Die Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt: Zur kommunikativen Konstruktion einer mediatisierten Beziehung [1. Aufl.] 978-3-658-26006-4;978-3-658-26007-1

Dorothee Christiane Meinzer geht in ihrer qualitativen Studie der Frage nach, wie sich die kommunikative Konstruktion de

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Die Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt: Zur kommunikativen Konstruktion einer mediatisierten Beziehung [1. Aufl.]
 978-3-658-26006-4;978-3-658-26007-1

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XV
Einleitung (Dorothee Christiane Meinzer)....Pages 1-8
Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion (Dorothee Christiane Meinzer)....Pages 9-46
Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung (Dorothee Christiane Meinzer)....Pages 47-93
Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen (Dorothee Christiane Meinzer)....Pages 95-148
Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient (Dorothee Christiane Meinzer)....Pages 149-237
Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch (Dorothee Christiane Meinzer)....Pages 239-269
Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung (Dorothee Christiane Meinzer)....Pages 271-302
Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen (Dorothee Christiane Meinzer)....Pages 303-365
Die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt (Dorothee Christiane Meinzer)....Pages 367-383
Back Matter ....Pages 385-423

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Medien · Kultur · Kommunikation

Dorothee Christiane Meinzer

Die Arzt-PatientBeziehung in einer digitalisierten Welt Zur kommunikativen Konstruktion einer mediatisierten Beziehung

Medien • Kultur • Kommunikation Reihe herausgegeben von Andreas Hepp, Bremen, Deutschland Friedrich Krotz, Bremen, Deutschland Waldemar Vogelgesang, Trier, Deutschland Maren Hartmann, Berlin, Deutschland

Kulturen sind heute nicht mehr jenseits von Medien vorstellbar: Ob wir an unsere eigene Kultur oder ,fremde’ Kulturen denken, diese sind umfassend mit Prozessen der Medienkommunikation verschränkt. Doch welchem Wandel sind Kulturen damit ausgesetzt? In welcher Beziehung stehen verschiedene Medien wie Film, Fernsehen, das Internet oder die Mobilkommunikation zu unterschiedlichen kulturellen Formen? Wie verändert sich Alltag unter dem Einfluss einer zunehmend globalisierten Medienkommunikation? Welche Medienkompetenzen sind notwendig, um sich in Gesellschaften zurecht zu finden, die von Medien durchdrungen sind? Es sind solche auf medialen und kulturellen Wandel und damit verbundene Herausforderungen und Konflikte bezogene Fragen, mit denen sich die Bände der Reihe „Medien – Kultur – Kommunikation“ auseinandersetzen. Dieses Themenfeld überschreitet dabei die Grenzen verschiedener sozial- und kulturwissenschaftlicher Disziplinen wie der Kommunikations- und Medienwissenschaft, der Soziologie, der Politikwissenschaft, der Anthropologie und der Sprach- und Literaturwissenschaften. Die verschiedenen Bände der Reihe zielen darauf, ausgehend von unterschiedlichen theoretischen und empirischen Zugängen, das komplexe Interdependenzverhältnis von Medien, Kultur und Kommunikation in einer breiten sozialwissenschaftlichen Perspektive zu fassen. Dabei soll die Reihe sowohl aktuelle Forschungen als auch Überblicksdarstellungen in diesem Bereich zugänglich machen.

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/12694

Dorothee Christiane Meinzer

Die Arzt-PatientBeziehung in einer digitalisierten Welt Zur kommunikativen Konstruktion einer mediatisierten Beziehung

Dorothee Christiane Meinzer Bremen, Deutschland Dissertation Universität Bremen 2018. Diese Veröffentlichung lag dem Promotionsausschuss Dr. phil. der Universität Bremen als Dissertation von Dorothee Christiane Meier vor. Gutachter/in: Prof. Dr. Andreas Breiter Gutachter/in: Prof. Dr. Andreas Hepp Das Kolloquium fand am 14.02.2018 statt.

ISSN 2524-3160 ISSN 2524-3179  (electronic) Medien • Kultur • Kommunikation ISBN 978-3-658-26007-1  (eBook) ISBN 978-3-658-26006-4 https://doi.org/10.1007/978-3-658-26007-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Danksagung Das vorliegende Buch ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich am 14. Februar 2018 an der Universität Bremen verteidigt habe. In einem Interview mit Heiner Legewie und Barbara Schervier-Legewie (2004) bringt Anselm Strauss die Gefühlswelt von Forschenden folgendermaßen auf den Punkt: „[Forschung] ist oft sehr harte Arbeit, frustrierend und angstauslösend, es ist immer ein Stück Leiden damit verbunden. Deshalb muss es auf der anderen Seite Spaß machen!“ (ebd.). Zahlreiche Menschen haben dazu beigetragen, dass diese Dissertation entstehen konnte und mir der Spaß nicht abhandenkam. Ihnen gilt mein besonderer Dank. Allen voran möchte ich den Ärztinnen, Ärzten und Praxismitarbeiterinnen danken, die mir ermöglichten an ihrem Praxisalltag teilzuhaben und das dortige kommunikative Handeln im Vollzug mitzuerleben. Gleichermaßen gilt mein Dank den Patientinnen und Patienten, die mir Vertrauen schenkten und bereitwillig über ihre gesundheitsbezogene Medienaneignung und die Beziehung zu ihren Ärztinnen und Ärzten berichteten. Bei Prof. Dr. Andreas Breiter und Prof. Dr. Andreas Hepp möchte ich mich dafür bedanken, dass sie meine Dissertation betreuten und begutachteten. Ihr Interesse am Thema, stetige Denkanstöße und Motivation trugen maßgeblich zur Fertigstellung der Arbeit bei. Anregungen und wertvolles Feedback habe ich ferner von Prof. Dr. Friedrich Krotz (DFG-Schwerpunktprogramm ‚Mediatisierte Welten‘), Prof. Dr. Tobias Olsson (European Media and Communication Doctoral Summer School) und Prof. Dr. Eva Baumann sowie Prof. Dr. Constanze Rossmann (Nachwuchsworkshops der DGPuK-Fachgruppe Gesundheitskommunikation) bekommen. Ich möchte darüber hinaus meinen Kolleginnen und Kollegen an der Universität Bremen sowie Freundinnen und Freunden danken, die mich durch zahlreiche fachliche und im besten Sinne wohlmeinende Gespräche auf meinem Weg begleitet haben. Stellvertretend danke ich Ines Averbeck, Matthias Berg, Jan Broer, Karin Elbrecht, Jan Ewringmann, Julia Gantenberg, Ulrike Gerhard, Nele Heise, Hendrik Heuer, Marco Höhn, Juliane Jarke, Sigrid Kannengießer, Leif Kramp, Philipp Krieter, Sebastian Kubitschko, Katharina Lobinger, Franziska Marx, Anne Mollen,

VI

Danksagung

Johanna Möller, Anke Offerhaus, Cindy Roitsch, Christina Sanko, Piet Simon, Monika Sowinska und Emese Stauke. Ein herzliches Dankeschön gilt ferner Alina Klöpper und Laura Thiele für die Unterstützung bei der Digitalisierung der Interviews, Monika Elsler und Heidrun Bornemann für das Korrektorat der Dissertation sowie Sabine Schöller für Hinweise zur Veröffentlichung im VS-Verlag. Meiner Familie danke ich für ihre Geduld und ihren Zuspruch. Nicht unerwähnt darf dabei die wohl wichtigste Stütze bleiben: Mein bester Freund und Ehemann Nils.

Inhalt 1

Einleitung .................................................................................................... 1

2

Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion ............... 9 2.1 Arzt-Patient-Beziehung als dynamischer situationsübergreifender Kommunikationsprozess .............................. 11 2.2 Arzt- und Patientenbild als kommunikative Konstruktion ................. 20 2.3 Gesundheit und Krankheit als kommunikative Konstruktion ............ 24 2.3.1

Gesundheit und Krankheit aus Sicht von Arzt und Patient ................. 25

2.3.2

Kommunikative Konstruktion von intersubjektivem Wissen zu Gesundheit und Krankheit ........................................................................ 28

2.4 Typen der kommunikativ konstruierten Arzt-Patient-Beziehung ...... 32 2.5 Medien und die kommunikativ konstruierte Arzt-PatientBeziehung .................................................................................................... 34

3

2.5.1

Mediatisierung als Metaprozess ................................................................ 36

2.5.2

Digitalisierung der gesundheitsbezogenen Medienumgebung ............ 40

Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der ArztPatient-Beziehung ..................................................................................... 47 3.1 Aneignung von Wissen durch die Nutzung gesundheitsbezogener Online-Angebote ................................................ 48 3.2 Thematisierung von gesundheitsbezogenen Online-Angeboten im Arzt-Patient-Gespräch ......................................................................... 60 3.2.1

Thematisierung von gesundheitsbezogenen Internetinformationen durch Patienten .................................................. 61

3.2.2

Ärztlicher Umgang mit internetinformierten Patienten....................... 63

3.3 Nutzung gesundheitsbezogener Online-Angebote zur interpersonalen Kommunikation............................................................. 68 3.3.1

Asynchrone Online-Kommunikation ...................................................... 70

3.3.2

Synchrone Online-Kommunikation ........................................................ 76

VIII

Inhalt

3.4 Entfaltung der kommunikativen Potenziale von gesundheitsbezogenen Online-Angeboten ............................................. 79 3.5 Theoretische Implikationen zur Erforschung der kommunikativen Beziehungskonstruktion ............................................ 82 4

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-PatientBeziehungen erforschen............................................................................ 95 4.1 Feldstudien in fünf Hausarztpraxen: Zugang, Auswahl und Beschreibung ............................................................................................... 98 4.1.1

Auswahl und Beschreibung der Hausarztpraxen und Hausärzte ...... 100

4.1.2

Auswahl und Beschreibung der Patienten in den Hausarztpraxen ......................................................................................... 103

4.2 Datenerhebung durch qualitative Beobachtungen und qualitative Interviews .................................................................................................. 105 4.2.1

Qualitative Beobachtungen der kommunikativen Handlungen in Hausarztpraxen ......................................................................................... 107

4.2.2

Qualitative Interviews mit Hausärzten und deren Patienten ............. 114

4.3 Datenauswertung nach den Analyseprinzipien der Grounded Theory ........................................................................................................ 123 4.3.1

Prinzipien der Datenauswertung ............................................................ 124

4.3.2

Vorgehen bei der Datenauswertung....................................................... 127

4.4 Methodische Herausforderungen .......................................................... 139 5

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient .............................................................................................. 149 5.1 Mikro-Koordination ................................................................................ 151 5.1.1

Mikro-Koordination im direkten Gespräch ......................................... 153

5.1.2

Medienvermittelte Mikro-Koordination ............................................... 157

5.1.3

Beschleunigung und Flexibilisierung der Mikro-Koordination durch Medien............................................................................................. 162

5.2 Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen.................................... 163

Inhalt

IX

5.2.1

Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen im direkten Gespräch ..................................................................................................... 165

5.2.2

Medienvermittelte Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen ......................................................................................................... 167

5.2.3

Generierung und Ergänzung von hausarztbezogenem Wissen durch Medien............................................................................................. 180

5.3 Konstruktion von patientenbezogenem Wissen .................................. 182 5.3.1

Konstruktion von patientenbezogenem Wissen im direkten Gespräch ..................................................................................................... 183

5.3.2

Medienvermittelte Konstruktion von patientenbezogenem Wissen ......................................................................................................... 194

5.3.3

Aktivierung, Veranschaulichung, Speicherung und Ergänzung von patientenbezogenem Wissen durch Medien ................................. 199

5.4 Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen.............................. 200 5.4.1

Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen im direkten Gespräch ..................................................................................................... 203

5.4.2

Medienvermittelte Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen ......................................................................................................... 208

5.4.3

Re-Konstruktion von medial erworbenem gesundheitsbezogenen Wissen des Patienten im direkten Gespräch ..................................................................................................... 213

5.4.4

Veranschaulichung, Ergänzung und Generierung von gesundheitsbezogenem Wissen durch Medien..................................... 232

5.5 Überblick über die beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen ............................................................................................... 233 6

Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch ................................. 239 6.1 Zurückhaltende Kommunikation .......................................................... 242 6.2 Offene Kommunikation .......................................................................... 248 6.3 Fordernde Kommunikation .................................................................... 258 6.4 Vergleich der Kommunikationsstile ...................................................... 267

X

Inhalt

7

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung ......................... 271 7.1 Formübergreifende Gemeinsamkeiten der gesundheitsbezogenen Medienaneignung ..................................................................................... 274 7.2 Marginale Medienaneignung .................................................................. 279 7.3 Fokussierte Medienaneignung................................................................ 283 7.4 Extensive Medienaneignung ................................................................... 291 7.5 Vergleich der Medienaneignungsformen ............................................. 300

8

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen............. 303 8.1 Beziehungskonstruktion der Unbedarften ........................................... 308 8.2 Beziehungskonstruktion der Expertenorientierten ............................. 316 8.3 Beziehungskonstruktion der Eingeschränkt Interessierten................ 325 8.4 Beziehungskonstruktion der Souveränen ............................................. 337 8.5 Beziehungskonstruktion der Wissensdurstigen ................................... 343 8.6 Ko-Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung durch die Fürsorglich Mitgestaltenden ................................................................... 352 8.7 Die Beziehungskonstruktion der Patiententypen im Vergleich ........ 359

9

Die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt ........................................................................ 367 9.1 Die Arzt-Patient-Beziehung als mediatisierte Beziehung ................... 369 9.2 Die Arzt-Patient-Beziehung als stabile Beziehung .............................. 372 9.3 Die Arzt-Patient-Beziehung als ungleichförmige Beziehung............. 375 9.4 Die Arzt-Patient-Beziehung als thematisch geleitete Beziehung ....... 379

Anhang ............................................................................................................. 385 Literatur ........................................................................................................... 387

Tabellen Tab. 1:

Typologie der Arzt-Patient-Beziehung (eigene Übersetzung nach Roter und Hall (2006: 26))......................................................... 33

Tab. 2:

Übersicht über die Charakteristika der untersuchten Hausarztpraxen (eigene Darstellung) .............................................. 101

Tab. 3:

Übersicht über die Charakteristika der 56 Patienten (eigene Darstellung) ........................................................................................ 105

Tab. 4:

Aufbau der Interviews mit Patienten und Ärzten entlang der typischen Phasen des PZI (eigene Darstellung) ...................... 118

Tab. 5:

Überblick über die ‚Medienangebots-Karten‘ (eigene Darstellung) ........................................................................................ 119

Tab. 6:

Kategorien zur Beschreibung der ‚beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen‘ von Ärzten und Patienten (eigene Darstellung) ........................................................................... 130

Tab. 7:

Kategorien zur Beschreibung der ‚gesundheitsbezogenen Medienaneignung‘ (eigene Darstellung) ......................................... 132

Tab. 8:

Kategorien zur Beschreibung der ‚direkten Arzt-PatientKommunikation‘ (eigene Darstellung) ........................................... 133

Tab. 9:

Beispielhafter Auszug aus der Kategorie ‚Fragen-Stellen und Anweisungen-Geben‘ (eigene Darstellung).................................... 133

Tab. 10:

Ausprägungskombinationen der ‚gesundheitsbezogenen Medienaneignung‘ (eigene Darstellung) ......................................... 134

Tab. 11:

Ausprägungskombinationen der ‚direkten Arzt-PatientKommunikation‘ (eigene Darstellung) ........................................... 135

Tab. 12:

Weitere Kategorien zur Beschreibung der kommunikativen Beziehungskonstruktion (eigene Darstellung) ............................... 136

Tab. 13:

Typen der Arzt-Patient-Beziehung (eigene Darstellung) ............. 138

Tab. 14:

Verteilung der Patienten (N = 52) innerhalb des Merkmalsraums (eigene Darstellung) ............................................. 139

XII

Tabellen

Tab. 15:

Absprachen im Zuge der direkten Mikro-Koordination (eigene Darstellung) ........................................................................... 155

Tab. 16:

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen im Überblick (eigene Darstellung) ........................................................ 237

Tab. 17:

Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch aus Perspektive der Patienten (eigene Darstellung) ............................. 241

Tab. 18:

Übersicht über die Kennzeichen der zurückhaltenden, offenen und fordernden Kommunikation im Arzt-PatientGespräch (eigene Darstellung) ......................................................... 269

Tab. 19:

Übersicht über die medialen gesundheitsbezogenen kommunikativen Handlungen der Patienten (eigene Darstellung) ........................................................................................ 273

Tab. 20:

Übersicht über die gesundheitsbezogenen Medienaneignungsformen (eigene Darstellung) ........................... 301

Tab. 21:

Patiententypen (N = 52) (eigene Darstellung) ............................... 305

Tab. 22:

Lebensphasen der Patienten (eigene Darstellung) ........................ 306

Tab. 23:

Klassifikation von Symptomen und Erkrankungen durch die Patienten (eigene Darstellung) ................................................... 307

Tab. 24:

Patiententypen im Vergleich (eigene Darstellung) ....................... 360

Tab. 25:

Stellenwert der unterschiedlichen ‚kommunikativen Gegenüber‘ im Prozess der Beziehungskonstruktion bei den einzelnen Patiententypen (eigene Darstellung) ............................. 364

Tab. 26:

Übersicht über die Verteilung der Patienten innerhalb des Merkmalsraums der Typologie ........................................................ 386

Abbildungen Abb. 1:

Systematisierung gesundheitsbezogener Medienangebote und darauf aufbauende Kommunikationsformen (eigene Darstellung nach Meier (2014)) ......................................................... 41

Abb. 2:

Beobachtungsleitfaden Arzt-Patient-Gespräch (eigene Darstellung) ........................................................................................ 112

Abb. 3:

Kodierparadigma nach Strauss und Corbin (1996) (eigene Darstellung in Anlehnung an Strübing (2014: 25)) ....................... 126

Abb. 4:

Modell der Kategorien zur Beschreibung der kommunikativen Beziehungskonstruktion in einer digitalisierten Welt (eigene Darstellung) ........................................ 137

Abb. 5:

Beispielhafter Sprechstundenverlauf für eine zurückhaltende Kommunikation im Arzt-Patient-Gespräch (eigene Darstellung) ........................................................................... 243

Abb. 6:

Beispielhafter Sprechstundenverlauf für eine offene Kommunikation im Arzt-Patient-Gespräch (eigene Darstellung) ........................................................................................ 250

Abb. 7:

Beispielhafter Sprechstundenverlauf für eine fordernde Kommunikation im Arzt-Patient-Gespräch (eigene Darstellung) ........................................................................................ 260

Abb. 8:

Unterschiedliche Ausprägungen der marginalen Medienaneignung (eigene Darstellung) .......................................... 280

Abb. 9:

Unterschiedliche Ausprägungen der fokussierten Medienaneignung (eigene Darstellung) .......................................... 284

Abb. 10:

Unterschiedliche Ausprägungen der extensiven Medienaneignung (eigene Darstellung) .......................................... 292

Abb. 11:

Patienten des Typs der ‚Unbedarften‘ (eigene Darstellung) ........ 309

Abb. 12:

Patienten des Typs der ‚Expertenorientierten‘ (eigene Darstellung) ........................................................................................ 317

XIV

Abbildungen

Abb. 13:

Patienten des Typs der ‚Eingeschränkt Interessierten‘ (eigene Darstellung) ........................................................................... 327

Abb. 14:

Patienten des Typs der ‚Souveränen‘ (eigene Darstellung) .......... 338

Abb. 15:

Patienten des Typs der ‚Wissensdurstigen‘ (eigene Darstellung) ........................................................................................ 345

Abb. 16:

Patienten des Typs der ‚Fürsorglich Mitgestaltenden‘ (eigene Darstellung) ........................................................................... 354

Abkürzungen EBM MFA MRT PC PMS PZI

Einheitlicher Bewertungsmaßstab Medizinische Fachangestellte Magnetresonanztomografie Personal Computer Praxis-Management-System Problemzentriertes Interview

1

Einleitung

Kommunikation ist für die Beziehung zwischen Ärzten und Patienten wesentlich. 1 Durch Kommunikation lernen Ärzte und Patienten einander kennen und entwickeln ein gemeinsames Verständnis vom Gesundheitszustand des Patienten sowie von etwaigen therapeutischen Zielen und Maßnahmen. Die Kommunikation von Ärzten und Patienten findet in einer Welt statt, die im Zuge der gegenwärtigen „Mediatisierungswelle“ (Couldry/Hepp 2016: 48f.) durch eine zunehmende Digitalisierung gekennzeichnet ist. Das kommunikative Handeln und die Sinngebung von Menschen sind immer stärker mit digitalen Medien verschränkt (vgl. z. B. Krotz et al. 2017; Livingstone 2009). In jüngerer Zeit sind insbesondere vielfältige gesundheitsbezogene Online-Angebote entstanden, also Dienste zur vernetzten computervermittelten Kommunikation, die über den PC, das Smartphone oder weitere digitale Endgeräte abgerufen und genutzt werden können. Sie haben das Spektrum an Medien erweitert, das Ärzten und Patienten als kommunikatives Potenzial zur Verfügung steht. Die Gesamtheit der kommunikativen Potenziale – die gesundheitsbezogene Medienumgebung – ermöglicht, dass sich die direkte Kommunikation der Beziehungspartner in immer mehr Formen der produzierten, der wechselseitigen und der virtualisierten Medienkommunikation ausdifferenziert (vgl. Hepp 2013b: 59). Zu den Anwendungen der produzierten Medienkommunikation gehören beispielsweise Ratgeber-Websites, die für nahezu jedes vorstellbare körperliche Symptom und Krankheitsbild Informationen bereithalten. Darüber hinaus zählen Online-Dienste zur wechselseitigen Medienkommunikation zur gesundheitsbezogenen Medienumgebung, wie etwa Services zum Text- oder VideoChat, die den direkten Austausch zwischen Ärzten und Patienten ermöglichen. Schließlich stehen Ärzten und Patienten mehr und mehr Angebote zur virtualisierten Medienkommunikation zur Verfügung – dazu zählen unter anderem interaktive Systeme, mit deren Hilfe Patienten (automatisch) Körperdaten protokollieren und ihre alltägliche Lebensführung überwachen können.

1

Da weder der Begriff des Arztes noch der des Patienten eine eingängige geschlechtsneutrale Entsprechung besitzt, werden im Folgenden zur besseren Lesbarkeit die Begrifflichkeiten ‚Arzt‘ und ‚Patient‘ verwendet, womit stets beide Geschlechter gemeint sind. In diesem Sinne wird von der ‚Arzt-PatientBeziehung‘ und von der ‚Arzt-Patient-Kommunikation‘ gesprochen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. C. Meinzer, Die Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt, Medien • Kultur • Kommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26007-1_1

2

Einleitung

Welche Konsequenzen sich aus den kommunikativen Potenzialen von gesundheitsbezogenen Online-Angeboten für die Arzt-Patient-Beziehung ergeben, wird im öffentlichen Diskurs zum Teil kontrovers diskutiert. So wird beispielsweise angenommen, dass sich die Rolle medizinischer Experten – insbesondere des Hausarztes – durch die Möglichkeiten zum online-basierten Wissenserwerb drastisch ändern werde. „Dr. Google wird bald den Hausarzt ersetzen“ (Husen 2017), prognostiziert etwa die Zeitung ‚Die Welt‘. Schließlich böten Suchmaschinen – im Gegensatz zum Arzt – schon heute eine „uneingeschränkte Verfügbarkeit“ (ebd.) und würden „in absehbarer Zeit“ (ebd.) dank künstlicher Intelligenz und Smart-DataAnalysen noch an Relevanz gewinnen (vgl. ebd.). Der wie angenommen zurückgehenden Relevanz von medizinischen Experten steht eine vermutete Re-Affirmation ebenjener Experten als einordnende Instanzen entgegen. So heißt es beispielsweise in der ‚Augsburger Allgemeinen‘, dass die vielfältigen Informationen, die online zur Verfügung stehen, häufig zu „Verwirrung und Angst“ (Reif 2017) bei den Patienten führten. Der Hausarzt sei „durch die Hilfestellung, die er beim Einordnen der Informationen geben kann, heute wichtiger denn je“ (ebd.). Nicht nur die neuen Möglichkeiten für Patienten, sich über das Internet Wissen anzueignen, und die damit verbundenen Konsequenzen für den Arzt und die Arzt-Patient-Beziehung werden in der öffentlichen Debatte reflektiert. Auch die Potenziale zur wechselseitigen Online-Kommunikation finden im Diskurs Berücksichtigung. Schließlich gehören seit Mitte des Jahres 2017 Video-Sprechstunden zum Leistungsangebot der gesetzlichen Krankenversicherungen (vgl. z. B. Martenstein/Wienke 2016). Die neu regulierten technischen Kommunikationsmöglichkeiten versprächen, dass Patienten durch ihren Hausarzt besser und komfortabler versorgt werden könnten, wenngleich das „digitale Praxiszimmer“ (Balzter 2017) und „der heiße Draht zum Hausarzt“ (ebd.) – aus Sicht des FAZ-Autors – bislang nicht alltäglich seien: Da preisen seit Jahren alle die Segnungen der Digitalisierung, da fließen viele Millionen Euro in einen Innovationsfonds für Forschungsprojekte mit schicken Titeln, da versprechen Konzerne in der Werbung für ihre Supercomputer am Krankenbett das Blaue vom Himmel, da zimmert der zuständige Minister mit viel Brimborium sogar ein eigenes „E-Health“-Gesetz. Dumm nur, dass so wenig dabei herauskommt. Jedenfalls für den 08/15-Patienten, der in diesem nasskalten Februar mit Kopfweh und Gliederschmerzen aufwacht und genau weiß, was auf ihn zukommt: der Weg zur Arztpraxis, anderthalb Stunden Wartezeit zwischen

Einleitung

3

hustenden Mitleidenden, danach eine Zwei-Minuten-Diagnose und ein Rezept, dann der Gang in die nächste Apotheke, hoffentlich noch rechtzeitig vor deren Mittagspause, schließlich die Rückkehr nach Hause ins Bett. Das kostet den Kranken viel Kraft und die Krankenkasse viel Geld. Aber anders geht es ja nicht. (ebd.)

Auch Apps zur virtualisierten Medienkommunikation sind Thema der öffentlichen Auseinandersetzung. Sie werden als „digitale Helfer“ (Bauer 2017) oder „Assistenten“ (ebd.) bezeichnet, die „den Alltag von Ärzten und Patienten [begleiten]“ (ebd.). Apps und Handyzubehör „durchleuchten den menschlichen Körper“ (Müller 2017b) und ermöglichten, in Zukunft „präzisere Diagnosen [zu] stellen […] als ein Mediziner“ (ebd.), wie der ‚Spiegel‘ in einem Beitrag meint. Die Auszüge aus dem öffentlichen Diskurs verweisen darauf, dass Ärzte und Patienten ihre Beziehungen zunehmend unter sich wandelnden medialen Bedingungen gestalten (werden). Vor dem Hintergrund der sich ausdifferenzierenden gesundheitsbezogenen Medienumgebung und der damit einhergehenden Entstehung neuer Kommunikationspotenziale zur produzierten, zur wechselseitigen und zur virtualisierten Medienkommunikation widmet sich diese Studie den Konsequenzen, die sich aus der Aneignung der gesundheitsbezogenen Online-Angebote für die Arzt-Patient-Beziehung ergeben. 2 Das Forschungsinteresse konkretisiert sich in der folgenden Forschungsfrage: ‚Wie wird die kommunikative Konstruktion der ArztPatient-Beziehung durch die Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote geprägt?‘ Mit dieser Fragestellung knüpft die Studie an bestehende Forschungsarbeiten an, die sich mit dem Zusammenhang zwischen der gesundheitsbezogenen Internetnutzung und der Arzt-Patient-Beziehung befassen. Diese sind insbesondere im angloamerikanischen Sprachraum entstanden und stammen aus den Wissenschaftsdisziplinen der Medizin, der Gesundheitswissenschaft, der (Medizin-)Soziologie und der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Zugleich hebt sich

2

Der Aneignungsbegriff wird in dieser Studie in zweifacher Hinsicht verwendet. Zum einen bezieht er sich auf die Aneignung von Medien bzw. Online-Angeboten, zum anderen auf die Aneignung von Wissen. Beide Konzepte hängen insofern zusammen, als dass mit der Medienaneignung die Aneignung von Wissen einhergeht (wenngleich diese nicht unbedingt der primäre Zweck der Medienaneignung sein muss). Andersherum kann die Medienaneignung Teil von umfassenderen Prozessen der Wissensaneignung sein.

4

Einleitung

die vorliegende Studie vom Großteil der bisherigen Arbeiten durch ihre sozialtheoretische Fundierung und ihre integrative Perspektive ab. Sie liefert ein kommunikations- und medienwissenschaftliches Verständnis des prominent erforschten Phänomens der Arzt-Patient-Beziehung und trägt dadurch auch zum Forschungsfeld der Gesundheitskommunikation bei, das sich in der deutschsprachigen Kommunikations- und Medienwissenschaft derzeit in der Etablierungsphase befindet (vgl. Baumann/Hurrelmann 2014). 3 Das theoretische Fundament dieser Studie ist der Kommunikative Konstruktivismus (vgl. Hepp et al. 2017; Keller et al. 2013), der als Fortführung des von Berger und Luckmann (2013) begründeten Sozialkonstruktivismus verstanden wird. 4 Der Kommunikative Konstruktivismus liefert eine sozial- und kommunikationstheoretische Fundierung der Arzt-Patient-Beziehung. Die Arzt-Patient-Beziehung stellt demnach einen kontinuierlichen, situationsübergreifenden Konstruktionsprozess dar, der unterschiedlich verlaufen und über seine je spezifische Kommunikation charakterisiert werden kann. Neben dem Kommunikativen Konstruktivismus bildet die sozialkonstruktivistische Tradition der Mediatisierungsforschung eine theoretische Grundlage der Arbeit (vgl. Krotz 2009). Dieser Forschungstradition folgend wird argumentiert, dass Medien im Zuge des Metaprozesses der Mediatisierung die kommunikative Konstruktion von Wirklichkeit – also auch die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung – „mal mehr und mal weniger, mal schneller und mal langsamer [verändern]“ (Krotz 2010: 107) (vgl. auch Couldry/Hepp 2016; Knoblauch 2013a; Krotz 2001). 5 Diese 3

Zahlreiche ‚Klassiker-Autoren‘ – vor allem der Soziologie – haben sich in ihrer Wissenschaftslaufbahn mit der Arzt-Patient-Beziehung auseinandergesetzt. In diesem Sinne lässt sich von einer ‚prominent erforschten Sozialbeziehung‘ sprechen. Von Parsons (1958) wurde beispielsweise die Arzt-Patient-Beziehung aus einer strukturfunktionalistischen Perspektive analysiert und modelliert. Glaser und Strauss (1966) befassten sich in ihrer Arbeit mit der Akteurs-Konstellation von im Sterben liegenden Patienten, deren Angehörigen, Ärzten und Krankenschwestern in Krankenhäusern. Foucault (1988) beschäftigte sich mit dem ärztlichen Blick, der das Individuum zum Träger einer Krankheit macht. 4 Das von Berger und Luckmann verfasste Werk ‚Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit‘ gilt als eines der Schlüsselwerke des Sozialkonstruktivismus (vgl. Abels/König 2016: 151). Es wurde 1966 in der englischsprachigen Erstausgabe unter dem Titel ‚The Social Construction of Reality‘ publiziert. Die deutsche Übersetzung folgte im Jahr 1969. 5 Als Metaprozess lässt sich Mediatisierung fassen, da es sich dabei um einen fortwährenden und kulturübergreifenden „Prozess von Prozessen“ (Krotz 2012: 38) handelt, der zudem mit anderen Metaprozessen wie Globalisierung, Individualisierung oder Ökonomisierung in Beziehung steht (vgl. Krotz

Einleitung

5

Veränderung der kommunikativen Wirklichkeitskonstruktion findet dann statt, wenn Medien angeeignet – also in alltägliche kommunikative Handlungen integriert – werden (vgl. Hepp 2012; Röser/Peil 2014). Durch die Aneignung entfalten Medien jeweils „ein bestimmtes Handlungspotenzial, das man als Prägkraft von Medien charakterisieren kann“ (Hepp 2013b: 53). Diese theoretische Perspektive ermöglicht, anders als bisherige Forschungsansätze, wie später detailliert herausgestellt wird, eine integrative Untersuchung des Zusammenhangs zwischen der Arzt-Patient-Beziehung und der Internetnutzung. Sie betrachtet gesundheitsbezogene Online-Angebote als essenziellen Bestandteil der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung, ohne deren Einbezug diese nicht angemessen empirisch untersucht werden kann. Gesundheitsbezogene Online-Angebote sind nichts, das außerhalb der Arzt-Patient-Beziehung liegt. Vielmehr werden sie von Ärzten und Patienten zum Bestandteil der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung gemacht, indem sie in alltägliche Handlungsabläufe eingebunden werden. Durch diese Alltagsintegration erhalten Medien ihre Bedeutung. Der Kommunikative Konstruktivismus und die Mediatisierungsforschung legen nahe, dass die Bedeutung gesundheitsbezogener Online-Angebote für die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung nur dann verstanden werden kann, wenn das gesamte Spektrum beziehungsrelevanter kommunikativer Handlungen von Ärzten und Patienten in den Blick genommen wird. Zu dem Gesamtspektrum der kommunikativen Handlungen zählt zunächst das direkte Arzt-Patient-Gespräch. Darüber hinaus sind gesundheitsbezogene Online-Angebote Teil der Medienrepertoires von Ärzten und Patienten, zu denen auch ‚traditionelle‘ Medienangebote gehören (z. B. gesundheitsbezogene Print-Zeitschriften oder Fernsehsendungen). Die Potenziale gesundheitsbezogener Online-Angebote entfalten sich entsprechend im Zusammenspiel mit solchen ‚traditionellen‘ Medienangeboten, deren Bedeutung sie mitunter modifizieren, indem sie das medienvermittelte kommunikative Handlungsspektrum weiter ausdifferenzieren. Schließlich ist die Kommunikation mit Personen aus

2007a). Begreift man Mediatisierung als Metaprozess, kann dieser nicht in Gänze erfasst werden, sondern muss für verschiedene Kulturen und historische Phasen untersucht werden, da er sich in Abhängigkeit von diesen Zusammenhängen unterschiedlich und ungleichzeitig entwickelt (vgl. Krotz 2012: 38, 2015: 440).

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Einleitung

dem interpersonalen gesundheitsbezogenen Kommunikationsrepertoire von Ärzten und Patienten relevant für die kommunikative Konstruktion der Arzt-PatientBeziehung. Dazu gehört die Kommunikation der Ärzte mit den Praxismitarbeitern und mit anderen Ärzten ebenso wie die Kommunikation der Patienten mit Personen aus ihrem sozialen Umfeld (beispielsweise mit Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten). Diese, auf dem Kommunikativen Konstruktivismus und dem Mediatisierungsansatz fußende, integrative Perspektive schlägt sich in folgenden forschungsleitenden Prämissen nieder, die in dieser Studie verfolgt werden. Erstens wird der Alltag als Kommunikationskontext von Patienten und Ärzten in den Blick genommen. Zweitens wird die direkte Kommunikation von Arzt und Patient in die Analyse einbezogen. Drittens wird die Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote im Zusammenspiel des gesamten Medienrepertoires von Ärzten und Patienten betrachtet. Viertens wird das interpersonale gesundheitsbezogene Kommunikationsrepertoire berücksichtigt. Am Beispiel der Hausarzt-Patient-Beziehung wird untersucht, wie die Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung prägt. Die Hausarzt-Patient-Beziehung zeichnet sich unter anderem durch ihre langfristige Anlage, ihr großes Maß an Intimität, den besonderen Stellenwert der Kommunikation für das Erreichen von therapeutischen Zielen und eine heterogene Zusammensetzung der Patienten aus (vgl. Braunack-Mayer 2006; Grief 2009; Klein 2009). Zur Erforschung der kommunikativen Konstruktion der Hausarzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt wurden qualitative Erhebungs- und Auswertungsmethoden eingesetzt. Die Datenbasis der Studie wurde im Zuge von jeweils mehrtägigen Feldaufenthalten in fünf allgemeinmedizinischen Praxen generiert. Hier wurden die kommunikativen Vorgänge in 160 Sprechstunden, am Empfang und in den Wartebereichen der Praxen beobachtet und qualitative Interviews mit Ärzten und Patienten geführt. In den insgesamt 56 Patienten-Interviews wurden die Gesprächspartner zur Kommunikation mit ihrem Hausarzt, zu ihrer gesundheitsbezogenen Medienaneignung sowie zu ihrem interpersonalen Kommunikationsrepertoire befragt. Mit den Hausärzten der Praxen wurden diese Themenkomplexe ebenfalls diskutiert.

Einleitung

7

Aufbau der Arbeit Die Studie gliedert sich in neun Kapitel. Im Anschluss an die Einleitung wird im zweiten Kapitel die zugrunde liegende theoretische Perspektive dargelegt. Zum einen werden die Grundannahmen des Kommunikativen Konstruktivismus dargestellt und auf die Arzt-Patient-Beziehung angewendet, indem ein prozessorientiertes kommunikationskonstruktivistisches Modell der Arzt-Patient-Beziehung entwickelt wird. Zum anderen wird das Mediatisierungskonzept eingeführt und vor dem Hintergrund einer sich ausdifferenzierenden gesundheitsbezogenen Medienumgebung argumentiert, dass sich die kommunikative Konstruktion der ArztPatient-Beziehung nicht mehr ohne Medien verstehen lässt. Den Kommunikationspotenzialen, die Online-Angebote im Kontext der ArztPatient-Beziehung entfalten, widmen sich zahlreiche Studien, die im dritten Kapitel betrachtet werden. Die Studien beleuchten aus unterschiedlichen Blickwinkeln die Internetnutzung im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung, wobei sich drei wesentliche Forschungsfelder ausmachen lassen. Zum ersten Forschungsfeld zählen Untersuchungen, in denen die online-basierte Wissensaneignung der Patienten erforscht und der Frage nachgegangen wird, welche Konsequenzen sich aus der Wissensaneignung der Patienten für die Arzt-Patient-Beziehung ergeben. Das zweite Forschungsfeld umfasst Studien, die sich mit der Thematisierung des online erworbenen Wissens der Patienten im direkten Arzt-Patient-Gespräch auseinandersetzen. Zum dritten Forschungsfeld gehören Arbeiten, die sich mit den Möglichkeiten zur medienvermittelten interpersonalen Arzt-Patient-Kommunikation beschäftigen. Kernstück des Kapitels ist eine Bilanzierung der bestehenden Forschungsarbeiten aus Perspektive des Kommunikativen Konstruktivismus, in der Desiderate der bestehenden Forschung identifiziert und Prämissen für die Erforschung der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung abgeleitet werden. Dem methodischen Vorgehen widmet sich das vierte Kapitel. Hier wird beschrieben und begründet, wie die kommunikative Konstruktion der Arzt-PatientBeziehung in dieser Studie qualitativ untersucht wurde. Zunächst wird die Auswahl der untersuchten Hausarztpraxen (und der begleiteten Hausärzte) sowie der beobachteten und befragten Patienten beschrieben. Daran schließt die Präsentation der Datenerhebung an, die – durch eine Kombination aus Beobachtungen und Interviews – als Methodentriangulation angelegt war. Im Anschluss daran

8

Einleitung

wird das Vorgehen der Datenauswertung erläutert, die sich am Kodierverfahren der Grounded Theory orientierte. Abschließend wird erörtert, welche Herausforderungen sich im Zuge des methodischen Vorgehens ergaben. Die Ergebnisse der Studie werden in den Kapiteln fünf bis acht präsentiert. Im fünften Kapitel wird das gesamte Spektrum an beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen dargestellt, das im Zuge der Studie identifiziert werden konnte. Dabei wird verdeutlicht, wie gesundheitsbezogene Medienangebote im Allgemeinen und Online-Angebote im Speziellen die verschiedenen kommunikativen Handlungen prägen können. Darauf aufbauend werden in den Kapiteln sechs und sieben aus der Perspektive der Patienten unterschiedliche Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch und verschiedene Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung unterschieden. Da die Beziehungskonstruktion im direkten Arzt-Patient-Gespräch und die Medienaneignung Teil des situationsübergreifenden Gesamtprozesses der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung sind, werden die unterschiedlichen Kommunikationsstile und die unterschiedlichen Formen der Medienaneignung im achten Kapitel in einer Patiententypologie integriert. Diese Typologie präsentiert insgesamt fünf Grundtypen, die eine jeweils spezifische Beziehungskonstruktion aufweisen. Im neunten Kapitel werden die Ergebnisse der Studie in den wissenschaftlichen Diskurs um die Mediatisierung eingeordnet. Mit Hilfe des Konzepts der handlungsleitenden Themen wird die ungleichförmige mediale Prägung der Beziehungskonstruktion der verschiedenen Patiententypen erklärt, um abschließend Perspektiven für die zukünftige Forschung aufzuzeigen.

2

Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

In diesem Kapitel wird – aus kommunikations- und medienwissenschaftlicher Perspektive – das theoretische Verständnis von der Arzt-Patient-Beziehung dargestellt, das der vorliegenden Studie zugrunde liegt. Wie bereits einleitend betont, stellt der Kommunikative Konstruktivismus das theoretische Fundament der Arbeit dar. Dementsprechend fußen auch die folgenden theoretischen Überlegungen auf dieser Tradition. Der Kommunikative Konstruktivismus schließt an den von Berger und Luckmann (2013) begründeten Sozialkonstruktivismus an und greift dessen spätere Weiterentwicklung durch Luckmann (2006) auf. 6 Die Grundannahmen des Kommunikativen Konstruktivismus wurden sowohl von Soziologen wie Keller (2013), Knoblauch (2013a) und Reichertz (2017), als auch von Kommunikations- und Medienwissenschaftlern wie Couldry und Hepp (2016) formuliert. Der Kommunikative Konstruktivismus definiert Kommunikation als Basisprozess, der gesellschaftliche Wirklichkeit konstruiert (vgl. Keller et al. 2013: 11; Knoblauch 2013a: 297). Wie der Sozialkonstruktivismus steht der Kommunikative Konstruktivismus in der Tradition der Soziologie von Weber (1976), die soziales Handeln als „den Kern des Sozialen“ (Knoblauch 2013b: 27) definiert (vgl. ebd.). Im Verständnis des Kommunikativen Konstruktivimus kann jedes soziale Handeln als kommunikatives Handeln gedeutet werden, wenn die subjektiv sinnhafte Orientierung Handelnder an anderen Handelnden beobachtbar und erfahrbar ist (vgl. ebd.). Der Kommunikationsbegriff, der dem Kommunikativen Konstruktivismus zugrunde liegt, hebt darauf ab, dass durch Kommunikation Identität, Beziehung, Gesellschaft und Wirklichkeit geschaffen werden (vgl. z. B. Keller et al. 2013: 13; Reichertz 2010: 95). 6

Luckmann (2006) selbst fasst die soziale Konstruktion später als ‚kommunikative Konstruktion‘ und konstatiert, dass gesellschaftliche Wirklichkeiten in und durch Kommunikation „konstruiert, erhalten, übermittelt, verändert und gegebenenfalls zerstört“ (ebd.: 20) werden. Luckmann (2006) spitzt damit die These der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit zu – hin zur These der kommunikativen Konstruktion von Wirklichkeit (vgl. Schnettler 2011: 218). Vertiefende Ausführungen zum Verständnis von der kommunikativen Konstruktion von Wirklichkeit bei Luckmann finden sich beispielsweise bei Averbeck-Lietz und Kollegen (2010), Averbeck-Lietz (2015: 195ff.) und Schnettler (2011).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. C. Meinzer, Die Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt, Medien • Kultur • Kommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26007-1_2

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Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

Kommunikatives Handeln ist also vorrangig kein Werkzeug, kein Medium für die Übertragung von Wissen und Bedeutung von einem zum anderen. Kommunikatives Handeln ist das Werkzeug, mit dem Menschen das Wissen und somit auch ihre Wirklichkeit schaffen. (Reichertz 2017: 265)

Der kommunikative Prozess, der aus der subjektiven Welt eines einzelnen Individuums eine intersubjektive Welt – eine gesellschaftliche Wirklichkeit – schafft, wird als Objektivation bezeichnet. 7 Durch Kommunikation werden Gegenständen, Körpern, Handlungen etc. mittels Zeichen gemeinsam geteilte Bedeutungen zugeschrieben (vgl. Berger/Luckmann 2013: 36ff.). In diesem Sinne lässt sich mit Krotz (2007a) davon sprechen, dass Menschen eine symbolische Welt kommunikativ konstruieren (vgl. ebd.: 51ff.): „Menschen leben in einer Welt aus gedeuteten Symbolen, die sie als Gesellschaftswesen in ihren Interaktionen konstruieren“ (ebd.: 56). Im Umkehrschluss handeln Menschen als „Bewohner einer kommunikativ konstruierten symbolischen Welt“ (ebd.: 52) wiederum auf Grundlage derjenigen Bedeutungen, die Objekte bzw. Objektivationen für sie besitzen. Der Begriff der Objektivation besitzt also eine doppelte Bedeutung. Neben dem Prozess der Zuschreibung bezieht er sich auf die unterschiedlichen Bedeutungsträger, die unabhängig von Raum und Zeit existieren (vgl. Knoblauch 2013a: 302f.). Als ein solcher Bedeutungsträger fungiert Sprache – sie ist ein „Speicher angehäufter Erfahrungen und Bedeutungen“ (Berger/Luckmann 2013: 39), der räumliche, zeitliche und gesellschaftliche Grenzen transzendieren kann (vgl. ebd.: 41). Sprache ermöglicht dem Individuum, in einem „einsamen Selbstgespräch eine ganze Welt in einem Nu entstehen“ (ebd.) zu lassen. Sprachliche Objektivationen sind nicht starr, sondern sind in der Lage, sich an neue Erfahrungen anzupassen (vgl. ebd.). Während Berger und Luckmann (2013) stark auf die Sprache als Objektivation fokussieren, betont der Kommunikative Konstruktivismus, dass neben der Sprache auch „materielle Anzeichen, körperliche Verhaltensweisen, Mimik und Gestik“ (Knoblauch 2013b: 29) als Bedeutungsträger – als Objektivationen – fungieren.

7

Alternativ zum Begriff der Objektivation verwenden Berger und Luckmann (2013) den Begriff der „Vergegenständlichung“ (ebd.: 65). Berger und Kellner (1965) sprechen gleichbedeutend von „Objektivierung“ (ebd.: 225).

Arzt-Patient-Beziehung als dynamischer situationsübergreifender Kommunikationsprozess

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Ein Verständnis von der Arzt-Patient-Beziehung, das der beschriebenen Grundposition des Kommunikativen Konstruktivismus entspricht, wird im Folgenden ausgeführt. Zunächst wird gezeigt, dass sich die Arzt-Patient-Beziehung aus kommunikationskonstruktivistischer Sicht als situationsübergreifender und dynamischer Kommunikationsprozess begreifen lässt, der in Situationen der direkten wechselseitigen Kommunikation entsteht und aktualisiert wird. In einem zweiten Schritt wird darauf aufbauend dargelegt, wie die Beziehungspartner in diesem Kommunikationsprozess, insbesondere in Situationen der wechselseitigen Kommunikation, einander kennenlernen und ein Bild voneinander entwickeln. Dabei adressieren und erleben Arzt und Patient einander sowohl als Träger von sozialen Rollen wie auch als Individuen. Daraufhin wird präsentiert, wie innerhalb der Arzt-Patient-Beziehung Verständigung über den gegenwärtigen Gesundheitszustand des Patienten und über eventuelle Behandlungsoptionen erzielt wird. Auf Basis des jeweils spezifischen Wissens, das Arzt und Patient in ihre Begegnungen einbringen, werden Gesundheitszustand und etwaige Behandlung des Patienten kommunikativ ausgehandelt. Darauf aufbauend wird erörtert, dass sich anhand der Beteiligung der Beziehungspartner am Kommunikationsverlauf spezifische Typen der Arzt-Patient-Beziehung unterscheiden lassen. Im abschließenden Teilkapitel werden die Überlegungen auf die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit zugespitzt. Es wird aufgezeigt, dass – vor dem Hintergrund einer sich ausdifferenzierenden Medienumgebung – die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung nicht mehr ohne Medien verstanden werden kann. Dabei wird gezeigt, dass auf Basis der Digitalisierung zahlreiche gesundheitsbezogene OnlineAngebote entstanden sind, die Ärzten und Patienten spezifische Potenziale eröffnen, die ihre beziehungsrelevante Kommunikation prägen können

2.1

Arzt-Patient-Beziehung als dynamischer situationsübergreifender Kommunikationsprozess

In diesem Teilkapitel wird gezeigt, dass sich die Arzt-Patient-Beziehung aus Sicht des Kommunikativen Konstruktivismus als situationsübergreifender und dynamischer Kommunikationsprozess begreifen lässt, innerhalb dessen Arzt und Patient einander kennenlernen und ein gemeinsames auf den Gesundheitszustand des Patienten bezogenes intersubjektives Wissen konstruieren. Dieses Verständnis von

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Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

der Arzt-Patient-Beziehung wird anhand von drei Definitionen sozialer Beziehungen, die das soziale bzw. kommunikative Handeln in den Mittelpunkt stellen, vertiefend erörtert. Ausgangspunkt der Darstellung ist die Definition einer sozialen Beziehung von Weber (1976). An diese Definition schließen sowohl Schütz und Luckmann (2003) als auch Krotz (2004, 2007a) an. Nach Weber (1976) ist das Mindestmaß einer sozialen Beziehung erfüllt, wenn das soziale Handeln mehrerer Akteure wechselseitig aufeinander eingestellt ist: Soziale „Beziehung“ soll ein seinem Sinngehalt nach aufeinander gegenseitig eingestelltes und dadurch orientiertes Sichverhalten mehrerer heißen. Die soziale Beziehung besteht also durchaus und ganz ausschließlich: in der Chance, daß in einer (sinnhaft) angebbaren Art sozial gehandelt wird, einerlei zunächst: worauf diese Chance beruht. (ebd.: 13; Herv. i. O.)

Die Beziehungspartner orientieren ihr Handeln (ganz oder zum Teil) an ausgewählten Einstellungen des Gegenübers, die diesem – aufgrund von vergangenem, gegenwärtigem oder erwartetem sozialen Handeln – unterstellt werden, was „für den Ablauf des Handelns und die Gestaltung der Beziehung Konsequenzen haben kann und meist wird“ (ebd.: 14). Weber argumentiert, dass die Beziehungspartner nicht notwendigerweise „den gleichen Sinngehalt in die soziale Beziehung legen oder sich sinnhaft entsprechend der Einstellung des Gegenpartners innerlich zu ihm einstellen, dass also in diesem Sinn ‚Gegenseitigkeit‘ besteht“ (ebd.: 13; Herv. i. O.). Vielmehr stellt eine „völlig und restlos auf gegenseitiger sinnentsprechender Einstellung ruhende soziale Beziehung“ (ebd.: 14; Herv. i. O.) die Ausnahme dar. Sofern die wechselseitigen Sinnunterstellungen überwiegend übereinstimmen, also die „durchschnittlichen“ (ebd.) Erwartungen einander entsprechen, bezeichnet Weber eine soziale Beziehung als „objektiv beiderseitig“ (ebd.). Wenn keine Übereinstimmung des wechselseitig unterstellten Sinns vorliegt, ordnet Weber diese soziale Beziehung als von beiden Seiten „objektiv einseitig“ (ebd.) ein. Wenn beispielsweise ein Patient mit Ohrenschmerzen von seinem Hausarzt erwartet, dass dieser ihn direkt vor Ort behandelt, der Hausarzt es jedoch vorzieht, den Patienten an einen Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten zu überweisen, dann liegt eine objektiv einseitige soziale Beziehung vor. Eine Arzt-Patient-Beziehung wäre ebenso objektiv einseitig, wenn ein Patient von seinem Hausarzt Erzählungen aus dem Privatleben erwartet, wie er sie von Freunden hört, der Hausarzt sich jedoch

Arzt-Patient-Beziehung als dynamischer situationsübergreifender Kommunikationsprozess

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auf eine professionelle und auf den Gesundheitszustand des Patienten bezogene Kommunikation beschränkt. Weber betont darüber hinaus, dass sich der Sinngehalt einer sozialen Beziehung in deren Verlauf verändern kann (vgl. ebd.). Wie eine solche Wandlung aussehen kann, lässt sich am folgenden Beispiel für die Patientenseite illustrieren. So kann sich etwa die Erwartung eines Patienten seinem Arzt gegenüber aufgrund der Diagnose einer chronischen Erkrankung verändern. Während dieser Patient vor der Diagnose von seinem Arzt ausschließlich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erwartete, ist es ihm nun wichtig, dass der Mediziner sich Zeit für ihn nimmt und ihm hilft, die chronische Erkrankung besser zu verstehen und besser mit ihr umgehen zu können. Webers Definition besagt ferner, dass soziale Beziehungen von unterschiedlicher Dauer sind. Der Fortbestand einer sozialen Beziehung ist daran gebunden, dass „die Chance einer kontinuierlichen Wiederkehr eines sinnentsprechenden (d. h. dafür geltenden und demgemäß erwarteten) Verhaltens besteht“ (ebd.; Herv. i. O.). Hierbei verdeutlicht Weber, dass eine soziale Beziehung nicht nur tatsächliches gegenseitiges soziales Handeln umfasst, sondern dass auch die Möglichkeit (‚Chance‘) zur wechselseitigen Bezugnahme einbezogen ist, was die Beständigkeit einer Beziehung sichert. Dementsprechend endet beispielsweise eine Beziehung zwischen einem Arzt und einem Patienten nicht, nur weil der Patient gegenwärtig keine Beschwerden vorzuweisen hat und es auch schon seit längerer Zeit zu keiner Begegnung zwischen den beiden Beziehungspartnern gekommen ist und in naher Zukunft eventuell nicht kommen wird. Schütz und Luckmann (2003) beziehen sich bei ihren Beschreibungen einer sozialen Beziehung (teils explizit – vgl. beispielsweise ebd.: 113) auf Webers vielzitierte Definition. Auch sie gehen davon aus, dass soziale Beziehungen durch soziales Handeln – das sie als „gesellschaftliches Handeln“ (ebd.: 548) bezeichnen und „dessen Sinn sich vom Entwurf her auf Andere bezieht“ (ebd.) – entstehen und fortbestehen. Schütz und Luckmann betonen die wechselseitige Erwartung der regelmäßigen Wiederkehr wechselseitiger Handlungen als stabilisierendes Charakteristikum einer sozialen Beziehung, das den Fortbestand der Beziehung sichert: Soziale Beziehungen entstehen im gesellschaftlichen Handeln. Ihr Fortbestand beruht auf der wechselseitigen Erwartung der regelmäßigen (je nach Art der Beziehung häufigen oder seltenen) Wiederkehr wechselseitiger Handlungen – und zwar nicht irgendwelcher, sondern bestimmter: auch hinsichtlich ihrer

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Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

Unmittelbarkeit oder Mittelbarkeit bzw. einer Abfolge von Mittelbarkeit oder Unmittelbarkeit bestimmter. Die Form der gesellschaftlichen Handlungen, auf welche Erwartungen hinblicken, bildet daher den Kern sozialer Beziehungen. (ebd.: 583; Herv. i. O.)

Das wechselseitige gesellschaftliche Handeln, das dadurch gekennzeichnet ist, dass der „Entwurf“ (ebd.: 548) auf eine Antwort des Adressaten angelegt ist, unterscheiden Luckmann und Schütz in unmittelbares und mittelbares gesellschaftliches Handeln (vgl. ebd.: 548ff.). Unmittelbares gesellschaftliches Handeln liegt vor, wenn sich die Erwartungen des Handelnden an einen „Mitmenschen“ (ebd.: 103) in Reichweite richten, der vom Handelnden gehört, gesehen, gerochen oder gespürt werden kann. Ein mittelbares gesellschaftliches Handeln hingegen ist dadurch gekennzeichnet, dass die Erwartungen sich an einen „Zeitgenossen“ (ebd.: 110) richten, der für den Handelnden nicht unmittelbar erfahrbar ist. (vgl. ebd.: 548ff.) Der Handlungsentwurf richtet sich an „einen abwesenden Einzelnen“ (Luckmann 1992: 119) – sei es eine konkrete Person oder ein Typus. Beide Handlungsformen bilden die Pole eines Kontinuums, zwischen denen unterschiedliche „Übergangsformen“ (Schütz/Luckmann 2003: 111) existieren. Solcherlei Übergangsformen bewegen sich zwischen der mittelbaren gesellschaftlichen Handlung, die allein auf der „Erinnerung an [die] frühere Gegenwart“ (ebd.: 583) oder auf der „phantasierende[n] Vorwegnahme zukünftiger Begegnungen“ (ebd.) eines Gegenübers beruht, und dem Face-to-Face-Gespräch (vgl. ebd.). Ausgehend vom Faceto-Face-Gespräch als unmittelbarstes gesellschaftliches Handeln nimmt die Unmittelbarkeit bei „einem Telefongespräch zum Briefwechsel, zu Nachrichten, die über Dritte vermittelt werden usw. [ab]“ (ebd.: 111). Ausgehend von der Unterscheidung zwischen mittelbarem und unmittelbarem gesellschaftlichen Handeln differenzieren Schütz und Luckmann Formen sozialer Beziehungen aus, die nach verschiedenen Stufen der Erlebnisnähe, Erlebnistiefe und Anonymität – also der Erfahrbarkeit – gegliedert sind. Als „Wir-Beziehungen“ (ebd.: 101) zu Mitmenschen bezeichnen sie soziale Beziehungen, in denen Partner einander unmittelbar zur gleichen Zeit und am gleichen Ort begegnen und wechselseitig in einer Face-to-Face-Situation sozial handeln. (vgl. ebd.: 101ff.) Beispiele für die Wir-Beziehung im Zusammenhang mit der Arzt-Patient-Beziehung sind sowohl die Begrüßung und ein oberflächliches Gespräch zwischen Medizini-

Arzt-Patient-Beziehung als dynamischer situationsübergreifender Kommunikationsprozess

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schen Fachangestellten und einem bis dato noch unbekannten Patienten am Praxisempfang als auch die vertrauensvolle und intime Beziehung zwischen einem Hausarzt und einem chronisch erkrankten Patienten, die sich schon seit langer Zeit in regelmäßigen Gesprächen verwirklicht. Wir-Beziehungen realisieren sich in einzelnen Interaktionssituationen. Denn obgleich – Schütz und Luckmann zufolge – Menschen dazu tendieren, Handlungsabläufe als „Einheiten in größeren – und andauernden – Sinnzusammenhängen zu verstehen“ (wie beispielsweise die Arzt-Patient-Beziehung), bilden Wir-Beziehungen keinen „ununterbrochenen Ablauf, sondern eine Serie, die von ‚einsamen‘ Erlebnisabläufen und von Wir-Beziehungen verschiedenster Art mit Anderen“ (ebd.: 113; Herv. DCM) unterbrochen ist. Über die unmittelbaren Wir-Beziehungen hinaus unterhält ein Individuum mittelbare soziale Beziehungen zu Zeitgenossen – diese Beziehungen sind nicht durch eine räumliche und zeitliche Unmittelbarkeit gekennzeichnet. Soziale Beziehungen zu Zeitgenossen können einerseits Beziehungen zu Personen sein, mit denen früher eine Wir-Beziehung geführt wurde, die mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit wiederherstellbar ist. An die unmittelbare Erfahrung erinnern sich die Beteiligten in diesen Beziehungen lediglich. (vgl. ebd.: 115) Beispiele hierfür sind die Beziehung zum Hausarzt, dessen Praxis der Patient nach der Sprechstunde verlassen hat oder die Beziehung zu einem ehemaligen Facharzt, zu dem der Kontakt abgebrochen wurde – zum Beispiel, weil der Patient mit der Behandlung nicht zufrieden war, oder weil die Behandlung abgeschlossen ist. Andererseits können Beziehungen zu Zeitgenossen bestehen, die für das Individuum ‚erlangbar‘ sind, wenngleich noch keine Wir-Beziehung existiert hat, die aber potenziell möglich ist (z. B. ein bislang noch weitgehend unbekannter Arzt, den der Patient bald trifft) (vgl. ebd.). Daneben gibt es Beziehungen zu Zeitgenossen, die auf Typisierungen gründen, sogenannte „Ihr-Beziehungen“ (ebd.: 120). Das Individuum orientiert sein Handeln an diesen typisierten Zeitgenossen, wenngleich es nicht zu einer Face-to-Face-Begegnung kommt. (vgl. ebd.: 116ff.) Charakteristisch für soziale Beziehungen zu Zeitgenossen (sei es zu ehemaligen Mitmenschen oder typisierten Zeitgenossen) ist, dass sie „grundsätzlich nur Chancencharakter“ (ebd.: 129) besitzen: In solchen Beziehungen muß ich mich mit der Aussicht auf die Erwartungen begnügen, daß der Zeitgenosse, auf den ich orientiert bin, seinerseits auf mich orientiert ist, und zwar vermittels einer sinnadäquaten komplementären

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Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

Typisierung. […] An die Stelle der wechselseitigen Bestätigung (oder Modifikation oder Wiederlegung) der Erwartungen in der unmittelbaren Erfahrung der Wir-Beziehung treten in sozialen Beziehungen mit Zeitgenossen Bewußtseinsakte (Reflexionen, Vorstellungen) über die Typisierungen, die vermutlich das Verhalten des Partners orientieren. (ebd.: 129f.)

Die Orientierung des Handelnden an typisierten Zeitgenossen und an der Erwartung, dass diese wiederum komplementär auf den Handelnden orientiert sind, lässt sich an folgendem Beispiel veranschaulichen: Ein Patient wählt vor dem ersten Besuch bei einem Arzt die Telefonnummer der Arztpraxis, um einen Termin zu vereinbaren. Er orientiert sein Handeln damit am ‚Typus Arzt‘, dessen ‚typische Handlung‘ – die telefonische Sprechstundenkoordination mit dem ‚Typus Patient‘ – der Patient erwartet. Dieses Beispiel lässt sich ohne weiteres auch auf die Beziehung zu Zeitgenossen übertragen, die ehemalige Mitmenschen sind. So wird ein Patient auch beim zweiten Besuch des Arztes – basierend auf den Erfahrungen und deren Reflexion – ähnlich agieren. Für die Beziehungsdefinition von Schütz und Luckmann ist wesentlich, dass Individuen in Wir-Beziehungen ihren Wissensvorrat aufbauen und weiterentwickeln. Die Autoren konstatieren, dass Beziehungspartner ihren Wissensvorrat bzw. ihre vergangenen Erfahrungen in jede Kommunikationssituation einbringen (vgl. ebd.: 107). Zugleich wird dieser Wissensvorrat der Beziehungspartner im wechselseitigen unmittelbaren Handeln der Wir-Beziehung bestätigt, modifiziert oder erweitert. Die Erfahrungen aus Wir-Beziehungen werden dann wiederum in zukünftige Ihr- oder Wir-Beziehungen getragen und dort gegebenenfalls bestätigt, weiterentwickelt, verworfen etc. (vgl. ebd.). Der Wissensvorrat, den Individuen in die Wir-Beziehung einbringen, auf dessen Basis sie handeln und den sie in der Wir-Beziehung weiterentwickeln, umfasst zum einen Erfahrungen mit „Typisierungen von Menschen“ (ebd.), inklusive ihrer „typisch-menschlichen Motivierungen […] [und] Handlungsmuster“ (ebd.) – wie oben am Beispiel der telefonischen Sprechstundenkoordination beschrieben. Zum anderen umfasst der Wissensvorrat der Beziehungspartner auch die Erfahrung der „einzigartigen Mitmenschen“ (ebd.), die ihnen in der Situation gegenüberstehen, die bereits gesammelt wurden oder im Moment gesammelt werden (vgl. ebd.). Wechselseitiges unmittelbares Handeln ermöglicht nicht nur, in der Wir-Beziehung das jeweilige Gegenüber kennenzulernen, sondern auch, sich selbst zu erfahren: „Ich erfahre mich selbst

Arzt-Patient-Beziehung als dynamischer situationsübergreifender Kommunikationsprozess

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durch den Mitmenschen, und er erfährt sich durch mich“ (ebd.: 108). Neben dem erfahrungsbasierten Wissen, das die Beziehungspartner in der Wir-Beziehung über sich selbst und das Gegenüber (als Individuum und Typus) sammeln, betonen Schütz und Luckmann schließlich, dass durch gemeinschaftliches Handeln und Erleben in Beziehungen Intersubjektivität – also gesellschaftliche Wirklichkeit – entsteht und sich bestätigt. Es ist vor allem das wechselseitige unmittelbare Handeln, die Wir-Beziehung, in der „sich die Intersubjektivität der Lebenswelt überhaupt ausbildet und kontinuierlich bestätigt. Die Lebenswelt ist weder meine private Welt noch deine private Welt, auch nicht die meine und die deine addiert, sondern die Welt unserer gemeinsamen Erfahrungen“ (ebd.: 109; Herv. i. O.). 8 Eine weitere Lesart von Webers Definition nimmt Krotz (2004, 2007a) vor. Ebenso wie Weber (1976: 14) – sowie daran anknüpfend Schütz und Luckmann (2003: 113; 129) – geht Krotz (2004) davon aus, dass neben dem in einem Kontakt realisierten, aufeinander abgestimmten sozialen Handeln auch die alleinige Möglichkeit zur erneuten wechselseitigen sinnhaften Bezugnahme einen integralen Bestandteil von Beziehungen darstellt (vgl. ebd.: 39f.). Denn die Erwartungen, die ein Individuum an einen Beziehungspartner richtet und an denen es sich orientiert, sind nicht nur dann präsent, wenn es zu einem tatsächlichen Kontakt kommt, sondern – durch eine Bezugnahme auf das „innere Bild“ (Krotz 2007a: 204) des Partners – auch außerhalb dieser Situationen (vgl. ebd.). Das Besondere an Beziehungen sind dann nicht so sehr die Kontakte, auf denen sie gründen und in denen sie realisiert werden und deren Häufigkeit, sondern das zeitlich übergreifende von Erwartungen und Orientierungen, das in Kontakten aktualisiert wird. Erwartungen und Orientierungen sind demnach gerade nicht nur in aktuellen gemeinsamen Situationen präsent, sondern vor allem außerhalb davon. (Krotz 2004: 39f.)

Solange der Mensch ein inneres Bild von einer anderen Person besitzt, kann er stets an dieses anknüpfen, „wenn er mit dieser Beziehungsperson oder Gruppe in einem inneren Dialog, also denkend kommuniziert, oder wenn es zu einem tat-

8 Schütz und Luckmann (2003) konstatieren, dass der Mensch es als gegeben hinnimmt, dass in seinem Alltag bzw. seiner alltäglichen Lebenswelt „auch andere Menschen existieren“ (ebd.: 29). Sie führen fort: „So ist meine Lebenswelt von Anfang an nicht meine Privatwelt, sondern intersubjektiv; die Grundstruktur ihrer Wirklichkeit ist uns gemeinsam“ (ebd.).

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Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

sächlichen kommunikativen Kontakt kommt“ (Krotz 2007a: 204). Krotz rückt damit den potenziell situationsübergreifenden Charakter von sozialen Beziehungen in den Fokus, den eine zeitlich überdauernde innere Vorstellung der Beziehungspartner voneinander ermöglicht (vgl. ebd.). Während Weber (1976), aber auch Schütz und Luckmann (2003), wechselseitiges soziales Handeln als Basis für die Entstehung und Aktualisierung von sozialen Beziehungen betrachten, spricht Krotz (2004, 2007a) explizit von „kommunikativ, auf andere bezogenem Handeln“ (Krotz 2004: 33), das Beziehungen schafft. Anknüpfend an die Grundannahmen des Kommunikativen Konstruktivismus ist diese Perspektivverschiebung insofern logisch, da jede (relevante, d. h. bedeutungstragende) soziale Handlung des Gegenübers in sozialen Beziehungen vom jeweiligen Beziehungspartner nur als kommunikative Handlung beobachtet und gedeutet werden kann. Anknüpfend an die aufgeführten Definitionen der sozialen Beziehung wird die Arzt-Patient-Beziehung in dieser Studie als dynamischer situationsübergreifender Kommunikationsprozess begriffen. Sie entsteht, sobald Arzt und Patient wechselseitig aufeinander bezogen symbolisch handeln. Im direkten Arzt-Patient-Gespräch wird die kommunikativ konstruierte Beziehung hergestellt, aktualisiert und modifiziert. Außerhalb der Situationen wechselseitiger Kommunikation können Arzt und Patient denkend miteinander bzw. mit dem inneren Bild von dem Beziehungspartner kommunizieren. Arzt und Patient nehmen einander dabei sowohl als Träger von gesellschaftlich typisierten (also sozialen) Rollen als auch als einzigartige Individuen wahr. 9 Grundsätzlich lassen sich übergeordnete Phasen des Arzt-Patient-Gesprächs verallgemeinern, die wesentliche Aufgaben und Ziele beschreiben (vgl. Meyer/Löwe 2010: 21). Zu den zentralen Gesprächsphasen zählt zunächst die Begrüßung und die Gesprächseröffnung. Darauf folgt die Beschwerdeschilderung bzw. Beschwerdeexploration. Im Anschluss daran erfolgt die Diagnosemitteilung 9

An dieser Stelle soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass Kommunikation nicht nur den Kern der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung darstellt, sondern zugleich – aus medizinischer Sicht – ein zentrales Werkzeug zum Erreichen von therapeutischen Zielen. Die Funktion der Beziehungskonstruktion als Therapeutikum heben zum Beispiel Rogers und Braunack-Mayer (2009: 27) sowie Sturm (1983: 42) hervor. Insbesondere für Hausärzte stellt das Gespräch „das wesentliche diagnostische Instrument […] [dar] – und es ist fraglos auch von entscheidender therapeutischer Bedeutung“ (Bahrs/Köhle 1989a: 104).

Arzt-Patient-Beziehung als dynamischer situationsübergreifender Kommunikationsprozess

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sowie die Therapieentwicklung und Therapieentscheidung. Das Gespräch wird dann durch eine Verabschiedung beendet. (vgl. hierzu Nowak 2010; Silverman et al. 2005: 16ff.; 117ff.; Spranz-Fogasy 2010: 36) Die zentralen Komponenten eines Arzt-Patient-Gesprächs sind nicht nur in der aufgeführten, idealtypischen Reihenfolge vorzufinden. Vielmehr können einzelne Phasen mehrmals durchlaufen werden oder bestimmte Teilaufgaben vorgezogen werden (vgl. ebd.: 36f.). Wenn beispielsweise ein Patient mehrere Anliegen in die Sprechstunde trägt, werden sich die Beschwerdeexploration und die Diagnosemitteilung sowie Therapieentwicklung und Therapieentscheidung mehrmals abwechseln. Die Arzt-Patient-Beziehung überdauert einzelne Kommunikationssituationen, solange die Chance oder die wechselseitige Erwartung der Wiederkehr wechselseitig aufeinander bezogenen Handelns besteht. Die Dynamik der Arzt-Patient-Beziehung lässt sich auch als ein Wandel des Sinngehalts der Beziehungspartner im Laufe der Beziehung bezeichnen. Der Sinngehalt kann sich aufgrund der Erfahrungen und Erlebnisse der Beziehungspartner verändern, die sie in der gemeinsamen Begegnung oder in Beziehungen mit anderen Personen gemacht haben und die ihren Wissensvorrat prägen. Die Entstehung und Modifikation des Wissensvorrats der Beziehungspartner innerhalb der Arzt-Patient-Beziehung und in weiteren Beziehungen ist ein wichtiges Charakteristikum des Verständnisses der Arzt-Patient-Beziehung. Die Beziehungspartner erfahren sich selbst und ihr Gegenüber in der wechselseitigen Kommunikation und erwerben so Wissen über sich wie auch über ihren Mitmenschen und den gesellschaftlichen Typus, den dieser verkörpert. Sie entwickeln in der Arzt-Patient-Beziehung ein gemeinsames Verständnis von dem Gesundheitszustand des Patienten und lernen einander kennen. Arzt und Patient schaffen also eine gemeinsame Wirklichkeit. 10 Die kommunikativen Prozesse des wechselseitigen Kennenlernens und der Konstruktion eines intersubjektiven auf Gesundheit und Krankheit bezogenen Wissens wird im Folgenden ausgeführt.

10 Berger und Kellner (1965) nennen diese gemeinsame Wirklichkeit „Beziehungswelt“ (ebd.). Die Beziehungswelt entsteht durch Kommunikation – durch das Aufzeigen der subjektiven Vorstellungen von Wirklichkeit der Beziehungspartner. Berger und Kellner beziehen sich bei ihren Ausführungen auf eine spezielle Beziehungsform, die Ehe. Dabei greifen sie auf Argumente von Weber (1976), Mead (1973) sowie Schütz (2013) und Merlau-Ponty (2002) zurück (vgl. Berger/Kellner 1965: 220).

20

2.2

Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

Arzt- und Patientenbild als kommunikative Konstruktion

Durch Kommunikation formen Arzt und Patient ein Bild von ihrem Gegenüber. Sie lernen ihren Beziehungspartner kommunikativ kennen: „Wir können nur im Rahmen von Kommunikation […] mit einem anderen feststellen, was seine Identität ist“ (Krotz 2004: 35). In diesem kommunikativen Prozess des Kennenlernens präsentieren und erleben Arzt und Patient einander sowohl als Träger sozialer Rollen wie auch als Individuen – oder, um es mit Schütz und Luckmann (2003) zu formulieren: Sie sprechen einander in ihrer „Einzigartigkeit als Mitmenschen wie auch als […] Typisierungen [an]“ (ebd.: 582). So konstatieren Bahrs und Köhle (1989a): „Arzt und Patient treten einander ja nicht lediglich als Rollenträger, sondern als konkrete Individuen gegenüber: sie bringen zugleich die je konkrete Situation ‚ärztliches Gespräch‘ und sich selbst hervor“ (ebd.: 109). Ebenso halten Begenau und Kollegen (2010) fest, dass „sich Arzt und Patient sowohl als Typen, also als Träger sozial geformter Rollen, gegenübertreten, aber auch als einzigartige Individuen, also als Träger persönlicher Erfahrungen und Befindlichkeiten“ (ebd.: 15). Die Identitäten von Arzt und Patient befinden sich in einem stetigen Balanceakt zwischen persönlicher und sozialer Identität (vgl. Krappmann 2005: 70ff.). Die Unterscheidung zwischen persönlicher und sozialer Identität geht auf Goffman (2014) zurück. Die persönliche Identität umfasst die biografische Einzigartigkeit, die Unverwechselbarkeit des Individuums, „die einzigartige Kombination von Daten der Lebensgeschichte […], [die] das Individuum von allen anderen differenziert“ (ebd.: 74). Die soziale Identität bezeichnet das, was typischerweise einen Arzt bzw. einen Patienten kennzeichnet. Sie setzt sich aus Merkmalen zusammen, die eine Zuordnung zu bestimmten Gruppen und sozialen Rollen ermöglichen, wie die Geschlechts-, Staats- oder die Berufszugehörigkeit (vgl. ebd.: 10ff.). 11 So wird beispielsweise der Arztberuf mit bestimmten Rechten und Pflichten verbunden. Dazu zählen etwa das Recht, gesundheitsbezogene Ratschläge zu erteilen oder die Pflicht, kranken Patienten zu helfen (vgl. z. B. Lörcher 1983: 138). Ebenso

11

Bei Roter und Hall (2006) sowie Ong (1995) finden sich vertiefende Ausführungen zum Einfluss von Merkmalen wie Klassenzugehörigkeit, Geschlecht und Alter auf die Ausgestaltung des Arzt-PatientGesprächs bzw. der Arzt-Patient-Beziehung.

Arzt- und Patientenbild als kommunikative Konstruktion

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sind mit der sozialen Rolle des Patienten typische Erwartungen verknüpft – beispielsweise, dass die betroffenen Personen für einen bestimmen Zeitraum von ihren alltäglichen (vor allem von beruflichen) Verpflichtungen zu befreien sind oder dass sie Therapien befolgen, um an der Genesung mitzuwirken (vgl. Parsons 1958: 16ff.). 12 Ärzte und Patienten orientieren ihre Kommunikation also balancierend einerseits an der persönlichen Identität des Gegenübers und andererseits an der sozialen Rolle bzw. der sozialen Identität. Wird die Arzt-Patient-Beziehung als stetiger Balanceakt zwischen sozialer und persönlicher Identität begriffen, so lässt sich festhalten, dass je nach (institutionsspezifischer) Beziehung und Situation die soziale oder die persönliche Identität in den Vordergrund rückt (vgl. Engelhardt 2010: 127). In der medizinsoziologischen Literatur ist häufig davon die Rede, dass in der Arzt-Patient-Beziehung überwiegend die soziale Rolle bzw. die soziale Identität dominiert (vgl. u. a. Gaska/Frey 1993: 291). Allerdings werden gleichzeitig institutionsbedingte Unterschiede festgemacht. 13 Während etwa die Beziehungen von Klinik-Ärzten und ihren Patienten prototypisch für eine Dominanz der sozialen Beziehungsidentitäten sind, steht bei Hausärzten – auf der anderen Seite des Spektrums – die „spezifische Person“ (ebd.) stärker im Vordergrund (vgl. ebd.). Gemäß Vogd (2013) sind die Beziehungen zwischen Klinik-Ärzten und ihren Patienten dadurch gekennzeichnet, „dass [vonseiten der Ärzten] nur noch in hochgradig stereotypisierter Form auf Patientenspezifika“ (ebd.: 458) eingegangen werde. Die Wahrnehmung der Klinik-Ärzte ist folglich stärker auf die soziale Identität und weniger auf die persönliche Identität gerichtet. „Als Körper und Krankheitsträger bleibt der Patient zwar weiterhin im Zentrum des Geschehens, als Person oder gar im Hinblick auf seine Lebenswelt 12

In der medizinsoziologischen Literatur zur Arzt-Patient-Beziehung wird häufig auf die Beschreibung der sozialen Rollen von Arzt und Patient verwiesen, die Parsons (1958) aus einer strukturfunktionalistischen Perspektive vorgenommen hat. Zumeist werden individuellen Merkmalen, der persönlichen Identität, keine Aufmerksamkeit geschenkt. Eine Reduktion der Betrachtung von Arzt und Patient als Träger von sozialen ‚idealtypischen Merkmalen‘ unterschlägt jedoch, „dass beide [Beziehungspartner] auch ein Bewusstsein haben, beide deutend handeln (wie bei Weber und Schütz) und sich in der Begegnung eine situationsabhängige [Präsentation und Wahrnehmung des Gegenübers] […] etabliert“ (Begenau et al. 2010: 21). 13 Auf die institutionsbedingte Prägung der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung verweist insbesondere Lörcher (1983). Sie betont darüber hinaus die Spielräume, die bei der Ausübung der Rollen bestehen.

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Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

tangiert er das ärztliche Handeln jedoch nur noch peripher“ (ebd.). Im Gegensatz dazu zeichnet sich die Hausarzt-Patient-Beziehung Vogd (ebd.) zufolge dadurch aus, dass im Fokus der wechselseitigen Wahrnehmung die persönliche Identität steht. So betont auch Braunack-Mayer (2006), dass der Hausarzt die Möglichkeit habe, sich ein umfassenderes Bild von seinem Patienten zu machen, unter starkem Einbezug der persönlichen Identität (vgl. ebd.: 359). Bereits die Bezeichnung Hausarzt verweist darauf, dass die ärztliche Wahrnehmung verstärkt auf die persönliche Identität, die Unverwechselbarkeit des Individuums gerichtet ist. Ortmann (1999) hält fest: „Hausärzte sind Ärzte, die das ‚Haus‘ – die Menschen in ihren Lebenssituationen und Alltagsbezügen – kennen und Krankheitssymptome in diesem Kontext […] wahrnehmen, verstehen und behandeln“ (ebd.: 265; Herv. i. O.). Hausärzte lernen die „jeweiligen Lebensbedingungen“ (Bahrs/Köhle 1989a: 103) inklusive der „spezifischen Weltsicht“ (ebd.) ihrer Patienten dadurch kennen, dass sie in der Regel zum einen mehrere Familienmitglieder behandeln und zum anderen im Laufe der Jahre eine Vielzahl an unterschiedlichen Erkrankungen des Patienten miterleben und damit erfahren, wie der Patient „mit sich, seiner Welt und den Krankheiten umgeht“ (ebd.). Der Hausarzt avanciert so im Laufe der Beziehung vom „Allgemeinarzt“ (Bahrs/Köhle 1989b: 1473) zum „Spezialisten seines Patienten“ (ebd.). Die patientenseitige Präsentation der persönlichen Identität unterstützen Allgemeinmediziner dadurch, dass sie – im Zuge der sogenannten sozialen Anamnese – Fragen stellen wie „Leben Sie allein?“ oder „Haben Sie Kinder?“ (vgl. Vogd 2013: 458). Der besondere Stellenwert des Einbezugs des familiären und häuslichen Umfeldes des Patienten in die Behandlung spiegelt sich ferner in den gesetzlich festgeschriebenen Anforderungen an Allgemeinmediziner wider. Im Fünften Sozialgesetzbuch, Paragraph 73, Abschnitt 1 (Kassenärztliche Versorgung), in dem die Handlungsfelder des Hausarztes dargelegt werden, wird darauf verwiesen, dass die hausärztliche Betreuung, was Diagnose und Therapie betrifft, auch immer voraussetzt, dass der Hausarzt das Umfeld des Patienten einzuordnen weiß: „Die hausärztliche Versorgung beinhaltet insbesondere […] die allgemeine und fortgesetzte ärztliche Betreuung eines Patienten in Diagnostik und Therapie bei Kenntnis seines häuslichen und familiären Umfeldes“ (Abs. 1 § 73 SGB V). 14

14

Nähere Ausführungen zu den im Sozialgesetzbuch festgelegten Handlungsfeldern des Hausarztes finden sich zum Beispiel bei Kossow (2006).

Arzt- und Patientenbild als kommunikative Konstruktion

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Nettleton (2006) konstatiert dementsprechend, dass bei den Allgemeinmedizinern eher ein „biographical approach“ (ebd.: 236) als ein „biomedical approach“ (ebd.) greift, der darauf fußt, dass der Arzt seinen Patienten in dessen Gesamtheit wahrnimmt: „The biographical approach asserts the individuality of the patient, the unity of the psyche and soma and the need to get beyond the presenting symptoms to explore the history and circumstances of the patient’s life“ (ebd.; Herv. DCM). 15 Das allumfassende Wahrgenommenwerden des Patienten durch den Arzt, unter Einbezug der persönlichen Identität, stellt für Patienten eine wesentliche Anforderung an ihren Arzt im Allgemeinen und ihren Hausarzt im Speziellen dar. So zeigen empirische Studien, dass Patienten von ihren Ärzten nicht nur fachliche Kompetenz erwarten, sondern gleichermaßen die Fähigkeit zur Einfühlsamkeit und zur persönlichen Zuwendung (vgl. z. B. Krones et al. 2006). Hinzu kommt, dass der Arzt aus der Perspektive der Patienten nicht nur ein ‚medizinischer Experte‘, sondern zugleich ein ‚hilfreicher Mensch‘ ist. Demgemäß halten auch Gaska und Frey (1993) fest: „[Der Patient] sieht in seinem Arzt einen liebenswürdigen, kompetenten und hilfreichen Menschen […], zu dem er volles Vertrauen hat. […] Eine Einstellung, die […] dem Patienten [zeigt, dass] er nicht Fall X ist und einem Rollenträger gegenübersteht, sondern einem Menschen“ (ebd.: 291). Der Hausarzt wird zusätzlich als „Berater der Familie“ (Bergdolt 2006: 23) wahrgenommen. Das Bild, das Arzt und Patient von ihrem Gegenüber – als Typ und als Mitmensch – bereits besitzen, prägt einerseits die Kommunikation der Beziehungspartner und wird andererseits in jeder Kommunikationssituation aktualisiert. Es ist „Bestandteil des Interaktionsprozesses selber […] [und wird] in jedem Interaktionsprozess angesichts anderer Erwartungen und einer ständig veränderten Lebensgeschichte des Individuums neu formuliert“ (Krappmann 2005: 208). 16 Durch 15

Das gegenseitige Kennenlernen, eine holistische Wahrnehmung der Beziehungspartner, setzt die Bereitschaft zur Selbstoffenbarung voraus (die zahlreiche Autoren unter dem Konzept ‚Self-Disclosure‘ fassen) (vgl. z. B. Duck 1990: 20). Selbstoffenbarung umfasst sämtliche Erkenntnisse und Erfahrungen, die ein Individuum seinem Gegenüber kommunikativ preisgibt. Dazu können auch Selbstbilder zählen, also Ansichten über sich selbst. 16 „Mit der zunehmenden Nähe in der Sozialbeziehung tritt die persönliche Identität in den Vordergrund“ (Engelhardt 2010: 127). Die Hausarzt-Patient-Beziehung, bei der die Wahrnehmung beider Beziehungspartner in besonderem Maße auf die persönliche Identität gerichtet ist, wird häufig als „nahe […], intime“ (Gaska/Frey 1993: 291) Beziehung bzw. als „tiefere persönliche Bindung“ (ebd.) klassifiziert.

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Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

Kommunikation formen Arzt und Patient ein (inneres) Bild von ihrem Gegenüber, das sie in gemeinsamen Erlebnissen, gemeinsamen Gesprächen und Reflexionen – im zeitlichen Verlauf der sozialen Beziehung – entwickeln, bestätigen oder modifizieren. In der wechselseitigen Kommunikation erfährt das Individuum mehr über die Verhaltensweisen, Gedanken, Einstellungen, Gefühle, wie auch Weltanschauung etc. des Gegenübers, an denen es dann wiederum das eigene Handeln in dieser Situation und in weiteren Begegnungen ausrichten kann (vgl. Duck 2011: 45). So lernt der Patient im Verlauf der Situation und der weiterführenden Beziehung die Spezifika seines Arztes kennen und erwirbt, stabilisiert oder modifiziert Wissen über sein Gegenüber. Ebenso lernt der Arzt mit der Zeit nicht nur das aktuelle Leiden des Patienten und seine Krankengeschichte kennen, sondern auch seine Lebenssituation, sein familiäres Umfeld, seine Erwartungen etc. (vgl. Ridd et al. 2009: 121). Arzt und Patient kommunizieren auf Basis des Wissensvorrats, den sie mit in die Begegnung bringen. Während die Beziehungspartner zu Beginn einer Beziehung noch kein umfassendes Bild von ihrem Gegenüber haben und daher auf Grundlage von Typisierungen handeln, ermöglicht der kommunikative Kennenlernprozess, nach und nach die Handlungen stärker am konkreten Mitmenschen zu orientieren. Durch Kommunikation erlangen Arzt und Patient ein Bild von ihrem Beziehungspartner, das diejenige Beziehung herstellt, „die den Patienten von ‚seinem Arzt‘ und den Arzt von ‚seinem Patienten‘ sprechen lassen kann“ (Bahrs/Köhle 1989a: 112; Herv. i. O.). 17

2.3

Gesundheit und Krankheit als kommunikative Konstruktion

Mittels Kommunikation in Beziehungen lernen Hausarzt und Patient einander kennen und entwickeln zugleich ein gemeinsames Verständnis von Gesundheit und Krankheit des Patienten. Kommunikatives Handeln ermöglicht, dass Arzt und Patient ihr subjektives Wissen teilen und zu einem intersubjektiven Wissen gelangen. Damit wird der jeweilige Wissensvorrat, den beide Beziehungspartner in das Gespräch einbringen, bestätigt, erweitert oder verworfen (vgl. Berger/Kellner 1965). 17 An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass auch Übermittlungen Dritter zur Beziehungskonstruktion beitragen können (vgl. Lenz 2009: 79).

Gesundheit und Krankheit als kommunikative Konstruktion

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Bahrs und Köhle (1989a) äußern, dass Arzt und Patient im Gespräch ein „Passungsverhältnis“ (ebd.: 112) des Wissens der beiden Beziehungspartner herstellen, das darin resultiert, dass Arzt und Patient sich „über den Charakter der Krankheit einig sind“ (ebd.). Ähnlich fasst Löning (1994) das Arzt-Patient-Gespräch als „kooperativen Handlungsprozess“ (ebd.: 97). Sie erklärt, dass das kommunikative Handeln der Beziehungspartner „in der Institution Arztpraxis“ (ebd.) darauf abzielt, den Gesundheitszustand des Patienten einzuordnen, zu einer Diagnose zu gelangen und entsprechende Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen. Löning weiter folgend dient die Kommunikation dabei einerseits der Koordination des Verständigungsprozesses und ermöglicht andererseits die Objektivierung des subjektiven Wissens der Beziehungspartner (vgl. ebd.). Bevor der gemeinsame, kommunikative Prozess der gesundheitsbezogenen Wissenskonstruktion von Arzt und Patient beleuchtet wird, werden in einem ersten Schritt Krankheit und Gesundheit aus Sicht der beiden Beziehungspartner beschrieben. 2.3.1

Gesundheit und Krankheit aus Sicht von Arzt und Patient

Ausgehend von einem kommunikationskonstruktivistischen Verständnis stellt Wissen die „Gewissheit [dar], dass Phänomene wirklich sind und bestimmte Eigenschaften“ (Berger/Luckmann 2013: 1) vorweisen. Das Wissen zu Gesundheit und Krankheit – und das gilt für beide Beziehungspartner – ist kommunikativ und damit zugleich gesellschaftlich konstruiert und keinesfalls als „Abbild einer gegebenen Wirklichkeit“ (Lachmund 1987: 355) zu verstehen, sondern als „Deutungsmuster, mit denen ‚Krankheit [und Gesundheit]‘ überhaupt erst identifiziert und als Objekt konstituiert“ (ebd.) werden. Gleichermaßen halten Sharf und Vanderford (2003) fest: „[H]ealth and illness are socially constructed; that is, how bodily and psychological states of being are perceived and imbued with social and cultural meaning“ (ebd.: 10). Nach Bahrs und Köhle (1989c) stellt die „typischerweise sprachlich überlieferte Bedeutung der Krankheit“ (ebd.: 45) die gemeinsame Schnittmenge des subjektiven Wissens beider Beziehungspartner dar, da sowohl der Arzt als auch der Patient „als Mitglieder derselben Gesellschaft“ (ebd.) daran

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Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

teilhaben (vgl. ebd.). 18 Die Vorstellungen über Formen von Krankheit und Gesundheit, von konkreten Krankheitsbildern, Ursachen und Umgangsweisen innerhalb einer Gesellschaft und Kultur ähneln einander (vgl. Labisch 1985). Dass der Bedeutungsgehalt einer Krankheit kulturell und sozial spezifisch ist, zeigt Sontag (1978) am Beispiel der Wahrnehmung und des Umgangs mit Krebs in den USA der 1970er Jahre. Dort existierte zu dieser Zeit mitunter die Vorstellung, dass Menschen aufgrund bestimmter Persönlichkeitszüge von Krebs betroffen seien. Auch medizinische Fortschritte können dazu führen, dass bestimmte Krankheiten aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit nahezu verschwinden, wie beispielsweise Typhus oder Pocken (vgl. Schroer/Wilde 2016: 258). Das gesellschaftlich konstruierte Wissen „gibt einerseits der Befindlichkeit des Patienten Sinn und anderseits der Diagnose des Arztes Bedeutung“ (Bahrs/Köhle 1989c: 45). Wenngleich Gesundheit und Krankheit gesellschaftlich konstruiert sind, heißt das nicht, dass Arzt und Patient über den gleichen Wissensvorrat verfügen. Vielmehr partizipieren Arzt und Patient an „jeweils spezifischen Ausschnitten gesellschaftlichen Wissens in Bezug auf Gesundheit und Krankheit“ (Künemund 2006: 173). Bei dem gesundheitsbezogenen Wissen des Arztes, das er in die Begegnung mit seinem Patienten trägt, handelt es sich in erster Linie um Expertenwissen, das mit Berger und Luckmann (2013) auch als „Spezialwissen“ (ebd.: 82) bezeichnet werden kann. Das Spezialwissen, das sich hauptsächlich auf Diagnosen und Behandlungen bezieht, erwirbt der Arzt vor allem im Zuge seiner langjährigen Ausbildung und in seiner Berufspraxis (vgl. Freidson 1979: 10ff., 1988: 244ff.; Roter/Hall 2006: 4). Der Arzt besitzt ein rollenspezifisches Spezialwissen zu Gesundheit und Krankheit – „Wissen, das als Ergebnis der Arbeitsteiligkeit [in der Gesellschaft] entsteht und dessen ,Träger‘ institutionell bestimmt sind“ (Berger/Luckmann 2013: 149). Demgemäß hält auch Lörcher (1983) fest: „Der Arzt verfügt über ein hoch spezialisiertes Wissen im Hinblick auf den [für die Beziehung] relevanten [Wirklichkeits-]Ausschnitt Schmerzen/Beschwerden des Patienten, ein Wissen, das dem Patienten nicht in dieser differenzierten Form zur Verfügung steht“ (ebd.: 17). Neben dem medizinischen Spezialwissen zu Gesundheit und Krankheit bringt jeder Arzt eine „nichtmedizinische Vorstellung von Krankheit (und ebenso von

18 Zur gesellschaftlichen Konstruktion von Gesundheit und Krankheit vom Mittelalter bis zum Beginn der Hochindustrialisierung siehe beispielsweise Labisch (1985).

Gesundheit und Krankheit als kommunikative Konstruktion

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Gesundheit) […] [seine] eigene Geschichte […] [und seine] eigenen Erfahrungen“ (Wollny 2012: 21; Herv. i. O.) in das Gespräch mit dem Patienten. Der Patient ist Experte für sein subjektives Krankheitserleben und seine Bewältigungsstrategien (vgl. Roter/Hall 2006: 4). Sein Wissensvorrat zu Gesundheit und Krankheit ermöglicht dem Patienten, subjektiv wahrgenommene Symptome einzuordnen und zum Ausdruck zu bringen (vgl. Lachmund 1987: 357). Gemäß Lachmund „verfügt der Patient über eine „gewisse Vertrautheit mit medizinischem Wissen“ (ebd.). Lachmund weiter folgend findet ein Transfer einzelner medizinischer „Wissensfragmente“ (ebd.) in die Lebenswelt der Patienten statt (vgl. ebd.). Gleichermaßen postuliert Brünner (2009), dass das Wissen, das Patienten im Hinblick auf eine bestimmte Erkrankung haben, durchaus umfangreich sein kann, wenngleich es „typischerweise selektiv (auf die eigenen Beschwerden und Krankheiten bezogen) und fragmentarisch (nicht vollständig und ohne die interne Vernetzung des Expertenwissens) [ist]“ (ebd.: 173). 19 Das gesundheitsbezogene Wissen des Patienten gründet dabei nicht auf einer medizinischen Aus- oder Fortbildung. Vielmehr stammt es aus der Rezeption von (Massen-)Medien (wie populärmedizinischen Handbüchern, Werbung, gesundheitsbezogenen Online-Angeboten) (vgl. Kardorff 2008: 251; Rossmann 2016: 303ff.; Stollberg 2008: 432f.). Des Weiteren basiert das patientenseitige gesundheitsbezogene Wissen auf den eigenen Erfahrungen in Bezug auf das Kranksein (vgl. Brown 2015: 186), auf früheren Arzt- oder Klinikbesuchen oder auf kommunikativ vermittelten Alltagserfahrungen Anderer. So äußern Wright und Kollegen (2012): „[O]ur perception of reality about health and health situations are shaped by our day-to-day interactions“ (ebd.: 26). Insbesondere Erfahrungen von Familienmitgliedern tragen zur Bildung des Wissensvorrats der Patienten bei (vgl. Lupton 2012: 86). Bis zu diesem Punkt konnte gezeigt werden, dass sich das subjektive Wissen des Arztes und des Patienten unterscheiden. „Beide Verhandlungspartner(innen) bringen nicht nur Wissen verschiedenster Art, sondern jeweils auch individuelle Vorstellungen zum Behandlungsgeschehen, zur Krankheit und zum Kranksein – also subjektiv gemeinten Sinn – in die Interaktionssituation ein“ (Wollny et al. 2008). Dieser Unterschied wird nicht als „competence gap“ (Parsons 1978: 46) zwischen Arzt und Patient gedeutet, einer Deutung, die postuliert, dass der Arzt 19 Es sind vor allem chronische Patienten, die über ein „semiprofessionelles Wissen“ (Löning 1994: 105) verfügen, so Löning (vgl. ebd.).

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Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

seinem Patienten gegenüber einen Wissensvorsprung besitzt – wie sie etwa Parsons attestiert (vgl. ebd.). Neben Parsons spricht auch Spranz-Fogasy (2005) von einem „Wissensgefälle“ (ebd.: 35) und geht davon aus, dass der Patient über „subjektives Wissen“ (ebd.) und der Arzt über „objektives Wissen“ (ebd.) verfügt (vgl. ebd.). Die hierarchische Unterscheidung des Wissens der Beziehungspartner ist für die vorliegende Studie nicht richtungsweisend. Vielmehr besteht die Annahme, dass beide Beziehungspartner ihr subjektives Wissen, das unterschiedliche Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit umfasst, durch Kommunikation in geteiltes Wissen überführen. Das gemeinsame Verständnis von Gesundheit und Krankheit, zu dem Arzt und Patient in der Begegnung gelangen, formt wiederum den subjektiven Wissensvorrat der Beziehungspartner, das Wissen von Gesundheit und Krankheit des Einzelnen, das zukünftig zum Tragen kommt (vgl. Brown 2015: 186). 2.3.2

Kommunikative Konstruktion von intersubjektivem Wissen zu Gesundheit und Krankheit

Kommunikation ermöglicht Arzt und Patient, von einem subjektiven Wissen hin zu einem gemeinsamen – auf Gesundheit und Krankheit des Patienten bezogenen – intersubjektiven Wissen zu gelangen. Die Präsentation und die Wahrnehmung des jeweils subjektiven Wissens zum Gesundheitszustand des Patienten lässt eine ‚Synchronisation‘ der Wissensvorräte zu. Der Wissenstransfer findet also in beide Richtungen statt: Patienten machen Teile ihres exklusiven krankheitsbezogenen Wissens den Ärzten zugänglich (z. B. Schmerzempfindungen, individueller Verlauf der Erkrankung). Ärzte wenden darauf ihr professionelles Wissen zum Zweck der Diagnose und Therapie und vermitteln ausgewählte Teile ihres Expertenwissens – etwa bei der Diagnosemitteilung, Patientenaufklärung oder Therapieanleitung. Dabei wird das Wissen von den Beteiligten transformiert, also bearbeitet und umstrukturiert – Patienten setzen ihr Erlebniswissen z. B. in Beziehung zu früheren Erkrankungen oder bestimmten Situationen; Ärzte beziehen ihr professionelles Wissen z. B. auf Alltagswissen oder bewerten es in seinem praktischen Nutzen. (Brünner 2009: 172; Herv. i. O.)

Gesundheit und Krankheit als kommunikative Konstruktion

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Ein Arzt lernt mehr über den Gesundheitszustand seines Patienten, wenn er „die Welt des Patienten betritt“ (Bensing/Langewitz 2003: 416) und versucht, den Gesundheitszustand aus der Perspektive seines Patienten zu betrachten. „Der Arzt muß nachvollziehen, woran der Patient tatsächlich leidet. Er muß gleichsam die Bedeutung des Leidens nacherfinden, das sein Gegenüber in die Praxis geführt hat“ (Bahrs/Köhle 1989c: 45). Zugleich teilt der Arzt sein eigenes, medizinisches Spezialwissen, indem er dieses „fallbezogen und verstehend in Bezug auf den Patienten“ (Vogd 2013: 458) anwendet. Ein Patient wiederum kann ‚durch die Augen des Arztes‘ therapeutische Erkenntnisse erlangen und sein subjektives Wissen zur eigenen Gesundheit und Krankheit in diesem Zuge erweitern, bestätigen oder modifizieren. Hanses (2012) betont, mit Verweis auf Foucault (1988), dass der „ärztliche Blick“ (Hanses 2012: 39) zur „Ordnung der Dinge“ (ebd.) führt (vgl. ebd.). Je nach Lesart befähigen oder zwingen die Diagnose und die Behandlungshinweise des Arztes den Patienten, sein Wissen (über sich, seinen Körper und seinen Gesundheitszustand) neu zu ordnen, zu bestätigen, zu modifizieren oder auszuweiten. Der ärztliche Blick wird durch medizinisches Fachwissen gelenkt und sieht das, was das medizinische Wissen (die „medizinische Wissensordnung“ (ebd.: 40)) des Arztes den Arzt ‚sehen lässt‘. Hanses argumentiert weiter, dass das Wissen der Medizin „in seiner diskursiven wie praktischen Nutzung immer wieder als hintergründige und wirksame Wissensordnung zu verstehen [ist]“ (ebd.). Durch die Kommunikation mit seinem Hausarzt lernt der Patient also nicht nur seinen Beziehungspartner, sondern auch seinen Gesundheitszustand (neu) kennen und aktualisiert in diesem Zuge sein Selbstbild (vgl. Sharf/Vanderford 2003: 21). 20 Wie das gesundheitsbezogene Wissen des Arztes in den Wissensvorrat des Patienten Eingang findet, hängt davon ab, ob der Patient die ärztlichen Ausführungen zu seinem Gesundheitszustand versteht (vgl. Bahrs/Köhle 1989a: 112). Die 20

Im Sinne von Mead (1973) lässt sich dieser Gedanke noch weiterführen: Durch Kommunikation in Beziehungen lernen Arzt und Patient nicht nur ihr Gegenüber, sondern auch sich selbst (er)kennen. Mead konstatiert, dass sich das (Selbst-)Bewusstsein durch die Kommunikation mit anderen Individuen und durch eine aktive Rollenübernahme (‚taking the role of the other‘) herausbildet. (vgl. ebd.: 113) Abels fasst die Bedeutung der Kommunikation in Meads Überlegungen zur Entstehung des Selbstbildes folgendermaßen zusammen: „Indem wir uns in die Rolle des Anderen hineinversetzen und uns vorstellen, wie er auf uns reagieren wird, betrachten wir uns auch selbst, wie wir reagieren. Wir werden auf uns selbst aufmerksam, ja mehr noch: Wir sehen uns mit den Augen des Anderen, und erst auf diesem Umweg über den Anderen werden wir uns unserer selbst bewusst“ (Abels 2010: 259).

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Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

Verständigung zwischen den Gesprächspartnern impliziert nicht, dass der Arzt dem Patienten umfassende Einsicht in medizinische Theorien vermittelt, „es handelt sich vielmehr um einzelne Wissensfragmente, die isoliert voneinander in den lebensweltlichen Wissensvorrat der Patienten diffundieren“ (Lachmund 1987: 357). Eine Verständigung über die Bedeutung der Situation zwischen Arzt und Patient setzt voraus, dass der Arzt sein Wissen so vermittelt, dass es an das Wissen und damit an bestehende handlungsorientierende Deutungsmuster und Relevanzsysteme des Patienten anschlussfähig ist (vgl. ebd.). Die Deutungsmuster und Relevanzsysteme sind „ja nicht schlichtweg irrational […], sondern [ermöglichen] als objektivierte und sedimentierte Erfahrungen eine den Handlungsproblemen des Alltags adäquate Orientierung“ (ebd.). Zentral für die Verständigung ist des Weiteren, dass Arzt und Patient eine ‚gemeinsame Sprache‘ sprechen. Demgemäß konstatieren Bührig und Meyer (2009): Das […] patientenseitige Wissen über Beschwerden wird mit dem professionellen ärztlichen Wissen über Symptome und Krankheitsbilder in einem wechselseitigen kommunikativen Prozess in Bezug gesetzt. Die Verwendung einer gemeinsamen Sprache ist eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen dieses Prozesses. (ebd.: 189)

Eine Verständigung impliziert beispielsweise, dass der Arzt seinem Patienten Fachbegriffe erläutert. Zur Erklärung können etwa sprachliche Mittel, wie Metaphern oder Vergleiche, eingesetzt werden. Neben der verbalen Kommunikation – also dem, was ‚zur Sprache gebracht wird‘ – trägt auch die para- und nonverbale Kommunikation zur Konstruktion eines gemeinsamen Verständnisses von Gesundheit und Krankheit des Patienten bei. [R]elationships are managed by such things as politeness and ‘face work’ […]. This context includes [nonverbal communication], silent messages of touch, smiles, warm and tender eyes, approval or rejection as well as subtleties of the conversational text itself. […] [nonverbal communication] also regulates interactions, making them smooth and relaxed or awkward and formal. (Duck 2007: 13f.)

Das Lächeln oder ein zustimmendes Nicken des Arztes beim Smalltalk mit dem Patienten, ein schmerzverzogenes Gesicht des Patienten beim Einrenken des Rückens, ein kurzer Aufschrei vor Angst bei einer Diagnose oder die beruhigende Stimme des Arztes bei der Erläuterung der weiteren Behandlung. All diese para-

Gesundheit und Krankheit als kommunikative Konstruktion

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und nonverbalen Ausdrucksformen geben dem gesprochenen Wort Kontext und erweitern die Bedeutung des Gesagten. (vgl. Roter/Hall 2006: 3, 2011: 55) Darüber hinaus liefern auch sogenannte biomedizinische Erkenntnisse – die durch die Analyse von Blutwerten sowie anderen Laborparametern oder durch das Abtasten bzw. Abhören gewonnen werden – wichtige Hinweise zum Gesundheitsstatus des Patienten. Der Bedeutungskontext der biomedizinischen Erkenntnisse wird jedoch wiederum erst durch Kommunikation generiert. So konstatieren Sparks und Villagran (2010): „[B]iomedical science about symptoms of illness are important features of every medical encounter, but awareness and shared meaning about those symptoms only comes into existence through the process of communication“ (ebd.: 8). Auf ähnliche Art und Weise betonen auch Roter und Hall (2011), dass körperliche Untersuchungen durch Bluttests oder Röntgenstrahlung wichtige therapeutische Werkzeuge darstellen (vgl. ebd.: 55). Ihre Wertigkeit erlangen diese Werkzeuge jedoch erst durch Kommunikation, die die Ergebnisse in einen bedeutungsvollen Kontext bringt – und zwar für beide Beziehungspartner, für den Arzt und den Patienten. Die kommunikative Konstruktion einer geteilten, auf den Gesundheitszustand des Patienten bezogenen Vorstellung lässt sich auch als Krankheitsnarration begreifen, an der die beiden Beziehungspartner beteiligt sind. „Like other types of stories, illness narratives are implicitly appealing and comprehensible because they make use of familiar elements with which we have learned to shape our perceptions of the world“ (Sharf/Vanderford 2003: 14f.). Krankheitsnarrationen beinhalten individuelle Einstellungen und Erklärungen des Patienten für den gegenwärtigen Gesundheitszustand. Sie lassen sich nicht nur als „subjektive Krankheitserfahrung“ (Ullrich 2012: 49) des Patienten begreifen (vgl. ebd.: 46ff.). Vielmehr ist – zumindest während der direkten Arzt-Patient-Begegnungen – auch der Arzt an der narrativen Bedeutungskonstruktion beteiligt. So stellen die ärztlichen Fragen einen zentralen Motor der Entwicklung einer Krankheitsnarration im Zuge der Arzt-Patient-Kommunikation dar (vgl. Spranz-Fogasy 2010: 47). Durch die ärztlichen Fragen wird der Patient auf wesentliche Aspekte der „Agenda der Beschwerdeexploration“ (ebd.) hingeleitet, etwa auf die Schilderung der Entstehung oder den Verlauf der Erkrankung. Darüber hinaus trägt der Arzt zur Krankheitsnarration bei, indem er die Schilderungen des Patienten mit einer Diagnose und

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Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

Behandlungshinweisen verbindet, indem er also Erklärungen für den Gesundheitszustand und mögliche Zukunftsperspektiven liefert. 21 Doctors [...] therefore, rather than standing apart from and observing their patients’ lifeworlds, actively contribute to and may transform them through their effort to translate medical knowledge and help patients incorporate this knowledge into their lifeworlds. (Lupton 2012: 87)

2.4

Typen der kommunikativ konstruierten Arzt-PatientBeziehung

Bis zu diesem Punkt wurde gezeigt, dass die Arzt-Patient-Beziehung kommunikativ konstruiert ist. Arzt und Patienten formen im Zuge des situationsübergreifenden Kommunikationsprozesses ein Bild von ihrem Gegenüber, das in Begegnungen aktualisiert wird und erschaffen ein gemeinsames Verständnis von Gesundheit und Krankheit des Patienten. Die kommunikativen Konstruktionsprozesse der Arzt-Patient-Beziehung führen keinesfalls zu gleichartigen Beziehungsformen; vielmehr ist von einer „rich diversity of forms that relationships may take“ (Roter/Hall 2006: xii) auszugehen. Diese reicht von paternalistischen bis hin zu kollaborativen Beziehungen, zwischen denen vielfältige Variationen liegen. Die Varianz der Beziehungsformen wird in der bestehenden Literatur zumeist auf die unterschiedliche Beteiligung der Beziehungspartner in der direkten Kommunikation zurückgeführt. So können sich Arzt und Patient verschiedentlich am Kommunikationsverlauf beteiligen, mithin an der Aushandlung eines gemeinsamen Verständnisses. Roter und Hall (2006) systematisieren die unterschiedlichen beziehungsstiftenden Kommunikationsformen von Ärzten und Patienten bei der Face-to-Face-Begegnung in einer Typologie (vgl. ebd.: 26ff.; siehe Tab. 1). Die Typologie unterscheidet die Arzt-Patient-Beziehung anhand von vier Arten der Einflussnahme von Arzt und Patienten während des persönlichen Face-to-Face-Gespräches.

