Die Bedeutung der roten Farbe im Kultus der Griechen und Römer. Erläutert mit Berücksichtigung entsprechender Bräuche bei anderen Völkern

Table of contents :
Einleitung
Stand der Frage in der bisherigen Literatur
Aufgabe der vorliegenden Arbeit: das Problem; zur Voraussetzung des Problems: Festlegung des Begriffes „Rot“
I. Kapitel: Bot als Blutsymbol
1. als Träger einer positiven Kraft
2. Rot als Träger einer negativ gerichteten Kraft in der reinen Magie
3. Rot als Träger positiv und negativ gerichteter Kraft
II. Kapitel: Die psychologische Bedeutung des Rot
1. Verwendung als Farbe der Erregung zum Zwecke der Erregung im Kriege
2. Verwendung als augenfällige Farbe: Feldherrnmantel, Fahnen
3. Verwendung als Farbe der Pracht
4. Rot als ästhetischer Beiz
III. Kapitel: Sonnensymbolik
1. Verwendung der roten Farbe als Licht-, Sonnen- und Feuersymbol: im antiken Sonnenkultus
2. Zweck des roten Licht-, Sonnen- und Feuersymbols
3. Gründe für die Verwendung gerade des Rot als Symbol
IV. Kapitel: Sympathetik
Rot als Mittel zum Hervorrufen, Vertreiben und Verhüten von Rotem
in der pseudowissenschaftlichen Medizin
in der Antike
bei den Primitiven und Völkern niederer Kultur
in der reinen Magie
in der Glaubensvorstellung
Rückblick

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DIE BEDEUTUNG DER ROTEN FARBE IM KULTUS DER GRIECHEN UND RÖMER ERLÄUTERT MIT BERÜCKSICHTIGUNG ENTSPRECHENDER BRÄUCHE BEI ANDEREN VÖLKERN VON

EVA WUNDERLICH

VERLAG VON ALFRED TÖPELMANN IN GIESSEN 1925

RELIGIONSGESCHICHTLICHE VERSUCHE UND VORARBEITEN BEGRÜNDET VON ALBRECHT DIETERICH UND RICHARD WÜNSCH IN VERBINDUNG MIT L U D W I G D E U B N E R HERAUSGEGEBEN VON

L U D O L F M A L T E N UND O T T O W E I N R E I C H IN BRESLAU

IN TÜBINGEN

XX. BAND 1. HEFT

MADE IN GERMANY

MEINEM VEREHRTEN LEHRER

OTTO KERN

Vorwort Die nachfolgende Arbeit hat als Dissertation im Wintersemester 1922/23 der philosophischen Fakultät der FriedrichsUniversität Halle-Wittenberg vorgelegen, und zwar O t t o K e r n als Referenten, G e o r g W i s s o w a als Korreferenten. Daß es heute möglich ist, die Arbeit im Druck erscheinen zu lassen, verdanke ich der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, die durch eine namhafte Unterstützung den Druck ermöglichte. Die erste Anregung zu den vorliegenden Untersuchungen sowie mannigfache literarische Hinweise danke ich meinem Lehrer L u d w i g D e u b n e r , von dessen technisch-methodischen Ratschlägen unterstützt, ich die Behandlung des Themas begann und zum großen Teil vollendete. Sonstige literarische und monumentale Hinweise wurden mir in wertvollster Weise durch G e o r g W i s s o w a und Th. Z i e h e n , insbesondere aber durch O t t o K e r n zuteil, unter dessen Anleitung ich die Arbeit endgültig abschloß und der sich selbst an der mühevollen Durchsicht der Druckbogen beteiligte. Ihm an dieser Stelle besonders zu danken, ist mir tiefes Bedürfnis. 1, Dezember 1924.

Eva Wunderlich.

Inhaltsübersicht

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Einleltnng Stand der Frage in der bisherigen Literatur Aufgabe der vorliegenden Arbeit: das Problem; znr Voraussetzung des Problems: Festlegung des Begriffes „Bot"

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I. Kapitel: Bot als Blutsymbol

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1. als Träger einer positiven Kraft Darstellung: in der PseudoWissenschaft1 Medizin: Verwendung der Farbe selbst: In der Antike, bei den Primitiven und Völkern niederer Kultur Verwendung der Farbe in Form von Blut Agrikultur: Verwendung der Farbe selbst, Verwendung der Farbe in Form von Blut . . . . in der reinen Hagie allgemein magischer Wert der Farbe. in der Antike: als Farbe selbst, als Blutsymbol bei den Primitiven und Völkern niederer Kultur. magische Verwendungsarten in der Antike bei den Primitiven und Völkern niederer Kultur im Verkehr mit den Dämonen selbst: Beschwörung, Austreibung, Gttnstigstimmen im Vernichtungszauber mit Hilfe der Dämonen; durch die Farbe selbst, durch die Farbe in Form von Blut Beeinflussung von Naturerscheinungen: durch die Farbe selbst, durch Blut und durch die Farbe, durch die Farbe in Form von Blut.

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1 Unter „Pseudowissenschaft" verstehe ich jenen frühen Entwicklungestandpunkt der Wissenschaft, den Frazer, GB VII 2, 304f. als the movement of human thought from magic to religion, from religion to science bezeichnet.

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im Frnchtbarkeitszauber durch die Farbe selbst in Form von Blnt A n h a n g : Beete des Bot als eines Blatsymbols in der katholischen Kirche B e g r ü n d a n g : Verwendung von Bot als Blutsymbol überhaupt, Verwendung eines Blutsymbols als Kraftträger . 2. Bot als Träger einer negativ gerichteten Kraft in der reinen Magie Darstellrung: Amulette und amulettartige Übelabwehrmittel in Verbindung mit dem menschlichen Körper die Farbe selbst: Fäden, Bänder, Aufschriften in der Antike E x k u r s : Die Digestentitel 22, Kaisermanuskripte 23, Kalenderzahlen 23 bei den Primitiven und Völkern niederer Kultur: . . . . . . Korallen, Blumen, Ketten u. ä. die Farbe'in Form von Blut in Verbindung mit anderen als menschlichen Körpern Bäume: die Farbe selbst und in Form von Blut Vieh: die Farbe selbst und in Form von Blut apotropaeische Biten Sühneübungen, Bitscherben Einhegungen: in der Antike 27, bei den Primitiven und Völkern niederer Kultur Erklärung. B o t im K u l t u s . F a m i l i e n k u l t u s .

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Geburtsriten.

D arstellung: Die Farbe selbst: am Körper der Schwangeren und Wöchnerin in Wochenstube und Geburtshaus; am Körper des Kindes . die Farbe in Form von Blut Erklärung Pnbertätsriten Zum Schutze des Kindes bis zur Entwicklung in der Antike, bei den Primitiven und Völkern niederer Kultur während der Pubertätszeit der Knaben der Mädchen: die Farbe selbst, in Form von Blut Hochzeitsriten Darstellung: die Farbe selbst in der Antike Griechenland Bom: Schleier, Haarnetz

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bei den Primitiven und Völkern niederer Kultnr Tracht nnd Bräuche der Brantlente 38, Hochzeits· and Brautgeschenke 40, der Weg zur Kirche, ins neue Heim und ins Brautgemach die Farbe in Form von Blut Erklärung Totenritus Darstellung: die Farbe selbst in Berührung mit dem Leichnam Leichenbehältnisse, Decken, Kleider, Blumen, 9arkophagschmuck, Binden u. a. in der Antike bei den Primitiven und Völkern niederer Kultur Idole und Amulette in der Antike bei den Primitiven und Völkern niederer Kultur Farben und Färbinstrumente Färbung der Leiche in der Antike bei den Primitiven und Völkern niederer Kultur Gegenstände des Trauerritus in der Antike bei den Primitiven und Völkern niederer Kultur Folgeerscheinungen der Verwendung von Bot im Totenkult und Trauerritus die Farbe in Form von Blut Erklärung B o t im ö f f e n t l i c h e n K u l t u s Priestertracht D a r s t e l l u n g : Vestalin 59, Flamen und Flaminika, Priester verschiedener Kulte Erklärung. Opfer 3. Bot als Träger positiv u n d negativ gerichteter Kraft . . . . im Kultas gewisser Fruchtbarkeitsgötter: in der Antike bei den Primitiven und Völkern niederer Kultur E x k u r s : Botfärbung von Götterbildern aus äußeren Gründen Orakel, Inkubation, Mysterion A n h a n g : Bückwirkung der magischen Verwendung von Bot auf den Aberglauben Darstellung Antike Mittelalter und neuere Zeit Erklärung:

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II. Kapitel: Die psychologische Bedeutung des Bot

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1. Verwendung als Farbe der Erregung znm Zwecke der Erregung im Kriege Darstellung: in der klassischen Antike als unmittelbar militärische Farbe: in Griechenland nnd Nachbarstaaten, in Rom als mittelbar militärische Farbe in Rom: Feldherrn- und Kaiserpurpur, praetexta der Beamten in Griechenland bei Germanen, Galliern, Dänen bei den Primitiven und Völkern niederer Kultur. Erklärung. in der Revolution zum Ausdruck der Erregung: im allgemeinen, der freudigen Erregung insbesondere 2. Verwendung als augenfällige Farbe: Feldherrnmantel, Fahnen . 3. Verwendung als Farbe der Pracht ohne Mitwirkung anderer Momente zum Zwecke der Beeinflussung des Beschauers und als Ausdrucksmöglichkeit des Trägers: auf politischem Gebiete auf religiösem Gebiete A n h a n g : Folgeerscheinungen dieser Verwendung von Rot in Sprache und Vorstellung unter Mitwirkung magischer Momente in der Antike bei den Primitiven und Völkern niederer Kultur A n h a n g : Folgeerscheinungen dieser Verwendung der roten Farbe: Siegespurpnr der Dichter, Athleten usw. Verkleidung des Saturnalienkönigs und entsprechende Bräuche 4. Rot als ästhetischer Reiz als Mittel zur Erhöhung der Körperschönheit: in der Antike bei den Primitiven und Völkern niederer Kultur im Geschmack der Kleidung A n h a n g : Folgen einer solchen Verwendung des Rot: irrige Interpretation von Texten: purpureas, φαινιχόηεζα, Purpurissa

ΙΠ. Kapitel: Sonnensymbolik 1. Verwendung der roten Farbe als Licht-, Sonnen- und Feuersymbol: im antiken Sonnenkultus

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im Sonnen- and Lichtkultus der Primitiven und Völker niederer Kultur 2. Zweck des roten Licht-, Sonnen- nnd Feuersymbols 3. Gründe für die Verwendung gerade des Kot als Symbol A n h a n g : Irrige Interpretationen von Kot als Sonnensymbol in Mythos und Märchen in geographischen Namen

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IV. Kapitel: Sympathetik Kot als Mittel zum Hervorrufen, Vertreiben und Verhüten von Kotem in der pseudowissenschaftlichen Medizin in der Antike bei den Primitiven und Völkern niederer Kultur in der reinen Magie in der Glaubensvorstellung

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Bilckblick

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Verzeichnis der Abkürzungen ARW

= Archiv für Religionswissenschaft, hrsg. von 0. Weinreich und M. P. Nilsson. DM = J. Grimm, Deutsche Mythologie, 4. Aufl. Berlin 1875—78. DW = ders. Deutsches Wörterbuch. Berlin 1864—1922. Fam = Samter, Familienfeste der Griechen und Kömer. Berlin 1901. GB = Frazer, Golden bough 3. Aufl. London 1907. GHT = Samter, Gehurt, Hochzeit, Tod. Berlin u. Leipzig 1911. PW = Pauly-Wissowa-Kroll, Realenzyklopädie. R G W = Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten. SB1 = Diels, Sibyllinische Blätter. Berlin 1890. ZW = Zeitschrift des Vereins für Volkskunde.

Behandlung in der bisherigen Literatur

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Einleitung Die starke Verwendung, welche die rote Farbe in den Riten nicht allein des antiken griechischen and römischen Kultus, sondern in der Magie aller Völker und Zeiten gefunden hat, ist wiederholt Anlaß zu Erwägungen gewesen, ob hier ein religiöser Gedanke zugrunde liege und welches dieser sei. Die Untersuchung beschäftigte sich bisher vorherrschend mit Teilgebieten wie dem Totenkultus 1 , den Familienfesten 2 und den Kultbräuchen, die durch eine gewisse Ähnlichkeit in den Kreis dieser Riten hineinzugehören schienen: etwa mit dem flammeum der Flaminica als Analogie zu dem der Braut, aus dem gleichen Grunde mit der Kopfbinde des Mysten u. dgl. mehr8. Diese partiellen wie auch die wenigen umfassenderen Behandlungen 4 suchten insgesamt alle mit Rot verbundenen Riten, gleichviel welcher Zeit sie angehörten, auf einen gemeinsamen Ursprung zurückzuführen und stießen dadurch auf Widersprüche, die ihre Resultate fragwürdig erscheinen lassen. Aufgabe der vorliegenden Arbeit wird es sein, zu untersuchen, ob in der Tat ein einziger Gedanke die Wurzel eines so weit verzweigten Ritualgebildes gewesen ist, und — wenn dies nicht der Fall — Zahl und Art der Elemente festzustellen, aus denen es sich entwickelt hat. Es handelt sich natürlich um die Farbe Rot in ihrem weitesten Sinne. Denn während man in der physiologischen 1

8 y. Dahn, ARW IX (1906) Iff. Samter, Farn. und GHT. Diels, SB1 70 Anm.; Pley De lanae in antiquorum ritibus usu R G W XI (1911) Heft 2, S. 5ff.; Schwenn, Die Menschenopfer bei den Griechen und Römern, R G W XV (1915) Heft 3, S. 35, 1; 81 ff.; 114. 4 Berkusky, Z W 1913, 146ff.; vgl. auch Rohde, Psyche 7 u. 8. Aufl. I 226, 3; Dieterich, Nekyia 25 ff. 8

Religionsgeschichtliche Versnche u. Vorarbeiten XX, 1.

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Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

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Optik gewöhnt ist, mit „rot" ausschließlich die Farbe des weniger brechbaren Endes des Spektrums zu bezeichnen, deren Vertreter unter den Farbstoffen etwa der Zinnober ist, und von diesem reinen Rot ausdrücklich das Purpurrot unterscheidet, das in seinen weißlicheren Abstufungen rosenrot wird, dem reinen Rot gegenüber bläulich erscheint, und während die braunroten bzw. rotgelben Farben, in denen neben Gelb das Rot überwiegt, für den Physiologen nicht mehr „rot", sondern „orange" heißen \ gibt es für die Sprache des Ritus eine solche Abgrenzung des Rotbegriffes nicht. Rot heißt hier der Saft der Scharlachbeere so gut wie das vom physiologischen Standpunkt aus braune Fell der roten Kuh, des roten Hundes und wie Haupt- und Barthaar des rothaarigen Menschen. Rot ist die Farbe des Blutes so gut wie die der Sonnenstrahlen und wie die des Goldes. Darum konnte Akusilaos vom goldenen Vließ, gerade als sei es purpurn, erzählen: ίΐορφνρεν&ηναί φησιν vjto της θαλάσσης2, darum kann 3 es von Iason heißen παρφνρέον φώς. . . . χριον , darum stellt sich Vergil die goldene Zeit mit purpurnen Widdern und mennigroten Lämmern vor 4 . Als rot schlechthin dürfen wir auch den Purpur bezeichnen, der im antiken Kultus eine so bedeutende Rolle spielt 5 . Es darf nicht irreführen, daß die antike Farbtechnik auch Nuancen kannte, die sie als amethystfarbig 8 und violett 7 bezeichnet, oder wenn vom purpurnen Veilchen gesprochen wird 8 . Denn unter dem heute so benannten Amethyst haben wir sehr wahrscheinlich den alten Hyazinth zu verstehen während der alte Amethyst in der Farbe an Rotwein' erinnert haben muß 10 . Und auch das Veilchen des Mittelmeergebietes hat eine weit jnehr ins Rötliche spielende Farbe als unser mittel1

Vgl. Helmholtz, Handbuch der physiol. Optik, 2. Aufl., 278. Schol. Apoll. Rhod. 1147 = Kordt De Acusilao, Diss. Basel 1903, frg. 32. 3 Anthol. Pal. XV 25, 26, v. Wilamowitz, Buk-Gr. S. 154; zur unterschiedslosen Verwendung der Bezeichnungen „golden" und „purpurn" vgl. S. Eitrem, Opferritus und Voropfer der Griechen und Römer 195, 2. 4 Eel. IV 43 ff. 8 Schon Blümner, Arch, für lat. Lexik. VI (1889) 399 ff. weist darauf hin, daß die Adjektive purpureus usw. unabhängig von ihrer farbtechnischeu Bedeutung alle möglichen Nuancen des Rot zu bezeichnen pflegen. 6 Plin. n. h. IX 135. ' Corn. Nep. b. Plin. n. h. IX 137. 9 Plin. n. h. XXI 27. 9 Vgl. Blümner, Technologie und Terminologie der Gewerbe und Künste bei Griechen und Römern III 251 ff. 10 Theophr. de lap. 31; Plin. n. h. XXXVII 21; Isidor. XVI 9, 1. 2

Begriff „Hot". Festlegung des Problems

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europäisches1. Die antiken Definitionen von φοίνιξ, purpura, ostrum, conchylium usw. lauten vorwiegend πυρρός2, ερν&ρός8, rutilus 4, sübrubeus5, in colore sanguinis*, und aus den farbtechnischen Darstellungen bei Plinius gewinnt man den Eindruck, daß die am häufigsten verwendete und beliebteste Purpurfärbung ein dunkles, sattes Rot gewesen ist'. Ich werde daher im folgenden die Bezeichnungen „Purpur" und „Rot" — auch dies in allen seinen Schattierungen — unterschiedslos gebrauchen. Die Behandlung der einzelnen Riten, in denen die rote Farbe ziir Verwendung kommt, wird sich im allgemeinen in je zwei Teile gliedern: in denjenigen, der sich mit dem Ritus der klassischen Antike beschäftigt, und in einen, der die entsprechenden Bräuche anderer Völker zur Vergleichung heranzieht. Daß es sich hierbei vorwiegend um die Bräuche kulturloser Völker und solcher niederer Kulturen handeln wird, entspringt keineswegs der Absicht, in die religiösen Riten und die Psyche gerade primitiver Sphären besonders tief einzudringen. Um jedoch einen Brauch aus der isolierten Stellung im Einzelvolk herauszuheben und gleichsam als ein Glied in die Kette der Völkersitten einzureihen, war es notwendig, ihn in jungen bzw. unentwickelten Schichten aufzusuchen, die dem Zeitalter, das ihn schuf, entsprachen, nicht aber dem Kulturvolk, das ihn als versteinerten und unverstandenen pflegte. Die zitierten Parallelbräuche sollen mithin nichts weiter als das Volkstümliche im antiken Ritus beleuchten. Es schien mir daher unerheblich, ob ich sie bei Primitiven (wie Buschmännern, Kongonegern, Nikobaresen), ob bei nicht mehr primitiven Stämmen einer tiefen Kulturstufe (wie Hottentotten und Indianern), oder 1

Vgl. Barfuß, Kultur der Veilchen, Lpz. 1901; auch Claudian Eapt. 8 Pros. II 92. Hesych ν. φοίνιξ-, Eur. Tro. 815 und and. 3 1 Hesych ν. γοίνιχι-, Eustath. zu Η 299. Gell. II 26. 6 6 Nonius 17. Plin. n. h. IX 135. ' Plin. ebd. u. IX 134. Über die Mannigfaltigkeit der Bedeutung der Worte purpureus, πορφνρεοι usw. vgl. A. Dedekind, Beitrag zur Purpurkunde I (1898) 12f.; W. Schultz, Das Farbenempfindungssystem der Hellenen 31 f. 44 ff. 60 ff. gibt eine genaue sprachliche Differenzierung der Botnuancen im Griechischen. Auf die Schlußfolgerungen, die er aus der „Flüssigkeit" der Farbbezeichnungen auf eine Anomalie des hellenischen Farbenempfindungseystems zieht, hier einzugehen, würde ins Gebiet der Physiologie hinübergreifen und in den Kähmen der religionswissenschaftlichen Untersuchung nicht hineingehören. 1*

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Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

ob ich sie in den niederen Schichten der europäischen Kulturvölker fand. Von einer scharfen Sonderung dieser drei Typen glaubte ich infolgedessen absehen zu dürfen. Gleichfalls mußte ich auf eine erschöpfende Behandlung des Brauches bei Primitiven und tiefkultivierten Völkern verzichten, um dem eigentlichen Thema, dem Ritus der klassischen Antike, den breiteren Eaum der Arbeit zu überlassen.

I. Kapitel

Rot als Blutsymbol Unter den Heilriten der antiken Medizin spielt die rote Farbe eine bedeutende Rolle. So empfiehlt Plinius als Mittel gegen Quartanfieber, die erste Anemone, die man im Frühling sieht 1 oder Staub, in dem ein Falke sich gewälzt hat 2 , oder Mauseschnäuzchen und -ohrenspitzen 8 in roten Lappen bei sich zu tragen; um den linken Arm in rotes Tuch gewickeltes Ungeziefer zu binden 4 , sei gleichfalls heilsam. Dem entspricht die Verordnung Alexanders von Tralles, gegen Fieber einen in einen roten Lappen gewickelten Mistkäfer als Amulett bei sich zu führen B. Kellerasseln, in der roten Schale des punischen Apfels gekocht, sind gut gegen Ohrenschmerzene. Menschen, die vom tollen Hunde gebissen sind, glaubt man durch Auflegen eines zerrissenen Hahnenkamms vor Tollwut zu schützen Bei Kopfschmerzen legt man ein im Kopf einer Bildsäule gewachsenes Kraut, .in rotes Leinen gewickelt, auf die schmerzende Stelle 8. Als ein magisches Heilmittel ist auch die φοινίκι ς aufzufassen, die in Aristophanes' Komödie während der Heilinkubation dem schlafenden Plutos über den Kopf gezogen wird 9 , und ebenso die von Pausanias erwähnte rote Binde der verwundeten Athene 10 . 1 8 6 9

Plin. n. h. XXI 166. Ebd. XXX 99. Plin. n. h. XXIX 136. Aristoph. Plut. 727 ff.

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Ebd. XXX 98. 5 * Ebd. XXIX 64. I 437 Puschmann. 8 ' Ebd. XXIX 100. Ebd. XXIV 170 10 Paus. VIII 28, 6.

Bot als Blataymbol: Medizin

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Auch in der von Petronius (131) geschilderten Wiederherstellung des impotenten Liebhabers ist die rote Farbe von Bedeutung; es wird dort ein Zauber bewerkstelligt, bei dem der Leidende besprochen wird, dreimal ausspucken muß und drei in Purpur gewälzte, besprochene Steinchen einsteckt. Die Parallelstellung zum Speichel, mit dem der Patient gleich darauf noch bestrichen wird und der als Waffe gegen die Krankheit deutlich ist 1 , läßt die Heilfunktion auch der roten Farbe erkennen. Als Verschlußmittel für verletzte Adern empfiehlt Pseudo-Theodorus das Auflegen einer purpurnen Flocke2, gegen Kopfschmerzen, ein rot umwickeltes Steinchen an den Kopf zu halten 8. Umschläge mit purpurgefärbter Wolle sind nach Cassius Felix gegen Magenschmerzen anzuwenden4. Der φοίνιξ, ein — wie man aus dem Namen schließen darf — rötliches Gras ist nach Dioscurides ein erprobtes Mittel gegen Verdauungsstörungen und Blutungen aller Art, zumal dann, wenn der Leidende es mit roter Wolle an seinen Körper bindetB. Gegen Magen- und Augenübel, sowie gegen Heizungen des Rachens empfiehlt Dioscurides das Veilchen mit dem πορφνρίζον

τον äv&ovgβ.

Ohrenschmerzen werden be-

schwichtigt, indem man die Ohren — oft nach vorausgehender Anwendung tatsächlicher Linderungsmittel wie Öl — mit roter Wolle zustopft7. Hat jemand weiße Flecken in den Augen, so rät Marcellus ihm, die einem lebenden Fuchs abgeschnittene Zunge zu trocknen und sich mit roter Wolle an den Hals zu binden8. Ein Mittel gegen Haarausfall ist eine Mischung aus Öl und der Asche eines verbrannten Fisches, verbrannter Purpurwolle und verbranntem Papier9. Wie die antike so kennt auch die Medizin der Primitiven und niederer Schichten der Kulturvölker eine Heilkraft der roten Farbe. In manchen Gegenden Deutschlands bindet man bei Gewichtsabnahme den Kindern rote Seidenfaden um den Hals 10 , in Tirol dem an Bräune Erkrankten eine erwürgte 1

Vgl. Plin. n. h. XXVIII 35ff.; Seligmann, Der böse Bück I 293fi.; II 207ff.; Deubner, Magie und Religion 20f. * Pseud. Theod. add. XXXIII; Theod. Prise. 280, 16 Rose. s 4 Ebd. 313, 20. Case. Fei. XLII 97, 18 Eose. 8 β Diosc. IV 43; II 202 Wellmann. Ebd. IV 121; II 270 Wellmann. 7 Marc. IX 14; IX 37; vgl. Cass. Fei. XXVIII 45, 13 Rose. 8 8 Marc. V n i 129. Marc. VI 30. 10 J. Grimm, DM III 466 Nr. 872.

Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

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Kreuzotter an roter Schnur1. Die vielen derartigen Fälle, die sich in der einschlägigen Literatur über deutschen Aberglauben finden, hier aufzuzählen, würde zu weit führen. Ich verweise auf die Angaben von Weinreich 2 und beschränke mich auf die Erwähnung einiger außerdeutscher Analogien. In Rußland schlingt man sich vielfach, um Fieber zu vertreiben, rote Wollstränge um Arm und Bein®. Bei den Iren wird der kranke Körperteil rot umschnürt4, in China Wachstum und Gedeihen der Kinder durch Einflechten roter Zopfbänder gefördert 5 . Die Bewohner von Massachusetts binden den Seekranken ein rotes Band um den Leib e . Von den Ojibwa-Indianern wird berichtet, daß sie früher einem roten Pulver die Kraft zuschrieben, alle Kranken zu heilen; von den See-Tschuktschen und den primitiven Völkern Indonesiens, daß sie ihre Kranken mit Ocker und anderer roter Farbe einreiben 7. Rote Stier haare und Fäden spielen im indischen Heilzauber eine Rolle 8 . Daß auch die Esthen rote Fäden in der Behandlung ihrer Kranken kannten, beweist eine Stelle im esthnischen Epos „Kalewipoeg": Aus dem Gleis gerückte Glieder Renkt er ein mit rotem Garne®. Wie der rote Faden, so finden sich auch das rote Tuch und mannigfache andere rote Gegenstände als Heilfaktoren. Alpdruck wurde früher in manchen Gegenden Frankreichs durch Auflegen roter Tücher behandelt 10 ; vielleicht stand dies Heilverfahren in Beziehung zu der dort üblichen Bezeichnung für die Krankheit „le r u d j e - p u l a " ( = neufranzösisch r o u g e p o u l e t 1 1 ) . 1

A. F. Dörfer, Die Tierwelt in der sympathet. Tiroler Volksmedizin Z W VIII (1898) 2, 172. 2 0. Weinreich, Antike Heilungswunder EGVV VIII (1910) Heft 1, 99 A. 2. s P. Wolters, Faden u. Knoten als Amulett ARW VIII (1906) Beiheft S. 8. 4 J. Seheftelowitz, Das Schlingen- und Netzmotiv R G W ΧΠ (1912) 5 Heft 2, 13. Ebd. 45 f. 6 Berkusky, Zur Symbolik der Farben, Z W XXIII (1913) 257; 259. 7 8 Berkusky aaO. Weinreich aaO. R G W VIII (1910) H. 1, 99, 2. β Gesang XI 190f. S. 133 Reimann (Reval 1900). 10 Schweizer Archiv für Volkskunde XVIII 116. 11 Über die Bezeichnung „rudje pula" — rouge poulet vgl. Atlas IAnguistique 1071; Diez, Etymologisches Wörterbuch der französ. Sprache II 3. Aufl., 262. In wie primitiver Weise das Volk Krankheiten nach ihren äußeren Folgen benennt, zeigt ζ. B. der lateinische Name für Fallsucht Fest. 268, 13 ff. Lindsay Frohibere comitia, dicitur vitiare dient morbo qui vulgo quidem maior, ceterum ob id ipsum comitialis appellatur.

