Ausbildung eines instrumentell fähigen Handlungssubjekts schaffen sie auch die Bedingungen der Ausbildung eines strafrechtlichen Subjekts, d.h. die Bedingungen der Einsicht einer Person dahingehend, „als Person sozial bedingt zu sein, Rechte respektieren zu müssen und Rechte zu haben“29, was wiederum die Einsicht ermöglicht, „den Leib, die Dinge und die instrumentellen Fertigkeiten als Recht, als Eigentum in einem weiten Sinn, als ,intelligibles‘ (Kant) Vermögen zu begreifen“30. Andere Bedingungen, wie z. B. die Justiz, lassen die Rechte zur Wirklichkeit werden31. Das Strafrecht garantiert die Leistungen dieser Institutionen (z. B., daß die Justiz die Rechte durchsetzbar macht), konkreter: den positiven Beitrag bzw. die Leistung des Pflichtenträgers zu den den Bürgern reale Freiheit ermöglichenden Institutionen bzw. die Hervorbringung der Bestandsbedingungen wirklicher Freiheit (der Richter soll formell und materiell rechtmäßige Urteile schreiben): positive Pflichten32. 2. Negative Pflichten Durch die Leistung der eben allgemein genannten Institutionen (der Pflichtenträger) sind die Bedingungen für die Entstehung einer Strafrechtsperson gegeben. Sie garantieren der einzelnen Person konkrete Freiheitsräume – als innersystematische Freiheitsdefinitionen bzw. -konstrukte. Diese vom Strafrechtssystem definierten Freiheiten setzen die genannten gesellschaftlichen institutionellen Leistungen (insbesondere diejenigen des Staats und des Eltern-KindVerhältnisses) voraus – sind insoweit „abstrakt“ – und werden durch die spezifische Leistung der positiven Pflichten von ihrer Abstraktion zu ihrer Konkretheit und ihrem geschichtlich-realen Dasein gebracht33. Die gegenseitige Respektie28 Jakobs, FS Roxin, S. 796 unter Berufung auf Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 48, § 56; zu Hegel Ritter, Person und Eigentum, S. 63 ff. Zur „In-Besitz-Nahme“ von instrumentellen Fähigkeiten zählen nach Jakobs, S. 796, etwa die „Formierung der Psychophysik, Erwerb von Kenntnissen, Rationalisierung der Motivation, Akkumulation benötigter Dinge“. 29 Jakobs, FS Roxin, S. 796. 30 Jakobs, FS Roxin, S. 796. 31 Ein spezifischer Grund der Unersetzlichkeit mancher Institutionen für das Strafrechtssystem kann in dieser Richtung nach Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 227, darin liegen, daß sie das moderne Prinzip sozialer Differenzierung der Gefahr einer Entdifferenzierung entgegen stellen, so z. B. das Prinzip der Gewaltenteilung. 32 Siehe hierzu eingehend Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 76 ff., S. 102 ff. und passim; davor schon Jakobs, AT, 2/17; 29/57 ff. 33 Pawlik, Betrug, S. 194. Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 228, spricht bei den positiven Pflichten insoweit von einem von den negativen Pflichten „abgeleiteten geltungstheoretischen Zusammenhang“. Siehe ausführlich Sánchez-Vera, Pflichtdelikte, S. 119 m. w. H.

§ 6 Das „Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung‘‘

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rung in „abstrakt“-interpersonalen Rechtsbeziehungen (negativen Pflichten) basiert dank der Leistungen der positiven Institutionen auf erwartbaren Fähigkeiten und Leistungen der interagierenden (Straf-)Rechtspersonen nach einem „sozialen Durchschnittsmaß“34. Die individuelle Handlungsfreiheit wird in dem Umfang der strafrechtlich-personalen Freiheit geschützt und wird nicht als Fiktion oder Abstraktion eines Realen, sondern als die (strafrechtlich) konkret-reale Freiheit verstanden. Parallel zu den positiven Pflichten müssen die strafrechtlich konstruierten Organisationsfreiheiten der Person aufrecht erhalten werden; hierbei geht es auch um einen positiven Beitrag zu einer Institution (neminem laede35), aber nicht im Sinne eines positiven Beitrags gegenüber anderen Bürgern, sondern um die „Respektierung der anderen Personen“36 im Sinne einer Nicht-Einmischung in die ihnen zustehenden Organisationsbereiche bzw. in ihre Rechte. Dieser Respekt vor anderen Personen macht die grundlegende Bedingung von Organisationsfreiheit freier (Straf-)Rechtspersonen aus: negative Pflichten.

C. Der Versuchsbegriff als Teilbegriff des Tatbegriffs I. Der Tatbegriff als freiheitlich-kommunikativer Begriff von Pflichtverletzung (objektive Zurechnung) Eigentum im weiten Sinne kann als strafrechtlicher, d.h. als ein von der geschichtlichen Identität einer Gesellschaft abhängiger Begriff, in unterschiedlichem Umfang je nach dem Selbstverständnis der jeweiligen Gesellschaft anerkannt werden. In Betracht kommen zwei Grundaspekte37, nämlich Eigentum – zunächst vergröbernd gesprochen – als das, was der Einzelne zur Weltgestaltung besitzt oder was er dazu braucht. Oder genauer in der Formulierung von Jakobs38 für Delikte gegen die Person: Eigentum entweder als reservierter Organisationskreis bzw. Arsenal von Mitteln der Person, welche die Person unabhängig von ihrem aktuellen Bedarf konstituieren oder als Möglichkeit von Organisationsakten, wobei in diesem zweiten Fall die eingesetzten Mittel nur wegen ihres Bedarfs für einen bestimmten Organisationsakt die Person aktuell konstituieren. Zum Selbstverständnis der heutigen Gesellschaft ist zunächst zu berücksichtigen, daß die Anonymität von massenhaft erfolgenden Kontakten freiheitlicher 34

Pawlik, Betrug, S. 194. Eingehend Sánchez-Vera, Pflichtdelikte, S. 67 ff. 36 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 34 ff., § 36, S. 92 ff., S. 95; neulich Jakobs, Urkundenfälschung, S. 9 f. 37 Siehe Jakobs, FS Roxin, S. 793 ff., S. 796 ff.; dens., FS Geilen, passim; dens., Urkundenfälschung, S. 12. 38 Siehe Jakobs, FS Roxin, S. 796. Zum folgenden ders., S. 796 ff. 35

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2. Kap.: § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs‘‘

Personen eine genaue Kenntnis von den Organisationsvorhaben der miteinander Kommunizierenden ausschließt, da die individuellen Systeme (die Individualität) im Gegensatz zu intimen Gesellschaften (etwa Familie) eben anonym bleiben39. Aufgrund dieser Anonymisierung ist kein gemeinsamer Maßstab denkbar, nach dem der private Bedarf des Eigentümers zum rechtlich relevanten Bedarf erhoben werden kann. Es ist also keine Standardisierung möglich, die angibt, welche betroffenen Mittel zur Aktualisierung des Eigentums benötigt sind40. Im Rahmen der Kommunikation ist also zunächst davon auszugehen, daß der andere sein Eigentum aktuell benötigt. Andererseits sorgt – wie schon dargestellt – nicht eine gegenseitig erfolgende Überwachung und Bewertung von einzelnen Organisationsvorhaben für die Vernünftigkeit der Organisationsakte einer Gruppe, sondern eine eigene gesellschaftliche Dynamik, aus der Perspektive der Individuen eben eine „unsichtbare Hand“41. Eine Person kann hiernach also eine private „unvernünftige“ Welt schaffen – nach der modernen Terminologie der Strafrechtsdogmatik sozusagen auf eigene Gefahr –, solange sie die Privatsphäre der anderen nicht tangiert. In der heutigen Gesellschaft ist der andere strafrechtlich prinzipiell als Eigentümer von reservierten Organisationsmitteln zu nehmen, zu beobachten bzw. zu begreifen42. Diese in der heutigen Gesellschaft umfangreicher gewordene private Welt wird auf diese Weise, wie die Religion in der Entwicklung des Freiheitsverständnisses der Neuzeit, für das Strafrecht entmachtet: Gleichgültig welche Religion der Einzelne hat oder welche private Welt er konzipiert; für das bürgerliche Strafrecht bleibt dies (im Feindstrafrecht oder Polizeirecht mag es anders aussehen) ein nicht kommunikativer Sachverhalt. Dem korrespondiert ein für das (potentielle) Opfer – den Angegriffenen – weiter Begriff seiner Freiheit. Zumindest in unserer heutigen Gesellschaft ist nämlich davon auzusgehen, daß keine Privatperson ein Recht auf ein schlüssiges Organisieren einer anderen Person hat bzw. darauf, die Organisation des anderen auf ihre „Vernünftigkeit“ hin zu überprüfen. Dem korrespondiert eine entsprechende Respektierung des Täters in seiner Freiheit auf Organisation. Die „Binnenorganisation ist eigene Angelegenheit der konstituierten Person und geht die anderen nichts an, wenn nur der Titel stimmt“43. Der Grundsatz de internis non judicat praetor, welcher das Prinzip cogitationis poenam nemo patitur einschließt, ist in einer freiheitlichen Ordnung so zu verstehen, daß interna den (straf-)rechtlich relevanten privat reservierten, die Person als freie Person konstituierenden Rechtskreis meint44. 39

Siehe eingehend Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 860. Dazu auch Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 859 f.; konkreter ders., FS Roxin, S. 797. 41 Siehe auch Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 114 f. Vgl. auch Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 198 f. 42 Siehe Jakobs, FS Roxin, 796 f. 43 Jakobs, FS Roxin, S. 799. 40

§ 6 Das „Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung‘‘

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Nach dieser ersten (immer noch abstrakten) Umgrenzung des Verletzungsbzw. Tatbegriffs ist materiell-rechtlich die Anmaßung der Organisation der einer Person zustehenden Mittel prinzipiell eine Diminuierung45 des strafrechtlichen Status der Person, d.h. eine Rechts- bzw. Pflichtverletzung – freiheitstheoretisch auch eine (Selbst-)Diminuierung des freiheitlichen Status des Täters: Selbstverletzung. Strafrechtlich ist der Freiraum einer Person prinzipiell als reserviertes Arsenal von Mitteln (Orientierung, Vermögen, Sachen, usw.) zu verstehen und nicht als „vernünftiger“ Einsatz von ihr „zur Verfügung“ stehenden Mitteln46, wie es etwa in religiösen Systemen oder intimen Gesellschaften sein mag.

II. Der Vollendungsbegriff als Bezugsbegriff des Versuchsbegriffs 1. Die materielle Grundlage des Vollendungsbegriffs als kommunikativ-normativ komplette Organisationsanmaßung Eine negative Pflicht, scil. die Pflicht, den Organisationskreis einer anderen Person unangetastet zu lassen, ist in unserer Gesellschaft ganz allgemein und materiell mit dem Vollzug der einer anderen Person zugewiesenen Organisation, d.h. mit dem Eingriff in das (weit verstandene) Eigentum als reserviertes Arsenal von Mitteln, vollendet verletzt47. Nach diesem in unserer Gesellschaft allgemeinen Eigentumsbegriff wird also die Freiheit des Opfers nicht nach seiner individuell empfundenen Betroffenheit, sondern nach dem Begriff berücksichtigt: Diebstahl ist mit der Wegnahme vollendet, unabhängig davon, ob das Opfer die Sache benutzen will oder von deren Existenz nicht weiß; Freiheitsberaubung ist mit dem Aufheben der Fortbewegungsfreiheit vollendet, unabhängig davon, ob das Opfer diese Freiheit aktuell in Anspruch nehmen will oder sogar kann (das Opfer schläft, ist ohnmächtig, usw.); Körperverletzung ist mit dem Eingriff in den Leib vollendet. Übertragen auf die sonstigen Freiheitsbedingungen (positive Pflichten): Die Leistungen, die eine Institution ausmachen, sind zu erbringen. Dabei ist auf das Erbringen von objektiv festgelegten Leistungen (per Gesetz oder per strafrechtlich kommunikativer Praxis, wie im Fall des Eltern-Kind-Verhältnisses48), und nicht auf Erfolge solcher Leistungen aus konkret-individualisierter Perspektive abzustellen (z. B.: es wird nicht gefragt, ob die falsche Erklärung von Zeugen im Prozeß den Richter tatsächlich beeinflußt hat). Die Grundlage der Vollen44 45 46 47 48

Jakobs, ZStW 97 (1985), S. 751 ff., S. 753; ders., AT, 25/1a. Jakobs, FS Roxin, S. 799. Vgl. Jakobs, FS Roxin, S. 797. Jakobs, FS Roxin, S. 798 ff. Jakobs, AT, etwa 15/15.

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dung liegt hier in der Verhinderung des Vollzugs der einer Institution zugewiesenen Organisation. Vollendet verletzt wird die Institution, wenn die Leistung durch den Zuständigen nicht erbracht wird, nicht aber unbedingt, wenn konkrete Bürger deswegen in ihrer Freiheit zur Formierung der Welt gehindert werden. Es steht also fest: Beim „neminem laedere“ wie bei sonstigen Institutionen ist auf den innerstrafrechtlichen Begriff einer Freiheitsverletzung abzustellen. Die Rechts- bzw. Freiheitsverletzung ist also in unserer Gesellschaft prinzipiell dann vollendet, wenn die (Straf-)Rechtsperson am potentiellen Einsatz ihrer zugeschriebenen Organisationsmittel (bzw. Leistungen) als komplett gehindert gilt. Dies geschieht konkret, wenn die Umordnung des Eigentums – als Arsenal von Mitteln – bzw. die kommunikativ-relevante Hinderung sonstiger Institutionen durch den Täter bereits (d.h. ab jetzt in der Vergangenheit) stattgefunden hat49. Es kommt darauf an, daß nach dem Selbstverständnis der heutigen Gesellschaft, d.h. nach dem in der strafrechtlichen Kommunikation gültigen Personenverständnis – die Person als frei und mit einem weiten ihr zur Gestaltung der Welt zur Verfügung stehenden Eigentum – eine konkret individualisierte Formierung der Welt von der Person als definitiv gehindert verstanden werden kann. Das Strafrecht als Teilsystem der Gesellschaft entscheidet also über seine Begriffe (z. B. Strafrechtsperson, Rechtsverletzung), aber nicht solipsistisch, d.h., was als Rechtsverletzung gilt, muß für Individuen und andere Teilgesellschaften nachvollziehbar sein. 2. Kommunikativ-freiheitliche Tatbestandskonkretisierungen a) Rückverlagerungen bzgl. des materiellen Vollendungsbegriffs Bei vielen Tatbeständen ist die Hinderung an der Formierung der Welt50 unmittelbar mit der Umformung des so verstandenen Eigentums festzustellen oder evident anzunehmen: Totschlag, Körperverletzung wegen der Verhaltenseinschränkung, usf.51. Dennoch legt das Strafrechtssystem unterschiedliche Momente fest, nach denen ein Verhalten je nach der Konfiguration der Kommunikation konkret als rechtsverletzend bzw. als die Formierung der Welt einer anderen Person hindernd zu beurteilen ist. Positiv-(straf-)rechtlich verlangen einige sog. Verletzungsdelikte (etwa Betrug) für eine formell vollendete Rechtsverletzung eine weitere Konkretisierung 49

Jakobs, FS Roxin, S. 799. Tatbestand als ausgesonderte Fallgruppe des Generaldelikts (als Nötigung), bzw. als Fallgruppe einer Eigentumsumschichtung im weitesten Sinne, scil. einer Gewaltausübung als Organisationsanmaßung. Siehe zur Nötigung als Generaldelikt Jakobs, FS Hilde Kaufmann, 796 ff.; Timpe, Nötigung, S. 70 ff., S. 187 f. 51 Eingehend Jakobs, FS Roxin, S. 803. 50

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der Hinderung an der Formierung der Welt (der Betrug etwa Täuschung plus Vermögensverfügung). Vorausgesetzt wird eine Bestätigung der prinzipiell schon geschehenen Rechtsverletzung, indem das Opfer deswegen eine von ihm tatsächlich vorgenommenen Formierung der Welt einbüßt. In diesen Fällen unternimmt die verletzte Person einen Organisationsakt, dessen Scheitern bzw. Hinderung seine maßgebliche Ursache in der prinzipiell schon vollzogenen Rechtsverletzung hat. Es steht also fest: Was iuris et de iure verallgemeinernd nicht präsumiert werden kann, kann keine Vollendung darstellen. So wird im Fall der Nötigung gem. § 240 StGB für die Annahme der Vollendung ein abgenötigtes Verhalten des Opfers verlangt. Bei Beraubung einer nicht mit großer Wahrscheinlichkeit zu beanspruchenden Freiheitschance würde die Präsumtion nämlich wohl kaum Halt haben52. Dabei muß sich das abgenötigte Verhalten als zurechenbare Folge bzw. „Weiterung“53 der (abstrakt-)materiellen Rechtsverletzung – gleichsam durch mittelbare Täterschaft – erweisen. Nur dann kann die Rechtsverletzung – die Abstraktionen der allgemein materiellen Perspektive übersteigend – konkret als vollendet angesehen werden. Der Betrug, der nach hiesiger Ansicht eine Rückverlagerung bzgl. des materiellen Vollendungsbegriffs beinhaltet, stellt nach einer Meinung in der Literatur eigentlich eine Vorverlagerung dar. Diese argumentiert auf der Basis von kriminalpolitischen Erwägungen, nach denen der Tatbestand bei Delikten (etwa Absichtsdelikten: „zur Bereicherung“) mit sog. Beendigungsphase „zur Verstärkung des bezweckten Rechtsgüterschutzes“54 eine Vorverlagerung ausmachen soll55. Eine solche Argumentation greift aber zu kurz. In Wirklichkeit geht es um die Verletzung der Freiheit der Anderen, nicht direkt um tatsächliche Maximierung der Lust des Täters, und die Freiheit des Anderen wird in dieser Gesellschaft prinzipiell schon mit dem Eingriff in das Arsenal der ihm zugesprochenen Mittel bzw. Leistungen verletzt. Beim Betrug handelt es sich um eine Rückverlagerung, scil. eine Verlagerung nicht hinsichtlich inhaltsleerer, naturalistischer Rechtsgüter oder hinsichtlich der Lustmaximierung des Täters, sondern in Bezug auf den materiellen Begriff der Freiheit, hier nämlich: Wissen bzw. Orientierung beim Umgang mit Vermögen in wirtschaftlichen Transaktionen. Die Rückverlagerung (hier beim Betrug als Vermögensverletzung) ist die Konkretisierung des Freiheitsbegriffs und dessen Verletzung.

52

Jakobs, FS Roxin, S. 804. Siehe hierzu Jakobs, FS Roxin, S. 804. 54 LK10-Vogler, vor § 22, Rn. 24. 55 LK10-Vogler, vor § 22, Rn. 24. Siehe auch SK-Rudolphi, § 22, Rn. 7, beide m. w. H. 53

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b) Vorverlagerungen bzgl. des materiellen Vollendungsbegriffs, insbesondere Gefährdungsdelikte Eine Vorverlagerung der materiellen Vollendung findet hingegen insbes. bei den sog. Gefährdungsdelikten statt. Das Rechtssystem fordert hier eine geringere Konkretisierung, um festzulegen, daß die Person an ihrer Formierung der Welt iuris et de iure gehindert ist. Dabei ist bei abstrakten Gefährdungsdelikten im Verhältnis zu konkreten Gefährdungsdelikten ein noch geringeres Maß an Konkretisierung nötig. Mit Blick auf diese gesetzliche Festlegung ist also bei allen Delikten eine komplette Rechtsverletzung erforderlich und auszumachen. Die Hinderung einer Person an der Formierung der Welt wird nämlich dem Täter zugerechnet, wobei bei dieser weiteren normativen Konkretisierung der Zurechnung – es sei nochmals betont: Zurechnung als strafrechtliche Konstruktion – sowohl die konkret individualisierte Hinderung als auch die materielle „Rechtsverletzung“ nach diesem weiteren Schritt der Zurechnung nicht mehr ausschlaggebend sind. Das Strafrecht verlangt nicht, daß das Opfer auf individualisierter Ebene gehindert wird, nicht einmal daß das Eigentum des Opfers bzw. das Opfer selbst situativ oder überhaupt vorliegt (etwa bei schwerer Brandstiftung in § 306a StGB). Sofern Eigentum und Opfer situativ existieren und weitere Folgen eintreten, mag aber ein weiterer Tatbestand erfüllt sein, etwa der Tatbestand eines erfolgsqualifizierten Delikts (z. B. § 306b, StGB „besonders schwere Brandstiftung“). Bei dieser vorverlegten Zurechnung – wohlgemerkt: vorverlegt bzgl. des prinzipiellen bzw. materiellen, nach dem Selbstverständnis einer bestimmten Gesellschaft konstituierten Eigentumsbegriffs, nicht bzgl. eines inhaltsleeren Rechtsguts – ist die zentrale Überlegung folgende: Beim abstrakten Sollen muß eine Freiheitsverletzung zunächst auf der Basis vorausgesetzter Zurechnungsfähigkeit der konkreten Person (eben abstrakt) festgestellt werden. Das abstrakte Sollen ist aber eine strafrechtlich-relevante Abstraktion, nicht bloß eine naturalistische, die besagt, wann – Zurechnungsfähigkeit vorausgesetzt – eine Freiheitsverletzung festzustellen ist. Bei sog. abstrakten Gefährdungsdelikten ist also auf dieser Ebene schon eine Freiheitsverletzung festzustellen, d.h., es geht nicht um die Abstraktion einer „echten“ Freiheitsverletzung, da hier Begriffe, nicht konkrete materiell-naturalistische Feststellungen gemeint sind. Soll es bei abstrakten Gefährdungsdelikten nicht um eine strafrechtliche Abstraktion, sondern vielmehr um eine Konkretisierung des Begriffs einer Rechtsverletzung gehen, ist die Kennzeichnung „Abstraktion“ bei sog. „abstrakten“ Gefährdungsdelikten bloß naturalistisch, etwa derart: kein Opfer ist Gefahr gelaufen. Die gleiche naturalistische Abstraktion findet beim (untauglichen) Versuchsdelikt statt: Es war kein Opfer da. Bei diesen Abstraktionen handelt es

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sich lediglich um Abstraktionen von einem naturalistischen Sachverhalt. Auf der nicht bloß naturalistischen, sondern strafrechtlichen Ebene des abstrakten Sollens ist einfach nur relevant, daß eine Eigentumsumschichtung bzw. die Hinderung einer institutionellen Leistung aus kommunikativ zu erklärenden Gründen iuris et de iure festzustellen und auf der Basis von Zurechnungsfähigkeit zuzuschreiben ist. Es wird also – auch bei den sog. abstrakten Gefährdungsdelikten – zugeschrieben, daß nach einer praesumptio iuris et de iure eine Eigentumsumschichtung stattgefunden hat oder, anders ausgedrückt, daß nach dem Selbstverständnis der heutigen Gesellschaft, d.h. nach dem in der strafrechtlichen Kommunikation gültigen Personenverständnis, eine konkret individualisierte Formierung der Welt einer Person als definitiv gehindert genommen werden kann, und das geschieht auch bei abstrakten Gefährdungsdelikten, wie beim (kommunikativ-relevanten) untauglichen Versuch. Die so vom Strafrecht festgelegte Eigentumsumschichtung definiert den Erfolg des Vollendungsdelikts. Aus der Perspektive des konkreten Sollens erklärt: Sowohl bei abstrakten Gefährdungsdelikten wie etwa auch beim untauglichen Versuch wird ersichtlich, daß das konkrete Sollen, die konkrete Pflichtverletzung nur auf der Basis von Zurechnungsfähigkeit, hier insbesondere von Normkenntnis (Tatbestandskenntnis eingeschlossen), festgelegt werden kann. Das Strafrecht rechnet nur auf der Grundlage dessen zu, was der Täter nach einem bestimmten (teil-)gesellschaftlichen Selbstverständnis56 kennen und können muß. Bei abstrakten Gefährdungsdelikten rechnet das Strafrecht aus kommunikativ zu erklärenden Gründen57 nach einer zentralen Vorgehensweise per Gesetz das zu, was der Täter als gekannt handhaben muß: etwa die Tatsache, daß bei Brandstiftung ohne weiteres unberechenbare Todesfälle denkbar sind, d.h., daß der Täter davon ausgehen muß, daß eine Person da ist und daß das Feuer rasch unkontrollierbar werden kann. Damit liegt das Orientierungsprinzip fest und das Verhalten von Personen ist – nach einem sog. zentral-gesetzlich festgelegten Standard bzw. nach den Regeln der objektiven Zurechung – fixiert. Im Strafrecht geht es nämlich um Kommunikation, um den strafrechtlichen Sinnausdruck des Täters. Der Einzelne ist nicht für nicht-kommunikative bzw. externe oder äußerliche Sachverhalte verantwortlich. In diesem Zusammenhang ist der konkrete Begriff der Hinderung an der Formierung der Welt bzw. der konkrete Begriff der Rechtsverletzung festzustellen. Dies hat wiederum nach dem Schuldprinzip zu erfolgen. Bei abstrakten Gefährdungsdelikten handelt es sich also um eine naturalistische Abstraktion, d.h., sie ist von der Normativität und der Täterbezogenheit der (Schuld-)Zurechnung, vom genuin strafrechtlichen Erfolgs- bzw. Vollendungsbegriff unabhängig. Das Abstellen auf die – außerstrafrechtliche bzw. ab56

Dazu eingehend Jakobs, Handlungsbegriff, S. 14 ff. Siehe etwa Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. § 22, Rn. 14; Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 855 ff. 57

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strakte oder nur individuelle, kurz: per se noch unmaßgebliche – Opferperspektive führt zur Benennung dieser Delikte als abstrakt. In kommunikativer Hinsicht findet allerdings keine Abstraktion von einer eigentlichen Eigentumsumschichtung statt, es wird vielmehr die materielle Freiheitsverletzung begrifflich konkretisiert, auch wenn dies naturalistisch nicht als Konkretisierung der Zurechnung, sondern vielmehr als Abstraktion zu nehmen ist. Bildlich dargestellt: Auf die Frage, wessen Leben im Fall des § 306a, Abs. 1 Nr. 3 StGB58 gefährdet wurde, wenn tatsächlich kein Mensch anwesend war, sind zwei Antworten denkbar. Die erste – auf Rechtsgüter im klassischen Sinn abstellende – Antwort lautet: das Leben keines Menschen, weshalb von einer „abstrakten“ Gefahr gesprochen werde (diese Überlegung ist wiederum eine abstrakte, noch nicht genuin strafrechtliche). Die zweite – auf Kommunikationszusammenhänge abstellende – Anwort lautet: das Leben eines oder mehrerer (iuris et de iure präsumierter) Bürger, da per Gesetz davon auszugehen sei; genauer: weil der Person ein solcher Orientierungsbestandteil zugeschrieben wird, und diese kommunikative Perspektive, nicht die naturalistisch betrachtete Situation, entscheidend ist. Stichwortartig: Es geht um personal-kommunikative funktional-normative Schuldzurechnung. Tritt bei Gefährdungsdelikten anschließend die materielle Rechtsverletzung59 ein, z. B. der Tod im Fall der Brandstiftung (§ 306c StGB), dann ist die Zurechnung der weiteren „Folge“ per Gesetz durch erfolgsqualifizierte Delikte strafrechtlich nicht etwa Zufallshaftung, nicht eine Glückssache60 – naturalistisch oder faktisch gesehen, mag dies zwar so sein –, sondern als Haftung für die Folge pflichtwidrigen Verhaltens, für die der Täter einstehen muß. Es steht also fest: Aus der kommunikativen Perspektive muß jede Aufstellung einer Regel objektiver Zurechnung eine Organisationsanmaßung, d.h. eine (im weiten Sinne) Eigentumsumschichtung bzw. eine Institutionshinderung darstellen. Das Strafrecht bestimmt also nach seinem Zurechnungsbegriff, welches Verhalten als sozialinadäquates, als unerlaubtes Risiko, scil. als tatbestandliche Handlung zu kennzeichnen ist, d.i., was als Pflicht des Täters anzusehen ist, damit der freien Person Organisationsfreiheit „mit Aussicht auf soziale Plausibi-

58 Brandstiftung in einer „Räumlichkeit, die zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dient, zu einer Zeit, in der Menschen sich dort aufzuhalten pflegen“. 59 Nach dem üblichen strafrechtlichen Sprachgebrauch: eine Rechtsgutsverletzung. 60 Wie es auch bei Fahrlässigkeit wegen des Eintritts des Erfolgs als „objektiver Bedingung der Strafbarkeit“ nicht um Zufallshaftung geht. Zur Zufallshaftung siehe neulich Lampe, Strafphilosophie, S. 238, der die klassische subjektive Lehre durch die systematische Differenzierung von Moralsystem (Urheberschuld – Eintritt des Erfolgs nur Zufall) und Rechtssystem (Zurechnungsschuld als juristisches Konstrukt) überwindet. Siehe auch Frisch, FS Spendel, S. 401. Zum Erfolg als zufälligem Moment der Zurechnung, Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 142; Freund, AT, § 2, Rn. 52 ff., § 8, Rn. 12.

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lität und Praktikabilität (d.h. in einer ,Anschlußrationalität‘ ermöglichenden Weise)“61 zugebilligt werden kann bzw. „damit eine rechtliche Anerkennungsordnung, die den an ihr Beteiligten Organisationsfreiheit gewährt, sozial erfolgreich auf Dauer gestellt werden kann“62. c) Exkurs: Zum Status des naturalistisch beobachteten Erfolgs als (Rechts-)Gutsverletzung bzw. (Rechts-)Gutsgefährdung im Strafrecht aa) Der genuin strafrechtliche Erfolg Bei Verletzungs- und Gefährdungsdelikten – wie auch beim Versuch – gibt es eine Rechtsverletzung als Normverletzung, d.h. kommunikativ-freiheitliche, normativ bestimmte Freiheitsverletzung. Die Formierung der Welt durch eine Person bzw. die Leistung einer Institution kann also iuris et de iure als perfekt (beim Versuch aber nicht komplett) gehindert genommen werden – wohlgemerkt: Unrecht nur als Schuldunrecht. Dies bezeichnet den Erfolg des Delikts. Das isoliert genommene naturalistische Gut und seine naturalistisch beobachtete Gefährdung, die gedanklich dahinterstehen mögen, sind im Strafrecht an sich unmaßgebliche Abstraktionen, sie begründen kein Unrecht. Nur integriert in Kommunikationszusammenhänge bzw. in den jeweiligen Freiheitsbegriff erhalten sie einen strafrechtlichen Sinn63. Es steht also fest: Das Strafrecht definiert seine Gegenstände – und so auch seine „Vollendungsgegenstände“ selbst, und zwar als Freiheitsbegriffe im Sinne von Rechten und Pflichten. Die Vollendung bzw. der (zurechenbare Delikts-) Erfolg bezeichnet einen Normbruch in der Form einer kompletten Eigentumsumschichtung bzw. Institutionshinderung. Erst aus dieser legitimatorisch-freiheitlichen Perspektive, nicht aber aus einer bloß naturalistischen Perspektive ist das vollendete Unrecht begründbar. bb) Die naturalistische Trennung von Unrecht und Erfolg Ausgehend von einer subjektivistischen Perspektive der naturalistischen Strafrechtsmethode war das Vorgehen des radikalen Finalismus, der Verletzung des Rechtsguts keine unrechtsbegründende oder -erhöhende Qualität beizumessen64, nicht ganz unberechtigt. Denn um die Relevanz der Freiheit des verletzten Anderen zu berücksichtigen, bedarf es eines Handlungsbegriffs65, der die 61

Pawlik, Betrug, S. 130. Pawlik, Betrug, S. 132. 63 Vgl. schon Welzel, Strafrecht, S. 4. 64 Vgl. Armin Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 69 ff.; Zielinski, Handlungsund Erfolgsunwert, S. 136 ff. 62

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Dimension der Anderen und der Gesellschaft in den Schuldvorwurf einbezieht und die bloße verhaltenssteuernde Funktion der Norm und die individualistischnaturalistische Konzeption der Handlung übersteigt. Die Anderen und die Gesellschaft werden im genuin gesellschaftlichen (scil. personal-kommunikativen), strafrechtlichen Zusammenhang aber wiederum nicht als naturalistische Größen weder psycho-physisch (Menschen, Rechtsgutsobjekte) noch soziopsychologisch berücksichtigt66. Die freiheitliche und personal-kommunikative Wirklichkeit des Strafrechts ist das „begriffliche Milieu“ des strafrechtlichen Versuchs. Der genuin strafrechtliche Erfolg in der Vollendung liegt darin, daß Freiheit oder die Voraussetzungen von Freiheit, die Institutionen, nach dem Begriff der strafrechtlichen, objektiven Schuldzurechnung komplett verletzt werden – „Rechtstreue“ als strafrechtlicher bzw. objektiver Maßstab. cc) Erfolg und Rechtsgüterschutz Diese freiheitliche Wirklichkeit läßt sich aber nicht einfach abstrakt-naturalistisch, als real-empirische Rechtsguts(objekts)verletzung bzw. -gefährdung feststellen, sondern ist konkret nach Maßgabe von Kommunikationszusammenhängen (Normen) und kommunikativen Bedeutungen (objektiver Schuldzurechnung) zu verifizieren. Auf Grund dessen muß beispielsweise bei vollendeten Gefährdungsdelikten – wie auch beim sog. untauglichen Versuch – nicht einmal ein Opfer (ein klassisches Rechtsgut bzw. Rechtsgutsobjekt) empirisch-real situativ vorliegen. Primär geht es demnach nicht um Rechtsgüterschutz, sondern um Normgeltung, nicht um Prävention, sondern um Schuldausgleich. Der Täter verantwortet sich für jeden konkreten Unwertsachverhalt, für jede konkrete Freiheitsverletzung, die er zurechenbar anrichtet67, für Vollendung wie Versuch. Die herkömmliche, auf naturalistische Sachverhalte abstellende Dogmatik bleibt bei unmaßgeblichen Überlegungen stehen. Der Erfolg im Sinne der Verletzung eines Rechtsgutsobjekts im herkömmlichen Sinne kann beispielsweise bei den klassischen Erfolgsdelikten (Tötung, Körperverletzung, Sachbe65 Grundlegend Jakobs, Handlungsbegriff, passim; ders., GS Armin Kaufmann, S. 271 ff., S. 273 ff., S. 287 f. 66 So aber die h. L. (siehe im Rahmen des Versuchs oben, 1. Kap., § 2 B. IV.). Auf dieser Basis wird der Erfolg als „erhöhtes“ Unrecht eingeordnet, was an den sozialpsychologischen Folgen für die Rechtsgüterwelt bzw. für die Normgeltung festzustellen sei (siehe etwa Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 515 f., auch S. 517: „In der Folge der Tat wird das sonst häufig nur von wenigen wahrgenommene Fehlverhalten des Täters für viele sichtbar, mit ihnen tritt an die Stelle eines sonst vielfach ganz flüchtigen Fehlverhaltens ein mehr oder weniger lang dauernder unerwünschter Zustand [. . .]. Dementsprechend ist dann auch die rechtsfriedenstörende Wirkung der folgenschweren Tat regelmäßig erheblich größer als die der folgenlosen [. . .]“). 67 Insofern zutreffend Frisch, FS Spendel, S. 396 ff.

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schädigung) nur grob als „Realisierung der in der Handlung angelegten Gefahren“ definiert werden, so daß er angeblich einen eigenen von der Tathandlung „gesonderten Unwertsachverhalt“ ausmacht68. Der Vorsatz bezieht sich nach dieser Auffassung, so etwa nach Frisch, nicht auf den Tatbestand, sondern eben auf ein „Teilstück des (objektiven) Tatbestandes“69, und zwar nicht auf den Erfolg, denn es geht um „Wissen vor der Tat“70 und so vor dem Erfolg. Bei Frisch71 erfordert dies im Fall des Versuchs eine obligatorische Strafrahmenmilderung. Etwas anderes soll allerdings bei abstrakten Gefährdungsdelikten gelten, da bei ihnen sowohl Versuch als auch Vollendung in der Gefahr der Handlung ihren Grund finden, d.h., in einem vom Erfolg „gesonderten Unwertsachverhalt“. Ausgehend von der Perspektive eines normativ-funktionalen Strafrechts ist dazu jedoch folgendes anzumerken: Erstens umfaßt die „Handlung“ auch den „Erfolg“72. Eine Trennung von Handlung und Erfolg beruht auf einer naturalistischen Beobachtung. Das Strafrecht kennt nicht naturalistische Erfolge, sondern konkrete Freiheitsverletzungen, die teilverwirklicht werden können. Es bezieht sich nur auf zurechenbare Erfolge, d.h. Erfolge, die zur Handlung als zur Freiheitsverletzung, gehören73, sowie auf Wissen, das nicht vor oder nach, sondern zum Tatzeitpunkt der konkreten Person des Täters subjektiv zugerechnet wird74. Zweitens geht es nur abstrakt um „Gefahren“; die Terminologie ist also unscharf. Der Begriff des unerlaubten „Risikos“ umfaßt für Rechtsgutsobjekte ungefährliche Handlungen. Er ist eine Umschreibung von zurechenbaren Kriterien, die besagen, daß eine strafrechtlich relevante, freiheitliche Institution bzw. eine fremde Organisationszuständigkeit nach objektiver Schuldzurechnung verletzt wird. Drittens meint die Vollendung streng genommen nicht ein „erhöhtes“ Unrecht, denn Bezugsbegriff ist die Vollendung bzw. der komplette Begriff einer Freiheitsverletzung. Wegen dieser Vollendungsbezogenheit wäre der Versuch also eher als „vermindertes“ Unrecht zu verstehen. Relevant ist aber nur, daß der äußerliche Erfolg, soweit er Bestandteil des Begriffs der Vollendung ist, nicht wegen seiner beeindruckenden Sinnfälligkeit oder seinem (Rechtsguts-) Objekt-Charakter, sondern wegen der strafrechtlichen, letztendlich freiheitlichen Bedeutung, der den Bruch einer Institution „verkörpert“. Der Erfolg ist deshalb in einem kommunikativen Zusammenhang zu begreifen und hat vermittelt über 68

Vgl. Frisch, FS Spendel, S. 396 f.; Freund, AT, § 2, Rn. 59 m. w. H. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 58. 70 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 58. 71 FS Spendel, S. 399 ff.; ähnlich Freund, AT, § 8, Rn. 6. 72 Zur Trennung von Handlung und räumlich-zeitlich abgrenzbarem Außenerfolg auch Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. § 22, Rn. 2. 73 Siehe dazu Jakobs, Handlungsbegriff, passim; dens., AT, 6/75; Roxin, AT II, § 29, Rn. 42. 74 Dazu unten im Text. 69

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ein „unerlaubtes Risiko“ die Bedeutung einer Vollendung zu tragen. Bei dem schlicht naturalistischen Erfolg – etwa eine Leiche – geht es nicht um einen gesonderten Unwertsachverhalt. Der komplette Bruch einer Norm – die formelle Vollendung – ist vielmehr diejenige Art einer Freiheitsverletzung, die nicht von der Handlung gesondert, sondern in der Handlung den kompletten Bruch einer Institution kennzeichnet. Zu betrachten ist auch die Stellung des Erfolgs in Fällen, in denen er nicht Bestandteil des Tatbestandes ist. Nach Frisch75 werden etwa die abstrakten Gefährdungsdelikte so charakterisiert, daß „die eigentlichen Erfolgsunwerte – die Zerstörung bestimmter Gebäude oder der Eintritt einer Gesundheitszerstörung – (. . .) ganz außerhalb der Tatbestandsverwirklichung (liegen)“. Im Gegensatz zu den Erfolgsdelikten soll deshalb im Fall des Versuchs eines abstrakten Gefährdungsdelikts der Strafrahmen nicht unbedingt zu mildern sein. In diesen Fällen soll nämlich der Erfolg als „gesonderter Unwertsachverhalt“ die eigentliche Rechtfertigungsbasis der Strafe ausmachen76, und soweit er im Fall des Versuchsdelikts Teil des formell vollendeten Verhaltens ist (also nicht bei abstrakten Gefährdungsdelikten77) bei der Festlegung des Strafmaßes eine verminderte Strafrahmenverschiebung78 auslösen. Auf diese Weise wird aber der Erfolg abstrakt, vornehmlich in seinem naturalistischen, nicht funktionalen Verständnis begriffen. Die „eigentlichen Erfolgsunwerte“ sind aber strafrechtliche, von der Identität der Gesellschaft bestimmte Konstruktionen; werden sie individualisiert, dann liegen die „eigentlichen Erfolgsunwerte“ als die äußerlichen Erfolge auch bei klassischen Erfolgsdelikten oft ganz außerhalb der Tatbestandsverwirklichung, wie etwa bei Sachbeschädigung. Ob hier die rechtliche Freiheitsverletzung auch individuell so verstanden wird, ist irrelevant. Maßgeblich ist die funktionale Festlegung des unerlaubten Risikos. Zudem ist zu beachten, daß sich der Strafrahmen bei abstrakten Gefährdungsdelikten bei hinzukommenden, die „eigentlichen Erfolgsunwerte“ „nachholenden“ qualifizierenden Folgen oder Umständen ändert (für den Fall des § 306 StGB siehe § 306a bis c StGB): Durch die Strafrahmenregelung berücksichtigt 75

FS Spendel, S. 397 f. Dies wird wohl letztendlich von Frisch, FS Spendel, S. 397 ff., S. 399 ff., S. 400 f., S. 404, gemeint. 77 Nach Frisch, FS Spendel, S. 399, etwa in den Fällen „des während der Fälschung überraschten Fälschers oder des während des Inverkehrbringens von Falschgeld gefaßten Täters“. 78 So Frisch, FS Spendel, S. 399 ff. Bei Frisch dürfte es sich um das Problem handeln, welchen Bedeutungsgehalt die „Vorverlagerung“ beim Versuch im Vergleich zu derjenigen bei Gefährdungsdelikten hat. Vorverlagerungen würden in der Regel mit einem milderen Strafrahmen privilegiert. Meine die formelle Vollendung eigentlich eine materiell „vorverlagerte Phase“ (Brandstiftung), dann sei der Versuch, der ebenfalls eine vorverlagerte Phase vor der Vollendung darstelle, nicht nochmals mit einer Strafrahmenverschiebung zu privilegieren. 76

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das Gesetz also die Eigentümlichkeiten dieser Tatbestände. Der Versuch ist genau genommen nicht eine Abstraktion des Tatbestands, sondern eben das Ansetzen bzw. der Prozeß der Tatbestandsverwirklichung zum Tatzeitpunkt, nicht in einer vorverlagerten Phase; die Konzeption des Versuchs als vorverlagertes Verhalten ist letztendlich ein, wenn auch bildhafter, trotzdem ungenauer Ausdruck. Der versuchte Verbrechensbegriff leidet nämlich im Hinblick auf die kriminalpolitische und präventiv-naturalistische dogmatische Perspektive unter einer exzessiven Ausweitung, die ihn als typisches, den abstrakten Gefährdungsdelikten durchaus vergleichbares, vorverlagertes Verhalten sehen läßt. Berücksichtigt man erstens das funktional-kommunikative Verständnis des Delikts als Freiheitsverletzung und zweitens die genuine Aufgabe des Strafrechts, scil. den funktionalen Schuldausgleich, liegt der Versuchsbegriff in einem normativ-funktionalen Zusammenhang, der enger ist als unter einer naturalistisch-präventiven Perspektive. Aufgrund dessen stellt der Versuch keine Vorverlagerung dar, sondern bezieht sich auf den gleichen Tatzeitpunkt wie das vollendete Delikt (dazu näheres unten im Text). Entscheidend an dieser Stelle ist jedenfalls, daß die Vollendung im Gegensatz zum Versuch die volle Schuld ausmacht79, was sich in der Strafzumessung niederschlagen soll80. dd) Erfolg und Schutz von Normtreue In generalpräventiven Konzepten geht es insbesondere nicht darum, das Gesellschaftliche bzw. die Dimension des Anderen jenseits des Rechtsgüterschutzmodells im Strafrecht in einer diffusen naturalistischen Psycho-soziologie zu finden. Es soll hier nicht wie nach dem Vorschlag der h. M. mit der Strafe aus generalpräventiven Gründen die Rechtstreue der Bürger verstärkt werden81. Geschehnisse im Bewußtsein der Bürger mögen erwünscht sein, sie gehören aber für sich nicht zum Begriff der Strafe82. Werden sie vom Begriff der Strafe gelöst, bilden sie ein „bloßes Umfeld der Theorie“83. Der strafrechtliche Begriff bezieht an erster Stelle die personal-kommunikative Wirklichkeit als Wirklichkeit des (teil-)gesellschaftlichen Systems des Strafrechts ein, die in ihrer Identi79

Siehe Jakobs, AT, 6/73 m. w. H. Siehe zur Forderung einer obligatorischen Milderung des Versuchs (als Strafrahmenverschiebung oder Strafzumessungsgrund i. e. S.) auch Baumann, Strafrecht AT9, S. 477 f.; Stratenwerth, FG zum Schweizerischen Juristentag 1963, S. 260; dens., Strafrecht AT3, Rn. 682 ff.; dens., AT4, § 11, Rn. 48 f.; Jakobs, AT, 25/80; Köhler, AT, S. 485 (entgegen § 23 Abs. 2 StGB eine „zwingende“ bzw. „regelmäßige“ Strafrahmenmilderung“ fordernd); LK10-Vogler, § 22, Rn. 9; Timpe, Strafmilderungen, S. 99 f.; Schönke/Schröder/Eser, § 23, Rn. 6 f.; Jescheck/Weigend, AT5, S. 523. 81 Siehe statt aller Jakobs, AT, 1/1 ff., insbesondere 1/15. 82 So Jakobs, Zur gegenwärtigen Straftheorie, in: Strafe muss sein! Muss Strafe sein?, S. 40. 83 Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 845, Fn. 7. 80

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tät zu gewähren ist. An erster Stelle maßgeblich ist also die Geltung der Freiheitsbegriffe des Strafrechts. „Empirisch faßbar sind an diesem Vorgang“ – so Jakobs – „einzig die Straftat, das Verfahren und der Zusammenhang beider; nicht empirisch faßbar ist insbesondere die Bestätigung der Identität; denn sie ist nicht Folge des Verfahrens, sondern seine Bedeutung“84. Die Vollendung mit dem Erfolg meint nicht einen sinnlich wirkenden Erfolg und auch nicht, daß die Rechtstreue der Bürger bei einem größeren und plakativer angerichteten Schaden stärker beeinträchtigt wird, daß mit der Rechtsgutsverletzung „die Empörung der Rechtsgemeinschaft (. . .) wächst“85, so daß die Strafe diese größere Erschütterung der Rechtsgemeinschaft konsequent berücksichtigen müßte86. Es geht vielmehr um die Wiederherstellung des Rechts als kontrafaktische Bestätigung der Normgeltung. Im Fall der Vollendung liegt eine komplette Verletzung konkreter Freiheit nach den genuinen Begriffen des Strafrechts vor. III. Der materielle Versuchsbegriff 1. Der Versuch als gegenwärtige, zum Tatzeitpunkt stattfindende (Straf-)Rechtsverletzung Die Vollendung beinhaltet also eine Rechtsverletzung im strafrechtlichen (kommunikativen) Sinne, bei der die Formierung der Welt durch eine andere Person bzw. eine strafrechtlich relevante Institution zum konkreten Zeitpunkt als definitiv gehindert gilt: Eine Person wurde getötet, ein abgenötigtes Verhalten vollzogen, ein gefährliches Verhalten unter bestimmten Umständen durchgeführt. Dabei genügt es schon, daß die Hinderung – als strafrechtlicher Begriff – als der bestimmten Gestalt einer bestimmten Gesellschaft gemäße praesumptio iuris et de iure begriffen wird. Soll beim Versuch keine (Straf-)Rechtsverletzung vorliegen, dann liegt keine strafrechtliche Hinderung an der Formierung der Welt einer Person vor, was wiederum heißt, keine Umschichtung fremden Eigentums in seinem strafrechtlichen Sinn, scil. keine Straftat. Der Versuch als strafrechtliche Rechts- und dementsprechend Pflichtverletzung macht hingegen auf dieser begrifflich-abstrakten Ebene – Schuld wird vorausgesetzt – eine Straftat aus87. Der Versuch bloß einer Rechtsverletzung ist seinerseits ein Geschehen im Privatbereich der Person des Täters, d.h. strafrechtlich unmaßgeblich. Der strafrechtliche Versuch ist also bei Delikten gegen die Person nicht der Versuch einer Eigentumsumschichtung, sondern schon eine Eigentumsumschich84 85 86 87

ZStW 107 (1995), S. 843 ff., S. 844 f. m. w. H. Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 207. Siehe nur Timpe, Strafmilderungen, S. 99 f. Siehe von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 404 a. E.

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tung. Er ist also nicht etwa deswegen strafrechtlich relevant, weil das Täterverhalten auf die Vollendung ausgerichtet wäre – etwa als Geschehen nach einer objektiv-kausalistischen Bezweckbarkeit bzw. Finalität88. Denn ein Geschehen in der Natur kommuniziert per se nichts Gesellschaftliches. Der Täter behauptet strafrechtlich vor der Gesellschaft nämlich nichts dadurch, daß er etwas an sich sozialverwerfliches vorhatte, anfangen wollte oder dazu ansetzte, denn im Strafrecht wird dies nur dann zur Kommunikation, d.h. strafrechtlich relevant, wenn der Täter es „durch Usurpation fremder Rechte behauptet, also eine Gesellschaft anderer Struktur nicht nur postuliert“89, sondern es auch unternimmt (Tatstrafrecht). Eine Tat, d.h. die Usurpation fremder Rechte, gilt als Versuchsunrecht – und zwar schon beim Versuchsbeginn bzw. beim unbeendeten Versuch –, weil sie begonnen wird90, spezifisch weil der Organisationsbereich des Opfers (etwa Wissen, Sacheigentum, Vermögen, Entscheidungs-, Verhaltensfreiheit – Geschehen in der personal-kommunikativen Gesellschaft) durch das Täterverhalten bereits umgeschichtet wird, wenn auch die Umschichtung noch nicht komplett abgeschlossen ist. Dies bedeutet: Sie findet in der Gegenwart der Straftat statt, was wiederum heißt: innerhalb des Tatzeitpunkts bzw. zum noch nicht abgeschlossenen Tatzeitpunkt91. 2. Versuch und Vollendung als perfekte Normbrüche und die Verwirklichung des Gesamtunrechts a) Der Versuch und die Vollendung als perfekte Tatbestandsverwirklichungen – die Ebene des Anerkennungsverhältnisses zwischen Täter und Norm Die Gemeinsamkeit von Versuch und Vollendung besteht zunächst darin, daß bei beiden zurechenbaren Handlungen derselbe interpersonale Vorgang stattfindet: Umschichtung von Eigentum bzw. die Hinderung einer institutionellen Leistung. Bei beiden, Versuch und Vollendung, ist konkret (d.h. einschließlich der positiv-rechtlichen Dimension), eines schon vollendet: die Nicht-Beachtung eines strafrechtlichen Kommunikationszusammenhanges, eben eine strafrechtliche 88

Hierzu oben 1. Kap., § 2 B. II. 2. Jakobs, FS Seiji Saito, S. 763 (34). So wird die Strafe nur in derselben Art zu einem strafrechtlich-gesellschaftlichen Ereignis, d. h. nicht als bloße Behauptung, sondern durch Gestaltung, scil. auf Kosten des Eigentums des Zuständigen. Siehe dazu Jakobs in: Strafe muß sein! Muß Strafe sein, S. 36. Den freiheitlichen interpersonalen Zusammenhang, der das Versuchsunrecht charakterisiert, berücksichtigen auch Köhler, AT, S. 452 f.; Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 229 ff.; Rath, JuS 1998, S. 1109. Die Unterschiede liegen im Begreifen des Freiheitlichen im Strafrechtssystem. 90 Vgl. LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 11; Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. § 22, Rn. 12.; Tröndle/Fischer51, § 22, Rn. 2; LK10-Vogler, vor § 22, Rn. 12 m. w. H. 91 Zur insoweit h. M. vgl. Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. § 22, Rn. 12 („Im Unterschied zur Vollendung [. . .] ist der Versuch die begonnene, aber unvollendet gebliebene Tat“). 89

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2. Kap.: § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs‘‘

Pflichtverletzung – kurz: ein Normbruch92. Beim Versuch steht also die Sinnqualität des Verhaltens fest: eine Tat liegt vor, denn das Anerkennungsverhältnis zur Norm wurde gebrochen. Der Versuch ist also nicht – auch nicht beim Versuchsbeginn – Ansetzen zu einem Normbruch, sondern auf der Ebene des objektiven Anerkennungsverhältnisses zur Norm perfekte Tatbestandsverwirklichung als festgestellte Nicht-Beachtung der konkret verletzten Norm. Der Tatbestandsbegriff bezeichnet primär nämlich weder einen auseinandernehmbaren Ausschnitt der naturalistisch beobachteten Wirklichkeit, noch das Maß einer strafrechtlichen Wirklichkeit (volle oder verminderte Zumessung der Schuld). Seine Bedeutung betrifft primär die (partielle) Ordnung der Welt in einer bestimmten Gesellschaft. Ist diese partielle Ordnung, d.i. die Norm, gebrochen, ist der Tatbestand, der Verbrechensbegriff zu einer Norm qualitativ perfekt erfüllt. Vor diesem normativen Hintergrund ist beim Versuch der Tatbestand perfekt verwirklicht bzw. die Norm perfekt gebrochen. Auf der Ebene objektiver Anerkennungsverhältnisse betrifft der Begriff der Tatbestandsverwirklichung die Feststellung der Mißachtung eines strafrechtlichen Kommunikationszusammenhanges, d.i. einer Norm. Die Ebene des strafrechtlichen Sinnes, des Tatbegriffs ist nämlich erreicht. Tatbestandsverwirklichung93 heißt auf dieser Ebene also kurz, daß die Norm desavouiert, ihre Geltung in Frage gestellt wird. Diese Frage der Erreichung des Begriffs als Frage der Abgrenzung von deliktischem und (wenn man so will: noch) nicht deliktischem Verhalten94, ist bei mit Versuch bestraften Delikten – bei den mit Versuch nicht bestraften Delikten nur eine materiell-abstrakte Antwort – die Antwort darauf, ob Schuld bzgl. einer Norm vor der Vollendung vorliegt.