21

Die Erzählung der Krankengeschichte kann selbst Teil der Behandlung sein: „Narratives […] provide ‚wounded‘ storytellers with a means to reshape their identities, either in functional, enabling ways or, alternatively, with an emphasis on loss, trauma, or impairment“ (Sharf/Vanderford 2003: 21).

Typen der kommunikativ konstruierten Arzt-Patient-Beziehung

Führung durch Arzt

niedrig

hoch

niedrig

Gleichgültigkeit („default“)

Paternalismus („paternalism“)

hoch

Konsumerismus („consumerism“)

Partnerschaft („mutuality“)

Führung durch Patient

Tab. 1:

33

Typologie der Arzt-Patient-Beziehung (eigene Übersetzung nach Roter und Hall (2006: 26))

Die paternalistische Beziehung ist dadurch gekennzeichnet, dass der Arzt die Gesprächsführung übernimmt, während der Patient ihm im Gespräch folgt (vgl. ebd.: 26). Der Arzt stellt Fragen, gibt Gesprächsthemen vor und fällt Behandlungsentscheidungen. Der Patient antwortet auf die Fragen, ansonsten bleibt „the patient’s voice […] largely absent“ (ebd.). Der Mediziner sieht sich zwar in der Pflicht, im Interesse und zum Wohl des Patienten zu handeln, jedoch ohne dessen Präferenzen zu erfragen oder einzubeziehen. Die Aufgabe des Patienten ist es, den Behandlungshinweisen Folge zu leisten. In der paternalistischen Arzt-Patient-Begegnung trifft demzufolge ein dominanter Arzt auf einen unterwürfigen und folgsamen Patienten. Häufig wird diese Beziehungsform als ‚traditionelle‘ Arzt-Patient-Beziehung deklariert (vgl. z. B. Bensing/Langewitz 2003: 26). Diesem Beziehungstyp diametral gegenüber steht die konsumeristische Beziehung, die auf einer Dienstleistungserwartungshaltung der Patienten basiert (vgl. Roter/Hall 2006: 26f.). Die Gesprächsführung ist gekennzeichnet durch ein hohes Engagement und eine große Autorität aufseiten des Patienten sowie gleichzeitig durch geringe Einflussmöglichkeiten des Arztes. Der im Gespräch aktive Patient weiß, was er will, und bekommt die geforderte Gesundheitsleistung vom Arzt geliefert, der in der Rolle eines „technical consultant“ (ebd.: 27) agiert. „This type of relationship redefines the medical encounter as a marketplace transaction“ (ebd.). In der partnerschaftlichen Beziehung kommunizieren Arzt und Patient auf einer egalitären Ebene, besitzen beide große Freiheiten und fällen Entscheidungen in Kooperation (vgl. ebd.: 27ff.).

34

Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

Gemeinsam werden die Gesprächsthemen, Ziele sowie Behandlungs- und Therapieentscheidungen im Gespräch ausgehandelt und von beiden Beziehungspartnern getragen. 22 In der durch Gleichgültigkeit gekennzeichneten Beziehung zeigen sich weder der Arzt noch der Patient engagiert (vgl. ebd.: 37f.). Keiner der Beziehungspartner beteiligt sich am Aushandlungsprozess. „A default situation is characterized by unclear or contested common goals, unclear or neglected patient values, and an uncertain role for the physician“ (Roter/Hall 2011: 123). Mitunter hat dies zur Folge, dass Arzt und Patient den Kontakt abbrechen oder Konflikte entstehen. 23 Die vier vorgestellten Typen der Arzt-Patient-Beziehung sind als Momentaufnahme zu verstehen. Denn – wie bereits ausgeführt – gilt für die kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehung, dass sie stets einer Veränderungsdynamik unterliegt. Zum Beispiel kann eine Veränderung des Gesundheitszustandes des Patienten zu mehr Aktivität im Kommunikationsprozess führen (vgl. Keller 2002: 174).

2.5

Medien und die kommunikativ konstruierte ArztPatient-Beziehung

Wie bis hierhin gezeigt werden konnte, lässt sich die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung als situationsübergreifender und dynamischer Prozess beschreiben, der insbesondere in Situationen der wechselseitigen Kommunikation der Beziehungspartner entsteht und aktualisiert wird. Kommunikatives Handeln stellt den Kern einer jeden Arzt-Patient-Beziehung dar. Durch Kommunikation gelangen Arzt und Patient zu einer geteilten Wirklichkeit. „[R]elationships significantly shape how people come to understand their world, gain a sense of the validity and verifiability of their ideas“ (Carl/Duck 2004). Die Bezie-

22 Diese Beziehungsform wird häufig unter dem Konzept des ‚Shared Decision Making‘ (SDM) verhandelt (vgl. z. B. Scheibler 2004). Unter ‚Shared Decision Making‘ werden nach Scheibler et al. (2003) „alle Entscheidungen, von der Diagnose bis zur Therapie, in gleichberechtigter Zusammenarbeit getroffen. Information und Entscheidung werden also von beiden Parteien geteilt“ (ebd.: 12). 23 Weitere Typologien der Arzt-Patient-Beziehung, mit ähnlichen Ausprägungen, finden sich etwa bei Emanuel und Emanuel (1992) sowie bei duPré (2004: 222ff.).

Medien und die kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehung

35

hungspartner lernen einander – sowohl als Typen wie auch als Individuen – kennen, sie kommunizieren jeweils spezifische Ausschnitte ihres subjektiven Wissens zu Gesundheit und Krankheit und gelangen so zu einem intersubjektiven Verständnis von dem Gesundheitszustand des Patienten. Im Zuge des Metaprozesses der Mediatisierung (vgl. Krotz 2001) und dessen gegenwärtiger Mediatisierungswelle, der Digitalisierung (vgl. Couldry/Hepp 2016: 48ff.), leben Ärzte und Patienten in einer digitalisierten Welt; einer Welt, die durch eine sich ausdifferenzierende und von digitalen Medien transformierte Medienumgebung gekennzeichnet ist. Wie bereits bei den vorherigen Wellen der Mediatisierung – der Mechanisierung und der Elektrifizierung (vgl. ebd.: 40ff.) – entstehen auch im Verlauf der Digitalisierung neue Kommunikationsmöglichkeiten, die vielschichtige Potenziale dafür eröffnen, soziale Beziehungen aufzubauen, bestehende soziale Beziehungen zu pflegen, zu intensivieren oder zu beenden (vgl. Krotz 2007a: 205): E-Mail- und Telefonkommunikation [eröffnen] einen Raum kommunikativer Kontakte zwischen Menschen […], die sich im Prinzip schon kennen – entweder persönlich oder funktional über Dritte. Demgegenüber ermöglicht es das Internet im Falle von Chat und mit anderen Formaten interpersonalen Austauschs, dass Menschen miteinander kommunizieren, die sich schon kennen, aber auch, dass man neue Kommunikationspartner kennen lernt [sic]. […] Die Wirkung interpersonaler [medienvermittelter] Kommunikation liegt [also] in der Entstehung, der Erhaltung und Entwicklung oder dem Ende von Beziehungen. (ebd.)

Durch die Realisierung der Potenziale der digitalisierten Medienumgebung sind „die sozialen Beziehungen der Menschen immer häufiger auch durch Medien vermittelt und mit deren Hilfe gestaltet“ (Krotz 2001: 22). Medien bezeichnen in diesem Sinne „technische Instrumente menschlicher Kommunikation einschließlich aller damit verbundenen Formen von Institutionalisierung und (symbolischen) Handlungspraktiken“ (Hepp/Hartmann 2010: 11). Sie weisen das Potenzial auf, die Kommunikation von Ärzten und Patienten, ihre Prozesse der Sinnstiftung und ihre kommunikative Wirklichkeitskonstruktion zu prägen: „[M]ediatization changes human communication by offering new possibilities of communication, and in using them, people change the way they communicatively construct their world“ (Krotz 2007b: 259).

36

Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

Im Folgenden wird das Konzept der Mediatisierung erläutert, das den Ausgangspunkt der vorliegenden Studie – die beobachtbare Ausdifferenzierung der gesundheitsbezogenen Medienumgebung und den damit einhergehenden Wandel von Kultur und Gesellschaft – konzeptionell greifbar macht. Ausgehend von den Grundannahmen des Mediatisierungsansatzes wird nachgezeichnet, wie sich die gesundheitsbezogene Medienumgebung entwickelt hat und wie sie sich gegenwärtig, im Zuge der Digitalisierung, durch die Entstehung einer Vielzahl neuer gesundheitsbezogener Online-Angebote diversifiziert. 2.5.1

Mediatisierung als Metaprozess

Mediatisierung wird im Folgenden aus einer kommunikationskonstruktivistischen bzw. sozialkonstruktivistischen Perspektive heraus als „Metaprozess sozialen Wandels“ (Krotz 2007a: 38) verstanden. 24 In diesem Sinne ist Mediatisierung mit Krotz (2009) als ein fortwährender und kulturübergreifender Prozess zu definieren, innerhalb dessen mehr und mehr Medien aufkommen, angeeignet und institutionalisiert werden (vgl. ebd.: 24). Einhergehend mit der zeitlichen, räumlichen und sozialen Expansion von Medien (vgl. Krotz 2001: 22) vollzieht sich kommunikatives Handeln und damit auch kommunikative Wirklichkeitskonstruktion verstärkt medienvermittelt und medienbezogen: Mediatization describes the process whereby communication refers to media and uses media so that media in the long run increasingly become relevant for the social construction of everyday life, society, and culture as a whole. (Krotz 2009: 24)

24

Die sozialkonstruktivistische Perspektive wurde maßgeblich durch die Arbeiten von Krotz (2001, 2007a) begründet. Neben der sozialkonstruktivistischen stellt die institutionalistische Perspektive eine weitere Tradition der Mediatisierungsforschung dar (vgl. Couldry/Hepp 2013: 195ff.; Hepp 2013a: 185f., 2013b: IXff., 2015: 168ff.; Hepp et al. 2015: 317). Kennzeichnend für die institutionalistische Perspektive ist, dass Medien – ausgehend von einer (massenmedialen) Medienlogik – „als mehr oder weniger eigenständige gesellschaftliche Institutionen mit eigenen Regelwerken“ (Hepp 2015: 168) gelten. Prominenter Vertreter dieser Perspektive ist z. B. Hjarvard (2008, 2013). „The differences between the two traditions is how they define […] media specificity – either as an institutionalized ‚media logic‘ or more openly as a highly contextual moment of ‚altering‘ communication“ (Hepp/Hasebrink 2014: 250).

Medien und die kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehung

37

Im Zuge der Mediatisierung differenziert sich die Basisform der Kommunikation, die Face-to-Face-Kommunikation, in unterschiedliche Formen der Medienkommunikation aus (vgl. Krotz 2007a: 85ff.). Entsprechend dem jeweiligen „kommunikativen Gegenüber […]“ (ebd.: 90) lassen sich drei Formen von Medienkommunikation unterscheiden: wechselseitige Medienkommunikation (medienvermittelte interpersonale Kommunikation), produzierte Medienkommunikation (Massenkommunikation – also Kommunikation mit standardisierten, allgemein adressierten Kommunikaten) und die virtualisierte Medienkommunikation (Kommunikation mit interaktiven Systemen, die keine Menschen sind) (vgl. Hepp 2013b: 59). 25 Hepp konstatiert, dass zum einen die „bloße Zahl der uns verfügbaren technischen Kommunikationsmedien zugenommen hat, wie auch die verschiedenen Aneignungsweisen dieser Medien“ (2010: 67). Er bezeichnet dies als „[q]uantitative Aspekte der Mediatisierung“ (ebd.). Daneben beinhaltet Mediatisierung zum anderen auch qualitative Aspekte, die sich nach Hepp mit dem Konzept der „Prägkräfte der Medien“ (ebd.: 68) genauer spezifizieren lassen. Hepp folgend üben Medien „einen gewissen ‚Druck‘ auf die Art und Weise aus, in der wir kommunizieren“ (ebd.). Das Konzept der ‚Prägkräfte der Medien‘ hält also an der Überlegung fest, dass es bestimmte Spezifitäten von unterschiedlichen Medien gibt und dass wir diese fokussieren müssen, wenn wir uns mit Fragen des Wandels beschäftigen. Diese Spezifik wird jedoch in menschlicher Praxis bzw. in menschlichem Handeln produziert, ist deshalb in hohem Maße kontextuell und verweist nicht auf eine einzelne Logik der Medien. (ebd.: 69)

Das Konzept der Prägkräfte der Medien verweist folglich darauf, dass Medien keine kontextfreien, direkten Wirkungen ausüben. Durch ihre jeweiligen Spezifika eröffnen Medien stets ein bestimmtes Handlungspotenzial, das je nach Kontext sowie Aneignungsweise divergiert und als Prägkraft von Medien charakterisiert werden kann. (vgl. Hepp 2013b: 50) „Es geht darum, Medien nicht als ‚transparente‘ oder ‚neutrale‘ Instanzen von Kommunikation zu erfassen, sondern als institutionalisierte und verdinglichte ‚Objekte‘, die den Kommunikationsprozess beeinflussende Momente haben“ (ebd.: 52).

25 Hepp (2013b: 64) kombiniert in seiner Systematisierung die Typologien von Krotz (2007a: 90) und Thompson (1995: 82ff.).

38

Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

Nach diesem Verständnis von Mediatisierung stehen die Menschen und das Gesamt ihrer (medienvermittelten) kommunikativen Handlungen im Fokus. In ihrem kommunikativen Handeln (Mikroebene) gründen der Wandel von Organisationen und Institutionen (Mesoebene) sowie von Kultur und Gesellschaft (Makroebene) (vgl. Krotz 2007a: 38). Anders als in der institutionalistischen Mediatisierungsperspektive, die von einer Medienlogik ausgeht, die zu einem gesellschaftlichen Wandel führt, wird Mediatisierung in der sozialkonstruktivistischen Perspektive als „Metaprozess sozialen Wandels“ (ebd.; Herv. DCM) konzipiert, da Aneignungsprozesse von Medien und kommunikatives Handeln weder außerhalb von Kultur und Gesellschaft stattfinden, noch in einer solchen Weise gedacht werden können (vgl. Krotz 2007b: 259). Gesellschaftlicher Wandel und Medienwandel werden dementsprechend als interdependent und untrennbar voneinander begriffen (vgl. Hepp 2013b: VI): „We cannot theorize media and communications as ‘external’ influences on culture and society, for the simple reason that they are an integral part of it“ (Couldry/Hepp 2016: 35). Mediatisierung ist kein linearer Prozess. Sie ist vielmehr durch einzelne „Entwicklungsschübe“, „Sprünge“ (Hepp 2013b: 49; Krotz 2007a: 44, 2015: 440) oder „Wellen“ (Couldry/Hepp 2016: 38ff.) gekennzeichnet. Als beispielhafte Mediatisierungsschübe führt Krotz (2007a) die Etablierung des Buchs, der Tageszeitung, des Radios sowie als gegenwärtigen Mediatisierungsschub die digitale Vernetzung durch PC und Internet an, die auf verschiedene Weise die Kommunikation der Menschen als „Basis sozialer und kultureller Wirklichkeit“ (ebd.: 44) verändert haben und verändern. In ihrer jüngsten Arbeit präzisieren Couldry und Hepp (2016) den nicht linearen Entwicklungsprozess von Mediatisierung. Sie nehmen dabei eine klare Unterscheidung von medientechnologischen Innovationen auf der einen und dahinterliegenden fundamentalen technologischen Veränderungen auf der anderen Seite vor. Im Verlauf der Geschichte der letzten rund 600 Jahre machen Couldry und Hepp drei Mediatisierungswellen aus, die durch spezifische technologische Infrastrukturen gekennzeichnet sind. Die Autoren markieren die Wellen der Mechanisierung, der Elektrifizierung und der Digitalisierung. Auf Basis dieser zugrundeliegenden kommunikativen Infrastrukturen entwickeln sich jeweils neue medientechnologische Innovationen und darauf bezogene Kommunikationsformen im Kontext bestehender Medientechnologien. Die Etablierung

Medien und die kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehung

39

neuer Medientechnologien führt dazu, dass auch die bestehenden Kommunikationsformen und die Bedeutungen ‚alter‘ Medien sich wandeln und weiterentwickeln. (vgl. ebd.: 34ff.) Andererseits bedingen (‚mediate‘) bereits existierende medienbezogene und nichtmediatisierte Praktiken die Aneignung neuer Medien in alltägliche Handlungsvollzüge (vgl. Livingstone/Bovill 1999). 26 Sozialer Wandel ist insofern nicht durch einzelne Medien charakterisierbar, sondern nur über den sich verändernden Gesamtzusammenhang zwischen Medien und der darauf bezogenen Kommunikationsformen (vgl. Krotz 2007a: 286ff.). Der Gesamtzusammenhang von Medien lässt sich als Medienumgebung bezeichnen (vgl. Couldry/Hepp 2016: 39; Krotz 2012: 48). 27 Sie definiert die „Kommunikationspotenziale“ (Krotz 2007a: 43), die dem Einzelnen zur Verfügung stehen (vgl. ebd.). Wir leben in Medienumgebungen, die aus zum Teil funktional neuen, entgrenzten alten, vermischten und einander überlagernden, separiert spezifischen und doch integrierten kommunikativen Potenzialen bestehen, die mit unterschiedlichen Strategien an den Alltag der Menschen angeschlossen sind und oft Orientierungsleistungen quasi von der Stange erbringen. (ebd.: 112)

Im Prozess der Mediatisierung findet in unterschiedlichen Wellen eine Ausdifferenzierung der Medienumgebung statt – sie wird „vielfältiger, komplexer und zugleich spezialisierter“ (ebd.: 43).

26 Livingstone und Bovill (1999) betonen, dass der Fokus auf den Wandel nicht überbetont werden sollte. Technologischer Wandel sei nicht ungewöhnlich, das Alltagsleben weise aber neben Veränderungen auch langfristige Stabilitäten auf. 27 Der Begriff der Medienumgebung lehnt sich an Schütz’ Konzept der Umgebung an. Schütz definiert diese als denjenigen Teil der externen Welt, dessen physische, soziale und kulturelle Objekte für Handelnde im Handlungsvollzug direkt wahrnehmbar sind und auf den sich Handelnde (in Situationen der Ko-Präsenz) beziehen können (vgl. Schütz 1967: 171f.). Das Konzept der Medienumgebung verweist darauf, dass Medien nicht mehr räumlich, zeitlich und sozial voneinander abgegrenzte Sinnprovinzen darstellen, die isoliert betrachtet werden können. Vielmehr bilden (alte und neue) Medien einen miteinander und mit dem Alltagsleben der Menschen verschränkten Hinter- oder Vordergrund kommunikativen Handelns. Veränderte Medienumgebungen erweitern alltägliche Handlungsoptionen und sind in der Lage, alltägliche kommunikative Handlungen zu transformieren. (vgl. Krotz 2010: 108)

40

2.5.2

Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

Digitalisierung der gesundheitsbezogenen Medienumgebung

Bereits im Zuge der ersten beiden Mediatisierungswellen, der Mechanisierung und der Elektrifizierung (vgl. Couldry/Hepp 2016), wurde das direkte Gespräch über Gesundheit und Krankheit um medienvermittelte Kommunikationsformen erweitert. Die Face-to-Face-Kommunikation von Patienten und Ärzten sowie von Ärzten oder Patienten untereinander wurde etwa in interpersonaler Hinsicht ergänzt durch Telegraf und Telefon (vgl. Spielberg 1998: 1353f.). Gleichermaßen war der Austausch von gesundheitsbezogenen Informationen im Zuge der Mediatisierung nicht mehr auf das persönliche Gespräch begrenzt. Gesundheitsthemen wurden auch in den ‚traditionellen‘ Massenmedien intensiv behandelt – sei es in Form von journalistischer Berichterstattung, Unterhaltungsangeboten, Werbung oder Gesundheitskampagnen (vgl. Walsh-Childers/Treise 1998). Neben Publikumsmedien hielten Fachmedien – im persönlichen Besitzstand der Ärzte oder in Bibliotheken – medizinisches Fachwissen für Ärzte bereit (vgl. Barbieri 2012: 597). Diese Beispiele verweisen auf die räumliche, zeitliche und soziale Entgrenzung gesundheitsbezogener Kommunikation, die vor dem Hintergrund der Digitalisierung weiter voranschreitet. Eine Vielzahl neuer gesundheitsspezifischer Websites und Apps ist auf Basis der aktuellen Mediatisierungswelle – der Digitalisierung – entwickelt worden (vgl. Baumann/Czerwinski 2015: 58; Rossmann 2010: 356; Rossmann/Karnowski 2014: 272f.; Trepte et al. 2005: 486). Die digitalisierte gesundheitsbezogene Medienumgebung eröffnet Kommunikationspotenziale, die bereits existierende Kommunikationsformen ausdifferenzieren und neue Kommunikationsformen hervorbringen. Auf welche Angebotstypen sich die Ausdifferenzierung der gesundheitsbezogenen Kommunikation stützt, wird im Folgenden erläutert und in Abbildung 1 visualisiert. 28 In der Abbildung werden ausgehend von der direkten Kommunikation gesundheitsbezogene Medienangebote (die je spezifische Potenziale eröffnen) entlang der Grundtypen der Kommunikation auf der XAchse und entlang der Mediatisierungswellen auf der Y-Achse systematisiert. 29 28

In der Forschungsliteratur finden sich zahlreiche Systematisierungen von gesundheitsbezogenen Online-Angeboten, die allerdings darauf verzichten, nicht internetbasierte Angebote einzubeziehen. Einen Überblick über diese Klassifikationen liefert z. B. Rossmann (2010: 342f.). 29 Die Systematisierung und ihre Visualisierung basieren im Wesentlichen auf Meier (2014). Die Abbildung zielt nicht auf eine vollständige Darstellung der existierenden gesundheitsbezogenen Medienangebote ab; vielmehr sind zentrale Angebotstypen durch paradigmatische Beispiele illustriert.

Medien und die kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehung

Abb. 1:

41

Systematisierung gesundheitsbezogener Medienangebote und darauf aufbauende Kommunikationsformen (eigene Darstellung nach Meier (2014))

42

Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

Die Angebote zur gesundheitsbezogenen wechselseitigen Medienkommunikation, die auf digitalen Infrastrukturen aufbauen, sind vielfältig und erweitern das Kommunikationspotenzial des direkten Gesprächs und bestehender Medienangebote. Online-Angebote wie Chat- oder Instant-Messaging-Dienste ermöglichen eine synchrone text- und bildbasierte Kommunikation. Daneben existieren Angebote (wie beispielsweise die E-Mail), die Formen asynchroner Kommunikation möglich machen. Hinzu kommen thematisch auf Gesundheit spezialisierte Websites, die Zwecken der wechselseitigen Medienkommunikation dienen. Hierzu zählt zum Beispiel ‚Was hab’ ich?‘, eine von Medizin- und Informatikstudierenden konzipierte und betriebene Plattform. Patienten können hier ärztliche Diagnosen einschicken. Die medizinische Fachsprache der ärztlichen Befunde wird bei ‚Was hab’ ich?‘ von Medizinstudenten in ein verständliches Deutsch übersetzt. Als weitere Anwendung, die auf interpersonalen Austausch angelegt ist, kann die Website ‚NetDoktor‘ (vergleichbar: ‚Medicine-Worldwide‘) angeführt werden. Sie ermöglicht eine (kostenpflichtige) individuelle medizinische Beratung von Patienten. Plattformen wie ‚patientus‘ stellen Ärzten und ihren Patienten eine technische Infrastruktur zur Verfügung, über die eine Online-Sprechstunde in Form eines Video-Telefonats durchgeführt werden kann. Darüber hinaus differenzieren sich die Formen produzierter Medienkommunikation im Zuge der Digitalisierung weiter aus. Ärzten und Patienten steht im Internet eine breite Palette an Informations- und Unterhaltungsformaten auf einer Vielzahl von Plattformen zur Verfügung. So besitzen viele Medienanbieter, die bereits über ‚traditionelle‘ Massenmedien gesundheitsbezogene Inhalte publizieren, auch eigene Internetpräsenzen, über die sie ihren Content verbreiten. Gesundheitsmagazine wie die ‚Apotheken-Umschau‘ verfügen über eigene Webauftritte, die Websites vieler Zeitungs- und Zeitschriftenmarken bieten umfangreiche Gesundheitsrubriken. Gleichermaßen finden sich auf den Webangeboten von Rundfunkanstalten gesundheitsbezogene Inhalte. Auch Krankenkassen haben ihre Informationsangebote ins Netz ausgebaut. Die meisten gesundheitsbezogenen Online-Angebote etablierter Medienproduzenten bieten im Internet nicht nur eine orts- und zeitsouveräne Möglichkeit dafür, die textbasierten oder audiovisuellen Inhalte ihrer analogen Medienprodukte zu rezipieren, sondern passen ihre Inhalte und Darstellungsformen für das Netz an und erweitern sie. So bietet die ‚Apothe-

Medien und die kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehung

43

ken Umschau‘ auf ihrer Website beispielsweise einen umfangreichen enzyklopädischen Krankheitsratgeber. Das NDR-Gesundheitsmagazin ‚Visite‘ stellt nicht nur die Videos der Fernsehsendung im Netz zur Verfügung, sondern veröffentlicht zusätzlich weitere ausführliche Informationen zu einem breiten Spektrum an Gesundheitsthemen. Die digitalen Plattformen von Medienproduzenten ergänzend, die auch über analoge Medien gesundheitsbezogene Inhalte verbreiten, existieren eine Reihe von Plattformen mit Gesundheitsbezug ohne ‚analoges Pendant‘, seien es etwa Nachschlagewerke wie die Online-Enzyklopädie ‚Wikipedia‘, spezialisierte Informations-Websites für bestimmte Krankheiten oder Datenbanken mit Fachinformationen für Mediziner. Ferner können auch auf Video-on-Demand-Plattformen wie ‚YouTube‘ oder ‚Netflix‘ Inhalte mit Gesundheitsbezug rezipiert werden. Beispielsweise können auf ‚Netflix‘ zahlreiche Staffeln fiktionaler Ärzte- und Krankenhausserien angesehen werden, die ursprünglich für lineare Fernsehprogramme produziert wurden (wie z. B. ‚Dr. House‘ oder ‚Grey’s Anatomy‘). Darüber hinaus finden sich etwa bei ‚YouTube‘ Inhalte, die ausschließlich für das Web produziert werden. Exemplarisch hierfür können die Videos des ‚YouTube‘-Kanals von Dr. Johannes Wimmer genannt werden. Dieser erklärt in kurzen Clips medizinische Sachverhalte (oder wie er es selbst nennt: „die hottesten Sachen“) so, „dass sie von jedem verstanden werden“ können. Neben den digitalen Plattformen und Diensten, die eindeutig der wechselseitigen oder der produzierten Medienkommunikation zugeordnet werden können, existieren verschiedene Angebote, die beide Formen der Medienkommunikation vereinen. So kann beispielsweise ‚Facebook‘ von Ärzten dazu genutzt werden, über eine eigene Fanseite oder das persönliche Profil Informationen allgemein zu adressieren. Ebenso bietet die Plattform die technischen Funktionalitäten für eine interpersonale Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Auch herkömmliche Websites von Kliniken und Ärzten sowie Arztbewertungsportale 30 (z. B. ‚Jameda‘)

30

Mittlerweile existiert eine Vielzahl von Arztbewertungsportalen wie beispielsweise der Marktführer ‚Jameda‘, ‚Arzt-Auskunft‘, ‚DocInsider‘ und ‚Weisse Liste‘. Hinter den Arztbewertungsportalen stehen sowohl private Anbieter (‚Jameda‘) als auch gesetzliche Krankenkassen (die ‚Weisse Liste‘ wurde in Kooperation der AOK/Barmer-GEK und der Bertelsmann Stiftung ins Leben gerufen) oder Stiftungen (wie die Stiftung Gesundheit, die das Portal ‚Arzt-Auskunft‘ initiiert hat) (vgl. Strech/Reimann 2012: 62). Mittels Arztbewertungsportalen können Patienten ihre Ärzte zumeist in quantitativer Form und

44

Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

bieten neben allgemein adressierten Informationen häufig die Möglichkeit zur wechselseitigen medienvermittelten Kommunikation zwischen Patient und Arzt. 31 Auch die zahlreichen Gesundheitsforen können entweder der ‚passiven‘ Rezeption dienen, indem bereits verfasste Erfahrungsberichte und weitere Beiträge gelesen werden, oder aber dem aktiven Austausch mit anderen Patienten oder zwischen Patienten und Medizinern. Komplementiert wird die im Zuge der Digitalisierung ausdifferenzierte Medienumgebung um Anwendungen, die eine virtualisierte Medienkommunikation mit interaktiven Systemen ermöglichen. Als Beispiele hierfür lassen sich Programme nennen, die eine Selbstdiagnostik ermöglichen. An die Stelle des Arztes tritt in der direkten Kommunikation mit dem Patienten das interaktive System. Beispielhaft hierfür sind Health-Tracking-Apps wie ‚iHealth Log‘, ‚iHeadache‘ und das Patiententagebuch ‚Wie geht’s‘ (für Depressionspatienten). Ebenso zählen Computerspiele, die z. B. in der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten eingesetzt werden, oder Apps, die Gamification-Elemente beinhalten (wie z. B. ‚MySugr‘), zu diesem Typ. 32 Bei der Betrachtung der gesundheitsbezogenen Medienumgebung zeigt sich, dass – basierend auf digital vernetzten Infrastrukturen – Dienste, Plattformen und

durch Punktevergabe nach vorgegebenen Kriterien bewerten. Aus allen abgegebenen Bewertungen resultiert dann für jeden bewerteten Arzt eine durchschnittliche Gesamtnote. Zum Teil haben die Nutzer zusätzlich die Möglichkeit, ihre Bewertung in qualitativer Form durch freie Kommentare abzugeben (vgl. Emmert et al. 2009). Für Patienten weisen Arztbewertungsportale zwei zentrale Funktionalitäten auf: Sie bieten dem Patienten „ein möglichst vollständiges und aktuelles Verzeichnis für die Suche nach einem Arzt oder einer Ärztin […]. Und sie ermöglichen den Nutzern dieser Portale, Bewertungen der Ärzte und anderer Gesundheitsdienstleister vorzunehmen“ (Kofahl et al. 2009: 40). Die Erfahrungen und die Zufriedenheit mit individuellen Ärzten wird so transparent und zahlreichen Patienten zugänglich (vgl. Borchers/Krömer 2015: 155). Für Ärzte bergen Arztbewertungsportale die Möglichkeit, sich selbst zu präsentieren und „über die Empfehlungen und Bewertungen der eigenen Patienten ein positives Image zu entwickeln sowie weitere Patienten zu rekrutieren“ (Kofahl/Horak 2010: 112). Zugleich bietet das anonyme Feedback die Chance, Abläufe in der Praxis oder andere Aspekte zu optimieren und tragen damit zum Qualitätsmanagement der Praxis bei (vgl. ebd.: 115f.). 31 Damit die Angebote diesem Typus entsprechen, muss die Möglichkeit jedoch auch reziprok wahrgenommen werden. Das heißt: ein Dialog zwischen Arzt und Patient kommt erst dann zustande, wenn Ärzte auf die unterschiedlichen Anfragen reagieren. 32 Zum Konzept der Gamification vgl. z. B. Deterding et al. (2011).

Medien und die kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehung

45

Inhalte mit neuen Funktionen entwickelt wurden und werden, die Ärzten und Patienten zusätzliche Kommunikationspotenziale bieten. Die Video-Telefonie zwischen Arzt und Patient oder die zeit- und ortssouveräne Recherche und Rezeption von situationsspezifisch relevanten Gesundheitsinformationen über mobile Endgeräte sind Beispiele für neue Funktionen, die Online-Angebote bieten. Daneben zeigt sich auch, dass gesundheitsbezogene Online-Angebote nicht nur gänzlich neue Funktionen bereitstellen, sondern sie überlagern sich auch mit ‚traditionellen‘ Medienangeboten. So lassen sich die Texte von Gesundheitsmagazinen auf entsprechenden Websites lesen, Filmbeiträge aus Fernsehsendungen mit Gesundheitsbezug lassen sich in Mediatheken oder auf Video-Plattformen ansehen. 33 Schließlich wird deutlich, dass Online-Angebote zwar ähnliche Funktionen wie bereits bestehende Medien in modifizierter Form anbieten, jedoch die herkömmlichen Medien wie das Telefon oder die Gesundheitszeitschrift nicht verdrängen. Die gesundheitsbezogene Medienumgebung umfasst das Gesamt an Medien und damit an Kommunikationspotenzialen für Ärzte und Patienten. Die alleinige Verfügbarkeit von gesundheitsbezogenen Medienangeboten prägt die Kommunikation jedoch nicht per se. Dies geschieht erst durch die Aneignung für bestimmte Zwecke in spezifischen Situationen. Vor dem Hintergrund einer sich ausdifferenzierenden gesundheitsbezogenen Medienumgebung stellt sich die Frage, wie die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung durch die Aneignung von gesundheitsbezogenen Medienangeboten geprägt wird, die im Zuge der gegenwärtigen Mediatisierungswelle der Digitalisierung entstanden sind und institutionalisiert wurden. Dieser Fragestellung wird in vorliegender Studie nachgegangen. Zuvor wird im folgenden Kapitel gezeigt, welche Befunde die Forschung bislang zu der Frage liefert, wie sich die Potenziale der digitalisierten Medienumgebung in der Kommunikation von Ärzten und Patienten realisieren. So legen die diskutierten Forschungsarbeiten nahe, dass im Zuge der aktuellen Mediatisierungswelle gesundheitsbezogene Online-Angebote Patienten neue Zugangsmöglichkeiten zu gesundheitsbezogenem Wissen eröffnen und dass das Wissen, das die Patienten medial erwerben, in die Kommunikation mit dem Hausarzt eingebracht wird. 33

So konstatiert Krotz (2007a), dass „die digitalen Medien aufgrund ihrer Verbundenheit mit der Universalmaschine Computer und ihrer Vernetzung alle anderen Medien simulieren können [und dass durch] […] die digitale Repräsentation von Daten […] neue medial vermittele [sic] Formen von Kommunikation entstehen, die von den Menschen zunehmend auch genutzt werden“ (ebd.: 88).

46

Die Arzt-Patient-Beziehung als kommunikative Konstruktion

Darüber hinaus eröffnen gesundheitsbezogene Online-Angebote den Beziehungspartnern die Möglichkeit zur medienvermittelten interpersonalen Kommunikation. Sie helfen Ärzten und Patienten dabei, außerhalb der direkten Begegnung wechselseitig miteinander zu kommunizieren. Aufbauend auf den bisher dargestellten theoretischen Grundlagen und den Forschungsbefunden wird konzeptualisiert, wie die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt in der vorliegenden Studie untersucht wird.

3

Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

Im vorausgegangenen Kapitel wurde argumentiert, dass die Arzt-Patient-Beziehung auf Kommunikation basiert und als kommunikative Konstruktion verstanden werden kann. Vor dem Hintergrund der sich ausdifferenzierenden Medienumgebung findet Kommunikation zunehmend medienvermittelt und medienbezogen statt. Medien eröffnen spezifische Potenziale, die in der Kommunikation von Ärzten und Patienten realisiert werden. Gegenwärtig ist es die Mediatisierungswelle der Digitalisierung, in der neue Potenziale geschaffen und bestehende Potenziale modifiziert werden. In diesem Kapitel wird gezeigt, welche Befunde die Forschung zu der Frage liefert, wie sich die Potenziale der Medienangebote, die im Zuge der Digitalisierung entstanden sind, im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung kommunikativ realisieren. Es existieren zahlreiche Studien zur Nutzung gesundheitsbezogener Online-Angebote im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung, die wertvolle Einsichten zu diesem Forschungsinteresse liefern. Sie entstammen den Wissenschaftsdisziplinen der Medizin, der Gesundheitswissenschaft, der (Medizin-)Soziologie und der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Bereits seit Anfang der 2000er-Jahre sind insbesondere im angloamerikanischen Sprachraum zahlreiche Studien zum Zusammenhang zwischen der Internetnutzung und der Arzt-Patient-Beziehung entstanden (vgl. u. a. Erdem/HarrisonWalker 2006; Jacobson 2007; Murray et al. 2003; Wald et al. 2007): „Numerous studies have explored the complex effects and contradictory roles of the Web in altering health care delivery and the physician–patient relationship“ (ebd.: 219). Meist wird bei der Erforschung des Zusammenhangs zwischen Internetnutzung und Arzt-Patient-Beziehung nach Effekten oder Auswirkungen des Internets auf die Arzt-Patient-Beziehung gefragt. Dabei herrscht unter den verschiedenen Autoren, die sich dem Thema widmen, kein Konsens darüber, wie die angenommenen Effekte oder Auswirkungen der Internetnutzung auf die Arzt-Patient-Beziehung insgesamt ausfallen. So lassen sich einerseits Studien finden, die postulieren, dass die gesundheitsbezogene Internetnutzung bzw. die „neuen Informationsmöglichkeiten“ (Kardorff 2008: 261) die Arzt-Patient-Beziehung größtenteils nicht beeinflussen (vgl. z. B. Chen/Siu 2001; Newnham et al. 2005, 2006). Ande© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. C. Meinzer, Die Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt, Medien • Kultur • Kommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26007-1_3

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Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

rerseits attestieren zahlreiche Studien durchaus einen Effekt der gesundheitsbezogenen Internetnutzung auf die Arzt-Patient-Beziehung (vgl. z. B. Erdem/Harrison-Walker 2006; Masters 2008; McMullan 2006; Wald et al. 2007). Das angenommene Ausmaß dieses Effekts reicht von einem wahrnehmbaren, wenngleich nicht dramatischen Wandel auf der einen Seite (vgl. Hart et al. 2004: 5) bis zu einem fundamentalen Wandel auf der anderen (vgl. Kirschning/Kardorff 2008: 141). Bei der Betrachtung der Studien, die sich mit der Internetnutzung im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung auseinandersetzen, lassen sich drei wesentliche Forschungsfelder identifizieren: • Zum ersten Forschungsfeld gehören Studien, in denen die online-basierte Aneignung gesundheitsbezogenen Wissens durch Patienten und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Arzt-Patient-Beziehung erforscht werden. • Das zweite Forschungsfeld umfasst Studien, die sich mit der Thematisierung des online erworbenen gesundheitsbezogenen Wissens von Patienten im direkten Arzt-Patient-Gespräch befassen. • Das dritte Forschungsfeld beinhaltet Studien, die sich mit den Möglichkeiten zur medienvermittelten interpersonalen Kommunikation zwischen Arzt und Patient auseinandersetzen. 34 Die Befunde der Forschungsarbeiten aus diesen drei Forschungsfeldern werden im Folgenden dargestellt. Daraufhin werden die Stärken und Schwächen der Studien zusammengefasst und die theoretischen Implikationen für die vorliegende Studie formuliert.

3.1

Aneignung von Wissen durch die Nutzung gesundheitsbezogener Online-Angebote

Die Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung wird primär im Hinblick auf den erleichterten Zugang zu Informationen durch digitale 34

Die drei Forschungsfelder beziehen sich auf die online-basierten Kommunikationspotenziale zur produzierten und zur wechselseitigen Medienkommunikation. Zwar entstehen in letzter Zeit vermehrt Studien, die sich der virtualisierten gesundheitsbezogenen Kommunikation widmen. Diese konzentrieren sich bislang jedoch primär auf die Aneignung virtualisierter Kommunikationstechnologien durch Patienten und betrachten dabei die Arzt-Patient-Beziehung nur marginal (vgl. Lupton 2013; Lupton/Jutel 2015).

Aneignung von Wissen durch die Nutzung gesundheitsbezogener Online-Angebote

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Medien und die damit verbundene Möglichkeit für Patienten untersucht, sich eigenständig gesundheitsbezogenes Wissen anzueignen. So argumentieren beispielsweise Hartzband und Groopman (2010), dass gesundheitsbezogene Informationen im Zuge der Digitalisierung nicht mehr nur medizinischem Fachpersonal vorbehalten, sondern auch Patienten zugänglich sind: Its [the internet’s] profound effects derive from the fact that while previous technologies [like the stethoscope and roentgenogram to magnetic resonance imaging] have been fully under doctors’ control, the Internet is equally in the hands of patients. Such access is redefining the roles of physician and patient. (ebd.: 1063f.)

Um sich Wissen anzueignen, nutzen Patienten beispielsweise Suchmaschinen und geben dort ihr gesundheitliches Problem wie ‚Halsschmerzen‘ oder ‚Schluckbeschwerden‘ ein. 35 Der Patient gelangt so schnell, kostenlos und unmittelbar an eine Auflistung zahlreicher Websites mit Informationen zu möglichen Ursachen, Diagnosevorschlägen oder Behandlungshinweisen (vgl. Berger 2009: 74). Studien belegen, dass sich Patienten unterschiedlicher Gesundheitssysteme zunehmend online über Gesundheitsthemen informieren (vgl. Rossmann 2010: 343f., 2016: 302). 36 Wald und seine Kollegen (2007) weisen in ihrer Literaturübersicht darauf hin, dass gesundheitsbezogene Online-Informationen nicht allen Bevölkerungsgruppen gleichermaßen zugänglich sind. Sie stärken ihr Argument unter anderem mit dem Verweis auf die Arbeit von Murray und Kollegen (2003), die zeigt, 35

Die Nutzung von gesundheitsbezogenen Online-Angeboten beginnt zumeist über allgemeine Suchmaschinen (wie beispielsweise über den Marktführer Google) (vgl. Baumann/Czerwinski 2015: 71; Fiksdal et al. 2014; Kofahl et al. 2009: 45). Dies kann darauf verweisen, „dass den Nutzern die eigenständige Orientierung und Auswahl der geeigneten Webseiten im Vorfeld schwerfällt“ (Baumann/Czerwinski 2015: 61). Zudem deutet die Nutzung von Suchmaschinen als Ausgangspunkt der Informationsrecherche darauf hin, „dass es den Internetnutzern vor allem darum geht, schnell und einfach zu einem Suchergebnis zu gelangen, wobei die Informationsqualität allgemein oder gar die Frage, ob Informationen evidenzbasiert sind, allenfalls zweitrangig zu sein scheint“ (ebd.: 76). 36 Das Internet wird nicht nur von den Patienten, sondern auch zunehmend von den Ärzten zwecks fachbezogener Informationssuche genutzt (vgl. Stadtler et al. 2009: 256). Dementsprechend veranschaulicht eine strukturierte Face-to-Face-Befragung (N = 51) von Stadtler et al., dass 43 Prozent der befragten hausärztlich tätigen Mediziner sehr häufig bis häufig, 17 Prozent manchmal und 39 Prozent selten oder nie online fachliche Informationen recherchieren (vgl. ebd.). Zumeist wird dabei gezielt nach „Informationen über Impfungen, seltenere[n] Krankheiten und aktuelle[n] Medikamente[n]“ (ebd.) gesucht. Dabei sind es nicht nur die jüngeren, sondern auch die älteren Ärzte, die Angebote wie z. B. die Datenbanken Pubmed und Medline nutzen. (vgl. ebd.: 256ff.)

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Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

dass US-amerikanische gesundheitsbezogene Internetnutzer (N = 3209) eher jung, reich und gebildet sind (weitere Studie belegen diesen Befund, siehe z. B. Lowrey/Anderson 2006: 128). Ähnliche Tendenzen im Hinblick auf die Bildung als zentrale Einflussgröße zeigt auch eine aktuelle US-amerikanische Telefonumfrage (N = 225) (vgl. Hall et al. 2015). Die These von der digitalen Kluft kann auch mittels deutscher Studien untermauert werden. Die Ergebnisse des Gesundheitsmonitors 2015 veranschaulichen, dass deutsche gesundheitsbezogene Internetnutzer tendenziell jünger und besser gebildet (aus der Mittel- und Oberschicht) sind (vgl. Baumann/Czerwinski 2015): Mit jedem Lebensjahr sinkt die Chance, gesundheitsbezogene Informationen im Internet zu suchen […]. […] Befragte aus der Mittelschicht [haben eine] […] erhöhte Chance, zur Gruppe der Gesundheits-Onliner zu gehören; für Angehörige der Oberschicht ist diese Chance […] [nochmals] erhöht. Ob ein Bürger das Internet zur Gesundheitsinformation nutzt, ist damit vor allem eine Frage der sozialen Lage. (ebd.: 65) 37

Berger (2009) konstatiert, dass „[d]as Internet […] also das soziale Ungleichgewicht im Gesundheitswesen verstärken [kann]“ (ebd.: 79). In verschiedenen Studien wurde herausgearbeitet, dass die Aneignung gesundheitsbezogenen Wissens über das Internet hauptsächlich in Vorbereitung oder infolge einer Arztkonsultation stattfindet. Für beide Nutzungssituationen lassen sich spezifische Nutzungsmotive identifizieren. Patienten recherchieren in Vorbereitung auf einen Arztbesuch beispielsweise Symptome, Beschreibungen ihrer Krankheit, Behandlungsmöglichkeiten und Informationen zu Ärzten oder Krankenhäusern (vgl. z. B. Anderson et al. 2003; Andreassen et al. 2007; Bowes et al. 2012; Caiata-Zufferey et al. 2010; Fiksdal et al. 2014; Silver 2015; Stevenson et al. 2007; Townsend et al. 2015). Sie wollen ihr Wissen – bezogen auf ihre Symptome oder ihre Erkrankung – erweitern, um ‚gut informiert‘ oder auf den Arztbesuch ‚gut vorbereitet‘ zu sein. Mit diesem Motiv verbinden sie den Wunsch, die Fachsprache des Arztes ‚besser‘ zu verstehen, ‚bessere‘ oder ‚nützlichere‘ Fragen stellen 37

Keine signifikanten Unterschiede konnten in dieser Studie im Hinblick auf das Geschlecht gefunden werden. Als weitere Einflussgrößen für die gesundheitsbezogene Internetnutzung wurden gesundheitsbezogene Personeneigenschaften identifiziert, wie der aktuelle Patientenstatus, ein erhöhtes Interesse am Nachvollziehen der Vorgänge im eigenen Körper und ein ausgeprägtes grundsätzliches Informationsinteresse an Gesundheitsthemen. (vgl. Baumann/Czerwinski 2015)

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zu können, Wünsche und Bedenken ‚besser‘ zu erklären oder sich bei der Diskussion bezüglich der Diagnose und der Behandlung effektiver einzubringen (vgl. Caiata-Zufferey et al. 2010; Fiksdal et al. 2014). „This information allowed patients to better collaborate with their respective physician. […] The Internet was therefore seen as a springboard to jump into the consultation and to enhance it“ (Caiata-Zufferey et al. 2010: 1054). Die Patienten erhoffen sich, durch eine gute Vorbereitung aus dem – zeitlich begrenzten – Arztbesuch ‚das Beste herauszuholen‘ und wollen erreichen, dass der Mediziner ihr Problem möglichst ernst nimmt (vgl. Bowes et al. 2012). Neben dem Zweck des individuellen Kompetenzgewinns, der aus Sicht von Patienten eine Verbesserung der Kommunikationssituation mit ihrem Arzt zum Ziel hat, verbinden Patienten auch emotionale Motive mit der gesundheitsbezogenen Internetnutzung im Vorfeld eines Arztbesuchs. Zu nennen sind hier insbesondere die eigene Beruhigung sowie die Verkürzung der Wartezeit bis zu einem Arzttermin (vgl. Donnelly et al. 2008). [T]he availability of eHealth information empowered participants to make sense of their own experiences of health and illness which could act as a comfort whilst awaiting advice from a health professional. […] [P]articipants enjoyed the immediacy of eHealth information, which compensated for the perceived lack of availability of GPs. (ebd.: 505)

Neben der Internetnutzung zur Vorbereitung auf einen Arztbesuch erfolgt sie auch im Anschluss an die Arztkonsultation (vgl. Caiata-Zufferey et al. 2010; Kivits 2006; McMullan 2006; Silver 2015). Diese Nachbereitung kann der Ergänzung oder der Prüfung der Informationen aus dem Gespräch dienen oder der Suche nach alternativen Behandlungsmöglichkeiten (vgl. Caiata-Zufferey et al. 2010). Die ergänzende Recherche im Nachgang zu einem Arztbesuch begründen Patienten damit, dass sie dadurch besser verstehen, was in der Sprechstunde gesagt wurde. So halten einige Patienten die Informationen des Arztes für unzureichend (vgl. ebd.; Kivits 2006) und verbinden dies mit der fehlenden Zeit zur Diskussion und Erklärung, die Ärzten zur Verfügung steht (vgl. ebd.). Andere Patienten sind mitunter der Meinung, dass das Arzt-Patient-Gespräch nur für wichtige Themen genutzt werden sollte und vertiefen daraufhin das Gesagte im Nachgang, wenn sie sich alleine mit ihrem gesundheitlichen Problem auseinandersetzen. Die Kompetenz des Arztes wird dabei nicht infrage gestellt – das Internet fungiert vielmehr

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komplementär zum Gespräch mit dem Arzt: „In all these cases, the main information was provided by the doctor. The Internet was considered as a complement to or an extension of the consultation“ (Caiata-Zufferey et al. 2010: 1055). Neben dem ergänzenden Recherchieren von Informationen kann es auch zu einem Überprüfen des im Gespräch Vermittelten kommen. Patienten holen sich eine zweite Meinung im Nachgang zu einem Arztbesuch ein (vgl. Anderson/Goodman 2004), da die dort erhaltenen Informationen beispielsweise dem persönlichen Empfinden bzw. der persönlichen Erfahrung widersprechen: „For patients who went online to validate information obtained during the consultation, the Internet was a means to check the reliability of the diagnosis and the treatment provided by the physician“ (Caiata-Zufferey et al. 2010: 1055). Ebenfalls um eine zweite Meinung geht es Patienten, die im Anschluss an eine Arztkonsultation nach alternativen Behandlungsmethoden oder Therapien suchen. For patients who searched to find alternatives, the Internet was not a substitute for the consultation; it was a way to obtain a second opinion, to be sure to have all the necessary information to make a medical decision. (ebd.)

Die Nutzung von Online-Angeboten zur Aneignung von Wissen führt mitunter dazu, dass Patienten „subjektiv ‚wissender‘“ (Stetina/Kryspin-Exner 2009: 16) werden, sich informierter fühlen und durch die Nutzung ein größeres Verständnis für ihre Krankheit entwickeln (vgl. Baker et al. 2003; Iverson et al. 2008; Kivits 2006; Murray et al. 2003). Wenngleich Patienten sich mittels gesundheitsbezogener Internetnutzung medizinisches Wissen aneignen können und infolgedessen der Meinung sind, dass Ärzte – dadurch, dass Patienten nunmehr leichteren OnlineZugang zu medizinischem Wissen haben –, medizinisches Wissen nicht mehr exklusiv kontrollieren (vgl. Lowrey/Anderson 2006: 129), handelt es sich bei dem online erworbenen Wissen zumeist lediglich um Formen von Basiswissen zu medizinischen Begrifflichkeiten, Diagnosen und Behandlungen. Ein umfangreiches medizinisches Fachwissen, das durch eine medizinische Ausbildung oder mittels medizinischer Fachjournale gewonnen werden könnte, bleibt dem Gros der Patienten hingegen verschlossen. Das heißt: Auch, wenn Patienten sich durchaus besser informiert fühlen und ihr Wissen mittels der gesundheitsbezogenen Internetnutzung erweitern, folgt daraus nicht automatisch eine Wissens-Symmetrie im Arzt-Patient-Gespräch. (vgl. Laugesen et al. 2015: 10) Auch Kivits (2009) kommt zu dem Ergebnis: „There is no evidence […] of the construction of an equivalence

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of medical knowledge on the part of information seekers becoming ‚lay experts‘“ (ebd.: 683). 38 Mit dem online-basierten Wissenserwerb durch Patienten verbinden verschiedene Autoren eine Reihe von potenziellen Konsequenzen für die Arzt-Patient-Beziehung. Zu den proklamierten Auswirkungen der gesundheitsbezogenen Internetnutzung zählen die Bereitschaft und die Fähigkeit von Patienten, sich durch Fragen und Erzählen in das Arzt-Patient-Gespräch einzubringen. Darüber hinaus beteiligen sich die internetinformierten Patienten an den Behandlungsentscheidungen und leisten den ärztlichen Anweisungen Folge. Schließlich kann das Wissen, das im Zuge der gesundheitsbezogenen Internetnutzung gewonnen wird, Patienten beim Management ihrer Gesundheit im Alltag unterstützen. Die Befunde zu den Konsequenzen der online-basierten Wissensaneignung durch Patienten für die Arzt-Patient-Beziehung werden im Folgenden dargestellt. Dabei bleibt die Erkenntnis wesentlich, dass sich die Potenziale der online-basierten Wissensaneignung nicht für jede Arzt-Patient-Beziehung gleichartig entfalten und dass dementsprechend auch die Befunde der Studien mitunter unterschiedlich ausfallen. Aktives Fragen und Erzählen im Arzt-Patient-Gespräch Die online-basierte Wissensaneignung kann Patienten dazu befähigen, sich aktiv mit Fragen und Erzählungen in das direkte Arzt-Patient-Gespräch einzubringen (vgl. Bass et al. 2006; Eysenbach 2003; Iverson et al. 2008; Kirschning/Kardorff 2008; Murray et al. 2003; Townsend et al. 2015). Das angeeignete Wissen, das in 38

Verschiedene Autoren weisen darauf hin, dass die Qualität der unzähligen und unüberschaubaren Menge an Online-Angeboten stark divergiert (vgl. z. B. Berger 2009; Eysenbach/Köhler 2002). Dies birgt die Gefahr, dass „leicht auch offensichtliche Falschinformationen und Halbwahrheiten verbreitet werden“ (Berger 2009: 77f.). Wenn Patienten auf Basis gesundheitsbezogener Online-Informationen eine Selbstdiagnose vornehmen, kann sich diese durchaus als falsch herauskristallisieren. Die Befürchtung, eine Fehldiagnose zu erhalten, ist nicht unbegründet. So zeigt beispielsweise eine Studie, dass nur wenige Nicht-Mediziner in der Lage sind, mithilfe von Online-Informationen eine ‚korrekte‘ Diagnose zu stellen (vgl. hierzu Siempos et al. 2008). Kivits (2006) fand allerdings heraus, dass Patienten sich durchaus darüber bewusst sind, dass sie durch die Internetnutzung nur begrenzt medizinisches Wissen erwerben können und dass die Gefahr besteht, auf zweifelhafte bzw. fehlerhafte Informationen zu stoßen. Ähnlich konstatiert Silver (2015) in ihrer Studie, dass Patienten sich der potenziell mangelhaften Qualität der online verfügbaren Informationen bewusst sind und die Limitationen der verfügbaren Internetinformationen kennen.

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eine aktive Kommunikation von Patienten mündet, kann den Autoren zufolge dazu führen, dass Patienten die Beziehung zu ihrem Arzt als ‚partnerschaftlich‘ charakterisieren (vgl. Bass et al. 2006; Eysenbach 2003). Das Wissen, das Patienten durch gesundheitsbezogene Internetnutzung erwerben, verleiht ihnen das Selbstvertrauen, die ‚richtigen‘ Fragen zu stellen (vgl. Kirschning/Kardorff 2008) und von sich aus Probleme offen anzusprechen (vgl. Murray et al. 2003). Auch im Zuge der Internetrecherche entstandene Missverständnisse oder Unsicherheiten können Patienten zu einem intensiveren Frageverhalten in der Sprechstunde veranlassen (vgl. Eysenbach 2003). Die Fragen von Patienten beziehen sich zum Teil auf Therapieanweisungen und -empfehlungen des Arztes, und zum Teil sind es Verständnisfragen oder intervenierende Fragen, die Handlungsanweisungen des Arztes betreffen, wie zum Beispiel Fragen nach möglichen Alternativbehandlungen. Auch Bedenken bringen Patienten, die sich gesundheitsbezogenes Wissen angeeignet haben, dem Arzt gegenüber verstärkt zum Ausdruck. Internetinformierte Patienten kommen darüber hinaus teilweise mit vorbereiteten Fragelisten in die Sprechstunde. (vgl. Bass et al. 2006; Kirschning/Kardorff 2008; Townsend et al. 2015) Iverson und Kollegen (2008) stellten fest, dass Patienten, die das Internet zur Aneignung gesundheitsbezogenen Wissens nutzen, nicht nur mehr Fragen während der ärztlichen Konsultation stellen als andere Studienteilnehmer, sondern insgesamt eine größere Auskunftsbereitschaft besitzen. So unterrichte ein Großteil der internetinformierten Patienten den Arzt über verändertes Gesundheitsverhalten und über das im Vorfeld des Arztbesuchs gewonnene Wissen. Dass Patienten ihre rezipierten Online-Informationen schildern, sei insbesondere dann ausgeprägt, wenn sie davon ausgingen, dass ihr Arzt bereitwillig über diese diskutieren wollte. (vgl. ebd.) Dass die gesundheitsbezogene Internetnutzung von Patienten nicht zwangsläufig zu einer aktiveren Kommunikation im Arzt-Patient-Gespräch führt, deuten die Arbeiten von Henwood und Kollegen (2003), Broom (2005b) und Kivits (2006) an. Patienten sind mitunter der Meinung, dass sie ihren Arzt durch eine aktivere Beteiligung unnötig unter Druck setzen und ihm in seinem ohnehin stressigen Beruf zusätzlichen Zeitaufwand verursachen (vgl. Broom 2005b; Henwood et al. 2003). Obgleich Patienten im Vorfeld eines Arztbesuchs aktiv nach Informationen suchen und dadurch ihr Krankheitsverständnis erweitern, muss dies nicht bedeuten, dass dieselbe aktive Haltung äquivalent in der Sprechstunde eingenommen

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wird. Vielmehr legt ein Teil der gesundheitsbezogenen Internetnutzer bei einem Arztbesuch die „searcher attitude“ (Kivits 2006: 279) ab und schlüpft in die Rolle des Informationsempfängers (vgl. Kivits 2006). Aktives Beteiligen an Behandlungsentscheidungen Das Wissen, das durch gesundheitsbezogene Internetnutzung gewonnen wird, kann zu einer aktiven Beteiligung der Patienten an Behandlungsentscheidungen innerhalb des Arzt-Patient-Gesprächs führen (vgl. Donnelly et al. 2008; Gerber/Eiser 2001: 2; Jacobson 2007: 2; Kreps/Neuhauser 2010). Kreps und Neuhauser (2010) attestieren, dass ein Trend hin zu einer verstärkten Beteiligung von Patienten an Entscheidungen zu erkennen sei: „Clearly, there is a strong trend toward more patient control of […] decision-making“ (ebd.: 331). In unterschiedlichen Studien wurde der Zusammenhang zwischen der internetbasierten Wissensaneignung durch Patienten und ihrem Wunsch, sich zu beteiligen, sowie ihrer selbsteingeschätzten Fähigkeit zur Beteiligung wie auch ihrer tatsächlichen aktiven Beteiligung an Behandlungsentscheidungen erforscht. Kirschning und Kollegen (2004) sowie Lee und Kollegen (2010) kommen beispielsweise zu dem Schluss, dass die Aneignung gesundheitsbezogenen Wissens einhergeht mit dem Wunsch, sich aktiv an Behandlungsentscheidungen zu beteiligen. Lee und Kollegen heben dabei hervor, dass der Wunsch nach einer aktiven Beteiligung an Entscheidungsprozessen insbesondere im Zusammenhang mit der wachsenden Kenntnis über ergänzende oder alternative Behandlungsmöglichkeiten steht (vgl. ebd.: 67). Sillence und Kollegen (2007) sowie Kirschning und Kardorff (2008) finden darüber hinaus heraus, dass internetinformierte Patienten der Meinung sind, durch das online erworbene Wissen eine bessere Entscheidungsfähigkeit zu besitzen. Neben dem Wunsch und der wahrgenommenen Befähigung zur aktiven Teilnahme an Entscheidungsprozessen wurde auch die tatsächliche Beteiligung an Entscheidungsprozessen erforscht. So haben Townsend und Kollegen (2015) festgestellt, dass die Nutzung von Internetressourcen eine partnerschaftliche Beteiligung von Patienten an der Entscheidungsfindung fördert. Allerdings betonen die Patienten im Rahmen dieser Studie, dass ihrem Arzt weiterhin eine wichtige Rolle zukommt. In ihren Augen hat er die Aufgabe, zu führen, zu bestätigen und zu empfehlen, um ihre Überlegungen abzuklären (vgl. ebd.: 8).

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Gerber und Eiser (2001) geben zu bedenken, dass für eine Beteiligung an der Entscheidungsfindung die jeweilige Persönlichkeit der Patienten berücksichtigt werden müsse. Es sei in diesen Entscheidungsprozessen patientenseitig von unterschiedlichen Informationstypen auszugehen, was Entscheidungsfindung zu medizinischen Fragen angehe. Denn selbst dann, wenn Patienten ein gesteigertes Interesse daran vorwiesen, mehr über ihre Krankheit und die Behandlung dieser zu erlernen, heiße dies nicht zwangsläufig, dass sie zugleich an Behandlungsentscheidungen teilhaben wollten: „Patients may investigate information about their medical conditions without interest in taking responsibility for making decisions about treatment“ (ebd.). An dieser Stelle sei nochmals auf die Studie von Henwood und Kollegen (2003) verwiesen, die zeigt, dass internetinformierte Patienten es bevorzugten, wenn sie die Behandlungsentscheidungen ihrem Hausarzt überlassen können. Neben Henwood und seinen Kollegen (ebd.) veranschaulicht auch Broom (2005b), dass einige Patienten Angst davor haben, dem Arzt zu sagen, was er tun soll, und zeigt auf, dass sie ihre Rolle als Patient nicht übertreten wollen. Befolgen ärztlicher Behandlungsanweisungen Gesundheitsbezogene Internetnutzung birgt das Potenzial, dass Patienten ärztlichen Behandlungsanweisungen Folge leisten (vgl. Iverson et al. 2008; Kirschning et al. 2004). 39 So halten Kirschning und Kollegen (ebd.) fest, „dass gefundene Informationen [Patienten darin] bestärkt hätten, den ärztlich empfohlenen Weg weiterzugehen“ (ebd.: 3092). Für das Gros der Studienteilnehmer dient die gesundheitsbezogene Internetrecherche als Bestätigung für die vom Arzt vorgeschlagene Therapie. Nur wenige Patienten entscheiden sich auf Grundlage der Internetrecherche gegen die Empfehlung des Arztes für eine bestimmte Therapie. „Thus the Internet cannot be accused of weakening the compliance with medical treatment schemes and schedules“ (Kirschning/Kardorff 2008: 139).

39

Das Befolgen von ärztlichen Behandlungs- und Therapievorschlägen wird in der Forschungsliteratur und in der ärztlichen Praxis unter dem Begriff der „Compliance“ (Therapietreue) geführt (vgl. z. B. Haynes/Schrey 1982: 2; Scheibler 2004: 13): „Unter dem Begriff ‚Compliance‘ versteht man den Grad, in dem das Verhalten einer Person in Bezug auf die Einnahme eines Medikamentes, das Befolgen einer Diät oder die Veränderung des Lebensstils mit dem ärztlichen oder gesundheitlichen Rat korrespondiert“ (Haynes; Schrey 1982: 12).

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Gleichwohl existieren Arbeiten, die zu dem Ergebnis kommen, dass Patienten, die keine gesundheitsbezogenen Online-Angebote nutzen, eine höhere Compliance als gesundheitsbezogene Internetnutzer aufweisen. Exemplarisch sei hier eine Studie von Bass und Kollegen (2006) angeführt, die dies folgendermaßen begründen: For instance, if a doctor recommends a treatment and a patient has no other information on which to base a decision, he or she might be more apt to comply with that recommendation. A patient who can compare a doctor’s recommendation to legitimate alternative sources found on the Internet, however, might less readily comply and be more comfortable questioning the recommendations of the physician. (ebd.: 231)

Laugesen und Kollegen (2015) betonen, dass das Befolgen der ärztlichen Anweisungen nicht nur von der gesundheitsbezogenen Internetnutzung der Patienten abhängt. Diese besäße zwar einen – wenn auch nur sehr geringen – Einfluss. Der bedeutsamste Faktor für eine Folgsamkeit von Patienten seien aber die Kompetenzen des jeweiligen Mediziners, wie Empathie, Kommunikationsfähigkeit oder Fachwissen: „Once this physician quality is established, enhanced patient compliance is more likely to occur because the patient will be more likely to follow the physician’s advice“ (ebd.). Managen der Gesundheit im Alltag Das Verständnis, das Patienten infolge der Nutzung gesundheitsbezogener Online-Angebote für ihre Krankheit entwickeln, führt mitunter dazu, dass sie präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen im Alltag praktizieren (vgl. Baker et al. 2003; Iverson et al. 2008; Murray et al. 2003). So dienen online erworbene Gesundheitsinformationen aus Sicht von Patienten beispielsweise dazu, dass sie ihre Ernährungsgewohnheiten umstellen oder sich sportlich betätigen (vgl. Baker et al. 2003; Iverson et al. 2008). Hierbei kommen beispielsweise spezielle webbasierte Ernährungs- und Bewegungsanwendungen zum Einsatz, die Patienten bei der Erreichung ihrer Ziele unterstützen (vgl. Kreps/Neuhauser 2010). Dadurch werden insbesondere Patienten mit chronischen oder schwerwiegenden Erkrankungen – beispielsweise Krebsleiden (vgl. Neuhauser/Kreps 2008) – dazu befähigt, selbstständig gesundheitsbezogene Entscheidungen zu treffen und ihre Krankheiten im Alltag zu managen (vgl. Ayers/Kronenfeld 2007):

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There are no cures for chronic conditions such as congestive heart failure, arthritis or diabetes, and management of these illnesses is seen as a ‘lifestyle’ condition in which the patient is charged with managing the disease through self-care (i. e. diet, exercise and other health lifestyle choices). (ebd.: 328)

Mediale Wissensaneignung als Ergänzung der Arzt-Patient-Kommunikation Die existierenden Forschungsergebnisse zeigen, dass die gesundheitsbezogene Internetnutzung zur Aneignung von Wissen eine Ergänzung der Arzt-Patient-Kommunikation ist. Nur wenige Patienten nutzen gesundheitsbezogene Internetinformationen anstelle eines Arztbesuchs (vgl. Russ et al. 2011; Silver 2015). Die Annahme, dass gesundheitsbezogene Internetnutzung den Arzt-Patient-Kontakt ersetzt, wird auch in einer aktuellen Studie von Lee und Lin (2016) widerlegt. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die gesundheitsbezogene Internetnutzung und die Arzt-Patient-Kommunikation in einem komplementären Zusammenhang stehen. Auch Donnelly und Kollegen (2008) betonen die Rolle des Internets als komplementäre Informationsquelle: „[P]articipants did not view eHealth information as a replacement for standard health services, but rather as a complementary information source alongside information or treatment from their GP“ (ebd.: 504). Auch Stevenson und Kollegen (2007) kommen zu dem Ergebnis, dass gesundheitsbezogene Online-Informationen von Patienten als ergänzende Ressource zu den Informationen des behandelnden Mediziners gesehen werden: „Given time limited consultations, the Internet was perceived to be particularly useful for confirming and expanding on information received without ‘bothering’ the doctor“ (ebd.: 4). Der komplementäre Zusammenhang wird in verschiedenen Studien konkretisiert. So zeigt beispielsweise eine US-amerikanische Panel-Studie, dass die gesundheitsbezogene Internetnutzung zu einem Anstieg der Häufigkeit von Arzt-Patient-Besuchen führt: „Internet use for health information increases the frequency of health professional contact“ (Lee 2008: 461). Die Studie verdeutlicht, dass Patienten, die nach gesundheitsbezogenen Informationen suchen, sich häufig zusätzlich von einem Arzt in einem persönlichen Gespräch beraten oder behandeln lassen (vgl. Lee 2008). Ebenso kommt Suziedelyte (2012) zu dem Ergebnis, dass gesundheitsbezogene Internetnutzer Gesundheitsversorgung eher beanspruchen als Nichtnutzer. Als mögliche Erklärung hierfür führt er an, dass gesundheitsbezogene Internetnutzer generell besorgter um ihre Gesundheit seien als

Aneignung von Wissen durch die Nutzung gesundheitsbezogener Online-Angebote

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Nichtnutzer. Zudem lernten Patienten, die das Internet als zusätzliche Informationsquelle nutzen, mehr über ihre Krankheit. Dies wiederum könne den Umgang mit der Krankheit beeinflussen und dazu führen, dass ein verstärkter Bedarf nach einem Arztbesuch entsteht. (vgl. ebd.) 40 Die Komplementarität von gesundheitsbezogener Internetnutzung und ArztPatient-Beziehung zeigen auch Studien, die aus Sicht von Patienten die Vertrauenswürdigkeit oder die Wichtigkeit von Arzt und Internet als Quellen gesundheitsbezogener Information abwägen lassen. So lässt sich konstatieren, dass die Vertrauenswürdigkeit des Internets zwar in den vergangenen Jahren gewachsen ist (vgl. Hesse et al. 2005, 2010), der Arzt jedoch für das Gros der Patienten nach wie vor als vertrauenswürdigste Quelle für gesundheitsbezogene Informationen gilt (vgl. z. B. Cooley et al. 2011; Hesse et al. 2005, 2010). Das Face-to-Face-Gespräch mit dem Arzt (oder mit anderen Gesundheitsdienstleistern wie Apothekern oder Krankenpflegern) stellt zudem für den Großteil der Patienten die bevorzugte Informationsquelle dar (vgl. z. B. Baumann/Czerwinski 2015; Gaglio et al. 2012; Hesse et al. 2010; Kirschning/Kardorff 2008; Kummervold et al. 2008; Lausen et al. 2008; López-Gómez et al. 2012; Sillence et al. 2007). Als Begründung hierfür wird beispielsweise angeführt, dass Patienten dem Arzt direkt Rück- oder Nachfragen stellen können, wenn sie etwas nicht verstehen (vgl. Gaglio et al. 2012: 115). Aus Sicht der Patienten gilt der Mediziner außerdem als bevorzugte Informationsquelle, weil er eine speziell auf den Patienten angepasste Behandlung vornimmt (vgl. Donnelly et al. 2008: 505). Nur Patienten, die mit dem Arzt-PatientGespräch unzufrieden sind, neigen dazu, dem Internet eine höhere Wichtigkeit als Informationsquelle zuzuschreiben als ihrem Arzt (vgl. Tustin 2010). Unzufriedenheit kann dadurch entstehen, dass der Patient unzureichend mit Informationen versorgt wird, der Arzt nicht zuhört, keine Empathie zeigt oder zu wenig Zeit schenkt. Auch Probleme mit der Praxisorganisation können zur Unzufriedenheit 40 Für die Komplementarität der Internetnutzung und der Arzt-Patient-Kommunikation sprechen darüber hinaus drei weitere Erkenntnisse: Erstens kann die Internetnutzung der Patienten durch Anraten des Arztes stattfinden, also eine direkte Folge der Arzt-Patient-Kommunikation sein (vgl. Silver 2015). Zweitens nutzen Patienten das Internet, um in Erfahrung zu bringen, wie dringlich ein Arztbesuch ist – die Online-Nutzung ist also ein nicht zu unterschätzender Ausgangspunkt dafür, den Arzt aufzusuchen (vgl. Bowes et al. 2012). Drittens kann die gesundheitsbezogene Internetnutzung – zum Beispiel durch Verunsicherung oder eine frühzeitige Sensibilisierung – dazu führen, dass der Arzt konsultiert wird (vgl. Laing et al. 2004).

60

Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

beitragen und zur Präferenz von Online-Angeboten führen (keine kurzfristig zugewiesenen Termine, kein schneller Zugang zu Laborergebnissen). (vgl. ebd.; Zickmund et al. 2008) Zudem kann eine fehlende Patientenzentrierung im ArztPatient-Gespräch zur Folge haben, dass Patienten bevorzugt gesundheitsbezogene Informationen aus dem Internet nutzen und diesen vertrauen (vgl. Hou/Shim 2010): Once individuals were unsatisfied with the medical interview or failed to meet needs from the health care–provider channel, they were capable of using the Internet-mediated channel to empower and inform themselves. Thus, the Internet can be viewed as a promising way for patients to gradually develop ownership over their own health. (ebd.: 195)

3.2

Thematisierung von gesundheitsbezogenen OnlineAngeboten im Arzt-Patient-Gespräch

Das Wissen, das sich Patienten mithilfe des Internets aneignen, bringen sie in das Gespräch mit ihrem Arzt ein. Die gesundheitsbezogenen Online-Informationen werden durch die Thematisierung Teil der beziehungsstiftenden Arzt-PatientKommunikation und eröffnen gleichermaßen „new ways of interacting with each other“ (Townsend et al. 2015: 8). Dieses Teilkapitel widmet sich den Studien, die sich damit beschäftigen, wie Online-Informationen in der direkten Arzt-PatientKommunikation thematisiert werden. Dabei wird zunächst die Motivation der Patienten für die Thematisierung bzw. Nicht-Thematisierung der gesundheitsbezogenen Internetinformationen im Arzt-Patient-Gespräch aufgeführt. Im Anschluss daran wird die Perspektive der Mediziner in die Betrachtung einbezogen, indem zunächst Befunde zur ärztlichen Wahrnehmung von internetinformierten Patienten und abschließend Befunde zum Umgang mit ihnen präsentiert werden. Die Befunde empirischer Arbeiten variieren in ihren Aussagen darüber, wie groß der Anteil an Patienten ist, der gesundheitsbezogene Internetangebote nutzt und seine Rechercheergebnisse mit dem Arzt bespricht. So existieren auf der einen Seite Studien, die zeigen, dass sich nur ein geringer Teil der internetinformierten Patienten mit dem Arzt über ihre Recherchen austauscht (vgl. Murray et al. 2003, 2005; Russ et al. 2011). Abweichend davon konstatieren auf der anderen Seite weitere Studien, dass die Hälfte der Patienten (vgl. de Boer et al. 2007) oder mehr

Thematisierung von gesundheitsbezogenen Online-Angeboten im Arzt-Patient-Gespräch

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bereits recherchierte Informationen im persönlichen Gespräch mit ihrem Arzt angesprochen haben (vgl. Kirschning et al. 2004; Kirschning/Kardorff 2008). Befragungen von Ärzten zeigen, dass ein Großteil der Mediziner in der Sprechstunde auf vorinformierte Patienten getroffen ist (vgl. Bittner 2016; Masters 2008; Podichetty et al. 2006; Stadtler et al. 2009). In der Wahrnehmung der Ärzte ist die Zahl derer, die Internetinformationen in der Sprechstunde angesprochen haben, in den letzten Jahren zwar angestiegen. Sie stellt jedoch – aus Sicht der Ärzte – nach wie vor die Minderheit der Patienten dar (vgl. Caiata-Zufferey/Schulz 2012). 3.2.1

Thematisierung von gesundheitsbezogenen Internetinformationen durch Patienten

Studien zur Thematisierung von online erworbenem Wissen durch Patienten zeigen, dass Patienten gesundheitsbezogene Internetinformationen auf unterschiedliche Arten in die Arztkonsultation einbringen. Vereinzelt benennen Patienten sowohl Fakten als auch die Quellen ihres Wissens explizit (vgl. Bylund et al. 2007; Shen et al. 2015). Daneben ist es nicht unüblich, dass Patienten die im Netz angeeigneten Informationen ins Gespräch einbringen und dabei die Herkunft ihres online erworbenen Wissens verdecken. Einige Patienten verschweigen pauschal ihre Quellen beim Benennen der Fakten (vgl. Bylund et al. 2007; Chung 2013; Shen et al. 2015), andere kleiden das erworbene Wissen in Fragen, ohne zu erörtern, wie sie auf die Fragen gekommen sind (vgl. Bylund et al. 2007). Aus Sicht von Patienten lassen sich sowohl Gründe identifizieren, die für eine Thematisierung der gesundheitsbezogenen Online-Recherchen und ihrer Ergebnisse sprechen, als auch Gründe, die sie davon abhalten, ihr gesundheitsbezogenes Wissen im Arzt-Patient-Gespräch – sei es auf implizite oder explizite Weise – zu erörtern. Wenn Patienten die Erkenntnisse ihrer online-basierten Vorbereitung beim Arztbesuch zur Sprache bringen, tun sie dies bisweilen aus symbolischen Gründen. Sie wollen beispielsweise die Schwere ihres gesundheitlichen Problems unterstreichen und bringen ihr Wissen ein, um ernst genommen zu werden. Außerdem wollen sie dem Mediziner signalisieren, dass sie sich mit ihrem körperlichen Befinden auseinandergesetzt haben und bereit sind, Verantwortung zu übernehmen sowie sich konstruktiv an der Sprechstunde zu beteiligen. (vgl. Bowes et al. 2012; D’Agostino et al. 2012; Stevenson et al. 2007; Townsend et al. 2015) Es

62

Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

kann ihnen darüber hinaus darum gehen, Unklarheiten, Unsicherheiten oder Ängste, die im Zuge der Recherche aufgekommen sind, zu beseitigen (vgl. Bowes et al. 2012; D’Agostino et al. 2012; Shen et al. 2015; Townsend et al. 2015). So können beispielsweise Zweifel an der Qualität der bezogenen Online-Informationen (vgl. Chung 2013) oder der Wunsch nach zusätzlichen Informationen (vgl. Bowes et al. 2012; Shen et al. 2015) für ein noch umfassenderes Verstehen der Erkrankung (vgl. D’Agostino et al. 2012) Patienten dazu veranlassen, die Ergebnisse ihrer Recherche mit dem Hausarzt zu besprechen. Auch kann es Patienten darum gehen, die Internet-Informationen von ihrem Arzt bewerten (vgl. Bowes et al. 2012; Shen et al. 2015) und das erworbene Wissen durch den Arzt verifizieren zu lassen (vgl. Caiata-Zufferey et al. 2010; D’Agostino et al. 2012; Shen et al. 2015). Einige Patienten verbinden mit der Thematisierung ihrer Recherche auch den Wunsch, weitere Online-Quellen vom Arzt zu erhalten (vgl. Bowes et al. 2012; D’Agostino et al. 2012). Neben Gründen für ein Thematisieren von Internetinformationen im Arztgespräch gibt es aus Perspektive der Patienten ebenso Gründe dafür, die Erkenntnisse ihrer Online-Recherche (oder ihre Informationsquelle) in der Arzt-PatientBegegnung zu verschweigen. Patienten thematisieren die Internetinformationen beispielsweise deswegen nicht, weil sie in der Vergangenheit negative Erfahrungen mit Ärzten gemacht haben, wenn sie ihre Rechercheerkenntnisse offen angesprochen haben. Sie geben an, dass Ärzte die Informationen ignoriert, die Online-Informationen abgewertet oder Desinteresse gezeigt haben. (vgl. Imes et al. 2008) Auch der – mitunter auf Erfahrungen beruhende – Rat von Personen aus dem Umfeld der Patienten kann sie dazu veranlassen, ihre Online-Recherche nicht in das Arzt-Patient-Gespräch einzubringen (vgl. Silver 2015). Weitere Gründe, ihr Wissen nicht zu thematisieren, liegen darin, dass Patienten dem Arzt nicht vermitteln wollen, dass sie seine Autorität infrage stellen oder ihm misstrauen (vgl. Imes et al. 2008; Silver 2015; Sommerhalder et al. 2009). Sie verschweigen die Information auch, um den Arzt nicht an ihrer Therapietreue zweifeln zu lassen (vgl. Silver 2015) oder weil sie einen Zeitdruck in der Sprechstunde empfinden (vgl. D’Agostino et al. 2012; Imes et al. 2008; Sommerhalder et al. 2009). Als weitere Gründe dafür, dass Patienten ihre Online-Recherchen nicht mit dem Arzt besprechen, führen sie Verständnisprobleme oder Schwierigkeiten bei der Darstellung der rezipierten Informationen an. Sie wollen ihr Gesicht wahren und sich nicht

Thematisierung von gesundheitsbezogenen Online-Angeboten im Arzt-Patient-Gespräch

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blamieren (vgl. Imes et al. 2008; Silver 2015). Darüber hinaus benennen Patienten Situationen, in denen sie keine Notwendigkeit sehen, ihre Recherche zu thematisieren. Dies kann daran liegen, dass sie die Qualität der Informationen als niedrig (vgl. D’Agostino et al. 2012; Imes et al. 2008) oder die Quellen als nicht vertrauenswürdig einschätzen (vgl. Chung 2013). Auch wenn Patienten Informationen für nicht besonders relevant erachten, kann dies dazu führen, dass sie diese nicht thematisieren (vgl. Imes et al. 2008). Gleiches gilt, wenn Ärzte bereits ohne Zutun ihrer Patienten die relevanten Informationen angesprochen haben und ein Thematisieren der Online-Recherche nur eine Wiederholung der ärztlichen Ausführungen wäre (vgl. ebd.). Ferner geben Patienten an, sich bestimmte Informationen nur für sich selbst anzueignen (vgl. D’Agostino et al. 2012; Imes et al. 2008). Schließlich gibt es auch Patienten, deren Online-Recherchen nicht im unmittelbaren zeitlichen Umfeld des Arztbesuchs stattfinden – auch dies kann dazu führen, dass eine Erwähnung der Erkenntnisse aus der Recherche nicht stattfindet (vgl. ebd.). 3.2.2

Ärztlicher Umgang mit internetinformierten Patienten

Nachdem aufgezeigt wurde, welche Strategien und Motive Patienten mit der Thematisierung bzw. der Nicht-Thematisierung von gesundheitsbezogenem Wissen in der Sprechstunde verknüpfen, wird im Folgenden erörtert, wie Ärzte internetinformierte Patienten wahrnehmen und wie sie mit ihnen umgehen. Studien zeigen, dass die Techniken, die Ärzte in Bezug auf internetinformierte Patienten anwenden, variieren. Sie tun dies in Abhängigkeit von der Einstellung der Ärzte gegenüber informierten Patienten und abhängig von dem Wert, den sie gesundheitsbezogenen Online-Angeboten zusprechen. Bevor nachfolgend die ärztlichen Kommunikationstechniken im Umgang mit internetinformierten Patienten dargestellt werden, wird deshalb das Spektrum an Befunden empirischer Studien präsentiert, die sich mit Wahrnehmungen und Einstellungen der Ärzte in Bezug auf internetinformierte Patienten befassen. Sie zeigen die „zwiespältige [Meinung]“ (Bittner 2016: 145) und die „starke Ambivalenz“ (Baumgart 2010: 2554), die Mediziner im Hinblick auf mögliche Auswirkungen der internetbasierten Selbstinformation von Patienten auf das Arzt-Patienten-Gespräch und auf die Arzt-Pati-

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Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

ent-Beziehung besitzen. Auf der einen Seite schreiben Ärzte der gesundheitsbezogenen Internetnutzung von Patienten ein emanzipatorisches und effizienzsteigerndes Potenzial zu, auf der anderen Seite verbinden sie die Internetnutzung mit Verunsicherungs- und Komplexitätsrisiken. Studien zeigen, dass Ärzte der gesundheitsbezogenen Internetnutzung durch Patienten ein emanzipatorisches Potenzial zuschreiben. Aus Sicht der Mediziner bietet das Internet Patienten die Möglichkeit, eigenständig gesundheitsbezogenes Wissen zu erwerben (vgl. Ahmad et al. 2006; Nwosu/Cox 2000; Sommerhalder et al. 2009). Durch diesen Wissenserwerb können aus Sicht von Ärzten etwa Unsicherheiten reduziert (vgl. Bittner 2016), die Arztkonsultation vorbereitet (vgl. Ahmad et al. 2006) oder die diagnostischen Fähigkeiten der Patienten verbessert werden (vgl. ebd.). Das erworbene Wissen kann aus Sicht der Ärzte eine gemeinsame Gesprächsgrundlage bilden (vgl. Baumgart 2010; Sommerhalder et al. 2009) und dazu beitragen, dass Patienten die Ausführungen des Arztes besser verstehen (vgl. Bittner 2016). Darüber hinaus sprechen Ärzte dem Wissen von Patienten ein unterstützendes Potenzial im Entscheidungsprozess zu – sei es bei der Diagnosefindung oder bei der Wahl der Behandlung (vgl. Ahmad et al. 2006). Mit dem emanzipatorischen Potenzial der gesundheitsbezogenen Internetnutzung von Patienten verbinden Ärzte zudem effizientere und effektivere Arzt-Patient-Interaktionen. So führt das erzielte bessere Verständnis von ärztlichen Ausführungen aufseiten der Patienten dazu, dass den Medizinern die Wissensvermittlung erleichtert wird (vgl. Bittner 2016) und die Sprechstundenzeit effektiver genutzt werden kann (vgl. Gerber/Eiser 2001: 2). Darüber hinaus wird die Informationssuche durch Patienten von Ärzten zum Teil als eine Form von Arbeitsteilung interpretiert, die nicht nur den Aufwand der Ärzte reduziert, sondern sie auch von Verantwortung entlastet (Broom 2005a): The medical consultation was viewed as a partnership rather than a process of one-way information provision. The Internet functioned both to empower the patient, and, second, to relieve the specialist of the pressure of being the sole decision-maker. (ebd.: 326)

Diese Form der Arbeitsteilung eröffnet den Medizinern die Möglichkeit, ihren Fokus von der Informationsvermittlung hin zur Behandlung zu verschieben. Ärzte sehen sich selbst als Partner des informierten Patienten. (vgl. Sommerhalder et al. 2009)

Thematisierung von gesundheitsbezogenen Online-Angeboten im Arzt-Patient-Gespräch

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Neben dem emanzipatorischen und effizienzsteigernden Potenzial verbinden Ärzte auch Verunsicherungs- und Komplexitätsrisiken mit der gesundheitsbezogenen Internetnutzung von Patienten. So zeigen Studien, dass Mediziner über die Erfahrung verfügen, dass die online verfügbaren Informationen Patienten besorgen, verunsichern, verwirren oder überfordern (vgl. Ahmad et al. 2006; Baumgart 2010; Broom 2005a; Nwosu/Cox 2000; Uden-Kraan et al. 2010). Häufig komme es aus Sicht der Mediziner zu Fehldiagnosen oder Fehlinterpretationen (vgl. Baumgart 2010). Das Wissen, das sich Patienten aneignen, sei mangelhaft oder falsch (vgl. Thielscher/Schulte-Sutrum 2016). Dies wird insbesondere auf die geringe Qualität der gesundheitsbezogenen Online-Angebote zurückgeführt (vgl. Ahmad et al. 2006; Erdem/Harrison-Walker 2006). Aber auch die Gesundheitskompetenz der jeweiligen Patienten spielt aus Sicht der Ärzte eine Rolle für patientenseitige Folgen der gesundheitsbezogenen Internetnutzung (vgl. Caiata-Zufferey/Schulz 2012: 743). Überdies erforderten Fehlinterpretationen durch Patienten ärztliche Korrektur und damit zeitaufwendige Diskussionen (vgl. Ahmad et al. 2006; Baumgart 2010; Broom 2005a). Diese können sich zu Konflikten zwischen Arzt und Patient – bis hin zu medizinischen Rechtsstreitigkeiten (vgl. ebd.; Nwosu/Cox 2000) – entwickeln, wenn es zu keiner übereinstimmenden Interpretation kommt (vgl. Sommerhalder et al. 2009). Insgesamt entstehen in dieser Perspektive wachsende Anforderungen der Patienten an den Arzt, die sowohl die Beratung als auch Versorgungsleistungen betreffen (vgl. Baumgart 2010; Nwosu/Cox 2000) und die Komplexität der ärztlichen Aufgabe erhöhen (vgl. Caiata-Zufferey/Schulz 2012: 741). 41 Mit den zunehmenden Anforderungen an die Rolle des Arztes verbindet sich in der Perspektive der Mediziner ein zunehmendes Misstrauen der internetinformierten Patienten gegenüber der ärztlichen Kompetenz (vgl. Ahmad et al. 2006; Baumgart 2010; Broom 2005a; Sommerhalder et al. 2009). Dieses Infragestellen führt mitunter zu einer Verunsicherung der Ärzte – zur Angst, als ignorant

41

In mehreren Studien wird auf die Notwendigkeit verwiesen, dass Ärzte sich im Umgang mit internetinformierten Patienten weiterbilden (vgl. z. B. Kirschning et al. 2004; McMullan 2006; Sillence et al. 2007). Eine Schulung könnte beispielsweise in die Empfehlung von evidenzbasierten Internet-Angeboten münden, die Patienten fehlt (vgl. Russ et al. 2011) bzw. die sich Patienten zur Unterstützung wünschen (vgl. de Boer et al. 2007).

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Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

wahrgenommen zu werden oder die Kontrolle im Arzt-Patient-Gespräch zu verlieren (vgl. Ahluwalia et al. 2010): „I would certainly have a heartbeat moment when they mentioned it“ (ebd.: 90). Die Befunde zeigen, dass Mediziner mit der gesundheitsbezogenen Internetnutzung von Patienten teilweise gegensätzliche Potenziale verbinden: eine Stärkung des Patienten einerseits und seine Überforderung und Verunsicherung andererseits. Auch steht einer erhofften Effizienzsteigerung ein befürchteter zusätzlicher Aufwand für den Arzt gegenüber. Grundsätzlich gilt, dass die gesundheitsbezogene Informationsrecherche durch Patienten aus Sicht von Medizinern das Potenzial einer Modifikation ihrer alltäglichen ärztlichen Praxis birgt (vgl. CaiataZufferey/Schulz 2012: 741). Ärzte stellen fest, dass sich der herkömmliche Verlauf des Arzt-Patient-Gesprächs – die Routinen und Standardprozeduren – verändert (vgl. ebd.). Wie sich diese Veränderung gestaltet, hängt nicht nur von den Patienten ab, sondern auch davon, wie Ärzte auf vorinformierte Patienten reagieren. Auf Basis der bestehenden Forschungsliteratur lassen sich unterschiedliche Techniken identifizieren, die Ärzte anwenden, um mit Patienten umzugehen, die sich im Internet informieren (vgl. Ahluwalia et al. 2010; Ahmad et al. 2006; Baumgart 2010; Bowes et al. 2012; Bylund et al. 2007; Caiata-Zufferey/Schulz 2012; Kirschning et al. 2004; Shen et al. 2015; Silver 2015; Sommerhalder et al. 2009): • Online-Informationen abweisen oder negieren: Ärzte, die davon ausgehen, dass Online-Informationen dem Patienten grundsätzlich nicht nützen oder ihm sogar schaden, versuchen, das im Internet angeeignete Wissen der Patienten abzuweisen und zu negieren (vgl. Caiata-Zufferey/Schulz 2012: 743). • Mit Informationen versorgen und Unterstützung anbieten: Zu den Gesprächstechniken von Ärzten gehört, dass sie internetinformierte Patienten bewusst umfangreich mit Informationen versorgen (vgl. Baumgart 2010) und ihre Meinung und Unterstützung anbieten (vgl. Bowes et al. 2012). • Offene Fragen stellen und Interesse signalisieren: Außerdem geben Ärzte informierten Patienten die Möglichkeit, ihr erworbenes Wissen einzubringen, indem sie von vornherein offene Fragen formulieren (vgl. Ahluwalia et al. 2010). Ärzte hören zu (vgl. Bowes et al. 2012) und zeigen sich ihren Patienten und deren Ausführungen gegenüber interessiert (vgl. Kirschning et al. 2004).

Thematisierung von gesundheitsbezogenen Online-Angeboten im Arzt-Patient-Gespräch













67

Herkunft des Wissens identifizieren: Um die Herkunft von Informationen zu identifizieren und ihren Patienten die Scham davor zu nehmen, sich zu offenbaren, fragen Ärzte ihre Patienten – teils explizit, teils implizit – ob sie im Internet nach Informationen recherchiert haben (vgl. Shen et al. 2015). Online-Informationen besprechen und gegebenenfalls korrigieren: Insbesondere mit Patienten, die fehlerhafte Selbstdiagnosen oder eine starke Verunsicherung zeigen, besprechen und interpretieren Ärzte die im Internet angeeigneten Informationen. Mitunter lassen sie sich auf Diskussionen mit ihren Patienten ein (vgl. Bowes et al. 2012; Silver 2015) oder bieten ihnen eine weiterführende Diskussion an (vgl. Bowes et al. 2012). Sie erklären diese Informationen (vgl. Bylund et al. 2007; Shen et al. 2015) und wenden sie auf den konkreten Fall an, wodurch die Informationen für die Patienten adäquate Bedeutung erhalten (vgl. Sommerhalder et al. 2009: 268). Zudem stellen sie vertiefende Fragen zu den Internetinformationen (vgl. Shen et al. 2015) und bestätigen (vgl. Bylund et al. 2007; Shen et al. 2015), widerlegen (vgl. Bylund et al. 2007; Sommerhalder et al. 2009) bzw. korrigieren die Informationen der Patienten (vgl. Ahluwalia et al. 2010; Ahmad et al. 2006; Baumgart 2010). Zum Teil äußern Ärzte ihre Bedenken bezüglich der Internet-Quellen (vgl. Bowes et al. 2012). Respekt zollen: Mitunter loben Ärzte ihre Patienten für ihre Rechercheleistung (vgl. Ahluwalia et al. 2010) und die erbrachte Eigeninitiative (vgl. Shen et al. 2015). Sie tun dies unter anderem, indem sie die aus der Internetrecherche erwachsenen Fragen der Patienten bereitwillig beantworten, anstatt sie zu ignorieren (vgl. Bylund et al. 2007). Aktives Informationsverhalten bestärken: Außerdem kann es zu den Techniken von Ärzten gehören, Patienten darin zu bestärken, sich aktiv zu informieren (vgl. Ahluwalia et al. 2010; Shen et al. 2015). Internetnutzung steuern: Ärzte steuern und unterstützen die Online-Nutzung von Patienten, indem sie sie beispielsweise auf vertrauenswürdige Websites aufmerksam machen. (vgl. Ahluwalia et al. 2010; Ahmad et al. 2006; Baumgart 2010; Shen et al. 2015) Mit Wissenslücken umgehen, Folgetermine vereinbaren oder an Fachärzte überweisen: Schließlich gehört es zum Repertoire kommunikativer Maßnahmen, das Ärzte gegenüber informierten Patienten in Stellung bringen, offen

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Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

mit ihren eigenen Wissenslücken umzugehen (vgl. Ahluwalia et al. 2010) und im Zweifelsfall Patienten an einen Facharzt zu verweisen. Auch das bewusste Verdecken von eigenen Wissenslücken (vgl. Bowes et al. 2012) und das Vereinbaren eines Folgetermins, auf den sich die Ärzte gezielt vorbereiten können oder bei dem sie sich nochmals tiefer mit dem Thema befassen können, ist nicht unüblich. (vgl. Ahmad et al. 2006; Bylund et al. 2007; Shen et al. 2015)

3.3

Nutzung gesundheitsbezogener Online-Angebote zur interpersonalen Kommunikation

Wie gezeigt wurde, stehen Patienten im Zuge der Digitalisierung Online-Angebote zur Verfügung, die sie nutzen können, um sich eigenständig gesundheitsbezogenes Wissen anzueignen. Dieses Wissen können sie in das Arzt-Patient-Gespräch einbringen, womit Ärzte wiederum umgehen müssen. Daneben eröffnet die Digitalisierung Patienten und Ärzten eine Vielzahl von Möglichkeiten, asynchron oder synchron medienvermittelt miteinander zu kommunizieren. 42 Diese neuen Kommunikationsformen erweitern – neben dem Telefonat und dem Faceto-Face-Gespräch – die Möglichkeiten der interpersonalen Kommunikation zwischen Arzt und Patient. In Deutschland wird der Einsatz der Online-Angebote zur medienvermittelten Kommunikation zwischen einem Arzt und einem Patienten durch das Fernbehandlungsverbot gesetzlich geregelt, das deutschen Ärzten untersagt, eine ausschließlich medienvermittelte Behandlung und Beratung vorzunehmen. So heißt es in Paragraph 7 Absatz 4 der (Muster-)Berufsordnung für Ärzte: Ärztinnen und Ärzte dürfen individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen. Auch bei telemedizinischen Verfahren ist zu gewährleisten, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten unmittelbar behandelt. (Bundesärztekammer 2015: A3)

42

Synchrone und asynchrone Konsultationen über das Internet werden im anglo-amerikanischen Sprachraum unter eine Vielzahl von Begrifflichkeiten geführt. Dazu zählen u. a. ‚teleconsultation‘, ‚e-Visit‘, ‚e-Consultation‘, ‚video-consultation‘ oder ‚online medical consultation‘ (vgl. Al-Mahdi et al. 2015).

Nutzung gesundheitsbezogener Online-Angebote zur interpersonalen Kommunikation

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Medienvermittelte Kommunikation mit Bestandspatienten ist hingegen erlaubt. Gleiches gilt für die Beratung von Patienten, die bereits bei einem anderen Arzt in Behandlung sind und sich eine zweite Meinung einholen wollen (vgl. z. B. Achterfeld 2014: 225f.). Im Zuge des E-Health-Gesetzes (‚Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendung im Gesundheitswesen‘) erfährt der Einsatz von Angeboten zur medienvermittelten Kommunikation einen Aufschwung. Ab Mitte 2017 wurde synchrone Online-Video-Konsultation mittels einer EBM-Ziffer in die vertragsärztliche Versorgung aufgenommen (vgl. z. B. Höhl 2016; Martenstein/Wienke 2016). Ein Blick auf die Nutzerzahlen von asynchroner und synchroner Arzt-PatientKommunikation zeigt: „Online patient–provider communication remains relatively uncommon“ (Heaton 2011: 221). Ähnlich fassen auch Ye und Kollegen (2010) in ihrer Literaturübersicht zur E-Mail-Kommunikation zusammen: „Even though for many of us e-mail has been a primary means to build relationships and keep in touch in our daily life, it is still a new frontier in patient-provider communication“ (ebd.). Studien – insbesondere aus dem US-amerikanischen Raum – legen nahe, dass die Entwicklung der Nutzerzahl von Angeboten zur wechselseitigen Online-Kommunikation innerhalb der letzten Jahre durchaus angestiegen ist. Nichtsdestotrotz hat sie die 30 Prozent bislang nicht deutlich überschritten. (vgl. Jiang/Street 2016) Patienten, die mit ihrem Arzt online kommunizieren, sind in der Tendenz jung und höher gebildet (vgl. Houston et al. 2004; Jiang/Street 2016; Katz et al. 2003; Moyer et al. 2002; Newhouse et al. 2015; Stalberg et al. 2008). Das zeigt, dass Angebote zur medienvermittelten interpersonalen Kommunikation nicht allen Patienten gleichermaßen zugänglich sind (vgl. Houston et al. 2003). Dies wiederum unterstützt die These von einem Digital Divide (vgl. Virji et al. 2006). 43 Der Gesundheitszustand und die allgemeine Nutzung von gesundheitsbezogenen Internetangeboten steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Nutzung von Angeboten zur medienvermittelten Arzt-Patient-Kommunikation (vgl. Jiang/Street 2016). Bei den Ärzten sind es eher die jüngeren, die Angebote zur wechselseitigen Online-Kommunikation mit ihren Patienten nutzen (vgl. 43

Wenngleich die Nutzer als eher jung zu charakterisieren sind, bedeutet das nicht, dass nicht auch ältere Personen ein großes Interesse an online-basierter wechselseitiger Kommunikation mit dem Arzt zeigen (vgl. Singh et al. 2009). Bezüglich des Geschlechts gehen die Ergebnisse auseinander (vgl. Katz et al. 2003; Moyer et al. 2002; Newhouse et al. 2015).

70

Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

Menachemi et al. 2011). Zumeist handelt es sich bei den Ärzten, die diese Form der Kommunikation ermöglichen und vollziehen, um Fachärzte in Gemeinschaftspraxen oder (Universitäts-)Kliniken, die in Städten praktizieren (vgl. Brooks/Menachemi 2006; Gaster et al. 2003; Guth/Diflo 2006; Menachemi et al. 2011). Es gibt auch Indizien dafür, dass kleinere Praxen nach und nach ihren Patienten Möglichkeiten zur wechselseitigen Online-Kommunikation anbieten. Dies begründen Lang und Kiel (2008) am Beispiel der E-Mail-Kommunikation wie folgt: „Small medical facilities adopted e-mail communication because it is easy and because small practices tend to more readily adapt to patients’ wants and needs“ (ebd.: 29). Empirische Befunde zeigen, dass Online-Angebote zur wechselseitigen asynchronen Kommunikation sich in ihren Potenzialen von Angeboten unterscheiden, die wechselseitige synchrone Kommunikation ermöglichen. Um diese Unterschiede zu verdeutlichen, werden im Folgenden zunächst wesentliche Erkenntnisse aus Studien zur asynchronen Kommunikation mittels Online-Angeboten zwischen Arzt und Patient dargestellt. Daraufhin erfolgt selbiges für Formen der synchronen Kommunikation. Dabei werden die Potenziale für die Arzt-PatientBeziehung aus Sicht von Patienten und Medizinern in den Blick genommen. 3.3.1

Asynchrone Online-Kommunikation

Asynchrone Arzt-Patient-Kommunikation ist grundsätzlich davon abhängig, ob Ärzte bzw. Arztpraxen entsprechende elektronische Kontaktmöglichkeiten – über das Telefon oder das Faxgerät hinaus – zur Verfügung stellen. Sie kann über eine Vielzahl von Online-Angeboten stattfinden. Dazu gehört beispielsweise die E-Mail-Kommunikation, die über traditionelle E-Mail-Provider stattfindet. Auch Bestell- oder Kontaktformulare auf der Arzt-Website ermöglichen den Patienten, mit einem Arzt asynchron zu kommunizieren. Schließlich können entsprechende Funktionen zur wechselseitigen Kommunikation auf Social-Networking-Sites oder Arztbewertungsportalen genutzt werden. Der asynchrone Austausch zwischen Arzt und Patient ist primär auf die textbasierte Kommunikation begrenzt

Nutzung gesundheitsbezogener Online-Angebote zur interpersonalen Kommunikation

71

und findet – solange er vom Arzt gesteuert werden kann – größtenteils verschlüsselt statt. 44 Patienten nutzen Online-Kommunikation, um koordinierende Tätigkeiten zu erledigen, wie beispielsweise das Vereinbaren von Terminen oder Anfordern von Rezepten (vgl. Bergmo et al. 2005; Couchman et al. 2005; Eichenberg/Kienzle 2011; Gaster et al. 2003; Houston et al. 2003; Murray et al. 2003; Patt et al. 2003; Roter et al. 2008). Daneben werden auch gesundheitsrelevante Themen kommuniziert. Die gesundheitsbezogene medienvermittelte Arzt-Patient-Kommunikation reicht von der Mitteilung und Besprechung von Laborbefunden (vgl. Bergmo et al. 2005; Couchman et al. 2005; Gaster et al. 2003; Houston et al. 2003; White et al. 2004) über Rückfragen zu unbeantworteten Aspekten aus dem persönlichen Gespräch (vgl. Bergmo et al. 2005) und Updates zum Gesundheitszustand (vgl. White et al. 2004) bis hin zu allgemeinen Informationen über eine Therapie (vgl. Eichenberg/Kienzle 2011) oder Hinweise zur gesunden Lebensführung und Präventionsmaßnahmen (vgl. Roter et al. 2008). Zumeist handelt es sich dabei um Themen, die in engem Zusammenhang mit dem direkten, persönlichen Austausch stehen und keine unmittelbare Brisanz haben (vgl. Houston et al. 2003). Demgemäß betonen auch Ärzte, dass sich die asynchrone medienvermittelte Kommunikation nicht für Notfälle eigne (vgl. ebd.; Patt et al. 2003). Studien führen eine Reihe von Potenzialen auf, die Ärzte und Patienten mit asynchroner wechselseitiger Online-Kommunikation verbinden. Dazu gehören der direkte, orts- und zeitunabhängige Zugang zum Arzt für den Patienten sowie die Möglichkeit für den Arzt, seine Kommunikation zeitsouverän anhand von 44

Weitere Online-Angebote offerieren die Möglichkeit der kostenlosen oder kostenpflichtigen asynchronen Kommunikation zwischen Patienten und anonymen ‚Internetärzten‘. Zu diesen Angeboten zählen beispielsweise die Websites ‚Ask the doctor 24‘ und ‚Justananswer‘, die Patienten die Beantwortung medizinischer Fragen durch Experten ermöglichen oder die Website ‚Was hab’ ich?‘, die Patienten eine Übersetzung von fachsprachlich formulierten Diagnosen in Allgemeinsprache durch Medizinstudenten anbietet. Diese Angebote finden im Folgenden keine weitere Berücksichtigung, da der Fokus dieses Abschnitts auf der medienvermittelten Kommunikation zwischen einem Patienten und seinem Arzt liegt. Trotzdem soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass auch primär online-basierte Arzt-Patient-Beziehungen, die zumeist dem Einholen einer zweiten Meinung dienen, das Potenzial bergen, das Wissen des Patienten bezüglich seiner Krankheit und deren Behandlung auszuweiten und somit bestehende Beziehungen zu Ärzten zu verändern (vgl. Collste 2002: 121). Für eine Forschungsübersicht zur asynchronen Kommunikation zwischen Patienten und Online-Ärzten siehe z. B. Sing (2008: 125ff.) oder Eysenbach (2000).

