Die Aufgaben der Wissenschaft des nachbiblischen Judentums [Reprint 2021 ed.] 9783112515549, 9783112515532

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Die Aufgaben der Wissenschaft des nachbiblischen Judentums [Reprint 2021 ed.]
 9783112515549, 9783112515532

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Die Aufgaben der Wissenschaft des nachbiblischen Judentums

Von

H u g o Greßmann D. Dr. ord. Prof. an der Universität Berlin

1925 V e r l a g v o n A l f r e d T ö p e l m a n n in G i e ß e n

T e r l a g von A l f r e d T ö p e l m a n n in G i e ß e n

Die Aufgaben der Alttestamentlichen Forschung von

1924

Hugo Greßmann

D. Dr. ord. Prof. an der Universität Berlin

50 Pfg.

Die Zukunft der Alttestamentlichen Wissenschaft von

1921

Rudolf Kittel

D. Dr. ord. Prof. an der Universität Leipzig

40 Pfg.

Geschichte der israelitischen und jüdischen Religion VOll

Gustav Hölscher

D. Dr. ord. Prof. an der Universität Marburg (Sammlung Töpelmann: Theologie im Abriß.

Band 7)

Großoktav — 1923 — 4.50 Mk., geb. 6.— Mk.

Hesekiel

Der Dichter und das Buch von

Gustav Hölscher

D. Dr. ord. Prof. an der Universität Marburg (Beiheft 39 der Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft) Großoktav — 1924 — 10 Mk.

Einführung in das Alte Testament Geschichte, Literatur und Religion Israels von

Johannes Meinhold D. ord. Prof. an der Universität Bonn (Sammlung Töpelmann: Theologie im Abriß.

Band 1)

Großoktav — 1919 — 4 Mk., geb. 5.50 Mk.

Greßmann,

D i e A u f g a b e n der W i s s e n s c h a f t des nachbiblischen Judentums

Die Aufgaben der Wissensehaft des naehbiblisehen Judentums Vom Herausgeber. I. D a s hellenistische Judentum der vorchristlichen Zeit. — religion.

— 3. Gleichsetzung mit Dionysos und Sabazios.

5. D i e mandäische Religion. —

6. D i e Oden Salomos. —



2. Jao und die Zauber-

4. D a s Astraljudentum.



7. Manichäismus und Islam.

1. Das Judentum der hellenistisch-römischen Zeit ist für uns Christen in erster Linie von Bedeutung, weil es die W e r d e z e i t d e s C h r i s t e n t u m s war; nicht nur der Theologe, sondern jeder Historiker, der „Ursprung und A n f ä n g e des Christentums" erforscht, wird vom Judentum ausgehen müssen, aus dessen Schoß die neue Religion geboren wurde. Nur Dilettanten zählen die paar Tropfen arischen Blutes, die möglicherweise durch Jesu Adern rannen; aber die Rel'gion, die ihn beseligte, war zweifellos die jüdische, wie sie in seinem Geist sich spiegelte. Die Frage, wie das Christentum durch organische Entwicklung aus dem Judentum hervorgegangen ist, steht für uns naturgemäß so sehr im Mittelpunkt der Betrachtung, daß ihr gegenüber alle anderen Probleme verblassen. A b e r auch wer den christlichen Standpunkt nicht teilt, wird doch zugeben müssen, daß die weltgeschichtliche B e w e g u n g , die mit der Verkündigung Jesu ihren A n f a n g nahm, überragend ist und vor allem die Aufmerksamkeit der Forscher fesseln muß. Obwohl die persönliche Stellung des Einzelnen das Werturteil notwendig beeinflußt, kommt es der Geschichtswissenschaft doch, im Unterschied vom Glauben, nicht auf die W e r t u n g , sondern auf die Erkenntnis der Wirklichkeit an. In immer neuen Anläufen versucht sie, immer tiefer in den W e r d e g a n g der Entwicklung einzudringen, ihn nachzuerleben und die treibenden K r ä f t e zu erfassen, um sich der geschichtlichen Wahrheit so weit wie möglich anzunähern. Darum darf es mit besonderer Freude begrüßt werden, wenn jetzt auch jüdische Gelehrte anfangen, „die Zeit, das Leben und die Lehre Jesu von Nazareth" — das ist der Titel eines Buches in hebräischer Sprache, das 1922 von JOSEPH KLAUSNER in Jerusalem veröffentlicht worden ist — nicht unter dem Gesichtspunkt der Mission oder Zeitschr. f. d. alttest. W i s s . Band 43. 1925

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Greßmann,

Die Aufgaben der Wissenschaft des nachbiblischen Judentums

der Polemik, sondern unter dem der Wissenschaft mit den Mitteln moderner Geschichtsforschung zu untersuchen. Wir Theologen sind ebenso gern bereit, von ihnen zu lernen wie von dem Profanhistoriker EDUARD MEYER, in der Überzeugung, daß nur durch die. gemeinsamen Bemühungen aller der verschieden gerichteten und verschieden wertenden Mitarbeiter die Lösung dieses großen Problems möglich ist. Lebendige Religionen sind wie alle Organismen in beständigem Fluß; gewiß gibt es überall da, wo die Verbindungsfäden mit der Vergangenheit nicht ganz zerrissen werden, ein Bleibendes in allem Wechsel wie die Seele im Körper, und wenn man das Wesen einer Religion bestimmen will, muß man vor allem auf diesen ruhenden Pol in der Flucht der Erscheinungen achten. Die Religion Israels vor dem babylonischen Exil und die Religion des Judentums nach ihm bilden trotz aller Verschiedenheit eine Einheit nicht nur durch die Verehrung desselben Gottes, sondern auch durch die Verbindung von Frömmigkeit und Sittlichkeit, die auf beiden Entwicklungsstufen unlösbar miteinander verkettet sind. Der e t h i s c h e M o n o t h e i s m u s ist durch die Propheten die unverrückbare Grundlage der jüdischen Religion geworden und seitdem geblieben. Dennoch ist es für die geschichtliche Betrachtung von unendlichem Reiz, zu verfolgen, wie sich der Oberbau, der sich auf dieser Grundlage erhebt, im Laufe der Zeit beständig wandelt, ein Zeichen für die ungewöhnliche Lebenskraft dieser Religion, die so stark bei keiner anderen Religion des Altertums nachweisbar ist und die nur mit der des Christentums verglichen werden kann. Dieselbe erstaunliche Beweglichkeit, die den griechischen Geist auszeichnet, befähigte auch den Israeliten, sich fremden Einflüssen rückhaltlos hinzugeben und doch seine eigene Seele wiederzufinden, auch wenn er sie einmal verloren hatte. Was sich in Hellas auf profanem Boden abspielt, zeigt sich in Israel auf dem Gebiet der Religion. Durch stete Berührung mit der religiösen Umwelt erst der Amorriter, dann der Assyrer, der Perser und der Griechen ist die israelitisch-jüdische Religion aufs stärkste beeinflußt, so daß sie eine Zeitlang in das fremde Wesen fast ganz eingetaucht erscheint. Aber jedesmal erfolgt dann eine Reaktion, in der das Eigenleben des israelitischjüdischen Geistes zum siegreichen Durchbruch kommt und alles Auswärtige wie wertlosen Plunder von sich abstreift. Große Per-