92 In diesem Sinne Jakobs, AT, 25/21, 6/71; ders., GS Armin Kaufmann, S. 277; Reyes, ZStW 105 (1993), S. 109 ff., S. 133 f.; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 200 ff., S. 205, S. 237; Vehling, Abgrenzung, S. 87 f.; Polaino-Navarrete, FS Gössel, S. 163 f., S. 171. Genau genommen liegt aber nicht formell eine Normdesavourierung und materiell eine Rechtsgutsgefährdung vor (Polaino-Navarrete, FS Gössel, S. 169). Strafrechtliche Kommunikation ist die materielle Ebene des Strafrechts, des Versuchs. Normdesavourierung bezeichnet den materiellen Sachverhalt des Versuchs. Es geht auch nicht um die „wirklich materielle“ Basis beim Rechtsgut, sondern um Freiheitsbegriffe als normative und d.h. kommunikative Wirklichkeiten. 93 Der Tatbestandsbegriff schließt die Berücksichtigung von Rechtfertigungsgründen und Schuld ein. Es geht um Unrecht, und Unrecht heißt stets schuldhaftes Unrecht. Dazu eingehend Lesch, Verbrechensbegriff, S. 220; González-Rivero, Defektzustände, S. 132. 94 Zur Unterscheidung zwischen der qualitativen und quantitativen Unrechtsfrage beim Versuchsbeginn neulich Bloy, ZStW 113 (2001), S. 76 ff., S. 78.

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b) Der Versuch als Teilverwirklichung des Tatbestands – die Ebene des interpersonalen Anerkennungsverhältnisses Die Bezogenheit von Versuch und Vollendung basiert materiell-strafrechtlich auf einem interpersonal strukturierten Rechtsverhältnis95 als objektiv vermitteltem Anerkennungsverhältnis zwischen Personen; es geht um eine institutionell vermittelte Interpersonalität, deutlicher vor allem bei positiv-staatlichen Pflichten. Die Norm und ihre kommunikative Wirklichkeit begründet interpersonale Anerkennungsverhältnisse und bestimmt, welche interpersonalen Leistungen als kommunikativ relevante Leistungen zu erbringen sind. Interpersonalität bedeutet nicht unbedingt die Anwesenheit zweier Personen als Rechtsgüter. Interpersonalität setzt nicht Anwesenheit eines Opfers voraus, das beim Täter eine Pflicht generiert – so etwa im Modell von Zaczyk und Köhler –, sondern dem Täter wird eine interpersonale Leistung als seine Aufgabe zugeschrieben, und sei es deswegen, weil die Anwesenheit des Opfers im normativen Kontext als Orientierungsbestandteil des Täters diesem zugeschrieben wird. Wird beim Versuch nicht die komplette Verletzung einer Institution, der kommunikativ vollendete Sachverhalt erreicht, wurde der Bruch des interpersonalen Anerkennungsverhältnisses nur teilweise verwirklicht. Der Versuch bleibt eine Teilverwirklichung des Tatbestands in seiner interpersonalen Dimension, d.h. in den von der primären Bedeutung des Tatbestandes (Gründung einer Ordnung) geschaffenen interpersonalen Anerkennungsverhältnissen96.

95 Grundsätzlich aber ebenfalls aus einem normativ-(inter-)subjektiven Freiheitsverständnis Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 229 ff.; Köhler, AT, S. 452 f.; Rath, JuS 1998, S. 1008. 96 Verkannt wird dies offensichtlich auch von Roxin, AT II, § 29, Rn. 44 (in Anlehnung an Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren, 1989, S. 125; Roxin folgend auch LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 67) in seiner Kritik an Jakobs, AT, 25/17 („einen perfekten Angriff auf die Normgeltung“). Nach Roxin löst sich Jakobs von „den objektiven Grundlagen des Tatstrafrechts zugunsten einer Subjektivierung, die dem Gesinnungsstrafrecht nahekommt“; die „Strafbarkeitsabstufungen“ von der Vollendung bis hin zum grob unverständigen Versuch sollen nach Roxin wegen des Abstellens auf die perfekte Verletzung der Normgeltung und nicht auf die Verletzung von Gütern nicht erklärt werden können. Diese Kritik Roxins verkennt die Ebene, auf der sich die Theorie von Jakobs entwickelt. Jakobs distanziert sich nicht vom vorherrschenden Verständnis des Versuchs: Beim Versuch ist der Verbrechensbegriff erfüllt, nur nicht in vollem Schuldmaß. Das Verlassen des Rechtsgüterschutz(-objekts-)dogmas, das Verlassen von phänotypischen, sinnfälligen Sachverhalten als Bezugspunkt des Strafrechts bringt nicht unbedingt einen dem Gesinnungsstrafrecht angenäherten Subjektivismus mit sich. Bei Jakobs geht es um ein anderes Paradigma der Objektivität, nach dem Güter erst in Kommunikationszusammenhängen relevant werden und die Zurechnung objektiv nach der kommunikativen Wirklichkeit des Strafrechts zu verstehen ist. Eine exzessive Ausweitung der Strafbarkeit wegen Subjektivierung ist umgekehrt nicht nur ein Problem des Finalismus, sondern der naturalistisch ansetzenden h. L., das Problem des präventiv-naturalistischen Strafrechts.

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2. Kap.: § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs‘‘

3. Das „Versuchen“ als Zusammenhang zwischen strafbarem vorvollendetem Verhalten und Vollendung a) Zweckbestimmtheit des Versuchsbegriffs? Der Versuchsbegriff ist ein strafrechtliches Konstrukt – wobei Konstrukt mit innersystematischer und einzig relevanter, scil. mit realer Wirklichkeit gleichgestellt wird. Der Terminus „Versuch“ weist – allgemein ausgedrückt – auf ein Geschehen hin, das auf einen Sachverhalt bezogen ist bzw. – nach dem üblichen Sprachgebrauch – zu einem Erfolg strebt und insoweit durch eine Intentionalität oder Finalität bzw. Zweckbestimmtheit geprägt ist. Der strafrechtliche Versuchsbegriff ist aber nach dem spezifischen Ordnungsinteresse und den Erkenntnisprinzipien des Systems festzustellen. Bei dem „Versuch-Sein“ bzw. bei der „Zweckbestimmheit“ des Versuchsbegriffs handelt es sich strafrechtlich um die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Versuch und Vollendung und dessen Auswirkung auf die Zurechnungslehre zum Versuch. In Rede steht dementsprechend nicht eine Frage des subjektiven Tatbestandes, denn begrifflich gesehen – und auch gesetzlich97 – gibt es fahrlässige und vorsätzliche Versuche. b) Zweckbestimmtheit als objektive Zurechenbarkeit Das Zielgerichtet-Sein bzw. die Zweckbestimmtheit des Verhaltens wird in einem freiheitlichen, funktionalen Strafrecht weder in der individuellen oder sonst psychologisierend definierten Finalität bzw. im Willen des Täters geortet – auch fahrlässig ist ein unerlaubtes Risiko begründbar –, noch äußerlich-empirisch bestimmt – denn es geht um Verletzung von Institutionen –, noch nach soziopsychologischen oder sonst nach naturalistischen Maßstäben bestimmt – denn es handelt sich nicht um eine diffuse Sozialpsychologie –. Es geht konkret um die Bedingungen der Konstitution von gesellschaftlicher Kommunikation bzw. strafrechtlichem Sinn, um das gesellschaftlich verbindliche Deutungsschema zur Aufrechterhaltung der Bedingungen (straf-)rechtlicher Freiheit. Besteht etwa bei Delikten gegen die Person eine Pflichtverletzung in einer Eigentumsumschichtung, soll diese nach strafrechtlicher (bzw. objektiver Schuld-)Zurechnung stattfinden. Die Intentionalität als sozusagen impliziter Bestandteil des Versuchsbegriffs ist nichts anderes als die Frage nach dem „Versuch-Sein“ des Versuchs, d.i. nach dem Versuchsbegriff: Dieses „Versuch-Sein“ ist also die Rechtsverletzung bzw. die Usurpation von Rechten als Eigentumsumschichtung vor der formellen Vollendung nach dem Zusammenhang zwischen dem Versuchsbegriff als Teilbegriff des Unrechtsbegriffs und dem kon97 So die tatbestandlichen Fälle des § 315c Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe f, 2. Fallgruppe StGB.

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kreten (d.h.: auch formellen) Begriff der Vollendung98. Der Prozeß der Pflichtverletzung ist Versuch, Eigentumsumschichtung im weitesten Sinn. Die bisherige Darstellung zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit als Pflichtverletzung – Eigentumsumschichtung bzw. Hinderung der institutionellen Leistungen – stellt demzufolge den materiellen Bezugsrahmen dar, den die Zurechnung zum Versuch nicht überspringen darf, d.h. den Aspekt der Zweckbestimmtheit des Versuchsbegriffs. Dieser Bezug kann durch naturalistische Begebenheiten, scil., aktuelle innerpsychische Kenntnisse, Pläne, Intentionen und Vorhaben des Täters, objektiv-kausalistische Bezweckbarkeiten oder schlicht „kluge“ Abwägungen nicht ersetzt werden. Aus einer materiellen Perspektive ist es prinzipiell möglich, naturalistisch vorsätzliches und fahrlässiges wie auch taugliches und untaugliches Täterverhalten als strafrechtlichen Versuch zu begreifen, solange nur die konkret strafrechtlich definierten, d.h. die objektiven Zurechnungs- bzw. Zuständigkeitskriterien für eine strafrechtliche Pflichtverletzung erfüllt werden. Es steht also fest: Nach der gesellschaftlichen und freiheitslegitimatorischen Dimension des Strafrechts ist das Intendiert-Sein des Versuchs in dem Sinne zu verstehen, daß das Verhalten beim Versuch auf kommunikativer Ebene ein Anfangen zum Umschichten als Organisationsanmaßung ist. Kommt es hingegen zu der materiellen Umschichtung, die aber als Vollendung definiert wurde, ist die Tathandlung vorüber, Vergangenheit. Soziale Störung ist also erst das Ausführungsverhalten99 bei der Usurpation fremder (tatbestandlicher) Rechte. Zurechenbares Usurpieren ist strafbar100 (unerlaubtes Risiko bzw. und evtl. bloß materieller Versuch101). Der durch zurechenbares „Usurpieren“ hervorgebrachte kommunikative „Zustand“ der „Usurpation“ (Vollendung) ist wiederum strafbar. 98 Das Strafrecht geht deshalb nicht davon aus, bei einer Tat werde immer ein relevantes Versuchsstadium durchlaufen. Versuch und Vollendung können zusammenfallen, was heißt, die Pflicht wird sofort vollendet verletzt. 99 Siehe Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 283. Vgl. LK10-Vogler, § 22, Rn. 23; Geilen, AT4, S. 147; Meyer, JuS 1977, S. 20; Beling, Grundzüge, S. 56; von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 398 m. w. H. auf die frühere Literatur; RGSt. 66, 154, als für die Rechtsprechung des RG bezeichnend: „Der Versuch beginnt also mit der Ausführungshandlung. Ausführungshandlung ist nach heute anerkannter Rechtsprechung des Reichsgerichts (. . .) die Tatbestandshandlung des einzelnen Delikts, also dasjenige Verhalten, das begrifflich bereits als tatbestandsmäßig unter den Deliktstatbestand fällt“. Der Grund dafür, daß vom RG auch Vorbereitungshandlungen und tatbestands„nahe“ Handlungen als Versuch erfaßt werden, wie nach heutiger Rechtsprechung des BGH und der Literatur, liegt nicht in einer unterschiedlichen Versuchsdefinition oder Formel, sondern allein in der naturalistischen Methode bei der Auslegung des Gesetzes begründet. Näher darzustellen ist also der Begriff der Ausführungshandlung, scil. der Teilverwirklichung des Tatbestandes, in einer normativ-freiheitlichen Strafrechtstheorie. 100 Unter Beachtung des § 23 Abs. 1 StGB. 101 Vgl. in diesem Sinne auch Jakobs, Imputación objetiva, S. 174: Bei der Bestimmung des sozial störenden Verhaltens liege zumindest Versuch vor.

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2. Kap.: § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs‘‘

Versuch und Vollendung sind also nicht voneinander unabhängige Begriffe102. Sie sind materielle Unterbegriffe des Unrechtstatbestands, d.h. des Unrechtsbegriffs als Tatbestandsverwirklichung; Bezugsbegriff ist aber die den Versuch in sich tragende Vollendung.

D. § 22 StGB, die „Begriffsbestimmung des Versuchs“ als „Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung“ I. Der Versuch als „Ansetzen zur (BT-Vollendungs-)Tatbestandsverwirklichung“ 1. Problemstellung Entgegen seiner Überschrift („Begriffsbestimmung des Versuchs“) werden die Tatbestandsmerkmale des § 22 StGB nach der naturalistischen Auslegung der h. M. nicht als strafrechtliche Begriffsmerkmale des Versuchs, sondern als bloße Elemente einer (ungenauen) Klugheitsregel zur Bestimmung schlicht des Versuchsbeginns gedeutet. Nach naturalistischer, auf den „Sprachgebrauch“ abstellender Methode soll § 22 StGB bloß den Versuchsbeginn als vortatbestandliches Verhalten erfassen. Zur Strafbarkeit des Versuchs soll demzufolge nicht ein tatbestandsmäßiges Verhalten erforderlich sein, sondern bereits ein schlicht (oben eingehend kritisch dargestelltes103) tatbestandsnahes Verhalten für das Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung ausreichen. Es findet grundsätzlich eine unbestimmte Vorverlagerung des Versuchsbereichs statt, die zwar eine „gesetzliche“ Rechtfertigung finden soll, aber letztendlich nicht in der Redaktion von § 22 StGB (bzw. des damaligen § 43 StGB a. F.), sondern in der angewandten Methode gründet. Nach Literatur und Rechtsprechung soll trotz des vortatbestandlichen Charakters des § 22 StGB der Versuchsbeginn schon ein Ansetzen zur Vollendung enthalten, sowohl in formeller wie in materieller Hinsicht, was diese lediglich auf das Merkmal der Unmittelbarkeit zurückführen. Denn – so Hillenkamp – materiell „muß sich mit dem Beginnen der Tathandlung schon die Gefahr der weite102 In diesem Sinne auch Bloy, ZStW 113 (2001), S. 76 ff., S. 81 (der von keinem unterschiedlichen, je eigenen „Deliktscharakter“ beider „Verwirklichungsstadien“ eines Delikts des BT ausgeht, sondern dieselbe Legitimationsgrundlage zugrundelegt); S. 32 (es gibt keinen besonderen Strafgrund des Versuchs); Jescheck/Weigend, AT, S. 515 (Bezogenheit der Versuchsmerkmale auf den konkreten Straftatbestand); Jakobs, AT, 25/4 (Tatbestandsergänzung); 25/21 (derselbe Strafgrund); MK-Herzberg, § 22, Rn. 1, Rn. 4 (derselbe Strafgrund); Freund, AT, § 8, Rn. 29 (abgeleiteter Charakter), Rn. 11 (derselbe Strafgrund); Vogler, FS Stree/Wessels, S. 290 (die jeweiligen Unrechte seien ihren Wesen nach identisch). Anders insbesondere Alwart, GA 1986, S. 245 ff., S. 246; ders., Strafwürdiges Versuchen, S. 89 ff. 103 Siehe oben 1. Kap., § 3.

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ren Verwirklichung des Tatbestandes bis hin zur Vollendung verbinden“104. Es handelt sich nach der Rechtsprechung nämlich auch um die „Unmittelbarkeit zur Tatbestandserfüllung“105, so daß – daraus ableitend Herzberg – nur solche Fälle erfaßt werden, in denen „die Vollendung unmittelbar bevorsteht“106. Formell ausgedrückt geht es nach der herrschenden Ansicht um das Ansetzen „zur Verwirklichung des gesamten tatbestandlichen Unrechts, d.h. aller Tatbestandsmerkmale“107. Dieser Ansatz schlägt sich auch bei Erfolgsqualifizierungen nieder: Es geht um Ansetzen nicht „zur Verwirklichung eines Teils des tatbestandlichen Unrechtes, sondern zur Verwirklichung des gesamten tatbestandlichen Unrechts“108. Daß § 22 StGB als Ansetzen zur Vollendung nicht bloß auf die Unmittelbarkeit zurückzuführen ist, sondern vielmehr auf die Tatbestandsmäßigkeit des Versuchs bereits beim Versuchsbeginn („Ansetzen“ einzig als tatbestandliches „Ansetzen zur Vollendung“), wird nicht nur auf der Basis des (naturalistisch gedeuteten) Wortlauts, sondern auch auf der Basis bloßer kriminalpolitischen Abwägung ohne nähere Begründung ausgeschlossen: „Denn mit einem solchen Ansetzen zum gesamten (zum vollständigen) Tatbestand wird der Ausschnitt des Versuchsbereichs ersichtlich zu eng“109 – die Frage ist nun: warum und wie ersichtlich? 2. Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung und die Tatbestandsmäßigkeit des Versuchs Jedes Versuchsdelikt ist als Bruch des (strafrechtlichen) objektiven Anerkennungsverhältnisses, als Normbruch, als eine perfekte Tatbestandsverwirklichung zu verstehen. Die (partielle, in einem konkreten Tatbestand ausgedrückte) Ordnung einer Gesellschaft, die allen Mitgliedern gemeinsame, ihre individuell-subjektiven Schemata Lust/Unlust übersteigende, sie als Person konstituierende, objektive Welt wird in der konkreten Tatsituation gleichsam nicht zur Geltung gebracht. Zum Tatbestand als Bruch eines objektiv vermittelten, interpersonalen Anerkennungsverhältnisses unterscheidet das StGB zwischen dem allgemeinen LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 96 (Hervorh. dort). Siehe unten 1. Kap., § 3 B. IV. 2. b). 106 MK-Herzberg, § 22, Rn. 169. 107 SK-Rudolphi, § 22, Rn. 7a (Hervorh. dort). Siehe auch Burkhardt, JuS 1983, S. 428 f.; BGHSt. 31, S. 182; BGHSt. 37, S. 294; Jakobs, AT, 25/70; Schönke/Schröder/Eser, § 22, Rn. 37. 108 SK-Rudolphi, § 22, Rn. 18 (Hervorh. dort). Siehe auch Burkhardt, JuS 1983, S. 428 f.; Kühl, JuS 1980, S. 509; dens., AT4, § 15, Rn. 50; Maurach/Gössel/Zipf, AT II, § 40, Rn. 115; Kindhäuser, BT II, Band 1, § 2, Rn. 65; Roxin, AT II, § 29, Rn. 172; Stratenwerth, AT3, Rn. 678; dens., AT4, § 11, Rn. 43. 109 LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 96. 104 105

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2. Kap.: § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs‘‘

Versuchstatbestand (§ 22 StGB) und dem jeweiligen (besonderen) BT-Vollendungstatbestand: eine Gesetzestechnik110. Es geht beim Versuch nach dem StGB um Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung. Worauf hier unter der Bezeichnung Tatbestand verwiesen wird, läßt sich nur vor dem Hintergrund des bisherigen Argumentationsgangs feststellen. Zum Begriff des Normbruchs, der strafrechtlichen Handlung – scil. des schuldhaften Unrechtsverhaltens111 – gehören sowohl der Versuch als auch die Vollendung. Sie sind Unterbegriffe des Tatbestandes einer Norm, des strafrechtlichen Handlungsbegriffs. Diese Unterbegriffe betreffen nicht unmittelbar das Anerkennungsverhältnis zwischen Täter und Norm, sondern das hierdurch vermittelte interpersonale Anerkennungsverhältnis. Auf dieser Ebene ist zwischen Versuchs- und Vollendungstatbestand zu differenzieren. Beide betreffen dieselbe Norm, denselben normativ-freiheitlichen Zusammenhang im Strafrecht, aber auf unterschiedlicher interpersonaler Verletzungsebene. In diesem Sinne ist der Versuchstatbestand vom Vollendungstatbestand zu trennen. Der Ausdruck „Ansetzen“ zur Tatbestandsverwirklichung bringt auf dieser Ebene schon die „Trennung“ beider Tatbestände zum Ausdruck und darüber hinaus auch ihren – noch unspezifischen – „Zusammenhang“: Der Versuch wird in seiner Bezogenheit zur Vollendung begriffen. Da der Versuch kein Ansetzen zu einem Normbruch ist, kann in § 22 StGB nicht ein Ansetzen zum Gesamtunrechtstatbestand eines Normbruchs gemeint sein. Geht es beim Ansetzen um eine Vorverlagerung der Strafbarkeit, kann sie das nicht bzgl. des Tatbestandes als bzgl. der Norm, sondern nur bzgl. der jeweiligen BT-Tatbestände in ihrer Dimension als Vollendungstatbestände sein. Nach dieser Perspektive werden BT-Tatbestände also nicht in ihrer primären Bedeutung als Ordnung der Welt in unserer Gesellschaft, sondern als (interpersonale) Vollendungstatbestände interpretiert. Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung nach § 22 StGB ist also als Ansetzen zur Verwirklichung der Vollendungstatbestände zu verstehen – in diesem interpersonalen Sinne ist auch im Gesetz der Ausdruck in § 22 StGB „eine Straftat versucht“ zu lesen; „Straftat“ wird nämlich auf die BT-Tatbestände bzw. BT-Straftaten bezogen, ohne deswegen den Versuch als Straftat auszuschließen. Das heißt, das Gesetz drückt die Begrifflichkeit des Versuchs anhand seines technischen Aufbaus aus. „Tatbestandsverwirklichung“ in § 22 StGB meint nicht das gesamt Tatbestandliche, nur den BT-Vollendungstatbestand. Der Versuch bleibt Straftat, denn er wird gesetzestechnisch über § 22 StGB als solche gesetzt. Er ist nicht eine andere Straftat, sondern dieselbe Straftat wie die Vollendung, genauer: Er ist der erwei110 Dogmengeschichtlich war die Regelung des Versuchstatbestands nicht immer im allgemeinen Teil verortet. Vgl. zur Dogmengeschichte des Versuchs Jescheck/Weigend, AT, S. 512; LK10-Vogler, vor § 22, S. 2 ff.; Baumann/Weber/Mitsch, § 22, Rn. 1. 111 Siehe Jakobs, Handlungsbegriff, passim.

§ 6 Das „Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung‘‘

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terte BT-Vollendungstatbestand, denn die Norm bleibt dieselbe Norm, etwa „nicht zu töten“. Der Versuch ist ein das Unrecht teilverwirklichendes, tatbestandsmäßiges – beim Versuchsbeginn also nicht bloß tatbestandsnahes – Verhalten, der gemäß der Überschrift zu § 22 StGB den Versuchsbegriff und dementsprechend jede Form von Versuch – nicht nur den Versuchsbeginn – umfaßt. Auf materieller Seite erfaßt die Lehre von der objektiven Zurechnung diesen Zusammenhang unter den Stichworten Verhaltens- und Erfolgszurechnung. Risiko und Erfolg bleiben getrennte Aspekte, stehen aber zugleich in Bezogenheit aufeinander, denn es geht um ein Risiko zum Erfolg. Im hiesigen normativ-freiheitlichen Zusammenhang, wird der Versuch vom normativ-freiheitlichen Zusammenhang der Vollendung getrennt. Bei ihm ist die präsumtio iuris et de iure noch nicht gegeben, nach der die Freiheit zur Formierung der Welt als definitiv gehindert gilt: Das konkrete Stück Eigentum (Orientierung, Leben, Sachbesitz) ist noch nicht komplett verletzt. Die Bezogenheit besteht wiederum darin, daß beim Versuch schon eine – wiederum näher zu konkretisierende – Eigentumsumschichtung besteht. Unterscheidet die heutige Versuchslehre zwischen einem Versuch als vortatbestandlichem Verhalten, als Ansetzen zur Tatbestandshandlung und einem Versuch als tatbestandlichem Verhalten – d.h. innerhalb der Tatbestandshandlung –, gelingt keine saubere Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch. Würde der Versuchsbegriff des § 22 StGB bloß als „Prozeß der Hervorbringung des Prozesses der Tatbestandsverwirklichung“ (Vortatbestandlichkeit) interpretiert, leistete § 22 StGB keine Definition des Versuchsbegriffs. Denn die Phase der Tatbestandsverwirklichung fiele nicht unter § 22 StGB („Begriffsbestimmung des Versuchs“). Auf primärer Ebene ist der Versuch immer ein tatbestandliches Verhalten und mit der Vollendung in der Tatbestandshandlung zu fassen. Auf interpersonaler Ebene ist der Versuch stets „vortatbestandlich“, d.h. stets ein Ansetzen zum BT-Vollendungstatbestand. Soll immerhin zugrunde gelegt werden, daß manche Versuche außerhalb des primären Tatbestandes liegen, müssen sie einen anderen Normbruch als den der Vollendung ausmachen und einen anderen Strafgrund finden. In diese Richtung gehend bemühen sich – wie ausführlich dargestellt – dualistische Versuchstheorien darum, beide Sachverhalte zu erfassen. Gehören Versuch und Vollendung hingegen derselben Tatbestandshandlung, demselben Unrecht an, kann von einer Teilverwirklichung der Tatbestandshandlung bzw. des Tatbestands gesprochen werden. Eine solche Formulierung vermag dennoch noch nicht ausreichend den genuinen Versuchszusammenhang auf den Punkt zu bringen. Denn die Erfassung des Versuchs als Teil des Tatbestandes drückt zwar sowohl Trennung als auch Abhängigkeit des Versuchs von der Vollendung im Kontext eines gleichen Unrechts aus. Den engen Zusammenhang von Versuch und Vollendung, scil. die Unmittelbarkeit (hierzu unten § 8), vermag das bloße „Ansetzen“ aber noch nicht zu vermitteln. Es steht bis dahin

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2. Kap.: § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs‘‘

jedoch fest: Die negativ- oder positiv-pflichtigen Leistungen kennzeichnen auf dieser kommunikativen Ebene die Rechte und Pflichten der am normativen Tatkontext Beteiligten. Die Pflichtverletzung als Versuchsdelikt entsteht, weil der Stand der Organisation des Rechtskreises des Täters bereits eine Eigentumsumschichtung hervorbringt bzw. das Hervorbringen einer institutionellen Leistung hindert. Es handelt sich also um ein Verhalten, das zur kompletten Umschichtung des Eigentums des Opfers bzw. Hinderung der institutionellen Leistung zum konkreten (Tat-)Zeitpunkt zu führen vermag. Das Täterverhalten kann somit als umschichtender bzw. institutionshindernder Prozeß die Vollendung zurechenbar hervorbringen. II. Der Versuch, Feststellung eines unerlaubten Risikos nach tatbestandsspezifischer Auslegung Der richtige Weg zur Interpretation des § 22 StGB liegt darin, den Versuch als Teilverwirklichung des (Gesamt-)Tatbestandes112 über die Feststellung eines unerlaubten Risikos113 nach tatbestandspezifischer Auslegung114 zu begreifen. 1. Versuch und unerlaubtes Risiko Dieser Ansatz reicht aber nicht, wenn das „begriffliche Milieu“ dieser Feststellung verfehlt oder verkürzt berücksichtigt wird. Die Aufgabe fällt der Lehre der objektiven Zurechnung zu, wenn sie darauf abstellt, den Begriff des unerlaubten Risikos bei Tatbestandsauslegung innerstrafrechtlich, scil. auf strafrechtlich-kommunikativer und freiheitslegitimatorischer Basis zu erklären115. Das unerlaubte Risiko ist116 also nicht über naturalistisch konstruierte Eindrücke, Nor112 Entgegen heutiger h. M. Insoweit aber Geilen, AT4, S. 146, so wie die Rechtsprechung des RG und ein großer Teil der Literatur zu § 43 StGB a. F., so etwa deutlich RGSt. 66, 154; von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 398 (m. w. H. auch zur Rechtsprechung des RG); zu Dohna, Verbrechenslehre, S. 56; Beling, Grundzüge, S. 56. 113 Im Ansatz wie hier insoweit Vehling, Abgrenzung, S. 135 ff.; Jakobs, Imputación objetiva, S. 174; MK-Herzberg, § 22, Rn. 118; Schlehofer, Vorsatz und Tatabweichung, S. 57. 114 Im Ansatz wie hier insoweit von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 400, S. 405: „Erst gegenüber diesen konkreten Deliktstatbeständen (nicht gegenüber der Rechtsordnung bzw. dem Rechtsgut) entsteht überhaupt die Frage, was begrifflich Versuch ist“; auch insoweit Vogler, in: LK10, § 22, Rn. 23 ff., Rn. 58 ff. Vgl. auch Frank, Strafgesetzbuch, § 43, S. 65; Zieschang, S. 151; Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 299; Schönke/Schröder/Eser, § 22, Rn. 35; Freund, AT, § 8, Rn. 42; Lackner/Kühl24, § 22, Rn. 4. Vgl. auch BGH NJW 1988, S. 3109 f.; BGHSt. 31, S. 178 ff., S. 181 f.; 6, S. 98 ff., S. 99; BGH StV 94, S. 21. 115 Paradigmatisch für diesen Weg Pawlik, Betrug, passim. 116 Im Gegenteil zu Vehling, Abgrenzung, S. 135 ff., S. 138 ff. (positive Generalprävention als Basis des unerlaubten Risikos und unerlaubtes Risiko beim Versuch als tatbestandsindizierendes Verhalten).

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malität bzw. Auffälligkeit von Verhalten, Sozial- bzw. Rollenadäquanz, über Vorhaben, Gefährlichkeit und sonstige an sich wegen verfehlter Methode unmaßgebliche Kriterien festzustellen und auch nicht als bloß „tatbestandsindizierendes“117, bei bloßer Tatbestandsnähe stehenbleibendes118 Verhalten zu verstehen. Das unerlaubte Risiko ist vielmehr als tatbestandsspezifisches und innertatbestandliches, genauer: teilverwirklichendes, tatbestandmäßiges Verhalten zu begreifen. Es geht also um ein normatives, freiheitlich-kommunikatives Verständnis des Versuchs als tatbestandsmäßiges, teilverwirklichendes Geschehen einer Freiheitsverletzung als Eigentumsumschichtung bzw. als Hinderung einer institutionellen Leistung. Nach dem Erklärten wird der positiv-rechtliche, konkrete Unrechtsgehalt des jeweiligen BT-Vollendungstatbestands über den Versuchstatbestand innerhalb eines unerlaubten Risikos als kommunikative Freiheitsverletzung gleichsam erweitert. In Anlehnung an die heutige Terminologie der Lehre von der objektiven Zurechnung ausgedrückt: Nicht nur die objektive „Erfolgszurechnung“, die auf objektiv vermittelter interpersonaler Ebene stattgefundene komplette Rechtsverletzung, sondern schon das Ansetzen zu diesem kommunikativen Sachverhalt als Bestandteil des strafrechtlichen Handlungsbegriffs wird bei positivrechtlicher Indizierung (§ 23 Abs. 1 StGB) strafbar, eben der Versuch als „Verhaltenszurechnung“ vor der „Erfolgszurechnung“. So wird bei mit Versuch bestraften Normbrüchen wegen kommunikativer Sachverhalte bestraft, welche als Teil des Gesamtunrechts eben in einem (auch kommunikativen) Zusammenhang zur Vollendung stehen (Stufenlehre als kommunikativer Zusammenhang wiederum kommunikativer „Geschehnisse“). Die neueste Dogmatik hat jüngst über den Begriff der objektiven Zurechnung, scil. des unerlaubten Risikos und seiner Verwirklichung, diesen innerhalb des Tatbestandsbegriffs zu ortenden Zusammenhang beider kommunikativer Sachverhalte hervorgehoben. So Jakobs: „Im ersten Bereich geht es darum, das sozial störende Verhalten zu bestimmen, so daß mindestens Versuch vorliegt. Im zweiten Bereich wird untersucht, ob ein Erfolg die Fortsetzung des Versuchs bis zur Vollendung konstituiert“119. Wenn § 22 StGB nicht das Ansetzen zu einem Normbruch bzw. nicht das unmittelbare Ansetzen zu einem unerlaubten Risiko bedeutet, dann ist das Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung also nicht Ansetzen zu einem unerlaubt riskanten Verhalten, das Erfolgszurechnung begründen kann, sondern eben An117

Vehling, Abgrenzung, S. 138. So die herrschende Meinung. Siehe statt aller Roxin, AT II, § 29, Rn. 102 f.; Jakobs, AT, § 25/61. 119 Jakobs, Imputación objetiva, S. 174: „En el primer ámbito se trata de determinar el comportamiento socialmente perturbador, y, por tanto, al menos hay una tentativa de delito. En el segundo ámbito se analiza si un resultado constituye la continuación de esa tentativa hacia la consumación“. 118

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setzen zur Erfolgsherbeiführung bzw. zum kommunikativen Vorgang der Vollendung. Kurz: Es geht um die objektive Zurechnung eines unerlaubten Risikos. So deutlich die Feststellung von Jakobs: „Auch Versuchsverhalten muß unerlaubt riskant sein“120. Zusammenfassend: Auf die Frage, was für eine Rolle § 22 StGB in der Bestimmung unerlaubter Risiken spielt, ob er („unmittelbares Ansetzen“) den Bereich des unerlaubt Riskanten oder den Bereich des Strafbaren vor der Vollendung in den Bereich des unerlaubt Riskanten vorverlagert, ist nach dem Dargestellten wie folgt zu antworten: Die Eigentumsumschichtung bzw. das unerlaubte Risiko, nicht das Ansetzen zur Eigentumsumschichtung bzw. zum unerlaubten Risiko konstituiert einen Versuch. Es steht also fest: § 22 StGB ist wörtlich nach dem Gesetz als „Begriffsbestimmung“ des „Versuchs“ zu verstehen. Er umfaßt alle mögliche Formen des Versuchs. Dabei ist der Begriff nicht bloß definitorisch, sondern hauptsächlich, wie in dieser Arbeit eingehend erörtert wurde, „wirklichkeitsstiftend“ zu verstehen. § 22 StGB meint nämlich nicht einfach eine (ungenaue) Regel – unter anderen Regeln – objektiver Zurechnung zum Versuchsbeginn beim Tun, so daß die Regel des § 22 StGB bei Unterlassung „nur begriffsjuristisch angebracht, material aber verfehlt“121 wäre und sich hierbei folglich nach der – wie beim Tun gegebenenfalls vortatbestandlichen – Erhöhung des Aufwands zur Revokation durch weiteres Zuwarten zu richten wäre. Es geht also nicht nur um eine Regel für den Versuchsbeginn, auch die letzte Phase des beendeten Versuchs macht ein „Ansetzen“, scil. einen Versuch aus. Das „Ansetzen“ macht hiernach also nicht ein vortatbestandliches Verhalten ausmachen, so daß schon das Vorfeld des Tatbestands durch § 22 StGB zu bestrafen wäre, so daß tatbestandsnahes Verhalten einen Versuch ausmachen würde. Dementsprechend ist es verfehlt, die Kriterien objektiver Zurechnung bzw. die Regeln zum (un-)erlaubten Risiko durch die „Regel“ des § 22 StGB als Regel der zeit-räumlichen Nähe zum Tatbestandsverhalten zu erweitern. § 22 StGB ist schließlich als Begriff, nicht als Regel zu verstehen. Die Vorverlagerung findet begrifflich nicht in Beziehung zum tatbestandsmäßigen Verhalten, sondern zum BT-Vollendungstatbestand statt. Daß der historische Gesetzgeber zur Formulierung des Versuchs an naturalistische Konzepte angeknüpft hat, erklärt insoweit warum die Formulierung auch einen naturalistischen Versuchsbegriff oder vielmehr keinen Begriff, sondern eine Formel oder Regel nahezulegen scheint, und die naturalistisch verankerte Dogmatik sich in ihrer – wenn auch nur mit Korrekturen und ergänzenden (Klugheits-)Regeln vertretenen – Behauptungen bestätigt sieht. Es geht aber weder um eine geschichtliche Auslegung von § 22 StGB noch um die Uminterpretation des Gesetzeswortlauts 120 Jakobs, Imputación objetiva, S. 136 (Das erlaubte Risiko, Manuskript-Vortrag Kolumbien, S. 2). 121 Jakobs, AT, 25/72.

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von einer „Begriffsbestimmung des Versuchs“ zu einer „Begriffsbestimmung von Versuchsbeginn“ oder gar zu einer bloß naturalistischen, unbestimmten (Klugheits-)Regel, die anderer „Formeln“ bzw. „Klugheitsregeln“ bedarf, sondern um die Auslegung des „Versuchsbegriffs“ eines in einem als personalkommunikativen und freiheitlichen Teilsystem der Gesellschaft erfaßten Strafrechts. 2. Tatbestandsspezifische Auslegeung des Versuchsbegriffs Wird der Versuch also als ein teilverwirklichendes tatbestandliches Verhalten verstanden, dann trifft die Behauptung von Roxin zu: Eine Auslegung des § 22 StGB, die am Tatbestand orientiert ist, kann den „Nähebereich“ des Tatbestandes „nicht erfassen“122. Nur darf der Tatbestand nicht mit der Tatbestandshandlung als der bloßen Verursachungshandlung gleichgestellt werden, denn die Verursachungshandlung ist nicht bloß naturalistisch-kausal, sondern in ihrer kommunikativ-freiheitlichen Dimension zu erfassen. So geht es nach Jakobs um das Erfassen der Verursachungshandlung als ein Handlungsgeschehen als Sinneinheit123 nach kommunikativ-freiheitlichem Verständnis. Mit den Worten von Welzel: „Handlung‘ (auch finale Handlung) ist immer noch eine Abstraktion wie ,Verursachung‘, wenn sie nicht als sozial bedeutsames Phänomen, als Handlung im sozialen Lebensraum erfaßt wird“124. Wird dies verstanden, dann geht es beim Versuch um ein tatbestandliches Geschehen innerhalb der Verursachungshandlung als innerhalb des Kommunikationszusammenhangs der Straftat, innerhalb des Handlungsgeschehens als Sinneinheit. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale bezeichnen nicht Elemente einer durch weitere „heuristische“ Formeln zu ergänzenden (Klugheits-)Regel. Bei der Auslegung eines jeden Tatbestandsmerkmals geht es vielmehr um „die Frage nach den Voraussetzungen und der genauen Gestalt des dort jeweils thematisierten Ausschnitts aus der tatbestandlichen Gesamtgarantenstellung des Täters“125. Alle Tatbestandsmerkmale müssen also vorliegen. Bei § 22 StGB erlangt das (unmittelbare) „Ansetzen“ die Stellung eines auf den BT-Vollendungstatbestand bezogenen AT-Begriffsmerkmals bzw. ein Merkmal allgemein objektiver Zurechnung (hierzu unten § 8). Aufgabe des Strafjuristen ist im Ergebnis die Feststellung einer Eigentumsumschichtung bzw. eines unerlaubten Risikos durch Tatbestandsauslegung. Damit wird die Bindung des Begriffs des unerlaubten Risikos am konkreten Tatbe122

So Roxin, AT II, § 29, Rn. 108. Wie hier im Grunde Freund, AT, § 8, Rn. 59,

66. 123 124 125

Vgl. Jakobs, AT, 25/63. Welzel, ZStW 58 (1939), S. 516. Pawlik, Betrug, S. 127.

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stand und dadurch an das konkrete freiheitliche und kommunikative Verständnis der konkreten Norm erreicht. Die Bestimmung des unerlaubten Risikos erfolgt also nicht über das Sozialübliche, über die Auffälligkeit, über die außerstrafrechtlich konstruierte oder faktisch an phänotypische Bilder geklammerte Sozialadäquanz, auch nicht über individuelle Sachverhalte oder (im Sinne dieser Arbeit) abstrakte (ideelle oder materielle) Rechtsgüter, sondern über den Begriff der Eigentumsumschichtung nach kommunikativ-freiheitlichem Verständnis des Tatbestandes.

§ 7 „Tätervorstellung“ (§ 22 StGB) und Schuldzurechnung A. Der Versuch als Schuld und Unrecht – Tätervorstellung und objektive Schuldzurechnung I. Die Tätervorstellung als begriffliches Merkmal des Versuchsbegriffs 1. Die (Versuchs-)Unrechtsbezogenheit der Tätervorstellung Bisher war von einem abstrakten Versuchsbegriff die Rede – abstrakt, weil seine Schulddimension nicht behandelt, lediglich vorausgesetzt wurde. Das Begriffsmerkmal der „Tätervorstellung“ spezifiziert die Bezogenheit des bisher abstrakt abgehandelten Versuchsbegriffs auf die Einsicht des Täters in die tatbestandliche Bedeutung des kommunikativ-normativen Kontexts, dessen Bestandteil der Täter zum Tatzeitpunkt ist. Einsichten bzw. Vorstellungen außerhalb des Tatzeitpunkts und dementsprechend des tatbestandlichen Kontexts, sowie solche, die zum Tatzeitpunkt vorliegen, aber nicht tatbestands- bzw. unrechtsbezogen sind, stellen Sonderwissen dar. Vor-tatbestandliches oder überhaupt außer-tatbestandliches Verhalten scheidet also aus der strafrechtlich relevanten, tatbestandsspezifischen Tätervorstellung aus. Es geht um die Täterbezogenheit des Unrechts, allgemeiner ausgedrückt: um das schuldhafte Unrecht, letztendlich um Schuld als konkrete Pflichtverletzung. In diesem Zusammenhang leuchtet auch ein, daß es maßgeblich war, sich zunächst über das abstrakte Sollen – hier als abstraktes Versuchsunrecht – Klarheit zu verschaffen, denn danach sind die strafrechtlich relevanten Tätervorstellungen zu konstituieren. Vorstellungen, die dementsprechend nicht zum tatbestandsmäßigen Verhalten gehören, sind irrelevante, genauer: strafrechtlich – polizeirechtlich mag das anders ausfallen – irrelevante Vorstellungen, sie stellen Sonderwissen dar. 2. Die Schuldbezogenheit des (Versuchs-)Unrechts Geht es im Strafrecht um die Marginalisierung der Tat als der konkreten Pflichtverletzung, konstituiert der Versuchsbegriff als Versuchsunrecht ohne die Berücksichtigung der Schulddimension des Strafrechts bloß ein abstraktes Unrecht, ein abstraktes Sollen1, ein unselbständiges Moment des konkreten Ver-

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suchsbegriffs – ein an sich (noch) unmaßgeblicher Begriff, wenn die Schuld beim strafrechtlichen Strafbegriff die allein maßgebliche Rolle spielen soll2. Die vorangegangenen Feststellungen des Versuchsbegriffs setzen also ihre Schulddimension voraus. Im abstrakten Versuchsbegriff als abstraktem Sollen ist immerhin das spezifische Versuchsproblem enthalten. Unrechts- bzw. Tatbestandskenntnis, kurz: die Tätervorstellung, stellt ein globales Unrechtsproblem dar, d.h. sowohl vollendungs- wie versuchsbezogen. Weder materiell noch formell sind versuchsspezifische, von der Vollendung abweichende Besonderheiten festzustellen. Lediglich eine versuchsspezifische Behandlung der Problematik wird hier thematisiert. II. Täterbegriff und objektive Schuldzurechnung 1. Tätervorstellung als Schuldzuschreibung zu einem Willen Mit seinem Verweis auf die Tätervorstellung setzt der gesetzliche Versuchsbegriff ein heute überall anerkanntes Schuldstrafrecht voraus. Hierbei wird die Strafrechtsperson als jemand verstanden – so die grundlegende Idee –, der strafrechtlich relevante Geschehnisse planvoll3, kalkulierbar, durch Berechnen beherrschen4 bzw. gestalten kann. Sie wird nicht durch schicksalhafte „geheimnisvolle unberechenbare Mächte“, sondern durch ihren „Kopf“5 bestimmt. Fazit: Dem Kopf nicht planvoll kalkulierbare, unzugängliche Geschehnisse scheiden aus dem strafrechtlichen Unrechtsbegriff aus. Der Versuchsbegriff, allgemeiner: der Unrechtsbegriff, hat nur motivierbares6 Verhalten zum Gegenstand. Das Strafrecht legt nach seinen Erkenntnisprinzipien und Ordnungsinteressen fest, was dem Täter planvoll kalkulierbar, zugänglich, motivierbar (zuzurechnen) ist – wieder handelt es sich um eine normative Konstruktion nach dem Zweck des Strafrechtssystems und so nach seiner wirklichkeitsstiftenden Erkenntnis. Dadurch bestimmt das Strafrecht also sowohl eine Entsinnlichung wie eine personenbezogene Konkretisierung des strafrechtlichen Schadens, scil. des Angriffs auf die Normgeltung7: Nicht Handlungsgestalten, etwa „Töten“ als „Niederstechen“, „Niederschlagen“ werden erfaßt, sondern steuerbare Handlungen als planvolles Handeln, etwa auch „Unter-einen-rasenden-Lkw-Schieben“, als täterbezogene, entsinnlichte, personal-kommunikative Sinnäußerungen. 1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Lesch, Verbrechensbegriff, S. 220. Jakobs, Handlungsbegriff, S. 41 ff. Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 84. Max Weber, Wissenschaft als Beruf, in: Gesammelte Aufsätze, S. 582 ff., S 594. Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 84. Siehe nur Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 84 ff. Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 86 f.

§ 7 „Tätervorstellung‘‘ und Schuldzurechnung

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Die älteren objektiven Versuchstheorien stellten das Unrecht nicht in diesem Sinne personbezogen, sondern eben ex-post fest. Freilich wurde ihr für das heutige Verständnis von Gesellschaft und Strafrecht mangelhafte Kriterium durch den (bösen) Täterwillen übersprungen und im Rahmen der Schuld „personbezogen“ festgestellt. Es sind aber Fälle denkbar, in denen das ex-ante Ungefährliche in ein ex-post gefährliches Urteil gebracht werden könnte (es war etwa nicht zu wissen, daß das Opfer zuckerkrank war). Die Bürger würden in einem solchen Fall den Schuldspruch und so die Strafe als Zufall und Glückssache, scil. als Schicksal empfinden8. Die ex-ante Dimension strafrechtlichen Verhaltens verlangt also die Selbststeuerung der Person, die in den älteren objektiven Theorien nicht berücksichtigt wurde: Das Töten-Wollen mit Zucker wurde als absolut untauglich angesehen. Daß die Person die Zuckerkrankheit des Opfers in sein Handeln einplanen könnte, wurde im (Versuchs-)Unrecht nicht berücksichtigt. Schon die neueren objektiven Theorien, wie die subjektiven und sonstigen Vereinigungstheorien, räumen der Täterperspektive, der ex-ante Betrachtung, der Planbarkeit des Unrechts eine unerläßliche Unrechtsdimension ein. Das Problem der neueren Strafrechtsdogmatik zum Unrecht, hier insbesondere zum Versuchsunrecht, ist die Frage, wer der Täter ist9, der ex-ante normgemäß planen muß, anders formuliert, wie konkretes Unrecht10 festgestellt wird. Sie ist gleichbedeutend mit der Frage, wie das Strafrecht Schuldzurechnung konstruiert, über ein Individuum oder über die Rolle des Täters als Person, und nach welchen Kriterien. 2. Versuchsdogmatik zwischen Personalität und Individualität Im Strafrecht werden die Begriffe, hier der Täter- und der Zurechnungsbegriff, nach den Erkenntnisprinzipien und dem Ordnungsinteresse des Strafrechts konstruiert, kurz: nach seinem Zweck und seiner (kommunikativen) Wirklichkeit. Eine Konstruktion des Täters nach seiner Rolle, Person zu sein – und nicht nach bloßen aktuellen empirischen Gegebenheiten im Individuum11 –, d.h., eine Täterkonstitution danach, daß die strafrechtlich festgelegten Aufgaben, scil. die Soll-Beschaffenheit des Täters, im Täterbegriff aktuell berücksichtigt bzw. eingeplant werden, ist in der heutigen Strafrechtsdogmatik geläufig12. So wird häu8 Vgl. zu diesem globalen Tatbestandsproblem in älteren Theorien Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 10 ff. 9 Als prinzipielles Problem der Versuchslehre auch von Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 271, hervorgehoben. 10 Lesch, Verbrechensbegriff, S. 220, S. 227. 11 Anders beim radikalen Subjektivismus, in finalistischer Art etwa bei Armin Kaufmann, FS Welzel, S. 403. Kritisch dazu Jakobs, GS Armin Kaufmann, passim.