Bot als Blutsymbol: Medizin

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Gegen Rheumatismus empfehlen alte Schweizer Praktiken das Auflegen roter Schnecken auf den leidenden Körperteil1. Auch Epilepsie wird mit roten Mitteln wie Rotkehlchen 2 , Granatapfelsaft 8 behandelt. Eine beliebte Methode, körperliche Beschwerden los zu werden, ist das „Bannen" in einen Gegenstand (Bäume, Tiere, Wasser u. a.) hinein. Der Zauber geht oft so vor sich, daß der Medizinmann oder Priester oder auch der Kranke selbst den leidenden Körperteil mit einer roten Schnur umwindet, die mehrere Stunden später zur Krankheitsübertragung an den betreffenden Gegenstand gebunden wird 4 . Aus Imeretien im Kaukasus wird berichtet, dort werde um den Kopf des Patienten ein Huhn geschwungen, das man hierauf mit rotgefärbtem Kopf, ebensolchen Flügeln und Beinen laufen lasse 6 . Auch dies ist wohl ein „Bannen"; die Krankheit ist in das Huhn übergegangen, das gleichsam zur Bekräftigung des Heilvorganges rotgefärbt wird. Ebenso wird man wohl in Indien, wenn man eine Schüssel mit rotgefärbtem Wasser ausgießt, die man dreimal vor dem Gesicht des durch bösen Blick Erkrankten geschwungen hat, zugleich die in dies rote Wasser gebannte Krankheit auszugießen glauben e . Als Bannen der Krankheit ist es wohl auch zu verstehen, wenn der Tscherokese, um einen Krüppel gesund zu zaubern, „die rote Frau" bannt 7 , vielleicht eine Personifikation der Krankheit, auf die man primitiv die Farbe des Heilmittels übertragen hat. Ähnlich in einer litauischen Ballade, wo die Pest nur dadurch zum Stillstande gebracht wird, daß ein wackerer Edelmann der „Pestfrau" das rote Tuch abnimmt8. Ob man im Bezirke von Bannu (Afghanistan), wenn man um den Kopf des Verschrieenen drei Schoten von rotem Pfeffer schwingt, die Krankheit in den Pfeffer bannen will, erscheint mir fraglich 9 . Eher dient das scharfe Gewürz selbst dazu, den Krankheitsdämon zu verjagen. — Aus allen diesen Heilverfahren, sowohl den antiken als auch denen der Naturvölker, wird es deutlich, 1

Schweizer Archiv für Volkskunde 98, 117. Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube § 121; 170; 186; 189; 453; Janus 5 X 581. 627; XI 10. 63. Ebd. 4 Vgl. Prazer, GB VI 55 über die griechische Insel Karpathos. 5 J. Scheftelowitz, Das stellvertretende Huhnopfer KGVV XIV (1914) 6 7 Heft 3, 30. Ebd. 29. Halliday Greek Divination 36. 8 9 Vgl. Weinreich aaO. 58, 3. Seligmann, Der böse Blick I 383. 2

Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

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daß der primitive Mensch der roten Farbe eine bestimmte Kraft zuschreibt, mit deren Hilfe er imstande ist, Krankheiten zu vertreiben, also etwas Positives zu leisten. Daß er diesen Kraftträger nicht immer für sich allein, d. h. als bloßen Farbstoff, sondern zuweilen in Verbindung mit irgendwelchen Gegenständen zu Heilzwecken verwendet, mag oft Zufall, oft praktische Notwendigkeit sein; denn der farbige Gegenstand ist vielleicht eher erhältlich als die Farbe. Sehr oft aber haben wir in der Zusammenstellung von Farbe und Gegenstand bewußte Anwendung eines magischen Prinzips zu sehen. So hat z. B. der Faden an sich bereits H e i l k r a f t u n d ebenso die Wolle, die als diejenige Substanz, welche die materia peccans aufsaugt 2 , naturgemäß kathartisch, also ein Heilfaktor, sein muß, wofern sie nicht apotropäisch ist. Eine derartige Zusammenstellung von zwei und mehr gleichartigen Mitteln zur Erreichung e i n e s Zieles entspricht der auch sonst in der Magie geübten Praxis, durch Verdoppelung und Verdreifachung des Mittels den Erfolg in gleich gesteigertem Maße zu sichern. Es fällt auf, daß antike und primitive Heilkunst in Heilverfahren gegen Krankheiten, die sie an anderer Stelle mit roten Medikamenten bekämpft, vielfach auch Blut verwendet. So werden bei Plinius Bisse und Stiche von Tieren, z. B. von Schlangen, durch Schildkrötenblut geheilt 8 , Ziegen- und Hirschblut gegen Verdauungsbeschwerden angewandt 4 . In Analogie zu den zahlreichen roten Kopfschmerzenmitteln steht das talmudische, die empfindliche Stelle mit dem Blute eines Auerhahns zu betropfenB. Heilungen, bei denen der Kranke mit Tier-, und zwar insbesondere mit Hühnerblut beschmiert, besprengt oder auf andere "Weise in Verbindung gebracht wird, sind üblich bei algerischen Juden, Singhalesen, Indern, Tataren, Sarawaks und vielen anderen Stämmen®. Die Gleichstellung von Rot und Blut wird besonders deutlich in der Behandlung der Epileptiker. Schon Plinius nennt neben dem Granatapfelsaft als Heilmittel Schildkrötenblut7, "Wieselblut die deutsche Volksmedizin8. In Rom tranken die Fallsüchtigen das Blut aus den Wunden der 1

Vgl. Wolters aaO. ABW VIII (1905) Beiheft S. 21. Eohde, Psyche I S. 75; Pley aaO. R G W XI (1911) Heft 2, S. Iff. 1 » Plin. n. h. XXIX 62. Ebd. XXVIII 202. 4 * Gittin 68. Scheftelowitz aaO. KGVV XIV (1914) Heft 3, S. 43 ff. 7 8 N. h. XXXII 112. Wuttke aaO. 2

Rot als Blutsymbol: Medizin

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Fechter 1 . Es muß für sie von Wert gewesen sein, diesen Lebensstoff warm und frisch und noch, während er seine Funktion erfüllte, zu erhalten, wie dies die Worte des Plinius zeigen: Efficacissimum

putant

calidum

spirantemque

et vivam ipsam

animama.

Aus dem gleichen Grunde heißt es noch in einem Bericht über Volkstümliches aus Einsiedeln: „Mit Zuversicht wird vielfach behauptet, daß ein mit dem hinfallenden Wehe Behafteter sicher davon geheilt wird, wenn er vom Blute eines Hingerichteten trinkt" 8 . Wo der Aberglaube nicht durch die Gelegenheit, derartiges Blut zu bekommen, in den Schranken einer — wenn auch relativen — Sittlichkeit gehalten wurde, mordeten die Kranken, um sich ihr Heilmittel zu verschaffen4. Daß man das Wesentliche am Blute, die Lebenswärme, gelegentlich vergaß und die Heilkraft bald seiner Farbe zuschrieb, zeigen einige Verordnungen in der Medizin des Celsus6, in denen das Blut in der auch sonst in der Magie üblichen Farbensymbolik Schwarzweiß-rot® anstatt der roten Farbe erscheint. Keinesfalls wird hier das so viel schwerer zu beschaffende Blut als Ersatz für anderen roten Farbstoff eingetreten sein. Sondern es ist vielmehr anzunehmen, daß das Blut hier, wie überhaupt in der Medizin, das Primäre war, daß aber diese Rezepte aus einer 1

Plin. n. h. XXVIII 4. Ebd. Ähnlich Minne. Fei. Octav. XXX 5; anch die Compositiones des Scribon. Largne empfehlen verschiedentlich gegen Epilepsie Menschenblut; vgl. Strack, Das Blut, 5 . - 7 . Aufl., 27 ff. 8 Schweizer Archiv für Volkskd. VIII 314; Strack aaO. 43 ff. * Schweizer Archiv X 26. 31; XII 285. * Cele. med. I I I 23. β Über die magische Verwendung von Schwarz-weiß-rot in der Antike vgl. Apul. Met. X I 2; Serv. zu Verg. Eel. VIII 73f.; im Mittelalter Gesta Romanorum 125 (117) S. 476 u. 592; 119 (111) S. 464 Oesterley, wo ein Ring von magischer Kraft geschildert wird: Vidit serpentem . . . portantem lapidem in ore euo coloratum triplici colore; ex una parte erat albus, ex alia niger, ex tercia rubieundeus. So wird noch in einem hessischen Zauberbuch ein Spruch empfohlen, Würmer zu kurieren: „Peterus und Jesus, führen aus gehn Acker, ackerten drei Furchen, ackerten auf drei Würmer der eine Weiß, der andere Schwarz, der dritte Roth, da waren alle Würmer Todt, in Namen X X X sprich diese Worte dreimal". Hier soll offenbar das bloße Nennen der Farben, die sonst wirklich in Anwendnng sind, das Übel austreiben. Vgl. Dieterich, Kleine Schriften 197. Auffällig ist auch die Tatsache, daß — soweit wir den Marginalien, Querschnitt IV (1924) Heft 2. u. 3 S. 175 glanben dürfen — die Fahne der Leviten, des jüdischen Priester-, also Magierstammes schwarzweiß-rot gewesen ist. Zur Zusammenstellung von Schwarz-weiß-rot vgl. auch Hopfner, Griechisch-ägyptischer Offenbarungszauber (1921) 156 § 617 f. 2

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Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

Zeit stammen, in der man das Eot schon in gleicher Funktion wie Blut verwendete und darum eine derartige Auffassung des Blutes als Heil f ä r b e , nicht als eines H e i l s t o f f e s , möglich war. Ähnlich erklären sich die Entsündigungsriten der Aussätzigen im Alten Testament, bei denen neben Wasser, das durch Ysop und Zedernholz gerötet wird, auch Blut in Anwendung kommt Κ Einen Nachklang dieser Entsündigungsbräuche zeigen die Heilungen der drei berühmten Aussätzigen: des Pharao von Ägypten, der allabendlich im Blute 500 israelitischer Kinder badete, des Kaisers Konstantin, des späteren Papstes Innocenz VIII., der durch seine Bekehrung am gleichen Verbrechen gehindert wurde, und des Armen Heinrich 2 . — Auch gedörrtes Blut ist Heilmittel für mancherlei Krankheiten 8 . — Wenn wir bei Besprechung der Heilverfahren gegen Epilepsie (vgl. S. 9 oben!) richtig geschlossen haben, daß die Anwendung von Blut der primäre, die der roten Farbe und roter Gegenstände der sekundäre Brauch ist, dann müssen wir annehmen, daß in einer großen Anzahl von Fällen, in denen primitive Heilkunst sich des Kot bedient, dies als Ersatz für Blut eingetreten, d. h. Blutsymbol ist und - daß die Medizin im weitesten Umfange, also auch dort, wo sie sich nicht mit der Linderung und Beseitigung von Krankheiten befaßt, sondern — etwa indem sie Lebenselixiere herstellt, nach deren Genuß ein Mensch 10 000 Jahre alt werden kann 5 — wo sie nur Maßnahmen darstellt, die man in der modernen Wissenschaft Hygiene nennen würde, gleichfalls das Rot im Sinne eines Blutsymbols verwendet. Wie in der Volksmedizin, so zeigt sich die Wirksamkeit der roten Farbe auch in einer anderen von der Magie beeinflußten Wissenschaft, der Agrikultur. So empfiehlt die antike Agrarwissenschaft als Mittel gegen landwirtschaftliche Schädlinge 1

Midras Semöt Rabbä I 34. Vgl. auch Gesta Eomanorum Nr. 230 S. 633 Oesterley. Daß es sich nicht darum handeln kann, dem Kranken gesundes Blut zuzuführen, zeigen die Fälle, in denen man ihm von seinem eigenen Blute zu trinken gibt; so K. Sudhoff, Bruchstücke eines Boßarzneibuches aus dem 14. Jahrhundert, Archiv für Geschichte der Medizin VI (1912) 230. 3 Bei Sorbenwenden und Germanen; vgl. Ulrich Jahn, Opferbräuche 318. 4 Die weniger zahlreichen Fäile, in denen die Medizin das Rot nicht als Blutsymbol verwendet, werden im 4. Kapitel behandelt werden. 6 Vgl. Chinesische Volksmärchen libs, von Rieh. Wilhelm (Jena 1919) 68 u. 393. 2

Rot als Blutsymbol: Agrikultur

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den Rötel: sunt arborum pestes et formicae, has abigunt rubrica ae pice liguida perunctis caudicibus1. Daß auch er seine Verwendung der Ähnlichkeit mit dem Blute verdankt, wird wahrscheinlich, wenn man sieht, daß an anderer Stelle zu gleichem Zwecke Blut gesprengt wird 2 . Die hierbei vorherrschende Verwendung von Menstruationsblut8 bedeutet neben der hier kathartischen Wirkung des Blutes an sich lediglich eine Mitwirkung sympathetischer Kräfte zur Steigerung der Erdfruchtbarkeit durch Andeutung der menschlichen. Wir beobachten hier also wieder die oben (S. 8) erwähnte Verwendung zweier auf ein gleiches Ziel gerichteter, hier aber verschiedenartiger Kräfte: der Ertrag des Bodens soll gesichert werden sowohl durch Vertreibung des Ungeziefers, d.h. durch kathartischeBlutverwendung, als auch durch die sympathetische Verwendung der menses. Man hat gelegentlich vermutet, daß hier die Absicht vorliege, das Ungeziefer und seine dämonischen Urheber durch Ekel zu schrecken4, — eine Deutung, die mit der antiken Vorstellung von Dämonen und den oft recht ekelhaften Wegen, auf denen sie z. B. in den menschlichen Körper einzudringen suchenB, nicht in Einklang zu bringen ist. Findet sich die rote Farbe als ein wirkungsvolles Mittel in denjenigen Teilen antiker Zauberei, die den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhoben, in Medizin und Agrikultur, so ist es selbstverständlich, daß sie ein wesentlicher Faktor der reinen, von keiner Erfahrungswissenschaft berührten Magie gewesen sein muß. Darum bedarf es für Plinius keiner Begründung, wenn er den rötlichen Schwalbenstein von der weißen Art unterscheidet : Magicis narrati artibus reperiuntur e. Hippolytus erzählt vom Magiker Markus, wie dieser seine Gemeinde betrog: εκτείνων τον λόγον της επικλήσεως πορφνρεον το κέρασμα εττοίει φαίνεσ&αι και ποτε ερν&ρόν, ώς δοκείν τους άτΐατωμένονς χάριν τινά κατιέναι 1

2 Plin. η. h. ΧΥΙΙ 266. Ebd. Ebd. und XXVIII 77f.; Pallad. re rust. I 35, 3; Geopon. XII 8, 5; vgl. dazu Ε. Fehrle, Studien ζ. d. griech. Geoponiken 15 f. 4 So Gruppe, Griechische Mythologie 896, 1; die Analogien, auf die sich Gruppe stützt, sind nicht durchschlagend; vgl. Jahn, Abhandl. der Sächsischen Gesellschaft VII (1855) 92; Weinhold, Abhandl. der Berliner Akad. 1896, S. 10. Durch die dort erwähnte apotropäische Nacktheit will man die Dämonen erschrecken, keineswegs ihren Ekel erregen. B 6 Vgl. ζ. B. Dieterich, Mithrasliturgie 98. Plin. n. h. XI 203. 3

Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

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nal αίματώδη δύναμιν τίαρέχειν τψ no ματ ιund an einer anderen Stelle heißt es: αίματώδη φλόγα ποιεί το Ίνδικον μέλαν εντε&εν τψ λιβανωτφ . . . αίματώδη δε νγρααίαν jtoul κηρον άγχούση &ναμίξας καϊ ώς ϊφην τψ λιβανωτφ τον κηρον ivd-έμενος 2 . D a ß man

auch hier im Eot bewußt die Farbe des Blutes bewertete, zeigen W e n d u n g e n w i e αίματώδη

δύναμιν

und

αίματώδη

φλόγα*.

In

gleicher Weise zeigt sich eine allgemeine Bewertung der roten Farbe auch in der Magie der Primitiven. So wenii die Australier ihre Zaubersteine vor jedesmaliger Benutzung mit rotem Ocker färben oder wenn der Dorfvorsteher bei den Malers den neuen Zauberpriester in sein Amt einführt und ihm dabei einen roten, mit Muscheln behängten Seidenfaden um den Hals bindet u. dgl. mehr 8 . Doch bei einer allgemeinen Bewertung von Eot als Zauberfarbe schlechthin konnte es nicht bleiben, und in der von Dämonen belebten und regierten Welt der Alten wie der Naturvölker, in der für den Einzelnen alles darauf ankam, diesen dämonischen Willen zu eignem, persönlichem Nutzen zu lenken, mußten sich früh Sondergebiete bilden, auf denen die rote Farbe ihre Funktion als Kraftträger und -mehrer erfüllte. Im Altertum finden wir sie vornehmlich im Liebeszauber und zwar auch hier — wie in der Medizin — in Parallelwirkung oder vielmehr in Ergänzung mit dem Faden, der vermöge seiner apotropäischen Wirkung hier vielleicht die Aufgabe hat, dem Liebeszauber störende Einflüsse fernzuhalten. Das älteste Zeugnis für die Verwendung von Purpurfäden im griechischen Liebeszauber sind die Φαρμα4 χευτριαι Theokrits . Freilich wirkt hier nicht der Purpur allein, sondern in Ergänzung und gegenseitiger Steigerung mit anderen gleichfalls magisch wirksamen Farben wie schwarz, weiß und blau 5 . So sehen wir auch bei den späteren, ζ. T. von Theokrit 1

s Hippolyt. III 171 Wendland. Ebd. III 28. Berkusky aaO. 258. 1 2, 2; auch R. Wünsch, Hess. Blätter f. Volksk. VIII Heft 2, S. 127 hält, allerdings unter Hinweis auf Diels SB1. 70, diese Verwendungeart der Liebesfäden für apotropaeisch wie die weiter unten (vgl. S. 22) besprochenen Fadenamulette. 5 Zur magischen Bedeutung des Schwarz vgl. E. Th. Preuß, Religionen der Naturvölker Amerikas, AEW XIV (1911) 282; Scheftelowitz, Sündentilgung durch Wasser, ARW XVII (1914) 389.594; von Weiß aaO. AEW XIV (1911) 260; XVII (1914) aaO. 388. 389f.; über die Zusammenstellung der Farben Weißblau-schwarz vgl. Hopfner, Griechisch-ägyptischer Offenbarungszauber (1921), 156, §617 f. 5

Bot als Blutsymbol: Magie

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beeinflußten Dichtern im Liebeszauber vielfach „fila discolora" und gehen schwerlich fehl, wenn wir auch unter diesen den Purpurfaden vermuten1. Ist die Beeinflussung des Dämonen- und Götterwillens im antiken Zauberwesen gleichsam nur schweigende Voraussetzung, die — wenigstens in klassischer Zeit — nur selten ausdrücklich erwähnt wird, so tritt sie in der Magie der Primitiven deutlich hervor, und häufig handelt es sich gerade in den Riten, bei denen die rote Farbe in Anwendung kommt, um direkten Verkehr mit den Dämonen. Der Schamane, dessen Ritus im wesentlichen die dämonische Besessenheit des Priesters herbeiführen will a , bedient sich zu fast allen Zeremonien einer großen roten Blume (kembang sepatu) 8 . Bei vielen Stämmen muß man, um einen bösen Geist zu zitieren, ein rotes Kleid anziehen 4 . In einem isländischen Märchen wird ein „Wiederkehrer" (Totengespenst) vertrieben, indem man einem roten Stier einen mit magischen Zeichen beschriebenen Zettel auf die Zunge legt 6 — wobei das Rot von Zunge und Stier vermutlich eine Kraftsteigerung der bereits durch den Stier an sich verkörperten magischen Kraft darstellt. Das Moment der Kraftsteigerung liegt m. E. auch in dem schwedischen Aberglauben, nach welchem das Krähen eines roten Hahnes für wirksam gegen Gespenster gilt 6 , denn das Krähen selbst ist bereits Übelabwehr7. Eine beabsichtigte Steigerung der magischen Kraft des Opfers schließlich müssen wir darin sehen, wenn das Opfertier, dessen Darbringung gewöhnlich der Günstigstimmung von Göttern und Dämonen dient, von roter Farbe sein muß; z. B. wenn die Ghasiya ihrer Feldgöttin Hariyaridewi rote Hühner, die Majhwär 1

Z. B. Verg. Eel. VIII 73; Cir. 371. Vgl. ßadloff, Das Schamanentum und sein Kultus (Lpz. 1885); Priklonsky, Das Schamanentum der Jakuten, Mitteilungen der Wiener anthropologischen Gesellschaft XVIII (1888). 3 H. G. Juynboll, Religionen der Naturvölker Indonesiens, AKW VII 4 (1904), 505. Berkusky aaO. 258. B Isländische Märchen und Yolkssagen, dtsch. von Age Avenstrup und 6 Elisabeth Treitel (Berlin 1919) 189. Berkusky aaO. 260. ' Auf die der roten Farbe in den einzelnen Riten parallel wirkenden oder sie ergänzenden Kräfte werde ich im folgenden nur dann eingehen, wenn es das Verständnis für die Anwendung des R o t erfordert. Eine Behandlung der mannigfachen Gegenstände und Gebräuche, mit denen verbunden die rote Farbe im Ritus auftritt, und die — jedes für sich — magische Kraftträger sind, würde über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen. 2

Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

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bei Krankheiten dem Schlangengotte Näy eine rote Ziege und ein rotes Huhn dem Kamang Trio, wenn er Krankheiten schickte, die Bewohner von Borneo einen roten Hund oder Hahn schlachten1. — Wertvoll ist die Hilfe der Geister besonders dort, wo man töten und verderben will. Wünscht der KaroBatak den Tod eines Feindes, dann umwickelt er Hals und Kopf eines roten Hundes mit Nesseln und vergräbt das Tier unter der Haustreppe des Gegners2, „Rachepuppen", d. h. künstliche, meist aus Wachs hergestellte, dem Feinde ähnliche Figürchen, werden mit rotem Faden umwunden, ehe man sie — um auf telepathischem Wege dem lebenden Original das gleiche anzutun — mit Dornen und Nadeln durchbohrt8. Um einen günstigen Richterspruch zu erreichen, näht die Bäuerin in der Ukraine einem Frosch mit roter Wolle das Maul zu 4 , gleichfalls ein telepathischer Zauber, bei dem der Belastungszeuge unschädlich gemacht werden soll. Derjenige, auf den beim Mukuelli-Dukama-(Beinstellen-)Zauber der Medizinmann der Dieri mit einem der menschlichen Wade künstlich nachgebildeten, rotgefärbten Bein hinzeigt, muß sterben 5 . Bei den Kai von Neu-Guinea werden dem Gegner entwendete Fingernägel, Exkremente u. dgl. geheimnisvoll in Eindenstücke eingerollt und an einem roten Faden zu zauberischem Singsang hin- und hergeschwungen. Der Gesang fordert die Dämonen auf, den Verzauberten zu holen e . Einen Zweig vom roten Asvatthabaum steckt man beim Verwünschungszauber im alten Indien in die Erde, umwindet ihn mit einem dunklen und roten Faden, indem man die Zauberformel spricht: „Ich überspanne mit Dunkel und Rot N. N." 7 Im singhalesischen Pilli-Zauber, dessen Einzelheiten auszuführen sich hier erübrigt, sind zur Erreichung einer Totgeburt und zum Lebendigzaubern des tot geborenen Kindes erforderlich: rote Betelblätter, rote Tücher, ein Hahnenkamm, 1

2 Berkusky aaO. 261. Berkusky aaO. 258. R. Pagenstecher, Kachepuppen aus Mexiko u. Verwandtes, ARW XV (1912) 313. 4 Fr. Janiewitsch, Volkskundliches aus der Ukraine, ARW XIV (1911) 316; über das Zunähen der inimica ora vgl. Ov. Fast. II 578; R. Wünsch, B. phü. Wochenschr. 1905 Sp. 1079. 6 K. Beth, Religion und Magie bei den Naturvölkern 78. Hier spielt das Material bei der Herstellung des Beins natürlich eine wesentliche Rolle. « Beth aaO. 75. 7 Vgl. S. Eitrem, Opferritus und Voropfer der Griechen und Römer 459, 5. 8

Rot als Blutsymbol: Magie

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Rotameisenöl und ein Rotameisenhaufen1. Eine Sitte, bei. der das Parallelwirken gleicher verderblicher Kräfte sich besonders deutlich zeigt, ist es, einen rotgefärbten Krokodilszahn2 oder einen ebensolchen Stein 8 in der Richtung des Aufenthaltes des betreffenden Opfers zu schleudern. Ebenso die bei vielen Naturvölkern herrschende Sitte, Lanzen und Wurfbeile vor dem Kampf rot anzumalen*, und auch die des Tschiroki, wenn er auf der Jagd die aus rotem Rohr gefertigten Pfeile versendet und dazu sagt: „Sogleich treffe dich der rote Selagwutsi (Rohr) gerade in die Mitte deiner Seele, sogleich! Yü!" 6 Daß auch in dieser Art des Zaubers, mit Hilfe der roten Farbe einen Menschen den todbringenden Dämonen auszuliefern, Rot ursprünglich Ablösung des Blutes gewesen ist, zeigt eine Talmudstelle: „Gott sprach zu Gabriel: ,Mache auf die Stirn der Frommen ein Zeichen mit Tinte 6 , damit ihnen die Geister des Verderbens nichts antun können, mache dagegen auf die Stirn der Frevler ein Zeichen mit Blut, damit sich ihrer die Geister des Verderbens bemächtigen'" 7. Die Annahme, daß die rote Farbe in der Funktion, verderbliche Geister zu beschwören und ihre tätige Hilfe bei der Vernichtung von Feinden herbeizurufen, die Stelle des Blutes eingenommen habe, wird ferner dadurch unterstützt, daß nach dem Aberglauben fast sämtlicher Naturvölker Blut die den Dämonen, Vampyren u. dgl. Wesen erwünschte Nahrung ist, deren Anblick naturgemäß in irgendeiner Weise antreibend auf sie wirken muß. Aber nicht nur zum Verderben sucht man in der Magie durch den Anblick von Rot oder Blut den Willen der Geister zu bestimmen, sondern fördernd überall dort, wo der eigene Nutzen es gebietet. So vor allem in der nach primitivem 1