Das hellenistische Judentum

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sönlichkeiten und schwere politische Schicksale haben dabei eine entscheidende Rolle gespielt. So war auch das nachbiblische Judentum anfangs in Gefahr, ganz im Hellenismus aufzugehen, bis ihm Antiochos IV, Epiphanes sehr wider seinen Willen die Augen öffnete; die Gewalt weckte den Widerstand erst der Makkabäer, dann des Volkes, und fortan hatte die Nacktkultur hellenischer Gymnasien ihren betörenden Reiz wenigstens für die fromm-nationalen Kreise verloren. Aber die hellenistische Zeit ist dennoch für die folgende Entwicklungsgeschichte des Judentums von grundlegender Bedeutung geworden; denn damals entstand ein n e u e r R e l i g i o n s t y p u s , der bei aller Übereinstimmung mit dem prophetischen Religionstypus vor dem Exil doch seiner inneren Haltung und seiner äußeren Form nach in einem gewissen Gegensatz zu ihm steht. Um das Äußere voranzustellen : Die alte Religion Israels war wie alle antiken Volksreligionen Opferreligion gewesen und war es trotz der prophetischen Bekämpfung geblieben. Auch in der hellenistischen Zeit wurde der Opferdienst im Tempel zu Jerusalem immer noch aus Gehorsam gegen Gott geübt. Aber daneben erblühte jetzt in den S y n a g o g e n eine höhere Form des Gottesdienstes im Geist und in der Wahrheit, und so trat allmählich der Schriftgelehrte an die Stelle des Priesters, und das Almosengeben ward wichtiger als das Opfern. Die Zerstörung des jerusalemischen Heiligtums unter Titus, so tief sie das nationale Empfinden der Juden erschütterte, ließ ihre Religion fast unberührt. Zur Synagoge gehört als zweites Wahrzeichen die T h o r a, deren Wurzeln gewiß in die Zeit vor der Verbannung zurückreichen, aber die Sammlung der heiligen Bücher und ihre Umkleidung mit göttlicher Kraft ist ein Werk des hellenistisch-römischen Judentums. Wie sehr der Begriff des K a n o n s , auch wenn dieser niemals durch einen besonderen Beschluß festgestellt worden ist, in Fleisch und Blut übergegangen war, lehrt die mündliche Weiterbildung des Gesetzes, wie sie damals üblich wurde. Indessen noch bezeichnender als Gebetshaus und Gesetz ist der Gedanke der A u f e r s t e h u n g , der uns auf jüdischem Boden zum ersten Male sicher erst in der Verfolgungszeit des Antiochos I V bezeugt ist und jedenfalls erst damals breiteren Anklang gefunden hat, mag er auch schon in der persischen Zeit bekannt gewesen sein. Den Propheten vor dem Exil, die nur von einer Vergeltung i*

G r e ß m a n n , Die Aufgaben der Wissenschaft des nachbiblischen Judentums

im Diesseits wissen, ist er noch nicht geläufig. Gewiß bleibt daneben auch später die Diesseitshoffnung bestehen, namentlich in nationaler Beziehung — auf die Aufrichtung eines politisch-religiösen Gottesreiches hier auf Erden hat jüdischer Glaube nie verzichten mögen — aber die Erwartungen des Einzelnen richten sich allmählich immer mehr auf das Leben nach dem Tode und die jenseitige Vergeltung, sei es unmittelbar nach dem Abscheiden oder am Ende der Tage. Die Vorstellungen von Auferstehung, H ö l l e und P a r a d i e s jedoch sind mit anderen eng verbunden und bewirken eine so starke Umwandlung, daß man von einem neuen Religionstypus reden darf. Aus der Diesseitsreligion vor dem Exil, die sich um das Leben nach dem Tode wenig oder gar nicht kümmert, ist in der hellenistischrömischen Zeit die J e n s e i t s r e l i g i o n geworden, die nicht nur die Eschatologie des Einzelnen, sondern auch die ganze Theologie in das Jenseitige und Überweltliche emporhebt. Gott selbst rückt in immer weitere Ferne, und je erhabener er wird, um so mehr bedarf er der Mittler; Hypostasen und Engel treten neben ihn und bevölkern die übersinnliche Welt. Neben diesem Reich des Guten entwickelt sich das Reich des Bösen unter der Herrschaft Satans mit seinen Scharen. So entsteht ein s i t t l i c h e r D u a l i s m u s , der durch die Gegensätze von gut und böse bestimmt ist und zeitweilig unter dem Zwang politischer Verhältnisse sehr schroff betont wirdDiese Jenseitsreligion, die in den Apokalypsen, den Pseudepigraphen und Apokryphen des A T s ihren ersten und deutlichsten Ausdruck findet, bleibt auch dann maßgebend, als die hellenistische Literatur vom Judentum abgestoßen wird, und begegnet uns im Talmud wieder. Synagoge und Kanon, Auferstehung und Vergeltung nach dem Tode, Supranaturalismus und Apokalyptik, kurz seine Umwandlung in eine Jenseitsreligion verdankt das Judentum seiner religiösen Entwicklung in der hellenistisch-römischen Zeit. Wie diese Jenseitsreligion durch den Einfluß und vor allem durch den Gegensatz gegen den Hellenismus 1 allmählich entstanden ist, das immer schärfer herauszuarbeiten ist die Hauptaufgabe der religionsgeschichtlichen Wissenschaft, soweit sie sich mit der Werdezeit des Evangeliums oder des Talmuds beschäftigt. Die großen Linien, auf denen d i e A u s e i n a n d e r s e t z u n g d e s J u d e n t u m s 1

Vgl. meinen A u f s a t z : „ D i e Umwandlung der orientalischen Religionen dem Einfluß hellenischen Geistes" in den „Warburg-Vorträgen" 1925.

unter

Das hellenistische Judentum

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m i t d e m H e l l e n i s m u s in der vorchristlichen Zeit verlaufen ist, sind — besonders dank den Forschungen von SCHÜRER, GUNKEL, BOUSSET, WENDLAND,