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fig die Fahrlässigkeit im Unrecht anhand einer Maßstabsperson bestimmt13. Eben diese Maßstabsperson wird auch für die Feststellung des unerlaubten Risikos beim Vorsatzdelikt herangezogen14. Der mittelbare Täter oder der Unterlassende – unabhängig von an Individuen orientierten Paradigmen wie denjenigen der Eigenhändigkeit, der verbrecherischen Energie und der Kausalität – wird nur nach seiner Rolle als Garant beobachtet. Hierbei kann der Täter töten, indem er etwa gemütlich am Strand liegt und sich sonnt, obwohl er zusehend sein ertrinkendes Kind nicht rettet oder im Fall der mittelbaren Täterschaft sein Werkzeug nicht an der Tat hindert. Bei der mittelbaren Täterschaft kann der mit „Vorsatz“ Rechtsgüter Verletzende bzw. Gefährdende trotzdem ein Unzuständiger15, d.i., kein Täter sein. Nicht anders verhält es sich bei dem geläufigen normativen Schuldbegriff. Die Erhebung einer Pflicht gegenüber dem Täter wird nicht durch die individuelle Motivation und das Können des Täters, also durch innerpsychisch wahrgenommene Steuerbarkeit bestimmt. Bestimmt wird sie vielmehr durch „das Können einer ,Durchschnittsperson‘, ,eines erwachsenen und seelisch durchschnittlich gesunden Menschen‘, einer ,maßgerechten Persönlichkeit‘, resp. durch das Können des bereits aus dem Unrechtsbereich hinreichend geläufigen ,abstrakten Mustermann‘ anstelle des Täters substituiert und der eigentliche Schuldvorwurf schließlich damit begründet, daß der Täter die Erwartungen enttäuscht, die das Recht gegenüber dem ,Normalbürger‘ hegt“16. Die Normkenntnis nach § 17 StGB (Verbotsirrtum) beinhaltet also nicht den innerpsychischen Sachverhalt des Täters als (Un-)Kenntnis, sondern, ob der Täter den Irrtum „vermeiden konnte“. Anders gesagt: Es müssen nicht bestimmte Kenntnisse der Tatbestandsverwirklichung beim Täter festgestellt werden, bestimmte Kenntnisse werden vielmehr zugeschrieben. Vorsatz bei der Unrechtseinsicht bedeutet dann die Zuschreibung der Kenntnis der Tatbestandsverwirklichung zur Rolle des Täters in voller Verantwortung für solche Kenntnisse17. Im Rahmen der Fahrlässigkeit wird eine Zuschreibung zur Rolle des Täters dadurch anerkannt, daß der Täter so behandelt wird, als ob er die Kenntnis bzw. die Unrechtseinsicht hätte, auch wenn er hiervon aus kommunikativ zu erklärenden Gründen und im Gegensatz zur Zuschreibung von Vorsatz distanziert bzw. teilweise „nachvollziehbar“18 „entschuldigt“ werden kann (§ 17 i. V. m. § 49 StGB). Ebensowenig kommt es nach § 33 StGB (Notwehrexzeß) auf eine bloße Feststellung von 12

Siehe hierzu Lesch, Verbrechensbegriff, S. 1 ff. Siehe Roxin, AT I, 24/50 ff., 24/46 ff. für die h. M. 14 Vgl. Roxin, AT I, 11/39; m. w. H. Lesch, Verbrechensbegriff, S. 8. 15 Die h. M. über den Zuständigkeitsbegriff auf den Punkt bringend Jakobs, GA 1997, S. 554 ff. 16 Lesch, Verbrechensbegriff, S. 12 (Hervorh. dort) m. w. H. 17 Vgl. González-Rivero, Defektzustände, S. 173. 18 González-Rivero, Defektzustände, S. 174. 13

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„Verwirrung, Furcht oder Schrecken“ an, denn nach dem normativen Schuldbegriff geht es stets um eine Bewertung, die freiheitslegitimatorisch nicht unabhängig von institutionalisierter, kommunikativer Freiheitspraxis verstanden werden kann. Nichts anderes gilt für § 35 StGB (entschuldigender Notstand), der nicht Fallkonstellationen individualpsychologischer Angst, sondern die Zuständigkeit („Verursachung“) für die Notlage behandelt19. Die Strafrechtsdogmatik arbeitet also mit einem Täterbegriff, der den Täter durch Bewertung nach einem Maßstab, also normativ, in seiner Rolle als gesellschaftlich vermittelte Person (Normalbürger) heranzieht. Nicht Feststellungen im oder vom Individuum geben den Ausschlag, sondern objektive Feststellungen anhand einer Durchschnitts- oder Maßstabsperson. Im hier interessierenden Unrechtsbereich wird dies aber nicht konsequent durchgeführt: Empirisches und Normatives, Subjektives und Objektives, werden derart durcheinander gemengt, daß letztlich Adressat der strafrechtlichen Norm nicht eine Person, sondern das Individuum ist20. Materiell-strafrechtlich wird zur Unrechtsbegründung neben eine objektive Zurechnung eine subjektive Zurechnung hinzugezogen, neben die Person und die objektive Erkennbarkeit das Individuum mit seinem „realen“ Vorsatz, neben das Können-Müssen das Können. Letztendlich geht es nicht nur darum, ob die Person um eine Rechtsverletzung21 weiß und ob diese für sie – als Person – vermeidbar ist, sondern auch darum, ob das Individuum um eine Rechtsgutsverletzung weiß bzw. sie vermeiden kann. Bekanntlich werden auf diese Weise individuell wissentliche Rechtsgüterverletzungen bzw. -gefährdungen in das Urteil der (Strafrechts-)Person eingebettet (Sonderkenntnisse) und außerhalb des Begriffs der personalen Rechtsverletzung liegende, individuelle Rechtsgüterverletzungen bzw. -gefährdungen in den Begriff des unerlaubten Risikos einbezogen22. In der Versuchslehre vertieft die überkommene Meinung – von der formellen, allgemein-tatbestandlichen Problematik des § 22 StGB abgesehen – dieses dualistische Adressatenproblem im Täterbegriff und die Maßstabsverwirrung weiter. Dies spiegelt sich materiell erstens in den vorherrschenden dualistischen und sonstigen vereinigenden Theorien zum Strafgrund des Versuchs mit objek-

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Eingehend Jakobs, AT, 20/1 ff. Ausführlich Lesch, Verbrechensbegriff, S. 8 ff. 21 Eigentlich weiß die Person nicht um Rechtsgutsverletzungen, sondern um Rechtsverletzungen, denn sie stellt als gesellschaftlich vermittelter Täterbegriff nur auf einer solchen begrifflichen Ebene Beobachtungen fest, d.h., es geht hierbei nicht um empirische Feststellungen (ich weiß, daß ich eine Leiche verursache), sondern normative (ich weiß, daß ich nach strafrechtlicher Beobachtung töte bzw. den Tatbestand des § 212 StGB erfülle). 22 Vgl. Lesch, Verbrechensbegriff, S. 257 ff.; Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 283 ff. 20

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tiven und subjektiven Maßstäben (Schmidhäusers dualistische Theorie, Tätertheorie, Eindruckstheorie, Roxins neue „dualistische Konzeption“23) wider: a) Die Befürworter objektiv-normativer Maßstabskriterien stellen das Kriterium der Risikoschaffung vornehmlich anhand der Adäquanztheorie nach dem Prinzip der objektiven Bezweckbarkeit auf der Basis der objektiv-nachträglichen Prognose fest24. Dabei findet eine Addierung bzw. Vermengung von Personalem und Individuellem statt: Das „Objektive“ des „einsichtigen Beobachters“ wird durch das „Empirisch-reale“ des konkreten Täters „ergänzt“ – so etwa nach Roxin: „Es kommt darauf an, ob ein einsichtiger Beobachter vor der Tat (ex-ante) das entsprechende Verhalten für riskant bzw. gefahrerhöhend gehalten hätte. Dabei ist auch hier der Beobachter mit dem etwaigen Sonderwissen des konkreten Täters auszustatten“25. Dazu bemerkt Roxin zu Recht in einer Fußnote26, daß die Kennzeichnung als objektiv „sehr schlecht“ sei, „denn die Prognose ist angesichts der Einbeziehung des Sonderwissens nicht rein objektiv, sondern täterbezogen; und ihr Zeitpunkt ist gleichgültig“27. Nebenbei bemerkt: Diese Gleichgültigkeit gegenüber dem Zeitpunkt bei der Feststellung des unerlaubten Risikos paßt zur vorherrschend vor-tatbestandlichen bzw. tatbestandsnahen Feststellung des § 22 StGB, die anhand des Ausdrucks „unmittelbares Ansetzen“ unternommen wird: Es geht nicht um eine Feststellung zum, sondern vor dem (eben vorverlegten) Tatzeitpunkt28. 23 Eingehend jetzt Roxin, AT II, § 29, Rn. 1 ff., Rn. 11, Rn. 13; zur dualistischen, „ergänzenden“ Spaltung der Theorie zum Vorsatz in der Versuchslehre siehe nur Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 88 ff. (kritisch gegenüber einer schlichten Individualisierung des Vorsatzbegriffes, die auf Vereinheitlichung abstellt, S. 91 mit Fn. 134a). 24 Siehe zum Versuch etwa von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 427 ff.; Engisch, Kausalität, S. 41 ff., S. 51 ff., S. 58, S. 61 ff.; Reinhard von Hippel, Untersuchungen, S. 2, 24; Zieschang, Die Gefährlichkeitsdelikte, S. 140 ff., S. 149; Kohlrausch/Lange, StGB, Systematische Vorbemerkungen II. B. I., S. 5, weiterhin Anm. III 2, vor § 43; Stöger, Versuch des untauglichen Täters, S. 47; Oehler, Das objektive Zweckmoment, S. 72; Roxin, AT I, § 11, Rn. 42 m. w. H. in Fn. 62 im Allgemeinen, AT II, § 29, Rn. 11 für den (untauglichen) Versuch; dens., FS Haruo Nishihara, S. 161; Hirsch, FS Roxin, S. 718; Mir-Puig, FS Roxin, S. 735. 25 Roxin, AT I, § 11, Rn. 42 m. w. H. in Fn. 62; zum Versuch ders., AT II, § 29, Rn. 11. 26 Roxin, AT I, § 11, Rn. 32, Fn. 53. 27 Siehe hierzu Jakobs, AT, 7/32; Bockelmann, JZ 1954, S. 471; Stratenwerth, AT4, § 11, Rn. 20; Waiblinger, SZS 1957, S. 123. 28 Ausdrücklich Roxin, AT I, § 11, Rn. 32.; zur Spiegelung im Vorsatzbereich Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 58; ihm folgend Murmann, Versuchsunrecht, S. 9: Der subjektive Tatbestand sei „bei der versuchten Tat durchaus von dem bei vollendeter Tat zu unterscheiden“. Bei Murmann, S. 9 f., ist der Versuchsbeginn als tatbestandsnahe Handlung strukturell eine Vorbereitungshandlung, so daß der Vorsatz nicht auf die Vornahme einer immer tatbestandlichen, rechtlich mißbilligten Gefahrschaffung, sondern auf die Vornahme einer Vorbereitungshandlung gerichtet ist. Beim Versuch geht es also noch nicht um die Vornahme eines unerlaubten Risikos, so etwa beim Anlegen der Waffe (Murmann, S. 10). Schließlich Murmann, S. 11: „Legitim kann eine Strafbarkeit ,tatbestandsnaher Vorbereitungshandlungen‘ also nur sein, wenn zum

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Der objektiv-normative Maßstab wird neben einer objektiven Zurechnung bzw. Beherrschbarkeit29 in einer anderen, nicht inkompatiblen Richtung30 auch in einer objektiven Maßstabsfigur gefunden. Dies geschieht zwar auch auf der Basis der Rechtsgütertheorie, aber vor allem auf der Basis general-präventiver Erwägungen, die psychosoziologisch auf die (naturalistisch beobachtete) Normgeltung abstellt: Rechtserschütterung (Eindruckstheorie). Der Richter als Verkörperung dieser Maßstabsfigur soll also beurteilen, aber nicht rechtsgüterorientiert nach dem Kopf eines einsichtigen Mustermannes, sondern nach den Köpfen aller Bürger (Vertrauen auf Normgeltung); hierbei wird der empirisch-reale Wille des Täters auch als Eindrucksmoment berücksichtigt. b) Der subjektivistische Begründungsteil der vorherrschenden Vereinigungstheorie verschärft diese Gemengelage von Maßstäben. Der subjektive, auf die Betätigung des individuellen Täterwillens abstellende Ansatz des Versuchs31 stellt nämlich nicht auf eine objektive Maßstabsperson, sondern auf den Täter als Individuum ab. Auch der untaugliche und sonst ungefährliche Versuch sei nämlich von § 22 StGB erfaßt. Wenn die strafrechtliche Wirklichkeit nach naturalistischer Beobachtung konstatiert wird, ist das ein naheliegendes Argument. Dadurch wird aber der Bereich des Sonderwissens unverhältnismäßig in den Bereich des Unerlaubten verlegt. Die Grenzen des Rechts werden letztendlich nicht durch eine genuin strafrechtliche Beobachtung vom Täter in seiner Rolle als Strafrechtsperson, sondern durch ein Rechtsgüterverletzungen verfolgendes Individuum bestimmt. Ein Tatstrafrecht wird nicht gesichert. Soll nach dem aktuellen Stand der Strafrechtsdogmatik dennoch behauptet werden, ein Versuchsunrecht liege dann vor, wenn der Täter als Individuum – nach geläufigen Formulierungen von Rechtsprechung und Literatur – „jetzt los geht“ bzw. wenn er „die Feuerprobe der kritischen Situation bestanden hat“ bzw. „die letzte maßgebliche Entscheidung über das Ob der Tat“32 fälle, bzw. wenn der verbrecherische Wille des Täters „befürchten läßt, daß er nach dem Fehlschlagen seines ersten Versuchs zu tauglicheren Mitteln greift“33, bzw. wenn das Verhalten – nach Armin Kaufmann – „allein“ den verbrecherischen Sinn erhält, „den der Täter im Tatvorsatz seiner Tat gibt“34, so wird der Versuch allein im Kopf des Täters als im Bewußtsein eines Individuums geortet und nicht im Strafrecht, scil. nicht im Begriff des Täters in seiner Rolle als auf Vornahme der Vorbereitungshandlung gerichteten Vorsatz die Absicht des Täters kommt, zur Vornahme der tatbestandsmäßigen Handlung überzugehen“ (Hervorh. dort). 29 Zu der Entsprechung beider Begriffe siehe Jakobs, FS Hirsch, S. 45 ff. 30 Siehe nur die dualistische Theorie von Roxin, AT II, § 29, Rn. 10 ff. 31 Siehe nur die heute vorherrschende Eindruckstheorie, oben 1. Kap., § 2 B. IV. 32 Bockelmann, JZ 1954, S. 468 ff., S. 473. 33 Lange, JZ 1958, S. 672. 34 Armin Kaufmann, FS Welzel, S. 403.

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Person35. Die genannten Formeln enthalten keine hinreichende Bezogenheit auf den gesellschaftlichen, genauer: auf den strafrechtlichen bzw. tatbestandlichen Sinn des Täterverhaltens. Sollen solche Formeln normativ in ihrer Bezogenheit auf die Tat bzw. auf tatbestandsmäßiges Verhalten verstanden werden, z. B.: „jetzt geht es los mit dem tatbestandsmäßigen Verhalten“ bzw. „die letzte maßgebliche Entscheidung über das Ob eines tatbestandsmäßigen Verhaltens wird getroffen“, wird auf diese Weise die Aufgabe der nach h. M. eingesetzten Maßstabsperson – hier unabhängig von ihrer richtigen Konstruktion – zur Feststellung einer (fahrlässigen und vorsätzlichen) Vollendung bzw. eines unerlaubten Verhaltens zum Teil berücksichtigt. Der Täter wird in dieser Hinsicht nämlich wieder als Person beobachtet, welche die Grenze des Unerlaubten kennt und meint (normatives Konstrukt). Aus der eventuellen individuellen Tätervorstellung bzw. aus dem eventuellen Tatplan des Täters sind solche Vorstellungen auszuscheiden, die nicht mit tatbestandsmäßigem Verhalten (als Versuch oder als Vollendung) zu tun haben. Bei Fahrlässigkeit sind die nicht vorliegenden Vorstellungen bzgl. tatbestandsmäßigen Verhaltens eben als und insofern zurechenbar zu berücksichtigen. Damit ist vieles, aber noch nicht alles getan. Es reicht nämlich nicht die Entscheidung oder die bloße „Betätigung“ eines unerlaubten Risikos, sondern nur die (Um-)Setzung eines unerlaubten Risikos. Literatur und Rechtsprechung ziehen neben diesen subjektiven Formeln gleichzeitig andere Formeln heran, die unterschiedliche Akzente auf die Ausführungshandlung setzen: eher formell auf die „Verwirklichung“ von Tatbestandsmerkmalen oder -handlungen oder eben auf den letzten Teilakt vor der Verwirklichung oder eher materiell auf den „natürlichen Zusammenhang“ (Frank), auf die Rechtsgutsgefährdung, auf Zeitnähe und Einwirkung auf die Tatbestandssphäre (Roxin), usw. Besteht aber dahingehend Einigkeit, daß die Grenzen des Rechts normativ zu fixieren sind, geht es darum, das normative Milieu des Strafrechts nicht in naturalistischen Berechnungen, sondern in seiner personal-kommunikativen und freiheitlichen Wirklichkeit zu suchen. Naturalistische Berechnungen erlauben es auf der Basis von Klugheitsregeln, den Täterbegriff, die in der Dogmatik übliche Konzeption des Täters in seiner Rolle als Person, „weiter auf den Kopf zu stellen“, so daß „subjektiv gefaßte Verhaltensverbote insoweit eine (sic.!) lediglich ergänzende Rolle zuzuweisen“ sei36. Üblicherweise wird eine dualistische Deliktsdogmatik zugrundegelegt, wobei nur eines einheitlich bleibt: das naturalistische Betreiben der Strafrechtsdogmatik.

35 36

Siehe zu dieser Problematik eingehend Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 271 ff. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 92.

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Zur Feststellung eines unerlaubten Risikos und seiner (Um-)Setzung reicht also einerseits nicht ein nach formell- oder materiell-naturalistischen Feststellungen und Konstrukten konstituiertes Risiko, sondern lediglich der personalkommunikative Begriff einer genuin strafrechtlichen Freiheitsverletzung als tatbestandsmäßiges Verhalten. Vorsatz wie Fahrlässigkeit werden andererseits schließlich zu einem personal-kommunikativen Begriff, so daß es nicht um die aktuelle Kenntnis oder Erkennbarkeit im Individuum oder in einer abstrakten Maßstabsperson von der Umsetzung eines unerlaubten Risikos geht, sondern um die Zuschreibung von strafrechtlich relevanter Kenntnis zur – als Kenntnis in der – konkreten Person des Täters. Personale Vermeidbarkeit und tatbestandsmäßiges Verhalten bzw. Tätervorstellung und unmittelbares Ansetzen bzw. subjektiv zugeschriebene Kenntnis und objektiver Tatbestand sind Seiten ein und derselben Medaille. 3. Die Versöhnung von Person und Individuum im Täterbegriff, scil. in der konkreten Person des Täters Liegt der einheitliche Strafgrund des Versuchs in der Aufgabe des Strafrechts, seine freiheitlichen Normen zu garantieren, ist dementsprechend ein strafrechtlich genuiner Personbegriff zu formulieren. Wie oben eingehend dargelegt, schafft das Strafrecht seine Begriffe nach seinen Erkenntnisprinzipien und seinem Ordnungsinteresse. Ausgehend von einem freiheitlichen Strafrechtssystem hat das Strafrecht die Wirklichkeit anderer Teilsysteme der Gesellschaft und die Wirklichkeit von Individuen zu berücksichtigen. Einerseits konstituiert das Strafrecht nicht solipsistisch reine – mit Kant gesprochen – noumenale Begriffe. Es schafft also keinen in seiner reinen Soll-Beschaffenheit abstrakt konstruierten Personbegriff. Individuelles und Personelles betreffen zwar getrennte Welten, aber sie sind nicht, wie in der aktuellen Versuchsdogmatik, dualistisch, addierend, abwägend zu berücksichtigen. Der Täter wird als Person nach einem einheitlichen Begriff konstruiert, der als Strafrechtsbegriff nach den Vorgaben und der Wirklichkeit des Strafrechts regiert wird. Die individuelle Wirklichkeit, die empirische Ist-Beschaffenheit des Täters, geht also nicht unmittelbar in den Begriff des Strafrechts ein, sie wird aber berücksichtigt und auf diese Weise nach dem Strafrechtsbegriff re-formuliert bzw. rekonstruiert, so daß es im Strafrecht nicht um eine abstrakte Person geht – wie es auch nicht um ein abstraktes Sollen geht –, sondern um eine konkrete Person. Berücksichtigte das Strafrecht und seine Begriffsbildung hingegen individuelle Gegebenheiten, ohne erst auf seine Aufgabe zu achten, geriete es in einen Selbstwiderspruch, denn es würde sich von anderen Aufgaben überlappen lassen, in andere Systeme einfügen. Rechte und Pflichten von Personen wären in der Konsequenz dessen nicht sachadäquat gewährleistet, das grundlegende Recht des strafrechtlichen Adressaten, als freiheitliche Person behandelt zu wer-

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2. Kap.: § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs‘‘

den, wäre nicht beachtet. Nicht das Empirische soll für Normatives geöffnet werden, sondern umgekehrt, die Normativität des Strafrechts berücksichtigt, „öffnet“ sich für an sie gekoppelte Wirklichkeiten. Ist die Freiheit des Bürgers gesellschaftlich vermittelt und werden die Strafrechtsnormen als freiheitlich gedacht, ist andererseits der Freiheitsbegriff des Strafrechts als vom Strafrecht selbst hervorgebrachte Wirklichkeit der Autonomie des freien Bürgers zugehörig zu denken. Ist die Subjektsdimension, wie oben gesehen, für die strafrechtliche Zurechnung nicht in dem Sinne relevant, daß Zurechnung nicht von der innerlichen Einstellung jedes Bürgers zur Norm abhängt, von dem „Sich-als-Subjekt-Begreifen“ des konkreten Bürgers, so wird Subjektivität doch in dem Sinne berücksichtigt, daß der konkrete Täter an seinem strafrechtlich-normativ definierten, freiheitlichen Anspruch, wirklich frei bzw. Subjekt zu sein, gemessen wird. Die Person wird in ihren physischen und psychischen Fähigkeiten zur Normbefolgung berücksichtigt. Zurechnung berücksichtigt also die physischen und psychischen Fähigkeiten des konkretes Bürgers, nach denen der Täter seiner freien Bestimmung nachkommen kann, die Norm zu verinnerlichen und demnach sich nach der Norm hinreichend zu motivieren (Rechtstreue als normative Größe37). Der Person des Täters als Freiem wird auf diese Weise unterstellt, daß sie „zwar nicht empirisch, wohl aber ihrem normativ-personalen Anspruch nach (. . .) ihren besonderen mit dem allgemeinen Willen (subjektiv) gesetzt hat“, so daß man dem Täter als Person „den Willen zur Befolgung der qua sozialer Generalisierung maßgeblichen Norm einfach zuschreibt. Allein diese Rolle ist strafrechtlich garantiert und bildet den objektiven Maßstab der Zurechnung“38. Schuld- bzw. Unrechts-, Zurechnungs- und Strafsubjekt ist nicht eine abstrakte Musterperson bzw. Strafe und Schuld werden nicht gegenüber einem fiktiven Durchschnisttsbürger anstelle des Täters ausgesprochen, auch nicht gegenüber dem Individuum, sondern gegenüber dem konkreten Täter in seiner objektivnormativen Rolle als (formell) freie, vernünftige Person. Zusammenfassend: Das Strafrecht konstruiert nicht äußere Handlungsgestalten, sondern Motivation. Dabei wird der Begriff der Planbarkeit, der Motivation, hier insbesondere die „Tätervorstellung“ als Vorstellung des Objektiven, als Einsicht des Täters darin, daß eine erkennbare Norm (§ 17 StGB) ihre Geltung für den konkreten Kommunikationszusammenhang beansprucht (Tatbestandskenntnis), nach einem objektiven Maßstab (hier Rechtstreue genannt) bestimmt. Die Tätervorstellung wird nicht bloß zu einer Feststellung im innerpsychischen Bereich des Täters – Kenntnis, vorgestellter Plan, Entschluß oder vorgestellte äußere Realität –, sondern in der konkreten Person des Täters und

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Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 88; ders., FS Hirsch, S. 57. Lesch, Verbrechensbegriff, S. 252.

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so als „subjektiv zugeschriebene Lagebeurteilung“ festgestellt39. Gemeint ist nämlich nicht Kenntnis der Natur, sondern Er-Kenntnis des Strafrechts nach seinen Prinzipien und seinem Ordnungsinteresse, also stets objektive Zurechnung. Kurz: „Zu beweisen ist nicht Kenntnis, sondern Rechtsgleichgültigkeit“40. Das tatbestandsmäßige Verhalten als Verfehlung eines konkreten Sollens basiert auf einer objektiven Norm- und Normbruchs- bzw. Tatbestandsinterpretation als gesellschaftlich vermitteltem Verständnis von Freiheit resp. Freiheitsverletzung auf der Basis „subjektiv“ zugeschriebener Lagebeurteilung41. Es geht also um das konkrete Sollen bzw. um die Schuld der konkreten Person des Täters als Produkt durch und durch objektiver Schuldzurechnung. 4. Fazit: Tätervorstellung des Versuchstäters als Zurechnung zum Willen der konkreten Person, scil. als normatives Konstrukt Beim Versuchsbegriff ist vom Willensbegriff auszugehen. Dem Willen wird seine Tat zugeschrieben. Nur ist der Willensbegriff nach dem Täterbegriff zu bestimmen, scil. eine normativ-freiheitliche Konstruktion, die nichts mit dem individuellen Willen (dementsprechend mit dem individuellen Tatentschluß42 oder individuellen „Vorsatz“) zu tun hat43, aber Individuelles und sonstiges Gesellschaftliches in und nach seinem Begriff berücksichtigt.

B. Tätervorstellung und § 22 StGB I. Der Zusammenhang zwischen § 22 StGB und §§ 16 f. StGB Der konkreten Person des Täters ist zuzuschreiben, daß sie sowohl die Norm als auch die Geltung der Norm für die konkrete Lage kennt bzw. kennen könnte (Unrechtseinsicht). Diese Kenntnis als Tatbestandskenntnis muß nicht unbedingt im Bewußtsein des Täters, sondern im Strafrechtssystem festzustellen sein: Sie ist Resultat nicht der Feststellung eines aktuellen psychischen Sachverhalts im Kopf des Täters, sondern einer strafrechtlichen Erkenntnis, d.h. einer strafrecht39

Jakobs, FS Hirsch, S. 56, Fn. 39 (Hervorh. dort). Jakobs, ZStW 114 (2002), S. 586. 41 Insoweit wie hier Jakobs, FS Hirsch, S. 57. 42 Insofern wie hier MK-Herzberg, § 22, Rn. 96 ff., 103 ff.; Schlehofer, Vorsatz und Tatabweichung, S. 45 ff., S. 47. 43 So aber die übliche naturalistische Vorstellung des Versuchs als vollständig gewollte, aber unvollständig gebliebene Tat (siehe nur J. Meyer, ZStW 87 [1975], S. 598; LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 12; Lackner/Kühl24, § 22, Rn. 1; Maurach/Gössel/ Zipf, AT II, § 40, Rn. 1; Tröndle/Fischer51, § 22, Rn. 2; Stratenwerth, AT4, § 11, Rn. 2, Rn. 24; Rath, JuS 1998, S. 1006). 40

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lichen Zuschreibung nach dem freiheitlich-normativen Kontext, in dem sich der Täter befindet. Ist es nach der Vorgabe des Strafrechts (Gewährleistung der Geltung seiner Freiheitsnormen) und dementsprechend nach der Rolle des Täters und dem konkreten normativen Kontext geboten, Kenntnis zuzuschreiben, dann ist grundsätzlich Vorsatz zuzuschreiben, wenn nicht der Täter aus nachvollziehbaren Gründen teilweise vom Normbruch distanziert werden kann (Fahrlässigkeit). Rechtstreue, Normbefolgungsbereitschaft wird nämlich verordnet, und diese Verordnung – mit den Worten von Jakobs – „wird selbst bei krassen Konflikten mit den Bedürfnissen des Individuums dann durchgehalten, wenn dies zur Organisation der Gesellschaft erforderlich ist“44. Das ist das Prinzip. Die gesetzliche Regelung zum Vorsatz (§ 16 StGB) vereinfacht diesen Vorgang mit einer faktischen Feststellung: Sind die zuzuschreibenden Kenntnisse als die zuzuschreibende mangelnde Rechtstreue im Täterbewußtsein feststellbar, liegt Vorsatz vor, sind sie es nicht, liegt – im Gegensatz zur Kann-Milderung des § 17 StGB – Fahrlässigkeit vor. § 16 StGB und so auch der Begriff der Tätervorstellung in § 22 StGB dürfen aber nicht umgekehrt mißverstanden werden, d.h., aktuelle Bewußtseinsinhalte im Täter – Kenntnisse, Vorstellungen, Pläne, Entschlüsse, etc. – vermögen von allein einen tatbestandlich relevanten normativen Kontext nicht zu schaffen. Es steht also fest: Sind im Täter Bewußtseinsinhalte vorhanden, die für die Tatbestandsverwirklichung zum Tatzeitpunkt normativ unerheblich sind, sind diese für die Zurechnung einer (Teil-)Verwirklichung des Tatbestandes unmaßgeblich. II. Ausschluß von Tätervorstellungen bzgl. vortatbestandlichen Verhaltens 1. Betätigung des bösen Willens vor einer Freiheitsverletzung Das Begriffsmerkmal der „Tätervorstellung“ stellt den eben dargestellten Sachverhalt auch beim Versuch klar: Nur auf der Basis des objektiven Maßstabs des Mangels an Rechtstreue, scil. auf der Basis der Zuschreibung strafrechtlich relevanter Kenntnis einer Tatbestandsverwirklichung, ist eben diese Tatbestandsverwirklichung zurechenbar. Aktuelle Bewußtseinsinhalte im Täterbewußtsein in Form von Vorhaben, Plänen des Täters, seiner Absicht und individuellem Meinen sowie sonstiges Vor- und Sonderwissen werden zu einem nicht maßgeblichen Sachverhalt. Nimmt sich der Täter etwas Deliktisches vor, setzt er aber nach seiner Rolle und dem normativen Kontext nicht unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung an, besitzt er trotz seines Wissens (Bewußtseins44

Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 98.

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sachverhalt) keinen Vorsatz (Sachverhalt im Strafrechtssystem), denn sein Wissen ist nicht auf ein § 22 StGB entsprechendes Verhalten bezogen. Wird der Versuch in der Literatur nicht als eine Teilverwirklichung des Tatbestands, als nach konkreter Beobachtung des Strafrechts stattfindende Freiheitsverletzung verstanden, ist nach Kriterien zu suchen, die eine Vorverlagerung in ein Vorverhalten vor der Tatbestandsverwirklichung bzw. vor einer Freiheitsverletzung erlauben. In diesem Sinne ist statt von Kenntnis oder Vorsatz bei der Freiheitsverletzung vom Entschluß zur Tatbestandsverwirklichung die Rede, von der Tätervorstellung vor der Tat, scil. von der Tätervorstellung davon, wie die Tatbestandsverwirklichung geschehen soll45. Zurückgegriffen wird auf „Vor-Kenntnisse“ vor der Tatbestandsverwirklichung, scil. Vorhaben, Plan, Absicht, Meinen als zu einem nur im Kopf des Täters begründeten Umkehrschluß, kurz: maßgeblich wird die bloß individuelle Vorstellung bzw. das individuelle Wissen darum, daß die Tatbestandsverwirklichung kommen wird. Durch die Hinzuziehung des Prinzips der Unmittelbarkeit soll dieses Vorverhalten „hart an die Grenze der Tatbestandsverwirklichung“ herangerückt werden46. Ein solcher Ansatz leidet aber am Mangel aller Klugheitsregeln47. Wird das Versuchsverhalten vom genuin strafrechtlichen kommunikativen Kontext als Kontext einer Freiheitsverletzung gelöst und antizipiert, wird der Vor-Kontext im qualitativ nicht abgrenzbaren Kriterium der Rechtsgütergefährdung oder in ebenso wenig präzisen general-präventiven Kriterien der Normalität, der Auffälligkeit, des Eindrucks geortet48, nicht im Kriterium der Tatbestandsverwirklichung als der Freiheitsverletzung. Die herkömmliche Versuchsdogmatik folgt traditionell überlieferten, typischen Bildern kriminellen Versuchsverhaltens, ohne sie anhand eines modernen Strafrechtsbegriffs zu überprüfen. Außerhalb des Bereiches der üblichen Streitfälle (Diebstahl, Tötungsdelikte) zeigt die Rechtsprechung dennoch Fallösungen auf, die dem hier dargestellten Ansatz entsprechen. Gemeint sind Fallkonstellationen, die aufgrund von Sachverhalten im Kopf des Täters Verhaltensweisen beinhalten, die als beeindruckend und rechtsgutsgefährdend konstruierbar sind und ein (unmittelbares) Vorverhalten aufweisen, das dennoch fast unstrittig nicht als Versuchsbeginn angesehen wird. Die Herangehensweise wird deutlich in zwei Entscheidungen zum Betrugstatbestand, auf die hier kurz einzugehen ist:

45 Vgl. nur Streng, ZStW 109 (1997), S. 864 ff., S. 870 f.; ähnlich Murmann, Versuchsunrecht, S. 9 ff. 46 Roxin, AT II, § 29, Rn. 102. 47 Siehe oben 1. Kap., § 1 A. II. 1. und 2. 48 Konstatiert wird dieser Sachverhalt neulich von Roxin selbst, in: AT II, § 29, Rn. 99 ff.

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Der Betrug bezieht sich nicht auf die Täuschung über jedes Wissen, welches mein Vermögen tangieren mag, sondern nur über das Wissen um die wirtschaftliche Bedeutung des Verhaltens bei Transaktionen in der heute arbeitsteiligen Gesellschaft49. Gleichzeitig wird der Tatbestand auf Täuschungen bei eben diesen Transaktionen beschränkt, es geht also nicht um Täuschungen, die den Betrug ermöglichen sollen oder um Täuschungen außerhalb der stattfindenden Transaktion. Spiegelt der Täter dem Opfer vor, er sei mit ihm verwandt, um ein Darlehen beim Opfer zu erlangen und ist diese Täuschung auf eine vermögensschädigende Verfügung des Getäuschten gerichtet, so betrifft diese Vertrauenserschleichung nicht die betrügerische Täuschung, sie bereitet diese vielmehr nur vor (OLG Karlsruhe, NJW 1982, S. 59). Der BGH50 verneint den Betrugsversuch auch in dem besonderen Fall, in dem ein Auftraggeber dem Makler seine Zahlungsfähigkeit vortäuscht, um mit ihm ins Geschäft zu kommen. Nach § 652 Abs. 1 BGB „steht es im freien Belieben des Auftraggebers, ob er das ihm vom Makler nachgewiesene oder vermittelte Geschäft abschließen will“51. Die Entscheidung ist richtig, denn, wie auch Vogler hervorhebt, liegt „die tatbestandsspezifische (. . .) Täuschung des Maklers (. . .) im Abschluß des (vermittelten oder nachgewiesenen) Geschäfts. Damit erklärt der Auftraggeber konkludent seine Zahlungsbereitschaft und -fähigkeit. Zur Verwirklichung des vollen Betrugstatbestandes gegenüber dem Makler setzt somit der Auftraggeber unmittelbar erst an, wenn er mit dem die Vergütungspflicht auslösenden Verhalten beginnt, d.h., wenn er Handlungen vornimmt, die unmittelbar zum Abschluß des nachgewiesenen oder vermittelten Geschäfts führen“52. Versuchsvorsatz ist also nicht das Vorliegen aktueller Kenntnisse im Täter zu einem kommenden naturalistischen Sachverhalt, sondern Zuschreibung von Zuständigkeit als Zuschreibung der Kenntnis der Bedeutung der nicht kommenden, sondern gerade jetzt juristisch (tatbestandsmäßig) stattfindenden Freiheitsverletzung. Es geht also stets um objektive Zurechnung. Sonstige Kenntnisse im Kopf des Täters bilden also Sonderwissen, keinen Vorsatz. Sonderwissen kann also Wissen um ein Verhalten zum (vermeintlichen) „Tatzeitpunkt“ sein, das nicht für den kommunikativ-normativen Zusammenhang relevant ist (zunächst nur ein Beispiel: Der Täter sagt seiner Ex-Freundin, er wolle nicht zu ihr zurückkommen und geht nicht auf die Warnung ein, sie werde sich in diesem Fall oder eine andere Person sofort umbringen; der „Täter“ schaut nur zu und unternimmt nichts), oder um ein Vorverhalten, wie in den eben behandelten Fällen. Freilich kann ein Vorverhalten eine Garantenstel49

Siehe nur Pawlik, Betrug, S. 84 ff., S. 140 ff. BGHSt. 31, S. 178 ff. 51 BGHSt. 31, S. 181 m. w. H. 52 Vogler, in: LK10, § 22, Rn. 35a.; dem BGH zustimmend auch Freund, AT, § 8, Rn. 43. A. A. etwa Murmann, Versuchsunrecht, S. 14, Fn. 50; Bloy, JR 1984, S. 123 ff.; Lenckner, NStZ 1983, S. 409 ff.; Maaß, JuS 1984, S. 25 ff. 50

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lung begründen (etwa Ingerenz), aber keinen Versuch. Zum Beispiel: Täuscht der Auftraggeber dem Makler seine Zahlungsfähigkeit vor, ist der Auftraggeber per Ingerenz garantenpflichtig für den Fall, daß er sich auf das vom Makler vermittelte oder nachgewiesene Geschäft einläßt. Weiterhin beispielhaft: Jemand gräbt ein Loch in der Straße, so daß er darauf zu achten hat, daß niemand in das Loch hineinfällt. Der Versuch schafft per Ingerenz auch eine Garantenstellung, aber nicht als Vorverhalten bzw. als Verhalten vor der Tatbestandsverwirklichung, sondern als unerlaubtes Risiko bzw. als Unrecht zum bzw. innerhalb des Tatzeitpunkts. Sonderwissen kann außerdem für andere rechtliche Bereiche, etwa für das Polizeirecht, andere gesellschaftliche Vorgaben oder sonstige Systeme (Moral, Religion) von Bedeutung sein, aber eben auch nach den Vorgaben anderer Systeme und nicht schlicht wegen des Vorliegens in der Psyche des Täters. 2. Exkurs: Das Versuchsdelikt als tatbestandliches, ausführendes Verhalten und der Versuch der Beteiligung (§ 30 StGB) als Zuständigkeit für ein kommendes (Versuchs-)Delikt Daß die naturalistischen Versuchstheorien immer noch von der Absicht, dem Entschluß, dem Plan, dem Vorhaben des Täters ausgehen, spricht dafür, daß die gesellschaftliche Störung auf der Basis eines präventiven Strafrechts hauptsächlich im Kopf des Täters, eben als das „Versuchen“, loziert wird. Bewußtsein ist aber grundsätzlich ein anderes System als Kommunikation, als Gesellschaft, und folgt anderen Regeln mit Konsequenzen für die Versuchsstrafbarkeit. Nehmen wir anstelle der Tat eines Einzeltäters die Tat eines Kollektivs. Bei akzessorischer Beteiligung, bei der verschiedene Beteiligte den Rahmen der Ausführung gestalten, müßten diese Beteiligten ihre Verantwortung für ein Versuchsdelikt auf sich nehmen, wenn der Täter schon bei seinem „Jetzt geht es los“, beim Überstehen der „Feuerprobe“ bzw. deswegen, weil er ein „anormales“, deliktstypisches Verhalten an den Tag gelegt hat, festgenommen wurde, aber noch nichts ausgeführt hatte, scil. sein Verhalten vortatbestandlich stehengeblieben ist. Daß sie „versucht“ haben, ist in ihren Bewußtsein deutlich; daß sie, ohne das Recht von irgend jemandem berührt zu haben, gescheitert sind, wissen sie auch. Mit den Worten von Jakobs: „Der Witz des Vorfeldbeitrags liegt gerade darin, daß er die Zugehörigkeit zum Kollektiv begründet und damit die Ausführung durch fremde Hand zur eigenen Ausführung macht“53. Kommt es zu keiner Ausführung, dann fällt nicht der Grund dafür weg, daß die Beteiligten für die Zugehörigkeit zum Kollektiv haften müssen54 (§ 30 StGB „Versuch der Be53 Jakobs, Normativierung des Strafrechts, Manuskript, S. 11 (Hervorh. von mir); davor ders., GA 1996, S. 257 ff.

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teiligung“55 mit der Möglichkeit, auch von diesem zurückzutreten: § 31 StGB „Rücktritt vom Versuch der Beteiligung“), wohl aber der Grund dafür, sich für ein Delikt verantworten zu müssen. Sie haben sich also trotzdem zu Garanten gemacht. Sie sind dafür zuständig, „daß bestimmte Gestaltungen der Welt nicht in einer Tatausführung enden“56. Dies gilt unabhängig von einem Sachverhalt im Kopf des Täters, aber auch von einem äußeren Sachverhalt in der natürlichen Welt. Bezugspunkt ist vielmehr ein Sachverhalt in einer geordneten Welt. Der Beteiligte kann also von seinem Versuch der Beteiligung solange zurücktreten, bis die Gestaltungen des Täters anfangen, eine normativ-freiheitliche, kommunikative Bedeutung, eben ein tatbestandsverwirklichendes Verhalten zu produzieren, nicht bis sie eine naturalistische Wirkung entfalten Nach Jakobs haftet in diesem Sinne jeder Beteiligte „nicht für das von ihm Gestaltete – das wäre eine Haftung für ein Tatbestandsfragment –, sondern wegen der durch die Gestaltung begründeten Gemeinsamkeit mit den anderen für die ganze Tat, was heißt für die tatbestandsverwirklichende Ausführung (. . .). Deshalb gibt es auch keine Haftung vor der Tatbestandsverwirklichung, diejenige des Versuchstatbestands eingeschlossen“57. Nur Unrecht seinem Begriff nach, nicht vor-gestelltes Unrecht begründet einen Versuch und die Verantwortung für diesen Versuch. Bei der Beteiligung als kriminalisiertem Verhalten vor der Ausführung soll ein doloser Beitrag Zuständigkeit begründen. Beim Versuch als – nach herrschender Ansicht – schon vor der Tatbestandsverwirklichung deliktischem Verhalten ist wegen des unvollkommenen oder gar ausbleibenden Kausalverlaufs der betätigte Entschluß derjenige, der (mit oder ohne Gefahr, Auffälligkeit) die Herrschaft des Täters bzw. das Unrecht tragen soll. Wörtlich etwa Zaczyk: „Versuch ist vom Tatentschluß getragenes, unvollkommen verwirklichtes Unrecht“58. Beherrscht der Täter bei der Vollendung die Ausführung, soll beim Versuch der Täter auch schon vor der Ausführung herrschen und sozusagen in-

54 Zu Recht zum Problem der Legitimation von § 30 StGB, Jakobs, ZStW 97 (1985), S. 751 ff.; ders., Staatliche Strafe, S. 45 f. 55 Auf die Diskussion über die Kriminalisierung dieses Verhaltens wird hier nicht eingegangen. Dazu allgemein Jakobs, ZStW 97 (1985), 751 ff., passim. 56 Jakobs, Normativierung des Strafrechts, Manuskript, S. 13. 57 Jakobs, Normativierung des Strafrechts, Manuskript, S. 11; vgl. auch dens., GA 1996, S. 257: „Die Desavouierung des Geltungsgrunds der Norm (kann) nicht durch irgendein beliebiges Verhalten erfolgen, sondern einzig und allein durch eine Tatbestandsverwirklichung. So wie der Täter nicht schon durch sein Vortatverhalten eine Tat begeht, sondern diese nur vorbereitet, so hält sich der Beteiligte, der nicht mit ausführt, im Vorfeld der Tat“ auf, weiterhin S. 258 f.: „Vorfeldverhalten (hier [. . .] als Verhalten im Vorfeld einer Tatbestandsverwirklichung zu verstehen), (. . .) externalisiert (. . .) nichts strafrechtlich Unerlaubtes, insbesondere keine Organisationsanmaßung“. 58 NK-Zaczyk, § 22, Rn. 1.

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nere Herrschaft bzw. innere Organisation entfalten. Die „Kommunikation“ liegt nach einem instrumentellen Verständnis von Kommunikation im Bewußtsein. Wegen Ausbleibens der äußeren Tatseite und gegebenenfalls krasser als im Vorfeldverhalten der Beteiligung greift man beim Versuch zum inneren Sachverhalt im Kopf des Täters, nämlich zur inner-psychischen Festlegung der Steuerung des Verhaltens als das innerpsychologische In-Gang-Setzen einer gefährlichen Maschinerie. Konsequenterweise bestimmt der insoweit zur gefährlichen Maschinerie gewordene Täter, scil. die Tätergefährlichkeit, auch einen Teil des heute noch thematisierten Strafgrundes des Versuchs59. Die Gefährlichkeit für ein Rechtsgut bzw. das Beeindruckende liegt hiernach nicht in der Leistung des Täters in Bezug auf die Rechte von Personen bzw. auf das Funktionieren strafrechtlich relevanter Institutionen, sondern in der deliktischen entschlossenen und vorsätzlichen Planung seines Kopfes. Auch der Verkäufer von Alkoholgetränken, der seine Kunden kennt und weiß, was ein bestimmter Jemand tut, wenn er viel trinkt, oder der Richter, der um den kommenden Mord an einem Politiker weiß, wenn er einen Prozeß weiterführt, müßten sich nur deswegen wegen der kommenden Tat verantworten. Beim Alleintäter soll es – mit Jakobs gesprochen60 – „nicht die Zuständigkeit für die eigene Organisation sein, die den Haftungsgrund abgibt, sondern der äußere Umstand, daß kein menschliches Verhalten mehr nachfolgt“. Was Jakobs anschließend zur mittelbaren Täterschaft feststellt, scil. daß „entsprechend die ,Herrschaft‘ (. . .) an dem psychischen Faktum des überlegenen Wissens festgemacht (wird) und nicht an der Zuständigkeit“, gilt auch für den Versuch des Alleintäters: Das Wissen um das Kommende antizipiert die Frage nach der Zuständigkeit oder blendet sie völlig aus. Der Versuch umfängt vorgestelltes bzw. verfehltes Unrecht (in diesem Sinne also Wahndelikt). Es steht fest: Beim Versuch, wie bei der Beteiligung, ist die Zuständigkeit ausschlaggebend. Die Person erscheint in der personal-kommunikativen Gesellschaft, scil. im Strafrecht, nicht schlicht als Herrscher von Verläufen, sondern in der Rolle der freien, vernünftigen Person und d.h. als ein (teil-)gesellschaftliches Konstrukt, das sich nach einem Ordnungsschema, nicht nach naturalistischen Feststellungen für einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt zuständig macht. Nicht Bewußtsein oder die Außenwelt, scil. der Entschluß oder das Wissen um einen rechtsgutsverletzenden bzw. auffälligen Verlauf, sondern die Zuständigkeit für ein ausführendes bzw. tatbestandsverwirklichendes Verhalten als Freiheitsverletzung ist relevant.

59 60

Ausführlich Roxin, FS Haruo Nishihara, S. 161; ders., AT II, § 29, Rn. 39 ff. Jakobs, GA 1997, S. 554 ff., S. 560, Fn. 22 (Hervorh. dort).

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III. Ausschluß von Tätervorstellungen bzgl. außertatbestandlichen Verhaltens zum „Tatzeitpunkt“ 1. Ausschluß von nicht den Norminhalt betreffenden Tätervorstellungen a) Tätervorstellung der Norminterpretation Der Täter, weder abstrakt-naturalistisch als Individuum noch als abstraktnormative Person, sondern nach dem objektiven Maßstab der Rechtstreue in seiner Rolle als konkret-normative Person begriffen, ist im Rahmen der Versuchsproblematik im Hinblick auf die Tätervorstellung bzw. Tatbestandskenntnis zurechnungsfähig, und d.h. unter anderem mit Normkenntnis ausgestattet, zu denken. Der objektive Tatbestand kann nämlich nur nach der Tätervorstellung vorliegen, d.h. konkretes Unrecht ist nur täterbezogenes, d.i. auf die konkrete Person des Täters bezogenes Unrecht. Es gibt also keinen objektiven Tatbestand ohne subjektiven, keine Rechts- bzw. Freiheitsverletzung ohne Erkennbarkeit des Tatbestandes, kein Unrecht ohne Schuld und umgekehrt. Schuldunfähigkeit und Unrechtsunkenntnis schließen also Unrecht aus. Normkenntnis meint nicht nur abstrakte Normkenntnis, d.h., das Wissen, daß Töten unerlaubt ist. Es geht vielmehr um konkrete Normkenntnis, scil. um Kenntnis der Anwendbarkeit einer Norm auf eine konkrete Lage61. Erkennt der als rechtstreu gedachte konkrete Täter den einer Norm entsprechenden, konkreten Sinn der Lage nicht bzw. verkennt er, daß eine Norm einer konkreten Lage gilt, ist der strafrechtliche Sinn der Lage als strafrechtlicher Kommunikationszusammenhang nicht erfaßt, es liegt kein Ereignis im Strafrecht vor und so weder Vorsatz oder Fahrlässigkeit noch ein objektiver Tatbestand als Freiheitsverletzung. Tatbestandskenntnis als das Erfassen kommunikativ relevanter strafrechtlicher Wirklichkeit wird also nicht nur ausgeschlossen, wenn der konkrete Täter bei unterstellter genügender Rechtstreue die Existenz einer Norm nicht kennt oder kennen kann, sondern wenn ihm die Geltung dieser Norm für die konkrete Lage nicht zugänglich ist. Wer dementsprechend zur Konkretisierung strafrechtlicher Normen formelle oder informelle Regeln der Gesellschaft, d.i. die normative Gestalt der Gesellschaft, nicht kennt bzw. kennen kann oder auf die konkrete Lage nicht anwendet bzw. anwenden kann, scheidet als (Versuchs-) Täter aus. Es geht also nicht um Kenntnis eines Individuums, etwa ob das Individuum nicht weiß, daß es ohne Erlaubnis ein Glücksspiel nicht veranstalten darf (§ 284 Abs. 1 StGB) oder ohne Erlaubnis an einem bestimmten Ort nicht fischen darf (§ 293 Abs. 1 Satz 1 StGB), sondern ob ihm als konkrete Person, Rechtstreue unterstellt, diese Unkenntnis zugeschrieben werden kann, was etwa nicht der Fall ist, wenn der Täter sich bei einem Rechtsanwalt informiert, der falsch be61

González-Rivero, Defektzustände, passim.

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rät. Entsprechendes gilt für sonstige einschlägige formelle und informelle Regeln (Straßenverkehrsnormen, Normen der legis artis bei bestimmten Berufen oder akzeptierte Standards, etwa in der Kindererziehung62): Letztendlich geht es um Zuständigkeit bzw. strafrechtlich definierte (Norm-)Kenntnis63. b) Sonderwissen und -fähigkeiten Der Strafrechtstäter wird als eine konkrete, nicht reine oder abstrakte Sollgestalt definiert. Er ist eine strafrechtlich-normative Konstruktion. Was vom Strafrecht im Hinblick auf die Person konstruiert wird, sind auf der Basis von Schuldzurechnung nicht Handlungsgestaltungen (Ein-Messer-in-den-Bauch-Stechen), sondern Motivation, normgemäße Verhaltensplanung. Die Konstruktion von Motivation folgt der kommunikativen Wirklichkeit und Aufgabe des Strafrechts, das als freiheitliches System die Wirklichkeit von Individuen und überhaupt der Gesellschaft berücksichtigen muß. Hinsichtlich des Individuellen gilt das Prinzip: Je plausibler die konkrete Person im Hinblick auf eine Norm bzw. ihre Anwendung auf den konkreten Fall vorbringen kann, ihr individuelles Auskommen werde nicht gewährleistet, desto weniger hat sie vor der Norm versagt. Grundsätzlich64 ist also nicht mehr zu erwarten, als die konkrete Person, Normbefolgungsbereitschaft unterstellt, leisten kann – eine Person muß in der konkreten Lage nicht schwimmen, wenn sie nicht schwimmen kann. Dies ist – von der Problematik der actio libera in causa65 abgesehen – anerkannt: Droht das Kind zu ertrinken und kann der Vater nicht schwimmen, begeht er keinen Versuch, wenn er die Rettung – unterstellt, es ist keine andere Rettung möglich als durch Schwimmen – nicht unternimmt. Die Konstruktion von Motivation muß in einem freiheitlichen Strafrecht, nicht nur aus gesellschafts-, sondern auch aus freiheitstheoretischen Gesichtspunkten die institutionalisierten, normativen Erwartungen anderer Sozialsysteme berücksichtigen, um seiner gesellschaftlichen Wirklichkeit gerecht zu werden bzw., weil das autonome praktische Subjekt nicht vorgesellschaftlich gedacht werden kann. Es handelt sich nicht um eine Übernahme anderer gesellschaftlicher Vorgaben, sondern um deren Berücksichtigung, die nach der Vorgabe des Strafrechts re-konstruiert bzw. re-formuliert werden. 62 Siehe NK-Puppe, vor § 13, Rn. 144; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 238; Jakobs, etwa in: FS Hirsch, S. 58. 63 Siehe nur Lesch, Verbrechensbegriff, S. 262. 64 Freilich wird sich das Individuum nicht darauf berufen können, wenn Normbefolgungsbereitschaft für die Erfüllung der Aufgabe des Strafrechts durchgehalten werden muß. Dazu Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 92 ff., S. 98. 65 Diese Problematik sei hier dahingestellt. Dazu neulich González-Rivero, Defektzustände, passim.

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In der heutigen entzauberten Gesellschaft wird der Umgang mit Risiken über Aberglaube nicht als pflichtgemäß definiert – es gibt keinen Rücktritt vom Versuch mit Hilfe abergläubischer Praktiken. In einer anonymen Gesellschaft, in der die individuellen Systeme im massenhaften, raschen Umgang mit den Mitbürgern nicht gekannt werden können, werden sich potentielle Opfer nicht auf individuelle Fähigkeiten einstellen, sondern auf standardmäßige Leistungen oder auf Durchschnittsvermögen. Durchschnittsvermögen bzw. Durchschnittsleistungen dürfen erwartet werden, weil positive, auch vom Strafrecht geschützte Institutionen Leistungen erbringen, die auf erwartbare Fähigkeiten und Leistungen der interagierenden (Straf-)Rechtspersonen nach einem „sozialen Durchschnittsmaß“66 vertrauen lassen. Andererseits sind bei negativen Pflichten überdurchschnittliche Leistungen bzw. Fähigkeiten (strafrechtlich) nicht zu erwarten. Personen agieren und integrieren sich in das sozial Typisierte bzw. in den sozialen Standard, und es wird nicht erwartet, daß sie sich außergewöhnlich verhalten67. Dies ist nicht nur eine faktische Feststellung, es ist auch eine gebotene normative Spezialisierung. Denn wegen der funktionalen Ausdifferenzierung der komplexen, modernen Gesellschaft finden neben dem Rechtssystem andere gesellschaftliche Systeme in der Gesellschaft ihren Platz – mit eben je eigenen Aufgaben, Ansprüchen an Individuen und Zurechnungssysteme. Seit der Neuzeit definiert die Gesellschaft ihre Mitglieder nämlich als frei in dieser immer komplexer und ausdifferenzierter werdenden sozialen Wirklichkeit68. Der Mensch tritt in verschiedenen sozialen Systemen in massenhaft anonymen Kontakten auf und wird dadurch herausgefordert, trotzdem eine Identität zu bilden, die sein mehrfaches Personsein zu einer Einheit bündelt und es ihm weiterhin erlaubt, sich als frei begreifen zu können69. Den Individuen werden dafür nicht nur Güter und sonstige Leistungen (Rechte), sondern auch Identitätsmodelle zur Verfügung gestellt. Würden überdurchschnittliche Fähigkeiten Garantenstellungen hervorrufen, müßte der Täter dafür sorgen, sich solchen Fähigkeiten zu entziehen, um nicht ein noch überforderteres Leben führen zu müssen. Die Nicht-Berücksichtigung von Sonderfähigkeiten wird auf diese Weise in einer ausdifferenzierten Gesellschaft neben der Zuschreibung von Freiheitssphären ein wesentlich freiheitlicher Aspekt des Strafrechts. Bei undifferenzierter Beobachtung der Gestalt der Gesellschaft wird diese nicht richtig erfaßt. Verlangt die h. M. den Einsatz von Sonderfähigkeiten, hier insbesondere von Sonderkenntnissen, schlägt sie dem Strafrecht Aufgaben – und der Strafrechtsperson „Pflichten“ – zu, die anderen Teilsystemen angehören mögen und die vielleicht traditionell die weniger differenzierte Gesellschaft und 66 67 68 69

Pawlik, Betrug, S. 194. Müssig, Mord und Totschlag, S. 239. Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, S. 707 ff. Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik III, S. 149 ff., S. 251 ff.