Ot. Pertold, Der singhalesische Pilli-Zauber, ARW XVI (1913) 56 f. C. J. Westenberg, Bijdragen 6. Folge Y 236. 3 ARW X (1907) 144. 1 Berkasky aaO. 256; E. Grosse, Anfänge der Kanst 60 f . 5 Preuß, Globus 87, 384 a. β Vielleicht liegen hier auch die Ursachen für die apotropäische Kraft der schwarzen Farbe; auch der Indonesier macht sich mit Ruß ein schwarzes Zeichen auf die Stirn, um sich vor den „toh" zu schützen; vgl. Juynboll aaO. ARW XVII (1914) 594; als apotropäisch sind wohl mit Recht auch die schwarzen Bohnen an den Lemurien gedeutet Ot. Fast. V 436; vgl. Sartori, Das Wasser im Totengebrauche, Z W XVIII (1908) 367 und Goldziher, Wasser als dämonenabwehrendes Mittel, ARW XIII (1910) 43. ' Sabbat 55 a. a

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Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

Glauben von Dämonen gelenkten Natur, um Einfluß auf die Naturerscheinungen zu gewinnen1. Der melanesische Windmacher zaubert den Wind je nach Bedarf fort oder herbei, in dem er Büsche und Boote, die vom Winde bewegt sind oder bewegt werden sollen, rot anmalt 2 . Eegen wird beschworen, indem man — in Verbindung mit anderen zauberischen Vorgängen — das eigene Blut zum Fließen bringt und sich mit Ocker einreibt 8 . Frazer, der zahlreiche Beispiele für dies Vorgehen anführt, versucht fast überall Erklärung durch Analogiezauber: bald ist es der plätschernde Regen, bald die ihn verdrängende Sonne, die nachgeahmt werden soll. Selbstverständlich wird bei der Häufung magischer Mittel in diesen Riten auch das der Sympathetik mitsprechen. Sympathetisch zu erklären z. B. ist die Verwendung von Wasser und die Nachahmung des Regengeräusches, keinesfalls jedoch die Anwendung von Rot oder Blut. Wir haben hier das Nebeneinander der Sympathetik und der Kraft der Farbe als zweier wohl auf ein gleiches Ziel gerichteter, selbst aber ungleichartiger Kräfte. Wetterzauber, bei dem das Blut noch nicht durch rote Farbe ersetzt ist, ist das „Blutwerfen" bei Gewitterstürmen in Indonesien4. Ebenso die von Frazer richtig gedeutete Baalsbeschwörung im alten Testament, wo sich zur Zeit der Dürre die Baalsanbeter mit Messern und Pfriemen ritzten®. Rot ist Mittel zur Sicherung der Fruchtbarkeit des Erdbodens. Als Kraftsteigernng in diesem Sinne ist vor allem die Bemalung der Eier bei Frühlings- und Erntefesten zu verstehen, da das Ei — wie Mannhardt erwiesen hat — dort als Symbol der sich stets verjüngenden Natur erscheint®. Rot waren früher — wie ein altes deutsches Liedchen zeigt — die deutschen Ostereier: Vgl. Gruppe, Griechische Mythologie 830; 835; 845; Dieterich, Mithrasliturgie 64; Eohde, Psyche, 7. u. 8. Aufl. I 47ff.; W . Kroll, Die chaldäischen Orakel, Rh. M. L (1895) 637; Samter, Fam. 131. 2 AUW X (1907) 147. 8 Frazer, GB I 1, 266ff. 262; III 20; VII 2, 232f. 1 H. H. Juynboll, Indonesien, AKW I X (1906) 439. 8 Könige I 18, 28. β Mannhardt, Wald- und Feldkulte I 158. Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung scheint mir auch die Verwendung ganzer Eier (mit der Schale) im Hochzeitskuchen; Tgl. M. F. Nilsson, Das Ei im Totenkultus der Griechen, Frän Filologiska Föreningen i Lund, Spräkliga uppsatser II, Lund 1902. 1

Bot als Blutsymbol: Magie. Erklärung

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Den Brettersitz am Weiher Seit grauer Yäter Zeit Dem Spiel der roten Eier Am Ostertag geweiht 1 . Ausschließlich rot sind noch heute die Ostereier bei den georgischen Kaukasiern2. Ein rotes, mit Johanniswein besprengtes Ei legt man in gewissen Teilen Oberbayerns in die erste Garbe und wirft es erst fort, wenn die Ernte gesichert ist 8 . In Bering bei Mosburg geht Ostern der Bauer um seine Äcker und steckt in die Ecken eines jeden Palmkreuzchen und die Schalen von geweihten Eiern; in der Mitte jedes Feldstückes wird ein rotbemaltes Ei vergraben4. Am Gründonnerstag, der ja dem Oster-Frühlingsfest unmittelbar vorausgeht, werden auf Lesbos alle Fenster und Türen mit roten Blumen geschmückt6. Zur Bekräftigung des Fruchtbarkeitszaubers dient offenbar die rote Tusche, mit welcher der chinesische Zauberer seine Gaukleisprüche aufschreibt, um sie an den vier Ecken des Grabes, in dem er den Geist der Dürre vermutet, zu befestigene. Fruchtbarkeit und Segen soll wohl auch herbeigeführt werden, wenn in der Umgegend von Pharsalos — wie dies 0. Kern 1899 bei seinem Aufenthalte in Thessalien beobachtete — an einem Sonntage in der Osterzeit nach dem Gottesdienst rote Gerstenkörner von den Frommen verspeist werden. Hier liegt offenbar die Absicht einer dreifachen gegenseitigen Kraftsteigerung vor: das Gerstenkorn als Frucht bzw. Samen wirkt sympathetisch auf das Hervorsprießen neuer Früchte, dazu kommt Rot als Zauberfarbe und der durch den voraufgegangenen Gottesdienst Kraft spendende Segen der Kirche. Daß auch in den Riten dieser Art Rot vermutlich an die Stelle von Blut getreten ist, darauf deuten die zahlreichen und weitverbreiteten Bräuche, bei denen die Erde zur Erhöhung ihrer Fruchtbarkeit mit Blut benetzt oder getränkt wird. Reiches Material hierzu bietet Frazer7. Ein Nachklang solchen Blut1

2 Grimm, D. W. VIII 1298. Mündliche Auskunft von Georgiern. 1 B • Jahn, Opferbräuche 158. Ebd. 78. Berkusky aaO. 258. β Chinesische Volksmärchen aaO. 208; (s. oben S. 10, 5). 7 GB I 2, 107ff.; V 1, 239. 244; V 2, 22; VI 292. So wird ζ. B. ein Sklave- zerrissen, sein Blut auf die zu befruchtenden Felder gegossen; blutgetränkte Maisschnitten werden zu Ehren der Maisgöttin verzehrt; die durch ReligionsgeschichtUehe Versuche u. Vorarbeiten XX, l. 2

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Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

zaubers findet sich noch heute im Schweizer „Blutritt", wenn in Weingarten bei Altdorf zum Segen der Felder in feierlicher Prozession ein Tropfen vom Blute Christi umhergetragen wird Κ Eine Spur der primitiven Einsetzung von Rot für Blut findet sich auch in der Farbensymbolik der katholischen Kirche, wenn sie die virgulae coccineae der Priesterdalmatik als einen Hinweis auf den sanguis Christi pro salute mundi effusus betrachtet 2 , wenn für sie „Kot, die Farbe des Blutes", Sinnbild ist der „blutvergießenden Liebe des Erlösers" So treten bei Dante zum Zeichen der Liebe, ohne die sie nicht gedacht werden können, die 4 Kardinaltugenden in Purpurkleidern auf, so die 7 Greise, welche die Taten der Apostel, die Paulusbriefe und die katholischen Briefe von St. Peter, Jakob, Johannes und Juda wie die Johannesapokalypse verkörpern, zum Zeichen ihrer christlichen Liebesglut mit roten Blumen im Haar 4 . Es ist durchaus nicht erstaunlich, daß in der magischen und pseudowissenschaftlichen Betätigung primitiver Völker die rote Farbe in die rituellen Funktionen des Blutes eintreten konnte. Daß Bot dem primitiven Verstände für Blut gilt, kann man im Volksglauben auch heute noch erkennen, wo der rötliche Saft, den die Schmetterlinge an Bäumen zurücklassen, für das Blut der vom Teufel verfolgten und verwundeten Schrätlein gilt 5 , nicht minder dort, wo das Verbot des Blutgenusses zugleich auch den roten Saft des Somagewächses und rotes Baumharz zu verzehren verbietet e . Es zeigt sich in der Sprache, die oft für „rot" und „Blut" nur e i n e Bezeichnung kennt oder die eine aus der anderen herleitet 7 ; es zeigt sich ferner in der Sage, in der Inzest, Ehebruch usw. verletzte Natur, wird, um eine Gefährdung der Erdfruchtbarkeit zu verhüten, durch Ausschütten von Tierblut auf die Erde versöhnt, die Aussaat mit Blut bespritzt; vgl. auch Mannhardt aaO. I 562. 1 Scheftelowitz aaO., EGVV XIV (1914) Heft 3, 48. * Vgl. Realenzyklopädie der christlichen Altertümer II 187; PseudoAlcuin c. 40. 3 Anselm Schott, Das Meßbuch der heiligen Kirche, 31. Aufl., S. XVI. 4 Dante Divina Commedia Purg. XXIX 130ff.; Scartazzini 5. Ausg. 1907 S. 647ff.; vgl. Thomas von Aquino Summa theolog. I, 2, 65, 2. 5 Mannhardt aaO. I 115. β J. v. Negelein, Der Traumschlüssel des Jaggaddeva, R G W XI (1912) Heft 4, 251; ARW VI (1903) 246. 7 So im Hebräischen dm (rot) von der Wurzel dorn (Blut); vgl. Gesenius, Hebräisch-aram. Handwörterbuch 16. Aufl. S. 10 a, 11; auch in der Sprache

Bot als Blutsymbol: Erklärung

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ein Brunnen zum Andenken an einen Brudermord nur noch rotes Wasser hat 1 , wo der Wein für das Blut der Erde 2 oder der Götter 8 gilt, und es zeigt sich schließlich auch in der Dichtung, wenn Aristophanes von einem gesteinigten, blutüberströmten Menschen sagt: χαταξαίνειν τον Άνδρα τοντον ες φοινιχ,ίδαund wenn es noch in der Ballade eines modernen Dichters heißt: „Ich sah einen Purpurmantel treiben auf offener Flut — Ich bückte mich nach dem Mantel, da war es mein eigen Blut" 5. Führte praktische Notwendigkeit zu einem bloßen Ersatz von Blut durch Rot, so mußte die psychische Verfassung des Naturvolkes notgedrungen zur Identifizierung beider führen. Denn die Unterscheidung des Gegenstandes selbst und seiner auffälligen Merkmale entspricht — wie man auch am Kinde beobachten kann — bereits einer gewissen Höhe der Entwicklung. Die Religionswissenschaft hat daher fast einstimmig den weitaus größten Teil der Fälle, in denen die rote Farbe in der bisher besprochenen Weise zur Verwendung kommt, von blutigen Riten hergeleitet®. Weniger einig war man sich darüber, wie denn das Blut zu dieser Bedeutung gekommen sei. Ist es wirklich immer und überall Rest oder Symbol eines Opfers, wie dies wiederholt behauptet wurde? 7 Dann dient im gleichen Volk zur gleichen Zeit das Opfer bald dazu, die Dämonen zu sättigen und dadurch zu beschwichtigen oder freundlich zu stimmen (so ζ. B. in der kathartischen Verwendung), bald, durch den Blutgenuß ihren Durst erst recht zu reizen (ζ. B. im Vernichtungszauber). Ist der Naturmensch auch frei von Logik (oder vielmehr von dem, was der Moderne unter Logik versteht), so scheint mir hierin doch eine Inkonsequenz zu liegen, die dem einfachen, der Kinepetu-Eskimos ist „rot" = „wie Blut"; vgl. H. W. Klutschak, Als Eskimo unter Eskimos 229. 1 Ε. A. Stückelberg, San Lucio, AEW XIII (1910) 339; Rogasener 2 Familienblatt, hrsgb. von Knoop, Jahrgang 7 Nr. 5. Plin. n. h. XIV 7. 8 Nach ägyptischer Anschauung war Wein das Blut des Osiris; vgl. Wächter, Reinheitsvorschriften im griechischen Kult, R G W IX (1911) 1, 113. 4

Acharn. 320; dazu das Scholion kidois αντόν αίμάασειν ώστε φοινιχονν αντώ ποιήσαι τ ο σώμα. Το δε καταξαίνειν cos έτίΐ έρίων ί&ηχε. διό χαϊ ψοινι6 χίδα είπεν ώβ επί ίμάτιον. Th. Fontane, Johanna Gray Υ. 3 f. 6 Vgl. v. Duhn, Rot u. Tod, ARW IX (1906) Iff.; Diels, SB1. 70 Anm.; Samter, Fam. GHT. 7 So Diels aaO.; nach ihm Samter aaO.; v. Duhn aaO. und andere.

2*

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Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

instinkt- und darum erfahrungsmäßigen Handeln widerspricht. Es bliebe dann ferner noch ungeklärt, warum gerade das Blut in so auffälliger Weise als Opfersymbol sich erhalten habe, während andere alte, den Göttern und Dämonen gleichfalls angemessene Opferspenden wie Honig, Milch und Wein ganz in den Hintergrund getreten sind! Ebensowenig geht es an, das Blut für einen Teil speziell des Sühnopfers zu halten und dies auf die „reinigende Kraft" des Blutes in den antiken Sühnebräuchen zurückzuführen1. Es handelt sich dort stets um die Sühnung von Mördern®, und daß man Blutschuld mit Blut abwusch, ergab sich nicht aus einer besonderen Kraft gerade dieses Stoffes, sondern aus dem Talionsprinzip: Auge um Auge, Zahn um Zahn8. "Wer Menschenblut vergossen hatte, der mußte — in Fällen der Strafmilderung nur symbolisch4 — gleichfalls bluten nach uraltem Recht, das für Rom im Zwölftafelgesetz festgelegt 5 und noch in nachkonstantinischer Zeit erweitert wurde®. Ist von einer „Reinigung" durch Blut bei der Sühne die Rede, dann gewährt nicht das Blut, sondern die Strafe an sich χάΰαρσις von dem μίασμα der Vergehung. Wo dieses nicht im Blutvergießen bestand, erfolgt auch die Sühnung nicht durch Blut. Man denke an die Bestrafung der Antigone: ihre Übertretung des Gesetzes bestand in der Bestattung des Bruders; darum muß sie selbst ins Grab steigen 7. Die „Reinigung" ferner der Aussätzigen im Alten Testament steht durchaus auf einer Stufe mit der magischen Behandlung anderer Übel und ist nur insofern kathartisch aufzufassen, als jede Krankheit eine Art 1

Gruppe, Griechische Mythologie 891, 3; Wächter aaO. R G W IX (1910) Heft 3, S. 18, 3; Schwenn aaO., ßGVV XV (1915) Heft 3, S. 35,1; 81 ff ; 114. a Ζ. B. Aisch. Eum. 280 f. Wilam.; Eurip. El. 681; Eurip. Iph. T. 1197; Eurip. Phoin. 937; Plato lgg. XI 166f.; Enn. Seen. 209 8. 153, 2. Aufl. Vahlen; Ov. Met. VIII 483; Caee. Bell. G. IV 16. 8 Exod. XXI 23 ff.; Levit. 24, 20; Hesiod. Frgm. 174 S. 196 Rzach. 2. Aufl. * So wird in der Umgegend von Nablus eine symbolische Blutrache vollzogen, indem der Mörder sich ein rotes Tuch um den Hals bindet und vor dem Rächer niederkniet, dessen Handflächen mit Blut beschmiert sind und der mit einem Schwerte die Tötung des Mörders andeutet; vgl. Samter GHT 183; ähnlich „sühnen" die Eamerunneger Menschenmord, indem sie allen, die beim Mord zugegen waren, also daran irgendwie beteiligt scheinen, Brust und Gesicht mit Tierblut beschmieren; vgl. Frazer GB 4, 251, 1. 5 VIII 2 Schöll = Festns 496, 15 ff. Linds. * Cod. Theodosian. IX 1, 11; Symmach. ep. X 49; vgl. Mommsen, Rö7 misches Strafrecht 496, 5. Soph. Ant. 773 ff.

Rot als Blntsymbol: Erklärung

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Besessenheit, ein μίασμα, also überhaupt nicht anders als auf kathartischem Wege zu heilen ist. Blut an sich für ein Reinigungsmittel zu halten, ist bereits etwas Künstliches. Das Primäre ist der Gedanke, daß Blut besudelt, nicht reinigt. Aber eins mußte der Mensch früh erkennen in dem helium omnium contra omnes, in dem Kampf zwischen ihm und dem Tier, der älter ist als alle menschliche Geschichte: von dem roten Saft, der in seinen Adern floß, hing seine Kraft, wenn nicht sein Leben ab. Brachte ein wildes Tier, eine feindliche Waffe diesen Saft zum Fließen, so wurde er schwach oder mußte sterben. Diese frühe Erfahrung fand ihren Niederschlag in der antiken Psychologie, die das Blut für den Sitz der Seele hielt \ und in der Dichtung, die Leben und Seele mit Blut identifizierte2. Für den unlogischen Menschen liegt es nahe, im erhaltenden Element, im Mittel, zugleich die Ursache zu sehen. Darum konnte aus dem K r a f t e r h a l t e r allmählich der K r a f t e r r e g e r und - m e h r e r werden, darum konnte man schließlich derjenigen Substanz, der man Leben und Kraft dankte, auch andere Fähigkeiten zutrauen, in ihr einen Kraftträger und Kräfteerreger schlechthin sehen. So ist es zu verstehen, daß die Magie sich ihrer bediente, sei es um Neues zu schaffen, Vorhandenes zu vernichten oder Lästiges zu vertreiben. Von der kathartischen zur apotropäischen Verwendung eines magischen Mittels ist nur ein kleiner Schritt. So entwickelte sich leicht neben der positiv auf Schaffen und Zerstören gerichteten Kraft der roten Farbe eine negative, deren einzige Aufgabe im Ablehnen und Vorbeugen bestand, so daß aus dem Heil- und Vertreibungs- ein Schutzmittel wurde. Unter den apotropäischen Verwendungsarten des Rot in der Magie ist vor 1

Aristo! de anima II 405b 5iL; Geneais 11, 3f.; Levit. ΧΙΠ 17 n. a. Auf dieser Auffassung vom Blut als Seelensitz gründet sich die besonders im Mittelalter verbreitete Sitte der Blutsbruderschaft sowohl zwischen Mensch und Mensch als auch zwischen Mensch und Tier. Dort handelt es sich darum, durch wechselseitigen Blutgenuli bzw. gegenseitige Impfung die eigene Seele und Kraft der des anderen auf ewig zu verbinden und umgekehrt. So lecken Tacit. Ann. 12, 47 bei der Vertragschließung die Könige gegenseitig von ihrem Blute; vgl. Wilh. Müller, Die Religionen der Sttdsee, ABW XVI (1913) 183; Frazer, GB I 2, 98; V 2, 54, 1; Strack, Das Blut, 6 . - 7 . Aufl. S. 21ff. Noch im Walthari-Lied heißt es: Wir wurden Bundesbrttder und mischten 1 unser Blut. Homer. Hymn, in Ap. 362.

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Era Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

allem das Amulett von Bedeutung, bei dem die rote Farbe meist die Kraft des an sich apotropäischen Fadens steigert. Unsere Hauptliteratur über rote Amulette im klassischen Altertum bietet die junge christliche Theologie, die gegen diesen heidnischen Brauch naturgemäß eifert. So verdammt in der 12. Homilie zum 1. Korintherbrief 12, 6 Johannes Chrysostomos auf das schärfste τα ΛΐρΙαπτα xal τους κώδωνας τον ς της χειρός έξηρτημένονς xal τον xoxxivov ατήμονα xal τα &λλα πολίης άνοιας γέ1 μοντα κτλ. . Auch Clemens Alexandrinus mag an Fadenamulette

denken, wenn er unter den trügerischen Zaubermitteln, an welche die Menschen glauben, auch rote Wolle nennt: Προοχννοϋντες ερια πνρρα xal αλών χόνδρους και όφόας σχίλλαν τέ xal d-εΐον δεδίασι, προς των γοήτων χαταγοψεν&έντες κατά τινας άκα&άρτους χα&αρμονς \ Ein rotes Fadenamulett aus frühchristlicher Zeit

veröffentlichte U. Wilcken8, und rot waren vielleicht auch die Fädchen, die ein Scholion zu Gregor von Nazianz erwähnt: Περιάμματα κατά τας χείρας xal τονς βραχίονας και τους αυχένας, κλωαμάτιά τινα βεβαμμένα xal σελήνια μψίσχων κτλ. 4 Uber

die Sitte, in emoritischer Zeit, also zur Zeit der Mischung griechischer, römischer und orientalischer Kulturen, rote Fadenund Lappenamulette zu tragen, gibt der Talmud Aufschluß6. Zauberpapyri aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten zeigen die Berechtigung der Theologie, dem zauberischen Unwesen zu steuern: ganze Kolumnen dienen der Herstellung von Amuletten. So heißt es im Pap. Anastas. v. 402: Jaßwv χάρτψ γράψον . . . δήοας Άμματι φοινικίνφ6; und auf Pap. Par. V. 2702 ff.7 wird ein Amulett mit Aufschrift empfohlen xal ειλήσας φοινιχίνφ δέρματι xal άτΐαρτίσας φόρει περί τον τρόχηλον. Häufig auch tragen die Amulette aus Zinnober hergestellte Aufschriften8. Vielleicht waren die miniierten Überschriften (Rubriken) der mittelalterlichen Digesten, von einer aufgeklärten Zeit aus Gründen der besseren Übersicht erklärt9, ein Nachklang jener 1

X 125, S. 107 Montfauc. (Paris 1837). Clem. Alex. Strom. VII 6, 26; 3 S. 19 Staehlin. » Arch. Pap.-Forschung 1, 420 ff. * Vgl. Schaefer zu Gregor von Korinth S. 874. 5 Tosefta Sabbat Kap. 7 § 1. * Vgl. Wessely, Denkschr. Akad. Wien. XXXYI 2, 137. ' Ebd. S. 112. 8 Vgl. Catal. cod. astrol. VII 505; s. auch Bianchi, Hess. Blätter f. Volksk. 9 ΧΠΙ 109, 3. Plin. n. h. XXXIII 122. 2

Bot ale Blutsymbol: Digestentitel, Kaieermanuskripte

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Apotropaea; vielleicht auch standen die rotgeschriebenen Manuskripte der späteren Kaiser ursprünglich unter dem Einfluß der Magie, und die roten Buchstaben waren zunächst nicht Symbol des Purpurs, sondern Schutz seines Trägers, der sich mit dem Handschreiben gleichsam durch ein Stück seiner selbst telepathischer Verzauberung ausgesetzt hatte \ Hierfür mag die große Bedeutung sprechen, die man dem Material der kaiserlichen Tinte, vor allem aber ihrer Aufbewahrung beilegte, mit der ein besonderer Beamter, δ ln\ χανιχλείον, betraut war. Daß aus dem Apotropäum bald ein Ehrenvorrecht wurde, das die Kaiser mit der gleichen kleinlichen Eifersucht hüteten wie das Purpurgewand, darf so wenig wundern wie die ähnliche Entwicklung von der apotropäischen Binde zur Regenten- und Brautkrone 2 . Auch die rotgedruckten Zahlen am Kalender scheinen apotropäischen Ursprungs zu sein. Der Sonntag, der Ruhetag nach sechs Werktagen, ist der Nachfahre des alttestamentarischen Sabbats, dieser wiederum eine vormosaische Einrichtung, denn der Gesetzgeber Moses setzt ihn bereits voraus 8 ; er ist also sehr alt. Die Zahl der „Ruhegesetze", d. h. der Verbote dessen, was man an ihm nicht tun durfte, war unerhört groß und umfaßte jegliche Beschäftigung überhaupt. Diese Vorschriften entsprachen ζ. T. keineswegs hygienischer oder ethischer Notwendigkeit4 und wurden deshalb schon von Jesus abgelehnt5. Sollten jene Verbote vielleicht im Zusammenhang mit der Tatsache stehen, daß der Sonntag für den Araber noch heute ein dies religiosm6,

also ein dies tristi omine infamis

impeditusque7 ist? Der erste Kalender wurde 1493 gedruckt, in einer Zeit blühenden Aberglaubens; und in den bald darauf erscheinenden Kalendern spielen neben Festen und Märtyrertagen die „Kalenderpraktiken" die Hauptrolle, d. h. Angaben, an 1

Auffällig ist jedenfalls Flin. XXXIII 122 die gemeinsame Erwähnung der miniierten Buch- und Grabsteinaufschriften, zu deren Bedeutung vgl. unten S. 54, 8. 2 Vgl. über das kaiserliche Rot V. Gardthausen, Das Buchwesen im Altertum und im Byzantinischen Mittelalter 2. Aufl. 210ff., der ein kaiserliches Edikt vom Jahre 470 zitiert, nach dem der Gebrauch der roten Tinte ausschließliches Vorrecht der Kaiser ist. 3 Exod. XX 8 d e n k t d a r a n , den Sabbattag heilig zu halten. * Vgl. Numeri XV 32ff.; Exod. XXXV 2f.; XXXI 13ff. 8 • Ζ. B. Evang. Mark. III 4. C. Endres, Die Türkei 65. ' GeU. VI 9, 5.

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Era Wanderlich: Bedentang der roten Farbe

welchen Tagen man purgieren, zur Ader lassen, Medizin nehmen, baden usw. dürfe. Es muß also für bestimmte Handlungen bestimmte dies religiosi gegeben haben 1 ; und da am Sonntag ein allgemeines Aussetzen jeder Tätigkeit geboten war, ist di& Vermutung, es handle sich hier um einen solchen im weitesten Umfange, nicht abzuweisen, und ebensowenig der Gedanke, daß man die ihn bezeichnenden Zahlen und Buchstaben ursprünglich rot gedruckt habe, um ihn und dadurch sich selbst gegen die an ihm waltenden bösen Mächte zu schützen 2 . Rote Amulette primitiver und moderner Zeiten sind derartig zahlreich und auch in religionswissenschaftlich nicht unterrichteten Kreisen z. T. so bekannt, daß es müßig wäre, Einzelfälle aufzuzählen. Es sei daher hier nur auf das Material in der einschlägigen Literatur hingewiesen 8 . Natürlich hat es sich hier wie dort nicht ausschließlich um Fäden und Bänder gehandelt. Neben ihnen spielen rote Blumen, Ketten, Perlen, Korallen und andere z. T. an sich apotropäische Gegenstände eine wichtige Eolle 4 . Von roten Blumen als άλεξιφάρμακα erzählt DioskuridesB, und von roten Korallen heißt es bei Plinius: Haruspices eorum (sc. Indorum) vatesque in primis religiosum id gestamen amoliendis periculis arbitrantur; itaque et decore et religione gaudent. Priusquam hoc notesceret, GalU gladios, scuta, galeas adornabant eoe. Ähnliche Gründe mochte es haben, wenn — wie Plinius berichtet — bei den Chaldäern der Sandaresus, ein Edelstein, dessen Farbe aus seinem Namen er1 Daß man schon im Altertum an derartige ungünstige Tage glaubte, zeigt auch die von W. Wreszinski, ARW XVI (1913) 86ff. besprochene „Tagewählerei" im alten Ägypten. 2 Vielleicht wollte man die bösen Geister darch die roten Zeichen im Kalender festbannen oder, indem man ihn an die Wand hing, Haus und Hof dadurch an diesem Tage schützen. * Vgl. Frazer, GB I 2, 306ff.; Scheftelowitz aaO., KGVV ΧΠ (1912) Heft 2, 46ff. iiber Zentralbrasilien, Mazedonien, Hindus, Jaden, Burmesen, Britisch-Nordamer., Dajaken, Veddas, Berber, arab. Beduinen, Schottland, Island, Spanien, Dänemark, Deutschland, Böhmen, Mähren, Portugal; Wolters aaO., AKW VIII (1906) Beiheft 18, 1; Jastrow, Religion Babylon, u. Assyr., Dtsche. Ausgb. I (1904) 338f.; 347 ; 374; Berkusky aaO. 257 über rote Stirnbänder als „Blickableiter"; Schweizer Archiv 13, 64; B. Protsch, Ζ. V. f. rhein. u. westfäl. Volkskd. (1911) 147 über Spieler-Amulette. 4 Über rote Korallen als Amulette bei den Burmesen vgl. Döller, Alt5 β testam. Abhdlg. VII, 2, 271. VI 132. XXXII 23.