72

Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

Dringlichkeiten zu priorisieren. Bereits das Potenzial zum direkten Zugang zum Arzt vermittelt Patienten ein Gefühl von Sicherheit. Darüber hinaus ermöglicht asynchrone Kommunikation Patienten, Themen aus dem direkten Gespräch zu vertiefen oder heikle Themen anzusprechen. Der asynchrone Kommunikationsweg stellt zudem für Patienten einen Raum dar, in dem sie ihre Krankheit reflektieren können. Die Potenziale, die sich aus Sicht von Ärzten und Patienten durch asynchrone Online-Kommunikation für die Arzt-Patient-Beziehung ergeben, werden nachstehend aufgeführt. Orts- und zeitsouveränes Erreichen des Arztes Die einfach bedienbaren und zumeist kostenlos verfügbaren Online-Angebote zu asynchroner Kommunikation geben Patienten das Gefühl, einen direkten sowie orts- und zeitunabhängigen Zugang zu ihrem Arzt zu besitzen (vgl. Andreassen et al. 2006; Leong et al. 2005; Rosen/Kwoh 2007; Tjora et al. 2005). Sie ermöglichen Patienten eine Kontaktaufnahme zum behandelnden Mediziner unabhängig von einem Termin oder den Öffnungszeiten der Arztpraxis (vgl. Andreassen et al. 2006; Tjora et al. 2005). Die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme unabhängig von Ort und Zeit birgt somit vor allem emanzipatorisches Potenzial für diejenigen Patienten, die weniger stark an die räumlichen und zeitlichen Vorgaben ihres Hausarztes gebunden sind (vgl. Andreassen et al. 2006: 243; Ball/Lillis 2001: 5). Darüber hinaus nehmen Patienten die Möglichkeit zu orts- und zeitunabhängiger asynchroner Online-Kommunikation mit ihrem behandelnden Mediziner als emotionalen Support wahr (vgl. Andreassen 2010; Andreassen et al. 2006). Bereits die bloße Möglichkeit, mit dem Arzt in Kontakt treten zu können – zum Beispiel dadurch, die E-Mail-Adresse des Arztes zu kennen – verschafft Patienten ein Sicherheitsgefühl und beruhigt sie, selbst wenn sie die Möglichkeit zum medienvermittelten Austausch nicht nutzen. Der direkte Zugang zum Arzt, der durch Online-Angebote potenziell möglich ist, gibt Patienten das Gefühl, mit ihren Problemen nicht alleingelassen zu werden. Sie sind ferner der Ansicht, durch potenziell ständige kommunikative Verbindung mit ihrem Arzt die Verantwortung für ihre Krankheit mit ihm teilen zu können und ohne den Aufwand eines Praxisbesuchs Informationen vom Arzt erhalten zu können, was sie als Entlastung empfinden. (vgl. Andreassen 2010; Andreassen et al. 2006)

Nutzung gesundheitsbezogener Online-Angebote zur interpersonalen Kommunikation

73

Das größte Potenzial von Online-Angeboten zu asynchroner Kommunikation sehen Ärzte darin, dass sie für ihre Patienten besser erreichbar sind (vgl. Patt et al. 2003). Sie betonen außerdem, dass der Kontakt zu ihren Patienten über OnlineAngebote direkter vonstattengehe, da keine Vorfilterung des Anliegens durch das Praxispersonal erfolge, die etwa bei synchroner medienvermittelter Kommunikation über das Telefon häufig unumgänglich ist (vgl. ebd.). Die zeitliche Souveränität wird von Ärzten nicht nur als Potenzial für die Patienten betrachtet, vielmehr sehen auch Ärzte asynchrone Kommunikation als Chance, die ihre eigene Flexibilität beim Antworten erhöht und ihnen die Möglichkeit gibt, wichtige und eilige Fälle vorzuziehen (vgl. ebd.). Ansprechen von heiklen Themen und Vertiefen von Themen Asynchrone Online-Kommunikation ermöglicht Patienten, Probleme anzusprechen oder Fragen zu stellen, die sie in das direkte Arzt-Patient-Gespräch nicht eingebracht hätten. Dazu zählen auch Themen, die Patienten als heikel beschreiben (vgl. Houston et al. 2004) sowie die Kritik an Abläufen in der Praxis oder am Arzt sowie der Behandlung (vgl. Roter et al. 2008). Einige Patienten geben an, dass es ihnen teilweise online leichter falle, sich zu öffnen (vgl. Andreassen et al. 2006). Ferner haben sie das Gefühl, dass sie im Zuge asynchroner Kommunikation die Zeit ihres Arztes – im Gegensatz zu der Situation bei einem persönlichen Gespräch – nicht überstrapazieren und so tiefer in eine Thematik einsteigen können. In diesem Zusammenhang wird asynchrone Kommunikation als „visit extender“ (Baur 2000: 244) bezeichnet, mit dessen Hilfe die – oft als kurz wahrgenommene – Behandlungszeit kompensiert werden könne (vgl. Tjora et al. 2005). Im Gegensatz dazu zeigen die Studien allerdings auch, dass einige Patienten textbasierte asynchrone Kommunikation als ungeeignet empfinden, um heikle Themen anzusprechen oder Themen zu vertiefen, da sie zu unpersönlich sei (vgl. ebd.). Auch Ärzte heben die Möglichkeit für die Patienten hervor, sensible Themen leichter anzusprechen (vgl. Patt et al. 2003). Vor allem bei denjenigen Patienten, die sich schriftlich besser als verbal ausdrücken können (vgl. ebd.), kann asynchrone Kommunikation für Ärzte hilfreich sein, um ihre Patienten besser verstehen und unterstützen zu können (vgl. Houston et al. 2004). Gleichermaßen ver-

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Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

weisen Ärzte jedoch darauf, dass sie Patienten, die sehr komplexe oder schwerwiegende Probleme ansprechen bzw. vage Fragen formulieren, zu einem persönlichen Gespräch einbestellen (vgl. Houston et al. 2003; Patt et al. 2003). Reflektieren der Krankheit Einige Patienten nehmen asynchrone Kommunikation als Möglichkeit zur Reflexion wahr. Sie ist für Patienten „a new avenue for expressing questions and concerns“ (Andreassen et al. 2006: 245). Die Patienten werden sich darüber bewusst, was genau sie fragen wollen und warum; auch können sie ihre eigene Krankheitsnarration ohne Zeitdruck entwickeln und darlegen (vgl. Andreassen et al. 2006; Tjora et al. 2005). Dies beschreiben Tjora und Kollegen (2005) folgendermaßen: Many patients reported that the written communication gave them the opportunity to think carefully through their message, for example, their illness history […]. Using text to communicate provided a less stressful situation, allowing patients to produce a full illness narrative. Some patients felt that there was always too little time to talk with the GP during office consultations. (ebd.)

Asynchrone Kommunikation eröffnet Patienten auf der einen Seite zwar die Möglichkeit der Reflexion. Auf der anderen Seite geht mit ihr aber auch die Verantwortung einher, die Informationen zu filtern, die sie dem Arzt zukommen lassen. Diese Verantwortung dafür, Informationen zu filtern, setzt Reflexion und Wissen über den eigenen Körper und Gesundheit voraus. Patienten müssen Symptome und ihr gesundheitliches Empfinden interpretieren und sprachlich ausdrücken können. Reflexion ist also nicht nur eine Chance von asynchroner Kommunikation, sie ist gleichsam Voraussetzung für eine hilfreiche medienvermittelte Kommunikation zwischen Arzt und Patient. (vgl. Andreassen et al. 2006: 246) Asynchrone Online-Kommunikation als Ergänzung der Arzt-PatientKommunikation Die dargestellten Befunde zeigen, dass online-basierte asynchrone Kommunikation als Ergänzung der Arzt-Patient-Kommunikation betrachtet werden kann. Online-Angebote erweitern die Möglichkeiten von Patienten, mit ihrem behandelnden Arzt in Kontakt zu treten. Asynchrone Kommunikation wird nicht als Ersatz bisheriger Kommunikationswege (direkte Face-to-Face-Kommunikation

Nutzung gesundheitsbezogener Online-Angebote zur interpersonalen Kommunikation

75

oder Telefon-Kommunikation) verstanden, sondern als „element of a patientphysician ‘interaction package’“ (Baur 2000: 245). Patienten sind der Meinung, dass die persönliche Beziehung zu ihrem Arzt durch medienvermittelte Kommunikation ausgebaut werden kann: „[The Patients] already had a ‘personal’ relationship with their physician and this mode of communication served to extend that“ (Sittig et al. 2001: 75). Demgemäß halten auch Andreassen und Kollegen (2006) fest: „[B]y lowering the threshold for contacting the doctor, some e-mediated communication technologies might have the potential to stimulate the building of patient-doctor relationships in alternative ways“ (ebd.: 244). Aus Sicht der Patienten birgt asynchrone Kommunikation – wie jede Form von Kommunikation – das Potenzial, das Vertrauen zwischen Arzt und Patient auszubauen. Gleichzeitig ist eine vertrauensvolle Beziehung bereits die Voraussetzung dafür, mit dem Arzt medienvermittelt über gesundheitliche Fragen zu kommunizieren. Dementsprechend konstatieren Andreassen und Kollegen (2006): „[A] trusting relationship between doctor and patient appears fundamental when the patients construe the new technology as an issue of doctor-patient communication“ (ebd.: 242). Nur in wenigen Fällen wird asynchrone Kommunikation als Ersatz für einen Arztbesuch in Betracht gezogen (vgl. Andreassen 2010; Bergmo et al. 2005). Begründet wird dies von den Patienten beispielsweise damit, dass die persönliche Begegnung mit einigen Hürden verbunden ist, wie beispielsweise Wartezeiten, Praxisorganisation oder Vorfilterung durch die Medizinischen Fachangestellten. „Electronic communication can therefore provide a useful and effective alternative to such visits“ (ebd.: 709). Wie Andreassen betont, geht es Patienten nicht darum, gänzlich auf Arztbesuche zu verzichten. Insbesondere für Nachfolgeuntersuchungen oder generelle Gesundheitsfragen ohne zeitliche Brisanz stellt asynchrone Kommunikation eine Alternative dar: [E]lectronic communication can replace some face-to-face encounters in patient follow-ups. However, a main finding is that electronic communication tools do not only replace, but also supplement traditional patient care. (Andreassen 2010: 527)

Auch der Blick auf etablierte Kommunikationsformen wie das Telefon zeigt, dass asynchrone Kommunikation diese nicht verdrängt, sondern eine Erweiterung

76

Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

hierzu darstellt. So verdeutlichen empirische Befunde, dass die Nutzung asynchroner Kommunikationsformen zu keiner Reduktion von telefonischer Kommunikation führt (vgl. Bergmo et al. 2005; Katz et al. 2003). Fragt man Patienten nach ihren Präferenzen, so werden in der Regel sowohl Telefonate als auch Face-toFace-Begegnungen der E-Mail vorgezogen. Ausnahmen der Regel sind beispielsweise Erkrankungen wie Halsschmerzen oder Rückenprobleme, in deren Zusammenhang E Mail-Kommunikation von Patienten bevorzugt wird, weil sie als eher bekannt und weniger schwerwiegend eingestuft werden (vgl. ebd.). Dass OnlineKommunikation nicht als Gegensatz zum Arztbesuch konzipiert werden kann, zeigt ebenso der Befund, dass Patienten, die häufiger einen Arzt aufsuchen (wie beispielsweise Patienten mit chronischen oder zahlreichen Erkrankungen), zugleich häufiger per E-Mail mit ihrem Arzt kommunizieren (vgl. Newhouse et al. 2015). Increased use of email is not associated with increased visits to a physician among the „worried well“ but is associated with increased overall virtual and physical engagement among those with chronic and multimorbid conditions. (ebd.)

3.3.2

Synchrone Online-Kommunikation

Ebenso wie asynchrone Arzt-Patient-Kommunikation hängt synchrone OnlineKommunikation zwischen Ärzten und Patienten davon ab, ob Ärzte über die entsprechende technische Infrastruktur verfügen. Synchrone Arzt-Patient-Kommunikation findet mittlerweile vermehrt über Online-Angebote statt, die speziell für die Online-Konsultation per Video- und Audio-Kommunikation entwickelt wurden. 45 Dazu zählen in Deutschland Online-Plattformen wie ‚patientus‘ oder ‚arztkonsultation.de‘, die von Ärzten kostenpflichtig genutzt werden können. Diese 45

Die aufgeführten Online-Angebote lassen sich den telemedizinischen Anwendungen zuordnen. Telemedizin meint „die Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen unter Verwendung elektronischer Datenanwendungs- und Datenübertragungssysteme durch Informations- und Telekommunikationstechnologien bei bestehender geografisch räumlicher Separierung der Teilnehmer“ (Eberl et al. 2006: 383). Einen wesentlichen Teilbereich der Telemedizin nimmt das Telemonitoring ein. Dieses bezeichnet die Fernüberwachung mittels elektronischer Übertragungswege (zur Übermittlung von Daten wie z. B. Gewicht, Blutdruck, Herzfrequenz) von Patienten, die an einer chronischen Erkrankung (wie beispielsweise an einer Herzinsuffizienz) leiden (vgl. Meystre 2005). Die zahlreichen Studien zum Telemonitoring finden in dieser Arbeit keine weitere Berücksichtigung. Für eine Literaturübersicht zum

Nutzung gesundheitsbezogener Online-Angebote zur interpersonalen Kommunikation

77

Plattformen gewährleisten Fach- und Hausärzten, eine verschlüsselte OnlineKonsultation – unter Berücksichtigung der berufsrechtlichen Rahmenbedingungen – mit ihren Patienten durchzuführen. Ein Patient, der die Plattform ‚patientus‘ oder ‚arztkonsultation.de‘ nutzt, benötigt von seinem Arzt nicht nur eine E-Mail mit dem Zugangslink, sondern auch eine TAN-Nummer, die ihm den Eintritt in das ‚virtuelle Wartezimmer‘ erlaubt (vgl. Müschenich 2016). Das Gespräch wird nicht aufgezeichnet, jedoch hat der Arzt die Möglichkeit, wichtige Notizen über eine Schnittstelle zum Praxis-Management-System (PMS) festzuhalten. Die Studien, die sich mit den Potenzialen synchroner Online-Kommunikation auseinandersetzen, heben vor allem den ortsunabhängigen Zugang der Patienten zum Arzt hervor. Patienten sparen durch die Ortsunabhängigkeit der OnlineKonsultation die Anfahrtszeit sowie Reisekosten ein. Besonders vorteilhaft ist dies für chronische Patienten, die ihren Arzt im Zuge regelmäßiger Untersuchungen häufig aufsuchen müssen. Auch für Patienten, die in ländlichen Regionen wohnen und keinen Facharzt bzw. Spezialisten direkt vor Ort haben, ist eine Online-Konsultation hilfreich. Zudem profitieren davon Patienten, die sich aufgrund ihrer Erkrankung (oder der Erkrankung eines Familienangehörigen) und damit einhergehender psychischer oder physischer Einschränkung nicht in der Lage sehen, in die Praxis zu gehen. (vgl. Fatehi et al. 2013; Johansson et al. 2014; Jury et al. 2013; Moffatt/Eley 2010) Gleichermaßen sehen Ärzte den ortsunabhängigen Zugang zu ihren Patienten als Chance der synchronen Online-Kommunikation (vgl. Jury et al. 2013). Zugleich weisen Ärzte allerdings darauf hin, dass Online-Konsultationen nicht für alle Patienten geeignet seien. Insbesondere Patienten, die im Zuge der Online-Konsultation wenig Aktivität von sich aus zeigen und Schwierigkeiten haben, ihren Zustand zu beschreiben, erschweren aus Sicht der Mediziner das Gespräch. Darüber hinaus führen Ärzte an, dass synchrone Online-Kommunikation bei Patienten, deren Krankheiten eine körperliche Untersuchung erfordern, häufig nicht ausreiche. Online-Konsultationen führen in diesen Fällen vermehrt zu zusätzlichen Folgeterminen, in denen dann beispielsweise eine körperliche Untersuchung erfolgt. (vgl. ebd.; Liu et al. 2007; Zandbelt et al. 2016)

Telemonitoring siehe Kitsiou und Kollegen (2015), zum Zusammenhang zwischen Telemonitoring und der Arzt-Patient-Beziehung siehe beispielsweise für den deutschsprachigen Raum die Studie von Kluska (2012).

78

Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

Synchrone Online-Kommunikation als Ergänzung der Arzt-PatientKommunikation Synchrone Online-Kommunikation kann die Kommunikation zwischen den Beziehungspartnern ergänzen. Wenngleich Patienten (unabhängig von ihrem Alter oder ihrer Technikaffinität) das Face-to-Face-Gespräch mit ihrem Arzt bevorzugen (vgl. Beul et al. 2011) – es ist die erste Wahl im Fall einer Erkrankung –, belegen Studien, dass Patienten ebenso der Ansicht sind, dass eine Online-Konsultation den gleichen Versorgungsstandard bietet wie ein direktes Gespräch (vgl. Jury et al. 2013). Aus Sicht der Patienten berät und diagnostiziert der Arzt sie in der Online-Konsultation auf die gleiche Art und Weise wie in einem Face-to-FaceGespräch (vgl. Johansson et al. 2014). Trotz des Potenzials, das Patienten wie auch Ärzte der Online-Konsultation zuschreiben, zeigt sich, dass sich die Möglichkeiten zu synchroner Online-Kommunikation im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung im Prozess der Institutionalisierung befinden und erst erlernt werden müssen. Dies legt zum Beispiel ein empirischer Vergleich der Kommunikation in einer Video-Konsultation (über die Plattform ‚Milwaukee VAMC Hub Site‘) und in einem Face-to-Face-Gespräch nach dem ‚Roter Interaction Analysis System‘ nahe (vgl. Agha et al. 2009). Insbesondere bei ungeübten Patienten laufen Online-Konsultationen eher Arzt-fokussiert ab, während sich die Patienten weniger am Gespräch beteiligen (vgl. Johansson et al. 2014). Auch Liu und Kollegen (2007) fanden heraus, dass eine patientenzentrierte Kommunikation in Online-Konsultationen weniger stark ausgeprägt war, und, im Vergleich zu einem Face-to-Face-Gespräch, weniger von den Ärzten gefördert wurde. Auch einigen Ärzten fällt es während der Online-Konsultation schwer, Fragen zu stellen und eine Verbindung mit dem Patienten aufzubauen (vgl. ebd.). So wird in mehreren Studien darauf hingewiesen, dass nach wie vor Bedarf an der Schulung von medizinischem Personal für den Einsatz von Online-Konsultationen besteht (vgl. z. B. ebd.; Pappas/Seale 2009). Schließlich handele es sich um organisations-, situations- und technologiebedingte Neuheiten, die Kommunikation auf vielzählige Weise erschweren könnten (vgl. ebd.: 1236). 46

46

Auch die Erfahrung, dass Technik mitunter nicht vollständig funktioniert, was sich beispielsweise durch mangelhafte Bild- oder Tonqualität zeigt, führt dazu, dass Patienten das persönliche Gespräch bevorzugen (vgl. Johansson et al. 2014).

Entfaltung der kommunikativen Potenziale von gesundheitsbezogenen Online-Angeboten

3.4

79

Entfaltung der kommunikativen Potenziale von gesundheitsbezogenen Online-Angeboten

An dieser Stelle werden die zentralen Ergebnisse der bestehenden Forschung zusammengefasst. In der Summe liefern die präsentierten empirischen Befunde wertvolle Hinweise dafür, wie gesundheitsbezogene Online-Angebote im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung genutzt werden. Gleichzeitig machen sie deutlich, dass sich die Potenziale von Online-Angeboten nicht gleichförmig entfalten. Vielmehr zeigen sie, dass aufseiten von Ärzten und Patienten ein breites „spectrum of responses“ (Nettleton et al. 2005: 974) auf die Verfügbarkeit gesundheitsbezogener Online-Angebote existiert. Der größte Teil der Arbeiten, die sich mit der Internetnutzung im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung befassen, widmet sich den Potenzialen, die das Internet Patienten dadurch eröffnet, dass es den Zugang zu gesundheitsbezogenem Wissen erleichtert. Die Aneignung von Online-Wissen, die in der Regel mit der Suche über eine Suchmaschine beginnt, führt meist nicht dazu, dass auf einen Arztbesuch verzichtet wird. Vielmehr ergänzt die Online-Recherche die Arztkonsultation, die weiterhin die wichtigste gesundheitsbezogene Informationsquelle für die meisten Patienten darstellt. Die Komplementarität vom Erwerb gesundheitsbezogenen Wissens mittels Online-Angeboten und Arztbesuch zeigt sich auch daran, dass die entsprechende Internetnutzung im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Arztbesuch steht. Patienten nutzen das Netz, um sich im Vorfeld eines Arztbesuchs auf die Arztkonsultation vorzubereiten, indem sie ihr Wissen erweitern oder versuchen, sich durch die Informationsrecherche emotional zu beruhigen. Genutzt infolge des Arztbesuchs, dient das Internet ihnen dazu, Informationen, die sie im Gespräch mit ihrem Arzt erhalten haben, zu ergänzen und zu überprüfen – durchaus auch, um alternative Behandlungsmöglichkeiten zu finden. Ausgehend von dem Befund, dass Patienten durch die Internetnutzung subjektiv wissender werden, zeigen die Studien, dass dies mitunter dazu führen kann, dass Patienten verstärkt sowohl den Wunsch hegen als auch die Fähigkeit besitzen, sich am ArztPatient-Gespräch und an medizinischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Gleichsam wird festgestellt, dass Patienten, die sich im Netz informieren, den ärztlichen Anweisungen teilweise eher Folge leisten als jene, die dies nicht tun. Auch

80

Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

ist zu konstatieren, dass gesundheitsbezogene Internetnutzung das Potenzial birgt, dass Patienten ihre Gesundheit im Alltag besser managen. Eine weitere Betrachtungsweise der Internetnutzung im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung liefern Studien, die sich mit der Thematisierung von gesundheitsbezogenen Online-Informationen innerhalb des direkten Arzt-Patient-Gesprächs befassen. Patienten benennen bei der Thematisierung von gesundheitsbezogenen Online-Informationen teilweise sowohl die Fakten als auch die Quellen ihres Wissens: teilweise wiederum verdecken sie die Herkunft ihres Wissens. Es geht den Patienten, die Online-Informationen in der Sprechstunde thematisieren, darum, die Schwere ihrer Krankheit zu unterstreichen, dem Arzt zu zeigen, dass sie sich mit der Erkrankung auseinandergesetzt haben oder dass sie sich konstruktiv am Gespräch beteiligen wollen. Neben diesen eher symbolischen Motiven haben Patienten auch funktionale Motive. Sie wollen beispielsweise ihre Unsicherheit beseitigen oder die Güte des erworbenen Wissens durch den Arzt bewerten lassen. Diejenigen Patienten, die ihre Online-Recherche nicht thematisieren oder die Herkunft ihres Wissens verdecken, haben beispielsweise in der Vergangenheit negative Reaktionen von Ärzten hierauf erfahren oder sie wollen die Kompetenz des Arztes nicht infrage stellen. Auf welche Weise die direkte Arzt-Patient-Kommunikation durch die Thematisierung des erworbenen gesundheitsbezogenen Wissens der Patienten geprägt wird, hängt auch davon ab, welche Einstellungen Ärzte gegenüber informierten Patienten und gesundheitsbezogenen Online-Informationen haben und wie sie dementsprechend mit internetinformierten Patienten umgehen. Einerseits verbinden Ärzte mit den neuen Möglichkeiten zur Wissensaneignung emanzipatorische und effizienzsteigernde Potenziale. Andererseits sehen Mediziner die Verunsicherung von Patienten und einen erhöhten Aufwand für sich selbst. Die Forschungsbefunde zeigen, dass Ärzte unterschiedlich mit internetinformierten Patienten umgehen. Diejenigen Ärzte, die Internetinformationen als nicht nützlich oder gar schädlich einschätzen, gehen gar nicht auf das online gewonnene und in der Sprechstunde präsentierte Wissen ihrer Patienten ein. Auf der anderen Seite stehen Ärzte, die grundsätzlich eine offene Haltung gegenüber internetinformierten Patienten aufweisen und sie sogar mit Tipps zu werthaltigen Online-Quellen versorgen. Die dritte relevante Gruppe von Forschungsarbeiten, die sich mit der Internetnutzung im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung befasst, fokussiert Formen der

Entfaltung der kommunikativen Potenziale von gesundheitsbezogenen Online-Angeboten

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medienvermittelten interpersonalen Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Ob wechselseitige Medienkommunikation zwischen Arzt und Patient stattfinden kann, ist davon abhängig, ob Ärzte oder medizinische Einrichtungen über Angebote verfügen, die diese Formen der Online-Kommunikation ermöglichen. Es lassen sich Angebote zur wechselseitigen asynchronen Kommunikation von solchen zu synchroner Kommunikation unterscheiden. Asynchrone wechselseitige Medienkommunikation wird für koordinierende Zwecke wie Terminvereinbarungen oder Rezeptanforderungen und zur Kommunikation über gesundheitsrelevante Themen genutzt. Hervorgehoben wird insbesondere der direkte, orts- und zeitunabhängige Zugang zum Arzt für den Patienten sowie die Möglichkeiten des Arztes, seine Kommunikation zeitsouverän anhand von Dringlichkeiten zu priorisieren. Bereits das Potenzial für einen direkten Zugang zum Arzt vermittelt Patienten ein Gefühl von Sicherheit. Darüber hinaus ermöglicht asynchrone Kommunikation Patienten, Themen aus dem direkten Gespräch zu vertiefen oder heikle Themen anzusprechen. Der asynchrone Kommunikationsweg stellt zudem für Patienten einen Reflexionsraum über die eigene Krankheit dar. Insgesamt fungieren die Möglichkeiten asynchroner Kommunikation nicht als Ersatz, sondern als Erweiterung von direkter Kommunikation und bestehenden Formen wechselseitiger medienvermittelter Kommunikation. Durch diese Erweiterung besteht die Chance, dass sich die Beziehungen von Ärzten und Patienten vertiefen. Formen der synchronen Arzt-Patient-Kommunikation über Online-Angebote sind in Deutschland bislang noch wenig institutionalisiert, auch wenn sich mittlerweile die gesetzlichen Grundlagen für Online-Konsultationen gelockert haben. Die existierende Forschung zu synchroner wechselseitiger Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten zeigt, dass insbesondere Ärzte eine eher skeptische Haltung gegenüber der Online-Konsultation an den Tag legen. Formen der synchronen online-basierten Kommunikation eröffnen Patienten einen ortsunabhängigen Zugang zum Arzt und können teilweise eine Alternative zur direkten Arzt-PatientKommunikation darstellen. Allerdings erscheint die Online-Konsultation nicht für alle Patienten gleichermaßen geeignet. Insbesondere wenn eine körperliche Untersuchung nötig ist, wird die räumliche Ko-Präsenz von Arzt und Patient zur Voraussetzung. Mitunter haben Ärzte und Patienten Schwierigkeiten, souverän während der Online-Konsultation zu kommunizieren. Patienten betonen, dass

82

Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

mit zunehmender Erfahrung auch ihre Souveränität in der Online-Konsultation steige.

3.5

Theoretische Implikationen zur Erforschung der kommunikativen Beziehungskonstruktion

In diesem Teilkapitel werden die aufgeführten Forschungsbefunde zur Nutzung gesundheitsbezogener Online-Angebote im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung (vgl. Kapitel 3.1 bis Kapitel 3.4) aus einer kommunikationskonstruktivistischen Perspektive (vgl. Kapitel 2) bilanziert. Dabei werden die Desiderate der bestehenden Forschung identifiziert und Konsequenzen für die Erforschung der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt abgeleitet. Die im Folgenden dargestellten Implikationen werden in einer aufeinander aufbauenden Abfolge dargestellt. Online-Angebote als prägender Bestandteil der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung Die erste Auffälligkeit bei der Betrachtung der Studien, die sich mit der Nutzung gesundheitsbezogener Online-Angebote im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung befassen, besteht darin, dass das Gros der Forschungsarbeiten eine technikdeterministische Perspektive einnimmt (vgl. Baur 2000). 47 Diese Studien fragen nach Effekten und Auswirkungen des Internets auf die Arzt-Patient-Beziehung. Sie implizieren damit eine Wirkungsrichtung vom Internet auf die Arzt-Patient-Beziehung. Davon abweichend geht es in der vorliegenden Studie weniger darum, was gesundheitsbezogene Online-Angebote mit der Arzt-Patient-Beziehung machen. 47

Baur (2000) kritisiert, dass das Thema „Internet-mediated physician-patient relationship“ (ebd.: 240) schon früh von einem technischen Determinismus geprägt war. Sie illustriert dies an einer Ausschreibung des ‚Journals of the American Medical Association‘ (JAMA), die zu Einreichungen auffordert, die eine Antwort geben auf die normative Frage „[H]ow should the patient–physician relationship evolve to exploit Internet technology and the information that it makes available“ (ebd.). Baur merkt kritisch an, dass die Formulierung der Fragestellung auf einem technischen Determinismus fußt, da davon ausgegangen wird, dass sich die Arzt-Patient-Beziehung infolge des technischen Fortschritts wandelt. Eine Wechselwirkung zwischen gesundheitsbezogener Internetnutzung und der Arzt-Patient-Beziehung werde dabei außer Acht gelassen. (vgl. Baur 2000)

Theoretische Implikationen zur Erforschung der kommunikativen Beziehungskonstruktion

83

Schließlich beeinflussen Online-Angebote nicht von außen, sondern werden durch Aneignung Teil menschlicher Kommunikation. Was Morley (2005) für das Fernsehen feststellt, gilt ähnlich für die gesundheitsbezogene Medienaneignung. Sie ist „largely conducted within, rather than outside of, social relations“ (ebd.: 2). Dementsprechend ist von Interesse, was Ärzte und Patienten mit gesundheitsbezogenen Online-Angeboten tun – wie sie sich die kommunikativen Potenziale gesundheitsbezogener Online-Angebote zu eigen machen und welche Konsequenzen sich aus dem medienbezogenen und medienvermittelten kommunikativen Handeln der Beziehungspartner für die kommunikative Konstruktion der ArztPatient-Beziehung ergeben. Schließlich sind „[d]igitale Medien […] nicht nur einfach am Handeln beteiligt und ebenso wenig neutrale Übermittler von Inhalten. Gerade weil sie als materiale Objektivationen in typisches Handeln eingelassen sind, prägen sie Handlungsformen in bestimmter und bestimmbarer Weise“ (Grenz/Pfadenhauer 2017: 189f.). Online-Angebote werden nach diesem Verständnis durch die Aneignung der handelnden Akteure zum prägenden Bestandteil der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung, die somit – neben der direkten Kommunikation – auch Formen von online-vermittelter und online-bezogener Kommunikation umfasst. Demgemäß fordert auch Baur (2000), dass der Zusammenhang zwischen Online-Angeboten und der Arzt-Patient-Beziehung nicht als unidirektional zu betrachten sei und dementsprechend nicht ausgehend vom Internet analysiert werden sollte. Vielmehr gelte es Baur zufolge, das Zusammenspiel von Mensch und Technologie zu erhellen und darüber hinaus den Nutzungskontext in die Betrachtung einzubeziehen: A thorough analysis, therefore, of the impact of the Internet on patient–physician relationships would begin with the premise that effects are not unidirectional from technology to people but interactional among people, technology, and context of use. (ebd.: 240)

Dieses Verständnis, das die aktive Aneignung von Online-Angeboten betont, rückt den Alltag als Kontext der kommunikativen Konstruktion der Arzt-PatientBeziehung und zugleich das Zusammenspiel von medialer und nichtmedialer Kommunikation in den Blick. Schließlich lässt sich mit Bausinger (1984) festhalten: „Media communication cannot be separated from direct personal communication“ (ebd.: 350).

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Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

Alltag der Patienten als Kontext der kommunikativen Konstruktion der ArztPatient-Beziehung Ein weiteres Defizit der bestehenden Forschung ist darin zu sehen, dass hierin der Alltag der Patienten – als wesentlicher Kontext der Nutzung gesundheitsbezogener Online-Angebote – nur relativ wenig Beachtung findet (vgl. Andreassen 2010; Kivits 2006, 2009; Nettleton et al. 2005). Dies ist problematisch, da Internetnutzung in situative und kommunikative Kontexte eingebettet ist und nicht losgelöst von diesen Kontexten verstanden werden kann: „Was die Nutzung eines Mediums konkret bedeutet, erschließt sich […] immer auch auf der Ebene des situativen Handelns“ (Röser/Peil 2014: 1). Ein solcher Fokus auf die Medienkommunikation im Alltag drückt sich im Begriff der Medienaneignung aus. Medienaneignung bezeichnet den „kulturell umfassend kontextualisierten Prozess des ‚Sich-zu-eigenMachens‘ von Medien“ (Hepp 2014: 194). Medien werden als Objekte mit ihren Inhalten von den Menschen integriert, und zwar in „established patterns of everyday life“ (Silverstone/Haddon 1996: 46). Alltag wird verstanden als „wirklicher Hintergrund subjektiv sinnhafter Lebensführung von jedermann“ (Berger/Luckmann 2013: 21f.), der sein Vorhandensein „jedermanns Gedanken und Taten [verdankt]“ (ebd.). Alltag ist also derjenige „Wirklichkeitsbereich […], den der [Mensch] […] als schlicht gegeben vorfindet“ (Schütz/Luckmann 2003: 29) und der gleichzeitig von Menschen im Handeln hergestellt ist. Der Alltag fungiert als Bezugsmuster, innerhalb dessen Kommunikation stattfindet und in dem die angeeigneten Online-Angebote diese Kommunikation prägen (vgl. Krotz 2007a: 109). Der Alltag wird greifbar, wenn Orte, Situationen und soziale Konstellationen sowie die aktive Bedeutungszuweisung der handelnden Subjekte in die Analyse des kommunikativen und medienbezogenen Handelns einbezogen werden (vgl. Röser/Peil 2014). Für eine Analyse der Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote durch Patienten im Zusammenhang mit der Arzt-Patient-Beziehung bedeutet dies, dass unter anderem der Gesundheitszustand der Patienten und ihr Erfahrungsschatz einbezogen werden müssen, wie Kivits hervorhebt, denn: „[H]ealth and everyday experiences […] orientate and shape the integration of online health information by [patients]“ (Kivits 2006: 270). 48

48

Auf „Gesundheitszustand und -bewusstsein“ (Baumann; Czerwinski 2015: 57) als Kontext der Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote heben auch Baumann und Czerwinski (vgl. ebd.) ab.

Theoretische Implikationen zur Erforschung der kommunikativen Beziehungskonstruktion

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Für eine Erforschung der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt spielt nicht nur der Alltag von Patienten eine Rolle, sondern auch der Alltag in den medizinischen Institutionen, innerhalb derer Arzt und Patient einander begegnen – seien es etwa eine ländliche allgemeinmedizinische Praxis, eine gynäkologische Facharztpraxis oder eine chirurgische Abteilung eines großen Stadtkrankenhauses. Praxisalltag als Kontext der kommunikativen Konstruktion der Arzt-PatientBeziehung Das dritte Defizit der Studien, die sich mit der Internetnutzung im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung befassen, besteht darin, dass in den seltensten Fällen die spezifische fachliche Ausrichtung der Mediziner und der damit verbundene institutionelle Kontext in die Analyse einbezogen werden. Zum Teil wird die fachliche Ausrichtung der Mediziner erst gar nicht thematisiert. Weitere Studien benennen zwar spezielle Ärztegruppen, wie etwa Allgemeinmediziner in Hausarztpraxen, Onkologen in Krankenhäusern etc., oder bestimmte Patientengruppen, wie Jüngere, Ältere, Frauen in der Menopause, Krebspatienten etc., die eine Ableitung der Spezialisierung der Ärzte zulassen. Doch auch bei diesen Studien fällt auf, dass nicht weiter auf den institutionellen Kontext eingegangen wird. Dies ist insofern problematisch, als nicht nur der Alltag von Patienten relevant für die Ausgestaltung der Arzt-Patient-Beziehung und die Aneignung von Online-Angeboten ist, sondern ebenso der Arzt als Vertreter einer bestimmten Profession und fachlichen Spezialisierung mit seiner (Berufs-)Biografie innerhalb seines speziellen organisatorischen und physischen Umfeldes. 49 Nur vereinzelt weisen Autoren darauf hin, dass die Kommunikation und die damit verbundene Gestaltung der Arzt-PatientSo können akute gesundheitliche Probleme ebenso wie ein allgemeines Interesse am Thema Gesundheit etwa den Ausgangspunkt für eine gesundheitsbezogene Informationsrecherche darstellen (vgl. Baumann 2006; vgl. Roski/Schikorra 2009). 49 Roter und Hall (2006) wie auch Ong und Kollegen (1995) konstatieren beispielsweise, dass Charakteristika der Ärzte eine zentrale Rolle für die Art der Kommunikation und damit für die Ausgestaltung der Beziehung darstellen. So beschreiben letztere: „Studies have […] investigated physician characteristics, such as various socio-demographic (gender, age, social class origin) and personality variables (introversion vs extroversion, expressing emotions via non-verbal cues, recognizing patients’ non-verbal expressions). Studies have shown that these individual characteristics can potentially affect how doctors talk with their patients“ (ebd.: 913).

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Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

Beziehung in Abhängigkeit von unterschiedlichen fachlichen Ausrichtungen von Ärzten variiert (vgl. z. B. die Studie von Barnsley et al. 1999). López und Kollegen (2012) stellen fest: We expect patient relationships with other primary care practitioners, such as obstetrician/gynecologists and pediatricians, to differ substantively. Similarly, relationships with subspecialty physicians would be likely to differ from those with primary care physicians. (ebd.: 685f.)

Der Alltag in einem Krankenhaus unterscheidet sich im Hinblick auf seine Aufgaben, Abläufe, technischen und räumlichen Gegebenheiten etc. beispielsweise vom Alltag einer ländlichen Hausarztpraxis und dieser wiederum vom Alltag in einer Zahnarzt- oder Kinderarztpraxis. Die kommunikative Konstruktion der Beziehungen zwischen Ärzten und Patienten variiert folglich in Abhängigkeit von der medizinischen Institution, innerhalb derer die Ärzte praktizieren und in der sie ihren Patienten begegnen. Deshalb wird der Praxisalltag in die Analyse der vorliegenden Studie zu der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung einbezogen. Medienensemble und Medienrepertoires als Bestandteil der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung Die Studien, die sich mit der Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt befassen, liefern Hinweise darauf, welche Potenziale unterschiedliche Formen gesundheitsbezogener Online-Angebote Patienten innerhalb der Arzt-Patient-Beziehung eröffnen. Sie bleiben in ihren Analysen jedoch zumeist auf Online-Angebote fokussiert. Die gesundheitsbezogene Medienumgebung, die Patienten in einer digitalisierten Welt zur Verfügung steht, umfasst allerdings nicht ausschließlich online-basierte, sondern vielmehr auch ‚traditionelle‘ Medienangebote, die einander ergänzen und miteinander in Beziehung stehen. So haben Studien gezeigt, dass die Potenziale der Aneignung von Online-Angeboten „nur gefasst werden können, wenn man sie im Gesamtkontext der Aneignung auch traditioneller Massenmedien sieht“ (Hepp et al. 2010: 326). In diesem Sinne werden bei der Erforschung der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt die gesundheitsbezogene Medienumgebung und die Aneignung der Potenziale, die sie zur Verfügung stellt, in Gänze in den Blick genommen.

Theoretische Implikationen zur Erforschung der kommunikativen Beziehungskonstruktion

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Die Betrachtung bleibt also nicht auf Einzelmedien oder einzelne Kommunikationsformen beschränkt. Demgemäß hält auch Hepp (2015) fest: „[I]n der sozialkonstruktivistischen Tradition [wird zunehmend] nicht ein Medium isoliert betrachtet. Vielmehr wird argumentiert, dass die Mediatisierungsforschung in einer transmedialen Perspektive erfolgen sollte“ (ebd.: 170). Ähnlich konstatieren vereinzelt Forscher aus dem Bereich der Gesundheitskommunikation, dass die Bedeutung gesundheitsbezogener Online-Angebote nicht ohne die Berücksichtigung traditioneller Kommunikationsmedien verstanden werden kann (vgl. Henwood et al. 2003; Kivits 2006, 2009): [T]he Internet and its increasing use must be studied in relation to information seekers’ media surroundings. Far from being used in isolation, the Internet takes on its significance alongside the daily use of other media such as TV, magazines or newspapers […]. (Kivits 2006: 270f.)

Die medienübergreifende Aneignung der Kommunikationspotenziale, die innerhalb der gesundheitsbezogenen Medienumgebung zur Verfügung stehen, kann aus zwei Perspektiven betrachtet werden (vgl. Hasebrink/Hepp 2017: 362): auf individueller Ebene mit dem Ansatz des Medienrepertoires und auf der kollektiven Ebene mit dem Ansatz des Medienensembles (vgl. u. a. Bausinger 1983, 1984; Hasebrink et al. 2012; Hasebrink/Domeyer 2012; Hasebrink/Hepp 2017; Hasebrink/Popp 2006). 50 Medienrepertoires und Medienensembles zeigen, welche Angebote Individuen oder Gruppen „aus der Fülle des Verfügbaren auswählen“ (Hasebrink 2015: 4) und in ihren Alltag integrieren. Medienrepertoires und Medienensembles sind also die individuellen sowie kollektiven Muster der Medienaneignung. Sie umfassen die Kombinationen unterschiedlicher, miteinander zusammenhängender Medienangebote (vgl. Hasebrink/Domeyer 2012: 757; Hasebrink/Hepp 2017: 364). Die einzelnen Angebote erhalten aus den Zusammenhängen der Medienangebote, sprich „durch ihre Beziehungen zu den anderen genutzten Angeboten[,] ihren Sinn“ (Hasebrink 2015: 4). Dabei beschreiben Medienrepertoires die spezifische Ausformung der medienübergreifenden Aneignung auf der individuellen Ebene und beziehen sich hierbei 50 Das Konzept des Medienrepertoires wird in unterschiedlicher Weise definiert. Abweichend von der Konzeption des Medienrepertoires, das Hasebrink in unterschiedlichen Studien ausgearbeitet hat und dem hier gefolgt wird, definieren etwa Taneja et al. (2012) Medienrepertoires als eine begrenzte Auswahl von Medien, die an spezifische Orte und Situationen gebunden ist.

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Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

nicht auf die Ebene von Nutzungsepisoden. Vielmehr stellen sie eine „für die betreffende Person über eine bestimmte Lebensphase stabile Komposition von Medienangebotstypen“ (Hasebrink 2014: 18) dar. Medienrepertoires sind eingebettet in umfassendere alltägliche Handlungsvollzüge, in soziale und kulturelle Kontexte; sie stehen im Zusammenhang mit Gewohnheiten, Werten und Erwartungen (vgl. Hasebrink/Domeyer 2012: 760ff.). The media, in general, are an integral part of the everyday, so that the process of viewing or reading (beyond the immediate moment of consumption) is extended into a longer process of conversation and social dialogue through which media materials are „digested“. (Morley/Silverstone 1991: 151)

Sie sind also immer soziokulturelle Muster kommunikativen Handelns, deren spezifische Kompositionen sich aus den „sozialen Zusammenhängen, in denen die Person handelt[, ergeben und die gleichzeitig] diese Zusammenhänge mitgestalte[n]“ (Hasebrink 2015: 10). Die Abhängigkeit der Medienrepertoires von der soziokulturellen Lage ermöglicht es, „Cluster von Mediennutzern“ (Hasebrink/Popp 2006: 374) auf der Basis der Gesamtheit ihrer Mediennutzungsmuster oder „bestimmte Milieus“ (Hasebrink 2015: 10) mit jeweils spezifisch komponierten Medienrepertoires zu identifizieren, da sich „unter vergleichbaren sozialen Bedingungen, also bei Zugehörigkeit [von Individuen] zu ähnlichen sozialen Zusammenhängen […] ähnliche [Medienrepertoires herausbilden]“ (ebd.). Aus der alltagsweltlichen und sozialen Verwurzelung der Medienrepertoires heraus erklärt sich auch ihre Dynamik. Je nach gesellschaftlichem Kontext und individueller Lebenslage setzen sie sich in je unterschiedlichen Mischungsverhältnissen zusammen (vgl. Hasebrink/Domeyer 2012). So konstatieren Hasebrink und Domeyer (2012), dass Veränderungen der Zusammensetzung des Medienrepertoires eng zusammenhängen mit Veränderungen des sozialen Kontextes – zum Beispiel durch den Beginn eines neuen Jobs, das Zusammenleben mit einem neuen Partner, den Auszug aus dem Elternhaus etc. (vgl. ebd.: 771). Während Medienrepertoires insofern überindividuelle Aussagen zulassen, als sie bestimmte Typen von Individuen anhand ihrer Medienaneignung zu bestimmten Mediennutzungsgruppen zusammenfassen oder bestimmten Milieus zuordnen, bezeichnen Medienensembles das Set an Medienangeboten, das für konkrete soziale Konstellationen (Gesellschaften, Gruppen, Haushalte, Familien, Bezie-

Theoretische Implikationen zur Erforschung der kommunikativen Beziehungskonstruktion

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hungspartner etc.) alltägliche Relevanz besitzt (vgl. Bausinger 1984; Hasebrink/Hepp 2017; Morley/Silverstone 1991: 151). 51 Darüber hinausgehend fokussiert das Konzept darauf, die Bedeutung der Medienangebote für die Kommunikation aus der Perspektive der sozialen Konstellation zu konkretisieren. Es kann beispielsweise um die Rolle von Medien in Entscheidungsprozessen, beim Aufrechterhalten sozialer Beziehungen oder für die Veränderungen einer sozialen Gruppe gehen (vgl. Hasebrink/Hepp 2017: 373). Zu beachten ist dabei, dass nicht alle Mitglieder eines Kollektivs sich die Medien des Ensembles gleichermaßen zu eigen machen. Vielmehr gibt es rollenspezifische Unterschiede in der Aneignung. So zeigt sich beispielsweise in einer Arztpraxis, dass bestimmte Medien des spezifischen Medienensembles verstärkt von den Medizinischen Fachangestellten und weniger intensiv vom Arzt verwendet werden (etwa der Anrufbeantworter). Der Zusammenhang zwischen Medienensembles und Medienrepertoires besteht darin, dass das individuelle Medienrepertoire durch das Medienensemble der jeweiligen sozialen Konstellationen geprägt ist (vgl. ebd.: 371). Am Beispiel der Arzt-Patient-Beziehung lässt sich dies illustrieren: E-Mail-Kommunikation mit dem Arzt kann nur dann zum Medienrepertoire eines Patienten gehören, wenn dieses Kommunikationsmedium zum (geteilten) Medienensemble der Beziehungspartner gehört – wenn also die Arztpraxis diesen Kommunikationsweg anbietet. Bei der Erforschung der kommunikativen Konstruktion der Arzt-PatientBeziehung werden also die Medienensembles und die darauf aufbauenden individuellen Medienrepertoires der Ärzte und der Patienten in den Blick genommen. Interpersonale Kommunikationsrepertoires als Bestandteil der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung Studien, die sich mit dem Zusammenhang zwischen gesundheitsbezogener Internetnutzung und der Arzt-Patient-Beziehung befassen, integrieren nur selten das 51

Hasebrink und Hepp (2017) sprechen in diesem Zusammenhang von „kommunikativen Figurationen“ (ebd.). Diese stellen eine Erweiterung des Konzepts der Figuration von Norbert Elias (1978) dar. Demnach sind Kommunikative Figurationen „musterhafte Interdependenzgeflechte von Kommunikation […], die über verschiedene Medien hinweg bestehen und auf eine bestimmte ‚thematische Rahmung‘ ausgerichtet sind, an der sich das kommunikative Handeln orientiert“ (Hepp 2015: 174). Jede kommunikative Figuration, wie etwa ein Krankenhaus, eine Arztpraxis oder eine Arzt-Patient-Beziehung, weist ein spezifisches Medienensemble auf.

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Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

interpersonale Kommunikationsrepertoire in ihre Betrachtung. Nur in Ausnahmefällen verweisen die Autoren darauf, dass auch Familienmitglieder, Freunde, Bekannte oder Kollegen berücksichtigt werden müssen, um den Zusammenhang zwischen Internetnutzung und der Arzt-Patient-Beziehung zu begreifen. Demgemäß resümiert beispielsweise Broom (2005b), dass das Erleben von und das Wissen über Erkrankungen von Patienten, das sie in die Beziehung einbringen, maßgeblich durch „social support networks“ (ebd.: 332) beeinflusst werden (vgl. ebd.). Ebenso plädiert Kivits (2006) dafür, das interpersonale Kommunikationsrepertoire bei der Erforschung der Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt zu berücksichtigen (vgl. ebd.: 280). Während Broom und Kivits ihre Forderung im Hinblick darauf formulieren, das interpersonale Kommunikationsrepertoire der Patienten einzubeziehen, so lässt sich diese Forderung ohne Weiteres auch für die Seite des Arztes übertragen. Zum interpersonalen Kommunikationsrepertoire der Ärzte, das im Zusammenhang mit der Arzt-Patient-Beziehung relevant ist, gehören etwa Medizinische Fachangestellte (MFA), ärztliche Kollegen oder weiteres medizinisches Fachpersonal. In diesem Sinne wird die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung in der vorliegenden Studie sowohl unter Berücksichtigung der Medienrepertoires der Beziehungspartner als auch ihres interpersonalen Kommunikationsrepertoires untersucht. Eine solche Ergänzung der Medienrepertoires durch direkte interpersonale Formen der Kommunikation hin zu einem holistischen kommunikationsorientierten Forschungsansatz ist aus der Perspektive des Kommunikativen Konstruktivismus sinnvoll. Wirklichkeitskonstruktion vollzieht sich schließlich aus dem Zusammenspiel kommunikativer Handlungen in ihrer Gesamtheit. Dem folgend wird in der vorliegenden Studie das gesamte Spektrum an Kommunikationsformen einbezogen, das für die beteiligten Akteure im Zusammenhang mit der Arzt-Patient-Beziehung relevant ist. Vielfalt der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung Das letzte Defizit, das an dieser Stelle zur Sprache gebracht wird, liegt darin, dass Studien, die sich mit der Internetnutzung im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung befassen, häufig von einer paternalistischen Arzt-Patient-Beziehung ausgehen, die durch die Internetnutzung modifiziert wird. So erforschen zahlreiche Studien, ob die Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote dazu führt, dass den Pati-

Theoretische Implikationen zur Erforschung der kommunikativen Beziehungskonstruktion

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enten eine aktivere Rolle in der Arzt-Patient-Beziehung zukommt (vgl. z. B. Anderson 2004; Ball/Lillis 2001; Collste 2002; McMullan 2006). Ähnlich untersuchen andere Studien eine Machtverschiebung vom Arzt hin zum Patienten, die potenziell zu einer neuen „balance of power“ (Nwosu/Cox 2000: 156) in der Arzt-Patient-Beziehung führt (vgl. z. B. Akerkar/Bichile 2004; Donnelly et al. 2008; Heaton 2011; Nwosu/Cox 2000). Hiermit verknüpfen die Autoren den Wandel bzw. den ausbleibenden Wandel von einer paternalistischen (traditionellen) hin zu einer partnerschaftlichen oder konsumeristischen Arzt-Patient-Beziehung (vgl. hierzu auch Kapitel 2.4). Auch die Rolle des Arztes wird in diesem Zusammenhang neu definiert. So kommen Studien zu dem Schluss, dass sich parallel zur Patientenrolle auch die Arztrolle wandelt. Ärzten wird beispielsweise angesichts der Vielfalt der online verfügbaren Informationen, die Patienten in die Sprechstunde mitbringen, die Rolle von Verarbeitern und nicht Anbietern von Informationen zugeschrieben, die Informationen sortieren anstatt sie zu generieren (vgl. Hart et al. 2004). Den Zusammenhang zwischen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung und der Arzt-Patient-Beziehung auf einen Wandel von einer paternalistischen hin zu einer partnerschaftlichen oder konsumeristischen Beziehung zu reduzieren, greift zu kurz. Eine solche Sichtweise wird den unterschiedlichen Beziehungsformen, die kommunikativ konstruiert werden und nebeneinander bestehen, nicht gerecht. So kann nicht von einer archetypischen Arzt-Patient-Beziehung ausgegangen werden, in deren Konstruktionsprozesse gesundheitsbezogene Online-Angebote integriert werden. Vielmehr existieren verschiedene kommunikativ konstruierte ArztPatient-Beziehungen nebeneinander (vgl. Kapitel 2.4), deren spezifische Formen maßgeblich durch unterschiedliche Erwartungen, direkte kommunikative Begegnungen, spezifische Medien- und Kommunikationsrepertoires sowie alltägliche Kontexte der Beziehungspartner geprägt sind. In diese variantenreichen Beziehungen werden gesundheitsbezogene Online-Angebote integriert. Erforschen der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es bislang an Studien fehlt, in denen die Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote als Bestandteil der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung gefasst wird und die dabei die zwischenmenschliche Begegnung und die „Strukturen der Lebenswelt“

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Studien zur Nutzung von Online-Angeboten im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung

(Schütz/Luckmann 2003) der Ärzte und der Patienten berücksichtigen. Eine solche integrative Perspektive – die den „erweiterten Kommunikationsraum“ (Lee/Lin 2016: 714) betrachtet, in dem die Arzt-Patient-Beziehung entsteht – nimmt die vorliegende Studie ein, indem sie der Forschungsfrage ‚Wie wird die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung durch die Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote geprägt?‘ nachgeht. Die Beziehungspartner eignen sich gesundheitsbezogene Online-Angebote an – sie machen (digitale) Medien zum Bestandteil der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung. Medien und Medienaneignung sind dementsprechend nichts Externes, das die Arzt-Patient-Beziehung von außen prägt. Vielmehr prägen die kommunikativen Handlungen von Ärzten und Patienten, in die Medien als materiale Objektivationen – deren „Gestalt [ihrer] […] Deutungsoffenheit Grenzen setzt“ (Grenz/Pfadenhauer 2017: 189) – einbezogen sind, die Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung. Demzufolge wird sowohl die direkte Kommunikation zwischen Arzt und Patient, als auch ihre gesundheitsbezogene Medienaneignung berücksichtigt. Als wesentlicher Kontext der Aneignung gesundheitsbezogener Medienangebote wird der Alltag betrachtet – die konkreten Orte, sozialen Konstellationen und Situationen, an und in denen gesundheitsbezogene OnlineAngebote in alltägliche Handlungsabläufe von Patienten und Ärzten integriert werden. Obgleich der Fokus dieser Studie auf der Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote liegt, wird die gesamte Medienumgebung, die Ärzten und Patienten in einer digitalisierten Welt Kommunikationspotenziale zur Verfügung stellt, sowie deren Aneignung in den Blick genommen. Hierzu zählen Online-Angebote wie auch ‚traditionelle‘ Angebote zur produzierten, wechselseitigen und virtualisierten Medienkommunikation, deren medienübergreifende Aneignung auf der individuellen Ebene mit dem Konzept des Medienrepertoires und auf der kollektiven Ebene mit dem Konzept des Medienensembles gefasst werden kann. Da Medienaneignung immer auch im Bezug zur interpersonalen Kommunikation von Ärzten und Patienten steht, wird darüber hinaus das interpersonale gesundheitsbezogene Kommunikationsrepertoire mit in die Betrachtung einbezogen – seien es Personen aus dem persönlichen Umfeld der Patienten oder MFA oder weitere Fachkollegen der Ärzte. Durch die beschriebene Perspektive löst sich diese Studie von Arbeiten, deren Ausgangspunkt (und alleiniger Fokus) die Nutzung von gesundheitsbezogenen Online-Angeboten ist. Sie weitet den Blickwinkel hin

Theoretische Implikationen zur Erforschung der kommunikativen Beziehungskonstruktion

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zu einer holistischen Betrachtung des Prozesses der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung. Durch diesen Perspektivwechsel liefert die vorliegende Studie einen Vorschlag dafür, wie die Arzt-Patient-Beziehung in einer zunehmend digitalisierten Welt (aus einer kommunikationskonstruktivistischen Perspektive) differenziert erfasst werden kann.

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Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

Die vorliegende Studie zielt darauf ab, zu untersuchen, wie die Aneignung von gesundheitsbezogenen Online-Angeboten die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung prägt. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Arzt-Patient-Beziehung weder substanziell noch uniform ist. Sie wird vielmehr als kontinuierlicher Prozess verstanden, der unterschiedlich verlaufen kann und in den gesundheitsbezogene Online-Angebote von Ärzten und Patienten integriert werden. Zur Untersuchung der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt wurden qualitative Erhebungs- und Auswertungsmethoden eingesetzt. Der Kommunikative Konstruktivismus (vgl. Kapitel 2), der das theoretische Fundament dieser Studie bildet, sowie die darauf aufbauenden theoretischen Implikationen zur Erforschung der Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt (vgl. Kapitel 3.5) legen ein solches qualitatives Vorgehen nahe. Für ein qualitatives Vorgehen spricht, erstens, dass aus kommunikationskonstruktivistischer Perspektive davon auszugehen ist, dass kommunikatives Handeln auf dem soziokulturell verankerten subjektiven Sinn der Handelnden basiert. Dementsprechend ist für eine kommunikationskonstruktivistische Studie wesentlich, dass beim Rekonstruieren von Prozessen der Wirklichkeitskonstruktion die „Konstitution von Sinn und Bedeutung durch die handelnden Subjekte“ (Krotz 2005a: 43) in den Blick genommen wird. Zugang zu Sinn- bzw. Bedeutungszuschreibungen aus Perspektive der Handelnden eröffnet qualitative Forschung, da sie „sensibel für die soziale Konstruktion von Realitäten und die Bedeutung subjektiver Vorstellungen für soziales Handeln [ist]“ (Flick/Meyer 2011: 296). Qualitative Forschung ermöglicht, Sinn und Bedeutung – in Anlehnung an Weber (1984) – deutend zu verstehen (vgl. Krotz 2005a). Zweitens wird dem sozialkonstruktivistischen Mediatisierungsansatz entsprechend davon ausgegangen, dass Prozesse der Wirklichkeitskonstruktion zunehmend medienvermittelt ablaufen und sich auf Medien beziehen. Medien wiederum werden ebenfalls in Aneignungsprozessen konstruiert – sie werden durch die © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. C. Meinzer, Die Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt, Medien • Kultur • Kommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26007-1_4

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Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

kommunikative Verwendung zu dem, was sie sind (vgl. Kapitel 2.5). Dem hier zugrunde liegenden Verständnis von Medienaneignung (vgl. Kapitel 3.5) entsprechend prägen Medien die Arzt-Patient-Beziehung nicht von außen, sondern werden von Ärzten und Patienten zum Teil ihres Alltags, ihrer alltäglichen Kommunikations- und Konstruktionsprozesse, gemacht. Auch dieses Verständnis von Medienaneignung als alltäglicher, kontextueller Prozess des „Sich-zu-eigen-Machens“ (Hepp 2014: 194), der aktiven Bedeutungszuweisung von Medien bzw. Medieninhalten, spricht für eine qualitative Herangehensweise. Medienaneignung konzipiert Medien nicht als etwas der Kommunikation Äußeres, sondern fasst Medien als integralen Bestandteil von Alltag und alltäglichem kommunikativen Handeln von Ärzten und Patienten. Der Alltag wird empirisch greifbar, wenn Orte, Situationen und soziale Konstellationen sowie deren Interpretationen und darauf aufbauenden Bedeutungen der handelnden Subjekte, die ihren lebensweltlichen Relevanzstrukturen entstammen, aus Sicht der Akteure in die Analyse des kommunikativen und medienvermittelten Handelns einbezogen werden (vgl. Röser/Peil 2014). So stellt auch Röser (2016) fest, dass „über Medienaneignung in erster Linie mit nicht standardisierten, qualitativen Verfahren geforscht wird, denn die Rezipierenden müssen zu Wort kommen und ihre Sichtweisen darlegen können“ (ebd.: 483). Die Einbettung einzelner Medien in alltägliche Zusammenhänge findet nicht isoliert statt. Vielmehr sind gesundheitsbezogene Online-Angebote Bestandteil der Gesamtheit gesundheitsbezogener Medienangebote, die Ärzte und Patienten sich aneignen und in Bezug auf die sie kommunikativ handeln. Die Potenziale ‚neuer‘ gesundheitsbezogener Online-Angebote entfalten sich entsprechend im Zusammenspiel mit ‚alten‘, hier als ‚traditionell‘ bezeichneten Medien (wie z. B. gesundheitsbezogene Print-Zeitschriften), deren Bedeutung sie mitunter modifizieren, indem sie das medienvermittelte kommunikative Handlungsspektrum weiter ausdifferenzieren. Dementsprechend werden gesundheitsbezogene Online-Angebote hier als Teil der gesamten Medienrepertoires von Ärzten und Patienten erforscht (vgl. Kapitel 3.5). In der Medienrepertoire-Forschung werden unterschiedliche Argumente für eine qualitative Erforschung von Medienrepertoires angeführt. So konstatieren Hasebrink und Domeyer (2012): „Qualitative research is open to learn about the users’ perspective on their media repertoires and about the subjective meaning linked with certain behaviours“ (ebd.: 764). Qualitative Forschung ermöglicht individuelle Fälle zu rekonstruieren und

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

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gibt den Handelnden die Möglichkeit, ihre unterschiedlichen medienvermittelten kommunikativen Handlungen miteinander in Beziehung zu setzen (vgl. ebd.: 776). Drittens spricht der explorative Charakter dieser Studie für die Wahl eines qualitativen Vorgehens, das den (in Kapitel 3.5 aufgezeigten) Forschungsdesideraten begegnet und unbekannte, nicht unbedingt vermutete Zusammenhänge zu entdecken vermag. Dabei hat das Vorhaben zum Ziel, jene integrative Perspektive einzunehmen, die bestehenden Forschungsarbeiten zum Zusammenhang zwischen der Arzt-Patient-Beziehung und gesundheitsbezogenen Online-Angeboten bislang fehlt: Die qualitative und datennahe Perspektive dieser Studie verfolgt den Anspruch, zu erklären, wie unterschiedliche Konstruktionen der Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt durch gesundheitsbezogene Online-Angebote geprägt werden. Sie zielt darauf ab, das gesamte gesundheitsbezogene Medienund Kommunikationsrepertoire der Patienten sowie die alltäglichen Kontexte der Kommunikation zu berücksichtigen. Zur Beantwortung der zentralen Forschungsfrage der vorliegenden Studie – ‚Wie wird die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung durch die Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote geprägt?‘ – wurden von April 2014 bis Mai 2015 jeweils mehrtägige Feldaufenthalte in fünf Hausarztpraxen durchgeführt. Im Zuge der Feldaufenthalte konnte durch Beobachtungen und Interviews umfangreiches Datenmaterial gewonnen werden. Die Daten, die durch Protokolle und Tonbandaufzeichnungen festgehalten wurden, bilden die reichhaltige Basis der qualitativen Analyse. Im Folgenden wird das qualitative Vorgehen dieser Studie erläutert. Zunächst wird ausgeführt, welche Überlegungen dafür ausschlaggebend waren, das Feld allgemeinmedizinischer Arztpraxen sowie der darin stattfindenden Konsultationen von Hausärzten und Patienten auszuwählen. Es wird dargelegt, wie der Zugang zu den fünf Hausarztpraxen in diesem tendenziell eher geschlossenen Feld (vgl. Döring/Bortz 2016: 337) realisiert wurde. Damit einher geht eine Beschreibung der Patienten; erläutert wird dabei, wie diese ausgewählt wurden. Daran anschließend wird dargestellt, wie die Datenerhebung ablief, die qualitative Beobachtungen sowie Interviews mit Ärzten und Patienten umfasste. Auch das an die Grounded Theory angelehnte Vorgehen bei der Datenauswertung wird beschrieben. Das Kapitel schließt mit einer kritischen Reflexion des methodischen Vorgehens.

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4.1

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

Feldstudien in fünf Hausarztpraxen: Zugang, Auswahl und Beschreibung

Als Forschungsfeld wurden im Zuge der vorliegenden Studie allgemeinmedizinische Praxen ausgewählt. Sie bilden den institutionellen Kontext, innerhalb dessen die (mediatisierte) kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung beobachtet bzw. über qualitative Befragungen rekonstruiert wurde. Die Arztpraxis ist der Ort, an dem die Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung im Wesentlichen stattfindet und an dem sie als „soziale Wirklichkeit im Vollzug“ (Knoblauch 2014: 523) beobachtet werden kann. Der Entscheidung, die Untersuchung auf Hausarztpraxen und die HausarztPatient-Beziehung zu konzentrieren und an ihrem Beispiel die mediale Prägung der Arzt-Patient-Beziehung zu analysieren, ging die Überlegung voraus, die institutionsbedingten Unterschiede verschiedener Arzt-Patient-Beziehungen gering zu halten. 52 Die Konzentration auf Hausarztpraxen ermöglicht – bei aller Offenheit des Verfahrens –, in die Tiefe zu gehen und die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung nicht anhand oberflächlicher, (offensichtlicher) institutionsbedingter Unterschiede zu erklären (die sich beispielsweise aus der Organisationsstruktur und den typischerweise behandelten Erkrankungen etc. ergeben). Besonders interessant für das Forschungsinteresse dieser Studie erscheinen die Hausarztpraxis und die Hausarzt-Patient-Beziehung aufgrund der im folgenden skizzierten Charakteristika, die sie deutlich von anderen Arzt-Patient-Beziehungen unterscheiden. Im Gegensatz zu kurzfristigen Beziehungen, wie sie sich beispielsweise zwischen einem Chirurgen und einem Patienten in einem Krankenhaus entwickeln, handelt es sich bei der Hausarzt-Patient-Beziehung in der Regel um verhältnismäßig langandauernde Beziehungen (vgl. z. B. Klein 2009: 3). Darüber hinaus zeichnet sich die Hausarzt-Patient-Beziehung durch ein hohes Maß an Intimität aus. 52

Nicht nur die Hausarztpraxis – als räumlicher Ort, Organisationsform oder soziales Gefüge – ist eine Institution, innerhalb derer Beziehungen entstehen. Auch die Hausarzt-Patient-Beziehung ist im Sinne von Berger und Luckmann (2013) eine Institution, die sich über die reziproke Typisierung von habitualisierten Handlungen durch Typen von Handelnden definiert und sich dadurch gleichzeitig von anderen Typisierungen der Arzt-Patient-Beziehung, wie beispielsweise der Gynäkologen-Patient-Beziehung, unterscheidet (vgl. ebd.: 58).

Feldstudien in fünf Hausarztpraxen: Zugang, Auswahl und Beschreibung

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Sie gilt als tiefe und persönliche (vgl. z. B. Gaska/Frey 1993: 291) bzw. besonders intime (vgl. z. B. Braunack-Mayer 2006: 359) Beziehung. Hausärzte stehen, nach Braunack-Meyer (vgl. ebd.), ihren Patienten wesentlich näher als Fachärzte, denn sie kennen nicht nur die gesamte Krankengeschichte, sondern haben darüber hinaus einen tiefgreifenden Einblick in das familiäre und häusliche Umfeld eines Patienten. Daraus eröffnet sich für Hausärzte die Möglichkeit, den Patienten über dessen Krankheit hinaus als Person zu kennen (vgl. ebd.). So konstatieren unterschiedliche Studien (die in Kapitel 2.2 vorgestellt wurden), dass im Hausarzt-Patient-Gespräch die persönliche Identität der Beziehungspartner in den Vordergrund rückt, während etwa bei Klinikärzten die soziale Identität im Gespräch überwiegt. Kennzeichnend für die Hausarzt-Patient-Beziehung ist ferner der besondere Stellenwert der Kommunikation für das Erreichen von therapeutischen Zielen. Peters (2008) etwa hebt hervor, dass für Hausärzte – im Vergleich zu Fachärzten – die Kommunikation und die Beziehungskonstruktion ein zentrales Instrumentarium darstellt, um eine Diagnose stellen zu können und entsprechende Behandlungshinweise festzulegen: „So ist der Hausarzt abgesehen von einfacheren Untersuchungen des Patienten auf das direkte Patientengespräch als Informationsquelle angewiesen“ (ebd.: 48). Im Gegensatz dazu, so argumentiert Peters weiter, verfügen Fachärzte vor allem über eine umfassende technische Ausstattung, die ihnen – unabhängig von der Vermittlung des Befindens durch den Patienten – Informationen zum Gesundheitszustand des Patienten liefert. Neben der langen Dauer, dem hohen Maß an Intimität und dem besonderen Stellenwert der Kommunikation für das Erreichen von therapeutischen Zielen ist für die Hausarzt-Patient-Beziehung die Diversität der Beziehungspartner charakteristisch. Der Hausarzt trifft auf eine große Bandbreite an Patienten unterschiedlichen Alters und Geschlechts, die von unterschiedlichen Erkrankungen betroffen sind (vgl. z. B. Grief 2009: 433). Demgegenüber haben es beispielsweise Frauenärzte oder Fachärzte für Onkologie mit tendenziell homogeneren Patientenkreisen zu tun. Mit der Hausarzt-Patient-Beziehung wurde folglich eine Beziehung ausgewählt, die sich grundsätzlich über ihre lange Dauer, ihr großes Maß an Intimität, einen besonderen Stellenwert der Kommunikation für das Erreichen von therapeutischen Zielen wie auch eine heterogene Zusammensetzung der Patienten auszeichnet. Die Auswahl der fünf Hausarztpraxen erfolgte primär entlang der Medienensembles der Praxen. Ferner wurde auf eine Variation im Hinblick auf die Größe

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Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

und den Standort der Praxis sowie das Alter und das Geschlecht des praktizierenden Arztes abgezielt. In den fünf Hausarztpraxen wurde dann Wert darauf gelegt, Patienten für ein Interview zu gewinnen, die sich untereinander im Hinblick auf Alter und Geschlecht unterschieden. Die Auswahl und Beschreibung der fünf Hausarztpraxen und der interviewten und beobachteten Patienten wird im Folgenden dargestellt. 4.1.1

Auswahl und Beschreibung der Hausarztpraxen und Hausärzte

Die Auswahl der Hausarztpraxen erfolgte in erster Linie anhand der Medienensembles der Praxen, da diese mitbestimmen, welche Formen der Medienkommunikation dem Arzt und den Patienten zur Verfügung stehen (vgl. hierzu Kapitel 3.5). So kann beispielsweise ein interpersonaler Austausch von Hausarzt und Patient über E-Mail nur stattfinden, wenn E-Mail-Kommunikation zum Medienensemble der Hausarztpraxis gehört und den Patienten angeboten wird. Über das deutsche Ärzteverzeichnis und eine anschließende Analyse der Internetpräsenzen der Ärzte wurden Praxen mit unterschiedlich umfangreichem Medienensemble als potenzielle Untersuchungsorte vorausgewählt. Mithilfe der Analyse der Internetpräsenz konnte zum Beispiel eruiert werden, ob die Hausarztpraxis den Patienten Informationen zu den Ärzten oder dem Praxisteam sowie Informationen zu Gesundheits- und Krankheitsthemen zur Verfügung stellt. Ebenso konnte festgestellt werden, ob ein medienvermittelter interpersonaler Austausch (zum Beispiel in Form von E-Mail-Kommunikation) von den Hausarztpraxen angeboten wird. Über die Variation hinsichtlich des Medienensembles hinaus, das durch die Analyse der Internetpräsenz erhoben wurde, wurden Praxen entlang unterschiedlicher Orts- bzw. Stadtgröße berücksichtigt. Als weitere Auswahlkriterien wurden soziodemografische Merkmale der praktizierenden Ärzte einbezogen. So wurde bei der Vorauswahl der Hausarztpraxen, sofern möglich (z. B. auf Grundlage eines Fotos von dem Arzt oder des Lebenslaufs auf der Arzt-Website) auf eine Variation von Geschlecht und Alter der praktizierenden Ärzte geachtet. Eine Zusammenfassung der zentralen Charakteristika der rekrutierten allgemeinmedizinischen Praxen findet sich in Tabelle 2.

Feldstudien in fünf Hausarztpraxen: Zugang, Auswahl und Beschreibung

101

Charakteristika

Praxis 1

Praxis 2

Praxis 3

Praxis 4

Praxis 5

Erhebungszeitraum

07.04.2014 – 11.04.2014

01.06.2014 – 04.06.2014

27.10.2014 – 30.10.2014

13., 20., 23., 27.04.2015

18.05.2015 – 22.05.2015

Medienensemble (Internetpräsenz)



Arzt-Website

Arzt-Website (inkl. E-MailFunktion)

Arzt-Website (inkl. E-MailFunktion, Rezeptbestellung, Terminvereinbarung, Befundeinsicht)

Arzt-Website (inkl. E-MailFunktion, Rezeptbestellung, Terminvereinbarung, Befundeinsicht), SocialMedia-Profil

Ortsname (Pseudonym)

Wolkenheim

Garihausen

Flügeltal

Überfurcht

Weisenlingen

Orts- bzw. Stadtgröße

5 000 Einwohner (kleine Kleinstadt)

11 000 Einwohner (große Kleinstadt)

20 000 Einwohner (große Kleinstadt)

75 000 Einwohner (mittelgroße Stadt)

19 000 Einwohner (große Kleinstadt)

Praxisform

Gemeinschaftspraxis (2 Ärzte)

Einzelpraxis

Gemeinschaftspraxis (3 Ärzte)

Gemeinschaftspraxis (3 Ärzte)

Gemeinschaftspraxis (6 Ärzte)

Bestell- vs. Terminpraxis

Bestellpraxis

Terminpraxis

Terminpraxis

Terminpraxis

Terminpraxis

Pseudonym des Arztes

Dr. Leonard Lorien

Dr. Tabea Tenside

Dr. Lisa Logan

Dr. Manuel Marthen

Dr. Sarah Streep

Alter des Arztes

62

62

61

43

50

1 600 1 200 2 000 2 200 4 000 Patienten pro Quartal Tab. 2: Übersicht über die Charakteristika der untersuchten Hausarztpraxen (eigene Darstellung)

Die Hausarztpraxen wurden entweder telefonisch oder via E-Mail kontaktiert und entsprechend mündlich oder mittels einer schriftlichen Skizzierung des Forschungsvorhabens und des Anliegens der Forscherin informiert. Mit denjenigen Hausarztpraxen, die ihre Bereitschaft zur Teilnahme an der Studie signalisierten, wurden im Anschluss an den Erstkontakt telefonisch weitere Details geklärt. Auf

102

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

Basis der umfassenden Recherche und der Kontaktaufnahme konnten fünf Hausarztpraxen in vier Bundesländern (Baden-Württemberg, Niedersachen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen) für die Studie gewonnen werden (zu den Herausforderungen bei der Rekrutierung der Hausarztpraxen siehe Kapitel 4.4). Den Feldaufenthalten gingen ferner Treffen zum persönlichen Kennenlernen voraus. Die Feldaufenthalte in den Hausarztpraxen fanden im Zeitraum von April 2014 bis Mai 2015 statt und dauerten jeweils vier bis fünf Tage. Die ausgewählten Praxen werden im Folgenden kurz vorgestellt: • Bei der ersten Praxis handelt es sich um eine ländliche Gemeinschaftspraxis in Wolkenheim, einer kleinen Kleinstadt mit etwa 5 000 Einwohnern. 53 Insgesamt praktizieren in dieser Landpraxis zwei Ärzte. Im fünftägigen Untersuchungszeitraum (7.–11.4.2014) wurde primär der 62-jährige Allgemeinmediziner Dr. Leonard Lorien begleitet. Die Praxis hat keine eigene Arzt-Website und stellt ihren Patienten keine Möglichkeit zur computervermittelten interpersonalen Kommunikation zur Verfügung. • Die zweite Praxis befindet sich in einer großen Kleinstadt, in der ungefähr 11 000 Einwohner leben. In der kleinen ländlichen Einzelpraxis in Garihausen gab die 62-jährige Dr. Tabea Tenside vier Tage lang vom 1. bis zum 4. Juni 2014 Einblicke in ihren Praxisalltag. Zwar verfügt die ländliche Einzelpraxis über eine eigene Website, aber auch diese Praxis bietet ihren Patienten darüber hinaus keine technische Infrastruktur zur computervermittelten interpersonalen Kommunikation. • Die dritte Praxis, die gewonnen werden konnte, ist ebenfalls in einer großen Kleinstadt (mit ca. 20 000 Bewohnern) vorzufinden. In dieser Gemeinschaftspraxis in Flügeltal praktizierten zum Zeitpunkt der Erhebung drei Allgemeinmediziner. Die 61-jährige Dr. Lisa Logen ermöglichte der Forscherin, vier Tage lang (27.–30.10.2014) an ihrem Praxisalltag teilzunehmen. Ihre Patienten können sich über ihre Website über die Praxis informieren und darüber hinaus per E-Mail mit ihr in Kontakt treten. 53

Bei den verwendeten Personen- und Ortsnamen handelt es sich ausschließlich um Pseudonyme, die eingesetzt wurden, um die Anonymität der untersuchten Hausarztpraxen, Ärzte und Patienten zu wahren. Aufgrund der Dichte der allgemeinmedizinischen Praxen in Deutschland lassen sich anhand der aufgeführten Einwohnerzahlen keine Rückschlüsse auf den Niederlassungsort der jeweiligen Praxis ziehen.

Feldstudien in fünf Hausarztpraxen: Zugang, Auswahl und Beschreibung





103

Die vierte Praxis, die ebenso wie die dritte Praxis eine Gemeinschaftspraxis mit drei praktizierenden Allgemeinmedizinern ist, befindet sich in der mittelgroßen Stadt Überfurcht mit etwa 75 000 Einwohnern. In dieser Gemeinschaftspraxis konnte Dr. Manuel Marthen am 13., 20., 23. und 27. April 2015, also an vier Tagen, begleitet werden. Die Praxis ermöglicht ihren Patienten über die Website Online-Rezeptbestellungen, Online-Terminvereinbarungen sowie eine Online-Befundeinsicht. Auch für weitere Anliegen können die Patienten das Kontaktformular für die computervermittelte interpersonale Kommunikation nutzen. Bei der fünften Praxis handelt es um eine große Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen mit sechs praktizierenden Allgemeinmedizinern in einer großen Kleinstadt, in der ungefähr 19 000 Personen leben. Frau Dr. Sarah Streep ermöglichte der Forscherin, an fünf Tagen, vom 18. bis 22. Mai 2015, in der Praxis zu hospitieren. Ebenso wie in der vierten Praxis können Patienten dieser großen Gemeinschaftspraxis über die Hausarzt-Website Rezepte bestellen, Termine vereinbaren oder ihren Ärzten weitere Anliegen zukommen lassen. Darüber hinaus bietet die Praxis ihren Patienten vielfältige Informationen zum Leistungsspektrum oder den Mitarbeitern nicht nur über die Website, sondern auch über ein Social-Media-Profil.

4.1.2

Auswahl und Beschreibung der Patienten in den Hausarztpraxen

In den fünf untersuchten Hausarztpraxen wurden vor Ort Patienten für ein Interview und eine Beobachtung der Sprechstundensituation rekrutiert. Bei der Auswahl der Patienten wurde insbesondere auf eine Variation des Geschlechts und des Alters geachtet. 54 Die Patienten wurden von der Forscherin oder vom Hausarzt 54

Auf Basis der Erkenntnisse, die im Zuge der Studie (nach und nach) gewonnen werden konnten, wurden – neben dem Alter und dem Geschlecht – weitere Merkmale bei der Auswahl der Patienten berücksichtigt. So wurde (soweit es die Rahmenbedingungen in den Praxen zuließen) verstärkt Patienten beobachtet und befragt, die sich unterschiedlich am Gespräch beteiligten, die von unterschiedlichen Krankheitsbildern betroffen waren und die unterschiedliche Mediengewohnheiten zeigten. Wie sich die Patienten am Gespräch mit ihrem Arzt beteiligten, von welchen Krankheitsbildern sie betroffen waren und welche Mediengewohnheiten sie aufweisen, konnte ermittelt werden, indem der Hausarzt im Vorfeld des Arzt-Patient-Gesprächs eine entsprechende Einschätzung äußerte, bzw. durch Beobachtungen der Forscherin in der Sprechstunde oder durch eine kurze Frage an deren Ende.

104

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

im Vorfeld des Arzt-Patient-Gesprächs gefragt, ob sie damit einverstanden wären, dass die Forscherin die Sprechstundensituation beobachtet. Im Zuge dessen wurde das Forschungsinteresse grob erläutert und eruiert, ob die Patienten zusätzlich zu einem Interview vor oder nach der Sprechstunde bereit wären (das Vorgehen bei den Beobachtungen und den Interviews wird im Kapitel 4.2 genauer beschrieben). Die Rekrutierung der Patienten für die qualitativen Interviews innerhalb der Hausarztpraxen zeigte mehrere Besonderheiten. Sie war nicht nur abhängig von deren Teilnahmebereitschaft, sondern auch von den zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten. Wenn beispielsweise alle Ärzte einer Gemeinschaftspraxis die Behandlungsräume belegten und die MFA das Labor oder sonstige Räumlichkeiten benötigten, stand der Forscherin kein Raum für ein Gespräch zur Verfügung. Ebenso abhängig war die Forscherin von den Wartezeiten der Patienten. Ein Patient, der eine kurze Wartezeit hatte, konnte nicht um ein Interview gebeten werden, um die Arbeitsabläufe der Praxis nicht zu beeinträchtigen. Sowohl für die Rekrutierung der Patienten im Speziellen als auch generell für den gesamten Feldaufenthalt der Forscherin galt der Leitsatz: „The researcher needs to bear in mind that medical personnel have priority“ (Morse 2001: 323). Darüber hinaus wurde – vor allem durch häufige Rücksprachen mit den Ärzten – das Wohlbefinden der Patienten bei der Auswahl berücksichtigt. Vor dem Hintergrund, dass sich die meisten Patienten in ihre Hausarztpraxis begeben, weil sie sich krank fühlen bzw. krank sind, mag diese besondere Berücksichtigung des Gesundheitszustands zunächst widersprüchlich klingen. Dennoch soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass Personen, deren körperliche oder geistige Verfassung ein Gespräch nicht erlaubte, selbstverständlich von vornherein nicht um eine Teilnahme gebeten wurden. So wurde beispielsweise eine Patientin, die aufgrund einer starken Erkältung verbunden mit Halsschmerzen kaum sprechen konnte, nicht für ein Interview rekrutiert. Je nachdem, wie sich die Rahmenbedingungen (verfügbare Räumlichkeiten, Arbeitsabläufe und Wartezeiten, Wohlbefinden der Patienten) in den einzelnen Hausarztpraxen gestalteten, konnten unterschiedlich viele Patienten für ein Interview rekrutiert werden. Die meisten Interview-Partner wurden in der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen rekrutiert. Dies lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass in dieser großen Praxis, in der sechs Ärzte praktizieren, kontinuierlich Räumlichkeiten für Interviews zur Verfügung standen. Außerdem

Datenerhebung durch qualitative Beobachtungen und qualitative Interviews

105

wurde die Forscherin in dieser Praxis nicht nur von der Hausärztin bei der Rekrutierung der Patienten unterstützt. Vielmehr wiesen auch Praxismitarbeiterinnen auf freistehende Räumlichkeiten oder geeignete Zeitpunkte und Patienten für Interviews hin. Insgesamt waren 160 Personen damit einverstanden, von der Forscherin in die Sprechstunde begleitet zu werden. 56 Patienten erklärten sich zu einem Interview bereit (vgl. Tab. 3). Praxis 1

Praxis 2

Praxis 3

Praxis 4

Praxis 5

GeGeGeGeGeGeAlter Alter Alter Alter Alter Alter schlecht schlecht schlecht schlecht schlecht schlecht Männl.

39

Weibl.

42

Weibl.

43

Männl.

26

Weibl.

66

Weibl.

66

Männl.

24

Weibl.

41

Weibl.

78

Männl.

45

Weibl.

63

Männl.

49

Männl.

48

Weibl.

18

Weibl.

53

Weibl.

27

Weibl.

60

Weibl.

52

Männl.

37

Männl.

25

Männl.

48

Männl.

20

Weibl.

37

Weibl.

27

Weibl.

55

Weibl.

48

Weibl.

47

Weibl.

63

Weibl.

33

Männl.

16

Männl.

50

Weibl.

18

Männl.

48

Männl.

50

Männl.

36

Männl.

11

Weibl.

19

-

-

Männl.

66

Weibl.

13

Weibl.

24

Männl.

15

Weibl.

64

-

-

Weibl.

24

Weibl.

37

Weibl.

72

Weibl.

46

-

-

-

-

Weibl.

24

Männl.

29

Männl.

17

Weibl.

5

-

-

-

-

Weibl.

41

Weibl.

18

Weibl.

41

Weibl.

32

-

-

-

-

-

-

-

Weibl.

47

Weibl.

40

Tab. 3:

4.2

Übersicht über die Charakteristika der 56 Patienten (eigene Darstellung)

Datenerhebung durch qualitative Beobachtungen und qualitative Interviews

Die Datenerhebung der vorliegenden Studie erfolgte mittels qualitativer Beobachtungen und qualitativer Interviews. Diese sogenannte Methodentriangulation, „die Verbindung verschiedener Methoden […] innerhalb der qualitativen Forschung“ (Flick 2011: 41), zielte darauf ab, das untersuchte Phänomen – die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt – aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Neben der Perspektive der Forscherin flossen die Perspektiven der Ärzte, der Patienten und des weiteren Praxispersonals

106

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

in den Materialkorpus ein. Zu diesem Korpus zählen die Daten, die in den qualitativen Beobachtungen von Ärzten, Patienten und Praxispersonal sowie in den qualitativen Interviews mit Ärzten und Patienten gewonnen wurden. Dabei wurde davon ausgegangen, dass die Kombination der beiden Methoden „mehr als die Summe [ihrer] Teile [ist]: Die Fragen in Interviews werden [durch die Triangulation] spezifischer und alltagsnaher […]. Auch die Beobachtungen werden detaillierter, bedeutungsvoller und führen in Bereiche, die ursprünglich übersehen wurden“ (Bachmann/Wittel 2006: 208). Die qualitativen Beobachtungen wurden in unterschiedlichen Kommunikationssituationen durchgeführt: in Sprechstunden, am Empfang und im Wartebereich der Hausarztpraxen. Sie hatten zum Ziel, ein Bild von den beziehungsrelevanten medialen und nichtmedialen kommunikativen Handlungen innerhalb der Hausarztpraxis – vor Ort und im Vollzug – zu gewinnen. Durch die Beobachtungen war es möglich, die Kommunikation der Ärzte, Patienten und Praxismitarbeiter „auch unabhängig von der Selbstbeschreibung der einzelnen Akteure im Handlungsvollzug zu rekonstruieren“ (Witte 2010: 77). Die Beobachtungen wurden im Zuge der Erhebung geschärft durch die gewonnenen Erkenntnisse aus den bereits erfolgten Beobachtungen wie auch aus den Einsichten, die in den Interviews vermittelt wurden. Um den Einfluss der Forscherin in den einzelnen Beobachtungssituationen zu reflektieren, erfolgten Selbstbeobachtungen, die ebenfalls zum Datenmaterial der Studie gehören. Den zweiten methodischen Zugang bildeten qualitative Interviews, die mit Patienten und Ärzten geführt wurden. Die Interviews dienten der Rekonstruktion „von Bedeutungen, subjektiven Sichtweisen und Hintergründen“ (Bachmann/Wittel 2006: 207) sämtlicher beziehungsrelevanter medialer und nichtmedialer kommunikativer Handlungen. Hierfür stellte die Forscherin Fragen zur gesundheitsbezogenen Medienaneignung, zum Selbstbild, zum Bild von dem jeweiligen Gegenüber sowie zur Definition der Arzt-Patient-Beziehung. Die Befragungen ergänzten die Beobachtungen also, da sie ermöglichten den subjektiven Sinn zu rekonstruieren, den die Akteure mit den (beobachteten) Handlungen verbinden. Ferner geben die Interviews Einblicke in (medienvermittelte) kommunikative Handlungen, die außerhalb der Hausarztpraxis erfolgen und über die einzelne beobachtete Kommunikationssituation hinausreichen. In die Interviews flossen die

Datenerhebung durch qualitative Beobachtungen und qualitative Interviews

107

in den bereits geführten Interviews und in den erfolgten Beobachtungen gewonnenen Erkenntnisse ein. Daneben wurden vorläufige Interpretationen der Forscherin aus den Beobachtungen geprüft. Demgemäß diente die Triangulation zum einen der Erkenntnisüberprüfung. Zum anderen stellten die beiden Methoden füreinander eine Erkenntniserweiterung dar. Die angewandten Methoden werden im Folgenden nacheinander beschrieben, wenngleich sie im Forschungsprozess in alternierender Reihenfolge eingesetzt wurden, abhängig von der Dynamik der Datenerhebungssituation. 4.2.1

Qualitative Beobachtungen der kommunikativen Handlungen in Hausarztpraxen

Im Zuge der vorliegenden Studie wurden qualitative Beobachtungen eingesetzt, um die Kommunikation zwischen Arzt und Patient sowie weitere kommunikative Handlungen in der Hausarztpraxis nachzuvollziehen und rekonstruierbar zu machen (vgl. Döring/Bortz 2016: 333). Die durchgeführten Beobachtungen orientierten sich an den Kennzeichen der qualitativen Beobachtung, wie Lamnek (2010) sie zusammenfasst: „Sie ist systematisch, unstrukturiert, offen, direkt und findet im sozialen, natürlichen Feld statt. Der Beobachter ist teilnehmend […]. Es ist ein eher hypothesengenerierendes und theorieentwickelndes Vorgehen“ (ebd.: 662). 55 Diese zentralen Charakteristika der durchgeführten qualitativen Beobachtungen werden im Folgenden noch einmal näher ausgeführt. Bei den Beobachtungen handelte es sich um Feldbeobachtungen, die in fünf allgemeinmedizinischen Arztpraxen durchgeführt wurden. Die Kommunikation von Ärzten, Patienten und Praxispersonal wurde also in alltäglichen Handlungszusammenhängen und im natürlichen Feld beobachtet. Die Forscherin selbst war teilnehmende Beobachterin des Feldes und folgte Ärzten, Patienten und Praxispersonal „in ihren Tätigkeiten, jedenfalls bis zu einem gewissen Maß, aber ohne an ihren Tätigkeiten aktiv teilzunehmen“ (König 1973: 51). In den Arzt-Patient-Gesprächen drückte sich diese Beobachterrolle darin aus, dass – über die Begrüßung, die Vorstellung und das Einholen der Teilnahmegenehmigung zum Beginn des Gespräches hinaus – keine 55

Ausführliche Erläuterungen der unterschiedlichen qualitativen Beobachtungsformen finden sich z. B. bei Meyen et al. (2011: 124f.), Lamnek (2010: 508ff.), Merten (2013: 134ff.), Diekmann (2005: 469ff.) oder Kochinka (2010: 453ff.).

108

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

verbale Beteiligung der Forscherin am Gespräch stattfand. Nachfragen, Einwürfe etc. wurden unterlassen. Es wurde seitens der Forscherin zudem darauf geachtet, die Aufmerksamkeit von Arzt oder Patient (etwa durch nonverbale Signale) möglichst nicht auf sich zu ziehen. Dies geschah beispielsweise, indem der Augenkontakt schon durch die Positionierung der Forscherin im Raum – außerhalb des Blickfeldes der Beobachteten – vermieden wurde. Der Gesprächsverlauf sollte so wenig wie möglich beeinträchtigt werden. Dennoch besteht auch durch die passive Teilnahme die Gefahr einer Störung des Feldes und einer eventuellen Modifikation der Kommunikation der Beobachteten. So konstatiert Lamnek (2010): „Allein die Tatsache, dass ein neuer Rollenträger, wie immer dieser definiert sein mag, in das soziale Feld eintritt, kann das Feld verändern“ (ebd.: 519). Um dieser möglichen Einflussnahme gewahr zu werden, wurde die Beobachtung der Kommunikation von Ärzten, Patienten und des Praxispersonals um eine Selbstbeobachtung der Forscherin ergänzt. So konnten das Verhalten, die Gedanken und Empfindungen der Forscherin während der Beobachtungssituation einbezogen und einer kritischen Reflexion unterzogen werden (vgl. hierzu Diekmann 2005: 473). Außerdem fanden die Beobachtungen offen statt, das heißt alle Personen, die sich im Zeitraum der Beobachtungen in den Hausarztpraxen befanden, wurden über die Forschungstätigkeit der Forscherin aufgeklärt. Dies gilt vor allem für die Patienten, deren Kommunikation im Arzt-Patienten-Gespräch beobachtet wurde. Die Forscherin stellte sich den Patienten zu Beginn des Gesprächs vor oder wurde ihnen durch den Arzt vorgestellt. Auch der Anlass der Anwesenheit der Forscherin wurde den Patienten erläutert und das Forschungsvorhaben skizziert. Im Zuge der Vorstellung wurde auch das Einverständnis jedes einzelnen Patienten zur Beobachtung der Kommunikation in der Sprechstundensituation erfragt. Darüber hinaus wurde mit jedem Arzt ein Zeichen vereinbart, das der Forscherin signalisierte, wenn sie die Beobachtung abbrechen und/oder den Behandlungsraum verlassen sollte. 56 Zusätzlich informierten Aushänge in den Praxen über den Forschungsaufenthalt. Zudem wurde das Forschungsprojekt und die Forscherin dem gesamten Praxispersonal im Vorfeld oder zu Beginn der Feldaufenthalte vorge-

56

In keiner der untersuchten Hausarztpraxen fand das vereinbarte Zeichen direkt Anwendung. Lediglich in einer Situation, in der ein Arzt eine körperliche Untersuchung im Intimbereich eines männlichen Patienten durchführen wollte, wurde die Forscherin gebeten, den Behandlungsraum zu verlassen.

Datenerhebung durch qualitative Beobachtungen und qualitative Interviews

109

stellt. Neben ihrer Eigenschaft der Offenheit lassen sich die durchgeführten Beobachtungen dadurch charakterisierten, dass sie systematisch geplant und im Hinblick auf die Forschungsfrage gezielt und unter Berücksichtigung der relevanten Beobachtungsdimensionen erfolgten, aufgezeichnet und analysiert wurden. Aufgrund dieser planmäßigen Verfahrensweise grenzen sich die durchgeführten Beobachtungen von alltäglichen Beobachtungen ab (vgl. z. B. Atteslander 1995: 89; König 1973: 1; Lamnek 2010: 508f.). Als Erhebungsinstrument fanden offene Beobachtungsleitfäden Einsatz, die zum einen ein Set an Beobachtungsdimensionen umfassten und zum anderen Spielraum für neue Erkenntnisse ließen. Die leitfadengestützte Beobachtung diente also vorwiegend der Hypothesengenerierung. Sie ist „offen für die Verhältnisse und deren Entwicklungen im sozialen Feld“ (ebd.: 514). Mithilfe der offenen Beobachtungsleitfäden wurden die einzelnen Kommunikationssituationen durch die Forscherin direkt beobachtet und schriftlich protokolliert. Um die Authentizität und Natürlichkeit der Situation zu wahren und so gering wie möglich zu beeinträchtigen, wurde auf zusätzliche Dokumentationsformen (Aufnahmegeräte oder Ähnliches) verzichtet. Im Anschluss an die Beobachtungen wurden die jeweiligen Protokolle geprüft und komplettiert. Zusammenfassend lassen sich die qualitativen Feldbeobachtungen in den Hausarztpraxen als teilnehmend, offen und direkt klassifizieren. Im Folgenden wird der Aufbau der eingesetzten Beobachtungsleitfäden dargestellt, mit deren Hilfe die Durchführung und Dokumentation erfolgte. Um die beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen von Ärzten und Patienten zu erfassen, setzte die Forscherin zwei verschiedene Beobachtungsleitfäden ein. Der erste Leitfaden diente der Erfassung der Kommunikation während der Sprechstunde. Mithilfe des zweiten Leitfadens konnten weitere beziehungsrelevante Handlungen in den Praxisräumen (zum Beispiel am Empfang oder im Wartezimmer) rekonstruiert werden. Beobachtung der Kommunikation in der Sprechstunde: Aufbau des Leitfadens und Ablauf Der erste Leitfaden, der zur Beobachtung der direkten Arzt-Patient-Gespräche diente, definierte die zentralen Beobachtungsdimensionen und ermöglichte, die

110

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

kommunikativen Handlungen während der Sprechstunde gezielt und systematisch in den Blick zu nehmen und zu dokumentieren. Dabei bot der Leitfaden neben einer groben Strukturierung ausreichend Raum für die Aufzeichnung neuer Erkenntnisse und Eigenarten des Feldes. Das Schema des Beobachtungsleitfadens sah vor, dass die Handlung (was) ebenso protokolliert wurde wie die Zeit (wann) und der Ort, an dem sich das beobachtete Geschehen vollzog (wo). Auch weitere Hinweise zur Beobachtungssituation waren möglich. Der eingesetzte Beobachtungsleitfaden lässt sich in die folgenden drei Abschnitte untergliedern: Im ersten Abschnitt (siehe hierzu Abb. 2) hielt die Forscherin das Datum, die Dauer, die ID des Arztes sowie die ID des Patienten fest. Mittels der ID erfolgte eine einfache Durchnummerierung der Interview-Partner gemäß der chronologischen Reihenfolge der Begegnung im Laufe des Forschungsprozesses. 57 Das heißt, Angaben zum Namen (oder zum Wohnort der Patienten) wurden von Beginn an chiffriert. Somit ist gewährleistet, dass die personenbezogenen Angaben keinerlei Rückschlüsse auf die jeweiligen Personen zulassen. Daneben ermöglichte der erste Abschnitt im Leitfaden, das Geschlecht sowie das Alter des Arztes wie auch des Patienten zu protokollieren. Das Alter der Patienten wurde zunächst von der Forscherin geschätzt. Bei Patienten, die zusätzlich im Interview befragt werden konnten, ersetzte sie das geschätzte Alter durch das tatsächliche Alter. Der zentrale zweite Abschnitt des Leitfadens diente der chronologischen Dokumentation der kommunikativen Handlungen innerhalb des Arzt-Patient-Gesprächs. Hier dokumentierte die Forscherin einzelne Gesprächsabschnitte. Stichpunktartig hielt sie fest, was wer sagte. Neben der sprachlichen Ebene protokollierte die Forscherin auch die Körpersprache– wie etwa ein intensiver Augenkontakt oder das Aufzeigen von Schmerzen mittels Gesten. 58 Ein besonderes Augenmerk galt ferner – im Sinne der Beantwortung der Forschungsfrage (‚Wie wird die

57 Die ID diente einer Zuordnung der Interview-Daten zu den entsprechenden Beobachtungsdaten. Sie wurde dann bei der Zusammenführung dieser Daten (im Zuge der Datenaufbereitung für die Auswertung) durch einen frei erfundenen Namen ersetzt. 58 Dieser Abschnitt des Beobachtungsleitfadens wurde nach der Datenerhebung in der ersten Hausarztpraxis modifiziert. Neben den Spalten beinhaltete die Tabelle auch vorgefertigte Bezeichnungen für die Zeilen, also die Phasen des Arzt-Patient-Gesprächs, deren Untergliederung aus dem theoretischen Vorwissen mündet (vgl. hierzu ‚Phasen des Arzt-Patient-Gesprächs‘; Kapitel 2.1). Demgemäß wurde das Gespräch vorstrukturiert durch die Phasen ‚Gesprächsbeginn (Kontaktaufnahme/Beziehungsauf-

Datenerhebung durch qualitative Beobachtungen und qualitative Interviews

111

kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung durch die Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote geprägt?‘) – der Erfassung der Rolle, die Medien innerhalb des Arzt-Patient-Gesprächs spielen. Hierfür wurden kommunikative Handlungen protokolliert, die unter physischem Einbezug von Medientechnologien stattfanden. Beispielsweise wurde gesondert festgehalten, wenn der PC in die Interaktion von Arzt und Patient einbezogen wurde. Dabei notierte die Forscherin, wenn der Arzt Vermerke in der Patientenakte anfertigte oder dem Patienten Laborwerte auf dem Computerbildschirm zeigte. Gleichermaßen hielt sie etwa fest, wenn Patienten ihren Ärzten auf dem Smartphone oder im gedruckten Krankheitstagebuch Protokollierungen von Krankheitsverläufen vorlegten. Daneben wurde das Thematisieren von Medieninhalten notiert, wie zum Beispiel, als ein Patient erwähnte, dass er im Vorfeld des Arztbesuchs Medienangebote genutzt hatte, um sich über seine Symptome zu informieren. Für Besonderheiten der Beobachtung, die darüber hinausgingen, stand der Forscherin eine weitere Spalte innerhalb des Tabellenabschnitts des Leitfadens zur Verfügung. Diese Spalte diente vor allem dazu, Selbstbeobachtungen zu ergänzen und zu protokollieren: „Die Protokolle haben somit die Funktion, dem Forscher die Forschungssituation in ihrer ganzen Dichte, in der auch die persönlichen Emotionen beinhaltet sind, wiederum vor Augen zu führen“ (Girtler 2001: 143). So konnte die Forscherin zum Beispiel vermerken, wenn der Patient mit ihr Augenkontakt aufnahm oder auch, wenn der Arzt die Forscherin direkt in das Arzt-Patient-Gespräch einband, wodurch ein Rollenwechsel vom Teilnehmer als Beobachter hin zum Beobachter als Teilnehmer stattfand. Dies führte zu einer kritischen Reflexion der Auswertung und gegebenenfalls sogar zu dem Ausschluss der gesamten Beobachtungsdaten der entsprechenden Sprechstunde (vgl. Kapitel 4.4). Der dritte Abschnitt des Beobachtungsleitfadens bot Platz für eine Raumskizze. Für die Darstellung wurde die Vogelperspektive genutzt, um eine bessere Übersicht zu gewähren. Diese Zeichnungen gaben darüber Aufschluss, wie sich die bau)‘, ‚Informationsgewinn‘, ‚Körperliche Untersuchung‘, ‚Erklärung des Befundes und Therapievorschläge‘, ‚Konstruktives Beenden des Gesprächs‘. Diese Untergliederung erwies sich als impraktikabel, da die Gespräche je nach Form (Akutsprechstunde, Nachfolgeuntersuchung etc.) und dem aktuellen Anlass (der Krankheit) nicht nur inhaltlich, sondern auch vom Ablauf her divergierten. Ab dem zweiten Feldaufenthalt wurde daher auf diese Vorstrukturierung des Beobachtungsleitfadens in unterschiedliche Phasen verzichtet.

112

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

Ärzte, die Patienten und die Forscherin im Behandlungsraum positionierten und bewegten, sowie wie die Möbel und vor allem der PC sowie medizinische Messinstrumente (wie z. B. das Ultraschallgerät) angeordnet waren. In Abbildung 2 sind die drei zentralen Abschnitte des Beobachtungsleitfadens dargestellt.

Abb. 2:

Beobachtungsleitfaden Arzt-Patient-Gespräch (eigene Darstellung)

Beobachtung der Kommunikation außerhalb der Sprechstunde: Aufbau des Leitfadens und Ablauf Neben der direkten Kommunikation von Arzt und Patient innerhalb der Sprechstunde beobachtete und dokumentierte die Forscherin weitere kommunikative Handlungen, die sich außerhalb des Behandlungsraumes in der Hausarztpraxis vollzogen. Hierzu zählten: die Begrüßung und Anmeldung der Patienten am Empfang durch die MFA sowie weitere Gespräche zwischen den MFA und den Patienten; die Kommunikation der Patienten untereinander; die Medienrezeption der Patienten während der Wartesituationen; die Unterhaltungen der MFA miteinander und mit dem Hausarzt; die Kommunikation von Arzt und Patient außerhalb der Sprechstunde sowie schließlich die – zumeist medienvermittelte – Kommunikation von Hausarzt und MFA mit Fachärzten und Pharmazievertretern.

Datenerhebung durch qualitative Beobachtungen und qualitative Interviews

113

Während der Beobachtungen der aufgeführten Kommunikationssituationen wurden die beteiligten Akteure, die Orte und Zeitpunkte, die Gesprächsthemen und der Ablauf der Kommunikation dokumentiert. 59 Dieses protokollarische Aufbrechen der Situation in ihre ‚Elemente‘ diente dazu, Regelhaftigkeiten und Besonderheiten festzuhalten. Wie bei den Beobachtungen der Sprechstunden legte die Forscherin – entsprechend der leitenden Forschungsfrage (‚Wie wird die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung durch die Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote geprägt?‘) – hierbei ein besonderes Augenmerk auf die Einbettung von Medien in kommunikative Prozesse. Dies betraf zum einen die Verwendung von Medientechnologien, zum anderen ihre Thematisierung in Gesprächen etc. Bei der Beobachtung der Kommunikationssituationen außerhalb der Sprechstunde wurden keinerlei personenbezogene Daten erhoben. Die Forscherin vermerkte lediglich, ob es sich bei den Akteuren der Kommunikationssituation um einen Arzt, eine MFA oder einen Patienten etc. handelt. Neben den zentralen beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen wurden im Zuge der Beobachtungen allgemeine Charakteristika der Praxis festgehalten. Dementsprechend erstellte die Forscherin ein Organigramm (bestehend aus den Rollen der Ärzte, der MFA und weiterer Angestellte, wie beispielsweise Beauftragten für das Qualitätsmanagement). Auch dabei notierte sie keine personenbezogenen Daten, wie etwa das Geschlecht oder das Alter. Ferner dokumentierte sie die Tagesabläufe (Sprechzeiten/Öffnungszeiten) und Informationen zu den räumlichen Gegebenheiten (wie z. B. Gestaltung und Ausstattung der Behandlungsräume, der Laborräume und des Empfangsbereichs). Ein besonderes Augenmerk galt dabei der Anordnung der Medien (Hard- und/oder Software) in

59

Darüber hinaus stellte sich die Forscherin während des Beobachtungsprozesses immer wieder die von Strauss und Corbin vorgeschlagenen W-Fragen (Wer? Wann? Wo? Was? Wie? Wie viel? und Warum?), die den Blick für die einzelnen Elemente der Situation schärfen (siehe hierzu ausführlich Strauss/Corbin 1996: 58). Auf ähnliche Art und Weise schlägt im Übrigen Girtler (2001) vor, zu Beginn der „unstrukturierten teilnehmenden Beobachtung“ (ebd.: 134) Inhalte festzulegen, die den Forscher darin unterstützen, „die gesamte soziale Situation, in der sich die wichtigen Prozesse abspielen“ (ebd.) zu erfassen (vgl. ebd.: 133ff.). Dazu zählen: Teilnehmer; Durchführung, Schaffung und Regelmäßigkeit der sozialen Situation; determinierende Normen; Reaktionen, wenn die Teilnehmer den an sie gerichteten Erwartungen nicht entsprechen sowie Unterschiede zwischen Behauptetem und Getanem (vgl. ebd.: 134).

114

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

den einzelnen Räumlichkeiten. Wie bereits bei den Beobachtungen in den Sprechstunden notierte die Forscherin in den Beobachtungsbögen, wo sie sich während der Beobachtung positionierte. Die mithilfe des Leitfadens erfassten Beobachtungsnotizen ergänzte die Forscherin durch Gedächtnisprotokolle von Gesprächen mit den MFA und den Ärzten im Tagesablauf, die sie zeitnah erfasste. Dabei ging es vor allem um die Klärung von inhaltlichen Fragen, die im Zuge der Beobachtung entstanden. Dazu zählten zum Beispiel Nachfragen zu medizinischen Fachbegriffen, die der Arzt und seine Angestellten benutzten und deren Entschlüsselung zum Verstehen der Situation notwendig war. Des Weiteren stellte die Forscherin Nachfragen zu beobachteten Besonderheiten oder Regelmäßigkeiten. Diese mithilfe der Leitfäden angefertigten Notizen wurden zum Großteil direkt während der Beobachtung angefertigt und im Anschluss an die Beobachtungssituation komplementiert, um ein Vergessen wichtiger Aspekte zu vermeiden (vgl. Lamnek 2010: 559). Um jederzeit Beobachtungserkenntnisse festhalten zu können, führte die Forscherin in den Hausarztpraxen stets einen eigens für diesen Zweck angefertigten DIN-A4-Block mit sich, der entsprechende Beobachtungsbögen und Blätter für freie Notizen enthielt. Die Beobachtungen fanden über den gesamten Tag verteilt statt. Zumeist wurde zu Beginn der jeweiligen Feldaufenthalte der erste Tag genutzt, um Beobachtungen außerhalb der Sprechstunde zu machen und die Praxis kennenzulernen. In den folgenden Tagen wechselten sich Beobachtungen von Sprechstundensituationen, Interviews mit Patienten und Ärzten sowie Beobachtungen von Kommunikationssituationen außerhalb des Behandlungsraumes dynamisch ab. 4.2.2

Qualitative Interviews mit Hausärzten und deren Patienten

Neben den qualitativen Beobachtungen kamen qualitative Leitfaden-Interviews zum Einsatz. 60 Diese Form des Interviews lässt „den Beteiligten trotz gesprächssteuernder Vorgaben erhebliche gestalterische Spielräume“ (Seipel/Rieker 2003: 60

Ein umfassender Überblick über die unterschiedlichen Varianten qualitativer Interview-Formen findet sich zum Beispiel bei Lamnek (2010: 326ff.) und Hopf (2015b: 351ff.). Dazu zählen – neben dem PZI – unter anderem das narrative, das episodische und das fokussierte Interview sowie das ExpertenInterview.