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so auch das Strafrecht stark geprägt haben mögen. Vom hier vertretenen Standpunkt aus ist der Nicht-Einsatz von Sonderfähigkeiten, die Rechtsgüterverletzungen mit sich bringen können, nicht als (straf-)rechtsverletzend, sondern lediglich als antisolidarisch zu kennzeichnen. Freilich ist auch heute noch in beträchtlichen Teilen der Gesellschaft ein Solidaritätsgefühl in Bezug auf Verantwortung verankert70, in dem Sinne, daß bei höherem Können eine höhere Macht zur Vermeidung von Schäden vorliegen soll („Tatherrschaft“71, Rechtsgüterschutz). Dies trifft mit dem Tabu des bösen Willens (schlechte Gesinnung72) in der Versuchsstrafbarkeit – und beim Tun mit dem Tabu der Eigenhändigkeit (phänotypische Organisation), der „kriminellen“ Energie, der Kausalität – zusammen. Beim Versuch geht es aber, wie im Laufe der Arbeit gezeigt wurde, nicht um bloße Sozialinadäquanz nach pauschalen gesellschaftlichen Überlegungen oder Vorgaben bestimmter Teilsysteme der Gesellschaft, die in bestimmten Bereichen immer noch die Verantwortungsvorstellungen beinflussen (etwa die christliche Moral, die Religion, die Liebe). Für diffuse Kriterien der Auffälligkeit, der Normalität, des Eindrucks mögen sie eine Rolle spielen, eben deswegen, weil diese auf für das Strafrecht unmaßgeblichen schlicht psychosoziologischen Fakten beruhen. Im Begriff des Sozialschädlichen liegt immerhin der im Ansatz richtige Gedanke des Sozialadäquaten, insbesondere wenn er aus freiheitlichen Überlegungen betont wird. Er bleibt bei diesen Theorien aber zu pauschal, undifferenziert, erkenntnistheoretisch und dogmatisch dürftig. Es geht um Verantwortung und Sozialadäquanz im und das heißt auch nach dem Strafrecht, das seine Aufgabe in einer ausdifferenzierten Gesellschaft erfüllen muß. 2. Ausschluß von Tätervorstellungen, die kommunikativ irrelevante Lagebeurteilungen einschließlich der Prognosen betreffen a) Kommunikative Relevanz versus „irrealer“ bzw. „unverständiger“ – auch „abergläubischer“ – und „untauglicher“ Versuch Irreale, unverständige und untaugliche strafrechtliche Versuche existieren im Unrecht bzw. auf interpersonaler Ebene nicht. Es gibt lediglich den kommunikativ relevanten Versuch73, d.h. Versuchsverhaltensweisen, welche als Lagebeurteilung einschließlich der Prognosen die kommunikativen Bedingungen im strafrechtlichen Sinn erfüllen. Auf dieser Ebene ist also nur Verhalten zurechen70 Zu diesem Verantwortungsgefühl im Rahmen der Solidaritätspflicht des § 323c StGB siehe Pawlik, GA 1995, S. 360 ff., S. 362. 71 Hierzu Jakobs, FS Hirsch, S. 49 ff. 72 Hierzu Jakobs, GS Armin Kaufmann, passim. Dazu, daß die Stabilisierung von Gesinnungen die Vorgaben des Strafrechts sogar stören können, ders., S. 281. 73 Jakobs, AT, 25/36.

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bar, das zur Usurpation von Rechten, scil. zur Eigentumsumschichtung bzw. zur Hinderung von institutionellen Leistungen nach den der kommunikativen Wirklichkeit entsprechenden Maßstäben fähig ist. Diese „Fähigkeit“ – bzw. die „Tauglichkeit“, das „Verständig-Sein“, die „Realität“ – von Versuchsverhalten ist ein kommunikativ strafrechtliches Konstrukt, das somit mit dem Selbstverständnis der Gesellschaft und so des Strafrechts variiert. Instrumentell untauglich kann das Verhalten des Täters in einer abstrakten oder außerstrafrechtlichen Dimension sein, nämlich bezüglich des empirischrealen „Rechtsguts“ und der „Tatmittel“; eine begrifflich letztendlich irrelevante Unterscheidung74. Fehlt die Tauglichkeit auch auf kommunikativer Ebene, fehlt jegliche strafrechtliche Kommunikation. Es fehlt also nicht nur der Vorsatz75, sondern vielmehr jegliche strafrechtliche Kategorie76, denn dann fehlt die Einführung dieser Dimensionen in die kommunikativ-relevanten strafrechtlichen Kategorien. Für die Frage der Grenze des Rechts gibt also nur das als Lagebeurteilung einschließlich der Prognose – auf der Basis vorausgesetzter Normtreue und vernünftiger Wahrnehmung der Welt – der konkreten Person „subjektiv“ Zugeschriebene den Ausschlag (objektive Zurechnung). b) Der konkreten Person werden nur rationale Wahrnehmungen bzw. Lagebeurteilungen zugeschrieben Der konkreten (zurechnungsfähigen) Person des Täters können nur im Strafrecht relevante Ereignisse zugeschrieben werden. Zum Selbstverständnis der Gesellschaft ist zunächst das Medium der Gesellschaft zu berücksichtigen. Teil dieses Mediums ist das instrumentelle Handeln. Als tatbestandlicher Verlauf kann heutzutage erst einmal nur ein Verlauf gelten, der im Einklang mit den Vorgaben der heutigen technisch-rationalen Gesellschaft77 steht. In einer religiösen Gesellschaft kann der Umgang mit religiösen Wirklichkeiten (das Beten, der Umgang mit dem Teufel, mit Engeln, Heiligen, usf.) maßgeblich sein, in einer abergläubischen Gesellschaft kann Hexerei zum (sehr schweren) Delikt stilisiert werden, ebenso wie in traditionsgebundenen Gesellschaften der Umgang mit toten Ahnen, Vorfahren, kurz: mit Übernatürlichen, welches als ebenso real definiert wird wie der Umgang mit Natürlichem.

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So auch Jakobs, AT, 25/36. Struensee, ZStW 102 (1990), S. 36 ff.; Jakobs, AT, 25/22, 8/6; Kindhäuser, LPK, § 22, Rn. 6; LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 190. 76 González-Rivero, Defektzustände, S. 175. 77 Timpe, Strafmilderungen, S. 125, Fn. 110; Jakobs, AT, 25/23; Bloy, ZStW 113 (2001), S. 102; Seier/Gaude, JuS 1999, S. 459. 75

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Beispielhaft: Einer zurechnungsfähigen konkreten Person ist grundsätzlich nicht zuzuschreiben, daß sie den Teufel sieht, und auch nicht, daß sie meint, ihn gesehen zu haben, ihr wird es vielmehr grundsätzlich zugeschrieben, daß sie als Strafrechtsperson niemanden sieht bzw. kommunikativ-relevant nur weiß, daß niemand da ist, mag das Individuum meinen, den Teufel gesehen zu haben. Damit ist nicht notwendig auf die Zurechnungsunfähigkeit der Person zu schließen, sondern auf die in einer freiheitlichen Gesellschaft in gewissem Rahmen der konkreten Person eröffnete Dimension des Privaten, des Glaubens. Es ist erlaubt, an Überirdisches zu glauben und diesen Glauben zu praktizieren. Das Private wird aber für das Strafrecht entmachtet, was aber nur solange gilt, wie kein Recht einer anderen Person nach der kommunikativ-relevant zugeschrieben Lagebeurteilung (hier: die konkrete Person sieht niemanden) verletzt wird. Im Ergebnis ist es erlaubt, mit rein entmachteter Privatheit zu versuchen, zu „delinquieren“, etwa zu versuchen, durch Beschwörung des Teufels zu töten. Mit überirdischer Magie vom Versuch zurückzutreten, das eigene Kind mit Hilfe von Aberglauben anstelle eines Arztes retten zu wollen, sind aber trotz des „guten Willens“ pflichtwidrige Verhaltensweisen. Es geht also nicht um die individuelle (gemeinte) Planung, sondern um den kommunikativ-relevanten Teil der Organisation des Täters, scil. was ihm als konkreter Person im Strafrecht zugeschrieben werden kann. Dazu gehören auch die Fälle bloß aktueller Absicht oder bloß aktuellen Meinens78. Es geht um bloß böse Geschehnisse im individuellen Bewußtsein zum „Tatzeitpunkt“, welche die relevante Kausalität beachten, wo aber die Lagebeurteilung nicht kommunikativ begründet wird (Gesinnungsstrafrecht versus Tatstrafrecht). Denn entweder findet die Tat im Medium der Kommunikation als Freiheitsbegriff statt, oder das Verhalten wird nicht strafrechtlich zugerechnet – das Auskommen, nicht die Ist-Beschaffenheit des Individuums an sich wird berücksichtigt79. Meint beispielsweise der Täter – etwa ein Kellner –, daß die Aprikosenmarmelade arsenhaltig ist, und wird dieses Meinen nicht kommunikativ-relevant begründet bzw. gestützt – etwa weil der schon einmal vorbestrafte Koch bei der Zubereitung der Marmelade verdächtig geschaut hat –, liegt kein Versuch vor, auch wenn der Kellner daraufhin die Marmelade zum Essen serviert. Vom Strafrecht als kommunikativ-normativem und freiheitlichem Teilsystem der Gesellschaft wird in einem solchen Fall nämlich nur subjektiv zugerechnet, Aprikosenmarmelade und nicht Gift „verabreicht“ zu haben. Was Irra78 A. A. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 355 f., S. 357 f., sowie S. 88 ff., wenn es sich hierbei auch nicht um den „Kern“ der Normen handle, sondern um „Verhaltenssteuerung“ anstrebende „Verhaltensnormen lediglich ergänzender Art“, denn „im Kern knüpfen die Verhaltensnormen an objektive Möglichkeiten an“ (S. 358, Hervorh. dort). Zu dieser Ausnahme wird in der Deliktssystematik auch schon die Tätertheorie gezwungen, oben 1. Kap., § 2 B. II. 2.; besonders problematisch bei Engisch, FS Juristentag, S. 437; Rudolphi, FS Maurach, S. 72 f. 79 Dazu oben § 5 D. I.

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tionalität oder Rationalität ist – entsprechendes gilt wie gesehen für den Täterbegriff –, wird durch einen von den Erkenntnisprinzipien und dem Ordnungsinteresse des Strafrechts bestimmten Vernunftbegriff festgelegt. c) Der konkreten Person werden nur rationale Prognosen zugeschrieben Dem konkreten Täter subjektiv zuzuschreibende – also vernünftig konzipierte – Lagen bzw. Kontexte, die nur nach rein Individuellem (etwa Träumen, Intuition, Irrationalem, Aberglaubem, bloßem Meinen) als „ursächlich“ zu deuten sind, können nicht als kommunikativ-relevant gedeutet werden, können also kein tatbestandsmäßiges Verhalten begründen80. Das individuell Gemeinte, der empirische Wille, aktuelle individuelle Vorstellungen sind an sich strafrechtlich nicht relevant – das Individuelle muß den Filter des strafrechtlich kommunikativ Relevanten passieren, um tatbestandlichen Sinn zu erlangen. Zur Festlegung der Verhaltensgestaltungen der konkreten Person (Selbststeuerung) muß der konkrete Täter kommunikativ-adäquate Prognosen stellen bzw. nach kommunikativ-relevanten Maßstäben planen, kurz: die kommunikativ-relevante Kausalität beachten. Ist etwa der konkreten Person des Täters subjektiv zuzuschreiben, daß er „normale Aprikosenmarmelade“ „verabreicht“, ist der individuelle Tötungswille des Individuums gleichgültig, weil „normale Aprikosenmarmelade“ für eine Tötung nicht als kausal gilt. Etwas anderes gilt, wenn als Kenntnis „lebensgefährlich vergiftete Aprikosenmarmelade“ zuzuschreiben ist, weil etwa ein vom Täter wahrgenommener, glaubwürdiger Warnzettel dies angibt – auch wenn dieser glaubwürdige Warnzettel eine falsche Information enthält.

80 H. M.: Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 279 ff.; Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 252; SK-Rudolphi, § 22, Rn. 35; Schönke/Schröder/Eser, § 23, Rn. 13; Dreher/Tröndle51, § 23, Rn. 5; Roxin, JuS 1973, S. 331; Struensee, ZStW 102 (1990), S. 21 ff., S. 36; Welzel, Lehrbuch, § 24 IV. 1. b); Schmidhäuser, StuB, 11/45; Kühl, AT4, § 15, Rn. 29 jeweils m. w. H. Will das Individuum zu etwas ansetzen, was im Strafrecht deliktisch ist (etwa zur Tötung), dann muß es – so Jakobs, S. 279, und „in den Kategorien der normativen Tatbestandsmerkmale gesprochen“ – „zu etwas ansetzen, das nach objektivem, vernünftigem Urteil eine Tat ist, und wer meint, seine Unvernunft sei Vernunft oder sein subjektives Urteil sei ein objektives Urteil, hat mißverstanden, was Vernunft oder was ein objektives Urteil ist, irrt also über den Begriffsteil ,Vernunft‘ oder ,objektives Urteil‘ im Rechtsbegriff ,Tat‘“.

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d) Zum untauglichen Versuch – Instrumentalität als personales Konstrukt aa) Strafbarkeit des untauglichen Versuchs auf der Basis zugeschriebener Tätervorstellung (objektive Zurechnung) Der untaugliche Versuch ist strafbar (§§ 22, 23 Abs. 3 StGB). Nach h. M. sind jedoch nicht alle untauglichen Versuche strafbar, von seiner Strafbarkeit ist etwa der abergläubische Versuch ausgeschlossen81. Die Einschränkungen folgen dem entsprechenden Versuchsbegriff und sind je nach Verständnis nicht unerheblich, so etwa neulich bei Hirsch82, nach dem auf der Basis des Prinzips der objektiven Beherrschbarkeit nur objektiv gefährliche Versuche dem Versuchsbegriff angehören sollen. Die gesetzliche Anerkennung des untauglichen Versuchs bezieht sich auf Verhaltensweisen, die in der rechtspraktischen und -wissenschaftlichen Diskussion herkömmlich als strafbare bzw. strafwürdige untaugliche Versuche behandelt worden sind. In dieser Arbeit ist die Differenzierung tauglich/untauglich unmaßgeblich. Relevant ist nur die Unterscheidung zwischen kommunikativ relevantem und irrelevantem Verhalten83. Der untaugliche – wie der taugliche – Versuch ist strafbar, sofern er nur den Versuchsbegriff erfüllt. Auf diese Weise überwindet das Gesetz die klassische Diskussion über die Strafbarkeit von naturalistisch untauglichen Versuchen84. Die alten objektiv-kausalistischen Versuchstheorien konnten, wie schon gesehen85, nicht die Strafbarkeit von naturalistischen untauglichen Versuchen bejahen, eben weil sie bei der Abstraktion einer naturalistischen Perspektive des Strafrechts und des Unrechts 81 Siehe neulich Seier/Gaude, JuS 1999, S. 459 f. (wegen „Gewohnheitsrechts“); Heinrich, Jura 1998, S. 398 m. w. H. Dabei stellt die Literatur unterschiedliche Fallkonstellationen vom untauglichen Versuch als straflos dar. So sieht etwa Niepoth, Der untaugliche Versuch, S. 390, den untauglichen Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt als straflos an, was er auf dogmatische und kriminalpolitische Argumente stützt, d.h., auf eine Auslegung nach der Identität des Strafrechts (vgl. dens., S. 287 ff.). In Konsequenz seines Strafrechtsverständnisses schließt Zaczyk bestimmte untaugliche Versuche aus (etwa den Versuch am nicht existenten Opfer); gleichermaßen schloß die Theorie vom Mangel am Tatbestand wiederum untaugliche Versuche aus, usw. Wird kein untauglicher Versuch aus dem Bereich der Strafbarkeit ausgeschlossen (etwa A. Kaufmann, FS Welzel, S. 403, nach dem sogar der aberglaubische Versuch Unrecht ist), dann liegt dies nie bloß im Gesetz(estext), sondern in einem mehr oder weniger der Wirklichkeit des Strafrechtssystems einer Gesellschaft entsprechenden Gesellschafts- und Strafrechtsverständnis begründet (siehe hierzu nur Jakobs, GS Armin Kaufmann, S. 271 ff.). 82 Hirsch, FS Roxin, S. 711 ff., S. 716 ff. 83 Ebenso Jakobs, AT, 25/36. 84 Siehe Bloy, ZStW 113 (2001), S. 99; Lackner/Kühl24, § 23, Rn. 6, jeweils m. w. H. 85 Siehe oben 1. Kap., § 2 A. I. 2.

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stehen blieben. Berücksichtigt man die Schuldbezogenheit (kommunikative Täterbezogenheit) des Unrechts und überhaupt die kommunikativ-personale, gesellschaftliche Größe des Strafrechts, kann das – an sich bzw. abstrakt – als „untauglich“ zu qualifizierende Verhalten des Täters je nach kommunikativem Zusammenhang ein strafrechtlich – d.h. konkret – kommunikativ-relevantes Verhalten, genauer: ein strafrechtlicher Versuch sein. Strafrechtlich wird nur auf der Basis (zugeschriebener) Tätervorstellung delinquiert. Die Tat ist immer täterbezogen, Unrecht ist immer schuldhaftes Unrecht. Deswegen ist von Zurechnungsfähigkeit und Normkenntnis auszugehen86, so daß Zurechnungsfähigkeit und Normkenntnis zur Feststellung einer strafrechtlichen Aufgabe, scil. Interpersonalität, vorausgesetzt werden. Dies heißt technisch nicht, erstens sei das Unrecht und hinterher die (bis dahin vorausgesetzte) Schuld zu überprüfen oder umgekehrt – wie es dem Vorgehen der h. M. entspricht – erst die Tätervorstellung und dann das interpersonale Verhältnis. Beim Versuch wie bei der Vollendung liegen alle Ebenen vielmehr nur in ihrer Bezogenheit aufeinander und Abhängigkeit voneinander vor87. Eine Trennung von strafrechtlicher Schuld und Unrecht, von Täter und Tat, gibt es also nicht, beide Ebenen geben einfach die Struktur der Zurechnung als Verbindung einer Tat mit ihrem Täter wieder. Kurz: Es gibt keinen Vorsatz ohne Unrecht. Ist dem Täter nach dem strafrechtlich kommunikativen Kontext zuzurechnen, daß – mit dem Gesetz gesprochen – „die Art des Gegenstandes“ oder „des Mittels“ als relevant anzunehmen ist, auch wenn sie – naturalistisch gesprochen – „in Wirklichkeit“ „überhaupt nicht“ tauglich waren, ist die naturalistische Gegebenheit (etwa das Psychische und/oder das Physische bzw. das Psychosoziologische) bzw. die Abstraktion der kommunikativen Schuldebene des Unrechts, d.h. die naturalistische Untauglichkeit unmaßgeblich. Der (versuchte) Totschlag an einem Toten, mit einer nicht geladenen Waffe oder mit Kamillentee kann je nach dem Zusammenhang – alles deutet ex-ante darauf hin, daß der Tote noch am Leben, die Waffe geladen und der Kamillentee Gift war – einen Normbruch konstituieren, d.h. ein Delikt. Denn in den letzten Fällen wird Unrecht auf der Basis der zugeschriebenen Tätervorstellungen festgestellt, scil: eine lebendige Person werde angegriffen, die Waffe sei geladen, es gebe Gift in der Tasse. bb) Untauglicher Versuch und interpersonale Anerkennung nach Maßgabe objektiver Anerkennungsverhältnisse Das Strafrecht dient der Erfüllung strafrechtlich definierter Aufgaben als Gegenseite zur synallagmatischen Leistung von (straf-)rechtlichem Freiraum. Die Bestimmung der Aufgaben, die einer Rechtsperson zustehen, wird anhand der 86 87

Zur Tatbestandskenntnis ebenso Jakobs, FS Hirsch, passim. Zutreffend MK-Herzberg, § 22, Rn. 31 f. m. w. H. für die übliche Ansicht.

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Verteilung von Rechten und Pflichten bestimmt. Die Strafrechtsperson bzw. (straf-)rechtliche Identität wird ihrerseits durch Rechte und Pflichten gekennzeichnet. Hierdurch wird die dogmatische Gestalt (straf-)rechtlicher Strukturen unter der rechtstheoretischen Perspektive von Rechten und Pflichten von Personen rekonstruiert88, die in dem konkreten Interaktionskontext eine bestimmte Zuständigkeitsverteilung der Interagierenden ergibt. Bei jeder Pflichterfüllung werden die Bedingungen strafrechtlich relevanter Freiheit, der eigenen und der anderen Personen, garantiert. Durch die Anerkennung der Norm (Pflichterfüllung) erkenne ich also zugleich die anderen als Person an, so daß bei jedem Handeln im Strafrecht insofern von Interpersonalität gesprochen werden kann. Interpersonalität ist dementsprechend ein kommunikativ-freiheitlicher Begriff und über Kommunikation, nicht über herkömmliche Rechtsgüter festzustellen. Das Verhältnis von Täter und Opfer als die Verletzung subjektiver Rechte ist also ein über die Norm objektiv vermitteltes Anerkennungsverhältnis. Das „intersubjektive“ bzw. interpersonale Anerkennungsverhältnis besteht nur nach Maßgabe des objektiven Anerkennungsverhältnisses zur strafrechtlichen Norm. Die Norm bestimmt, wann Interpersonalität vorliegt und was als Anerkennung gilt. Nicht das Opfer und irgendein Schaden definieren die Anerkennung, sondern die Norm und die strafrechtlichen Freiheitsbegriffe. Für den untauglichen Versuch heißt das: Gilt eine Norm in einem Kontext, kommt es jedoch bei unerlaubt riskantem Verhalten zu keiner Vollendung (Versuch), war das Verhalten „tauglich“, solange die Norm im konkreten Kontext gegolten – metaphorisch ausgedrückt: „anwesend“ – war, auch wenn keine angegriffene Person (Opfer) bzw. kein (Rechtsguts-)Objekt überhaupt oder situativ anwesend war, scil. von einem interpersonalen89 Anerkennungsverhältnis als Beziehung zu einem situativ oder überhaupt anwesenden (herkömmlich verstandenen) Rechtsgut bzw. Opfer nicht die Rede war. Interpersonalität muß nur auf kommunikativer Ebene bestehen, d.h., nach Maßgabe des objektiven Anerkennungsverhältnisses soll eine interpersonale Leistung, als negative oder positive Pflicht, zu gewährleisten sein; anders gesagt: Ein kommunikativ relevanter Versuch ist dann auch zu bejahen, wenn nach Maßgabe des objektiven Anerkennungsverhältnisses zur Norm Interpersonalität strafrechtlich-kommunikativ gleichsam gegeben war. Denn überhaupt und situativ bestehen muß eine geltende strafrechtliche Norm, nicht ein Mensch oder ein Rechtsgutsobjekt. Umgekehrt gilt wiederum: Ist ein unerlaubt riskantes Verhalten zu bejahen, das ursächlich und vermeidbar, aber nicht objektiv zurechenbar ein Rechtsgutsobjekt verletzt, ist das „interpersonale Anerkennungsverhältnis“ nicht vollendet verletzt. 88

Vgl. Müssig, Mord und Totschlag, S. 242 m. w. H. Interpersonalität wird hier im weitesten Sinne verstanden, also auch bei positiven Pflichten. 89

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2. Kap.: § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs‘‘

Der Bezug von Rechten bzw. Rechtspositionen auf die kommunikativen Konstitutionsbedingungen (straf-)rechtlicher Identität hat die Konsequenz, daß es hierbei nicht nur um die Zuweisung subjektiver Verfügungsmacht geht (jeder Person wird etwa ein Leib und/oder sonstige Güter und Leistungen zugesprochen), die als subjektives Recht gebrochen werden kann. Rechte und Pflichten dienen in der Interaktion der Zuständigkeitsverteilung, sprechen also für die „Gestaltung sozialer Kontakte“90. Relevant ist das Begreifen des objektiven Anerkennungsverhältnisses der Rechtsperson zur Strafrechtsnorm vermittels der Kriterien normativer Zuständigkeitsverteilung. Es steht also fest: Das Strafrecht schützt Normgeltung als die Geltung seiner grundlegenden Strukturen, die Geltung seiner freiheitlichen Kommunikationszusammenhänge nach seinem selbst geschaffenen Begriff. Es entscheidet der Begriff; die Welt der Natur hat an sich solange keine Relevanz für das Strafrecht91, bis sie in die kommunikativ-freiheitliche Ebene einbegriffen wird, so daß das Strafrecht nicht konkrete Opfer und naturalistisch beobachtete Rechtsgüter schützt, auch nicht als idealistische oder sonstwie verstandene anerkennungsverlangende Gegenüber92. Denn das zu Schützende, das anerkennungsverlangende Gegenüber liegt im Strafrecht nicht dualistisch in der Welt der Natur, sondern direkt in einer von ihm geschaffenen kommunikativen Welt93. Das Strafrecht als selbständiges System bedarf für die Bestimmung des konkreten Unrechts bzw. der Schuld keiner ihm vorgegebenen und gegenüberstehenden Wirklichkeit in Form eines naturalistischen Gesellschaftsbildes (Menschen, Gegenstände) oder eines noch nicht genuinstrafrechlich normativierten Gesellschaftsbildes (etwa privat-rechtliches Eigentum, Auffälligkeit, Sozialadäquanz). Das Strafrecht garantiert in diesem Sinne die Geltung seiner Freiheitsbegriffe, d.h., daß seine Normen weiterhin gelten. Es beschäftigt sich also mit der Frage, ob der Täter (kommunikatives Konstrukt) im konkreten normativen Kommunikationszusammenhang (Norm als wiederum kommunikatives Konstrukt), in dem sich dieser Täter befindet (Täter als Teil des Kommunikationszusammenhangs), die Norm kommunikativ zurechenbar in ihrer Geltung bestätigt.

90

Müssig, Mord und Totschlag, S. 245 m. w. H. Insoweit zutreffend die begriffliche Ebene des Strafrechts berücksichtigend, Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 190. 92 Anders Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 170; Köhler, AT, S. 20, S. 26 ff., S. 458. 93 Vgl. ergänzend oben 2. Kap., § 5. 91

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e) Exkurs: § 23 Abs. 3 StGB (grob unverständiger Versuch) als (innerbegriffliche) Unterscheidung im Versuchsbegriff aa) Die Grenzen des Strafrechts und die Unterscheidung im Strafrecht Der Unrechtsbegriff betrifft also zwei Dimensionen: erstens die Grenzziehung des Erlaubten vom Unerlaubten, die Abgrenzung des (noch) nicht Strafbaren vom (schon) Strafbaren, im hiesigen Kontext: die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch – sonst, bei nicht strafbarem Versuch, die objektive Erfolgszurechnung (Grenzen des Strafrechts); zweitens den Grad der (Straf-)Rechtsverletzung, das Maß der Schuld (Unrechts- bzw. Schulddifferenzierung im Strafrecht). Bei der Frage nach dem Versuchsbegriff treffen sich also die Fragen erstens der Grenzen des Strafrechts, der – herkömmlichen – Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch und zweitens der Unrechtsunterscheidung im Strafrecht als Frage nach der inner-begrifflichen Differenzierung im Strafrecht, etwa des grob unverständigen Versuchs. bb) Kommunikativ relevante und kommunikativ irrelevante grob untaugliche Versuche Stilisiert das Gesetz nun einen „grob unverständigen Versuch“ (§ 23 Abs. 3 StGB) als prinzipiell strafbar, d.h. als prinzipiell unter den Versuchsbegriff subsumierbar, muß der Sachverhalt nach dem Gesetz den Bedingungen des strafrechtlichen Versuchsbegriffs genügen94. Auch beim „grob unverständigen“ Versuch müssen also die Bedingungen der strafrechtlichen Kommunikation in jeglicher Hinsicht, d.h. auch von ihrer instrumentellen Seite her grundsätzlich erfüllt werden. Nach dem oben Ausgeführten kann es nicht darum gehen, dem Täter ein irrelevantes Meinen zuzuschreiben – scil. daß er etwa wirklich meinte, „das übermäßige Trinken von Kamillentee“ sei tauglich für eine Abtreibung95 – und 94 Siehe nur SK-Horn, § 46, Rn. 50, 58, 60, für den die Bestimmung des Strafrahmens den Begriff betrifft und nicht bloß einer Gesamtwürdigung ausgeliefert wird. Differenzierend auch Timpe, Strafmilderungen, S. 32 ff., S. 64 ff., S. 83 ff.; Frisch, FS Spendel, S. 381 ff., S. 385 ff., S. 389; auf versuchsbezogene Gründe abstellend, grundsätzlich Jakobs, AT, 25/78 f.; Köhler, AT, S. 597; Frisch/Bergmann, JZ 1990, 949; Stratenwerth, FG Schweizerischen Juristentag, S. 247 ff., S. 257 ff., S. 259 ff.; Schönke/Schröder/Eser, § 23, Rn. 7 f.; SK-Rudolphi, § 23, Rn. 3; LK10-Vogler, § 23, Rn. 10. Davor schon Dreher JZ 1956, 682 f.; ders., JZ 1957, 146, S. 155 f.; ders., JZ 1968, S. 209 ff., S. 213; undifferenziert zu dieser Frage ein großer Teil der Literatur und der BGH; siehe etwa Tröndle/Fischer51, § 49, Rn. 2; NK-Lemke, § 49, Rn. 3; Bruns, Strafzumessung, S. 172; Maurach/Gössel/Zipf, AT II, § 40, Rn. 183, jeweils m. w. H.; BGHSt 16, 351, 353; 17, 266; BGH StV 1984, 246; 1985, 411. Trotzdem stellt die Rechtsprechung oft „in erster Linie“ auf „versuchsbezogene Umstände“ ab: BGHSt. 36, 1, 18 f.; BGH bei Theune, NStZ 1989, 216; BGH bei Detter, NStZ 1989, 467; BGH StV 1985, S. 411, 1986, S. 378. 95 So aber LK11-Hillenkamp, § 23, Rn. 70.

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dies letztendlich – nur – wegen böser Absicht Unrecht sei. Schon nach dem dem politischen Diskurs zum Gesetz auch zugrundeliegenden naturalistischen Argumentationsmuster handelt es sich bei den von § 23 Abs. 3 StGB nach h. M. auszuscheidenden Fällen, scil. den abergläubischen Fällen96, nicht bloß um Absicht oder Prävention, sondern um die (fehlende) Seinsgrundlage97 der Gesellschaft (in dieser Arbeit „Versuchsbegriff“ genannt). Maßgeblich ist also, daß nach dem dem Täter zugeschriebenen Wissen der Verlauf (Tun oder Unterlassen98) als vollendungs-„tauglich“ (kommunikativer, die „Seinsgrundlage“ der Gesellschaft und ihres Strafrechts betreffender Begriff) angesehen werden kann, auch wenn das Verhalten außerhalb des konkreten kommunikativen Kontexts (bzw. außerhalb der Seinsgrundlage der Gesellschaft) an sich bzw. abstrakt (etwa außerempirisch oder nach Feststellungen im Individuum) – „nach der Art des Gegenstandes“ (. . .) „oder des Mittels“ – „überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte“ (§ 23 Abs. 3 StGB). Es handelt sich um eine Abstraktion, die auch beim abergläubischen Versuch vorliegt. Hiermit scheinen die „Normalfälle“ des untauglichen Versuchs im § 23 Abs. 3 StGB nicht gemeint zu sein. Es handelt sich vielmehr um Fälle, in denen von Strafe abgesehen werden kann. Gemeint sind Fälle, in denen zwar eine nach naturalistischer Betrachtung des Vorhabens des Täters definierte grobe „Unverständigkeit“ festzustellen ist, aber aus kommunikativen Gründen in diesen Fällen dem Täterverhalten strafrechtlichen Sinn, gleichsam strafrechtlichen „Verstand“, zugerechnet werden können muß, auch wenn auf solches Verhalten kaum mit Strafe reagiert werden muß. Anders gesagt: Strafrechtlichen Sinn kann „unverständiges“ Verhalten also nur haben, wenn das Verhalten, auch wenn es abstrakt gesehen, d.h. gelöst vom kommunikativen Kontext, als grob unverständig angesehen werden kann, konkret, d.h. im strafrechtlichen Kommunikationszusammenhang, doch noch als kommunikativ fehlerhaft begriffen werden kann. Dafür ist die Art des konkreten kommunikativen Kontexts entscheidend.

Vgl. Lackner/Kühl24, § 22, Rn. 5; Schönke/Schröder/Eser, § 23, Rn. 13, 13a; SK-Rudolphi, § 23, Rn. 6; MK-Herzberg, § 22, Rn. 87; LK10-Vogler, § 23, Rn. 30; Radtke, JuS 1996, S. 881; Seier/Gaude, JuS 1999, S. 459 f.; Rath, JuS 1998, S. 1113; NK-Zaczyk, § 23, Rn. 17. 97 Siehe nur LK11-Hillenkamp, § 23, Rn. 50 m. w. H. 98 Diese Unterscheidung ist auch strafrechtlich irrelevant (siehe nur Jakobs, Die strafrechtliche Zurechnung von Tun und Unterlassen, passim), so daß sie hier nicht unter unterschiedlichen Prämissen berücksichtigt wird. 96

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cc) Die Rollenbezogenheit des kommunikativ Relevanten bzw. des unerlaubten Risikos In einer anonymen Gesellschaft mit massenhaften, nach dem Prinzip der Arbeitsteilung erfolgenden Kontakten in verschiedenen Teilsystemen der Gesellschaft (als Vater, Arbeiter, Käufer, Fahrer, etc.) darf sich jeder nämlich so organisieren, daß er in der Interaktion nicht alles überprüfen muß. Eine umfassende Überwachungs- und Überprüfungstätigkeit würde nämlich die Organisation in der heutigen Gesellschaft unmöglich machen99: Es ginge dann um eine andere Gesellschaft. Unterläuft einer Person ein (nach dem Gesetz auch grober) Fehler im Begreifen der Tauglichkeit ihrer Handlung100 (für die klassischen Positionen ein – an sich101 – nicht sauber abzugrenzender102 ontologischer oder nomologischer Fehler103), könnte dennoch prinzipiell ein deliktischer Sinn bejaht werden, was wiederum, wie stets, vom kommunikativen Zusammenhang abhängt. Der strafrechtliche Sinn beim sog. unverständigen Fehler ist nicht naturalistisch, etwa nur nomologisch bzw. ontologisch, zu überprüfenn. Denn, daß das Individuum etwas nicht „sieht“, ist strafrechtlich im Prinzip – schon für den Vorsatzbegriff – unmaßgeblich104, und daß das Individuum aktuell nicht weiß bzw. realisiert, daß Wasser feucht macht, sich also gleichsam psychisch unzurechnungsfähig macht, ist nur dann maßgeblich, wenn es dies nicht selbst zu verschulden hat105. Vielmehr ist auf die Verteilung von Zuständigkeiten je nach dem Kontext und den Prinzipien der objektiven Zurechnung abzustellen106. Ein grob unverständiger Versuch wäre in folgender Fallkonstellation wohl anzunehmen: Eine in einem Sachbereich laienhafte Person erkundigt sich bei einem Sachverständi99

Eingehend Jakobs, Imputación objetiva, S. 95 ff. D.h. im Begreifen eines abstrakten, noch nicht einen endgültigen strafrechtlichen Sinn ausmachenden Zusammenhanges. Denn es geht nicht um Tauglichkeit, sondern um die innerstrafrechtliche kommunikative Bedeutung des Verhaltens. 101 D.h. nach strafrechtlich abstrakter Betrachtung. 102 Jakobs, Studien, S. 84; ders., AT, 25/36, Fn. 56a; Timpe, Strafmilderungen, S. 120 f.; Radtke, JuS 1996, S. 882. Zu der Unmaßgeblichkeit des bloßen Hinweises des Gesetzgebers darauf, daß bei grob untauglichem Versuch weder eine konkrete noch eine abstrakte Gefährdung des Rechtsguts bestehen soll (BT-DrS. V/4095, 11), siehe nur Radtke, JuS 1996, S. 882. 103 Auch von neueren Arbeiten wird dies noch vertreten, siehe etwa Seier/Gaude, JuS 1999, S. 458 ff.; Heinrich, Jura 1998, S. 396 ff. m. w. H. 104 Dazu neulich Jakobs, ZStW 114 (2002), S. 584 ff. Siehe auch González-Rivero, Defektzustände, S. 175 f. 105 So etwa der Gedanke des § 35 StGB. Dazu Jakobs, AT, 20/12 ff.; Timpe, Strafmilderungen, S. 307 ff.; weiterhin González-Rivero, Defektzustände, S. 205. 106 Grundsätzlich auch Jakobs, AT, 25/23; ders., GS Armin Kaufmann, 283 ff., S. 285 ff.; zum Allgemeinen ders., AT, /35 ff.; ders., Imputación objetiva, S. 89 ff., S. 101 ff. und passim (Grundlagen der objektiven Verhaltenszurechnung, S. 1 ff., S. 11 f.). 100

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gen oder einer einschlägigen Informationsquelle darüber, wie ein zu diesem Sachbereich gehörendes Objekt lebensgefährlich werden kann. Sie bekommt irrtümlich eine offenbar falsche Information, auf die man sich trotzdem normalerweise ohne Überprüfung verlassen kann, und behandelt die Person das Objekt in einem nach der erteilten Information offenbar „lebensgefährlichen“ Zusammenhang, ohne die Falschheit der Information begriffen zu haben. Je nach Fallgestaltung kann ein solches Verhalten objektiv zurechenbar sein. Ist das Fehlerhafte der Information schon für Laien so offensichtlich (grob unverständiger Fehler), daß sich die Unverständigkeit nur auf das Sich-Einlassen-Dürfen auf die Rollenverteilung des kommunikativen Kontexts erklären läßt (man kann etwa erwarten, daß der Sachverständige weiß, was er sagt und meint), kann der Richter gegebenenfalls zwar eine strafrechtlich relevante Tätervorstellung bejahen, doch wegen der gezeigten grundsätzlichen Inkompetenz des Täters im Rahmen der Strafzumessung je nach Fallkonstellation die Strafe mildern oder sogar gänzlich von Strafe absehen107. Aus diesem Grund ist folgende Entscheidung des BGH108 verfehlt109: Die Täterin hatte das Vesperbrot ihres Mannes während insgesamt 2 Sekunden mit Insektengift besprüht, wobei sogar die gesamte Dosis überhaupt keine tödliche Wirkung gehabt hätte. Aus dem Umstand, daß das Insektizid freiverkäuflich110 war, ist vernünftigerweise nicht der Schluß zu ziehen, eine so geringfügige Anwendung könne nicht nur Mücken, sondern auch einen Erwachsenen töten. Da sich die Täterin den Tod ihres Mannes wünschte, soll es nach dem BGH und der üblichen Ansicht um (versuchten) Mord (!) gehen. Weil aber nach dem BGH nur nomologische, nicht ontologische Irrtümer111 einen grob unverständigen Versuch begründen können, sei bloß ein untauglicher Mordversuch bzw. ein „normaler“ (versuchter) Mord begangen worden112. Nach den der Täterin zuzuschreibenden Kenntnissen hat sie aber bloß folgendes kommunikativ ausge-

107 Siehe den Fall von Jakobs, AT, 25/23: „Wenn in einem Fachbuch über Giftpflanzen versehentlich eine Variante des Löwenzahns abgebildet ist, verhält sich ein biologisch unbewanderter Mensch rational, wenn er dieses Kraut als Gift einsetzt“. Es handelt sich um einen Fall, der grundsätzlich zur Annahme eines grob unverständigen Versuchs führen kann. 108 BGHSt. 41, S. 94 ff. Wie Radtke, An der Grenze des strafbaren untauglichen Versuchs – BGH, NJW 1995, 2176, in: Jus 1996, S. 879, bemerkt, die erste Äußerung des BGH in einer veröffentlichen Entscheidung zur Auslegung des § 23 Abs. 3 StGB. 109 Ebenso neben der Sache die übliche Ansicht zum grob unverständigen Versuch. Siehe etwa Radtke, JuS 1996, S. 882 f.; Kühl, AT4, § 15, Rn. 92 mit Fn. 128a m. w. H. 110 Darauf weisen zutreffend auch Radtke, JuS 1996, S. 883; MK-Herzberg, § 23, Rn. 46, hin. 111 Anders aber NK-Zaczyk, § 23, Rn. 20; Rath, JuS 1998, S. 1113; Radtke, JuS 1996, S. 883; LK11-Hillenkamp, § 23, Rn. 70. 112 In diesem Sinne Radtke, JuS 1996, S. 882 f.; Kühl, AT4, § 15, Rn. 92 mit Fn. 128a; für grob unverständigen Versuch NK-Zaczyk, § 23, Rn. 20.

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drückt: „ein Brot mit (tödlichem) Gift für Insekten und nicht für Menschen wird zum Essen gegeben“, also eine (versuchte) Körperverletzung. Die Einstufung des Vorganges als Mord findet keine kommunikativ-relevante Stütze, bleibt also insoweit ein Ereignis im Bewußtsein, das sich nicht im Strafrecht niederschlägt (cogitationis poenam nemo patitur). Jakobs will in diesem Zusammenhang folgende Fallkonstellation nach § 23 Abs. 3 StGB behandeln: irrig informiert über eine in einem Fachbuch über Giftpflanzen versehentlich abgebildete Löwenzahnvariante setzt jemand diese als Tötungsmittel ein. Auf die Frage von Bottke: „Aber wiegt die gemeine Erwartung, Fachbücher seien ,wahr‘, so schwer, daß sie sich auch über gemeinhin erkennbare Falschheit hinwegsetzt?“113, wäre hiernach wie folgt zu antworten: Nur nach dem kommunikativen Kontext. Der grob unverständige Versuch spricht schlicht die Tatsache an, daß das Verhalten des Laien, auch wenn es abstrakt nur als grob unverständig einzustufen wäre, je nach Fallgestaltung und gesellschaftlichem Zusammenhang trotzdem noch „vernünftig“ bzw. „anschlußfähig“, d.h. hier: deliktisch, zu verstehen sein kann114. Daß eine solche Konstellation als strafrechtlich relevant konstruierbar anzusehen ist, darauf reagiert § 23 Abs. 3 StGB115. Es handelt sich auf jeden Fall um eine Randzone des (Un-)Erlaubten, die sich zwar noch im Rahmen der strafrechtlich-freiheitlichen Kommunikation bewegt aber bereits mehr Richtung Bewußtsein läuft. Kritik an der Strafbarkeit des grob unverständigen Versuchs ist insoweit nicht unberechtigt.

113

Bottke, FG 50 Jahre BGH, S. 149 mit Fn. 20. Es geht um die Rollenbezogenheit und so um Relativität je nach der Rolle des tatbestandsmäßigen Verhaltens bzw. des unerlaubten Risikos (Jakobs, Imputación objetiva, S. 133 ff. [Das erlaubte Risiko, S. 12 ff.]; letzlich ders., FS Hirsch, S. 50). Denn ein Verhalten, das in einem sozialen Kontext nicht riskant ist, kann in anderen Kontexten bzw. in anderen Rollen, in denen der Täter agiert, als unerlaubt riskant einzustufen sein. Grundsätzlich ebenso Jakobs, Imputación objetiva, S. 136 [Das erlaubte Risiko, S. 14]: „Ein Arzt kann durch die Injektion einer sterilen Kochsalzlösung keinen Tötungsversuch begehen, solange er weiß, daß es Kochsalz ist, was er injiziert; denn zu seiner Rolle gehört die Kenntnis von der Harmlosigkeit dieser Substanz auch dann, wenn er sich im Einzelfall irren sollte; er kann also in seiner Rolle mangels einer kommunikativ relevanten Vorstellung einer Schädigung mit diesem Mittel keinen tatbestandlichen Vorsatz bilden (es bleibt bei einer bloßen Wahnvorstellung). Aber ein Laie, der auf der Ampulle liest, es handele sich um Natriumchlorid, mag diesen Stoff in kommunikativ relevanter Weise für eine gefährliche Chlorverbindung halten“. Nur darf dieses Meinen des Laien, wie oben dargestellt, nicht kontextuell unbegründet entstanden sein: Wie Überskrupelhaftigkeit allein den (bedingten) Vorsatz nicht begründet (so Jakobs, ZStW 114 [2002], S. 583 ff.), so auch nicht die böse Absicht, das böse Meinen, das auf einer Haltung beruht, die sich unbegründet Risiken einbildet: Der Umkehrschluß gilt nur nach Maßgabe des kommunikativ Relevanten. 115 Siehe nur BT-DrS. V/4095, S. 12, nach der das Absehen von Strafe „in erster Linie“ von dem Richter „in Erwägung zu ziehen“ ist, wegen der Möglichkeit von strafbedürftigen Fällen wurde aber eine flexible Lösung gewählt. 114

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Ansonsten existiert so gut wie keine Rechtsprechung zum grob unverständigen Versuch116. Der Grund könnte darin liegen, daß solche Fälle, auch wenn sie konstruierbar sind – was letztendlich § 23 Abs. 3 StGB rechtfertigen würde –, trotzdem meist nicht zu Tage treten, als bloße Scherze erachtet werden oder nach § 153b StPO meistens eingestellt werden, so daß es nicht zu einer Anklage kommt117. Die sonst in der Literatur vorgebrachte Bemerkung, der abergläubische und grob unverständige Versuch seien weder zuverlässig abgrenzbar noch bestehe die gesetzliche Notwendigkeit, nach einer solcher Abgrenzung zu suchen, der abergläubische Versuch würde vielmehr nach dem Gesetzwortlaut unter § 23 Abs. 3 StGB fallen118, spricht wiederum für die Randzone des Unerlaubten, der diese Art von Verhalten angehört. dd) Grob unverständiger Versuch und Rand- bzw. Grauzonen des (Un-)Erlaubten Die innerbegriffliche Unterscheidung im Versuchsbegriff, die den Strafrahmen bis zum Absehen der Strafe zu senken erlaubt, spricht beim grob unverständigen Deliktsverhalten vor der Vollendung im Unerlaubten für einen Grenzbereich zum schon erlaubten Verhalten, welcher zudem, auch wenn er in der Praxis kaum vorkommen mag, nur unangemessen nach dem Regelstrafrahmen oder nach dem Sonderstrafrahmen des § 49 Abs. 1 StGB zu bewerten wäre. Entscheidend ist letztendlich aber nicht diese praktisch-gesetzliche Erwägung, sondern die materielle Argumentation: Trotz der Zugehörigkeit bestimmter grob unverständiger Versuche zur Randzone des (Un-)Erlaubten könnten diese in bestimmten Fällen den Begriff betreffen, aber – wie bei Bagatelldelikten 119 oder sonstigen Grenzbereichen – mag in einer stabilen Gesellschaft die Notwendigkeit, solchen Straftaten mit Strafe zu widersprechen, kaum bestehen (§ 23 Abs. 3 StGB). § 23 Abs. 3 StGB würde für solche Rand- bzw. „Bagatellzonen“ der Versuchsstrafbarkeit gelten.

116

Darauf verweist auch Radtke, JuS 1996, S. 878 f. Vgl. auch Hirsch, FS Roxin, S. 725. Im Grunde genommen liegt der Vorschlag von Hirsch, FS Roxin, S. 720 ff. (siehe auch Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 149 f.) alle von ihm ungefährlich genannten, untauglichen Versuche vom Versuchsbegriff auszuschließen, weder vom Gesetz (Möglichkeit des Absehens von Strafe) noch von der praktischen Wirklichkeit des Strafrechts so weit entfernt. 118 Beim abergläubischen Versuch müsse aber obligatorisch von Strafe abgesehen werden. Vgl. Otto, AT, § 18, Rn. 60 ff., S. 251; Stratenwerth, AT4, § 11, Rn. 60 f.; Baumann/Weber/Mitsch, § 26, Rn. 37; Bloy, ZStW 113 (2001), S. 108 f. Vgl. sonst auch Armin Kaufmann, FS Welzel, S. 403; Heinrich, Jura 1998, S. 398. 119 Dazu Jakobs, KritV 1996, S. 320 ff., S. 321. 117

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ee) Strafzumessung, Strafgrund des Versuchs und Versuchsbegriff Falsch ist also das Vorgehen der herrschenden Ansicht, die von einem Menschen ausgeht, der ein Delikt ungereimt plant und aus Mängeln des Willens oder präventiven Gründen nicht zu bestrafen ist. Nicht alle Versuche entspringen einem Plan, einer Absicht, aktuellen Kenntnissen oder bewußten Prognosen. Die Tätervorstellung ist nicht ein innerpsychisches Faktum, an welches das Strafrecht mit seinen präventiven Bewertungen anknüpft120, sondern direkt ein strafrechtlicher Begriff. Auch findet die Gesellschaft – genauer: das (Bürger-) Strafrecht – weder im psychologischen Wollen bzw. in guten oder bösen Absichten ihrer Mitglieder noch in naturalistischer Prävention ihren Zusammenhang, ihre Identität, sondern in seinem selbst geschaffenen freiheitlich-kommunikativen Milieu. Maßgeblich ist also der Verbrechensbegriff, konkreter: der Versuchsbegriff, und der in ihm seinen Grund findende Strafbegriff einer konkreten Gesellschaft. Auszugehen ist also vom strafrechtlichen Strafbegriff121 als kommunikativer Herstellung der durch die (Versuchs-)Tat in der konkreten Tatsituation verletzten Normgeltung122. In der (Straf-)Tat liegt der Grund der Strafe, auf die objektive Schuldzurechnung folgt eine objektive Bestimmung der Strafe als schuldausgleichender Wiederherstellung der Norm bzgl. der konkreten Tat, scil. als Erhaltung der Normgeltung123. Die strafrechtlichen Begriffe als Begriffe eines teilgesellschaftlichen Systems können nicht ohne Beachtung von den Systemen, an die das Strafrecht gekoppelt ist, bestimmt werden. Die Rede von der Berücksichtigung spezial- und generalpräventiver Zwecke sowie von einer Vereinigungstheorie in der Strafzumessung vermögen, den Kern der Sache sowie das einheitliche Milieu der Strafe nicht richtig zum Ausdruck zu bringen124. Es geht nämlich um die Berücksichtigung anderer Systeme im Strafrecht unter dem (strafrechtlichen) Begriff der Strafe (stets objektive Zurechnung), die bereits auf der grundlegenden Ebene des Tatbegriffs erfolgt. Im Rahmen der Norm- und Tatbestandskenntnis wird auf einer ersten Ebene etwa im Begriff der Vermeidbarkeit das Auskommen von Individuen in Rechnung gestellt: Das 120

Neulich aber Bloy, ZStW 113 (2001), S. 100. Ebenso zutreffend Köhler, AT, S. 580. 122 Insoweit ist der Begriff der Vergeltung in seiner personal-kommunikativen und funktionalen Bedeutung zu verstehen (siehe Lesch, Verbrechensbegriff, S. 21). Soll weiterhin am Begriff der Generalprävention festgehalten werden (vgl. Jakobs, Strafe muß sein? Muß Strafe sein!, S. 39 f.), kann dies heutzutage wegen des vorherrschenden psychologisierenden Verständnisses der Prävention mißverständlich sein. Es geht jedenfalls um Schuldausgleich (eingehend Lesch, Verbrechensbegriff, S. 192, S. 205 ff.; vgl. ausgehend von interpersonalen Gesichtspunkten auch Köhler, AT, S. 580). 123 Jakobs, Staatliche Strafe, S. 29 mit Fn. 143. 124 Vgl. kritisch auch Köhler, AT, S. 586 ff.; Jakobs, Zur gegenwärtigen Straftheorie, in: Strafe muss sein! Muss Strafe sein?, S. 29 ff. 121

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nach den Erkenntniskriterien des Strafrechtssystems für unvermeidbar Erklärte gehört nicht zum Begriff. Innerhalb des Tatbegriffs ist eine begriffliche Unterscheidung zwischen dolus und culpa für die Schwere der Tat relevant, die Strafe wird dementsprechend bei culpa mildernd bestimmt. Innerhalb des dolosen Verhaltens kann auch eine Rolle spielen, mit welchem Grad die Tat dolos begangen wurde. Die Festlegung der Strafe erfolgt also nach dem Strafgrund und nach dem Strafbegriff auf unterschiedlichen allgemeinen Ebenen125. Dies entspricht dem üblichen Verständnis des gesetzlichen Strafmaßkonzepts, nach dem die Maßbestimmung nach Strafrahmen und Strafzumessung im Einzelfall zu bestimmen ist126. Erst bei der Strafzumessung im Einzelfall sind also Verfeinerungen in der Bestimmung des schon festgestellten, in seinen wesentlichen Zügen begriffenen deliktischen Sinns der Tat etwa durch Berücksichtigung der Individualität des Täters nach Maßgabe der objektiven Zurechnung möglich. So werden nach § 46 StGB stichwortartig „die Beweggründe“, „die Ziele des Täters“, „die Gesinnung, die aus der Tat spricht“, und „der bei der Tat aufgewendete Wille“ (u. a.: § 46 Abs. 1 und 2 StGB) in gewissem Umfang und nach dem Strafgrund und -begriff relevant127. Eine Doppelverwertung dieser Umstände auf allgemeineren Ebenen, insbesondere zur Feststellung des Versuchsbegriffs als Begriff der Abgrenzung von deliktischem und nicht deliktischem Verhalten, ist – zutreffend – gesetzlich verboten (§ 46 Abs. 3 StGB). Hierbei wird grundsätzlich thematisiert, in welchem Ausmaß die (festgestellte) Tat vom Täter distanziert werden kann128. Das Ausmaß der Zurechnung einer Tat folgt den Grundprinzipien der Zurechnung. Die Zurechnung entscheidet, wer für einen Konflikt zuständig zu machen ist: – allgemein ausgedrückt – „Fehlverhalten einer Person, Fehlverhalten einer anderen Person, Fehlverhalten des Opfers selbst oder Unglück, das sind die möglichen Erklärungen für den bösen Verlauf“129. Die Zurechnung kann überhaupt oder in unterschiedlichem Ausmaß ausgeschlossen werden, je nach dem, ob oder in welchem Maß der Konflikt auf Unglück, auf andere Personen oder auf das Opfer nach dem Selbstverständnis des Strafrechts in einer konkreten Gesellschaft zurückgeführt werden kann130. Ist beim grob unverständigen Versuch das kommunikativ Relevante so „dünn“, daß der Konflikt, auch wenn er gestützt auf die freiheitlich125

Zutreffend Köhler, AT, S. 578 ff., S. 586, nach dem „die Strafmaßgerechtigkeit die schlüssige Ableitung aller Bestimmungsgründe aus dem Schuldprinzip (bedeutet)“. 126 Siehe Köhler, AT, S. 578, S. 581, S. 585. 127 Bei der Strafzumessung geht es also nicht um andere Bestimmungsgründe bei der Strafzumessung als beim Strafgrund, sondern um eine begriffliche Ableitung der Gründe aus dem Strafgrund. Zutreffend Köhler, AT, S. 586. 128 Zum Prinzip Jakobs, AT, 17/20; ders., Imputación objektiva, S. 89 ff. 129 Jakobs, Strafrechtliche Zurechnung und die Bedingungen der Normgeltung, in: Verantwortung in Recht und Moral, S. 57 ff., S. 65.