OESTERLEY, B O X

1

und EDUARD

MEYER



bereits klar. E s lassen sich drei Stufen der Entwicklung erkennen: In der f r ü h h e l l e n i s t i s c h e n Zeit muß eine starke Überfremdung geherrscht haben; der hellenistische Geist, der seit Alexander und Ptolemaios II. machtvoll hereingeflutet war, hätte das Judentum beinahe hinweggeschwemmt, wenn nicht Antiochos IV., der den Strom fördern wollte, ihn in Wirklichkeit gedämmt hätte. Mit der M a k k a b ä e r z e i t kommt die Überfremdung zum Stillstand und beginnt die Reaktion; das Gesetz wird die unverrückbare Grundlage des rechtgläubigen Judentums. Man besinnt sich allmählich wieder auf sich selbst und verschmilzt das Fremde mit seinem eigenen Wesen, soweit es angeeignet werden kann. Als die schönste Frucht dieser Entwicklung ist das Evangelium Jesu zu betrachten. Mit dem U n t e r g a n g d e s j ü d i s c h e n S t a a t e s folgt eine Zeit heftigster Reaktion, die nicht nur das Christliche, sondern auch das Hellenistische als Fremdkörper von sich abstößt oder abstoßen will — denn Vieles ist schon in Fleisch und Blut übergegangen, und die Entwicklung läßt sich nicht zurückschrauben — und die sich mit Bewußtsein auf das Alt - Nationale oder das als alt-national Empfundene zurückzieht, um sich selbst zu behaupten. Daraus geht zugleich hervor, daß man kein Recht hat, aus der Zeit nach Hadrian oder aus der rabbinisch-vortalmudischen Literatur ohne weiteres Rückschlüsse auf die hellenistische Epoche zu machen oder gar deren allgemeinen Charakter zu bestimmen, soviel man auch im einzelnen aus ihr lernen mag. D a s W e s e n d e s h e l l e nistischen Judentums muß a u s s c h l i e ß l i c h auf die g l e i c h z e i t i g e L i t e r a t u r g e g r ü n d e t w e r d e n , d . h . neben den wenigen Werken bekannter Schriftsteller, von denen Philon der berühmteste ist, auf die anonymen und pseudonymen Schriften, die man meist Pseudepigraphen und Apokryphen des A T s zu nennen pflegt; die jüngere vortalmudische Literatur, die frühestens im II. Jh. 1

W . O. E . OESTERLEY: The books of the Apocrypha. London ( l 1914) 3 1916. Dies Buch verdient um seiner vortrefflichen Einführung willen auch in Deutschland eifrig studiert zu werden. — OESTERLEY and B o x , Jewish Literature and Christian Origins. Vol. I. The Apocalyptic Literature. Vol. I I . A short Survey of the literature of Rabbinical and Mediaeval Judaism (Übersetzungen).

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G i e ß m a n n , Die Aufgaben der Wissenschaft des nachbiblischen Judentums

n. Chr. aufgezeichnet wurde, darf nur, muß aber auch notwendig zur Ergänzung des Bildes herangezogen werden. E s ist noch nicht lange her, daß man d i e B e d e u t u n g d e r P s e u d e p i g r a p h e n u n d A p o k r y p h e n richtig erkannt hat als des Zwischengliedes, das die Prophetie Israels mit den Evangelien verbindet, sie freilich ebenso sehr voneinander trennt. Während sich diese Auffassung heute im allgemeinen siegreich durchgesetzt hat, ist ihre Bedeutung für die Religion des Talmuds noch immer heftig umstritten, obwohl kaum ein Zweifel sein kann, daß sie auch in dieser Beziehung den Durchgangspunkt für die Entwicklung des Judentums gebildet haben. Immerhin wird es noch genauerer Forschung bedürfen, um festzustellen, wie groß die Schichten waren, denen diese apokalyptische Literatur gehörte und auf die sie vornehmlich einwirkte. Ebenso notwendig wird es sein, den B e g r i f f d e s „ H e l l e n i s m u s " genauer zu analysieren, zunächst die griechischen und die orientalischen Bestandteile zu sondern, sodann aber auch die orientalischen Elemente auf ihren Ursprung zurückzuführen und endlich über dieser Atomisierung die Synthese nicht zu vergessen; auch da wird die nachchristliche Literatur des Judentums — freilich nicht die orthodox rabbinische, sondern die heterodox-judenheidnische und judenchristliche — zur Vervollständigung des Bildes dienen können, wenn sie vorsichtig verwertet wird. E s gilt, über B O U S S E T und E D U A R D M E Y E R hinaus auf den Spuren von B O L L und R E I T Z E N S T E I N das Wesen der a s t r a l g e f ä r b t e n i r a n i s c h - c h a l d ä i s c h e n M i s c h r e l i g i o n schärfer als bisher zu erfassen, da sie es gewesen ist, die das Judentum durch Anregung und Widerspruch aufs tiefste beeinflußt hat. Aber ehe diese letzten Ziele der historischen Forschung erreicht werden können, bedarf es zuvor noch der anstrengenden Kleinarbeit auf philologischem und archäologischem Gebiete. Dringend notwendig ist eine N e u a u s g a b e d e r P s e u d e p i g r a p h e n u n d A p o k r y p h e n , die den höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Gewiß ist hier bereits sehr viel geleistet worden von Christen und Juden — ich greife nur zwei Namen aus der Fülle heraus: C H A R L E S , der durch seine Ausgaben und Kommentare als Einziger alle anderen zusammengenommen aufwiegt, und P E R L E S , der an Kenntnissen hervorragend uns durch seine kritischen Beobachtungen gefördert hat — das soll im Voraus dankbar anerkannt