Rot ale Blutsymbol: Kalender, Amulette

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hellt (σάνδνξ — eine dem Mennig ähnliche Farbe), religiöses Ansehen genoß 1 . Eine Spur von der apotropäischen Bedeutung auch des Blutes findet sich unter den Amuletten in der Form von Talismanen, die aus geronnenem Blut bestehen 2 . Das vereinzelte Auftreten dieser Spur läßt zwar darauf schließen, daß auch im Amulett die Farbe das Blut abgelöst hat, läßt aber vermuten, daß — vielleicht weil Blutamulette schwer herstellbar und unbequem zu tragen waren — diese Ablösung sehr früh erfolgte und bald die ursprüngliche Form ganz in den Hintergrund drängte. Des Schutzes gegen Unheil aller Art bedarf nicht nur der Mensch, sondern auch die Gegenstände seines Gebrauchs. So raten schon die Geoponica, Bienenkörbe, Ackerland, Haus, Viehstand und Werkstatt durch Anbringen roter Wollbinden und Auflegen rötlichen Amarants vor Verzauberung zu behüten 8 . Bäume, vermutlich als ein von den Dämonen bevorzugter Sitz, scheinen für besonders gefährdet oder gefährlich zu gelten; denn die Sitte, sie rot zu behängen, zu färben oder zu begießen, ist weit verbreitet: ab arbore casla nectent purpureas niveo discrimine vittas*. Als Amulett ferner sind die roten Fäden aufzufassen, mit denen in Syrien die Weinstöcke „zu besserem Gedeihen" umwunden werden 6 . In den Vereinigten Provinzen von Nordindien bestreichen die Frauen alljährlich den heiligen Pipalbaum mit roter Farbe, um das Leben ihres Mannes zu verlängern®, oder vielmehr, um die todbringenden Dämonen abzuwehren. In der Nähe von Tiberias malte ein Mann „aus Dankbarkeit" für die Genesung seines Sohnes drei rote Streifen an einen Baum 7 ; auch hier sollten wohl die an ihren Wohnsitz zurückgekehrten Krankheitsdämonen am Wiederkommen gehindert werden. Eine große Anzahl von Riten, in denen der Baumgeist Blut gleichsam als ein Opfer erhält, weist auch in diesen Fällen auf eine Ablösung des Blutes durch die rote Farbe. 1

XXXVII 100. * Ulrich Jahn, Deutsche Opf. bei Ackerbau u. Viehzucht 319; Sommer, Thüringische Sagen 179; Scheftelowitz aaO., BGVV XIV (1914) Heft 3, S. 47. 8 XV S, 2; nach Auffassung τοη Fehrle, Sitz. Ber. Akad. Heidelberg 1920, Abhdl. 11, 5 ist allerdings φοινιχοϋ als Glosse in den Text geraten, so daß es sich dann nur noch um weiße Binden handeln würde. 4 8 Stat. Theb. II 737 f. Berkusky aaO. 257 f. 7 • Berkusky aaO. 265. Ebd.

Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

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So gießen Hindus und Dyaks, um „die Seele" des geschlagenen Baumes zu versöhnen, Blut auf seine Wurzeln \ wobei die Seele wohl kaum anders aufgefaßt werden kann, als der im Baum hausende Dämon, den man dort festhalten, also abwehren will. Blutguß auf die Wurzeln des Affenbrotbaumes, damit der Baumgeist nicht Tod und Verderben sende, ist auch bei den Wabondi in Ostafrika üblich 2 . — Wie Bäume und Pflanzen, so versieht man auch das Vieh mit Übelabwehrmitteln. Schon die alten Ägypter bestrichen Schafe und Bäume aus apotropäischen Gründen mit Rötel 8 . Doch mag auch hier (wie bei den S. 16 ff. erwähnten Riten) die Farbe zunächst positivem Fruchtbarkeitszauber gedient haben, dieser dann von der apotropäischen Verwendung abgelöst worden sein. Denn noch Macrob. III 7, 2 heißt es: purpureo aureove colore ovis ariesve si aspergetur, principi ordinis et generis summa cum felicitate largitatem äuget. Vor Verschreiung schützen die Huzulen ihre Kälber, indem sie ihnen Säckchen mit roter Wolle um den Hals hängen. In Gurgaon verhindert man Viehseuchen, indem man an einem über den Eingang des Dorfes gespannten Seil allerhand apotropäische Gegenstände, zur Steigerung rot angemalt, aufhängt 4 . Die Griechen in Palästina bemalen am Karfreitag ihr Vieh mit Rötel 8 . Der gleiche Brauch ohne Ablösung des Blutes durch Farbe ist bei den Beduinen erhalten, die zur Seuchenabwehr ihre Kamele mit Blut bestreichen®. Apotropäische Riten, in denen Rot in irgendeiner Form zur Verwendung kommt, finden sich allenthalben. Im Traumschlüssel des Jagaddeva werden dem Träumer „böser", also wohl Unglück verheißender Träume „Sühneübungen" vorgeschrieben, zu welchen rote Gegenstände aller Art notwendig sind 7 . Zum zigeunerischen Brauch der Bitscherben oder Delaben gehört rote und weiße Wolle, mit der man die in einen Kasten gesperrten Krankheiten umwindet8, wohl um sie an der Wiederkehr zu hindern. 1

J. Biddulph, Tribes of the Hindoo 116; C. Huze, Over de godsdienst, Tydschrift yon Neerlands India 1846, Batayia 3, 158; vgl. Frazer GB 1 2 , 1 3 . 2 0. Baumann, Usambara und seine Nachbargebiete 142. 8 Epiphan. Adv. haeres. XVIII 3; XLI 260 Migne; DölleT aaO. 270, 9. 4 6 Frazer GB 1, 2, 336; Berkusky aaO 257. Döller aaO. 271. 1 • Ebd. Vgl. v. Negelein aaO., R G W XI (1912) Heft 4, 295. 8 E. Wittich, Zigeunerische Amulette, Schweizer Archiv für Volksk. 18, 181.

Bot als Blut symbol: Sühneübungen, Einhegungen

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Apotropäisch ist auch die Begrenzung von Haus und Hof, Dorf und Heiligtum durch einen roten Faden 1 , mithin auch die Einhegung der athenischen Volksversammlung2. Alles Störende sollte ferngehalten werden, den roten Kreis — denn ein Kreis mußte durch die Verknotung entstehen — konnten böse Geister nicht überschreiten3. — Den gleichen Zweck wie die Umzäumung mit rotem Faden hat wohl auch die Sitte, Wände, Hoftore, Schwellen, Türpfosten rot zu bekleben, zu behängen, anzumalen 4 usw. oder mit Blut zu beschmierenB. Derartige Bräuche werden berichtet aus Nugamba (Kamerun)e, Madagaskar, Nordafrika, von den Nikobaresen, gewissen mohammedanischen Völkern, Babyloniern u. a . A p o t r o p ä i s c h zu beurteilen sind gleichfalls die vorzugsweise in der Nähe der Hauseingänge angelegten Anpflanzungen roter Büsche, wie sie« z. B. in Neuguinea üblich sind 8 . Bei diesen als antidämonisch erkannten Riten an eine Sättigung der Dämonen zu denken, mit der sie durch Blut oder Vortäuschung von Blut gleich am Eingange abgefunden werden, damit sie nicht einzutreten begehren9, scheint mir nicht an' Liebrecht, Zur Volkskunde 305ff.; Weinreich aaO. 98. 2

Arietoph. Ach. 2 2 : το σχοινίον

φενγονσι

το μεμιλτωμένον.

EccleS. 3 2 9 :

%i τοντό σοι το πυρρό ν εοτιν; Belanglos scheint es mir für diesen Fall, ob γ. Leeuwen zu Ach. 22 recht hat, wenn er in Anlehnung an das Scholien zu Ekkl. 329 behauptet, der Strick habe dazu gedient, die Bürger gleichsam zur Versammlung zu drängen. Selbst wenn Leeuwen recht hat, ist es doch kaum anzunehmen, daß mit Beginn der Versammlung der Strick sofort außer Funktion getreten ist. Freilich läßt der Ausdruck des Scholiasten χΰχΐω σοβείν, da ein Hintreiben im Kreise kaum vorstellbar ist, ferner die Tatsache des ίχκλησιαστιχόν beim Eintritt (Ekkl. 102) in die Ekklesie eher auf einen lediglich einhegenden Zweck der Schnur schließen. 3 Zur apotropäischen nnd kathartischen Bedeutung des Kreises vgl. ζ. B. Theod. Prise, phys. 6 und Oribas. syn. VI 45; noch Hans Sachs, Der fahrende Schüler und das Teufelbannen 250 ff. 4 Vgl. Grube, Religion und Kultus der Chinesen 177; Döller aaO. 274. 6 Curtiß, Ursemit. Religion gibt reiches Material; vgl. Index. 6 Berkusky aaO. 251, 14. 7 Scheftelowitz aaO., R G W XIV (1914) Heft 3, 43 ff. 8 Berkusky aaO. 257 ff. 9 Für diese Deutung ist vielfach Exod. XII 7—13 in Anspruch genommen, wo die Israeliten aufgefordert werden, damit das den Ägyptern zugedachte Verderben nicht auch sie treffe, Blut an Türen und Schwellen zu streichen: „Denn wenn ich das Blut erblicke, will ich schonend an euch vorübergehen" (übs. v. Kautsch Frb. i. B. 1894). Doch ist auch hier von einer Zufriedenstellung des Gottes nicht die Rede, sondern es handelt sich, wie man aus den Analogien schließen darf, um einen alteingewurzelten heidnischen

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Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

gezeigt. Mit einer roten Hand z.B., wie sie bei den Juden in Palästina, in Nordwestafrika und im ganzen übrigen Orient an die Hauswand gemalt wird und wie sie der fromme Pilger im Felsentempel von Tilok (Indien) mit der eigenen in Farbe getauchten Hand an die Wand drückt, „um Wohlergehen und Gesundheit seiner Kinder zu fördern", oder mit einem an die Türe gemalten roten Gott 1 wird man kaum — selbst der primitivste Verstand nicht — den Dämonen ein Opfer darbringen oder ihren Durst stillen wollen. Viel eher liegt in der Hand, die man auf jüdischen Grabsteinen noch heute in Europa vielfach sieht, etwas Drohendes, was den Geistern des Verderbens die gleiche „Pein" machen soll wie das Pentagramma im Faust. Deutlich scheint mir dies besonders dadurch, daß man gerade in Höhlen, die ja zur Niederlassung von Dämonen wie geschaffen sind, zahlreiche rote Handabdrücke gefunden hat, wie Berkusky vermutet, ein Opfer an die in den Höhlen wohnenden Geister, m. E. jedoch ein Mittel, ihre Ansiedelung zu verhüten oder — wo man ihre Ansiedelung als bereits geschehen voraussetzt — sie am Herausgehen aus der Höhle zu hindern. Dies letztere scheint besonders dort beabsichtigt, wo sich die Hand am Zugange zur Höhle befindet. Darum gehören wohl hierher auch die offenbar aus prähistorischer Zeit stammenden roten Zeichen, die Koch in grottenartigen Felsvertiefungen auf der Missionsstation von Buanju im Sultanat Kisiba gefunden hat und für die er, da sie irgendwelche Gegenstände bildlich nicht darzustellen scheinen, keine Erklärung weiß. Die Vermutung Klaatschs, es handle sich hier wie in den Felsgravierungen von Balparana und Wilkindinna um stilisierte Tierbilder — also um eine rein ästhetische Verwendung des Eot — scheint mir durch nichts bewiesen, zumal der Bericht über die Gravierungen, auf den Klaatsßh sich bezieht, weder die rote Farbe noch die Tatsache gerade einer Höhlenbezeichnung, die mir wesentlich zu sein scheint, erwähnt2. Döllers Erklärung, man wolle die Dämonen erschrecken, sowie gewisse Tiere durch die rote Farbe zu erschrecken seien8, scheint allein dadurch hinfällig, daß das gegen Rot besonders empfindliche Tier, der Stier, durch den Anblick Brauch, der — da er unausrottbar war — von der Bibel monotheistisch ge1 rechtfertigt werden mußte. Berkusky aaO. 257ff.; CurtUi aaO. ' Vgl. Koch, Ztschr. f. Ethnologie XL (1908) 467ff.; Basedow, ebd. XXXIX (1907) 707 ff. » Döller aaO.

Bot als Blutsymbol: Schwangerschaft and Geburt

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der roten Farbe keineswegs abgeschreckt, sondern gerade aufgereizt wird. Apotropäische Mittel müssen naturgemäß vornehmlich dort in Anwendung sein, wo eine besondere Lage der Dinge Dämonennähe vermuten läßt oder wo durch Körperschwäche der Mensch den bösen Mächten gegenüber wehrloser als gewöhnlich scheint. Beides ist bei der Schwangeren, der Wöchnerin und dem kleinen Kinde der Fall. Darum spielt an ihrem Körper wie auch in der Wochenstube kurz vor, während und nach der Geburt die rote Farbe eine wichtige Rolle. In Serbien und Ungarn tragen Schwangere zu ihrem Schutz ein rotes Band um den Mittelfinger1; die ungarischen Zigeunerinnen, um sich eine leichte Niederkunft zu sichern, binden sich auf den Leib ein Büschel roter Haare 2 . Die neugriechische Wöchnerin trägt 40 Tage lang ein rotes Halsband mit goldenem Ringe, das ihr die oaτητριξ, die Hebamme umbindet. Dieselbe Frau bindet einen roten Faden außen an die Tür des Zimmers, in welchem die Wöchnerin liegt 8 . Durch rote Fäden schützt man Wöchnerin und Kind in Serbien4, Rußland5, bei den Iglauer Deutschen®, galizischen Juden 7 , Masuren 8 und in Schlesien 9 . Eine geweihte rote Wachskerze windet man in Oberbayern um das Handgelenk der jungen Mutter 10 . Bei den Burma wird die Wöchnerin mit Kurkuma, einem roten Farbstoff, eingerieben 11 , Kaffernfrauen kurz nach der Niederkunft mit rotem Ton 12 . Um das ganze Haus, in dem eine Wöchnerin liegt, bindet der Rumäne in der Bukowina ein rotes Band 1S . In Ungarn legt man, während ein Kind geboren wird, über die Schwelle, den Ort, den die Dämonen wie jedes andere Wesen beim Betreten des Hauses überschreiten 1

Temesvary, Volksbräuche und Aberglaube in Ungarn 69. 77. Wlislocki, Ethnolog. Mitteiiiingen aas Ungarn 1276; Berknsky, aaO.257. ' ZYV IV (1894) 139; Köchling De coronarum apud antiquos vi atque usu, ΕG W XIV (1914) Heft 2, S. 77. * Ploß, Das Kind in Brauch and Sitte der Völker I 109. * Frazer, GB I 400. * Piger, Gebart, Hochzeit a. Tod in der Iglauer Sprachinsel in Mähren, 7 Z W VI (1894) 253 f. Am Urquell IV (1893) 211. 8 Toppen, Aberglaube der Masaren, 2. Aufl., 41. 9 Drechsler, Sitte and Volksglaube in Schlesien I 208. 10 11 14 Samter, GHT 70. Berkusky aaO. 2B2. Ebd. 261. 13 Vgl. Scheftelowitz aaO., R G W XII (1912) Heft 2, S. 47. ä

Eva Wunderlich: Bedentang der roten Farbe

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müssen, ein rotes T u c h m . E. wieder ganz im Sinne des Pentagramma. In Peking wird kurz nach der Geburt am Bette der Mutter ein Paar Hosen des Vaters aufgehängt und an diesen ein Stück rotes Papier befestigt mit einer Aufforderung an die bösen Geister, in die Hosen zu fahren anstatt in das Kind 2 . Das Neugeborene bemalen die Nugamba in Kamerun rot, und alle, die das Kind getragen haben, müssen in gleicher Weise ihre Fußsohlen anmalen 8. Ein Brauch, der wohl der Vorstellung entspricht, daß die bösen Geister in der Tiefe hausen, also gleichsam ein Isolieren des Menschen vom Erdboden. Bei den Schwarzfußindianern wird das Kind sofort nach der Geburt mit Ocker eingerieben, bei den Guatusos in Kostarika mit der rötlichen Kakaobutter. Nur das Gesicht des neugeborenen Kindes bemalen mit Ocker die Teton-Indianer4. Bei einer „Wiedergeburt", einem Akt, durch den ein krankes oder sonst gefährdetes Kind gleichsam ein neuer Mensch werden soll, kleiden die Nordindianer, bevor sie den Geburtsvorgang nachahmen, das Kind rot 5 . — Weit verbreitet ist der Brauch, wie der Mutter, so auch dem Neugeborenen den schützenden roten Faden um das Handgelenk zu binden e , und mit welcher Selbstverständlichkeit er in niederen deutschen Schichten noch heute vorausgesetzt wird, zeigt eine Stelle im modernen deutschen Roman 7. In der chinesischen Legende von der Geburt des Konfuzius wird erzählt, daß die Mutter dem gleichzeitig mit ihm geborenen Einhorn, der Inkarnation seiner Güte, unmittelbar nach der Geburt einen roten Faden um das Horn band, den es bis zu seinem und des Konfuzius Tode trug 8 . Auch Serah, der Erstgeborene der Thamar9, an dem die Interpreten des Alten Testaments so viel herumgedeutet haben, bekam schwerlich aus allegorischen Gründen ein rotes Bändchen um den Arm, sondern weil die Hebamme abergläubisch war 10 . Neben diesen offenbar rein apotropäischen Anwendungsarten 1

Temesvary aaO. 69; Samter, GHT 186. * Samter, GHT 90. Globus 82, 350; Berkusky aaO. 251. * Globus 70, 323; 76, 352; Berkusky aaO. 1 Tb. Zachariae, Durchkriechen als Mittel zur Erleichterung der Geburt, β Z W XII (1902) 112 f. Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube 382. 7 Klara Yiebig, Das schlafende Heer 2 9 . - 3 3 . Aufl., 222. 8 9 Chinesische Märchen aaO. Nr. 26. Genesis XXXVIII 28. 10 Vgl. Alfred Jeremias, Das Alte Testament im Lichte des Orients 370, 6. Der rote Faden sollte hier „die dunkle Welthälfte" symbolisieren! s

Bot als Blutsymbol: Schwangerschaft and Gebart

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des Rot steht auch hier wieder das Blut. Die heidnischen Araber zur Zeit Mohammeds schlachteten bei Geburten ein Schaf und bestrichen mit dem Blut den vorher rasierten Kopf des Neugeborenen \ In Il-Kiswe (südlich von Damaskus) wird nach der Geburt eines Sohnes ein vorher gelobtes Opfer dargebracht, mit dessen Blut Stirn, Handflächen und Beine des Kindes beschmiert werden 2 . Bei den Munda-Kolks (südwestlich von Kalkutta) findet acht Tage nach der Geburt die feierliche Aufnahme des Kindes in den Stamm statt 8 , bei der das Blut eines zu diesem Zwecke geschlachteten weißen Huhnes im Hause umhergesprengt wird. In nordungarischen Zigeunerstämmen wickelt man das Kind bis zur Taufe, also bis eine höhere Kraft es vor dem Bösen schützt, in Lappen, die mit dem Blute des Vaters benetzt sind 4 . In Südungarn findet, wenn das Kind zum erstenmal geschoren wird, ein Fest statt, bei dem die Paten je einen Tropfen ihres Blutes in ein Gläschen Branntwein und je einen auf ein Stück Brot träufeln. Dann gießt der Vater den Branntwein und krümelt das Brot über das geschorene Köpfchen, damit das Kind gut gedeihe 5 — oder vielleicht um abzuwehren, was das Gedeihen hindern könnte. Bei schwerer Entbindung läßt der Kirgise Schafblut auf die Hand seiner Frau spritzen; unmittelbar nach einer Geburt schlachten die Dajaken ein Huhn, das vorher über allen Anwesenden geschwungen — also den apotropäischen Kreis beschreibt® — und mit dessen Blut ihre Stirn beschmiert wird 7 . — Zuweilen treten diese blutigen Geburtsriten in der Form des Opfers auf. So z. B. opferte bei schwerer Entbindung der alte Mexikaner Blut aus seinen Ohren und seiner Zunge. Beförderte dies den Geburtsvorgang nicht, so opferte auch die Hebamme von ihrem Blute, das sie unter Gebeten und Zaubersprüchen nach allen Windrichtungen verspritzte. Vielleicht gehört hierher auch die von Samter damit im Zusammenhange erwähnte Sitte der Mexikaner, dem Kinde sofort nach der Geburt einige Blutstropfen aus Ohren, Zunge oder Genitalien zu entziehen, um sie dem Schutzgotte zu weihen 8 . 1 4 4 β 7 8

Ρίοΰ aaO. I 65; vgl. Samter GHT 184. 3 Curt iß, Ursemitische Religion 221. Samter GHT 175. 8 Samter GHT 175. Ebd. Vgl. meine Anmerkung S. 27, 3. Globus 42, 27; Scheftelowitz aaO., R G W XIV (1914) Heft 3, S. 42. 47. Farn. 69, 2; GHT 175, 4.

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Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

Bei der Namengebung in Tahiti legten die Eltern etwas von ihrem eigenen Blute anf dem Altar nieder1. In Siebenbürgen läßt der Vater des Neugeborenen einige Tropfen seines Blute» in das vor dem Zelte lodernde Feuer rinnen und sagt: „Wollt ihr Blut, so gebe ich euch hier Blut. Das Blut meines Kindes gehört aber dem großen Herrn im Himmel, der euch mit jüdischen Ketten fesseln wird, so wie ihn einmal die Juden gefesselt haben"2. Aus diesen verhältnismäßig wenigen, vielleicht erst durch spätere Auslegung opferartig gefaßten Blutriten läßt sich keinesfalls der Schluß ziehen, daß das gesamte mit Geburt und Kind verbundene Blut- bzw. Botritual auf ein ursprüngliches Opfer zurückgeht8. Daß ferner ein Beschmieren des Kindes mit wirklichem oder vorgetäuschtem Tierblut zur „Abfindung" der Dämonen4 eine recht gefährliche Methode wäre, hat schon Schwenn ausgesprochen6. Schwenn, der im allgemeinen für diese Eiten die Hypothese eines Ersatzopfers ablehnt (so S. 89), versucht zu beweisen, daß das Eot bzw. Blut in den Geburts-, Schwangerschafts- und Wöchnerinnenbräuchen lediglich lustrieren soll, und zwar lustrieren von einer durch Zeugungsakt und Geburt hervorgerufenen Unreinheit. Wenn er jedoch zum Beweise dafür, daß das auf diese Weise unrein Geborene früher „beseitigt" wurde (S. 35, 1), sich auf Genesis 22 beruft, wo der keineswegs neugeborene Isaak geopfert werden soll, oder sich auf Numeri 18, 16 stützt, wo nicht nur nicht von einer Beseitigung des Unreinen die Eede ist, sondern im Gegenteil gerade alles Eeine geopfert werden darf, nur das Unreine mit Geld gelöst wird, so liegt überdies eine Inkonsequenz in dieser Beweisführung, durch die — wenn sie recht behielte — ja gerade die Opfer s u b s t i t u t i o n bewiesen würde. Eine wirklich irgendwo durchgeführte „Beseitigung" des Neugeborenen ist m. E. überhaupt nicht vorstellbar — es sei denn, daß es einen Stamm gegeben hätte, zu dessen religiösen Eiten die Selbstausrottung gehörte! Die uralte Vorstellung ferner von der Unreinheit der Wöchnerin 6 bzw. des Kindes auf Zeugung und Geburt zurückzuführen, scheint mir ebenso unprimitiv und modern, wie wena 1

9 Fam. 69, 1; GHT 176, 1. GHT 177, 1. » Diels SB1. 69it.; Samter, Fam. 53; GHT 175ff. 4 Scheftelowitz aaO., R G W XIV (1914) Heft 3, 41 ff. 6 β AaO. 84. 36 1. Leyit. XII 4; XVIII 19 u. and.