Datenerhebung durch qualitative Beobachtungen und qualitative Interviews

115

149). So wurden die Interview-Partner zwar durch Fragen auf bestimmte Themen hingeleitet, sie sollten jedoch offen, das heißt ohne Antwortvorgaben, auf die gestellten Fragen reagieren (vgl. z. B. Mayring 2002: 69; Strübing 2013: 92). Die qualitativen Befragungen dienten der Rekonstruktion der beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen von Ärzten und Patienten. Die Interviews stellen aus drei Gründen eine wichtige Ergänzung zu den oben beschriebenen Beobachtungen dar. Erstens geben sie Einblicke in kommunikative Handlungen, die außerhalb der Hausarztpraxis stattfinden – also jenseits des beobachteten sozialen und physischen Raumes. Zweitens können die Gesprächspartner in den Interviews Aussagen über zurückliegende Handlungen oder generelle Handlungsmuster tätigen – wohingegen es mittels der Beobachtungen, die in dieser Studie durchgeführt wurden, in der Regel lediglich einmalig möglich war, spezifische Kommunikationskonstellationen (Arzt-Patient-Gespräche) zu beobachten. Die Interviews geben drittens Auskunft über den Sinn und die Bedeutung, die Befragte mit medialen und nichtmedialen kommunikativen Handlungen verbinden. Der Aufbau der Leitfäden und die Durchführung der Interviews orientierten sich primär am Verfahren des Problemzentrierten Interviews (PZI) (vgl. Witzel 1985, 2000; Witzel/Reiter 2012). 61 Dieses zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es „auf eine möglichst unvoreingenommene Erfassung individueller Handlungen sowie subjektiver Wahrnehmungen“ (Witzel 2000: 1) abzielt, ohne dabei das theoretische Vorwissen des Forschers auszuschließen. Das PZI wird als Erhebungsmethode unter anderem zur Theoriegenerierung eingesetzt und eignet sich daher im besonderen Maße für explorative Fragestellungen. „So wird gemäß dem Prinzip der Offenheit der Methode auf eine vorgängige explizite Hypothesenbildung ex ante verzichtet, um den empirischen Erkenntnisgewinn nicht durch ein […] 61

Ursprünglich von Andreas Witzel für die Sozialisationsforschung entwickelt, findet das PZI mittlerweile auch in der Kommunikations- und Medienwissenschaft Anwendung: „Die Vielseitigkeit des Problemzentrierten Interviews erlaubt seinen Einsatz auch in weiten Forschungsbereichen der Kommunikationswissenschaft, insbesondere in der Kommunikator- oder Nutzungsforschung“ (Keuneke 2005: 261). Witzel definiert das PZI ursprünglich als eine Methodenkombination bzw. -integration von qualitativem Interview, biografischer Methode, Fallanalyse, Gruppendiskussion und Inhaltsanalyse (vgl. Lamnek 2010: 332; Mayring 2002: 68; Spöhring 1989: 177). In der vorliegenden Studie wird lediglich die Interview-Form (als Einzelmethode) bzw. „Interviewlehre“ (ebd.: 177) des PZI angewendet, losgelöst von den übrigen von Witzel genannten Methoden.

116

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

Kategoriensystem zu begrenzen“ (Witzel 1985: 228). Charakteristisch für diese Interview-Variante sind die Grundprinzipien der Problemzentrierung, der Gegenstandsorientierung und der Prozessorientierung, die hier berücksichtigt wurden (vgl. ebd.: 230ff.). 62 Problemzentrierung meint die konsequente Orientierung des Interviews an einer konkreten Problemstellung, die für bestimmte theoretische Konzepte sensibel ist, gleichzeitig jedoch auch offen ist für neue oder unerwartete Aspekte, die von den Interview-Partnern eingebracht werden (vgl. Keuneke 2005: 260; Witzel 1985: 231, 2000: 2). So berücksichtigten die qualitativen Leitfäden in dieser Studie theoretische Grundannahmen des Kommunikativen Konstruktivismus und der Mediatisierungsforschung und bezogen theoretische Implikationen ein, die aus der vorhandenen Forschung zur Arzt-Patient-Beziehung und zur gesundheitsbezogenen Medienaneignung abgeleitet waren (vgl. ebd.: 3). Das Vorwissen verhalf der Forscherin ferner dazu, während der Interview-Durchführung die Erklärungen der Interview-Partner „verstehend nachzuvollziehen“ (Witzel 1985: 230) und am zentralen Forschungsthema orientierte, „inhaltsbezogene und genauere“ (ebd.) Fragen und Rückfragen zu stellen, ohne dabei die nötige Offenheit zu vernachlässigen. Die Interviews dienten somit letztlich der stetigen Erweiterung, Anpassung und Rückbindung der neuen Erkenntnisse an das Vorwissen. Neben der Problemzentrierung gehört die Gegenstandsorientierung zu den Grundprinzipien des PZI. Dieses Prinzip gewährleistet die „Flexibilität der Methode gegenüber den unterschiedlichen Anforderungen des untersuchten Gegenstands“ (Witzel 2000: 2). In der vorliegenden Studie drückte sich die Gegenstandsorientierung dadurch aus, dass Interview-Leitfäden entwickelt wurden, die spezifisch auf das Forschungsvorhaben und die Forschungsfrage ‚Wie wird die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung durch die Aneignung ge-

62

Diese Kennzeichen erinnern stark an die Methodik der Grounded Theory. Dies liegt darin begründet, dass es sich bei dem PZI ebenfalls um ein „theoriegenerierendes Verfahren“ (Witzel 2000: 1) handelt. So postuliert Witzel: „Das PZI lehnt sich weitgehend an das theoriegenerierende Verfahren der ‚Grounded Theory‘ […] an“ (ebd.: 2). Auch Flick (2000) konstatiert, dass die beiden Kriterien der Gegenstands- und der Prozessorientierung direkt aus der Forschungskonzeption von Glaser und Strauss übernommen worden sind (vgl. ebd.: 108). Das erste Kriterium, die Problemzentrierung, geht hingegen auf den Einbezug von Vorwissen nach Strauss und Corbin (1996) zurück.

Datenerhebung durch qualitative Beobachtungen und qualitative Interviews

117

sundheitsbezogener Online-Angebote geprägt?‘ zugeschnitten waren und zusätzlich den gegebenen Rahmenbedingungen Rechnung trugen. Der Leitfaden wurde im Zuge der Erhebung – wo nötig – modifiziert. Die Flexibilität drückte sich auch darin aus, dass der Leitfaden stets an die jeweiligen Interview-Situationen und den jeweiligen Befragten angepasst wurde. Die Forscherin setzte entsprechend „je nach der unterschiedlich ausgeprägten Reflexivität und Eloquenz der Befragten stärker auf Narrationen oder unterstützend auf Nachfragen im Dialogverfahren“ (ebd.). Das dritte Kriterium, die Prozessorientierung, verweist unter anderem darauf, dass bereits während der Interview-Durchführung Aussagen der Befragten durch den Interviewer ‚vorinterpretiert‘ werden, was zur Vorstrukturierung der Auswertung beiträgt (vgl. ebd.: 3). „Dadurch entstehen bereits im Erhebungskontext Verstehensprozesse durch den Interviewer, der Ergebnisse in Form einer Art Vorinterpretation schafft und damit die anschließende systematischere, kontrollierte eigentliche Interpretationsphase vorbereitet“ (Witzel 1985: 234). Die Umsetzung dieser drei Grundprinzipien spiegelt sich sowohl in der Konstruktion der Interview-Leitfäden als auch im Ablauf der durchgeführten Interviews mit den Ärzten und den Patienten wider. Für die Interviews mit den Patienten und für die Interviews mit den Ärzten wurde jeweils ein gesonderter Leitfaden entwickelt. Sowohl der Leitfaden des Patienten-Interviews als auch der Leitfaden des Ärzte-Interviews orientierte sich an dem von Witzel (2000) vorgeschlagenen Aufbau eines PZI (vgl. ebd.: 3f.). In beiden Leitfäden wurde die direkte Kommunikation der Beziehungspartner ebenso thematisiert wie ihre gesundheitsbezogene Medienaneignung und die Bilder, die Ärzte und Patienten von sich, ihrem Beziehungspartner und ihrer Beziehung besitzen. Die Strukturierung der Frageblöcke entlang der idealtypischen Phasen des PZI ist in Tabelle 4 abgebildet. Die Interview-Leitfäden kombinierten jeweils Schlüssel- und Eventualfragen. Die Eventualfragen dienten dazu, auch jene für das Forschungsinteresse relevanten Aspekte zu erfassen, die nicht durch die Patienten von sich aus auf die Schlüsselfragen erwähnt wurden. Durch diese Kombination sollte eine möglichst große Vergleichbarkeit der Interview-Ergebnisse erreicht werden. Die Leitfäden für die Ärzte und die Patienten enthielten zudem Szenarien, die der Erzählstimulierung dienten. Die Szenarien sollten es den Interview-Partnern erleichtern, sich in all-

118

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

tägliche Situationen hineinzuversetzen und entlang dieser Situationen ihr kommunikatives Handeln und damit verbundene Sinnzusammenhänge zu erläutern. So wurde beispielsweise die Beschreibung des Bildes, das Patienten von ihrem Arzt haben, durch folgendes erzählstimulierendes Szenario eingeleitet: „Stellen Sie sich vor, ich ziehe nach [Stadt- bzw. Ortsname] und suche einen neuen Hausarzt. Wie würden Sie mir in diesem Zusammenhang Ihren Allgemeinmediziner beschreiben?“ Phasen des PZI nach Witzel (2000)

Aufbau der PatientenInterviews

Aufbau der ÄrzteInterviews

Offene Einleitungsfrage zur Gesprächseröffnung

Fragen zur interpersonalen (medienvermittelte) Kommunikation mit dem Arzt/der Hausarztpraxis

Fragen zum typischen Tagesablauf Fragen zur interpersonalen (medienvermittelten) Kommunikation mit den Patienten

Allgemeine Sondierung (Thema 1)

Fragen zur gesundheitsbezogenen Wissensaneignung im Allgemeinen

Fragen zur beruflichen Medienaneignung im Allgemeinen

Spezifische Sondierung (Thema 1)

Fragen zur Aneignung gesundheitsbezogener OnlineAngebote

Fragen zur eigenen Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote Fragen zur gesundheitsbezogenen Medienaneignung der Patienten (insb. von Online-Angeboten)

Allgemeine Sondierung (Thema 2)

Fragen zum Selbstverständnis und zum Bild von dem Arzt

Fragen zum Selbstverständnis und zu den Bildern von den Patienten

Spezifische Sondierung (Thema 2)

Fragen zur Arzt-Patient-Beziehung

Fragen zur Arzt-Patient-Beziehung

Ad-hoc-Fragen

Offene Fragen

Offene Fragen

Kurzfragebogen

Fragen zu relevanten soziodemografischen Daten

Tab. 4:

Fragen zum hausärztlichen Werdegang, relevante soziodemografische Daten Aufbau der Interviews mit Patienten und Ärzten entlang der typischen Phasen des PZI (eigene Darstellung)

Unterstützend zu den Fragen und den Szenarien wurden sowohl in den Ärzte- als auch Patienten-Interviews visuelle Stimuli in Form von eigens für diesen Zweck

Datenerhebung durch qualitative Beobachtungen und qualitative Interviews

119

erstellten Karten eingesetzt, auf denen gesundheitsbezogene Medienangebote abgebildet waren (vgl. Tab. 5). Angebotstypen

Visuelle Beispiele

Praxis-/Krankenhaus-Websites

angepasst auf jeweilige Hausarztpraxis

Social-Media-Sites

angepasst auf jeweilige Hausarztpraxis: ‚Facebook‘, ‚Twitter‘

Arztbewertungsportale

angepasst auf jeweilige Hausarztpraxis: ‚Jameda‘

Chat/E-Mail mit dem Arzt

‚Skype‘, ‚Chit Chat DOCTOR‘

Online-Doktor-Websites

‚Dr. Ed‘, ‚patientus‘

Suchmaschinen

‚Google‘ (Suchwort „Gesundheit“)

Gesundheitsforen

‚GesundheitsForum.de‘, ‚gesundheit.de‘

Informations-Websites

‚gesundheitsinformation.de‘, ‚NetDoktor‘

Gesundheits-Apps

‚Pollen-App‘, ‚Pollen-Radar‘, ‚My Diabetes‘

Zeitungen und Zeitschriften (Online und Print)

‚Spiegel Online Gesundheit‘, ‚Apotheken Umschau‘, ‚GEO Gesundheit‘

Bücher und E-Books

‚Der kranke Gesunde‘, ‚Gesundheit! Was die Medizin alles kann‘

Arztserien / Fernsehmagazine ‚Doctor’s Diary‘, ‚Grey’s Anatomy‘ / ‚Visite (NDR)‘ Tab. 5: Überblick über die ‚Medienangebots-Karten‘ (eigene Darstellung)

Die Medienangebots-Karten sollten „im Sinne des Forschungsinteresses bei den Befragten eine Reaktion“ (Helfferich 2014: 565) auslösen. Die insgesamt elf ‚Medienangebots-Karten‘ illustrierten die theoretisch unterschiedenen Medienangebots-Typen (vgl. Kapitel 2.5). 63 Mithilfe der Illustration sollte den Patienten und Ärzten bildlich verdeutlicht werden, auf welche konkreten Angebote sich die begrifflichen Kategorisierungen beziehen. Dabei wurde davon ausgegangen, dass ein visueller Stimulus die Erinnerungsleistung über die rein mündliche Abfrage von Angeboten hinaus anregt. Eine ‚Medienangebots-Karte‘ präsentiert jeweils die schriftliche Bezeichnung des Angebotstyps (z. B. ‚Online-Zeitschriften und Online-Zeitungen‘) sowie zwei Illustrationen paradigmatischer Angebote eines Typs (z. B. Screenshots der Websites der ‚Apotheken-Umschau‘ und der Gesundheitsrubrik von ‚Spiegel Online‘).

63 Die ‚Medienangebots-Karten‘ waren aus hygienischen Gründen in Klarsichtfolien geschweißt und wurden nach jedem Patienten-Kontakt desinfiziert, um möglichen Infektionen entgegenzuwirken.

120

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

Die Karten, die das von der Hausarztpraxis zur Verfügung gestellte Medienensemble illustrieren (Praxis-Website, Social-Media-Profile, Profile auf Arztbewertungsportalen), wurden jeweils auf die entsprechenden Hausarztpraxen angepasst. Patienten-Interviews: Aufbau des Leitfadens und Ablauf der Interviews Der Leitfaden für die Patienten-Interviews setzte sich insgesamt aus fünf Frageblöcken zusammen. Einleitend klärte die Forscherin die Interview-Partner über das Forschungsprojekt und das Vorgehen beim Interview auf. Zudem bat sie um das Einverständnis zur Teilnahme an den Interviews sowie zur Aufzeichnung und Verwertung der Interviews. In diesem Zusammenhang erfragte sie auch, ob der jeweilige Gesundheitszustand ein Gespräch erlaubt. Bei den minderjährigen Patienten, mit denen Interviews geführt wurden, fragte die Forscherin zusätzlich die Erziehungsberechtigten um Erlaubnis. Bei den Patienten, die jünger als 16 Jahre alt waren, nahmen die Eltern ausnahmslos an den Interviews teil. Außerdem klärte die Forscherin die Gesprächspartner über die Anonymisierung des Datenmaterials (Anonymisierung des Namens, der Praxis und der Stadt) zum Zwecke der Auswertung auf. Die im Folgenden beschriebenen Aspekte fragte sie in den einzelnen Blöcken des Leitfadens ab. Im ersten Block fanden sich zunächst Fragen zur (medienvermittelten) interpersonalen Kommunikation zwischen dem Patienten und seinem Hausarzt bzw. der Hausarztpraxis außerhalb der Sprechstunde (z. B. ‚Nun sprechen Sie ja heute persönlich in der Sprechstunde mit Ihrem Hausarzt. Wie kommunizieren Sie denn außerhalb der Sprechstunde mit Ihrem Arzt?‘). Dieser Frageblock knüpfte somit an den situativen Kontext der Patienten an, da die Befragungen unmittelbar vor oder nach dem Arzt-Patient-Gespräch stattfanden – abhängig von den jeweiligen zeitlichen oder auch räumlichen Gegebenheiten. Der zweite Block umfasste Fragen zur Aneignung gesundheitsbezogenen Wissens im Allgemeinen. Dieser Frageblock eröffnete den Patienten die Möglichkeit, nach der persönlichen Relevanz zu beschreiben, wie sie sich gesundheitsbezogenes Wissen aneignen. Dabei erfragte die Forscherin unter anderem, wie die Patienten vorgehen, wenn sie sich ‚angeschlagen‘ fühlen und wie sie sich über die Themen Gesundheit und Krankheit informieren. Erst im Anschluss an diese offenen Fragen fragte sie vertiefend nach der Rolle von anderen Personen oder Medien im Prozess der gesundheitsbezogenen Wissensaneignung. Dies gestattete der Forscherin die

Datenerhebung durch qualitative Beobachtungen und qualitative Interviews

121

Bedeutung zu erfassen, die Patienten Online-Angeboten zuschreiben, und zwar im Vergleich zu ‚traditionellen‘ Medienangeboten (wie z. B. Print-Zeitschriften wie etwa die Apotheken Umschau) oder zum interpersonalen gesundheitsbezogenen Kommunikationsrepertoire (Arzt, weitere Bezugspersonen). Darüber hinaus zielte dieser Frageblock darauf ab, zu eruieren, welche Medienangebote den Patienten ohne stützende Nachfragen präsent sind. Nach diesem Überblick fokussierte der dritte Block auf die Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote. Als unterstützender Stimulus im Anschluss an offene Fragen zur Medienaneignung fanden in diesem Frageblock die zuvor beschriebenen ‚Medienangebots-Karten‘ Einsatz. Mithilfe der Karten, die einen gemeinsamen Bezugspunkt für Interviewerin und Befragte bildeten, wurden Nutzungsabläufe, -situationen und -motive beschrieben. Die Karten dienten ferner als eine Art ‚Kontrastfolie‘, um die ‚traditionelle‘ Mediennutzung (Print-Zeitschriften, Fernsehsendungen, Telefon) der Befragten in Abgrenzung, Anlehnung oder als Ergänzung zur Online-Nutzung zu beschreiben. Zusätzlich wurde durch entsprechende Fragen nochmals vertieft, inwiefern Patienten das Wissen, das sie über gesundheitsbezogene Medienangebote im Allgemeinen und über gesundheitsbezogene Online-Angebote im Speziellen erwerben, in das Arzt-Patient-Gespräch einbringen. Die Blöcke vier und fünf dienten schließlich dazu, das Bild, das Patienten von sich selbst und dem Hausarzt besitzen, sowie die Definition ihrer Arzt-Patient-Beziehung zu erfragen. Dabei wurden beispielsweise die patientenseitigen Erwartungen an den Hausarzt, die Dauer der Arzt-Patient-Beziehung oder der nach ihrer Erfahrung übliche Ablauf des Arzt-Patient-Gesprächs in Erfahrung gebracht. Abschließend wurden soziodemografische Daten erhoben. Dabei wurden ausschließlich das Alter und das Geschlecht erfragt, um möglichst wenige personenbezogenen Daten zu sammeln. Unterstützt wurde die Durchführung des Leitfaden-Interviews in Anlehnung an Witzel (2000) durch ein Postskriptum (vgl. ebd.: 4). Dieses verfasste die Forscherin im Anschluss an die Befragungen; es diente der Reflexion der InterviewSituation und des Interview-Verlaufs. Die Interviews mit den Patienten wurden entweder im Vorfeld der Sprechstunde oder aber im Nachhinein geführt. Die Wahl des Zeitpunkts war – wie bereits im Zusammenhang mit der Rekrutierung beschrieben (vgl. Kapitel 4.1.2) – abhängig von den vorgesehenen Wartezeiten der

122

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

Patienten und den freien Räumlichkeiten in der Praxis. Wie bereits bei der Rekrutierung der Patienten legte die Forscherin bei der Interview-Durchführung gesteigerten Wert darauf, das Wohlbefinden der Patienten im Auge zu behalten. In Anlehnung an Morse (2001) galt der Leitsatz: „During the interview, the researcher should observe the patient’s condition and offer to stop the interview if he or she appears tired“ (ebd.: 323). Stellte sich beispielsweise heraus, dass sich der Gesundheitszustand eines Patienten verschlechterte (es dem Patienten z. B. aufgrund von Halsschmerzen schwerfiel, weiterzusprechen), wurde sofort angeboten, das Interview zu unterbrechen oder zu beenden. Die Patienten-Interviews dauerten im Schnitt 15 Minuten. Diese für ein qualitatives Interview recht kurze Dauer lässt sich vor allem auf die bereits beschriebenen Rahmenbedingungen zurückführen: Die Forscherin versuchte, den Gesundheitszustand sowie die Verfügbarkeit der Räumlichkeiten im Blick zu behalten und die ‚natürlichen‘ Abläufe in der Hausarztpraxis nicht zu stören. Ärzte-Interviews: Aufbau des Leitfadens und Ablauf der Interviews Der Leitfaden für die Ärzte-Interviews setzte sich insgesamt aus sechs Frageblöcken zusammen. Wie bereits in den Patienten-Interviews informierte die Forscherin die Ärzte zu Beginn des Interviews über die Zielsetzung des Forschungsprojektes und bat um Einverständnis zur Teilnahme, Aufzeichnung und Verwertung der Interviews im Rahmen der Auswertung. Zudem fand eine Aufklärung über die Anonymisierung des Datenmaterials statt. Den Einstieg der Ärzte-Interviews bildeten Fragen zum Ablauf eines typischen Arbeitstages der Ärzte. Analog zur Befragung der Patienten befragte die Forscherin die Ärzte im Anschluss daran zur (medienvermittelten) interpersonalen Kommunikation mit ihren Patienten außerhalb der Sprechstunde. In diesem zweiten Frageblock fanden sich auch Nachfragen zur medientechnischen Ausstattung der Hausarztpraxen, die unterschiedliche Formen interpersonaler Kommunikation ermöglichen. Die berufliche Mediennutzung war Thema des dritten Frageblocks. In diesem Zusammenhang beleuchtete die Forscherin das Medienensemble der Praxis eingehender und erfragte dabei auch die Entwicklung des Medienensembles in den vergangenen Jahren. Als Erinnerungsstütze und zur Vertiefung der Ausführungen zu den einzelnen angeeigneten Medienangeboten setzte sie an dieser Stelle die ‚Medienangebots-Karten‘ ein. In einem vierten Frageblock standen

Datenauswertung nach den Analyseprinzipien der Grounded Theory

123

das gesundheitsbezogene Wissen und die Medienaneignung der Patienten im Mittelpunkt. An dieser Stelle verwendete die Forscherin die ‚Medienangebots-Karten‘ erneut, um die Bekanntheit der an Patienten gerichteten Angebote aufseiten der Ärzte zu eruieren. Im fünften und sechsten Frageblock wurden die Bilder erfragt, die Ärzte von sich selbst, von ihren Patienten und von unterschiedlichen Arzt-Patient-Beziehungen besitzen. In diesen Frageblock zählten etwa Fragen wie ‚Was erwarten Sie von Ihren Patienten in der persönlichen Begegnung?‘, ‚Welche Rolle spielen Ihrer Einschätzung nach dabei Medien?‘, ‚Wie haben sich Ihre Erwartungen an den Patienten in den letzten Jahren entwickelt und warum?‘, ‚Welche Rechte und Pflichten haben Sie als Arzt?‘ oder ‚Wie hat sich Ihr Selbstverständnis in den letzten Jahren entwickelt?‘ Den Abschluss bildeten Fragen zur hausärztlichen Karriere der Befragten sowie zu soziodemografischen Angaben zum Alter und Geschlecht. Die Ärzte-Interviews wurden durch ein Postskriptum ergänzt. Die Interviews mit den Ärzten aus den ersten beiden Praxen wurden zu Beginn des Feldaufenthaltes geführt, noch vor dem ersten Tag in der Praxis. Am Ende des Feldaufenthalts wurden zudem ergänzende, aus der Beobachtung resultierende Fragen gestellt. Um erste Annahmen aus den Beobachtungen (wie beispielsweise die Beobachtungen zur Telefon-Kommunikation) systematisch in die Interviews einfließen zu lassen und dadurch eine Validierung durch die Ärzte zu erlangen, entschloss sich die Forscherin, in den darauffolgenden Feldaufenthalten die Interviews mit den Ärzten am Ende des Feldaufenthalts zu führen. Die Interviews mit den Ärzten dauerten im Schnitt 60 Minuten.

4.3

Datenauswertung nach den Analyseprinzipien der Grounded Theory

In diesem Kapitel wird dargestellt, wie die Daten, die in den qualitativen Beobachtungen und Interviews während der Feldaufenthalte erhoben wurden, ausgewertet wurden. Die Auswertung orientierte sich am Analyseverfahren der Grounded Theory. Dieses ist darauf angelegt, Zusammenhänge von Kategorien aufzudecken und materialbasierte Theorien zu entwickeln (vgl. Strauss/Corbin 1996: 39). Entsprechend ist die [Auswertung nach den Analyseprinzipien der Grounded Theory] besonders für die Beantwortung von kommunikationswissenschaftlichen Fragestellungen mit einem handlungstheoretischen Hintergrund aus der

124

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

Rezeptions- und Aneignungsforschung geeignet. Sie ermöglicht es, während der Analyse des Datenmaterials Zusammenhänge zu verstehen und gleichzeitig vom spezifischen Fall auf geteilte Handlungs- und Deutungsmuster zu abstrahieren. Als Analysetechnik ist sie daher geeignet, kontextorientierte Perspektiven zu unterstützen und Fragen nach der Verbindung von Alltag, Medienhandeln und Bedeutungsproduktion zu beantworten. (Müller 2017a: 164)

Es galt, die Forschungsfrage (‚Wie wird die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung durch die Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote geprägt?‘), die im Vorfeld der Feldarbeit auf Grundlage des theoretischen Vorwissens und des bisherigen Forschungsstandes entwickelt wurde, empirisch begründet zu beantworten. 4.3.1

Prinzipien der Datenauswertung

Die Datenauswertung erfolgte in Anlehnung an das Auswertungsvorgehen der Grounded Theory. Sie orientierte sich primär an der Strauss’schen Variante der Grounded Theory sowie deren Weiterentwicklung durch Strauss und Corbin (1996), die einen dreistufigen, iterativen Prozess des Kodierens (das offene, das axiale und das selektive Kodieren) des Datenmaterials vorsieht. 64 „Kodieren stellt die Vorgehensweise dar, durch die die Daten aufgebrochen, konzeptualisiert und auf neue Art zusammengesetzt werden. Es ist der zentrale Prozess, durch den aus Daten Theorien entwickelt werden“ (ebd.: 39). Es geht im Wesentlichen also um das Auseinandernehmen von Texten, das Klassifizieren von Sinneinheiten und

64

Die Grounded Theory wurde ursprünglich von den beiden Soziologen Glaser und Strauss entwickelt. Ihre methodischen Überlegungen erschienen erstmals in dem gemeinsamen Werk „The Discovery of Grounded Theory“ (1967). Dieses gilt bis heute als zentrale Lektüre der Grounded Theory (vgl. Krotz 2005b: 160). Erste Anwendung fanden die methodischen Überlegungen in der Studie „The Awareness of Dying“ (1966). In späteren Arbeiten haben die beiden Begründer die Grounded Theory unterschiedlich weiterentwickelt (vgl. Glaser 1978; Strauss/Corbin 1996). Vor allem die Auswertungsstrategien und der Umgang mit Vorwissen – Glaser vertritt im Gegensatz zu Strauss die Position der Abstinenz von Vorwissen – weisen Differenzen auf. Weiterführendes zu den methodischen Differenzen zwischen Strauss und Glaser (Strübing (2007, 2014) spricht hier von einem „massiven Bruch“ (2007: 158, 2014: 65)) findet sich unter anderem bei Kelle (2007: 39ff.) und Strübing (2007, 2014: 65ff.). Die folgenden Darstellungen orientieren sich an der Ausarbeitung des Ansatzes durch Strauss (1998) bzw. Strauss und Corbin (1996).

Datenauswertung nach den Analyseprinzipien der Grounded Theory

125

um das Neuzusammensetzen des Datenmaterials im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse (vgl. Krotz 2005b: 180, 186). Im ersten Schritt, beim sogenannten offenen Kodieren (vgl. Strauss/Corbin 1996: 43ff.), gilt es, Konzepte 65, die immer wieder auftauchen und erkennbar einen gemeinsamen Hintergrund aufweisen, in übergeordnete Kategorien zusammenzufassen. Diese Kategorien werden dann inhaltlich ausdifferenziert, indem ihre Eigenschaften und Dimensionen festgelegt werden. Der erste Schritt des offenen Kodierens mündet entsprechend in der Bildung von vorläufigen Kategorien und Subkategorien. In einem zweiten Schritt, dem axialen Kodieren (vgl. ebd.: 75ff.), werden die ausgearbeiteten Kategorien in Beziehung zueinander gesetzt und die Daten dadurch neu geordnet. Hierdurch werden zentrale Hauptkategorien identifiziert und ausdifferenziert. Die Ergebnisse des offenen und axialen Kodierens bilden schließlich die Grundlage für das selektive Kodieren (vgl. ebd.: 94ff.). Hierbei wird die zentrale Kategorie, die sogenannte Schlüsselkategorie, bestimmt. Von der Schlüsselkategorie ausgehend werden erste theoretische Konzepte ausformuliert. Außerdem dient die Schlüsselkategorie weitergehend dazu, die herausgearbeiteten Kategorien systematisch miteinander in Beziehung zu setzen und eine „analytische[…] Geschichte“ (Kuckartz 2010: 83) um die Schlüsselkategorie herum zu konzeptualisieren. Das axiale und selektive Kodieren erfolgte mithilfe des Kodierparadigmas nach Strauss und Corbin (1996: 75ff.). Dabei handelt es sich um einen „Vorschlag zur Anleitung und Systematisierung […][,] bei dem um die Achse einer Kategorie bzw. eines Konzeptes herum kodiert werden soll“ (Strübing 2014: 25). Im Mittelpunkt des Kodierparadigmas steht eine zentrale Hauptkategorie, das Phänomen. Dieses setzt sich aus „Bedingungen, Kontext, Handlungs- und interaktionalen Strategien und Konsequenzen“ (Strauss/Corbin 1996: 75) zusammen. Das Phänomen wird bedingt durch die Ursache, die zum Auftreten des Phänomens führt. Die Akteure im Forschungsfeld haben bestimmte Handlungs-/Interaktionsstrategien, mit denen sie dem Phänomen begegnen. Handlungen/Interaktionen sind ei-

65

In diesem frühen Stadium der Auswertung, bei der Beschreibung des ‚offenen Kodierens‘, verwenden Strauss und Corbin (1996) noch nicht den Begriff der ‚Kategorie‘, sondern sprechen von ‚Konzepten‘. Wird ein Konzept dann im weiteren Auswertungsprozess ausdifferenziert und benannt, sprechen die Autoren von einer Kategorie.

126

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

nerseits prozessual. Andererseits sind sie zweckgerichtet, zielorientiert und werden aus bestimmten Gründen vollzogen. Aufgrund dieser Zielorientierung der Handlungen/Interaktionen bezeichnen Strauss und Corbin sie auch als Strategien. Handlungen/Interaktionen wiederum ziehen bestimmte beabsichtigte oder nicht beabsichtigte Konsequenzen für die Handelnden nach sich. Details zu den Eigenschaften und Bedingungen des Phänomens liefert die Betrachtung des Kontextes. Gehemmt oder gefördert wird das Phänomen durch strukturelle Bedingungen (wie z. B. Zeit, Raum, Kultur, technologischer Status, individuelle Biografie etc.), die sogenannten intervenierenden Bedingungen. (vgl. ebd.: 83) Das Kodierparadigma wird in Abbildung 3 visualisiert.

Abb. 3:

Kodierparadigma nach Strauss und Corbin (1996) (eigene Darstellung in Anlehnung an Strübing (2014: 25))

Im Folgenden werden die Abläufe und das zugrundeliegende Datenmaterial des Auswertungsprozesses dargestellt. Eine wesentliche Voraussetzung für das offene, axiale und selektive Kodieren war die Aufbereitung des kompletten Datenmaterials. Hierfür wurden zum einen sämtliche handschriftliche Beobachtungsnotizen sowie

Datenauswertung nach den Analyseprinzipien der Grounded Theory

127

die im Zuge der Interviews erstellten Postskripta digitalisiert. Zum anderen wurden die Tonbandaufnahmen der geführten Interviews mit den Ärzten und Patienten vollständig transkribiert. Da es bei den Interviews im Kern darum ging, die von den Gesprächspartnern geäußerten grundlegenden Sinn- und Bedeutungszuschreibungen herauszuarbeiten und weniger darum, die Art und Weise der Präsentation zu erfassen, wie es beispielsweise bei konversationsanalytischen Verfahren üblich ist, erfolgte eine einfache Verschriftlichung der Interviews ohne Rückgriff auf komplexe Notationssysteme (vgl. Krotz 2005b: 145). 66 Im Anschluss an die Datenaufbereitung folgte die Datenauswertung, wobei der Kodierprozess, insbesondere das offene und das axiale Kodieren, durch die QDA-Software ‚MAXQDA‘ unterstützt wurde. 67 4.3.2

Vorgehen bei der Datenauswertung

Die Datenauswertung wurde geleitet von der Forschungsfrage ‚Wie wird die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung durch die Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote geprägt?‘. Die Schlüsselkategorie, um die sich die Analyse immer wieder ‚drehte‘, ist die ‚kommunikative Beziehungskonstruktion‘. Dieses zentrale Phänomen war bereits in der Forschungsfrage angelegt.

66 Die Verschriftlichung erfolgte in Form einer einfachen Transkription: „Hier liegt der Fokus auf einer guten Lesbarkeit […] und nicht zu umfangreicher Umsetzungsdauer. Bei solchen Transkriptionsregeln liegt die Priorität auf dem Inhalt des Gesprächs“ (Dresing/Pehl 2013: 18). Weiterführende Hinweise zum angewandten Regelsystem, der einfachen Transkription, finden sich unter anderem bei Dresing und Pehl (2013: 21ff.) sowie Kuckartz (2010: 44ff.). 67 Die Software ‚MAXQDA‘ (Version 11.0) ist – im Vergleich zu der Software ‚ATLAS.ti‘ – nicht speziell für ein Auswertungsverfahren konzipiert, das sich an der Grounded Theory orientiert. Dennoch weist das nutzerfreundliche Programm vielfältige Funktionen auf, die den Auswertungsprozess der Forscherin unterstützten. Insbesondere beim offenen und axialen Kodieren fand die Software Einsatz. Vor allem die Funktion, die es dem Anwender ermöglicht, parallel zum verschriftlichten Transkript die Originalstelle in der Audio-Datei anzuhören, war hilfreich, da die Forscherin so immer wieder in die originäre Interview-Situation eintauchen konnte. Das selektive Kodieren, das In-Beziehung-Setzen der Kategorien, wurde mithilfe von weiteren Programmen wie ‚XMind‘ unterstützt. ‚MAXQDA‘ diente der Forscherin demzufolge primär zur Verwaltung und Ordnung des großen Datensatzes und heterogenen Datenmaterials (Audio sowie Text).

128

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

Zunächst wurde das gesamte Datenmaterial (die Transkripte der Patientenund Ärzte-Interviews sowie die digitalisierten Postskripta und Notizen der Beobachtungen in den Behandlungszimmern, am Empfang und im Wartebereich) offen kodiert. Im Zuge des offenen Kodierens wurden aus dem Material prägnante Konzepte herausgearbeitet. Dabei ging es zunächst darum, die mittelbar und unmittelbar beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen, die von den Ärzten und den Patienten in den Interviews geschildert oder durch die Forscherin (in den Sprechstunden, am Empfang oder im Wartebereich) beobachtet wurden, zu identifizieren. So wurde beispielsweise die Aussage eines Patienten „Also wir rufen an, um einen Termin zu vereinbaren. Wie jeder andere auch“ als Konzept ‚telefonische Terminvereinbarung‘ perzipiert. Auf ähnliche Weise wurde die Beobachtungsnotiz „Arzt und Patient vereinbaren einen Folgetermin, um zu prüfen, ob der Gesundheitszustand sich verbessert hat“, die während einer Sprechstundenbeobachtung entstanden ist, durch das Konzept ‚Face-to-Face-Terminvereinbarung‘ gefasst. Die Konzepte wurden in mehreren Kodiervorgängen zu Subkategorien und schließlich zu Kategorien verdichtet. Im Ergebnis konnte ein Set an direkten, an mediengestützten und an medienvermittelten kommunikativen Handlungen herausgearbeitet werden. Diese wurden entsprechend ihrem übergeordneten Zweck in vier beziehungsstiftenden Handlungskomplexen (‚Mikro-Koordination‘, ‚Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen‘, ‚Konstruktion von patientenbezogenem Wissen‘ sowie ‚Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen‘) gebündelt (vgl. für eine Beschreibung der Kategorien Tab. 6). Die vier Handlungskomplexe wurden (als zentrale Kategorien) über das axiale Kodieren ausdifferenziert. Ähnlich wie im Kodierparadigma von Strauss und Corbin (1996) vorgeschlagen, wurden im axialen Kodieren die zentralen Kategorien und die Subkategorien zueinander in Beziehung gesetzt (vgl. ebd.: 78). Die Kategorie ‚Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen‘ wurde beispielsweise u. a. durch die Subkategorien ‚Konstruktion von Kontaktdaten und -zeiten‘ (Handlungs- und interaktionale Strategie), ‚Suche eines neuen Hausarztes‘ (ursächliche Bedingung), ‚medienvermittelte Kommunikation über die Hausarzt-Website‘ (Kontext) sowie ‚ersten Eindruck gewinnen‘ (Konsequenz) weiter konkretisiert. Durch einen Vergleich der direkten, der mediengestützten und der medienvermittelten Handlungen und ihrer Konsequenzen innerhalb jedes der vier Handlungskomplexe konnte herausgearbeitet werden, welche Potenziale zur Prägung

Datenauswertung nach den Analyseprinzipien der Grounded Theory

129

der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung durch gesundheitsbezogene Medienangebote im Allgemeinen und gesundheitsbezogene Online-Angebote im Speziellen empirisch feststellbar sind. Die kategorisierten Handlungskomplexe und ihre entsprechenden Prägepotenziale sind in Tabelle 6 aufgelistet und werden im Zuge der Ergebnisdarstellung in Kapitel 5 ausführlich beschrieben.

Kategorien und Subkategorien

Beschreibung

Mikro-Koordination • Terminkoordination (Termine vereinbaren, verschieben) • Be- und Ausstellung von Rezepten, Überweisungen, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

kommunikative Handlungen, in denen der Kontakt von Hausarzt und Patient sowie die Folgehandlungen, die an den Kontakt anschließen, räumlich und zeitlich abgestimmt werden

Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen • Konstruktion von Kontaktdaten und -zeiten • Konstruktion von Wissen zum Hausarzt, zum Team, zum Leistungsspektrum und zum Leitbild der Hausarztpraxis

Selbstpräsentation des Hausarztes sowie Wissensaneignung zum Hausarzt durch Patienten – Handlungskomplex umfasst persönliche und professionelle Attribute zur Person sowie Informationen zur Hausarztpraxis

Konstruktion von patientenbezogenem Wissen • Konstruktion von Informationen zum Befinden • Konstruktion von familiären, häuslichen und beruflichen Kontextinformationen des Patienten

Selbstpräsentation des Patienten und Wissensaneignung zum Patienten durch den Hausarzt

Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen • Konstruktion von Wissen zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen • Konstruktion von Wissen, das in Bezug zu erlebten körperlichen Symptomen des Patienten steht • Konstruktion von Wissen, das in Bezug zu einer vom Arzt diagnostizierten Erkrankung steht

zum einen Vermittlung von Befunden und Behandlungshinweisen durch den Hausarzt, die auf der Selbstdarstellung des Patienten und der fallbezogenen Anwendung von Fachwissen basiert sowie zum anderen Neuordnung des Wissensbestands des Patienten über seinen Gesundheitszustand durch die Aneignung gesundheitsbezogenen Wissens

130

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

Dimensionen der Subkategorien

Beschreibung

Kommunikationsform • direkt • direkt mediengestützt • medienvermittelt wechselseitig • medienvermittelt produziert • medienvermittelt virtualisiert

Form der beziehungsrelevanten kommunikativen Handlung

Ergebnis des In-Beziehung-Setzens der Kommunikationsformen

Beschreibung

Prägepotenziale gesundheitsbezogener MedienanPrägepotenziale gebote für kommunikative Handlungen aus Sicht • Beschleunigung und Flexibilisieder Beziehungspartner rung der Mikro-Koordination • Generierung und Ergänzung von hausarztbezogenem Wissen • Aktivierung, Speicherung, Veranschaulichung und Ergänzung von patientenbezogenem Wissen • Veranschaulichung, Ergänzung und Generierung von gesundheitsbezogenem Wissen Tab. 6: Kategorien zur Beschreibung der ‚beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen‘ von Ärzten und Patienten (eigene Darstellung)

Nachdem in der ersten Auswertungsphase vier kommunikative Handlungskomplexe identifiziert wurden, aus denen sich der Prozess der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung speist, wurden die entwickelten Kategorien in einer zweiten Auswertungsphase neu geordnet und durch weiterführende Kodierungen ergänzt. Während die erste Auswertungsphase dazu diente, die beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen in Handlungskomplexen zu verdichten, um die medialen Prägungen dieser Komplexe im Einzelnen herauszuarbeiten, diente die zweite Phase dazu, handlungskomplexübergreifende Muster des Zusammenspiels zwischen der direkten und der medienvermittelten Kommunikation herauszuarbeiten. Die Daten wurden in der zweiten Auswertungsphase fallweise kodiert, wobei die Beziehungskonstruktionen eines Patienten und seines Arztes einen Fall darstellten. Um zu gewährleisten, dass die Vorteile der Methodentriangulation in dieser Auswertungsphase zum Tragen kommen, wurden nur diejenigen Beziehungskonstruktionen in die Auswertung einbezogen, bei denen Beobachtungsdaten aus

Datenauswertung nach den Analyseprinzipien der Grounded Theory

131

der Sprechstunde vorlagen und bei denen zusätzlich ein Interview mit dem Patienten geführt wurde. Da in den Interviews mit den Ärzten nur auf ihre generelle Kommunikation und nicht auf die Kommunikation mit konkreten Patienten eingegangen werden konnte, stützen sich die Fallanalysen primär auf die Perspektive der Patienten. 68 Insgesamt wurden 52 Fälle in die zweite Auswertungsphase einbezogen. Durch kontinuierliche Fallvergleiche wurden Vergleichsdimensionen entwickelt. Für die Fallvergleiche wurden zunächst kurze Fallskizzen auf Karteikarten erstellt. Die Skizzen enthielten neben den direkten und den medienvermittelten kommunikativen Handlungen, die in der ersten Auswertungsphase erarbeitet wurden, weitere beschreibende Konzepte (wie etwa Aspekte des interpersonalen Kommunikationsrepertoires oder des Gesundheitszustands). Die Untergliederung in direkte und medienvermittelte kommunikative Handlungsmuster zielte – wie bereits in der ersten Auswertungsphase – darauf ab, im Blick zu behalten, wie die ‚direkte Arzt-Patient-Kommunikation‘ und die ‚gesundheitsbezogene Medienaneignung‘ zusammenspielen und wie sich in diesem Zusammenspiel die medialen Prägkräfte entfalten. Die Vergleichsdimensionen für die ‚gesundheitsbezogene Medienaneignung‘ sind ‚Situation‘, ‚Regelmäßigkeit‘, ‚Motive‘ sowie ‚Medienrepertoire‘ (vgl. Tab. 7). Die Vergleichsdimensionen für die ‚direkte Arzt-Patient-Kommunikation‘ stellen die beiden Kategorien ‚Fragen-Stellen und Anweisungen-Geben‘ sowie ‚Anweisungen-Befolgen und Auskunft-Erteilen‘ dar (vgl. Tab. 8). 69 68

Im institutionellen Kontext der Hausarztpraxis war es nicht möglich, die Ärzte zu einzelnen Patienten und der Beziehung zu diesen zu befragen. Wenngleich die Patientenperspektive in der zweiten Auswertungsphase dominiert, ist die Perspektive der Hausärzte Bestandteil der Typologie, da die beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen, die in der ersten Auswertungsphase aus den Perspektiven beider Beziehungspartner entwickelt wurden, Basis der zweiten Auswertungsphase sind. 69 Die direkte Kommunikation wurde auf Grundlage der Beobachtungsdaten des Arzt-Patient-Gesprächs und anhand der Bilder rekonstruiert, die Patienten von sich und ihrem Hausarzt in den Interviews beschrieben haben. Die Interviews wurden genutzt, um situationsübergreifende Erkenntnisse zur Arzt-Patient-Kommunikation zu gewinnen (vgl. hierzu Kapitel 6). Die von den Patienten in den Interviews dargelegten Bilder von sich und ihrem Hausarzt weisen zwei Besonderheiten auf: Die Befragten definieren ihr Selbstbild nicht isoliert, sondern in Beziehung zu ihrem Hausarzt. Und die Selbstbeschreibung sowie die Charakterisierung des Hausarztes erfolgen wesentlich über die Beschreibung der direkten Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Die Bilder, die Patienten von sich und ihrem Hausarzt haben, sind also relationale Konstrukte, die über ihre Kommunikation charakterisiert sind.

132

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

Kategorien und Subkategorien

Beschreibung

Situation zeitlicher Kontext des Arztbesuchs • im Vorfeld • infolge • kein unmittelbarer Zusammenhang Gesundheitszustand • erlebte Symptome • diagnostizierte Erkrankung • keine aktuelle persönliche Erkrankung

Situationen, in denen Patienten gesundheitsbezogene Medienangebote in alltägliche kommunikative Handlungen integrieren

Regelmäßigkeit • ausnahmsweise • wiederkehrend

Regelmäßigkeit, mit der Patienten gesundheitsbezogene Medienangebote in alltägliche kommunikative Handlungen in bestimmten Situationen integrieren

Motive Mikro-Koordination • Termine koordinieren • Rezepten, Überweisungen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bestellen Aneignung von hausarztbezogenem Wissen • Kontaktdaten und -zeiten recherchieren • Hausarzt, Team, Leistungsspektrum, Leitbild kennenlernen Protokollierung von patientenbezogenen Daten • Körperaktivitäten und Krankheitsverläufen (automatisch) dokumentieren (lassen) Aneignung von gesundheitsbezogenem Wissen • Krankheit vermeiden und Gesundheit fördern • körperliche Beschwerden einordnen • diagnostizierte Erkrankung (besser) verstehen • mit diagnostizierter Erkrankung (besser) umgehen

Zwecke, Ziele oder Gründe, mit denen Patienten die Integration gesundheitsbezogener Medienangebote in kommunikative Handlungen verbinden

Gesamtheit der gesundheitsbezoMedienrepertoire genen Medienangebote, die von Angebote des Medienrepertoires Patienten angeeignet werden • ‚traditionelle‘ Medienangebote / Online-Angebote • Angebote zur wechselseitigen/ zur produzierten/ zur virtualisierten Medienkommunikation Spektrum der medienvermittelten kommunikativen Handlungen Tab. 7: Kategorien zur Beschreibung der ‚gesundheitsbezogenen Medienaneignung‘ (eigene Darstellung)

Datenauswertung nach den Analyseprinzipien der Grounded Theory

133

Kategorien und Subkategorien

Beschreibung

Fragen-Stellen und Anweisungen-Geben • Fragen mit Bezug zum Befinden • Fragen mit Bezug zu ärztlicher Diagnose und Behandlungshinweisen • Fragen zu nichtmedizinischen Aspekten • Anweisungen zur Untersuchung • Themen setzen

Fragen-Stellen und Anweisungen-Geben zeigt, wie Patienten während der Sprechstunde von sich aus Fragen stellen, Themen setzen oder Anweisungen geben

Auskunft-Erteilen und AnweiAnweisungen-Befolgen und Auskunft-Erteilen sungen-Befolgen zeigt, wie Pati• Befolgen ärztlicher Anweisungen enten während der Sprech• Differenziertheit/Ausführlichkeit des Antwortens stunde auf Fragen reagieren und • Offenheit/Proaktivität der Ausführungen wie weit sich die Beziehungs• Beteiligung am Befund und Behandlungshinweisen partner ihrem Gegenüber offen• ‚nichtmedizinische‘ Kontextinformationen zum famibaren liären, beruflichen und weiteren sozialen Umfeld Tab. 8: Kategorien zur Beschreibung der ‚direkten Arzt-Patient-Kommunikation‘ (eigene Darstellung) Kategorie

Subkategorie

Ausprägung

Fragen-Stellen und Anweisungen-Geben

Fragen mit Bezug zum Befinden

• • •

Fragen mit Bezug zu ärztlicher Diagnose und Behandlungshinweisen



Fragen zu nichtmedizinischen Aspekten



Anweisungen zur Untersuchung



Tab. 9:

keine Fragen wenige Fragen Fragen

Themen setzen … Beispielhafter Auszug aus der Kategorie ‚Fragen-Stellen und Anweisungen-Geben‘ (eigene Darstellung)

Um den Rahmen der Auswertungsdarstellung nicht zu sprengen, wird die Entstehung der Vergleichsdimensionen beispielhaft anhand der Kodierung des ‚FragenStellens und Anweisungen-Gebens‘ illustriert. Durch den Fallvergleich konnten zur Beschreibung der direkten Kommunikation beispielsweise die aus dem Material generierten Subkategorien ‚Fragen mit Bezug zum Befinden‘, ‚Fragen mit Bezug zur ärztlichen Diagnose und zu Behandlungshinweisen‘, ‚Fragen zu nichtmedizinischen Aspekten‘, ‚Anweisungen zur Untersuchung‘ sowie ‚Themen setzen‘

134

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

zu der Kategorie ‚Fragen-Stellen und Anweisungen-Geben‘ gebündelt werden. Ebenso wurden durch den Fallvergleich die Ausprägungen der einzelnen Subkategorien ermittelt. Da etwa Fall 2 die Ausprägung ‚Patient stellt keine Fragen mit Bezug zum Befinden‘, Fall 16 ‚Patient stellt wenige Fragen mit Bezug zum Befinden‘ und Fall 51 ‚Patient stellt Fragen mit Bezug zum Befinden‘ aufwies, konnten der Subkategorie ‚Fragen mit Bezug zum Befinden‘ die Dimensionen ‚keine Fragen‘, ‚wenige Fragen‘ und ‚Fragen‘ zugeschrieben werden (vgl. Tab. 9). Anhand der Vergleichsdimensionen wurden in einem nächsten Schritt für jeden Fall (auf der Rückseite der erstellten Karteikarte) die spezifischen Ausprägungskombinationen der ‚gesundheitsbezogenen Medienaneignung‘ und der ‚direkten Arzt-Patient-Kommunikation‘ vermerkt. 70 Der Fallvergleich dieser Ausprägungskombinationen führte zu jeweils drei spezifischen Ausprägungskombinationen. Die drei Ausprägungskombinationen der ‚gesundheitsbezogene Medienaneignung‘ wurden als ‚marginale Medienaneignung‘, ‚fokussierte Medienaneignung‘ bzw. ‚extensive Medienaneignung‘ bezeichnet. Sie werden in Tabelle 10 beschrieben. Für die ‚direkte Arzt-Patient-Kommunikation‘ zeigten sich die drei Ausprägungskombinationen ‚zurückhaltende Kommunikation‘, ‚offene Kommunikation‘ sowie ‚fordernde Kommunikation‘ (vgl. Tab. 11). Ausprägungskombination

Beschreibung

marginale Medienaneignung

gesundheitsbezogene Medienangebote werden von den Patienten höchstens in vereinzelten Ausnahmesituationen in den Alltag integriert

fokussierte Medienaneignung

gesundheitsbezogene Medienangebote werden regelmäßig, aber fokussiert auf einzelne kommunikative Handlungen und bestimmte Situationen in den Alltag integriert

extensive Medienaneignung

Tab. 10:

gesundheitsbezogene Medienangebote werden regelmäßig im Hinblick auf ein breites Spektrum unterschiedlicher kommunikativer Handlungen in verschiedenen Situationen angeeignet Ausprägungskombinationen der ‚gesundheitsbezogenen Medienaneignung‘ (eigene Darstellung)

70 Die Karteikarten wurden im weiteren Verlauf der Analyse in Excel-Tabellen übertragen, weiter verfeinert und durch Textstellen aus den Transkripten und den Beobachtungsprotokollen ergänzt.

Datenauswertung nach den Analyseprinzipien der Grounded Theory

135

Ausprägungskombination

Beschreibung

zurückhaltende Kommunikation der Patienten

die Patienten kommunizieren zurückhaltend in der Beziehung zu ihrem Hausarzt – sie stellen keine Fragen und geben keine Anweisungen, sie folgen den Anweisungen des Arztes und erteilen ihm knappe Auskunft auf seine Fragen

offene Kommunikation der Patienten

die Patienten kommunizieren offen in der Beziehung zu ihrem Hausarzt – gelegentlich stellen sie Fragen oder geben Anweisungen, sie folgen den Anweisungen des Arztes und geben viel von sich preis

fordernde Kommunikation der Patienten

Tab. 11:

die Patienten kommunizieren fordernd in der Beziehung zu ihrem Hausarzt – sie stellen ihrem Arzt Fragen und geben ihm Anweisungen, sie folgen den Anweisungen des Arztes und erteilen ausführlich Auskunft Ausprägungskombinationen der ‚direkten Arzt-Patient-Kommunikation‘ (eigene Darstellung)

Nachdem die Ausprägungskombinationen (also die Muster der ‚direkten Arzt-Patient-Kommunikation‘ und der ‚gesundheitsbezogenen Medienaneignung‘) identifiziert werden konnten, wurden sie durch selektives Kodieren über die Schlüsselkategorie ‚kommunikative Beziehungskonstruktion‘ miteinander und mit weiteren Kategorien systematisch zueinander in Beziehung gesetzt. Diese weiteren Kategorien sind in Tabelle 12 aufgeführt und kurz beschrieben. Kategorien und Subkategorien

Beschreibung

Lebensphase • Kindheit und Jugend • Frühes Erwachsenenalter • Mittleres Erwachsenenalter • Spätes Erwachsenenalter

zeitlicher Abschnitt im Leben der Patienten, der durch bestimmte Alltagsaktivitäten strukturiert und mit bestimmten sozialen Rollen verbunden ist

Gesundheitszustand • gesund/keine Erkrankung • bekannte oder leichte Erkrankung • unbekannte, schwerwiegende oder langanhaltende Erkrankung • chronische Erkrankung • ansteckende Erkrankung

von den Patienten beschriebene Gesundheitszustände

136

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

Kategorien und Subkategorien

Beschreibung

Interpersonales Kommunikationsrepertoire • Familienmitglieder • Freunde, Bekannte • andere Ärzte/medizinische Experten

Personen aus dem sozialen Umfeld der Patienten, die sie mit hausarzt-, patienten- und gesundheitsbezogenem Wissen versorgen

Medienensemble der Hausarztpraxis

Gesamtheit der gesundheitsbezogenen Medienangebote, die den Patienten von der Hausarztpraxis zur Kommunikation zur Verfügung gestellt werden

Gesundheit und Krankheit als handlungsleitende Themen

Tab. 12:

Stellenwert, den Patienten den Themen Gesundheit und Krankheit im Alltag geben und der sich in den kommunikativen Handlungen der Beziehungskonstruktion ausdrückt Weitere Kategorien zur Beschreibung der kommunikativen Beziehungskonstruktion (eigene Darstellung)

Das Gefüge der Kategorien rund um die Schlüsselkategorie wird in Form eines Modells, das an das Kodierparadigma von Strauss und Corbin (1996) angelehnt ist, in Abbildung 4 visualisiert (vgl. ebd.: 75ff.). In der vorliegenden Studie wird anhand dieses Modells die ‚Geschichte‘ der kommunikativen Beziehungskonstruktion in einer digitalisierten Welt ‚erzählt‘. Die beiden Kategorien der ‚direkten Arzt-Patient-Kommunikation‘ und der ‚gesundheitsbezogenen Medienaneignung‘ bilden den ‚Kontext‘ der Schlüsselkategorie ‚kommunikative Beziehungskonstruktion‘ – also die „spezifische Reihe von Eigenschaften, die zu einem Phänomen gehören“ (ebd.: 75). Sie sind „die Bedingungen, in [denen] die Handlungs- und interaktionalen Strategien stattfinden“ (ebd.). Als relevante Handlungs- und interaktionalen Strategien gelten die ‚kommunikative Konstruktion von hausarzt-, patienten- und gesundheitsbezogenem Wissen‘ sowie die ‚Mikro-Koordination‘, die in der ersten Auswertungsphase entwickelt wurden. Zu den intervenierenden Bedingungen der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung zählen die ‚Lebensphase‘, das ‚interpersonale Kommunikationsrepertoire‘, der ‚Gesundheitszustand‘ sowie das ‚Medienensemble der Hausarztpraxis‘. Die ursächliche Bedingung ist die Kategorie ‚Gesundheit und Krankheit als handlungsleitende Themen‘.

Datenauswertung nach den Analyseprinzipien der Grounded Theory

Abb. 4:

137

Modell der Kategorien zur Beschreibung der kommunikativen Beziehungskonstruktion in einer digitalisierten Welt (eigene Darstellung)

Das Resultat des selektiven Kodierprozesses stellt eine empirisch begründete Typologie der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung dar. 71 Die beiden Kategorien ‚direkte Arzt-Patient-Kommunikation‘ und ‚gesundheitsbezogene 71

Die empirisch begründete Typologie bildet die Grundlage für eine sogenannte bereichsbezogene Theorie. Sie „wird entwickelt für ein materiales oder empirisches Forschungsgebiet, wie z. B. für Krankenpflege, die berufliche Ausbildung oder für wirtschaftliche Beziehungen“ (Strauss 1998: 304). Sie stellt nach Kluge (1999) das Resultat „eines Gruppierungsprozesses [dar], bei dem ein Objektbereich anhand eines oder mehrerer Merkmale in Gruppen bzw. Typen eingeteilt wird, sodass sich die Elemente innerhalb eines Typus möglichst ähnlich sind (interne Homogenität) und sich die Typen voneinander möglichst stark unterscheiden (externe Heterogenität)“ (ebd.: 26f.). Die Erstellung einer Typologie zielt im Allgemeinen auf eine „Re-Konstruktion der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit [ab]“ (Flick et al. 2015: 21). Durch eine Typologie soll „[d]ie soziale Wirklichkeit […] sinnvoll geordnet werden“ (Fleiß 2011: 4).

138

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

Medienaneignung‘ bilden die „Vergleichsdimensionen“ (Kelle/Kluge 2010: 93ff.) der Typologie. Durch die spezifische Kombination der jeweiligen Ausprägungen der beiden Kategorien sind die fünf Patiententypen charakterisiert, die in Tabelle 13 aufgelistet werden. 72 Ausprägungskombinationen der ‚direkten Arzt-Patient-Kommunikation‘ und der ‚gesundheitsbezogenen Medienaneignung‘

Name des Typs

zurückhaltende Kommunikation, marginale Medienaneignung

Unbedarfte

offene Kommunikation, marginale Medienaneignung

Expertenorientierte

offene Kommunikation, fokussierte Medienaneignung

Eingeschränkt Interessierte

offene Kommunikation, extensive Medienaneignung

Souveräne

fordernde Kommunikation, Wissensdurstige extensive Medienaneignung Tab. 13: Typen der Arzt-Patient-Beziehung (eigene Darstellung)

Die auf Grundlage des empirischen Materials herausgearbeiteten Beziehungskonstruktionen der unterschiedlichen Patiententypen werden mithilfe einer Mehrfeldtafel visualisiert (vgl. Tab. 14). 73 Der vertikalen Achse der Kreuztabelle wurde die Kategorie ‚gesundheitsbezogene Medienaneignung‘ zugeordnet, die sich aus den drei Ausprägungen extensive, fokussierte und marginale Medienaneignung 72 Die Namensgebung ermöglicht, „die einzelnen Gruppen schneller benennen zu können. Statt der langatmigen Angabe der einzelnen Merkmalsausprägungen kann dann jede Gruppe kurz mit Hilfe des Namens benannt werden“ (Kluge 1999: 99). Die Namen sind so gewählt, dass sie möglichst aufschlussreich im Hinblick auf die charakteristische kommunikative Beziehungskonstruktion der Typen sind, die in Kapitel 8 beschrieben werden. 73 Mehrfeldtafeln ermöglichen die Visualisierung des ‚Merkmalsraums‘, der bei qualitativen Studien auch als ‚qualitativer Eigenschaftsraum‘ bezeichnet wird (vgl. Kluge 1999). Der Begriff Merkmalsraum geht auf die Wissenschaftsphilosophen Hempel und Oppenheim zurück (vgl. Kuckartz 2016: 35). Das Konzept des Merkmalsraums, wie es in der vorliegenden Arbeit verwendet wird, bezieht sich auf die Ausführungen von Lazarsfeld und Barton (siehe hierzu ausführlich Kluge 1999: 92ff.): „Jeder Typologie liegt ein Merkmalsraum zugrunde, der sich durch die Kombinationsmöglichkeiten der ausgewählten Merkmale und ihrer Ausprägungen ergibt“ (ebd.: 258).

Methodische Herausforderungen

139

zusammensetzt. Auf der horizontalen Achse sind die drei Ausprägungen der Kategorie ‚direkte Arzt-Patient-Kommunikation‘ abgebildet, die zurückhaltende, offene und fordernde Kommunikation der Patienten. Die Mehrfeldtafel zeigt eine Übersicht über die Verteilung der Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patienten innerhalb des Merkmalsraums. Sie macht so die empirische Verteilung der Beziehungskonstruktion unterschiedlicher Patiententypen sichtbar. Zudem gibt sie Aufschluss darüber, welche Ausprägungskombinationen selten oder gar nicht auftauchen (vgl. Kluge 2000: 3). Gerade die leeren Zellen der Tabelle liefern einen Erkenntnisgewinn und eröffnen so weitere Fragen (vgl. Kluge 1999: 100f.). Sie bieten beispielsweise die Einsicht, dass bei dieser empirischen Studie keine Beziehungskonstruktionen identifiziert werden konnten, in denen Patienten eine extensive Medienaneignung und eine Zurückhaltung im Arzt-Patient-Gespräch zeigen. Diese empirisch nicht auffindbaren Typen wurden für eine Reflexion der Typologie genutzt (vgl. Kapitel 4.4). Direkte Arzt-PatientKommunikation Gesundheitsbezogene Medienaneignung

Zurückhaltende Kommunikation

Offene Kommunikation

Fordernde Kommunikation

Extensive Medienaneignung

-

Souveräne (N = 4; 8 %)

Wissensdurstige (N = 9; 17 %)

Fokussierte Medienaneignung

-

Eingeschränkt Interessierte (N = 19; 37 %)

-

Expertenorientierte (N = 10; 19 %) Verteilung der Patienten (N = 52) innerhalb des Merkmalsraums (eigene Darstellung)

Marginale Medienaneignung Tab. 14:

4.4

Unbedarfte (N = 10; 19 %)

Methodische Herausforderungen

Bis zu diesem Punkt wurde das methodische Vorgehen präsentiert. Abschließend werden noch einmal die zentralen Schritte aus dem Forschungsprozess zusammengefasst und die damit einhergehenden Herausforderungen aufgezeigt. Der Großteil der hier angesprochenen Herausforderungen lässt sich zurückführen auf

140

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

die Besonderheiten des untersuchten Feldes – die Hausarztpraxen und die dort gegebenen spezifischen Rahmenbedingungen. Die erste und größte Herausforderung im Forschungsprozess stellte der Feldzugang dar, denn die Rekrutierung von allgemeinmedizinischen Praxen erwies sich insgesamt als äußerst schwierig. Als primäres Auswahlkriterium galt es, Praxen mit einem unterschiedlich ausdifferenzierten Medienensemble zu rekrutieren, was zum Teil auch gelang – wie die Beschreibung der rekrutierten Hausarztpraxen belegt. Ursprünglich war jedoch geplant, zusätzliche Hausarztpraxen zu gewinnen, die ihren Patienten Video-Sprechstunden oder weitere Dienste zur medienvermittelten Kommunikation zur Verfügung stellen – also ein noch breiteres Medienensemble als die untersuchten Praxen vorweisen. 74 Der Zugang in derartige Hausarztpraxen blieb der Forscherin verwehrt. Generell lehnten die meisten der rund 200 per E-Mail und Telefon angefragten Ärzte eine Teilnahme an der Studie ab. Eine Begründung hierfür wurde größtenteils nicht geliefert. Diejenigen Ärzte, die ihre Beweggründe für eine Absage offenlegten, führten an, dass eine Teilnahme der Forscherin am Praxisalltag als störend für die Abwicklung der Arbeitsprozesse eingeschätzt oder als Zusatzbelastung für das Praxisteam angesehen wurde. Ein weiterer genannter Grund war die Befürchtung, durch eine Teilnahme der Forscherin am Praxisalltag den Datenschutz der Patienten zu gefährden. Dass diese Herausforderungen keine Ausnahme sind, attestieren beispielsweise Patel und seine Kollegen (2015), die von erheblichen Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Ärzten im Rahmen einer Studie in England berichten (vgl. ebd.: 3). Dies scheint für die empirische Untersuchung des hier beforschten Gegenstandes eher der Normalfall zu sein. So konstatieren auch Güthlin et al. (2012) in ihrer Betrachtung von verschiedenen Studien in Hausarztpraxen, dass etwa zehn Prozent der angefragten Praxen auf Anfragen zur Studienteilnahme reagierten und die tatsächliche Teilnahmebereitschaft zwischen zwei und sechs Prozent lag. Sofern ein Kontakt via E-Mail oder Telefon zustande kam, war ein persönliches Kennenlernen von Angesicht zu Angesicht zwischen den beteiligten Ärzten und

74

In Deutschland ist die Arzt-Patient-Kommunikation via Video bislang noch nicht weit verbreitet. Dies könnte sich mit der Einführung des neuen E-Health-Gesetzes ändern, das Anreize zu ergänzenden medienvermittelten Beratungsleistungen durch Hausärzte schafft (vgl. z. B. Martenstein/Wienke 2016).

Methodische Herausforderungen

141

der Forschenden unabdinglich für den Feldzugang. 75 Bedingt durch den erschwerten Zugang zum Feld weist die Auswahl dieser Studie auch im Hinblick auf eine Variation der Orts- und Stadtgröße, in der sich die Hausarztpraxen befanden, Grenzen auf. So konnte keine Hausarztpraxis in einer Großstadt gewonnen werden, obwohl dies ursprünglich als eine weitere Vergleichsdimension angedacht war. Außerdem könnte die Typologie der unterschiedlichen Beziehungskonstruktionen unter Umständen eine Erweiterung erfahren, wenn Hausarztpraxen in Stadtteilen mit hoher Fluktuation oder hohem Migrationsanteil berücksichtigt werden. Damit sind die Thesen verbunden, dass beispielsweise im Falle fehlender Deutschkenntnisse die Übersetzung oder das Zeigen von relevanten Aspekten via Medien in den Sprechstunden oder bei anderen Praxisabläufen eine größere Rolle spielen könnte, und dass Patienten, die sich nur schwer sprachlich ausdrücken können, eine abweichende Beziehungskonstruktion aufweisen. Bei hoher Fluktuation lässt sich beispielsweise die These formulieren, dass Hausarzt-Patient-Beziehungen eventuell eher kurzfristig angelegt sind und die Neu-Akquise von Patienten mittels Online-Angeboten für die Hausarztpraxen eine größere Rolle spielt. Nicht nur die Rekrutierung geeigneter Hausarztpraxen, sondern auch die Rekrutierung der Patienten für ein Interview vor Ort war mit einigen Herausforderungen verbunden. Um den Sinn der beobachteten Handlungen in der Sprechstunde 75 Zukünftigen Forschungsprojekten ist anzuraten, die Kontaktaufnahme mit Medizinern von Beginn an möglichst persönlich zu gestalten, wenn Feldaufenthalte in Arztpraxen durchgeführt und dabei vertrauliche Kommunikationssituationen beobachtet werden sollen. Durch den persönlichen Kontakt ist es möglich, das nötige Vertrauen aufzubauen. So erwies sich das direkte Gespräch mit den Hausärzten im Rahmen der vorliegenden Studie als Erfolgsfaktor für das Zustandekommen der Feldaufenthalte. Sobald ein persönlicher Austausch zustande kam und die Forscherin ihr Projekt von Angesicht zu Angesicht im Detail vorstellen konnte, standen die Ärzte dem Forschungsvorhaben sehr viel aufgeschlossener gegenüber als noch beim telefonischen Gespräch oder bei der schriftlichen Anfrage. Für zukünftige Studien, in denen Beobachtungen in Arztpraxen oder ähnlichen Institutionen des Gesundheitssektors durchgeführt werden sollen, könnte es erfolgsversprechend sein, persönliche Kontakte zu Ärzten beispielsweise auf medizinischen Fachkonferenzen oder Veranstaltungen zur ärztlichen Fort- und Weiterbildung aufzubauen. Auch Forschungskooperationen mit Hausarztpraxen, Praxisverbünden, Gesundheitszentren, Krankenkassen, kassenärztlichen Vereinigungen oder Ärztekammern können eine Möglichkeit sein, einen Feldzugang herzustellen. In jedem Fall bleibt es eine grundsätzliche Herausforderung und ein wesentlicher Faktor für das Gelingen von Forschungsvorhaben, Strategien für den Zugang zu tendenziell geschlossenen Feldern, wie dem Feld der Medizin, oder zu persönlichen und intimen Beziehungen, wie der Arzt-Patient-Beziehung, weiterzuentwickeln, die es ermöglichen, Prozesse der Beziehungskonstruktion im Vollzug zu beobachten.

142

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

und die patientenseitigen Routinen der gesundheitsbezogenen Mediennutzung nachvollziehen zu können, wurden im direkten zeitlichen Umfeld der beobachteten Sprechstunden Interviews mit den Patienten geführt. Wegen der grundsätzlichen Rahmenbedingungen innerhalb der Hausarztpraxen (Verfügbarkeit von Räumlichkeiten, Wartezeiten der Patienten etc.) war es für die Forschende nur begrenzt möglich, gezielt nach Personen zu suchen oder solche Patienten auszuwählen, die einzelne spezifische Kategorien und deren Verbindung zu anderen Kategorien (die sich durch vorläufige Analysen des Datenmaterials herausstellten – im Sinne eines Theoretischen Samplings) bestätigen bzw. widerlegen. Ferner galt es, bei der Rekrutierung der Patienten deren Wohlbefinden einzubeziehen. Die angesprochenen Patienten zeigten große Bereitschaft zur Teilnahme an den Interviews wie auch zur Teilnahme der Forscherin an der Sprechstunde. In den Gesprächen zwischen der Forscherin und den Patienten wurde teilweise sogar angeführt, dass die Interviews eine dankbare Ablenkung zur Überbrückung der Wartezeiten darstellten. Die Forscherin nahm an 160 Arzt-Patient-Gesprächen teil und führte mit 56 Patienten ein Interview. Insgesamt umfasste das Sample der Patienten eine für die Beantwortung der Forschungsfrage angemessene Vielfalt. Die Datenerhebung, die als Methodentriangulation aus qualitativen Beobachtungen und qualitativen Interviews angelegt war, lieferte einen umfangreichen Datenkorpus. Eine Herausforderung bei der Datenerhebung bestand darin, dass die beiden Methoden im Verlauf des Forschungsprozesses an das spezifische Forschungsfeld und den institutionellen Kontext der jeweiligen Hausarztpraxis angepasst werden mussten. So stellte sich beispielsweise im Zuge der ersten qualitativen Interviews heraus, dass sich der Interview-Leitfaden für die Patienten zu umfangreich gestaltete und zu viel Zeit beanspruchte. Dementsprechend musste der Leitfaden überarbeitet und erheblich gekürzt werden, um auf die Wartezeiten, die Verfügbarkeit der Räume sowie das Wohlbefinden der Patienten Rücksicht nehmen zu können. Der modifizierte Leitfaden fokussierte auf wenige Fragen, die relativ eng an der zentralen Forschungsfrage orientiert waren. Angesichts dieser notwendigen Straffung des Leitfadens konnten nicht alle potenziell relevanten Kontexte der kommunikativen Beziehungskonstruktion – etwa die Frage danach, wie Patienten generell Medien in ihren Alltag integrieren oder wie sie ihren Alltag im Einzelnen gestalten – in der Tiefe erfragt werden. Darüber hinaus wurden während des ersten Forschungsaufenthalts die ‚Medienangebots-Karten‘ als visuelle

Methodische Herausforderungen

143

Stimuli entwickelt, um die Erinnerung der Befragten anzuregen. Denn es hatte sich herausgestellt, dass die Patienten ohne dieses Hilfsmittel Schwierigkeiten hatten, ihr gesundheitsbezogenes Medienrepertoire vollständig zu rekonstruieren. Insbesondere bei Fragen zur Nutzung von gesundheitsbezogenen Online-Angeboten war auffällig, dass die Patienten ihre Recherche-Handlungen kaum spezifizieren konnten (typisch waren hier Aussagen wie „geht nicht über Google hinaus“). Die Interviews waren unverzichtbar, um die Perspektive der Patienten auf ihr Handeln zu erfassen und die Handlungen, die nicht direkt beobachtet werden konnten, zu rekonstruieren. Als komplementäre Methode zu den Interviews wurden qualitative Beobachtungen eingesetzt, was sich als passend und ertragreich erwies. Durch die Beobachtungen innerhalb der Hausarztpraxis wurden beziehungsrelevante kommunikative Handlungen aufgedeckt, die von Patienten und Ärzten in Interviews nicht zur Sprache gebracht oder weniger detailliert geschildert wurden. Außerdem wurde die Beziehungskonstruktion anhand der Beobachtungen für die Forscherin besser nachvollziehbar, da sie im Vollzug miterleben konnte, welche Handlungen sich hinter bestimmten sprachlichen Konzepten der Interview-Partner verbargen. Für die Beobachtungen außerhalb der Sprechstunde lässt sich festhalten, dass durch die genaue, aber seitens der Forschenden wenig invasiv gestalteten Beobachtung der Arbeits- und Kommunikationsabläufe in der Praxis Störungen weitgehend vermieden werden konnten. Dass sich die Ärzte und die weiteren Praxismitarbeiter in den fünf Praxen nicht durch die Forscherin in der Durchführung ihrer Aufgaben gestört sahen, drückte sich in entsprechenden Rückmeldungen aus, die im Anschluss an die Feldaufenthalte erfolgten und ausnahmslos positiv ausfielen. Auch die anfängliche Befürchtung der Forscherin, dass die Beobachtungen der Face-to-Face-Gespräche in den Sprechstunden zu einer Störung der intimen Kommunikationssituation führen könnten, wurde im Verlauf des Forschungsprozesses relativiert. Teilweise wurde die Forscherin, dies zeigen die Postskripte zu den Protokollen, von den anwesenden Gesprächspartnern sogar vergessen. Dies äußerte sich etwa darin, dass die Patienten vergaßen, sich zu verabschieden und sich auch nicht noch einmal nach der Forscherin umdrehten. Rückblickend ging somit die gewählte Beobachtungsrolle auf, die sich nach dem Anspruch richtete, sich weder verbal noch nonverbal in die Gespräche einzubringen und sich unauffällig, außerhalb des Blickfeldes zu positionieren. Darüber hinaus zeigte sich in den

144

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

Praxen, die zum Teil den Status einer Lehrpraxis haben, dass die Patienten durchaus daran gewöhnt waren, dass eine weitere Person dem Gespräch beiwohnt und sie womöglich daher eher zu einer Teilnahme bereit waren. Dennoch ist ein ‚Einfluss‘ auf das Arzt-Patient-Gespräch durch die Anwesenheit der Forscherin nicht vollständig auszuschließen, denn „[b]islang ist die Arzt-Patient-Beziehung dyadisch […]. Mit der Einführung des Beobachters kommt […] eine 3. Perspektive ins Spiel […] Mit der Überschreitung der bipersonalen Beziehung […] wird gleichzeitig die Möglichkeitsbedingung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zerstört […]“ (Bahrs/Köhle 1989a: 118f.). Um dieses potenziellen Einflusses gewahr zu werden, reflektierte die Forscherin nach jeder Beobachtung ihre Rolle und schloss dann Beobachtungen, die auf eine mögliche Störung verwiesen, gegebenenfalls vom Datenmaterial aus. Diese Selbstbeobachtungen wurden in den jeweiligen Beobachtungsprotokollen festgehalten. 76 Mit der Beobachtung wurde eine Methode gewählt, die in den bisherigen Studien, die sich mit der Internetnutzung im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung befassen (und in Kapitel 3 vorgestellt wurden), selten eingesetzt wird. Bisweilen dominieren als Datenerhebungsmethoden quantitative und qualitative Interviews sowie Gruppendiskussionen – obwohl in den Schlussfolgerungen von zahlreichen Arbeiten durchaus auf das Potenzial von Beobachtungen hingewiesen wird. Beispielsweise hält Broom (2005a) im Fazit seiner Studie zum Einfluss des Internets auf die Arzt-Patient-Beziehung fest: Due to the fact that actual consultations were not observed in this study, further research is needed […]. A methodological approach that provides a more direct

76

Methodisch ließe sich bei der Rekonstruktion des direkten Gesprächs in zukünftigen kommunikations- und medienwissenschaftlichen Studien noch stärker auf Video- oder Tonbandaufzeichnungen sowie (darauf aufbauende) gesprächsanalytische Verfahren zurückgreifen, wie sie beispielsweise Keppler (1994) einsetzt, um den Zusammenhang zwischen Medienaneignung und familiärer Vergemeinschaftung zu analysieren. In dieser Studie entschied die Forscherin sich bewusst dagegen, die direkten Arzt-Patient-Gespräche per Video- oder Tonbandaufzeichnungen zu dokumentieren. Die Entscheidung basierte unter anderem auf der Überlegung, den Ärzten wie auch den Patienten nicht das Gefühl geben zu wollen, ihre intimen Gespräche vollständig zu überwachen, zu speichern und weiter zu verwenden (ein Gefühl, das sich bei einer Video- oder Tonbandaufnahme eher einstellt als bei der persönlichen Anwesenheit). Darüber hinaus haben Datenschutzüberlegungen die Forscherin dazu bewegt, im sensiblen Kontext der Arztpraxis möglichst wenige personenbezogene Daten zu sammeln.

Methodische Herausforderungen

145

view of interactions within medical consultations, such as conversation analysis, may provide further insight […]. (ebd.: 335)

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass bei der Forschung in Hausarztpraxen verhältnismäßig herausfordernde Feldbedingungen vorherrschen, insbesondere im Hinblick auf die emotionale Involviertheit und Betroffenheit sowie das notwendige Gespür der Forschenden für die Sensibilität der Situation und Inhalte in den Sprechstunden. So kamen während der direkten Arzt-Patient-Begegnung Themen und persönliche Geschichten der Patienten zur Sprache, von denen die (nicht medizinisch ausgebildete) Forscherin nicht unberührt blieb. Auch diese Erfahrungen und damit verbundene Eindrücke, Gedanken und Emotionen galt es zu reflektieren, um einen Umgang mit dem Beobachteten zu ermöglichen sowie einschätzen zu können, in welchen Situationen eine Beobachtung nach dem Leitfaden überhaupt möglich war. Die erhobenen Daten wurden aufbereitet und ausgewertet. Hierbei erwies sich die Orientierung am Auswertungsverfahren nach Strauss und Corbin (1996) als besonders fruchtbar, da es qualitativen Forschern vielfältige Anregungen bietet, große Datenmengen zu verdichten, zu ordnen, zu gewichten und zu einer empirisch begründeten Theorie zu gelangen. Das empirisch gewonnene Material und vor allem die Visualisierung der Patiententypen in Form der Mehrfeldtafel liefern Indizien für weitere vorstellbare Typen, durch die die Typologie erweitert werden könnte. So könnte es beispielsweise die Typen ‚Arztverweigerer‘ oder ‚Arztskeptiker‘ geben, die Praxisbesuche – soweit es ihnen möglich ist – vermeiden, und die im direkten Gespräch zurückhaltend kommunizieren. Arztverweigerer bzw. Arztskeptiker würden sich möglicherweise in einer Vielzahl von Situationen gesundheitsbezogene Medienangebote aneignen und sich bei Erkrankungen bevorzugt selbst behandeln. Da sich das Sample patientenseitig aufgrund der Untersuchungsanlage aus Personen zusammensetzt, die ihren Hausarzt allerdings aufgesucht haben, wären Patienten des hypothetischen Typs Arztverweigerer bzw. Arztskeptiker über alternative Sampling-Strategien zu ergänzen. Ebenfalls vorstellbar ist eine Ausweitung des Typs der ‚Wissensdurstigen‘ um Patienten, die selbst gesundheitsbezogene Medieninhalte erstellen, indem sie sich beispielsweise aktiv an Foren beteiligen. Bei der Entwicklung der Typologie zeigte sich ferner, dass es interessant gewesen wäre, die unterschiedlich konstruierten Arzt-PatientBeziehungen nicht nur vorwiegend aus Patientenperspektive, sondern stärker aus

146

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

Sicht der Ärzte zu beleuchten. Interviews mit den Ärzten zu den einzelnen Patienten und der Beziehung zu diesen wären allerdings ohne eine erhebliche Störung der Abläufe in den Hausarztpraxen nicht möglich gewesen. In diesem Sinne muss die Typologie als im Rahmen der vorliegenden Studie zwar empirisch begründet, aber vorläufig und damit durch weitere Untersuchungen potenziell modifizierbar angesehen werden – wie bereits die Begründer der Grounded Theory festhielten: „Das publizierte Wort ist also nicht das letzte, sondern markiert nur eine Pause im nie endenden Prozess der Theoriegenerierung“ (Glaser/Strauss 1998: 50). Wie jede sozialwissenschaftliche Studie hatte auch diese den Anspruch, ethische Grundlagen im gesamten Forschungsprozess mitzudenken. Damit sind jene forschungsethischen Prinzipien und Regeln gemeint, „[…] in denen […] bestimmt wird, in welcher Weise die Beziehungen zwischen den Forschenden auf der einen Seite und den in sozialwissenschaftliche Untersuchungen einbezogenen Personen auf der anderen Seite zu gestalten sind“ (Hopf 2015a: 590). Ethische Fragen, Sensibilität und Reflexivität haben in der qualitativen Forschung einen besonderen Stellenwert, da qualitative Methoden geprägt sind von sozialer Reaktivität, Direktheit des Kontakts (zu Untersuchungsteilnehmern sowie zum Untersuchungsfeld), teilweise sehr tiefgreifenden Einblicken in Alltags- und Lebenswelten von Menschen sowie einem hohen Maß an Vertraulichkeit. Auch die Intensität der Beziehungen zu den Beforschten, die eigene Involviertheit sowie „die Offenheit und Unberechenbarkeit der Forschungsprozesse verlangen [von den Forschenden] eine hohe Sensibilität für ethische Fragen, die bei qualitativer Forschung einschneidender und möglicherweise auch schwerer zu lösen sein können“ (Heise 2017: 768). 77 Besonders aber im Hinblick auf das Forschungsinteresse, die Erforschung der intimen, vertrauensvollen und rechtlich geschützten Arzt-Patient-Beziehung, fanden vielzählige Strategien Anwendung, die den unabdingbaren Datenschutz der zu untersuchenden Personen gewährleisten und das methodische Vorgehen in besonderem Maße hinsichtlich der forschungsethischen Standards Freiwilligkeit, Nicht-Schädigung und Anonymität rahmen sollten (vgl. z. B. Hopf 2015a).

77

Vergleiche hierzu auch Averbeck-Lietz und Sanko (2016), Hopf (2015a) und von Unger (2014).

Methodische Herausforderungen

147

Die ethischen Prinzipien, die im Rahmen der Studie Berücksichtigung fanden und deren Umsetzung bereits an verschiedenen Stellen dieses Kapitels hervorgehoben wurde, sollen an dieser Stelle abschließend noch einmal beschrieben und punktuell vertieft werden. Zunächst wurde, im Sinne einer informierten Einwilligung bzw. des „informed consent“ (ebd.: 591f.), das Einverständnis zur Teilnahme, Aufzeichnung und anonymisierten Auswertung im Vorfeld jedes Interviews von den Gesprächspartnern mündlich eingeholt und aufgezeichnet. Der Einverständniserklärung ging eine Beschreibung des Forschungsvorhabens sowie des Umgangs mit den Daten voraus. Zusätzlich wurden die Patienten in einigen Praxen mittels eines Aushangs über den Aufenthalt der Forscherin und das Forschungsprojekt informiert. Gleichermaßen wurde das Einverständnis der Patienten vor jeder Beobachtung der Sprechstundensituation eingeholt. Auch dabei wurden die Patienten über das Forschungsinteresse informiert. In diesem Zusammenhang wurde stets verdeutlicht, dass eine Ablehnung der Teilnahme zu keinem Nachteil führt und dass die Beobachtung zu jedem Zeitpunkt abgebrochen werden kann. Zudem wurde mit allen Ärzten im Vorfeld der Beobachtung ein Zeichen vereinbart, das die Funktion hatte, der Beobachterin zu signalisieren, wann sie unverzüglich die Situation verlassen sollte (zum Beispiel während der körperlichen Untersuchungen am Patienten). Darüber hinaus wurde von der Forscherin mit allen Praxen eine mündliche und/oder schriftliche Vereinbarung getroffen, die die Verwendung von personenbezogenen Daten ausschließt. Bereits im Zuge der Datenerhebung fand eine umfangreiche Anonymisierung des Materials durch eine Nummerierung statt, die zwar eine Sortierung der Interview-Daten zu den passenden Beobachtungsdaten zuließ, jedoch keine (rückwirkende) Zuordnung zu einer bestimmten Person oder einem bestimmten Ort. Die Erfassung der soziodemografischen Daten war auf das Alter und das Geschlecht der Befragten beschränkt. Ferner wurden bei den Beobachtungen die Inhalte der Gespräche nur in Stichpunkten aufgezeichnet. Diese Form der ‚Anonymisierung vor Ort‘ und die Reduktion auf zwei soziodemografische Daten (Geschlecht und Alter) sollen einen Rückschluss auf bestimmte Patienten verhindern. Die digitalisierten Daten wurden nicht an Dritte weitergeleitet. Auch bei der Ergebnisdarstellung in den Kapiteln 5 bis 8 wurde darauf geachtet, dass die verwendeten Zitate keine Rückschlüsse auf konkrete Personen zulassen. Demgemäß wurde auf eine vollständige und umfassende Darstellung einzelner, konkreter Fälle verzichtet. Dies hat zur Folge, dass

148

Methodisches Vorgehen: Kommunikativ konstruierte Arzt-Patient-Beziehungen erforschen

die Darstellung der Ergebnisse und ihre Entstehung an der ein oder anderen Stelle nüchtern und sachlich beschrieben sind und damit den Geschichten der Patienten und Ärzte in ihrer Fülle mitunter nicht gerecht werden.

5

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

Dass die Arzt-Patient-Beziehung kommunikativ konstruiert wird, wurde bereits theoretisch begründet (vgl. Kapitel 2). Die Arzt-Patient-Beziehung entsteht in situationsübergreifenden Kommunikationsprozessen, wird in und durch Kommunikation erhalten und modifiziert. In diese Kommunikationsprozesse integrieren Ärzte und Patienten zunehmend auch gesundheitsbezogene Online-Angebote. Mit der Frage, wie die Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung prägt, befasst sich die vorliegende Studie. Die folgenden Kapitel stellen die Erkenntnisse dar, die im Rahmen der qualitativen Datenerhebung und Datenauswertung gewonnen wurden. Das vorliegende Kapitel 5 präsentiert die beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen von Hausarzt und Patient in einer digitalisierten Welt. Beziehungsrelevant sind all jene Handlungen, die zur Konstruktion der Arzt-PatientBeziehung beitragen, indem sie (wie in Kapitel 2 erläutert) dazu führen, dass Ärzte und Patienten Wissen über sich selbst und ihr Gegenüber aufbauen und gemeinsam ein Verständnis von dem Wirklichkeitsbereich ‚Gesundheit und Krankheit des Patienten‘ konstruieren. Der Begriff der Konstruktion zielt also auf die „Schaffung einer Wirklichkeit [ab], die alle [die an ihrer Produktion beteiligt sind] (zumindest für eine bestimmte Zeit) für wirklich (und alternativlos) halten“ (Reichertz 2017: 254). Im Folgenden wird das gesamte Spektrum der empirisch identifizierten beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen dargestellt. Dabei werden die Perspektiven des Hausarztes und der Patienten ebenso in die Betrachtung einbezogen wie sämtliche Formen der Kommunikation – sowohl Formen der direkten Kommunikation (in situativer Ko-Präsenz) als auch die unterschiedlichen Weisen medienvermittelter Kommunikation, seien diese wechselseitiger, produktiver oder rezeptiver Art. Dadurch wird geklärt, welche Gestalt die beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen unter Bedingungen der Digitalisierung annehmen und welche Rolle Medien für die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung spielen. Zusammenfassend lässt sich die Leitfrage dieses Kapitels folgendermaßen formulieren: Welche kommunikativen Handlungen tragen zur Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung bei und welche Rolle spielen © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. C. Meinzer, Die Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt, Medien • Kultur • Kommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26007-1_5

150

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

Medien im Allgemeinen sowie gesundheitsbezogene Online-Angebote im Speziellen dabei? Empirisch lassen sich vier nach ihren spezifischen Zwecken unterschiedene kommunikative Handlungen ausmachen, die als Bausteine der Hausarzt-PatientBeziehung betrachtet werden können. Dazu zählt als mittelbar beziehungsrelevante Handlung die Mikro-Koordination (Kapitel 5.1). Zur Mikro-Koordination gehören die kommunikativen Handlungen, die der räumlichen und zeitlichen Abstimmung des Kontakts von Hausarzt und Patient sowie der an den Kontakt anschließenden Folgehandlungen dienen. Die Mikro-Koordination rahmt die ArztPatient-Begegnung insofern, als dass sie die Handlungen, an denen Hausarzt und Patient beteiligt sind, einleitet (‚Wie geht es los?‘). Außerdem gehört zur MikroKoordination die Abstimmung der Handlungen, die im Anschluss an die Begegnung passieren sollen (‚Wie geht es weiter?‘). Neben der Mikro-Koordination lassen sich drei weitere unmittelbar beziehungsrelevante kommunikative Handlungen bestimmen: die Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen, von patientenbezogenem Wissen und von gesundheitsbezogenem Wissen. Die Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen (Kapitel 5.2) vollzieht sich in langfristigen und situationsübergreifenden Prozessen des Kennenlernens, in denen sich der Hausarzt präsentiert und die Patienten ein Bild von ihrem Hausarzt entwickeln. Zur Beziehungskonstruktion trägt gleichermaßen die Konstruktion von patientenbezogenem Wissen (Kapitel 5.3) bei. Der Patient präsentiert sich und sein Befinden seinem Hausarzt, während sich dieser ein Bild von seinem Gegenüber und von dessen Gesundheitszustand macht. Der Arzt ordnet sein Wissen über den Patienten und gelangt zu einer Diagnose sowie zu Behandlungshinweisen. Die Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen (Kapitel 5.4) umfasst neben der ärztlichen Diagnose und entsprechenden Behandlungshinweisen ebenso Äußerungen der Patienten, die sich auf die Diagnose oder die Therapie beziehen. Basierend auf den Interview- und Beobachtungsdaten der vorliegenden Studie stellen die folgenden vier Teilkapitel die beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen vor. Die vier Teilkapitel sind einheitlich aufgebaut. Am Anfang der Teilkapitel wird erläutert, wie die jeweilige kommunikative Handlung im direkten Arzt-Patient-Gespräch abläuft. Dabei wird berücksichtigt, inwiefern sich die direkte Kommunikation mediengestützt vollzieht. Medien stützen die direkte Kommunikation etwa dadurch, dass sie organisatorische Arbeitsschritte während des

Mikro-Koordination

151

Face-to-Face-Gesprächs beschleunigen, patientenbezogenes Wissen im Gespräch aktivieren oder gesundheitsbezogenes Wissen in der direkten Kommunikation der Beziehungspartner veranschaulichen. An die Darstellung der direkten – mitunter mediengestützten – kommunikativen Handlungen anschließend, werden in den einzelnen Teilkapiteln die medienvermittelten Handlungen illustriert. Es werden also all jene Formen der Kommunikation dargestellt, die nicht in (räumlicher) Ko-Präsenz der Beziehungspartner ablaufen. Jedes Teilkapitel schließt mit einer Zusammenfassung.

5.1

Mikro-Koordination

Die Arzt-Patient-Beziehung, die grundlegend auf Kommunikation basiert, entsteht und aktualisiert sich im Wesentlichen innerhalb des institutionalisierten Kontextes der Hausarztpraxis. Damit es zur direkten Begegnung zwischen Hausarzt und Patient in diesem institutionellen Setting kommt, bedarf es einer organisatorischen Abstimmung. Zusätzlich gehört es zu den Regeln der Institution, dass die direkte Begegnung zwischen Hausarzt und Patient nicht abgeschlossen wird, ohne diejenigen Handlungsoptionen räumlich und zeitlich abzustimmen, die dem Patienten im Anschluss an den Arztbesuch zur Verfügung stehen. Dieses Teilkapitel stellt die kommunikativen Handlungen der Mikro-Koordination vor, in denen der Kontakt von Hausarzt und Patient sowie die Folgehandlungen, die an den Kontakt anschließen, räumlich und zeitlich abgestimmt werden. Der Begriff der MikroKoordination (‚micro-coordination‘) ist angelehnt an die Definition von Ling und Yttri (2002). Die Autoren fassen hierunter alltägliche instrumentelle Formen der Kommunikation, die der Abstimmung von Handlungen dienen, an denen mehrere Personen beteiligt sind. Dabei geht es insbesondere um zeitliche und räumliche Absprachen. Beispiele sind die Terminvereinbarung oder -verschiebung sowie die Abstimmung von zu erledigenden Besorgungen. Ling und Yttri (2002) sowie in einer jüngeren Auseinandersetzung auch Ling und Lai (2016) konzentrieren sich bei ihren Ausführungen auf kleinteilige Koordinationshandlungen – verstanden als „act of managing interdependencies between activities performed to achieve a goal“ (Malone/Crowston 1990) – mittels mobiler Endgeräte und deren Anwendungen (SMS, Telefonie, Messaging Apps). ‚Kleine Formen‘ der Koordination zwischen Hausarzt bzw. Hausarztpraxis und Patient „without the need for

152

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

larger nodes or centralized bases of operation“ (Ling/Yttri 2002: 143) lassen sich in den untersuchten Hausarztpraxen nicht nur im Rahmen der (von Ling und Yttri beschriebenen) medienvermittelten Mobil-Kommunikation beobachten. MikroKoordination findet in der Hausarztpraxis zudem über weitere Medien sowie in unterschiedlichen Face-to-Face-Situationen statt, beispielsweise am Empfang oder in der Sprechstunde. Dementsprechend geht die vorliegende Studie von einem breiteren Verständnis von dem Begriff Mikro-Koordination aus. Ein Patient ruft beispielsweise in der Hausarztpraxis an und möchte sich aufgrund von Schmerzen möglichst bald vom Hausarzt untersuchen lassen, woraufhin die MFA für den Patienten einen Termin im Kalender des Arztes einplant. Eine Patientin bestellt ein Wiederholungsrezept im Rahmen einer chronischen Erkrankung per E-Mail – die Praxismitarbeiterin teilt ihr mit, wann sie das vom Arzt unterzeichnete Rezept aus der Praxis abholen kann. Der Hausarzt vereinbart zum Abschluss des persönlichen Gesprächs einen Folgetermin, er stellt dem Patienten eine Überweisung für einen Facharzt oder eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus. Er fertigt mithilfe des Praxis-Management-Systems (PMS) ein Rezept an und verordnet dem Patienten für einen bestimmten Zeitraum Bettruhe. 78 All dies sind Beispiele für Formen der Mikro-Koordination, die – ausgehend vom Hausarzt oder vom Patienten – den Kontakt der Beziehungspartner organisieren oder die Folgehandlungen abstimmen. Werden die kommunikativen Handlungen der Konstruktion von hausarzt-, gesundheits- und patientenbezogenem Wissen, wie einleitend formuliert, als unmittelbar beziehungsrelevant begriffen, so sind kommunikative Handlungen der Mikro-Koordination mittelbar beziehungsrelevant. Koordinationshandlungen 78 Als Praxis-Management-Systeme (PMS) werden in der vorliegenden Studie „rechnerbasierte Anwendungssysteme“ (Winter 2008: 138) bezeichnet, die durch „Installation, Adaptation (Customizing) und Inbetriebnahme von Anwendungssoftware auf Rechnersystemen“ (ebd.). Teil der Kommunikationsprozesse in der Arztpraxis werden (vgl. Winter 2008). Der Funktionsumfang und der Einsatz des PMS variieren in den fünf untersuchten Hausarztpraxen. Mithilfe der PMS werden insbesondere Patientendaten verwaltet, Behandlungsfälle dokumentiert sowie Arztbriefe und Überweisungen verarbeitet. Auch die Abrechnung mit den Krankenkassen oder Privatrechnungen werden über das PMS gesteuert. Hinzu kommen beispielsweise Funktionen zur interpersonalen Kommunikation und zur Terminverwaltung (inkl. Wartezimmerlisten), Schnittstellen zur Übernahme von (intern oder extern erfassten) Labordaten sowie der Zugriff auf Wissensdatenbanken (z. B. Arzneimittelverzeichnisse) (vgl. zu medizinischen Informationssystemen ausführlich Haas 2005).

Mikro-Koordination

153

sind hochgradig routiniert und wichtiger Bestandteil jeder Arzt-Patient-Beziehung. 79 Aufgrund der institutionellen Voraussetzungen sind sie erstens notwendig, damit die Handlungen, die die Beziehung im Kern konstruieren – die Konstruktion von hausarzt-, gesundheits- und patientenbezogenem Wissen – vollzogen werden können. Koordinationshandlungen sind zweitens das handlungsleitende Ergebnis dieser beziehungsprägenden Konstruktionsprozesse. Basierend auf den Daten, die in Beobachtungen und Interviews gewonnen wurden, werden im Folgenden die unterschiedlichen Formen der Mikro-Koordination dargestellt. Zunächst wird – der Struktur der Teilkapitel dieses Kapitels entsprechend – die Form der direkten Mikro-Koordination präsentiert, wenngleich diese den Abschluss des Arzt-Patient-Gesprächs bildet. Mittels der direkten Mikro-Koordination stimmen Arzt und Patient die Folgehandlungen ab (sie vereinbaren z. B. Folgetermine). Unterstützt wird die direkte Mikro-Koordination vor allem durch den PC und das PMS. Diese beschleunigen einzelne für die Mikro-Koordination erforderliche Arbeitsschritte des Hausarztes (wie z. B. die Rezepterstellung). Daraufhin wird die Form der medienvermittelten Mikro-Koordination dargestellt, die insbesondere telefonisch oder über schriftliche E-Mail-Kommunikation erfolgt. Die medienvermittelte Kommunikation erhöht die Erreichbarkeit der Hausarztpraxen und damit die Flexibilität der Patienten und Ärzte. 5.1.1

Mikro-Koordination im direkten Gespräch

Die direkte Mikro-Koordination umfasst alle kommunikativen Handlungen der organisatorischen Abstimmung von Hausarzt und Patient, die in der Gegenwart beider Beziehungspartner erfolgen. Die organisatorischen Abstimmungen finden hauptsächlich am Ende der Sprechstunde statt. Dort werden basierend auf der zuvor durchgeführten Beschwerdebeschreibung, der Beschwerdeexploration, der Diagnose, der Therapieentwicklung und der Therapieentscheidung (vgl. Kapi-

79 Dass die Mikro-Koordination innerhalb der Hausarztpraxis institutionalisiert ist, konnte in der vorliegenden Studie beobachtet werden. Die typischen kommunikativen Handlungen zur Mikro-Koordination wurden praxisübergreifend von Patienten, Hausärzten und Praxispersonal ohne grundsätzliche Abweichungen ‚selbstverständlich‘ ausgeführt (vgl. zur Institutionalisierung von Handlungsgebieten Berger/Luckmann 2013: 67).

154

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

tel 2.1) die Folgehandlungen der Beziehungspartner zeitlich und räumlich abgestimmt. Wenngleich die Mikro-Koordination im direkten Gespräch an die kommunikative Konstruktion von patienten-, hausarzt-, und gesundheitsbezogenem Wissen der Beziehungspartner anschließt, grenzt sie sich ausdrücklich von diesen kommunikativen Handlungen ab. Die Mikro-Koordination ist vielmehr „Resultat[…] vorhergehender Aushandlungen und Verstehensprozesse“ (Spranz-Fogasy 2010: 45). Fällt beispielsweise im Zuge des persönlichen Gesprächs die Diagnose, dass ein Patient von einer Blasenentzündung betroffen ist, die mit einem Antibiotikum behandelt werden soll, sprechen Hausarzt und Patient im Zuge der MikroKoordination ab, dass der Patient sich entsprechende Medikamente zeitnah in der Apotheke beschafft. Medien stützen die Handlungen der direkten Mikro-Koordination von Hausarzt und Patient. Insbesondere der Computer sowie das darüber betriebene PMS beschleunigen die direkte Mikro-Koordination. Im Zuge der Mikro-Koordination werden Folgetermine direkt und in körperlicher Ko-Präsenz vereinbart. Gleichsam wird die Medikation, eine Überweisung zu Spezialisten oder die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit mit dem Patienten abgestimmt. Das Spektrum der beobachteten Absprachen wird in Tabelle 15 aufgelistet und mit Beispielen aus dem Datenmaterial illustriert. Die Beobachtungen der Sprechstunden zeigen darüber hinaus, dass die aufgeführten Absprachen in (unterschiedlichen) Kombinationen auftreten. So kann etwa die Absprache einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit der eines Rezepts einhergehen. Absprachen

Abgesprochene Aufgaben der Beziehungspartner

Beispielhafte Situationen aus dem Datenmaterial

Absprache zur Dauer der Arbeitsunfähigkeit



Erstellen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Arzt Übermittlung der Bescheinigung an den Arbeitgeber und die Krankenkasse durch den Patienten

Die Untersuchung der Patientin zeigt, dass sie aufgrund eines grippalen Infekts nicht in der Verfassung ist, ihrer Arbeit nachzugehen. Zudem besteht eine Ansteckungsgefahr. Arzt und Patientin sprechen daher die Arbeitsunfähigkeit der Patientin ab.

Ausstellen des Rezepts durch den Arzt Abholen von Medikamenten bei der Apotheke durch den Patienten

Ein Patient mit einer Mittelohrentzündung benötigt zur Genesung bestimmte Medikamente. Der Arzt stellt das Rezept für ein Medikament aus, das der Patient sich zeitnah besorgen soll.



Absprache zum Abholen von Medikamenten

• •

Mikro-Koordination

155

Absprachen

Abgesprochene Aufgaben der Beziehungspartner

Beispielhafte Situationen aus dem Datenmaterial

Vereinbaren des Zeitpunkts (und des Orts) eines Folgetermins



Einplanen einer Sprechstunde durch den Hausarzt Einplanen und Erscheinen zur Sprechstunde durch den Patienten

Bei einer Patientin mit einer schweren Verbrennung muss die Genesung zu einem späteren Zeitpunkt überprüft werden. Deswegen vereinbaren die Beziehungspartner einen Folgetermin.

Vereinbaren des Zeitpunkts (und des Orts) von telefonischen Terminen zur Besprechung von Laborbefunden



Einplanen eines Telefontermins durch den Hausarzt Einplanen eines Telefontermins durch den Patienten

Bei einer Patientin, bei der vermutlich eine Blasenentzündung vorliegt, stehen die abschließende Diagnose und ein entsprechender Behandlungshinweis noch aus. Diese können erst abschließend festgelegt werden, wenn die Ergebnisse einer Urinuntersuchung vorliegen. Der Arzt kündigt an, die Patientin am Folgetag telefonisch zu kontaktieren.



Bei einer Patientin, die von starken Menstruationsbeschwerden betroffen ist, können die abschließende Diagnose und entspre• chende Behandlungshinweise nicht festgelegt werden, da eine fachärztliche Expertise einbezogen werden muss. Der Hausarzt • überweist die Patientin an eine Gynäkologin weiter. Absprachen im Zuge der direkten Mikro-Koordination (eigene Darstellung)

Absprache zum Zeitpunkt (und Ort) eines Facharzttermins

Tab. 15:





Ausstellen von Überweisungen zu Fachärzten durch den Arzt Vereinbarung des Termins mit dem Facharzt durch den Arzt oder durch den Patienten Einhalten des Termins durch den Patienten

Mediengestützte Mikro-Koordination im direkten Gespräch Das Ergebnis der organisatorischen Absprachen wird in Dokumenten manifestiert. Vereinbarte Termine werden abschließend für den jeweiligen Patienten oder die Patientin handschriftlich auf Notizzettel festgehalten, auf vorgefertigte Terminzettel geschrieben oder auf leere Rezepte gedruckt (wie etwa in der städtischen Gemeinschaftspraxis in Überfurcht). Die Rezepte, Überweisungen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen werden digital erstellt, ausgedruckt und ausgehändigt. Die Absprachen in der Abschlussphase des direkten Arzt-Patient-Gesprächs stellen demzufolge mediengestützte kommunikative Handlungen dar. Die Einbettung von Medien trägt im Falle der direkten Mikro-Koordination insbesondere zu einer Beschleunigung der kommunikativen Handlungen bei. Eine herausgehobene Rolle

156

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

hierfür spielen die vernetzten PMS der Hausarztpraxen. In vier der fünf untersuchten Praxen ermöglichen die PMS, dass die direkte Mikro-Koordination vollständig im Behandlungsraum stattfinden kann. Über Computer und PMS hat der Arzt Zugang zu elektronischen Terminplanungstools und kann die für den Patienten nötigen Dokumente (Terminerinnerungen, Rezept, Überweisung, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) persönlich und unmittelbar ausstellen. Durch die Ausstattung der Praxisräume mit Computern und mittels der vernetzten PMS ist es also möglich, dass die Mikro-Koordination in zeitlicher Hinsicht direkt an Beschwerdebeschreibung, Beschwerdeexploration, Diagnose, Therapieentwicklung und Therapieentscheidung anschließen kann, ohne dass der Kommunikationsfluss, beispielsweise durch das Wechseln der Räumlichkeiten, unterbrochen wird. Die zeitliche Verdichtung der kommunikativen Handlungen durch die digital ermöglichte räumliche Dezentralisierung der technischen Koordinationswerkzeuge (Kalender, Drucker etc.) ist zwar in den meisten, jedoch nicht in allen Arzt-Patient-Begegnungen zu beobachten. So findet in der ländlichen Einzelpraxis in Garihausen, in der nicht jedes Behandlungszimmer mit einem Computer und einem Drucker ausgestattet ist, die Schlussphase des persönlichen Gesprächs am Empfang der Praxis statt. Dort werden die entsprechenden Dokumente – die Terminerinnerung, das Rezept, die Überweisung oder der ‚gelbe Schein‘ zur Zertifizierung der Arbeitsunfähigkeit – erstellt und ausgehändigt. Der direkten Mikro-Koordination wird in diesem Zusammenhang mehr Zeit eingeräumt. Die digitalen PMS ermöglichen eine zeitliche Verdichtung der direkten Mikro-Koordination nicht nur, weil sie dem Arzt die Planung von Terminen und die Erstellung von Dokumenten noch im Behandlungszimmer ermöglichen. Sie tragen darüber hinaus zur Beschleunigung der direkten Mikro-Koordination zwischen Hausarzt und Patient bei, da sie die Ausstellung von Rezepten, Überweisungen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vereinfachen. So konnte in den Hausarztpraxen mehrfach beobachtet werden, dass für die Ausstellung eines Rezepts zunächst eine Medikamentenliste, also eine Auflistung von Medikamenten, im PMS geöffnet wird, Medikamente über ein Kürzel ausgewählt und markiert werden und das Rezept dann gedruckt, unterschrieben und ausgehändigt wird. Auf ähnliche Weise werden mittels des PMS Überweisungen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erstellt.