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kommunikative Struktur der Gesellschaft seine Seinsgrundlage noch finden mag, im Endefekt nicht die Freiheit der Gesellschaft, sondern die Kompetenz des Täters letztendlich in Frage stellen würde, bedarf er nicht der die Geltung der Norm bzgl. der konkreten Tat zu ihrer Wirklichkeit bringenden Kraft der Strafe. IV. Exkurs: § 22 StGB und fahrlässiger Versuch Eine wiederum innerbegriffliche Unterscheidung beim Versuch ist diejenige zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Versuch, die hier als Problem der „subjektiven Zurechnung“ abschließend nur kurz behandelt werden soll. Daß der fahrlässige Versuch als Deliktsform möglich ist, wird in der Literatur immer häufiger betont131. Dies liegt in der Struktur des Tatbestands begründet, denn „was vollzogen werden kann, kann auch angefangen werden, und was erfolgreich vollzogen werden kann, kann auch erfolglos vollzogen werden“132. Das Ausführungsverhalten kann also selbstverständlich vorsätzlich und fahrlässig sein. Die demgegenüber überall anzutreffende Aussage, das Gesetz erfasse den fahrlässigen Versuch begrifflich nicht, da § 22 StGB Tatvorsatz erfordere133, bedarf jenseits der selbstverständlich anmutenden Aussagekraft dieses Verweises doch genauerer Überprüfung. Das einzige gewichtige Argument für den Ausschluß des fahrlässigen Versuchs aus dem gesetzlichen Versuchsbegriff läge also in dem Begriffsmerkmal der Tätervorstellung des § 22 StGB. Dieses Argument als richtig und dann als ausschlaggebend zu unterstellen, widerspricht aber schon der Gesetzsystematik. Bekanntlich werden nämlich im Gesetz ausdrücklich fahrlässige Versuche bestraft, nämlich im Fall des § 315c Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe f, 2. Fallgruppe StGB, scil. in all den Fällen, in denen jemand im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er grob verkehrswidrig und rücksichtslos fahr130 Vgl. auch Müssig, Mord und Totschlag, etwa S. 248, S. 237, für das Differenzierungsverhältnis von Mord und Totschlag; González-Rivero, Defektzustände, S. 133. 131 Vgl. Maurach/Gössel/Zipf, AT II, § 41, Rn. 52; SK-Rudolphi, § 22, Rn. 1; Jakobs, AT, 25/28; dens., Beiheft ZStW 1974, S. 6 ff., S. 41 mit Fn. 118; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 192 ff., S. 299 f. Vgl. auch differenzierend Schönke/Schröder/Eser, § 22, Rn. 22; Alwart, Versuchen, S. 154 ff., S. 156 („unvollendetes Fahrlässigkeitsdelikt). A. A. aber aus philosophischen Gründen Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 235 f.; ihm folgend Rath, JuS 1998, S. 1011; auch aus pragmatischen Gründen LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 13 (ohne Deliktsvorsatz als „inneren“ [!] Tatbestand lasse sich das tatbestandsmäßige Unrecht des Versuchs „noch oft überhaupt erfassen“) und Rn. 15, § 22, Rn. 30; u. a. aus pragmatischen Gründen, so wie auch den Terminus Versuch unterstreichend, Stratenwerth, AT4, § 11, Rn. 24. 132 Jakobs, AT, 25/28. 133 Vgl. die vorletzte Fn.; außerdem auch LK10-Vogler, § 22, Rn. 8; Jescheck/Weigend, § 49, III. 1 a; Stratenwerth, AT4, § 11, Rn. 24; Kühl, AT4, § 15, Rn. 23; Kindhäuser, LPK, § 22, Rn. 10.

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lässig versucht, auf Autobahnen oder Kraftfahrstraßen zu wenden, oder versucht rückwärts oder entgegen der Fahrtrichtung zu fahren. Im Wege der Gleichstellung der Vorsatz-Fahrlässigkeit-Kombinationen mit einer Vorsatztat wird auch die Versuchsstrafbarkeit des Fahrlässigkeitsteils eröffnet134. Dies wird interessanterweise auch von Autoren bejaht, die den fahrlässigen Versuch für materiell nicht möglich halten135. Nicht selten ist der fahrlässige Versuch ausschnitthaft als fahrlässige Gefährdung tatbestandlich typisiert136. Die dogmatische Relevanz des fahrlässigen Versuchs für die Rechtsprechung wird auch dadurch deutlich, daß der fahrlässige Versuch als Strafzumessungsgrund im weiten Maße anerkannt wird. In Fällen nämlich, in denen „sich bei einem bezüglich zweier Güter fahrlässigen Verhalten eine Fahrlässigkeit in der Verletzung realisiert, so wird die (insoweit folgenlose) Fahrlässigkeit bezüglich des anderen Guts straferschwerend angelastet“137. Zu fragen ist nun, warum das Gesetz den fahrlässigen Versuch in seiner Begriffsbestimmung (!) nicht erfassen soll. Wäre er in § 22 StGB erfaßt, würde § 23 Abs. 1 StGB immer noch gelten: Der Versuch eines Vergehens, d.h. auch bei Fahrlässigkeit, wäre nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung strafbar. Für diese ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen – etwa § 315c Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe f, 2. Fallgruppe StGB – behielte der Versuchsbegriff weiter Geltung. Zur Erweiterung der Begriffsbestimmung des § 22 StGB wäre die Argumentation denkbar, daß das Gesetz seine Bestimmungen im Grundfall auf Vorsatz (wie auf Begehung) bezieht. § 22 StGB wäre also für den vorsätzlichen Versuch formuliert, und nach § 15 StGB auf den fahrlässigen Versuch zu erweitern (so wie nach § 13 StGB auf Unterlassen). Aber nicht nur aus diesem Grund könnte es angebracht sein, den § 22 StGB bzw. die gesetzliche „Begriffsbestimmung“ des „Versuchs“ nach der Gesetzesystematik auch auf den fahrlässigen Versuch zu beziehen. Hierfür sprechen auch fundamentalere Gründe, die hier nur angerissen werden sollen. Die „subjektive Tatseite“ bezieht sich nicht auf Kenntnisse im Individuum, auch nicht auf Kennen-Können, sondern auf Kenntnisse in der konkreten Per134 Hierzu ausführlich LK10-Tröndle, § 11, Rn. 94 ff., Rn. 99; Tröndle/Fischer51, § 11, Rn. 41; NK-Lemke, § 11, Rn. 57; Lackner/Kühl24, § 11, Rn. 24 f.; LK11-Gribbohm, § 11, Rn. 110; vgl. auch Schönke/Schröder/Eser, § 11, Rn. 76; in Frage stellend Jakobs, AT, 25/27 mit Fn. 27. A. A. SK-Rudolphi, § 11, Rn. 53, allerdings nur mit der Begründung, § 22 StGB enthalte eine andere Regelung. 135 Siehe z. B. LK11-Hillenkamp, vor § 22, Rn. 107 f. 136 Vgl. § 97 Abs. 2; § 315 Abs. 5 i. V. m. Abs. 1; § 315a Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. Abs. 1; § 315b Abs. 5 i. V. m. Abs. 1; 315c Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. Abs. 1 StGB. 137 Jakobs, AT, 9/27, Fn. 37; vgl. sonst BGH VRS 12, S. 185 ff., S. 188; 13, S. 25 ff., S. 26; 13, S. 204 ff., S. 207; 14, S. 282 ff., S. 285; 22, S. 273 ff., S. 274; BGHSt. 3, S. 176 ff., S. 178.

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son als Kennen-Müssen nach dem objektiv-zurechenbaren Maßstab der Rechtstreue. Kurz: Kenntnisse werden – zum Tatzeitpunkt – zugeschrieben. Freilich wird dies beim Tatbestandsvorsatz vom Gesetz vereinfacht und verkürzt in dem Sinne, daß nur derjenige Teil der zuzuschreibenden Kenntnisse, die im Individuum aktuell bzw. zum Tatzeitpunkt138 vorliegen, nach dem Gesetz zum Tatbestandsvorsatz zählen (im offenen Widerspruch zur Regelung der Normkenntnis in § 17 StGB). Bei Fahrlässigkeit wird dem Täter auch nach dem objektiven Maßstab der Rechtstreue, nach dem „Kennen-Müssen“, Kenntnis zugeschrieben, nur wird hierbei der Normbruch aus nachvollziehbaren Gründen milder bestraft. Zu diesen Gründen zählt nach der Gesetzesystematik insbesondere das NichtVorliegen dieser Kenntnisse im Individuum zum Tatzeitpunkt. Zusammenfassend gesagt schreibt das Strafrecht „subjektiv“ nach einem objektiven Maßstab (Rechtstreue) der konkreten Person des Täters als Vorsatz oder als Fahrlässigkeit bestimmte Kenntnisse bzw. Vorstellungen zu (Norm- und Tatbestandskenntnis). Es geht also nicht um Kenntnis oder Unkenntnis im Kopf des Täters, sondern in der konkreten Person des Täters, es geht also um die Feststellung eines Mangels an Rechtstreue zum Tatzeitpunkt nach Kriterien objektiver Zurechnung. Kurz: Der konkreten Person des Täters wird stets eine konkrete (Täter-) Vorstellung zugeschrieben, ob diese als Vorsatz oder Fahrlässigkeit zu bestimmen ist, ist nach dem Gesetz (§§ 15, 16, 17 StGB) und nach der objektiven (Schuld-)Zurechnung zu konkretisieren. Das Kriterium der Tätervorstellung in § 22 StGB träfe nach dieser Beobachtung auch für den fahrlässigen Versuch zu, so daß bestimmte Tatbestände eines fahrlässigen Versuchs (wenn auch zu Recht selten) unter Anwendung des Versuchsbegriffs, scil. des § 22 StGB, – jetzt schon – konsequent bestraft werden. Diesem Verständnis des fahrlässigen Versuchs und § 22 StGB mag vorgehalten werden, daß es das Begriffsmerkmal der Tätervorstellung vom normalen Verständnis des Wortlauts im Gesetz und von seinem Verständnis in der Praxis abkoppelt. Das mag so sein, ein solches Vorgehen läge aber bloß darin begründet, daß Gesetz, Praxis und herkömmliche Rechtswissenschaft ein modernes normativ-freiheitliches Strafrecht terminologisch und argumentativ verkürzt auf der Basis eines überholten aber immer noch in Mode stehenden Naturalismus zum Ausdruck bringen. Die Tätervorstellung als Begriffsmerkmal, als Teil einer vom Strafrechtssystem, d.i. letztendlich, von einer konkreten Gesellschaft selbst geschaffenen, freiheitlichen Wirklichkeit, wird schlicht als eine naturalistische Feststellung in der Psyche des Täters, als Element einer bloßen Definition verstanden. Der Naturalismus, der die Praxis wie auch die Dogmatik beherrscht, sollte in seinem Argumentationsmuster und seiner Terminologie die Leistungen 138 Zur Möglichkeit, auch nicht-aktuelle Kenntnisse als Vorsatz zu berücksichtigen, die – wären sie anwesend – nicht relevant für die Selbststeuerung des (gleichgültigen) Täters wäre, siehe Jakobs, ZStW 114 (2002), S. 584 ff.

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einer kommunikativ-freiheitlichen Strafrechtswissenschaft berücksichtigen, solange diese Praxis und Gesetz erklären kann, scil. es vermag, „Notwendigkeit und Grenzen dieser Normen für ihre Zeit darzutun und in dem Sinn Strafrecht und Zeit auf einen Begriff zu bringen“139.

139 Jakobs, Das Selbstverständnis der Strafrechtswissenschaft vor den Herausforderungen der Gegenwart, in: Deutsche Strafrechtswissenschaft, S. 47 ff., insbes. S. 47.

§ 8 Konkretisierung des schuldhaften Versuchsunrechts: die „Unmittelbarkeit“ gemäß § 22 StGB Die hiesige Konkretisierung des Versuchsbegriffs unterscheidet (A.) zwischen einer formell-rechtlichen und einer materiell-rechtlichen Konkretisierung. Beide Dimensionen können aber nicht unabhängig voneinander betrachtet werden, sie gehen aufgrund eines einheitlichen und ganzheitlichen Verständnisses von Tatbestand und Unrecht ineinander über1. Es folgt (B.) eine Konkretisierung des genuinen Versuchsbegriffs, der von sonstigen Verhaltensweisen abgegrenzt wird, die aus verschiedenen Gründen von Literatur und Rechtsprechung wie Versuche behandelt werden. Dies wird anhand von herkömmlich problematischen Tatbeständen und Streitfällen erörtert. Da die Darstellung überschaubar bleiben und nicht den Rahmen der Arbeit sprengen soll, beschränkt sie sich auf die Behandlung von Streitfällen in Bezug auf einen Alleintäter, in denen dieser die Ausführungshandlung unmittelbar vollzieht. Für andere Fälle, insbesondere Fälle der mittelbaren Täterschaft und des Regreßverbots mögen besondere Regeln in Betracht kommen.

A. Die „Unmittelbarkeit“ als Konkretion der Eigentumsumschichtung bzw. der Organisationsanmaßung beim Versuch I. Die formell-rechtliche Betrachtung der Unmittelbarkeit 1. Spezifizierung des Teilverwirklichungsbegriffs Nach hiesigem Verständnis muß das naturalistische Vortatbestandliche ein juristisches, d.h. strafrechtlich-normatives, kommunikativ-freiheitliches Tatbestandliches ausmachen, oder es fällt aus dem gesetzlichen Versuchsbegriff. Wie die formell-objektive Theorie und die aus ihr abgeleitete materiell-objektive Theorie – mit ihrer heute überall berücksichtigten Frankschen Formel – erkannt haben, geht es um eine Teilverwirklichung des Tatbestandes. Es handelt sich demgegenüber aber nicht um die (Teil-)Verwirklichung der formell- oder materiell-naturalistisch gefaßten, sondern der normativ-freiheitlichen begriffenen Tatbestandshandlung als Teilverwirklichung der Rechtsverletzung. 1

Eingehend zum hiesigen Verständnis vom Begriff oben § 5.

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Dabei dürfen das formelle und das materielle der älteren und neueren Theorien, scil., die Tatbestandsmerkmale und der „natürliche“ Zusammenhang oder – anders ausgedrückt – das Positiv- und das Materiell-Rechtliche nicht dualistisch als zwei Dimensionen verstanden werden, die selbständig zu betrachten sind, sie sind vielmehr einheitlich zu berücksichtigen. Ist der Versuch eine Teilverwirklichung der Rechtsverletzung bzw. der Verletzung des typisierten Rechts, muß er auch eine Teilverwirklichung des Tatbestands ausmachen. Denn der Tatbestand ist als das Unrecht bzw. als die Rechtsverletzung zu verstehen. Die „Teile“ bzw. die Momente des Tatbestands und somit der Rechtsverletzung, scil. die Tatbestandsmerkmale bzw. die Handlungsteile (Mittel, Objekt), sind zudem wiederum nicht als selbständige, zerlegbare Momente des Tatbestandes zu begreifen. Sie sind vielmehr ganzheitlich, scil. in Anwesenheit und Bezogenheit aller aufeinander und nach ihrem kommunikativ-freiheitlichen, genuin strafrechtlichen Sinn zu betrachten. Beim Begreifen der formellen Teilverwirklichung des Tatbestandes, d.h., eines unmittelbaren Ansetzens zum BT-Vollendungstatbestand, oder beim Begreifen der materiellen Teilverwirklichung einer Rechtsverletzung kann ein naturalistisch-materieller Handlungsteil (Objekt, Mittel, Handlung, Bewußtsein) oder naturalistisch-formeller Tatbestandsteil (als Tatbestandsmerkmal bzw. als Teil eines Tatbestandsmerkmales) nicht verselbständigt werden und allein oder in Verbindung mit anderen für eine Zurechnung ausreichen. Sie sind in der Form nur Abstraktionen des konkreten, aus nicht selbständigen Momenten bestehenden Begriffs von Unrechtsversuch und Versuchstatbestand. 2. Die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale beim Versuch Materiell-rechtlich formulieren die einzelnen Tatbestandsmerkmale nicht naturalistische Wirklichkeiten (Objekt, Mittel), sondern kommunikativ-freiheitliche Voraussetzungen der Norm. Mit den Worten von Pawlik2: „Kommt der Summe der einzelnen Strafbarkeitsvoraussetzungen die Qualität einer Konkretisierung des allgemeinen Rechtsgesetzes zu, so müssen auch die einzelnen Elemente dieser Summe Regeln zur Verteilung von Freiheit beinhalten“, sie sind also Voraussetzungen „interpersonaler Zuständigkeitsverteilung, also normativ“3 zu interpretieren. Die BT-Tatbestandsmerkmale repräsentieren also nicht nur auf interpersonaler Ebene einen Vollendungstatbestand, sondern auf der gesamttatbestandlichen Ebene auch für den Versuch den freiheitlichen Kommunikationszusammenhang der Norm. Beispielhaft: Versuch des Diebstahls ist auch Wegnahme einer fremden beweglichen Sache in Zueignungsabsicht. Es geht also beim Diebstahlsversuch um die Teilverwirklichung der Wegnahme einer frem2 3

Pawlik, Betrug, S. 127 (Hervorh. von mir). Pawlik, Betrug, S. 127.

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den beweglichen Sache in Zueignungsabsicht. Weder Fremdheit noch Beweglichkeit der Sache, noch Zueignungsabsicht noch Wegnahme dürfen in ihrer kommunikativ-relevanten Dimension fehlen. Alle Tatbestandsmerkmale bezeichnen also in Bezogenheit aufeinander einen kommunikativ-freiheitlichen Kontext: die Usurpation eines tatbestandlichen Rechts. Beim Vollendungstatbestand ist die Usurpation komplett vollzogen, beim Versuch befindet sich die Usurpation schon und noch im Prozeß. Geht es beim Versuch um eine Teilverwirklichung der Tatbestandshandlung als stattfindende strafrechtliche Handlung, dann kann sie nicht von ihrer Bezogenheit zu all den anderen Tatbestandsmerkmalen getrennt werden, der Tatbegriff muß einheitlich und ganzheitlich verstanden werden: Die unterschiedlichen Momente des Tatbestandsbegriffs sind folglich „für sich“ ergänzungsbedürftig, jedes Begriffsmerkmal – so kann man es in Anlehnung an Hegel ausdrücken – „(verlangt) sein Anderes, in dem und auf das hin es seine Wahrheit und Wirklichkeit hat“4. Isoliert genommen repräsentieren sie nur Abstraktionen des wirklichen (strafrechtlichen) Objekts und sind folglich „wesenlose Erscheinung, Unwahrheit, Täuschung“5. Das Tatbestandsmerkmal der Unmittelbarkeit ankert in demjenigen des Ansetzens zur Tatbestandsverwirklichung. Auf primärer Ebene, auf der Ebene des Anerkennungsverhältnisses zwischen Täter und Norm, setzt es also die Anwesenheit und Bezogenheit aller Merkmale des primären Tatbestands voraus, so daß der Sinn des Verhaltens als Normbruch auf primärer tatbestandlicher Ebene perfekt gegeben sein muß. Beim Diebstahlsversuch geht es ebenso – genauso wie bei der Vollendung – um (1.) eine Wegnahme einer (2.) fremden (3.) beweglichen (4.) Sache in (5.) Zueignungsabsicht. Auf primärer Ebene ist der Versuch eine perfekte Tatbestandsverwirklichung, eine perfekte Rechtsusurpation. Auf interpersonaler Ebene wird der Versuch explizit gemacht (§ 22 StGB). Aus der Tatbestandshandlung ist ein Erfolgsmerkmal für den Vollendungstatbestand auszusondern (etwa der Tod einer Person). Beim Versuch ist dieses Erfolgsmerkmal ebenfalls Voraussetzung der Verteilung von Freiheit. Es wird aber gemäß § 22 StGB nicht als „Tatsache“, sondern darin verwirklicht gesehen, daß das unerlaubte Risiko (als Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung) die Vollendung unmittelbar in sich birgt. Die Formulierung des Erfolgsmerkmales mag als Tatbestandshandlung (töten) oder in einem gesonderten Merkmal ausgedrückt sein (Hervorbringen eines Todes). Dieses Erfolgsmerkmal als „tatsächlicher“ Erfolg (Vollendung) oder als (unmittelbares) Risiko (Versuch) wird in beiden Fällen verwirklicht: Beim Diebstahl geht es (1.) um die Wegnahme (als Erfolg oder unmittelbares Risiko) einer (2.) fremden (3.) beweglichen (4.) Sache in (5.) Zueignungsabsicht. Die Aufgabe von § 22 StGB ist auf interpersona4 5

Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 32. Vgl. Hegel, Enzyklopädie, § 213, S. 368. Hegel, Grundlinien der Rechtsphilosophie, § 1, S. 29.

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ler Ebene, dieses Erfolgsmerkmales anders zu typisieren, scil. als unerlaubtes – unmittelbares – Risiko. 3. Die Tatbestandshandlung: konkretes Sollen (Schuld), abstraktes Sollen (Unrecht) und Unmittelbarkeitszusammenhang (Vollendungsbezogenheit) Beim Versuch geht es also um die Teilverwirklichung des Tatbestands, der strafrechtlichen Handlung auf interpersonaler Ebene. Es müssen alle Tatbestandsmerkmale vorliegen, lediglich das Erfolgsmerkmal wird gemäß § 22 StGB zum Unmittelbarkeitsmerkmal. Die strafrechtliche Handlung beim Versuch, die herkömmlich sog. „Verursachungshandlung“ bzw. die tatbestandliche Handlung ist hierbei nach folgenden Voraussetzungen zu erfassen. Sie ist (a) als konkretes Sollen (Schuld) zu begreifen, d.h., auf der Basis der „subjektiv“ erfolgenden Zurechnung festzustellen. Zudem ist sie nicht nur als konkretes Sollen, sondern auch auf der Ebene des abstrakten Sollens (Unrecht) als (b) normativer, kommunikativ-freiheitlicher Zusammenhang, scil. als unerlaubtes Risiko auszulegen und schließlich (c) in ihrem unmittelbaren Zusammenhang zur Vollendung zu nehmen. Das impliziert dreierlei: a) Zwar müssen beim Versuch alle Tatbestandsmerkmale vorliegen, aber als subjektiv zuzuschreibende Wirklichkeiten (konkretes Sollen als täterbezogenes Unrecht, scil. als Schuld). Die Kausalität, die natürliche Wirklichkeit des deliktischen Vorgehens kann bei untauglichen Versuchen (bzgl. des Mittels und des Objekts) fehlen. Trotzdem kann kommunikativ-freiheitlich von einer strafrechtlichen Handlung, von Versuch die Rede sein. Die Natur, das Innenpsychische und das Äußerliche, wird für die Zurechnung nicht maßgeblich, sie wird vom Strafrecht nach seinem Ordnungsinteresse und seinen Erkenntnisprinzipien berücksichtigt, ein-begriffen, re-formuliert, so daß das Strafrecht sich sein eigenes Objekt schafft. Naturalistische Begebenheiten und Mängel können demnach zu Äußerlichkeiten werden. Beim Diebstahl müssen etwa die bewegliche Sache sowie ihre Fremdheit nicht „tatsächlich“ vorliegen, sondern dem Täter subjektiv zuzuschreiben sein, so daß die Wegnahme auch ohne tatsächliche fremde bewegliche Sache zu bejahen sein kann. Alle Tatbestandsmerkmale müssen gegeben sein, aber in ihrer kommunikativen Dimension (objektive Zurechnung). b) Die normative, nach den formellen und informellen Regeln der Praxis institutioneller Wirklichkeit bestimmte Gestalt der Gesellschaft muß zweitens auch in den Begriff der „Verursachungshandlung“ und so in denjenigen der Tatbestandsmerkmale einbezogen werden. Sowohl aus gesellschafts- wie auch aus freiheitstheoretischer Sicht hat nämlich das Strafrechtssystem die institutionalisierten, normativen Erwartungen der

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Gesellschaft zu berücksichtigen (d.h. je nach den Vorgaben und Erkenntnisprinzipien des Strafrechts zu re-konstruieren), um seiner gesellschaftlichen Wirklichkeit gerecht zu werden bzw. weil das autonome praktische Subjekt nicht vorgesellschaftlich gedacht werden kann6. Die Bestimmungen der negativen und positiven Pflichten und demzufolge die Rechtsverletzungen sind normative, kommunikativ-freiheitliche Konstrukte. Den Begriff des unerlaubten Risikos als die normative, kommunikativ-freiheitlich relevante Verletzung eines Rechts jenseits bloßer Kausalität und Naturalismen festzustellen, verfolgt kein anderes Anliegen. c) Das Ansetzen zur Vollendung als tatbestandsmäßiges Verhalten muß das unerlaubte Risiko, scil. den Zusammenhang zwischen Versuch und Vollendung als einen Unmittelbaren erklären, sonst ist die Tatbestandsmäßigkeit des Versuchs nicht richtig erfaßt, scil. nur mittelbar, unmaßgeblich, abstrakt. Bloßes – mit den Worten des Gesetzes gesprochen – mittelbares Ansetzen bzw. mittelbare Teilverwirklichung des (Gesamt-)Tatbestandes begründet noch keinen Versuch. Es geht um die Qualifizierung eines (unerlaubten) Risikos zu einem unerlaubten Versuchsrisiko. II. Die materiell-rechtliche Bestimmung des abstrakten Sollens (Unrecht) 1. Nochmals: Die Unmittelbarkeit als Frage des abstrakten Sollens Die Feststellung dieser Unmittelbarkeit ist auf der in diesem Zusammenhang relevanten Ebene des abstrakten Sollens (d.h. Norm- und Tatbestandskenntnis wird hierzu vorausgesetzt) nicht eine Feststellung von Sachverhalten im Bewußtsein des Täters, sondern von außerhalb des Bewußtseins liegenden Sachverhalten – in Bezug auf negative Pflichten formuliert – bzgl. der Organisationsfreiheit der anderen Person. Beim abstrakten Sollen geht es um den interpersonalen Bereich der Interaktion, d.h. um die (subjektiv zugeschriebenen) „äußerlichen“ (interpersonalen) Konsequenzen des Tuns oder Unterlassens des Täters für das (tatbestandliche) Eigentum (Freiheit) einer anderen Person (an ihrem Leben, ihrem Gewahrsam an einer Sache, ihrer Orientierung bei wirtschaftlichen Transaktionen, etc.) nach normativ-freiheitlicher, strafrechtlichkommunikativer Beobachtung. Die Beeinträchtigung des Rechts ist im Rahmen der interpersonalen Interaktion nicht auf der Basis zeitlicher Nähe zu einer tatbestandlichen, vollendeten Organisationsanmaßung – die wiederum auf der Grundlage der Absicht (des Plans) des Täters zu bestimmen wäre –, zu antizipieren. In diesem Zusammen6

Pawlik, Betrug, S. 36, S. 42 f.; Müssig, Mord und Totschlag, Manuskript, S. 143.

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hang läge die Annahme nahe, das Täterbewußtsein bestimme auch auf dieser Ebene den verbrecherischen Sinn bzgl. einer konkreten Rechtsusurpation oder entscheide letztendlich über deren Sinn, so daß der „unmittelbare“ Täterwille den Kommunikationszusammenhang erklärte. Vorsatz (wie auch Fahrlässigkeit) ist aber nicht eine (den Kontext antizipierende) Absicht, sondern die Kenntnis dessen, was zum gegenwärtigen Zeitpunkt die „äußerliche“ (scil., interpersonale) Seite des Verhaltens (als Tun oder Unterlassen) hervorruft. 2. Unmittelbarkeit und tatbestandliche Ausdifferenzierung des Sinns einer Eigentumsumschichtung bzw. der Rechtsusurpation Das Strafrecht schützt auf interpersonaler Ebene Eigentum im weiten Sinn, welches sich in einem Differenzierungsprozeß in verschiedene Teilbereiche (Sacheigentum, Leben, körperliche Integrität, Entscheidungsfreiheit, etc.) und wiederum in konkrete Rechten nach spezifischen Tatbeständen ausdifferenziert hat. Jeder Tatbestand typisiert ein konkret ausdifferenziertes, kommunikativfreiheitlich zu begreifendes Recht. Die tatbestandliche Handlung erfüllt auch beim Versuch alle Tatbestandsmerkmale, die eine tatbestandliche Rechtsverletzung begründen. Relevant ist also auch hier eine normativ-strafrechtliche, kommunikativ-freiheitliche Verletzung einer positiven oder negativen Pflicht, als tatbestandliche Rechtsverletzung. Das Erfolgsmerkmal wird als Unmittelbarkeitsmerkmal nach § 22 StGB gedeutet: Es geht um den Prozeß der Usurpation eines tatbestandlichen (ausdifferenzierten) Rechts einer anderen Person. 3. Unmittelbarkeit als Umschichtung eines tatbestandlichen Rechts versus Erwartungsenttäuschung als Indiz eines kommenden Normbruchs Der Versuch beinhaltet, wie oben kommunikativ-freiheitlich gezeigt worden ist7, den konkreten Prozeß der ausschnittshaften, unerlaubt riskanten Umschichtung eines tatbestandlichen Rechts als tatbestandlich ausdifferenzierte Eigentumsumschichtung. Eine Vollendung, die momentan bloß mittelbar bevorsteht, d.h., durch tatsächliche Usurpation oder Beeinträchtigung anderer Rechte bzw. Enttäuschung anderer Erwartungen begangen wird, begründet noch keinen Versuch, solange das tatbestandliche Recht nicht auch selbst usurpiert wird. Anders ausgedrückt: Eine Umschichtung bloß angrenzender – mögen sie dem Strafrecht oder anderen Rechtsbereichen angehören – Rechte oder Organisationsanmaßungen vermag den Versuchszusammenhang, scil. die unmittelbare Vollendungsbezogenheit des Versuchs, noch nicht zu erklären. 7

Vgl. oben § 6.

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Eine solche undifferenzierte Sichtweise vermag ein Verhalten mit gesellschaftlicher Bedeutung wohl als ungehöriges (Versuchs-)Verhalten charakterisieren, aber nicht notwendig als strafrechtliches (Versuchs-)Verhalten. Ebenso verhält es sich bei Verhalten, die gesellschaftliche Erwartungen oder bloß äußerlich (auffällige, beeindruckende, unnormale) typische deliktische (verdächtige) Vorgänge betreffen, denen normalerweise ein deliktisches Verhalten i. e. S. folgt. Ausholartige Bewegungen oder sogar das Zugehen auf eine andere Person mit gezücktem(r) Messer oder Waffe tragen den Sinn einer Tötung nicht deswegen in sich, weil es sich um äußerlich typische oder hinreichend indizierende Vorgänge handelt. Denn es geht nicht um die Bedeutung nach einem kommunikativ-gesellschaftlich undifferenzierten Sinn des Verhaltens, sondern nach dem strafrechtlich-kommunikativen tatbestandlichen Sinn in einer freiheitlich ausdifferenzierten Gesellschaft. Maßgeblich ist also die Freiheitsverletzung nach ausdifferenziertem Sinn, d.h. die Usurpation eines tatbestandlichen Rechts. Externe Manifestationen einer gefährlichen Absicht mögen die Begründung eines Abwehrrechts wegen der Enttäuschung anderer Erwartungen rechtfertigen, sowie Reaktionen auf unterschiedlicher strafrechtlicher Ebene (Verwirklichung eines anderen Delikts) oder auf polizeirechtlicher, zivilrechtlicher Ebene usf. Es gilt: Der Versuch ist auf interpersonaler Ebene die bereits stattfindende Usurpation des tatbestandlichen Rechts einer anderen Person, kurz: der Normbruch, nicht der Versuch eines Normbruchs.

4. Die Unmittelbarkeit als Frage des Tatstrafrechts Es geht also nicht um das Begreifen einer diffusen Enttäuschung strafrechtlicher Art (etwa das Vorbereiten durch die Begehung eines anderen Delikts) oder außerstrafrechtlicher Erwartungen auf der Grundlage etwa von Sicherheit vor Gefahren einer Rechtsgutsverletzung bzw. vor in der Tatsituation gefährlich gewordenen Bürgern oder etwa auf der Basis der Erschütterung des „Vertrauens“ der Gesellschaft auf die künftige „Geltung“ der Norm in ähnlichen Tatsituationen, etc. Denn angrenzende Erwartungen sind noch nicht strafrechtlich-tatbestandliche Feststellungen im genuinen Sinn. Es reicht also nicht ein Indiz davon aus, was kommen wird (durch einen festen Entschluß, eine auffällige oder sonst rechtswidrige Manifestation der „Bedeutung“ des Zusammenhangs: Kommunikation ist ein normativ-teilgesellschaftlicher Begriff, nicht eine mehr oder weniger irgendwie als qualifiziert empfundene Manifestation). Die heutige Dogmatik arbeitet, wie in dieser Arbeit gezeigt worden ist, mit Kriterien zur Konkretisierung des gesetzlichen Versuchsbegriffs, nach denen der Versuch, insbesondere der Versuchsbeginn, auf das bloß Präventive vorverlagert worden ist, wo die Tat als tatbestandsmäßige Rechtsverletzung beim Versuchsbeginn schon als das („unmittelbare“) Verhalten vor der Tat gedeutet wird und

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somit nicht die Tat das Abzuarbeitende, sondern deren künftige Nähe Anlaß für eine generalpräventive Reaktion wird. Das Strafrecht als Schuld- und Tatstrafrecht soll allerdings nicht Prävention des Künftigen bewältigen, das durch eine sonstige Rechtsverletzung oder gesellschaftliche Enttäuschung tatbestandsindizierend8 sein soll. Prävention erfolgt im Strafrecht erst durch Abarbeitung einer Tat im strafrechtlich ausdifferenzierten Sinne. Die Feststellung eines perfekten – auch wenn er nicht komplett sein muß – (tatbestandlichen) Normbruchs und somit die Abarbeitung der Tat bzw. die Bestätigung der Normgeltung für die konkrete Tatsituation ist das primäre Ordnungsinteresse des Strafrechts. Dies und nicht Prävention bestimmt an erster Stelle die strafrechtliche Zurechnung. 5. Das unerlaubte Versuchsrisiko Das Verhalten des Täters muß nicht nur einen Normbruch indizieren, sondern die Norm brechen. Das Risiko muß nicht bloß unerlaubt sein, es geht vielmehr um ein unerlaubtes Versuchsrisiko: a) Das Verhalten muß erstens unerlaubt riskant sein: Erlaubte Risiken scheiden aus. Beispielhaft: Das Hupen mag für eine sehr gebrechliche Person, die durch einen überraschenden, nicht erwarteten, penetranten Ton einen Herzinfarkt erleiden kann, ein tödliches Risiko darstellen. Ein solches Verhalten ist aber im Rahmen des üblichen Straßenverkehrs noch nicht unerlaubt, selbst wenn mit dem tödlichen Erfolg sehr wahrscheinlich zu rechnen ist und er sogar nachfolgend eintritt. b) Von sonstigen Fragen zum „unerlaubten Risiko“ bzw. zur „mißbilligten Risikoschaffung“ abgesehen9, ist ein Verhalten als unerlaubtes Versuchsrisiko – kurz: als Versuch – durch einen Unmittelbarkeitszusammenhang zu qualifizieren. Ein unerlaubtes Risiko trägt das Merkmal der Unmittelbarkeit i. S. v. § 22 StGB, wenn – hier noch sehr allgemein ausgedrückt – es von einer Art ist, daß es im „äußerlichen“, genauer: interpersonalen Bereich für sich (nicht nach bloßer Intention) jederzeit (nach dem eigentümlichen Verwirklichungsprozeß des Risikos) zur Vollendung führen kann. Die Frage geht dahin, ob das neu hinzugekommene Tun oder Unterlassen des Täters in unerlaubt riskanter Weise ein tatbestandlich ausdifferenziertes Recht zum „Zustand“ einer tatbestandlichen Vollendung bringen könnte. Das (neue) Tun oder Unterlassen trägt erst dann die Bedeutung eines strafrechtlichen Versuchs erst, wenn es in diesem Sinne für sich gesehen jederzeit zum tatbestandlichen Erfolg führen kann. Und das heißt: Isoliert man ein Tun oder Unterlassen 8

So etwa Vehling, Abgrenzung, S. 138 ff. Siehe Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 69 ff.; Jakobs, Imputación objetiva, S. 89 ff. 9

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nach seiner interpersonalen Risikoart und fragt man sich, ob es – wäre es bei der konkreten Art des Tuns oder Unterlassens (des interpersonalen Risikos) geblieben, weil es weder vom Täter noch vom Opfer, einem Dritten noch per Zufall revoziert würde – schon jederzeit zum Erfolgseintritt hätte führen können, ist ein Versuch zu bejahen. Da nur der Tatbestand die konkrete Pflichtverletzung enthält, bedeutet dieses allgemein formulierte Kriterium freilich nicht viel, bevor seine Konkretisierung anhand der konkreten Struktur und des Inhalts des jeweligen BT-Tatbetandes unternommen wird (was für klassische Streitfälle das Anliegen der folgenden Abschnitten ist). Zunächst aber nur beispielhaft: Der ungerechtfertigte, mit Schwung in Richtung eines vitalen Körperteils gerichtete Messerschlag und das Ausüben genügender Kraft, um den Widerstand einer am Rande eines Abgrundes stehenden Person jederzeit zu überwinden begründen zweifellos einen Tötungsversuch. Keinen Tötungsversuch oder versuchte Körperverletzung bilden hingegen das Zugehen auf das Opfer „mit gezogener Pistole in Tötungsabsicht“10, das schlichte Heben des Arms oder der Faust in der Nähe einer anderen Person, das Wehrlosmachen einer Person (um – so die Absicht des Täters – danach der Person ungehindert eine Körperverletzung zuzufügen), das Beseitigen von Sicherheitsmaßnahmen (um – so der Täterplan – den Zugang zum Opfer zu ermöglichen), etc. Auf diese und weitere Fälle wird aber näher und differenzierter nach tatbestandspezifischer Auslegung eingegangen. Ob die Vollendung also durch das aktuelle Versuchsverhalten des Täters zum gegenwärtigen (Tat-)Zeitpunkt eintreten wird, hängt prinzipiell nur noch von in Bezug auf das Verhalten äußeren Umständen ab, nicht von der Art des (eventuell Rücktritt ermöglichenden) unerlaubten Risikos – des Tuns oder Unterlassens – des Täters. Ob das Würgen erst nach einer Zeit seine Wirkung entfaltet, ob beim Zufügen eines Schnitts an den Pulsandern einer bewußtlosen Person die Verblutung lange dauert, stellt die Unmittelbarkeit nicht mehr in Frage. Die Unterscheidung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch ist bloß naturalistisch, relevant ist lediglich, daß das Versuchsrisiko – je nach Gestalt des Risikos durch Aufgabe des Verhaltens oder sonst durch ein anderes Verhalten – vom Täter revoziert werden muß11. Die Art des Tuns und des Unterlassens mag zum Tatzeitpunkt wegen der Art der Ausführung praktisch einen Rücktritt ausschließen (sofortiges Stechen) oder ermöglichen (die Bombe bleibt zugänglich und ihre Detonation erfolgt erst in ein paar Stunden, die Aussage des Zeugen ist noch nicht abgeschlossen, der Urkundenfälscher hört mit dem Wegschaben auf, bevor das Geschriebene nicht mehr deutlich lesbar ist). Dieser Problemkreis bestimmt aber wiederum nicht eine eventuelle Rückverlagerung oder Vorverschiebung der Unmittelbarkeit. Der zeitliche Aspekt, ebenso wie die Rück-

10 11

Anders Roxin, AT II, § 29, Rn. 145; Kühl, AT4, § 15, Rn. 60. Siehe Jakobs, ZStW 104 (1992), 82 ff.

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trittsmöglichkeit, werden dem ausschlaggebenden Prinzip der Organisationsanmaßung als tatbestandlicher Rechtsusurpation untergeordnet. 6. Fazit Beim Versuchstatbestand müssen alle Tatbestandsmerkmale perfekt vorliegen. Beim Anerkennungsverhältnis des Täters zur Norm geht es um das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der Tatbestandsmäßigkeit. Dies heißt auf tatbestandlicher Ebene, daß durch § 22 StGB das Erfolgsmerkmal beim Versuch zu einem Unmittelbarkeitsmerkmal wird, sonstige Tatbestandsmerkmale liegen auch vor. Die Unmittelbarkeit bezieht sich auf eine Frage auf der Ebene des abstrakten Sollens. Für die Auseinandersetzung mit dieser Frage wird also unterstellt, daß die Frage der Tatbestandskenntnis, die Schudlfrage, schon gelöst wurde. Der jeweils konkrete Sinn der Handlung wird in diesem freiheitlichen Zusammenhang wiederum nach seinem unmittelbaren Zusammenhang ausdifferenziert, d.h. je nach Rechtsgebiet, nach Tatbestand und nach dem Unmittelbarkeitszusammenhang zum Vollendungstatbestand. Das betroffene Recht muß das ausschnitthafte (strafrechtlich ausdifferenzierte), konkret tatbestandliche Recht sein und der Vollendungserfolg die iuris et de iure im Tatbestand festgelegte Verletzung dieses tatbestandlichen Rechts. Der Versuch meint eine unmittelbare Usurpation des tatbestandsmäßigen Rechts. Das Verhalten (Tun oder Unterlassen) des Täters muß ein unerlaubtes Risiko schaffen, welches nach seiner „äußerlichen“ bzw. interpersonalen Art den Präsumptionssachverhalt der Vollendung für sich jederzeit zu realisieren vermag, so daß das Verhalten (die Handlung) mit seinem Versuchserfolg den Vollendungserfolg („unmittelbar“) in sich trägt.

B. Konkretisierung anhand von Streitfällen I. Das Problem: Behandlung von außertatbestandlichem Verhalten als Versuch? Ausdifferenzierung der Kommunikation 1. Strafrechtlicher Sinn und Grenzfälle bei Tatbeständen betreffend sensible Freiheitsbereiche Bei der Ausdifferenzierung der Gesellschaft in verschiedene funktionale Systeme hat sich das Rechtssystem in unterschiedliche Rechtsgebiete ausdifferenziert sowie die jeweiligen Eigentums- bzw. Freiheitsbegriffe in verschiedene Teilbereiche (Sacheigentum, Leben, sexuelle Integrität, etc.). Bezeichnenderweise wird die Versuchsdogmatik herkömmlich auf der Basis von Streitfällen systematisiert, welche zu Freiheitsbereichen gehören, die in der heutigen Gesell-

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schaft als besonders schutzwürdig gelten. Hierzu zählen anerkanntermaßen das Leben (Mord- und Tötungsfälle) und – wie für eine Eigentumsgesellschaft typisch ist – Sacheigentum (insbesondere Diebstahlsfälle). Der BGH erachtet auch die sexuelle Integrität von Mindertjährigen für besonders schützenswert: „Die Notwendigkeit, Kinder vor unsittlichen Anträgen nachdrücklich zu schützen, gibt Grund, die Grenzen zwischen Vorbereitung und Versuch weit vorzuverlegen“. Das mag – wenn der BGH das Problem so formuliert – grundsätzlich eine plausible Klugheitsregel bzw. eine plausible Regel der Kriminalpolitik ausmachen, wenn eine (undifferenzierte) Sicherheit, nicht das (differenzierte) Recht, die Kriminalpolitik, nicht das Strafrecht, die Prävention vor künftigen Taten und die Repression, nicht die Normgeltung – die Abarbeitung von Taten (Schuld- und Tatstrafrecht) – nach ausdifferenzierten Freiheitsbegriffen ausschlaggebend ist. Bei der in Rede stehenden Fragestellung geht es nicht bloß um Prävention, Politik oder Repression, sondern um den Sinn eines Verhaltens im Recht, genauer: im Schuldstrafrecht als ein eine Tat ausmachendes Verhalten (Tatstrafrecht). Das Strafrecht wird legitim eingesetzt, wenn es auf Taten reagiert, nicht auf polizeiliche, kriminalpolitische Besorgnisse. Bei den genannten Teilbereichen (Leben, Gewahrsam, sexuelle Integrität von Kindern) mögen Rechtsprechung und Literatur Streitfälle nicht völlig abgelöst von Sinngehalten anderer Systeme behandeln. Die Kopplung des Strafrechts mit dem Polizeirecht, mit der Kriminalpolitik oder mit dem Moralsystem mag hier stärker vergegenwärtigt sein, so daß die Heranziehung von undifferenzierten, diffusen Kriterien wie die des Eindrucks, der Auffälligkeit und der Manifestation eines Normbruchs hier eine Erklärung finden mag. Das Recht ist zwar mit anderen Systemen gekoppelt, so insbesondere mit dem politischen System, mit der Wirtschaft, sowie mit Bewußtsein, und das Strafrecht ist wiederum mit anderen Rechtsgebieten gekoppelt. Das Strafrecht läßt sich aber nicht von Zurechnungsbegriffen anderer Systeme bestimmen, es berücksichtigt die Leistungen anderer Systeme nach seinen Erkenntnisprinzipien und Ordnungsinteressen. Auf diese Weise bestimmt etwa das Bewußtsein, scil. die Absicht und die tatsächlichen Kenntnisse den Schuldbegriff (konkreter: Norm- bzw. Tatbestandskenntnis) per se nicht. Der Unrechts- und Tatbegriff läßt sich auch nicht von Manifestationen kommender Störungen beeinflußen, die das Polizeirecht beschäftigt oder an seiner Stelle Abwehrrechte ermöglichen, und das grundsätzlich auch nicht bei empfindlichen Freiheitsbereichen, auch wenn dies zu Streitfällen in der Dogmatik führen mag. Am Beispiel des Diebstahls dargestellt: Führendes gesellschaftliches System, an das das Recht gekoppelt ist, ist das Wirtschaftssystem12. Eine „Minimalbedingung“ des Wirtschaftssystems ist die Feststellbarkeit davon, „wer in bezug 12

Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 112 ff.

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auf bestimmte Güter (. . .) dispositionsfähig ist“13, scil. die „Unterscheidung der Eigentümer, mag dies nun Sachherrschaft, Verfügungsmöglichkeit oder was sonst bedeuten“14. Als erste Konsequenz folgt nach Luhmann hieraus, „daß gewaltsame Wegnahme unterbunden und gegebenenfalls durch das Recht sanktioniert wird“15. Das Recht stellt hierfür an erster Stelle das Polizeirecht und daneben die Abwehrrechte zur Verfügung. Das Polizeirecht, das die Abwehr von Gefahren thematisiert, versucht dies durch Prävention und im Fall einer strafrechtlichen Tat etwa durch Wiedergewinnung der Sache. Das Strafrecht bestraft nach differenzierten Tatbeständen die rechtswidrige Wegnahme einer fremden beweglichen Sache, sowohl als Erfolgs- wie als Unmittelbarkeitsmerkmal. Wegen der „Schutzbedürftigkeit“ des Gewahrsams in einer Eigentumsgesellschaft mögen hierbei die Begriffe der Gefahr und des unmittelbaren Ansetzens besonders miteinander identifiziert werden. Der Versuch mag etwa bei Gewahrsamsbrüchen durch Gewaltausübung (§§ 243, 244 StGB und Raubfälle des StGB) i. d. R. aus dem Grund etwa vorverlegt werden, daß – so etwa Roxin – „in der beginnenden Verwirklichung eines Erschwerungsmerkmals i. d. R. auch schon ein Versuch des Grunddelikts liegt“16. Eine ähnliche Situation ist bei Erfüllung von Gesinnungsmerkmalen bei Mord gegeben, etwa beim Wehrlosmachen, um das Opfer einfacher zu töten. Bei Verhaltensweisen betreffend solch besondere und empfindliche Freiheitsbereiche neigen Literatur und Rechtsprechung dazu, Versuche von Normbrüchen schon als Normbrüche, scil. als Versuch zu behandeln. Besonders schutzwürdige Rechte oder besondere Eingriffe gegen diese Rechte sind aber positiv-rechtlich auszudifferenzieren. Zentralbegriffe wie der Versuchsbegriff oder der Begriff der Qualifikation und der Erschwerung sollen hierdurch aber nicht zweckentfremdet werden und um so weniger sollen die Besonderheiten des Diebstahls oder des Mords als Generalisierungsbeispiel dienen. Die Erschwerungs- und Qualifizierungsmerkmale des § 243 StGB und des § 244 StGB so wie die Gesinnungsmerkmale des § 211 StGB sind nicht als abstrakte Delikte formuliert. Verzichtet das Gesetz auf eine derartige Formulierung, ist grundsätzlich beim Prinzip des Unrechts- und Versuchsbegriffs zu bleiben: die Erfüllung von Erschwerungs- und Qualifizierungsmerkmalen führt prinzipiell noch nicht zur Bejahung des Versuchs.

13 14 15 16

Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 454. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 454. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 454. Roxin, AT II, § 29, Rn. 172 (Hervorh. von mir).

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2. Individualisierung der objektiven Zurechnung in Grenzfällen? – Undifferenzierte Beobachtung der Kommunikation? Stellt sich ein Verhalten als zwei- oder mehrdeutig bzgl. einer tatbestandlichen Vollendung dar, d.h., der Unmittelbarkeitszusammenhang liegt noch nicht vor, ist die Grenze des Strafrechts zum Versuchsbegriff erreicht. Wo das Strafrecht selbst ein Verhalten nach allgemeinen Regeln (noch) nicht als rechtsverletzend ansieht, d.h. in den Fällen, in denen das Verhalten den Sinn einer Rechtsverletzung nicht genuin trägt, aber aus sonstigen (außertatbestandelichen) kommunikativen Gründen das Verhalten als eine Rechtsverletzung (als Versuch) behandelt werden soll, müssen Autoren und Rechtsprechung eine Individualisierung der Zurechnung vornehmen, d.h., das Individuum ist nach dem Sinn seines Verhaltens zu fragen. In solchen Fällen würden also das Bewußtsein sowie Kriterien der Auffälligkeit eine überragende Rolle spielen, wie es auch in anderen Rechts- und Gesellschaftsbereichen geschehen mag (Moral, Polizeirecht, etc.). Diese außerordentliche strafrechtliche Zurechnung würde eine Brücke zu gesamtgesellschaftlichen Vorstellungen (Tabu-„normen“, Regeln der Anständigkeit, des Eindrucks, des Ungehörigen, etc.) leisten, erreicht den Begriff aber nicht. Bei einem solchen Vorgehen würde die strafrechtliche Zurechnung einer sich immer mehr ausdifferenzierenden Gesellschaft eben undifferenzierter „begriffen“. Nicht von ungefähr stößt die Erklärung des Versuchsbeginns in diesen (Streit-)Fällen auf große Schwierigkeiten und auch deshalb wird solches Verhalten nach bedeutenden Stimmen in der Dogmatik als Gefährdungsdelike eingestuft oder als (betätigte, hinreichend manifestierte, ausgedrückte oder beeindrukkende) Versuche von Normbrüchen oder aber sie werden als eine andere Straftat erklärt. Tatsächlich wird hier die Kommunikation berücksichtigt, aber je intensiveres Eindringen in den Vorbereitungsbereich, den „Nähebereich“ bzw. in das Vorfeld des Tatbestandes stattfindet, um so akuter wird in der Literatur davor gewarnt: Übrigens geht es nicht um eine Warnung davor, es mache keinen Sinn, „Sicherheit“ bei solchen Verhalten zu garantieren bzw. auf solche Verhalten zu reagieren (Prävention), sondern davor, daß die Grenzen eines Schuld- und Tatstrafrechts auf Kosten etwa eines Gesinnungsstrafrechts überschritten werden17. Relevant ist aber nicht ein gemeingesellschaftlicher, undifferenzierter, allgemeiner kommunikativer Sinn des Verhaltens, sondern die harte Grenze des Strafrechts als bürgerliches Strafrecht, der strafrechtliche Sinn, die strafrechtliche Kommunikation. Soll bei Eigentum, Leben oder sonstwo stärker reagiert werden, weil dies doch der Gestalt der Gesellschaft entspricht, müssen Vorverlagerungen der Strafbarkeit typisiert werden, nicht aber der Versuchsbegriff gesprengt werden. 17

Siehe nur Freund, AT, § 8, Rn. 59 f.