Das hellenistische Judentum

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werden; die wissenschaftliche Sparsamkeit verlangt auch, daß man nicht noch einmal wiederholt, was bereits gut gemacht worden ist. Aber es bleibt trotzdem noch viel zu tun übrig. Für die in Afterübersetzung vorliegenden Schriften, die aus dem Griechischen hervorgegangen sind, brauchen wir zunächst eine R ü c k ü b e r s e t z u n g i n s G r i e c h i s c h e , wie sie seinerzeit methodisch allein richtig von H I L G E N F E L D geboten worden ist; diese Zwischenstufe ist unerläßlich und darf nicht übersprungen werden, da sich viele und vielleicht die meisten Textfehler nur von hier aus erklären. Dazu muß dann eine R ü c k ü b e r s e t z u n g in d i e U r s p r a c h e (ins Hebräische oder vielleicht auch ins "Aramäische) kommen, und das gilt auch für die Schriften, die uns griechisch überliefert sind. Die Übersetzungen in eine moderne Sprache sind daneben für weitere Kreise unentbehrlich, und ihr Verdienst soll nicht geschmälert werden, aber sie genügen nicht, um die Texte in ihrer ursprünglichen Gestalt auch nur annähernd wiederherzustellen. In anderen Fällen wie beim Buche Tobit und den Testamenten der zwölf Patriarchen brauchen wir daneben k r i t i s c h e R e k o n s t r u k t i o n e n der Urfassung, die den nach Art der volkstümlichen Literatur (wie etwa der Evangelien oder des Testamentum Salomonis) völlig verwilderten Text der Handschriften erst wieder lesbar machen. Um tiefer als bisher in das geschichtliche und psychologische Verständnis einzudringen, sind endlich a u s f ü h r l i c h e K o m m e n t a r e notwendig, die vielfach fehlen oder veraltet sind; Ausnahmen wie SMENDS Jesus Sirach sind selbstverständlich vorhanden. Dem philologisch gut Geschulten bietet sich hier eine lockende Aufgabe, da er fast überall auf wenig gebahnten Pfaden Neuland entdecken kann. Ebenso groß ist das Arbeitsfeld, ja noch größer, auf dem Gebiete der v o r t a l m u d i s c h e n L i t e r a t u r in hebräischer und aramäischer Sprache, ein Schrifttum, in das jetzt S T R A C K S „Einführung in Talmud und Midrasch" einen bequemen Zugang auch für uns Laien eröffnet hat. In dem gegenwärtigen Forschergeschlecht sind nur wenige Christen, die wir als Kenner dieser Literatur verehren ; ich beschränke mich auf Namen wie DALMAN, G. F. M O O R E und BILLERBECK, von denen jeder ein Programm und ein gut Stück Erkenntnis bedeutet vor allem an Beziehungen zum späthellenistischen Judentum und zum NT. Aber auch hier fehlt es an der philologischen Grundlage, auf der die historische Forschung sicher auf-

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G r e ß m a n n , Die Aufgaben der Wissenschaft des rachbiblischen Judentums /

bauen könnte. Von der jüdischen Wissenschaft erwarten wir k r i t i s c h e A u s g a b e n der Mischna, der Tosefta, der Targume, des Talmuds und der Midrasche, die den Anforderungen der modernen Philologie genügen; denn im allgemeinen vermißt man solche Texte, wenn auch im einzelnen das bisher schon Geleistete dankbar anerkannt werden soll. W a s uns als christlichen Forschern besonders am Herzen liegt, das ist die ältere Literatur, die vom Evangelium noch nicht allzu weit entfernt ist, oder es sind diejenigen Werke, die nach Form und Inhalt zur Vergleichung mit der urchristlichen und altkirchlichen Literatur wichtig sind, also etwa die M i s c h n a e i n e s R . A k i b a o d e r e i n e s R. J o s e , die man aus späteren Sammelwerken rekonstruieren könnte, oder eine Z u s a m m e n s t e l l u n g d e r G e b e t e aus mischnisch-talmudischer Zeit für liturgische Studien. Daneben brauchen wir Ü b e r s e t z u n g e n , zahlreicher und zuverlässiger als bisher, besonders der älteren Midraschim, für die wir bisher auf W Ü N S C H E angewiesen sind; auch systematische Sammlungen der älteren Legenden, wie sie für die spätere Zeit BIN G O R I O N in seinem unerschöpflichen „Born Judas" zusammengestellt hat, bedeuten eine wertvolle Hilfe für die Erforschung literargeschichtlicher Zusammenhänge 1 . Das a r c h ä o l o g i s c h e M a t e r i a l ist nicht so umfangreich, aber sehr zersplittert und kaum zu beschaffen. Einzelnes ist leicht zugänglich, wie die M ü n z e n , aber schon die G o l d g l ä s e r sind, obwohl veröffentlicht, schwer erreichbar, von den anderen zahllosen Kleinfunden ganz zu schweigen. Dazu kommen die jüdischen I n s c h r i f t e n in griechischer oder lateinischer Sprache, die teilweise gesammelt sind, wie die der Palaestina tertia von ALT, oder die aus Onias-Leontopolis von L I E T Z M A N N , oder die aus Phrygien von R A M S A Y , aber zum größten Teil weit zerstreut und der Zusammenfassung bedürftig. Am wichtigsten sind die S y n a g o g e n und K a t a k o m b e n ; da ist zwar viel Vorarbeit geleistet, aber an zuverlässigen Aufnahmen und Wiedergaben, die wissenschaftlichen Zwecken genügen könnten, fehlt es — trotz K O H L - W A T Z I N G E R , S A M U E L K R A U S S und N I K O L A U S M Ü L L E R — vieler Orten. Das reiche Bild- und Anschauungsmaterial der jüdischen Katakomben Roms, dessen Verarbeitung noch kaum begonnen hat, läßt man un1

Ein Beispiel dafür bietet meine Untersuchung vom „Reichen Mann und armen Lazarus" in den Abh. Berl. Akad., Phil.-hist. K I . 1918.

Jao und die Zauberreligion

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genutzt verkommen; denn die Grabkammern sind, wie es heißt, nahe dem Einsturz 1 . E s wäre für die Wissenschaft ein großer Gewinn, wenn sich christliche und jüdische Forscher zu einer internationalen Arbeitsgemeinschaft verbinden könnten, um die Literatur und die Denkmäler des nachbiblischen Judentums (von der hellenistischen bis zur byzantinischen Zeit) zu sammeln und in wissenschaftlich-brauchbarer Form bequem zugänglich zu machen* 2. Die Bedeutung des Judentums für die außerjüdische W e l t ist vor dem Untergang Jerusalems unbestritten. W i e hoch seine Religion damals eingeschätzt wurde, lehren d i e u n g e h e u r e n E r f o l g e d e r j ü d i s c h e n M i s s i o n , die sie auch ohne Berufsmissionare aller Orten durch mündliches Zeugnis und literarische Propaganda errang. E s waren nicht nur wirtschaftliche und politische Vorteile, die zum Übertritt lockten, auch das Fehlen von Bildern und Mythen, die uralte Offenbarung eines heiligen Buches, die Höhe und Vollkommenheit der sittlichen Forderungen, der soziale Ruhetag des Sabbaths, dies und anderes mehr kam dem Bedürfnis der höchsten und niedrigsten Schichten entgegen und warb Proselyten, die teils (durch die Beschneidung) Volljuden wurden, teils sich als Gottesfürchtige in Massen um die S y n a g o g e scharten. W e n n nach den Überlieferungen des Altertums, die ADOLF VON HARNACK zusammengestellt hat, jeder vierzehnte Mann im römischen Reich ein Jude gewesen sein soll, so ist diese Zahl gewiß zu hoch gegriffen, auch wenn man die Wahljuden den Vollblutjuden zurechnet; aber sie bleibt doch bezeichnend. Diese ganze hoffnungsvolle Entwicklung riß mit einem Male ab, als Jerusalem durch Titus zerstört war; die Saat, die das Judentum ausgestreut hatte, g i n g zwar nicht verloren, aber sie wurde vom Christentum geerntet. Das gläubige 1

Die hier notwendige Arbeit hat LIETZMANN in Angriff genommen.