Mikro-Koordination

157

Dr. Logan schildert den Einsatz des PMS zur Rezeptausstellung und führt vor allem den – in der einfachen Kopierbarkeit digitaler Daten liegenden – Nutzen bei der Ausstellung von Wiederholungsrezepten für einen Patienten aus: [I]ch kann durch die Technik [also das PMS] eben einfach Rezepte schreiben […] und kann dann Medikamente aus der Liste reinklicken oder gerade das Wiederholungsrezept, jemand kriegt jahrelang das gleiche Blutdruckmittel und Diabetesmittel, dann machen wir einfach „klick“ und dann ist es wieder auf der Liste, das geht schon schneller als früher, das möchte ich jetzt auch nicht kleinreden […], das ist schon ein großer Vorteil. Oder ich brauch ein zweites Rezept, Krankengymnastik, muss ich nicht fein säuberlich das gleiche wieder schreiben, mach ich einmal „klick, Wiederholungsrezept“ ist es da. (Dr. Logan) 80

5.1.2

Medienvermittelte Mikro-Koordination

Während die direkte Mikro-Koordination hauptsächlich vom Hausarzt initiiert wird und dazu dient, Folgehandlungen – im Anschluss an Beschwerdebeschreibung, Beschwerdeexploration, Diagnose, Therapieentwicklung und Therapieentscheidung – abzustimmen, haben die Beobachtungen in den fünf Hausarztpraxen gezeigt, dass die medienvermittelte Mikro-Koordination zumeist vom Patienten ausgeht. Sie bereitet zum einen die direkte Arzt-Patient-Begegnung im Sinne einer Terminierung vor. Zum anderen ersetzt sie die direkte Mikro-Koordination zwischen Hausarzt und Patient – also Face-to-Face-Absprachen zur Medikation, Facharztüberweisung und Arbeitsunfähigkeit. Bei der medienvermittelten MikroKoordination spielen die MFA eine zentrale Rolle. Sie fungieren als Kommunikationsknoten, als ‚Schaltstellen‘ zwischen dem Hausarzt und seinen Patienten. Sie nehmen Terminanfragen und Verschiebungswünsche entgegen und bereiten Wiederholungsrezepte, Überweisungen im Zuge laufender Behandlungen oder (bereits anvisierte) Verlängerungen der Arbeitsunfähigkeit mithilfe des PMS vor. 81 80

Teile der Mikro-Koordination, und zwar die genaue Terminierung von weiteren Begegnungen sowie die Ausstellung von Rezepten, Überweisungen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, delegieren die Hausärzte bisweilen an Mitarbeiterinnen des Praxisteams, die MFA. Die Delegation der MikroKoordination gestaltet sich in den untersuchten Praxen auf unterschiedliche Weise. Sie erfolgt größtenteils direkt und mündlich, punktuell auch medienvermittelt – sei es als ‚analoge‘ Zettel-Kommunikation oder als ‚stille‘ und dem Patienten ‚verborgene‘ Kommunikation über das PMS. 81 Bei den Rezeptbestellungen im Zuge der medienvermittelten Mikro-Koordination handelt es sich

158

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

Der Hausarzt wiederum prüft die entsprechenden Dokumente im Hinblick auf die medizinische Notwendigkeit abschließend und signiert sie. 82 Die medienvermittelte Mikro-Koordination erfolgt hauptsächlich telefonisch (synchron oder asynchron mittels Anrufbeantworter) und vereinzelt auch schriftlich als E-Mail-Kommunikation (asynchron). Sie erhöht die Erreichbarkeit der Hausarztpraxen und fördert dadurch die Flexibilität von Hausärzten und Patienten. Das Telefon ist als zentrales Medium der medienvermittelten Mikro-Koordination zwischen Hausarzt und Patient etabliert. Während der Sprechzeiten, den Öffnungszeiten der jeweiligen Praxen, finden die Terminvereinbarung sowie das Entgegennehmen von Rezeptbestellungen, Überweisungen und Verlängerungen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zumeist telefonisch statt, also synchron. In allen Praxen konnte beobachtet werden, dass während der Sprechzeiten nahezu im Minutentakt das Telefon am Empfang klingelt. Dementsprechend betonen die befragten Patienten, dass sie Termine telefonisch vereinbaren oder verschieben. Die Etablierung des Telefons als Kontaktmedium von Hausarztpraxis und Patient veranschaulichen die Äußerungen der Patienten, die auf die ‚Normalität‘ dieses Kontaktwegs hindeuten: So betont Joshua Adam (26), dass die Kontaktaufnahme mit der Hausarztpraxis „normalerweise telefonisch“ erfolgt. Jonathan Reichert (50) bekräftigt, dass Termine „immer nur telefonisch“ vereinbart werden und Justus Breuer (45) unterstreicht die besondere Stellung des Telefons durch die folgende Generalisierung: „[L]etztendlich, wie jeder andere auch, rufe ich an.“ Die telefonische Terminvereinbarung wird vor allem vorgenommen, um unmittelbar herauszufinden „[w]ann ich kommen kann“ (Judith Löffler (63)) und um die Wartezeit zu verkürzen (Adrian Capel (48)), denn „anrufen, das ist eh immer besser, als wenn man dann Stunden im Wartezimmer sitzt“ (Fabienne Graf (24)). Die Beobachtungsdaten zeigen darüber hinaus, dass Patienten ebenso für die Bestellung

zumeist um Wiederholungsrezepte im Zuge einer chronischen Erkrankung, die nicht zwangsläufig mit einem persönlichen Termin einhergehen. Erstmalige Rezepte, Überweisungen oder Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen setzen ein persönliches Treffen voraus und ziehen damit stets eine Terminvereinbarung mit sich. 82 Zum Teil gibt es für das Unterschreiben von Rezepten noch ein zusätzliches analoges ‚Sortier-System‘, das den Vorgang unterstützt. So existieren beispielsweise in der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen drei Ablagen zur Sortierung von Rezepten: Unterschrift, Fertig, Konsil (d. h. Beratung, Rat).

Mikro-Koordination

159

von Rezepten, Überweisungen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vornehmlich das Telefon nutzen. Die synchrone Telefon-Kommunikation wird durch die Möglichkeit, asynchrone Sprachnachrichten auf dem Anrufbeantworter zu hinterlassen, komplementiert. Anrufbeantworter zählen ebenfalls zum festen Medienensemble der untersuchten Hausarztpraxen. Sie erweitern die Kontaktchancen der Patienten, denn sie ermöglichen eine ständige Erreichbarkeit der Hausärzte zum Zwecke der Mikro-Koordination. Damit erhöhen sie die Flexibilität der Patienten und sorgen dafür, dass die Arztpraxen ihrem Anspruch, ‚immer für die Patienten da zu sein‘ gerecht werden können. So verfügen alle untersuchten Praxen über Anrufbeantworter, die eine Aufzeichnung von Rezept-, Überweisungs-, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungs- und Terminwünschen ermöglichen. Die Anrufbeantworter unterstützen die Empfangsmitarbeiterinnen während der Praxisöffnungszeiten und schaffen ihnen zeitliche Freiräume, die nötig sind, um Tätigkeiten auszuführen, die auf die anwesenden Patienten gerichtet sind. Demgemäß erklärt eine Mitarbeiterin der städtischen Gemeinschaftspraxis in Überfurcht der Forscherin, dass der Anrufbeantworter die Situation am Empfang „so ein bisschen entzerrt“. In den untersuchten Praxen herrscht die Prämisse, sich zuerst um die Patienten vor Ort zu kümmern. Durch den Einsatz der Anrufbeantworter kann dieser Prämisse entsprochen werden und zugleich können die Anliegen der räumlich nicht anwesenden Patienten aufgenommen werden. 83 Die Erreichbarkeit für jedermann zum Zweck der Mikro-Koordination setzt sich darüber hinaus außerhalb der Öffnungszeiten mittels des Anrufbeantworters der Praxen fort. Die telefonische Annahme von Anliegen der Patienten ist ein ständig verfügbarer Service. In allen Praxen konnte beobachtetet werden, dass die Nachrichten auf den Anrufbeantwortern von den MFA vor, zwischen oder nach den Sprechzeiten bearbeitet werden. Neben den (synchronen und asynchronen) telefonischen Absprachen findet die Mikro-Koordination vereinzelt durch E-Mail-Kommunikation statt, sofern die

83

In der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen ist zusätzlich zum Anrufbeantworter eigens für die Telefon-Kommunikation ein separates Büro eingerichtet und eine MFA damit beauftragt, die telefonischen Anfragen entgegenzunehmen. Diese Strategie zieht das unterbrechende Klingeln des Telefons aus dem Empfangsbereich ab. Das Praxispersonal am Empfang kann sich auf die anwesenden Patienten konzentrieren, gleichzeitig ist eine Erreichbarkeit für Anrufer gewährleistet.

160

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

Arztpraxis – wie die kleinstädtische Gemeinschaftspraxis in Flügeltal, die städtische Gemeinschaftspraxis in Überfurcht und die große Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen – den Patienten diesen Kontaktweg ermöglicht. Damit werden die Kontaktchancen der Beziehungspartner nochmals erweitert. Auch hierbei wird die zeitliche Flexibilität der Patienten erhöht und von den Beziehungspartnern hervorgehoben. E-Mail-Kommunikation findet in den untersuchten Praxen über E-Mail-Adressen oder zusätzlich über die Kontaktformulare auf der Arzt-Website (in der städtischen Gemeinschaftspraxis in Überfurcht und der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen) statt. Die Website der städtischen Gemeinschaftspraxis in Überfurcht weist ferner eine Schnittstelle zum PMS auf. Die MFA bekommen, wenn sie das PMS öffnen, angezeigt – durch ein entsprechendes Icon mit einem roten Ausrufezeichen im PMS –, wenn Terminwünsche oder Bestellungen von Rezepten und Überweisungen der Patienten über das Kontaktformular eintreffen, wie eine Mitarbeiterin der städtischen Gemeinschaftspraxis in Überfurcht der Forscherin am Empfang erklärt: „Oh, da ist was eingegangen, da will jemand was.“ Die E-Mail-basierte Form der medienvermittelten Mikro-Koordination wird von den Patienten weitaus seltener genutzt als die telefonische. Dies betont eine Mitarbeiterin aus der städtischen Gemeinschaftspraxis in Überfurcht, indem sie der Forscherin erzählt, dass die Praxis maximal eine Benachrichtigung pro Tag über das PMS erreicht. Gleichermaßen verweist der junge Allgemeinmediziner Dr. Marthen darauf, dass die Patienten, die das Kontaktformular auf der Hausarzt-Website oder die E-Mail-Adresse nutzen, immer noch eine klare Minderheit darstellen. Für ihn ist die Nutzung dieses Wegs der Mikro-Koordination eine Altersfrage: „Also ich glaube, dass wirklich nur ein Bruchteil unserer Patienten wirklich auch diese neuen Medien nutzt. Weil ein Großteil halt wie gesagt über fünfzig, über siebzig ist. […] Der Anteil ist noch sehr, sehr klein“ (Dr. Marthen). Dass die Anfragen per E-Mail – gerade im Vergleich zur telefonischen Mikro-Koordination – selten sind, wird auch von Dr. Logan bestätigt. Ihrer Erfahrung nach „kommt es schon vor“ (Dr. Logan), dass Patienten etwa Rezepte via E-Mail bestellten, es handle sich aber um Ausnahmen. Auch die Ärztin unterstreicht, dass sie die Erfahrung gemacht habe, dass es eher jüngere Patienten seien, die dieses Angebot zur Mikro-Koordination nutzten. In den Praxen, die ihren Patienten Möglichkeiten zur E-Mail-Kommunikation eröffnen, zeigt sich ein unterschiedlicher

Mikro-Koordination

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Umgang mit den elektronisch eingehenden Anliegen. In der städtischen Gemeinschaftspraxis in Überfurcht ist beispielsweise der Arzt der Empfänger der Mails, der eine persönliche Eingangsbestätigung formuliert und die Mail an das Praxispersonal zur Bearbeitung weiterleitet. Dr. Marthen betont, dass ihm das sofortige und persönliche Beantworten der E-Mails wichtig sei: Also wir machen das so, dass ich erst mal sofort drauf reagier, weil ich denke […] dass sie einfach dann sehen […], dass die E-Mail angekommen ist […], dass ich die persönlich bekommen habe und bearbeitet habe. (Dr. Marthen)

In der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen wiederum werden die E-Mails von den Mitarbeiterinnen empfangen und bearbeitet. Sie können parallel von den Ärzten der Gemeinschaftspraxis mitgelesen werden. Hierbei ist das Ziel, sicherzustellen, dass die Anliegen der Patienten wahrgenommen werden: „Es landet […] auch […] beim Arzt […]. [D]ann haben [die Patienten] einen doppelten Boden“ (Dr. Streep). Beide Beispiele verdeutlichen, dass der Umgang der Hausärzte mit eingehenden E-Mails vom Anspruch zeugt, sich um den Patienten möglichst in jeder Situation zu kümmern und ihm diesen Anspruch zu signalisieren. Aus Sicht der Hausärzte eröffnet die E-Mail-Kommunikation einen zusätzlichen Zugangsweg der Patienten zur Hausarztpraxis. Dieser Zugangsweg sichert die ständige Erreichbarkeit – auch wenn herkömmliche medienvermittelte Koordinationswege nicht ‚begehbar‘ sind. Die Hausärztin der großen Gemeinschaftspraxis, Frau Dr. Streep, illustriert dies an einem Beispiel: [A]uch eine E-Mail, die morgens kommt: „Ich habe heute einen Termin, ich komme aber nicht durch, kann den nicht absagen, weil das Telefon ist laufend besetzt.“ Also sagen die auf diesem Weg den Termin ab. (Dr. Streep)

Auch aus Sicht der Patienten erhöht die E-Mail-Kommunikation die zeitsouveräne Erreichbarkeit der Hausarztpraxis – sie können trotz Stoßzeiten (belegter Telefonleitungen) oder nicht besetzten Empfangs (z. B. außerhalb der Sprechzeiten) jederzeit Termine anfragen: Beispielsweise letztens musste ich einen Termin verschieben, weil sich doch irgendwie was geändert hat bei meiner Arbeitszeit und da war es für mich einfacher, das eben per E-Mail zu machen. Das ist ja doch manchmal schwierig, dass man hier durchkommt oder dann das auch wieder vergisst während der Arbeit. Das ist dann wohl ganz praktisch. (Nele Hoppe (24))

162

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

Bei den Online-Bestellungen über Bestellformulare auf der Arzt-Website werden von den Patienten ebenfalls die zeitliche und räumliche Flexibilität betont, die diese Kommunikationsformen zulassen: Die Praxisseite haben wir auch schon angeguckt, da haben wir schon Rezepte drüber bestellt. […] [E]s hieß irgendwann, dass man Rezepte auch online bestellen kann. Und das fand ich natürlich super, samstags mittags so, nach dem Motto „Da musst du Montag noch dran [denken]“ […]. [W]eil das für mich natürlich praktisch ist. In dem Moment, wo ich das leer habe, so nach dem Motto „Okay, jetzt kannst das auch ganz schnell eben […] kurz erledigen“, dann ist das weg und man vergisst das dann auch nicht so schnell. (Nora Nowak (33))

5.1.3

Beschleunigung und Flexibilisierung der Mikro-Koordination durch Medien

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Medien fester Bestandteil der MikroKoordination sind. Medien tragen dazu bei, dass es zum direkten Kontakt der Beziehungspartner kommt und dass Folgehandlungen zeitlich und räumlich abgestimmt werden. Trotz der Unterschiede zwischen den Praxen – etwa im Hinblick auf ihre technische und personelle Ausstattung – ähneln sich die kommunikativen Muster der Mikro-Koordination praxisübergreifend. Medien prägen die MikroKoordination zwischen Hausarzt und Patient in zweierlei Hinsicht. Sie tragen wesentlich zur Beschleunigung und zur Flexibilisierung der Mikro-Koordination bei. Bei der direkten Mikro-Koordination unterstützt das PMS den Hausarzt und beschleunigt mikro-koordinative Prozessschritte. Es ermöglicht dem Arzt Termine, Rezepte, Überweisungen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen direkt im Anschluss an die Beschwerdebeschreibung, Beschwerdeexploration, Diagnose, Therapieentwicklung und Therapieentscheidung elektronisch mit ‚wenigen Klicks‘ zu erfassen und die jeweiligen Dokumente für den Patienten zu erstellen. All dies kann der Arzt eigenständig im Sprechzimmer ‚erledigen‘ – ein (relativ) zeitaufwendiger Ortswechsel oder die (relativ) zeitintensive Delegation der Terminkoordination, der Rezeptausstellung etc. an das Praxispersonal entfällt in den Hausarztpraxen zumeist. Für die medienvermittelte Mikro-Koordination spielt das Telefon die zentrale Rolle. Durch die Überbrückung räumlicher Distanz ermöglicht das Telefon per se, Kommunikation zu beschleunigen. Patienten haben jederzeit die Möglichkeit, sich

Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen

163

zum Zwecke der Mikro-Koordination an ihren Hausarzt bzw. die Hausarztpraxis zu wenden. Dieser Aspekt erhöht die Flexibilität der Patienten. Diese Flexibilität und die Beschleunigung werden nochmals dadurch gesteigert, dass die Arztpraxen Anrufbeantworter oder sogenannte ‚Servicetelefone‘ einrichten. Diese werden installiert, um die Balance zwischen den vorherrschenden Ansprüchen der Hausarztpraxen zu gewährleisten – sich prioritär um die anwesenden Patienten zu kümmern und gleichzeitig für die Anliegen aller (potenziellen) Patienten ständig verfügbar zu sein. Ergänzend zum Telefonat bieten einige Praxen ihren Patienten die Möglichkeit, kommunikative Handlungen der Mikro-Koordination per E-Mail zu vollziehen. Während die Kommunikation, die via Telefon abläuft, schwerpunktmäßig über Praxismitarbeiterinnen abgewickelt wird, die als Schaltstellen zwischen Patient und Hausarzt fungieren, eröffnet die E-Mail-Kommunikation einen direkten Zugang zum Arzt. Insgesamt betrachten die Ärzte die E-Mail als einen weiteren Weg, der die ständige Adressierbarkeit patientenseitiger Anliegen an den Hausarzt zulässt. Bislang findet diese Kommunikationsform verhältnismäßig, also im Vergleich zu der synchronen und asynchronen telefonischen Kommunikation, wenig Anwendung.

5.2

Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen

Wesentlich für die Gründung und Weiterentwicklung der Beziehung von Hausarzt und Patient ist das gegenseitige Kennenlernen der Beziehungspartner mittels Kommunikation. Im Zuge des langfristigen und situationsübergreifenden Prozesses des Kennenlernens entwickeln die Beziehungspartner das (innere) Bild von ihrem Gegenüber. Sie erwerben Wissen über den jeweils anderen, bestätigen oder modifizieren dieses Wissen im zeitlichen Verlauf der Beziehung (vgl. hierzu Kapitel 2). Die kommunikativen Prozesse des Kennenlernens von Hausärzten und Patienten erstrecken sich in den untersuchten Hausarztpraxen häufig „über Jahre“, wie Dr. Lorien und Dr. Streep betonen. Die Voraussetzung für das gegenseitige Kennenlernen liegt darin, dass sich die Beziehungspartner einander präsentieren und dass sie die Präsentation des Gegenübers wahrnehmen. Dieses Teilkapitel stellt die Selbstpräsentation des Hausarztes in den Mittelpunkt. Zugleich geht es darum,

164

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

wie sich Patienten ein Bild von ihrem Hausarzt machen und dieses weiterentwickeln. Zu beachten ist, dass sich die Selbstdarstellung des Hausarztes nicht auf die Präsentation der eigenen Person beschränkt. Vielmehr ist die Person des Arztes eng mit dem institutionellen Kontext verbunden, in dem sie agiert. Die Selbstpräsentation des Hausarztes umfasst folglich neben personenbezogenen auch institutionsbezogene Informationen. Zu den personenbezogenen Informationen über den Hausarzt gehören zum einen persönliche Attribute (wie z. B. sein Aussehen, sein Alter, sein Kommunikationsstil) und zum anderen professionelle Attribute (wie z. B. der berufliche Werdegang, Informationen zur Ausbildung oder zu Zusatzqualifikationen). Zu den institutionsbezogenen Informationen der Hausarztpraxis, die dem Patienten vermittelt werden, zählen beispielsweise Informationen zur Teamzusammensetzung, das Leitbild der Hausarztpraxis, ihr Leistungsspektrum oder besondere Aktionen, die vom Hausarzt und dem weiteren Praxisteam angeboten werden. Auch für die Vorbereitung der Mikro-Koordination werden den Patienten als relevant erachtete institutionsbezogene Informationen zur Verfügung gestellt wie die Kontaktdaten oder Urlaubs- und Öffnungszeiten der Hausarztpraxis. Im Folgenden wird gezeigt, wie sich die (in dieser Studie beobachteten und befragten) Hausärzte ihren Patienten präsentieren und zugleich, wie sich die interviewten Patienten Wissen über ihre Hausärzte aneignen. Es wird veranschaulicht, dass die Konstruktion von hausarzt- und praxisbezogenem Wissen nicht nur Faceto-Face, sondern auch medienvermittelt stattfindet. Dabei wird dargelegt, wie hausarztbezogenes Wissen ergänzt oder initial generiert wird, und zwar mithilfe von Medien, die in der Praxis vor Ort verfügbar sind – wie Aushänge, Flyer, Broschüren oder Monitore –, sowie mittels Online-Angeboten – wie der Website und dem Social-Media-Profil der Praxen. 84

84

Der Begriff des ‚Generierens‘ bezieht sich in der Ergebnisdarstellung auf die kommunikative Konstruktion von neuen Wissensbeständen. Dahingegen ist mit ‚Ergänzen‘ gemeint, dass bestehende Wissensbestände komplementiert, vertieft, neu geordnet etc. werden.

Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen

5.2.1

165

Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen im direkten Gespräch

Ein Großteil der kommunikativen Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen findet in der direkten Begegnung der Beziehungspartner in der Hausarztpraxis statt. Insbesondere im Zuge des persönlichen Arzt-Patient-Gesprächs während der Sprechstunde präsentieren sich die observierten Ärzte ihren Patienten in ihrer sozialen Rolle als Mediziner und als Individuen. Ihre soziale Rolle präsentieren die beobachteten und befragten Allgemeinmediziner, indem sie ihr Fachwissen und ihre Fertigkeiten in der persönlichen Begegnung vermitteln. Dies geschieht, indem sie den Gesundheitszustand ihrer Patienten durch die körperliche Untersuchung sowie Befragung des Patienten einordnen, zu einer Diagnose und entsprechenden Behandlungshinweisen gelangen, die sie beispielsweise durch Erklärungen zu medizinischen Begriffen und anatomischen Vorgängen unterfüttern (eine ausführliche Beschreibung der Vermittlung des medizinischen Fachwissens findet sich in Kapitel 5.4). Signalisiert wird die soziale Rolle im direkten Gespräch darüber hinaus mittels der Berufsbekleidung. Wenngleich nur zwei Hausärztinnen in den untersuchten Praxen einen weißen Arztkittel tragen, nämlich Dr. Streep und Dr. Logan, verweist ebenso die Bekleidung der anderen Hausärzte auf die Farbgebung des typischen ärztlichen Statussymbols. So tragen Dr. Lorien und Dr. Marthen weiße Hemden und Dr. Lorien zusätzlich eine weiße Hose. Dr. Tenside kombiniert die weiße Hose mit einem bunten Hemd. Zudem symbolisieren etwa die Platzierung medizinischer Fachliteratur oder die Ausstellung von Medikamenten in Glasvitrinen die ärztlichen Kenntnisse und ihre Fertigkeiten. 85 Die im Rahmen der vorliegenden Studie empirisch gewonnenen Daten zeigen, dass sich der Hausarzt seinen Patienten nicht nur in seiner sozialen Rolle des medizinischen Fachmanns präsentiert, sondern dass ihm diese soziale Rolle ebenso 85

Über die Begegnung der Beziehungspartner in den Behandlungsräumen hinaus präsentieren sich die Hausärzte ihren Patienten in der Hausarztpraxis in ihrer sozialen Rolle. Sie wahren ein professionelles Auftreten in den Interaktionen mit den Praxiskollegen, die von den Patienten beobachtet werden können. Demgemäß ließen sich keine persönlichen Gespräche zwischen dem Hausarzt und seinen Mitarbeiterinnen am Empfang beobachten. Ebenfalls wurden etwaige Herausforderungen in der Zusammenarbeit in der vorliegenden Studie praxisübergreifend hinter verschlossenen Türen oder während der Schließzeiten und nicht in unmittelbarer Anwesenheit der Patienten besprochen.

166

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

von seinen Patienten zugeschrieben wird. Den Aussagen der Patienten zufolge treffen sie im persönliche Face-to-Face-Gespräch auf einen „kompetenten“ „Experten“, der ihrer Meinung nach über ein „umfassendes“, „großes“, „breites“ bzw. „hohes Fachwissen“ verfügt. Der Hausarzt ist „ja quasi der Fachmann dafür, für die Medizin“, „[w]eiß sehr viel“, „kennt Krankheiten“, „kennt sich [im Hinblick auf die Themen Krankheit und Gesundheit] gut aus“, „ist direkt in der Materie drin“, „weiß klipp und klar, was Sache ist“. Die Hausärzte präsentieren in der direkten Begegnung einerseits ihre sozialen Rollen, andererseits gehört zur Selbstpräsentation der Hausärzte, dass sie sich ihren Patienten als Individuen zu erkennen geben. Dies lässt sich anhand der Beobachtungsdaten folgendermaßen nachzeichnen: So konnte mehrmals beobachtet werden, dass Ärzte im Zuge der Erläuterung der Behandlungsempfehlungen diese mit persönlichen Erfahrungen verknüpfen und dem Patienten somit die Möglichkeit eröffnen, ihn zumindest ausschnittsweise privat kennenzulernen. Paradigmatisch hierfür verrät Dr. Streep einer Patientin, die sie dazu animiert, ihre Ernährung umzustellen und dabei vermehrt Leinöl zu verwenden: „Das hat bei mir auch geholfen!“ (Dr. Streep). Ebenso konnte im Zuge des Smalltalks zwischen den Hausärzten und ihren Patienten festgestellt werden, dass die Hausärzte dieses ‚kleine Gespräch‘ nicht nur einsetzen, um dem Patienten Raum zu geben, etwas Persönliches zu erzählen (vgl. hierzu Kapitel 5.3), sondern um sich – anknüpfend an das Gegenüber und den Kommunikationsverlauf – selbst zu präsentieren. Gemäß dieser Feststellung berichtet beispielsweise der sportaffine junge Allgemeinmediziner Dr. Marthen einem Patienten, mit dem er Smalltalk zum Thema Sport führt, wie viele Kilometer er am Tag zuvor gelaufen ist und wie sein wöchentliches Sportprogramm momentan aussieht. Ferner sei darauf hingewiesen, dass die Ärzte den Patienten Auszüge ihrer Persönlichkeit durch die Einrichtung des Behandlungszimmers präsentieren, wozu auch persönliche Gegenstände gehören wie Kunst – in Form von Bildern oder Plastiken –, Familienporträts oder Verweise auf private Erlebnisse und Errungenschaften (z. B. die Teilnehmernummer eines Marathons). In den Interviews mit den Patienten wird deutlich, dass die Bemühungen der Hausärzte, sich ihren Patienten – über ihre soziale Rolle des medizinischen Fachmanns hinaus – als Individuum zu präsentieren, bei den Patienten insofern Reso-

Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen

167

nanz erzeugen, als dass diese ihren Hausarzt nicht auf seine soziale Rolle reduzieren. Das Arztbild der Patienten umfasst neben professionellen auch persönliche Attribute des Hausarztes. Um es mit den Worten von Chloe Wagner (18) zu sagen: Der Hausarzt stellt „eine gesunde Mischung aus Kompetenz und Freundlichkeit [dar]“. Zu den Attributen, die auf die Wahrnehmung der Persönlichkeit des Hausarztes verweisen, gehören beispielsweise „nett“, „freundlich“ und „sympathisch“. Darüber hinaus charakterisieren die Patienten ihren Hausarzt als „ehrlich“, „offen und direkt“ sowie als „locker und entspannt“. Im Falle des jungen Allgemeinmediziners aus der städtischen Gemeinschaftspraxis in Überfurcht wird auch auf dessen Aussehen („sportlich“, „groß“) abgehoben (siehe zum Arztbild der Patienten Kapitel 6). Neben der Selbstpräsentation als Mediziner und Individuen lassen die Hausärzte in der direkten Begegnung mit ihren Patienten kommunikativ anschlussfähige und für das jeweilige Gegenüber situativ relevante Informationen zur Hausarztpraxis (institutionsbezogene Informationen) einfließen. Beispielsweise erörtert Dr. Streep, dass „bald Urlaubszeiten“ anstehen. Dr. Tenside erläutert, wann die Öffnungszeiten einen neuen Termin ermöglichen. Darüber hinaus ließ sich beobachten, wie die Hausärzte auf Anfrage des Patienten Zusatzleistungen der Praxis im persönlichen Gespräch eruieren. 5.2.2

Medienvermittelte Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen

Neben der direkten Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen erfolgt diese Konstruktion auch über unterschiedliche Angebote zur produzierten Medienkommunikation. Zu den Medienangeboten zählen zum einen Aushänge, Flyer, Broschüren sowie Praxis-Monitore, die dem Patienten vor Ort Informationen über den Hausarzt und dessen Praxis zugänglich machen. Zum anderen werden hausarztbezogene Informationen über Online-Angebote zur Verfügung gestellt – die Website der Hausarztpraxen und Social-Media-Plattformen. Von den Hausärzten ausdrücklich problematisiert wird die Eignung von Arztbewertungsportalen zur Vermittlung von hausarztbezogenem Wissen – Patienten nutzen diese Plattformen, wenn überhaupt, eher zufällig. Die medienvermittelte Selbstdarstellung der Hausärzte über die unterschiedlichen Angebote umfasst Informationen, die sich auf den Hausarzt persönlich beziehen sowie Informationen zum Team,

168

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

zum Leistungsspektrum, zu besonderen Aktionen und zum Leitbild der hausärztlichen Praxis. Auch Kontaktdaten und -zeiten werden medial vermittelt. Die Medienangebote ergänzen zum einen die Wege der Hausärzte, sich selbst zu präsentieren und zum anderen die Chancen der Patienten, ihren Hausarzt kennenzulernen. Sie eröffnen den Patienten die Möglichkeit, sich vertiefend über den Hausarzt und die Hausarztpraxis zu informieren, denn sie finden Informationen, die so in der direkten Begegnung nicht vermittelt werden (können). Mithilfe der Medienangebote sind Ärzte darüber hinaus in der Lage, ihre Patienten kontinuierlich auf dem Laufenden zu halten und das Arztbild und das Bild von der Hausarztpraxis zu aktualisieren. Schließlich ermöglichen die Medienangebote neuen Patienten, ein erstes Bild von ihrem potenziellen Hausarzt und dessen Praxis zu generieren, ohne dass bereits ein Kontakt mit dem Hausarzt stattgefunden hat. Medienvermittelte Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen über Medienangebote vor Ort Zum Standardrepertoire, das Hausärzte verwenden, um hausarzt- und praxisbezogene Informationen an ihre Patienten weiterzugeben, damit die Patienten wiederum hausarztbezogenes Wissen generieren, vertiefen oder aktualisieren können, gehören Aushänge, Flyer und Broschüren, die Patienten vor Ort rezipieren oder mitnehmen können. In allen Praxen konnten beispielsweise Aushänge gesichtet werden, in denen die Patienten über die Urlaubszeiten der Praxen informiert werden. Auch auf neue Kollegen des Praxisteams (seien es Ärzte oder MFA) werden die Patienten per Aushang aufmerksam gemacht. Darüber hinaus präsentieren die Hausärzte ihre Qualifikationen, indem sie Zertifikate oder Auszeichnungen auf Plakaten und in Bilderrahmen an den Wänden der Warteräume oder im Gang platzieren. Zudem stellen die Ärzte in der ländlichen Gemeinschaftspraxis in Wolkenheim, in der ländlichen Einzelpraxis in Garihausen und der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen ihren Patienten Flyer mit besonderen Aktionen (wie z. B. Impfaktionen) oder speziellen Zusatzbehandlungen (wie z. B. Eigenbluttherapie) zur Verfügung, die von der Praxis angeboten werden. Die Patienten finden diese praxiseigenen Broschüren entweder direkt am Empfang oder aber im Wartebereich der Praxen. Ferner werden Patienten von ihren Hausärzten, aber auch von den MFA, während des persönlichen Gesprächs auf entsprechende Flyer aufmerksam gemacht. Die Beobachtungen der Wartesituation zeigen, dass Patienten

Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen

169

diese Printangebote mitnehmen oder noch in der Praxis rezipieren, während sie auf ihren Termin warten. Zum Teil führen die auf den Flyern angebotenen Aktionen oder Zusatzbehandlungen zu einer Anschlusskommunikation während des direkten Arztgesprächs. Hierbei stellen Patienten Rückfragen zu den Inhalten oder äußern den Wunsch, entsprechende Behandlungen zu erhalten. Dies konnte beispielsweise beobachtet werden, als eine Patientin eine Vitamin-D-Kur – eine sogenannte „Sonnen-Vitamin-Kur“ – beantragte, nachdem sie den entsprechenden Flyer rezipierte. In der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen gibt es darüber hinaus einen gedruckten Praxis-Newsletter, der Neuigkeiten bündelt und über neues Praxispersonal oder über spezielle Angebote (wie thematische Vorträge) der Praxis informiert. Ergänzend zu diesen Print-Informationen verfügt die große Gemeinschaftspraxis über Monitore in den Wartebereichen. Darauf werden neben dem ‚Praxis TV‘ auch praxisspezifische Informationen präsentiert. 86 In der Präsentation von Praxisinformationen liegt aus Sicht eines Hausarztes in Weisenlingen der wesentliche Zweck der in den Wartezimmern platzierten Bildschirme. Er äußert diesbezüglich: [D]as Wesentliche sind wirklich unsere eigenen Folien, die wir einspeisen. Wenn wir wieder einen neuen Ernährungskurs machen, wenn wir ‒ wir haben mal so einen Kindertag in der Hausarztpraxis gemacht und haben den gefilmt oder neue Leistungen anbieten oder irgendwas neu ist. Neue Helferin, alte Helferin weg, neuer Arzt, egal, ist ja permanent irgendwas im Fluss. (Arzt in Weisenlingen)

Der Arzt verweist in diesem Zusammenhang auf den zeitlichen Vorteil, der für den Einsatz der Praxis-Monitore im Vergleich zu herkömmlichen informierenden Druckerzeugnissen spricht: Informationen können „sofort eingespeist und zeitnah […] transportiert“ (Arzt in der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen) werden. Für die Ärzte ist neben der Effizienz die Akzeptanz ihrer Patienten bei der Einführung der Info-Monitore wichtig. Dementsprechend behält Dr. Streep im Blick, wie das Angebot des Wartezimmer-Monitors patientenseitig angenommen

86 Bei Praxis TV handelt es sich um ein kostenpflichtiges Angebot, das Ärzte buchen können. Es beinhaltet beispielsweise aktuelle Wetterdaten oder Filme zu bestimmten medizinischen Themen und Behandlungsmethoden. Demgemäß beschreibt ein Arzt aus der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen: „[W]ir können Filme buchen zu bestimmten medizinischen Themen oder Behandlungsmethoden, die wir auch hier in der Praxis haben.“

170

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

wird: „Also wenn ich da so durchgehe und die [Patienten] beobachte, manche gucken da wie gebannt drauf und finden sowas wohl mega toll und sprechen uns auch auf viele Dinge an, manche nehmen das auch gar nicht zur Kenntnis“ (Dr. Streep). Die Aussage zeigt ferner, dass die TV-Monitore und die dort präsentierten Inhalte – ebenso wie die Printerzeugnisse – aus ärztlicher Sicht eine Basis und einen Anlass für die direkte Kommunikation der Beziehungspartner bieten. Medienvermittelte Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen über Online-Angebote Neben den Medien, die den Patienten von den Hausärzten vor Ort zur Verfügung gestellt werden, gehören Online-Angebote zum medialen Spektrum, das auf der einen Seite von den Ärzten genutzt wird, um hausarztbezogenes Wissen zu vermitteln und den Patienten auf der anderen Seite dazu dient, sich solches Wissen anzueignen. Einen besonderen Stellenwert für die hausärztliche Selbstdarstellung im Internet besitzen aus Sicht der Hausärzte die Websites der Hausarztpraxen. In vier der fünf untersuchten Hausarztpraxen – außer in der ländlichen Gemeinschaftspraxis in Wolkenheim – findet eine Vermittlung von hausarzt- und praxisbezogenen Informationen über die eigene Hausarzt-Website statt, deren Hauptfunktion – aus Sicht der Ärzte – in der Selbstdarstellung liegt. Funktionen zur wechselseitigen Kommunikation, z. B. über Kontaktformulare oder die Möglichkeiten zur Rezeptbestellung (vgl. Kapitel 5.1.2) sowie die Bereitstellung von allgemeinen medizinischen Informationen (vgl. Kapitel 5.4), sind aus Sicht der Hausärzte weniger zentral. Den Hausärzten folgend, befriedigt die Hausarzt-Website auf der einen Seite „das eigene Bedürfnis, sich […] darzustellen als Praxis“ (Dr. Marthen). Auf der anderen Seite vermuten die befragten Hausärzte gleichermaßen bei den Patienten das Bedürfnis, sich über Hausarzt und Hausarztpraxis Wissen anzueignen. Deshalb stellen sie diverse personen- und institutionsbezogene Informationen im Netz zur Verfügung, die – aus ihrer Sicht – für die Patienten relevant sind. Die Selbstdarstellung der Hausärzte auf ihren Websites umfasst persönliche Informationen (wie z. B. Lebenslauf, Aus- und Weiterbildung), Informationen zum Praxisteam (wie z. B. Zuständigkeiten), Informationen zum Leistungsspektrum (inklusive Zusatzleistungen) und zum Leitbild der Praxis. Auch Kontaktdaten und -zei-

Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen

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ten werden auf den Websites präsentiert. Patienten der städtischen Gemeinschaftspraxis in Überfurcht können „ein bisschen stöbern, ein bisschen gucken, wer ist da eigentlich, wie sehen die aus, was machen die eigentlich, was ist so der Grundgedanke“ (Dr. Marthen). Dr. Tenside vergleicht ihre Website mit einem „Buch“, das ihren Patienten ermöglicht, sie und ihr Leistungsspektrum besser kennenzulernen: „[W]eil [die Website] ist wie so ein Buch. Die Patienten, die können mich kennenlernen, die können mal gucken, die sehen meinen Lebenslauf, meine Ausbildung, die sehen, was hat man für ein Spektrum.“ Ein Arzt in der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen hebt hervor, dass die Nutzer ihrer HausarztWebsite herausfinden können, „wer ist eigentlich mein Arzt oder wer ist meine Arzthelferin oder die, die mich jetzt auf dem Hausbesuch besuchen kommt“. Insbesondere bei den Informationen zum Personal achten die Ärzte darauf, dass diese stets aktuell sind, was Dr. Tenside, die gerade eine neue Mitarbeiterin eingestellt hat, folgendermaßen verdeutlicht: „[J]etzt müssen wir wieder da [auf der Website] etwas ändern, also inhaltlich wenig, aber wir brauchen ja dann ein neues Foto, da soll ja jeder da auch drin sein, der bei uns arbeitet“ (Dr. Tenside). Die im Rahmen der vorliegenden Studie in Interviews befragten Hausärzte führen vier Motive für die Bereitstellung von hausarztbezogenen Informationen über ihre Websites an. Diese werden im Folgenden erläutert – dabei wird auch betrachtet, inwiefern die Argumente, mit denen die Patienten ihre Website-Nutzung begründen, den antizipierten Nutzungsmotiven der Ärzte entsprechen. Das erste Motiv, mit dem die Hausärzte die Veröffentlichung von hausarztbezogenen Informationen über ihre Website begründen, besteht darin, dass sie ihren Patienten ermöglichen wollen, ihr Wissen über den Hausarzt und das Praxisteam sowie das Leistungsspektrum und das Leitbild der Praxis zu vertiefen. Die Hausärzte wollen den Patienten hintergründiges oder weiterführendes Wissen über die Person des Hausarztes und über das Praxisteam vermitteln, das im Rahmen der Face-to-FaceKommunikation aufgrund der zeitlichen Begrenzung nicht zur Sprache gebracht werden kann: Dann haben wir ja noch sowas wie so ein eigenes Abbild, dann Leitlinie etc. Also das sind so ein paar Sachen, die ich einfach schön finde, wo ich auch keine Zeit habe, jemandem so ausführlich Sachen zu erzählen, was wir denn so denken, was dahintersteckt, weswegen wir das tun hier. (Dr. Marthen)

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Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

Die Hausärzte betrachten ihre Website in diesem Zusammenhang als einen ‚Ort‘ zur Bereitstellung einer unbegrenzten Menge an Informationen, an dem sich Patienten vertiefend mit ihrem Beziehungspartner und dem institutionellen Kontext, in dem dieser agiert, auseinandersetzen können. Die Hausärzte möchten nicht nur das Wissen ihrer Patienten um Informationen erweitern, die im direkten Gespräch aus Zeitgründen nicht artikuliert werden können. Ein zweites Motiv, das die Ärzte in den Interviews zur Begründung der Bereitstellung von Informationen über ihre Website formulieren, besteht darin, dass sie ihre Patienten auch außerhalb des direkten Kontakts kontinuierlich mit Informationen auf dem Laufenden halten möchten. Die interviewten Ärzte versuchen „immer wieder […,] Neuigkeiten [in Richtung ihrer Patienten] zu transportieren“ (Dr. Streep). Das „was so passiert in der Praxis“ (Dr. Streep) wird den Patienten orts- und zeitsouverän verfügbar gemacht. Während die Hausärzte ihren Patienten Informationen zur Verfügung stellen, damit diese ihr Wissen über Hausarzt und Praxis vertiefen und aktualisieren können, zeigen die Interview-Daten, dass die Hausärzte damit durchaus die Nutzungsmotive einiger Patienten vorwegnehmen. Es sind vor allem die Patienten der großen hausärztlichen Gemeinschaftspraxis, die sich über die Ärzte und die weiteren Mitarbeiter der Praxis auf dem Laufenden halten. Offenbar führen die Größe und die damit verbundene Komplexität der Praxis sowie ihr Status als akademische Lehrpraxis dazu, dass die Patienten ein erhöhtes Informationsbedürfnis besitzen. Die Komplexität ergibt sich beispielsweise aus der arbeitsteiligen Leistungserbringung der Ärzte, der vergleichsweise hohen Personalfluktuation (z. B. durch die Betreuung von Ärzten im Praktischen Jahr) und dem breiten Spektrum an Spezialisierungen sowie Zusatzleistungen. Den Patienten geht es darum, einen Überblick über die Mitarbeiter sowie deren Zuständigkeiten zu erhalten. So beschreibt beispielsweise Nico Riedel (49), dass er sich „angeschaut [hat,] wer da tätig ist, also welche Ärzte sind da und welche, sage ich mal, Mitarbeiter sind da tätig“. Ebenso hat Leonie Glee (46) mal „zwischendurch einfach“ geschaut, „wer für welchen Bereich von [den zahlreichen Ärzten der großen Gemeinschaftspraxis] da so zuständig ist“. Lucy Jakobs (32) erklärt ihre Nutzung folgendermaßen: „Es ist ja auch ab und zu mal, dass hier irgendwo mal ein neuer Arzt hinkommt und dann [hol ich mir] darüber dann Informationen über den Arzt.“ Darüber hinaus informieren sich die Interview-Partner über spezielle Angebote der Arztpraxis (z. B. zu

Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen

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Patientenvorträgen) oder über sonstige Veränderungen in der Praxis (z. B. Umbaumaßnahmen, Fortbildungen). Das dritte Motiv, das die Hausärzte für die Bereitstellung von Informationen auf den Hausarzt-Websites anführen, bezieht sich auf die Veröffentlichung von Kontaktinformationen im Netz. Neben der Möglichkeit, vertiefende Informationen zu vermitteln und das Bild von dem Beziehungspartner außerhalb der direkten Kontaktzeiten zu Hausarzt und Praxis aktuell zu halten, werden die Hausarzt-Websites von den Ärzten dazu genutzt, um den Patienten ständig zuverlässige Kontaktinformationen für den Bedarfsfall zur Verfügung zu stellen. Hierdurch wird der Hausarzt für den Patienten erreichbar und die Kontaktaufnahme der Patienten im Zuge der Mikro-Koordination erleichtert. So heben die interviewten Ärzte die Bedeutung der Website für die Vermittlung der Kontaktdaten (Praxisanschrift, E-Mail-Adressen, Telefonnummern etc.) und den Kontaktzeiten (Öffnungszeiten, Urlaubszeiten) hervor. Dr. Tenside und Dr. Logan betonen in diesem Zusammenhang, dass auf der Website vor allem die Sprechzeiten stets aktuell gehalten werden, weil „eben doch immer mehr Leute gucken, […] wie sind die Sprechstundenzeiten“. Aufseiten der Patienten ist die Recherche nach zuverlässigen Kontaktinformationen das dominierende Motiv der WebsiteNutzung. Zahlreiche Patienten führen auf, dass sie die Hausarzt-Website nutzen, um sich die Kontaktdaten und -zeiten der Praxis anzueignen. Als Gründe hierfür nennen sie beispielsweise, dass sie die Telefonnummer „nicht abgespeichert“ (Jana Kurz (27)) haben oder „relativ selten hier“ (Lucy Jakobs (32)) sind. Aber auch Patienten, die eine chronische oder langwierige Erkrankung vorweisen und dadurch bedingt regelmäßig die Hausarztpraxis aufsuchen, benutzen die Website der Hausarztpraxis, wenn sie „mal die Öffnungszeiten nicht mehr im Kopf“ (Frauke Engel (41)) haben oder um zu überprüfen, „ob irgendwie Urlaub ist oder ob sich die Telefonnummer geändert hat“ (Jonathan Reichert (50)). Für einen Teil der Nutzer von Arzt-Websites stellt die Aneignung von Kontaktdaten und -zeiten sogar die alleinige Motivation dar, die Arzt-Website zu nutzen. Demgemäß betont Laura Ott (27), dass sie sich mittels der Hausarzt-Website keine vertiefenden Informationen zu den Ärzten und zur Praxis oder gesundheitsbezogenes Wissen aneignet, sondern dass organisatorische Eckdaten im Vordergrund der Nutzung stehen: „[Auf der Website] war ich schon mal drauf, aber jetzt nicht irgendwie speziell für Krankheiten oder sowas, sondern da habe ich […] Öffnungszeiten und so einen Kram dann geguckt“ (Laura Ott (27)). Dies betont auch Justus Breuer (45),

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Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

er nutzt die Website „nur [für] die Öffnungszeiten“. Ähnlich ging es Jutta Hall (37) „eigentlich nur um die Telefonnummer und Öffnungszeiten“. Gleichermaßen schließt ferner Chloe Wagner (18): „[Die Website habe] ich eigentlich bis jetzt nur aufgesucht, um Telefonnummern oder so […] rauszufinden.“ 87 Das vierte Motiv, das von den Hausärzten für die Bereitstellung von hausarztbezogenen Informationen über die Hausarzt-Website angebracht wird, bezieht sich schließlich auf die Werbefunktion des eigenen Webangebots. Die Hausärzte stellen über ihre Websites zum einen ihren Bestands-Patienten Informationen zu Verfügung, mit denen diese ihr hausarztbezogenes Wissen vertiefen oder aktualisieren können. Zum anderen richten sich die Informationen auf der Website an potenzielle Neu-Patienten, die über das Online-Angebot einen ersten Eindruck von Arzt und Praxis gewinnen und ein erstes Bild von ihrem potenziellen Beziehungspartner generieren können. Demgemäß sprechen die Ärzte ihrer Website auch eine Werbefunktion zu. Mit der Website wird die Hoffnung verbunden, neue Patienten für die Praxis zu gewinnen. So erläutert Dr. Logan: „Also natürlich um sich zu bewerben, um sich darzustellen mit seinem Leistungsspektrum […], das war eigentlich das Hauptsächliche“ (Dr. Logan). Ein Hausarzt der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen merkt an, dass „jedes andere Unternehmen, und [die Hausarztpraxis] ist ja in einer gewissen Art und Weise auch ein Unternehmen, […] ja auch Marketing und eine Außendarstellung [betreibt]“. Dr. Marthen schlussfolgert, dass die Hausarzt-Website „natürlich […] auch immer [ein] Marketing-Tool“ darstellt. Damit die Vermittlung von personen- und institutionsbezogenen Informationen die Rekrutierung von neuen Patienten unterstützt, ist es aus Sicht der Ärztinnen und Ärzte wichtig, dass die Anmutung der Website aktuell gehalten wird. 87 Nur ein Patient führt an, dass er auf das traditionelle gedruckte Telefonbuch oder die Gelben Seiten für die Recherche von Kontaktdaten zurückgreift. Er merkt im gleichen Atemzug kritisch an: „[I]m Telefonbuch stimm[en] sie nicht mehr, die Öffnungszeiten“ (Justus Breuer (45)). Dies veranlasst den Patienten dazu, zusätzlich die Recherche der Öffnungszeiten über die Hausarzt-Website vorzunehmen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Hausarztpraxen teilweise gar nicht mehr in Telefonbüchern oder Gelben Seiten inserieren ‒ was früher standardmäßig geschah. So schildert Dr. Lorien, dass er seit mehreren Jahren von einem Eintrag der Öffnungszeiten im örtlichen Telefonbuch absieht, da seiner Einschätzung nach die meisten seiner Patienten die Telefonnummer oder die Öffnungszeiten im Internet recherchieren. Gleichermaßen schildert auch eine Patientin, dass die Ferienzeiten der Praxis „nicht in der Presse“ zu finden seien und sie diese deshalb über die Website recherchiert.

Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen

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Dies gilt sowohl für das Design des Online-Angebots als auch für die dort verfügbaren Inhalte. So schildert Dr. Streep: „Und wir haben das eben […] so gestaltet, dass wir tatsächlich uns immer wieder versuchen zu aktualisieren da und die Neuigkeiten auch zu transportieren.“ Die Arzt-Website soll aus Sicht der Ärzte insbesondere dabei helfen, junge Patienten für die Hausarztpraxis zu gewinnen. So erläutert Dr. Streep, dass sich die Marketing-Bemühungen im Netz vor allem an „die jungen Leute, die unter dem Strich natürlich auch die Praxis frisch halten“ richten. Als weitere Zielgruppen benennen die Ärzte etwa Zugezogene oder Patienten, die aufgrund von ärztlichen Zusatzqualifikationen ihren Hausarzt auswählen. Die Neu-Patienten, die über die Arzt-Website erreicht werden, charakterisiert Dr. Marthen darüber hinaus als „sehr, sehr differenzierte, mündige Patienten, die im Vorfeld ganz genau studieren, zu welchem Arzt [sie eigentlich] gehen“. Über das Patientenfeedback beim Erstgespräch konnten die Hausärzte in Erfahrung bringen, dass neue Patienten durchaus über die online verfügbaren Informationen auf die Praxis aufmerksam werden. So erläutert Dr. Marthen: [W]enn ich das schätzen sollte, wahrscheinlich von zehn Patienten, die neu zu uns kommen, sieben letztendlich über Mund-zu-Mund-Propaganda […] und zwei bis drei Patienten letztendlich entweder über Google-Suche […] oder praktisch Google-Suche „Nächster Arzt im Umkreis“ […] wenn ich schätzen müsste, sind es etwa 70/30. (Dr. Marthen)

Ähnlich schildert Dr. Streep, dass sie bereits Erfahrungen mit neuen Patienten gemacht hat, die sich auf Grundlage der Website-Informationen für die Praxis entschieden haben. Nach Auskunft der Ärztin begründeten die Patienten die Wahl des Hausarztes beispielsweise mit den online präsentierten Informationen zum Leistungsspektrum und der fachlichen Spezialisierung der Ärzte. So zitiert Dr. Streep einen Patienten beim Erstkontakt: „[I]ch möchte Sie gerne als Hausärztin haben, weil ich sehe schon, Sie machen auch Ernährungsmedizin und Naturheilverfahren.“ Die Erfahrungsberichte der Ärzte mit Neu-Patienten, die über die Website gewonnen werden konnten, lassen sich durch die Patienten-Interviews weiter veranschaulichen. Es wird deutlich, dass die Website die Wahl eines Hausarztes unterstützen kann, indem die Patienten sich noch vor dem ersten direkten Kontakt einen Eindruck vom Hausarzt verschaffen. Demgemäß beschreibt Christa Merten (48), dass sie nach einem Umzug vor ihrem ersten Praxisbesuch die Website von Dr. Tenside betrachtet hat. Sie erzählt: „Da sagte man mir ‚Oh, die hat

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Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

eine Website‘, dachte ich ‚Guckst du mal‘.“ Ähnlich hat sich Fiona Krug (43), nachdem ihre Hausärztin in den Ruhestand gegangen ist, „komplett einmal durch die Homepage [ihrer neuen Hausärztin] geklickt“ und sich deren „Leistungsspektrum, eigentlich alles“ angeschaut. Ebenso erzählt Judith Löffler (63), dass auch sie sich – im Anschluss an eine persönliche Empfehlung und nachdem ihr vorheriger Arzt in den Ruhestand gegangen ist – mittels der Hausarzt-Website einen ersten Eindruck von ihrem jetzigen Hausarzt verschafft hat. Sie habe auf der Website geprüft, „wie sieht er aus, was machen die“. Ihre Recherche zielte vor allem darauf ab, herauszufinden, wie alt der Hausarzt ist. Sie beschreibt das folgendermaßen: Als mir denn gesagt wurde [der Arzt] ist okay, habe ich gegoogelt […], nur wie sieht er aus, was machen die [hier in der Praxis]. Ja, weil ich […] finde, [das] ist wichtig. Ich bin 63 und wenn der Arzt jetzt auch 63 ist, dann heißt das, ich kann mir in Kürze wieder einen neuen suchen. […] Und das möchte ich eigentlich vermeiden. […] [D]ie Chance, dass […] [der junge Allgemeinmediziner] mich überlebt, ist sehr groß. (Judith Löffler (63))

In den beschriebenen Beispielen hat die Hausarzt-Website zur endgültigen Entscheidung der Patienten beigetragen, den entsprechenden Arzt zu wählen. Neben der ‚klassischen‘ Selbstbeschreibung durch Porträtfotos, Lebensläufe oder Auflistungen des Leistungsspektrums der Hausarztpraxis, veröffentlichen einige Hausärzte allgemein adressierte medizinische Informationen auf ihren Websites. Sie verfassen beispielsweise Texte zum Burnout-Syndrom, zu Präventionsmaßnahmen (z. B. zur gesunden Ernährung) oder zu naturheilkundlichen Verfahren (wie die Akupunktur). Durch diese Form der Kommunikation von hausarztbezogenem Wissen demonstrieren die Mediziner ihre fachliche Kompetenz, anstatt sie lediglich zu behaupten. So äußern die Hausärztinnen Dr. Streep und Dr. Logan, dass es „Marketing-Aspekte, keine Frage“ (Dr. Streep) seien, die sie zur Bereitstellung von medizinischen Informationen motivierten. 88 Durch die medizinischen Informationen wollen die Hausärzte Patienten von ihrem Know-how

88

Des Weiteren wird die Vermittlung von allgemeinen gesundheitsbezogenen Informationen der Hausärzte auf ihren Online-Angeboten durch die persönliche Freude am Verfassen von Texten motiviert. Dies beschreibt Dr. Streep folgendermaßen: „[I]ch bin so eine Sprachtante. Mir macht es Spaß […]. Ich habe immer gerne geschrieben und ich finde auch diese Möglichkeiten ganz spannend, die man da hat, Informationen weiterzugeben.“

Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen

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überzeugen und dem Patientenstamm regelmäßig Anlässe zum (medienvermittelten) Kontakt mit der Hausarztpraxis bieten (Patientenbindung). Den Schilderungen der Hausärzte folgend, werden die angebotenen Gesundheitsinformationen auf der Website durchaus von den Patienten wahrgenommen. So koppelten einige Patienten die gesundheitsbezogenen Informationen in der Sprechstunde zurück. Dr. Logan beschreibt: „Also gerade durch meine Ernährungsberatung […], also da habe ich am häufigsten mit Kontakt, dass die Patienten sagen ‚Ich habe das und das bei Ihnen gelesen‘“ (Dr. Logan). Von ähnlichen Erfahrungen berichtet Dr. Marthen, der erläutert, dass die Patienten die Informationen auf seiner Website – in Verbindung mit ihren Krankheitserfahrungen – in der Sprechstunde thematisieren: „Ich habe auch regelmäßig Nachfragen zu diesem Informationsbereich. […] [Ich hatte letztens] einen Patienten, der zu mir kam und sagte ‚Ich habe genau das, was Sie da beschrieben haben‘“ (Dr. Marthen). Neben den Hausärzten äußerten auch einige der interviewten Patienten, dass sie die medizinischen Informationen auf den Websites ihrer Hausärzte rezipieren. So beschreibt beispielsweise ein Patient, dass er im Zuge einer Ernährungsumstellung von der Hausärztin auf ihre Ausführungen zu dem Thema auf ihrer Website hingewiesen wurde und er sich die Inhalte daraufhin genau angeschaut habe. In Ergänzung zur Hausarzt-Website wird in der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen für die Vermittlung von hausarztbezogenem Wissen eine SocialMedia-Plattform eingesetzt. Durch das Facebook-Profil werden die Patienten ‚automatisch‘ über Aktivitäten der Praxis auf dem Laufenden gehalten und können hierdurch ihr Wissen ergänzen. 89 Die Mitarbeiter der großen Gemeinschaftspraxis achten darauf, dass die über Facebook veröffentlichten Inhalte im Zusammenhang mit den Ärzten oder dem Team der Hausarztpraxis stehen. So schildert die Marketing-Beauftragte der Praxis, dass alle Facebook-Beiträge „personenbezogen“ sein sollten. Hierzu gehören beispielsweise Informationen darüber, dass neue Mitarbeiter für die Praxis tätig sind oder dass Kollegen die Praxis verlassen haben. Auch Beiträge zu medizinischen Themen werden nur dann veröffentlicht, wenn eine Verbindung zu Personen der Hausarztpraxis hergestellt werden kann. Dies 89 Das Social-Media-Profil der großen Hausarzt-Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen wird vornehmlich von der Marketing-Beauftragten gepflegt. An der Gestaltung der Beiträge beteiligen sich jedoch auch die Ärztinnen und Ärzte der Praxis. Demgemäß beschreibt die Marketing-Beauftrage, dass sie zwar Themen vorschlägt, aber die Inhalte nur in enger Zusammenarbeit mit den Ärzten erstellt.

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Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

veranschaulicht die Marketing-Beauftragte der Praxis am Beispiel eines FacebookBeitrags zum Welt-Asthma-Tag, den sie mit der Ankündigung verknüpft hat, dass Dr. Streep zu diesem Thema einen Vortrag halten wird. Sie ist der Meinung, dass dies „eine gute Verbindung“ schafft. Ein neu eingestellter Arzt der großen Praxis in Weisenlingen erzählt, dass über seinen Einstieg in die Praxis auf dem FacebookProfil berichtet wurde. Diesen Beitrag betrachteten mehr als 1 000 Nutzerinnen und Nutzer. Das Facebook-Profil konnte in diesem Zuge 110 Facebook-Fans hinzugewinnen. Aus Sicht des Arztes ist die große Reichweite ein Indiz dafür, dass sich auch die Patienten vor allem für personenbezogene Informationen interessieren. Demgemäß schildert Nele Hoppe (24): „Die [Facebook-Seite] habe ich auch, also geliket und dann liest man ja immer mal wieder, […] wenn irgendwas Neues angeboten wird.“ Natascha Jäger (66) erzählt: „Das [Facebook-Profil] schaue ich öfter an […], gefällt mir alles.“ Durch das Social-Media-Profil werden Patienten nicht nur über das Praxispersonal und das Leistungsspektrum der Praxis auf dem Laufenden gehalten. Auch Informationen zu den Kontaktzeiten, die wiederum für die Mikro-Koordination relevant sind, sind über das Social-Media-Profil verfügbar. So heben die interviewten Patienten hervor, dass sie sich über das Social-Media-Profil über aktuelle Urlaubszeiten der Hausarztpraxis informieren. Natascha Jäger (66) und Nele Hoppe (24) berichten, dass die Urlaubszeiten stets auf dem Social-Media-Profil veröffentlicht werden. Nele Hoppe (24) schildert, dass sie die Facebook-Seite „geliket“ hat „und da […] immer mal wieder [mitbekommt], wenn die geschlossen haben“. Die anderen vier Praxen verzichten bislang auf die Vermittlung von hausarztbezogenen Informationen über Social-Media-Plattformen wie Facebook. Als einen Grund hierfür führen sie an, dass hauptsächlich ältere Patienten ihre Praxis besuchen und damit „wirklich nur ein Bruchteil unserer Patienten wirklich auch diese neuen Medien nutzt“ (Dr. Marthen). Im Gegensatz zu einer eigenen Website messen sie einem Social-Media-Auftritt folglich keine entscheidende Bedeutung für die Information ihrer Patienten bei. Ferner spielt die Plattform aus Sicht dieser Ärzte auch für die Rekrutierung neuer Patienten keine wesentliche Rolle. Im Gegensatz zur Hausarzt-Website und dem Social-Media-Auftritt machen die befragten Ärzte deutlich, dass sie keine Informationen über sich oder ihre Praxis proaktiv in Arztbewertungsportalen verfügbar machen. Demgemäß fasst Dr. Logan zusammen: „Also von mir wird da nichts eingepflegt“ (Dr. Logan). Generell stehen

Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen

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die interviewten Hausärzte den Arztbewertungsportalen sehr skeptisch gegenüber. Sie kritisieren vor allem, dass die Bewertungen sehr einseitig seien. Aus Sicht der Ärzte ist dies der Fall, da sich hauptsächlich Patienten zu Wort melden, die über etwas verärgert sind und nicht diejenigen, die mit der Behandlung zufrieden waren. So erzählt Frau Dr. Logan: [D]ie Erfahrung zeigt, dass [es] eher so merkwürdige Leute [sind], die sich über irgendwas ärgern oder sagen „Dem zeig ich es jetzt mal, jetzt schreib ich da mal was“ […], der musste hier warten, weil die Bude voll war und dann schreibt er was Negatives, dass eher solche Leute schreiben und dass Leute, die jemanden ganz toll finden, es meistens gar nicht schreiben. (Dr. Logan)

Auch merken die Hausärzte kritisch an, dass negative und aus Sicht der Ärzte nicht nachvollziehbare Bewertungen, die „den Fakten nicht entsprechen“ (Dr. Logan), nicht entfernt werden können. „[E]ine schräge Geschichte […] die kriegt man nicht raus“ (Dr. Logan). Ebenso wenig kann den Bewertungen argumentativ begegnet werden, was bei den Ärzten mitunter zu einem Gefühl der Wehrlosigkeit führt. Als positive Ausnahmen werden die Arztbewertungsportale der Krankenkassen herausgehoben. So berichten die Hausärztinnen Dr. Logan und Dr. Streep, die beide die Erfahrung gemacht haben, dass „uns jemand […] einfach aus Nonsens […] was Böses tun [wollte]“ (Dr. Logan), davon, dass ihrem Wunsch, die nachweisbar falschen Anschuldigungen zu entfernen, vom Anbieter eines Krankenkassen-Bewertungsportals entsprochen wurde. Ein weiteres Argument, das von den Ärzten angebracht wird, um zu erklären, warum sie über Arztbewertungsportale keine Informationen vermitteln, ist, dass sich diese Plattformen ihrer Einschätzung nach eher für die Suche nach Fachärzten eignen. Neue Patienten fällen ihre Entscheidung für einen Hausarzt erfahrungsgemäß auf Grundlage der praxiseigenen Website und insbesondere auf Basis von Mund-zu-Mund-Propaganda. Der ärztlichen Einschätzung entsprechend zeigen die Patienten-Interviews, dass ihre Patienten Arztbewertungsportale nicht zielgerichtet zur Aneignung von hausarztbezogenem Wissen nutzen. Zielgerichtet werden sie – wenn überhaupt – im Zuge einer Facharztrecherche genutzt. Die geringe Bedeutung von Arztbewertungsportalen zur Aneignung von hausarztbezogenem Wissen verdeutlicht beispielsweise Christopher Luchs (25), der erwähnt, dass er das Profil seines Hausarztes auf einem Arztbewertungsportal bereits „gesehen“ habe, aber im gleichen Atemzug erläutert, dass er diese Plattform zur Aneignung von hausarztbezogenem

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Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

Wissen „nicht nutzt“. Auch Natascha Jäger (66) erklärt, dass sie schon einmal in Arztbewertungsportale „reingeguckt“, diese bislang aber „nicht genutzt“ habe. Sie führt die ausbleibende Nutzung darauf zurück, dass die Ärzte ihrer Hausarztpraxis nur wenige Informationen über die Plattform veröffentlichen: „[D]iese Portale […] werden ja [von den Ärzten hier] nicht besonders viel genutzt“ (Natascha Jäger (66)). Außerdem fehle es an Bewertungen von Patienten, die zur Nutzung animieren könnten. In den wenigen Fällen, in denen Patienten Informationen über ihren Hausarzt auf Arztbewertungsportalen rezipiert haben, geschah dies „zufällig“ bei der Recherche nach Kontaktdaten. Jörg Zeigler (29) erzählt, dass er bei der Suche nach der aktuellen Telefonnummer der Hausarztpraxis diese auf einem Arztbewertungsportal gefunden hat. 5.2.3

Generierung und Ergänzung von hausarztbezogenem Wissen durch Medien

Dieses Teilkapitel hat gezeigt, wie sich der Hausarzt dem Patienten präsentiert und wie sich der Patient Wissen über den Hausarzt und dessen Praxis aneignet. Dieser wechselseitig gestaltete Prozess des Kennenlernens des Hausarztes und der Hausarztpraxis vollzieht sich hauptsächlich im direkten Gespräch zwischen Arzt und Patient. In der direkten Begegnung präsentiert sich der Hausarzt in seiner professionellen Rolle als medizinischer Experte und als Individuum. Die direkte Selbstpräsentation der Hausärzte ist – gemäß den Aussagen der Patienten – insofern wirkungsvoll, als dass der Hausarzt von den Patienten gleichzeitig als Fachmann und als Individuum wahrgenommen wird. Daneben findet die Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen auch medienvermittelt statt. Das hierfür genutzte Spektrum der Medienangebote reicht von Printerzeugnissen und Monitoren innerhalb der Praxis bis hin zur eigenen Website sowie einem Social-Media-Profil. Dabei präsentieren die Hausärzte sich, das Praxisteam, das Leistungsspektrum und das Leitbild ihrer Hausarztpraxis. Außerdem stellen sie organisatorische Eckdaten (wie Kontaktdaten und -zeiten) bereit. Arztbewertungsportale spielen für die Ärzte und für die Patienten eine untergeordnete Rolle für die Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen. Dabei problematisieren die Ärzte, dass die Plattformen augenscheinlich primär von unzufrie-

Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen

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denen Patienten genutzt werden. Die Patienten stellen fest, dass sich Arztbewertungsportale eher für die Wahl eines Facharztes eignen und führen dies unter anderem darauf zurück, dass es nur wenige Bewertungen der Hausärzte gibt und dass ihre Hausärzte die Arztbewertungsportale nicht nutzen, um weiterführende Informationen zu veröffentlichen. Das medienvermittelte Kennenlernen des Hausarztes – sei es über analoge oder digitale Angebote – ergänzt das Wissen über den Hausarzt und den institutionellen Kontext, in dem dieser agiert. So lassen sich über Medien Informationen vermitteln, die im direkten Gespräch aus zeitlichen Gründen nicht transportiert werden können. Patienten erweitern ihre existierenden Wissensbestände durch Hintergrundinformationen zur Praxis (z. B. ihr Leitbild oder die Verteilung von Zuständigkeiten) und zum Hausarzt (z. B. Details zur Ausbildung und Weiterqualifikation). Die medienvermittelte Ergänzung ihres hausarztbezogenen Wissens scheint – aufgrund der dort vorherrschenden Arbeitsteilung und Personalfluktuation – insbesondere für die Patienten von größeren Hausarztpraxen relevant zu sein. Bei der Ergänzung des hausarztbezogenen Wissens kommt den Online-Angeboten – vor allem der Hausarzt-Website – eine besondere Rolle zu. Sie ermöglichen eine orts- und zeitsouveräne Aktualisierung des Hausarztbildes und liefern Einblicke in das Praxisgeschehen außerhalb der direkten Kommunikationssituationen. Dies ist insbesondere dann möglich, wenn die Hausärzte die online präsentierten Informationen stets aktuell halten. Neben der Aktualisierung von Wissen, das sich auf die Person des Hausarztes oder das Praxisteam bezieht, bieten die Online-Angebote stets aktuelle Kontaktinformationen. Darüber hinaus wird über Medien vorläufiges Wissen, das sich auf den Hausarzt bezieht, von potenziellen Patienten generiert. Medien sind Marketing-Tools, um neue Patienten für die Praxis zu gewinnen und neue Patientenbeziehungen aufzubauen. Vor allem jüngere Patienten sowie Patienten, die aufgrund eines Umzugs oder eines Arztwechsels auf der Suche nach einem neuen Hausarzt sind, gewinnen über Medien einen ersten Eindruck von ihrem (potenziellen) Hausarzt. Insgesamt erhöhen gesundheitsbezogene Online-Angebote die zeitliche und örtliche Souveränität der Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen im Vergleich zum direkten Gespräch oder zu analogen Medienangeboten.

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5.3

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

Konstruktion von patientenbezogenem Wissen

Die Arzt-Patient-Beziehung stellt einen langfristigen kommunikativen Prozess des Kennenlernens dar. Im vorausgegangenen Kapitel wurde gezeigt, wie sich Hausärzte ihren Patienten präsentieren und wie sich Patienten Wissen über ihren Hausarzt und dessen Hausarztpraxis aneignen. Gleichermaßen beziehungsrelevant ist, dass sich Patienten ihren Hausärzten darstellen, um diesen zu ermöglichen, sich ein Bild von ihnen zu machen. Dieses Teilkapitel behandelt, wie Patienten sich und ihren Gesundheitszustand dem Hausarzt präsentieren und wie sich die Hausärzte ein Bild von ihren Patienten und deren Befinden machen. Dabei ist besonders, dass das Bild, das Hausärzte von ihrem Gegenüber gewinnen, häufig über Jahre entsteht, weiterentwickelt und modifiziert wird. So stellt etwa die 41-jährige Patientin Louisa Kaufmann fest: „[Der Hausarzt] lernt einen über die Jahre kennen und hat noch andere Hintergrundgedanken, als wenn man sich immer nur kurz sieht und immer andere [Ärzte].“ Die Konstruktion von patientenbezogenem Wissen findet in den untersuchten Hausarztpraxen primär im Zuge der direkten Begegnung zwischen Patienten und deren Hausarzt statt. Hier präsentiert der Patient Informationen zu seinem Befinden sowie persönliche Kontextinformationen zu seinem familiären und beruflichen Umfeld etc. Außerdem beobachtet und interpretiert der Hausarzt die körperlichen Anzeichen des Patienten in der direkten Begegnung. Im Zuge ihrer Selbstpräsentation im direkten Gespräch greifen Patienten vereinzelt auf Medien zurück, die ihre direkte Kommunikation stützen, indem sie den Patienten ermöglichen, ihre Krankheits- oder Therapieverläufe dem Hausarzt gegenüber umfangreich zu belegen und zu visualisieren. Dies geschieht beispielsweise, indem sie handschriftlich oder digital gesundheitsbezogene Daten dokumentieren und dem Hausarzt vorlegen. Zusätzlich wird die Konstruktion patientenbezogenen Wissens im Zuge des persönlichen Gesprächs durch die Patientenakte gestützt, in der patientenbezogene Informationen gespeichert und stetig aktualisiert werden. Die Akte hilft dem Hausarzt bei der Rekonstruktion der Krankengeschichte des Patienten. Wenngleich das direkte Gespräch wesentlich für die Konstruktion von patientenbezogenem Wissen ist, lässt sich die Konstruktion nicht auf Situationen der Ko-Präsenz der Beziehungspartner begrenzen. Wie in den folgenden Abschnitten gezeigt wird, vermitteln Patienten zudem persönliche Infor-

Konstruktion von patientenbezogenem Wissen

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mationen über Formen der wechselseitigen Medienkommunikation (über das Telefon und E-Mail) an den Hausarzt. Außerdem sind teilweise weitere Akteure – zum Beispiel die MFA oder Fachärzte – an der Konstruktion von patientenbezogenem Wissen beteiligt bzw. in den Konstruktionsprozess ‚zwischengeschaltet‘. Die Informationen dieser Akteure vervollständigen das Bild, das der Hausarzt von seinem Patienten hat. Das Gesamtspektrum an Informationen hilft dem Hausarzt bei der Einordnung der Anliegen und Beschwerden seiner Patienten – es trägt damit zur ärztlichen Diagnose und entsprechenden Behandlungshinweisen bei (vgl. Kapitel 5.4). Im Folgenden wird auf Basis des Datenmaterials der vorliegenden Studie illustriert, welche kommunikativen Handlungen von Patienten und Hausärzten dazu beitragen, dass patientenbezogenes Wissen innerhalb der Arzt-Patient-Beziehung entsteht. Dabei wird verdeutlicht, dass Medien dazu beitragen, das patientenbezogene Wissen des Hausarztes und des Patienten zu speichern, zu aktivieren, zu veranschaulichen und zu ergänzen. 5.3.1

Konstruktion von patientenbezogenem Wissen im direkten Gespräch

Die Konstruktion von patientenbezogenem Wissen vollzieht sich größtenteils im Face-to-Face-Gespräch der Beziehungspartner. In der persönlichen Begegnung präsentiert der Patient seinem Arzt zum einen sein Befinden und liefert zum anderen Kontextinformationen, indem der Patient Einblicke in sein privates und berufliches Umfeld gewährt. Dies führt aus Sicht der Hausärzte dazu, dass sie ihr Gegenüber nicht nur in dessen Rolle als Patient kennenlernen, sondern auch persönlich. In der direkten Kommunikation präsentiert sich der Patient seinem Hausarzt verbal und mittels Gesten. Die ärztliche Beobachtung des Patienten und seines körperlichen Erscheinungsbildes ergänzt zudem die Konstruktion von patientenbezogenem Wissen. Mitunter wird die Beschwerdeschilderung der Patienten durch Medien unterstützt, die sie ins direkte Gespräch mitbringen und die zum Beleg oder zur Visualisierung von Krankheits- und Therapieverläufen dienen. Zudem wird die Konstruktion patientenbezogenen Wissens im direkten Gespräch durch den Einsatz von Patientenakten gestützt.

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Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

In den beobachteten Sprechstunden schildern die Patienten ihrem Hausarzt ihr Anliegen und wie es ihnen geht. Sie greifen dabei auf ihren bestehenden Wissensvorrat zurück. Die Schilderung des Anliegens und der Beschwerden ereignen sich vor allem zu Beginn des Arzt-Patient-Gesprächs. Die Anfangsphase ist in der Regel so gestaltet, dass der Hausarzt dem Patienten ermöglicht, sein Anliegen und seinen Gesundheitszustand, also sein Befinden, darzulegen. Erzählgenerierende Fragen des Hausarztes initiieren die Einstiegserzählung des Patienten zumeist, wie „Was ist passiert? Erzählen Sie doch mal!“ (Dr. Lorien), „Was kann ich für Sie tun?“ (Dr. Tenside, Dr. Marthen), „Wie geht es Ihnen?“ (Dr. Tenside, Dr. Logan, Dr. Streep) oder „Was führt Sie zu mir?“ (Dr. Logan). Vereinzelt beginnen die Patienten die Präsentation ihres Anliegens ohne Aufforderung direkt im Anschluss an die Begrüßung. So eröffnet beispielsweise ein Patient der kleinen ländlichen Gemeinschaftspraxis das Arzt-Patient-Gespräch mit den Worten „Herr Doktor, mir geht es nicht so gut!“ Eine weitere Patientin erklärt, direkt nachdem sie ihren Hausarzt begrüßt, dass sie Blasenschmerzen habe und schildert, wie sich die Schmerzen bemerkbar machen und worauf sie die Schmerzen zurückführt. Diese Beispiele deuten bereits an, dass die Patienten unterschiedliche Grade der Proaktivität und Differenziertheit im Zuge der Konstruktion von patientenbezogenem Wissen zeigen. Während einige der Patienten ihr Anliegen nur knapp schildern, verbalisieren andere Patienten bereitwillig und ausführlich – sogar ohne Aufforderung des Arztes – ihr Befinden. Nicht nur zum Beginn der Sprechstunde, sondern auch im weiteren Verlauf der Beschwerdeschilderungen unterscheiden sich die Ausführungen verschiedener Patienten hinsichtlich ihrer Proaktivität und Differenziertheit. Bei einem Teil der beobachteten Patienten beschränken sich die Ausführungen zum Befinden zunächst darauf, kurz zu erwähnen, dass sie „Schmerzen haben“ oder dass es ihnen „nicht gut“ geht. Eine ausführliche Narration rund um das Befinden entsteht in diesen Fällen – wenn überhaupt – erst befördert durch Nachfragen des Hausarztes. So beklagt beispielsweise eine Patientin, dass sie an Durchfall und Übelkeit leide, ohne dies genauer auszuführen. Um mehr Details zur Erkrankung zu ermitteln, fragt die Ärztin daraufhin, welches Erscheinungsbild der Durchfall habe und wie lange es her sei, dass die Patientin die Symptome bemerkte. In diesem Fall erläutert die Patientin die Details ihrer wahrgenommenen Erkrankung auf Nachfrage. Daneben gibt es Patienten, die von sich aus eine umfassende Narration rund um ihr Befinden liefern. Diese umfasst zumeist

Konstruktion von patientenbezogenem Wissen

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Erläuterungen zum Beginn, zur Dauer, zum Verlauf und zur Intensität der erlebten Symptome. So legt beispielsweise ein 45-Jähriger, der an Rückenschmerzen leidet, präzise und detailreich dar, wann seine Beschwerden begonnen haben, wie lange er bereits an Rückenproblemen leidet, wie sich der Schmerz aus seiner Sicht entwickelt hat und bei welchen Bewegungsabläufen der Rücken ihm besonders zu schaffen macht. Während einige Patienten es dabei belassen, ihr Befinden zu beschreiben – sei es in knapper oder ausführlicher Form –, äußern andere Patienten zusätzlich Diagnosevermutungen oder Behandlungshinweise im Zusammenhang mit ihrer Beschwerdeschilderung (vgl. hierzu Kapitel 5.4.1). Die Patienten illustrieren ihre verbalen Beschwerdeschilderungen im direkten Gespräch durch den Einsatz von rhetorischen Mitteln und Gesten. So ließ sich beispielsweise observieren, dass Patienten Metaphern einsetzen, um dem Arzt ein Bild von ihrem Befinden zu geben. Eine 87-jährige Patientin mit beginnendem demenziellen Syndrom beschreibt beispielsweise, dass ihr Gedächtnis zunehmend „ausradiert“ werde und sie somit vielen Blumen keine Namen mehr zuordnen könne. Ein 50-jähriger Mann mit Kniebeschwerden beklagt, dass es den Anschein habe, er würde sich „wie ein Opa“ bewegen. Neben den rhetorischen Mitteln setzen Patienten Gesten ein, um ihre Schmerzen zu lokalisieren oder ihre sprachliche Beschreibung zu visualisieren. So verortet eine Patientin beispielsweise ihre Schmerzen im Gesichtsbereich, indem sie mit ihren Fingern eine halbrunde Fläche unterhalb des eigenen Auges umkreist. Gleichermaßen deutet ein anderer Patient mit seinen Händen auf die Stelle, an der ihn seine Rückenschmerzen am meisten belasten. Ähnlich zeigt eine Patientin auf ihren Hals, wo ihrer Meinung nach die Tabletten, die sie einnehmen muss, immer stecken bleiben. Schließlich verbildlicht ein weiterer Patient die Konsistenz von Schleim durch eine Handbewegung, indem er seine Hände erst an den Fingerspritzen verbindet und dann langsam auseinanderzieht. Nicht nur die sprachlichen und parasprachlichen Schilderungen des Patienten tragen dazu bei, dass der Hausarzt diesen kennenlernt. Vielmehr können das gesamte Auftreten und der gesamte Körper des Patienten ‚Informationsträger‘ für den Hausarzt sein. Der Hausarzt kann bestimmte körperliche (An-)Zeichen, die auf den Gesundheitszustand des Patienten verweisen, ‚lesen‘ und ‚deuten‘. Die Haltung und die Sprache des Körpers ergänzen somit die verbale Selbstdarstellung des

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Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

Patienten. Demgemäß unterstreichen alle befragten Ärzte die Bedeutung der visuellen Wahrnehmung des Patienten für die Wissensaneignung. Körperhaltung und -sprache sind aus ärztlicher Perspektive wichtige Indikatoren, um den Gesundheitszustand einordnen zu können. Exemplarisch äußert Dr. Tenside: „Ich finde, man muss den Patienten sehen. Und oft, wenn ich einen Patienten sehe, dann sehe ich erstmal ‚Oh, der ist jetzt richtig schwer krank‘“ (Dr. Tenside). Mitunter genügt den Ärzten bereits der erste Blick und sie erkennen „schon am Gangbild, wenn sie reinkommen, wenn sie sich hinsetzen, wenn wir die ersten Worte wechseln, was eigentlich los ist“ (Dr. Marthen). So ließ sich beispielsweise in der kleinen ländlichen Gemeinschaftspraxis in Wolkenheim beobachten, dass eine Patientin, die eine Wunde am Bein hat, von ihrem Arzt mit den Worten begrüßt wird: „Ich sehe, Sie haben eine Verletzung am Bein.“ Die körperliche Beschwerde der Patientin wurde in diesem Fall ‚auf den ersten Blick‘ erkannt. Die Beobachtung von körperlichen Anzeichen einer Beschwerde kann auch im Rahmen einer körperlichen Untersuchung erfolgen. 90 Dem Mediziner stehen im Zuge des direkten Arzt-Patient-Kontakts unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung, den gegenwärtigen Gesundheitszustand seines Patienten wahrzunehmen: „[A]lso [dazu] gehört das Gespräch, es gehört das Sich-Sehen [dazu], die Körpersprache, das alles [kann] beim unmittelbaren Kontakt [wahrgenommen werden]“ (Dr. Logan). Besonders anschaulich beschreibt Dr. Lorien die holistische Aneignung von patientenbezogenem Wissen über verschiedene Sinneskanäle: Zuerst bin ich mal ein Sammelsurium, also ich sammle einfach mal Informationen: visuell, taktil und auditiv. Diese Informationen werden gesammelt und dann gefiltert und dann kommt irgendwie was raus, also entweder Diagnose oder einfach ein klärendes Gespräch. (Dr. Lorien)

90

Im Zuge der körperlichen Untersuchung kommen häufig Messinstrumente zum Einsatz, wie das Stethoskop, das Ultraschallgerät oder Instrumentarien zur Blutanalyse. Diese medizinischen ‚Werkzeuge‘ erweitern die Sinneswahrnehmungen des Arztes und lassen sich insofern als technische Medien begreifen, als sie – basierend auf bestimmten technischen Konstruktionsprinzipien, die wiederum spezialisiertes Körperwissen beinhalten – Zeichen produzieren, die von den Ärzten gedeutet werden können. So macht beispielsweise ein Ultraschallgerät innere Organe für den Arzt sichtbar und ein Stethoskop macht Körpergeräusche hör- und verstehbar. Auf die Rolle medizinischer Apparate als wissensbasierte Produzenten von Zeichen kann in der vorliegenden Studie nicht weiter eingegangen werden. (vgl. hierzu Schubert 2006, 2011)

Konstruktion von patientenbezogenem Wissen

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Nicht nur die Ärzte betonen den hohen Stellenwert des direkten und unmittelbaren Kontakts, ebenso haben viele Patienten die Erfahrung gemacht, dass die direkte Begegnung und vor allem die visuelle Wahrnehmung der Beschwerden durch den Arzt wichtig sind. Lucy Jakobs (32) hält exemplarisch fest: „[D]ieses Auge zu Auge“ ermögliche ihrer Hausärztin, „[durch einen Blick] mehreres zu erkennen“. Während der Sprechstunde präsentiert der Patient nicht nur sein Befinden, sondern gibt seinem Hausarzt Einblicke in sein familiäres, häusliches und berufliches Umfeld – er liefert also Kontextinformationen, die über seinen Gesundheitszustand hinausgehen. Dies führt aus Perspektive der Patienten dazu, dass der Hausarzt „auch das Drumherum“ (Nora Nowak (33)) und die „Hintergründe“ (Nele Hoppe (24)) kennt. Desgleichen tragen diese Informationen zum Umfeld des Patienten aus der Perspektive der Hausärzte zum ‚besseren Kennen‘ des Gegenübers bei und helfen den Ärzten dabei, die Beschwerden des Patienten einzuordnen sowie die darauf aufbauende Diagnose zu nennen und über die Therapie zu entscheiden (vgl. Kapitel 5.4). Im Arzt-Patient-Gespräch, vor allem im Rahmen von Smalltalk, vermitteln Patienten ihren Hausärzten Informationen zu den „ganzen familiären Strukturen“ sowie den „ganzen Konflikte[n]“ (Dr. Streep). In zahlreichen Sprechstunden ließ sich so beobachten, wie Patienten über ihr persönliches Umfeld (wie Familienmitglieder, Freunde, Arbeitskollegen) oder private Themen (wie Arbeitsbelastung und Freizeitaktivitäten) sprechen, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang zum Anlass des Arztbesuchs stehen. Dementsprechend berichtet eine junge Patientin beispielhaft im Interview, dass sie über „persönliche Dinge“ mit ihrer Hausärztin spricht: „[Z]um Beispiel beim letzten Mal, als ich hier war, haben wir, glaub ich, zehn Minuten lang oder so einfach nur darüber geredet, was ich jetzt als Nächstes mache, dass ich nach Amerika gehe“ (Chloe Wagner (18)). Darüber hinaus führen die Patienten an, dass sie mit ihrem Arzt nicht nur über sich sprechen können, sondern auch über andere – z. B. über Familienangehörige. So formuliert Laura Ott (27), dass sie ihrer Ärztin gegenüber auch Dinge äußert, die „einen nicht unbedingt selbst [betreffen]“. Einige der befragten Patienten bilanzieren, dass sie von ihren Hausärzten den Raum erhalten, sich im Ganzen zu präsentieren. In der Hausarztpraxis werde „halt komplett auf einen eingegangen“ (Laura Ott (27)). Demgemäß sehen sich die befragten Ärzte

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Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

in der Rolle des Ansprechpartners „in fast allen Lebenslagen“ (Dr. Tenside). So erläutert die Ärztin mit der ländlichen Einzelpraxis: [W]ir versuchen unsere Patienten wirklich rundum zu versorgen in fast allen Lebenslagen. […] Also so dieses Rundum-sorglos-Paket für die Patienten, eben ein guter Hausarzt sein. Was dazu führt, dass sie auch mit allen möglichen Lebensfragen zu einem kommen, ja, nicht nur mit Gesundheitsfragen. (Dr. Tenside)

Aus der Perspektive der Ärzte führen die vom Patienten gelieferten Kontextinformationen dazu, dass „man die Leute persönlich gut kennt“, wie Dr. Marthen hervorhebt. Die interviewten Hausärzte geben an, dass sie den Patienten im Laufe der Jahre so gut kennenlernen, dass vieles gar nicht mehr erfragt werden muss: „Also das wir im Grunde genommen gar nicht viel fragen müssen, sondern wir wissen es ja, weil wir sie begleitet haben. Und das macht unglaublich viel Bindung“ (Dr. Streep). Die Hausärzte können auf einen Wissensvorrat zurückgreifen, den sie im Laufe der Beziehung zu ihren Patienten aufgebaut haben. Den Patienten zufolge führt das umfassende Wahrgenommenwerden durch den Hausarzt, das sowohl Informationen zum Befinden als auch Kontextinformationen umfasst, dazu, dass der Arzt „einen in und auswendig kennt“ (Marina Seifert (52)). In der Konsequenz bemerkt der Arzt sogar Dinge, die der Patient nicht zur Sprache bringt oder bewusst zurückhält: Das Gegenübersitzen, dass er einen einfach mal abhört oder dass er mal ‒ ja, ein guter Arzt merkt ja schon, ob da noch irgendwas anderes im Hintergrund ist. Ob da der Patient vielleicht noch nicht mit allem rausrückt oder so ‒ das merkt man ja im persönlichen Gespräch. (Anton Achtermann (39))

Mediengestützte Konstruktion von patientenbezogenem Wissen im direkten Gespräch Medien stützen die Konstruktion von patientenbezogenem Wissen im direkten ArztPatient-Gespräch. Patienten speichern selbstbezogenes Wissen handschriftlich und digital – letzteres manuell oder automatisch – in Dokumenten, die sie im direkten Arzt-Patient-Gespräch präsentieren, um ihr Befinden präzise darzulegen. Diese Dokumente unterstützen sie bei ihrer Selbstpräsentation, sie veranschaulichen dem Hausarzt die Entwicklung des Befindens und belegen das Befolgen von

Konstruktion von patientenbezogenem Wissen

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Therapiemaßnahmen. Zugleich dienen die Dokumente dem Patienten als Erinnerungshilfe und unterstützen ihn dabei, sein Befinden möglichst genau verbal zu schildern. Diese Dokumente dienen dementsprechend der Aktivierung ihres selbstbezogenen Wissens und komplementieren somit die direkte Konstruktion von patientenbezogenem Wissen. Zu den Dokumenten zählen etwa handschriftlich ausgefüllte (analoge) Diabetestagebücher. 91 So beschreibt eine Patientin: „Ich habe mein Zuckergerät zu Hause […] und dann habe ich so ein kleines Büchlein und da trag ich das immer halt ein“ (Anne Eilers (55)). Andere Patienten fertigen Dokumente digital an, wie beispielsweise Excel-Ernährungstabellen, und drucken sie dann für die Sprechstunde aus. Ferner gehören Fotografien zu den Dokumenten, die Patienten – entweder ausgedruckt oder digital – in die Sprechstunden einbringen. Außerdem erzeugen mobile Applikationen (wie z. B. eine Bluthochdruck-App) patientenbezogene Daten automatisch, die die Patienten wiederum ihren Ärzten auf ihren Smartphones im direkten Arzt-Patient-Gespräch präsentieren. In der vorliegenden Studie setzen insbesondere Diabetespatienten, Patienten mit Bluthochdruck und Patienten mit krankhaftem Über- oder Untergewicht Medien ein, um ihr Befinden im Arzt-Patient-Gespräch präzise darzulegen. Zumeist werden diese Patienten explizit von ihren Hausärzten zur Dokumentation der entsprechenden Daten angehalten. So ließ sich mehrfach beobachten, dass Ärzte beispielsweise vorgedruckte Diabeteshefte verteilen oder den Patienten schildern, welche Daten sie im Zuge einer Ernährungsumstellung aufzeichnen sollen. Dass diese Beobachtungen keine Ausnahmesituationen darstellen, erklärt die auf Ernährungsmedizin spezialisierte Hausärztin. Sie motiviert ihre adipösen Patienten dazu, Ernährungstagebücher zu erstellen, und zwar folgendermaßen: Also ich habe die Angewohnheit, dass bei Ernährungsberatungen die Leute fast immer die Hausaufgabe bekommen, ein Tagebuch zu schreiben […] und ich kriege es ganz oft in Papierform, also richtig so ein Schulheft […], sehr schön

91

Zu den aufgezeichneten Daten in Diabetestagebüchern zählen beispielsweise die Blutzuckerwerte, die Kohlenhydrateinheiten und die Insulindosis im Tagesverlauf (in Zusammenhang mit den Mahlzeiten). In Ernährungstagebüchern werden zum Beispiel das Gewicht, die Mahlzeiten und Getränke oder der Stuhlgang festgehalten. Die spezifischen vorgedruckten Diabetestagebücher unterscheiden sich je nach Diabetes-Typ (Typ 1/Typ 2) und Behandlung (ohne Insulin, mit Insulin, mit Normalinsulin und Bluthochdruck etc.).

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Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

geschrieben […], ich habe auch so dicke Ordner von jemandem, den ich seit Ewigkeiten betreue. (Dr. Logan)

Auch bei Krankheiten, die der Arzt im Zuge des Arzt-Patient-Gesprächs noch nicht abschließend zuordnet, ließ sich der Auftrag zur Protokollierung beobachten. Bei einer jungen Patientin in der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen konnte beispielsweise während der Sprechstunde mittels des Gesprächs und der körperlichen Untersuchung nicht geklärt werden, wodurch ihre Kopfschmerzen verursacht werden. Die Ärztin forderte die Patientin auf, ein ‚Kopfschmerztagebuch‘ zu führen, indem diese niederlegen sollte, in welchen Situationen, mit welcher Intensität, Dauer etc. die Kopfschmerzen auftreten. Die (auf Anweisung von Ärzten hin) protokollierten Daten können wiederum eine Gesprächsgrundlage der (nächsten) Begegnung sein – sie unterstützen die Konstruktion von patientenbezogenem Wissen. Demgemäß konnte die Forscherin mehrmals mitverfolgen, wie Diabetiker ihre handschriftlich ausgefüllten Diabeteshefte dem Hausarzt vorzeigen und besprechen. Ein Patient in der kleinstädtischen Gemeinschaftspraxis in Flügeltal, der durch eine Ernährungsumstellung in kurzer Zeit bereits vier Kilo abgenommen hat, präsentiert seiner Hausärztin sein akribisch geführtes Ernährungstagebuch, in dem er einzelne Speisen und sein Körpergewicht detailliert festgehalten hat. Bei den Mahlzeiten gibt er beispielsweise die konkrete Anzahl der Kroketten an, die er zu sich genommen hat. Auf ähnliche Art und Weise konnte während der Feldaufenthalte vereinzelt in den Sprechstunden festgestellt werden, dass Patienten – beispielsweise im Zuge einer Ernährungsumstellung – digital erstellte und ausgedruckte Skalen oder (Excel-)Tabellen zum Gespräch mit ihrem Hausarzt mitbringen, um anhand dieser Skalen oder Tabellen die Entwicklung ihrer Krankheit zu veranschaulichen. Neben den schriftlichen Dokumenten bringen Patienten Bildmaterial in die Sprechstunde, um ihr Anliegen darzulegen. Es konnte zum Beispiel observiert werden, dass ein Patient in der kleinstädtischen Gemeinschaftspraxis in Flügeltal der Hausärztin ein Foto seines defekten Diabetesgeräts auf seinem Smartphone zeigte, um darauf hinzuweisen, dass dieses Instrument ausgetauscht werden müsse. Die befragten Ärzte berichten von weiteren Sprechstundensituationen, in denen die Patienten den Verlauf ihrer Krankheit mittels Fotos präsentierten. Aus Sicht der Ärzte unterstützt dies die mündliche Beschreibung der Patienten, wie Dr. Logan stellvertretend beschreibt:

Konstruktion von patientenbezogenem Wissen

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[E]s kommt ja zum Beispiel mal vor, dass Patienten mit dem Smartphone kommen und sagen „Gucken Sie mal an, so habe ich gestern ausgesehen“. […] [E]in Ausschlag oder er hat eine Reaktion, die nur ab und zu mal auftaucht und er hat dann plötzlich eine einseitige Schwellung im Gesicht, sowas gibt es [...] und da sagt er „Das habe ich gestern erstmals gehabt, gucken Sie das mal an, was ist das denn?“ […]. Das find ich dann klasse, dass die das fotografiert haben, weil, wenn sie dann kommen und das beschreiben, kann man es vielleicht vermuten, aber dann gibt es da ein Foto […]. (Dr. Logan)

Darüber hinaus präsentieren Patienten gesundheitsbezogene Werte in der Sprechstunde, die mittels einer App automatisch erfasst und aufbereitet werden, um den Verlauf ihrer Krankheit aufzuzeigen. Demgemäß berichtet eine Bluthochdruckpatientin, dass sie über einen längeren Zeitraum eine Blutdruck-App genutzt habe, um ihre Werte regelmäßig und automatisch zu dokumentieren und die Ergebnisse dann ihrer Hausärztin zurückzukoppeln: Ich habe die App mitgenommen, hab das Frau Doktor gezeigt, die fand das natürlich ganz toll und hat gesagt „Oh, super, Sie gucken zu Hause“. Und wir haben dann nochmal geguckt, ob mein Gerät denn auch wie ihr Gerät ist, aber irgendwie haut das nicht […] hin. Ich habe die Minute, bevor Frau Doktor gemessen hat, bei mir gemessen und […] es kamen zwei unterschiedliche Ergebnisse raus […]. Meins zeigte negativ, […] dass der Blutdruck nicht so gut ist, und was Frau Doktor gemessen hat, zeigte an, er war besser. (Frederike Neumann (47))

Re-Konstruktion von patientenbezogenem Wissen durch die Patientenakte Neben den Medien, die von den Patienten in die Sprechstunde mitgebracht werden und die der Illustration und dem Beleg ihrer verbalen Schilderungen dienen, stützt die Patientenakte die kommunikative Konstruktion von patientenbezogenem Wissen im direkten Arzt-Patient-Gespräch. So konnte in allen Hausarztpraxen beobachtet werden, dass die Hausärzte zur Re-Konstruktion der Krankengeschichte der Patienten die analoge Patientenakte ‒ in der ländlichen Einzelpraxis in Garihausen ‒ oder die digitale Patientenakte ‒ in den anderen vier Praxen ‒ zu Rate ziehen. Sie macht – als „repräsentative Darstellung von Körper und Krankheit des Patienten“ (Manzei 2011: 207) – dem Hausarzt in der direkten Begegnung mit seinem Patienten ‚neues‘ und ‚altes‘ Wissen zugänglich.

192

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

[Die Patientenakte] enthält alle für den Behandlungsablauf relevanten medizinischen, biografischen, psychosozialen und administrativ-organisatorischen Daten, angefangen von der Eingangsdiagnose, der Anamnese, den Vitalzeichen und der medizinischen Diagnostik über die Familienverhältnisse und ggf. die Betreuungssituation zu Hause bis hin zu den genauen Versicherungsdaten. (ebd.)

Die Patientenakte hilft dem Hausarzt dabei, sein patientenbezogenes Wissen im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang des Kontakts zu aktualisieren, zu erweitern und bestehendes Wissen zu reaktivieren. Der Patientenakte kommt insbesondere eine wichtige Erinnerungsfunktion zu, da das patientenbezogene Wissen der Hausärzte nicht immer sofort präsent ist – schon alleine aufgrund der großen Zahl an Patientenkontakten pro Quartal. Die hausärztliche Rezeption der Patientenakte kennzeichnen zahlreiche Phasen der persönlichen Begegnung. Erstens nutzen die Hausärzte die Patientenakte zu Beginn der Sprechstunde, um das Anliegen des Patienten in die Krankengeschichte einzuordnen und an die letzte Begegnung anzuknüpfen. Demgemäß konnte beobachtet werden, dass Dr. Logan an das zuletzt erfolgte Gespräch mit ihrem Patienten anknüpft, indem sie dem Patienten eine Notiz aus der Patientenakte referiert, in der vermerkt ist, dass der Patient seinen Impfpass nachliefern sollte. Sie fragt, ob er diesen mitgebracht habe. Zweitens ziehen die Hausärzte die Patientenakte zu Rate, wenn es um die Besprechung von Laborbefunden geht. Aktuelle und frühere Befunde sind nämlich in der Patientenakte hinterlegt, können aufgerufen bzw. aufgeschlagen und diskutiert werden. Drittens wird die Patientenakte rezipiert, um die abschließende Medikation zu klären. So prüfen Hausärzte, welche Medikamente in der Vergangenheit verschrieben wurden, um einem möglichen Medikamentenmissbrauch vorzubeugen oder um die Wirksamkeit bereits verschriebener Medikamente zu verifizieren. Dr. Tenside liest beispielsweise die Liste der bisher verordneten Medikamente vor, während sie mit dem Patienten die Medikation aushandelt. Sie bespricht die Verträglichkeit und die Effektivität der Medikamente mit dem Patienten, um die aktuell anstehende Therapie festzulegen. Die Hausärzte charakterisieren vor allem die digitale Patientenakte in diesem Zusammenhang als „praktisch“ zur Rekonstruktion der Krankengeschichte. Die digitale Patientenakte gewährleistet, dass sämtliche Daten und Befunde der Patienten von jedem Rechnerarbeitsplatz aus abgerufen werden können. In der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen, in der es täglich feste Zeit-Slots für

Konstruktion von patientenbezogenem Wissen

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Akutsprechstunden gibt, kommt es vor, dass die Patienten von unterschiedlichen Praxiskollegen behandelt werden. In diesen Fällen spielen die Patientenakte und die Kommentare zum Patienten im PMS noch einmal eine besondere Rolle. So äußert Dr. Streep: Ich muss mich natürlich informieren, weil wir mittlerweile ein System haben, dass wir auch Patienten haben, die gerade von einem anderen Kollegen behandelt wurden, da muss ich ja schauen, was ist da gewesen, um an die Krankengeschichte anzuknüpfen. (Dr. Streep)

Den Nutzen der Patientenakte zur Rekonstruktion der patientenbezogenen Informationen hebt ein Patient aus der großen Gemeinschaftspraxis hervor: [W]enn jetzt Frau [Dr. Streep] vielleicht gerade nicht da ist, [haben] die anderen Ärzte, die einen behandeln, ja auch dann auf meine Krankenakte Zugriff […]. [W]enn sie jetzt alleine wäre, eine Praxis hätte, ich zu einem wildfremden Arzt müsste, der dann von Tuten und Blasen meiner Krankheit überhaupt keine Ahnung hat. Das ist für mich halt auch gut, dass es eine Gemeinschaftspraxis ist. […] [D]ass sie eben darüber informiert wird wieder. (Laura Ott (27))

Bei der Betrachtung der Pflege der Patientenakte zeigt sich, dass häufig bereits im Zuge der (medienvermittelten) Terminvereinbarung oder der Begrüßung am Empfang erste Notizen zum Gesundheitszustand oder zum Versichertenstatus der Patienten von den MFA für den Hausarzt in der (analogen oder digitalen) Patientenakte hinterlegt werden. Weitere Aktualisierungen nimmt der Hausarzt sowohl während als auch außerhalb des Arzt-Patient-Gesprächs vor. Teilweise fertigt er Notizen zum Patienten am Anfang der Sprechstunde an, während der Patient sein Anliegen schildert, und ergänzt am Ende der Sprechstunde oder danach die Patientenakte dann um die übermittelten Behandlungshinweise. In der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen erfolgt die Dokumentation der patientenbezogenen Informationen nicht nur handschriftlich oder über Tastatureingaben, sondern darüber hinaus mithilfe von Spracherkennungssoftware (Voice-to-Text). Ferner werden in den untersuchten Hausarztpraxen Laborbefunde oder Ultraschallbilder direkt von den Hausärzten oder von den MFA in die Patientenakten eingepflegt. In der städtischen Gemeinschaftspraxis in Überfurcht und der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen verfügt das Ultraschallgerät über eine Schnittstelle zum PMS – so können der entsprechenden elektronischen Akte Ultraschallbilder direkt hinzugefügt werden. Dies ermöglicht eine automatische

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Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

Synchronisation und Speicherung der Untersuchungsergebnisse. Auch die Ergebnisse von Fachärzten (wie beispielsweise die Facharztbriefe) werden in das System eingepflegt und vervollständigen so das Bild von dem Patienten (vgl. zum Beitrag von Fachärzten an der Konstruktion von patientenbezogenem Wissen Kapitel 5.3.2). Komplementiert wird die Patientenakte um patientenbezogene Daten, die von den Patienten selbst dokumentiert werden. Diese werden in das Arzt-PatientGespräch mitgebracht (siehe vorheriger Abschnitt), dem Hausarzt per Post geschickt oder elektronisch übermittelt. Die von Patienten angefertigten Dokumente werden in Gänze oder auszugsweise von den Hausärzten oder den MFA in die Patientenakte übertragen. 5.3.2

Medienvermittelte Konstruktion von patientenbezogenem Wissen

Das Datenmaterial vorliegender Studie zeigt, dass die Konstruktion von patientenbezogenem Wissen primär im direkten Arzt-Patient-Gespräch erfolgt. Darüber hinaus wird sie ergänzt durch wechselseitige Medienkommunikation, die hauptsächlich telefonisch, über das Faxgerät und vereinzelt via E-Mail stattfindet. Zum Teil werden patientenbezogene Informationen dem Arzt dabei indirekt übermittelt, und zwar über die MFA oder Fachärzte. Medienvermittelte Konstruktion von patientenbezogenem Wissen im Vorfeld des direkten Arzt-Patient-Gesprächs Die medienvermittelte Konstruktion von patientenbezogenem Wissen steht in den beobachteten Hausarztpraxen zumeist in einem direkten Zusammenhang zu einer erfolgenden persönlichen Begegnung. Sie ermöglicht den Patienten, ihren Hausärzten erste Informationen zu ihrem Anliegen und ihrem gesundheitlichen Status bereits vor dem direkten Face-to-Face-Kontakt zu liefern. Schon im Zuge der Mikro-Koordination (siehe Kapitel 5.1) bei der telefonischen Terminanfrage oder der Registrierung der Patienten am Empfang kommuniziert der Patient erste Informationen zum Anlass des Besuchs, die die MFA schriftlich festhält. Wenngleich die Mediziner an diesen kommunikativen Handlungen nicht direkt teilnehmen, übermittelt ihnen die MFA die dokumentierten patientenbezogenen Informationen. Zu den Informationen zählen neben dem gesundheitsbezogenen Anlass des

Konstruktion von patientenbezogenem Wissen

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Praxisbesuchs (z. B. erhalten die Ärzte die Information, dass ihr Patient wegen einer Erkältung die Praxis aufsucht) Informationen zur Terminvereinbarung (z. B. ob eine Terminvereinbarung im Vorfeld stattgefunden hat oder ob es sich um ein akutes Anliegen handelt) oder Informationen zum Versichertenstatus (z. B. private oder kassenärztliche Versicherung). Zum Teil erfolgt die Übermittlung der patientenbezogenen Informationen vom Empfangspersonal an den Hausarzt direkt über ein Gespräch zwischen MFA und Mediziner am Empfang. In diesen Fällen fungiert der Empfangstresen als ‚Kommunikations-Hotspot‘, an dem sich neben Patient und Mitarbeiterin auch Mitarbeiterin und Arzt treffen. Hier wird der Arzt in Bezug auf die Patienten auf den neuesten Stand gebracht. Weitaus häufiger lässt sich in den untersuchten Praxen jedoch eine geräuschlose Kommunikation über Notizzettel oder das PMS beobachten. In der ländlichen Einzelpraxis in Garihausen, in der nicht jeder Behandlungsraum mit einem PC ausgestattet ist, findet die Kommunikation zwischen MFA und Hausarzt papierbasiert statt. Diese lässt sich als ‚Klebezettel-Kommunikation‘ beschreiben. Hier werden farblich divergierende Notizzettel genutzt, um dem Arzt bestimmte Informationen zum Patienten zukommen zu lassen. Ein blauer Notizzettel steht zum Beispiel für einen Patienten ohne Termin, ein weißer Zettel enthält kurze Informationen zum Anlass des Arztbesuchs (z. B. die Besprechung eines EKG-Befunds). In den anderen vier Praxen wird für die Übermittlung in erster Linie das PMS eingesetzt. Dabei finden vor allem Funktionen wie die ‚Warteliste‘ und der ‚Terminplan‘ Anwendung. Hier können die Ärzte die Reihenfolge der Patienten einsehen und den Kommentaren der MFA zudem den vom Patienten kommunizierten Anlass des Arztbesuchs (wie z. B. „grippig“) entnehmen. Auch weitere personenbezogene Informationen (z. B. „keine Versichertenkarte“) vermerken die MFA im PMS. Das PMS ermöglicht dem Arzt somit, nicht nur einen guten Überblick über die Anzahl der wartenden Patienten zu erhalten, sondern setzt ihn auch über die unterschiedlichen Anliegen der Patienten in Kenntnis. Dadurch unterstützt es ihn bei der Führung der Gespräche (vgl. Kapitel 5.3.1) und bei der Festlegung der Reihenfolge, in der die Patientengespräche stattfinden. Die Reihenfolge kann der Arzt auf Basis der verfügbaren Patienteninformationen modifizieren, wie Dr. Logan beschreibt: Also ich kann sehen, wer wartet. […] Und es steht dahinter, warum er kommt, hat er einen Termin, ich kann sehen, ist es ein Terminpatient oder ist er ohne

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Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

Termin? […] [U]nd dann steht dahinter noch „Kommt zum Check“ oder „ReiseImpfung“ oder „Halsschmerzen“ oder was. (Dr. Logan)

Wichtig ist an dieser Stelle anzumerken, dass in Notfällen, in denen der Patient direkt beim Eintreffen in der Praxis ärztliche Unterstützung benötigt, die MFA das Telefon oder die direkte Kommunikation verwendet, um den Arzt unmittelbar über die Dringlichkeit zu informieren. In solchen Fällen spielt die schriftliche Informationsdokumentation und -vermittlung keine Rolle – sei sie papierbasiert oder elektronisch. Es gehört praxisübergreifend zum Standard, dass in Vorbereitung der Face-toFace-Sprechstunde erste Informationen zum Befinden über Medien an die Hausarztpraxis vermittelt werden. Es konnten nur wenige Situationen beobachtet werden, in denen die Beschwerdeschilderung des Patienten – über diese ersten Informationen hinaus – in größerem Umfang telefonisch erfolgte. Eine Begründung hierfür ist, dass sich die Patienten – wie bereits beschrieben – eine visuelle Begutachtung und körperliche Untersuchung durch den Hausarzt wünschen (vgl. Kapitel 5.3.1). Eine weitere Begründung liefert in diesem Zusammenhang ein Patient, der darauf verweist, dass er sich im Zuge eines Telefonats – anders als im direkten Gespräch – seinem Hausarzt gegenüber nicht öffnen kann: [A]lso ich finde das sind […] Sachen, die man eigentlich von Auge zu Auge besprechen sollte. Man hat da nicht so den Kontakt zu seinem Arzt, denke ich. […] Ja der Kontakt kommt ja im Prinzip nur zustande, wenn man hier ist eigentlich. Also am Telefon rede ich auch gar nicht so gerne über meine Probleme oder was ich habe irgendwie. Und das mache ich eigentlich immer hier. (Justus Breuer (45))

Demgemäß hebt eine weitere Patientin hervor, „der beste Weg ist immer zum Arzt, wo man dem […] [etwas über das Befinden] erzählen kann“ (Anne Eilers (55)). Obwohl die meisten der befragten Patienten ausdrücklich betonen, dass sie bei gesundheitlichen Beschwerden das direkte Gespräch mit ihrem Hausarzt bevorzugen, gibt es auch Patienten, die – zumindest in bestimmten Situationen – versuchen, den direkten Arztkontakt zu umgehen und stattdessen lieber auf den medienvermittelten Kontakt setzen. Die Hausärztin der großen Gemeinschaftspraxis, Dr. Streep, erzählt, dass sie bereits die Erfahrung gemacht habe, dass ihr Patienten personenbezogene Informationen in Form von Fotografien über das Mobiltelefon zukommen ließen. Dies kommentiert sie folgendermaßen:

Konstruktion von patientenbezogenem Wissen

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Ich finde ganz witzig, dass manche Patienten versuchen, den persönlichen Kontakt zu umgehen, indem sie mir dann zum Beispiel ein Foto schicken von ihren eitrigen Mandeln und fragen, ob sie jetzt ein Antibiotikum brauchen und welches. (Dr. Streep)

Bereits die Rechtslage, die eine medienvermittelte Diagnose und Behandlung untersagt, solange kein persönlicher Kontakt stattgefunden hat, führte dazu, dass die Ärztin ihre Patienten dazu auffordert, sie in ihrer Praxis aufzusuchen. Die Konstruktion von patientenbezogenem Wissen via E-Mail konnte ebenfalls in vorliegender Studie rekonstruiert werden. So berichtet beispielsweise Dr. Logan von Patienten, die ihr im Zuge einer laufenden Ernährungsumstellung via E-Mail ungeordnete Notizen oder akribisch geführte Tabellen übermittelten, die ihre tägliche Ernährung dokumentieren: „Es gibt welche, die machen das praktisch fast wie so eine Excel-Tabelle […] oder benutzen vorgefertigte Geschichten […], die man im Internet sich runterladen kann und füllen die aus und mailen mir das.“ Die zugeschickten Dokumente werden dann wiederum in der nächsten Sitzung besprochen. Medienvermittelte Konstruktion von patientenbezogenem Wissen durch Fachärzte Bei der Konstruktion von patientenbezogenem Wissen – die primär im direkten Arzt-Patient-Gespräch erfolgt und durch medienvermittelte Kommunikation (im Vorfeld eines Arztbesuchs) komplementiert wird – leisten schließlich auch Fachärzte einen konstruktiven Beitrag. Dieser Zusammenhang rührt daher, dass dem Hausarzt die Rolle eines ‚Gatekeepers‘ zukommt, der „den Patienten durch das Gesundheitswesen lotsen bzw. die Eingangspforte bewachen“ (Linden et al. 2004: 2600) soll. Ihm stellt sich die Aufgabe, ein gesundheitsbezogenes Gesamtbild seines Beziehungspartners zu entwickeln und nicht nur Auszüge der Krankengeschichte zu kennen. Dieses auf die Gesundheit des Beziehungspartners bezogene Gesamtbild generiert der Arzt nicht nur durch das persönliche Gespräch und die eigenhändig durchgeführte körperliche Untersuchung, sondern auch über medizinische Befunde und Berichte von Fachärzten. Die Konstruktion von Wissen über Fachärzte verläuft nahezu ausschließlich medienvermittelt. Alle befragten Hausärzte betonen, dass für die Aneignung von patientenbezogenem Wissen, das sie von Fachärzten beziehen, das Faxgerät eine zentrale Rolle spielt. So schildert

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Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

Dr. Lorien paradigmatisch: „Fax haben wir auch noch, also mit dem Fax noch vom Kollegen, da werden Befunde übermittelt.“ Ebenso erklärt Dr. Marthen, dass die Berichterstattung von dem Pflegepersonal in Altersheimen, die einige seiner Patienten betreuen, häufig über das Fax abläuft. Er erläutert, dass das Fax für medizinische Kollegen einen alternativen Zugangsweg zur Praxis darstellt – vor allem vor dem Hintergrund der durchgängig praktizierten Mikro-Koordination und dem daraus resultierenden ‚erschwerten Durchkommen‘ via Telefon: [A]uch von den Altersheimen […] habe ich eigentlich regelmäßig Anfragen, das geht auch sehr gut per Fax […], weil die natürlich auch nicht in dieser Warteschleife tagsüber warten wollen, sondern dann auch irgendwann […] die Information loswerden wollen und per Fax anfragen. (Dr. Marthen)

Ebenso betont Dr. Logan, dass das Faxgerät dem Pflegepersonal eine zeitunabhängige Übermittlug von patientenbezogenen Informationen ermöglicht, und zwar sowohl „[i]n der Nacht vom Nachtdienst […] [als auch] morgens von der Frühschicht“ (Dr. Logan). Die Ärzte werden so zeitnah auf dem Laufenden gehalten und bei Bedarf um das Aufsuchen des Patienten gebeten. Dies veranschaulicht Dr. Logan anhand folgender Beispiele: Also da wird geschrieben: „Frau Sowieso hat Fieber, Frau Sowieso hat seit fünf Tagen nicht abgeführt […], Frau Sowieso hat einen Riss in der Analfalte, bitte um ärztliche Verordnung.“ Das steht dann meistens drauf „Bitte um ärztliche Verordnung“, aber ich kann natürlich fast nie eine ärztliche Verordnung machen, ohne dann den Patienten gesehen zu haben. Ja, gerade, wenn es um eine Wundversorgung geht […], also dann bedeutet das, dass ich auf das Fax schreibe „Ich komme heute Mittag“ oder „Ich komme morgen“. (Dr. Logan)

Neben der Faxkommunikation setzen die beobachteten Hausärzte das Telefon ein, um Befunde zu erfragen oder Rückfragen an die Fachärzte oder das Pflegepersonal zu stellen. Zum Teil erhalten die Hausärzte ferner CDs mit den entsprechenden Befunden von den Kollegen. Dr. Lorien berichtet, dass er CDs geschickt bekommt, „die dann zum Beispiel Fotos, Röntgendiagnostik-Aufnahmen beinhalten und die wir dann bei uns am PC anschauen können“.