Hot als Bluteymbol: Erklärung der Gebarte- η. Schwangerschaftsriten

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Negelein sie ans der Besudelung mit Blut erklärt \ Wie sollte man dann ζ. B. ein „Reinigungsbad" am vierten Tage nach der Geburt verstehen, in das man Hühnerblut hineinfließen läßt 2 , wie alle jene Riten, bei denen Wöchnerin und Kind mit Blut oder anderen roten, in hygienischem Sinne durchaus nicht reinlichen Dingen beschmiert werden? Es kann sich keinesfalls um eine eigentliche, sondern nur um eine durch Dämonengefahr hervorgerufene Unreinheit handeln, wie es ähnlich Rohde unter Hinweis auf eine Photiosstelle ausgesprochen hat 8 . Lustration würde bedingen, daß das zu lustrierende Wesen von den bösen Geistern bereits besessen ist; hiervon ist aber in keinem der dargestellten Bräuche eine Andeutung, sondern es handelt sich überall um Vorsorge und Vorkehr: so bei Anwendung des roten Fadens, wie beim Belegen der Schwelle; und auch das Bestreichen mit roten Farbstoffen soll wohl als Schutzfarbe dienen. Notwendig werden diese Vorsichtsmaßregeln zunächst nur für Schwangere und Wöchnerin gewesen sein, da sie beim Geburtsvorgang den Eingang suchenden Dämonen ein geeignetes Opfer waren. Der primitive Verstand übertrug dann leicht die Gefahr auch auf die Personen der Umgebung und vor allem auf das Kind, das durch seine Schwäche und Hilflosigkeit an sich schon gefährdet war. Wehrhaft und stark ist der Mensch erst mit vollendeter Reife. Es ist daher nicht erstaunlich, daß man Schutzmaßregeln gerade bis zu ihrem Eintreten anwendet. Die Tracht der freigeborenen Kinder (ingenui) in Rom war die toga praetexta 4 , das mit Purpurwolle verbrämte Oberkleid. Aus der Übereinstimmung mit der Uniform der Magistrate hat man geschlossen, daß es sich um eine Auszeichnung der Beamtensöhne vor denen der anderen handle 5 . Natürlich mußte sich aus einer durch den Preis des Materials® nur von den Reichen durchführbaren 1

y. Negelein aaO., R G W XI (1912) Heft 4, 172f. Jellinghaus, Zeitschr. f. Ethnol. 1871, 366; Scheftelowitz aaO.. R G W XIV (1914) Heft 2, 43. ' Psyche I 72, I f . ; Phot. Lex. ν. §άμνοε. * Suet, de gr. 16 Reiffersch. 392; Gell. XVIII 4, 1; Cie. in Verr. 144, 113; dazu Pseudo-Ascon. 190 Orelli; vgl. Marquardt, Privatleben der Römer 5 I 2. Aufl. 124 f. Macrob. sat. I 6, 7fi. β Vgl. Friedländer-Wissowa, Sittengeschichte Roms, 9. Aufl., II 316f.; 1 Pfund beste tyrische Purpurwolle kostete über 1000 Denar (870 M.). Religionsgeschichtliche Versuche u. Vorarbeiten XX, 1. 3 8

Eva Wnnderlich: Bedeutung der roten Farbe

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Sitte allmählich das Vorrecht entwickeln. Daß es sich aber um einen Brauch des Kindes überhaupt, nicht nur des reichen Kindes handelt, zeigen die antiken Autoren, indem sie sagen: jPro maiestate pueritiae est1 oder: Quo infirmitatem pueritiae sacram facimus ac venerabilem2. Daß es sich ferner um kein Unterscheidungsmerkmal gerade der römischen vornehmen Kinder handelt, zeigt der Umstand, daß allmählich auch den Kindern der Zugezogenen und Libertinen die praetexta zugesprochen wurde 8 . Sie wurde mit den übrigen insignia pueritiaei bei der Mündigkeit, d. h. bei einsetzender Geschlechtsreife, abgelegt, also zwischen dem 14. und 17. Jahre von den Knaben® — den Termin bestimmten die Eltern — im 12. Jahre von den Mädchen e . Mit Recht macht Marquardt darauf a u f m e r k s a m d a ß das Anlegen der toga virilis8 — auch toga pura9 oder libera10 genannt — nichts weiter bedeute als die Erklärung der Pubertät. Daher seien die Ausdrücke investis und impubes einerseits, sowie anderseits vesticeps und pubes Synonyma. Mithin ist das Tragen der praetexta ein ausdrücklicher Hinweis auf die noch nicht gesicherte Mannbarkeit, auf die infirmitas pueritiae. Die schädlichen, das wehrlose Kind bedrohenden Einflüsse sollen offenbar mittels der angewebten Wolle, deren apotropäische Wirkung durch die Färbung gesteigert wird, abgewehrt werden. Damit steht im Einklänge, daß die gleichfalls apotropäische bulla am selben Tage abgelegt wird 11 . Beide sind durch die Mannbarkeit und Kraft ihres Trägers entbehrlich geworden. Die Sitte der Dajaken — auch unter ihnen können sich nur die Reichen diesen Luxus leisten — ihre Kinder bis zum 12. Lebensjahr, also wahrscheinlich bis zu der dort früh eintretenden Geschlechtsreife, allmonatlich mit Hühnerblut zu beschmieren 12 , scheint mir in Analogie zu dem antiken Brauch der toga puerilis zu stehen und 1

Plin. n. h. IX 128. 8 Quintil. decl. 340. Macrob. sat. I 6, 13. 4 Pseudo-Acron zu Hör. sat. I 5, 65; Prop. Υ 1, 131; Pers. V 31. 5 Marquardt, Privatleben der Römer I 2 127 ff. • Inst. III 9 § 10; Dig. XLV 1, 141 § 2. ' AaO. 125. 8 Cie. Or. Phil. II 44; Suet. Claud. 2; vgl. Seneca ep. 4, 2; Apul. mag. c. 75. 9 Cat. 68, 15; Phaedr. 3, 10, 10; Cie. ad Att. V 20, 9; IX 17, 1 10 Prop. IV 1, 132; Ov. Fast. I l l 777. u Vgl. oben Anm. 4. 12 Globus 42, 45; F. Grabowsky, Gebräuche der Dajaken Südost-Borneos bei der Geburt, Globus 72, 271. s

Bot als Blutsymbol: Pubertät

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deutet daraufhin, daß auch hier Rot und Blut die gleiche Funktion erfüllen. Die Bedeutung, welche der antike und, wie wir daraus schließen dürfen, auch der primitive Mensch der Geschlechtsreife in bezug auf die Wehrhaftigkeit zuschreibt, macht die besonderen Schutzmaßregeln begreiflich, die vielfach gerade während der Entwicklungszeit des Knaben getroffen werden. Unter den mannigfachen von der Folkloristik berichteten Pubertätsriten will ich nur einige nennen, bei denen das Rot in Anwendung kommt. So findet z. B. bei den Bewohnern von Loango, ferner auf der Insel Halmahera, bei den Küstenstämmen von Neuguinea und auf dem australischen Festlande nach der Beschneidung eine Rotmalung der Knaben statt 1 . Spricht hier vielleicht der Wunsch mit, die durch den vorausgegangenen Akt Geschwächten zu schützen, so nicht bei einem von Roesicke geschilderten, anscheinend nicht mit Beschneidung verbundenen Mannbarkeitsritus auf Neuguinea. Dort werden die Jünglinge nach einer längeren Absonderung im Versammlungshause mit Öl und roten Erdfarben eingerieben, offenbar um während dieser für sie so besonders wichtigen Zeit besonders geschützt zu werden 2 . Weniger durchsichtig ist die bei vielen Stämmen übliche Behandlung der Mädchen in entsprechender Zeit. Die überaus zahlreichen Vorschriften, die ihre Isolierung, ihre Ernährung, Waschungen, Rotmalung usw. betreffen, behandelt Frazer ausführlich und leitet sie fast sämtlich von der Unreinheit solcher Mädchen her 8 . Tatsächlich gilt die Menstruierende an vielen Orten gleich einer von bösen Stoffen, Dämonen usw. Erfüllten \ Es ist daher klar und von Frazer richtig betont, daß die Riten z. T. dem Schutz der Umgebung der Menstruierenden gelten, teils — etwa, wo sie erst nach Ablauf der Periode auftreten — lustrieren sollen. Keineswegs aber kann dies beides der einzige Zweck der Riten sein, da die Schwäche der Frau gerade in der Entwicklungszeit den Dämonen Gelegenheit zum Angriff bietet, Apotropäa also nicht nur zum Schutze der anderen, sondern vor allem auch im Interesse der Mädchen selbst anzuwenden sind. Läßt es sich daher lustrativ erklären, wenn nach der 1 2 Berkusky aaO. 252. Deutsche Literaturzeitung 1914 Sp. 1528. » GB VII 1, 30ff.; vgl. Döller aaO. 53. * Vgl. Έ. Küster, Die Schlange in der griechischen Kunst und Religion, R G W XIII (1914) Heft 2, 149.

3*

Eva Wanderlich: Bedeutung der roten Farbe

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Zeit der Pubertätsabsonderung das Mädchen rot beschmiert in das Bad steigen muß und wenn, wie es am unteren Kongo üblich ist, nach Ablauf der Periode die Negerin ihre Füße mit roter Erde bestreicht, um sie nach einiger Zeit wieder abzuwaschen, und ist es ferner vielleicht ein Apotropäum von seiten der Stammgenossen (d. h. zu deren Schutze), wenn die abgesonderte Frau auf den südlichen Molukken sich in einer „rot gemachten Hütte" aufhält, der niemand sich nähern darf 1 , so reichen diese beiden Erklärungen keinesfalls hin für die Sitte, die Mädchen auch nach der Reinigung rot zu färben und ihnen eine endgültige Abwaschung erst zu ihrer Hochzeit zu gestatten 2 . Das Abwaschen gerade bei der Heirat scheint darauf hinzuweisen, daß bis zur Besitzergreifung durch den Mann die Frau den Angriffen der Dämonen mehr ausgesetzt und schwächer ist als nachher, kennzeichnet also den Brauch als apotropäisch zum Schutze des Mädchens. Nicht anders aufzufassen ist die in Südnigeria herrschende Sitte, die Mädchen nach Eintritt in die menses rot (und weiß) anzumalen oder — wie es bei den Cheyenne-Indianern früher üblich war — am ganzen Leibe rot zu bestreichen 8 . Daß auch in diesen Eiten Blut und Rot den gleichen Zweck erfüllen, zeigen die von Frazer zahlreich angeführten Beispiele 4 . Wie der Vorgang der Geburt, so gibt auch der der ehelichen Verbindung den Dämonen Gelegenheit, sich der Frau zu bemächtigen. Sie umlauern das Brautbett, und schon auf dem Wege zur Kirche, beim Hochzeitsmahl und während der Fahrt in das neue Heim halten sie sich in gefährlicher Nähe und bedrohen nicht allein die Braut, sondern, — wie sich aus dem primitiven Denken ergibt — auch die Personen ihrer Umgebung 5. Es ist darum verständlich, daß man, um von einem so bedeutungsvollen Tage alles Böse fernzuhalten, unter zahlreichen anderen Apotropaea auch das Rot in Verbindung mit magischen Gegenständen aller Art, wie Faden, Schleier, Band u. dgl., verwendet. Über den Gebrauch der roten Farbe im altgriechischen Hochzeitsritual ist nichts bekannt. Doch wird mit Recht auf eine Stelle des Achilleus Tatios hingewiesen: έώνητο rfj γ,όρ-r] τα προς

γόμον 1

. . . εσ&ητα δε το ft αν μεν 2

J

πορφνρβν0,

wonach 4

zu

Döller aaO. 53. GB VII 31. Berkusky aaO. GB VII 35 f. Scheftelowitz aaO. AUW XVII (1914) 379. 410. • II 11; Wachsmuth, 1). alte Griechenl. im neuen 89; Samter, Fam. 48, 3. 4

Bot als Blutsymbol: Pubertät, Hochzeit

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vermuten ist, daß das Rot zur Kleidung der griechischen Braut gehörte. Dagegen wissen wir, daß ein wesentlicher Akt der römischen Hochzeitszeremonie im Verhüllen der Braut mit dem flammeum bestand, dem roten Tuch, das auch zur Amtstracht der Elaminica gehörte1. Dieser rote Brautschleier ist in das Zeremonial der römisch-katholischen Kirche übergegangen; bei Ambrosius lesen wir: ütinam possem flammeum nuptiale pio noch Martine berichtet: Dum reum in Signum pudoris super

possem rewcare nuptwras, utinam integritatis mutare velaminea. Und cantaretur benedictio, velum purpusponsum et sponsam expandebatur,

ut docent nostri libri ritmles8.

Auch der Schleier der Bräute

Christi war zunächst, wie aus den Kirchenvätern ersichtlich, das flammeum *. Das reticulum, ein Haarnetz in der Farbe des flammeum, das die römische Braut am Vorabende ihrer Hochzeit trug, ist gleichfalls von der katholischen Kirche übernommen worden6. Zahlreiche Analogien hat der rote Brautschleier bei anderen Völkern. So reitet die albanesische Braut rot verschleiert zum Hause des Bräutigams®, desgl. die Tscherkessin, wie 0. Kern bei seinem Aufenthalte in Magnesia (1890 —93) beobachtete. Ein feuerroter, goldbefranzter Schleier verhüllt das Gesicht der neugriechischen Braut7, die armenische Braut bedeckte — 1

Plin. n. h. XXI 46; Mart. XI 78, 3; XU 42, 2; Apul. met. 4, 33; fest. 79, 23 Linds.; Symmach. or. IV 13; Mart. Cap. V 538; Dracont. Bomul. 2 VIII 640. Ambros. de virgin. V (Patr. Lat. XVI 272 Migne). ' Martine De antiquia ecclaiae ritibus (Antwerpen 1737) II 348 A. Daß es sich auch hier am das flammeum, wenn auch in etwas abweichender Verwendung, handelt, beweisen die zahlreichen Quellen, die das flammeum als katholischen Brautschleier kennzeichnen. Literatur darüber vgl. Realencyklopädie der christlichen Altertümer I 390. * So Hieron. ep. 130 ad Demetriadem 2; ep. 147, 6 (Patr. Lat. XXII 1109ff. Migne); Ambros. aaO. 111 (206 Migne). Ein Beweis für den früheren Purpurachleier der Bräute Christi scheint mir die Verkürzung des Granzpurpurs durch angewebte Purpurstreifen in späteren Perioden zu sein, wie sie Optatus De tchismate Donat. I 6, 4 erwähnt: Nec ulla sunt praecepta coniuncta vel de qua lana mitella fleret aut de qua purpura pingeretur, und wie sie sich auf einem Katakombengemälde findet, das die Übergabe des Schleiers an eine Gottgeweihte darstellt; vgl. Jos. Wilpert, Die gottgeweihten Jungfrauen 17 u. 22 und ders., Die Malereien der Katakomben Roms S. 204 u. Tafel 49. 5 Fest. 364, 21 Linds. 8 Hahn, Albanes. Studien I 145. 196; Berkusky aaO. 259. ' Reinsberg-Düringsfeld, Hochzeitsbuch 59; Seligmann, Der böse Blick II 252. 254. 257; Samter, Fam. 48, 3.

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Eva Wanderlich: Bedeutung der roten Farbe

nach einer Schilderung des altchristlichen Brauches — ein rotes Tuch vom Kopf bis zu den Füßen1. Daß es auch in China einen roten Brautschleier gibt, zeigt eine chinesische Hochzeitsdarstellung, die sich im Berliner Museum für Völkerkunde befindet2. Dazu paßt eine Stelle im chinesischen Märchen: dort erlebt jemand im Traum eine Bienenhochzeit; die Bienenbraut ist feuerrot verschleiert8. Bei den Mordwinen in Ostrußland wird die Braut, mit einem rotseideneh Kopftuch verdeckt, dem Bräutigam übergeben \ Bei einer südslavischen Hochzeit in der Krain werden dem Bräutigam zuerst einige falsche Bräute zugeführt, bis die richtige, gehüllt in ein rotes Tuch, erscheint, ihn dreimal umkreist und ihm dann einen Becher mit Wein kredenzt6. In dem häufig vorkommenden roten Brautkleide haben wir wohl nur eine andere Form der roten Verschleierung zu sehen. So ist die Braut bei den Mandschus in Nordchina rotgekleidet6. Reste einer derartigen Bekleidung finden sich in Japan, wo das Schwarz am weiß-roten Brautkleide offenbar zur Steigerung der zwei anderen magischen Farben angebracht ist 7 . Wie das reticulum der römischen Braut, so gibt und gab es auch für die Bräute anderer Völker roten Kopfputz aller Art. Vorherrschend ist hier der hegende Faden, der freilich oft durch Tücher, Bänder u. dgl., in gleicher Funktion um einen beliebigen Körperteil gewunden, vertreten wird. In Kärnten befestigt heute die Braut einen roten Faden an ihrem Hute, früher trug sie außerdem noch ein rotes Stirnband und rote Zopfbänder8. Bei der westfälischen Landbevölkerung hängt an der Brauthaube ein roter Seidenfaden9. Es sollte schon die Priesterhand Am Altar ihn beglücken, Man hing ein langes, rotes Band, Das Haar der Braut zu schmücken, 1

Anrieh, Das antike Mysterienwesen 234; Samter, Fam. 49,1. * Samter, Fam. öO. 3 Chines. Qeister- und Liebesgeschichten, ttbs. v. Bnber, S. 145. 1 6 Berkusky aaO. 259. Eh. M. 71, (1916) 8. ' Berkusky aaO. 260; Folklore I 484; Weinhold, Deutsche Frauen im 7 Mittelalter I 3 339. Mündliche Auskunft von Japanern. 8 Weinhold aaO. I 339 j Samter, Fam. 51. 9 Ad. Kuhn, Sagen, Gebräuche n. Märchen aus Westfalen II 41. 110; Samter, Fam. 51.

Bot als Blutsymbol: Hochzeit

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heißt es noch in einem Gedicht von Hölty 1 . In Esthland bindet man der Braut einen roten Faden um den Leib 2 , im Havelland um den Hals 8 . In Fronau (Oberpfalz)4, im Lechrain und in schwäbischen und bayrischen Gegenden 6 muß sie ein schwarzes und ein weiß-rotes Halstuch umbinden. Zuweilen wird auch der Bräutigam rot geschmückt. So trägt er in den vereinigten Provinzen von Nordindien in der Regel ein rotes Gewand e . Die Mohammedaner des Panjab halten vor der Eheschließung ein rotes ίuch baldachinartig über den Bräutigam; nach dem Vollzüge der Ehe wird die junge Frau mit roten Kämmen gekämmt, und rotseidene Bänder werden in ihr Haar geflochten 7. Auch die rote Farbe an sich, d. h. nicht in gegenseitiger Kraftsteigerung mit anderen magischen Mitteln wie Faden, Schleier usw., ist bei der Hochzeit ein wichtiger Faktor. In Kol (Albanien) reibt der Bräutigam die Stirnhaare der Braut mit Bötel ein; die Parsen malen .dem Bräutigam einen roten Strich, der Braut einen roten Kreis auf die Stirn; bei den Arabern der Insel Java färben die Brautleute kurz vor der Hochzeit ihre Nägel rot, der Bräutigam überdies seine Fußsohlen8. Ähnlich ist es bei den Buginesen. In einigen Teilen Indiens werden die Augenbrauen der Braut mit Zinnober bestrichen, in anderen Gegenden der obere Teil der Stirn mit Mennig gefärbt 9 . Die heutigen Hindus dehnen diesen oder einen ähnlichen Brauch auf die Frauen auch nach der Eheschließung aus 10 , folgern also anscheinend mit einer gewissen Logik, daß die Frau — wie zu ihrer Hochzeit — auch später gefährdet und schutzbedürftig sein muß. Auch der „Sari", der breite rote Saum am Haupt1

Leander und Ismene, V. 61 ff. Scheftelowitz aaO., R G W XII (1912) Heft 2, 57. 3 Samter, Farn. 51. * Schönwerth, Aue der Oberpfalz I 82. B β Weinhold aaO. Samter aaO. ' Globus 55, 883; Folklore VI 97. Vielleicht ist in der oben nach Martine zitierten Verwendungsart des flammeum (S. 37, 3) die Parallele zu diesem β Brauch zu sehen. Berkusky aaO. 252. 9 W. R. Schmidt, Liebe und Ehe in Indonesien 373f.; 403 ; 429; vgl. Samter, GHT 131; 186. s

10 Rabindranath Tagore, Das Heim und die Welt, übersetzt von Heinr. Meyer-Benfey und Helene Meyer-Frank (München 1920) S. 5: „Mutter, heute sehe ich vor meinem Geiste dein rotes Stirnzeichen". Bemerkung des Herausgebers: „Das Abzeichen des Frauenstandes bei den Hindus und das Symbol der hingebenden Liebe, die dieser in sich schließt".

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Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

gewande der Hindufrauen1 muß vielleicht so verstanden werden und macht es wahrscheinlich, daß auch der von Tacitus erwähnte Brauch der Germaninnen, ihre Kleider mit Purpurlappen zu garnieren, auf magische Ursachen zurückgeht3. Bei den Parsis hat das Brautpaar etwas rote Farbe auf der Stirn, und dem Bräutigam wird, wenn er das Haus der Braut betritt, ein rotes Zeichen auf die Stirn gemalt. Im Dekhan wird der Fuß des Bräutigams mit rotem Pulver eingerieben; bei.den Ajsoren im Kaukasus färben Brautleute und Hochzeitsgäste sich die Hände rot 8 . Ein Becken mit rotgefärbtem Wasser schwingt kreisförmig vor dem Gesicht des Brautpaares die Mutter des Bräutigams bei den Brahmanen Havigs (Distrikt Kanara)4. Auch am Braut- und Hochzeitsgeschenk findet die rote Farbe in irgendeiner Weise Verwendung. So sendet der Mandschubräutigam seiner Braut Schmuck im rot ausgeschlagenen Kasten, den sie rotgekleidet in Empfang nehmen muß. Einige Tage später schickt er ihr je vier Schweine, Schafe, Gänse und Enten, deren Rücken rot gefärbt sind; ähnlich der Chinese. Diese Sitte ist so verbreitet und allgemein, daß derartige Tiere jederzeit auf Märkten erhältlich sindB. Im Herzogtum Koburg schenken die Paten dem Brautpaar ein mit roten Bändern umwundenes Kissen6. Ein Glas Bier, ein Licht und einen mit roter Seide umwundenen Rosmarinstengel erhalten Pfarrer und Küster zur Hochzeit im Havelland7. Der Weg zum Brautgemach wird bei den Mandschus in 1

Ebd. Tacit. German. XVII 9; Schweizer-Sidlers Erklärung, dies sei προι κόσμον εσ&ημάτων geschehen, gibt keinen Aufschluß darüber, weshalb gerade am Frauenkleide ein derartiger Schmuck angebracht wurde. Auch Gudeman kommentiert „um in das einförmige Weiß etwas Abwechslung zu bringen" und zitiert dazu Tac. hist. II 20, 4 und Sidon. epist. IV 20, wo weder von Purpur noch von einer Garnierung im Sinne Gudemans die Bede ist. Auch Möllenhoff 299 f. will in variare ein Buntmachen sehen und lehnt ab, daß es sich hier — wie Wackernagel vermutet — um einen Saum handeln könne. Aber variare heilit nichts weiter als „Abwechslung hineintragen". Warum soll ein Saum nicht in dieser Weise zieren wie ζ. B. Edelsteine? Vgl. Ov. am. 1, 2, 41 gemma Variante capillos oder wie Zweige Plaut. Poen. prol. 25: 8

varientur 1

virgis et loris domi.

3

Samter, GHT 187.

Seligmann aaO. 256; Scheftelowitz aaO., R G W XIV (1914) Heft 3, 29. • „Die chinesische Frau", Globus 55, 383; Folklore VI 97; vgl. Berkusky aaO. · Scheftelowitz aaO., R G W XII (1912) Heft 2, 56. 7 Samter, Fam. 51.

Bot als Blutsymbol: Hochzeit

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Nordchina mit roten Teppichen belegt, und Männer mit roten Tüchern gehen der Braut voran 1 . Einen bulgarischen Brauch aus der Umgegend von Tatar Pazardzik, wo die Schwiegermutter die Braut mit einem roten Gürtel umgürtet und sie an diesem in die Stube zieht, hat Radermacher als Schutz der Braut gegen drohende Übel m. E. richtig gedeutet. In Parallele dazu stellt er ein dänisches "Volkslied: Das rote, goldne Band um ihren Hals er wand: „Das gab ich dir, da ich dich treu erkannt" a. Wenn wir in Erwägung ziehen, wie oft im Ritus Rot für Gold (und umgekehrt) eintritt, dann gehört unter die Hochzeitsriten, bei denen Rot verwendet wird, auch der goldene Trauring, vermutlich ein Symbol der Fesselung8, bei dem die rote Farbe entweder später ergänzend als Apotropäum hinzukam* oder die Kraft der Fesselung steigern sollte. Eine ähnliche Verbindung positiven und negativen Wirkens mag darin liegen, wenn auf der ruthenischen Hochzeit je zwei Schnapsflaschen und -gläser, aus denen alle Gäste trinken müssen, mit roten Bändern aneinander gebunden werden6, oder wenn in einigen Gegenden Indiens Braut und Bräutigam vor der Eheschließung mit einem Baum vermählt und, nachdem dieser mit Mennig betupft ist, an ihn gefesselt werden6. Rote Wollbänder flattern am westfälischen Brautwagen7, und die Pferde des weißrussischen Hochzeitswagens sind mit roten Bändern geschmückt. Schnellreiter, 1

Berkusky aaO. 260. * Sitüungsber. der Wiener Acad., philos.-histor. Klasse 187 (1919) 131 ff. * Schon Genesis 38, 19 ist wohl so zu verstehen, daß der Bing eine Bindung bedeutet. 1 Denn Plin. XXXIII 12 weiß nur von einem eisernen Trauring etiam nunc sponsae muneris vice ferreu» anulus mitiitur isque sine gemma. 5 Seligmann aaO. I 228; vgl. Scheftelowitz aaO., BGVV XII (1912) β Heft 2, S. 56. Schlesinger, Geschichte des Symbols 440. 7 Berkusky aaO. 260; daß auch in Bom eine rote Fahne, das flammeum, es anzeigte, wenn im Hause Hochzeit war, behauptet Georges' Wörterbuch 8. Aufl. und Klotz 4. Aufl. nach Caecil. com. 198 Bibbeck 2. Aufl. 68: Heri vero prospexisse eum se ex tegulie: haec nuntimse et flammeum expaesum domi. Mit welchem Becht, ist nicht ersichtlich, da weder bei Gellius XV 15, der die Stelle überliefert, noch in den von Bibbeck aaO. für Caecilius als Original beanspruchten Menanderfragmenten (vgl. Kock III 129 ff.) sich ein Anhalt dafür findet, daß hier überhaupt von Hochzeit die Bede sein kann.

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Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

die am rechten Zügel ihres Pferdes ein langes rotes Tnch befestigen, reiten dem bulgarischen Bräutigam voran, und der Brautführer schwingt eine rote Fahne. In Mekka wird der Brautpreis vor der Hochzeit durch Verwandte des Bräutigams auf einem mit rotem Stoff belegten Brett zum Hause des Brautvaters gebracht. In Savar streut der Bräutigam, bevor das Paar sein Heim betritt, rotes Pulver auf die Erde „als Opfer für die Erdgöttin und zum Schutze gegen böse Geister" \ In Peking stecken die Herren, welche die Braut abholen, den im Hause befindlichen Kindern durch die Türspalte rote, mit Goldmünzen und Teeblättern gefüllte Taschen zu, angeblich um sich dadurch den Eintritt zu erkaufen 2 . Sehr beliebt ist die Sitte, den Brautleuten den Weg zu versperren — anscheinend aus Neckerei, ursprünglich aber fraglos aus apotropäischen Gründen. Dies zeigt sich, wenn bei der Heimfahrt des jungen Paares im alten Indien ein blauer Faden über das rechte, ein roter über das linke Gleis gelegt wird und der Bräutigam beim Herüberfahren sagt: „Blue and red are the two, and the witchcraft that is in her, cannot pass them; her relations mil now prosper, her husband's is in bonds"3. Die farbigen Fäden hindern also die das Brautpaar begleitenden, d. h. die ihm irgendwie anhaftenden Gefahren an der weiteren Verfolgung. Zum gleichen Zweck wird im Aargau eine mit roten Bändern umwundene Stange, bei den Iglauer Deutschen ein mit roten Tüchern behängtes Seil 4 , in Thüringen ein rotes Seidenband 5, bei den Malaien ein rotes Tuch über den Weg gehalten e. Biten in beträchtlicher Anzahl zeigen, daß auch im Hochzeitsbrauch Rot und Blut gleiche Funktionen erfüllen. So muß bei den Kopten in Ägypten die Braut beim Betreten ihres neuen Heims an Torweg und.Schwelle Blut überschreiten, in Gujarat werden vorher ihre Sohlen mit Blut bestrichen 7, in Burma ihr Weg mit Blut besprengt8. Vor dem Verlassen des elterlichen Hauses wird bei den Dajaken das Brautpaar mit Blut be1

Berkusky aaO. 260. 3 4 Samter, GHT 27, 4. Ebd. 168, 4. Berkusky aaO. 259 f. 15 Witzschel, Sagen, Sitten und Gebräuche aus Thüringen 230 Nr. 29; Tgl. Samter, GHT 169, 5. * Winternitz, Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 14, 260. 7 Samter, GHT 185, 5. 8 Scheftelowitz aaO., EGYV XIV (1914) Heft 3, S. 43. s

Rot als Blutsymbol: Hochzeit.