3

Die „Judaica,

monumenta

et studia",

herausgegeben von GRESSMANN, LIETZMANN

und TORCZYNER, wollen versuchen, diesen Plan zu verwirklichen.

Das W e r k

soll die

Literatur und die archäologischen Funde des hellenistisch-byzantinischen Judentums etwa vom III. vorchr. bis zum V . nachchr. Jh. möglichst vollständig umspannen. E s soll in drei Abteilungen gegliedert werden: I. Hebräisch-aramäische Schriften, hrsg. von TORCZYNER; II. Jüdisch-griechische Schriften, hrsg. von GRESSMANN;

III. Denkmäler, Funde und In-

schriften, hrsg. von LIETZMANN.

Gelegentliche Vorarbeiten und Studien werden in die

einzelnen Abteilungen eingereiht.

N e b e n der deutschen Sprache sind auch andere W e l t -

sprachen zulässig.

F ü r die Herausgabe ist an Einzelbände in guter Gebrauchsausstattung

mit einem Höchstumfang abgeschlossen sein.

von 20 Bogen gedacht.

Die Bände sollen möglichst in sich

IO

G r e ß m a n n , Die Aufgaben der Wissenschaft des nachbiblischen Judentums /

Judentum zog sich auf sich selbst zurück, mit der Sicherheit des nationalen Instinkts sich selbst beschränkend; denn nur indem es alle fremden Glieder abstieß, konnte es sich selbst behaupten. So wesentlich diese national-religiöse Bewegung, die mit der Sammlung des Talmuds ihren Abschluß fand, für den innerkirchlichen Prozeß des Judentums war, so bedeutungslos war sie für die übrige Welt. Danach könnte es scheinen, als ob dem Judentum nach der Zerstörung Jerusalems jeder Einfluß auf die hellenistisch - römische Menschheit oder auch nur auf den Orient gefehlt hat, und doch wäre diese Meinung ein großer Irrtum. Die Wirkungen, von denen hier die Rede sein soll, gehen freilich nicht von den Voll-, sondern von den H a l b j u d e n aus, dies Wort nicht in seinem physischen, sondern in seinem religiösen Sinne verstanden: von den ketzerischen, ins Heidentum versinkenden Juden, die fern von Jerusalem den Zusammenhang mit der Heimat und dem rechten Glauben verloren hatten, auch wenn sie merkwürdigerweise bisweilen noch dem Gesetz anhingen. E s ist begreiflich, daß sich die jüdische Forschung im allgemeinen um diese Halbjuden ebenso wenig kümmert wie die christliche um die Halbchristen; auch ist es nicht immer leicht, die jüdischen Einflüsse zu erkennen, und doch werden sich aller Voraussicht nach gerade auf diesem Gebiet geschichtliche Zusammenhänge ergeben, durch die jetzt noch unverstandene Erscheinungen plötzlich erhellt werden. Gewiß bedeutet dies Halbjudentum nichts für das Wesen der jüdischen Religion und ihren Ewigkeitsgehalt und nur wenig für die Entwicklung der Menschheit; um es würdigen zu können, darf man sich nicht scheuen, auch tief in die Niederungen religiösen Glaubens hinabzusteigen, um dann wieder steil in die Höhe zu klimmen. W e r geschichtlich denken gelernt hat, wird als frommer Betrachter auch diese seltsamen Pfade, auf denen damals große Teile der Judenschaft zusammen mit Heiden und Christen gewandelt sind, für W e g e Gottes halten. Aus der Fülle des Stoffes können hier nur ein paar Bilder herausgegriffen werden, die der bequemeren Übersicht halber um drei Gedankenkreise gruppiert werden sollen; damit soll ihr geschichtlicher Zusammenhang nicht geleugnet werden. Es läßt sich im Gegenteil wahrscheinlich machen, daß sie alle aus demselben Erdreich emporgesproßt sind oder wenigstens nachträglich in ihm Wurzel geschlagen haben. Der erste Kreis dreht sich um die Z a u b e r r e l i g i o n .

Was

Jao und die Zauberreligion

hat die Jahwereligion mit dem Zauber zu tun ? Ihrem Wesen ist er gewiß ebenso fremd wie der christlichen Religion, aber an der Peripherie spukt er bei beiden. Der Namen-Zauber muß zwar in Israel alt sein und tiefen Einfluß geübt haben, weil er im Hintergrunde einzelner Sagen noch ziemlich deutlich erkennbar ist, und weil sogar schon der Dekalog den Mißbrauch des göttlichen Namens zu Zauberzwecken verbietet. Aber von wenigen Spuren abgesehen, ist das A T in erstaunlichem Maße frei vom Zauber glauben, wie namentlich ein Vergleich mit der babylonischen Religion lehrt. Erst mit der hellenistisch-römischen Zeit ändert sich das Bild. Zusammen mit den Dämonenvorstellungen dringt die Zauberei zuerst in die apokalyptische Literatur der ungebildeten Schichten; wie sehr das jüdische Volk zur Zeit Jesu von dieser neuen Gedankenwelt beherrscht wurde, erkennt man aus dem N T , das in dieser Beziehung tief unter dem A T steht. Andere Nachrichten kommen, auch für die folgenden Jahrhunderte, bestätigend und ergänzend hinzu. Neben Chaldäern und Magiern werden jüdische Exorzisten, Söhne von Pharisäern und Söhne von Hohenpriestern, fast aller Orten gerühmt; sie begegnen uns vor allem in den halbjüdischen Gebieten Palästinas, in Samarien und Galiläa, aber auch in der jüdischen Diaspora, zu Ephesos, Paphos und Alexandria, und zeigen ihre Künste vor Statthaltern und Kaisern. Nicht nur Männer wie Simon Magus, sondern auch die ersten christlichen Missionare waren ebenso sehr Dämonenbeschwörer wie Apostel einer neuen Religion. Gewiß darf man nicht überall, wo man jüdische Bestandteile im Zauber findet, ohne weiteres jüdische Zauberer voraussetzen, weil gerade auf diesem Gebiete das Fremde immer höher gewertet wird als das Eigene — Origenes 1 bestätigt einmal ausdrücklich, daß nicht nur Juden, sondern Magier überhaupt den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs beschwören — aber trotzdem sind alle diese jüdischen Bestandteile letzten Endes doch von Juden ausgegangen, und zu den zahlreichen Zeugnissen, die gerade von jüdischen Zauberern wissen 2 , gesellen sich die Erwähnungen jüdischer Zauberschriften: die Jubiläen kennen ein „Heilmittelbuch Noahs", und Josephus setzt ein Zauberbuch Salomos voraus, das an die Benutzung seines Siegelringes anknüpft 1 c. Cels. I V 33. - Act. 8, 9; 13, 6; 19, 13 ff.; Justin, dial. c. Xryph. c. 85; Lukian, Tragopodagra v. 1 7 3 ; Philopseudes c. 16; Hippolyt, Philos. I V 28; Plinius n. h. 3 X X X II. Jubil. 10, 10 ff.; Jos. Ant. V I I I 2, 5.