Konstruktion von patientenbezogenem Wissen

5.3.3

199

Aktivierung, Veranschaulichung, Speicherung und Ergänzung von patientenbezogenem Wissen durch Medien

In diesem Teilkapitel wurde veranschaulicht, wie Patienten sich selbst und ihr Befinden dem Hausarzt präsentieren, wie Hausärzte zu Wissen über ihre Patienten gelangen und welche Rolle Medien in diesem wechselseitigen Prozess des Kennenlernens spielen. Die Selbstdarstellung der Patienten erfolgt primär im direkten Austausch der Beziehungspartner – mitunter mediengestützt. Zudem verläuft die Konstruktion patientenbezogenen Wissens medienvermittelt (und) über Dritte – MFA und Fachärzte. Medien aktivieren, veranschaulichen, speichern und ergänzen das patientenbezogene Wissen des Arztes und des Patienten. In der direkten Begegnung beschreiben und zeigen die Patienten, wie es ihnen geht. Ferner liefern sie ihrem Hausarzt Kontextinformationen zu den Lebensumständen, in denen sie sich befinden. Die Wissensaneignung der Hausärzte vollzieht sich über sämtliche Sinneskanäle. Die Ärzte lernen ihre Patienten und deren Gesundheitszustand umfassend kennen, indem sie dem Patienten zuhören und ihn genau ansehen und gegebenenfalls berühren – also eine körperliche Untersuchung vornehmen. Medien spielen in den Prozessen der direkten Kommunikation eine stützende Rolle. So bringen Patienten auf der einen Seite Medien in die Sprechstunde mit, in denen sie Gesundheitsdaten gespeichert haben. Dies können zum Beispiel Fotos auf den Smartphones der Patienten oder Krankheitstagebücher sein. Diese Medien helfen den Patienten, dem Hausarzt die Entwicklung ihres Gesundheitszustands oder die Befolgung von Therapien zu veranschaulichen und zu belegen. Die gespeicherten Informationen aktivieren also Wissen und fördern dadurch die Erzählung der Patienten. Medien können ein Erzählstimulus im direkten Gespräch sein. Auf der anderen Seite integriert der Hausarzt Medien in Form der Patientenakte in die direkte Kommunikation mit seinem Patienten. Mithilfe der Patientenakte kann der Arzt auf gespeicherte Informationen zum Gesundheitszustand des Patienten zugreifen. Die Patientenakte bündelt die patientenbezogenen Informationen aus vielfältigen Situationen und von unterschiedlichen Quellen. Darin werden Informationen zur Patientengeschichte und zum Gesamtbild des Patienten dokumentiert und stetig auf dem neusten Stand gehalten. Die Patientenakte beinhaltet auch die vermittelten Informationen weiterer Akteure – von MFA und Fachärzten. Die Patientenakte unterstützt den Arzt dabei, Wissen

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Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

zu aktivieren und die Krankengeschichte situativ rekonstruieren zu können. Der Arzt kann diese Geschichte im Gespräch referieren bzw. daran anknüpfen. Während die Konstruktion von patientenbezogenem Wissen sich wesentlich im direkten Arzt-Patient-Gespräch vollzieht, vermittelt der Patient bereits im Zuge der Anmeldung am Empfang oder während der telefonischen Terminvereinbarung Informationen zu seinem gesundheitlichen Status. In beiden Situationen nehmen die MFA diese Informationen entgegen und leiten sie an den Hausarzt weiter. Die Weiterleitung dieser ersten rudimentären Informationen zum Patienten an den Hausarzt durch die MFA erfolgt zuweilen verbal, zumeist jedoch schriftlich über papierbasierte Notizen oder Einträge im PMS. Vereinzelt übermitteln die Patienten per E-Mail selbstbezogene Informationen (z. B. Fotos oder Ernährungstabellen) an den Hausarzt oder die Hausarztpraxis. Fachärzte haben mit den Patienten des Hausarztes ebenfalls Kontakt, nehmen die Patienten wahr und behandeln sie. Sie überliefern medienvermittelt – hauptsächlich per Faxgerät – ergänzende patientenbezogene Informationen, die das Gesamtbild des Patienten vervollständigen. Durch die medienvermittelte Konstruktion von patientenbezogenem Wissen und die Einbindung von Medien in das direkte Gespräch von Hausarzt und Patient wird die Selbstdarstellung des Patienten im Face-to-Face-Gespräch ergänzt. Das mediale Wissen vervollständigt den reichen Wissensschatz, den der Hausarzt multisensorisch im Zuge der direkten Begegnung, durch die körperliche Untersuchung, die Beobachtung und den verbalen Austausch erwirbt bzw. im Verlauf der – zumeist langjährigen – Arzt-Patient-Beziehung erworben hat.

5.4

Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen

In den vorausgegangenen Teilkapiteln (Kapitel 5.1 bis Kapitel 5.3) wurde dargelegt, wie sich Hausarzt und Patienten einander präsentieren und wie sich die beiden Beziehungspartner Wissen über den jeweils anderen aneignen. Dabei wurde zum einen beschrieben, wie hausarztbezogenes Wissen im Rahmen der Arzt-Patient-Beziehung kommunikativ konstruiert wird. Zum anderen wurde erläutert, wie die Patienten sich selbst und ihr Befinden dem Hausarzt gegenüber darstellen und wie der Hausarzt patientenbezogenes Wissen erwirbt. Der Hausarzt gelangt – ba-

Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen

201

sierend auf der Selbstdarstellung der Patienten und durch die fallbezogene Anwendung seines Fachwissens – zu einer Diagnose und zu Behandlungshinweisen, die er seinen Patienten kommunikativ nahebringt. Durch die Kommunikation mit seinem Hausarzt lernt der Patient also nicht nur seinen Beziehungspartner kennen, sondern auch sich selbst und gewinnt dabei Kenntnis über seinen Gesundheitszustand (vgl. Mead 1973: 113). „Der ‚ärztliche Blick‘ avanciert dabei zur ‚Ordnung der Dinge‘“ (Hanses 2012: 39). Je nach Lesart befähigen oder zwingen die Diagnose und die Behandlungshinweise den Patienten, sein Wissen (über sich, seinen Körper und seinen Gesundheitszustand) neu zu ordnen, zu bestätigen, zu modifizieren oder auszuweiten. 92 In diesem Sinne widmet sich das folgende Teilkapitel der Konstruktion gesundheitsbezogenen Wissens des Patienten im Rahmen der Arzt-Patient-Beziehung. Die Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen umfasst die Diagnose und entsprechende Behandlungshinweise, die primär vom Hausarzt ausgehend formuliert und an den Patienten adressiert sind. Zum Teil ergänzen und kommentieren Patienten die ärztliche Feststellung des Gesundheitszustands und dessen Therapie oder liefern selbst eine Diagnosevermutung und schlagen Behandlungsmaßnahmen vor. Zunächst wird auf Grundlage des Datenmaterials der vorliegenden Studie erörtert, wie der Hausarzt seinen Patienten Diagnose und entsprechende Behandlungs-

92

Im Fokus des vorliegenden Teilkapitels steht die Aneignung gesundheitsbezogenen Wissens durch die Patienten, mittels derer sie mehr über ihren Gesundheitszustand und sich selbst erfahren. Dies geschieht zum einen in der direkten Begegnung mit ihrem Hausarzt, zum anderen eignen sich die Patienten gesundheitsbezogenes Wissen in Begegnungen mit weiteren Personen aus ihrem Umfeld oder über Medienangebote an. Die Aneignung gesundheitsbezogenen Wissens durch den Arzt beleuchtet die vorliegende Studie nicht gesondert, wenngleich auch die kommunikativen Handlungen, die zur Konstruktion des ärztlichen Gesundheitswissens beitragen, für die Beziehung von Arzt und Patient Relevanz besitzen. So, wie der Patient im persönlichen Gespräch mit seinem Hausarzt mehr über seine Gesundheit/Krankheit und sich selbst erfährt, modifiziert der Hausarzt in Prozessen der gesundheitsbezogenen Wissensaneignung nämlich sein Wissen über Gesundheit, Krankheit und sich selbst. Er ordnet seine Wissensbestände neu, indem er beispielsweise von den Erfahrungen seiner Patienten mit bestimmten Behandlungsmaßnahmen lernt und dadurch sein Fachwissen in der direkten Begegnung erweitert. Über das persönliche Gespräch hinaus eignen sich Ärzte gesundheitsbezogenes Wissen über Medienangebote an, beispielsweise indem sie gesundheitsbezogene Informationen – etwa bei gänzlich unbekannten Phänomenen oder bei Unsicherheiten – über Handbücher oder Online-Datenbanken recherchieren.

202

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

hinweise im persönlichen Gespräch nahebringt. Dabei wird gezeigt, welche kommunikativen Strategien Hausärzte anwenden, um das Verstehen des Patienten zu dessen Krankheit, für Diagnose und Behandlung zu fördern und dadurch zugleich die Diagnose und das weitere Vorgehen zu legitimieren. Auch wird dargestellt, wie sich die Patienten das von den Ärzten vermittelte gesundheitsbezogene Wissen aneignen und es kommentieren bzw. ergänzen. Entsprechend der Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit wird der Rolle, die Medien für diese kommunikativen Handlungen der Wissensvermittlung und -aneignung spielen, eine gesonderte Aufmerksamkeit geschenkt. Bereits für die direkte Kommunikation von Hausarzt und Patienten wird gezeigt, dass die hausärztlichen Erklärungen zur Diagnose und Behandlung durch Medien – wie z. B. Fotografien oder die Ergebnisse der Bildersuche mittels Suchmaschinen – unterstützt werden. Medien dienen der Veranschaulichung der verbalen und nonverbalen Aussagen des Arztes. Des Weiteren wird die wechselseitige medienvermittelte Konstruktion (mittels Telefon- und E-Mail-Kommunikation) von Diagnose und Behandlungshinweisen beschrieben. Die medienvermittelte interpersonale Kommunikation ergänzt die direkte Vermittlung von Wissen an die Patienten, wenn eine abschließende Diagnose (aufgrund fehlender patientenbezogener Daten) in der Sprechstunde nicht vorgenommen werden kann, Korrekturen nötig sind oder sich Rückfragen (aufseiten der Ärzte oder der Patienten) ergeben. Die Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen findet – in Form von einer Diagnose und Behandlungshinweisen – im direkten oder medienvermittelten interpersonalen Austausch der Beziehungspartner statt und ist eingebettet in die umfassende Aneignung gesundheitsbezogenen Wissens der Patienten. Neben dem Wissen, das sie in der Kommunikation mit ihrem Hausarzt erwerben, eignen sich die Patienten gesundheitsbezogenes Wissen über Medienangebote an. Dieses Wissen kann sich auf diagnostizierte Erkrankungen, auf erlebte Symptome oder auf Krankheit und Gesundheit im Allgemeinen beziehen. Der Zusammenhang zwischen patientenseitigem Wissenserwerb über produzierte Medienangebote und der Arzt-Patient-Beziehung besteht ganz grundsätzlich darin, dass die Patienten Wissen generieren, das sie in die Begegnung mit ihrem Hausarzt einbringen. Darüber hinaus trägt das mediale Wissen dazu bei, das vom Hausarzt vermittelte gesundheitsbezogene Wissen zu ergänzen.

Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen

5.4.1

203

Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen im direkten Gespräch

Die Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen findet in den untersuchten Hausarztpraxen vor allem im direkten Gespräch von Hausarzt und Patient statt, wobei Medien mitunter eine stützende Rolle spielen. Die Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen basiert auf den patientenseitigen Schilderungen ihres Befindens, den Kontextinformationen, die dem Arzt bekannt sind, sowie den körperlichen, vom Hausarzt vorgenommenen Untersuchungen. In den beobachteten Arzt-Patient-Gesprächen zeigen sich zwar ausnahmslos die Hausärzte für die Diagnose und die Formulierung von Behandlungshinweisen zuständig, dennoch soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass sich auch Patienten an der Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen beteiligen, und zwar über die Schilderung der Beschwerden und das Befolgen von hausärztlichen Anweisungen während der körperlichen Untersuchung hinaus. Wenngleich einige Patienten ärztliche Diagnosen und Behandlungshinweise kommentarlos akzeptieren und nicht infrage stellen, diskutieren andere Patienten die Diagnose oder Behandlungsmaßnahmen mit ihrem Arzt. Sie stellen beispielsweise Rückfragen, kommentieren die Diagnose oder liefern eigene Diagnosevermutungen und äußern proaktiv Wünsche, wie Beschwerden behandelt werden sollten (vgl. Kapitel 6 für eine differenzierte Beschreibung unterschiedlicher Stile der kommunikativen Beteiligung von Patienten im Zuge von Diagnose und Behandlungshinweisen). So ordnen Patienten etwa im Zuge der Beschreibung ihres Befindens ihre wahrgenommenen Symptome einer konkreten Krankheit zu. Sie äußern im direkten Gespräch mit ihrem Hausarzt eine Selbstdiagnose. Ein Patient in der kleinstädtischen Gemeinschaftspraxis in Flügeltal beginnt beispielsweise die Beschreibung seines Gesundheitszustands mit dem Satz „Ich habe eine Grippe!“ Er hat selbstständig seine Symptome (wie z. B. hohes Fieber, Rachenentzündung, Kopf- und Gliederschmerzen und Abgeschlagenheit) mit der Krankheit „Grippe“ verbunden. Eine andere Patientin äußert nach dem Blutdruckmessen durch die Hausärztin, dass der Blutdruck „viel zu hoch“ sei. Sie führt dies auf ihre Aufregung zurück und schlussfolgert, dass sie sich deshalb keine Sorgen machen müsse. Schließlich geben Patienten auch Hinweise zu Untersuchungen und zur Behandlung, die über eine ‚einfache‘ Beschreibung der Beschwerden hinausgehen. Eine ältere Patientin, die bereits längere Zeit Knieprobleme hat, berichtet etwa von ihrer Nachbarin, die ihrer Meinung nach

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Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

das gleiche gesundheitliche Problem habe. Die Nachbarin habe eine Operation erhalten, um sich schmerzfrei bewegen zu können. Die Patientin ist der Meinung, dass eine solche Operation auch bei ihr helfen würde und fragt, ob auch sie auf diese Weise behandelt werden könne. Die Patienten greifen bei der Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen im Arzt-Patient-Gespräch – wie schon bei der Schilderung ihres Befindens (Kapitel 5.3.1) – auf ihren Wissensbestand zurück, den sie beispielsweise in der Kommunikation mit Personen aus ihrem persönlichen Umfeld oder durch die Rezeption gesundheitsbezogener Medienangebote entwickelt haben (die Re-Konstruktion von medial erworbenem Wissen im direkten Arzt-Patient-Gespräch wird in Teilkapitel 5.4.3 präsentiert). Wenngleich also gilt, dass Patienten bisher erworbenes gesundheitsbezogenes Wissen in das Gespräch mit ihrem Hausarzt einbringen, bleibt die dominante Rolle des Arztes bei der Formulierung von Diagnose und Behandlungshinweisen erhalten. Dabei wendet der Hausarzt sein medizinisches Fachwissen auf den jeweiligen Patienten an – er bringt das Fachwissen in Zusammenhang mit seinem Wissen über den Patienten (z. B. dessen Krankengeschichte). Auf Grundlage der Beschwerdeexploration und der dem Hausarzt bekannten Kontextinformationen gelangt der Hausarzt zur Diagnose und zu den entsprechenden Behandlungshinweisen. Dr. Streep hebt in diesem Zusammenhang vor allem die „Familien- und Kontextanamnese“ hervor, die „unglaublich viele Vorteile“ für die Diagnosefindung schafft: Also man kennt sein Gegenüber irgendwie. […] Und nicht nur das Gegenüber, sondern den ganzen Kontext. […] Man sieht den Einzelnen in seinem Umfeld und kann dadurch auch die Erkrankung […] ganz anders beurteilen. […] Das gibt es in keiner anderen Gruppe [von Ärzten]. Wenn Sie im Krankenhaus arbeiten, haben Sie immer nur punktuelle Kontakte, verlieren in der Regel die Patienten wieder aus den Augen. Wo mir noch einfällt, wo es ein bisschen so sein könnte, ist in der Kinderheilkunde, weil da natürlich die Eltern auch immer eine große Rolle spielen in der Kommunikation, aber ansonsten, glaube ich, sind wir die Fachgruppe, die da den größten Einblick hat und die größten Begleitfaktoren bietet über viele, viele Jahre. (Dr. Streep)

Die beobachteten Hausärzte nutzen unterschiedliche kommunikative Strategien, um die für den Patienten relevanten gesundheitsbezogenen Informationen im Face-to-Face-Gespräch verständlich zu vermitteln. Verständlich sind Informationen – mit den Worten einer Patientin –, wenn der Arzt diese so vermittelt, „wie

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ich sie brauche und auch verstehe und wie ich es dann auch umsetzen kann“ (Mia Hesse (37)). Die Beobachtungen während der Sprechstunden zeigen, dass sich die ärztlichen Kommunikationsstrategien zur Vermittlung von medizinischem Fachwissen von Patient zu Patient unterscheiden. Dass Ärzte ihre Vermittlungsstrategien an dem jeweiligen Gegenüber ausrichten, beschreibt die Ärztin der ländlichen Einzelpraxis folgendermaßen: [M]it jedem Patienten muss man so auf seine Art umgehen, dass er’s versteht, dass man mit ihm Deutsch spricht, dass man auf seine Ängste eingeht, dass man das erklärt, was er hat, dass man das Vorwissen auch wertet […] und er mit einem guten Gefühl und genug Informationen geht. […] [M]anche Patienten sagen auch: „Ich will’s gar nicht wissen, Sie sind die Ärztin, Sie machen das schon richtig“. Das fällt mir schwer, weil ich gern erkläre. Ja, aber manche wollen es nicht und […] das muss man auch akzeptieren. Ich finde es immer besser, wenn man mit einer Krankheit umgehen kann und sagen kann, okay, so und so ist das. […] [D]ie meisten sind interessiert und sagen nachher: „Zum ersten Mal hat mir richtig jemand was erklärt“ […] [J]eder Patient darf so sein, wie er ist. Man muss […] den Patienten annehmen, wie er kommt. (Dr. Tenside)

Zumeist initiieren die Hausärzte die Erläuterungen zur Diagnose und zur Behandlung. Vereinzelt veranlassen Rückfragen der Patienten die Erklärungen. In den untersuchten Praxen konnten unterschiedliche Kommunikationsstrategien mittels der Beobachtungs- und der Interview-Daten rekonstruiert werden. Um ihren Patienten medizinisches Fachwissen verständlich zu vermitteln, setzen die beobachteten und befragten Hausärzte beispielsweise auf eine Übersetzung von Fachbegriffen in eine leicht verständliche Sprache. So ließ sich beispielsweise beobachten, dass der 62-jährige Allgemeinmediziner – im Zuge der Besprechung der Diagnose und entsprechender Behandlungsmaßnahmen – einen Patienten mit den Worten „Ich übersetze gleich“ beruhigte und anschließend eine Erklärung der Begrifflichkeiten vornahm. In den untersuchten Praxen konnte darüber hinaus mehrfach der Einsatz von rhetorischen Mitteln wie Metaphern zur Erklärung der Diagnose und der Behandlung beobachtet werden. So bespricht beispielweise Hausärztin Dr. Streep mit einer Patientin deren aktuellen EKG-Befund. Dabei erklärt sie das Ergebnis mittels der Metapher eines Autos und eines nicht funktionierenden Motors. Einem anderen Patienten, der Rückenbeschwerden hat, erklärt sie den Aufbau der Wirbelsäule mittels einer Hausmetapher und sagt: „Der Mensch ist genau

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Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

wie das Haus ein statisches System.“ Mittels dieser Metapher versucht sie zu verdeutlichen, wieso sich eine bestimmte Therapie besonders gut eignet. Unterstützt wird die verbale Vermittlung von gesundheitsbezogenen Informationen durch die Gestik der Hausärzte. Demgemäß verdeutlicht Dr. Streep zum Beispiel die Schiefstellung der Wirbelsäule mit ihren Händen. Dr. Tenside zeichnet den Weg von den Bronchien zur Lunge an ihrem eigenen Körper nach und Dr. Lorien veranschaulicht gestisch die Funktion des Herzens und wie das Blut zum Zirkulieren gebracht wird. Mediengestützte Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen im direkten Gespräch Zur Unterstützung der verbalen und nonverbalen sprachlichen Mittel greifen die Hausärzte auch auf materielle Modelle und unterschiedliche Medien zurück – Zeichnungen sowie die Ergebnisse der Bildersuche mittels Suchmaschinen, Laborund Facharztberichte, zugeschickte oder mitgebrachte Dokumente der Patienten (vgl. Kapitel 5.3.1) –, um ihre Ausführungen verständlich zu gestalten. Die mediengestützte Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen des Patienten wird anhand der folgenden Beispiele beschrieben. In der ländlichen Einzelpraxis in Garihausen findet zum Beispiel ein Plastikskelett Einsatz. An diesem materiellen Modell werden die körperlichen Beschwerden von Patienten anatomisch eingeordnet. Für die Erklärung von Diagnosen und Therapievorschlägen konnte darüber hinaus beobachtet werden, dass die Hausärzte vor allem zur anatomischen Verortung der Krankheit oder des Schmerzes das Hilfsmittel der Zeichnung nutzen. Den Einsatz von Zeichnungen beschreibt Dr. Streep folgendermaßen: „Ich male manchmal Bilder, für Patienten. Wenn es um anatomische Dinge, Erklärungen geht, zum Beispiel, dann male ich es auf“ (Dr. Streep). Dementsprechend malt auch Dr. Marthen den Aufbau einer Nervenzelle auf, um Funktionsstörungen dieser zu veranschaulichen. Als weitere Visualisierungsstrategie nutzt Dr. Lorien die Ergebnisse der Bildersuche mittels Suchmaschinen, um medizinisches Wissen zu vermitteln. Seiner Meinung nach eigneten sich Online-Bilder vor allem zur Veranschaulichung von Hautveränderungen. Zugleich legitimieren die Online-Bilder die Diagnose, wie Dr. Lorien eruiert: „[D]ann sehen die, dass es genau das […] gleiche Bild ist wie ihre Hauterscheinung auf dem Bauch oder so […] und dann können sie das besser für sich verifizieren“ (Dr. Lorien). Sofern die Eingabe der Diagnose

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in das Suchfeld der Suchmaschine ein Bild zu Tage fördert, das der Hautveränderung des Patienten entspricht, kann Dr. Lorien folgend die Visualisierung das Vertrauen in ihn und seine ärztliche Kompetenz fördern: „[Beim Abrufen der Bilder] wird die Vertrauensbasis […] gestärkt, wenn es im Internet natürlich auch so steht […] von daher […] rufe ich die Bilder auf“ (Dr. Lorien). Handelt es sich bei der Vermittlung von gesundheitsbezogenen Informationen um Erläuterungen von Laborbefunden oder Facharztbriefen, werden die entsprechenden Dokumente, also die Laborberichte (wie z. B. die Ergebnisse einer großen Blutuntersuchung oder das EKG-Protokoll) und die schriftlichen Facharztberichte, in das Gespräch einbezogen. Labor- und Facharztberichte werden im Zuge der Erklärungen des Hausarztes im PMS aufgerufen, wobei der Monitor so positioniert wird, dass der Patient eine gute Einsicht hat. Häufig konnte dabei das Zeigen auf relevante Werte mit dem Finger des Arztes auf den Monitor beobachtet werden. Auf ähnliche Weise werden auch ausgedruckte Laborberichte oder Facharztberichte genutzt. Die Hausärzte unterstreichen die verbal vorgetragenen und interpretierten Ergebnisse teils durch Markierungen auf dem Dokument z. B. mit einem Textmarker. Die zusätzliche Visualisierung vereinfacht es den Patienten, den Ausführungen des Hausarztes zu folgen. Schließlich verwenden die interviewten Ärzte zur Vermittlung von gesundheitsbezogenen Informationen auch die Dokumente, die von den Patienten ins Gespräch mitgebracht werden, indem sie diese gemeinsam mit den Patienten oder für die Patienten interpretieren. Dies können beispielsweise analoge Diabetesbücher oder Excel-Tabellen und Diagramme sowie Fotos oder auch Self-Tracking-Daten auf dem Smartphone sein, die Patienten mittels einer App erhoben haben (vgl. Kapitel 5.3.1). Aus Sicht eines Teils der Patienten erreichen die ärztlichen Kommunikationsstrategien – seien sie verbal, nonverbal oder mediengestützt vermittelt – ihr Ziel, da der Hausarzt die relevanten Informationen zu Diagnose und Behandlungshinweisen so erklärt, dass die Patienten sie „gut verstehen“ (Tilda Opel (40)). Der Hausarzt bzw. die Hausärztin als Quelle von gesundheitsbezogenem Wissen vermittelt den Patienten, „was ist und […] was man machen könnte“ (Frieda Pfeifer (78)). Die Hausärztin liefert „gute Erklärungen“ (Nathanael Flemming (11)), „geht auf den Punkt“ (Fritz Groß (66)), gibt verlässliche und verständliche Informationen und berät den Patienten. Die interviewten Patienten heben hervor, dass das im persönlichen Arzt-Patient-Gespräch angeeignete gesundheitsbezogene Wissen

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Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

für sie anschlussfähig ist, da der Hausarzt dieses direkt auf ihren konkreten Fall anwendet. Die vom Arzt im direkten Gespräch vermittelten Informationen sind für einen Teil der Patienten ausreichend, um ihre Erkrankung zu verstehen und mit ihr umzugehen. Andere Patienten schildern Situationen, in denen sie nach den Hinweisen zur Diagnose und zur Behandlung des Hausarztes im direkten Gespräch gesundheitsbezogene Medienangebote nutzen, um die Erkrankung (besser) zu verstehen und (besser) damit umzugehen. Sie kommunizieren wechselseitig medienvermittelt mit ihrem Hausarzt (über das Telefon oder via E-Mail), um sich ergänzende Informationen zu ihrer Erkrankung zu beschaffen. Darüber hinaus rezipieren sie allgemein adressierte gesundheitsbezogene Medienangebote, mit deren Hilfe sie beispielsweise medizinische Begriffe recherchieren oder sich weitere Informationen zu Behandlungsmöglichkeiten und Behandlungsfolgen aneignen (vgl. hierzu Kapitel 5.4.3). 5.4.2

Medienvermittelte Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen

Die Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen erfolgt nicht nur im direkten Gespräch, sondern zudem medienvermittelt. Die wechselseitige medienvermittelte Kommunikation erfolgt zumeist telefonisch und vereinzelt via E-Mail – wie bereits die Konstruktion von patientenbezogenem Wissen (vgl. Kapitel 5.3.2). Die medienvermittelte Kommunikation steht in einem engen Zusammenhang mit einem (unmittelbar) erfolgten Arztbesuch und ergänzt damit das direkte Gespräch. Eine wichtige Rolle bei der medienvermittelten Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen kommt der Telefon-Kommunikation zu. Über das Telefon verläuft in den untersuchten Hausarztpraxen im Wesentlichen die Besprechung der Diagnose oder weiterer Behandlungshinweise. Telefonate aus diesen Anlässen finden vor allem dann statt, wenn das Arzt-Patient-Gespräch mit einer Laboruntersuchung endet (wie z. B. einem Bluttest, Röntgenuntersuchungen, Herzkatheter-Berichte oder Langzeitblutdruckmessungen). Die eigentliche Therapie kann in diesen Fällen erst nach der Bewertung des biomedizinischen Befunds gewählt und erklärt werden. Zumeist vereinbart der Hausarzt dann im persönlichen Gespräch mit seinem Patienten einen Rückruf zur Rückkopplung der Werte und zur Besprechung daraus resultierender therapeutischer Schritte. Die Ärzte heben den hohen

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Stellenwert der telefonischen Konstruktion von Diagnose und Behandlungshinweisen hervor, indem sie betonen, dass „da ja im Grunde genommen dann die Untersuchung abgeschlossen [wird] […] [oder] die Weichen gestellt werden, wie es weitergehen soll“ (Dr. Marthen). Die Telefon-Kommunikation hängt also, wie einleitend formuliert, mit dem zuvor erfolgten persönlichen Gespräch eng zusammen – sie ist „abhängig von dem, was im Vorfeld gelaufen ist“ (Dr. Logan). 93 Dr. Logan veranschaulicht diesen Zusammenhang zwischen direktem Gespräch und anschließendem Telefonat zur Vermittlung von Laborwerten und entsprechenden Behandlungshinweisen anhand des folgenden Beispiels: „[H]eute kommt jemand, wo ich sage […] ‚[W]eiß ich nicht so recht, wir nehmen nochmal Blut ab, […] und morgen Mittag ruf ich Sie an, wenn ich die Laborwerte habe, dann entscheiden wir‘“ (Dr. Logan). Den ärztlichen Äußerungen entsprechend berichten mehrere interviewte Patienten von Situationen, in denen im persönlichen Gespräch mit dem Hausarzt noch keine abschließende Diagnose festgelegt und die Behandlung deshalb telefonisch besprochen wurde. Exemplarisch beschreibt dies Niklas Fröhlich (36) folgendermaßen: [W]ir haben schon zwischendurch mal so telefoniert, wenn es halt Druck oder so war, dass Sie mich mal angerufen hat, wie die weiteren Behandlungsmaßnahmen laufen oder so. Da wir momentan noch auf der Suche sind bei mir, nach speziellen Problem mit dem Magen-Darm-Trakt und da sind wir noch auf der Suche, wo die Ursachen sind. Und wenn es dann nicht die Zeit zulässt, dann haben wir schon mal so zwischendurch telefoniert. (Niklas Fröhlich (36))

Daneben eröffnet die Telefon-Kommunikation dem Hausarzt einen schnellen Zugang zum Patienten und ermöglicht ihm beispielsweise behandlungsbezogene Korrekturen vorzunehmen, wie exemplarisch Dr. Logan ausführt: Oder aber ich habe schon etwas entschieden vorher und kriege dann Befunde, wo ich dann sage: „Mhm, müssen wir vielleicht doch nochmal einhaken, was anders machen.“ Sagen wir mal, jemand hat einen Harnwegsinfekt […], da warten wir natürlich nicht, bis in drei Tagen die Bakterienkultur ausgewertet ist […], das

93 Nur in Ausnahmefällen findet die Telefon-Kommunikation zur Konstruktion gesundheitsbezogenen Wissens unabhängig von einem Arztbesuch statt. So berichtet z. B. Laura Ott (27), dass sie einmal so stark krank war, dass sie die Praxis nicht persönlich aufsuchen konnte und so eine telefonische Beratung erhalten hat: „Ja, das ist auch schon vorgekommen, dass ich so krank war, dass ich wirklich nicht kommen konnte. Und dass das Ganze dann halt telefonisch gelaufen ist.“

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behandeln wir und dann kommt der Bericht und dann stellen wir fest: Das Standardantibiotikum, was wir eingesetzt haben, wirkt gar nicht, der Keim ist resistent. Dann ruf ich von alleine den Patienten an, also ich warte nicht drauf, bis der kommt und sagt nach fünf Tagen „Es ist immer noch nicht besser geworden“ und ich sag „Hab ich mir schon fast gedacht“ […], dann hake ich zwischen, weil ich diese Befunde gelesen habe. (Dr. Logan)

Die telefonische Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen findet statt – über die Rückkopplung von Laborberichten und behandlungsbezogene Korrekturen hinaus –, wenn Ärzte ihren Patienten ergänzende Erläuterungen von Diagnosen und Behandlungshinweisen nachliefern wollen. Beispielsweise werden Patienten angerufen, wenn in der Sprechstunde Fragen offen und Symptome „ungeklärt“ (Dr. Streep) bleiben. In solchen Fällen kommt es vor, dass sich der Arzt selbst zusätzliches Wissen aneignen muss, bevor er dieses mit dem Patienten teilen kann. Dr. Streep berichtet z. B. von einer Situation, bei der sie „seltene Nebenwirkungen“ eines Medikaments nicht sofort einschätzen konnte und sich daher diesbezüglich tiefergehend informierte, um den Patienten schließlich telefonisch über ihre zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse zu unterrichten: [B]ei seltenen Nebenwirkungen […] oder Nebenwirkungen, wo man meint, das könnte vielleicht von dem Medikament sein, es ist aber vielleicht nicht mal gelistet in dem Beipackzettel, dass man dann recherchiert. Und das mach ich dann oft auch am Abend, wo ich sag: „Ich ruf Sie nochmal an, ich guck nach oder ich informiere mich, ist es nicht doch eventuell eine mögliche Nebenwirkung?“ (Dr. Logan)

Ähnlich finden die Sprechstunde ergänzende Telefonate zur Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen statt, wenn der Patient dringende Rückfragen hat und den Arzt kontaktiert. So schildert beispielsweise Marina Seifert (52), wie sie kurze Rückfragen zur Einnahme eines Medikaments, die sich erst nach dem Arzt-Patient-Gespräch ergeben haben, schnell telefonisch gestellt hat. Die Telefon-Kommunikation zur Konstruktion von Diagnose und Behandlungshinweisen ist in allen untersuchten Hausarztpraxen „zentraler Bestandteil“ (Dr. Marthen) des ärztlichen Tagesablaufs. Die Hausärzte haben für die telefonische Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen zum Großteil feste ZeitSlots eingerichtet (vgl. z. B. in der städtischen Gemeinschaftspraxis in Überfurcht von 18 bis 20 Uhr), die entweder zwischen oder vor und nach den Sprechzeiten verortet sind. In der kleinstädtischen Gemeinschaftspraxis in Flügeltal und der

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städtischen Gemeinschaftspraxis in Überfurcht wird dabei mit ‚Rückruflisten‘ gearbeitet, die von den MFA vorbereitet werden und dem Hausarzt analog vorliegen. In der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen wird der Rückruf im PMS vermerkt und die Patientenakte noch nicht ‚geschlossen‘, sodass der Arzt daran erinnert wird, den Patienten zurückzurufen. 94 Diese Telefonate werden von den Ärzten in Ausnahmefällen auch unterwegs oder am Wochenende von zu Hause aus geführt. Telefonate außerhalb der Praxis finden vor allem dann statt, wenn dem Arzt unerwartete Laborergebnisse übermittelt werden und er die Notwendigkeit zum sofortigen Handeln sieht. So berichtet Dr. Logan: „[D]a kommt vielleicht jemand zu einer Routinelaboruntersuchung nach einem halben Jahr und es [sind] plötzlich Dinge auffällig. […] Also das mach ich dann schon, dass ich auch Patienten am Wochenende weiter begleite […]“ (Dr. Logan). Die interviewten Hausärzte und Patienten haben über die Telefon-Kommunikation hinaus bereits einzelne Erfahrungen mit der Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen via E-Mail-Kommunikation gesammelt. Die Ärzte betonen allerdings, dass es sich bei der E-Mail-basierten Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen bislang um einzelne „Ausnahmefälle“ (Dr. Logan) handelt. Dr. Lorien rekonstruiert eine solche „exklusive Situation“ folgendermaßen: Also das wird nur in Ausnahmesituationen angewandt. […] [D]as ist was Exklusives, ja. […] Ja, da schickt zum Beispiel ein Patient [den Einspruch auf einen] Ablehnungsbescheid [zur Bewilligung einer Kur] […], den ich mit ihm [face-to-face] kurz angesprochen habe und so quasi zur Korrektur schickt der mir den rüber und dann schick’ ich ihm die korrigierte E-Mail wieder zurück. (Dr. Lorien)

Dr. Marthen berichtet, dass er bislang keine Anfragen zu einer Diagnose oder zu Behandlungsmaßnahmen erhalten habe. Er betont, dass die E-Mail-Kommunikation sich in seiner Praxis auf Formen der Mikro-Koordination beschränkt (z. B. die Äußerung eines Terminwunschs). Anfragen von Patienten seien „über den E-Mail-Weg noch nicht eingegangen“ (Dr. Marthen). Jedoch hat Dr. Marthen be-

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Im Falle von ‚positiven Laborbefunden‘ bzw. „Leerbefunde[n] in Anführungsstrichen“ (Dr. Marthen), die keine weitere Behandlung erforderlich machen, wird der Rückruf und die Vermittlung der Ergebnisse zum Teil auch an die MFA übertragen, die dann in den Zeiten zwischen, vor oder nach den Sprechstunden dem Patienten übermitteln, dass ihre Werte in Ordnung sind.

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reits Anfragen von Patienten zu Angehörigen erhalten, die „irgendwo im Krankenhaus liegen, im Altersheim liegen und wo es schnell gehen muss“ (Dr. Marthen). Von einer ähnlichen Nutzungssituation der E-Mail-Kommunikation berichtet eine der befragten Patientinnen, Natascha Jäger (66). Im Fall eines schwer erkrankten Angehörigen musste schnell eine Behandlungsentscheidung getroffen werden, weshalb die Patientin ihrem Arzt eine medizinische Frage zu ihrem Angehörigen mailte, woraufhin dieser ihr – wie erhofft – ein schnelles Feedback gab. Ähnlich berichtet Dr. Streep, dass sie bislang außerhalb der Mikro-Koordination keine medizinischen Fragen oder Rückfragen via E-Mail-Kommunikation von ihren Patienten beantworten musste. Sie erläutert allerdings, dass sie – der eigenen Schätzung nach, zweimal im Monat – Anfragen von Patienten außerhalb ihres Patientenstamms erhält. Die Anfragen beziehen sich dann auf ihre fachlichen Spezialisierungen, wie zum Beispiel auf ihre Expertise in naturheilkundlichen Verfahren: Ein Beispiel ist Akupunktur oder CO₂-Quellen als Therapie. Dass dann Leute aus [anderen Städten] mich anmailen und sagen: „Sowas gibt es hier bei uns gar nicht. Kannst du mir, Doktor, bitte mal erklären, was das ist, wofür das gut ist und ob das für mich infrage kommt.“ (Dr. Streep)

Gleichzeitig betont die Ärztin in diesem Zusammenhang, dass die Beantwortung solcher Anfragen eine unentgeltliche Beratungsleistung darstellt, dass jedoch keine Behandlung stattfindet: „Wir behandeln ja auch nicht, wir beraten nur und rechnen auch nichts ab“ (Dr. Streep). Dr. Logan hat in seltenen Fällen die Erfahrung gemacht, dass medizinische Fragen per E-Mail an sie gerichtet werden. Ihre Strategie besteht darin, diese Anfragen nicht inhaltlich zu beantworten, sondern den Fragenden stattdessen einen Termin in ihrer Sprechstunde anzubieten. Dass es sich bei der Konstruktion von gesundheitsbezogenen Wissen via E-Mail-Kommunikation bislang um eine Ausnahme handelt, führen die Hausärzte unter anderem darauf zurück, dass ihre Patienten zwar das Internet nutzen, um sich gesundheitsbezogene Informationen anzueignen (vgl. hierzu Kapitel 5.4.3), aber nicht, um sich mit ihrem Hausarzt über ihre Diagnose oder Behandlungshinweise auszutauschen. Auch hierbei wird die Altersstruktur der Patienten thematisiert – so hält Dr. Lorien fest: „Es sind so wenig Mails, so wenig der Patienten nutzen […] das. […] [W]eil wir halt auch eine überalterte Bevölkerung hier haben […]“ (Dr. Lorien). Ebenso wie Dr. Lorien betonen auch Dr. Logan und Dr. Marthen,

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dass sie viele „ältere Patienten“ haben, die diese Form der Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen nicht in Anspruch nehmen. Vor diesem demografischen Hintergrund sieht Dr. Tenside keine Notwendigkeit dafür, eine „PatientenMail“ einzuführen und bietet als einzige der befragten Ärztinnen ihren Patienten keine E-Mail-Kommunikation an. 5.4.3

Re-Konstruktion von medial erworbenem gesundheitsbezogenen Wissen des Patienten im direkten Gespräch

Diejenigen Patienten, die im Zuge der vorliegenden Studie interviewt wurden, erlangen nicht nur durch die direkte oder medienvermittelte interpersonale Kommunikation mit ihrem Hausarzt Wissen über ihren Gesundheitszustand. Sie nutzen ebenso allgemein adressierte, standardisierte Medienangebote, um sich gesundheitsbezogenes Wissen anzueignen. 95 Zu den von den Patienten genutzten Medienangeboten, um sich über Gesundheit und Krankheit zu informieren, zählen Online-Angebote, wie Informations-Websites, Foren sowie Websites von Kliniken und Hausärzten. Außerdem eignen sich die interviewten Patienten gesundheitsbezogenes Wissen über ‚traditionelle‘ Medienangebote an – hierzu gehören Fernsehsendungen sowie Print-Erzeugnisse wie Bücher, Tageszeitungen, Magazine und Zeitschriften. Die rezipierten gesundheitsbezogenen Medienangebote liefern den Patienten Informationen zu diagnostizierten Erkrankungen und zu erlebten Symptomen. Außerdem ermöglichen sie Patienten, sich Wissen zu Krankheit und Gesundheit im Allgemeinen anzueignen. Dieses ‚allgemeine‘ Wissen hängt mit keiner eigenen aktuellen Erkrankung oder mit körperlichen Beschwerden der Patienten unmittelbar zusammen. Die mediale Aneignung gesundheitsbezogenen Wissens durch die Patienten, indem sie produzierte Medienangebote rezipieren, prägt die Arzt-Patient-Beziehung auf unterschiedliche Weise. Ganz grundsätzlich generiert und erweitert die mediale Wissensaneignung der Patienten den gesundheitsbezogenen Wissensvorrat, mit dem die Patienten ihrem Hausarzt begegnen. Zusätzlich ergänzt das über 95

Hinzu kommt, dass Patienten durch persönliche Erfahrungen oder basierend auf den Erfahrungen von Personen aus ihrem persönlichen Umfeld (z. B. von Familienmitgliedern, Freunden oder Bekannten) gesundheitsbezogenes Wissen erlangen.

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Medien erworbene Wissen die Informationen, die Patienten im Gespräch von ihrem Hausarzt präsentiert bekommen. Angebote zur medialen Wissensaneignung der Patienten Die mediale Aneignung gesundheitsbezogenen Wissens der befragten Patienten erfolgt sowohl über Online-Angebote als auch über ‚traditionelle‘ Medienangebote. In der Nutzung von Online-Angeboten und ‚traditionellen‘ Medienangeboten lassen sich unterschiedliche Tendenzen feststellen. Die geführten Interviews haben gezeigt, dass die befragten Patienten Online-Angebote zur Wissensaneignung in der Regel ausschließlich gezielt nutzen, während die Aneignung von gesundheitsbezogenem Wissen über ‚traditionelle‘ Medien auch inzidentell erfolgt. Beispiele für die beiläufige Rezeption ‚traditioneller‘ gesundheitsbezogener Medienangebote liefern Natascha Jäger (66) und Laura Ott (27). Sie „blättern“ die Apotheken Umschau durch, wenn sie ein Exemplar in der Apotheke erhalten haben. Laura Ott (27) hält in diesem Zusammenhang fest: „Irgendwas liest man meistens drin.“ Weitere Patienten werden mit gesundheitsbezogenen Medienangeboten und -inhalten beim Warten in der Arztpraxis konfrontiert. Sie vertreiben sich die Wartezeit mit der Lektüre von gesundheitsbezogenen Zeitschriften und Magazinen, die sie im Wartezimmer vorfinden, wie etwa Jonathan Reichert (50) berichtet. Die Patienten führen neben den Print-Erzeugnissen Fernsehsendungen an ‒ wie das vom NDR ausgestrahlte Gesundheitsmagazin Visite ‒, die sie nicht zielgerichtet rezipieren. Diese mit der fernsehtypischen Nutzungsform des ‚Zappings‘ verbundene Art der Zuwendung zu bestimmten Medieninhalten beschreibt Nico Riedel (49) folgendermaßen: „Wenn ich [zu gesundheitsbezogenen Fernsehsendungen] hinzappe [, dann schaue ich mir diese an] oder so, aber nicht irgendwie, dass ich speziell das Angebot suche, nein.“ Über ‚traditionelle‘ Medienangebote eignen sich die befragten Patienten nicht nur beiläufig, sondern ebenso gezielt gesundheitsbezogenes Wissen an. Dies kann zum einen Wissen zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen sein. Zum anderen werden ‚traditionelle‘ Medienangebote intentional genutzt, um sich Wissen zu diagnostizierten Erkrankungen oder erlebten Symptomen anzueignen. Dies geschieht vor allem im Kontext chronischer oder langwieriger Erkrankungen. So rezipiert Judith Löffler (63) beispielsweise regelmäßig und gezielt Informationen in Printzeitschriften zu ihrer chronischen Erkrankung (einer Pollenallergie).

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Wohingegen die Wissensaneignung über die ‚traditionelle‘ Medienangebote also sowohl beiläufig als auch gezielt stattfindet, wird die online-basierte Wissensaneignung – den Schilderungen der Patienten entsprechend – ausschließlich mit einem gesundheitsbezogenen Anwendungszweck verknüpft. Bei der Betrachtung des Ablaufs der gezielten online-basierten Wissensaneignung und der Angebote, die hierfür genutzt werden, zeigt sich, dass die großen Suchmaschinen zumeist der Ausgangspunkt der Informationsrecherche sind und dass Patienten nur vereinzelt direkt spezifische Angebote abrufen. Die Patienten, die ihre Online-Informationsrecherche mit Suchmaschinen beginnen, geben an, dass sie zunächst Schlagworte wie „Rückenschmerzen“ oder Fragen eingeben wie z. B. „Was kann ich tun bei Rückenschmerzen, bei eingeklemmten Nerv?“ (Justus Breuer (45)). So erläutert exemplarisch Judith Löffler (63): „[I]ch gebe also bei Google ‚Leistenbruch‘ ein und gucke dann, was kommt.“ Jonathan Reichert (50) beschreibt den Suchvorgang folgendermaßen: „[S]uchen über die Suchmaschinen und natürlich hat man unter den ersten drei, vier Angeboten irgendwas, was man dann anklickt.“ Die Suchmaschinenrecherche führt die Patienten zu unterschiedlichen Informations-Websites, Foren oder Websites von Ärzten und Kliniken. 96 Die befragten Patienten spezifizieren in der Regel nicht die von den Suchmaschinen angebotenen Treffer, die sie zur Wissensaneignung selektieren. Nur vereinzelt benennen Patienten im Interview die Websites, zu denen sie von den Suchmaschinen aus gelangen. Alina Gramberg (19) beschreibt beispielsweise: „[E]rstmal habe ich eingegeben ‚Bauchschmerzen‘ oder ‚Bauchschmerzen vom Essen‘, dann so geguckt, bei ‚med1‘ heißt es, glaub ich, oder bei ‚gutefrage‘ einfach, was dann so die anderen Menschen für Erkrankungen [haben].“ Wenngleich nur die wenigsten Patienten konkrete Angebote benennen, die sie – ausgehend von den Suchmaschinentreffern – nutzen, verläuft die online-basierte Wissensaneignung nicht willkürlich. So werden zum Teil bestimmte Angebotstypen gezielt aufgesucht oder gemieden. In besonderem Maße findet das bewusste Aufsuchen oder Meiden eines Angebotstyps bei gesundheitsbezogenen Foren statt. Während einige Patienten aktiv nach Erfahrungen anderer Betroffener in Foren suchen, schließen weitere Patienten die Nutzung von Foren kategorisch aus, weil sie die Qualität der dort angebotenen

96 Patientenforen werden von den Teilnehmern vorliegender Studie ausschließlich rezeptiv benutzt. Keiner der Befragten gab an, bereits einen Beitrag in einem Forum geleistet zu haben.

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Informationen infrage stellen. So erläutert beispielsweise Claudia Imhof (42), dass sie „möglichst nicht in Foren [guckt] […] weil da immer nur Quatsch drinsteht“. Laura Ott (27) erklärt, dass sie Foren vermeidet, da dort keine medizinischen Experten zu Wort kommen, die vertrauenswürdige oder eindeutige Informationen liefern: „[Ein Patient weiß mehr] wie der nächste und im Endeffekt […] keiner von denen [ist] Fachpersonal und da bin ich dann immer ein bisschen vorsichtig.“ Wenige Patienten nutzen gezielt konkrete Online-Angebote, um sich gesundheitsbezogenes Wissen anzueignen. Alwine Harms (64) informiert sich beispielsweise gezielt und ausschließlich über das Online-Angebot „NetDoktor“. Ihre Begründung dafür, dass sie weder Suchmaschinen noch zusätzliche Online-Angebote zur gesundheitsbezogenen Wissensaneignung nutzt, besteht darin, dass aus ihrer Sicht nicht nachvollziehbar sei, wer die verfügbaren Informationen verfasst hat und welche Qualität sie aufweisen – schließlich könne „jeder irgendetwas“ im Internet veröffentlichen. Auch Frauke Engel (41) eignet sich gesundheitsbezogenes Wissen gezielt über eine konkrete Website an, die spezifische Informationen zu ihrer chronischen Erkrankung bietet. Dieses Online-Angebot, auf das sie ursprünglich über eine Suchmaschine aufmerksam geworden ist, stellt mittlerweile die wichtigste Online-Quelle zur Wissensaneignung mit Bezug zu ihrer chronischen Erkrankung dar. Niklas Fröhlich (36) wiederum wurde von seiner Hausärztin auf die gesundheitsbezogenen Informationen auf ihrer Hausarzt-Website hingewiesen und nutzt diese mittlerweile gezielt, um sich gesundheitsbezogenes Wissen anzueignen. Die medienvermittelte Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen über produzierte Online-Angebote – wie Suchmaschinen, Informations-Websites, Foren sowie Hausarzt- und Krankenhaus-Websites – sowie ‚traditionelle‘ Medienangebote lässt sich, wie einleitend bereits formuliert, in drei Handlungen ausdifferenzieren. So erwerben die Patienten Informationen zu diagnostizierten Erkrankungen, zu erlebten Symptomen sowie zu Krankheit und Gesundheit im Allgemeinen. Diese Handlungen werden im Folgenden beschrieben und in einen Zusammenhang mit der Arzt-Patient-Beziehung gebracht.

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Mediale Wissensaneignung zu diagnostizierten Erkrankungen Patienten eignen sich über Medienangebote gesundheitsbezogenes Wissen zu diagnostizierten Erkrankungen an. Diese kommunikative Handlung nimmt also einen direkten Bezug auf erfolgte ärztliche Diagnosen. Die Patienten nutzen gesundheitsbezogene Medienangebote, um Informationen zu erhalten, die ihnen dabei helfen, eine Erkrankung (besser) zu verstehen und – in Konsequenz – (besser) mit der Krankheit umgehen zu können. 97 Exemplarisch betont Lucy Jakobs (32), dass die Nutzung von Medienangeboten zu einem besseren Verstehen und zur emotionalen Bewältigung der Erkrankung führen kann: [W]enn ich beim Arzt war und habe dann schon gewisse Infos im Kopf und um mir da selber nochmal so ein Bild drüber zu machen, um das […] ein bisschen besser zu verstehen und ein bisschen ruhiger damit klarzukommen. (Lucy Jakobs (32))

Ein Teil der Patienten eignet sich über gesundheitsbezogene Medienangebote generelle Informationen zu einer diagnostizierten Erkrankung an. Dies bedeutet, dass die Patienten ihre Recherche nicht weiter spezifizieren, sondern sich grundsätzlich zur jeweiligen Diagnose informieren. So äußert beispielsweise Aaron Blumer (24), dass er sich durch die Medienrecherche zu seiner Erkrankung „einen Überblick“ verschafft. Ähnlich veranlasst eine ärztliche Diagnose Leonie Glee (46) dazu, sich „so allgemein [zu] informieren“. Auf vergleichbare Art und Weise ermittelt Carmen Janssen (41) nach einem Arztbesuch „also nach der Diagnose […]. [W]as ist das? Was meint das?“ Demgemäß dienen ihr gesundheitsbezogene Medienangebote dazu, „sich da nochmal eben ein bisschen tiefer [einzulesen]“ (Carmen Janssen (41)). Die Aneignung gesundheitsbezogenen Wissens zu diagnostizierten Erkrankungen erfolgt bei den befragten Patienten nicht nur direkt nach einem Arztgespräch, in dem eine Krankheit diagnostiziert wurde. Vor allem Patienten, die von langwierigen oder chronischen Erkrankungen betroffen sind, informieren sich im weiteren Krankheitsverlauf über diagnostizierte Krankheiten. Sie begründen ihr Handeln damit, dass sie stets über die aktuellen medizinischen Erkenntnisse zu ihrer Erkrankung informiert sein möchten. Exemplarisch erläutert Judith Löffler (63), 97

Die Patienten beschreiben den Prozess des Vertrautwerdens mit einer Erkrankung mitunter als zeitintensive Orientierungsarbeit. So betont Nicole Kruse (63), dass sie „eine Zeit gebraucht [hat, um] mit der Krankheit klar zu kommen“.

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dass sie im weiteren Krankheitsverlauf gezielt nach aktuellen Informationen zu ihrer chronischen Erkrankung sucht. Sie führt beispielhaft die kontinuierliche Rezeption von Beiträgen (in Printzeitschriften und im Internet) zu ihrer Pollenallergie an: „Ja, ab und zu lese ich auch die ‚Seniorenbravo‘, die Apotheken Umschau […] für die Frühpollenallergie […]. Also, die lese ich gezielt, nicht jede, sondern wenn ich weiß, was haben die für Themen, interessiert mich das oder nicht“ (Judith Löffler (63)). Auf ähnliche Art und Weise rezipiert Alwine Harms (64), die an einer Herzerkrankung leidet, Fernsehsendungen des MDR, des Bayerischen Rundfunks oder des NDR, wenn diese Schwerpunktthemen senden, die sie persönlich betreffen, denn „dann kann man sich ja dann weiter informieren“. Neben der generellen Auseinandersetzung mit einer diagnostizierten Erkrankung werden gesundheitsbezogene Medienangebote genutzt, um speziellere Informationen zu Erkrankungen zu erhalten. Diese umfassen Informationen zu Begriffen, Blutwerten oder Tomogrammen (Magnetresonanztomografiebilder, Ultraschallbilder etc.). Hinzu kommen Informationen zur Behandlung von diagnostizierten Erkrankungen. Diese spezifischen Informationen mit Bezug zu einer diagnostizierten Erkrankung werden primär über Online-Angebote gewonnen. So berichten interviewte Patienten von Situationen, in denen sie gesundheitsbezogene Medienangebote nutzen, um einzelne Begriffe zu entschlüsseln bzw. zu übersetzen. Den Patienten folgend bedarf es solcher Entschlüsselungen, wenn es sich um „Ärztedeutsch“ (Fiona Krug (43)), „fremde Begriffe“ (Judith Löffler (63)), „medizinische Fremdwörter“ (Tilda Opel (40)) oder um „Fremdwörter […], die jetzt der Laie gar nicht versteht“ (Aaron Blumer (24)) handelt. Diese Begriffe werden in der Sprechstunde vom Hausarzt genannt und im Anschluss daran von den Patienten dechiffriert. Dies beschreibt exemplarisch Nico Riedel (49): „Was ist ein hyperreagibles Bronchialsystem? Was steckt dahinter? Dann googelt man es eben, was bedeutet das überhaupt? […] Ja, dann guckt man selber nochmal. […] [Um] Begrifflichkeiten zu klären.“ Neben den Begriffen, die im Face-to-Face-Gespräch Erwähnung finden, recherchieren die befragten Patienten Begriffe, die auf ausgehändigten Dokumenten aufgeführt werden, wie etwa auf dem Krankenschein, dem Rezept oder dem Arztbrief. Anton Achtermann (39) lässt sich beispielsweise stets den Arztbrief aushändigen, um mithilfe des Internets die Angabe zu dechiffrieren. Gleicherma-

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ßen hat Jonte Fink (20) schon einmal die Angaben auf dem Krankenschein übersetzt, um herauszufinden „was heißt das jetzt überhaupt“. Darüber hinaus recherchieren die Studienteilnehmer Blutwerte, die durch den Hausarzt erhoben und in der direkten Begegnung genannt werden. Zum Beispiel erzählt Alina Gramberg (19), dass sie im Anschluss an die Besprechung der Blutwerte mit ihrem Arzt noch einmal recherchierte, was die Werte bedeuten. Ihre Recherche beschreibt sie folgendermaßen: Was bedeuten die Werte? Was ist gut, was ist schlecht? […] Und dann mit den Werten [im Internet] auch immer verglichen: Wo steh ich? Was sagt das Internet? Das sagt halt, dass der TSH-Wert zum Beispiel maximal bei 2,5 liegen soll und nicht über 4 oder bei 3. (Alina Gramberg (19))

Nicht nur die Ergebnisse von Blutuntersuchungen, sondern auch die Resultate bildgebender Verfahren, wie beispielsweise Schichtbilder, die im Zuge von Magnetresonanztomografien (MRT) entstehen, werden mithilfe von Online-Informationen gedeutet. So erzählt beispielsweise Fiona Krug (43), dass sie MRT-Bilder und die zugehörigen Erläuterungen im Internet genutzt hat, um ihre eigenen MRT-Bilder verstehen zu können. Sie beklagt, dass sich auf ihren eigenen MRTBildern der Schmerzherd des Bandscheibenvorfalls nicht erkennen ließ. Sie wollte herausfinden, „wo sitzt das Ding überhaupt und wie sieht das da auf dem Bild aus, wenn das Ding kaputt ist“. Auf ähnliche Weise schildert Jutta Hall (37), die ebenfalls von einem Bandscheibenvorfall betroffen ist, wie sie die eigenen MRT-Aufnahmen mit Aufnahmen im Internet verglichen hat, um herauszufinden, wo ihr Schmerz genau lokalisiert ist: „Also mir ging es primär eigentlich um die Bilder, um zu sehen, […] wie sieht es aus, kann man da […] was analysieren und abgleichen […]. Also man konnte wirklich gut sehen, an welchem Wirbel ein Bandscheibenvorfall zu sehen war und wo nicht.“ Die Aneignung von Wissen zu diagnostizierten Erkrankungen über gesundheitsbezogene Medienangebote kann sich schließlich auf die vom Arzt verordneten Behandlungsmaßnahmen beziehen. Dies verdeutlicht beispielsweise Nicole Kruse (63), die sich online über die Erfahrungen anderer Patienten mit den verschriebenen Medikamenten zu ihrer rheumatischen Erkrankung informiert. Anton Achtermann (39) wiederum erklärt, dass er sich über Medienangebote ergänzende Informationen zu den ärztlichen Behandlungshinweisen aneignet, die im Zusammenhang mit der jeweiligen Diagnose stehen. Da sein Hausarzt ihm im

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Zuge der Behandlungshinweise erklärt hat, welche Medikamentenwirkstoffe für ihn unverträglich sind, recherchiert er im Internet die Medikamente, die er vermeiden sollte: Also um noch mehr Hintergrundinformationen zu kriegen, sag ich jetzt mal. Ich habe jetzt zum Beispiel auch noch eine andere Krankheit, die umfangreich ist ‒ sag ich jetzt mal ‒, wo ich nur spezielle Medikamente nicht nehmen darf oder kann die nicht essen und so weiter. Und da kann man sich dann dort schon ein bisschen mehr informieren. Weil, wenn er mir jetzt sagt, das ist die und die Krankheit, vermeiden Sie den Wirkstoff in Medikamenten, dann weiß ich immer noch nicht, wo das drin ist ‒ ist es jetzt bei den Spalttabletten drin oder irgendwas anderes. Und dann guck ich doch schon nochmal nach. Und da gibt es ja gerade, wenn es jetzt größere Sachen sind, Hilfeforen, wo dann andere Betroffene auch drin sind. (Anton Achtermann (39))

Patienten schildern ferner, dass sie sich über gesundheitsbezogene Medienangebote zusätzlich zum ärztlichen Therapieansatz ergänzende Therapiemöglichkeiten erschließen. Nikola Nagel (47) macht das am Beispiel ihrer Rückenschmerzen deutlich. Ergänzend zu den Behandlungshinweisen ihrer Ärztin, die sie befolgt, hat sie im Internet nach weiteren Übungen gesucht, die ihre Schmerzen lindern. Gleichermaßen ermittelt Frederike Neumann (47) über Medienangebote, „was [sie] außerdem tun kann.“ Die Patienten informieren sich online ferner darüber, welche Konsequenzen bestimmte Behandlungsmaßnahmen haben können. Fabian Wolf (48) veranschaulicht dies am Beispiel seiner Gallenblasenentfernung, bei der er sich über die Folgen dieses Eingriffs informierte: [M]ir wurde die Gallenblase entnommen […], da habe ich mich auch schlau gemacht […]. Bisschen informiert, ja, was das für den Körper für Auswirkungen hat, was hat das zu bedeuten […]. Damit man weiß, womit man [es] eigentlich zu tun hat. […] So, aber, wenn man davon betroffen ist, dann muss man wissen, was geht in einem eigentlich vor […] da hat mich schon interessiert, was das alles so bewirkt im Körper. (Fabian Wolf (48))

Die gesundheitsbezogene Online-Recherche der Patienten findet ferner statt, um die Notwendigkeit einer vom Arzt empfohlenen Behandlung zu prüfen. Fanny Bauer (53) versucht beispielsweise mithilfe von Medienangeboten herauszufinden, ob die vom Hausarzt erstellte Überweisung zum Facharzt tatsächlich notwendig ist, da sie lange Wartezeiten auf einen Termin fürchtet und hofft, diese so umgehen

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zu können. Die Notwendigkeit einer Operation verifiziert Lucy Jakobs (32) wiederum, indem sie sich online über die möglichen Konsequenzen informiert, die eine ausbleibende Behandlung nach sich ziehen kann. Die Patienten führen verschiedene Begründungen für die mediale Wissensaneignung zu ihren diagnostizierten Erkrankungen an, die bereits an einigen Stellen angeklungen sind. Sie sehen etwa dann eine Notwendigkeit gegeben, sich zusätzlich zum Wissen, das in der Sprechstunde erworben wurde, mediale Informationen anzueignen, wenn die Informationen des Arztes aus ihrer Sicht unverständlich sind. Beispielsweise, wenn sie ärztliche Fachbegriffe übersetzen müssen. Zum Teil empfinden die Patienten die Informationen, die ihnen der Hausarzt vermittelt, auch als nicht detailliert genug bzw. als zu oberflächlich. Dies führen sie unter anderem auf eine zu schnelle Vermittlung der Informationen oder auf das knappe Zeitfenster einer Behandlung zurück. Exemplarisch hält Lucy Jakobs (32) fest: [B]eim Arzt [geht] halt doch alles ziemlich ratter, ratter, ratter, schnell, schnell, schnell […], ist ja auch klar irgendwo, aber, um das dann nochmal langsam für mich dann zu verdeutlichen, habe ich mir das dann irgendwie durchgelesen. (Lucy Jakobs (32))

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass der Wunsch, sich weitere Informationen anzueignen, von den Patienten nicht ausschließlich auf die Art und Weise der hausärztlichen Wissensvermittlung zurückgeführt wird. Vielmehr begründen die Patienten ihren medialen Wissenserwerb im Anschluss an einen Arztbesuch mit ihrer eigenen Aufregung oder ihrer fehlenden Aufmerksamkeit während der Sprechstunde. So schildert zum Beispiel Nicole Kruse (63), dass sie sich zusätzliche Informationen zur Diagnose und zu den Behandlungshinweisen verschafft, da sie der Meinung ist, dem Arzt während der Sprechstunde nicht folgen zu können. Sie erzählt, dass sie während des persönlichen Gesprächs stets sehr aufgeregt ist. Die Befürchtung, etwas aus dem Gespräch vergessen zu haben, veranlasst die Patientin, sich nach einem Arztbesuch medienvermittelt zu informieren: [Ich recherchiere,] ob ich noch zusätzlich was erfahren kann, denn manchmal vergesse ich das auch, wenn mir der Arzt dann in dem Moment was erzählt, ich neige dann dazu, ziemlich aufgeregt zu sein und bumm habe ich die Hälfte vergessen. (Nicole Kruse (63))

Für die Wissensaneignung über produzierte Medienangebote zu diagnostizierten Erkrankungen lässt sich festhalten, dass sie aus Sicht der Patienten dazu beiträgt,

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dass sie ihre Erkrankung (besser) verstehen und (besser) damit umgehen können. Die mediale Wissensaneignung hängt mit der Arzt-Patient-Beziehung insofern zusammen, als sie dazu beiträgt, den gesundheitsbezogenen Wissensvorrat auszubauen, mit dem die Patienten ihrem Hausarzt begegnen. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass die mediale Wissensaneignung zu diagnostizierten Erkrankungen in einem weiteren unmittelbaren Zusammenhang zur Arzt-Patient-Beziehung steht, denn sie ermöglicht den Patienten, ihr gesundheitsbezogenes Wissen, das sie in der Arztkonsultation erwerben, zu ergänzen oder zu bestätigen. Mediale Wissensaneignung zu erlebten Symptomen Der vorangegangene Abschnitt hat gezeigt, dass Patienten gesundheitsbezogene Medienangebote mitunter nutzen, um ergänzende Informationen zu diagnostizierten Erkrankungen zu erhalten. Hinzu kommt, dass Patienten Online-Angebote nutzen, um sich Wissen zu erlebten Symptomen anzueignen. Sie informieren sich darüber, auf welche Krankheiten ihre erlebten Symptome hindeuten, welche Folgen der Symptome in Betracht gezogen werden können und wie sie auf die Symptome reagieren sollten. Diese Art der Wissensaneignung findet nicht infolge einer ärztlichen Diagnose statt. Der Zusammenhang zur Arzt-Patient-Beziehung besteht vielmehr darin, dass die Wissensaneignung zu erlebten Symptomen der Vorbereitung eines geplanten Arztbesuchs dient oder der Anlass für einen Arztbesuch sein kann. Zudem erweitert das Wissen, das sich Patienten mit Bezug zu erlebten Symptomen aneignen, ihren gesundheitsbezogenen Wissensvorrat, mit dem sie ihrem Hausarzt begegnen. Die geführten Interviews zeigen, dass sich Patienten über Medienangebote Wissen zu erlebten Symptomen aneignen, um diese mithilfe des medial erworbenen Wissens einzuordnen. So berichtet Joshua Adam (26): Letztes Jahr […], da hatte ich Schmerzen in […] der Lebergegend […]. Da habe ich mich dann schlau gemacht […], was das vielleicht sein könnte eventuell. Um das irgendwie einzugrenzen für mich schon mal. Das, was man ganz gerne macht. (Joshua Adam (26))

Gleichermaßen eignet sich Claudia Imhof (42) beispielsweise bei Hautausschlägen oder anderen leichten Erkrankungen, die sie nicht zuordnen kann, medial Wissen an: „Ich informier mich auch so mal, ja. Bücher […]. [I]ch habe so ein, zwei Sachen

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zu Hause einfach so allgemein über Krankheitenerkennung, sowas hausapothekenmäßig. […] [D]a guck ich immer nach […].“ Die Einordnung von erlebten Symptomen findet vor allem dann statt, wenn die jeweiligen Symptome den Patienten bis dato gänzlich unbekannt sind. So recherchiert Nora Nowak (33) bei „Sachen […], wo ich gar nicht weiß, was ich [da]mit anfangen [kann]“. Ebenso informiert sich Fabienne Graf (24) „wenn man das jetzt grade nicht öfter mal hatte oder so, was man jetzt gar nicht kennt, dann guckt man durchaus mal bei Google“. Vereinzelt eignen sich Patienten über Medienangebote Wissen zu erlebten Symptomen an, um zu überprüfen, ob die verfügbaren Informationen mit der eigenen Krankheitsvermutung übereinstimmen. Exemplarisch erklärt Tilda Opel (40), dass sie gesundheitsbezogene Online-Informationen nutzt, „um vielleicht nochmal kurz zu gucken, passen die Symptome vielleicht jetzt gerade zu dem Störungsbild, was ich meine, was ich habe“. Darüber hinaus recherchieren die InterviewPartner erlebte Symptome, um zu klären, ob diese in einem Zusammenhang mit einer bereits diagnostizierten Krankheit stehen. Demgemäß eignet sich beispielsweise Louisa Kaufmann (41), die eine Pollenallergie hat, über Printzeitschriften und Magazine (wie die Apotheken Umschau oder den Spiegel) gesundheitsbezogenes Wissen an, um ihre saisonal wiederkehrenden Symptome einzuordnen. Die Printtitel enthalten regelmäßig Beiträge zu jahreszeittypischen und in der Bevölkerung – respektive der Leserschaft – häufig auftretenden Erkrankungen. Louisa Kaufmann (41) beschreibt ihre mediale Wissensaneignung folgendermaßen: [Ich recherchiere], wenn zum Beispiel Beschwerden da sind, wie jetzt gerade Birken, […] um einfach nochmal die Bestätigung zu finden, ich fühle mich gerade schlapp, meine Nase läuft, irgendwo, womit hängt das zusammen, ah ja, die Bestätigung [das hängt mit der Pollenallergie zusammen]. (Louisa Kaufmann (41))

Neben dieser Eruierung möglicher Krankheiten zu den Symptomen gilt die Recherche explizit den Konsequenzen der potenziellen Erkrankungen, auf die die Symptome hindeuten. So führt der 26-jährige Joshua Adam an, dass er sich direkt nach einer Sportverletzung und noch bevor eine ärztliche Diagnose feststand, über mögliche Konsequenzen informierte. Er recherchierte, „[w]as für Auswirkungen das haben kann, ob ich später noch Fußball spielen kann oder ob ich irgendwelche

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Einschränkungen habe im Nachhinein“. Dementsprechend hat auch Aaron Blumer (24) am Vortag eines Arztbesuchs „halt mal geguckt, was mir blühen könnte, wenn jetzt der Arm gebrochen wäre oder so“. Patienten eignen sich Wissen zu erlebten Symptomen an, das sich auf die Behandlung selbiger bezieht. Informationen zu Behandlungshinweisen recherchieren die Patienten insbesondere dann, wenn ihnen die Symptome bekannt sind oder wenn sie ihnen leicht erscheinen. Die Patienten informieren sich hierfür nach passenden Behandlungsmaßnahmen. Aaron Blumer (24) hält beispielsweise fest, dass er bei Symptomen, die er als leicht erlebt, gesundheitsbezogene Online-Angebote nutzt, um Behandlungsmöglichkeiten zu recherchieren: „[I]m Normalfall google ich halt mal […] was es so für Möglichkeiten gibt.“ Er veranschaulicht seine Informationsrecherche am Beispiel einer verstopften Nase und erzählt: „Zum Beispiel auch bei meiner Nase habe ich dann mal nachgeguckt, was das sein könnte. […] Ich habe dann auch mit so Globuli mal rumprobiert […], hatte ich halt im Internet gelesen“ (Aaron Blumer (24)). Auch Fabienne Graf (24) erschließt sich über gesundheitsbezogene Medienangebote den Umgang mit erlebten Symptomen. Sie berichtet davon, dass sie sich bei Sportverletzungen, die sie sich beim Fußballspielen zugezogen hat, Behandlungshinweise online angeeignet hat: „[W]enn man dann irgendwie mal blöd wegknickt oder irgendwas hat, dass man da einmal guckt und was ist besser, Wärme, Kälte und so weiter. Sowas googelt man dann schon mal.“ Beim Blick auf den Zusammenhang zwischen medialer Wissensaneignung der Patienten und der Arzt-Patient-Beziehung zeigt sich, dass nicht nur pauschal davon ausgegangen werden kann, dass die Aneignung von Informationen mit Bezug zu erlebten Symptomen den gesundheitsbezogenen Wissensvorrat der Patienten erweitert, mit dem sie ihrem Hausarzt begegnen. Die befragten Patienten bringen die mediale Wissensaneignung zu erlebten Symptomen darüber hinaus auf unterschiedliche Art und Weise in einen Zusammenhang mit der Arzt-Patient-Beziehung. Aus Patientenperspektive lassen sich vier Zusammenhänge spezifizieren. Der erste Zusammenhang besteht darin, dass Patienten ihre erlebten Symptome mithilfe von Medienangeboten einordnen, um sich auf eine – bereits geplante – Arztkonsultation gezielt vorzubereiten. Joshua Adam (26) recherchiert beispielsweise seine erlebten Symptome sowie Auswirkungen der potenziell damit zusam-

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menhängenden Erkrankungen, um „ein bisschen Input zu kriegen, bevor man seinen Termin beim Arzt hat. Um da nicht ganz leer hinzugehen“. Der zweite Zusammenhang von Arzt-Patient-Beziehung und medialer Wissensaneignung zu erlebten Symptomen besteht darin, dass die Patienten sich die Ergebnisse ihrer medialen Wissensaneignung durch ihren Hausarzt verifizieren lassen. Die Patienten betonen die Rolle des Hausarztes als eine letzte Instanz in der Konstruktion gesundheitsbezogenen Wissens. So argumentiert Joshua Adam (26), dass er nach seiner Informationsrecherche „natürlich auch noch zum Arzt gegangen [ist], der hat [ihm die selbstständig ermittelte Krankheit] […] dann dementsprechend bestätigt“. Erst durch die Diagnose des Arztes wird die Krankheit in diesem Fall als solche für den Patienten (kommunikativ) definiert und erhält eine robuste Bedeutung für den Erkrankten. Einen dritten direkten Zusammenhang sehen Patienten, wenn die recherchierten Informationen den Patienten keine eindeutige Einordnung ihrer erlebten Symptome ermöglichen und sie die unklare Informationslage dazu veranlasst, ihren Hausarzt aufzusuchen. Die medial gewonnenen Informationen werden in diesem Zusammenhang von den Befragten als mehrdeutig klassifiziert, denn „die Leute erzählen ja viel, wenn der Tag lang ist. Der eine sagt so, der andere sagt so. […] [D]ie Meinungen gehen echt ziemlich weit auseinander im Internet“ (Justus Breuer (45)). Gemäß den Interview-Partnern liefert der Hausarzt eindeutige und vor allem auf den einzelnen Patienten angepasste Informationen. Filippa Seidel (24) beschreibt beispielsweise, wie sie bei Kopfschmerzen recherchierte, um herauszufinden: „Was könnte es ungefähr sein?“ Die große Anzahl an möglichen Krankheiten, die zu ihren Symptomen passten, machten aus ihrer Sicht eine zutreffende Einordnung ihrer Symptome unmöglich. Sie erklärte daraufhin, dass „oft […] der logische Menschenverstand [hilft], dass man sagt ‚Okay, nee, das kann es gar nicht sein‘ […] und dann, ja, geht man zum Arzt, der weiß ganz klipp und klar, was Sache ist“ (Filippa Seidel (24)). Viertens entsteht ein Zusammenhang zwischen Wissensaneignung und Arzt-Patient-Beziehung, wenn die medial ermittelten und angewandten Behandlungshinweise nicht zu einer Verbesserung des Gesundheitszustands führen. Auch in diesen Fällen konsultieren die Patienten den Hausarzt. Demgemäß berichtet zum Beispiel Aaron Blumer (24), dass er Behandlungshinweise zu seiner verstopften Nase recherchiert und diese dann auch befolgt habe. Die Therapie mittels homöopathischer Mittel veranlasste ihn davon auszugehen, dass er durch die selbstgewählte Behandlung „nix […] verlieren“ könne.

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Allerdings stellte sich heraus, dass die erprobte Selbsttherapie „nicht ganz so erfolgreich [war]“. Dies veranlasste ihn, seinen Hausarzt aufzusuchen: „Und jetzt habe ich halt doch gesagt, ‚Geh ich mal zum Arzt‘.“ Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die mediale Wissensaneignung zur Einordnung erlebter Symptome den Patienten dazu dient, einen geplanten Hausarztbesuch gezielt vorzubereiten. Zudem lassen die Patienten medial ermittelte Krankheiten oder Behandlungshinweise durch den Hausarzt verifizieren. Schließlich können nicht eindeutige Ergebnisse der Wissensaneignung oder die ausbleibende Genesung infolge von angewandtem (medial erworbenem) Wissen zur Behandlung subjektiv erlebter Symptome Patienten zu einem Hausarztbesuch veranlassen. Mediale Wissensaneignung zu Krankheit und Gesundheit im Allgemeinen Bislang wurde aufgezeigt: Patienten eignen sich Wissen zu diagnostizierten Krankheiten und zu erlebten Symptomen über Medien an. In diesem Abschnitt wird argumentiert, dass die mediale Wissensaneignung darüber hinaus auch zu Krankheit und Gesundheit im Allgemeinen erfolgen kann. Die Aneignung ‚allgemeinen‘ Wissens kann unspezifisch (‚generell‘) sein oder bestimmte Wissensbereiche umfassen, wie zum Beispiel Wissen zur menschlichen Anatomie, zu bestimmten Krankheitsbildern sowie Wissen zu Bewegung, Sport und Ernährung. Der Terminus ‚im Allgemeinen‘ verweist darauf, dass diese mediale Wissensaneignung nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einer aktuellen eigenen Erkrankung steht. Ebenso wenig bezieht sie sich zwangsweise auf einen erfolgten Arztbesuch – wie etwa die Wissensaneignung zu diagnostizierten Erkrankungen – oder einen künftigen Arztbesuch – wie die Wissensaneignung zu erlebten Erkrankungen. Dennoch trägt auch sie dazu bei, den persönlichen gesundheitsbezogenen Wissensvorrat von Patienten zu formen, mit dem diese ihrem Hausarzt begegnen. Und hierin liegt die Beziehungsrelevanz der allgemeinen Aneignung von Wissen zu Krankheit und Gesundheit. Patienten eignen sich Wissen zum Thema Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen an, ohne speziellen thematischen Fokus. Die Patienten charakterisieren diese generelle Wissensrezeption zum Thema Gesundheit und Krankheit dadurch, dass sie „was“ (Frieda Pfeifer (78)) bzw. „irgendwas“ (Laura Ott (27)) über Ge-

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sundheit und Krankheit in Zeitschriften lesen oder im Fernsehen sehen. Die Zuwendung zu den gesundheitsbezogenen Medienangeboten erfolgt in diesen Fällen nicht mit der Intention, etwas Bestimmtes zum Thema Gesundheit und Krankheit zu erfahren. Mitunter wird die Medienrezeption in diesen Fällen nicht primär oder alleinig vom Motiv der Wissensaneignung geleitet, sondern erfolgt beispielweise mit dem Ziel, sich die Zeit zu vertreiben. Über diese beiläufige Aneignung von gesundheitsbezogenem Wissen hinaus gibt es auch Patienten, die sich gezielt zu „allen möglichen Themen“ (Alwine Harms (64)) informieren, um über allgemeine gesundheitsbezogenen Themen auf dem Laufenden zu sein oder zu bleiben. Patienten eignen sich nicht nur allgemeines Wissen zu Gesundheit und Krankheit an, sondern auch spezielleres Wissen, ohne dass dieses mit einer persönlichen Erkrankung direkt zusammenhängt. Diese Art des Wissenserwerbs der Patienten begründet sich in der Regel mit dem Wunsch, möglichen Erkrankungen vorzubeugen bzw. die eigene Gesundheit zu fördern. Patienten, die im Rahmen der vorliegenden Studie interviewt wurden, recherchieren beispielsweise über Medienangebote Informationen zur menschlichen Anatomie. So erzählt beispielsweise Fritz Groß (66), dass er sich bereits darüber informiert habe „wo sitzt die [Bauchspeicheldrüse] überhaupt“. In diesem Zusammenhang berichtet Fritz Groß außerdem, dass er recherchierte, welche Organe Ärzte bei einer Ultraschalluntersuchung erkennen können und referiert, dass er wissen wollte, „was kann man erfassen mit Ultraschall, die [Bauchspeicheldrüse] kann man nicht erfassen, […] weil da meistens Gase sind oder so, bei jedem Menschen“. Fritz Groß begründet die Wissensaneignung zu Informationen zur menschlichen Anatomie folgendermaßen: „[Ich recherchiere] [w]enn ich nichts habe, […] das ist ja nur Vorausschauen […], falls man mal was haben könnte […], dann guckt man sich es mal an oder so.“ Neben den Informationen zur menschlichen Anatomie eignen sich die Patienten allgemeine Informationen zu Krankheitsbildern an. Demgemäß hat Noah Stil (17) schon einmal im Internet recherchiert, was ein grippaler Infekt ist. Tilda Opel (40) interessiert sich für das „Thema Krebs“ und informiert sich entsprechend darüber, welche „vorbeugenden Maßnahmen“ sie treffen kann. Über die Krankheitsbilder hinaus recherchieren die Patienten auch Informationen zu Krankheitsbehandlungen, ohne damit einen tatsächlichen aktuellen Anwendungszweck zu verbinden. So schaut beispielsweise Leonie Glee (46) nach Informationen zu Behand-

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lungen, die sie allgemein „interessant“ findet. Als Beispiele benennt sie „Akupunktur, Schüßlersalze […] diese Basen-Themen“. Dieses allgemeine Wissen zu Krankheitsbehandlungen verbindet auch Leonie Glee mit dem Wunsch, etwas „in Richtung Prävention“ zu tun. Gemäß den Patienten handelt es sich bei den Krankheiten, über die sie sich medial informieren, ohne unmittelbar betroffen zu sein, um Erkrankungen, die eine breite gesellschaftliche Relevanz bzw. eine große öffentliche Präsenz besitzen. In diesem Kontext führen die Patienten sogenannte ‚Volkskrankheiten‘ als Beispiele an, wie Krebs, Diabetes oder Kreislaufprobleme. Louisa Kaufmann (41) stellt exemplarisch fest, dass sie sich über weit verbreitete Krankheiten informiert, um gewappnet zu sein, falls sie selbst einmal von einer solchen Krankheit betroffen sein sollte: „[W]as so die häufigsten Krankheiten sind, Diabetes und Kreislauf […], das ist ja in Deutschland mit Hauptthema Nummer eins und nicht erst dann was tun oder sich erkundigen, [wenn man selbst betroffen ist].“ Über die Wissensaneignung zur menschlichen Anatomie oder zu bestimmten Krankheiten hinaus eignen sich Patienten über Medienangebote Wissen zu Bewegung, Sport und Ernährung an. Aus Sicht der Patienten stehen diese Themen in einem engen Zusammenhang mit Gesundheit und Krankheit. So formuliert Tilda Opel (40): „[A]ll das hängt ja mit der Gesundheit zusammen.“ Chloe Wagner (18) besorgt sich beispielsweise Anregungen für ihr wöchentliches Sportprogramm. Niklas Fröhlich (36) wiederum bezieht online Hinweise zu einer gesundheitsfördernden Ernährung. Bei der abschließenden Betrachtung des Zusammenhangs zwischen medialer Wissensaneignung zu Krankheit und Gesundheit im Allgemeinen und der ArztPatient-Beziehung lässt sich feststellen, dass die mediale Wissensaneignung der Patienten dazu beiträgt, deren individuellen gesundheitsbezogenen Wissensvorrat zu erweitern. Die Wissensaneignung geschieht mitunter aus einer Art ‚Vorsorgementalität‘. Patienten wollen wissenstechnisch gewappnet sein, falls sie eines Tages von einer Erkrankung betroffen sein sollten und informieren sich, obwohl sie auf keinen akuten gesundheitlichen Anlass verweisen können. Neben der Erweiterung des gesundheitsbezogenen Wissensvorrats dient die Aneignung von Wissen zu Gesundheit und Krankheit, das nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit einer eigenen Erkrankung steht, zumeist der Gesundheitsförderung bzw. der

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Krankheitsprävention. 98 Darüber hinaus lässt sich anhand des Datenmaterials kein direkter Zusammenhang zwischen der medialen Aneignung von Wissen zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen und dem Arzt-Patient-Gespräch herstellen. Die Patienten selbst betonen, dass sie ihr gewonnenes Wissen nicht im Gespräch mit ihrem Hausarzt thematisieren. So erklärt Fritz Groß (66) exemplarisch, dass er das Wissen, das er sich medial aneignet, „wenn [er] nichts [hat,] […] nicht mit [s]einem Arzt besprechen [muss]“. Thematisierung von medial erworbenem gesundheitsbezogenen Wissen im direkten Gespräch Bis zu diesem Punkt konnte für die mediale Wissensaneignung der Patienten gezeigt werden, dass das angeeignete Wissen – sei es Wissen zu diagnostizierten Erkrankungen, zu erlebten Symptomen oder zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen – zum gesundheitsbezogenen Wissensvorrat der Patienten beiträgt, mit dem sie ihrem Hausarzt begegnen. Im Folgenden wird anhand der Beobachtungsund Interview-Daten rekonstruiert, wie Patienten ihr medial erworbenes gesundheitsbezogenes Wissen in die Sprechstunde mit ihrem Hausarzt einbringen und wie sie diese Thematisierung begründen. Als Grund für die Präsentation des medial erworbenen gesundheitsbezogenen Wissens führen die Patienten zum einen den Wunsch an, den Arzt bei dessen Diagnose zu unterstützten. Demgemäß argumentiert beispielsweise Anne Eilers (55), dass ihr medial erworbenes Wissen ihr dabei helfe, ihre Symptome in der Sprechstunde besser darlegen zu können. Diese verbesserte Auskunftsfähigkeit führt aus ihrer Sicht dazu, dass der Arzt ihr Anliegen besser nachvollziehen kann. Zum anderen geht es den Patienten darum, dass der Hausarzt ihre Krankheitsvermutun-

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Krankheitsprävention (meist verkürzt auch als Prävention deklariert) wird im Folgenden nach Hurrelmann et al. (2014) als „eine Vermeidung des Auftretens von Krankheiten“ (ebd.: 13) verstanden. Gesundheitsförderung meint hingegen eine „Stärkung der gesundheitlichen Entfaltungsmöglichkeiten“ (ebd.). Mit beiden Maßnahmen wird dieselbe Absicht verfolgt, nämlich das Erzielen eines Gesundheitsgewinns. So halten Hurrelmann et al. (2014) fest: „Gemeinsames Ziel […] ist, einen sowohl individuellen als auch kollektiven Gesundheitsgewinn zu erzielen – einmal durch das Zurückdrängen von Risiken für Krankheiten, zum anderen durch die Förderung von gesundheitlichen Ressourcen. Dabei beruft sich die Krankheitsprävention auf die Dynamik der Entstehung von Krankheit, die Gesundheitsförderung auf die Dynamik der Entstehung von Gesundheit“ (ebd.: 14; Herv. i. O.).

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gen verifizieren soll, die auf ihrem medial erworbenen Wissen beruhen. Die Patienten wollen das Krankheitsbild, zu dem sie gelangt sind, durch den Arzt abklären lassen. So schildert beispielsweise die junge Patientin Alina Gramberg (19), dass sie den Arzt direkt mit ihrer Selbstdiagnose, einer Laktoseintoleranz, konfrontiert hat. Zu dieser Selbstdiagnose ist sie auf Grundlage einer Kombination aus Familienanamnese (so leidet ihre Großmutter ebenfalls unter einer Laktoseintoleranz) und der Überprüfung der ins Krankheitsbild passenden Symptome mittels einer Online-Recherche gelangt. Die Patientin erzählt, dass sie ihren Arzt im persönlichen Gespräch darum bat, sie auf Laktoseintoleranz hin zu untersuchen – mithilfe der entsprechenden Tests. In diesem Zusammenhang betont die Patientin, die Sicherheit, dass die Selbstdiagnose stimmt, erst durch den Arzt und dessen Verifikation der Diagnose zu erlangen. Zum Teil koppeln die Patienten Rechercheergebnisse zurück, obwohl sie das Gefühl haben, dass Ärzte die „Schotten dicht machen“ (Frauke Engel (41)), sie sich bei Ärzten unbeliebt machen (Nicole Kruse (63)) oder Ärzte sich gestört fühlen (Judith Löffler (63)). Nicole Kruse (63) rechtfertigt in diesem Zusammenhang ihre gesundheitsbezogene Online-Recherche und die Thematisierung der Ergebnisse in der Sprechstunde mit dem Argument, dass „jemand, der heute Arzt ist, der muss doch wissen, dass die Leute in den Medien nachgucken“ (Nicole Kruse (63)). Im Zuge der Rückkopplung des erworbenen Wissens werden mitunter die medialen Quellen (wie z. B. ein Zeitungsartikel oder ‚das Internet‘) im persönlichen Arzt-Patient-Gespräch benannt. Das heißt, die Patienten fassen die Ergebnisse ihrer Recherche nicht nur zusammen (wie zum Beispiel in Form einer Selbstdiagnose), sondern erläutern ihrem Arzt etwa, dass sie sich „über das Internet“ belesen haben. So erläutert beispielsweise Jörg Zeigler (29) im beobachteten Gespräch mit seinem Hausarzt, dass er bereits viel über die Erkrankung seines Vaters „im Internet recherchiert und gelesen“ habe. Eine weitere Patientin erzählt ihrem Arzt, was sie über die Erkrankung alles „im Fernsehen“ gesehen und auch „in Zeitschriften“ gelesen habe und welche weiteren Therapieansätze sie dadurch kenne. Über diese Beobachtungen hinaus führen die interviewten Hausärzte weitere Situationen an, in denen sie erlebt haben, dass Patienten explizit ihre Wissensquellen benennen. So berichtet Dr. Marthen, dass Patienten seiner Praxis im Zuge des persönlichen Gesprächs durchaus angeben: „Ja, das habe ich gegoogelt.“ Dr. Lorien nimmt in

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diesem Zusammenhang an, dass es insbesondere „die offenen“ Patienten sind, die sagen, „ich habe im Internet schon nachgeschaut, was es sein könnte“ (Dr. Lorien). Daneben gibt es auch Patienten, die in den Interviews offenlegen, dass sie weder die Quelle noch die Ergebnisse der medialen Wissensaneignung ihrem Hausarzt präsentieren. Als Grund hierfür nennen sie unter anderem, dass es sich bei dem medial erworbenen Wissen eher um Wissen handelt, das nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Krankheit steht, die den Anlass des Arztbesuchs bildet, und dass sie daher auch keine Notwendigkeit sehen, dieses Wissen im Gespräch zu thematisieren. Als weitere Begründung dafür, das eigene Wissen im Gespräch nicht offenzulegen, führen die Patienten an, dass für sie im persönlichen Arzt-Patient-Gespräch die Aneignung des gesundheitsbezogenen Wissens durch den Arzt zählt und nicht die Vermittlung des eigenen Wissens. Justus Breuer (45) beispielsweise beschreibt, wie er Online-Angebote einsetzt, um seine erlebten Symptome einzuordnen und sich dadurch auf das Arzt-Patient-Gespräch vorzubereiten. Das gewonnene Wissen thematisiert er im Face-to-Face-Gespräch nicht, da für ihn im Gespräch das zählt, was der Arzt diagnostiziert und nicht das, was er selbst herausgefunden hat. Darüber hinaus verschweigen Patienten ihr gesundheitsbezogenes Wissen, weil sie davon ausgehen, dass ihre eigenen Erkenntnisse nicht zu einer richtigen Diagnose führen können. Dies beschreibt Anton Achtermann (39) folgendermaßen: „Ich verschweig es meistens. Weil ‒ wie gesagt ‒ meistens ist es doch etwas ganz anderes, wie man rausgefunden hat ‒ selber rausgefunden hat. […] [W]enn man Glück hat, kann man auf die Krankheit schon kommen, aber meistens liegt man doch daneben.“ Als weitere Begründung wird von den Patienten angeführt, dass sie die Ergebnisse ihrer medialen Recherche nicht mehr zurückkoppeln, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass „es nicht so gut ankommt“ und zu „leichten Disharmonien“ (Judith Löffler (63)) im Arzt-PatientGespräch führt. Wenngleich Patienten ihr medial erworbenes gesundheitsbezogenes Wissen nicht immer offenlegen, so geben die Hausärzte an, dass sie an der Art und Weise, wie Patienten über ihren Gesundheitszustand sprechen, nachvollziehen können, ob und über welche Quellen sich die Patienten vorinformiert haben. Dr. Streep nimmt an, dass „viele, die sich hier nicht outen, [zu Hause] googeln […]. Das kommt immer so zwischen den Zeilen durch“ (Dr. Streep). Die befragten Ärzte erörtern, dass insbesondere kritische Nachfragen und außergewöhnliche – zum

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Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

Teil unpassende – Selbstdiagnosen („Quatschdiagnosen“, „ganz wirre Dinge“) darauf hinweisen, dass sich ihre Patienten im Vorfeld über gesundheitsbezogene Medienangebote informiert haben. Auch der Einsatz von Fachbegriffen, die ein „normaler Arbeiter oder so gar nicht wissen kann“, deutet Dr. Lorien zufolge darauf hin, dass sich der Patient im Vorfeld gesundheitsbezogenes Wissen angeeignet hat, wenngleich der Patient die Quelle im Zuge seiner Präsentation nicht benennt. 5.4.4

Veranschaulichung, Ergänzung und Generierung von gesundheitsbezogenem Wissen durch Medien

Für dieses Teilkapitel lässt sich resümieren, dass Hausärzte Hinweise zu Diagnosen und Behandlungen vor allem im Zuge des direkten Arzt-Patient-Gesprächs mit ihren Patienten teilen. Der Hausarzt wendet dabei sein medizinisches Fachwissen auf den einzelnen Patienten an. Damit Arzt und Patient sich verständigen bzw. verstehen können, setzen die Hausärzte unterschiedliche kommunikative Strategien ein. Dazu zählt der Einsatz von Metaphern und Körpersprache. Darüber hinaus finden auch Medien im direkten Face-to-Face-Gespräch zwischen Hausarzt und Patient Einsatz, um verbale und nonverbale Erklärungen zu veranschaulichen. Ärzte nutzen materielle Modelle (wie Plastikskelette), Zeichnungen oder die Ergebnisse der Bildersuche mittels Suchmaschinen, um ihre Ausführungen zu unterstützen. Auch Laborbefunde oder Facharztbriefe sowie von den Patienten selbst mitgebrachte Dokumente dienen der medialen Unterstützung der Vermittlung der Diagnose und der Behandlungshinweise. Neben dem direkten Gespräch findet die Konstruktion auch über Telefon- oder E-Mail-Kommunikation statt. Diese Kommunikationsformen tragen dazu bei, das gesundheitsbezogene Wissen, das Ärzte ihren Patienten im persönlichen Gespräch vermitteln, zu ergänzen. Vor allem die Telefon-Kommunikation ist fest in den ärztlichen Tagesablauf integriert und wird für Hausärzte als ‚selbstverständliche Verlängerung‘ des Arzt-Patient-Gesprächs verstanden. Bleiben Fragen im direkten Gespräch offen, müssen die Diagnose oder die Behandlung korrigiert werden. Fehlt eine abschließende Klärung des Anliegens der Patienten (z. B. aufgrund fehlender patientenbezogener Daten), werden Diagnose und Behandlungshinweise mittels Telefon- und E-Mail-Kommunikation komplettiert.

Überblick über die beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen

233

Die Konstruktion gesundheitsbezogenen Wissens in der direkten bzw. medienvermittelten interpersonalen Kommunikation von Hausarzt und Patient findet im Kontext der umfassenden gesundheitsbezogenen Wissensaneignung der Patienten statt. So eignen sich Patienten über allgemein adressierte, standardisierte Medienangebote Wissen zu diagnostizierten Erkrankungen, erlebten Symptomen sowie zu den Themen Krankheit und Gesundheit im Allgemeinen an. Grundsätzlich prägt diese Aneignung gesundheitsbezogenen Wissens die Arzt-Patient-Beziehung, da sie den Wissensvorrat der Patienten formt, mit dem diese ihrem Hausarzt begegnen. Der Zusammenhang wird besonders greifbar bei der Wissensaneignung zu erlebten Symptomen. Patienten eignen sich Wissen zu erlebten Symptomen an, um sich gezielt auf einen geplanten Arztbesuch vorzubereiten. Sie äußern im ArztPatient-Gespräch Krankheitsvermutungen, die auf dem medial erworbenen Wissen zu ihren Symptomen basieren, um diese durch ihren Hausarzt verifizieren oder einordnen zu lassen. Ähnlich steht die mediale Wissensaneignung zu diagnostizierten Erkrankungen in einem unmittelbaren Zusammenhang zu einer erfolgten Arzt-Patient-Begegnung. Sie dient der Ergänzung des durch den Arzt vermittelten gesundheitsbezogenen Wissens zur Diagnose und zu den Behandlungshinweisen.