Erklärung

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schmiert1. Das heiratende Paar bei den Arabern wird vor dem Eheakte mit Blut bespritzt; die Tottiyams in Südindien malen dem Brautpaar beim Betreten der Hochzeitshütte ein blutiges Zeichen auf die Stirn. Auch die Palmen in der Nähe des Hochzeitshauses werden bei den Madrigas in Südindien am Tage der Heirat mit Blut beschmiert2. Die deutliche Übereinstimmung in so vielen Fällen — ich habe bei weitem nicht alle in der einschlägigen Literatur dargestellten wiedergegeben — führte auch hier allgemein zu der Erklärung einer Herkunft des Rot vom Blut, und auch hier wieder war das Warum strittig und gab Anlaß zu mannigfaltigen Hypothesen. Schon der antike Interpret des flammeum behilft sich mit der recht fragwürdigen Erklärung: Est enim sanguineum propter ruborem custodiendum s , als sollte das Rot die Schamhaftigkeit symbolisieren! Von den modernen Auffassungen ist zunächst die Berkuskys abzulehnen, der — wie Rot überhaupt für ihn meist eine Steigerung oder Darstellung von Lebenskräften bedeutet — die rote Farbe im Hochzeitsbrauch auf den Wunsch, die sexuelle Potenz zu erhöhen, zurückführt4, eine Ansicht, die wohl in der primitiven Auffassung des Blutes als Sitz des Geschlechtes begründet ist 5 . Hierzu komme die Bedeutung von Rot als eines Ausdrucks der Lebensfreude. Ist es schon merkwürdig, daß die gleichen Völker für Freude und — wie wir später sehen werden — Trauer den gleichen Ausdruck haben sollen, so ist es noch unwahrscheinlicher, daß man durch rot umwundene Stangen, mit denen man dem Brautpaar den Weg versperrt, durch rotgekleidete Spitzreiter und Fahnen, kurz überhaupt mit Dingen, die den Leib der Hochzeitsleute gar nicht berühren, eine derartige Wirkung erzielen will. Und wie soll man sich diese vorstellen? Sinnespsychologisch, d. h. auf Grund der Reizbarkeit der Nerven gerade durch diese Farbe? Als Rechtfertigung für Berkuskys Auffassung bleibt hier nur: das Wirken auf negativem Wege durch Fernhalten störender Einflüsse zu erklären — also apotropäisch. Der einzige von Berkusky zitierte Brauch, der tatsächlich eine Stärkung der Potenz bezweckt, bedient sich sympathetischer Mittel (Auge eines brünstigen Hirschen, Urin eines roten Stiers), 1 s

Ders. ebd. u. S. 47; Globus 42, 27. 4 Schol. Juv. VI 225. AaO. 259.

2 6

Scheftelowitz aaO. 42 f. Vgl. Döller aaO. 275.

Eva Wanderlich: Bedeutung der roten Farbe

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und es ist durchaus wahrscheinlich, daß in diesem Fall die Farbe lediglich die Ν e b e η funktion der Kraftsteigerung erfüllt 1 . Auf anderer Grundlage baut Diels seine Hypothesen. Für ihn ist die Verhüllung der Braut (S. 122) ein Sühnritus, d. h. die symbolische Darbringung eines Opfers an die unterirdische Gottheit, ein Rest des ursprünglichen Vergrabene eines Schuldigen, wie es sich in der Strafe der Vestalinnen zeigt; die rote Farbe des Schleiers (S. 70) eine Bezeichnung des zu Entsühnenden als Substitut für das blutige Opfer. Auch das Sitzen auf dem Widderfell, die Verwendung von Wolle, deute Stellvertretung des mit einem Fell bekleideten Opfertieres an. Hiergegen spricht zunächst die durch primitive Bräuche hinlänglich beleuchtete Auffassung von Wolle und Fell als der die materia peccans aufsaugenden Substanz8. Ferner scheint es mir unvorstellbar, daß der gleiche ßitus der Verhüllung mit dem flammeum gleichzeitig ein blutiges Opfer und ein durchaus unblutiges wie das Vergraben symbolisiert. In den von Diels zum Belege seiner Ansicht zitierten Stellen findet sich keinerlei Anhalt zur Annahme einer Opfersubstitution. Die Vergilworte Aen. ΙΠ 405ff.: Furpureo velare comas adopertus amictu ne qua inter sanctos ignis in honore deorum hostilis facies occurrat et omina twrbet könnten allenfalls zum Beweise einer apotropäischen Erklärung herangezogen werden. Auch durch das Pliniuszitat (IX 127): dis advocatur placandis (sc. purpura) erfährt Diels' Auffassung keine Unterstützung; denn es wird dadurch keineswegs nur eine Versöhnung der Götter ausgedrückt, sondern nur allgemein den Tatsachen entsprechend gesagt, daß Purpur zum Gottesdienst gehöre. Welcher Sphäre ferner die roten Tücher angehören, welche Lys. VI 51 die fluchenden Priester schwingen, 1

Aue Agrippa von Nettesheims magischen Werken IV 293 (Stuttgart 1856). Vgl. Rohde aaO. II 75. 405. Besonders deutlich scheint diese Bedeutung sich bei einem von Frazer erzählten primitiven Brauche zu zeigen, bei dem der Befleckte in ein Bärenfell hineinfassen muß, um sich zu reinigen. Auch die von Badermacher aaO. 108 f. behandelten Bräuche, sich auf ein Fell zu setzen, um sich vor bösen Geistern zu schützen, bekommen nur bei apotropäischer Auffassung des Felles Sinn; vgl. Wuttke aaO. § 515 die Vorschrift, schweißige Hände durch Streicheln eines Bären zu heilen. 2

Bot als Blutsymbol: Erklärung der Hochzeitsriten

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nach Westen, also zum Dunkel, gewendet: βτόντες

χατηράσαντο

Ήρε tat ml ιερείς προς εατίέραν και φοινιχίδας άνέσεισαν, d a s

wird klar, wenn man diesen antiken Ritus mit jenem primitiven Gauklerstück vergleicht, bei dem der Zauberer einen roten Faden schwingt und mit magischem Gesang die Dämonen auffordert, den Verwünschten zu holen1. Der Gesang dort bedeutet nichts anderes als hier der Fluch; der Faden entspricht der φοινικίς: in beiden Fällen ein Ausliefern an die Mächte der Finsternis. Auch Aischyl. Eumen. 1028 Wilam.: φοινικοβάτντοις ένδντοίς εσ-9-ήμασιν und Plut. Aristid. 21 haben mit dem Hochzeitsritual nichts zu tun. Ich komme später darauf zurück2. Und schließlich bleibt die Frage: warum bedarf die Braut überhaupt einer Entsühnung? Warum verlangen die Götter gerade ihr Blut und nicht das des Bräutigams? Samter, der sich im wesentlichen an Diels anlehnt, hält für Adressaten dieses Opfers die Hausgötter des Gatten, deren Wohlwollen für das neue Familienmitglied dadurch erkauft werden soll, spürt aber selbst, daß diese Erklärung nicht hinreicht, wo die Verhüllung schon im Elternhause der Braut stattfindet. Die Deutung Roßbachs8, das flammeum solle, wie das Kopftuch der Weiber überhaupt, die häusliche Sittsamkeit, Ordnung und Gebundenheit versinnbildlichen, scheint mir eine nachträgliche Symbolisierung, wie man etwa heute die Myrte als Symbol der Keuschheit auffaßt, weil aus ihr der Brautkranz hergestellt wird. Ahnlich ist die antike Auffassung (Fest. 79, 23 Lds.) zu bewerten, nach der die Braut „ominis boni ccmsa" das flammeum nur deshalb trage, weil dies zur Tracht der Flaminica gehöre, für welche die Ehescheidung unmöglich sei. Warum brauchte dann der Bräutigam kein Omen, ζ. B. die laena, das Wollkleid des Flamen? Eine zweite von Roßbach vertretene Ansicht, die Braut werde mit dem flammeum verhüllt, weil sie künftig für das Opferfeuer zu sorgen habe, wobei eine rote Verhüllung des Kopfes gleichfalls vorgeschrieben sei, hat schon Samter mit Recht zurückgewiesen; denn eine derartige Vorschrift ist nur durch die oben zitierte, überdies vielleicht rein dichterisch zu bewertende Stelle bekannt; ferner ist der rote Brautschleier auch bei solchen Völkern üblich, die keine Verhüllung des Opfernden, geschweige denn eine rote, 1 8

Vgl. oben S. 14, 6. * Vgl. unten S. 46. Untersuchungen über die römische Ehe 281 f.

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Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

kennen. Damit wird auch die Symbolik hinfällig, nach der Roßbach das flammeum rot wie das Feuer des Herdopfers sein läßt. Freilich ist der Einwand Blümners l , das flammeum sei luteum und nicht blutrot gewesen und könne darum keine Blutablösung darstellen, berechtigt; aber doch nur insofern, als man sicher keine bewußte Blutsubstitution, wie sie in der DielsSamterschen Opferhypothese zum Ausdruck kommt, mit einer derartigen Farbe unternommen hätte. Sehr wohl denkbar ist es aber, daß, wenn eine frühe Zeit wegen der Ähnlichkeit mit dem Blute der blutroten Farbe gewisse Kräfte zutraute, spätere Zeiten — uneingedenk der Herkunft dieses Glaubens — j e d e Nuance des Rot, nicht allein das Blutrot, entsprechend im Kultus ausnutzte. Die Ausnutzung im Hochzeitsritual erscheint mir ebenso wie die des übrigen bisher behandelten Familienkultus auf Grund der oben dargestellten Bräuche und der primitiven Verknüpfung von Hochzeit und Dämonennähe apotropäisch zu sein. Unter den von Diels angeführten Zitaten befindet sich auch eine Plutarchstelle (Aristid. 21), aus der wif erfahren, daß der Archon der Platäer, dessen Amtstracht sonst weiß war, zum Totenfest für die in der Perserschlacht Gefallenen nicht in seinem üblichen, sondern in blutrotem Gewände erschien, und von dem Priester bei den Festspielen zu Ehren des toten Arat heißt es, daß er ein στρόφιον ονχ όλόλενχον, άλλα μεσοπόρφνρον trug 2 . Hier ist also die rote Kleidung nicht das, was dem kultleitenden Beamten bzw. Priester in seiner priesterlichen Eigenschaft zukommt, sondern sie gilt dem Akt, den er vornimmt, dem Totenkult. Eine wie starke Verwendung das Rot und besonders der Purpur im antiken Totenkultus gefunden haben muß, zeigt eine Bemerkung in Artemidors Traumbuch über den Aberglauben, daß der Anblick eines purpurfarbenen Veilchens todbringend sei: "Έχει γάρ τινα το πορψνρονν χρώμα σνμιτά&ειαν ιτρος τον θάνατον 3 , gerade wie auch heute durch den Anblick etwa eines Leichenwagens, schwarzer Schleifen u. dgl., insbesondere wenn diesen Anblick ein Traum bringt, der an Tod und Sterben auf diese Weise Erinnerte die Begegnung bisweilen abergläubisch für einen Hinweis auf sein oder eines Anverwandten nahes Ende 1 Phil. Woch. XXII 143; die Gegenbeweisführung Thomas, Z W XII (1902) 123 f., daß die Bezeichnungen für Blut- und Feuerröte übereinstimmen, ist nicht stichhaltig, da er ausschließlich poetische Beispiele anführt. 4 3 Pint. Arat. c. 53. I 77 S. 70, 11; S. 70, 10 Hercher.

Bot als Blutsymbol: Hochzeit·

Tod

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hält. Aber wir sind auf solche psychologischen Rückschlüsse nicht angewiesen, sondern können uns aus literarischen und monumentalen Zeugnissen unterrichten. Das Material hierzu hat F. v. Duhn umfassend und ausführlich behandelt. Ich will daher die von ihm zusammengestellten Tatsachen nur kurz wiedergeben und dabei gelegentlich auf einiges eingehen, was von ihm nicht erwähnt worden ist. Daß es in alter Zeit im Mittelmeergebiet üblich war, Behältnisse, Gräber usw., in denen man menschliche Reste beisetzte, innen mit Zinnober oder Mennig auszumalen, zeigen Holzsarkophage des 5. Jahrhunderts, aufgemauerte Steingräber, in denen man bronzene Aschenurnen barg, und noch spätrömische Ziegelgräber im Valle Taggiasco \ Rot war schon früh die Ausstattung der Leiche und des Sarges. In Sparta wird der Tote mit einer roten Decke bedeckt 2 . Hektors zu Asche verbrannte Gebeine werden bei Homer in rotes Leinen gewickelt 3 . In einem Purpurtuch tragen die Athener die Gebeine des Rhesos zum Strymon, um das neu zu gründende Amphipolis zu sichern4. Die Kabiren von Thessalonike legen das Haupt ihres Bruders, ehe sie es bestatten, in ein blutrotes Gewand 8. Bei Vergil bedecken die Trojaner den Leichnam des Misenus mit Purpurkleiderne, und die tote Priscilla bei Statins ruht gleichfalls unter einer Purpurdecke7. Der Leichnam des Lydiadas wird auf Befehl des Kleomenes mit einer πορφνςίς geschmückt8, und die Elektra des Euripides webt rote Gewänder zum Geschenk für die tote Klytaimestra 9 . Eine Purpurdalmatik 1

Vgl. τ. Duhn aaO. Iff. s Plut. Lyc. 27; inst. Lac. XVIII 238 D und Oleom. 807. Ω 795 ff. * Polyain. VI 53. Es ließe sich hier der Einwand erheben, die rote Hülle bedeute lediglich Schatz und Steigerung der von den Gebeinen erhofften magischen Kraft. Tatsächlich aber handelt es sich zunächst nur um Leichenüberführung; nach deren Vollzug erst tritt die magische Handlung ein. 8 Clem. Alex. Protr. II 19. β Aen. VI 220ff.: Tum membra torο defleta reponunt purpureasque super vestes, velamina nota coniciunt. Die Interpretation des Wortes nota durch Norden, Vergil 6. Buch, 2. Aufl., S. 195, als handle es sich um die von Misenus getragenen und insofern bekannten Kleider, scheint mir insofern nicht überzeugend, als ein derartiger Brauch, dem Toten seine eigenen Kleider auf den Scheiterhaufen zu legen, sonst nicht überliefert ist. Auch würde nach dieser Auffassung die Vergilstelle als Beleg für das Bot im Totenkult gar nicht mehr in Frage kommen. 7 8 Stat. silv. V 1, 225. Plut. Oleom. 6. 9 Eurip. Or. 1436. Mit welchem Bechte Samter, Volkskunde im alt2

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E r a Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

ist das Totenkleid der h e i l i g e n Priscilla noch auf einem römischen Katakomben g e m ä l d e aus der z w e i t e n H ä l f t e des dritten J a h r h u n d e r t s 1 . Purpurdecken l e g t e man in Rom auf den S c h e i t e r h a u f e n ; denn von der Verbrennung einer K i n d e s l e i c h e heißt e s in der Thebais (VI 22): Tyrioque attollitur ostro molle supercilium und vom Scheiterhaufen des Glaukias in den S i l v e n (II 1 , 1 5 9 ) : Quod tibi purpureo tristis rogus aggere cremt. D a ß auch die korrupt überlieferte Vorschrift des Z w ö l f t a f e l g e s e t z e s v o n einem Purpurtuch beim römischen funus g e h a n d e l t habe, ist w o h l m i t R e c h t vermutet w o r d e n 2 . Rote Blumen w a r e n römischer Totenschmuck. Darum ruft V e r g i l Aen. V I 8 8 3 ff. dem toten M. Claudius Marcellus, dem neunzehnjährigen E n k e l des A u g u s t u s n a c h : Tu Marcellus eris manibus date Ulia purpureos spargam flores animamque his saltern adcumulem donis et fungar munere eqs

plenis nepotis inani

und darum heißt e s bei der Totenfeier des A n c h i s e s Aen. V 7 9 ; purpureos iacit flores, darum gehörten rote Granatäpfel und -bluten zum Gräberschmuck der A n t i k e 4 . Blutrote T ä n i e n schlingen sich um die Grabstelen auf weißgrundigen L e k y t h e n des 4. und sprachlichen Unterricht 1130 ff. für eine rote Kleidung der dem Tod Geweihten anch das Kleid der Iphigenie in Ansprach nimmt — Aesch. Ag. 239 Wil.: κρόκον ßaipas 8' es Ttibov χέονσα — ist nicht ersichtlich. Will er κρόκου mit „rot" übersetzen? Mag die Eos bei Homer anch κροχόηεπλος heißen, also XQOKOS eine rosaschimmernde Farbe bezeichnen, verallgemeinern darf man diese Bedeutung doch wohl kaum. 1 Wilpert, Malereien d. Katakomben Roms 207 und Tafel 79. 2 Die Handschriften Cie. de leg. I I 59 haben: Beciniis et tncla (oder meld) purpurne et tibicinibus tollit etiam luctum, was Yahlen tunicula, Müller tunica, Halm vincla emendieren. Letzteres leuchtet ein, da hier der Ablativ wahrscheinlicher ist als der Akkusativ. Dagegen kann bei Zerstörung der Buchstaben tu eine Verwechslung von ic mit cl leicht eintreten, so daß statt nica „ncla" dastand; gegen tunicula spricht die vorherrschend komische Verwendung; vgl. Turpil. com. 197 Ribbeck 2. Aufl. 52; Caecil. com. 99 Ribbeck 109; Plant. Rud. 549; außerdem scheint es merkwürdig, daß gerade bei Nennung derjenigen Dinge, die als zu luxuriös beseitigt wurden, ein Deminutiv, also ein verhältnismäßig bescheidenes Kleidungsstück genannt wird. 3 Vielleicht steht purpureos spargam flores dem date lilia hier gleichsam pleonastisch gegenüber, und es handelt sich um die häufig, z. B. Plin. 21, 24, erwähnte rote Lilie. * Archäol. Zeit 14, 1850, 15; Panofka, Griechinnen und Griechen 13.

Eot als Blutsymbol: Totenritual

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5. Jahrhunderts1. In den Grabanlagen griechischer Kolonien am Pontos fand man Purpurdecken auf Holzsarkophagen 2, und golddurchwirkt er Purpur bedeckte den Sarkophag, welcher Alexander den Großen von Babylon nach Libyen überführte8. Auch auf dem griechischen Friedhof von Abusir fand man Holzsarkophage mit verfilzten blauen und braunen Wollstreifen, die vermutlich einmal purpurrot gewesen sind 4 . Analogien zu diesen Sitten finden sich überall. So war im alten Indien die Totenkultfarbe im weitesten Umfange (Ausschmückung von Sarg, Grab, Leichnam) rot; rot waren selbst die Kleider der zum Tode Verurteilten und das Pulver, mit dem man sie bestreute. Die Eskimos streichen ihre Särge und die Pfosten, auf denen diese ruhen, mit roter Farbe. Im Florenz des Quattrocento wurden Leiche und Sarg mit roter Seide verhüllt Als man die Leiche des im Jahre 1227 verstorbenen Landgrafen Ludwigs IV. von Thüringen bald nach seinem Tode überführte, wurde über den Sarg eine Purpurdecke gelegt e . Noch 1867, berichtet Eochholz, ließen alte Frauen im schweizerischen Fricktal sich in ihrem roten Kock begraben7. Ein seltsames Begräbnis fand vor kurzem auf dem alten Prager Ghetto-Friedhof statt. Dort begrub man die beim Pogrom 1920 unbrauchbar gewordenen Thorarollen. Ein Rabbiner legte sie, die eine im rotsamtenen Mäntelchen, die andere violett umhüllt, in einen kleinen Holzsarg 8 . Eine Analogie für die Verhüllung der Leichen und Särge ist vielleicht das in primitiven Schichten besonders in Rußland noch heute übliche Umschnüren mit den roten wohl hier eindeutig apotropäischen Fäden, die auch oft nur symbolisch quer über die Leiche herübergelegt werden; zuweilen wird nur der Schädel umwunden®. 1

y. Dahn aaO. Ε. v. Stern, Griechenkolonien des Schwarzmeergebietes, Hermes L 3 1 (1915) 195. Diod. XVIII 26. Vgl. Pley, R G W (1911) Heft 2, 85. 11 Vgl. Sonny, ARW IX (1906) 528; v. Dahn aaO. 6 Vgl. Dietrich Schäfer, Sitz.-Ber. der preuß. Akad. der Wiss. XXVI 7 (1920) 489. Rochholz, Deutscher Glaube und Brauch II 251. ' Rieh. Katz, Seltsames Begräbnis, Vossische Zeitung 14. 1.1921 Nr. 22; vielleicht haben wir in dem „Violett" gleichfalls nur ein Blaurot zu sehen, und dies entspricht dem sonst schwer erklärlichen blauen Purpur, der in vielen Riten des Alten Testaments von Bedeutung ist; vgl. Exod. XXXVIII 23; 39 u. a. 9 Pagenstecher aaO., ARW XV (1912) 315; Pley aaO.; Janiewitsch, ARW XI (1908) 906; Scheftelowitz aaO., R G W XII (1912) Heft 2, 26. 2

Religionsgeschichtliche Versuche u. Vorarbeiten XX, 1.

4

Eva Wanderlich: Bedeutung der roten Farbe

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Man hat sich nicht darauf beschränkt, den Toten und sein Grab rot zu bedecken, zu verschnüren und zu schmücken, sondern man gab ihm rote, von Duhn als Schutzidole gedeutete Figuren mit. So gibt es aus Mykene einen auf Wangen, Kinn und Stirn mit roten Rosetten bemalten, lebensgroßen Stuckkopf, aus Amorgos und einer anderen Kykladeninsel zwei sicherlich sepulkrale Marmorköpfe mit strichweiser, feuerroter Verzierung1, aus los eine ganze Figur dieser Art mit roten Farbspuren auf Gesicht und Brust®. Diesen Idolen an die Seite zu stellen sind wohl die altägyptischen Schlangenkopfamulette aus rotem Jaspis, die man — nach Berkusky, um den Toten auf dem Wege ins Jenseits gegen Schlangenbisse zu schützen, — in die Gräber legte, und vielleicht auch die roten Korallen, die man häufig der Leiche in den Mund steckt 8 , and wie sie sich in alteuropäischen Gräbern der Früh-La Töne-Periode in großen Mengen gefunden haben. Dem gleichen magischen Zweck dienten wohl auch die ebenfalls in prähistorischen Gräbern gefundenen roten Granaten, das „Blutglas", „Blutemail" und die rot unterlegten farblosen Gläser 4 . Rote Gegenstände schenkt und opfert man auch sonst den Toten. So opfern die Tobabatak ihren Toten rote Tuchstücke und geloben ihrem Ahnherrn ein rötliches Pferd, falls er sie beschirme6. In Assam werden bei der Beerdigung rote Hennen und Hähne dargebracht, die — wie wir aus der Analogie mit den zahlreichen anderen mit Rot verbundenen Trauerriten, insbesondere denen von Assam selbst, (vgl. S. 52, 7) schließen dürfen — hier schwerlich nur den uns bekannten Sinn magischer Kraftsteigerung haben. Vielleicht hat Döller recht, wenn er das „Reinigungsopfer" der Israeliten, die rote Kuh, welche sie schlachten mußten, um sich von der Berührung einer Leiche zu reinigen e , für eine alte Totengabe erklärt, die erst in der Jahwereligion zu dieser Bedeutung kam In Gräbern mykenischer Zeit fanden sich Deckeltöpfchen mit roten und blauen Farbenresten; ähnlich in neolithischen Höhlengräbern Liguriens, Siziliens, Spaniens und Portugals 8 . 1

Wolters 'Ehupöo™rae, Hermes XXXVIII (1903) 271; v. Duhn aaO. S. 7. Athen. Mitteil. 1891, 47. 49; vgl. v. Duhn aaO. s 4 Berkusky aaO. 255. 257. Ebd. 5 J. Warneck, Das Opfer bei den Tobabatak in Sumatra, ARW XVIII (1915) 381. · Numeri XIX 12 fi. ' Döller aaO. 134. 9 Wolters aaO. 270; v. Dahn aaO. 8. 5. 2

Bot als Blutsymbol: Totenritual.

Trauer

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Ob die Beigabe derartiger Farbstoffe einen tieferen kultischen Sinn hatte, scheint mir fraglich. Denn auch die in den Katakomben gefundenen Glasfläschchen mit roter Schminke, wie die Färbinstrumente drücken schwerlich etwas anderes als den Wunsch aus, dem Toten das, was er im Leben brauchte, auch ins Jenseits mitzugeben, gerade wie man andere Gebrauchsgegenstände, z. B. Haarnadeln, in die Gräber legte \ F. v. Duhn allerdings sieht eine Beziehung zwischen diesen Färbmitteln und der sehr alten und weitverbreiteten Sitte, Leichen rot anzumalen. Skelettreste mit deutlichen Spuren roter Farbe bezeugen den Brauch für das Herinkerland, Sizilien, Capri, Ligurien und Spanien2, ebenso die Reste roter Farbe in den Gräbern in Megara, von denen Preuner berichtet8, und wohl auch die roten Ockerstücke in den Grabanlagen auf der Insel Berezän im Schwarzen Meer, über die E. von Stern gehandelt hat 4 . In vielen Fällen freilich rührt die Färbung der Knochen nur von Gewändern, Kopfbinden und Schmuckstücken her. Der rotgefärbte Bart der Mumie auf einer schwarzfigurigen Lekythos5 steht wohl auch im Zusammenhange mit der Sitte der Leichenfärbung. Die primitiven Analogien des alten Brauches sind sehr zahlreich und werden von Berkusky ausführlich behandelt®. Bei Naturvölkern ist es meist üblich, die Knochen erst nach vorangegangener Entfleischung zu färben, oft nachdem die Leiche schon über Jahresfrist im Grabe gelegen hat'. Auf den Andamanen trägt die Witwe den mit einer roten Masse überzogenen Schädel ihres Mannes zeitlebens an einer Schnur8; bei den Bewohnern des Bismarckarchipels werden die Schädel der Reichen kunstvoll bemalt und ausgestellt0. Ähnliches erfahren wir aus Melanesien10. 1

Vgl. Panofka, Griechinnen und Griechen 8. * v. Duhn aaO. 5. Vgl. Preuner, Aue alten Papieren, Ath. Mitteil. XXXXVI (1921) S. 4 Nr. 7. * Vgl. Berichte der Odessaer Gesellschaft 1904—1909, 1913. 5 Hackl, Mumienverehrung auf einer schwarzfigurigen Lekythos, AKW XII (1909) 196. 8 AaO. 254f.; Tgl. auch „Die Bewohner der westlichen Torresstraße-Inseln", Globus 86, 180 u. Sitzungsber. der anthropologischen Gesellschaft, Vossische 7 Zeitung 28. 4. 1918. y. Duhn aaO. 8 Ztschr. für Ethnol. 1898,283; über Schädelbemalungen bei Totenfesten ygl. Wüh. Müller ARW VI (1903) 194. * Zeitschr. für Ethnol. ebd. 283. 10 Foy, Melanesien, ARW X (1907) 141. s

4*

Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

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Aber auch Dinge, die mit dem Toten selbst gar nicht in Berührung kommen, die Kleidung des Trauernden, Gegenstände des Trauerrituals, sind rot. So sahen wir (vgl. S. 46), daß bei der Totenfeier der griechische Priester in roter Tracht sein Amt ausübte. Rot sind die Binden, die auf einer schwarzfigurigen Lekythos bei der von Hackl wohl mit Recht als Mumienverehrung gedeuteten Kulthandlung getragen werden, rot mit blau die Stemmata der Frauen vom Sarkophag aus Hagia Triada Ein roter Altar stand in der Mitte der schola der sodales Serrenses, einer römischen Begräbnisgesellschaft, und eine rote Bank lief rings um ihre Wände z. Noch im Florenz des Quattrocento und im Frankreich derselben Zeit waren die Totenkapellen rot ausgeschlagen, rot die Bahrtücher und die Mäntel der Leidtragenden 8 , und aus Livigno (Valtellina) wird noch heute berichtet, daß, wenn dort ein kleines Kind gestorben ist, der padrino — an seinem Hut ein rotes Tuch — es in die Kirche trägt. Ihm folgen Knaben, geschmückt mit roten Bändern. Stirbt ein älteres Kind, so trägt ein Altersgenosse, an dessen Hut gleichfalls ein rotes Tuch hängt, die Bahre 4 . Bei der Leichenverbrennung auf den Salomonsinseln erscheinen die Frauen mit rotgefärbtem Haar 6 , oft färben sie außerdem ihr Gesicht e . Ähnliche Sitten herrschen in A s s a m Z u r „Trauer" gehört es auch, wenn die Togonegerwitwe die ersten sechs Wochen nach dem Tode ihres Mannes roten Pfeffer in ein allnächtlich brennendes Feuer schüttet, um durch übelriechenden Rauch den Totengeist fernzuhalten 8 , und wenn — gleichfalls um das Gespenst an der Wiederkehr zu hindern — der Schamane sich den pagar putar, ein rotes Zeichen, auf Stirn und Becken malt 9 , und ebenso der von Berkusky richtig als apotropäisch erkannte Brauch der Wadschagga, die Kleider des Verstorbenen 1