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G r e ß m a n n , Die Aufgaben der Wissenschaft des nachbiblischen Judentums /

Neben der altisraelitischen Zauberreligion, die damals aus der Tiefe des Volkslebens in die Literatur eindrang, und neben den Neuschöpfungen jüdischen Dämonenglaubens, die damals stattgefunden haben müssen, wie zahlreiche Namen von Dämonen lehren, sind es vor allem zwei Kanäle gewesen, durch die auch fremdes Gut eingeströmt ist. Der eine kam vom Euphrath. Das Bannen und Beschwören der Dämonen, das Besprechen des Podagras, das Heilen der Augenkrankheiten mit Speichel, das Stillen von Sturm und Erdbeben, Horoskop, Astrologie, Tagewählerei und anderes ist zweifellos c h a l d ä i s c h - i r a n i s c h e s E r b e , wie man längst erkannt hat. Aber man macht sich in der Regel nicht klar, daß die Juden Babyloniens und Persiens es gewesen sein müssen, die diese unheilvolle geistige W a r e übernommen, von dort aus verbreitet und vermehrt haben. Die Zauberreligion, die in einzelnen Kreisen der babylonischen Judenschaft geherrscht haben muß, ist uns nicht nur in Nachrichten der rabbinischen Literatur bezeugt, sondern auch in einer unmittelbaren Quelle: in den an Ort und Stelle gefundenen j ü d i s c h e n Z a u b e r s c h a l e n , von denen eine große Zahl auch in der Vorderasiatischen Abteilung des Berliner Museums vorhanden ist. Sie stammen aus vorislamischer Zeit und waren in die Eckfundamente der Häuser oder auf dem Friedhof vergraben, meist so übereinander gestülpt, daß sie einen Hohlraum bilden, um böse Dämonen, Krankheiten und Seuchen abzuwehren 1. Der zweite Kanal komt vom Nil. Die Mittlerrolle spielten nicht etwa, wie man früher vermutet hat, die Essener, die sich ja ganz aus der Welt zurückgezogen hatten, sondern die ägyptischen Juden überhaupt, soweit sie sich der ä g y p t i s c h e n Z a u b e r e i ergeben hatten. Wie in Babylonien so sind auch in Ägypten alle Schattierungen jüdischen Glaubens vertreten: Neben dem Rechtgläubigen steht ein so erlauchter Geist wie Philon von Alexandria, der von allen jüdischen Denkern am tiefsten in griechisches Wesen eingetaucht ist; auch die hermetische Weisheit, mehr Zauberreligion als Philosophie, ist den Juden nicht fremd geblieben und wiederum ihrerseits von ihnen befruchtet worden. Selbst an Polytheisten fehlt es nicht, in der milderen Form, wenn etwa zwei Juden „dem Gotte" 1 Vgl. die zusammenfassende Behandlung von JAMES A . MONTGOMKRY, Aramaic Incantation Texts from Nippur [University of Pennsylvania. The Museum. Publications of the Babylonian Section Vol. I I I ] Philadelphia 1 9 1 3 .

J a o und die Zauberreligion

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huldigen, ohne seinen Namen zu nennen, aber ihre Inschrift am PanTempel zu Edfu anbringen oder in der gröberen Form, wie etwa bei den Juden von Elephantine, die noch im V. Jh. v. Chr. neben Jao auch andere Gottheiten verehrten. Wie verkehrt man bisher die geistige Haltung der ägyptischen Judenschaft eingeschätzt hat, lehren die neuerdings bekannt gewordenen jüdisch-griechischen Inschriften des Friedhofs von Leontopolis, dem heutigen Teil el-Jehudije: Der flüchtige Hohepriester Onias hatte dort etwa um 160 v. Chr. einen Tempel gegründet, obwohl er, wie man meinte, der altgläubigen Richtung angehörte 2 . Aber während selbst die Juden in Rom die römische Sitte der Leichenverbrennung verschmähten 3 , haben die Juden von Leontopolis sie unbedenklich übernommen 4 , ein starker Beweis für ihr Versinken in die sie umgebende Kultur 5 . Mit dem Namen J a o , wie die Juden Elephantines von jeher und vielleicht die ägyptischen Juden überhaupt s ihren Gott zu nennen pflegten, steigt eine Welt empor, so bunt und phantastisch, wie sie selbst in der Geschichte der hellenistischen Religionsmischungen nur ganz selten zu finden ist. Mit ihr ist fast unzertrennbar verbunden A b r a s a x , bei dem Gnostiker Basileides (um 125 n. Chr.) der Oberste der 365 Archonten, der Zahl der Himmel und der Jahrestage entsprechend; der Zahlenwert der griechischen Buchstaben des Wortes Abrasax ergibt zusammengezählt als Summe 365. Seine Herkunft ist noch dunkel; aber er ist gewiß nicht christlichen, sondern heidnischen Ursprungs. Viele Abrasax-Gemmen nun sind judenheidnisch, da dieser alte Baal-Schem auf seinem Schilde oft den Namen Jao Sabaoth trägt. So ist hier der heidnische Zeiten- und Himmelsgott mit dem allmächtigen Gott der Juden verschmolzen, von dem er freilich nur den Namen, nicht die Gestalt entlehnt hat. 1 LETRONNE, Recueil des inscriptions grecques et latines de l'Egypte I I 1848 p. 252 = C I G Nr. 4838 c = DITTENBERGER, Or. Gr. Inscr. sei. Nr. 73 74 = SCHÜRER I I I 4 S. 50 (II. J h . n. Chr.). 9

Vgl. über diesen Onias SCHÜRER I I I 4 S. 144 Anm. 33. Vermutlich war Onias I V . i m G e g e n s a t z z u s e i n e m V a t e r Reformjude und mußte eben deshalb nach Wiederherstellung des alten Kultus flüchten. S NIKOLAUS MÜLLER, Die jüdische Katakombe am Monteverde zu R o m , 1 9 1 2 S. 15.

Leipzig

4

Vgl. die Sammlung der Inschriften aus Teil el-Jehudije von LIETZMANN, Z N W 1 9 2 3 S. 280 ff. Nr. 18 20 33. 5

Danach wird auch das Problem der Kolumbarien in Palästina neu aufzunehmen c sein; vgl. dazu GRESSMANN in A R X X S. 326. Vgl. Diodor I 94, 2.