5.5

Überblick über die beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen

In Kapitel 5 wurden die vier kommunikativen Handlungen erläutert, die zur Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung beitragen. Hierzu gehören erstens die kommunikativen Handlungen der Mikro-Koordination sowie die Konstruktion von zweitens hausarztbezogenem Wissen, drittens patientenbezogenem Wissen und viertens gesundheitsbezogenem Wissen. Für die einzelnen Handlungen konnte gezeigt werden, wie sie durch Medien geprägt werden. Damit hat Kapitel 5 erste Antworten auf die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit geliefert: ‚Wie wird die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung durch die Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote geprägt?‘ Online-Angebote sind zusammen mit ‚traditionellen‘ Medienangeboten insbesondere in kommunikative Koordinationshandlungen von Ärzten und Patienten fest eingebunden. Dadurch

234

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

beschleunigen und flexibilisieren sie organisatorische Absprachen. Die kommunikative Konstruktion eines intersubjektiven Wirklichkeitsbereichs umfasst das wechselseitige Kennenlernen und die Konstruktion eines gemeinsamen Verständnisses von dem Gesundheitszustand des Patienten und findet wesentlich in der direkten Begegnung zwischen Hausarzt und Patient statt. Dabei spielen OnlineAngebote und ‚traditionelle‘ Medienangebote eine unterstützende und ergänzende Rolle. An dieser Stelle werden die wesentlichen Ergebnisse des Kapitels entlang der vier beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen noch einmal zusammengefasst. Es wird gezeigt, bei welchen kommunikativen Handlungen Medien auf welche Weise zum Tragen kommen. Die Mikro-Koordination findet sowohl direkt, als auch medienvermittelt statt, wobei Medien (insbesondere das PMS sowie das Telefon) ein integraler Bestandteil der Mikro-Koordination sind. Im direkten Gespräch trägt ihr Einsatz dazu bei, dass Arbeitsschritte im Zuge organisatorischer Absprachen beschleunigt werden. Durch Formen der wechselseitigen Medienkommunikation (sei sie telefonisch oder per E-Mail) wird die Mikro-Koordination zudem flexibilisiert. Die Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen erfolgt hauptsächlich in der direkten Kommunikation zwischen Hausarzt und Patient. Ergänzend findet die Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen medienvermittelt statt. Die medienvermittelte Kommunikation ermöglicht die initiale Generierung von hausarztbezogenem Wissen etwa, indem sich Patienten vor ihrem ersten Hausarztbesuch über die Hausarzt-Website informieren. Zudem sorgen Medien, die von Hausärzten produziert und in ihrer Praxis zur Verfügung gestellt werden, für eine Ergänzung von hausarztbezogenem Wissen, zum Beispiel, wenn Erläuterungen zum Leitbild der Praxis mittels einer Infobroschüre rezipiert werden. Ebenso ermöglichen allgemein adressierte, standardisierte Medienangebote, die vom Hausarzt im Netz publiziert werden, hausarztbezogenes Wissen auch außerhalb der Hausarztpraxis zu ergänzen (beispielsweise durch die Rezeption der Hausarzt-Website oder das Abonnement eines Social-Media-Profils). Ebenfalls primär im Rahmen des direkten Austauschs von Patient und Hausarzt vollzieht sich die Konstruktion von patientenbezogenem Wissen. Medien ermöglichen, das patientenbezogene Wissen beider Beziehungspartner zu speichern und im persönlichen Gespräch zu aktivieren. Zum einen speichern Patienten

Überblick über die beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen

235

selbstbezogenes Wissen handschriftlich oder digital (letzteres manuell oder automatisch) in Dokumenten, die sie nutzen, um ihr Wissen möglichst präzise im Gespräch zu präsentieren. Zugleich veranschaulichen Medien damit die verbalen Schilderungen des Befindens der Patienten im Gespräch. Zum anderen ermöglichen Medien – insbesondere die Patientenakte – den Ärzten, ihr patientenbezogenes Wissen zu aktivieren und während des Gesprächs zu speichern. Das patientenbezogene Wissen, das die Beziehungspartner in der direkten Begegnung aktivieren, präsentieren, erwerben und speichern, wird ergänzt durch Informationen, die Hausärzte von den Patienten (via Telefon sowie E-Mail) oder von Fachärzten außerhalb der Sprechstunde (via Telefon oder Fax) medienvermittelt erhalten. Während der Patient sich und sein Befinden präsentiert, ordnet der Arzt sein Wissen über den Patienten, gelangt zu einer Diagnose und zu entsprechenden Behandlungshinweisen. Die Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen umschließt die Diagnose und die Behandlungshinweise des Arztes sowie die Kommunikation des Patienten, die sich auf Diagnose und Behandlungshinweise bezieht. Die Konstruktion gesundheitsbezogenen Wissens findet – wie schon die beiden vorherigen beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen – überwiegend im persönlichen Gespräch der Beziehungspartner statt. Medien tragen während der Face-to-Face-Begegnung dazu bei, dass die Diagnose und Behandlungshinweise veranschaulicht werden. Fotografien oder die Ergebnisse der Bildersuche mittels Suchmaschinen illustrieren beispielsweise die verbalen Erklärungen des Hausarztes. Außerdem trägt die wechselseitige Medienkommunikation zur Ergänzung von Diagnose und Behandlungshinweisen bei. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn im direkten Gespräch Fragen ungeklärt bleiben, Diagnose und Behandlungen korrigiert werden müssen oder eine abschließende Klärung des Anliegens des Patienten aussteht. In diesen Situationen wird gesundheitsbezogenes Wissen im Zuge der wechselseitigen Medienkommunikation – mittels Telefon und E-Mail – komplementiert. Die Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen in der direkten bzw. medienvermittelten interpersonalen Kommunikation von Hausarzt und Patient ist nur ein Teil der gesundheitsbezogenen Wissensaneignung der Patienten. Sie eignen sich darüber hinaus gesundheitsbezogenes Wissen über ein breites Spektrum allgemein adressierter, standardisierter Medienangebote an. Die Wissensaneignung der Patienten ist mit der Arzt-Patient-Beziehung ganz grundlegend dadurch verbunden, dass Patienten ihrem Hausarzt mit

236

Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen von Hausarzt und Patient

dem medial generierten Wissen im Gespräch begegnen – dies gilt sowohl für Wissen, das ausdrücklich in Vorbereitung eines Arztbesuchs mittels Medien angeeignet wird, als auch für Wissen, das infolge oder unabhängig von einer Arztkonsultation medial bezogen wird. Außerdem wird die in der Kommunikation mit dem Hausarzt konstruierte Wissensbasis der Patienten mithilfe von gesundheitsbezogenen Medienangeboten ergänzt. In Kapitel 5 wurde geklärt, welche kommunikativen Handlungen aus der Perspektive von Ärzten und Patienten zur Konstruktion ihrer Beziehung beitragen und welche Rolle dabei Medien im Allgemeinen und Online-Angebote im Speziellen spielen. Die beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen von Hausarzt und Patient, die angeeigneten Medien und die entsprechenden Prägepotenziale sind in Tabelle 16 aufgeführt. Die Flächen, die in Grau eingefärbt sind, markieren die Medien, die die Beziehungspartner im direkten Gespräch unterstützen. Die empirisch feststellbaren beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen sind die Bausteine der Beziehungskonstruktion. Die auf diesen Handlungen basierenden Konstruktionen konkreter Arzt-Patient-Beziehungen gestalten sich unterschiedlich. In den folgenden Kapiteln wird gezeigt, dass die direkte Kommunikation der Beziehungspartner aus Patientenperspektive entweder durch einen zurückhaltenden, einen offenen oder einen fordernden Kommunikationsstil charakterisiert ist (Kapitel 6). Auch die mediale Beziehungskonstruktion, die eng mit der Beziehungskonstruktion im direkten Gespräch verwoben ist, nimmt unterschiedliche Formen an. Aus Patientenperspektive können die marginale, die fokussierte und die extensive Medienaneignung unterschieden werden (Kapitel 7). Die direkten und die medialen kommunikativen Handlungen sind Teil des situationsübergreifenden Gesamtprozesses der kommunikativen Konstruktion der Arzt-PatientBeziehung. Deshalb werden in Kapitel 8 fünf Patiententypen präsentiert, deren Beziehungskonstruktionen sich voneinander unterscheiden, und zwar im Hinblick auf das spezifische Zusammenspiel von direkter Kommunikation und Medienaneignung innerhalb der Arzt-Patient-Beziehung.

Überblick über die beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen

237

Kommunikative Handlungen

Angeeignete Medienangebote

Prägepotenziale

Mikro-Koordination • Terminkoordination • Be- und Ausstellung von Rezepten, Überweisungen, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen



PMS



beschleunigen

• •

Telefon (mit Anrufbeantworter) (vereinzelt) E-Mail



flexibilisieren

Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen • Konstruktion von Kontaktdaten und -zeiten • Konstruktion von Wissen zum Hausarzt, zum Team, zum Leistungsspektrum und zum Leitbild der Arztpraxis

• • • • • • •

Aushänge (in Praxis) Flyer und Broschüren (in Praxis) Praxis-Monitore (in Praxis) Suchmaschinen Arzt-Websites Social-Medial-Profile Arztbewertungsportale

• •

ergänzen generieren

Konstruktion von patientenbezogenem Wissen • Konstruktion von Informationen zum Befinden • Konstruktion von familiären, häuslichen und beruflichen Kontextinformationen des Patienten



papierbasierte Dokumente (von Patienten erstellt) Apps (von Patienten mitgebracht) papierbasierte/digitale Patientenakten (im PMS)

• • •

speichern aktivieren veranschaulichen

• • •

Telefon Fax (vereinzelt) E-Mail



ergänzen

Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen • Konstruktion von Wissen, das in Bezug zu erlebten körperlichen Symptomen des Patienten steht • Konstruktion von Wissen, das in Bezug zu einer vom Arzt diagnostizierten Erkrankung steht • Konstruktion von Wissen zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen

• • • • •



veranschaulichen



materielle Modelle Zeichnungen Online-Bildersuche Laborberichte (gedruckt/im PMS) papierbasierte Dokumente (von Patienten erstellt) Apps (von Patienten mitgebracht)

• •

Telefon (vereinzelt) E-Mail



ergänzen

Tab. 16:

• •

• Bücher • ergänzen • Tageszeitungen, Zeitschriften • generieren • Fernsehsendungen • Suchmaschinen • Informations-Websites und -Apps • Patientenforen • Arzt-Websites Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen im Überblick (eigene Darstellung)

6

Kommunikationsstile im Arzt-PatientGespräch

In der vorliegenden Studie wird die Arzt-Patient-Beziehung als dynamischer und situationsübergreifender Kommunikationsprozess verstanden (vgl. hierzu Kapitel 2). Innerhalb dieses Gesamtprozesses sind es die direkten Begegnungen von Arzt und Patient, die für den Aufbau und die Aktualisierung der gemeinsamen Wirklichkeit der Beziehungspartner wesentlich sind. Arzt und Patient entwickeln ein Bild von ihrem Gegenüber und ein gemeinsames Verständnis des Gesundheitszustandes des Patienten. Im direkten Gespräch werden das Befinden des Patienten, die Diagnose sowie entsprechende Behandlungshinweise kommuniziert. 99 In den Momenten der wechselseitigen Kommunikation – in der „Wir-Beziehung“ (Schütz/Luckmann 2003: 108) – bringen Hausarzt und Patient gemeinsam einen Kommunikationsstil hervor, der ihrer Beziehung Gestalt verleiht (vgl. Kotthoff 1993, 2006; Sandig/Selting 1997). Mit Kommunikationsstil ist, angelehnt an Sandig und Selting (1997), die spezifisch sinnhafte Art und Weise gemeint, in der ein Arzt-Patient-Gespräch realisiert wird (vgl. ebd.: 5). Durch den Kommunikationsstil signalisieren Ärzte und Patienten spezifischen sozialen Sinn, wobei der von den Gesprächspartnern realisierte Stil immer auf das jeweilige Gegenüber hin zugeschnitten wird (vgl. ebd.: 4). Wenngleich der Kommunikationsstil als ganzheitliches Phänomen betrachtet wird, das „alle semiotisch organisierten Ausdrucksmittel, die Personen für eine kohärente Selbstpräsentation verwenden“ (Keim 2007: 77) einschließt, können „zentrale Merkmale […], die besonders charakteristisch sind, und weniger zentrale oder sogar Randmerkmale, die ein Stil gegebenenfalls mit anderen Stilen teilt“ (Sandig/Selting 1997: 3) unterschieden werden. Die in der vorliegenden Studie gewonnenen Daten zeigen, dass das Fragen-Stellen und das Anweisungen-Geben sowie das Anweisungen-Befolgen und das Auskunft-Erteilen die Merkmale sind, über die sich die Stilvariation des Arzt-Patient-Gesprächs in besonderer Weise ausdrückt. Das Fragen-Stellen und Anweisungen-Geben gibt Aufschluss darüber, welcher Gesprächspartner die Themen in der Sprechstunde 99

Bislang wurden die kommunikativen Handlungen der Konstruktion von Befinden, Diagnose und Behandlungshinweisen getrennt voneinander dargestellt. Empirisch betrachtet sind die Handlungen eng und dynamisch in Kommunikationssituationen miteinander verwoben.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. C. Meinzer, Die Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt, Medien • Kultur • Kommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26007-1_6

240

Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch

setzt und wer durch das Gespräch leitet. Fragen können sich beispielsweise auf das Befinden, die ärztlichen Behandlungshinweise oder auf sonstige nichtmedizinische Aspekte beziehen. Das Auskunft-Erteilen und Anweisungen-Befolgen zeigt, wie differenziert auf Fragen reagiert wird und wie weit sich die Beziehungspartner ihrem Gegenüber offenbaren. Zudem wird berücksichtigt, ob und welche nichtmedizinischen Kontextinformationen zum familiären, beruflichen und sonstigen sozialen Umfeld eingebracht werden. Schließlich geht es auch darum, inwieweit Anweisungen Folge geleistet wird. Beispielsweise, ob der Patient bei der Untersuchung der Bronchien der ärztlichen Aufforderung zu husten folgt oder nicht. Auf Basis des Beobachtungs- und Interview-Materials der vorliegenden Studie ließen sich drei Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch identifizieren, die in diesem Kapitel beschrieben werden: erstens die zurückhaltende Kommunikation, zweitens die offene Kommunikation und drittens die fordernde Kommunikation. 100 Die drei Kommunikationsstile lassen sich mit Blick auf das charakteristische Fragen-Stellen, Anweisungen-Geben, Anweisungen-Befolgen und Auskunft-Erteilen folgendermaßen auf den Punkt bringen: • Für die zurückhaltende Kommunikation gilt, dass die Patienten im Gespräch keine Fragen stellen oder Anweisungen geben. Sie folgen vielmehr den Anweisungen des Arztes und erteilen ihm Auskunft auf seine Fragen, tun dies jedoch auf knappe Art und Weise. • Die offene Kommunikation lässt sich dadurch spezifizieren, dass Patienten im Gespräch mit ihrem Hausarzt nur gelegentlich Fragen stellen oder ihrerseits Anweisungen geben. Die Patienten befolgen die Anweisungen des Arztes und liefern ausführliche Antworten auf die ärztlichen Fragen – sie geben viel von sich preis. 100

Die in diesem Kapitel beschriebenen Kommunikationsstile basieren auf der Analyse von insgesamt 52 Fällen und charakterisieren das kommunikative Handeln beider Beziehungspartner in der wechselseitigen Kommunikation. Empirisch ließ sich feststellen, dass Ärzte aus ihrer professionellen Rolle heraus das Gespräch mit ihren Patienten maßgeblich strukturieren, dass sich die Unterschiede im Kommunikationsstil aber wesentlich auf das kommunikative Handeln der Patienten zurückführen lassen. Dies zeigt sich bereits an den drei exemplarischen Sprechstundenverläufen, die zum Beginn der Beschreibungen der drei Kommunikationsstile präsentiert werden. Sie stammen aus der gleichen Hausarztpraxis und variieren trotzdem im Hinblick auf den Kommunikationsstil. Dementsprechend werden die Unterschiede der Kommunikationsstile insbesondere anhand der Kommunikation der Patienten charakterisiert.

Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch

241



In der fordernden Kommunikation befolgen die Patienten nicht nur die Anweisungen ihres Hausarztes und geben ausführlich Auskunft über sich und ihr Befinden. Zusätzlich stellen sie selbst Fragen und geben ihrerseits Anweisungen. Eine schematische Darstellung des jeweils stilprägenden Fragen-Stellens und Anweisungen-Gebens sowie des Anweisungen-Befolgens und Auskunft-Erteilens findet sich in Tabelle 17. Kommunikation der Patienten Fragen-Stellen und Anweisungen-Geben

zurückhaltend

offen

fordernd

-

+

++

Anweisungen-Befolgen + ++ ++ und Auskunft-Erteilen Tab. 17: Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch aus Perspektive der Patienten (eigene Darstellung)

Im Folgenden werden die Charakteristika der unterschiedlichen Kommunikationsstile dargestellt und anhand von Beispielen aus den Beobachtungsdaten illustriert, die in Sprechstunden gewonnen werden konnten sowie mittels der Daten, die in Interviews mit den Patienten erfasst wurden. Die beobachtete Face-to-FaceKommunikation zwischen Arzt und Patient ist an einzelne Situationen gebunden. Die Interviews mit den Patienten liefern zusätzliche und situationsübergreifende Aussagen zur Face-to-Face-Kommunikation der Patienten mit dem Hausarzt sowie zu den sich daraus ergebenden Bildern, die Patienten von sich und ihrem Hausarzt haben. Diese Arzt- und Patientenbilder stellen wiederum „[…] unbewusst und unvermeidbar das Fundament einer jeden Arzt-Patient-Interaktion [dar]“ (Scheibler 2004: 106). So betont auch Klemperer (2003), dass das Bild, das die Beziehungspartner wechselseitig voneinander haben, für die Ausgestaltung des Gesprächs ausschlaggebend ist (vgl. ebd.: 7). 101

101

Überwiegend stimmen die in der Sprechstunde beobachteten Kommunikationsstile mit den in den Interviews beschriebenen Stilen überein. Lediglich bei sechs Fällen korrespondierte die von der Forscherin beobachtete direkte Kommunikation während der Sprechstunde nicht mit den Ausführungen der Patienten in den qualitativen Interviews. Für diese sechs Fälle gilt, dass die Aussagen der Patienten in den Interviews davon zeugen, dass sich ihre Kommunikation mit dem Hausarzt grundsätzlich offen

242

Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch

Im nächsten Abschnitt wird die zurückhaltende Kommunikation im Arzt-Patient-Gespräch beschrieben. Danach folgen die offene und die fordernde Kommunikation. Das Kapitel schließt mit einem Vergleich der drei Kommunikationsstile.

6.1

Zurückhaltende Kommunikation

In diesem Teilkapitel wird die zurückhaltende Kommunikation im Arzt-PatientGespräch anhand ihrer Charakteristika erläutert und mithilfe von Beispielen aus dem Datenmaterial illustriert. Einleitend findet sich in Abbildung 5 ein beispielhafter Gesprächsablauf, an dem sich bereits zentrale Charakteristika der zurückhaltenden Kommunikation festmachen lassen. 102 Sprechstundenverlauf von Dr. Manuel Marthen und Jonte Fink Gefolgt von einer kurzen Begrüßung inklusive Händedrucks stellt der Hausarzt die Eröffnungsfrage: „Was kann ich für Sie tun?“ Er ergänzt, dass eine MFA im PMS „sehr grippig“ hinterlegt hat. Der Patient erläutert daraufhin knapp, dass es ihm schlecht geht und er sich heute Morgen erbrochen hat, er knüpft ferner kurz an die Aussage des Arztes an und schlussfolgert, dass er einen grippalen Infekt hat. Um die Erkrankung weiter einzugrenzen, erkundigt sich der Arzt nach der Ernährung der letzten Tage, worüber der Patient kurz Auskunft gibt. Der Arzt merkt an, dass er gerne den Hals untersuchen und den Rücken abhören möchte. Der Patient nickt zustimmend, woraufhin der Arzt von seinem Stuhl aufsteht und sich in Richtung seines Patienten bewegt. gestaltet. In den beobachteten Gesprächen zeigte sich diese offene Grundhaltung allerdings nicht. Einige der Patienten kommunizierten dort zurückhaltend (Frank Thiele (48), Filippa Seidel (24), Fanny Bauer (53), Martha Kern (66)), andere nahmen eine fordernde Haltung ein (Jutta Hall (37), Nadine Schramm (60)). Die Abweichungen lassen sich zum einen auf bestimmte Sprechstundensituationen zurückführen, in denen Patienten sich weniger aktiv am Gespräch beteiligen. Dies ist beispielsweise der Fall bei Nachbesprechungen und Folgeuntersuchungen, bei denen keine umfassende Beschwerdeschilderung oder Therapieentwicklung mehr stattfindet, weil sie bereits in vorherigen Terminen erfolgt ist. Zum anderen deuten die Abweichungen darauf hin, dass sich eine starke Verunsicherung (etwa wegen einer unsicheren Diagnose) auf den Stil der Kommunikation auswirken kann, indem sich die Patienten dazu veranlasst sehen z. B. „mehr Fragen zu stellen als gewöhnlich“ (Nadine Schramm). 102 Der besseren Lesbarkeit halber wurden die stichpunktartig geführten Beobachtungsskizzen an dieser Stelle in einen Fließtext ausformuliert.

Zurückhaltende Kommunikation

243

Der Arzt untersucht den Mund des Patienten und hört mit einem Stethoskop die Bronchen und Lungen ab. Während der körperlichen Untersuchung vermerkt der Arzt: „Schön, da ist alles okay“ und „Alles super!“ Im Anschluss äußert der Arzt, dass er nun noch gerne den Bauch abhören möchte, während er dem Patienten ein Zeichen in Richtung der Liege gibt. Der Patient legt sich kommentarlos auf die Liege und der Arzt hört die Magengeräusche ab, während er erneut die Untersuchung mit „super“ und „prima“ kommentiert. Der Arzt erklärt noch nebenbei, was eine Lebensmittelvergiftung ist und dass Betroffene diese Erkrankung relativ schnell bemerken ‒ zumeist schon in den ersten zwei Stunden nach der Essensaufnahme. Der Arzt kehrt zum Schreibtisch zurück, setzt sich und schlussfolgert, dass eine Gastritis vorliegt. Er fragt den Patienten, welche Medikamente gegen Übelkeit und Erbrechen dieser bereits besitzt. Der Patient sagt, dass er keine Medikamente zu Hause hat. Der Arzt äußert daraufhin, dass er gerne etwas verschreiben möchte und fragt nach Einnahmeprioritäten („Tabletten oder Tropfen“). Der Patient erklärt kurz, dass er Tabletten bevorzugen würde, woraufhin der Arzt lachend antwortet: „Das ist eine super Entscheidung, die Tropfen sind nämlich sehr bitter.“ Erneut ergreift der Arzt das Wort und erklärt, dass er gerne eine Arbeitsunfähigkeitserklärung ausstellen würde und fragt, ob der Patient einen oder zwei Tage freigestellt werden will. Der Patient vermerkt, dass ihm ein Tag ausreicht. Der Arzt stimmt zunächst zu, verschreibt jedoch dann zwei Tage mit dem Hinweis, dass der Patient gerne wieder nach einem Tag zur Arbeit gehen kann und erklärt, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Krankenkasse ausgehändigt werden muss. Abschließend gibt der Arzt noch Hinweise zur Ernährung, damit die Beschwerden schnell abklingen. Der Patient nimmt die abschließenden Ausführungen des Arztes schweigend zur Kenntnis. Das Gespräch schließt mit einer kurzen Verabschiedung. Abb. 5:

Beispielhafter Sprechstundenverlauf für eine zurückhaltende Kommunikation im Arzt-Patient-Gespräch (eigene Darstellung)

Anhand dieses beispielhaften Sprechstundenverlaufs von Dr. Marthen und seinem Patienten Jonte Fink (20) lassen sich die Kerncharakteristika der zurückhaltenden Kommunikation verdeutlichen. Zu Beginn des Gesprächs fällt auf, dass Jonte Fink – in Reaktion auf die erzählgenerierende Frage des Hausarztes („Was kann ich für Sie tun?“) ‒ nur knapp sein Anliegen benennt. Dieses knappe Auskunft-Erteilen ist charakteristisch für den zurückhaltenden Kommunikationsstil des Patienten. An

244

Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch

die kurze Beschreibung des Befindens durch den Patienten – Jonte Fink äußert, dass es ihm schlecht gehe und dass er sich am Morgen erbrochen habe – schließt eine vertiefende Nachfrage des Hausarztes zur Ernährung an, auf die der Patient ebenfalls sehr knapp erwidert, „nichts Besonderes“ zu sich genommen zu haben. Das zweite Kerncharakteristikum der zurückhaltenden Kommunikation – das kommentarlose Folge-Leisten der Patienten während der körperlichen Untersuchung – tritt während der körperlichen Untersuchung zutage. So beginnt Dr. Marthen im Anschluss an die wenig ergiebige verbale Befundermittlung mit der körperlichen Untersuchung, um weitere Informationen zum Befinden von Jonte Fink zu erhalten. Der Hausarzt leitet seinen Patienten durch die Untersuchung, indem er ihn etappenweise auf die einzelnen Schritte hinweist. Jonte Fink leistet den ärztlichen Anweisungen während der Untersuchung kommentarlos Folge, indem er beispielsweise der Bitte wortlos nachkommt, sich auf die Liege zu begeben. Zum Abschluss des Gesprächs wird das dritte Charakteristikum der zurückhaltenden Kommunikation augenscheinlich: das Ausbleiben von Nachfragen im Zuge der ärztlichen Diagnose und Therapieformulierung. Nachdem die Beschwerdeexploration sowohl verbal als auch über die körperliche Untersuchung erfolgt ist, gelangt der Hausarzt zu einer Diagnose, die der Patient kommentarlos zur Kenntnis nimmt. Zugleich legt Dr. Marthen die entsprechende Therapie fest. Dabei bindet er Jonte Fink zwar in die Therapieentscheidung ein, aber über eine knappe Antwort auf die Frage nach den Einnahmeprioritäten hinaus stellt der Patient keine Nach- oder Rückfragen zu Diagnose und den Behandlungshinweisen des Arztes. Der Patient signalisiert allenfalls eine stille Akzeptanz der ärztlichen Ausführungen. Weitere Sprechstundenbeobachtungen illustrieren die Kerncharakteristika der zurückhaltenden Kommunikation ‒ darum geht es nachfolgend. Daraufhin wird gezeigt, wie die zurückhaltende Kommunikation in den Bildern verankert ist, die Patienten von sich und ihrem Hausarzt haben. Beobachtbare Zurückhaltung im Face-to-Face-Gespräch Bezeichnend für die zurückhaltende Kommunikation im Face-to-Face-Gespräch ist zunächst, dass der Hausarzt durch das Stellen von Fragen die Beschwerden des Patienten exploriert sowie dass der Patient daraufhin nur knapp Auskunft zu seinem Befinden erteilt, ohne seinerseits weiterführende Fragen zu stellen oder Kon-

Zurückhaltende Kommunikation

245

textinformationen preiszugeben. In Sprechstunden, die durch eine zurückhaltende Kommunikation der Patienten gekennzeichnet sind, initiieren die Hausärzte die Beschwerdeschilderungen der Patienten, indem sie erzählgenerierend fragen, wie „Worum geht es?“ oder „Was ist passiert?“. Die Patienten reagieren auf die Erzählaufforderung, indem sie ihre wahrgenommenen Symptome knapp benennen, ohne sie weiter auszuführen. So benennt beispielsweise Norman Glee (15) bei der Artikulation seines Befindens die Symptome „Ohrenschmerzen“ und „Husten“ – ohne weiter ins Detail zu gehen. Jasmin Winter (18) erzählt, dass sie an Kopfschmerzen leide, ohne dies weiter auszuführen. Ebenso knapp äußert Nathanael Flemming (11), dass seine Temperatur seit gestern erhöht sei und es ihm „nicht so gut“ gehe. Nevio Eberle (16) führt an, dass er „Magenschmerzen“ und „Herzstechen“ habe und erläutert dies nicht weiter. Angesichts der knappen initialen Äußerungen der Patienten fragen die Hausärzte ergänzend zur Dauer, zum Verlauf und zur Intensität der erlebten Symptome. Sie tun dies, um vertiefende Informationen zum Gesundheitszustand der Patienten zu erhalten, die sie benötigen, um eine Diagnose vornehmen zu können. Eine Erzählung rund um das Befinden der zurückhaltend kommunizierenden Patienten erfolgt demnach – wenn überhaupt – als Reaktion auf die erneute Erzählaufforderung des Arztes. Bei der 18-jährigen Jasmin Winter, die über Kopfschmerzen klagt, eruiert Dr. Marthen die Intensität und das Andauern der Migräneanfälle. Gleichermaßen grenzt die Hausärztin Dr. Streep die Ursachen der Magenschmerzen und des Herzstechens ihres jungen Patienten Nevio Eberle (16) mithilfe von Rückfragen zu Stressfaktoren, zum familiären Hintergrund sowie zur Dauer und Intensität der Beschwerden ein. Auf die vertiefenden Fragen des Arztes antworten die zurückhaltenden Patienten in der Regel nur knapp oder ungenau. 103 So antwortet beispielsweise der 16-jährige Nevio Eberle wortkarg auf die Frage nach möglichen Stressfaktoren, die zu seinen Bauchschmerzen geführt haben können, dass er Streit mit seinen Eltern und Ärger in der Schule habe, ohne dies genauer auszuführen. 103

Auffälligerweise sind insbesondere die sehr jungen Patienten – die 5-jährige Nina Jakobs und der 11-jährige Nathanael Flemming – nicht in der Lage, ihre Schmerzen zu lokalisieren oder die Entstehungsgeschichte der Erkrankung wiederzugeben. Demgemäß kann Nina auf Rückfrage ihrer Ärztin nicht erklären, an welcher Stelle ihr Bein weh tut und wie stark die Schmerzen sind. Nathanael kann die Frage nach Kontaktpersonen, die eventuell auch Fieber gehabt haben, nicht beantworten. Der Zusammenhang zwischen dem Alter der Patienten und ihrer Auskunftsfähigkeit innerhalb der Arzt-Patient-Beziehung wird in Kapitel 8 erläutert.

246

Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch

Die Patienten, die zurückhaltend kommunizieren, bringen zudem in der Regel – außer der akuten Erkrankung – keine weiteren Themen von sich aus zur Sprache. Sie liefern beispielsweise keine Informationen aus dem privaten oder beruflichen bzw. schulischen Umfeld. In den meisten Arzt-Patient-Gesprächen erfolgt neben der verbalen Beschwerdeexploration eine körperliche Untersuchung. Im Zuge dessen tritt ein weiteres Charakteristikum der zurückhaltenden Kommunikation zutage. Für die zurückhaltende Kommunikation im direkten Gespräch zwischen Arzt und Patient ist kennzeichnend, dass der Arzt Anweisungen im Zuge der körperlichen Untersuchung gibt, die der Patient kommentarlos befolgt. Der Hausarzt führt die Patienten durch die Untersuchung, indem er sie beispielsweise auffordert, den Oberkörper zu entkleiden, zu husten oder die Zunge herauszustrecken. Diesen Anweisungen begegnen die beobachteten Patienten durch Akzeptanz, die sich in ‚stiller Folgsamkeit‘ ausdrückt. So erklärt etwa Dr. Marthen seiner Patientin Jana Kurz (27), dass er sich gerne ihren Rachen und ihr Ohr anschauen möchte, nachdem diese kurz ihre Erkältungssymptome geschildert hat. Dabei bewegt er sich in Richtung seiner Patientin, die sich wiederum ohne Kommentar von ihrem Platz erhebt und den Mund öffnet. Basierend auf den – durch die ärztlichen Fragen und die körperlichen Untersuchungen – gewonnenen Informationen erfolgen die Diagnose und die Vermittlung entsprechender Behandlungshinweise. Kennzeichnend für die zurückhaltende Kommunikation ist in diesem Zusammenhang, dass die Patienten sowohl auf die Vermittlung der ärztlichen Diagnose als auch auf die Formulierung der Behandlungshinweise zustimmend reagieren und die Vorschläge des Arztes ohne Widerspruch, Nach- oder Rückfragen annehmen. 104 Die Zustimmung der Patienten wird entweder verbal oder mimisch (zum Beispiel durch ein Kopfnicken) zum Ausdruck gebracht. Folgende Beispiele stehen für die zurückhaltende Akzeptanz der Diagnose und der entsprechenden Behandlungshinweise: So teilt Dr. Marthen seiner Patientin Jana Kurz (27) mit, dass sie einen grippalen Infekt hat. Er erklärt ihr,

104

In Ausnahmefällen, in denen minderjährige Patienten von einem Erziehungsberechtigten begleitet werden, stellen die Begleitpersonen stellvertretend Nach- und Rückfragen – sie übernehmen die Rolle der ‚Fürsorglich Mitgestaltenden‘. Diese Zusatzrolle der Fürsorglich Mitgestaltenden wird in Kapitel 8.6 ausgeführt.

Zurückhaltende Kommunikation

247

kein Rezept für ein Antibiotikum ausstellen zu wollen. Seine Patientin nickt zustimmend. Daraufhin erläutert er, dass er etwas für die Nebenhöhlen verschreiben möchte und schildert ausführlich, um welches Medikament es sich dabei handelt. Die 27-Jährige zeigt ihre Zustimmung mit den Behandlungsmaßnahmen erneut durch ein schnelles Kopfnicken. Ähnlich verhält es sich bei Dr. Streep und ihrem jungen Patienten Nathanael Flemming (11). Nachdem die Hausärztin ihre Diagnose formuliert – sie diagnostiziert ebenfalls einen grippalen Infekt –, schlägt sie direkt ein bestimmtes Medikament vor. Nathanael Flemming zeigt seine Akzeptanz durch ein Nicken. Während die zurückhaltend kommunizierenden Patienten keine Fragen oder Rückfragen zur Diagnose oder zur Behandlung ins Gespräch einbringen, sind es die Ärzte, die – wie bereits im Zuge der Beschwerdeexploration – in diesem Zusammenhang ergänzende Fragen stellen. Demgemäß fragt etwa Dr. Streep ihren Patienten Norman Glee (15), welche Medikamente seine Eltern zur Behandlung seiner Beschwerden zu Hause vorrätig haben und ob er seine Erkrankung lieber mit Tabletten oder mit Tropfen behandeln möchte, woraufhin dieser schlicht mit „Tabletten“ antwortet. Arzt- und Patientenbilder der zurückhaltend kommunizierenden Patienten Die Charakteristika der zurückhaltenden Kommunikation innerhalb der beobachteten Sprechstunden sind in den Bildern verankert, die Patienten von ihrem Hausarzt und von sich haben. Die Patienten, die zurückhaltend kommunizieren, klassifizieren ihren Hausarzt als medizinischen Experten, der über Fachwissen verfügt. Sie betonen, dass der Hausarzt für die Diagnose und deren Kommunikation sowie für die Festlegung und Vermittlung entsprechender Behandlungshinweise zuständig ist. Den InterviewPartnern zufolge ist er ein medizinischer Experte, der über „Fachwissen“ (Nevio Eberle (16), Nathanael Flemming (11)) verfügt und der „sehr viel [weiß]“ (Noah Stil (17)). Aus Sicht der Patienten ist ihr Hausarzt dafür zuständig, ihnen zu „helfen“, wie etwa Christopher Luchs (25) und Jana Kurz (27) konstatieren, indem der Hausarzt die Diagnose und entsprechende Behandlungshinweise festlegt und kommuniziert. So beschreibt der 25-jährige Christopher Luchs (25), dass seine Ärztin klärt, „was [er] habe, was [er] machen kann“. Jana Kurz (27) äußert in diesem Zusammenhang, dass ihr Arzt sich „mit einem [beschäftigt], guckt […] in-

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Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch

wieweit was helfen würde“. Nathanael Flemming (11) fokussiert in der Beschreibung seiner Ärztin darauf, dass ihm seine Ärztin die Diagnose und die Behandlungshinweise gut erklärt. Von der beschriebenen Expertenrolle des Hausarztes grenzen sich die zurückhaltenden Patienten explizit ab. Exemplarisch äußert Jonte Fink (20): „[Mein Hausarzt] ist ja quasi der Fachmann dafür, für die Medizin und ich würde sagen, so ist das Verhältnis halt auch, immer noch von Arzt zu Patienten.“ So charakterisieren sich die zurückhaltend kommunizierenden Patienten dadurch, dass sie den Anweisungen des Arztes während der Sprechstunde Folge leisten. So beschreibt Nathanael Flemming (11), dass er im Zuge der Sprechstunde „das [macht], was die Ärztin sagt“. Darüber hinaus geben sie an, der ärztlichen Diagnose und den entsprechenden Behandlungshinweisen ohne Weiteres zuzustimmen. Die Patienten betonen in den Interviews, dass sie nur in Ausnahmefällen Rückfragen stellen oder die Diagnose und Behandlungshinweise diskutieren. So erklärt Noah Stil (17), dass er sich vollständig auf seine Hausärztin verlässt: „[I]ch nehme alles so hin, wie sie es sagt und vertraue ihrem Fachwissen.“ Demgemäß beschreibt auch Jonte Fink (20): „Wenn ich mal eine Frage habe oder so, kommt das auch mal vor, aber normal nehme ich das einfach alles so hin.“ Die zurückhaltenden Patienten nehmen sich insgesamt als „recht unkompliziert“ (Jonte Fink (20)), „einfach“ (Jana Kurz (27)) und „nicht so […] anstrengend“ (Nevio Eberle (16)) wahr. Sie sind darum bemüht, die Kommunikation nicht zu ‚verkomplizieren‘ oder ihren Hausarzt in seiner professionellen Tätigkeit zu ‚stören‘.

6.2

Offene Kommunikation

Im Zuge der vorliegenden Studie lässt sich ein zweiter Kommunikationsstil empirisch feststellen. Dieser kann als offene Kommunikation bezeichnet werden. Die Abbildung 6 stellt einen vollständigen exemplarischen Sprechstundenverlauf dar, der von einer offenen Kommunikation zeugt. 105 Es folgt eine Beschreibung der wesentlichen Charakteristika der offenen Kommunikation, anschließend Belege anhand von weiteren Beispielen aus dem Datenmaterial. 105

Wie bereits bei dem paradigmatischen Gesprächsablauf eines zurückhaltenden Patienten (vgl. hierzu Abb. 6) wurden die Beobachtungsstichpunkte in einen Fließtext ausformuliert.

Offene Kommunikation

Sprechstundenverlauf von Dr. Manuel Marthen und Jonathan Reichert Im Anschluss an eine kurze und freundliche Begrüßung leitet der Hausarzt das Gespräch mit den Fragen ein: „Alles gut?“ und „Wie sieht es aus?“ Der Patient fasst zunächst kurz zusammen, dass sein Knie schmerzt. Der Arzt, der den Patienten bereits in der Vergangenheit wegen seines Knieproblems behandelt hat, merkt an: „Schon wieder das Knie?“ Daraufhin fängt der Patient sofort an, den genauen Verlauf seiner Erkrankung zu schildern und benennt die konkreten Bewegungen, bei denen sein Knie schmerzt oder knackt. Darüber hinaus beschreibt Jonathan Reichert, dass eine Beule hinter seinem Knie sichtbar ist, wenn er abends von der Arbeit heimkehrt. Die Erzählung wird durch die Lokalisierung der schmerzhaften Stellen mit einem Fingerzeig des Patienten unterstützt. Ferner berichtet Jonathan Reichert vom alltäglichen Umgang mit seiner Erkrankung. Er sagt, dass die einzige Sportart, die er im Moment schmerzfrei ausüben könne, das Schwimmen sei. Er fügt allerdings hinzu, dass die Bewegungen wieder schmerzen, sobald er das Schwimmbecken verlässt und er „läuft wie ein Opa“. Jonathan Reichert wird in seiner Erzählung durch ein zustimmendes Kopfnicken des Arztes unterstützt. Parallel gibt der Arzt Notizen zum Patienten in das PMS ein. Während der detaillierten und ausführlichen Beschreibung des Befindens des Patienten beginnt der Arzt darüber hinaus das Knie, das der Patient auf Anforderung des Arztes bereitwillig freilegt, von allen Seiten abzutasten. Daraufhin bittet der Arzt seinen Patienten noch, bestimmte Bewegungsabläufe vorzunehmen, wie etwa das Bein zu strecken und zu beugen etc. Dabei wird der Arzt immer wieder durch den Fingerzeig des Patienten auf den Schmerzherd unterstützt. Im Anschluss an die Informationsgewinnung durch die verbalen Äußerungen des Patienten und die körperliche Untersuchung äußert der Arzt erste Diagnosevermutungen. Daraufhin erklärt der Patient nochmals, bei welchen Bewegungen das Knie am meisten schmerzt. Der Arzt ergreift das Wort und erklärt zwei mögliche Diagnosen. Er sagt: „Das kann eigentlich nur Arthrose oder Meniskus sein.“ Im Folgenden erläutert der Hausarzt die Konsequenzen von beiden Erkrankungen. Er wendet sich seinem Computer zu und gibt erneut etwas ins PMS ein. Der Patient schildert, wie das mit dem Knie passiert ist. Der Arzt meint daraufhin, dass es eher nach Meniskus klingt. Er schlägt vor, dass sich ein Facharzt das Knie nochmal genauer anschaut und fragt den Patienten, ob er einen Termin für ihn vereinbaren soll. Dann empfiehlt er dem Patienten zwei Experten. Der Patient wählt direkt einen der beiden Fachärzte aus, äußert jedoch im selben Atemzug, dass er Bedenken habe, sofort einen Termin zu bekommen. Der Arzt verspricht, am Folgetag dort anzurufen und einen Termin zu vereinbaren. Der Patient entgegnet dem Arzt ein „Ja“ und sagt, dass er in der nächsten Woche zu fast jeder Tageszeit den Termin wahrnehmen kann. Im gleichen Atemzug stellt er sicher, dass er sehr viel arbeiten muss, aber nun auch mal die anderen lernen müssen,

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Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch auf ihn zu verzichten. In diesem Zusammenhang gibt er dem Arzt Einblicke in seine momentane Auftragslage. Der Arzt fasst nochmal die Diagnose und Behandlungshinweise zusammen und meint: „Ich mach da einen Termin, dann melden wir uns.“ Der Arzt fragt den Patienten, ob er noch ein Rezept für Schmerzmittel haben möchte. Der Patient lehnt das Angebot bestimmt ab und erklärt dem Arzt, dass Schmerzmittel ihn müde machen und nicht wirklich helfen. Er fragt den Arzt, ob es in Ordnung ist, auf die Schmerzmittel zu verzichten. Der Arzt willigt ein, kein Rezept auszustellen, verweist jedoch zugleich darauf, dass Schmerzmittel zusätzlich entzündungshemmend sein können. Abschließend fragt der Arzt den Patienten noch einmal, ob es sich ausschließlich um das linke Knie handelt. Der Patienten bejaht die Frage und das Gespräch endet mit einer kurzen Verabschiedung.

Abb. 6:

Beispielhafter Sprechstundenverlauf für eine offene Kommunikation im Arzt-PatientGespräch (eigene Darstellung)

Anhand des beispielhaften Sprechstundenverlaufs von Dr. Marthen und Jonathan Reichert (50) lassen sich die Kerncharakteristika der offenen Kommunikation veranschaulichen. Das erste Charakteristikum, die Auskunftsbereitschaft der offenen Patienten, die sich in ausführlichen Schilderungen des Befindens ausdrückt, zeigt sich bereits zu Beginn des dargestellten Gesprächs von Dr. Marthen und Jonathan Reichert. Das Gespräch der Beziehungspartner findet seinen Ausgangspunkt in einer kurzen Begrüßung und den einleitenden Fragen des Arztes: „Alles gut?“ und „Wie sieht es aus?“ Als Reaktion darauf liefert Jonathan Reichert eine umfassende Beschreibung seines Befindens. Diese beinhaltet unter anderem die Entstehungsgeschichte, den Verlauf und eine präzise körperliche Lokalisierung des Schmerzes. Darüber hinaus gibt Jonathan Reichert seinem Arzt Einblicke in das alltägliche Erleben seiner Kniebeschwerden. Er bettet seine Knieprobleme beispielsweise erzählerisch in sportliche Alltagsaktivitäten oder seinen Arbeitsalltag ein. Angesichts des offenen Auskunft-Erteilens von Jonathan Reichert beschränkt sich die ärztliche Beschwerdeexploration – während der verbalen Schilderungen des Patienten – auf ein zustimmendes Nicken, das den Patienten in seiner Erzählung bestärken soll. Das zweite Kennzeichen der offenen Kommunikation klingt bereits in den Schilderungen des alltäglichen Erlebens der Kniebeschwerden an. So geben die Patienten, die offen kommunizieren, bereitwillig viele Kontextinformationen preis – mitunter können diese auch Themen umfassen, die in keinem unmittelbaren Bezug

Offene Kommunikation

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zu einem gesundheitlichen Problem stehen. So spricht Jonathan Reichert etwa mit Dr. Marthen über die Auftragslage seiner Firma, ohne dass hier ein unmittelbarer Zusammenhang zu seinen Knieschmerzen besteht. Ferner ist für die offene Kommunikation charakteristisch, dass Patienten die Beschwerdeexploration des Arztes unterstützen, indem sie seinen Anweisungen während der körperlichen Untersuchung Folge leisten. Dies zeigt sich im beispielhaften Gesprächsverlauf daran, dass Jonathan Reichert die Anweisungen des Arztes im Zuge der körperlichen Untersuchung befolgt, die von Dr. Marthen geleitet wird und parallel zur verbalen Beschwerdeexploration stattfindet. Der Aufforderung, das Knie freizulegen und bestimmte Bewegungsabläufe durchzuführen, kommt Jonathan Reichert ohne Weiteres nach. Er unterstützt die körperliche Untersuchung darüber hinaus, indem er den Schmerzherd mittels Fingerzeig lokalisiert. Das vierte Charakteristikum der offenen Kommunikation besteht darin, dass die Patienten der ärztlichen Diagnose zustimmen und die ärztlichen Behandlungshinweise diskutieren. Auch dieses Charakteristikum verdeutlicht das Beispiel. So kommt Dr. Marthen auf Basis seiner Beschwerdeexploration zu einer vorläufigen Diagnose, die er von einem Facharzt verifizieren lassen will. Jonathan Reichert ist mit dem Vorschlag einverstanden, äußert jedoch zugleich seine Bedenken, einen Termin zu bekommen, worauf hin sein Hausarzt verspricht, die Terminkoordination für ihn zu übernehmen. Ferner schlägt der Arzt noch die Verschreibung eines Schmerzmittels vor, die Jonathan Reichert wiederum entschieden ablehnt. Im Folgenden wird anhand weiterer Beispiele aus dem Datenmaterial vorliegender Studie gezeigt, wie sich die Offenheit der Patienten im Zuge des Gesprächs ausgestaltet. Danach wird erläutert, wie sich die Offenheit in den Bildern widerspiegelt, die Patienten von sich und ihrem Hausarzt haben. Beobachtbare Offenheit im Face-to-Face-Gespräch Zentrales Charakteristikum der offenen Kommunikation in der direkten Begegnung zwischen Arzt und Patient ist, dass die Patienten – zumeist initiiert durch eine erzählgenerierende Frage des Arztes zu Beginn der Sprechstunde – eine ausführliche und detailreiche Beschreibung ihres Befindens liefern. Während die zurückhaltenden Patienten nur knapp die von ihnen wahrgenommenen Symptome aufzählen (vgl. Kapitel 6.1.), beschreiben die offenen Patienten differenziert. Sie

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Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch

schildern neben den wahrgenommenen Symptomen zum Beispiel den Entdeckungskontext, den Verlauf oder die Dauer der Erkrankung. Dementsprechend erzählt Justus Breuer (45) ausführlich, wann seine Rückenschmerzen begonnen haben, wie sich der Schmerz entwickelt hat und bei welchen Bewegungsabläufen es zu Problemen kommt. Fiona Krug (43), die zum ersten Mal ihre neue Hausärztin aufsucht, präsentiert detailreich die wesentlichen Aspekte ihrer bisherigen Krankengeschichte. Um ihre Erzählung zu untermauern, zeigt sie ihrer neuen Ärztin zahlreiche Facharztberichte, die sie gesammelt hat und in die Sprechstunde mitbringt. Neben den Ausführungen zum Entdeckungskontext, dem Verlauf oder der Dauer der Erkrankung schildert ein Teil der offenen Patienten ihr Erleben der Erkrankung im Alltag. So führt Frieda Pfeifer (78) aus, wie ihre Magenerkrankung sie im Alltag beeinflusst und in welchen Situationen sie aufgrund der Erkrankung mit Einschränkungen und Unannehmlichkeiten zu kämpfen hat. Die umfassenden Schilderungen rund um das Befinden beinhalten bei einem Teil der Patienten ferner Einblicke in bisherige Behandlungserfahrungen mit anderen Allgemeinmedizinern oder Fachärzten. Dementsprechend berichtet Nikola Nagel (47), die ihren Hausarzt aufgrund von Rückenschmerzen aufsucht, dass sie wegen des gleichen Anliegens bereits vor zwei Wochen bei einem Praxiskollegen in Behandlung war, jedoch noch keine Besserung eingetreten sei, weshalb sie nun ihre Hausärztin aufsucht. Ähnlich berichtet Fabian Wolf (48) seiner Hausärztin davon, dass sein Facharzt ihn zu wenig informiere und Sachverhalte stets so erkläre, dass sie nicht positiv klingen. Darüber hinaus zeigen sich einige der offen kommunizierenden Patienten im Zusammenhang der Schilderungen ihres Befindens emotional. So beginnt Fiona Krug (43) zum Beispiel während der Sprechstunde zu weinen, als sie über ihr krankhaftes Übergewicht berichtet, das sie nun seit mehreren Jahrzehnten belastet. Ebenso steht Frederike Neumann (47) den Tränen nahe, als sie ihrer Ärztin Einblick in familiäre Probleme gibt. Die Ärzte unterstützen ihre Patienten in der Schilderung ihres Befindens insofern, als sie entweder nachfragen, durch ein zustimmendes Nicken den Patienten ihr Interesse signalisieren oder sie bei ihren Ausführungen zum Befinden nicht unterbrechen – sprich, sie räumen den patientenseitigen Erläuterungen Zeit in der persönlichen Begegnung ein. Ein weiteres Charakteristikum der offenen Kommunikation besteht darin, dass Patienten – neben den Informationen, die sich unmittelbar auf den aktuellen Ge-

Offene Kommunikation

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sundheitszustand beziehen – diverse Kontextinformationen liefern (wie zum Beispiel zur familiären oder beruflichen Situation). Offen kommunizierende Patienten tauschen sich mit dem Arzt über die aktuelle Familiensituation, Familienmitglieder, Freizeitaktivitäten etc. aus. So führen beispielsweise Joshua Adam (26) und Dr. Marthen Smalltalk über die präferierten Fußballmannschaften und deren Leistungen in der Bundesliga. Chloe Wagner (18) berichtet über die Erfolge mit ihrer Volleyballmannschaft. Jörg Zeigler (29) und sein Hausarzt unterhalten sich über den Migrationshintergrund des Patienten und die politische Lage in jenem Land, aus dem seine Eltern nach Deutschland eingewandert sind. Findet neben der verbalen Beschwerdeexploration zusätzlich eine körperliche Untersuchung statt, so leisten die innerhalb der Arzt-Patient-Beziehung offen kommunizierenden Patienten Folge. In diesem Punkt ähneln sie den zurückhaltend kommunizierenden Patienten. Im Gegensatz zu zurückhaltend kommunizierenden Patienten unterstützen offen kommunizierende Patienten ihren Hausarzt jedoch zum Teil bei der körperlichen Untersuchung, indem sie beispielsweise den Schmerzherd lokalisieren oder Bewegungsabläufe aufzeigen, die ihnen Schmerzen bereiten. Dementsprechend lokalisiert Justus Breuer (45) bei der körperlichen Untersuchung seines Rückenleidens die schmerzhaften Stellen mit den Händen. Ähnlich zeigt Joshua Adam (26) seinem Hausarzt während der körperlichen Untersuchung, bei welchen Bewegungsabläufen sein Knie am meisten schmerzt. Die umfangreichen Informationen, die von den offen kommunizierenden Patienten preisgegeben werden, dienen dem Arzt zur Einordnung der Erkrankung. Der Arzt kommt zu einer Diagnose, die er seinen Patienten mitteilt. Er schlägt passendende Behandlungshinweise vor, die er mit seinen Patienten diskutiert. Für Patienten, die offen mit ihrem Hausarzt kommunizieren, ist charakteristisch, dass sie der Diagnose des Hausarztes zustimmen, sich aber – im Gegensatz zu den zurückhaltend kommunizierenden Patienten – an der Entscheidung für die geeignete Behandlung (Therapie und Medikation) beteiligen. Diese Beteiligung kann beispielsweise dergestalt sein, dass Patienten Ablehnung, Sorgen und Bedenken in Bezug auf die Medikation ihrem Hausarzt gegenüber artikulieren, dass Arzt und Patient die Länge von Arbeitsunfähigkeitserklärungen verhandeln, weitere Termine festlegen oder über eine Überweisung diskutieren. Die offen kommunizierenden Patienten äußern beispielsweise ohne Umschweife, wenn sie mit einem Medikationsvorschlag nicht einverstanden sind. So lehnt Frederike Neumann (47)

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Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch

eine Behandlung ihres Bluthochdrucks mithilfe von Medikamenten grundsätzlich ab. Joshua Adam (26) ist dem Vorschlag seines Hausarztes gegenüber zunächst abgeneigt, Schmerztabletten gegen seine Knieschmerzen einzunehmen. Der Arzt erklärt daraufhin ausführlich, dass die Tabletten auch entzündungshemmend wirken, woraufhin der Patient in die Verschreibung einwilligt. Justus Breuer (45) wiederum lässt sich am Ende der Diskussion mit seinem Hausarzt Schmerztabletten gegen seine Rückenschmerzen verschreiben und vermeidet dadurch eine Spritze, die der Arzt zunächst zur Bekämpfung der körperlichen Probleme vorgeschlagen hatte. Andere offen kommunizierende Patienten sprechen ohne Umschweife an, wenn ihnen ein vom Arzt vorgeschlagener Therapieansatz Bedenken oder Sorgen bereitet. Etwa äußern sowohl Chloe Wagner (18) als auch Joshua Adam (26), dass ihnen der vom Arzt verordnete Sportverzicht schwerfallen wird. Zudem eröffnet Joshua Adam (26) seinem Hausarzt, dass er Angst hat, keinen Facharzttermin ohne sehr lange Wartezeiten zu bekommen, woraufhin dieser ihm seine Unterstützung zusagt und ihm versichert, sich persönlich um einen Termin beim Facharzt zu kümmern. Schließlich drückt sich die offene Kommunikation der Patienten darin aus, dass sie Rückfragen zu geplanten Sportaktivitäten (wie z. B. Mia Hesse (37)) stellen oder Fragen zu möglichen Fachärzten äußern (wie z. B. Nico Riedel (49)). Arzt- und Patientenbilder der offen kommunizierenden Patienten Die Charakteristika der beobachteten offenen Kommunikation spiegeln sich auch in den Bildern wider, die Patienten von sich und ihrem Hausarzt haben. Wird zunächst der Blick auf das Arztbild der Patienten gerichtet, so lässt sich feststellen, dass sie – ebenso wie die zurückhaltend kommunizierenden Patienten (vgl. Kapitel 6.1) – ihren Hausarzt als medizinischen Experten klassifizieren, der über Fachwissen verfügt, der mittels Fragen und Anweisungen im Zuge der körperlichen Untersuchung durch das Gespräch führt und der darauf aufbauend zu einer Diagnose gelangt. So attestieren etwa Anne Eilers (55) und Alexander Fluchs (50) ihrem Hausarzt „hohes Fachwissen“, Frank Thiele (48) spricht seiner Hausärztin ein „breites Wissen“ zu. Joshua Adam (26) bezeichnet seinen Hausarzt als „kompetent“. Aus Sicht der offenen Patienten ist für den Hausarzt charakteristisch, dass er durch gezielte Fragen Informationen zum Befinden der Patienten erlangt. Die interviewten Patienten beschreiben ihren Hausarzt als Gesprächspartner, der „tief

Offene Kommunikation

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genug [gräbt]“ (Niklas Fröhlich (36)), „nachfragt“ (Fanny Bauer (53)), „mehr heraus[kitzelt]“ (Fritz Groß (66)) und „nachhakt“ (z. B. Lucy Jakobs (32)). Aus Sicht der offenen Patienten hat der Hausarzt nicht nur die Aufgabe, durch Fragen Informationen zum Befinden des Patienten zu erhalten, vielmehr gehört auch die körperliche Untersuchung zum klar umrissenen Kompetenzbereich des Hausarztes. Dies beschreibt Adrian Capel (48) folgendermaßen: „Ich bin nicht derjenige, der schon reinkommt und sagt ‚[…] [D]a müsst ihr nach gucken‘ […]. Weil ich sage mal, das muss der Arzt wissen und ja, ich bin da einfach, ich lass das auf mich zukommen.“ Durch das Fragen-Stellen und die körperliche Untersuchung – sowohl in der aktuellen Begegnung wie auch in vorherigen Begegnungen – verfügt der Hausarzt aus Sicht der Patienten über umfangreiches patientenbezogenes Wissen. So heben die Patienten unisono hervor, dass der Hausarzt sie kennt (vgl. z. B. Lucy Jakobs (32)). Er kennt ihre Krankengeschichte (vgl. z. B. Lena Götz (72)) und die gesundheitsrelevanten Kontextinformationen (wie z. B. die familiären Rahmenbedingungen) (vgl. z. B. Fritz Groß (66)). So fasst Nora Nowak (33) zusammen, dass ihr Hausarzt „die ganze Geschichte kennt […] auch das Drumherum“. Den Patienten zufolge ist dieses ‚Kennen des Patienten‘ die Basis für die hausärztliche Kompetenz, den Gesundheitszustand treffsicher einzuordnen. Demgemäß schildert Alexander Fluchs (50): „[U]nd der Doktor kennt mich ja auch und der weiß, wenn ich zu ihm komme, dann habe ich was Ernsthaftes und ich komme nicht wegen irgendeinem Wehwehchen.“ Aus Sicht der offen kommunizierenden Patienten ist der Hausarzt – basierend auf seinem medizinischen und personenbezogenen Wissen – dazu in der Lage, korrekte Diagnosen zu treffen und diese angemessen zu vermitteln. So ist Anton Achtermann (39) der Meinung, dass sein Hausarzt stets „fachlich richtig“ liege. Fritz Groß (66) sagt, dass sein Hausarzt „auf den Punkt [geht]“. Die offen kommunizierenden Patienten sehen ihren Hausarzt nicht nur als medizinischen Experten, der mittels gezielter Fragen durch das Gespräch leitet, für die körperliche Untersuchung verantwortlich ist und treffsichere Diagnosen verständlich formuliert. Für die offen kommunizierenden Patienten ist der Hausarzt darüber hinaus ein interessierter Zuhörer, der ihnen Raum und Zeit gibt sowie eine vertrauensvolle Atmosphäre schafft, in der sich die Patienten öffnen können. In diesem Punkt unterscheidet sich das Arztbild von dem Arztbild der zurückhaltend kommunizierenden Patienten. Die offenen Patienten bezeichnen ihren Hausarzt ausnahmslos als „Zuhörer“ (z. B. Christina Merten (48)), der „sich

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Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch

für einen [interessiert]“ (Niklas Fröhlich (23)) und ein „offenes Ohr“ (Nadine Schramm (60)) für seine Patienten hat. Dabei heben die offen kommunizierenden Patienten hervor, dass der Hausarzt sich für die Patienten „Zeit nimmt“ (z. B. Filippa Seidel (24)) und sie „nicht kurz abhandelt“ (Fanny Bauer (53)), sondern „auf [sie] ein[geht]“ (z. B. Joshua Adam (26)). Demgemäß äußert Jutta Hall (37) exemplarisch: „[E]r hat sich Zeit genommen. […] Also er hört auf jeden Fall zu, das ist, finde ich, ganz, ganz wichtig, gerade in diesem Bereich.“ Den offenen Patienten folgend ist ihr Hausarzt „immer ansprechbar“ (Nele Hoppe (24)), „immer für einen da“ (Martha Kern (66)). Demgemäß beschreibt Nele Hoppe (24), dass sie das Gefühl hat, mit ihren Problemen stets in die Praxis kommen zu können, dass ihr Hausarzt immer für sie ansprechbar ist und sie ihn auch nicht durch ihr Auftauchen nerven würde: „Ich kann immer zu [meinem Hausarzt] kommen.“ Aus Sicht der offen kommunizierenden Patienten schafft der Hausarzt eine Gesprächsatmosphäre, in der sich die Patienten aufgehoben fühlen (z. B. Frank Thiele (48)). Er vermittelt ihnen das Gefühl, sich um seine Patienten zu „kümmern“ (z. B. Niklas Fröhlich (36)) und sie zu „umsorgen“ (Frieda Pfeifer (78)). Diesen Patienten folgend geht die Offenheit, durch die sie den Hausarzt charakterisieren, so weit, dass sie bedenkenlos Dinge ansprechen können, die ihnen an der Behandlung oder in der Praxis im Allgemeinen missfallen. Anton Achtermann (39) bringt dies wie folgt auf den Punkt: „Wenn was nicht passt, kann man es auch mal sagen.“ Bereits im Arztbild der Patienten sind also die zentralen Charakteristika der offenen Kommunikation verankert: Der Arzt ist für die Informationsgewinnung und Diagnose zuständig. Dabei ist er interessierter Zuhörer, der den Patienten Raum und Zeit für ihre Ausführungen gibt. Ihrem Arztbild entsprechend beschreiben sich die offen kommunizierenden Patienten auch selbst. Den offenen Patienten zufolge ist der wichtigste Bestandteil ihres Selbstverständnisses die Auskunftsbereitschaft ihrem Hausarzt gegenüber. So betont Lena Götz (72), dass sie ihrem Hausarzt bereitwillig viel über das Erleben der Krankheit im Alltag berichtet. Joshua Adam (26) hebt hervor, dass er in der Lage ist, gut zu beschreiben, welche Symptome er hat. Ähnlich berichten Anne Eilers (55) und Natascha Jäger (66), dass es sie auszeichne, ihre wahrgenommenen Symptome dem Hausarzt umfassend zu schildern. Frieda Pfeifer (78) erläutert, dass sie versucht, bei ihrer Erzählung nichts wegzulassen, vielmehr alles darzulegen, „was

Offene Kommunikation

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eventuell da sein könnte“. Daneben gehört es zu dem Merkmal der Auskunftsbereitschaft, dass die Patienten ihrem Hausarzt Kontextinformationen liefern, die nicht unmittelbar mit dem Anlass des Arztbesuchs in Verbindung stehen. Demgemäß merkt beispielsweise Nele Hoppe (24) an, dass sie sich mit ihrer Hausärztin über „alle Themen“ inklusive „private Belange“ austauschen könne. Martha Kern (66) erwähnt, dass sie stets Themen ansprechen könne, die andere Personen betreffen. Sie benennt in diesem Zusammenhang beispielhaft, dass sie über die Beschwerden von Angehörigen mit ihrer Ärztin gesprochen habe. Ergänzend ist an dieser Stelle Mia Hesse (37) zu erwähnen, die erzählt, dass sie mit ihrer Hausärztin über ihre Schwangerschaft gesprochen habe, obwohl dieses Thema nicht den Anlass des Arztbesuchs bildet und die Hausärztin keine gynäkologische Spezialisierung vorweist. Ferner sind die offen kommunizierenden Patienten bereit, ihre Gefühle dem Hausarzt zu offenbaren. So berichtet Martha Kern (66) von einer Situation, in der „Tränen liefen“ und ihre Ärztin dadurch einordnen konnte, „wie [sie sich] fühl[t]e“. Im Zusammenhang mit dem selbstzugeschriebenen Merkmal der Auskunftsbereitschaft sprechen sich die Patienten explizit Eigenschaften wie „Offenheit“ (z. B. Chloe Wagner (18)), „Ehrlichkeit“ (z. B. Mia Hesse (37)) oder „Aufrichtigkeit“ (Frieda Pfeifer (78)) zu. Sie sind der Meinung, ihrem Hausarzt alles anvertrauen zu können (vgl. Filippa Seidel (24)), denn sie „fühlen sich aufgehoben“ (z. B. Niklas Fröhlich (36)), haben „keine Scham“ (Filippa Seidel (24)) oder sprechen von einer „geringen Hemmschwelle“ (Fabienne Graf (24)). Zu dem Selbstverständnis der Patienten gehört des Weiteren, dass sie den Anweisungen des Hausarztes Folge leisten und den ärztlichen Diagnosen zustimmen. Die Patienten klassifizieren sich in diesem Zusammenhang als „kooperativ“ (Joshua Adam (26)). Sie „nörgeln nicht rum“ (Joshua Adam (26)), sind „angenehm“ (Martha Kern (66)), „einfach“ (Fabian Wolf (48), Martha Kern (66)), „unkompliziert“ (Mia Hesse (37)), „pflegeleicht“ (Jonathan Reichert (50)) und „folgsam“ (Chloe Wagner (18)). Demgemäß hebt beispielsweise Adrian Capel (48) hervor, dass er seinem Arzt – dem „medizinischen Experten“ – die körperliche Untersuchung sowie die Diagnose überlässt. Einige der offen kommunizierenden Patienten betonen in ihrer Selbstbeschreibung darüber hinaus, dass sie die Behandlungsmaßnahmen mit ihrem Hausarzt diskutieren. So erläutert Chloe Wagner (18), dass sie der Ärztin sofort gesagt habe, dass ihr der verordnete Sportverzicht schwerfallen werde:

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Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch

Wenn der Arzt mir sagt „Ja, mach jetzt weniger Sport oder keinen Sport“ […], dann ist es zwar immer schwer für mich und dann sag ich immer „Ja, mhm, toll“, aber ja, im Endeffekt muss man es halt machen, damit es wieder weggeht und damit man danach wieder richtig durchstarten kann. (Chloe Wagner (18))

Darüber hinaus definieren die Patienten sich dadurch, dass sie ihr etwaiges Nichtverstehen im Hinblick auf Erklärungen des Hausarztes – zur Diagnose und entsprechenden Behandlungshinweisen – durch Rückfragen ausdrücken. Sie klinken sich in die Erklärungen des Hausarztes ein, „wenn etwas komisch ist“ (Nikola Nagel (47)), wenn sie „nicht folgen [können]“ (Nikola Nagel (47)) oder wenn aus ihrer Sicht die „Auskunft nicht ausreichend“ (Jonathan Reichert (50)) ist.

6.3

Fordernde Kommunikation

Die Beobachtungs- und Interview-Daten der vorliegenden Studie verdeutlichen: Die direkte Kommunikation von Hausarzt und Patient kann nicht nur zurückhaltend oder offen verlaufen, sondern es lässt sich darüber hinaus ein dritter Kommunikationsstil ausmachen – die fordernde Kommunikation. Abbildung 7 führt einen beispielhaften Gesprächsverlauf für die fordernde Kommunikation der Beziehungspartner auf. 106 Sprechstundenverlauf von Dr. Manuel Marthen und Judith Löffler Judith Löffler wartet bereits im Behandlungsraum. Als der Arzt eintritt und sie mit den Worten begrüßt: „Wir machen heute also Ultraschall!“, entkleidet die Patientin ihren Oberkörper ohne Aufforderung und legt sich kommentarlos auf die Behandlungsliege. Der Hausarzt setzt sich auf einen Stuhl zwischen der Behandlungsliege und seinem Computer. Dabei erklärt er der Patientin, wieso eine Ultraschalluntersuchung für Diabetiker so bedeutsam ist und welche Organe er sich während der heutigen Sitzung anschauen wird. Da das Ultraschallgerät noch nicht hochgefahren ist, überbrückt der Arzt die Zeit und wirft noch einen Blick auf die letzten Blutergebnisse, die er der Patientin vorträgt. Im Zuge dessen ergänzt der Hausarzt, dass er zudem die Schlagadern untersuchen möchte. Nachdem das Ultraschallgerät hochgefahren ist – und ein Bild sowohl auf dem Ultraschall-Monitor als auch auf dem Computer erscheint –, leitet der Arzt die körperliche Untersuchung mit den Worten ein: „Jetzt wird es feucht und 106

Die stichpunktartig angefertigten Beobachtungsnotizen wurden der besseren Lesbarkeit halber in einen Fließtext ausformuliert.

Fordernde Kommunikation kalt. Also bitte nicht erschrecken.“ Der Hausarzt blickt zunächst kommentarlos auf den Monitor und zoomt aus dem Bild heraus und in das Bild hinein. Dann dreht er den Monitor in Richtung der Patientin und deutet mit dem Finger auf die einzelnen Organe, die er gerade betrachtet. So zeigt er beispielsweise seiner Patientin ihre Leber und sagt: „Hier, diese Zuckerschneewolken, das sind Fettablagerungen.“ Daran anschließend erläutert er den Zusammenhang zwischen Diabetes und Fett. Gleichermaßen betrachtet er die Hauptschlagader und eruiert die Funktionsfähigkeit. Danach geht der Arzt zu den Nieren über und kommentiert, was er sieht. Die Patientin klinkt sich in seine Ausführungen unaufgefordert ein und lässt ihr Wissen zu Nieren einfließen. Dabei bringt sie die Vermutung an, dass die Größe der Nieren mit dem Zuckerspiegel zusammenhängt. Der Hausarzt pflichtet dieser Einschätzung bei. Daran anknüpfend erinnert die Patientin den Hausarzt daran, dass er sich auch noch die Schilddrüse anschauen wollte. Der Hausarzt reagiert auf diese Anforderung nicht, da er schon im Begriff ist, die Bauchspeicheldrüse zu betrachten. Auch hier gibt der Arzt ergänzende Informationen zur Funktion des Organs und spricht über die Konsistenz des Gels, das er bei der Untersuchung für das Gleiten der Sonde verwendet. Die Patientin erklärt ihrem Hausarzt, unabhängig von der laufenden körperlichen Untersuchung, dass sie immer noch Probleme mit dem Schwitzen hat. Der Hausarzt hakt nach und fragt, ob sie dieses Problem bereits mit einem Gynäkologen besprochen hat. Die Patientin verneint und erzählt, dass sie aber grundsätzlich sehr zufrieden mit ihrem Gynäkologen ist und liefert Details zu ihrer Behandlung bei diesem Facharzt. Der Hausarzt fährt mit der körperlichen Untersuchung fort und erklärt währenddessen, was er untersucht. Er geht mit der Sonde des Geräts bis zum Hals und sagt, dass er jetzt die Schilddrüse analysiert. Der Hausarzt zeigt seiner Patientin direkt mit dem Finger, wo die Schilddrüse ist und welche Maße sie hat. Der Arzt schlägt vor, in einem halben Jahr die Untersuchung zu wiederholen und fasst zusammen, dass es nur Probleme mit der Fettleber gibt, aber dass „dadurch die Welt nicht untergeht“. Die Patientin nickt zustimmend und sagt: „Gute Idee, dagegen habe ich nichts“, zieht sich wieder an und setzt sich auf die Liege. Die Patientin spricht nochmal das Problem mit dem Schwitzen an. Sie spricht auch an, dass ihr das Schwitzen im Alltag unangenehm sei. Dies gelte insbesondere, wenn sie sich mit anderen Personen trifft. Der Hausarzt meint, dass das Schwitzen eigentlich eine gute Sache ist, dass dadurch Fett abgebaut wird und fügt hinzu: „Ich habe keine Erklärung für das Schwitzen.“ Er äußert noch zwei Vermutungen, die das Schwitzen verursachen könnten. Er empfiehlt der Patientin jedoch, ihren Gynäkologen aufzusuchen und bietet an, das beim nächsten Mal mittels des Blutbildes nochmal näher zu erforschen. Er schließt seine Erklärung mit den Worten: „Dann überlegen wir nochmal gemeinsam.“

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Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch

Auch die Patientin äußert nochmal Hypothesen, woran es liegen könnte. Daran anknüpfend fragt die Patientin von sich aus, ob sie bei der bisherigen Einstellung der Medikamente bleiben soll. Der Hausarzt bejaht die Frage und hakt nach, wie es der Patientin mit den Medikamenten ergangen ist. Die Patientin schildert ausführlich, wie sie die Medikamente verträgt und schildert darüber hinaus ihren alltäglichen Umgang mit Diabetes. Sie erklärt dem Arzt darüber hinaus, dass sie auf jeden Fall ins Disease-Management-Programm (abgekürzt DMP) aufgenommen werden will und dies bislang noch nicht geschehen ist. Sie sagt, sie habe sogar eine Absage bekommen und das, obwohl der Arzt ihr versprochen hätte, dass sie aufgenommen werden würde. Der Arzt kontert, dass es sich um ein Versehen handle und verspricht, dass er sich darum kümmert und sich bei ihr meldet. Der Arzt empfiehlt der Patientin abschließend ihren Blutdruck regelmäßig zu messen. Der Arzt und die Patientin diskutieren noch einmal über die Medikamente und vereinbaren abschließend einen weiteren Termin, bevor sie sich freundlich voneinander verabschieden. Abb. 7:

Beispielhafter Sprechstundenverlauf für eine fordernde Kommunikation im Arzt-Patient-Gespräch (eigene Darstellung)

Der exemplarische Sprechstundenverlauf veranschaulicht zentrale Kerncharakteristika der fordernden Kommunikation. Das erste Kennzeichen der fordernden Kommunikation ist das bereitwillige und umfangreiche Auskunft-Erteilen der Patienten. Dieses Merkmal äußert sich darin, dass Judith Löffler (63) ihrem Hausarzt einen umfassenden Eindruck von ihrem Befinden liefert. Sie schildert ausführlich ihre Verträglichkeit der bisher verschriebenen Medikamente und den alltäglichen Umgang mit ihrer chronischen Erkrankung. Diese Informationen vermittelt Judith Löffler ohne Aufforderung. Zu dieser Auskunftsbereitschaft kommt hinzu, dass die fordernden Patienten im Zuge der Beschwerdeexploration eigenständig Themen setzen, Fragen stellen oder bei der körperlichen Untersuchung Anweisungen geben. So macht Judith Löffler ihren Hausarzt auf ein gesundheitliches Problem aufmerksam, das sie festgestellt hat – ein übermäßiges Schwitzen. Sie übernimmt dabei phasenweise die Gesprächsleitung. Daneben fordert sie die Besprechung der Medikamenteneinstellung und fragt in diesem Zusammenhang, ob diese angeglichen werden muss. Die temporäre Übernahme der Gesprächsleitung zeigt sich auch im Zuge der körperlichen Untersuchung, bei der Judith Löffler ihren Arzt daran er-

Fordernde Kommunikation

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innert, welche Organe er anschauen wollte. Zugleich lässt sie ihr gesundheitsbezogenes Wissen (z. B. zum Zusammenhang zwischen Nierengröße und Zuckerspiegel) in das Gespräch einfließen. Schließlich lässt sich ein weiteres Kennzeichen der fordernden Kommunikation am beispielhaften Gespräch von Dr. Marthen und Judith Löffler festmachen. Dieses besteht darin, dass die Patienten sich an der Diagnose oder der Festlegung der Behandlungsmaßnahmen beteiligen und diese mit ihrem Hausarzt diskutieren. Im Verlauf der Vorsorgeuntersuchung stellt Dr. Marthen fest, dass Fettablagerungen in der Leber der Patientin sichtbar sind. Er schlägt vor, diesen Sachverhalt weiter zu beobachten. Die Patientin äußert ihre Zustimmung zu diesem Vorschlag ausdrücklich, indem sie kommentiert, dass dies eine gute Idee sei, gegen die sie nichts einzuwenden habe. Zum proaktiv eingebrachten Anliegen der Patientin, dem übermäßigen Schwitzen, äußert der Arzt – ebenso wie die Patientin selbst – eine Diagnosevermutung, rät zu einem Facharztbesuch und bietet gleichzeitig an, sich dem Anliegen bei der nächsten Routineuntersuchung noch einmal zu widmen. Judith Löffler erklärt sich damit einverstanden. Sie fordert darüber hinaus die Aufnahme in das DMP-Programm, die ihr Arzt ihr zusichert. Am Gesprächsende legen Dr. Marthen und Judith Löffler gemeinsam den Termin für die nächste Sitzung fest und besprechen noch einmal die weitere Medikation. Nachstehend illustrieren weitere Beispiele aus dem Datenmaterial die Charakteristika der fordernden Kommunikation. Daran anschließend wird gezeigt, wie sich die fordernde Kommunikation in den Bildern manifestiert, die Patienten von sich selbst und ihrem Hausarzt haben. Beobachtbares Fordern im Face-to-Face-Gespräch Ein wesentliches Charakteristikum der fordernden Kommunikation ist der Umstand, dass die Patienten ihrem Hausarzt – mitunter auch ohne Erzählaufforderung – umfassende Informationen rund um ihren Gesundheitszustand liefern. Im Zuge der fordernden Kommunikation differenzieren die Patienten ihr Befinden zum Beispiel, indem sie ihrem Hausarzt den Entdeckungskontext, den Verlauf oder die Dauer der Erkrankung erläutern. So gibt Nicole Kruse (63) ihrer Hausärztin beispielsweise einen umfassenden Einblick in ihre Schlafstörungen. Dabei erklärt sie, wie lange diese bereits andauern und wie viele Stunden sie in Konsequenz täglich schläft. Ähnlich schildert Marina Seifert (52), wann ihre Erkältung aufgetreten ist, wie sie sich entwickelt hat und welche Medikamente sie bislang

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Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch

eingenommen hat. Die Ausdifferenzierung der Beschreibung des Befindens erfolgt mitunter auch durch Schilderungen zum alltäglichen Erleben der Erkrankung. Exemplarisch beschreibt Nicole Kruse (63), wie sich ihre Schlafstörungen auf die Bewältigung alltäglicher Aufgaben im Haushalt auswirken. Ebenso stellen Louisa Kaufmann (41) und Marina Seifert (52) ihren Hausärzten die Belastung durch ihre Allergien im Berufsalltag dar. Die fordernd kommunizierenden Patienten berichten ihrem Hausarzt zudem von Behandlungserfahrungen, die sie bei Fachärzten gemacht haben. Damit eröffnen sie ihrem Hausarzt einen ‚Gesamtblick‘ auf die Krankengeschichte. So berichtet Nicole Kruse (63) ihrer Hausärztin davon, dass ihre Gynäkologin eine Zyste diagnostiziert und dass ihr Zahnarzt ihr eine Schiene angefertigt habe. Tilda Opel (40) erzählt, welche Untersuchungen sie in letzter Zeit von Fachärzten hat vornehmen lassen und fasst die zentralen Ergebnisse zusammen. Ferner komplementieren Kontextinformationen (Informationen zum beruflichen oder familiären Umfeld) die patientenseitigen umfassenden Schilderungen. Dementsprechend liefert beispielsweise Nicole Kruse (63) ihrer Hausärztin nicht nur einen Einblick in den Entstehungskontext, die Dauer und den Verlauf ihrer Schlafstörungen. Zusätzlich bringt sie ihre Schlafstörungen in den Zusammenhang mit der momentanen familiären Situation, dem Tod einer Angehörigen. Findet neben der verbalen Beschwerdeexploration eine körperliche Untersuchung statt, so leisten die fordernd kommunizierenden Patienten den Anweisungen des Arztes Folge. Wie bereits die offenen Patienten unterstützen die fordernden Patienten ihren Arzt während der körperlichen Untersuchung, indem sie eine präzise Lokalisierung ihrer Erkrankung vornehmen. Dies zeigt sich beispielsweise bei Tilda Opel (40). Nachdem sie eine ausführliche Beschreibung ihres Befindens vorgenommen hat, lokalisiert sie ihren Schmerz (an den Lymphknoten), indem sie auf die beiden zentralen Schmerzherde aufmerksam macht. Darüber hinaus – und das unterscheidet die fordernde Kommunikation sowohl von der zurückhaltenden als auch von der offenen Kommunikation – setzen die fordernd kommunizierenden Patienten im Gespräch mit ihrem Hausarzt Themen und geben während der körperlichen Untersuchung Anweisungen. Frauke Engel (41) setzt beispielsweise ein Thema, indem sie während des Gesprächs ihren Hausarzt auffordert, etwas im Facharztbericht zu recherchieren, der ihrer Meinung nach im PMS hinterlegt ist. Louisa Kaufmann (41) fragt während der Besprechung der Blutwerte von sich aus nach den Schilddrüsenwerten und dem Vitamin-D-

Fordernde Kommunikation

263

Stand. Nicole Kruse (63) bittet ihre Hausärztin während der körperlichen Untersuchung, zu überprüfen, ob sie einen Leistenbruch hat. Tilda Opel (40) fragt ihre Ärztin im Zuge der Ultraschalluntersuchung, ob sie weitere Organe in den Blick nehmen könne. Sie fordert ihre Hausärztin beispielsweise auf, zu prüfen, ob „die Gallensteine tanzen“. Alina Gramberg (19), die ihren Arzt wegen einer Schilddrüsenuntersuchung aufsucht, macht ihn während des Termins zusätzlich auf eine Blockade im Rücken aufmerksam. Sie äußert ihrem Hausarzt gegenüber die Bitte, sich diesem gesundheitlichen Problem ebenfalls anzunehmen. Die beobachteten Hausärzte berücksichtigen die Themensetzungen und Forderungen der Patienten, wenngleich sie diese nicht immer sofort umfassend bearbeiten können. Auf Grundlage der Beschwerdeexploration, in deren Verlauf die fordernd kommunizierenden Patienten nicht nur ausführlich ihr Befinden präsentieren, sondern auch Themen setzen und Anweisungen formulieren, gelangt der Arzt zu einer Diagnose. Ein weiteres Charakteristikum der fordernden Kommunikation liegt darin, dass die Patienten diese Diagnose (kritisch) kommentieren oder zusätzliche eigene Diagnosevermutungen äußern. Die folgenden Beispiele illustrieren, wie die fordernde Kommunikation im Zuge der Diagnosemitteilung in den beobachteten Sprechstunden ablief. Alina Gramberg (19) hat ihre Laborwerte bereits vor dem persönlichen Treffen mit ihrem Hausarzt erhalten und kommentiert diese ausführlich. Sie weiß nach eigenen Angaben, was die Werte bedeuten, da sie diese bereits im Vorfeld im Internet recherchiert hat, wie sie ihrem Hausarzt mitteilt. Die fordernd kommunizierende Patientin schlussfolgert auf Basis der ihr vorliegenden Daten, dass die Tabletteneinstellung des Schilddrüsenhormons im Moment „in Ordnung“ sei. Der Arzt pflichtet dieser Bewertung bei. Ergänzend interpretiert er die Laborergebnisse im Kontext des Krankheitsverlaufs bzw. der individuellen Krankengeschichte der Patientin und gelangt so zu weiterführenden Erkenntnissen und Erklärungen. Ähnlich stellt Nicole Kruse (63) fest, dass ihre Schlafstörungen auf eine familiäre Belastungssituation zurückzuführen sind. Die Hausärztin geht auf dieses Argument ein und verfolgt den Erklärungsansatz weiter, indem sie Rückfragen zur familiären Situation stellt und diese auch bei den Behandlungshinweisen berücksichtigt. Auch Tilda Opel (40) liefert eine erste Einordnung ihrer Symptome. Sie bringt ihre Schmerzen an den Lymphknoten in Zusammenhang mit den Infekten, die sie in der letzten Zeit hatte. Ihre Hausärztin

264

Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch

hält die Erläuterungen ihrer Patientin für schlüssig und erklärt, dass sie sich – basierend auf den Ergebnissen der körperlichen Untersuchung – der Einschätzung der Patientin anschließen könne. Marina Seifert (52) liefert zwar keine Diagnosevermutung, kommentiert aber die ärztliche Diagnose – eine Erkältung – im Hinblick auf ihre Asthmaerkrankung. Dabei lässt sie ihr bisher gewonnenes Wissen einfließen. Ihre Erläuterungen beginnt sie mit den Worten: „Ich habe bislang die Erfahrung gemacht, dass […].“ Neben den Kommentaren zur ärztlichen Diagnose oder den Diagnosevermutungen zeichnet sich die fordernde Kommunikation dadurch aus, dass die Patienten Rückfragen zur Diagnose stellen. Nicole Kruse (63) will zum Beispiel ganz genau wissen, was die Diagnose für ihren Alltag bedeutet. Dass die Patienten von sich aus Behandlungsmaßnahmen vorschlagen, charakterisiert die fordernde Kommunikation abschließend. Einen Eindruck davon, wie dies geschieht, geben die folgenden Beispiele aus den beobachteten Sprechstunden. So lässt Louisa Kaufmann (41) von sich aus ins Gespräch einfließen, welche Tabletten sie bereits einnimmt und welche Medikamente sich aus ihrer Sicht bewährt haben, woraufhin der Hausarzt die künftige Medikation entsprechend festlegt. Gleichermaßen nennt Marina Seifert (52), ohne dass sie die Hausärztin dazu auffordert, welche Medikamente sie sonst für ihre Allergien verschrieben bekommen hat und welche Medikamente ihr „gut helfen“. Zusätzlich zu den bereits durch den Hausarzt in der Sprechstunde verschriebenen Rezepten äußern Alina Gramberg (19) und Tilda Opel (40) weitere Rezeptwünsche. Neben den Forderungen bei der Festlegung der Medikation schlagen Frauke Engel (41) und Nicole Kruse (63) eine Überweisung zu einem Spezialisten vor, um ihre Beschwerden weiter zu behandeln. Darüber hinaus stellt Louisa Kaufmann (41) die Anforderung, dass ihre Ärztin eine Eigenbluttherapie vornimmt. Die Hausärzte nehmen die Wünsche, die von den Patienten im Zusammenhang mit der weiteren Behandlung oder Klärung ihrer Beschwerden geäußert werden, an und widersprechen ihnen nicht grundsätzlich. Arzt- und Patientenbilder der fordernd kommunizierenden Patienten Die fordernde Kommunikation der Patienten im direkten Gespräch manifestiert sich auch in den Bildern, die die Patienten von sich und ihrem Arzt haben. Die fordernd kommunizierenden Patienten definieren ihren Hausarzt – ebenso wie die

Fordernde Kommunikation

265

Patienten, die zurückhaltend und die offen kommunizieren – als medizinischen Experten, der über Fachwissen verfügt. Die fachliche Expertise des Hausarztes betonen die fordernd kommunizierenden Patienten ohne Ausnahme. So unterstreicht z. B. Leonie Glee (47), dass ihre Hausärztin „sehr kompetent“ sei. Ein weiteres Charakteristikum, das die Patienten ihrem Arzt zuschreiben, ist der Umstand, dass dieser ihre spezifischen Bedürfnisse ernst nimmt. So hebt beispielsweise Alina Gramberg (19) hervor, dass ihr Arzt bei der Verordnung von Medikamenten auch ihre Laktoseintoleranz mit im Blick hat und ihr entsprechend angepasste Präparate verschreibt. Dass der Hausarzt auf die Patienten und ihre Bedürfnisse eingeht, stellen die fordernd kommunizierenden Patienten auch dadurch heraus, festzustellen, dass sich der Hausarzt Zeit für ihre Anliegen nimmt (z. B. Marina Seifert (52)) und ihnen zuhört (z. B. Alwine Harms (64)). Marina Seifert (52) unterstreicht in diesem Zusammenhang die Sorgfalt, mit der ihr Hausarzt ihr begegnet. Dieser „experimentiert nicht mit einem rum“ (Marina Seifert (52)), leitet weiter, wenn er nicht weiter weiß und fragt nach. Bereits die Beschreibung des Arztbildes zeigt, dass die Patienten ihren Arzt eher selbstbezogen definieren: Der Hausarzt geht auf die Bedürfnisse der Patienten ein, hört den Patienten zu, nimmt sich für die Patienten Zeit. Sich selbst charakterisieren die Patienten nicht nur über die Bereitschaft, dem Arzt Auskunft über das eigene Befinden zu geben, sie betonen vielmehr ihre Auskunftsfähigkeit – also die Kompetenz, dem Hausarzt ihr Befinden umfangreich und präzise darzulegen. Alina Gramberg (19) etwa hebt hervor, dass sie ihre Krankengeschichte „gut“ darlegen kann. Marina Seifert (52) pointiert ihre Auskunftsfähigkeit folgendermaßen: „[Die Ärztin kriegt] genug Informationen […], was mich betrifft […] [da ich] richtig klar und deutlich sage, was mir jetzt fehlt.“ Die fordernden Patienten sind nicht nur in der Lage, ihrem Hausarzt ihr Befinden präzise darzulegen, sie schrecken auch nicht davor zurück, „ihren Kummer und ihre Sorgen“ (vgl. z. B. Marina Seifert (52)) mit dem Arzt zu teilen. Die Patienten betonen, dass sie sich gezielt im Hinblick auf die eigene (kritische) Beteiligung am ArztPatient-Gespräch im Vorfeld des Arztbesuchs vorbereiten. Alwine Harms (64) sieht in der Vorbereitung den Vorteil, „dass man [ihr] nicht alles an den Kopf schmeißen kann. Dass [sie] also so ungefähr weiß, was abgeht“. Marina Seifert (52) bereitet sich vor, um im Arzt-Patient-Gespräch gezielt Themen setzen und dadurch die Zeit vor Ort effektiv nutzen zu können.

266

Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch

Ein weiteres Charakteristikum, das sich die fordernden Patienten zuschreiben, besteht darin, die Diagnose und die Behandlungshinweise des Hausarztes zwar nicht infrage zu stellen, aber durchaus kritisch nachzufragen und Ergänzungen zu äußern. So grenzen sich die fordernd kommunizierenden Patienten zum Teil explizit von dem medizinischen Experten ab, als den sie ihren Arzt definieren. Frauke Engel (41) äußert etwa: „[I]ch bin ja, wie gesagt, kein Arzt.“ Zugleich führen die Patienten an, dass sie im Zuge von Diagnose und Behandlungshinweisen Nachfragen und Einwände ins Gespräch einbringen. Alwine Harms (64) erläutert ihr kritisches Nachfragen im Zusammenhang der Behandlungshinweise folgendermaßen: „[W]enn der [Arzt] mir irgendwas erzählt, dann frag ich natürlich nach und jetzt muss der mir erklären, warum, wieso und weshalb, er mir jetzt dieses Medikament verordnet und warum er glaubt, dass genau das [Medikament] das richtige ist.“ Auf ähnliche Art und Weise beschreibt Frauke Engel (41): „Aber warum, wieso, warum, weswegen? Ich habe ja, […], schon mal versucht, ein bisschen nachzuhorchen ‚Was soll ich denn eigentlich tun? Oder was kann ich alternativ tun?‘“ Auch Judith Löffler (63) hebt bei der Selbstbeschreibung das kritische Nachfragen hervor und erklärt: „Oh, [ich bin] nicht so ganz pflegeleicht. […] Weil ich doch schon ab und zu mal kritisch nachhake.“ Die kritische Haltung der Patienten führt mitunter so weit, dass sie Behandlungshinweise des Hausarztes ablehnen. Eine solche Situation beschreibt Marina Seifert (52): [B]ei ‚nicht arbeiten‘ streike ich mittlerweile auch schon, ich lasse mich nicht dauernd krankschreiben. Wo [die Ärztin] dann sagt „Sie bleiben aber zu Hause“, dann sage ich „Kann ich nicht machen, ich kann nicht ständig krankfeiern“ – „Ja, aber Ihrem Rücken tät es jetzt besser“ und dann gehe ich trotzdem arbeiten, das findet sie nicht so gut […]. (Marina Seifert (52))

Entsprechend der bisherigen Beschreibung charakterisieren sich die fordernd kommunizierenden Patienten als „unangenehm“ (Nicole Kruse (63)) und „ungeduldig“ (Louisa Kaufmann (41)). Sie brauchen Sicherheit bzw. müssen beruhigt werden (vgl. z. B. Louisa Kaufmann (41)), wollen ernst genommen (vgl. Marina Seifert (52)) und beraten werden (vgl. z. B. Frauke Engel (41)) und wissen, was sie wollen (vgl. z. B. Alwine Harms (64)).

Vergleich der Kommunikationsstile

6.4

267

Vergleich der Kommunikationsstile

In diesem Kapitel wurde gezeigt, dass drei unterschiedliche Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch existieren: die zurückhaltende, die offene und die fordernde Kommunikation. 107 Die Kommunikationsstile wurden anhand der Art und Weise des Fragen-Stellens und Anweisungen-Gebens sowie hinsichtlich des Anweisung-Befolgens und Auskunft-Erteilens empirisch unterschieden. Neben der beobachtbaren Kommunikation in der Sprechstunde wurden dabei auch die Selbstbeschreibungen und die Arztbilder der Patienten berücksichtigt, die situationsübergreifend relativ stabil sind und die Kommunikation der Patienten grundlegend orientieren. Im Folgenden werden die drei empirisch fundierten Stile der direkten Arzt-Patient-Kommunikation vergleichend dargestellt. Gemein ist den drei Kommunikationsstilen, dass dem Arzt im institutionellen Kontext von Arzt-Patient-Beziehung und Hausarztpraxis die Rolle eines medizinischen Fachmanns zukommt, der das Gespräch grundsätzlich strukturiert. Er ist dafür verantwortlich, Informationen zum Befinden seines Beziehungspartners zu gewinnen. Ebenso kommt ihm die Aufgabe zu, die Diagnose und die entsprechenden Behandlungshinweise zu vermitteln. In den drei Kommunikationsstilen akzentuieren die Patienten darüber hinaus unterschiedliche Eigenschaften ihres Hausarztes: • Die zurückhaltend kommunizierenden Patienten beteiligen sich kaum proaktiv am Arzt-Patient-Gespräch. Sie betonen die Verantwortlichkeit des Hausarztes für die Diagnose und Therapie. • Die offen kommunizierenden Patienten bringen sich durch ausführliche Schilderungen ihres Befindens in das Arzt-Patient-Gespräch ein und sehen in ihrem Hausarzt einen Zuhörer, der ihnen Raum und Zeit gibt, um ihre Anliegen zu erläutern.

107

Die drei empirisch identifizierten und in diesem Kapitel beschriebenen Stile der direkten Arzt-Patient-Kommunikation ähneln den idealtypischen medizinsoziologischen Klassifikationen der Arzt-Patient-Beziehung (vgl. hierzu Kapitel 2.4). Die zurückhaltende Kommunikation weist Gemeinsamkeiten mit der paternalistischen Arzt-Patient-Beziehung auf, die offene Kommunikation teilt Eigenschaften mit der partnerschaftlichen Arzt-Patient-Beziehung und die fordernde Kommunikation besitzt schließlich Parallelen mit der konsumeristischen Arzt-Patient-Beziehung.

268



Kommunikationsstile im Arzt-Patient-Gespräch

Die fordernd kommunizierenden Patienten bestimmen die Agenda der Sprechstunde mit und tragen zum Arzt-Patient-Gespräch durch Anmerkungen und Fragen bei. Sie sehen ihren Hausarzt schließlich als jemanden, der sie und ihre Kompetenzen ernst nimmt. Im direkten Gespräch der Beziehungspartner zeigt sich, dass die zurückhaltend kommunizierenden Patienten ihr Befinden knapp darlegen, während die offen und die fordernd kommunizierenden Patienten ihr Befinden ausführlich und präzise schildern. Darüber hinaus geben die offenen und die fordernden Patienten viele Kontextinformationen von sich preis. Die unterschiedlich ausgeprägte Auskunftsbereitschaft der Patienten spiegelt sich in ihrem Selbstverständnis wider. Während bei den zurückhaltend kommunizierenden Patienten die Beschreibung des Befindens keine gesonderte Rolle spielt, heben sowohl die offen als auch die fordernd kommunizierenden Patienten hervor, dass sie ihren Gesprächspartner bereitwillig über ihren Gesundheitszustand informieren. Neben der verbalen Vermittlung von patientenbezogenen Informationen liefert die körperliche Untersuchung durch den Hausarzt Informationen zum Befinden der Patienten. Es lässt sich stilübergreifend bilanzieren, dass die Patienten im Zuge der körperlichen Untersuchung den Anweisungen ihres Hausarztes folgen. Hervorzuheben sind an dieser Stelle die fordernd kommunizierenden Patienten. Sie geben ihrem Hausarzt gegenüber Anweisungen, welche Überprüfungen oder körperlichen Untersuchungen er zusätzlich durchführen soll. Bei der Diagnose und den Behandlungshinweisen ähnelt sich die Kommunikation der zurückhaltend und der offen kommunizierenden Patienten insofern, als beide die ärztliche Diagnose nicht infrage stellen. Während die zurückhaltend kommunizierenden Patienten nicht nur der Diagnose zustimmen, sondern auch den Behandlungshinweisen, diskutieren die offen kommunizierenden Patienten die Behandlungshinweise mit ihrem Hausarzt. Rückfragen stellen die offen kommunizierenden Patienten darüber hinaus nur, wenn sie die Ausführungen des Hausarztes nicht verstehen. Anders sieht es bei den fordernd kommunizierenden Patienten aus. Für sie ist charakteristisch, dass sie die ärztliche Diagnose kommentieren oder eigene Diagnosevermutungen liefern. Außerdem wirken die fordernd kommunizierenden Patienten an der Behandlungsentscheidung mit und äußern beispielsweise proaktiv Wünsche, wie ihre Beschwerden behandelt werden sollten. Tabelle 18 fasst die zentralen Merkmale der drei Kommunikationsstile zusammen.

Vergleich der Kommunikationsstile

269

Zurückhaltende Kommunikation

Offene Kommunikation

Fordernde Kommunikation

Arzt stellt Fragen zum Befinden des Patienten • Patient schildert sein Befinden knapp • Patient stellt keine Fragen, wenn es um das Befinden geht • Patient bringt nichts Ergänzendes (Kontextinformationen) zur Sprache

Arzt stellt Fragen zum Befinden des Patienten • Patient schildert sein Befinden ausführlich • Patient stellt wenige Fragen, wenn es um das Befinden geht • Patient bringt viel Ergänzendes (Kontextinformationen) zur Sprache

Arzt stellt Fragen zum Befinden des Patienten • Patient schildert sein Befinden ausführlich • Patient stellt Fragen, wenn es um das Befinden geht • Patient bringt viel Ergänzendes (Kontextinformationen) zur Sprache

Arzt gibt Anweisungen im Zuge der Untersuchung • Patient folgt den Anweisungen des Arztes während der Untersuchung kommentarlos

Arzt gibt Anweisungen im Zuge der Untersuchung • Patient folgt den Anweisungen des Arztes während der Untersuchung

Arzt gibt Anweisungen im Zuge der Untersuchung • Patient folgt den Anweisungen des Arztes während der Untersuchung • Patient gibt selbst Anweisungen während der Untersuchung oder setzt Themen

Arzt vermittelt Diagnose Arzt vermittelt Diagnose und Behandlungshinweise und Behandlungshinweise • Patient stimmt Diagnose • Patient stimmt Diagnose und Behandlungshinweizu und diskutiert Besen zu handlungshinweise

Arzt vermittelt Diagnose und Behandlungshinweise • Patient kommentiert ärztliche Diagnose oder liefert Diagnosevermutungen; Patient äußert Behandlungswünsche • Patient stellt keine Nach- • Patient stellt Nach- und • Patient stellt Nach- und oder Rückfragen zu DiagRückfragen zu Diagnose Rückfragen zu Diagnose nose und Behandlungsund Behandlungshinweiund Behandlungshinweihinweisen sen bei Nichtverstehen sen Tab. 18: Übersicht über die Kennzeichen der zurückhaltenden, offenen und fordernden Kommunikation im Arzt-Patient-Gespräch (eigene Darstellung)

7

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

In Kapitel 6 wurde argumentiert, dass es unterschiedliche Kommunikationsstile im direkten Arzt-Patient-Gespräch gibt. Insgesamt konnten drei Kommunikationsstile identifiziert werden: die zurückhaltende, die offene und die fordernde Kommunikation. In einer digitalisierten Welt komplementieren kommunikative Konstruktionsformen, die auf der Aneignung gesundheitsbezogener Medien basieren, die Beziehungskonstruktion. Dieses Kapitel präsentiert drei Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung, die im Rahmen der vorliegenden Studie identifiziert wurden: erstens die marginale Medienaneignung, zweitens die fokussierte Medienaneignung und drittens die extensive Medienaneignung. 108 Die Aneignungsformen ordnen die „Vielfalt der Umgangsweisen mit [gesundheitsbezogenen] Medien in unserer heutigen mediatisierten Welt“ (Hepp 2014: 193). Die im Folgenden erläuterten Formen gesundheitsbezogener Medienaneignung zeigen, wie Patienten gesundheitsbezogene Medienangebote in ihre „alltäglichen Lebensund Erfahrungskontext[e]“ (Wagner/Theunert 2007) integrieren. Den in Kapitel 3.5 formulierten Prämissen entsprechend beziehen die Medienaneignungsformen das gesamte gesundheitsbezogene Medienrepertoire der Patienten ein, auf dem ihr kommunikatives Handeln basiert (vgl. z. B. Hasebrink/Domeyer 2012). Eine Medienaneignungsform umfasst alle medienvermittelten kommunikativen Handlungen eines Patienten, die wiederum in bestimmten Situationen und Regelmäßigkeiten unter Bezugnahme auf bestimmte Motive ausgeführt werden. Bereits in Kapitel 5 wurden die medienvermittelten kommunikativen Handlungen der Mikro-Koordination sowie der Konstruktion von hausarzt-, patientenund gesundheitsbezogenem Wissen, im Rahmen der Darstellung der beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen von Hausarzt und Patienten eingeführt. Diese vier kommunikativen Handlungen kommen auch bei der Beschreibung der patientenseitigen Medienaneignungsformen zum Tragen. 109 Anhand der Daten

108

Die Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung basieren auf der Analyse von insgesamt 52 Fällen (vgl. hierzu Kapitel 4). 109 Das Spektrum der medienvermittelten gesundheitsbezogenen kommunikativen Handlungen um-

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. C. Meinzer, Die Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt, Medien • Kultur • Kommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26007-1_7

272

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

der vorliegenden Studie ließ sich feststellen, dass die Handlungen der medienvermittelten Mikro-Koordination sowie der medienvermittelten Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen fallübergreifend große Ähnlichkeit aufweisen. Diese beiden medienvermittelten Handlungen werden dementsprechend formübergreifend beschrieben. Die Beschreibung der drei Medienaneignungsformen erfolgt anhand der spezifischen Unterschiede, die sich bei der medienvermittelten Konstruktion von patienten- und gesundheitsbezogenem Wissen feststellen lassen. Die gesundheitsbezogenen Medienrepertoires, auf denen die kommunikativen Handlungen der Patienten aufbauen, umfassen sowohl ‚traditionelle‘ als auch Online-Angebote zur interpersonalen Medienkommunikation (wie z. B. das Telefon oder E-Mail), zur produzierten Medienkommunikation (wie etwa Fernsehmagazine, Zeitschriften oder medizinische Informations-Websites) sowie Angebote zur virtualisierten Medienkommunikation (wie z. B. Apps zur Protokollierung des Krankheitsverlaufs). Tabelle 19 stellt überblicksartig dar, welche kommunikativen Handlungen die befragten Patienten in ihrem Alltag mithilfe welcher gesundheitsbezogenen Medienangebote vollziehen.

fasst darüber hinaus die ‚Medienrezeption zum Vergnügen‘. Patienten eignen sich gesundheitsbezogene Medienangebote im Zusammenhang mit „Spaß, Vergnügen, Unterhaltung, Erholung und Lust“ (Mikos 2015: 225) an. Insbesondere fiktionale Arztserien (wie z. B. ‚Grey’s Anatomy‘, ‚Doctor’s Diary‘) werden ausschließlich in diesem Kontext genannt. Die medienvermittelten kommunikativen Handlungen, die primär dem Vergnügen der Patienten dienen, wurden weder bei der Darstellung der beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen, die die Arzt-Patient-Beziehung konstituieren (vgl. Kapitel 5), aufgeführt noch finden sie bei den im Folgenden dargestellten unterschiedlichen Medienaneignungsformen Berücksichtigung. Die ursprüngliche Annahme, dass das Bild, das Patienten von ihrem Hausarzt haben, in gewissem Maße durch fiktionale Serien geprägt ist, ließ sich nicht bestätigen – zumindest auf Basis der Auskünfte der befragten Patienten. In den Interviews mit den Patienten zeigte sich, dass sie die ‚Medienrezeption zum Vergnügen‘ explizit von ihrem Wissen über Gesundheit und Krankheit sowie von ihrem hausarztbezogenen Wissen abgrenzen. Insbesondere fiktionale Formate werden als „unrealistisch“ und „realitätsfern“ beschrieben. Demgemäß klassifiziert Fanny Bauer (53) Arztserien als „Shows“, die keinen Realitätsbezug aufweisen und resümiert, dass bei Serien hauptsächlich persönliche Probleme der Ärzte den Plot bilden. Ähnlich argumentiert Lucy Jakobs (32), dass im Fokus der Arztserie ‚Grey’s Anatomy‘ nicht das professionelle Handeln der Ärzte stehe, sondern der „Liebesschmerz“ und die zwischenmenschlichen Beziehungen und Probleme der Figuren: „Ja, das ist eigentlich nicht richtig real […] [M]an weiß ja, dass es nur geschauspielert ist. […] [D]ieser ganze Liebesherzschmerz ist sowieso Quatsch.“

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

273

Kommunikative Handlungen

Angeeignete Medienangebote

Mikro-Koordination • Terminkoordination (Termine vereinbaren, verschieben) • Bestellung von Rezepten, Überweisungen, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

• • •

Telefon Arzt-Website (Kontaktformular) E-Mail

Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen • Aneignung von Kontaktdaten und Kontaktzeiten • Aneignung von Wissen zum Hausarzt, zum Team, zum Leistungsspektrum und zum Leitbild der Hausarztpraxis

• • • •

Suchmaschinen Arzt-Website Social-Media-Profil Arztbewertungsportal

Konstruktion von patientenbezogenem Wissen • Vermittlung des Befindens • (automatische) Dokumentation von Körperaktivitäten und Krankheitsverläufen

• • •

Telefon (E-Mail) papierbasierte Krankheitstagebücher Apps



• Print-Zeitschriften • Bücher • Tageszeitungen • Fernsehsendungen • Suchmaschinen • Informations-Websites • Informations-Apps • Patientenforen • Arzt-Websites • Telefon • (E-Mail) Übersicht über die medialen gesundheitsbezogenen kommunikativen Handlungen der Patienten (eigene Darstellung)

Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen • Aneignung von Wissen zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen • Aneignung von Wissen, das in Bezug zu erlebten körperlichen Symptomen des Patienten steht • Aneignung von Wissen, das in Bezug zu einer vom Arzt diagnostizierten Erkrankung steht

Tab. 19:

Die Situationen, in die gesundheitsbezogene Medienangebote integriert werden, beziehen sich zum einen auf den erlebten oder diagnostizierten Gesundheitszustand der Patienten und zum anderen auf den zeitlichen Kontext eines Arztbesuchs. Patienten eignen sich gesundheitsbezogene Medienangebote beispielsweise an, wenn sie unbekannte Symptome erleben oder wenn sie von einer diagnostizierten Erkrankung betroffen sind, die sie als schwerwiegend wahrnehmen. Sie nutzen Medien, wenn ein Arztbesuch unmittelbar bevorsteht oder im Nachgang der Arzt-Patient-Begegnung. Ebenso kann die Mediennutzung unabhängig von einer empfundenen Erkrankung oder einer erfolgten bzw. geplanten Arztkonsultation vollzogen werden. Die Situationen der Medienaneignung werden weiter

274

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

über die Regelmäßigkeit spezifiziert, in der Patienten gesundheitsbezogene Medienangebote in ihren Alltag integrieren. So eignen sich einige Patienten Medien in bestimmten Situationen nur ausnahmsweise an, andere Patienten tun es wiederkehrend oder gewohntermaßen. Schließlich verknüpfen Patienten die medienvermittelten kommunikativen Handlungen mit unterschiedlichen Motiven. Ein Motiv kann beispielsweise darin liegen, körperliche Beschwerden einzuordnen oder eine diagnostizierte Erkrankung besser verstehen zu wollen. Auch eine ‚vorsorgliche‘ Aneignung von Wissen zu Gesundheit und Krankheit, die zu einem gesundheitsbewussten Lebensstil gehört und keinen direkten Bezug zu einer gegenwärtigen persönlichen Erkrankung aufweist, kann die gesundheitsbezogene Medienaneignung der Patienten begründen.

7.1

Formübergreifende Gemeinsamkeiten der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

Neben den Unterschieden, die den jeweils spezifischen Charakter der drei Medienaneignungsformen ausmachen, existieren eine Reihe von Gemeinsamkeiten. So zeigen die im Rahmen der vorliegenden Studie erhobenen Daten, dass die Handlungen der medienvermittelten Mikro-Koordination ebenso wie die medienvermittelte Aneignung von hausarztbezogenem Wissen fallübergreifend und somit auch formübergreifend große Ähnlichkeiten aufweisen. Bevor also die drei Medienaneignungsformen anhand ihrer kennzeichnenden Unterschiede beschrieben werden, erläutert der folgende Abschnitt zunächst, wie ähnlich die medienvermittelte Mikro-Koordination und die medienvermittelte Aneignung hausarztbezogenen Wissens in den Alltag von Patienten eingebettet ist. Es wird zum einen geschildert, in welchen Situationen die medienvermittelte Kommunikation stattfindet. Zum anderen wird erläutert, warum sich aus Patientenperspektive – zumindest anhand der empirischen Daten der vorliegenden Studie – keine wesentlichen Unterschiede bei der Medienaneignung zur Mikro-Koordination sowie zur Aneignung hausarztbezogenen Wissens feststellen ließen.