Hackl aaO., AUW XII (1909) 196 f. P.-W. XI 2 Sp. 620 v. schola. 3 Burckhardt, Kultur der Renaissance I 7. Aufl.; Exk. S. 3; vgl. v. Duhn 1 aaO. 5. v. Duhn aaO. 5. 8 Gerald Camden Wheeler Death Bites of the Western Solomon Islands, AUW XVII (1914) 65. 6 Franz Diederich, Zur Beurteilung der Bevölkerungsverhältnisse InnerWestaustraliens, Globus 55, 364; vgl. Berkusky aaO. 252. 7 8 Berkusky aaO. 261. Ebd. 9 Juynboll aaO., ARW VII (1904) 505. 2

Bot als Blutsymbol: Erklärung des Toten- u. Trauerrituale

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yor erstmaliger Benutzung mit roter Tonerde einzureiben 1 . Auch in Indien ist Rot Trauerfarbe: Kleid und Schleier der Witwe sind rot; rote Blumen hält die Brahminenfrau in der Hand; mit einer mit roter Farbe gefüllten Kokosnuß umschreitet die Witwe den Scheiterhaufen2. Hier ist das Rot in der Vorstellung so stark mit dem Trauerritual verbunden, daß auch der Todesgott rot gedacht wird und daß man — so in manchen Teilen Indonesiens — sich den Fluß, der zum Seelenlande führt, halb mit rotem, halb mit blauem Wasser gefüllt, vorstellt 8 . Auch bei den Paressi, die ebenso wie die Maoris auf Neuseeland, die Latuka, Kamma und andere afrikanische Stämme sich, wenn sie trauern, mit roter Salbe b e s t r e i c h e n s i n d die Vorstellungen von Rot und Totenkult so eng verknüpft, daß sie glauben, sie werden im Jenseits durch einen Heros ihres Volkes rot gemalt. Der Ideenverbindung von Rot und Trauer entspringen, wie ich oben erwähnte, vermutlich auch die bösen Omina, nach denen, wer von roten Dingen geträumt hat, bald sterben muß®. Zeigt ein Teil der mit Rot verbundenen Bräuche des Totenwie des Trauerrituals, wie wir sahen, rein apotropäischen Charakter, so bleibt dennoch zunächst die Frage: wie kommt das Rot zu dieser allgemeinen Anwendung im Totenkult? Daß es sich auch hier um eine Ablösung des Blutes handelt, hat schon Varro erkannt: Quoniam sumptuosum erat et crudele victimas vel homines interficere, sangumei coloris coepta est vestis mortuis inicie, und tatsächlich treten einzelne mit Rot verbundene Riten an anderer Stelle mit Verwendung von Blut auf. Auffällig ist zunächst die Tatsache, daß unter den roten Blumen, die beim Begräbnis und Verbrennen in Anwendung kommen, gerade diejenigen eine Rolle spielen, von denen der Mythos erzählt, sie seiefi aus dem Blute irgendeiner Göttergestalt entstanden 7 . 1 B. Outmann, Trauer- u. Begräbnissitten der Wadschagga, Globus 89, 198; vgl. Berkusky aaO. 2 Pischel, Zeitschr. der morgenländ. Gesellschaft 40, 116 ff.; Samter, Farn. 40. 47ff.; Zachariae, Zeitsch. für die Kunde des Morgenlandes XVII (1903) 211 ff.; Duhn aaO. 6. J Juynboll aaO., ARW VII (1904) 587. * Von den Steinen, Unter den Naturvölkern Zentralbrasiliens 434. 6 Vgl. v. Negelein aaO. R G W XI; Artem. oneir. I 77. 6 Serv. (Ampi.) Aen. III 67. 7 So die Hyazinthe, Narzisse, Anemone und das Veilchen; vgl. W. Bubbe

De metamorphosibus Graecorum, Diss. Halle 1913, 76 f.

Eva Wanderlich: Bedeutung der roten Farbe

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Doch kennen wir vor allem den nralten Brauch der Leidtragenden, sich am Grabe blutig zu schlagen \ der — wie die Dichter und das Verbot in den Zwölftafeln und auch das bei Servius überlieferte Yarrozitat zeigen — in klassischer Zeit nur noch von den wie überall konservativeren Frauen geübt wurde2, also schon damals überlebt gewesen sein muß. Daher wird man gut tun, bereits in der blutroten Streifenverzierung jener von F. v. Duhn als Schutzidole erklärten Marmorköpfe einen Ersatz für das überlebte oder verbotene Blutigritzen zu sehen. Ebenso wird die Sitte des Feuerländers, als Zeichen der Trauer sein Gesicht mit roten Strichen zu bemalen3, ja überhaupt das Eotfärben der Gesichter nur ein Ausläufer ursprünglicher Selbstverwundung sein. Die Entwicklung innerhalb des Totenkultus vom Blutzum Rotritus scheint mir besonders durch die Zeremonien des Totemismus4 beleuchtet zu werden, die den gleichen Zweck (Beschwörung des Totemtiers, der Totemblume usw.) bald mit roter Farbe, bald mit Blut zu erreichen suchen. Neben der Sitte ferner, rote Tuchstücke, Gewänder und Blumen am Grabe darzubringen (vgl. 48 f.), steht der Brauch, blutige Lappen unter die Totenbahre zu werfen®, neben dem chinesischen Ritus, während des Begräbnisses die „Ahnentafel" mit roter Tusche zu betupfen®, die Gewohnheit anderer Völker, Grabsteine und Türpfosten unmittelbar nach der Beisetzung des Toten mit Tierblut zu beschmieren7; schwerlich dürften wir hierzu auch in der bei Plinius gelegentlich erwähnten Miniierung der Grabsteinaufschriften eine Analogie sehen8, da ein großer Teil der antiken Inschriften überhaupt, sei es zur Verdeutlichung, sei es zur Ergänzung unvollkommen gemeißelter Buchstaben, mit rotbrauner Farbe angestrichen warB. Zahlreiche andere primitive 1

Levit. XIX 28; Dent. XIV 1; Jerem. XVI 6; XLI 6; über die Sitte bei primitiven Völkern vgl. v. Duhn aaO.; Frazer, GB I 90 ff.; Scheftelowitz, Der Seelen- and Unsterblichkeitsglaube im Alten Testament, AKW XIX (1916) 222; ähnliches Samter, GHT 181; Cie. de legg. II 59; Fest. XXXVIII 20 Lindsay; Plat. Solon 21. * Aischyl. Choeph. 24Wil.; Eur. Hec. 655 f., Hei. 1089, Androm. 826; Xenoph. Cyrop. III 1, 13; Prop. II 13, 27; Tib. I 1, 68; Quintil. decl. X 8; Petron. 111. » Berknsky aaO. 261. * Frazer, GB I 1, 85ff. 8 8 Samter, GHT 177. D ö U e r aaO. 274. ' Scheftelowitz aaO., BGVV XIV (1914) Heft 3, S. 14. 16. 8 Plin. n. h. XXXIII 122. • Vgl. dazn 0. Kern, Hermes L (1915) 155f.

Rot als Blutsymbol: Erklärung des Toten- u. Trauerrituals

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Trauerbräuche, in denen man dem Toten blutige Blätter nachwirft oder Blut auf das frische Grab spritzt, legen — obwohl sich nicht immer ein entsprechender Brauch ohne Verwendung von Blut finden läßt — die Vermutung nahe, daß die rote Farbe im Totenkultus überall als Ersatz für Blut allmählich eingetreten ist. Freilich — wie mir scheint — nicht in der von Samter geforderten Form der Opfer substitution zur Besänftigung der blutgierigen Toten 1 — einer Auffassung, die sich auf Varro stützt: Mulderes in exsequiis ideo solitas ora lacerare, ut sanguine ostenso inferis satisfaciant. Quare etiam imtitutum est, ut apud sepulcra et victimae eaedantur. Apud veteres etiam homines interficiebantur. Sed quoniam sumptuosum eqs. ·. Mag es richtig sein, die Zinnobergüsse auf Gräbern als Ablösung der Blutspende zu deuten, so erkennt auch Samter, daß diese Erklärung nicht hinreicht, wo der Leichnam mit Zinnober bemalt wird (193, 2), und ebensowenig für die rote Verhüllung der Toten. So ließ denn Samter im letzteren Falle nicht mehr den Toten selbst Empfänger dieser Spende sein, sondern die Unterirdischen: Der Tote sollte durch Anlegung des roten Gewandes „als geweihtes Opfer gekennzeichnet" werden, damit er „gesühnt, versöhnt mit den Unterirdischen" ins Totenreich hinabkomme s . Soll er denjenigen, zu denen er, ein Schatten, ein in der Erde hausendes, chthonisches Wesen, selbst gehört oder doch bald gehören wird, geopfert werden? Das scheint mir ein Gedanke, der jeder Analogie entbehrt. Auch die rote Farbe im Totenkult für lustral zu halten, scheint mir nicht richtig 4 . Um eine kathartische Anwendung von Rot könnte es sich allenfalls in den für die Hinterbliebenen vorgeschriebenen Bräuchen, also in T r a u e r r i t e n handeln, etwa wie in der alttestamentarischen Vorschrift, sich von der Berührung des Toten durch die Asche einer roten Kuh zu reinigen, doch scheint selbst hier, wie wir sahen (vgl. S. 50, 7) der Gedanke einer Reinigung sekundär gewesen zu sein, das Primäre eiq rotes Totenopfer. Zudem scheint die Vorstellung einer Befleckung durch Tod in Griechenland nicht alt gewesen zu sein, denn 1

GHT 193. · Vgl. oben S. 53. Samter, GHT 191, 3; ders. Philologus LXII (1903) 91 fi. * Diels scheint, wenn ich seine Anmerkung SB1. 70 verstehe, die rote Farbe entsprechend der „reinigenden" Kraft des durch sie abgelösten Blutes, wie sie im Taurobolium deutlich vorliegt, für unbedingt lustral zu halten. 3

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Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

noch in jüngeren Homerliedern ist man aufgeklärt genug, die Götter unbedenklich Tote berühren zu lassen1, und erst bei Euripides flieht Apollo aus dem Hause des Admet, um das μίασμα durch den Tod der Alkestis zu vermeidena. Wie Samter, so leitet auch v. Duhn — gleichfalls gestützt auf Varros Erklärung — die Verwendung des Rot vom Blutdurst der Toten her: was tot ist, ist bleich, es strebt zurück nach Leben und Lebensfarbe; Blut ist Leben, ist das, was dem Lebenden die Farbe gibt, daher der Blutdurst, daher die Notwendigkeit einer Blutspende am Grabe. Diese genügte aber noch nicht, die abgeschiedene Seele zufrieden zu stellen, sondern man täuschte ihr — meint v. Duhn — auf alle mögliche Weise den roten Schein des Lebens vor, so indem man dem Leichnam die Lebensfarbe wiedergab, indem man ihn mit der Farbe des Blutes anstrich, etwa im Sinne der Schillerschen Worte: Farben auch, den Leib zu malen, Steckt ihm in die Hand, Daß er rötlich möge strahlen In der Seelen Land 8 , so indem man Farben in die Gräber legte, Gräber und Särge rot ausmalte. Aus dieser Sitte habe sich dann die der Verhüllung, des Bedeckens und Verschnürens von Sarg und Leichnam entwickelt, bis das Rot schließlich Farbe selbst des Trauerritus wurde, wo es mit dem Toten gar nicht mehr in Berührung kam. Sonny, der im wesentlichen bemüht ist, die Ansichten v. Duhns zu rechtfertigen, erhebt zwei Einwände 4 ; den logischen, daß eine im v. Duhnschen Sinne mit Blutersatz vorgenommene Färbung voraussetzen würde, daß der gleiche Ritus mit Blut einmal vorhanden war; diesen habe es aber niemals gegeben. Der zweite Einwand ist technisch: die Farbspuren, die man auf Skeletten, Schädeln und Knochen gefunden habe, seien keineswegs so gleichmäßig verteilt, als ob eine absichtliche Färbung vorliegen könne. Sie nehmen einen verhältnismäßig kleinen Raum ein, sitzen in Klumpen und Stücken meist am Schädel oder in seiner 2 Eur. Ale. 22. Ω 612; ebenso in älteren, wie ζ. B. IT 667 ff. Schiller, Nadovessische Totenklage; Schillers Quelle war Th. Carver Travels through the interior parts of Northamerica; vgl. Schiller-Goethe, Briefwechsel 30. 6. 1797; II 84 f. hrsg. v. Phil. Stein. 4 Rote Farbe im Totenkult, ARW IX (1906) 525 fi. 1

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Bot als Blutsymbol: Erklärung des Toten- u. Trauerrituals

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Nähe. Die Reste machten ganz den Eindruck, als rührten sie von Opfergüssen her, die man so in das Grab geschüttet habe, daß sie möglichst in den Mund des Toten fließen könnten. Aus der Gepflogenheit, statt der kostspieligen Blutspende rote Farblösungen in die Gräber zu gießen, könne sich vielleicht später die Sitte entwickelt haben, den Leichnam rot anzustreichen, die Knochen zu bemalen u. dgl. mehr. Läßt man Sonnys Rechtfertigung gelten, dann bleibt es immerhin sonderbar, daß sich aus einer Speisung ein Schminken und Bemalen entwickelt haben soll, dessen Bedeutsamkeit so groß war, daß es die Speisung ganz vergessen ließ und eine Mitgabe selbst von Färbstoffen und -Instrumenten (nach v. Duhns Auffassung) erforderlich machte. Ungeklärt bleibt ferner bei einer derartigen Deutung die Verwendung anderer magischer Farben wie Blau die keinesfalls den Lebensschein darstellen konnten, sondern weit eher auf eine magische Funktion der roten Farbe schließen lassen, die sie steigern oder ergänzen sollten. Zweifelhaft wird ferner «ine Entwicklung des Ritus von Blut- und Rotmalung zur Purpurhülle, wenn man in Erwägung zieht, daß die Beisetzung in Tüchern (uneingesargt) älteste griechische Sitte ist 2 , daß schon bei Homer diese Tücher rot sind, und daß sich für Griechenland außer den Farbdosen, die — wie wir S. 51 sahen — auch ganz andere Zwecke haben konnten, keinerlei Spuren einer Leichenbemalung gefunden haben. Bedenklich ferner sind die „Schutzidole" mit roter Streifenverzierung. Sollen auch sie zur Aufrechterhaltung des Lebensscheines dienen? Und was bedeutet der Schein eines „höheren" Lebens, von dem v. Duhn gelegentlich (S. 19) spricht? Können wir uns allenfalls die blutroten Tänien auf den Lekythen als Reste oder Andeutung purpurner Gewänder und Decken erklären, so bleibt es doch dunkel, warum man z. B. in China, einem Lande, aus dem uns weder über Schminken noch Roteinhüllen des Leichnams etwas bekannt ist, dem Toten mit einem roten Teeblatt die Lippen schließt 8 , warum dort dem Konfuzius rote Seidenschuhe ins Grab gelegt werden 4 , und warum dort ferner die erste Scholle, mit der das Grab zugeschüttet wird, einem roten Tuch, auf das sie zuvor geschaufelt worden, entnommen werden muß*. Auch die roten Steinpfeil1

Vgl. zur Magie der blauen Farbe oben S. 12, 5. 3 Vgl. Rohde, Psyche 7. u. 8. Aufl., I 226, 3. Döller aaO. 8 * Chinesische Volksmärchen aaO. Nr. 26. Döller aaO. VII 2, 274. 3

Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

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spitzen in einem neolithischen Grabe von Sgurgola, wie will man sie erklären, es sei denn auf dem von Dahn (S. 9) eingeschlagenen Auswege, sie seien wohl nur zufällig rot? Wie weit v. Duhn in seiner Hypothese von der Aufrechterhaltung des Lebensscheines mitunter geht, zeigt sich z. B., wenn er die in manchen griechischen Gegenden und auf dem australischen Kontinent übliche Schließung der Leibesöffnungen des Leichnams dafür in Anspruch nimmt, ein — wie er an anderer Stelle selbst ausspricht — fraglos apotropäisches Mittel zur Fernhaltung des Totendämons. Daß Angst, nicht Pietät, das ursprüngliche Wesen jedes Totenkults ist, Angst, die noch heute in zahlreichen Trauerbräuchen zum Ausdruck kommt, haben Samter und v. Duhn erkannt, haben jedoch die Schlichtheit der Mittel, mit denen ein Naturvolk sich gegen das Objekt seiner Furcht zur Wehr setzt, unterschätzt. Wie einfach der primitive Mensch vorgeht, um einen bösen Geist los zu werden, zeigt die trauernde Togonegerin, die durch beißenden Rauch das Gespenst abwehrt, zeigt der Chinese, wenn er den Mund der Leiche, aus dem der Totengeist entschlüpfen könnte, verschließt, zeigen zahlreiche andere Bräuche. Auch das Bemalen der Toten, das Ausmalen der Särge und Grabgewölbe, das purpurne Tuch werden schwerlich etwas anderes gewesen sein als primitive Mittel, das, was man fürchtet, dort festzubannen, wo es ist, die rote Farbe am Trauernden nur eine räumliche Verrückang dieser Schutzvorrichtung, wie man ja auch Dämonen bald von der Schwelle des eigenen Hauses durch rote Tücher fernhält, bald sie in Höhlen und Bäumen, in denen man sie vermutet, fest zu bannen sucht 1 . Zum Bannen im Grabe dienen wohl auch die roten, gelegentlich als Amulette und Idole aufgefaßten Gegenstände. An der freien Bewegung sollen die Schnüre, mit denen man Sarg und Leichnam umwickelt, den Toten hindern und vielleicht auch die roten Schuhe2. Durch die Berührung der den Sarg deckenden Erde mit einem roten Tuch mag man eine Kraftübertragung vom Tuch auf die Erdscholle beabsichtigen, damit die Erde die Funktion des Tuches, nämlich die einer magischen Isolierung des Toten, in jedem Falle übernehme und man auf diese Weise spar« und nur ein einziges Tuch für alle Begräbnisse brauche. Natürlich ist es denkbar, daß gelegentlich — zumal in höher entwickelten 1

Vgl. oben S. 25ff.

* Vgl. S. 67, 4.

Rot ale Blutsymbol: Priestertracht

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Kulturen — neben dem Gedanken der Abwehr auch etwas wie Pietät für den Toten mitgesprochen hat und man Maßregeln auch für sein Wohlergehen traf. Keinesfalls aber läßt sich auf diese Kegung, die verhältnismäßig selten zu beobachten ist, ein größerer Teil des Totenrituals zurückführen und z. B. die Rotmalung der Toten von dem Wunsche herleiten, die Seele auf dem Wege ins Jenseits gegen die ihr dort drohenden Gefahren zu wappnen\ Eine derartige Absicht in der Verallgemeinerung stände durchaus im Widerspruch zu dem Gefühl der Schwäche des Lebenden gegenüber dem Toten, der ihm Hagelschlag und Krankheit schicken, der wiederkehren kann, um ihn selber zu holen 2 . Unschädlich, nicht wehrkräftig macht man solche Wesen. Entkräfteten wir die Interpretation des bräutlichen flammeum als eines Symbols des häuslichen Feuers 8, so fällt zugleich auch die entsprechende Deutung Dragendorffs für das suffibulum der Vestalin als eines Symbols des Feuers am Staatsherde, für das sie zu sorgen habe 4 . Ist diese Deutung durch die Übereinstimmung der Vestalinnentracht mit der der Braut nicht haltbar, so ist sie es auch an sich nicht, da man in dem wollenen Purpursaum, mit dem das suffibulum verbrämt ist 6 , nicht einmal mehr eine Farbenanspielung auf das Feuer erblicken kann, sondern weit eher, entsprechend der infula der Vestalin, der aus rotweißen Wollfäden gedrehten, diademartigen wohl fraglos apotropäischen Binde®, gleichfalls ein Apotropäum. Ist ferner das suffibulum — wie Dragendorff es auffaßt — gleichsam eine verkürzte Form des flammeum, dann stimmt die Vestalinnentracht in diesem einen Stück auch mit der der Flaminica überein 7 . Wie wir aber das flammeum und die purpurne n'ca 8 der Flaminica, die praetexta des Flamen 9 zu beurteilen haben, das wird klar, wenn wir bedenken, wie das ganze Leben dieses Priesterpaares — abgesehen von ihren positiven Pflichten — eine ununterbrochene Vorsicht war vor allem, was chthonisch und unrein \ S o Berkusky aaO. 254. Vgl. Lippert, Kulturgeschichte 75f.; Juynboll aaO., ARW XVII (1914) 604, ' Vgl. oben S. 45. 4 Dragendorff, Die Amtstracbt der Vestalinnen, RhM. LI (1896) 292. 5 Festus 474, 3 Linde. • Vgl. Dragendorff aaO., RhM. LI (1896) 286. 7 Fest. 82, 6 Lindsay. 8 8 Fest. 369, 1 Linde. Serv. Aen. VIII 552. 1

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Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

oder zu Chthonischem Beziehung hatte (z. B. vor der Bohne 1 , dem Pferd 2 , ungekochtem Fleisch®, Efeu als Pflanze des Totenkults 4 , vor allem Profanen und vor allem, was binden kann (Fessel, Ring) 5 . Ihr gesamtes Verhalten war apotropäisch: so die Kopfbedeckung des Flamen aus Fell®, von dem ein wollener Faden herunterhing, so die virga, die er ständig zur Abwehr des Profanen in der Hand trug 7, so die Vorsicht, mit der er seine abgeschnittenen Fingernägel und Haare unter einer arbor felix vergrub, damit sie nicht in unrechte Hände fielen8, und so auch — wie wir aus der Analogie schließen dürfen — das rote Kleid and das flammeum. Mag sein, daß der rote Schleier von hier aus als ein bereits bekanntes Apotropäum in den Hochzeitsritus übernommen wurde. Entsprechend der Kleidung von Flamen, Flaminica und Vestalin ist wohl auch das Rot am Kleide anderer Priester zu werten. Purpurne Kleider werden schon dem Jahwepriester befohlen0. Eine rote Binde soll laut einer pergamenischen Inschrift der Zeuspriester tragen 10 , einen z. T. purpurnen χιτών der Priester des Herakles von Tarsos 11 , ein Ganzpurpurkleid der Kybelepriester1B. Als Priester des Zeus Sosipolis von Magnesia trug Anaxenor χι&αρωιδός, der Freund des Antonius, eine πορφύρα1S. Auf einem Vasenbilde tragen selbst die Opferdiener rote Haarbänder u . Daß die rote Priestertracht, auch in der verkürzten Form der praetexta, nicht etwa vereinzelter Brauch gerade dieser eben erwähnten Kulte war, sondern etwas durchaus Allgemeines, zeigen Betrachtungen wie Quint, decl. 140: Ego vobis allego etiam ipsum illud sacrum praetextatum, quo sacerdotes velantur und wie Tertull. ap. c. 15: In ipsis plerumque aedituorum et saeerdotum tabernaculis sub isdem vittis et apieibus purpureis \ und ähnlich heißt es Firmic. Mat. III 19: Faciet saeerdotum prineipes et qui in ipsis sacerdotiis purpureis aut auratis vestibus induantur16. Es leuchtet darum nicht ein, wenn die Erklärer des katholischen Ritus in den Purpurstreifen an der priesterlichen Tunica, an der Dalmatik der Diakonen und I Gell. X 15, 12; Plin. n. h. XVIII 119. 1 * Plin. n. h. XXVIII 146. ' Gell. aaO. Ebd. 6 9 7 Gell. X 15, 6. Fest. IX 27 Lindsay. Ebd. LVI 29. 9 9 10 Gell. X 15, 15. Exod. 28. Perg. Inschr. 40. II u Athen. V 215c vgl. Mithrasliturg. y. 28. Ov. Fast. IV 339f. 11 14 Strab. XIV 648. Berliner Vasenkatalog Nr. 2534. " Vgl. auch das Vergilzitat Aen. III 405 ff. oben S. 44.

Bot als Blutsymbol: Priestertracht.

Opfer

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Apostel auf christlichen Gemälden lediglich den clavus der römischen Magistrate, nicht das Amtsinsigne des römischen Priesters sehen wollen. Gerade in diesen christlichen Darstellungen, die ja gleichwohl römisch waren, liegt m. E. ein Hinweis auf die Purpurornamente auch der heidnisch-römischen Priester \ Die Berechtigung zu einer apotropäischen Auffassung des priesterlichen Purpurs liegt in der Geschichte des Priesters, der ursprünglich kaum etwas anderes war als ein Zauberer, vermöge ihm innewohnender Kräfte imstande, das Übernatürliche (Dämon, Gott) zu beeinflussen und die Vermittelung zwischen diesem und den Menschen herzustellen. Nichts war natürlicher, als daß man den Träger einer so wertvollen Gabe und Kraft schützte, wie man ein Gefäß mit kostbarem Inhalt hütet. Darum die zahllosen Vorschriften, die den Priester der Primitiven vor dem tabu bewahren 2, darum die Vorsicht des Flamen, die Purpurkleider, -binden und -fäden des Priesterstandes. Wie der Priester selbst, so ist auch das Tier, durch dessen Darbringung er den Willen der Gottheit zu bestimmen glaubt, Träger einer magischen Kraft, und auch diese muß gehütet werden. So kleidet man das Opfer, wenn es ein Mensch ist, in eine rote Jacke 8 , behängt es, ist es ein Tier, mit roten Wolltroddeln 4, oder man umwickelt es mit roten Bändern 5 und trägt ihm unter Trommelmusik (vielleicht ein Abwehrgeräusch e ) rote, auch schwarz-weiß-rote 7 Fahnen voran 8 . Daß hier nicht Schmuckbedürfnis ausschlaggebend ist, dafür spricht die starke Verwendung der apotropäischen Wolle gerade in diesen Riten. Wie man in Rom die Wollbinden des Opfers auffaßte, zeigen die 1 Vgl. F. X. Kraus, Bealencyklopädie der christlichen Altertümer II (1886) 179, wo sich reiches Material auch über bildliche Darstellungen findet. Auf die etwaige Bangordnung der christlichen Priester, die sich in dem Breitenunterschiede der Purpurstreifen äußern könnte, hier einzugehen, würde zu weit führen; vgl. aaO. I 357. 380. 2 Vgl. z. B. die Vorschriften, die den Feuerpriester der Brahmanen betreffen, Frazer, GB I 2, 247 ff.; zur Stellung des Priesters s. auch Lippert, Die Kulturgeschichte in einzelnen Hauptstücken III (1886) 161 ff. » Warneck aaO., ABW XVIII (191f>) 346. 1 Preuit aaO., AEW XIV (1911) 297. 6 Preuß aaO.; Scheftelowitz aaO., BGVV XIV (1914) Heft 3, S. 47. β Über derartige Abwehrgeräusche vgl Samter, GHT 39f.; 58ff. ' Vgl. oben S. 9, 6 zur gemeinsamen Wirkung der drei Farben. 8 Warneck aaO., AEW XVIII (1915) 367 f.