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Diese Arbeit schlägt vor, den genuinen strafrechtlichen Versuchsbegriff bzw. genuine Versuchsfälle von denjenigen Verhaltensweisen abzugrenzen, die auch aus sonstigen kommunikativen Gründen von Literatur und Rechtsprechung wie strafrechtliche Versuche behandelt werden, die aber den strafrechtlichen Versuchsbegriff nicht genügen, d.h., nicht strafbar sind. Daß solches Versuchsverhalten wie ein strafrechtlicher (d.h., dem strafrechtlichen Versuchsbegriff entsprechender) Versuch behandelt wird, mag darin liegen, daß der irgendwie (etwa pauschal oder allgemein oder sonstwie nicht inner-strafrechtlich) begriffene Gehalt der Kommunikation an der Grenze der strafrechtlichen Kommunikation eine starke Präsenz hat. Diese Verhaltensweisen erfüllen aber nicht den strafrechtlichen Versuchsbegriff. Solche Grenzen – speziell bei bestimmten Delikten – legen aber nicht den genuin strafrechtlichen (Versuchs-) Begriff fest, sie thematisieren und problematisieren ihn anhand der Beobachtung der sich bewegenden Strukturen der Gesellschaft. Das Problem stellt sich bei Verhaltensweisen, die typischerweise einem deliktischen Verhalten entsprechen (etwa Herausholen einer Winde vor einem Fenstergitter18), ebenso bei Verhaltensweisen, die bereits Erschwerungs- oder Qualifizierungsmerkmale „erfüllen“ und so Regelbeispiele bzw. besondere Fälle einer kommenden Tatbegehung darstellen, und insbesondere bei der Erfüllung eines schon deliktischen Verhaltens, etwa Freiheitsberaubung (zum Morden), Entzug von Minderjährigen (zur sexuellen Nötigung), Bedrohung oder Nötigung (als erster Schritt einer Tötung), Hausfriedensbruch (zum Töten, Vergewaltigen, Stehlen), Sachbeschädigung (als Mittel zum Diebstahl), Körperverletzung (als Wehrlosmachen zum Töten). Hier ist in kommunikativer Hinsicht schon etwas geschehen, etwa ein strafrechtliches, polizeirechtliches oder schlicht sozialinadäquates Verhalten. Man mag so vorgehen, den Täter nach dem Sinn des kommenden Verhaltens zu fragen, um das gesamte Verhalten zu charakterisieren. In solchen Fällen liegt aber nicht ohne weiteres eine tatbestandliche Straftat vor, will man trotzdem aus undifferenzierten kommunikativen Gründen das Verhalten wie einen Versuch behandeln. Ein strafrechtlicher Versuch setzt aber die Feststellung einer tatbestandlichen Rechtsusurpation voraus, sonst ist der Versuchsbegriff bloß etwa ein öffentlich-rechtlicher oder ein pauschal gesellschaftlicher, nicht ein strafrechtlicher. II. Tatbestandsspezifische Rechtsusurpation als Einwirkung auf die Schutzsphäre des Opfers oder bloß auf die Tatbestandssphäre? 1. Die Einwirkung auf die Schutzsphäre als unzureichender Begriff Materiell-rechtlich formulierte Kriterien zum Versuch, die auch als „bewegliche“19 Kriterien der unmittelbaren Eigentumsumschichtung bzw. der in seiner 18

Für Versuch des Diebstahls BGHSt. 2, S. 380.

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Unmittelbarkeit begriffenen, tatbestandsmäßigen Rechtsusurpation angesehen werden können, insbesondere das Einwirken auf die Schutzsphäre bzw. auf die Opfersphäre, sind im hiesigen Zusammenhang auf ihre Tauglichkeit zur Bestimmung des Versuchs zu überprüfen. Es geht um die Problematik, warum solche Kriterien nicht notwendig einen Versuch bestimmen bzw. kein maßgebliches Kriterium abgeben und inwiefern sie einen strafrechtlichen Versuch – und so relativieren etwa Jakobs und Roxin die Reichweite dieses Kriteriums – indizieren20. Daß solche Kriterien nicht maßgeblich bzw. allgemein gültig sind, liegt nach Jakobs21 bereits darin begründet, daß bei Delikten mit vorgelagerter Vollendung selbst im Falle einer Vollendung das Geschehen noch voll in der Sphäre des Täters liegen könne (etwa beim Herstellen einer Urkunde, § 267 Abs. 1, 2. Fallgruppe StGB) und es Delikte gebe, in denen der Täter unter Umständen bis zum beendeten Versuch noch vollständig in seiner Sphäre agiere (tödlicher Schuß aus dem Fenster der Wohnung des Täters). Schleicht sich also der Täter in die Schutzsphäre des Opfers ein, ist nach Jakobs dieses indizierende Kriterium nur im Fall des „Eindringens in ein Haus“ zum Stehlen allein relevant. Es ist hingegen „offen“ bzw. „zweifelhaft“ bei sonstigen Delikten: etwa Eindringen in ein Haus zum Töten, Vergewaltigen, zur Sachbeschädigung, Brandstiftung. Dieses Kriterium des Eindringens bloß im Fall des Diebstahls für maßgeblich zu erachten, nicht aber bei sonstigen Delikten stellt nach Herzberg zu Recht einen „Wertungswiderspruch“22 dar. Jakobs begründet seine Zweifel hinsichtlich der Anwendbarkeit dieses Kriteriums bei sonstigen Delikten daraus ab, daß beim Einbruch in die Opfersphäre wahrscheinlich „eine Typizität des Fortgangs hinzukommen muß“23. Wäre es typisch, daß der Täter, wenn er sich in ein fremdes Haus schleicht, einen solchen Vorgang zum Stehlen, nicht aber üblicherweise zum Vergewaltigen nutzt, wäre eine solche Typizität der einzige Grund, der den „Wertungswiderspruch“ zu den anderen Delikten auflösen würde. Die Rechtsprechung hält das Kriterium der Einwirkung auf die Schutzsphäre nicht für offen und verneint für den Fall des Sich-Einschleichens in ein Haus entschieden den Versuch etwa einer Vergewaltigung24 oder Brandstiftung25. Für 19

So der Ausdruck von Jakobs, AT, 25/66. Bei Roxin, AT II, § 29, Rn. 139 f., reicht die Einwirkung auf die Opfersphäre nicht, es muß ein weiteres Unmittelbarkeitskriterium hinzukommen, scil., der enge zeitliche Zusammenhang; vgl. sonst Jakobs, AT, 26/66, 68 (bewegliche, nicht entscheidende Entscheidungsrichtlinie); SK-Rudolphi, § 22, Rn. 9 (Indiz); Lackner/Kühl24, § 22, Rn. 4 (für den Regelfall). 21 Jakobs, AT, 25/68. 22 MK-Herzberg, § 22, Rn. 158. 23 Jakobs, AT, 25/68. 24 BGH NStZ 2000, S. 418, unter Berufung auf BGH Urt. v. 19. 7. 1972 – 2 StR 128/72, bei Dallinger MDR 1972, S. 924 f. Wie der BGH SK-Horn/Wolters, § 177, 20

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die Annahme einer versuchten Tötung werden weitere Voraussetzungen verlangt26. Das Kriterium des Einbruchs in ein fremdes Haus als Eingriff in die Schutzsphäre des Opfers scheint auf ein Problem des Diebstahls, konkreter: auf den Begriff des Gewahrsamsbruchs zugeschnitten zu sein; der Einbruch in ein fremdes Haus mag für die Tatbegehung beim Diebstahl typisch zu sein und so den Wegnahmebegriff beim Versuch geprägt haben. Daß die „normative“ Auslegung des Wegnahmebegriffs beim (versuchten) Diebstahl an einer Sache damit begründet wird, daß dieser Vorgang herkömmlicherweise typisch ist, überzeugt argumentativ noch nicht ohne weiteres. 2. Schutz und freiheitliches Strafrechtssystem Innerhalb eines freiheitlichen Strafrechtssystems nimmt der Schutz des Opfers eine besondere Rolle ein. In der heutigen pluralistischen und freiheitlichen, komplexen Gesellschaft ist eine Differenzierung der Bereiche des sozialen Lebens prägnant. Die Kommunikation von Gesellschaftsmitgliedern stellt nicht auf den Schutz von weiten und undifferenzierten Sicherheiten ab, sondern basiert auf einer reichen Differenzierung der Gewährleistung von Freiheitsbereichen nach Teilsystemen der Gesellschaft, was im Recht wiederum zu einer Differenzierung nach Rechtsbereichen (etwa nach Sicht des Strafrechts, des Verwaltungs- und Polizeirechts oder des Zivilrechts), nach Gruppen von Rechten (Rechte wie Leben, Eigentum, körperliche Unversehrtheit, Umwelt, usw.) mit ihren jeweiligen Untergliederungen (so wird Eigentum im Strafrecht in Eigentumsdelikte i. e. S. und Vermögensdelikte aufgegliedert) und schließlich nach tatbestandlichen Rechten (Sachbeschädigung, Diebstahl, Unterschlagung, Betrug, Hausfriedensbruch, Freiheitsberaubung) führt. Bei einem differenzierten, über tatbestandliche Rechte erfolgenden Schutz von Freiheit kann im Strafrecht nicht das Prinzip gelten, die Sicherheit eines jeden Rechts werde umfassend geschützt. Diesen Gedanken erörtert Jakobs im Hinblick auf das erlaubte Risiko: Es wäre „falsch, nunmehr allein auf die durch das Strafrecht zu leistende Erwartenssicherheit abzustellen, ohne zu berücksichtigen, daß diese Sicherheit nicht ihrerseits ein Endziel ist. Die strafrechtlich sanktionierten Normen regulieren menschliches Verhalten nicht um der Regulierung willen, sondern zur Ermöglichung sozialen Lebens“27. Auf dieser Grundlage geht es nicht um die Garantie einer umfassenden und undifferenzierten Rn. 19; Lackner/Kühl24, § 177, Rn. 9; Tröndle/Fischer51, § 177, Rn. 23. A. A. Bellay, NStZ 2000, S. 591 f. 25 Vgl. nur BGH NStZ 1981, S. 99. 26 Vgl. BGH NStZ 1987, S. 20, wo der BGH nicht bloß das Eindringen mit Gewalt in die Wohnung genügen läßt, sondern den Versuch mit dem „Aufwuchten der Tür“ des Zimmers begründet, in dem sich das Opfer befand; BGH NStZ 1993, S. 398 f. 27 Jakobs, AT, 7/35.

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Sicherheit, sondern vielmehr um einen differenzierten Schutz nach Rechtsgebieten und tatbestandlichen Rechten. Ebenfalls relevant in diesem Zusammenhang wird das Erdulden von Enttäuschungen um der Ermöglichung der freiheitlichen Verfassung der heutigen plural, komplex, eine massive Interaktion ermöglichenden Gesellschaft. „Denn je mehr Enttäuschungen um jeden Preis vermieden werden, um so stärker schrumpft das Arsenal möglicher Verhaltensweisen, bis hin zur Standardisierung gefahrloser Stereotypen“28. Damit wird ein offenes und weites Arsenal sozialer Kontakte, insbesondere in einer stabilen Gesellschaft, ermöglicht. Der jeweils konkrete Sinn der Handlung wird in diesem freiheitlichen Zusammenhang nach seinem unmittelbaren Kontext ausdifferenziert. Dabei wird das Verlangen nach Sicherheit im Sinne der erwähnten, funktionalen Ausdifferenzierung des Gesellschaftssystems unter freiheitlichen Gesichtspunkten auf unterschiedlicher funktionaler Ebene garantiert. Die Gesellschaft ist in ihren Rechtsgebieten, Rechtsbegriffen und Tatbeständen ausdifferenziert zu verstehen, so daß sie ihre differenzierte freiheitliche Verfassung sehr genau nimmt. Der Versuch beinhaltet also dem Prinzip nach eine konkrete und spezifizierte tatbestandsmäßige Rechtsusurpation. Er betrifft nicht die angrenzenden Organisationsanmaßungen, die im Bereich des Strafrechts oder in anderen Gebieten eine rechtliche oder sonstige gesellschaftliche Reaktion auslösen mögen. Die Rechtsprechung verneint deshalb im Falle eines Einbruches in ein Haus versuchte Vergewaltigung, Tötung, Mord oder Kindesmißbrauch, auch wenn die jeweiligen Vorsätze zu bejahen sind. Diesbezüglich stellt Herzberg fest: „Den Unterschied muß § 123 einfangen“29 (Hausfriedensbruch). Die bis dahin erfolgte „Eigentumsumschichtung“ bzw. der „Sicherheitsbruch“ bezieht sich nämlich noch nicht auf die Rechte des § 177, § 211 bzw. § 212, oder des §§ 176 ff. StGB. Unbestritten bleibt, daß solche Verhaltensweisen zwar sozial-inadäquat, auffällig, nicht normal, beeindruckend und sogar in strafrechtlicher Hinsicht unerlaubt riskant sind. Aber wie – mit Ausnahme insbesondere des Diebstahls – anerkannt, sind sie bezüglich der hier in Frage kommenden Tatbestände (§§ 176, 177, 211, 267 StGB, etc.) per se noch nicht strafrechtlich inadäquat bzw. unerlaubt riskant. Als Zwischenergebnis läßt sich feststellen: Soll nicht auf Bilder der Tatbegehung für die Zurechnung zum Versuch abgestellt werden und will man sich bei der Aufstellung der Zurechnungskriterien zum Versuch nicht in Wertungswidersprüche verstricken, sind zuerst Kriterien zu bilden, die für alle Delikte gelten können. Der formelle, nach der Gesetzestechnik des StGB gefaßte Versuchsbe28 Jakobs, AT, 7/35. Gefährdungsdelikte bleiben auf dieser Grundlage immer noch die Ausnahme und sind heute in der dezentral organisierten Gesellschaft immer noch im Vergleich zu Erfolgsdelikten schwerer zu legitimieren. Siehe nur Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 855 ff. 29 MK-Herzberg, § 22, Rn. 158.

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griff muß materiell konkreter als das Eindringen in die Opfer- bzw. Schutzsphäre formuliert werden. 3. Das Kriterium der Einwirkung auf die Tatbestandssphäre In jüngster Zeit bezeichnet Roxin in Anlehnung an Vogler und Berz30 die Schutzsphäre auch als Tatbestandssphäre31. Er betrachtet das pauschale Kriterium der Schutzsphäre differenzierend und zwar nach Tatbeständen. Dabei verweist er auf die jeweiligen Tatbestandsmerkmale: etwa den Wegnahme-, Nötigungs-, Bedrohungs-, Täuschungsbegriff. Aus der Tatbestandssphäre der Vergewaltigung wird zum Beispiel das bloße Einsteigen ausgeschlossen. Zur Tatbestandssphäre des Diebstahls soll allerdings nach Roxin die Wohnung gehören, so daß seiner Ansicht nach bei einem Einsteigen in die Wohnung versuchter Diebstahl zu bejahen ist. Dies muß grundsätzlich als richtig angesehen werden. Trotzdem ist zur Bestimmung der Tatbestandssphäre nicht nur ein Tatbestandselement (Gewahrsamsbegriff) entscheidend, relevant sind vielmehr alle Tatbestandsmerkmale, denn es geht um die Anwesenheit und Bezogenheit aller Merkmale aufeinander und nicht um ihr jeweils isoliertes und addierendes Verständnis. Dabei stellt sich nicht nur die Frage, ob die Wohnung zum Gewahrsamsbegriff gehört, maßgeblich ist vielmehr das Verständnis des Gewahrsamsbegriffs bei der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache in Zueignungsabsicht, scil. beim Diebstahl. Relevant ist zudem nicht das bloße Einwirken auf die Tatbestandssphäre, sondern ein schon tatbestandliches Verhalten auf der Basis einer Auslegung der BT-Vollendungstatbestandssphäre nach einem Unmittelbarkeitszusammenhang. Die Formulierung Roxins der Einwirkung auf die Tatbestandssphäre32 weist zwar in die richtige Richtung hin, bleibt aber wiederum im Formellen und vermag das Gesetz nicht weiter zu erklären, solange (1.) das Verständnis der „Einwirkung“ auch nicht tatbestandlich und (2.) nicht in seiner Unmittelbarkeit zum BT-Vollendungstatbestand gefaßt wird. III. Zeitliche Tatbestandsnähe versus unmittelbare Bezogenheit auf den BT-Vollendungstatbestand Wird das allgemeine Kriterium, der „grundsätzliche Konsens“33, der „maßgebende Gesichtspunkt, der sich theoretisch mit allen Strafgrundstheorien verknüpfen“34 lassen soll, beim Versuchsbeginn vorherrschend darin gesehen, daß 30 31 32 33

Berz, Jura 1984, S. 516; LK10-Vogler, § 22, Rn. 23 ff., 58–70. Roxin, AT II, § 29, Rn. 139 ff. Roxin, AT II, § 29, Rn. 139. MK-Herzberg, § 22, Rn. 156.

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die Verwirklichung des Tatbestandes nahe bevorsteht, wird diese Nähe vornehmlich – normalerweise neben sonstigen Kriterien – in einer zeitlichen Nähe festgemacht. Im Laufe der Arbeit wurde hingegen herausgearbeitet, daß diese Nähe nicht bzgl. der Norm bzw. des Gesamttatbestands auf der Ebene des Anerkennungsverhältnisses zur Norm, sondern bzgl. des BT-Vollendungstatbestands in seiner interpersonalen Dimension als Ebene des durch die Norm objektiv vermittelten interpersonalen Anerkennungsverhältnisses relevant wird. Es geht (materiell) beim Zeitlichen und (formell) beim letzten (wesentlichen) Akt (vorherrschende Teilaktstheorie) vor dem (BT-Vollendungs-)Tatbestand, um einen materiell-rechtlichen Zusammenhang: unmittelbare Bezogenheit des unerlaubten Risikos auf den Erfolg. Die Usurpation des tatbestandlichen Rechts in seiner BT-vollendungstatbestandlichen Präsumtion erfolgt also unmittelbar, scil. nach einem einheitlichen Sinn mit der Vollendung und nicht über sonstige Eigentumsumschichtungen, scil. nicht über angrenzende Rechts- oder sonstige Erwartungsverletzungen. Das unerlaubte Risiko, das der Täter schaffen soll, muß auf dieser Basis erstens der (Gesamt-)Tatbestandshandlung entsprechen, denn es geht um eine tatbestandsmäßige unerlaubt riskante Eigentumsumschichtung bzw. Rechtsusurpation. Das Formelle und Materielle wird kommunikativ bzw. normativ-freiheitlich einheitlich begriffen. Zweitens muß sie in einem unmittelbaren Zusammenhang zur präsumptio iuris et de iure der Vollendung stehen, die das Tatbestandsrecht bestimmt. Was zum Tatzeitpunkt zählt, bestimmt sich durch seine Fassung unter den strafrechtlichen Handlungsbegriff bzw. die schuldhafte Tat. Rücktritt (§ 24 StGB) kommt nur zum bzw. innerhalb des Tatzeitpunkts in Betracht. Der Zusammenhang zwischen Vorbereitung und Versuch kann beim Unmittelbarkeitsprinzip nicht auf einen zeitlichen Aspekt reduziert werden. Es geht vielmehr um eine (gegebenenfalls nach § 24 StGB revertierbare) Läsion des Tatbestandsrechts. In der Rechtsprechung und Literatur wird deswegen dieses Kriterium i. d. R. nicht für allein ausreichend erachtet. Das dennoch von Herzberg35 formulierte Abgrenzungskriterium der „Forderung des sekundennahen, wahrhaft ,unmittelbaren‘ Bevorstehens der Verwirklichung des Tatbestandes“ mag „jedenfalls im Prinzip, überzeugend“36 sein, als Berechnung nach „Sekunden“ sogar einfach anwendbar, es genügt aber nicht einer materiell-strafrechtlich, kommunikativ-freiheitlich fundierten Argumentation, so daß es das Risiko des Zufälligen, des Beliebigen in sich trägt. In diesem Zusammenhang nicht plausibel ist die lapidare Aussage von Herzberg, daß die Tatsache, daß bei Anwendung dieses Kriteriums „Zufälle entscheiden kön34 35 36

Roxin, AT II, § 29, Rn. 102. MK-Herzberg, § 22, Rn. 157. MK-Herzberg, § 22, Rn. 157.

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nen, also einzuräumen (ist), doch begegnet uns das im Strafrecht auf Schritt und Tritt“37. Im Strafrecht ist nämlich auch das Kriterium des Zeitlichen nach Vorstellungen des Unerlaubten zu beurteilen, die zu entschlüsseln sind: Das Materielle soll nicht bloß der Urteilskraft des Auslegers ausgesetzt sein. Trotzdem wird in der Literatur das Zeitliche zu einem entscheidenden Kriterium des Versuchs, denn es vermag beim Diebstahl, den Gewahrsamsbruch trotz Einschleichens in eine Wohnung zu verneinen, etwa in dem Fall, in dem der Dieb zuerst vergewaltigen will38, oder es vermag in Extremfällen die Beziehung zur Opfersphäre herzustellen oder „mehrere Teilakte zu einer letzten Zwischenphase zusammenzufassen“39 und so das Verhalten zur – vorherrschenden – Teilaktstheorie zu rechnen. IV. Der Versuch als Rechtsusurpation im genuin tatbestandlichen Sinne Das tatbestandsmäßige, nicht bloß angrenzende Recht, muß schon (straf-) rechtlich beeinträchtigt werden, bevor die präsumptio iuris et de iure, welche die Vollendung ausmacht – weil ab dann eine Formierung der Welt einer Person als definitiv gehindert gilt – endgültig eintritt. Für den Versuch ist die Umschichtung demnach auf diesen, vom Strafrecht iuris et de iure so begriffenen, konkret spezifizierten Eigentumsausschnitt bzw. auf das konkret spezifizierte Recht gesetzlich bezogen worden. Dafür ist der Tatbestand ein Freiheit garantierender, strafrechtlicher Begriff, und sonstige straf-, außerrechtliche oder gesellschaftliche Enttäuschungen, die das Verhalten mit sich bringt, vermögen nicht, die differenzierten Begriffe einer stabilen und ausdifferenzierten freiheitlichen Gesellschaft zu verschieben. Der Tatbestand prägt also den Deliktsbegriff: So wird Sacheigentum in § 242 StGB erstens nur unter der Perspektive des Schutzes des Besitzes bei fremden, beweglichen Sachen berücksichtigt. Die Urkundenfälschung wird schon bei der bloßen Herstellung der Unechtheit nach § 267, Abs. 1, 1. Fallgruppe StGB erfüllt; bei § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB (schwere Brandstiftung) werden Räumlichkeiten, die der Wohnung von Menschen dienen, bei ihrer In-Brand-Setzung vollendet, auch wenn festgestellt wird, daß kein Mensch anwesend ist, etc.; beim Betrug geht es nach § 263 StGB um einen Vermögensschaden durch eine Täuschung über die wirtschaftliche Bedeutung der Transaktion nach dem juristischen Sinn solcher Transaktionen. Es wundert also nicht, daß im Gegensatz etwa zu Diebstahlsdelikten oder besonders schweren Delikten wie sexuellem Mißbrauch von Kindern Rechtspre37 38 39

MK-Herzberg, § 22, Rn. 167. Siehe nur Kühl, AT4, § 15, Rn. 71. Kühl, AT4, § 15, Rn. 70; LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 112.

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chung und Literatur den Versuchsbegriff in anderen Bereichen eher eng fassen. Für das schon Auffällige oder Rechtswidrige – d.h. in Fällen, in denen sich der Täter rechtfertigen muß (etwa auf die Frage „was soll das“?) – erachten sie die Reaktion des Strafrechts auf das – beabsichtigte oder sonst „hinreichend“ manifestierte – Kommende noch nicht als angemessen. Die Interpretation des Verhaltens auf die Frage „was soll das“ wird also nicht im Täterbewußtsein oder in der sonstigen Verletzung angrenzender Rechte oder Enttäuschungen gesucht, sondern in der Tat (Tatstrafrecht). Urkundenfälschung soll zutreffenderweise bei § 267, Abs. 1, 1. Fallgruppe StGB (Herstellung einer Urkunde) gegeben sein, „wenn der Täter Teile der echten Urkunde ausradiert oder wegschabt“40 und nicht etwa bereits mit dem Eindringen in das Haus, in dem sich die Urkunde befindet oder mit der Einwirkung auf den Safe, in dem sie aufbewahrt und geschützt wird. Zu Recht verneint der BGH den Betrugsversuch auch in dem besonderen Fall, in dem der Auftraggeber dem Makler seine Zahlungsfähigkeit vortäuscht, um mit ihm ins Geschäft zu kommen. Denn gemäß § 652 Abs. 1 BGB, welchen der BGH heranzieht, „steht es im freien Belieben des Auftraggebers, ob er das ihm vom Makler nachgewiesene oder vermittelte Geschäft abschließen will“41, so daß der Makler ein solches Risiko einzugehen hat. Hier reicht der bloß ökonomische Schaden des Maklers nicht aus, auch wenn dieser schwerwiegend sein mag; beim Nacheid beginnt der Versuch für den BGH nicht einmal beim Anheben zur Falschaussage, d.h., bei einem klaren unerlaubt riskanten und der Eidesleistung „sekundennahem“ Verhalten, sondern „erst mit dem Anfang (!) der Eidesleistung“42. Beim Einbruch in eine Wohnung ist noch nicht der Versuch der Vergewaltigung, der Tötung oder der Brandstiftung gegeben43. Das heißt: Angrenzende Rechte und Erwartungen mögen sehr schwerwiegend beeinträchtigt sein, die Gefahr (in der Tat oder im Täter) für die Rechtsverletzung extrem, das Expressiv-Werden der kommenden Normverletzung insoweit ausgedrückt sein, es liegt aber noch keine Eigentumsumschichtung bzw. Rechtsverletzung im Sinne des jeweiligen Tatbestandes vor. Auf das sonstige unerlaubt Riskante und auf die Enttäuschung außerstrafrechtlicher Erwartungen ist eben je nach Gesellschafts- und Rechtsbereich zu reagieren, aber eben noch nicht durch die Bejahung des hier in Frage kommenden Versuchs.

40

Jakobs AT, 25/68. BGHSt. 31, S. 181 m. w. H.; LK10-Vogler, § 22, Rn. 35a; Jakobs, AT, 25/70; Freund, AT, § 8, Rn. 43. A. A. etwa Murmann, Versuchsunrecht, S. 14, Fn. 50; Bloy, JR 1984, S. 123 ff.; Lenckner, NStZ 1983, S. 409 ff.; Maaß, JuS 1984, S. 25 ff. 42 BGH v. 24. 4. 1951 – 1 StR 104/51, BGHSt. 1, S. 241 ff., S. 243 f.; BGHSt. 4, S. 172 ff., S. 176; RG 54, S. 120; Schönke/Schröder/Lenckner, § 154, Rn. 15; Lackner/Kühl24, § 154, Rn. 10; Tröndle/Fischer51, § 154, Rn. 11; Jakobs, AT, 25/70; MKHerzberg, § 22, Rn. 156. 43 Siehe oben B. II. 1. 41

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V. Einige klassische Diskussionsfelder zum Versuchsbeginn 1. Diebstahlsversuch und Wegnahmebegriff Der Tatbestand des Diebstahls berücksichtigt Sacheigentum unter der Perspektive des Schutzes vom Besitz44,45. Das Arsenal von beweglichen Sachen, die der strafrechtlichen Person unter freiheitslegitimatorischen Gesichtspunkten zur Formierung der Welt zustehen, wird unter der (straf-)rechtlichen Dimension des Schutzes von Besitz garantiert. Es geht um den Schutz gegen die gesamte (nicht bloß ausschnitthafte46) Beanspruchung der Verfügungsmacht über die Sache. Relevant ist nicht die individuelle Einstellung des Eigentümers zur konkreten, ihm aktuell zustehenden Sache, denn es spielt keine Rolle, ob das Opfer etwa von ihrer Existenz aktuell weiß, von ihr überhaupt Gebrauch machen will, ob das Opfer hoffnungslos moribund bewußtlos ist. Das Strafrecht geht iuris et de iure von der Präsumtion aus, daß der Eigentümer die Sache überhaupt braucht, solange ihm diese als Eigentum zusteht47. § 242 StGB konzentriert sich48 schlicht auf den Schutz der Verfügungsbefugnis49. Der Schlüssel zur Teilverwirklichung des Diebstahls bzw. zum Bruch des § 242 StGB als Versuch liegt demnach im Verständnis des Begriffes der Wegnahme und seine Bezogenheit zu den sonstigen Diebstahlsmerkmalen, konkret im dauerhaften Gewahrsamsbruch an einer fremden, beweglichen Sache bei vorliegender Zueignungsabsicht, kurz: im Prozeß dieses Gewahrsamsbruchs50. Dieser Wegnahmebegriff ist wiederum in seiner kommunikativ-normativer Dimension festzustellen.

44 Von der Problematik des Gebrauchsdiebstahls wird hier abgesehen, dazu Kindhäuser, BT II, Band 1, § 1, Rn. 25, § 2, Rn. 111 ff. 45 Dazu Kindäuser, BT II, Band 1, § 1, Rn. 1. 46 Kindhäuser, BT II, Band 1, § 2, Rn. 75 47 Zu dieser auf die Identität der Gesellschaft zurückführbaren Präsumtion Jakobs, FS Roxin, S. 803. Das Recht entscheidet anhand kommunikativ-freiheitlicher Überlegungen also nach seinem Begriff, – verallgemeinernd ausgedrückt – inwieweit der „subjektiv materielle(r) Vermögensbegriff“ (Kindhäuser, BT II, Band 1, § 1, Rn. 11 ff., 21, § 2, Rn. 16, 38) berücksichtigt wird. Ebenso fragt das Strafrecht nicht, im wessen Gewahrsam sich die Sache aktuell befindet und warum, d.i., ob der zu brechende Gewahrsam rechtlich begründet wurde oder nicht, z. B. bei Diebstahl an einer Sache, die sich im Gewahrsam eines Diebes befindet (dazu Kindhäuser, BT II, Band 1, § 2, Rn. 34). 48 Siehe Kindhäuser, BT II, Band 1, § 2, Rn. 1, Rn. 29 f. 49 Kindhäuser, BT II, Band 1, § 2, Rn. 32, Rn. 74 ff. 50 Siehe hierzu Jakobs, FS Roxin, S. 808, Rn. 47; vgl. auch Kindhäuser, BT II, Band 1, § 2, Rn. 29, weiterhin Rn. 64: „Die Wegnahme beim Diebstahl ist eine Verschiebung der Zuordnung von Sachherrschaft“.

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a) Die Grenzen der Rechtsusurpation, kommunikativ-normative Freiheitspraxis und sozialer Wandel Versuch des Diebstahls ist zu verneinen, wenn dieser durch ein Verhalten vorbereitet wird, welches unter Beachtung anerkannter Regeln erfolgt. Beim Diebstahl (§ 242 StGB) muß mit dem (straf-)rechtlich relevanten Prozeß der Verwirklichung einer Wegnahme einer fremden beweglichen Sache in Zueignungsabsicht begonnen werden. Dieser Prozeß muß wiederum in seiner kommunikativ-normativen, genuin (straf-)rechtlichen Dimension festzustellen sein51. Beispielsweise: Verhaltensweisen wie, sich einen in einem Kaufhaus ausgestellten Ring an den Finger zu stecken oder etwas anzuprobieren, können rein faktisch nicht nur als Prozeß der Gewahrsamsverschiebung, sondern schon als vollendete Gewahrsamsbegründung angesehen werden. Strafrechtlich-normativ betrachtet handelt es sich aber noch nicht um den Prozeß einer Gewahrsamsverschiebung52, d.h., auch nicht um Versuch. Dies gilt nicht bloß deswegen, weil das Verhalten unauffällig, normal, sozialadäquat ist. Nebenbei bemerkt: Solche abstrakten Formeln erlangen erst Bedeutung, sobald ihre Unauffälligkeit in Bezug auf ihre strafrechtliche Relevanz erklärt wird. Kunden müssen nämlich nach der Verkehrspraxis von der Erlaubnis ausgehen können dürfen, die Waren innerhalb des Kaufhauses ohne ausdrückliche Bitte um Erlaubnis in bestimmten Grenzen zu überprüfen53. Aus eben diesem Grund bildet das Verlangen der Vorlage von Schmuckstücken im Juwelierladen durch einen Trickdieb keinen Versuch54. Aber auch in den Fällen, in denen Geschäfte den Kunden Waren innerhalb der Geschäftsräume frei zur Anprobe stellen, ist trotz der „Lockerung“ des Gewahrsams an der Sache dieser immer noch dem Geschäftsinhaber zuzusprechen55. In diesen Fällen liegt also jedenfalls bis zum eventuellen Deklarieren der Ware an der Kasse kein Versuch vor. Die kommunikativ-freiheitliche Praxis bestimmt durch die Verfestigung formeller als auch informeller Regeln die Grenzen des (Un-)Erlaubten, hier nämlich den Begriff der Gewahrsamsverschiebung einer fremden, beweglichen Sache. Dieses Prinzip ist im Laufe der Zeit von Rechtsprechung und Literatur präzisiert worden. Nach dem OLG Düsseldorf56 verliert der Geschäftsinhaber 51 Siehe hierzu Jakobs, FS Roxin, S. 808, Rn. 47; vgl. auch Kindhäuser, BT II, Band 1, § 2, Rn. 29, weiterhin Rn. 64: „Die Wegnahme beim Diebstahl ist eine Verschiebung der Zuordnung von Sachherrschaft“. Es geht nämlich um juristische Begriffe (siehe auch Meyer, GA 2002, S. 370; Stratenwerth, AT4, § 11, Rn. 31). 52 Vgl. nur BGH GA 1966, S. 244; BGH LM, § 242, Nr. 11. 53 Wie hier Kindhäuser, BT II, Band 1, § 2, Rn. 41. 54 Anders BGH, 4 StR 404/77 von 6. 10. 1977; Tröndle/Fischer51, § 22, Rn. 11; Wessels/Hillenkamp26, § 2, Rn. 103. Wie hier Kühl, JuS 1980, S. 813. 55 Siehe BGH LM, § 242, Nr. 11; NK-Kindhäuser, § 242, Rn. 42; Schönke/Schröder/Eser, § 242, Rn. 26; Maurach/Schröder/Maiwald BT 1, § 33, Rn. 17; LK-Ruß, § 242, Rn. 20.

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von Selbstbedienungsläden den Gewahrsam jedenfalls bei großen Gegenständen bis frühestens zum Passieren des Kassenbereichs bzw. bis zum Verlassen des Geschäfts nicht. In diesen Fällen läge ebenso wie beim Transport der Waren in Einkaufswagen, -körben und -tüten oder in der Hand ein Versuch erst beim Nicht-Deklarieren der Ware an der Kasse vor. Problematisch ist der Fall, in dem der Kunde gegen übliche Regeln verstößt – er benutzt beispielsweise nicht vom Laden angebotene Einkaufswagen oder -körbe, sondern andere Transportmittel (etwa einen privaten Korb oder einen vom Laden sonst zu entfernenden Karton) – aber deutlich zu verstehen gibt, daß er sie als „(Ersatz-)Einkaufskorb“ benutzt. Daß solche Verhaltensweisen vom Geschäftsinhaber nicht erwünscht sind, ist nicht entscheidend, wenn sie nach der Verkehrspraxis trotzdem so verstanden werden können, daß der Kunde „seinen Gewahrsamsbereich dem Geschäft eröffnet“ und diesen zum gemeinsamen Zweck des Kaufprozesses zur Verfügung stellt. Zusammenfassend bedeutet dies: Die Tatsache, daß „die Person selbst und das, was diese an sich trägt“57, „heilige“, für die Bestimmung des Versuchs maßgebliche Gewahrsamssphären sind, gilt nur nach Maßgabe der Verkehrsanschauung bzw. der Kommunikation. Dies bedeutet – so Hassemer58 – „eine Anbindung der Diebstahlsdogmatik an den sozialen Wandel“, wie „beim Diebstahl aus Selbstbedienungsläden besonders gut sichtbar“ wird. Wie die Fallgruppen bei Gegenständen, die in einer Einkaufstüte transportiert werden oder je nach dem Geschäft sogar unkontrolliert anprobiert und so unsichtbar werden dürfen und bei denen trotzdem der Geschäftsinhaber Gewahrsam beibehalten soll, illustrieren, kommt es also für den zum Diebstahl relevanten Gewahrsamsbegriff weder auf die (Un-)Sichtbarkeit bzw. Auffälligkeit noch auf die bloße Körpersphäre, sondern auf die allgemeine sog. Verkehrsanschauung an. Diese hängt nicht notwendig davon ab, ob eine vom Geschäftsinhaber aufgestellte Regel oder von ihm gewünschte Umgangsform mit den Waren gebrochen wird, sondern, ob diese Regel für den Gewahrsamsbegriff des § 242 StGB je nach der Verkehrspraxis wirklich relevant wird. So wird die prinzipielle Regel, nur dem Kunden zur Verfügung gestellte Transportmittel zu benutzen, etwa beim Befördern mit bloßen Händen oder in einem offenen, vom Geschäft nicht mehr zu benutzenden Karton gelockert. Verhaltensweisen innerhalb von Selbstbedienungsläden, die deutlich zu verstehen geben, daß die Sache bloß befördert wird, sprechen also trotz angrenzender Enttäuschungen nicht für eine Gewahrsamsverschiebung, scil. für Diebstahlsversuch.

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Vgl. NJW 1986, S. 2266; NK-Kindhäuser, § 242, Rn. 43. Welzel, GA 1960, S. 264. Hassemer, JuS 1990, S. 849.

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b) Vorverlagerung des Versuchsbereichs beim Diebstahl Wie bereits erläutert, ist die Anbindung der Diebstahlsdogmatik an den sozialen Wandel der modernen – massiv interagierenden, liberalen, komplexen und ausdifferenzierten – Gesellschaft am Beispiel der Selbstbedienungsläden „besonders gut sichtbar“59. Hier werden ehemals als Gewahrsamsbruch verstandene Verhaltensweisen heute als „Gewahrsamslockerung“, d.h., der Versuch wird abgelehnt. Auch wenn die Rechtsprechung beim Diebstahl an Selbstbedienungsläden den sozialen Wandeln – wo er „besonders gut sichtbar“ ist – berücksichtigt, wird sie hinsichtlich der Lösung anderer Fälle deswegen kritisiert, weil sie Gewahrsamslockerung und -verschiebung nicht deutlich abgrenzt und somit den Versuch weit vorverlagere. So Kindhäuser im allgemeinen: „Bisweilen verlegt die Rechtsprechung den Versuchsbeginn aber bedenklich weit in den Bereich bloßer Gewahrsamslockerung hinein“60. Die Einschätzung, daß für das Diebstahlsopfer „seine Wohnung, seine Person selbst und das, was diese an sich trägt“61, für die Bestimmung des Versuchs „heilige“ Gewahrsamssphären sind, gilt, wie gesehen, nur nach Maßgabe der Kommunikation. Mittlerweile werden auch herkömmliche Tabus in Frage gestellt, in dem jetzt behauptet wird, daß die Wohnung nicht notwendig zur „Tatbestandsphäre“ des Diebstahls gehöre, d.h., die Enttäuschung, die der Einbruch in eine Wohnung mit sich bringt, sollte zunächst als Hausfriedensbruch verarbeitet werden. So Herzberg: „Ist beim Mordentschlossenen das Einschleichen mit der Pistole noch kein Mordversuch, dann darf auch nach §§ 303, 22 nicht schon strafbar werden, wer statt des Herrn den Hund des Hauses totschießen will. Und ist das richtig, dann darf das Einschleichen auch kein Versuchsdelikt begründen, wenn der Täter vorhat, eine Urkunde zu vernichten, ein Kind sexuell zu missbrauchen, ein Kind zu entziehen oder einen Pelzmantel zu stehlen“62. Nach Herzberg vermag die subjektive Innentendez ein weiteres Tabu, nämlich den Fall des Aufbrechens eines Safes, nicht aufrecht zu erhalten. Denn zu Recht verneine man Versuch, „wenn es dem Täter nicht ums Stehlen ginge, sondern um die Fälschung eines im Safe liegenden Testaments“. Dementsprechend sind in der Literatur nicht nur die hier erörterten, sondern ebenfalls weitere Fallkonstellationen sehr strittig. In diesem Sinne bejaht ein Teil der Literatur Versuch in Fällen, in denen die beeinträchtigten angrenzenden (strafrechtlichen oder sonstigen) Rechte nicht einmal so relevant sind wie im Fall des Hausfriedensbruchs (etwa beim Durchstechen eines Reifens an einem

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Hassemer, JuS 1990, S. 849. Kindhäuser, BT II, Band 1, § 2, Rn. 153. Welzel, GA 1960, S. 264; vgl. rechtshistorisch auch Kargl, JuS 1996, S. 973 f. MK-Herzberg, § 22, Rn. 158 (Hervorh. von mir).

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Auto, um beim späteren Anhalten des Autos zu stehlen63, beim Entfernen eines Hundes aus einem Gehöft, um in das Haus einzudringen und dort stehlen zu können64, beim Rütteln an den Vorderrädern eines Autos, beim Abkratzen am Kopf einer Grabfigur zur Feststellung seines Materials65) oder nicht einmal Rechte, sondern diffuse Erwartungen des Anständigen tangiert werden oder einfach typische Bilder des Diebstahlsvorgangs bejaht werden können (Herausholen einer Winde, um mit ihrer Hilfe ein Fenstergitter auseinander zu biegen66). Wie aber schon erklärt, liegt die Ursache dieser Interpretationsversuche vornehmlich darin, daß auf der Basis typischer Bilder des Deliktischen so wie undifferenzierter Vorstellungen von Sicherheitsbereichen eine weite Vorverlagerung des Diebstahlsversuchs, d.h., des Wegnahme- und Gewahrsamsbegriffs vorgenommen wird. Das Heranziehen solcher Bilder und Vorstellungen für die Lösung von Versuchsproblemen findet eine um so stärkere Rechtfertigung, je bedeutender die angrenzende, außertatbestandliche Erwartung ist: sehr stark beim Eindringen in die Wohnung (sehr bedeutende Rechtsverletzung: Hausfriedensbruch), weniger bedeutend die Rechtsverletzung bei Beseitigung der Patina bei einer Grabfigur oder Durchstechen des Reifens (eventuelle Sachbeschädigung) oder bei sozial auffälliger ungehöriger Manipulation des fremden Tatobjekts (Rütteln an den Vorderrädern) und weniger im Fall des Herausholens der Winde. Dementsprechend bejaht die Literatur im ersten Fall häufiger Versuch, während sie in den letzten Fallgruppen keine eindeutige Entscheidungen trifft67. Zur Versuchszurechnung ist nochmals folgendes hervorzuheben: Bei der Usurpation des tatbestandlichen Rechts geht es erstens nicht nur um bloße Sozialinadäquanz oder um angrenzende Rechts- bzw. Organisationsanmaßungen, sondern um die konkret und spezifiziert zu nehmende Usurpation des tatbestandlichen Rechts in seiner BT-Vollendungsbezogenheit. Zweitens ist die Bestimmung der Rechtsusurpation nur nach Maßgabe der Kommunikation festzustellen, und zwar genuiner strafrechtlicher Kommunikation.

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BGH NJW 1980, S. 1759. Vgl. RGSt. 53, S. 128; Roxin, AT II, § 29, Rn. 162 f. A. A. Jakobs, AT, 25/68; Schönke/Schröder/Eser, § 22, Rn. 45. 65 So OLG Hamm MDR 1953, S. 568. 66 Für Versuch aber BGHSt. 2, S. 380. Dagegen, wie hier, NK-Zaczyk, § 22, Rn. 26. 67 Zum Patina-Fall Roxin, AT II, § 29, Rn. 160 m. w. H. Im Lenkradschloß-Fall Versuch bejahend BGHSt. 22, S. 80; Roxin, AT II, § 29, Rn. 161; Jakobs, AT, 25/66 mit Fn. 93. A. A. NK-Zaczyk, § 22, Rn. 26; Schönke/Schröder/Eser, § 22, Rn. 45; Kindhäuser, BT II, § 2, Rn. 153; LK10-Vogler, § 22, Rn. 47 ff.; LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 103; MK-Schmitz, § 242, Rn. 164. Bedenken äußert auch Berz, Jura 1984, S. 518. 64

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c) Die Problematik des Versuchsbeginns bei den Erschwerungsmerkmalen und Qualifizierungstatbeständen Die (Teil-)Verwirklichung eines Erschwerungsmerkmales – etwa das Benutzen eines falschen Schlüssels oder eines anderen nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmten Werkzeugs (§§ 242, 243 Abs. 1 Nr. 1. StGB) oder bei besonders gesicherten Sachen (§§ 242, 243 Abs. 1. Nr. 2 StGB) oder das SichEinschleichen in einen fremden Raum (§§ 242, 243 Abs. 1, Nr. 1 StGB) – bzw. des Qualifizierungstatbestandes – das Sich-Einschleichen in eine Wohnung (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) – bestimmt per se den Versuch nicht. Dies ist allgemein anerkannt. Vielmehr ist das Ansetzen auf die „Verwirklichung des gesamten tatbestandlichen Unrechts, d.h. aller Tatbestandsmerkmale“ 68 zu beziehen. Es geht also etwa nicht um das Ansetzen „zur Verwirklichung eines Teils des tatbestandlichen Unrechts, sondern zur Verwirklichung des gesamten tatbestandlichen Unrechts“69. Trotzdem fällt die Ableitung der Konsequenzen teilweise unbestimmt aus, so bei Roxin: „Immerhin kann man davon ausgehen, daß in der beginnenden Verwirklichung eines Erschwerungsmerkmals i. d. R. auch schon ein Versuch des Grunddelikts liegt“70. Wäre es i. d. R. tatsächlich so, dann kann dies nicht reichen, um zu erklären, was in diesen Fällen Versuch begründet. Das Verständnis des unmittelbaren Ansetzens als Tatbestandsnähe, als vortatbestandliches Geschehen mit (unspezifizierter) objektiver Bezogenheit (Einwirkung auf die Opfersphäre) oder subjektiver Bezogenheit (der verbrecherische Wille) erlaubt nämlich, nicht anders als bei den naturalistischen formell-objektiven Theorien, daß die (auch nur Teil-)Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals (hier des Erschwerungs- oder Qualifikationsmerkmals) zum Versuch bei Tatbestandsnähe hinreiche. Die Argumentation muß hingegen konkreter ausfallen. Beim Versuch handelt es sich um ein tatbestandliches Verhalten auf der Basis einer Auslegung der BT-Vollendungstatbestandssphäre nach einem Unmittelbarkeitszusammenhang. Entscheidend ist hierbei nicht nur ein Tatbestandselement (die Erschwerung, die Qualifizierung), sondern alle Tatbestandsmerkmale. Beim Diebstahl steht konkret das Verständnis des Begriffs der (Teil-)Verwirklichung der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache in Zueignungsabsicht nach einem Unmitteilbarkeitszusammenhang zum BT-Vollendungstatbestand in Rede. Je nach der Bestimmung dieses Wegnahmebegriffs, des Prozesses des Ge68 SK-Rudolphi, § 22, Rn. 7a (Hervorh. dort). Siehe auch Burkhardt, JuS 1983, S. 428 f.; BGHSt. 31, S. 182; 37, S. 294; Jakobs, AT, 25/70; Schönke/Schröder/Eser, § 22, Rn. 37. 69 SK-Rudolphi, § 22, Rn. 18 (Hervorh. dort). Siehe auch Burkhardt, JuS 1983, S. 428 f.; Kühl, JuS 1980, S. 509; Maurach/Gössel/Zipf, AT II, § 40, Rn. 115; Kindhäuser, BT II, Band 1, § 2, Rn. 65; Roxin, AT II, § 29, Rn. 172; Stratenwerth, AT4, § 11, Rn. 43. 70 Roxin, AT II, § 29, Rn. 172 (Hervorh. von mir).

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wahrsamsbruchs zum Diebstahl, wird die Versuchszurechnung hierzu unterschiedlich ausfallen. Es handelt sich immer um den strafrechtlich-kommunikativen Gehalt der Handlung.

d) Der Prozeß des Gewahrsamsbruchs nach seinem kommunikativen Verständnis Wie es am Beispiel des Diebstahls an Selbstbedienungsläden verdeutlicht wurde, ist das Verständnis des Verbrechensbegriffs an den sozialen Wandeln, an die Kommunikation gebunden. Bestimmte Verhaltensweisen, die ehemals als Gewahrsamsbruch bzw. als Gewahrsamsverschiebung interpretiert werden konnten, können heute nicht mehr als solche behandelt werden, ja werden sie sogar als berechtigte Lockerung des Gewahrsams und demnach (noch) nicht als Diebstahlsverhalten eingestuft. Das vorherrschende Wirtschaftssystem, für welches die Förderung und Erleichterung des Kaufprozesses trotz Inkaufnahme von Risiken charakteristisch ist, nimmt hierauf starken Einfluß. Ansonsten wird in einer Eigentumsgesellschaft der Schutzbereich von Besitz prinzipiell weit gedeutet. Diese Tendenz zu einem weiten Schutz kann wiederum nicht losgelöst von den Leitlinien der heutigen Gesellschaft und des heutigen Strafrechts eingeordnet werden, scil. von der freiheitlichen Differenzierung des sozialen Lebens, der Ausdifferenzierung der Gesellschaft in konkreten Teilsystemen mit jeweils differenzierter Vorgaben, Erwartungen und Sicherheitsbegriffe. Dies geschieht im Rahmen der strafrechtlichen Zurechnung zum Versuch durch das Institut der objektiven Zurechnung auf der einen Seite, die Ausdifferenzierung der Freiheitsbegriffe nach tatbestandlichen Rechten sowie das Fordern eines tatbestandlichen Verhaltens nach einem Unmittelbarkeitszusammenhang (§ 22 StGB) auf der anderen Seite. Dies macht, daß nicht irgendwelche Enttäuschung einer Erwartung an eigenem Besitz, irgendeine Störung bei der Verwaltung des Gewahrsams meines Besitzes durch Berufung auf das zusätzliche Vorliegen der Absicht des § 242 schon strafrechtlich relevant wird (etwa das bloße Herankommen an das Opfer in Zueignungsabsicht). Solche Enttäuschen mögen nicht nur bloß subjektiv empfunden sein, sie mögen auch (teil-)gesellschaftlich begründet sein oder auf der gleichzeitigen Störung eines Rechts beruhen. Beim Versuchsbegriff geht es aber nicht um gesellschaftliche oder sonstige rechtliche Enttäuschungen, in Rede stehen vielmehr die strafrechtlichen Voraussetzungen, welche die Auferlegung einer Strafe rechtfertigen können, scil. die sehr konkreten Begriffe des strafrechtlichen Tatbestands und des § 22 StGB: tatbestandliche Rechtsusurpation im Strafrecht nach einem Unmittelbarkeitszusammenhang zum BT-Vollendungstatbestand. Die Enttäuschungen also, die das Herausholen einer Winde vor einem Fenstergitter (um

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dieses auseinander zu biegen)71 oder das Beschmieren von einer Scheibe eines Gebäudes (um diese lautlos einzudrücken)72, das Durchstechen eines Reifens an einem Auto (um beim späteren Anhalten des Autos zu stehlen) mit sich bringen, mögen auf der Basis einer subjektiven Bezogenheit meinen Besitz, mein Gewahrsam gefährden, den Beginn der Verwirklichung eines Plans markieren. Sie verschieben meinen Gewahrsam, meine objektive Herrschaftsbeziehung zur Sache aber noch nicht, d.h., was die Begehung eines Diebstahls angeht, setzt das Strafrecht noch nicht ein. Ein weiteres Beispiel: Nach §§ 242, 243 Abs. 1 Nr. 2 StGB stellt das Lenkradschloß eines Kfz eine besondere Sicherung dar; das Rütteln an den Vorderrädern eines Autos (um festzustellen, ob das Lenkrad durch den Schloß blockiert ist)73, stellt ein unberechtigtes, unerwünschtes Umgehen mit meinem Eigentum dar, ist typisch für Autodiebe und mag auf der Basis einer eventuell vorliegenden subjektiven Bezogenheit mein Besitz gefährden, sie läßt aber meinen Gewahrsam unangetastet, die Gewahrsamsvorrichtung, die Organisation meines Gewahrsams bleibt unberührt. In diese Richtung geht u. a. auch die Stellungnahme Kindhäusers74: „Bisweilen verlegt die Rechtsprechung den Versuchsbeginn aber bedenklich weit in den Bereich bloßer Gewahrsamslockerung hinein. So wurde Versuch in einem Fall bejaht, in dem ein Täter an den Rädern eines PKW rüttelte, um festzustellen, ob das Lenkrad durch ein Schloß versperrt war“. Besonders problematisch sind jedoch insbesondere die folgenden Fallgruppen: erstens die besonders schweren Fällen des §§ 242, 243, Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB: etwa das (unerlaubte) Öffnen der Tür eines Geschäftsraums mit einem fremden (evtl. falschen) Schlüssel oder mit einem nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmten Werkzeug (§§ 242, 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder der Abbau einer besonderen Sicherung (§§ 242, 243 Abs. 1. Nr. 2 StGB), wie das Lenkrandschloß, und zweitens der Qualifizierungstatbestand des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB: etwa das (unerlaubte) Öffnen einer Haustür oder eines Wohnungsfensters (bzw. des Fensters eines fremden Raumes), § 244 und §§ 242, 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Man kann nämlich verstehen, daß in all diesen Fallgruppen bereits der Gewahrsam angetastet wird. Ein unerlaubtes und objektives Zuwiderhandeln gegen Gewahrsamsmaßnahmen des Besitzers (als Abbau von Gewahrsamsvorrichtungen oder Nicht-Folgen einer expliziten oder impliziten verbindlichen Stellungnahme des Besitzers zum Gewahrsam einer besonderen Sache etwa: „man steigt nicht ein, sondern geht bei vorliegender Erlaubnis durch die Tür“) liegt hier vor.