G r e ß m a n n , Die Aufgaben der Wissenschaft des nachbiblischen Judentums

Vielfach ist noch der Name des C h n u b i s hinzugefügt, auch das vermutlich eine Folge jüdischer Anschauungen; für die Juden von Elephantine war gerade der dort verehrte ägyptische Gott Chnum (Chnubis) wahrscheinlich schon längst mit Jao verwachsen 1 ; beide haben die Menschen aus Ton geformt und diesen Tonfiguren dann eine lebendige Seele eingehaucht. Die Darstellung des Gottes als Schlange 2 ist ganz neu und stammt weder von Jao noch von Chnubis, sondern, allgemein gesagt, vom Zeitengott; Beweis dafür ist der von Schlangen umwundene Aion. Sicher ist der Eselskopf, der der Schlange auf den Abrasax-Gemmen bisweilen aufgesetzt ist, vom ägyptischen Gott Seth übernommen. Wenn nun den Juden insbesondere vorgeworfen wird, daß sie einem Eselskopf göttliche Ehren erwiesen 3 , so müssen einzelne Kreise diesem heidnischen Synkretismus damals tatsächlich gehuldigt haben, genau so wie die christlich-gnostische Sekte der S e t h i a n e r , für die der ägyptische Seth mit dem gleichnamigen Sohne Adams verschmolzen ist. Ein Sethianer hat den gekreuzigten Christus mit Eselskopf an die Wand des sogenannten Pädagogiums am Palatin gekritzelt und dazu geschrieben: „Alexamenos verehrt Gott". Wir kennen die Sethianer, deren Spuren in Ägypten und R o m bis 400 n. Chr. verfolgt werden können, nicht nur aus den Ketzerbestreitungen der Kirchenväter, sondern auch aus den Zauberpapyris mit ihren Hymnen und aus den sethianischen Bleitafeln bis nach Karthago im Westen mit ihren Flüchen, die den Wagenlenkern durch Schadenzauber wider ihre Gegner den Sieg erzwingen wollen 4 . Man darf nicht überall an Juden denken, wo man Jao trifft; vielfach ist nur der Name des Gottes gewandert und wird von den Zauberern in der ganzen Mittelmeer weit, von Heiden und Christen, benutzt, um den Zauber wirksam zu machen. So begegnet er uns auch auf christlichen Haussegen und Amuletten immer wieder bis in die byzantinische Zeit, um Kopfschmerz zu beschwören, 1

Die meisten Juden von Elephantine wurden bei dem Aufstand unter Amyrtaios (405 v. Chr.) ermordet oder vertrieben, wie es scheint; einzelne sind aber auch später dort bezeugt. Im übrigen werden die von dort ausgehenden Einflüsse schon in die ältere Zeit zurückreichen. 2 Vgl. WOLF WILHELM Graf BAUDISSIN , Studien zur semitischen Religionsgeschichte I 255 f f . , die eine Neubearbeitung verdienten. 3 So zuerst von Poseidonios bei Diodor 34, 1 von Apion bei Jos. c. Ap. I I 7, von Tacitus Hist. V 3 f.; weitere Literatur bei SCHÜRER I I I 4 S. 152. 4 Literatur bei ROEDER im Lexikon von ROSCHER S. V. „ S e t " Sp. 774.

Jao und die Zauberreligion

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um die A b n e i g u n g der Geliebten zu überwinden oder um Ungeziefer zu bannen 1 . Ist R o m oder Karthago der westliche Endpunkt der Jao-Religion, so ist Kleinasien der nördliche: Eine Abrasax-Gemme mit der löwenköpfigen, vom Strahlenkranz umgebenen Schlange — der Löwenkopf stammt vom Kronos - Saturn — fügt zu Jao und Chnubis noch den Namen Glykona und ruft damit die Erinnerung wach an den Schlangengott A s k l e p i o s - G l y k o n , dessen Verehrung der aus Lukian bekannte Prophet Alexander um 145 n. Chr. zu A b o n o teichos im pontischen Paphlagonien einführte, der nicht nur dort, sondern auch im bithynischen Nikomedien zu einem mindestens 100 Jahre dauernden K u l t gelangte, der durch seinen begeisterten Anhänger Rutiiianus kurze Zeit auch im oberen Mösien verbreitet war und sogar vor den A u g e n des Kaisers Marc A u r e l Gnade fand. Von Glykon-Jao (Ion) erhielt die Stadt Abonoteichos den neuen Namen I o n o p o l i s , der noch in dem heutigen Ineboli nachklingt 2 , nicht weit von Sinope, der Heimat Markions, der als der schroffste Gegner des „schlimmen Gottes" der Juden ungefähr um dieselbe Zeit wie Alexander auftrat, beide eine beredtes Zeugnis für die Bedeutung des Judentums in den Hafenstädten des Schwarzen Meeres. Der Name Jao und die Darstellung der Abrasax-Gemme beweisen einen astralen Einschlag in das synkretistische Zwittergebilde des neuen Gottes von Abonoteichos. So bindet der eine Name Jao Elephantine, Karthago, Ionopolis — Abrasax-Gemmen, sethianische Verfluchungstafeln, Amulette, Haussegen, Zauberpapyri — Judentum, Heidentum und Christentum durch gemeinsame Magie zusammen. Darum wundern wir uns nicht mehr, daß wir jetzt j ü d i s c h e Z a u b e r b ü c h e r in großer Zahl wieder besitzen: das achte Buch Moses 8 und das Erzengelbuch Moses 4 aus griechischen Papyris, das Testamentum Salomonis 5 aus christlichbyzantinischer Überlieferung, und das Heilmittelbuch Noahs, das Schwert Moses, den Schlüssel Salomos, die Weisheit der Chaldäer, 1

Literatur bei GANSCHINIETZ in PAULY-WISSOWA

2

V g l . besonders FRANTZ CUMONT, Alexandre d'Abonotichus (Mémoires couronnés

par l'Académie

Belgique, T . 40,

1877

in 8° p. I ff.

2

s. v. „ J a o " .

21 ff. 35 ff.) und E . BABELON, L e

faux prophète A l e x a n d r e d'Abonotichos ( R e v u e Numismatique I V . Sér. T . 4, 1900 p. I ff.). 3

ALBRECHT DIETERICH, A b r a x a s , L e i p z i g

4

R . REITZENSTEIN, Poimandres, L e i p z i g 1904.

1891.

5

CHESTER CHARLTON MCCOWN, T h e Testament of Solomon, Leipzig

1922.