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Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

Denkmäler, auf denen Schweine und Widder, die zum Opfer geführt werden, mit Binden geschmückt sind, dagegen das Schaf, das die Wolle am eigenen Leibe trägt, einer Wollbinde nicht bedarf 1 : also eine deutliche Betonung der apotropäischen Substanz. Aus der Umbiegung der positiven K r a f t in eine negative Richtung, wie wir sie in den Funktionen von Rot und Blut verdeutlicht sehen, mußten sich naturgemäß allmählich auch Riten entwickeln, bei denen beide Erscheinungsformen der K r a f t im Spiel und für die Wissenschaft kaum zu unterscheiden sind. So verhält es sich mit der Rotfarbung gewisser Segen spendender Gottheiten, in der Antike vertreten durch das rote Glied des Priapus, den die Dichter als Diebsscheuche bezeichnen 2 . Daß sich das Gesindel auch damals durch einen derartigen Anblick schwerlich verscheuchen ließ, zeigt Carm. Priap. 26, 9, und es ist daher anzunehmen, daß es sich — entsprechend wie beim fascinum8 — ursprünglich um eine Verscheuchung anderer als menschlicher Schädlinge gehandelt hat, also um ein Apotropäum. Daneben ist die positive K r a f t des φαλλός als eines Symbols der Zeugung unleugbar 4 . Weshalb auch stellte man ihn sonst vorherrschend in Obstgärten auf, wenn nicht zur Sicherung der Fruchtbarkeit?

abzu-j wehren. Der rote Anstrich mithin kann hier im Sinne einer Kraftsteigerung sowohl des Fruchtbarkeitssymbols als auch des Apotropäums gewirkt haben. Die primitiven Analogien des antiken Priap, so die fünf Pandus ( = Feldhüter) der Hindus 6 , das Matakau ( = rotes Auge) in Indonesien®, die phallischen und hermenartigen Götzenbilder der Kongoneger 7 sind ebenfalls apotropäisch und zugleich Förderer 1

Diebe waren auch an anderen Plätzen

Cichorius Forum Bomanum, Taf. 52.

Carm. Priap. L X X I I , 2; X X V I 9; I 5; L X X X I I I 6; Tib. I 1, 17; Ον. Fast. V I 319; Hör. sat. 18, δ; daß es sich um eine Hervorhebung natürlicher Böte handelt, ist unwahrscheinlich, da gerade das Drohende, Schreckliche des Boten meist im Zusammenhang mit custos (ζ. Β. I 5) furee caedere ( X X V I 9) u. ähnlich betont wird. ' Vgl. unten S. 86, 1. 4 "Vgl. Nilsson, Griechische Feste von religiöser Bedeutung 391. * Edw. Burn. Tylor Primitive culture, Dtsch. Ausgb. I I (1871) 164. • A B W X V I I I (1915) 310, 1. 7 Bastian, Afrikanische Beisen I 80; weiteres Material Uber primitive Analogien findet sich bei Liebrecht, Zur Volkskunde 395 ff., der in der Botmalung den Best eines Opfers sieht, und bei W . Schwartz, Ztschr. f. Ethnol. V I 170. 2

Rot als Blutsymbol: Priap. Götterfärbung.

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der Fruchtbarkeit, die rote Farbe, mit der sie bestrichen werden und die — wie aus den bei Liebrecht angeführten Beispielen erhellt — auch hier Ersatz für Blut ist 1 , also auch in diesem Falle von doppelter Bedeutung. Zwischen der Rotfärbung dieser Götzen und der alljährlich vorzunehmenden Miniierung des Juppiter Capitolinus 2 eine Beziehung herzustellen, als seien beide Bräuche der Rest einer alten Fütterung des Gottes 8 , scheint mir ungerechtfertigt, da weder eine Speisung des φαλλός vorstellbar, noch im römischen Kultus ein zweiter Rest so niederen Götzendienstes, wie wir ihn in der Fütterung der Statue sehen müßten, vorhanden ist. Überdies wäre die Bestreichung selbst nur des Gesichtes immerhin ein sonderbarer Rest von Fütterung. Auch von einer Parallelisierung der Juppiter-Miniierung mit der Rotfärbung und -kleidung von heiligen Tieren 4 und Idolen 5 ist wohl abzusehen, mit der, ähnlich wie durch die oben erwähnte Färbung der Fetische, wahrscheinlich in gleicher Weise Schutz (hier des Bildes selbst) und Steigerung der ihm innewohnenden Kraft bezweckt wird. Warum man den Juppiter alljährlich neu anstrich, wird deutlich von Plinius XXXY 157 ausgesprochen: Fictilem eum fuisse et ideo miniari solitum. Es war also ein altes, tönernes Standbild, das ohne diesen Anstrich schäbig zu werden drohte. Daß ein derartiges Verfahren an alten Götterstatuen — ähnlich wie das in einer Inschrift von Magnesia erwähnte Übertünchen (χονίασις) der Altäre® — notwendig und üblich war, zeigen die zwar gleichfalls auf die Juppiterstatue bezüglichen, aber dabei sehr allgemein gehaltenen Worte Plutarchs: Ταχν γάς εξαν&εΐ το μίλτLvov, φ παλαιά των Αγαλμάτων εχρωζον7, und in diesem Sinne ist wohl auch die Bemerkung des Plinius über die Götter1

Vgl. auch Frazer, GE V 1, 244. Plin. n. h. XXXTII U l f . * So Frazer, GB I 2, 175. * Ζ. B. der heilige Stier von Surat (Indien); vgl. v. Dahn aaO. 21. 5 Heilige Stiere in Indien, afrikanische Fetische vgl. v. Dahn aaO.; Rotkleidung nnd -färbung von Idolen der Ostjaken und Indianer, Berkusky aaO. 256; Rotmalen von Götterbildern, Rochholz, Glaube nnd Brauch II 225 ff. 9 Vgl. Inschr. v. Magnesia Nr. 100 b 40. 7 Plot, quaest. Rom. 287 d. Miniierung ist demnach also keine Aaszeichnung der Jnppiterstatue etwa vor der der Jnno, sondern lediglich durch ihr größeres Alter oder schlechteres Material bedingt. Daß man gerade Mennig zu der Auffrischung verwendete, mag gleichfalls durch das Material geboten gewesen sein. 4

64

Eva Wunderlich: Bedeutung; der roten Farbe

bilder der Äthioper (XXXIII 111) zu verstehen: Quamquam hodie

id

expeti

tingui

proceres,

constat

Aethiopum

hunc ibi deorum

populis

simulacris

totosque colorem

eo (sc.

et

minio}

esse.

Gleichfalls nicht von einander zu trennen sind m. E. positives und negatives Kraftmoment der roten Farbe in den Riten, die sich mit Mysterion und Inkubation verbinden. Macht es das gemeinsame Auftreten mit dem apotropäischen Kranz und der Wolle wahrscheinlich, daß die rote Farbe in der die ApolloInvokation betreffenden Vorschrift Parth. Pap. (Berlin) 152, 70 f. 1 : Ποιεί

αεαυτω

ατέφανον,

τιεριπλέξας

αντω

ατέφος,

ο εστί

λευκον

eine Kraftsteigerung im apotropäischen Sinne ist, so spricht gegen eine derartige Auffassung, daß das Ritual der Inkubation im übrigen ganz positiv gerichtet und darauf eingestellt ist, den Heilung oder Wissen Suchenden mit einer Kraft zu erfüllen, sei es durch die Berührung mit der Erde 2 , sei es durch den Trunk, der gleichsam Gottbesessenheit herbeiführen soll 8 . Wenn es daher vom trophonischen Orakel Max. Tyr. diss. XIV 4 heißt: *Ev Τροφωνίου τε εριον

εκ διαστημάτων

μην [καί γαρ

τοϋτο

ττερϊ Λεβαδίαν

δεδεμένον

μαντεϊόν

τΐόλιν\

εστίν

δ δεόμενος

ασάμενος

δ&όν>] τΐοδήρει

είσδύεται

ύπτιος

κατά

φοινικψ

εν Βοιωτίr\ δε φλογοηδεΐ λουσιν αντοϋ τάς εικόνας, fjliov ορατον ουσίας νοητης ηγούμενοι.

99 ατέΐ-

σώμα της τάγα&οϋ δυνάμεως ως Osiris w a r ein alter Sonnengott;

die roten Opfer entsprachen seiner Lichtnatur. Daß die ihm dargebrachten Menschen den roten Typhon darstellen sollten, hat schon Frazer abgelehnt 1 . Wo findet sich eine Analogie dafür, daß ein Gott dem anderen geopfert wird? Daß Typhon selbst rot war, ist — da er vulkanische Gottheit ist — begreiflich 2 , daß aber die Bezeichnung Τυφωνίονς für die in den Hundstagen verbrannten Menschen von ihrer Rothaarigkeit herkommt 8, recht unwahrscheinlich, denn es ist nirgends überliefert, daß man Menschen wegen irgendeines körperlichen Merkmals nach einem Gott genannt hat, der das gleiche Merkmal hatte. Da ferner die von Götternamen hergeleiteten Adjektiva auf /og — wie Κρόνιος,

Διονύσιος,

Δημήτριος,

Έρμαΐος

usw. — f a s t

ausschließlich die Zugehörigkeit zum Gotte ausdrücken, liegt der Gedanke nahe, daß diese Τυφώνιοι irgend einmal dem Typhon selbst gehört, die Opfer ursprünglich ihm gegolten haben. Der Name des Opfers mag den Gott und seinen Kult überlebt haben und auf die gleichfalls roten Osirisopfer übertragen sein, wie ja selbst die Kirche die Namen jüdischer und heidnischer Feste für die christlichen ζ. T. übernahm 1 . Als dann die eigentliche Bedeutung des Wortes Τυφώνιοι nicht mehr für das Opfer paßte, bot die Feindschaft der beiden Götter das erwünschte αϊτιον. Auch die Zeit der Hundstage, in denen die Typhonischen Opfer dargebracht wurden, ferner, daß man sie nicht schlachtete, sondern verbrannte, scheint mir für Typhon als den eigentlichen Adressaten des Opfers zu sprechen. In den Hundstagen schützte man in Rom das Getreide gegen Brand durch das auguriutn canarium. Was war natürlicher, als daß man auch in Ägypten dem aus dem roten Vulkan stammenden Glutwinde, der gerade in dieser Zeit besonders zu fürchten war 5 , durch Verbrennen roter Opfer vorbeugte? Hier wie überhaupt, im Kultus der Lichtund Feuergötter scheint das Opfer in seiner der Gottheit und ihren Attributen angepaßten Farbe gleichsam eine Inkarnation dessen zu sein, was man von der Gottheit erhofft oder fürchtet. Daß bei einer auf Assimilation an die Gottheit gestellten Kultsymbolik Rot die Farbe der Astralgottheiten werden mußte, 1 1

2 AaO. Plut. Is. et Os. c. 22; c. 31 u. 33. So das Pascha-Osterfest; vgl. Kor. I 5, 7.

s

» Ebd. c. 73. Plut. aaO. c. 51. 7*

100

E r a Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

erkennt man nnschwer ans der Vorstellung von den Gestirnen, wie Sprache, Dichtung und Bild sie widerspiegeln. Von einem roten, die Sonne rings umschließenden Kreise spricht Plin. N. H. I I 2 9 : Circa soletn arcus apparuit, L. Opimio Qu. Fabio consulibus, C. Porcio M'. Aeilio. circuius rubri coloris L. Iulio P. Rutilio

orbis coss.,

und ερεν&ος επιτρέχει heißt es Arat. Phain. 834. Rot sind im Rig-Veda die Flügelrosse der Sonnen- und Mondgottheit; Rohita, der Rote, ist — sofern wir den Darlegungen Sieckes folgen dürfen, was freilich nur sehr bedingt zu unterstellen ist — im Avesta der Name eines der Sonne gleichgesetzten Gottes. „Die Sonne ist rot bei ihrem Aufgange und rot bei ihrem Untergange" heißt es im Pancaratras (2, 7). Nach Auffassung der Bakairi ist die Sonne ein großer Ball aus roten Federn 2 . Auch der Mond gilt für rot. Nicht nur bei besonderer W i n d s t i m m u n g : Vento semper ruhet aurea λεπτή de xal εν μάλ' έρεν&ης πνενματίηsondern

Phoebe8 auch

und sonst.

Soma, der Mondgott, ist in den Yeden „der rote Seher des Himmels", auch „roter Renner", „roter Eber", „roter Tropfen". E i n e , Mondgottheit ist auch Röhini, die Rote, die Gattin des Röhito; und auch die übrigen Lichtgottheiten haben im RigYeda sämtlich das Attribut „rot" \ In den Sagen und Legenden der alten Mexikaner ist der Neumond ein aus dünnem Kupferfaden hergestellter Bogen, der Vollmond „wie ein großer Mühlstein, sehr rund und sehr rot", auch die Sonne bei ihrem ersten Erscheinen am Himmel „hochrot" e . Von der Röte der Gestirne im allgemeinen spricht Plinius 7. E s konnte nicht ausbleiben, daß nach Erkenntnis einer so breit verzweigten Lichtsymbolik durch die rote Farbe auch die Interpreten von Mythos und Märchen das Rot in dieser Weise ARW I (1898) 121. « Preuß, Globus 86 (1904) 324a. 6 Ygl. Siecke aaO. Verg. Georg. I 430 ft. * Arat. Phain. 783. * Ygl. Eunicke, Aztekische Härchen, nach dem Spanischen des Sahagun, Lpz. 1922, S. 30 u. 34. 7 Plin. n. h. II 79. Um so unverständlicher wird daher, daß F. Boll, Antike Beobachtungen farbiger Steine, Abhdl. der Bayr. Akad. der Wissenschaften (1916), philos.-philol. Klasse XXX 1, 18 im Widerspruch zu seinen eigenen Ausführungen S. 138 ff. über zahlreiche antike Stembezeichnungen wie „rot", „braun-rot" usw., ferner über Berichte von den verschiedenen Kotnuancen der Gestirne, 8. 18 den Avienus, der in seiner Übersetzung von Arats Phainomena sich sehr häufig der Ausdrücke rutilare, rubor, rubent usw. bedient, so auslegtr als handle es sich nur um eine allzu bequeme Wiedergabe des griechischen Wortes αϊγλη η. dgl. 1

5

Sonnensymbolik: Astralmythen

101

zu. deuten versuchten und schließlich in fast jedem Wesen, das rotes Haar oder sonst irgend etwas Botes an sich hatte, einen Lichtgott sahen. 80 erging es der Simsonsage. Auf Grund etymologischer Kombinationen — man glaubte aus dem Namen Simeon eine Farbandeutung zu erschließen —, obwohl die Bibel von seiner Rothaarigkeit nichts weiß und obwohl die Vorstellung vom Haar als Sitz der Kraft allgemein und von der Haarfarbe unabhängig ist, erklärte man Simson für die Sonne, seine roten Haare für Strahlen, seine Blindheit, Kahlheit, das Gefängnis für die dunkle Hälfte des Jahres1. Mehr noch als die Simsongeschichte forderten die Sagen vom König Nisos 8 und von Pterelaos 8 zu derartiger Deutung auf. Beiden war eine rote Locke — beim einen war sie purpurn, beim anderen golden — Sitz der Kraft und Unsterblichkeit. Beiden wurden sie geraubt, und sie kamen um Ehre und Leben. Mit welchem Recht man auch diese Sagen auf den Astralmythos zurückgeführt hat, sei dahingestellt4. Konnte der Sonnenmythos diese Form, wie sie uns im Simson, Nisos und Pterelaos vorliegen soll, annehmen, dann mußte im Volksglauben die Möglichkeit zu einer derartigen Gestaltung vorliegen, d. h. — wie ein Dornröschen ohne den Glauben an Feen und Zauberspindeln nicht entstehen konnte — die Überzeugung, daß eine rote, bzw. rotgoldene Locke schützen und stärken könne. Es läge dann also der Sage, die das Rot als Sonnensymbol verwendet, die Vorstellung vom Rot als einer magischen Kraft, d. h. des Blutsymbols, zugrunde. Eine derartige Verquickung zweier verschiedenartiger religiöser Symbole wäre wohl in einem Literaturprodukt verständlich, is't aber im Mythos, zumal bei dem Alter des Astralmythos, wie die Interpreten es annehmen, recht unwahrscheinlich. Auch das Rotkäppchen wird astralmythologisch gedeutet5. Die rote Kappe ist die Sonne, die vom Wolf als der Finsternis verschlungen 1 So Alfr. Jeremias, Das alte Testament im Lichte des Orients 481 f.; vgl. Max Schlesinger, Geschichte des Symbole 46. » Nonn. Dionys. XXV 161. Vgl. Apollod. III 16, 8; Dionys. Philad. At. II 14 = Dttbner Poetae bucolici et didaetici 119; Ov. Met. VIII 79f.; Saidas 4 ν. κ ρ ί ' κ α ; Tib. I 4, 63; Stat. Bilv. II 4, 84. Eustath. zu A 197. 4 Vgl. 0. Waeer bei Roscher, Lexikon der griechischen u. römischen Mythologie u. Skylla, Sp. 1066 f. * So Siecke aaO. 134; Tylor, Anfänge der Kultur, Deutsch von Spengel und Poske, Lpz. 1875, S. 336.

102

Eva Wunderlich: Bedeutung der roten Farbe

wird, die Rettung aus dem Wolfsbauch der Sonnenaufgang 1 . Auch hier will ich auf die Berechtigung der Hypothese — z. B. auf die unverständliche Rolle, welche die Großmutter in diesem Mythos spielen würde — nicht näher eingehen. Das Rote an der Kleidung des Kindes muß jedenfalls zum Märchenmotiv mitgehören, denn es kommt in fast jeder der uns bekannten Variationen vor, und zwar vornehmlich in denjenigen, in denen das· Mädchen gerettet wird. So sagt in Egbert von Lüttichs „Fecunda ratio" die puella a Iwpellis servata, wie sie mit den jungen Wölfen spielt: „Zerreißt mir meinen roten Rock nicht" 2 , so· kennen wir die rote Kappe in Perrauts „Chaperon rouge"· 3 und im deutschen Rotkäppchen, während in der schwedischen Parallelsage, in der das Mädchen nicht gerettet wird, weder von einem roten Rock noch von einer Kappe oder sonst etwas Rotem die Rede ist 4 . Es sieht danach so aus, als stehe die Rettung mit dem Rot in Beziehung. Ist dies der Fall, dann haben wir auch hier das Rot als magische, dem Blute entsprechende Kraft, und es wird wiederum unwahrscheinlich, daß Blut- und Sonnensymbol sich in dieser Weise miteinander vermischt haben. Eine weitere Folge der Licht- und Sonnensymbolik ist die Auffassung alter geographischer Namen, die irgendeinen Anklang an „licht" oder „rot" enthalten, als einer mythologischen Lokalisierung der auf- oder untergehenden Sonne. Namen wie Rotes Meer, Phönikien, Lykien, Äthiopien, auch entsprechende Fluß- und Städtenamen sollen aus einer Zeit stammen, in der man die Gefilde der Seligen noch nicht unter der Erde, sondern 1

Bei Siecke ist der Wolf auch als verdunkelnder Mondkörper gedacht. Hrsg. v. E. Voigt 1889, S. 232; vgl. Bolte u. Polivka, Grimms Märchen s I 140; III 47. Bolte u. Polivka aaO. I 234. 4 Folkvisor III 68 f. In dem von Tylor aaO. angeführten altenglischen Gedicht kann ich keine Analogie zum Botkäppchen sehen. Den einzigen Vergleichspunkt bieten das Verschlingen und die wunderbare Rettung. Dann könnte man schließlich auch Jonas im Walfischbauch zum Vergleiche heranziehen und ebenso zahlreiche andere Mythen, in denen dies Motiv verarbeitet ist; vgl. dazu Frobenius, Das Zeitalter des Sonnengottes. Auch Hüsing kann ich daher nicht beipflichten, wenn er Mitra 1914, Heft 4, 102 und Heft 10, 290, wohl im Hinblick auf Varianten wie die von Tylor zitierte, das Rotkäppchen nicht für ein Märchen, sondern für ein Literaturprodukt erklärt. Die Varianten seien alle keine Märchenvarianten, sondern lediglich Ausbiegungen der Erzählung. Wird denn der Märchenstoff nur durch „Varianten" bestätigt? Und ist die wunderbare Rettung nicht durch Parallelerscheinungen, wie z. B. die Auferstehungsmythen, als Märchenmotiv gesichert? 2

Sonnensymbolik: Geographische Namen

103

im äußersten Westen oder Osten glaubte, d. b. in der Gegend der auf- oder untergehenden Sonne, in einem licbtstrahlenden, roten Lande. Mit erweiterter geographischer Kenntnis seien diese Namen mehr und mehr nach Osten und Westen gerückt; die alten Plätze behielten ihre Bezeichnung trotz ihrer nun nicht mehr dem Sinne entsprechenden Lage. Als man das Land der Seligen dann in den Hades verlegte, seien Flüsse wie Eridanos und Pyriphlegeton dorthin übertragen Als Sonnenland mußte ein mythisches Φοινίκη Geburtsland des Lichtgottes Apollon werden; die Palme, als Baum des Morgenlandes, mußte dem Lichtgott heilig sein: Εύτ

επί

την

τότε

άμφι λειμώνι

JfjXov

'έβαινε

δη τάχος

δε φοινίκι μαλαχφ,

εχ δ' ε&ορε

μογοστόχος

εΐλε,

βάλε

μενοίνηαεν

τΐήχεε,

μείδησε

ττρο ψόωςδε.

γοϋνα

δε γαΐ Θεαϊ

Εϊλεί&υια δε

τεχέσ&αι. δ*ερεισε

νττένερ3εν'

δ' ολόλυξαν

Άπαααι2.

Eine derartige Sagenbildung brauchte jedoch nichts weiter zu sein als ein dichterisches a'foiov für das uralte Apollonheiligtum auf Delos 3 , die Palme ihre Stellung im Mythos lediglich dem Umstände zu verdanken, daß sie auf Delos wuchs und vielleicht die Schönheit der Insel ausmachte4. Daß man im übrigen schon in klassischer Zeit die Palme in diesem Mythos nicht als Lichtbaum auffaßte, sondern sie im Gegenteil dazu beitragen ließ, den Geburtsvorgang durch Schatten zu verdunkeln, zeigen Worte wie Hygin. fab. 140: Facit ut Latona ibi parerä, quo sol non accederet, und es ist durchaus denkbar, daß dies an sich späte Zeugnis aus alten griechischen Mythographien und Dichtungen (wenn wohl auch nur mittelbar) entnommen ist11. Überdies spielen auch Lorbeer- und Ölbaum, die wahrscheinlich gleichfalls auf Delos wuchsen, im Geburtsmythos des Apollon eine Rolle 6 . — Woher das von Herodot als Ήρν&ρη &άλασσα bezeichnete Meer seinen Namen hat, hat Wiedemann 1

Vgl. Crasius bei Koscher u. Kadmos Sp. 883ff.; Dieterich, Nekyia25ff. Horn. Hymn. I 115ff.; Tgl. Oy. Met. VI 335 und Wecklein zu Enrip. Iph. T. 1097. « ζ 162. * Hehn, Kulturpflanzen und Haustiere 6. Aufl. S. 263 ff. 5 Über die Quellen der fabulae vgl. P. W. X 1 Sp. 638 Julius Hyginus; P. W. I 2 Sp. 2882 Apollodoros. β Horn. Hymn. I 117; Ael. v. hist. V 4. Eurip. Iph. Τ. 1095; Eurip. Ion. 919ff.; Catull. XXXIV 17; Tac. Ann. ΙΠ 61. 2

104

Eva Wanderlich: Bedeutung der roten Farbe

zu Herodot I I 71 m. E. erwiesen, indem , er den Namen von den Küstenbewohnern Aperu — die Roten, deren Namen wiederum von dem ihres Landes herleitete, welches tescher, das Rote, wegen seines rötlichen Wüstensandes hieß1. Wie hier dieser, so mögen an anderen Orten — das rote Meer ist ja verschieden lokalisiert — andere, gleichfalls rein äußerliche Gründe wie Korallenreichtum, rötliche Fische, rotschimmernde Ufer u. dgl. für die Benennung ausschlaggebend gewesen seina. Auch die Alten wußten von einer religiösen Bedeutung des Namens nichts, sondern erklärten ihn bald aus der Farbe des Meeres, bald der ausgebrannter Berge am, Ufer 8 . Aischylos ferner, auf den Crusius mit seiner Auffassung des vom Sonnenaufgang, bzw. -Untergang roten Meeres sich stützt, scheint mit den Worten: Φοινιχ,όπεδον τ ερν&ρδς χεϋμα θαλάσσης

auf geologische Ursachen — Bodengesteins — anzuspielen. χαλκοχέραννόν

etwa auf eine Spiegelung des Wenn er fortfährt: τε 7ta.(? 'ΰχεανφ

λίμναν παντοτρόψον i,V δ παντόπτας χρωτ'

Α'ι&ιόπων,

"Ηλιος

ά&άνατον ζάματον

&έρμαις

ίερον

4

αιεϊ 'ίππων

ύδατος,

so braucht damit nicht mehr gesagt zu sein, als wenn es bei Heine in den Nordseeliedern vom Sonnenuntergang heißt: Die schöne Sonne ist ruhig hinabgestiegen ins Meer; die wogenden Wasser sind schon gefärbt 5 . Die im Meer versinkende Sonne ist ein zu beliebtes dichterisches Motiv, um ein einziges Dichterwort, das sie — vielleicht zufällig, vielleicht um den fernen Westen dadurch anzudeuten — im roten Meer untergehen läßt, zu Rückschlüssen 1 Herodot versteht unter Έρν&ρά &άλασοα das Meer südlich von Asien und Libyen; vgl. Stein zu Herdt. 1 1 ; über die Namen des anstoßenden Landes tescher und der Bewohner aperu vgL Ebers, Durch Gosen zum Sinai 518. 1 So spricht ζ. B. der Name der zu I G I X 2,1223 erwähnten thessalischen Quelle Κόκκινο νβρό = rotes Naß, neugriechisch nach Georgiadis Θεσσαλία 146 κόκκινο $εϋμα wohl für das rötliche Wasser dieser Quelle. 0. Kern, der die Quelle 1899 gesehen hat, bestätigt meine Vermutung; das Wasser war in der Tat durch etarkes Eisengehalt rötlich. ' Strabo X V I 779; Mela 3, 8; Etym. M. 379, 8ff. 5 Nordsee I I 4, Bd. I 183 Elster. * Nauck, Frg. 192 S. 64.

Sonnensymbolik: Geographische Namen

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auf religiöse Vorstellungen auszunutzen \ Die roten Flüsse der Unterwelt brauchen gleichfalls nicht auf dem Umwege über das fern im Osten oder Westen gelegene Sonnenland zu ihren Namen gekommen zu sein. Es gab genug Vulkane, die den Eindruck von einem rotglühenden Erdinnern, von Feuerströmen geben konnten; auch ερεβος scheint nach seiner sprachlichen Entwicklung zunächst nicht „Finsternis", sondern „Röte" bedeutet zu haben 2 . Es wäre ferner merkwürdig, wenn eine so große Anzahl von Ländern, Seen, Flüssen usw. nicht — wie dies sonst üblich ist — von den Einwohnern oder, falls von Fremden, zum mindesten an Ort und Stelle ihren Namen empfangen hätte, sondern von einem in weiter Ferne gelegenen Standpunkte aus. 1

Anch die Insel Lenkas ist nach Dieterich Lichtland; darum führe