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Für Versuch aber BGHSt. 2, S. 380. Dagegen, wie hier, NK-Zaczyk, § 22, Rn. 26. Kein Diebstahl und ebenso keine Vergewaltigung. Wie hier NK-Zaczyk, § 22, Rn. 6. Anders RGSt. 54, S. 35. 73 BGHSt. 22, 80 ff., S. 82. 74 Kindhäuser, BT II, Band 1, § 2, Rn. 153. 72

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Bei Diebstahlsversuch geht es um den Prozeß der Gewahrsamsverschiebung. Nicht zu verkennen ist, daß dieser Prozeß nicht rigide, abstrakt, als von sozialen Zuordnungen von Gewahrsamsbereichen losgelöst, interpretiert werden kann. Hierbei wird die „Einführung“ einer fremden Sache in den eigenen Gewahrsamsbereich insbesondere durch die „Einführung“ der Sache in die Person des Täters selbst (mein Leib) und das, was diese an sich trägt75, durchgeführt. Aber beim Eindringen in das Haus bzw. – metaphorisch ausgedrückt – beim „Zugreifen des Hauses“ wird eine direkte „soziale“ Beziehung zur Sache herstellt, also ein Einbetten in den eigenen Gewahrsamsbereich geschaffen. Es geht um „soziale Zuordnungen von Sachherrschaftsbeziehungen“76. Nach dem aktuell strafrechtlich allgemein anerkannten Kommunikationstand, d.h., nach allgemein anerkannten sozialen Zuordnungen von Herrschaftsbeziehungen, sind prinzipiell als Diebstahlsversuch zu fassen: neben dem Zu-greifen einer Sache, das Ein-greifen in – so Welzel – „heilige“ Gewahrsamsphären des Opfers, scil. „seine Wohnung, seine Person selbst und das, was diese an sich trägt“77. Das Eindringen in eine Wohnung, das Greifen in die Kleider einer Person mit der Absicht der Zueignung einer fremden beweglichen Sache stellen nach dem heutigen allgemein anerkannten Kommunikationstand prinzipiell einen Prozeß des Gewahrsamsbruchs bzw. einer Wegnahme der fremden beweglichen Sache in Zueignungsabsicht, d.h., Diebstahlsversuch. Darüber hinaus ist der Prozeß des Gewahrsamsbruchs zu bejahen bei einem Eindringen in den „von den sozialen Gepflogenheiten, Anschauungen, Konventionen umschriebene Lebensbereich einer Person, in dem sich deren Wille unter Ausschluß aller übrigen zu betätigen vermag“78, etwa bei einem Eingreifen in einen Tresor, einen Safe, einen Koffer oder eine Tasche. Mit Blick auf das Vorangegangene könnte der scheinbare Wertungswiderspruch Roxins beim Diebstahl aufgelöst werden, wenn er sagt, daß bei besonders schweren Fällen ein Ansetzen zum gesamten tatbestandlichen Unrecht nötig sei „aber immerhin man davon ausgehen (kann), daß in der beginnenden Verwirklichung eines Erschwerungsmerkmals i. d. R. auch schon ein Versuch des Grunddelikts liegt“79. Da die besonders schweren Fälle nicht als Gefährdungstatbestände typisiert sind, sondern als Tatbestandsmerkmale der §§ 242, 243 StGB, können sie nicht unabhängig vom „Grund“-tatbestand des § 242 StGB gelesen werden. Wie erläutert, betreffen solche Merkmale dennoch oft die angesprochenen sozialen Zuordnungen, die den Diebstahl vom tatsächlichen Zugrei-

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Welzel, GA 1960, S. 264; vgl. rechtshistorisch auch Kargl, JuS 1996, S. 973 f. Küper, BT3. Definitionen mit Erläuterungen, 1999, Stichwort Wegnahme, S. 403. Welzel, GA 1960, S. 264; Kargl, JuS 1996, S. 973 f. Welzel, GA 1960, S. 267. Roxin, AT II, § 29, Rn. 172.

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fen der fremden Sache trennen kann, so daß i. d. R. bei beginnender Verwirklichung dieser Tatbestandsmerkmale Versuch angenommen wird. Es ist im Auge zu behalten, daß sich die sozialen Anschauungen, die Kommunikation, im Laufe der Zeit fortentwickeln und verändern, wie anschaulich am Beispiel des Diebstahls in Selbstbedienungsläden verdeutlicht wurde. Ob der Wert dieser Zuordnungen im einzelnen heutzutage für ihre Anwendung im strafrechtlichen Bereich des Diebstahls noch so unbestreitbar ist wie ehemals, muß daher hier dahinstehen80. 2. Das Einwirken auf die Opfersphäre versus unmittelbares Einwirken auf das Tatbestandsrecht des Opfers (zu § 176 StGB) Im Rahmen der Behandlung des Versuchsbegriffes bei § 176 StGB hat der BGH die Möglichkeit einer weiten Vorverlagerung des Versuchs aus Gründen bejaht, die einer Ausdifferenzierung der Rechtsverletzungen nach spezifischen Tatbeständen nicht entspricht. So der BGH81: „Die Notwendigkeit, Kinder vor unsittlichen Anträgen nachdrücklich zu schützen, gibt Grund, die Grenzen zwischen Vorbereitung und Versuch weit vorzuverlegen“. Der Lösungsansatz des BGH mag grundsäztlich eine plausible Klugheitsregel bzw. eine plausible Regel der Kriminalpolitik darstellen, wenn eine (undifferenzierte) Sicherheit, nicht das (differenzierte) Recht, die Kriminalpolitik, nicht das Strafrecht, die Prävention vor künftigen Taten und die Repression, nicht das ausdifferenzierte, strafrechtlich-kommunikativ Freiheitliche ausschlaggebend sind. Deswegen hat der BGH im Laufe der Zeit diese Tendenz bewußt eingeschränkt, bleibt aber in bestimmten Fallkonstellationen, in grundsätzlicher Übereinstimmung mit einem großen Teil der Literatur, bei einer beträchtlichen Vorverlagerung. Nach einer anderen Entscheidung des BGH82 beginnt der Versuch in diesen Fällen mit dem Hinführen des Kindes zum Tatort, wenn der Täter „plant, etwaigen Widerstand ohne weiteres zu brechen“83. Nimmt sich der Täter 80 Gesagt sei nur, daß dies in der Literatur thematisiert wird, was ein klares Indiz der kontinuierlichen Formierung der Konturen dieser Zuordnungen darstellt. Vgl. hierzu etwa Herzberg in MK, § 22, Rn. 158: „Ist beim Mordentschlossenen das Einschleichen mit der Pistole noch kein Mordversuch, dann darf auch nach §§ 303, 22 nicht schon strafbar werden, wer statt des Herrn den Hund des Hauses totschießen will. Und ist das richtig, dann darf das Einschleichen auch kein Versuchsdelikt begründen, wenn der Täter vorhat, eine Urkunde zu vernichten, ein Kind sexuell zu missbrauchen, ein Kind zu entziehen oder einen Pelzmantel zu stehlen“ (Hervorh. von mir). 81 BGHSt. 6, S. 302 ff., S. 304. 82 BGHSt. 35, S. 6 ff., S. 9. 83 Übereinstimmend als „Schutzminderungsfall“ gesehen Roxin, JuS 1989, S. 1 ff., S. 8; ders., AT II, § 29, Rn. 167: Das Kind verliere „den Schutz seiner vertrauten

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aber „noch“ vor, das Kind „auf freiwilliger Basis“ zu verführen, dann markiert die „erfolgreiche Verführung“ bzw. die „Zustimmung“84 des Kindes den Versuch. Geht es demgegenüber um die Begriffe eines kommunikativ-freiheitlichen Strafrechts, ist die Intention des Täters begrifflich weder nach § 22 StGB noch nach § 176 StGB maßgeblich (ob der Täter § 176 StGB verwirklichen will, ob er auf freiwilliger Basis oder hingegen künftig mit Gewalt vorgehen will, etc.). Die (Teil-)Verwirklichung eines anderen, angrenzenden Tatbestandes85 (Bedrohung oder Nötigung, einfach mitzukommen, Entziehung Minderjähriger, Aussetzung etwa aus Ingerenz, etc.) faktische Gegebenheiten (etwa die faktische Herrschaft des Täters auf dem Weg zum Tatort86) oder sonstige rolleninadäquate Verhaltensweisen (etwa ob der Täter auf öffentlicher Straße oder auf dem Privatweg des Gartens des Opfers das Kind begleitet87) sind noch nicht ausschlaggebend, um einen Versuch zu bejahen. Es geht hierbei um den Schutz vor kommunikativ-freiheitlich ungehörigen sexuellen Erlebnissen88 (vgl. § 184c, Nr. 1 StGB)89. Das nicht gehörige bzw. Umgebung, und jeder weitere Schritt führt direkt in den Erfolg hinein“; SK-Horn/Wolters, § 176, Rn. 10; Maurach/Schröder/Maiwald, § 20, Rn. 14; Tröndle/Fischer51, § 176, Rn. 13. Differenzierend Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, § 176, Rn. 18; Kühl, AT4, § 15, Rn. 70. 84 Roxin, AT II, § 29, Rn. 168, mit dem BGH übereinstimmend; vgl. auch Maurach/Schröder/Maiwald, § 20, Rn. 14. Das unmittelbare Ansetzen zur „Beeinflussung“ („etwa durch Drohung oder Geschenke“) als Versuch annehmend SK-Horn/Wolters, § 176, Rn. 10; ähnlich Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, § 176, Rn. 18, welche die „Willensbeeinflussung“ („Überreden, Versprechen von Geschenken, Drohen, usw.“), um das Kind „zur anschließenden Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen“ zu bewegen, als Versuch annehmen. 85 Darauf zielt letztendlich die Kritik von Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, § 176, Rn. 18. 86 Roxin, JuS 1979, S. 1 ff., S. 8; ders., AT II, § 29, Rn. 167. 87 So etwa Vehling, Abgrenzung, S. 156. 88 Vgl. in diesem Sinne Lackner/Kühl24, § 176, Rn. 1; vgl. weiterhin Tröndle/Fischer51, § 176, Rn. 1a (die kommunikative Relevanz des Verhaltens auf „Vorzeitigkeit“ reduzierend); Kindhäuser, BT I, § 20, Rn. 1 (Schutz „sexueller Sebstbestimmung“ als „Individualrecht“, nicht „einer bestimmten sittlichen Sexualordnung“ – richtig insoweit, als die Ordnung nicht bloß sittlich, sondern strafrechtlich, im Begriff sexueller Selbstbestimmung mit einbegriffen sein müßte); SK-Horn/Wolters, § 176, Rn. 2 („Schutz sexueller Entwicklung von Kindern“); ebenso NK-Frommel, § 176, Rn. 8, jeweils m. w. H. 89 Wie beim Diebstahl ist nicht die individuelle Betroffenheit des Opfers zu schützen. Ob das Kind „geschlechtlich erfahren“, „verdorben“ ist, ob es die Bedeutung erkennt, schläft oder sein seelisches Wohl oder seine Entwicklung tatsächlich geschädigt wird, das alles wird tatbestandlich unmaßgeblich. Gegenüber anderen sexuellen Delikten präsumiert das Recht auch, daß das Kind unter 14 Jahren nicht in der Lage ist, sich selbst bzgl. sexueller Handlungen zu bestimmen: Ob das Kind die sexuelle Handlung will oder nicht, wird nicht relevant (SK-Horn/Wolters, § 176, Rn. 2; NKFrommel, § 176, Rn. 9; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, § 176, Rn. 1; Tröndle/

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das „einigermaßen Erhebliche“ (vgl. § 184c Nr. 1 StGB) muß kommunikativfreiheitlich begründet werden, so daß eine konkret individualisierte, tatbestandsspezifische Rechtsusurpation zu bejahen ist. Liegt das Sinnhafte in der bereits stattfindenden tatbestandlichen, ausschnitthaft ausdifferenzierten Rechtsusurpation, bevor der kommunikative Sachverhalt der Vollendung zustandegebracht ist, ist etwa nach § 176 Abs. 3 Nr. 1 StGB nicht zu warten, bis das Kind das sexualbezogene Verhalten wahrnimmt, wenn der Täter bei exhibitionistischem Verhalten das Opfer in das Zimmer herein läßt, in dem er sich befindet, oder sich in einem Raum oder an einem Ort aufhält, wo Kinder unter 14 Jahren anwesend sind, welche, wenn sie auch ihre Aufmerksamkeit anderen Sachen schenken mögen (etwa dem Fernsehen), jederzeit das sexuell (ungehörige) Verhalten wahrnehmen können. Das bloße Hinführen zum Tatort reicht aus diesen Gründen nicht aus. Erfolgt dies ohne Zustimmung der Eltern, wird das rechtswidrige Verhalten nicht von der Intention des Täters bestimmt, sondern nach § 235 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Entziehung Minderjähriger) auszulegen sein, der sonst eine differenzierte (zwischen Geldstrafe und Freiheitsstrafe bis 5 Jahren) Strafzumessung erlaubt. Anerkanntermaßen liegt weder in der Aufforderung, „mitzugehen“ noch in der Verabredung90 Versuch des § 176 StGB vor. Eine (zumindest) teilweise Verwirklichung des Tatbestandes bzw. eine bereits stattfindende Usurpation bzw. Mißbrauch wäre wohl je nach dem Kindesalter und dem Kontext schon in der Aufforderung zu sehen, ein „erhebliches“ bzw. ungehöriges Sexualverhalten an sich oder am Täter vorzunehmen, wenn man etwa einem 5jährigen Kind vorschlägt, an einem Akt teilzunehmen, dessen Szenen dem Kind mit obszönen Details geschildert werden (wenn nicht § 176 Abs. 3 Nr. 3, 3. Alt. StGB bejaht werden kann91, dürfte wohl doch Abs. 1 trotz mangelnder „Körperlichkeit“ des Verhaltens erfüllt sein).

Fischer51, § 176, Rn. 1a, 3). Es geht um mehr oder weniger standardisiertes ungehöriges (vgl. Tröndle/Fischer51, § 176, Rn. 3 für „unerhebliche“ Handlungen) sexualbezogenes Verhalten: standardisierter im allgemeinen bei bloß negativen Pflichten und weniger standardisiert bei Vertrauenspersonen, insbesondere bei Eltern (grundsätzlich auch Vehling, Abgrenzung, S. 53: „Der Versuchsbeginn hinge (. . .) von der Rolle des Täters gegenüber dem Opfer ab“). 90 Vgl. Roxin, AT II, § 29, Rn. 166 (alles hängt noch vom Willen des Kindes ab – Fehlen einer Schutzminderung); dens., JuS 1979, S. 1 ff., S. 8; SK-Rudolphi, § 22, Rn. 16 (fehlende Unmittelbarkeit gemäß § 22 StGB); SK-Horn/Wolters, § 176, Rn. 10; Maurach/Schröder/Maiwald, § 20, Rn. 14. Die Aufforderung bzw. die Verabredung schon als Versuch annehmend BHGSt. 6, S. 306; bei bloßer Aufforderung Versuch bejahend Vehling, Abgrenzung, S. 154, bei zeitlicher Nähe, wenn die „Aufforderung mitzugehen“ als „die unmißverständliche Bestimmung der Minderjährigen im Sinne einer Weisung, der sie sich nicht erwartbar entziehen können“, zu verstehen ist. 91 Vgl. BGHSt. 29, S. 30; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, § 176, Rn. 15 m. w. H.

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3. Typische Begehungsvorgänge bei versuchter Tötung und Versuchsbegriff bei Tötungsdelikten Es wird in der Literatur auf eine weite Vorverlagerung des Tötungsversuchs hingewiesen92. Trotzdem könnte man im Vergleich zum Diebstahl sagen, daß die Rechtsprechung bei Tötungsdelikten restriktiver gewesen ist. Zu Recht stellt ein gewaltsamer Einbruch in die Wohnung des Opfers93 noch keine versuchte Tötung dar, der BGH setzt für die Annahme des Versuchs das Vorliegen weiterer Handlungen des Täters voraus: Ebenfalls nicht ausreichend soll das bloße Betreten des Zimmers sein, in welchem sich das Opfer befindet94, verlangt wird etwa ein „Aufwuchten der Tür“95. Auch ein Teil der Literatur nimmt eine einschränkende Interpretation vor, die im Vergleich zur Herangehensweise des BGH noch restriktiver ausfällt: So ist nach Zaczyk das Verlassen eines Verstecks im Keller, um sich dem geplanten Tatort im Obergeschoß des Hauses zu nähern96 oder das Ergreifen einer Waffe in einer Aktentasche, um anzulegen und eventuell zu schießen97, jeweils kein Versuch. In der Literatur sind insbesondere Fallgruppen streitig, in denen die Waffe bei ihrem Herausziehen noch entsichert werden muß98. Für eine restriktive Tendenz der Interpretation des Versuches ist symptomatisch, daß in diesen Fallkonstellationen von „eng umgrenzte(n) Ausnahmefälle(n)“99 der – vorherrschenden – Teilaktstheorie gesprochen wird, da bei ihnen „trotz noch ausstehender Zwischenakte“100 (eventuell Entsichern, Anlegen, Abdrücken der Waffe) Versuch bejaht werden soll. Der Strafgrund soll insbesondere die „quasi-automatische“, einem einheitlichen Willensimpuls zugehörige, unmittelbare „Gefahr der Verwirklichung des Tatbetandes“ sein101. Bestraft werden soll nach dieser Leseart also „ausnahmsweise“ schlechthin aufgrund des Entschlusses und der Zeitnähe zum tatbestandsmäßigen Verhalten. Neben dieser „Ausnahme“ „(sind) ver92 Vgl. kritisch NK-Neumann, § 212, Rn. 25; Maurach/Schröder/Maiwald, § 2, Rn. 20. 93 Vgl. BGH NStZ 1987, S. 20. 94 BGH NStZ 1993, S. 398 f., wenn auch bloß deswegen, weil der Täter nur erst töten wollte, wenn die Lage günstig wäre. Übereinstimmend NK-Zaczyk, § 22, Rn. 26. 95 Vgl. BGH NStZ 1987, S. 20. 96 NK-Zaczyk, § 22, Rn. 26. Anders BGH NStZ-RR 1998, S. 203. 97 NK-Zaczyk, § 22, Rn. 26. Anders RGSt. 68, S. 339. 98 Für Versuch RGSt. 59, S. 385; RGSt. 68, S. 339; LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 112. Anders aber NK-Zaczyk, § 22, Rn. 25 f.; wohl auch Maurach/Schroeder/ Maiwald, § 2, Rn. 20. 99 LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 112. Vgl. auch Freund, AT, § 8, Rn. 59 ff., Rn. 64 ff., nach dem schon das „Anlegen und Zielen“ problematische Fälle bilden. 100 LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 112. Siehe auch Kühl, AT4, § 15, Rn. 70; Küper, JZ 1979, S. 780 f. 101 LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 112. Siehe auch Kühl, AT4, § 15, Rn. 70; Küper, JZ 1979, S. 780 f.

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gleichbare Konstellationen sicher selten“102. Hillenkamp zählt zu solchen seltenen, „ausnahmsweise“ vorkommenden Fallgruppen solche Fälle, in denen der Täter „die Axt noch heben, mit ihr ausholen, zielen und sie niedergehen lassen muß“103. Die Fallgruppen insbesondere des Auflauerns und Hochreißens der Waffe, aber auch des Anlegens und Zielens mit dieser, sind nach Freund „mit einem engen Verständnis des tatbestandsmäßigen Versuchsverhaltens“ nicht vereinbar104. Dies ist grundsätzlich richtig. Das Problem formuliert Freund folgendermaßen105: „Bei (. . .) der Möglichkeit eines strafbaren Versuchs, obwohl der Betreffende noch nichts getan oder unterlassen hat, was bei materieller Betrachtung bereits Teilstück des Tatbestandes des entsprechenden Vollendungsdelikts ist, besteht die große Gefahr eines Abgleitens in ein nicht akzeptables Gesinnungsstrafrecht. Das bloße Vorhaben eines Normbruchs reicht eben – auch wenn dessen Realisierung unmittelbar bevorsteht – noch nicht für den Versuch eines solchen Normbruchs (im Sinne einer hinreichenden Manifestation) aus. Derartiges mag bereits die polizeiliche Gefahrenabwendung erforderlich machen – eine eindeutige Infragestellung der Normgeltung im Sinne des Versuchsdelikts liegt darin allerdings nicht. Festzustellen ist im Grunde nur der – vielleicht massive – Verdacht, daß der Betreffende bereit wäre, ein tatbestandsmäßiges Verhalten i. S. des Vollendungsdelikts zu verwirklichen“. Hier verweist Freund explizit darauf, daß die Dogmatik und die Rechtsprechung beim vortatbestandlichen Versuch nicht einen Normbruch, sondern den „Versuch eines (. . .) Normbruchs“ „im Sinne einer hinreichenden Manifestation“ des kommenden Normbruchs unter Strafe stellen. Daß hier nicht nur „die polizeiliche Gefahrenabwendung“ erforderlich sei, sondern trotz Fehlens eines „tatbestandsmäßigen Verhaltens“ eine strafrechtliche Strafe gerechtfertigt wird (Tatstrafrecht), ist sehr fraglich. Nicht in Frage gestellt wird, daß das Recht auf solche Fälle reagieren muß: polizeirechtlich reagiert es mit der Abwendung der Gefahr; die Regeln der Notwehr erlauben eine erste Reaktion auf die Gefahr; gemäß dem Prinzip der Ausdifferenzierung der Rechtsverletzungen mag ein anderer Tatbestand, in Form von Versuch oder Vollendung, zu bejahen sein, so etwa eine Bedrohung nach § 241 Abs. 1 StGB oder eine Nötigung nach § 240 StGB. Dem Verhalten nicht nur einen polizeirechtlichen, sondern einen strafrechtlichen Sinn, konkret den Sinn einer versuchten Tötung und nicht eines anderen Deliktes zuzuschreiben, mag daran liegen, daß die herkömmliche Argumentation von einem Blick auf die Intention des Täters, die Typizität des Vorgangs (strittig sind diese Fallkonstellationen und nicht die radikalen Fälle) und 102 103 104 105

LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 113. LK11-Hillenkamp, § 22, Rn. 113. Vgl. Freund, AT, § 8, Rn. 64 f. Freund, AT, § 8, Rn. 59 f. (Hervorh. von mir).

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einer nicht differenzierten Interpretation von Rechtsverletzungen und des Strafgrunds des Versuchs (diffuse Sicherheitslagen, Prävention, Erschütterung des Rechtsfrieden, etc.) geleitet ist. Die Versuchszurechnung muß auf die relevante Tätervorstellung, auf die Tatbestandlichkeit des Versuchs und auf die innerhalb des Rechts ausdifferenzierte Funktionalität des Strafrechts zurückgeführt werden. Gewiß geht es hier um Grenzbereichen, Priorität ist aber die Sicherung des Tatstrafrechts. Es geht nicht darum, das Anlegen einer Waffe oder Zielen mit einer solchen als strafbares Verhalten abzulehnen. Überprüft werden muß das Risiko im konkreten Kontext, das solches Verhalten unmittelbar hervorruft, wobei wieder soziale, nicht bloß naturalistische Maßstäbe maßgeblich sind. Feuerwaffen, auch wenn sie grundsätzlich beherrschbar sind, gelten gesellschaftlich als besonders gefährliche Vorrichtungen, und der Umgang mit ihnen wird dementsprechend gesetzlich reguliert. Es ist in diesem Sinne allgemein anerkannt, daß bei Feuerwaffen aus vielfachen Gründen ein Schuß jederzeit losgehen kann. Die Verantwortung für die Setzung eines solchen Risikos wird der Person aufgebürdet, die mit der Waffe ungehörig umgeht. Löst sich also beim Anlegen und Zielen mit einer geladenen Waffe106 ein Schuß, ist möglicherweise je nach Kontext der Tatbestand der vollendeten Tötung zu bejahen. Dabei können Anlegen und Zielen im Falle der versuchten wie der vollendeten Tötung wiederum vorsätzlich oder fahrlässig ausfallen. Dem Vorsatz eigentümlich ist, daß der Täter von einer solchen Gefahr nicht distanziert werden kann, denn beim Vorsatz geht es – wie oben dargestellt wurde – um eine gesteigerte Verantwortungszuschreibung107. In diesem Sinne wird die Zuschreibung je nach dem Kontext vorgenommen: etwa ob der Täter beim Zielen mit einer sehr präzisen Waffe diese bereits entsichert hat und schon am Hebel etwas drückt oder er sie „ungefähr“ hochhält, während er nach dem Geld fragt. Daß die Lösung dieser Fälle Schwierigkeiten aufweist, zeigt die jüngste Diskussion zwischen BGH (Betätigung des Abzugshebels notwendig) und GBA (Versuch erst mit Krümmung des Fingers am Abzugshebel) im Fall BGH NStZ 1993, S. 133. Auch der Fall zum Wehrlosmachen des Opfers wird tendenziell restriktiv behandelt. Der BGH setzt in solchen Fällen unmittelbare räumliche und zeitliche Nähe voraus, d.h. die Erfüllung der – mit Herzberg gesprochen – „Forderung des sekundennahen, wahrhaft ,unmittelbaren‘ Bevorstehens der Verwirklichung des Tatbestandes“. Deutlich wird die Lesart des BGH108 in dem Fall, in dem der Täter das Opfer „widerstandsunfähig“ machte, um nachher das Opfer im 106 Wie oben § 7 dargestellt wurde, ist dies nicht bloß eine faktische Feststellung, sondern eine normative (Zuschreibung von Kenntnissen, letztendlich von Verantwortung): Der untaugliche Versuch wird hierunter eingeschlossen. 107 Siehe oben § 7 insbesondere A. und B. IV. Siehe auch González-Rivero, Defektzustände, S. 173. 108 Vgl. BGH NJW 2002, S. 1057 ff.

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Kofferraum des Autos zum Tötungsort zu fahren: „Durch die Fesselung, Knebelung oder Betäubung seiner Ehefrau hat der Angeklagte nach seiner Vorstellung noch keine tatbestandliche Handlung i. S. der §§ 211, 212 StGB ausgeführt. Denn das LG hat nicht festgestellt, daß er es für möglich hielt und zumindest billigend in Kauf nahm, seine Ehefrau könnte bereits hierdurch zu Tode kommen. Er hat im Rahmen seines Tatplanes aber auch noch keine Handlung vorgenommen, die in unmittelbarem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der vorgestellten Tatbestandsverwirklichung stand oder in diese ohne wesentlichen Zwischenakt einmünden sollte“109. Hingegen sah das RG die zeitliche und räumliche Unmittelbarkeit in einem Fall für gegeben, in dem der Täter sein Kind töten wollte, sich aber zur Tatausführung außerstande fühlte, solange das Kind bei Bewußtsein war, so daß „er diesem deshalb eine Morphiumlösung ein(gab), um dem Kinde, sobald ihre nachhaltige betäubende Wirkung sich zeigen würde, durch Öffnen der Pulsadern das Leben zu nehmen“110. Vom zeitlichen Aspekt abgesehen, d.h. von dem Ausreichen-Lassen eines vortatbestandlichen, eine Norm noch nicht brechenden Verhaltens, trifft der BGH ebenso wie die Literatur in dieser Fallkonstellation die richtige Argumention – so zu diesem jüngsten Fall Gaede: „Ebenso wenig genügt der bereits begangene Unwert der die Selbstverteidigung hindernden Freiheitsberaubung für ein Ansetzen zum Mord: Die Ermöglichung des späteren Tatunrechts ist gerade der typische Inhalt der straflosen Vorbereitung. Dass die Vorbereitung der Tötung selbst z. B. nach § 239 StGB strafbar ist, vermag wegen der Tatbestandsbezogenheit des Versuchs keine andere Ansicht zu tragen“111. Im RG-Fall (Betäubung des Kindes) mag man mit Freund einen „Versuch eines Normbruchs“ (Versuch einer Tötung) wegen einer „hinreichenden“, nicht nur auf das bloße Vorhaben zurückführbaren Manifestation bejahen. Es liegt aber noch kein Versuch als strafrechtlicher Normbruch des Tötungstatbestandes (Versuchsverhalten als auch Tötung, scil. als dieselbe Straftat wie die Vollendung) vor. Für den Versuchsbegriff reichen nicht die (Teil-)Verwirklichung eines anderen Tatbestandes oder die Verwirklichung eines Erschwerungs-, Qualifizierungsmerkmales oder sonstigen Tatbestandmerkmales aus. Noch weniger genügen bloße Feststellungen der Auffälligkeit, Normalität oder die Usurpation angrenzender Rechte. Es geht beim Versuch um den Prozeß der Usurpation, aber unmittelbar eben derjenigen des tatbestandlichen Rechts, welches die Straftat charakterisiert, und dies bzgl. der Präsumtion, die im Tatbestand als Vollendung vertatbestandlicht ist. Der Versuch wird zu einem genuin tatbestandlichen Begriff. Denn das Recht differenziert seine Rechtsgebiete und Reaktionen, so wie seine Rechtsbegriffe 109 110 111

BGH NJW 2002, S. 1058. RGSt. 59, S. 157 f. Gaede, JuS 2002, S. 1061.

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und möglichen Rechtsverletzungen in der freiheitlichen, immer komplexer werdenden und interaktiveren Gesellschaft weiter aus und funktionalisiert sie unterschiedlich. In diesem Sinne ist nicht relevant, welches Recht der Täter gleich usurpieren will, sondern, welches Recht (subjektiv zuzuschreiben!) tatsächlich usurpiert wird. Der Bereich des vortatbestandlichen Verhaltens wird daher unter andere Rechtsverletzungen als diejenige des beabsichtigen Delikts zu subsumieren sein, seien sie im Strafrecht oder außerhalb dessen. In Bezug auf das beabsichtigte Delikt bzw. auf den beabsichtigen Normbruch mag das entsprechende Verhalten ein Ingerenzverhalten begründen, es stellt aber noch nicht eine Tat bzgl. des beabsichtigten Delikts dar. Auch Rücktritt kommt dementsprechend nicht in Betracht. Der Bereich des Rücktritts ist reduziert auf die Fälle unmittelbarer Täterschaft. Dies geschieht aber nicht zuungunsten, sondern im Endeffekt vielmehr zugunsten des Täters: Versuche von Normbrüchen werden in einem genuin verstandenen bürgerlichen Strafrecht nicht erfaßt.

§ 9 Zusammenfassung Zum 1. Kap., §§ 1–3: Bei der Auseinandersetzung mit der Versuchslehre von Feuerbach sind gemeinsame methodische Grundlagen und Problemfelder der heutigen Versuchsdogmatik grundlegend festgestellt worden. Methodisch soll nach Feuerbach in der Versuchslehre „das Moralische mit dem Rechtlichen“ nicht verwechselt werden. Die Behauptung mutet selbstverständlich an. Näher betrachtet beschreibt sie zwei mögliche Grundprämissen bzw. methodische Beobachtungen des (straf-)rechtlichen Phänomens, eben die Kantsche und die Feuerbachsche. In Anspielung auf die Kantsche Terminologie und in Anlehnung an seine Differenzierung in der Beobachtung des praktischen Handelns zwischen zwei (Zurechnungs-)Systemen bzw. zwei Grundmethoden wird eine meta-empirische von einer empirischen Beobachtung praktischen Handelns unterschieden. Beim (Versuchs-)Unrecht soll es um eine konstruktivistisch-naturalistische, nicht um eine konstruktivistisch-normative Methode gehen. Bezogen auf die konstruktivistisch-naturalistische Methode handelt es sich bei der Beobachtung des (Versuchs-)Unrechts – entgegen Kant – nicht um die Verletzung von genuiner Freiheit als normativer Freiheit oder Freiheit überhaupt, sondern um „Determinismus“ bzw. um die „Freiheit“ der sich machtvoll durchsetzenden Willkür und ihre Begrenzung zum friedlichen Zusammenleben. Der Versuch beinhaltet bei Feuerbach also nicht eine genuine Freiheitsverletzung, sondern eine Gefährdung des materialistisch festgestellten, friedlichen Gesellschaftszustands. Eine Versuchstat wird demnach also nicht normativ-freiheitlich, sondern durch Feststellungen im Inneren des Täters als eines Individuums und in ihrem äußeren als Gefährdung von – nach heutiger Terminologie – Rechtsgütern beobachtet, d.h., es handelt sich um eine naturalistische, subjektiv-objektiv bestimmte Zurechnung. Es geht nicht um die Bewahrung von Freiheit, sondern um Generalprävention als Prävention von künftiger böser Willkür gegen Rechtsgüter1. Die heutige Versuchsdogmatik geht von einem naturalistisch geprägten Personen- und Zurechnungsbegriff aus. Daß die „Kriterien“ der Versuchszurechnung nach § 22 StGB auf empirisch konstruierte Sachverhalte hinweisen, wie insbesondere das „Versuchen“ auf den empirischen Willen, die „Vorstellung von der Tat“ auf die aktuellen Kenntnisse des empirischen Täters2 und das unmittelbare Ansetzen wiederum auf psycho-physische Konstrukte (erschütterungsfähige 1

1. Kap., § 1 A. II. 1.–2.

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Eindrücke, Auffälligkeit, Normalität, Kausalität, Gefahr für Rechtsgüter, Bruch des Vertrauens auf die Weitergeltung der Norm)3 ist nicht ausgemacht und ist auf die im Laufe des 20. Jahrhunderts und bis heute vorherrschende naturalistische Methode zurückzuführen, die sowohl die Zurechnungslehre als auch die juristische Terminologie geprägt hat. Auf der anderen Seite geht es bei Feuerbach nicht um die Verwechslung der „Gründe der Sicherungspolizei mit dem Recht zur Strafe“. Gemeint ist eine Vorverlagerung der Strafbarkeit nicht aufgrund der bloßen Gefährlichkeit bzw. bloßen Scheiterns der Verhaltenssteuerung, sondern der Gefährlichkeit nach dem Gesetz, d.h., in Rede steht ein positiv-rechtliches, tatbestandsmäßiges Strafunrecht. Dabei geht es bei Feuerbach bei der Strafbarkeit im Vorfeld der Vollendung nicht nur um eine Vorverlagerung in Bezug auf den Versuchstatbestand, der nur absichtliche Rechtsgütergefährdungen erfassen soll, sondern auch in Bezug auf das Institut vom Mangel am Tatbestand, nach dem die bloße Anwesenheit eines Tatbestandsmerkmales zur Strafbarkeit reicht. Hierbei finden nicht nur untaugliche bzw. ungefährliche Handlungen, sondern auch die Wissentlichkeit, der dolus indirectus und die Fahrlässigkeit in den strafbaren Bereich Einlaß4. Der Tatbestand wird im Endeffekt zerlegbar, seine einheitliche Bedeutung gesprengt, doch werden die Erfordernisse einer weitgehenden Prävention befriedigt. Das Sprengen des Versuchsbegriffs jenseits des Tatbestandsbegriffs und die Verselbständigung der Tatbestandsmerkmale jenseits des konkreten und einheitlichen Sinngehalts charakterisieren auch die heutige Dogmatik zum Versuch. So ist heute erstens vom Versuchsbeginn nicht als tatbestandsmäßigem Verhalten, sondern von Tatbestandsnähe5 und nicht notwendig von Teilverwirklichung des Tatbestandes die Rede. Das Vortatbestandliche wird materiell-rechtlich in Form von Gefahr, Eindruck, Auffälligkeit eines noch nicht tatbestandsmäßigen Verhaltens ausgedrückt. Entgegen dem vorherrschenden Verständnis erfaßt der Versuch letztendlich nicht nur einen Normbruch, sondern auch den Versuch eines Normbruchs6. Zweitens – und vorherrschend – ist in diesem Sinne auch von der Verselbständigung des letzten Akts vor der Tatbestandshandlung7 zu einem unrechtstragenden vortatbestandlichen Versuchsakt zu sprechen.

2 1. Kap., § 1 B. II. (weiterhin zur Lehre zum Strafgrund des Versuchs § 2 A. II., B. II., ferner zur Diskussion zu § 22 StGB § 3 B. IV. 1. 3 1. Kap., § 1 B. II. (weiterhin zur Lehre zum Strafgrund des Versuchs § 2 A. I., B. IV., ferner zur Diskussion zu § 22 StGB § 3 B. IV. 2. 4 1. Kap., § 1 A. II. 3., B. I. 5 1. Kap., zur Diskussion zu § 22 StGB § 3 A. I., III. 6 1. Kap., zur Diskussion zu § 22 StGB § 3 A. III. 1. 7 1. Kap., zur Diskussion zu § 22 StGB § 3 A. I., III. 2., B. I.–III.

§ 9 Zusammenfassung

323

In Wirklichkeit ist der Tatbestand aber nicht in selbständige Merkmale zerlegbar, vielmehr bezeichnen die Merkmale in Bezogenheit aufeinander einen konkreten Kommunikationszusammenhang, eine Norm. Die übliche Auffassung des Tatbestandes, nach der das jeweilige Tatbestandsmerkmal ein trennbares Stück des ganzen Tatbestandes als des Tatgeschehens ausmacht und nach dem der Täter mehr oder weniger in einer Reihenfolge die unterschiedlichen Merkmale bis zur Vollendung verwirklichen kann, entspricht einem Norm- und Strafrechtsverständnis, bei dem Tatbestände nicht kommunikative Sinngehalte betrachten, sondern in der Natur die Basis ihrer Wirklichkeit finden8. Nach diesem grundlegenden Verständnis werden der den Imperativ der Norm mißachtende psychologische Wille, die Rechtsgüter und sonstige phänotypische Bilder bzw. Teilakte des empirischen Tatgeschehens zum Zurechnungshorizont des heutigen Teilverwirklichungsbegriffs. Dann aber genügt es auch nicht, bloß die (Teil-)Verwirklichung eines Merkmals zu verlangen. Ein Merkmal kann nicht (teil-)verwirklicht werden. Denn es besteht nur in Bezogenheit zu den anderen. Nur ein Tatbestand als Unrechtstatbestand kann (teil-)verwirklicht werden. Es genügt auch nicht eine vortatbestandliche oder bloß eine Teilverwirklichung der tatbestandlichen Handlung, wenn sie nicht im Zusammenhang mit und Abhängigkeit von den anderen Tatbestandsmerkmalen begriffen wird. Das Formelle und das Materielle, das Positiv- und das Materiell-Rechtliche müssen also zu einer Einheit und zu einem Begriff gebracht werden. Es geht nicht dualistisch um zwei sich addierende, jeweils zudem in selbständige, subjektive oder objektive Momente zerlegbare – als etwa formelle Tatbestandsmerkmale oder materielle Handlungsteile (Mittel, Objekt einerseits und Handlung andererseits) – bestehende Dimensionen9, sondern um einen konkreten, aus nicht selbständigen Momenten bestehenden Begriff vom Unrechtsversuch bzw. Versuchstatbestand. Dazu ist eine Methode nötig, die den einheitlichen Versuchsbegriff nicht dualistisch zerlegt und den einheitlichen Sinn des Versuchsunrechts aus dem Blick verliert10. § 22 StGB wird überwiegend trotz seiner Überschrift als gesetzliche „Begriffsbestimmung des Versuchs“ nicht als Versuchsbegriff, sondern nach naturalistischer Auslegung bloß als unpräzise (Klugheits11-)Regel des Versuchsbeginns verstanden12. Der Versuchstatbestand wird in einem naturalistischen Sprachsinn gelesen, seine Begriffsmerkmale auf ihre naturalistische Dimension verkürzt. So werden Teile des (normativ-freiheitlichen) Tatbestandes zu außerhalb des einheitlichen Begriffs verselbständigten Zurechnungskriterien erhoben. Wird der 8

1. Kap., zur Diskussion zu § 22 StGB § 3 A. II. Paradigmatisch die Lehre vom Mangel am Tatbestand, 1. Kap., § 2 B. III. 10 2. Kap., § 5 A., B. und passim. 11 1. Kap., § 1 A. II. 1. b), 2. 12 1. Kap., § 3 A. III., IV. 9

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Begriff zerlegt, dann befindet man sich außerhalb des Begrifflichen und damit auf einer anderen Ebene als derjenigen einer genuinen strafrechtlichen Beobachtung. Diese naturalistischen Teile der strafrechtlichen (Versuchs-)Handlung abstrahieren also vom normativ-freiheitlichen Kontext, der ihnen strafrechtlich Relevanz verleihen dürfte. Auf diese Weise begreift die heutige Dogmatik den strafrechtlichen Versuch nicht, er bleibt auf nicht verbindliche Klugheits- bzw. heuristische Regeln und letztendlich auf die „juristische Urteilskraft des Auslegers“ angewiesen. Der Versuchstatbestand bedarf nach heutigem Verständnis – unter diffusen Theorien und Formeln; stichwortartig: Eindruckstheorie, Manifestation des verbrecherischen Willens, Teilaktstheorie – der Erfordernisse naturalistischer Prävention, die – deutlich bei der heute noch herangezogenen Tätertheorie – den Tat-, den Schuldbegriff und das freiheitliche Freiheitsverständnis der Gesellschaft (darum den genuinen strafrechtlichen Zurechnungsbegriff) nicht hinreichend berücksichtigen. Ausgehend von dem vermeintlich präventiven Zweck der Strafe bedingen all die genannten Aspekte eine nach wie vor exzessive Vorverlagerung der Versuchsstrafbarkeit, die nicht in § 43 StGB a. F. oder in § 22 StGB, sondern in der seit dem 20. Jahrhundert noch in Mode stehenden naturalistischen, unkritischen Beobachtung der Versuchsstrafbarkeit seine Ursache findet Zum 1. Kap., § 4: In den letzten Jahren wird von immer mehr Autoren vornehmlich in Anlehnung an Köhler und Zaczyk die normativ-freiheitliche Dimension des Versuchsbegriffs in den Blick genommen. Eine Auseinandersetzung mit diesem Ansatz erfolgt hauptsächlich anhand einer kritischen Darstellung der Arbeit von Zaczyk, die ihrerseits einen der wichtigsten Beiträge der letzten Jahre zu diesem Aspekt in der Versuchslehre darstellt. Diese Sichtweise im Begreifen des strafrechtlichen Versuchs bemüht sich nicht nur in Anlehnung an Kant, sondern auch an Fichte und an Hegel um die Aufnahme der historischen sozialen Wirklichkeit in den genuin-normativen Freiheitsbegriff. Strafrecht soll nach Zaczyk unter Subjekten stattfinden. Die Bürger seien nicht bloß empirisch bestimmte Individuen, sondern auch zur Freiheit befähigte Personen. Es gehe nicht mehr um hypothetische Imperative bzw. um Klugheitsregeln, sondern um einen kategorischen, allgemeingültigen, freiheitlichen vernünftigen Maßstab, welcher nicht ein materialer, sondern formaler Bestimmungsgrund sein soll: „Handle so, daß die Maxime deines Handelns jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“. Freiheit erscheine aber nicht in einem einzelnen als gedankliches Prinzip im kategorischen Imperativ, sondern auch in den Anderen. Der Inhalt der Freiheit im Recht werde von allen generiert, scil. intersubjektiv. Durch das praktisch-richtige Verhalten aller werde Vertrauen auf die Anerkennung der Freiheit des Anderen hergestellt. Die Anerkennung werde erst dann „wechselseitig, unbedingt, sie wird (aus der Sicht des Auffordernden) ,kategorisch‘“ (Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 161). Freiheit wird nach Zaczyk also nicht nur subjektiv-idealistisch,

§ 9 Zusammenfassung

325

sondern auch – parallel zur Eindruckstheorie – psycho-soziologisch durch die Herstellung und Aufrechterhaltung von Vertrauen abhängig. Die Subjekte bleiben außerdem der formellen Generierung von Freiheit verhaftet, so daß die soziale Dimension des Freiheitsbegriffs über die prozedurale Generierung von formalen kategorischen Imperativen nicht hinausgelangt. Wer also beansprucht wird, und mit welchen Pflichten, kann letztendlich nur durch Unterstellung einer nicht auf Prozuderalismus zurückgehenden und trotzdem nicht zufälligen, sondern vernünftigen Zusatzannahme abgeleitet werden, nämlich durch Unterstellung der im System vorausgesetzten Größe der Vernünftigkeit sozialer Praktiken und Institutionen; gerade weil diese Zusatzannahmen diesen Bedeutungshintergrund erst schaffen, können sie nicht selbst als intersubjektiv hervorgebracht werden. Wird die soziale Größe nicht erfaßt, sondern nur vorausgesetzt, dann wird eine objektive Zurechnung ungenügend thematisiert, und die Zurechnung zum Versuch eher an den Subjekten orientiert. Die subjektive Tatseite soll nach Zaczyk nämlich die soziale Relevanz des (Versuchs-)Unrechts und die Grundlage der Zurechnung bilden. Die Sicht der Anderen spielt anhand des Kriteriums der „normalen Kontakte“ eine der Ausdruckstheorie nahestehende Rolle. Für die Zurechnung braucht der Intersubjektivismus schließlich beide Seiten, d. h., ein an sich freies und selbstbewußtes, subjektiv-idealistisch konstituiertes Individuum auf der einen Seite und – parallel zur naturalistischen Theorie vom Mangel am Tatbestand – die Existenz der Rechtsgüter (Dasein der Freiheit der Anderen) auf der anderen Seite. Für den Versuch heißt es: Der Schuß auf einen Toten, die Abtreibung einer Nicht-Schwangeren, der Schuß auf einen Baumstamm in dem Glauben, es sei irgendein Mensch, verwirkliche kein Unrecht. Bei § 22 StGB geht es nach Zaczyk beim Versuch in Übereinstimmung mit der h. M. schon um ein vortatbestandliches Verhalten, alle in der Literatur angebotenen heuristischen Formeln könnten hilfreich sein, wenn sie auch nicht die „Betätigung juristischer Urteilskraft im Einzelfall“ ersetzen könnten. Das Modell der naturalistischen Zurechnungslehre zum Versuch ist zwar in ihren Grundlagen, nicht aber praktisch weiterentwickelt worden. Zum 2. Kap. § 5: Die bisher auf der Basis des subjektiven Idealismus und des Naturalismus konstruierten Versuchstheorien erreichen die normativ-freiheitliche Dimension des Versuchsbegriffs nur unzureichend oder verfehlen sie. An dieser Stelle widmet sich die Arbeit der Aufgabe einer grundlegenden Charakterisierung des Tat-, Täter- und Strafbegriffs zum strafrechtlichen Versuch. Dafür greift sie auf den normativ-freiheitlichen Vernunftbegriff von Kant und Hegel und wegen der gesellschaftlichen Bezogenheit des Freiheitsbegriffs auf den modernen gesellschaftstheoretischen Kommunikationsbegriff zurück. Der genuin freiheilich-normative (versuchte) Tatbegriff bleibt bei den gesehenen Versuchstheorien von den von ihm unabhängig begriffenen Erfordernissen

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2. Kap.: § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs‘‘

der Natur abhängig, determiniert. Die Natur – der individuelle Willen, aktuelle (Un-)Kenntnisse im Individuum, die Gefahr für Rechtsgüter bzw. die situative Anwesenheit oder Existenz von Rechtsgutsobjekten, soziopsychologisches Vertrauen, Auffälligkeit, die Prävention von Delikten – macht bei diesen Theorien entweder das Ganze oder ein selbständiges Moment der Zurechnung zum Versuch. Oder anders ausgedrückt: Die Natur wird bei ihnen das einzige Objekt des Strafrechts oder sie bildet als selbständiges Gegenüber des Strafrechts die Grundlage der Zurechnung13. Es geht aber darum, die Welt der Natur, der Individuen, die instrumentelle Welt und die Welt von anderen außerstrafrechtlichen Systemen der Gesellschaft in den normativ-freiheitlichen Begriff des (Versuchs-)Unrechts so einzubeziehen, daß das Strafrecht seine freiheitliche Aufgabe erfüllen kann. Diese Welt der Natur wird vom Strafrecht berücksichtigt, aber sie bestimmt nicht die Zurechnung. Das Strafrecht kann nämlich seine freiheitliche Aufgabe dadurch erfüllen, daß er sein eigenes (inner-)strafrechtliches Kriterium der Zurechnung schafft. Bloße naturalistische Gegebenheiten bzw. Vorgaben der Umwelt des Strafrechts müssen den Filter des strafrechtlichen Freiheitsbegriffs passieren. Sie sind bis dahin bloße Abstraktionen strafrechtlicher Zurechnung. Das heißt, daß das Strafrecht als freiheitliches Teilsystem der Gesellschaft sich sein Objekt, sein Kriterium der Zurechnung gibt14. Das Empirische bzw. die Klugheitsregeln, die Prävention, sind, isoliert genommen, eine Abstraktion des Objekts des Strafrechts, der strafrechtlichen Zurechnung, und erreichen noch nicht die freiheitliche Sphäre des Strafrechts. Insoweit ist von einer Trennung des Strafrechtssystems von anderen Teilsystemen der Gesellschaft und von anderen außergesellschaftlichen Systemen zu sprechen. Der Versuchsbegriff eines freiheitlichen (Bürger-)Strafrechts ist von eventuellen Versuchsbegriffen eines noch nicht freiheitlich begriffenen Strafrechts und anderer sanktionierenden Systemen (etwa eines Feindstrafrechts) zu unterscheiden. Das heißt konkreter, daß die naturalistisch beobachtete Realität zum Tatzeitpunkt (der individuelle Wille, Rechtsgüter, etwa ob ein Mensch da ist oder nicht) sowie naturalistisch konstruierte Kriterien der „Zurechnung“ (Eindruck, Gefährdung von Rechtsgütern, der individuelle Wille des Täters, aktuelle innerpsychische Kenntnisse, Auffälligkeit, etc.) Abstraktionen des eigentlichen Kriteriums des Strafrechts sind15: Freiheitsverletzung als zugeschriebene Umschichtung vom fremden Eigentum im weitesten Sinn bzw. als Bruch nicht eines Anerkennungsverhältnisses zwischen Subjekten, sondern eines über die Anerkennung zur Norm objektiv vermittelten Anerkennungsverhältnisses zwischen Personen16. 13 14 15

2. Kap., § 5 B. I. 2. Kap., § 5 A., B. II., C., D. IV. 2. Kap., § 5 B. (insbesondere I. 1., I. 2. a) und II. 3.).

§ 9 Zusammenfassung

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Der Täterbegriff wird dementsprechend nicht bloß naturalistisch als psychophysische Einheit aber auch nicht abstrakt verstanden: die Welt der Natur wird in den Täterbegriff einbegriffen, vom Strafrechtssystem nach seinen Ordnungsinteressen und Erkenntnisprinzipien berücksichtigt und (re-)formuliert, und sodann von der Natur nicht direkt bestimmt. Es interessiert also der genuine strafrechtliche Täterbegriff. Insoweit ist von einer Trennung des Täterbegriffs vom Subjektsbegriff und vom Individuum auszugehen17. Schließlich ist der Strafbegriff nicht abstrakt in seiner Einwirkung auf naturalistische Sachverhalte, etwa auf Bewußtsein oder auf die Rechtsgüterwelt (Prävention bzw. Rechtsgüterschutz) zu formulieren. Er ist auch nicht als Wiederherstellung einer abstrakten Norm zu verstehen, sondern als Bestätigung der Geltung einer konkreten Norm eben für die konkrete Tatsituation bzw. das ZurGeltung-Bringen des strafrechtlichen Freiheitsbegriffs für die konkrete Tatsituation18. Zum 2. Kap., § 6: Hier wird die Frage zum „Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung“ gemäß § 22 StGB behandelt. Auf dieser Ebene handelt es sich noch um einen strafrechtlich-abstrakten Versuchs- und Täterbegriff insofern, als die Schuldfrage der Zurechnungsfähigkeit des Täters, insbesondere die Normkenntnis (Tatbestandskenntnis eingeschlossen), erst in § 7 der Arbeit thematisiert wird. I. Das Strafrechtssystem als reale Freiheit gewährleistendes Teilsystem der Gesellschaft stellt sich als ein sozial-funktionales System dar, das zur freiheitlichen Erfüllung seiner Vorgabe sich seinen (personal-kommunikativen) Gegenstand gibt. Nach diesem Prinzip erklärt es die Rechtspersonen für bestimmte Aufgaben für zuständig. Dieses „Zuständig-Machen“ ist also eine innersystematische Definition des Strafrechts als soziales Teilsystem, so daß es eine geschichtliche Konstruktion ist, die vom Selbstverständnis der konkreten Gesellschaft abhängt. Die Strafrechtsperson, als Garant von Freiheit wird als Inhaber von Pflichten definiert. Zur Erfüllung ihrer Pflichten und zu ihrer Selbstbestimmung in diesem Rahmen bekommt sie Rechte bzw. Organisationsmittel, etwa Freiheit zur Nutzung von Fähigkeiten, Sachen, Wissen, Vermögen, Entscheidungsfreiheit usf. Dieses Eigentum im weiten Sinne machen Zuordnungen bzw. Begriffe aus. Es geht also nicht um Rechtsgüter, sondern um Rechte, sowie bei der Tat nicht um Rechtsgüterverletzungen bzw. -gefährdungen, sondern um

16 17 18

2. Kap., § 5 B. I., B. II. 1., D. II. (näher entwickelt in § 6 B. C.). 2. Kap., § 5 B. I. 2. b), B. II. 1., D. I. 2. Kap., § 5 D. III.