J6

Greßmann,

Sepher

Raziel

D i e A u f g a b e n der W i s s e n s c h a f t des nachbiblischen Judentums /

und

Semiphoras

aus

mittelalterlich-jüdischen

Quellen 1 . 3. Ein zweiter Problemkreis knüpft an die

Gleichsetzung

J a h w e s m i t D i o n y s o s und S a b a z i o s , die so gut bezeugt ist ; daß man sie nicht einfach als alberne Behauptung, böswillige Erfindung oder grobe Verwechslung bezeichnen kann 2, wie immer man sie auch erklären möge. Nicht nur Plutarch und Tacitus kennen die Verschmelzung Jahwes mit Dionysos, sondern sogar das antihellenistische zweite Makkabäerbuch nennt die Laubhütten geradezu ein Dionysosfest und f ü g t ausdrücklich hinzu, daß man damals zu Ehren des Dionysos mit Epheukränzen einherzuziehen pflegte 3 . A b e r wir haben noch ein sehr viel älteres, äußerst merkwürdiges und bisher nicht völlig gedeutetes Zeugnis in der M ü n z e d e s B r i t i s c h e n M u s e u m s a u s G a z a 4 : A u f dem Flügel wagen sitzt eine bärtige Gottheit, die R e c h t e in das Gewand gehüllt; in der Linken hält sie einen Falken. R e c h t s liegt eine bärtige Maske. Darüber steht in aramäischen. Buchstaben irr. D a s Ganze ist eingeschlossen in ein quadratisches Strichmuster. D a ß hier Jao nach A r t des Dionysos dargestellt ist, dafür spricht nicht nur die Satyrmaske, sondern auch das gleichartige Bild des Dionysos auf späthellenischen V a s e n 5 worauf mich VALENTIN MÜLLER-Berlin aufmerksam gemacht hat. Nach seinem Urteil weist der archäologische T y p u s mit Sicherheit in das V . Jh. v. Chr. A b e r was soll der F a l k e 6 und was bedeutet die ganze Szene? Darf man den F l ü g e l w a g e n als G e g e n stück zu den sich von selbst drehenden Rädern in der Vision Hesekiels auffassen, die nach REITZENSTEIN 7 die B e w e g u n g des Himmelskörpers zum A u s d r u c k bringen sollen, so daß es sich in beiden Fällen um eine Darstellung des Weltherrschers und Poldrehers handeln würde? Eine Entscheidung darüber wird erst dann möglich sein, wenn wir das W e s e n des hellenistischen Dionysos im Unterschied vom hellenischen genauer kennen und einen besseren Ein1

SCHÜRER I I I 4 S. 4 1 4 ff.

4

D i e maßgebende Veröffentlichung ist jetzt

2

the Greek Coins of Palestine, L o n d o n Literatur ist ebenda p. L X X X V I

So SCHÜRF.R I I I 4 S. 5 8 f . 1 5 1 . 1914,

3

II Makk

6

r

GEORGE FRANCIS HILL, Catalogue of

p. 181 N r . 29 =

A n m . 2 verzeichnet.

Taf. X I X

N r . 29.

Die

HILL denkt an den W a g e n des

Triptolemos, PILCHER P S B A 1908 S. 45 ff. an den W a g e n Jahwes in der Vision Hesekiels. 5

GERHARD, A n t i k e V a s e n I 41. Zu einem Sonnengott w ü r d e er gut passen; vgl. u. S. 17 f. Dionysos als

Helios.

Kronos-

' D a s iranische Erlösungsinysterium, Bonn 1921, S. 249. 10. 3. 1925

Gleichsetzung mit Dionysos und Sabazios

17

blick in seine Mysterien gewinnen lernen, deren orientalische Propaganda durch ein jüngst gefundenes Papyrus-Bruchstück etwas mehr erhellt ist 1 . Die G l e i c h s e t z u n g J a h w e s m i t ( D i o n y s o s - ) S a b a z i o s kann man dem zweifellos ungeschichtlichen Roman des dritten Makkabäerbuches entnehmen. Danach gab es in Ägypten zeitweilig judenheidnische Kreise, die sich ein Epheublatt einritzen ließen2, gewiß nach dem königlichen Vorbild des Ptolemaios IV. Philopator {um 210 v. Chr.), der diese aus dem kleinasiatischen Sabazioskult stammende Sitte der Tätowierung als „der neue Dionysos" oder nach dem Volkswitz als „der neue Gallos" am eigenen Leibe geübt hatte s . Es ist darum auch nicht verwunderlich, wenn berichtet wird, im Jahre 139 v. Chr. habe der Vertreter der römischen Religionspolizei Cn. Cornelius Hispalus die Juden aus Rom verjagt, weil sie gewagt hätten, durch ihren Sabaziosdienst die römischen Sitten zu verderben 4. Den archäologischen Beweis haben die Malereien der Vincentiusgruft geliefert, die in der christlichen Prätextat-Katakombe wiedergefunden worden sind: Vincentius war nach der Beischrift heidnischer Sabaziospriester, seine Gattin Vibia war wahrscheinlich eine Jüdin; beide waren nach ihrer Grabstätte auch Christen. Den Einfluß der jüdischen Religion erkennt man am deutlichsten an dem angelus bonus, dem „gütigen Engel", der an Stelle irgendeines heidnischen Gottes die Seligen auf die Asphodeloswiese des himmlischen Paradieses geleitet 5 . Man sieht hier zugleich den Zusammenhang mit dem Jenseitsglauben, dessen astrale Färbung noch klarer wird aus einer Nachricht des Macrobius, die ebenfalls die Gleichung Jahwes mit Dionysos voraussetzt 6 : Von dem Neuplatoniker Cornelius Labeo (um 250 n.Chr.) ist uns ein vielerörtertes Orakel des klarischen Apollon überliefert, das 1 W . SCHUBART in den Amtlichen Berichten aus den K g l . Kunstsammlungen X X X V I I I 7, und REITZENSTEIN im A R . X I X 1 9 1 6 — 1 9 1 9 S. 1 9 1 ff. 2

I I I Makk 2 Plutarch, de am. et adulat. 1 2 p. 5 6 E ; Etym. Magn. s . v . röXXoi;. Wenn Philopator eine Tragödie des „ A d o n i s " geschrieben hat (Schol. Aristoph. Thesmoph. 1059), wird wohl Adonis auch mit Dionysos-Sabazios verschmolzen sein. 3

4

Valerius Max. I 3, 2. V o n den weiteren Nachrichten über Jahwe-Dionysios ist noch Plutarch beachtenswert symp. I V , 5, 3 , wo der vom Eber getötete Adonis dem Dionysos gleichgesetzt, und I V 6, 2, wo das Laubhüttenfest mit den Dionysia verglichen wird. 6

6

Macrobius I 1 8 , 20 fügt hinzu: Huius oraculi vim, numinis nominisque interpretationem, qua Liber pater et Sol 'Ia