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2. Kap.: § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs‘‘

Rechtsverletzungen nach der konkreten personal-kommunikativen Wirklichkeit des Strafrechtssystems19. Es geht beim dem Delikt durch die Verletzung von aus der Norm hergeleiteten Pflichten nicht nur primär um den Bruch des Anerkennungsverhältnisses zur Norm, sondern auch um den Bruch eines darüber vermittelten Anerkennungsverhältnisses unter Personen: Das Recht bzw. das Eigentum i. w. S. einer Person wird nicht respektiert. Hierbei ist die überhaupt bestehende oder situative Existenz von Rechtsgütern nicht notwendig, solange diese Anwesenheit zugeschrieben werden kann. Genauer: Vorliegen muß ein Kommunikationszusammenhang, d.h., daß die Norm für die Tatsituation gilt, so daß die Erbringung einer interpersonalen Leistung als zugeschriebene Aufgabe geboten ist. Untaugliche Versuche sind also strafbar20. Recht bzw. Eigentum im weiten Sinne ist auf diese Weise ein von der geschichtlichen Identität einer Gesellschaft bzw. von ihrem Selbstverständnis abhängiger Begriff. Eigentum gilt allgemein ausgedrückt als reservierter Organisationskreis von Mitteln, welche die Person unabhängig von ihrem aktuellen Bedarf konstituieren. Eine ausdifferenzierte, anonymisierte, pluralistische Gesellschaft findet keinen gemeinsamen Maßstab, nach dem der private Bedarf von Organisationsakten des Eigentümers zum rechtlich relevanten Bedarf und so die betroffenen Mittel zur Aktualisierung seines Eigentums erhoben werden könnten. Eine Person kann also eine „unvernünftige“ Welt schaffen, solange sie das Eigenum einer anderen Person nicht tangiert. Dies bedeutet für das potentielle Opfer einen weiten Begriff seiner Freiheit, denn keiner hat ein Recht, die Organisation des anderen auf ihre „Vernünftigkeit“ hin zu überprüfen. Das gleiche gilt für den Täter, denn Binnenorgansation ist eine Angelegenheit der konstituierten Person und geht die anderen nichts an, solange nur der Titel stimmt21. Die Rechts- bzw. Freiheitsverletzung ist prinzipiell dann vollendet, wenn die (Straf-)Rechtsperson am potentiellen Einsatz ihrer zugeschriebenen Organisationsmittel (bzw. institutionellen Leistungen) als komplett gehindert gilt. Das geschieht konkret wenn die Umschichtung des Eigentums bzw. die kommunikativ-relevante Hinderung sonstiger Institutionen stattgefunden hat, wobei die Feststellung danach erfolgt, daß nach dem Selbstverständnis der heutigen Gesellschaft, d.h. nach dem in der strafrechtlichen Kommunikation gültigen Personenverständnis eine konkret individualisierte Formierung der Welt von der Person als definitiv gehindert verstanden werden kann. Diese präsumptio iuris et de iure kann in einigen Fallkonstellationen unmittelbar beim Eingriff in die Organisationsmittel festgestellt werden (etwa bei Körperverletzung, Totschlag, aus 19 20 21

2. Kap., § 6 A., B. 2, Kap., § 6 C. III. 2. [weiterhin § 7 B. III. 2. d)]. 2. Kap., § 6 C. I.

§ 9 Zusammenfassung

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verständlichen Gründen)22. Teilweise verlangt das Gesetz, um diese präsumptio aufzustellen, und je nach der Konfiguration der Kommunikation zusätzliche Weiterungen (Rückverlagerungen), etwa daß das Opfer wegen der Umschichtung seiner Organisationsmittel eine von ihm tatsächlich vorgenommene Formierung der Welt einbüßt (so wird etwa bei der Nötigung in § 240 StGB das abgenötigte Verhalten verlangt)23. Zum Teil verlangt das Gesetz eine geringere Konkretisierung als die tatsächliche Umschichtung von Organisationsmitteln, so etwa bei konkreten Gefährdungsdelikten, eine noch geringere bei abstrakten Gefährdungsdelikten (Vorverlagerungen)24. Die Stellung des naturalistisch beobachteten Erfolgs als Rechtsgutsverletzung bzw. Gefährdung im Strafrecht ist darauf angewiesen, daß sie in Kommunikationszusammenhänge bzw. in den jeweiligen Freiheitsbegriff integriert bzw. einbegriffen wird. Denn, wie schon erklärt wurde, gibt sich das Strafrecht seine Gegenstände und so auch seine „Vollendungsgegenstände“ als komplette Rechtsverletzung. Der äußerliche Erfolg, so er Bestandteil des Begriffs der Vollendung ist, ist nicht wegen seines Rechtsguts(objekt)charakters oder seiner beeindruckendsten Sinnfälligkeit relevant, sondern ist wegen seiner normativfreiheitlichen Bedeutung als Verkörperung des Bruchs einer (positiven25 oder negativen26) Institution27 strafrechtlich von Belang. II. Ist der Versuch schon ein Normbruch und nicht der Versuch eines Normbruchs, geht es beim Versuch nicht um den Versuch einer Eigentumsumschichtung, sondern bereits um eine Eigentumsumschichtung. Der Täter behauptet strafrechtlich vor der Gesellschaft nichts dadurch, daß er etwas an sich Sozialverwerfliches vorhatte, anfangen wollte oder dazu ansetzte, denn im Strafrecht wird dies nur dann zur Kommunikation, wenn der Täter es durch Usurpation fremder Rechte behauptet, also eine Gesellschaft anderer Struktur nicht nur postuliert, sondern es auch unternimmt (Tatstrafrecht). Eine Tat, d.h. die Usurpation fremder Rechte, gilt als Versuchsunrecht – und zwar auch schon beim Versuchsbeginn –, weil sie begonnen wird, spezifisch weil der Organisationsbereich des Opfers (Orientierung, Sacheigentum, Vermögen, Entscheidungsfreiheit, etc.) durch das Ausführungsverhalten bereits umgeschichtet wird, wenn auch die Umschichtung noch nicht komplett abgeschlossen ist, und das bedeutet: Sie 22 23 24 25 26 27

2. 2. 2. 2. 2. 2.

Kap., Kap., Kap., Kap., Kap., Kap.,

§ § § § § §

6 6 6 6 6 6

C. II. 1. C. II. 2. a). C. II. 2. b). B. II. 2. B. II. 1. C. II. 2. c).

330

2. Kap.: § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs‘‘

findet in der Gegenwart der Straftat statt, was wiederum heißt: innerhalb des Tatzeitpunkts bzw. zum noch nicht abgeschlossenen Tatzeitpunkt28. III. Da der Versuch kein Ansetzen zu einem Normbruch ist, kann in § 22 StGB nicht ein Ansetzen zum Gesamtunrechtstatbestand eines Normbruchs gemeint sein. Geht es beim Ansetzen um eine Vorverlagerung der Strafbarkeit, kann sie das nicht bzgl. des Tatbestandes als bzgl. der Norm, sondern nur bzgl. der jeweiligen BT-Tatbestände in ihrer Dimension als Vollendungstatbestände sein. Nach dieser Perspektive werden BT-Tatbestände also nicht in ihrer primären Bedeutung als Ordnung der Welt in unserer Gesellschaft, sondern als (interpersonale) Vollendungstatbestände interpretiert. Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung nach § 22 StGB ist also als Ansetzen zur Verwirklichung der Vollendungstatbestände zu verstehen – in diesem interpersonalen Sinne ist auch im Gesetz der Ausdruck in § 22 StGB „eine Straftat versucht“ zu lesen; „Straftat“ wird nämlich auf die BT-Tatbestände bzw. BT-Straftaten bezogen, ohne deswegen den Versuch als Straftat auszuschließen. Das heißt, das Gesetz drückt die Begrifflichkeit des Versuchs anhand seines technischen Aufbaus aus. „Tatbestandsverwirklichung“ in § 22 StGB meint nicht das gesamt Tatbestandliche, nur den BT-Vollendungstatbestand. Der Versuch bleibt Straftat, denn er wird gesetzes-technisch über § 22 StGB als solche gesetzt. Er ist nicht eine andere Straftat, sondern dieselbe Straftat wie die Vollendung, genauer: Er ist der erweiterte BT-Vollendungstatbestand, denn die Norm bleibt dieselbe Norm, etwa „nicht zu töten“. Der Versuch ist ein das Unrecht teilverwirklichendes, tatbestandsmäßiges – beim Versuchsbeginn also nicht bloß tatbestandsnahes – Verhalten29, der gemäß der Überschrift zu § 22 StGB den Versuchsbegriff und dementsprechend jede Form von Versuch – nicht nur den Versuchsbeginn – umfaßt. Positiv-rechtlich geht es um die Erfüllung aller Tatbestandsmerkmale, denn es gibt keinen Normbruch ohne Erfüllung aller Voraussetzungen der Rechtsverletzung. Das Verhalten muß nicht bloß tatbestandsindizierend, sondern tatbestandlich sein. Ist § 22 StGB nicht das Ansetzen zu einem Normbruch bzw. nicht das unmittelbare Ansetzen zu einem unerlaubten Risiko, dann geht es beim Versuch eben als Ansetzen zu einem BT-Vollendungstatbestand materiell-rechtlich um das Setzen eines unerlaubten Risikos. Die Eigentumsumschichtung bzw. das unerlaubte Risiko, nicht das Ansetzen zur Eigentumsumschichtung bzw. zum unerlaubten Risiko konstituiert einen Versuch. Das unerlaubte Risiko beim Versuch ist also nicht als tatbestandsnahes Verhalten bzw. als Regel zur Bestrafung von 28 29

2. Kap., § 6 C. III. 1. 2. Kap., § 6 D. I.

§ 9 Zusammenfassung

331

Bereichen vor dem Unrechtstatbestand, sondern als tatbestandsspezifisches, innertatbestandliches, tatbestandsmäßiges und so teilverwirklichendes Verhalten zu begreifen. Es geht beim Versuch um das Begreifen der Verursachungshandlung des BTTatbestands nicht in seiner kausalen bzw. naturalistischen Dimension, sondern in seiner freiheitlich-normativen Dimension als Prozeß der hier ausschnittshaft gemeinten Eigentumsumschichtung nach seinem tatbestandlich-kommunikativen Sinn zu erfassen. Es geht also um die Bindung des Begriffs des unerlaubten Risikos an den konkreten Tatbestand und das dort thematisierte Eigentumsrecht und dadurch die Bindung des Begriffs des unerlaubten Risikos an das konkret freiheitliche und kommunikative Verständnis der konkreten Norm. Zum 2. Kap., § 7: Das Begriffsmerkmal der Tätervorstellung spezifiziert die Bezogenheit des bisher abgehandelten Versuchsbegriffs als abstraktes Sollen auf die Einsicht des Täters in die tatbestandliche Bedeutung des kommunikativen Kontexts, dessen Bestandteil der Täter zum Tatzeitpunkt ist. Es geht um das schuldhafte, nicht bloß abstrakte Versuchsunrecht, letztendlich um Schuld als konkrete Pflichtverletzung. Hier wird die Notwendigkeit ersichtlich, daß es maßgeblich ist, sich über das abstrakte Sollen – hier als abstraktes Versuchsunrecht – zunächst Klarheit zu verschaffen, denn hiernach sind die strafrechtlich relevanten Tätervorstellungen zu konstituieren. Vorstellungen, die nicht zum tatbestandsmäßigen Verhalten gehören, also vor- oder überhaupt außertatbestandliches Verhalten, sind irrelevante Vorstellungen, sie machen – wenn man es so ausdrücken will – Sonderwissen aus.

I. Dem Täter nicht planvoll kalkulierbare, unzugängliche Geschehnisse scheiden aus dem Versuchsunrecht aus. Der Versuchs- und überhaupt Unrechtsbegriff hat nur motivierbares Verhalten zum Gegenstand. Das Strafrecht legt nach seinen Erkenntnisprinzipien und Ordnungsinteressen fest, was dem Täter planvoll kalkulierbar, zugänglich, motivierbar (zuzurechnen) ist. Es geht demnach letztendlich nicht um Kenntnis eines Individuums, sondern um eine normative Konstruktion nach objektiver Zurechnung bzw. nach wirklichkeitsstiftender ErKenntnis des freiheitlichen Strafrechtssystems. Das Strafrecht definiert im Endeffekt nicht Handlungsgestalten („Niederstechen“), sondern (straf-)rechtswidrige Motivation (also auch das „Unter-einen-rasenden-Lkw-schieben“ als „Tötung“). Es erfolgt eine entsinnlichte, personbezogene Konkretisierung des strafrechtlichen Schadens nach personal-kommunikativen Sinnäußerungen. Zunächst ist die Frage zu beantworten, wer der Täter ist, der ex-ante normgemäß planen soll, d.h., wie Schuldzurechnung zu konstruieren ist. Die Versuchsdogmatik bewegt sich zwischen Personalität und Individualität bei der Feststel-

332

2. Kap.: § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs‘‘

lung des Täterbegriffs. Der heutigen Strafrechtsdogmatik ist eine Konstruktion des Täters nach seiner Rolle, Person zu sein, geläufig, d.h., eine Täterkonstruktion danach, daß die strafrechtlich festgelegten Aufgaben, scil. die Soll-Beschaffenheit des Täter, im Täterbegriff aktuell berücksichtigt werden. Was das Unrecht betrifft, arbeitet man bei der Fahrlässigkeit und bei der Feststellung des unerlaubten Risikos beim Vorsatzdelikt häufig mit einer Maßstabsperson. Ebenso werden der unterlassende und der mittelbare Täter mit Hilfe des Garantenbegriffs bestimmt. Ebenso geht es nach geläufiger Auffassung im Schuldbegriff nicht um die individuelle Motivation oder das Können des Täters, sondern um das Können einer Durchschnittsperson, so daß der eigentliche Schuldvorwurf damit begründet wird, daß der Täter die Erwartungen enttäuscht, die das Recht gegenüber den Normalbürger hegt. Entsprechendes ist in §§ 17, 33, 35 StGB festzustellen (es geht nicht um Unkenntnis, Furcht oder Angst im Individuum, sondern in einem Normalbürger nach den Kriterien der Zuständigkeit). Die Dogmatik arbeitet also mit einem Tatbegriff, wonach der Täter nach einem Bewertungsschema, also normativ, eigentlich in seiner Rolle als gesellschaftlich vermittelte Person (Normalbürger) genommen wird. Nicht Feststellungen im oder vom Individuum geben den Ausschlag, sondern objektive Feststellungen anhand des jeweiligen Personbegriffs (Durchschnitts-, Maßstabsperson, etc.). Dies wird aber nicht kohärent durchgeführt und zusammen mit der „Person“ und der objektiven Erkennbarkeit und den Rechtsverletzungen wird auch das „Individuum“ mit seinem „realen“ Vorsatz und den dadurch geschaffenen Rechtsgutsverletzungen bzw- gefährdungen berücksichtigt30. In der Versuchsdogmatik spiegelt sich dieser Dualismus vorherrschend in dualistischen Theorien zum Strafgrund des Versuchs (Schmidhäusers dualistische Theorie, Tätertheorie, Eindruckstheorie, Roxins neue „dualistische Konzeption“, etc.) wieder. Bei den Befürwortern objektiv-normativer Maßstabskriterien wird die Risikoschaffung anhand einer objektiv-nachträglichen Prognose festgestellt. Dabei wird schon Personales und Individuelles addiert bzw. vermengt, denn Sonderwissen werden zu der Einsicht des Beobachters“ auch berücksichtigt. Dazu zählen nicht nur die Kenntnisse, die zum Tatzeitpunkt zuzuschreiben sind, sondern auch diejenigen, die individuell vor der Tat aktuell waren. Die Eindruckstheorie arbeitet zusätzlich mit einer anderen objektiven Maßstabsfigur, nach welcher der Richter als deren Verkörperung nicht rechtsgutsorientiert nach dem Kopf eines Mustermannes, sondern nach den Köpfen aller Bürger aufgrund eines Vertrauens- und Sicherheitsgrundsatzes beurteilt. Dieses Nebeneinanderstellen von Maßstäben wird durch den subjektivistischen Begründungsteil der vorherrschenden Vereinigungstheorien noch verschärft. Nach dem subjektiven, auf die Betätigung des individuellen Täterwillens abstel-

30

Zu Sonderfähigkeiten siehe 2. Kap., § 7 B. III. 1. b).

§ 9 Zusammenfassung

333

lenden Strafgrund des Versuchs wird nämlich nicht auf eine objektive Maßstabsperson, sondern auf den Täter als Individuum abgestellt. Individuelles und Personales betreffen zwar getrennte Welten, aber sie sind nicht, wie in der aktuellen Versuchsdogmatik, dualistisch, addierend, abwägend und vermengend zu berücksichtigen. Der Täter wird als Person nach den Vorgaben und Wirklichkeit des Strafrechts konstruiert. Die individuelle Wirklichkeit, die empirische Ist-Beschaffenheit des Täters, geht nicht unmittelbar in den Begriff des Strafrechts ein, sie wird re-konstruiert, so daß es nicht um eine abstrakte Person – wie auch nicht um ein abstraktes Sollen – geht, sondern um eine konkrete Person. Nicht das Empirische soll für Normatives geöffnet werden, sondern umgekehrt, die Normativität des Strafrechts berücksichtigt, „öffnet“ sich für an sie gekoppelte Wirklichkeiten. Dafür sind die Fähigkeiten des Täters nach seiner Rolle als freie bzw. als nach der Norm hinreichend motivierte Person (Maßstab der Subjektivität) zu berücksichtigen. Die Tätervorstellung wird also nicht bloß zu einer Feststellung im innerpsychischen Bereich des Täters – Kenntnis, Plan, vorgestellte Realität –, sondern in der konkreten Person des Täters und so als „subjektiv“ zugeschriebene Lagebeurteilung festgestellt (objektive Zurechnung bzw. Er-Kenntnis des Strafrechts vs. Kenntnis der Natur). Beim Versuchsbegriff ist also vom Willensbegriff auszugehen. Dem Willen wird seine Tat zugeschrieben. Nur ist der Willensbegriff nach dem Täterbegriff zu bestimmen, scil. eine normativ-freiheitliche Konstruktion, die nichts mit dem individuellen Willen zu tun hat, aber Individuelles und sonstiges Gesellschaftliches in und nach seinem Begriff berücksichtigt31. II. Ist es nach der Vorgabe des Strafrechts, die Geltung seiner Freiheitsnormen zu gewährleisten, und nach der Rolle des Täters und dem konkreten normativen Kontext geboten, Kenntnis zuzuschreiben, dann ist grundsätzlich Vorsatz zuzuschreiben, wenn nicht aus nachvollziehbaren Gründen der Täter teilweise vom Normbruch distanziert werden kann (Fahrlässigkeit). Das ist das Prinzip. § 16 StGB im Gegensatz zu § 17 StGB vereinfacht diesen Vorgang mit Hilfe einer faktischen Feststellung: Sind zuzuschreibende Kenntnisse als zuzuschreibende mangelnde Rechtstreue im Täterbewußtsein feststellbar, liegt Vorsatz vor, sind sie es nicht, liegt Fahrlässigkeit vor. § 16 und § 22 StGB dürfen aber nicht umgekehrt mißverstanden werden, denn aktuelle Bewußtseinsinhalte im Täter – Kenntnisse, Vorstellungen, Pläne, Absichten, Entschlüsse – vermögen einen tatbestandlich relevanten Kontext nicht zu schaffen. Konsequenterweise sind vortatbestandliche oder außertatbestandliche Tätervorstellungen unmaßgeblich32. 31 32

2. Kap., § 7 A. 2. Kap., § 7 B. I., II. 1.

334

2. Kap.: § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs‘‘

Was vortatbestandliches Verhalten angeht, vermögen Sachverhalte im Bewußtsein des Täters jenseits des Vorsatz- (bzw. des Fahrlässigkeits-)Begriffs keinen Kommunikationszusammenhang zu schaffen, sondern nur die tatbestandliche, noch nicht vollendete Usurpation von Rechten. Entschlüsse, Pläne, individueller Sinn, Vorhaben des Täters gehören nicht zum Versuchsbegriff33. Ebenso wie beim Versuch der Beteiligung, d.h., bei der Bestrafung der Schaffung eines verbrecherischen Kollektivs vor einer teilverwirklichenden tatbestandlichen Ausführung ein – rechtsstaatlich fraglicher – besonderer Tatbestand notwendig ist (§ 30 StGB), so bedürfe der Versuch des Alleintäters eines besonderen Tatbestandes, um ein Verhalten vor der Teilverwirklichung zu pönalisieren34. Was sonstige außertatbestandliche Tätervorstellungen angeht, gibt es nur kommunikativ oder nicht kommunikativ relevante Versuche. Der Person werden nur rationale Lagebeurteilungen und Prognosen zugeschrieben, denn es geht nicht um individuell (gemeinte) Planung, sondern um den kommunikativ-relevanten Teil der Organisation des Täters. In einem rationalen, Vernünftigkeit beanspruchenden, normativ-freiheitlichen Strafrecht ist das rein Subjektive nicht ein Ereignis im Strafrecht als in einem freiheitlich-vernünftigen Teilsystem der Gesellschaft. Irreale bzw. abergläubische Versuche sind reine Ereignisse im Bewußtsein, sie begründen keine strafrechtliche Zurechnung. Kommunikativ unbegründete Lagebeurteilungen und Prognosen scheiden aus dem strafrechtlichen Versuchsbegriff aus (etwa das Servieren einer Suppe in dem Glauben, sie sei vergiftet, weil der schon einmal vorbestrafte Koch komisch geschaut hat)35. Naturalistisch untaugliche, (grob) unverständige Versuche müssen auf kommunikativer Ebene „tauglich“, „verständig“ sein. Beim strafbaren untauglichen Versuch geht es auch um den Bruch interpersonaler Anerkennungsverhältnisse: Gilt eine Norm in einem Kontext, kommt es jedoch bei unerlaubt riskantem Verhalten zu keiner Vollendung, war das Verhalten „tauglich“, solange die Norm im konkreten Kontext gegolten – metaphorisch ausgedrückt: „anwesend“ – war, auch wenn keine angegriffene Person (Opfer) bzw. kein (Rechtsguts-) Objekt oder taugliches Mittel überhaupt oder situativ anwesend war, scil. von einem Bruch interpersonalen Anerkennungsverhältnisses als Beziehung zu einem situativ oder überhaupt anwesenden Rechtsguts(objekt) nicht die Rede war. Interpersonalität muß nur auf kommunikativer Ebene bestehen, d.h., nach der Norm soll eine interpersonale Leistung, als negative oder positive Pflicht, zu gewährleisten sein36. Beim grob unverständigen Versuch muß das grob Unverständige nur abstrakt, nicht aber kommunikativ vorliegen. Das Versuchsverhalten muß trotz der indivi33 34 35 36

2. 2. 2. 2.

Kap., Kap., Kap., Kap.,

§ § § §

7 7 7 7

B. B. B. B.

II. II. II. II.

1. 2. 2. a)–c). 2. d).

§ 9 Zusammenfassung

335

duellen groben Unverständigkeit kommunikativ als Sinnausdruck eines Vernünftigen zu nehmen sein, d.h., es muß „anschlußfähig“ sein, d.h., wenn nach der Fallgestaltung und dem gesellschaftlichen Zusammenhang das Versuchsverhalten trotzdem noch nachvollziehbar – vernünftig, anschlußfähig – auf andere Personen bzw. auf den gesellschaftlichen Kontext zurückführbar zu verstehen sein kann. Auch wenn solche Fallkonstellationen konstruierbar sind, was die Existenz von § 23 Abs. 3 StGB letztendlich rechtfertigen würde, ist die praktische Verwertbarkeit dieser Norm trotzdem gering, wie anhand der kaum existierenden Rechtsprechung zu diesem Fall feststellbar wird. Das mag nicht nur an der Einstellungsmöglichkeit des § 13 StPO liegen, sondern daran, daß solche Fälle einer Randzone des (Un-)Erlaubten angehören, die – wie in der Auseinandersetzung der Dogmatik festzustellen ist – mehr Richtung Bewußtsein und weniger Richtung strafrechtlich-freiheitliche Kommunikation läuft37. III. Der fahrlässige Versuch wird ausdrücklich im § 315c Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe f, 2. Fallgruppe StGB unter Strafe gestellt. Die Versuchsstrafbarkeit des Fahrlässigkeitsteils bei Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen und die ausschnitthafte Typisierung fahrlässiger Versuche als fahrlässige Gefährdungen zeigen also, daß das Gesetz die Möglichkeit und die Tatsache des fahrlässigen Versuchs kennt. Gibt es gesetzliche fahrlässige Versuche, dann müssen sie der Begriffsbestimmung des Versuchs § 22 StGB entsprechen (i. V. m. § 23 Abs. 1 StGB). Zu dieser Erweiterung könnte man erstens vertreten, daß § 22 StGB, wie sonst das StGB, für Vorsatztaten formuliert ist, aber nach § 15 StGB auf den fahrlässigen Versuch zu erweitern wäre. Abgesehen davon gibt es fundamentalere Gründe. Das Strafrecht schreibt nämlich „subjektiv“ nach einem objektiven Maßstab (Rechtstreue) der konkreten Person des Täters bestimmte Kenntnisse und Vorstellungen als Vorsatz oder als Fahrlässigkeit zu (Norm- und Tatbestandskenntnis). Es geht also stets nicht um die Kenntnis oder Unkenntnis im Täter als in seinem Kopf, sondern in der konkreten Person des Täters als Feststellung eines Mangels an Rechtstreue zum Tatzeitpunkt nach Kriterien objektiver Zurechnung. Der konkreten Person des Täters wird immer eine konkrete (Täter-)Vorstellung zugeschrieben, ob diese als Vorsatz oder Fahrlässigkeit zu bestimmen ist, ist nach dem Gesetz (§§ 15, 16 StGB) und nach der objektiven (Schuld-)Zurechnung zu konkretisieren38. Zum 2. Kap., § 8: Die Frage der Unmittelbarkeit bei der Konkretisierung des schuldhaften Versuchsunrechts ist positiv- und materiell-rechtlich zu beantworten. Positiv-rechtlich müssen alle Tatbestandsmerkmale der jeweiligen Norm 37 38

2. Kap., § 7 B. III. e). 2. Kap., § 7 B. IV.

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2. Kap.: § 22 StGB als „Begriffsbestimmung des Versuchs‘‘

beim Versuch perfekt vorliegen. Durch § 22 StGB wird das Erfolgsmerkmal beim Versuch zu einem Unmittelbarkeitsmerkmal, sonstige Tatbestandsmerkmale liegen auch vor. Materiell-rechtlich geht es um die Umschichtung eines tatbestandlich ausdifferenzierten Rechts. Eine Vollendung, die momentan bloß mittelbar bevorsteht, d.h., durch tatsächliche Usurpation oder Beeinträchtigung anderer Rechte bzw. Enttäuschung anderer Erwartungen begangen wird, begründet noch keinen Versuch, solange das tatbestandliche Recht nicht selbst usurpiert wird: Eine Umschichtung bloß angrenzender – strafrechtlichen oder sonst anderen Rechtsbereichen angehörender – Rechte oder bloße angrenzende Organisationsanmaßungen vermögen den Versuchszusammenhang, scil. die unmittelbare Vollendungsbezogenheit des Versuchs, noch nicht zu erklären. Es geht nicht bloß um gesellschaftliche Bedeutung, sondern um strafrechtliche Kommunikation. Das Verhalten muß also nicht bloß unerlaubt riskant sein, sondern strafrechtlich ein unerlaubtes Versuchsrisiko ausmachen. Allgemein-abstrakt ausgedrückt: Ein Tun oder Unterlassen wird zu einem unerlaubten Versuchsrisiko, wenn es von einer Art ist, daß es für sich gesehen jederzeit zur Vollendung führen kann. Das heißt: Isoliert man ein Tun oder Unterlassen nach seiner interpersonalen Risikoart und fragt man sich, ob es – wäre es bei der konkreten Art des Tuns oder Unterlassens (des „äußerlichen“ Risikos) weiter geblieben – schon zum Erfolgseintritt hätte führen können, dann ist ein Versuch zu bejahen39. Dieses Kriterium bedarf tatbestandsspezifischer Konkretisierung. Eine solche Feststellung der Unmittelbarkeit wird bei Tatbeständen problematisch, die sensible Freiheitsbereiche betreffen (insbesondere bei Tötungs- und Diebstahlstatbeständen, aber auch etwa bei sexuellem Mißbrauch von Minderjährigen). Soll bei Eigentum, Leben oder sonstwo stärker reagiert werden, weil das der Gestalt der Gesellschaft entspricht, sollen Vorverlagerungen der Strafbarkeit typisiert werden, nicht aber der Versuchsbegriff gesprengt werden. Das Problem stellt sich konkret etwa bei Verhaltensweisen, die typischerweise einem deliktischen Verhalten entsprechen (etwa Herausholen einer Winde vor einem Fenstergitter), ebenso bei Verhaltensweisen, die schon Erschwerungs- oder Qualifizierungsmerkmalen entsprechen und so Regelbeispiele bzw. besondere Fälle einer kommenden Tatbegehung darstellen und insbesondere bei der Erfüllung eines schon deliktischen Verhaltens, etwa Freiheitsberaubung (zum Morden), Entzug von Minderjährigen (zur sexuellen Nötigung), Bedrohung oder Nötigung (als erster Schritt einer Tötung), Hausfriedensbruch (zum Töten, Vergewaltigen, Stehlen), Sachbeschädigung (als Mittel zum Diebstahl), Körperverletzung (als Wehrlosmachen zum Töten)40. Hier ist kommunikativ schon etwas geschehen, etwa ein strafrechtliches, polizeirechtliches oder schlicht sozialinadäquates Verhalten. Möglich ist ein Vorgehen, nach dem der Täter nach dem 39 40

2. Kap., § 8 A. 2. Kap., § 8, B. II.–V.

§ 9 Zusammenfassung

337

Sinn des kommenden Verhaltens gefragt wird, um das gesamte Verhalten zu charakterisieren. In solchen Fällen liegt aber nicht ohne weiteres eine tatbestandliche Straftat vor, will man trotzdem irrtümlich aus undifferenzierten kommunikativen Gründen das Verhalten wie einen Versuch behandeln. Ein strafrechtlicher Versuch setzt aber die Feststellung einer tatbestandlichen Rechtsusurpation voraus, sonst ist der Versuchsbegriff bloß etwa ein öffentlichrechtlicher oder ein pauschal gesellschaftlicher, nicht ein strafrechtlicher. Aus diesen Gründen wird in dieser Arbeit vorgeschlagen, den genuinen strafrechtlichen Versuchsbegriff bzw. genuine Versuchsfälle von denjenigen Verhaltensweisen abzugrenzen, die auch aus sonstigen kommunikativen Gründen wie strafrechtliche Versuche von Literatur und Rechtsprechung behandelt werden. Daß solches Versuchsverhalten wie ein strafrechtlicher (d.h., dem strafrechtlichen Versuchsbegriff entsprechender) Versuch behandelt wird, mag darin liegen, daß der irgendwie (etwa pauschal oder allgemein oder sonstwie nicht innerstrafrechtlich) begriffene Gehalt der Kommunikation an der Grenze der strafrechtlichen Kommunikation eine starke Präsenz hat. Diese Verhaltensweisen erfüllen aber nicht den strafrechtlichen Versuchsbegriff. Solche Grenzen – speziell bei bestimmten Delikten – bestimmen wiederum nicht den genuin strafrechtlichen (Versuchs-)Begriff, sie thematisieren und problematisieren ihn anhand der Beobachtung der sich bewegenden Strukturen der Gesellschaft41.

41

2. Kap., § 8, B.

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Sachregister Abgrenzung – von Versuch und Vorbereitung 230, 237, 271, 278 – vom abergläubischen und unverständigen Versuch 276 Abgrenzungsformeln des Versuchsbeginns 101 ff., 136, 165, 301 – als Klugheitsregel 112, 116 – formelle 118 ff. – materielle 126 ff. – objektive 128 ff. – subjektive 126 ff. – und Naturalismus 101 ff. Anerkennungsverhältnis – interpersonales 176, 231 ff., 268 ff., 301 – intersubjektives 150 ff., 165, 168 ff., 194 ff. – freiheitliches 201 ff. – objektives 170, 193, 201, 229 ff., 268 ff., 285, 292 Ansetzen (bei § 22 StGB) 209 ff., 234 ff. – als Tatbestandsmerkmal 235 ff. – als Tatbestandsnähe 234, 237, 239 f., 248, 300, 309 – beim beendeten Versuch 240 – mittelbares 287 – tatbestandliches 235 ff. – und Tatbestandsbegriff 110 ff. – und Tatzeitpunkt 227, 248 – und unerlaubtes Risiko 238 ff. – unmittelbares Siehe Unmittelbares Ansetzen – vortatbestandliches 101 ff., 240 – zu einem unerlaubten Risiko 239 – zur Eigentumsumschichtung 240

– zu einem Tatbestandsmerkmal 118 – zu einem Teil des Tatbestands 309 – zum gesamten Tatbestand 236, 309, 312 – zur Tatbestandshandlung 237 – zur Tatbestandsverwirklichung 103, 107, 110, 112 ff., 209 ff., 227, 234 f., 235 ff., 309 – zum Normbruch 110, 236, 239 – zum Vollendungstatbestand 112, 234 ff., 237, 283 ff., 287 ff. Ausdifferenzierung (Differenzierung) – tatbestandliche 288 – der Kommunikation 59, 292, 295 – der Eigentumsumschichtung 288 – der Freiheitsbegriffe 310 – der Gesellschaft 109, 192, 262, 289, 298 f., 307, 310 – der Rechtsusurpation (bzw. der Rechtsverletzung) 288, 313 – des Rechts 288, 292, 298, 313 – des Unrechts 118 – des Sinns eines Verhaltens 288 f., 292, 295 – des Tatbestands 288, 290 f., 294, 298, 300, 310 – positiv-rechtliche 294 – von Freiheitsbegriffen 293, 295, 298 f., 302, 310, 313 – von Schutz und Prävention 290, 298 f., 308, 310, 313 Diebstahlsversuch 304 ff. Dualismus – im Versuchsunrecht 223 f. – und Momente des Versuchs 119, 284 – und Naturalismus 26 ff., 106, 118 f.

Sachregister – und Täterbegriff 180, 245 ff. – und Tatbegriff 178 ff. – und Versuchsbegriff Siehe Versuchsbegriff – und Zurechnung 174 ff., 178 ff. – von Täter und Außenwelt 54 Eigentumsbegriff im weiten Sinn 211, 212 ff., 215 ff., 217 ff., 220, 229, 237, 287 ff. Eigentumsumschichtung im weiten Sinn 129, 136, 212, 221 ff., 228, 232 ff., 238 ff., 264, 283 ff., 288 ff., 296, 301, 303 Entschluß 40, 44, 66, 77, 82, 127, 149, 154, 163, 181, 252 ff., 257 ff., 289, 316 Erfolg 223 ff. – als Rechtsgutsverletzung 221, 223 – bei Zaczyk 157, 160, 170 – strafrechtlicher 109, 221, 222, 223 f. – und Normtreue 227 – und objektiv-kausalistische Theorien 61 ff., 111 – und objektiv-subjektivistische Theorien 64 ff., 69 f., 106, 111 – und Rechtsgüterschutz 224 ff. – und Unrecht 223 – und Vereinigungstheorien 76, 83, 88 ff., 92, 111 – und Versuch 223, 285 f., 288, 290 f., 292, 301 – und Vollendung Siehe Vollendung Erfolgsunwert 69 Erfolgszurechnung 237 ff., 271 Erschwerungsmerkmalen 209, 294, 309, 312 Erfolgsqualifizierung 118, 220, 222, 226, 235 Erwartung 246, 310 – außerstrafrechtliche 200, 288 f., 301, 303, 308 – kognitive 31, 71, 86, 97, 209 – normative 209, 261, 286

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Feuerbach 21 ff., 47 f., 61, 63, 88, 96, 145, 196, 203 – und Naturalismus 21 ff. – und Objektivismus 43 – und Subjektivismus 43 – und Versuchszurechnung 21 f., 41 ff. Freiheit 26 ff., 172 ff. – Ausdifferenzierung 289, 293, 298 ff., 310 – als Rechtsgüter 48, 151 – bei Feuerbach 25 – bei Zaczyk 145 ff., 194 – naturalistischer Begriff (als Willkür) 28 ff., 40, 174 ff. – normativer Begriff 35, 111, 124, 180, 194 ff., 201 ff., 269 – und Anerkennung 210 ff. – und Gesellschaft 192 ff., 252 – und negative Pflichten 214 f. – und objektiver Idealismus 184 ff. – und positive Pflichten 213 f. – und Täterbegriff 196 ff., 204 ff., 216 f., 251 ff., 265 – und Tatbegriff 201 ff. – und Tatbestand 302 – und Schutz 298 ff. – und Strafrechtsperson 210 ff. – und Strafbegriff 204 ff. – und subjektiver Idealismus 22 ff., 174 ff. Freiheitsverletzung – als Produkt einer Abwägung nach Klugheitsregeln 28 ff., 104 – im dualistischen Strafrechtsverständnis 174 ff. – im einheitlichen Strafrechtsverständnis 184 ff. – im naturalistischen Strafrechtsverständnis 24, 26, 31 f., 38, 47 f., 52, 102, 111, 104, 112, 174 ff. – im normativen Strafrechtsverständnis 111, 129, 136, 142, 196 ff., 209 ff., 215 ff., 218, 223 – materielle 24, 26

354

Sachregister

– und Versuch 228 ff., 235 ff., 255, 259 – und Vollendung 217 ff., 235 ff. – und Tatbestand 217 f., 218 ff., 242, 253, 255, 259, 288 – und Tatbestandsmerkmale 284 ff. – und unerlaubtes Risiko 238 ff., 251, 287 Freiheitspraxis 109, 247, 305 ff. Franksche Formel 122, 123, 124 f., 126, 128, 130, 137, 141, 250, 283 Gefahr 26, 32, 33, 36, 37, 39, 45, 50 ff., 73, 77, 80 ff., 102, 116, 125, 128, 167, 171, 222, 225, 234, 258, 289, 303, 316 ff. Gefährlichkeit 33, 45 f., 47 ff., 77, 81, 110, 128 f., 134, 239, 259, 322 – des Täters 37, 79 ff., 95, 143, 259 Grenzfälle 292 ff., 295 ff. Hegel 34, 35, 98, 163, 164, 169, 170, 172 ff., 178 ff., 184 ff., 192, 194, 196 ff., 209 ff., 285 Individualität 144, 216, 245 ff., 278 Individuum 25, 26 ff., 34, 36, 48, 61, 68 f., 74, 102, 116, 144 ff., 175, 181 f., 192, 195, 199 ff., 205, 211, 245 ff., 251 ff., 260 ff., 272 f., 280 f., 295 Irrtum 65, 72, 89, 246, 266, 274 – nomologischer 72, 88, 157, 273 f. – ontologischer 72, 157, 273 f. Kant 22 ff., 28, 31, 38 ff., 41, 144 ff., 172 ff., 174 ff., 184 ff., 211, 214, 251 Lagebeurteilung 253, 263 ff., 333 f. Mangel am Tatbestand – bei Feuerbach 42 ff., 96 – neuere Lehren 54 ff., 74, 88 ff., 119, 137, 168, 177, 267

Methode – dialektische 172, 174, 201 – dualistische 174 ff. – einheitliche 178 ff., 184 ff. – naturalistische 21, 22 ff., 32 ff., 37 ff., 60, 93 ff., 101 ff., 111, 114 ff., 124 f., 144, 174 ff., 223, 233, 234 Naturalismus – und Naturrecht 21 ff., 26 ff., 41 ff. – und Reduktionismus 101 ff., 124, 172 f., 203, 281 Naturrecht 22 ff., 37 f., 173 ff. Opfer – Schutzsphäre 117, 130 ff., 296 ff., 302, 309, 313 ff. – Status 63, 69, 217 ff., 228 f., 231 ff., 269, 278, 291 Person – konkrete 181 f., 193, 209 ff., 225, 251 ff., 253 ff., 260 ff., 263 ff., 281 – abstrakte 26 ff., 181, 210, 251 ff. Personalität 197 ff., 245 ff. Personbegriff 145 ff., 196 f., 251 ff. – freiheitliche Perspektive 162, 210 ff. – und Anerkennung 210 – vorsozialer 162 – Trennung vom praktischen Subjekt 197 – Trennung vom Individuum 199 Pflicht – negative 214 f., 217, 231, 238, 262, 287 f., 315 – positive 213 f., 217, 269, 287 Positivität des Gesetzes 89 f., 103, 112, 114, 118 f., 124 Prognose 56 f., 170, 209, 263 ff., 277 – nachträgliche 51 ff., 62, 94 f., 248 Qualifizierungstatbestand 118, 120, 122, 294, 296, 309 ff., 319

Sachregister Rechtsgüterschutz 32, 57 ff., 67, 73 f., 79 ff., 86, 93, 143, 219, 224, 227, 231, 263 Rechtsgut 32, 47 ff., 63 ff., 73 ff., 102, 107 f., 110, 116, 128, 151 ff., 158 ff., 167 ff., 176 f., 180, 212, 220, 223 ff., 228, 250, 255, 259, 264, 269, 273 Rechtsgutsobjekt 32, 49, 53, 102, 170, 180, 224 f., 269 Rechtsgutsverletzung 52, 57, 60, 75 ff., 108, 110, 128, 160, 212, 222, 224, 228, 247, 259, 287, 289 Rechtsusurpation 130, 180, 288, 229, 232 f., 264, 285, 288 f., 292, 296 ff., 301 f., 305 ff., 308, 310, 315, 319 f. – und Freiheitspraxis 305 ff. Rechtsverletzung 43, 45 f., 73, 87, 110, 114, 121 f., 130, 143, 159, 192 f., 203, 212, 218 ff., 228 ff., 239, 247, 263, 271, 283 f., 287 ff., 295, 303, 308, 313, 317 ff. Rechtssystem 22 ff., 32 ff., 37, 86, 104, 109, 110, 121, 165, 170 ff., 184 ff., 192 ff., 196 ff., 213 f., 218, 220, 222, 229, 244, 251, 253, 255, 262, 267, 278, 281, 286, 292 ff., 298 – und Moral 22 ff., 44, 75, 77, 257, 263, 293, 295 Rücktritt 130, 258, 262, 291, 301, 320 Schutz 29, 41, 57, 60 f., 71, 93, 132 f., 142, 212, 227, 293, 298 f., 302, 304, 310, 314 – von Rechtsgütern Siehe Rechtsgüterschutz Schutzsphäre 32, 141 ff., 296 ff., 300 Schuld 33, 40, 43 f., 47 f., 60, 73, 76, 80 ff., 91 f., 97, 99, 111, 120, 192, 208, 221 ff., 227 f., 230 f., 243 ff., 283, 286, 290, 293, 295, 301 Schuldprinzip 32 ff., 55, 86, 221, 278 Schuldzurechnung 50, 243 ff., 244, 284, 261 – objektive 130, 202, 208, 210, 222 ff., 243 ff., 253, 277

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Sollen 30, 164, 178 ff., 186, 191, 198, 201, 209 ff., 250 – konkretes 210, 220 f., 243 f., 253, 286, 286 – abstraktes 210, 216, 220 f., 251, 286, 287 ff. Sozialadäquanz 62, 68, 79, 92, 99, 108 f., 139, 208, 242, 263, 270, 305 Strafbegriff 204 ff., 227, 244, 277 f. Strafgrund 204 ff., 277, 251 – bei naturalistisch-präventiven Theorien 33, 35, 54, 76 f., 85, 87, 89, 91, 98, 101 ff., 111, 131, 135 ff., 153, 158, 237, 247, 259, 300, 316, 318 Strafrechtssystem Siehe Rechtssystem – als Gesellschaftssystem 192 ff. – freiheitliche Funktion 192 ff., 200, 208, 209, 213 ff., 251, 261, 265, 270, 282, 286 f., 287 ff., 298 Straftat 24, 74, 76, 81, 84 f., 89, 101, 153, 229, 236, 241 – und Versuch 105 ff., 107 ff., 228 f., 241, 295 f., 319 – und Vollendung 105 ff., 107 ff., 319 Strafzumessung 227, 230, 274, 277 ff., 315 Tatbestand – der Vollendung 42 f., 88, 90, 99, 105 ff., 110, 218 ff., 229 ff. – des Versuchs 42 ff., 52, 55, 72, 75, 82, 88, 90, 99, 101, 103 f., 105 ff., 110, 112, 114 ff., 118, 129, 121, 124, 132, 136, 141 f., 158, 180, 227, 229 ff., 234 ff., 238 ff., 241, 257 ff., 287 ff., 292 ff., 296 ff., 300 ff., 302 ff., 304 ff. – Erfüllung 129 – freiheitliche Konkretisierungen 218 ff. – Handlung 112 ff., 120 ff., 124 f., 133, 161, 222, 237, 241, 286 f. – Kenntnis 243 ff., 253 ff., 286, 293 – Merkmale 42, 50, 55, 72, 88 ff., 104, 115, 118 f., 192, 234 f., 241, 284 ff., 309 f. – Sphäre 130 f., 134, 296, 300, 307

356

Sachregister

– Teilverwirklichung 103, 106 ff., 111 ff., 118 ff., 138, 229 ff., 231 ff., 234 ff., 239, 283 ff. – Verwirklichung 88 ff., 95, 98, 117 ff., 111 ff., 118, 120, 129, 137, 160, 209, 226 ff. – und interpersonales Anerkennungsverhältnis 235 ff. – und objektives Anerkennungsverhältnis 235 ff. – und Rechtsverletzung 192 Tatbestandsnähe 103 f., 108, 115, 117, 127 ff., 234, 237, 239 f., 300 ff., 309 Tatbestandsrecht 301, 313 Tatbegriff 24, 80, 105, 192, 201 ff., 277, 285, 293 – als freiheitlicher Begriff 215 ff. – als Pflichtverletzung 215 – und Organisationsanmaßung 217 – und Versuchsbegriff 210 ff., 215 ff., 230, 285, 293 Tatstrafrecht 79, 82 f., 85, 96, 229, 231, 249, 265, 289 f., 293, 295, 303, 317 f. Täterbegriff 196 ff., 244 ff. Tätervorstellung 243 ff. – Ausschluß 245 ff., 260 ff. – beim fahrlässigen Versuch 279 ff. – und § 16 StGB 253 – und § 22 StGB 253 ff. – und Schuldzurechnung 243 ff. Tatzeitpunkt 49, 82, 130, 143, 180, 225, 243, 227 ff., 248, 254 ff., 260 ff., 281, 291, 301 Teilaktstheorie 122 ff., 125, 128, 301 f., 316 – konkretisierte 130 ff. Teilverwirklichung Siehe Tatbestand Tötungsversuch 316 ff. Unerlaubtes Risiko 108, 222, 226, 232 f., 238 ff., 257, 286, 290, 292, 238 ff. – naturalistische Feststellung 108, 127, 242, 248, 250 f.

– normative Feststellung 109, 129, 222, 226, 238 ff., 242, 248, 250 f., 286 f. – Rollenbezogenheit 140, 273 ff. – und Rechtsverletzung 240 f. – und Tatbestand 238 ff. Unerlaubtes Versuchsrisiko 290 f., 301 Unmittelbarkeit 283 ff. – als Frage des abstrakten Sollens 286 f., 287 f. – als Frage des Tatstrafrechts 289 – als Tatbestandsmerkmal 284 ff., 294 – formell-rechtliche Betrachtung 283 ff. – Formeln 117 ff., 296 ff., 300 ff. – und Vortatbestandlichkeit 103, 255 – und tatbestandliche Rechtsusurpation 288, 302 ff. – Vollendungsbezogenheit 286, 290 ff. Unmittelbares Einwirken 313 Unmittelbares Ansetzen Siehe Unmittelbarkeit Untauglicher Versuch – absolut 49 f. – irrelevanter 263 ff. – nach einheitlicher Versuchslehre 180, 220 ff., 268 ff. – relativ 49 f. – relevanter 263 ff., 267 ff. – und dualistische Versuchslehren 168 ff., 176 ff., 220 ff. – und Versuchstheorien 47 ff., 155 ff. Versuch – als hypothetischer Imperativ 25 f., 101 ff., 109, 163 – als kategorischer Imperativ 25, 109, 163 – als Klugheitsregel 26 ff., 101 ff., 109 – als Rechtsverletzung 203, 228 ff., 238 ff., 287 ff., 295, 303, 308, 313, 317 ff. – beendeter 101, 112 f., 240, 291, 297 – der Beteiligung 257 ff. – des sexuellen Mißbrauchs von Kindern 313 ff.

Sachregister – – – – – – – –

fahrlässiger 279 ff. grob unverständiger 271 ff. irrealer 263 kommunikativ relevanter 263 ff. Strafgrund Siehe Strafgrund Strafzumessung Siehe Strafzumessung unbeendeter 101, 113, 124, 229, 291 untauglicher Siehe untauglicher Versuch – und Außertatbestandlichkeit 243, 260 ff., 292 ff., 308, 319 – und Schuldzurechnung Siehe Schuldzurechnung – und Tatbestand Siehe Tatbestand – und Tatbestandshandlung Siehe Tatbestand – und Tatbestandsmerkmale Siehe Tatbestand – und Tätervorstellung Siehe Tätervorstellung – und unerlaubtes Risiko Siehe Unerlaubtes Risiko – und Vollendungsbezogenheit 105 ff., 129 ff., 186 f., 190 ff., 232 ff., 300 ff. – und Vortatbestandlichkeit 103 ff., 105, 117 ff., 142, 158 ff., 134 ff., 154 ff., 283 – unverständiger 263 Versuchsbeginn – als Rechtsverletzung Siehe Versuch – außertatbestandlicher Siehe Versuch – einige klassische Diskussionsfelder 295 ff., 304 ff. – Formeln 117 ff. – und § 22 StGB 101 ff., 173, 240 ff. – vortatbestandlicher Siehe Versuch – tatbestandlicher Siehe Versuch Versuchsbegriff 172 ff. – als perfekte Tatbestandsverwirklichung 229 – als perfekter Normbruch 229 – als Rechtsverletzung Siehe Versuch – als Teilverwirklichung des Tatbestandes Siehe Tatbestand

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– als Zweckbestimmtheit 232 ff. – dualistischer 105, 162 ff., 174 ff., 178 ff., 184 – einheitlicher 184 ff. – freiheitlicher 172 ff. – materieller 228 ff. – Momente 187 ff. – naturalistische Entwicklung 47 ff. – normativer 174 ff., 184 ff. – und Naturrecht 22 ff., 47 ff., 172 – und § 22 StGB 234 ff., 243 ff., 283 ff. Versuchstheorie – ältere objektive 48 – bei Jakobs 136 ff. – bei Zaczyk 144 ff. – dualistische 74 ff. – finalistische 65 ff. – monistische 47 ff. – neuere objektive 50 – subjektive 63 ff. Vollendung – als Bezugsbegriff des Versuchs 217 ff. – als interpersonales Anerkennungsverhältnis 231 ff. – als objektives Anerkennungsverhältnis 229 ff. – als Rechtsverletzung Siehe Rechtsverletzung – materieller 217 ff. – tatbestandlicher 105 ff., 107 ff., 218 ff., 284 f., 292 – und Erfolg 223 ff. – und § 22 236 f. Vorverlagerung – und Vollendung 110, 220 ff., 295 – und Versuch 33, 103, 112, 121, 129, 142, 234 ff., 240, 255, 289, 307 ff., 313, 316 Wille – als Willkür Siehe Freiheit – der konkreten Person 244 ff., 251 ff., 253

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Sachregister

– freier 35, 162 f., 172 f., 185 ff., 187 ff., 194, 203 f., 206 f., 232 – individueller 45, 62 f., 66 ff., 84 f., 88, 125, 134, 140, 166 f., 254 ff., 174 f., 180, 182, 203, 232, 263 Wortlaut des Gesetzes 125 – naturalistische Auslegung 103, 108, 281 Zurechnung – dualistische 174 ff., 178 ff., 182 ff. – einheitliche 184 ff. – innerstrafrechtliche 172 ff., 196 ff.

– naturalistische 26 ff., 32 ff., 174 ff., 178 ff. – objektive 215, 182 ff., 196 ff., 215 ff., 244 ff., 267 ff., 295 ff. – subjektive 243 ff. – zur Schuld 243 ff. Zurechnungslehre zum Versuch – freiheitliche 172 ff., 178 ff., 184 ff., 192 ff., 209 ff. – naturalistische Entwicklung 21 ff., 47 ff. – normative 178 ff., 184 ff., 196 ff.