Formübergreifende Gemeinsamkeiten der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

275

Formübergreifende Gemeinsamkeiten: medienvermittelte MikroKoordination Alle befragten Patienten machen sich gesundheitsbezogene Medienangebote zu eigen, um Termine mit dem Hausarzt respektive der Hausarztpraxis abzustimmen (zu vereinbaren, zu verschieben) oder um bei der Hausarztpraxis die Anfertigung von Rezepten, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sowie Überweisungen zu initiieren. Wie in Kapitel 5.1 beschrieben und anhand von Beispielen aus dem Material belegt, verläuft die Mikro-Koordination praxisübergreifend im Wesentlichen medienvermittelt. Die medienvermittelte Terminvereinbarung sowie die medienvermittelte Bestellung von Rezepten, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder Überweisungen zeigen fallübergreifend keine wesentlichen Variationen. Das zentrale Medium für die Terminvereinbarung oder -verschiebung ist aus Sicht der Patienten nach wie vor und fallübergreifend das Telefon. Auch für die Bestellung von Rezepten, Überweisungen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen greifen die Patienten vornehmlich auf das Telefon zurück. Nur vereinzelt finden diese kommunikativen Handlungen auch per E-Mail oder über das Kontaktformular auf der Arzt-Website statt, sofern die Arztpraxis den Patienten diese Kontaktwege ermöglicht. Die Möglichkeiten der E-Mail-Kommunikation schaffen keine gänzlich neuen Kommunikationspotenziale, sondern erhöhen lediglich in geringem Umfang die bereits durch das Telefon und den Anrufbeantworter gebotene Flexibilität und Geschwindigkeit der medienvermittelten Mikro-Koordination. Aus Sicht der Patienten unterscheiden sich die Potenziale der auf den Anrufbeantworter gesprochenen Rezeptbestellung per Telefon und der (gleichfalls asynchronen) Rezeptbestellung per E-Mail nicht wesentlich. Beide ermöglichen vor allem eine zeitliche Flexibilisierung und eine Ortsunabhängigkeit der Mikro-Koordination. Die relative Gleichförmigkeit der medienvermittelten Mikro-Koordination lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass sie im institutionellen Kontext der Arzt-Patient-Beziehung fest verankert und verhältnismäßig verbindlich geregelt ist. Die hochgradige Standardisierung, die insbesondere für die medienvermittelte Terminvereinbarung gilt, wird kaum patientenspezifisch gebrochen, sondern höchstens situationsspezifisch (z. B. in akuten Notsituationen, in denen ein Hausarzt auch ohne eine Terminvereinbarung persönlich aufgesucht wird) oder praxisspezifisch (z. B. bei Praxen, die an bestimmten Tagen ‚offene Sprechstunden‘ ohne

276

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

Terminvereinbarung anbieten). Ähnlich stark institutionalisiert verlaufen die medienvermittelten Vorgänge der Rezeptbestellung, der Bestellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder Überweisungen. Die Standardisierung der Abläufe im Kontext der medienvermittelten Mikro-Koordination trägt dazu bei, dass sich fallweise keine wesentlichen Unterschiede feststellen lassen. Formübergreifende Gemeinsamkeiten: medienvermittelte Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen Auch die medienvermittelte Aneignung von hausarztbezogenem Wissen ist fallübergreifend fester Bestandteil der gesundheitsbezogenen Medienaneignung der Patienten. Die Ergebnisse zur medienvermittelten Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen werden an dieser Stelle nur kurz aufgeführt – eine ausführliche Beschreibung und Illustration findet sich in Kapitel 5.2. Gemein ist den befragten Patienten in diesem Zusammenhang, dass sie sich hausarztbezogene Informationen aneignen, die für die Mikro-Koordination bzw. den direkten Kontakt mit dem Hausarzt nötig sind. So beziehen Patienten die Kontaktdaten (Praxisanschrift, E-Mail-Adressen, Telefonnummern etc.) und die Kontaktzeiten (Öffnungszeiten, Urlaubszeiten) der Hausarztpraxis – wenn sie diese nicht ‚parat‘ haben – über gesundheitsbezogene Medienangebote. Ein Großteil der Patienten hat die Webangebote der Hausarztpraxen sowie Suchmaschinen bereits als zuverlässige Quelle in sein Medienrepertoire integriert, um Öffnungszeiten oder Telefonnummern nachzuschlagen. Hinzu kommt, dass das Social-Media-Angebot der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen vereinzelt genutzt wird, um dort an Kontaktdaten zu gelangen oder um über Urlaubszeiten aktuell informiert zu sein. Für die Aneignung von Kontaktdaten und -zeiten haben die Online-Angebote den ‚traditionellen‘ Medienangeboten bereits den Rang abgelaufen – selbst bei älteren Patienten. Der Rückgriff auf das traditionelle gedruckte Telefonbuch oder die Gelben Seiten für die Recherche von Kontaktdaten und -zeiten wird von den Befragten ebenso wenig angeführt wie die Information über Tageszeitungen, in denen mancherorts noch die aktuellen Sprechstunden und Telefonnummern der ortsansässigen Arztpraxen abgedruckt werden. Während der medienvermittelte Bezug von Kontaktinformationen also fallübergreifend regelmäßig stattfindet, eignen sich die Patienten fallübergreifend

Formübergreifende Gemeinsamkeiten der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

277

höchstens in vereinzelten Ausnahmesituationen weiterführendes hausarztbezogenes Wissen (zur Person des Hausarztes, zum Praxispersonal oder zur Organisation der Praxis) über Medien an. 110 In diesen Ausnahmesituationen werden schwerpunktmäßig die Hausarzt-Websites als Informationsquellen genutzt. ‚Traditionelle‘ Medienangebote, die hausarztbezogenes Wissen vermitteln – etwa gedruckte Broschüren, die Informationen zur Person des Hausarztes oder zum Praxisteam enthalten –, finden in den Interviews mit den Patienten keine Erwähnung. Auch Arztbewertungsportale werden im Kontext der Hausarzt-Patient-Beziehung nicht zielgerichtet besucht, damit sich der Patient Informationen über den Hausarzt aneignen kann. Auf diesen Plattformen steht eher die Information über Fachärzte im Vordergrund. Eine medienvermittelte Aneignung von Wissen über den Hausarzt, das Praxispersonal oder die Organisation der Praxis nehmen Patienten vor allem vor dem Erstkontakt mit dem Hausarzt vor. Die Patienten verbinden die Medienaneignung in dieser Ausnahmesituation – schließlich wird der Hausarzt in der Regel nur selten gewechselt – mit dem Motiv, einen ersten Eindruck vom behandelnden Arzt, der Praxis und deren Leistungen zu gewinnen. Die Medienaneignung ermöglicht in diesen Situationen ein erstes einseitiges medienvermitteltes Kennenlernen von Personen und Organisation. Daneben werden die Websites der Hausarztpraxen genutzt, wenn neues Personal eingestellt wird, um herauszufinden, welche Zuständigkeiten die neuen Mitarbeitenden besitzen und wie sich die Aufgabenverteilung der Praxis insgesamt gestaltet. Dies ist vor allem in der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen der Fall. Da diese kommunikativen Handlungen nicht praxisübergreifend stattfinden und auch in der großen Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen nur in vereinzelten Ausnahmesituationen vollzogen werden, wurden sie nicht zur Unterscheidung der Medienaneignungsformen herangezogen. Eine neue Qualität, Wissen über den Hausarzt, das Praxispersonal, die Hausarztpraxis und deren Leistungen und Aktivitäten zu erwerben, bringen Social-Me-

110 An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass die eher überschaubare Bedeutung, die die Aneignung von hausarztbezogenem Wissen besitzt, sich bei Patienten verändert, die nicht für sich, sondern für Personen aus ihrem sozialen Umfeld Informationen zur Person des Hausarztes, zum Praxispersonal oder zur Organisation der Hausarztpraxis recherchieren (vgl. hierzu Kapitel 8.6).

278

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

dia-Plattformen ins Spiel. Sie dienen den Patienten zur Aktualisierung ihres hausarztbezogenen Wissens. Sie finden Einsatz, um ‚automatisch‘ über Aktivitäten der Praxis auf dem Laufenden zu bleiben. Nur eine der fünf Hausarztpraxen, die große Gemeinschaftspraxis, die im Rahmen der vorliegenden Studie untersucht wurden, stellt ihren Patienten hausarztbezogene Informationen über Social-Media-Plattformen zur Verfügung und hält sie dadurch über Aktuelles aus der Praxis auf dem Laufenden. Zwar erfreut sich das Social-Media-Profil der Praxis verhältnismäßig großer Beliebtheit dies spiegelt sich zum einen in der Zahl der „Fans“ und „Abonnenten“ und zum anderen in den Einschätzungen und Aussagen der befragten Ärzte und Patienten wider. Zur Differenzierung der Medienaneignungsformen wurden die Unterschiede in der Social-Media-basierten Wissensaneignung der Patienten jedoch nicht herangezogen, da sie nur von einer Hausarztpraxis des Samples angeboten wurden. Nachdem die formübergreifenden Gemeinsamkeiten der gesundheitsbezogenen Medienaneignung kurz beschrieben wurden, stellen die folgenden Abschnitte die drei im Rahmen der vorliegenden Studie identifizierten Medienaneignungsformen vor. Die Unterscheidung der drei Medienaneignungsformen erfolgt anhand der spezifischen Unterschiede, die sich bei der medienvermittelten Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen und der Protokollierung von patientenbezogenen Daten feststellen lassen. Dabei werden ausschließlich die produzierte und die virtualisierte Medienkommunikation berücksichtigt, denn im Hinblick auf die wechselseitige Medienkommunikation lassen sich formübergreifend keine wesentlichen Unterschiede feststellen. 111 Die Patienten, die im Rahmen dieser Studie interviewt wurden, eignen sich über Medien gesundheitsbezogenes Wissen zu erlebten Symptomen, diagnostizierten Erkrankungen sowie zu Krankheit und Gesundheit im Allgemeinen an. Darüber hinaus nutzen sie Medienangebote, um ihren Krankheitsverlauf sowie damit zusammenhängende Behandlungsmaßnahmen und Körperaktivitäten (wie Bewegung oder die Nahrungsaufnahme) 111

Die Konstruktion von patientenbezogenem Wissen durch wechselseitige Medienkommunikation findet fallübergreifend im Vorfeld eines direkten Arzt-Patient-Gesprächs telefonisch (in Ausnahmesituationen auch per E-Mail) statt. Patienten vermitteln dem Hausarzt in diesem Zuge erste Informationen zu ihrem Befinden (vgl. Kapitel 5.3). Gesundheitsbezogenes Wissen wird im Nachgang der Sprechstunde (fallübergreifend) immer dann telefonisch ergänzt, wenn eine abschließende Diagnose aussteht, Korrekturen nötig sind oder sich Rückfragen ergeben (vgl. Kapitel 5.4).

Marginale Medienaneignung

279

eigenständig zu dokumentieren und zu beobachten oder automatisch aufzeichnen zu lassen. Erstens ist die marginale Medienaneignung dadurch gekennzeichnet, dass gesundheitsbezogene Medienangebote maximal in vereinzelten Ausnahmesituationen in den Alltag integriert werden. Zweitens ist die fokussierte Medienaneignung dadurch charakterisiert, dass gesundheitsbezogene Medienangebote regelmäßig, aber fokussiert auf einzelne kommunikative Handlungen und bestimmte Situationen angeeignet werden. Die dritte Aneignungsform ist schließlich die extensive Medienaneignung. Dafür gilt, dass gesundheitsbezogene Medienangebote regelmäßig im Hinblick auf ein relativ breites Spektrum kommunikativer Handlungen und Situationen angeeignet werden. 112

7.2

Marginale Medienaneignung

Charakteristisch für die marginale Medienaneignung ist Folgendes: Patienten integrieren gesundheitsbezogene Medienangebote höchstens in einzelnen Ausnahmesituationen in ihren Alltag. Über diese Ausnahmesituationen hinaus setzen sie ihrer gesundheitsbezogenen Medienaneignung – größtenteils explizit begründete – Grenzen. Die Ausnahmesituationen variieren bei den Patienten, die eine marginale Medienaneignung vorweisen. Einige Patienten haben sich in Ausnahmesituationen Wissen zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen angeeignet, andere Patienten haben sich ausnahmsweise Wissen zu diagnostizierten Erkrankungen oder mit Bezug zu erlebten Symptomen angeeignet. Welche Ausprägungen die marginale Medienaneignung annehmen kann, veranschaulicht Abbildung 8.

112

An dieser Stelle sei angemerkt, dass sich die Medienaneignung einiger Patienten weiter ausdifferenziert, wenn jene medienvermittelten kommunikativen Handlungen einbezogen werden, die nicht für die Patienten selbst, sondern für andere Personen vollzogen werden. Die im Folgenden dargestellten Medienaneignungsformen basieren ausschließlich auf den kommunikativen Handlungen, die mit Bezug auf die eigene Person vollzogen werden. Die gesundheitsbezogenen kommunikativen Handlungen, die für andere ‒ wie zum Beispiel für erkrankte Familienangehörige ‒ vollzogen werden, finden an späterer Stelle gesondert Berücksichtigung (siehe hierzu Kapitel 8.6).

280

Abb. 8:

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

Unterschiedliche Ausprägungen der marginalen Medienaneignung (eigene Darstellung)

Für das weitgehende Vermeiden der gesundheitsbezogenen Medienaneignung bzw. deren Begrenzung auf einzelne Ausnahmesituationen führen die Patienten unterschiedliche Begründungen an. Patienten, die eine marginale gesundheitsbezogene Medienaneignung vorweisen, begrenzen ihre mediale Wissensaneignung unter anderem, weil sie der Ansicht sind, bereits genügend gesundheitsbezogenes Wissen zu besitzen oder auf entsprechendes Wissen über Kontakte innerhalb des privaten Umfelds oder über ihren Hausarzt zugreifen zu können. So schätzen etwa Christa Merten (48) und Nadine Schramm (60) ihr eigenes Erfahrungswissen als ausreichend ein, sodass sie im Krankheitsfall – zusätzlich zu den Informationen, die sie von ihrem Hausarzt bekommen – kein weiteres Wissen über gesundheitsbezogene Medienangebote beziehen müssen. Christa Merten (48) zählt in diesem Zusammenhang Erkrankungen auf, von denen sie bereits betroffen war und erklärt, dass sie „eigentlich [weiß], was man machen muss […] und man kennt eigentlich so ein bisschen die Prozedur“. Wenn das eigene Wissen nicht ausreicht, konsultiert Christa Merten (48) ihren Hausarzt. Über das gesundheitsbezogene

Marginale Medienaneignung

281

Wissen, das Patienten im direkten Kontakt mit ihrem Hausarzt gewinnen, erhalten sie gesundheitsbezogenes Wissen durch andere Personen aus ihrem sozialen Umfeld. Die Interview-Partner benennen hier vor allem Familienangehörige oder Bekannte. Beispielhaft erklärt Jonte Fink (20), dass er seine Mutter um Rat fragt, um sich gesundheitsbezogenes Wissen anzueignen. Zum Teil üben die Ratgeber der Patienten aus dem sozialen Umfeld sogar medizinische Berufe aus – beispielsweise den der Medizinischen Fachangestellten oder der Physiotherapeutin. Demgemäß erzählt exemplarisch Martha Kern (66), dass ihre Tochter Physiotherapeutin ist. Zum Teil übernehmen diese Ratgeber darüber hinaus die medienvermittelte Aneignung von gesundheitsbezogenem Wissen und fungieren so als ‚Fürsorglich Mitgestaltende‘ für die Patienten (vgl. Kapitel 8.6). Dementsprechend erzählt Nathanael Flemming (11), dass seine Mutter für ihn die Internetrecherche übernimmt, beispielsweise nach einer ärztlichen Diagnose, die eine Fructose- und Laktoseintoleranz attestiert. Eine weitere Begründung, die Patienten für die Begrenzung ihrer Medienaneignung anführen, liegt darin, dass sie oder Personen aus ihrem Umfeld schlechte Erfahrungen mit der medialen Wissensaneignung gemacht haben. So berichtet beispielsweise die Patientin Nele Hoppe (24) von eigenen negativen Erfahrungen mit gesundheitsbezogenen Medienangeboten, die dazu geführt haben, dass sie ihre gesundheitsbezogene Medienaneignung erheblich reduziert hat. Sie erzählt, dass sie sich in der Vergangenheit beispielsweise im Vorfeld einer Arztkonsultation gesundheitsbezogenes Wissen im Internet angeeignet hat. Bei ihrem Arztbesuch stellte sich allerdings heraus, dass die Informationen nicht stimmen. Dies hat sie dazu bewogen, auf die Nutzung von Medien (insbesondere des Internets) in gesundheitlichen Fragen weitestgehend zu verzichten. Neben den eigenen Erfahrungen begründen Patienten ihre marginale Medienaneignung damit, dass ihnen von anderen Personen negative Erfahrungen bezüglich der Nutzung gesundheitsbezogener Medienangebote vermittelt wurden und dass sie deshalb keine gesundheitsbezogenen Medienangebote nutzen. Die befragten Patienten erwähnen in diesem Zusammenhang beispielsweise die Erfahrungsberichte von Familienmitgliedern, Freunden oder Bekannten, die davon zeugten, dass medienvermittelte gesundheitsbezogene Informationen unzutreffend oder undurchschaubar seien. Besonders anschaulich beschreibt das Adrian Capel (48):

282

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

Also ich kenn jemanden, die hatte ein Problem gehabt, also so ein Nierenversagen, ist auch mit dem Krankenwagen weggekommen […]. Und als sie wieder heimgekommen ist [sagte sie:] „Ja, jetzt muss ich erst einmal googeln, also jetzt muss ich erst einmal nachgoogeln, was da Sache ist.“ […] „Ja, […] die einen haben das geschrieben, die anderen haben das geschrieben.“ Und nach was richtest du dich jetzt? – […] [D]a macht man sich mehr verrückt eigentlich, als es wert ist. (Adrian Capel (48))

Schließlich begründet ein Teil der Patienten, deren Medienaneignung als marginal charakterisiert werden kann, dass sie der eigene Gesundheitszustand nicht dazu veranlasse, über Medien umfangreicher gesundheitsbezogenes Wissen zu recherchieren. Demgemäß schildert Jana Kurz (27), dass ihre gesundheitliche Verfassung es nicht erforderlich mache, sich zusätzlich zu ihrem bestehenden Wissen und dem Wissen, das sie in der direkten Begegnung mit ihrem Hausarzt gewinnt, gesundheitsbezogene Informationen anzueignen. Im gleichen Atemzug erklärt sie, dass sie sich vorstellen kann, falls sie in der Zukunft an einer schweren oder einer langwierigen Erkrankung (wie zum Beispiel einer Allergie) leiden sollte, intensivere Recherchen vorzunehmen. Sie fasst zusammen: „Wenn […] irgendwie da was wäre, dann würde ich mich damit auseinandersetzen. […] Da würde ich mich auch im Nachhinein [nach dem Arztbesuch über Medienangebote] informieren, warum tritt das auf, wie kommt das zustande“ (Jana Kurz (27)). 113

113

Ein weiterer Faktor, der aus Patientenperspektive die Ausgestaltung der gesundheitsbezogenen Medienaneignungsformen begrenzt, ist das den Patienten zur Verfügung stehende verfügbare Medienrepertoire. Insbesondere der Zugang zu Online-Angeboten, die – wie bereits beschrieben (vgl. Kapitel 5.4.3) – die primären Angebote zur gezielten Aneignung speziellen gesundheitsbezogenen Wissens darstellen, ist ausschlaggebend für die jeweilige Medienaneignungsform. So spielen für Frieda Pfeifer (78) und Nadine Schramm (60) nach eigenen Angaben gesundheitsbezogene Medienangebote im Alltag auch deshalb eine untergeordnete Rolle, weil sie über keinen Internetzugang verfügen. Online-Angebote werden ferner gemieden, weil Patienten den online verfügbaren Informationen grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen. Sie schließen bestimmte Informationsquellen in diesen Fällen kategorisch aus. So geht es beispielsweise Adrian Capel (48): „Ja, das ist alles prima [also die Online-Angebote], und wie viele sind gefälscht [...]. Das Geld geht zu fälschen, einen Ausweis kann man fälschen, man kann heut’ alles fälschen. Deshalb, ich sag’ ‚Dann geh ich eben zum Arzt‘.“ Neben dem fehlenden Zugang kann also auch eine generelle Internetskepsis die spezifische Ausgestaltung des gesundheitsbezogenen Medienrepertoires begründen.

Fokussierte Medienaneignung

7.3

283

Fokussierte Medienaneignung

Die fokussierte Medienaneignung zeichnet sich dadurch aus, dass gesundheitsbezogene Medienangebote entweder bezogen auf einzelne wiederkehrende Situationen (im Vorfeld eines geplanten Arztbesuchs oder nach einer erfolgten Konsultation) oder bezogen auf den Themenkomplex Bewegung, Sport und Ernährung in den Alltag integriert werden. Die drei Ausprägungen der fokussierten Medienaneignung werden in Abbildung 9 visualisiert. Die Abbildung verdeutlicht den situativen Zusammenhang zwischen der Medienaneignung und des Arztbesuchs. Während die ersten beiden Ausprägungen im direkten zeitlichen Zusammenhang mit dem Arzt-Patient-Gespräch stattfinden – im Vorfeld eines geplanten Arztbesuchs oder infolge einer Konsultation –, wird die Medienaneignung zu den Themen Bewegung, Sport und Ernährung weitestgehend unabhängig von einem konkreten geplanten oder erfolgten Arztbesuch vollzogen. Gemein ist den drei Ausprägungen der fokussierten Medienaneignung, dass die gesundheitsbezogenen Informationen ausschließlich gezielt über Online-Angebote gesucht werden. Den zentralen Ausgangspunkt der Online-Recherche stellen dabei die großen Suchmaschinen dar. Mittels dieser gelangen die Patienten zu Informations-Websites, Foren sowie Websites von Ärzten und Kliniken. 114 Im Folgenden werden die drei Ausprägungen der fokussierten Medienaneignung anhand von Beispielen aus dem Datenmaterial beschrieben und die patientenseitigen Begründungen für die Form der Integration gesundheitsbezogener Medienangebote in ihren Alltag dargestellt.

114

Eine ausführliche Beschreibung der Recherchestrategien von Patienten und Patientinnen, die im Zuge dieser Arbeit befragt wurden, findet sich in Kapitel 5.4.3.

284

Abb. 9:

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

Unterschiedliche Ausprägungen der fokussierten Medienaneignung (eigene Darstellung)

Fokussierte Medienaneignung zu erlebten Symptomen im Vorfeld eines Arztbesuchs Das Datenmaterial zeigt: Es gibt Patienten, deren Medienaneignung sich dadurch auszeichnet, dass vornehmlich in einer speziellen Situation, nämlich im Vorfeld eines geplanten Arztbesuchs, eine bestimmte kommunikative Handlung – die Aneignung von Wissen zu erlebten Symptomen – wiederkehrend stattfindet. 115 115

Zum Teil protokollieren die Patienten zusätzlich im Vorfeld des Arztbesuchs patientenbezogene Daten. Dies geschieht beispielsweise über Diabetestagebücher, die dazu dienen, das alltägliche Befinden der Patienten, die Blutzuckerwerte und die Medikamenteneinnahme zu dokumentieren. Diese kommunikative Handlung des Protokollierens patientenbezogener Daten passt insofern zu dieser Ausprägung der konzentrierten Medienaneignung, als diese auch im Vorfeld eines Arztbesuchs mit der Intention stattfindet, dieses patientenbezogene Wissen mit dem Arzt zu besprechen. Wie bereits in Kapitel 5.3 ausgeführt, erfolgt die Protokollierung häufig auf Anraten des Arztes hin – insbesondere bei Patienten mit chronischen Erkrankungen. Die Protokollierung patientenbezogener Daten hilft den Patienten, während der Sprechstunde ihren Gesundheitszustand darzulegen. Demgemäß bereitet sich Anne Eilers (55) auf die Arztkonsultation vor, indem sie regelmäßig ihren Blutzuckerspiegel misst und

Fokussierte Medienaneignung

285

Patienten, die sich wiederkehrend medial Wissen zu erlebten Symptomen im Vorfeld eines Arztbesuchs aneignen, versuchen herauszufinden, um welche Krankheiten es sich handeln könnte und welche Konsequenzen mit den potenziellen Krankheiten einhergehen. Justus Breuer (45) nutzt gesundheitsbezogene Medien demgemäß vornehmlich, um einzugrenzen, „was [er] für Symptome [hat] […] und [schaut] mal, was das sein könnte“. Auf ähnliche Weise gibt Nora Nowak (33) an, dass sie „mal eben schnell [im Internet] guckt, […] was ist es denn so“. Auch Joshua Adam (26) versucht über die mediale Wissensaneignung zu ermitteln, „was das vielleicht sein könnte […] [u]m das irgendwie [für sich] einzugrenzen […] da macht man sich im Vorfeld natürlich ein bisschen schlau“. Joshua Adam (26) betont, dass er insbesondere über die möglichen Konsequenzen der potenziellen Erkrankung, über die „Auswirkungen“, informiert sein möchte. Die wiederkehrende mediale Wissensaneignung findet entsprechend dem Bedürfnis statt, erlebte Symptome einzuordnen, vor allem im Hinblick auf Erkrankungen, die von den interviewten Patienten als „langanhaltend“ (z. B. Justus Breuer (45)), „schwerwiegend“ (z. B. Joshua Adam (26)) oder „unbekannt“ (z. B. Anne Eilers (55)) klassifiziert werden. Die auf Wissen zu erlebten Symptomen fokussierte Medienaneignung findet stets vor dem Hintergrund einer geplanten Arztkonsultation statt. Diese Medienaneignung erfolgt gemäß den Patienten also nur, wenn bereits ein Arzt-PatientGespräch vorgesehen ist. Dem Hausarzt obliegt die Formulierung der endgültigen Diagnose und der entsprechenden Behandlungsmaßnahmen. So betont Anne Eilers (55): „[I]ch guck zwar nach, aber letztendlich geh ich ja doch zum Arzt […] und lass das abchecken.“ Gleichermaßen hält Nora Nowak (33) fest: „Ich informiere mich zwar schon mal im Internet und gucke mir an, was gibt es alles und höre mir auch die eine oder andere Meinung an, aber ich informiere mich dann immer nochmal vor Ort bei den Ärzten.“ Den Interview-Partnern zufolge liefert der Hausarzt eindeutige und vor allem auf den einzelnen Patienten angepasste Informationen. Die allgemein adressierten medial gewonnenen Informationen klassifizieren die Befragten im Gegensatz dazu als mehrdeutig (vgl. z. B. Justus Breuer

die entsprechenden Werte in einem Diabetestagebuch handschriftlich festhält. Die im Tagebuch dokumentierten Werte präsentiert sie im Gespräch ihrem Hausarzt.

286

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

(45)). Für die Interviewten, die über Medien eine Zuordnung von erlebten Symptomen vornehmen, stellt die Medienaneignung folglich keinen Ersatz für ein ArztPatient-Gespräch dar. Zugespitzt formuliert Joshua Adam (26), dass die mediale Wissensaneignung im Endeffekt „einfach nur für ihn“ sei und seine „Neugier“ befriedige, er aber „natürlich auch noch zum Arzt“ gehe, der ihm dann eine Diagnose und entsprechende Behandlungshinweise liefert. Zusammenfassend lässt sich für diese Form der fokussierten Medianeignung festhalten, dass die wiederkehrende mediale Aneignung von Wissen zu erlebten Symptomen ausschließlich der Vorbereitung des Arzt-Patient-Gesprächs dient. Die ärztliche Diagnose schließt aus Sicht der Patienten den Prozess der Wissensaneignung ab. Fokussierte Medienaneignung zu diagnostizierten Erkrankungen infolge eines Arztbesuchs Die im Rahmen der Studie geführten Interviews weisen darauf hin, dass sich einige Patienten wiederkehrend medienvermittelt Wissen zu diagnostizierten Erkrankungen nach einem erfolgten Arztbesuch aneignen. Patienten verfolgen mit der medialen Wissensaneignung primär das Ziel, die diagnostizierte Erkrankung (besser) zu verstehen und (besser) damit umgehen zu können. Das mediale Wissen, das sich Patienten wiederkehrend infolge eines Arztbesuchs aneignen, umfasst Informationen zu Fachbegriffen oder zur Krankheitsbehandlung. Die kommunikativen Handlungen, die für diese Form der Medienaneignung charakteristisch sind, werden anhand der folgenden Beispiele verdeutlicht. Anton Achtermann (39) geht es beispielsweise um die Dechiffrierung einzelner Begriffe. Von daher lässt er sich stets „den Arztbrief mitgeben oder […] schicken“, um zu entschlüsseln, „was steht da alles drin“. Auch eignen sich Patienten, deren Medienaneignung sich auf diagnostizierte Erkrankungen fokussiert, ergänzende Informationen zu ärztlichen Behandlungshinweisen an. Nikola Nagel (47) recherchiert beispielsweise nach dem Arzt-Patient-Gespräch ergänzende Behandlungshinweise, wie etwa Übungen zu den diagnostizierten Rückenschmerzen: „Wenn ich zum Beispiel jetzt was mit dem Rücken habe, […] wenn ich weiß, was es ist [informiere ich mich über Online-Angebote]. [Z]um Beispiel, letztes Mal, habe ich dann auch Übungen gegoogelt.“

Fokussierte Medienaneignung

287

Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass die mediale Auseinandersetzung mit diagnostizierten Erkrankungen nicht nur der Nachbereitung des Hausarzt-PatientGesprächs, sondern zugleich der Vorbereitung eines Facharztbesuchs dienen kann. So bereiten sich die befragten Patienten infolge der hausärztlichen Diagnose auf Facharztgespräche vor, indem sie sich generell über die Diagnose oder spezieller über entsprechende Behandlungsformen oder Behandlungsverläufe informieren. Lena Götz (72) begründet die mediale Wissensaneignung damit, dass sie „nicht so ganz unvorbereitet“ zum Facharzt gehen will und klärt daher im Vorfeld: „Was erwartet dich?“ Auch Jutta Hall (37) bereitet sich auf Facharzttermine vor. Sie macht dies am Beispiel ihrer aktuellen Erkrankung deutlich, ein Bandscheibenvorfall. Ihre Recherche zielt in diesem Fall darauf ab, herauszufinden, „wie sieht es aus und so weiter“. Sie führt ergänzend an: „Wenn man die Bilder hat, und bis der Besprechungstermin da ist, das dauert ja auch ein paar Tage und da kann man dann schon mal gucken“ (Jutta Hall (37)). Die fokussierte Medienaneignung findet vornehmlich bei ärztlichen Diagnosen statt, die Patienten als schwerwiegend oder langwierig klassifizieren. So hält Frederike Neumann (47) fest: „Ich nutze das [Internet] dann eigentlich nur für Sachen, die langwierig sind.“ Auf ähnliche Art und Weise eignet sich Anton Achtermann (39) „Hintergrundinformationen“ zu Krankheiten an, die er als „umfangreich“ beschreibt. Bei Erkrankungen, die Patienten als „leicht“ einstufen oder wenn Patienten sich gesund fühlen, werden Medienangebote im Gegensatz dazu nicht regelhaft angeeignet. Demgemäß erläutert Fabian Wolf (48): „Wenn man gesund ist, man befasst sich mit solchen Sachen [wie mit Diagnosen oder mit Behandlungshinweise] nicht […] logisch.“ Patienten, deren gesundheitsbezogene Medienaneignung sich auf diagnostizierte Erkrankungen fokussiert, artikulieren ausdrücklich die Grenzen ihrer gesundheitsbezogenen Medienaneignung. Dabei betonen die entsprechenden Patienten, dass sie sich zu erlebten Symptomen kein Wissen über Medienangebote aneignen. Sie schließen die Medienaneignung im Vorfeld einer ärztlichen Diagnose kategorisch aus. So bringt Lena Götz (72) exemplarisch auf den Punkt: „Vorher nützt mir das Ganze ja nichts.“ Die Patienten unterstreichen, dass sie sich selbst nicht in der Lage sehen, basierend auf medialen Informationen eine Selbstdiagnose oder gar eine Selbstbehandlung vorzunehmen. Dementsprechend schließt

288

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

beispielsweise Frank Thiele (48) die Medienaneignung im Vorfeld der Arzt-Patient-Begegnung aus. Er sieht sich nicht imstande, aus der Vielzahl möglicher Diagnosen die richtige herauszufiltern. Er möchte sich ferner nicht durch mediale Informationen verunsichern lassen und sagt: „Also vorher, weiß ich nicht, wenn ich da Rückenschmerzen hab, das können ja tausend Sachen sein. Also da will ich mich auch nicht verrückt machen“ (Frank Thiele (48)). Ebenso ist Nikola Nagel (47) „kein Freund“ von einer Internetrecherche im Vorfeld eines Arztbesuchs. Auch ihrer Meinung nach führe die Recherche ohne eine ärztliche Diagnose eher zu Verunsicherung: „[M]an tippt Suchbegriffe ein und dann kommt immer das Schlimmste dabei raus, man redet sich was ein. […] Also wenn, dann verlasse ich mich schon auf den Arzt“ (Nikola Nagel (47)). Sie argumentiert weiter, dass sie in der Vergangenheit eine mediale Zuordnung ihrer erlebten Symptome vorgenommen hat, dies jedoch gegenwärtig und künftig nicht mehr tut. Denn sie habe „oft gemerkt […], man ist garantiert auf der falschen oder nicht auf der richtigen Seite, nicht? Also meistens, wenn man zum Arzt geht, ist es dann doch etwas ganz anderes“ (Nikola Nagel (47)). Ferner hat sie festgestellt, dass sie sich „mehr verrückt [gemacht hat], wie es das Ganze wert ist“. Dies macht sie an folgendem Beispiel fest: Das letzte Mal war es so ein Haut‒ so ein Bläschen. Das war dann so eine einfache Talgdrüse, wo man aufmacht und fertig. Mehr war’s nicht, aber letztendlich hat man sich schon mordsmäßig gedacht, was ist denn das jetzt für ein komisches Bläschen und so weiter. […] Nee, weil ‒ wie gesagt ‒ oft habe ich doch die Erfahrung gemacht, dass es doch verkehrt ist und deswegen tu’ ich das auch nicht mehr so. (Nikola Nagel (47))

Während diese Patienten sich also Medien im Kontext diagnostizierter Erkrankungen, aufbauend auf der ärztlichen Diagnose und ergänzend zu den ärztlichen Informationen aneignen, schließen sie ihre Medienaneignung im Vorfeld eines Arztbesuchs explizit aus und führen dies insbesondere auf das Verunsicherungspotenzial und ihre fehlende Expertise zur korrekten Einordnung der Informationen zurück.

Fokussierte Medienaneignung

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Fokussierte Medienaneignung zu den Themen Bewegung, Sport und Ernährung Die dritte Ausprägung der fokussierten Medienaneignung ist dadurch spezifiziert, dass sich die Patienten wiederkehrend Wissen zu gesundheitsfördernden bzw. gesundheitserhaltenden Themen wie Sport, Bewegung und Ernährung aneignen. Ergänzt wird die mediale Wissensaneignung zum Teil dadurch, dass die Patienten gesundheitsrelevante Daten zu ihren sportlichen Aktivitäten, zu ihrer Bewegung oder Ernährung mithilfe von Medienangeboten dokumentieren. Die auf die Themen Bewegung, Sport und Ernährung fokussierte Medienaneignung findet ohne einen unmittelbaren Zusammenhang zu einer aktuellen eigenen Erkrankung oder einem Hausarztbesuch statt. Patienten, deren Medienaneignung sich auf die Themen Bewegung, Sport oder Ernährung fokussiert, nutzen Medien primär, um Krankheiten vorzubeugen bzw. ihre Gesundheit zu fördern. Die medienvermittelten kommunikativen Handlungen der Patienten werden im Weiteren anhand von Beispielen illustriert. Chloe Wagner (18) hat beispielsweise mittels einer Suchmaschine schon „öfter mal was nachgeguckt“. Die Suche fokussiert sich dabei auf Wissen rund um ihren Sport. Zum Beispiel hat sie nach Tipps für den Umgang mit Muskelkater recherchiert: Also wenn ich irgendwie dann irgendwelche Tipps geholt hab, was man besonders gut zum Beispiel bei Muskelkater oder irgendwie sowas machen kann […]. Da hab’ ich halt öfter schon mal nachgeguckt und dann gab es da auch viele Tipps […]. (Chloe Wagner (18)) 116

Der sportaffine Jörg Zeigler (29) gibt an, dass er sich regelmäßig mit den Themen Bewegung und Ernährung medial auseinandersetzt. Er versucht damit etwa herauszufinden, „[w]elche Frucht gut ist für [s]eine Fitness oder welche Vitamine in welcher Frucht drin sind“. Auf ähnliche Art und Weise konzentriert sich die Medienaneignung von Niklas Fröhlich (36) auf das Thema Ernährung. Er schildert in diesem Zusammenhang, dass er im Zuge einer Ernährungsumstellung von seiner Hausärztin auf die praxiseigene Website hingewiesen wurde. Seitdem rezipierte er

116

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass diese Patientin Muskelkater nicht als Krankheit definiert. Sie betrachtet Muskelkater vielmehr als eine gängige Begleiterscheinung des von ihr ausgeübten Leistungssports ohne pathologische Konnotation.

290

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

„schon mehrmals“ die von der auf Ernährungsmedizin spezialisierten Hausärztin verfassten Informationen. Neben der Wissensaneignung protokollieren einige Patienten, deren Medienaneignung sich auf die Themen Sport, Bewegung und Ernährung fokussiert, ihren Gesundheitszustand mittels Apps. So setzt beispielsweise Niklas Fröhlich (36) einen Schrittzähler ein, um seine tägliche Bewegungen zu dokumentieren. Jonathan Reichert (50) nutzt zu diesem Zweck sogar unterschiedliche Apps, die eine Schnittstelle zu seinem Fitnessarmband haben: „Ich nutze Apps […], wie zum Beispiel mal so ein Fitnessarmband, um mal zu gucken, wie ich schlafe, was für Ernährung, wie viele Kalorien ich zu mir nehme oder sonst irgend sowas.“ Die Fokussierung der Medienaneignung auf die Themen Bewegung, Sport und Ernährung wird dadurch unterstrichen, dass die Patienten hervorheben, dass sie keine Medien nutzen, um sich Wissen zu erlebten Symptomen oder diagnostizierten Erkrankungen anzueignen. Sie begründen dies unter anderem damit, dass sie selbst die Erfahrung gemacht haben, dass die Recherche nach Informationen zu erlebten Symptomen Ängste schürt oder die Meinungen – vor allem bei OnlineAngeboten – zu vielfältig oder falsch seien. Niklas Fröhlich (36) schlussfolgert exemplarisch: Man liest sich ja, wenn man dann im Internet oder was nachforscht, liest man sich ja eigentlich viel zu viel an, was in die falsche Richtung lenken kann. […] Am besten gar nicht […] zu tief graben, denn vom Grundwissen ist es gut, aber wenn man zu tief wegen irgendwelchen Sachen gräbt, ist es, glaube ich, besser, wenn man sich an Fachleute wendet und mit denen spricht, weil es gibt einfach zu viel. (Niklas Fröhlich (36))

Weitere Patienten sehen aufgrund ihrer guten gesundheitlichen Verfassung keine Notwendigkeit, sich medial Wissen zu Erkrankungen zu erschließen. Dementsprechend fokussiert sich etwa die Medienaneignung von Jonathan Reichert (50) bislang ausschließlich auf „ernährungsmäßige Fragen“. Dass er keine weitergehenden gesundheitsbezogenen Informationen über Medien recherchiert, begründet er damit, dass er „selten krank“ sei. Ebenso betont Jörg Zeigler (29), dass er sich im Internet zwar über die beiden Themen Bewegung und Ernährung informiere, „aber jetzt speziell wegen einer Krankheit und so habe ich mir nicht so die Gedan-

Extensive Medienaneignung

291

ken [gemacht]“. Diese Form der fokussierten Medianeignung ist also zusammenfassend dadurch gekennzeichnet, dass sie sich ausschließlich auf Wissen zum Themenkomplex Bewegung, Sport und Ernährung bezieht.

7.4

Extensive Medienaneignung

Charakteristisch für die extensive Medienaneignung ist, dass Patienten gesundheitsbezogene Medienangebote regelmäßig in unterschiedlichen Situationen in alltägliche Zusammenhänge einbinden. Die Patienten begrenzen ihre gesundheitsbezogene Medienaneignung nicht explizit. Empirisch lassen sich zwei Ausprägungen der extensiven Medienaneignung identifizieren. Erstens gibt es Patienten, die gesundheitsbezogene Medienangebote regelmäßig mit Bezug zu erlebten Symptomen sowie zu diagnostizierten Erkrankungen in ihren Alltag integrieren. Diese Integration in den Alltag erfolgt in unterschiedlichen Situationen. Sie findet sowohl im Kontext von Hausarztkontakten (im Vorfeld oder infolge eines Arztbesuchs) als auch unabhängig von einem Arztbesuch statt. Zweitens gibt es Patienten, deren extensive Medienaneignung noch darüber hinausgeht. Patienten dieser zweiten Ausprägung integrieren Medien zusätzlich regelhaft in ihren Alltag, um sich Wissen zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen anzueignen – also ohne dass die Medienaneignung einen direkten Bezug zu einem aktuellen persönlichen Leiden hat. Die extensive Medienaneignung unterscheidet sich dementsprechend von der fokussierten Medienaneignung, für die kennzeichnend ist, dass gesundheitsbezogene Medienangebote zwar wiederkehrend, aber stets bezogen auf einzelne Situationen oder den Themenkomplex Bewegung, Sport und Ernährung in den Alltag integriert werden. Im Rahmen der extensiven Medienaneignung werden sowohl Online-Angebote als auch ‚traditionelle‘ Medienangebote zur gesundheitsbezogenen Wissensaneignung genutzt. Die Patienten lesen Bücher, Tageszeitungen oder Print-Zeitschriften. Sie schauen Fernsehsendungen mit Gesundheitsbezug und greifen mithilfe von Suchmaschinen auf Informationen gesundheitsbezogener Websites oder in Foren zurück. Die beiden Ausprägungen der extensiven Medienaneignung werden im Folgenden beschrieben. Eine Visualisierung der beiden Ausprägungen der extensiven Medienaneignung findet sich in Abbildung 10.

292

Abb. 10:

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

Unterschiedliche Ausprägungen der extensiven Medienaneignung (eigene Darstellung)

Extensive Medienaneignung zu erlebten Symptomen und diagnostizierten Erkrankungen Charakteristisch für die extensive Medienaneignung ist, dass Patienten regelhaft gesundheitsbezogene Medienangebote in ihren Alltag integrieren, um sich Wissen sowohl zu subjektiv empfundenen Symptomen als auch zu diagnostizierten Erkrankungen anzueignen. Die medienvermittelten kommunikativen Handlungen der Patienten fokussieren sich dementsprechend nicht auf einzelne Situationen. Vielmehr eignen sich die Patienten sowohl im Vorfeld eines Arztbesuchs (im Hinblick auf erlebte Symptome) als auch infolge des Arztkontakts (vor dem Hintergrund einer diagnostizierten Erkrankung) gesundheitsbezogenes Wissen über Medien an. Hinzu kommt, dass sie auch in Situationen, die keinen unmittelbaren Bezug zum Gespräch mit ihrem Hausarzt haben, gesundheitsbezogene Medienangebote nutzen, um sich Wissen zu erlebten Symptomen anzueignen. Im Folgenden wird geschildert, in welchen Situationen die Patienten Medien zur gesundheitsbezogenen Wissensaneignung in ihren Alltag integrieren und mit welchen Begründungen dies geschieht. Über gesundheitsbezogene Medienangebote eignen sich die Patienten regelhaft Wissen zu erlebten Symptomen an. Sie tun dies, um herauszufinden, auf welche

Extensive Medienaneignung

293

Erkrankung ihre Symptome hindeuten könnten oder welche Behandlungsmöglichkeiten zur Linderung von Beschwerden existieren. Fabienne Graf (24) erläutert in diesem Zusammenhang, dass sie Medien zurate zieht, wenn sie erlebte Symptome wahrnimmt, die sie auf Basis ihres Vorwissens nicht einordnen kann. Gleichermaßen nutzt Claudia Imhof (42) das Internet oder Bücher zur „Krankheitserkennung“. Sie betont, dass sie diese Informationsquellen regelhaft konsultiert, um herauszufinden, auf welche Krankheit etwaige Symptome hindeuten: „[D]a gucke ich immer nach.“ Mitunter erfolgt die mediale Aneignung gesundheitsbezogenen Wissens – wie bei den Patienten, deren mediale Wissensaneignung fokussiert im Vorfeld eines geplanten Arztbesuchs stattfindet – in Situationen, in denen die Patienten ohnehin einen Arztbesuch anvisieren. Insbesondere, wenn die Patienten es mit Symptomen zu tun haben, die sie (akut) stark beeinträchtigen und die ursächlich mit einer schweren oder langwierigen Krankheit verbunden sein könnten, findet die mediale Wissensaneignung im Vorfeld des Arztbesuchs (lediglich) ergänzend statt. Beispielhaft führt Claudia Imhof (42) aus, dass sie aktuell unter Kopfschmerzen leide, die von Sehstörungen begleitet werden. Sie erzählt, dass sie sich im Internet darüber informiert habe, „was es sein könnte“. Ihr online erworbenes Wissen darüber, worauf ihre Symptome hindeuten könnten, hat sie im Arzt-Patient-Gespräch ihrer Ärztin vermittelt und ihr erklärt, „dass das auch auf das und das hindeuten könnte“ (Claudia Imhof (42)). Die mediale Wissensaneignung, die der Einordnung subjektiv empfundener Symptome dient, erfolgt nicht zwangsläufig im Kontext eines geplanten Arztbesuchs. Dass die mediale Wissensaneignung zu erlebten Symptomen bei Patienten, die gesundheitsbezogene Medienangebote extensiv nutzen, nicht unbedingt die ‚Vorstufe‘ einer ärztlichen Diagnose sein muss, zeigt das folgende Beispiel. So schildert Fabienne Graf (24), wie sie das Auftreten eines juckenden Bläschens an der Lippe dazu veranlasst hat, mithilfe von Medienangeboten zu überprüfen, ob das Bläschen auf Herpes hindeuten könnte. Eine zusätzliche ärztliche Diagnose erfolgte in diesem Fall nicht, sodass die junge Patienten die Rückfrage der Forscherin, ob sie denn nun einen Herpes habe, mit den Worten „Weiß ich nicht“ beantwortete. Die Symptome wurden in diesem Fall von der Patientin ‚ausgehalten‘. Die Patienten, die eine extensive Medienaneignung aufweisen, sehen sich insbesondere dann veranlasst, ihren Hausarzt aufzusuchen, wenn eine Zuordnung

294

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

der Symptome zu einer bestimmten Erkrankung über Medienangebote nicht eindeutig möglich ist oder wenn die Ergebnisse der Recherche zur Verunsicherung führen. Eine solche Verunsicherung beschreibt beispielsweise Filippa Seidel (24), die sich im Zuge von Kopfschmerzen zunächst über Medienangebote informierte. Sie stieß dabei auf Ergebnisse, die auf eine lebensbedrohliche Erkrankung, einen Hirntumor, hindeuteten. Zwar konnte die Patientin sich nicht vorstellen, dass diese ermittelte Krankheit auf sie zutrifft, dennoch verunsicherten sie die Ergebnisse so stark, dass sie ihren Hausarzt aufsuchte. Über die Medienangebote versuchen die Patienten nicht nur herauszufinden, welche Krankheit die Ursache ihrer subjektiv empfundenen Symptome sein könnte, sondern auch, welche Behandlungsmaßnahmen die wahrgenommenen Symptome oder Beschwerden lindern könnten. Fiona Krug (43) nutzt beispielsweise regelmäßig gesundheitsbezogene Medienangebote, um passende Behandlungsmaßnahmen für Erkrankungen zu ermitteln, die sie als leicht klassifiziert – sie nennt beispielhaft Halsschmerzen. Neben der regelhaften Wissensaneignung zu erlebten Symptomen eignen sich Patienten, deren Medienaneignung als extensiv klassifiziert werden kann, Wissen zu diagnostizierten Erkrankungen über Medienangebote an. Fabienne Graf (24) schildert etwa, dass sie im Anschluss an die Diagnose einer langwierigen Ohrenerkrankung in Patientenforen nachgeschaut habe, wie andere Betroffene mit einer solchen Erkrankung umgehen. Claudia Imhof (42) erörtert, dass sie bereits medizinische Fachbegriffe oder Verständnisfragen zu Diagnosen im Anschluss an einen Hausarztbesuch mithilfe von Medienangeboten recherchiert habe. Resümierend lässt sich festhalten, dass sich die beschriebene Ausprägung der extensiven Medienaneignung dadurch auszeichnet, dass sich Patienten, wenn sie krank sind (unabhängig von der Schwere der Erkrankung), regelhaft gesundheitsbezogene Medienangebote aneignen – sei es zu erlebten Symptomen oder diagnostizierten Erkrankungen. Im Falle einer leichten Erkrankung findet die Medienaneignung auch unabhängig von einem geplanten oder erfolgten Arzt-PatientGespräch statt, beispielsweise mit dem Ziel, sich selbst zu diagnostizieren und zu behandeln.

Extensive Medienaneignung

295

Extensive Medienaneignung zu erlebten Symptomen, diagnostizierten Erkrankungen sowie zu Krankheit und Gesundheit im Allgemeinen Charakteristisch für die zweite Ausprägung der extensiven Medienaneignung ist der Umstand, dass sich die Patienten medial nicht nur mit erlebten Symptomen und diagnostizierten Erkrankungen auseinandersetzen, sondern dass sich die Patienten zusätzlich Wissen zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen aneignen. Das Spektrum kommunikativer Handlungen geht also noch einmal über die Bandbreite der ersten, im vorherigen Abschnitt beschriebenen Ausprägung der extensiven Medienaneignung hinaus. Der folgende Abschnitt schildert anhand von Beispielen aus dem Datenmaterial diejenigen Situationen, in denen gesundheitsbezogene Medienangebote von den Patienten in den Alltag integriert werden und die Motive, mit denen Patienten ihre Medienaneignung begründen. Die Patienten, deren Medienaneignung sich als extensiv charakterisieren lässt, nutzen Medien nicht alle in den gleichen Situationen und mit den gleichen Motiven. Gemein ist ihnen jedoch, dass sie sich in mehreren unterschiedlichen und wiederkehrenden Situationen gesundheitsbezogene Medienangebote aneignen. Die Situationen und Motive werden zunächst für die mediale Aneignung von Wissen zu erlebten Symptomen beschrieben, danach für die mediale Aneignung von Wissen zu diagnostizierten Erkrankungen und schließlich für die mittels Medien stattfindende Wissensaneignung zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen. Was bereits für die erste Ausprägung der extensiven Medienaneignung gilt, trifft ebenso auf die zweite, umfangreichere Ausprägung zu. Patienten nutzen gesundheitsbezogene Medienangebote, um erlebte Symptome – die sie als unbekannt, schwerwiegend oder langwierig wahrnehmen – vorläufig einzuordnen, bevor sie ihren Arzt für eine abschließende Diagnose aufsuchen. Exemplarisch schildert Nicole Kruse (63), dass sie mithilfe einer Suchmaschine nach Informationen recherchiert hat, um mögliche Ursachen für ihre starken Unterleibsschmerzen herauszufinden. Die Suchergebnisse deuteten darauf hin, dass die Beschwerden im Zusammenhang mit den Eierstöcken stehen könnten. Ob es sich dabei nun um eine Zyste oder gar um Eierstockkrebs handelt – beides mögliche Diagnosen, die im Internet erwähnt wurden –, lässt Nicole Kruse (63) nun von ihrer Ärztin klären. Sie erläutert: „[I]ch werde sie schon fragen: ‚Sagen Sie mal, ist das wirklich jetzt auszuschließen, ist es wirklich nur eine Zyste oder könnte das theoretisch auch

296

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

[Eierstockkrebs sein] […], weil ich habe das nachgelesen‘.“ Nicole Kruse (63) unterstreicht im Interview ausdrücklich, dass sie keine Selbstdiagnose, sondern lediglich eine erste, vorläufige Einordnung der möglichen Erkrankung vorgenommen habe, die sie nun durch ihre Ärztin verifizieren lässt. Wie bei der ersten Ausprägung der extensiven Medienaneignung eignen sich die Patienten auch bei der zweiten Ausprägung medial Wissen zu erlebten Symptomen nicht gezwungenermaßen im Vorfeld eines Arztbesuchs an. So wird eine mediale Zuordnung von erlebten Symptomen, die sie als leicht einstufen, vorgenommen, ohne das angeeignete Wissen in einem Arztbesuch nochmals legitimieren oder absichern zu wollen. Die Recherche zielt vielmehr darauf ab, die Erkrankung eigenständig behandeln zu können. Dabei recherchieren sie zum Beispiel rezeptfreie Medikamente oder homöopathische Mittel, um ihre Symptome zu lindern. Nicole Kruse (63) beschreibt etwa, dass sie bei „fast sämtlichen Zipperlein“ auf Medienangebote zugreift, um leichten Beschwerden entgegenzuwirken. Eine weitere Patientin, Leonie Glee (46), erzählt, wie sie mehrmals im Monat nach homöopathischen Mitteln zur Behandlung leichter Erkrankungen recherchiert. Die Patienten stellen einen Zusammenhang zu einem geplanten oder erfolgten Arztbesuch nicht her. Außerdem charakteristisch für diese Ausprägung der extensiven Medienaneignung ist, dass Patienten in Situationen, in denen ein Arztbesuch zwar bereits stattgefunden hat, die ärztliche Diagnose jedoch noch aussteht, gesundheitsbezogene Medienangebote in ihren Alltag integrieren. So ist es etwa bei chronischen oder langwierigen Erkrankungen nicht unüblich, eine finale Diagnose oder Behandlungshinweise erst nach einer Reihe von Untersuchungen und Arztkonsultationen festzulegen. Auch in dieser Phase eignen sich Patienten mithilfe von Medienangeboten gesundheitsbezogenes Wissen an, um Details zur Eingrenzung der Diagnose oder zu möglichen Behandlungshinweisen zu erfahren. Sie tun dies hauptsächlich, um mit der unsicheren Diagnose „umgehen“ zu können. Eine Patientin berichtet beispielsweise, dass bei einem Arzt-Patient-Gespräch zunächst eine vorläufige Diagnose vorgenommen wurde. Die finale Diagnose und entsprechende Behandlungshinweise erfordern jedoch weitere Untersuchungen. Im Anschluss an das Arzt-Patient-Gespräch, in dem sie die vorläufige Diagnose erhalten hat, informierte sie sich auf einer spezialisierten Website, auf der Experten und Betroffene einer symptomatisch ähnlichen Erkrankung ihr Wissen teilen. Sie erzählt: „Also

Extensive Medienaneignung

297

ich habe eine Stoffwechselerkrankung […] unklarer Genese […] und man kommt der Sache mehr und mehr auf die Spur […] [E]s gibt aus der Schweiz eine Seite, die sich so langsam zusammenstellt aus Erfahrungen von verschiedenen Patienten […] und da ist so eine Medikamentenunverträglichkeitsliste“ (Frauke Engel (41)). Diese Liste wiederum brachte sie bei der nächsten Arztkonsultation mit in die Sprechstunde. Bereits für die erste Ausprägung der extensiven Medienaneignung wurde festgestellt, dass gesundheitsbezogene Medienangebote im Anschluss an die ärztliche Diagnose in den Alltag der Patienten integriert werden. Dies trifft auch auf die zweite Ausprägung dieser Medienaneignungsform zu. So erklärt Leonie Glee (46): „[W]enn jetzt der Hausarzt irgendwas festgestellt hat, dass man sich da nochmal eben ein bisschen tiefer einliest.“ So eignen sich Patienten im Anschluss an die Erstdiagnose einer chronischen oder langwierigen Erkrankung medial Wissen an, um die diagnostizierte Erkrankung (besser) zu verstehen und (besser) mit ihr umgehen zu können. Die mediale Wissensaneignung zu diagnostizierten Erkrankungen kann bei dieser Ausprägung der extensiven Medienaneignung auch im weiteren Verlauf einer diagnostizierten chronischen oder langwierigen Erkrankung stattfinden. So werden gesundheitsbezogene Medienangebote neben der Sitzung, in der die Erstdiagnose erfolgt, ebenso im Anschluss an Routineuntersuchungen genutzt. Ähnlich wie bei der medienvermittelten Aneignung von Wissen nach einer Erstdiagnose steht in dieser Situation der Wunsch im Vordergrund, das in der Sprechstunde gewonnene gesundheitsbezogene Wissen zu ordnen bzw. ergänzende Informationen zu den ärztlichen Ausführungen zu erhalten, um die Erkrankung (besser) zu verstehen und (besser) damit umgehen zu können. Gesundheitsbezogene Medienangebote werden beispielsweise dann angeeignet, wenn die Diagnose zwar schon längere Zeit feststeht, aber Veränderungen des Gesundheitszustands im Zuge der Sprechstunde festgestellt wurden. Zum Beispiel erzählt Judith Löffler (63), dass sich bei der Messung ihrer Blutzuckerwerte herausstellte, dass diese ungewöhnlich hoch seien. Dies hat die Patientin dazu veranlasst, nach der Sprechstunde noch einmal zu überprüfen, was die erhöhten Werte für ihre chronische Erkrankung und deren Verlauf bedeuten können. Patienten sehen sich darüber hinaus zur medialen Wissensaneignung im Nachgang einer Routineuntersuchung veranlasst, wenn neue Medikamente verschrieben werden. So erläutert Nicole

298

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

Kruse (63): „[W]enn ein Medikament anstand, dann habe ich mal unter diesem Medikament recherchiert, was haben denn die Leute da für Erfahrungen mit gemacht.“ Patienten eignen sich Medien im Nachgang einer Routineuntersuchung außerdem an, um neue unbekannte Begrifflichkeiten zu klären. Dementsprechend artikuliert Judith Löffler (63), dass sie nach einer Routineuntersuchung keinen grundsätzlichen Bedarf sieht, sich Wissen zu ihrer chronischen Erkrankung (Diabetes) anzueignen, da sie die grundlegende Bedeutung der Krankheit kennt. Fallen im persönlichen Gespräch jedoch Begriffe, die ihr unbekannt sind, nimmt sie eine Online-Recherche vor: Ich weiß, was Diabetes ist […]. [D]as ist jetzt nicht so, dass ich nach Hause gehe und wieder gucke […], was das bedeutet. Ja […] wenn hier irgendwelche fremden Begriffe kommen, von denen ich absolut keine Ahnung habe, dann gucke ich natürlich auch mal „Was ist das eigentlich“. (Judith Löffler (63))

Eher unabhängig von einer erfolgten oder geplanten Arzt-Patient-Begegnung eignen sich Patienten Medien im weiteren Verlauf chronischer oder langwieriger Erkrankungen an, wenn sie ihr gesundheitsbezogenes Wissen zu einer diagnostizierten Erkrankung aktualisieren oder sich über die Krankheit auf dem Laufenden halten möchten. So beschreibt Marina Seifert (52) in diesem Zusammenhang, dass sie über Medienangebote „immer mal wieder neue Informationen“ zu einer chronischen und einer langwierigen Erkrankung bezieht – sie leidet unter Asthma und starken Rückenschmerzen. Demgemäß erklärt auch Nicole Kruse (63): „Und auch wenn ich Diagnosen habe, die schon lange stehen, dann lese ich doch immer mal wieder nach.“ Judith Löffler (63) schildert, dass ihre „Betroffenheit“ sie dazu veranlasst, regelmäßig und gezielt nach aktuellen Informationen zu ihren chronischen Erkrankungen zu suchen: „[W]eil ich sehr davon betroffen bin, dann lese ich das schon.“ Die kontinuierliche mediale Wissensaneignung sei für sie „halt die Gewohnheit“ (Judith Löffler (63)) geworden. Als Beispiel führt sie die kontinuierliche Rezeption von Beiträgen (in Print-Zeitschriften und im Internet) zu ihrer Pollenallergie an. Schließlich eignen sich Patienten gesundheitsbezogene Medienangebote an, wenn im Verlauf einer chronischen oder langwierigen diagnostizierten Erkrankung bekannte und mit der Erkrankung identifizierte Symptome auftreten. Patienten nutzen in dieser Situation gesundheitsbezogene Medienangebote, um sich

Extensive Medienaneignung

299

zu versichern, dass die wahrgenommenen Symptome tatsächlich mit der chronischen oder langwierigen Erkrankung zusammenhängen können. Exemplarisch nutzt Louisa Kaufmann (41), die an einer Pollenallergie leidet, Medien, um herauszufinden, ob ihre aktuell auftauchenden Symptome tatsächlich mit ihrer chronischen Erkrankung – einer Pollenallergie – in Zusammenhang zu bringen sind. Sie stellt beispielsweise fest, dass sie sich ermattet fühlt und ihre Nase läuft und erhält durch die Medienangebote die Bestätigung, dass diese Symptome auf ihre Pollenallergie hinweisen. 117 Die zweite Ausprägung der extensiven Medienaneignung unterscheidet sich insbesondere dadurch von der ersten Ausprägung, dass gesundheitsbezogene Medienangebote nicht nur im unmittelbaren Zusammenhang einer persönlichen Erkrankung in den Alltag integriert werden. Vielmehr ist charakteristisch, dass Medien zusätzlich genutzt werden, um sich Wissen zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen anzueignen. Dieses Wissen steht dann weder in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einer eigenen aktuellen Erkrankung noch mit einem geplanten oder erfolgten Arztbesuch. Motiviert wird die Wissensaneignung zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen durch den Wunsch, Krankheiten zu vermeiden bzw. die Gesundheit zu fördern. Die Patienten möchten sich zu „alle[m] mögliche[n]“ (Louisa Kaufmann (41)) auf dem Laufenden halten. So führt beispielsweise Marina Seifert (52) an, dass sie regelmäßig Print-Zeitschriften „durchliest und dann ist so hin und wieder ja doch wohl mal was Neues dabei“. Das Wissen, das sich die Patienten aneignen, reicht von Wissen zu Bewegung, Sport und Ernährung über Wissen zu Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder Kreislaufprobleme bis hin zu Wissen zu Behandlungshinweisen zur Akupunktur, zu Schüßlersalzen

117

Anhand des Datenmaterials lassen sich zwei typische Kombinationen aus den beschriebenen Situationen identifizieren. Je nachdem, in welcher Phase der chronischen oder langwierigen Erkrankung sich die Patienten befinden, treten andere Nutzungssituationen zutage. Patienten, die noch am Anfang ihrer chronischen bzw. langwierigen Erkrankung stehen, wie Alina Gramberg (19) und Frauke Engel (41), berichten vor allem von der Medienaneignung im Vorfeld und im Nachhinein des Arzt-PatientGesprächs, in dem ihre Erkrankung erstmals diagnostiziert wurde. Bei den übrigen Patienten, deren chronische oder langwierige Krankheit schon längere Zeit, zum Teil schon jahrelang, diagnostiziert ist, finden Medien zwar auch infolge einer Routineuntersuchung statt, darüber hinaus jedoch häufig unabhängig von einem kürzlich geplanten oder erfolgten Arztbesuch, um das vorhandene Wissen zu aktualisieren oder zu bestätigen.

300

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

oder Basen. Die Aneignung von Wissen zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen erfolgt zumeist im Kontext einer ‚vorbeugenden Wissensaneignung‘. Louisa Kaufmann (41) eignet sich beispielsweise gesundheitsbezogene Medienangebote an, um herauszufinden, „was man in Richtung Prävention tun kann“. Dabei interessiert sie sich vor allem für Wissen zu Ernährung, aber auch für homöopathische Mittel zur Vorbeugung von Erkrankungen. Wie bereits einleitend festgestellt wurde, eignen sich nicht alle Patienten, die eine extensive Medienaneignung vorweisen, in all den aufgeführten Situationen gesundheitsbezogene Medienangebote an. Charakteristisch für diese Ausprägung der extensiven Medienaneignung ist vielmehr, dass sich Patienten sowohl medial Wissen zu Erkrankungen aneignen, von denen sie gegenwärtig persönlich betroffen sind, und dass sie darüber hinaus Wissen zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen mittels Medien rezipieren. Sie tun dies in einem breiten Set von Situationen – sowohl im Vorfeld oder infolge eines Arztbesuchs, aber auch unabhängig davon –, etwa wenn die Symptome chronischer oder langwieriger Krankheiten, die bei ihnen bereits diagnostiziert wurden, auftreten.

7.5

Vergleich der Medienaneignungsformen

Die in diesem Kapitel präsentierten Ergebnisse zeigen, dass die gesundheitsbezogene Medienaneignung von Patienten differenziert betrachtet werden sollte. Die empirische Arbeit verdeutlicht: Es gibt unterschiedliche Medienaneignungsformen. Es kann nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass Medien von allen Patienten gleichförmig „in immer mehr Situationen und Kontexten, mit immer mehr Absichten und Motiven verwendet werden“ (Krotz 2001: 22). Auf der einen Seite gibt es Patienten, die sich regelmäßig in unterschiedlichen Situationen gesundheitsbezogene Medienangebote im Hinblick auf unterschiedliche Zwecke aneignen (extensive Medienaneignung). Auf der anderen Seite stehen Patienten mit einer marginalen gesundheitsbezogenen Medienaneignung, die höchstens in einzelnen Ausnahmesituationen gesundheitsbezogene Medien nutzen. ‚Dazwischen‘ rangieren Patienten, die ihre Medienaneignung auf bestimmte Situationen und kommunikative Handlungen fokussieren.

Vergleich der Medienaneignungsformen

301

Merkmal Aneignungsform

Regelmäßigkeit und Situation

Erkrankung

Kommunikative Handlung

Marginale Medienaneignung

ausnahmsweise im Vorfeld oder infolge oder unabhängig von einem Arztbesuch

bei einer Erkrankung oder unabhängig von einer Erkrankung

Wissensaneignung zu erlebten Symptomen oder zu diagnostizierten Erkrankungen oder zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen

Fokussierte Medienaneignung

wiederkehrend im Vorfeld eines Arztbesuchs

bei unbekannter, langwieriger oder schwerer Erkrankung

Wissensaneignung zu erlebten Symptomen

wiederkehrend infolge eines Arztbesuchs

bei unbekannter, langwieriger oder schwerer Erkrankung

Wissensaneignung zu diagnostizierten Erkrankungen

wiederkehrend unabhängig von einem Arztbesuch

unabhängig von einer aktuellen, persönlichen Erkrankung

Wissensaneignung zu den Themen Bewegung, Sport, Ernährung und z. T. Protokollierung von Daten zu Bewegung, Sport, Ernährung

wiederkehrend in verschiedenen Situationen: unabhängig und im Vorfeld und infolge eines Arztbesuchs

bei einer leichten, unbekannten, langwierigen oder schweren Erkrankung

Wissensaneignung zu erlebten Symptomen und zu diagnostizierten Erkrankungen

wiederkehrend in verschiedenen Situationen: unabhängig und im Vorfeld und infolge eines Arztbesuchs

bei einer leichten, chronischen oder langwierigen Erkrankung und unabhängig von einer Erkrankung

Extensive Medienaneignung

Tab. 20:

Wissensaneignung zu erlebten Symptomen und/oder zu diagnostizierten Erkrankungen und zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen Übersicht über die gesundheitsbezogenen Medienaneignungsformen (eigene Darstellung)

Die Tabelle 20 fasst die zentralen Merkmale (Regelmäßigkeit, Situation, Erkrankung, kommunikative Handlung) der Medienaneignungstypen zusammen. Die Übersicht zeigt, dass die identifizierten Medienaneignungsformen als Kontinuum betrachtet werden können. Auf der linken Seite steht die wenig differenzierte

302

Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

Form – die marginale Medienaneignung. Auf der rechten Seite steht die ausdifferenzierte Form – die extensive Medienaneignung. Die Regelmäßigkeit, in der Medien in den Alltag integriert werden, reicht von einer ‚ausnahmsweise erfolgenden‘ bis hin zu einer wiederkehrenden Integration. Ebenso differenzieren sich die Aneignungssituationen aus – von einzelnen Situationen bei der marginalen Medienaneignung hin zu verschiedenen Situationen bei der extensiven Medienaneignung. Die marginale und die fokussierte Medienaneignung sind auf einzelne kommunikative Handlungen begrenzt, während die extensive Medienaneignung durch mehrere medienvermittelte kommunikative Handlungen charakterisiert ist.

8

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

Angesichts einer sich ausdifferenzierenden Medienumgebung wird in der vorliegenden Studie argumentiert, dass die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung nicht mehr ohne Medien verstanden werden kann. Schließlich integrieren Ärzte und Patienten in einer digitalisierten Welt Medien in die situationsübergreifenden Prozesse der Beziehungskonstruktion. Medien prägen dadurch die beziehungsrelevanten kommunikativen Handlungen der Mikro-Koordination sowie der Konstruktion von hausarzt-, patienten- und gesundheitsbezogenem Wissen. In Kapitel 6 und 7 konnte gezeigt werden, dass weder die direkte Kommunikation zwischen den Beziehungspartnern noch die gesundheitsbezogene Medienaneignung durch die Patienten einheitlich verläuft. Vielmehr existieren unterschiedliche beziehungsspezifische Stile der direkten Kommunikation: die zurückhaltende, die offene und die fordernde Kommunikation. Ebenso lassen sich patientenseitig unterschiedliche Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung feststellen. Dies sind die marginale, die fokussierte und die extensive Medienaneignung. Das Zusammenspiel von direkter Kommunikation und Medienaneignung führt zur Konstruktion von Arzt-Patient-Beziehungen in einer digitalisierten Welt. In diesem Kapitel werden die fünf Patiententypen vorgestellt, die empirisch identifiziert wurden und deren Beziehungskonstruktionen sich unterscheiden: die Unbedarften, die Expertenorientierten, die Eingeschränkt Interessierten, die Souveränen sowie die Wissensdurstigen. Diese Patiententypen lassen sich anhand ihres Kommunikationsstils und ihrer gesundheitsbezogenen Medienaneignung charakterisieren, und zwar folgendermaßen: Die Unbedarften zeichnen sich durch eine zurückhaltende Kommunikation im direkten Gespräch mit ihrem Hausarzt und eine marginale Medienaneignung aus. Die Expertenorientierten eignen sich gesundheitsbezogene Medienangebote ebenfalls marginal an. Allerdings verläuft die direkte Kommunikation der Expertenorientierten mit ihrem Hausarzt offen. Gleichsam zeichnet sich die direkte Kommunikation der Eingeschränkt Interessierten zu ihrem Hausarzt durch ihre Offenheit aus. Gesundheitsbezogene Medienangebote integrieren diese Patienten regelhaft, aber fokussiert auf eine be© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. C. Meinzer, Die Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt, Medien • Kultur • Kommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26007-1_8

304

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

stimmte Situation in ihren Alltag. 118 Charakteristisch für die direkte Kommunikation der Souveränen mit ihrem Hausarzt ist ein offener Kommunikationsstil. Die Souveränen eignen sich zudem extensiv gesundheitsbezogene Medien an und ähneln in ihrer Medienaneignung den Wissensdurstigen. Patienten des Typs der Wissensdurstigen integrieren nicht nur gesundheitsbezogene Medienangebote extensiv in ihren Alltag, sondern sind darüber hinaus durch eine fordernde Kommunikation mit ihrem Hausarzt charakterisiert. Die fünf Patiententypen sind in Tabelle 21 in einem zweidimensionalen Raum verortet. Die Position auf der horizontalen Achse beschreibt, wie sich die direkte Kommunikation zwischen den Beziehungspartnern gestaltet. Auf der vertikalen Achse werden die unterschiedlichen Formen der Medienaneignung der Patienten abgebildet, die Aufschluss darüber geben, wie die Patienten Medienangebote in den Prozess der Beziehungskonstruktion integrieren. 119 Medien prägen die Beziehungskonstruktion aller Patiententypen zu ihren Hausärzten, doch je nach Patiententyp auf unterschiedliche Weise. Wie sich die Prägkräfte durch die Medienaneignung im Zuge der unterschiedlichen Beziehungskonstruktionen entfalten, wird in diesem Kapitel erläutert. Zusätzlich zu den fünf Patiententypen konnte bei der Analyse des Datenmaterials die Zusatzrolle der Fürsorglich Mitgestaltenden identifiziert werden. Diese Zusatzrolle liegt quer zu den Patiententypen. Verschiedene Patiententypen nehmen sie ein. Diejenigen Patienten, die diese Rolle tragen, versorgen ihr soziales Umfeld mit hausarzt-, gesundheits- und patientenbezogenen Informationen. Die Fürsorglich Mitgestaltenden werden dadurch zu ‚Ko-Konstrukteuren‘ der Beziehungskonstruktion von anderen.

118

Zum Typ der ‚Eingeschränkt Interessierten‘ gehören drei Subtypen, deren Medienaneignungsform unterschiedliche Ausprägungen besitzt: die Vorbereitenden, die Nachbereitenden und die Präventiven. 119 Die Nähe, in der sich die einzelnen Typen zueinander auf den beiden Ebenen befinden, verdeutlicht deren Ähnlichkeit. Berühren sich die ‚Felder‘ von zwei Patiententypen, so ähneln sie sich in einer Dimension, keine Berührung markiert einen Unterschied in beiden Dimensionen. So sind sich beispielsweise die Unbedarften und die Expertenorientierten im Hinblick auf ihre Medienaneignung ähnlich. Die Unbedarften und die Wissensdurstigen wiederum haben keine Gemeinsamkeit im Hinblick auf die beiden Dimensionen und weisen entsprechend keinen Berührungspunkt auf.

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

305

Kommunikationsstil Zurückhaltende Kommunikation

Offene Kommunikation

Fordernde Kommunikation

-

Souveräne (N = 4)

Wissensdurstige (N = 9)

Fokussierte Medienaneignung

-

Eingeschränkt Interessierte (N = 19) (4 Vorbereitende, 11 Nachbereitende, 4 Präventive)

-

Marginale Medienaneignung

Unbedarfte (N = 10)

Expertenorientierte (N = 10)

-

Medienaneignungsform

Extensive Medienaneignung

Tab. 21:

Patiententypen (N = 52) (eigene Darstellung)

Um die Patiententypen weiter zu spezifizieren, werden – als wesentliche Kontexte – auch die Lebensphase, in der sie sich gerade befinden, der Gesundheitszustand der Patienten und ihr interpersonales Kommunikationsrepertoire mitbetrachtet, um die jeweils patiententypische Beziehungskonstruktion zu beschreiben und zu erklären. Was mit Lebensphase, Gesundheitszustand und interpersonalem Kommunikationsrepertoire hier gemeint ist, soll an dieser Stelle kurz ausgeführt werden. Mit Lebensphase ist ein zeitlicher Abschnitt im Leben der Patienten gemeint, der durch bestimmte Alltagsaktivitäten strukturiert und mit bestimmten sozialen Rollen verbunden ist (vgl. Paus-Hasebrink 2010; Pavalko/Willson 2011). Auf Basis der empirischen Studie erscheinen die in Tabelle 22 grob umrissenen Lebensphasen für die Beziehung zu ihrem Hausarzt und die gesundheitsbezogene Medienaneignung der Patienten relevant.

306

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

Lebensphase

Alltagsstruktur und soziale Rollen

Kindheit und Jugend

Kinder und minderjährige Jugendliche (im Alter 0–17 Jahre), die den Kindergarten oder die Schule besuchen, zu Hause wohnen und in einem Abhängigkeits- und Versorgungsverhältnis zu ihren Eltern stehen.

Frühes Erwachsenenalter

Junge Erwachsene (im Alter 18–30 Jahre), die studieren, sich in der Ausbildung befinden oder am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen. Sie wohnen zum Teil noch zu Hause oder bereits in eigenen Wohnungen und befinden sich in einer Phase, in der sie eine Unabhängigkeit von den Eltern entwickeln.

Mittleres Erwachsenenalter

Erwachsene mittleren Alters (im Alter 31–50 Jahre), die beruflichen und – zum Teil – zusätzlich familiären Verpflichtungen nachkommen.

Spätes Erwachsene älteren Alters (ab 51 Jahren), die zum Teil bereits von berufliErwachsenenalter chen Verpflichtungen befreit sind. Tab. 22: Lebensphasen der Patienten (eigene Darstellung)

Mit Gesundheitszustand des Patienten ist der vom Patienten erlebte körperliche und mentale Zustand gemeint, wobei das Erleben dieses Zustands sozial und kulturell konstruiert ist (vgl. Kapitel 2.3). Im Erleben des Gesundheitszustands werden sowohl gesamtgesellschaftliche Typisierungen wie auch Vorstellungen aus dem Umfeld der Patienten wirksam. In Abhängigkeit von ihrem Gesundheitszustand gestalten die Patienten die kommunikative Konstruktion der Arzt-PatientBeziehung. Je nachdem, wie sie ihr Befinden, ihre Symptome und Krankheiten etc. einordnen, variiert ihre Kommunikation. Von der gesundheitlichen Situationskonstruktion (vgl. Krotz 2001: 138f.) der Patienten hängt beispielsweise ab, ob sie ihren Zustand als „behandlungsnotwendig erkennen“ (Flick 1998: 26), sich mithilfe von Hausmitteln selbst behandeln, sich Wissen über gesundheitsbezogene Medienangebote aneignen oder ihren Hausarzt aufsuchen. Die Daten der vorliegenden Studie zeigen, dass Symptome und Erkrankungen, die von den Patienten als unbekannt, schwerwiegend oder langwierig erlebt und klassifiziert werden, zumeist eine Arztkonsultation zur Folge haben. Werden Symptome und Erkrankungen von den Patienten als leicht oder bekannt wahrgenommen, führt dies häufig dazu, dass sie von den Patienten ‚ausgehalten‘ oder eigenständig therapiert werden. Wie in Kapitel 5.4.3 gezeigt wurde, ziehen Patienten bei leichten oder bekannten Symptomen und Erkrankungen ebenso Medien heran wie bei unbekannten, schwerwiegenden, langwierigen oder chronischen Symptomen und Erkrankun-

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

307

gen. Eine schematische Übersicht der Klassifikationen von Symptomen und Erkrankungen sowie damit verbundener potenzieller Umgangsformen gibt Tabelle 23. Klassifikation von Symptomen und Erkrankungen

Spektrum der Umgangsformen

keine/gesund



Medienaneignung zur Krankheitsvermeidung und Gesundheitsförderung

bekannt oder leicht

• •

aushalten/abwarten Selbstbehandlung mit Hausmitteln oder rezeptfreien Medikamenten aus der Apotheke Medienaneignung zur Einordnung oder Selbstbehandlung

• unbekannt, schwerwiegend oder langanhaltend

• •

Arztbesuch Medienaneignung zur Einordnung, zum (besseren) Verstehen und zum (besseren) Umgang (im Vorfeld oder Nachgang eines Arztbesuchs)

langwierig oder chronisch

• •

Arztbesuch Medienaneignung, um auf dem Laufenden zu bleiben

ansteckend • Arztbesuch Tab. 23: Klassifikation von Symptomen und Erkrankungen durch die Patienten (eigene Darstellung)

Das gesundheitsbezogene interpersonale Kommunikationsrepertoire der Patienten bezeichnet die Personen aus dem sozialen Umfeld der Patienten, die an der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung beteiligt sind. Hierzu gehören insbesondere Familienmitglieder, Bekannte und Freunde. Personen des interpersonalen Kommunikationsrepertoires der Patienten können die Patienten mit beziehungsrelevantem Wissen versorgen und übernehmen zum Teil auch koordinative Tätigkeiten für die Patienten im Zusammenhang mit einer Erkrankung (Terminvereinbarungen etc.). Teils begleiten sie die Patienten bei Arztbesuchen oder Apothekengängen. Abhängig davon, welches Wissen Patienten über ihr interpersonales Kommunikationsrepertoire erwerben, gestaltet sich ihre Arzt-Patient-Beziehung. So kann beispielsweise der Rat eines Freundes zum Besuch eines bestimmten Arztes veranlassen oder das Wissen, das Eltern ihren Kindern vermitteln, kann eine medienvermittelte Informationsrecherche des Nachwuchses überflüssig machen. Der Ursprung des gesundheitsbezogenen Wissens der Bezugsper-

308

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

sonen kann aus unterschiedlichen Quellen stammen (gesundheitsbezogene Medienangebote, eigene Erfahrungen etc.). Personen aus dem privaten Umfeld der Patienten können auch einen professionellen medizinischen Hintergrund besitzen (MFA, Physiotherapeuten oder Ärzte in Familie und Freundeskreis). Beruhend auf dem erhobenen und ausgewerteten Datenmaterial werden die fünf Patiententypen im Folgenden dargestellt. Für jeden Typ wird – nach einer knappen Beschreibung der Lebensphase, des Gesundheitszustands und des interpersonalen Kommunikationsrepertoires – bestimmt, wie die Beziehungskonstruktion im direkten Arzt-Patient-Gespräch verläuft. Daraufhin wird gezeigt, wie jeder Patiententyp beziehungsrelevante gesundheitsbezogene Medienangebote in den Prozess der Beziehungskonstruktion integriert, um abschließend zu klären, wie die gesundheitsbezogene Medienaneignung die Beziehungskonstruktion der einzelnen Patiententypen prägt.

8.1

Beziehungskonstruktion der Unbedarften

Charakteristisch für die Beziehungskonstruktion der Unbedarften ist der Umstand, dass die Patienten in der direkten Kommunikation mit ihrem Hausarzt zurückhaltend kommunizieren. Sie stellen keine Fragen, formulieren keine Anweisungen und schildern ihr Befinden knapp. Darüber hinaus zeigen die Patienten nur geringen Bedarf, sich beziehungsrelevantes Wissen medial anzueignen, was sich in ihrer marginalen Medienaneignung widerspiegelt. Die Unbedarften integrieren höchstens in Ausnahmesituationen gesundheitsbezogene Medienangebote in ihren Alltag. Die charakteristische Beziehungskonstruktion der Unbedarften lässt sich auf die Lebensphase zurückführen, in der sich die durchweg jungen Patienten befinden, auf ihren guten Gesundheitszustand und ihr interpersonales Kommunikationsrepertoire, das sie mit dem nötigen beziehungsrelevanten Wissen versorgt. Die Beziehungskonstruktion der Unbedarften lässt sich im Datenmaterial der Studie bei insgesamt zehn Patienten finden, die in Abbildung 11 aufgelistet sind.

Beziehungskonstruktion der Unbedarften

309

Lebensphase, Gesundheitszustand und interpersonales Kommunikationsrepertoire Die Unbedarften sind in der Tendenz jung. Sie befinden sich entweder in der Kindheits- und Jugendphase oder sind junge Erwachsene. Die jüngeren Unbedarften sind minderjährig, wie die 5-jährige Nina Jakobs, der 11-jährige Nathanael Flemming, die 13-jährige Josie Hall, der 15-jährige Norman Glee, der 16-jährige Nevio Eberle und der 17-jährige Noah Stil. Nina geht im Moment noch in den Kindergarten und Nathanael in die Grundschule. Josie, Norman, Nevio und Noah besuchen eine weiterführende Schule. Die älteren Unbedarften sind zwischen 18 und 27 Jahren alt. Dazu zählen die 18-jährige Jasmin Winter und der 20-jährige Jonte Fink, die derzeit eine Ausbildung absolvieren, sowie der 25-jährige Christopher Luchs, der am Anfang seiner Berufstätigkeit steht, und die 27-jährige Studentin Jana Kurz. Die minderjährigen Unbedarften •

Nina Jakobs (5)



Nathanael Flemming (11)



Josie Hall (13)



Norman Glee (15)



Nevio Eberle (16)



Noah Stil (17)

Die jungen Unbedarften •

Jasmin Winter (18)



Jonte Fink (20)



Christopher Luchs (25)



Jana Kurz (27)

Abb. 11:

Patienten des Typs der ‚Unbedarften‘ (eigene Darstellung)

Die Unbedarften sind nicht nur jung, hinzu kommt, dass sie weder von langwierigen noch von chronischen Erkrankungen betroffen sind. In den Interviews betonen die Unbedarften, dass sie sich selber als gesund bezeichnen würden und benennen keine Situationen, in denen sie in der Vergangenheit von einer chronischen oder langwierigen Krankheit betroffen waren. Entsprechend suchen die Unbedarften ihren Hausarzt bei akuten Viruserkrankungen (wie z. B. einer Grippe oder einer

310

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

Erkältung) und Sport- bzw. Sturzverletzungen oder zu Vorsorgeuntersuchungen (wie z. B. Impfungen) auf. Generell betonen vor allem die älteren Unbedarften in diesem Zusammenhang, dass ihr guter Gesundheitszustand sie nur in Ausnahmesituationen dazu veranlasst, ihren Hausarzt aufzusuchen. So hält die 27-jährige Studentin Jana Kurz exemplarisch fest: „Ich bin ganz schön selten hier, [da ich] selten krank [bin]“ (Jana Kurz). Ihren Gesundheitszustand führen die Unbedarften auch als Begründung für ihre marginale gesundheitsbezogene Medienaneignung an. So bringen sie zur Sprache, dass sie sich nur in Ausnahmesituationen mittels gesundheitsbezogener Medienangebote Wissen aneignen, da sie selten krank sind. Eine umfangreichere gesundheitsbezogene Medienintegration würden die Unbedarften erst dann vornehmen, wenn sie von einer schwerwiegenderen Erkrankung betroffen wären. Exemplarisch hält Jonte Fink (20) fest: „Also das ist meistens nicht so, dass ich irgendwas Schlimmeres habe oder so. Deswegen kommt das auch so selten vor, dass ich dann mal irgendwas nachgoogle oder irgendwas noch mal nachgucke.“ Ebenso begründet Jana Kurz (27), dass sie bislang – aufgrund ihres Gesundheitszustands – noch keine Notwendigkeit gesehen habe, sich im Hinblick auf erlebte Symptome oder diagnostizierte Erkrankungen Wissen über Medienangebote anzueignen. Nicht nur der Gesundheitszustand der Unbedarften führt dazu, dass die Patienten lediglich einen geringen Bedarf zeigen, sich beziehungsrelevantes Wissen in der direkten Kommunikation mit ihrem Hausarzt oder über Medien anzueignen. Der vergleichsweise geringe Bedarf ist außerdem darauf zurückzuführen, dass die Unbedarften von ihrem privaten Umfeld – den Eltern – mit beziehungsrelevantem Wissen versorgt werden. Die Eltern sind somit an der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung der Unbedarften beteiligt. 120 Die wichtige Rolle der Eltern bei der Beziehungskonstruktion der Unbedarften zeigt sich bereits beim Zustandekommen der Beziehung. Sie bestimmen die Wahl des Hausarztes ihrer Kinder. Die Eltern kennen den Hausarzt bereits und vermitteln ihren Kindern einen ersten Eindruck von ihm. Jasmin Winter erzählt in diesem Zusammenhang, dass sie vor zwei Jahren zu ihrem jetzigen Hausarzt wechselte, denn ihre „Eltern,

120

Zur Rolle der ‚Fürsorglich Mitgestaltenden‘, die Eltern einnehmen, finden sich detaillierte Ausführungen in Kapitel 8.6.

Beziehungskonstruktion der Unbedarften

311

also [die] ganze Familie ist hier und dann wollte [sie] auch hierher“ (Jasmin Winter (18)). Ebenso ist Jonte Fink (20) „wegen [s]einer Eltern“ in der Hausarztpraxis gelandet, weil „die waren auch hier und da [ist er] früher schon immer hier mit hergekommen“. Neben der Vermittlung von Wissen, das sich auf die Person des Hausarztes bezieht, übernehmen die Eltern der jüngeren Unbedarften die Recherche nach Kontaktinformationen und koordinieren die persönliche Begegnung mit dem Hausarzt. Die Eltern sind folglich für die Mikro-Koordination ihrer minderjährigen Kinder verantwortlich. Darüber hinaus fungieren die Eltern als gesundheitsbezogene Ratgeber. Der 20-jährige Jonte Fink bringt das folgendermaßen auf den Punkt: „[Es] kommt auch natürlich noch vor, dass ich Mama [in gesundheitsbezogenen Fragen] nach Rat frage oder so.“ Zur Ratgeberfunktion der Eltern gehört, dass sie den Gesundheitszustand der Unbedarften einordnen und zum Teil, darauf aufbauend, die Notwendigkeit eines Arztbesuchs einschätzen. Besonders anschaulich wird dies am Beispiel der 13-jährigen Josie Hall. Diese quälte sich mehrere Wochen mit starken Kopfschmerzen, die sie nicht zuordnen konnte. Auf eindringliches Anraten der Mutter wurde dann ein Arzttermin vereinbart. Ihre Mutter, mit der ebenfalls ein Interview geführt wurde, berichtet in diesem Zusammenhang: Ausschlaggebend [für die Vereinbarung eines Arzttermins] war ich dann auch. Dass ich gesagt habe, das muss jetzt echt mal abgeklärt werden. Also so drei Wochen Dauerkopfschmerz, wirklich, damit aufstehen, wieder ins Bett gehen und dazwischen keine Ruhe finden, das ist nicht normal. Das geht nicht. (Jutta Hall (37))

Des Weiteren dienen die Eltern als gesundheitsbezogene Ratgeber, wenn in dem Gespräch zwischen Unbedarften und deren Hausarzt Fragen offenbleiben. So erzählt Nevio Eberle (16), dass er „auf Grundlage der Informationen [die er durch seinen Hausarzt vermittelt bekommen hat] nochmal so in der Familie nachgefragt“ hat. Die Eltern vermitteln ihren Kindern nicht nur gesundheitsbezogenes Wissen, sondern übernehmen zusätzlich – insbesondere bei den jüngeren Unbedarften – die mediale Aneignung von Wissen. Demgemäß erzählt beispielsweise der 15-jährige Norman Glee, dass sein Vater für ihn die mediale Wissensaneignung übernimmt. Der Vater recherchierte beispielsweise mit einem Tablet auf der Couch für Norman, als Norman an einem starken Husten litt. Im direkten Gespräch mit dem Hausarzt sind es ebenso häufig die Eltern, die dem Hausarzt die

312

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

Fragen zur Diagnose oder zu Behandlungshinweisen stellen. Zudem liefern sie dem Hausarzt Informationen zum Befinden ihrer Kinder. Dadurch sind die Eltern Teil der Beziehungskonstruktion im direkten Gespräch. Es konnte gezeigt werden, dass Patienten dieses Typs nur wenig Bedarf zeigen, sich eigenständig beziehungsrelevantes Wissen anzueignen. Dies liegt zum einen daran, dass die Unbedarften nicht von chronischen oder langwierigen Krankheiten betroffen sind. Zum anderen übernimmt das soziale Umfeld die Wissensaneignung auf vielfältige Weise. Im Folgenden wird geschildert, wie sich die Beziehungskonstruktion der Unbedarften im direkten Gespräch ausdrückt und wie ihre Medienaneignung abläuft. Zurückhaltende Kommunikation im direkten Arzt-Patient-Gespräch Für die Unbedarften ist spezifisch, dass sie innerhalb der Arzt-Patient-Beziehung zurückhaltend kommunizieren. In der zurückhaltenden Kommunikation spiegelt sich der geringe Bedarf am Informationsaustausch insofern wider, als die Patienten weder proaktiv Wissen vom Arzt ermitteln (zum Beispiel, indem sie Fragen stellen) noch viel von sich und ihrem Gesundheitszustand preisgeben. 121 In ihrer Zurückhaltung unterscheiden sie sich von allen anderen Patiententypen. Die Zurückhaltung manifestiert sich auch in den Bildern, die sich die Unbedarften von sich und ihrem Arzt gemacht haben. Die Patienten sehen ihren Hausarzt als aktiven und kompetenten Gesprächsleiter, der sie darüber in Kenntnis setzt, welche Erkrankung vorliegt und wie diese behandelt werden kann. Den Unbedarften zufolge leistet ihr Hausarzt Hilfestellung in gesundheitsbezogenen Fragen und sie haben großes Vertrauen in sein Fachwissen und seine Aussagen. Sich selbst beschreiben die Unbedarften als folgsam. So ist es auch charakteristisch für das beobachtbare kommunikative Handeln der Unbedarften, dass sie ihrem Hausarzt in der direkten Kommunikation die Gesprächsleitung überlassen. Sie stellen von sich aus keine bzw. nur wenige Fragen oder Rückfragen. Auf Fragen des Arztes liefern die älteren Unbedarften wiederum nur kurze Antworten und erläutern ihr Befinden knapp. Hinzu kommt, dass die Unbedarften – über ihr aktuelles Befinden hin-

121

So handelte es sich bei den beobachteten Gesprächen zwischen den Hausärzten und den Unbedarften um verhältnismäßig kurze Sitzungen (zumeist dauerten sie weniger als zehn Minuten).

Beziehungskonstruktion der Unbedarften

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aus – keine weiteren Themen während der Arztkonsultation ansprechen. Den Anweisungen im Zuge der körperlichen Untersuchung folgen sie. So kommt zum Beispiel die 27-jährige Jana Kurz, nachdem sie dem Hausarzt knapp ihr Leiden geschildert hat, kommentarlos dessen Aufforderung nach. Den Appell des Hausarztes „Mund bitte öffnen“ befolgt sie, ohne Widerworte gegeben zu haben. Hausarzt Dr. Marthen gelangt auf Grundlage der körperlichen Untersuchung zur Diagnose, dass Jana Kurz von einer starken Erkältung betroffen sei und gibt entsprechende Behandlungshinweise, die von der jungen Erwachsenen zustimmend entgegengenommen werden. Auf ihre zurückhaltende Kommunikation hebt Jana Kurz auch in ihrer Selbstbeschreibung ab. Sie sieht ihren Beitrag zur Ermittlung der Diagnose darin, dass sie sich in der direkten Begegnung mit ihrem Hausarzt „ganz einfach“ verhält: [I]ch bin froh, wenn ich schnell durch bin so ungefähr, weil also bei mir ist das so, dass ich eigentlich wirklich nur zum Arzt gehe, wenn es mir (wenn es gar nicht mehr geht) richtig dreckig geht. […] Aber ansonsten denke ich, wenn jetzt verlangt wird „Mund aufmachen“ zum Nachgucken oder sowas, da denk ich, bin ich eigentlich ganz einfach. (Jana Kurz (27))

Die jüngeren Unbedarften erzählen – wie auch die älteren Unbedarften – wenig von ihrem Befinden. Ihre Schilderungen zeugen davon, dass ihnen das notwendige gesundheitsbezogene Wissen fehlt, um ihren Gesundheitszustand umfangreicher zu vermitteln. Punktuell geben die jüngeren Unbedarften ihrem Hausarzt mehr von sich preis, wenn sie von ihren Freunden oder ihren Hobbys berichten. Die ihre minderjährigen Kinder zum Arzt begleitenden Eltern vermitteln das Befinden ihrer Kinder, antworten auf Fragen des Hausarztes und unterstützen ihre Schutzbefohlenen im kommunikativen Prozess der Beziehungskonstruktion, wie bereits im vorherigen Abschnitt betont wurde. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der fünfjährigen Nina Jakobs, die mit ihrer Mutter die Sprechstunde aufsucht, weil sie starke Schmerzen in den Beinen hat. Nina kann weder erklären, wie sich die Schmerzen entwickelt haben, noch äußert sie Vermutungen zum Entstehungskontext oder kann den Schmerz im Bein lokalisieren. Nina erzählt ihrer Ärztin zwar allerlei aus dem Kindergarten und ihrer Turngruppe, doch die Beschreibung ihres Befindens beschränkt sich auf die Äußerung: „Ich habe Schmerzen“ (Nina Jakobs). Erst durch zahlreiche Fragen, die die Hausärztin vor allem an die Mutter

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Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

richtet, und durch eine körperliche Untersuchung wird klar, dass Nina einen Muskelkater hat. Marginale Medienaneignung Die Unbedarften werden also durch ihr interpersonales Kommunikationsrepertoire umfassend mit beziehungsrelevantem Wissen versorgt. Daneben sind sie weder von langwierigen noch von chronischen Krankheiten betroffen. Dementsprechend zeigen die Unbedarften keinen Bedarf, sich eigenständig beziehungsrelevantes Wissen anzueignen, was sich neben ihrer Zurückhaltung im Arzt-PatientGespräch in ihrer marginalen Medienaneignung im Prozess der Beziehungskonstruktion widerspiegelt. Für die Unbedarften ist charakteristisch, dass sie gesundheitsbezogene Medienangebote höchstens in einzelnen Ausnahmesituationen in ihren Alltag integrieren. Dementsprechend ist das beziehungsrelevante Medienrepertoire der Unbedarften nicht weiter ausdifferenziert. Extremfälle des Typs der Unbedarften stellen Nina (5), Nathanael (11) und Norman (15) dar. Sie geben in den Interviews an, noch nie gesundheitsbezogene Medienangebote gezielt genutzt zu haben. Wie bereits in Kapitel 7.2 detailliert für die marginale Medienaneignung ausgeführt wurde, decken die medienvermittelten kommunikativen Handlungen, die von den Unbedarften in Ausnahmesituationen ausgeführt werden, ein breites Spektrum ab. Es reicht von der Zuordnung erlebter Symptome über die Aneignung von Wissen zu Krankheit und Gesundheit im Allgemeinen bis hin zur medialen Auseinandersetzung mit einer diagnostizierten Erkrankung. Während Josie Hall (13) beispielsweise schon einmal versuchte, ihre Kopfschmerzen mithilfe von Online-Angeboten einer Erkrankung zuzuordnen, hat Noah Stil (17) bereits einmal gegoogelt ‒ aus einem allgemeinen Interesse heraus und ohne aktuelle Beschwerden zu haben ‒, was ein grippaler Infekt bedeutet. Der sportaffine Hobbyfußballer Christopher Luchs (25) nutzte wiederum ausnahmsweise Online-Angebote, um herauszufinden, welche Konsequenzen eine diagnostizierte IschiasNerv-Verletzung nach sich ziehen könnte – vor allem im Hinblick auf seine sportlichen Aktivitäten. Wenngleich sich die einzelnen medienvermittelten kommunikativen Handlungen bei den Unbedarften unterscheiden, so ist dennoch allen Patienten dieses Typs gemein, hervorzuheben, dass es sich bei den Beispielen um Ausnahmen handelt. Bei den älteren Unbedarften, die im Gegensatz zu den jün-

Beziehungskonstruktion der Unbedarften

315

geren ihre Arztbesuche eigenständig organisieren, wird die Aneignung von gesundheitsbezogenem Wissen noch um die mediale Aneignung von hausarztbezogenem Wissen ergänzt. Sie eignen sich mittels Medien Kontaktinformationen an, wobei sie auch diese mediale Aneignung von hausarztbezogenem Wissen als Ausnahme deklarieren. So geben Jasmin Winter (18), Jonte Fink (20) und Christopher Luchs (25) an, bereits die Arzt-Website oder ein Arztbewertungsportal genutzt zu haben, um die Telefonnummer der Hausarztpraxis zu recherchieren, damit eine Terminvereinbarung möglich war. Sehr schwache mediale Prägung der Beziehungskonstruktion Wird das bisher Gesagte zusammengefasst, lässt sich abschließend – im Hinblick auf die zentrale Forschungsfrage hier – argumentieren, dass die Beziehungskonstruktion der Unbedarften im Vergleich zu allen anderen Patiententypen am schwächsten durch gesundheitsbezogene Medienangebote geprägt ist. Da die Unbedarften kaum gesundheitsbezogene Medienangebote in ihren Alltag integrieren, entfalten sich entsprechend bei der kommunikativen Konstruktion der Beziehung zu ihrem Hausarzt keine nennenswerten medialen Prägkräfte. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass sie keine langwierigen oder chronischen Erkrankungen vorweisen und dass sie – ihrer gesundheitlichen Situation entsprechend – durch ihr soziales Umfeld mit beziehungsrelevantem Wissen versorgt werden. Medien finden, wenn überhaupt, nur in vereinzelten Ausnahmesituationen Einsatz. Sie werden zur Aneignung gesundheitsbezogenen Wissens oder zur Recherche nach Kontaktinformationen genutzt. Prägkräfte der Medien kommen also vor allem bei der Mikro-Koordination – die typübergreifend medial verläuft – zum Tragen. Bei den jüngeren Unbedarften übernehmen die Eltern auch die Mikro-Koordination. Die Eltern der jüngeren Unbedarften fungieren als Kommunikationsknoten innerhalb der triadischen Hausarzt-Unbedarften-Eltern-Beziehung (siehe hierzu auch Kapitel 8.6). Für die minderjährigen Unbedarften spielen gesundheitsbezogene Medienangebote dementsprechend quasi keine Rolle – sie sind Extremfälle innerhalb der Typologie.

316

8.2

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

Beziehungskonstruktion der Expertenorientierten

Wie bereits ihr Name verrät, ist die Beziehungskonstruktion der Patienten vom Typ der Expertenorientierten dadurch charakterisiert, sich an medizinischen Experten zu orientieren. Der Hausarzt ist für die Expertenorientierten die zentrale Anlaufstelle in gesundheitlichen Belangen. Kennzeichnend für ihr kommunikatives Handeln im direkten Face-to-Face-Gespräch ist ihre Offenheit. Die Expertenorientierten zeigen eine große Auskunftsbereitschaft im Gespräch mit ihrem Arzt. Durch die offene Kommunikation fördern sie den Wissenstransfer des Arztes und tragen dazu bei, ihren eigenen an Experten orientierten Wissensbedarf zu stillen. Die Aneignung gesundheitsbezogener Medienangebote spielt keine wesentliche Rolle im Alltag der Expertenorientierten. Die Medienaneignung der Expertenorientierten ist marginal und findet höchstens in vereinzelten Ausnahmesituationen statt. Die Beziehungskonstruktion der Expertenorientierten steht im Zusammenhang mit ihrer Lebensphase, ihrem erlebten bzw. diagnostizierten Gesundheitszustand und ihrem interpersonalen Kommunikationsrepertoire. Die Expertenorientierten decken das gesamte Erwachsenenalter ab, sie sind von chronischen bzw. langwierigen Erkrankungen betroffen und verfügen über ein interpersonales Kommunikationsrepertoire, zu dem Bekannte, Freunde und Familienmitglieder gehören – die zum Teil selber einen professionellen medizinischen Hintergrund besitzen. Zehn Patienten, die im Rahmen der Studie beobachtet und befragt wurden, sind über die spezifische Beziehungskonstruktion charakterisiert, die eine offene Kommunikation im direkten Arzt-Patient-Gespräch und eine marginale Medienaneignung umfasst (vgl. Abb. 12). Lebensphase, Gesundheitszustand und interpersonales Kommunikationsrepertoire Die Expertenorientierten befinden sich in unterschiedlichen Phasen des Erwachsenenalters. Die größte Gruppe der Expertenorientierten stellen die älteren Erwachsenen dar. Dazu gehören die 60-jährige Nadine Schramm, die 66-jährigen Fritz Groß, Natascha Jäger und Martha Kern sowie die 78-jährige Frieda Pfeifer. Unter den Expertenorientierten sind darüber hinaus zwei junge Erwachsene – die 24jährige Nele Hoppe und die 27-jährige Laura Ott. Ferner zählen mit der 37-jährigen Mia Hesse und mit den jeweils 48-jährigen Adrian Capel und Christa Merten

Beziehungskonstruktion der Expertenorientierten

317

auch die mittelalten Erwachsenen zu den Expertenorientierten. Zu diesem Patiententyp gehören also auf der einen Seite Patienten, die beruflichen Verpflichtungen nachgehen, und auf der anderen Seite Patienten, die nicht mehr berufstätig sind und bereits Rente beziehen. Die jungen Expertenorientierten •

Nele Hoppe (24)



Laura Ott (27)

Die mittelalten Expertenorientierten •

Mia Hesse (37)



Adrian Capel (48)



Christa Merten (48)

Die älteren Expertenorientierten •

Nadine Schramm (60)



Fritz Groß (66)



Natascha Jäger (66)



Martha Kern (66)



Frieda Pfeifer (78)

Abb. 12:

Patienten des Typs der ‚Expertenorientierten‘ (eigene Darstellung)

Gemein ist allen Expertenorientierten, dass sie von langwierigen oder chronischen Erkrankungen betroffen sind. Im Hinblick auf diese langwierigen oder chronischen Erkrankungen – sowie bei unbekannten Symptomen oder als schwer klassifizierten Symptomen – ist der Hausarzt für die Patienten stets die zentrale Anlaufstelle. Dass chronische Erkrankungen die Expertenorientierten zum Arztbesuch veranlassen, zeigt das Beispiel der jungen Diabetikerin Laura Ott (27), die – während der Feldaufenthalte der Forscherin – ihre Hausärztin wegen einer Laboruntersuchung ihrer Blutwerte konsultiert. Der an einer chronischen Herzinsuffizienz leidende Adrian Capel (48) wiederum sucht seinen Hausarzt aufgrund einer EKGUntersuchung auf. Weitere Expertenorientierte werden durch eine langwierige Erkrankung zum Arztbesuch veranlasst. Die Asthmatikerin Nele Hoppe (24) leidet beispielsweise (zusätzlich) an einer Leistenerkrankung, Christa Merten (48) hat seit einigen Wochen Rückenprobleme, Nadine Schramm (60) Knieprobleme,

318

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

Natascha Jäger (66) Bluthochdruck und Frieda Pfeifer (78) langwierige Magenprobleme. Christa Merten (48) führt den Anlass ihres Arztbesuchs – zum Zeitpunkt der Feldaufenthalte – weiter aus: „[Ich habe] einen steifen Nacken und das ist jetzt die dritte Woche und jetzt muss da was gemacht werden.“ Fritz Groß (66) und Martha Kern (66) waren in jüngerer Vergangenheit bereits mehrmals wegen Symptomen, die sie nicht einordnen konnten, bei ihrem Hausarzt und warten noch auf eine abschließende Diagnose. Neben den aufgeführten Erkrankungen und Symptomen, die die Expertenorientierten während der Feldaufenthalte in die Praxis führen, nennen die Patienten in den Interviews generelle Beweggründe für den Arztbesuch, die das Argument stärken: Die Expertenorientierten konsultieren ihren Arzt bei langwierigen oder chronischen Erkrankungen bzw. unbekannten oder schwerwiegenden Symptomen. So sucht Christa Merten (48) ihren Arzt auf, „wenn wirklich gar nichts mehr geht“. Für sie bedeutet das vor allem, dass ihr Gesundheitszustand es nicht mehr zulässt, ihren beruflichen Verpflichtungen nachzukommen. Martha Kern (66) sucht ihre Hausärztin wiederum auf, „wenn es wirklich was Ernstes ist“ und wenn sie sich „sehr schlecht“ fühlt. Sie macht dies am Beispiel einer „starken Erkältung“ fest. Frieda Pfeifer (78) lässt sich nicht von ihrem Hausarzt untersuchen, wenn sie einen „einfachen Husten“ oder „Schnupfen“ hat. Erst bei einer „heftigeren Erkältung“ sucht sie den Arzt auf und lässt sich Medikamente verschreiben. Frieda Pfeifer (78) hebt noch einmal hervor, dass es die unbekannten Symptome sind, die sie dazu veranlasst, den Arzt zu konsultieren. Bei bekannten Erkrankungen, zum Beispiel bei Erkältungen, greift sie auf rezeptfreie Medikamente aus der Apotheke zurück oder kuriert die Erkältung aus, denn sie „weiß ja, was es ist“. Wenn sie die Erkrankung hingegen nicht zuordnen kann, macht sie einen Termin bei ihrem Hausarzt. Ähnlich behandelt Natascha Jäger (66) Symptome eigenständig, die sie selbst „einordnen kann“, wohingegen sie bei schwereren unbekannten Symptomen sofort ihren Hausarzt konsultiert: Wenn man Halsschmerzen hat, finde ich, da kann man auch ein bisschen länger [...] warten, finde ich für den Körper nicht so schlimm, als wenn man jetzt so rasend Kopfschmerzen hätte, [dann] würde ich eher zum Arzt gehen als mit Halsschmerzen. Sagen wir es mal so, was man selber noch ein bisschen einordnen kann, empfinde ich persönlich als nicht so schlimm. […] Ja oder wenn es jetzt so vom Kopf irgendwas ist, das finde ich so als Laie immer ganz schwierig, das einzuschätzen. Dann gehe ich eben mal eher. (Natascha Jäger (66))

Beziehungskonstruktion der Expertenorientierten

319

Die in den Interviews hervorgebrachten Begründungen der Patienten zeigen, dass ihre Expertenorientierung nicht grenzenlos ist. Bei Symptomen, die sie einer Erkrankung zuordnen können oder die sie als leicht wahrnehmen, behandeln die Expertenorientierten sich entweder eigenständig – ohne zusätzlich ärztliches Wissen zu Rate zu ziehen – oder setzen auf die Strategie der Ablenkung und des Abwartens. Dies zeigen bereits die geschilderten Äußerungen von Frieda Pfeifer (78) und Natascha Jäger (66). Auch weitere Expertenorientierte äußern die Tendenz zur Selbstbehandlung leichter und bekannter Erkrankungen in den geführten Interviews. Christa Merten (48) hält beispielsweise fest, dass sie bei Erkältungen, die für sie leichte Erkrankungen darstellen, nicht den Arzt aufsucht. Schließlich seien diese „in einer Woche […] durch und dann kann der Arzt, ehrlich gesagt, auch nicht wirklich helfen“. Für Martha Kern (66) stellen Erkältungen oder Husten ebenso leichte Erkrankungen dar, die ihrer Erfahrung nach schnell auskuriert sind und bei denen keine Notwendigkeit besteht, sich ärztlichen Rat zu suchen. Kommt es dazu, dass sich der Gesundheitszustand verschlechtert oder die Eigentherapie nicht anschlägt, wird der Hausarzt konsultiert. Dies macht die 24-jährige Nele Hoppe am Beispiel von Rückenschmerzen fest, die sie zunächst als leicht klassifiziert: Also ich bin schon jemand, der eigentlich erst [zum Arzt] geht, wenn es mir wirklich schlecht geht. […] [E]rst, wenn man alles andere probiert hat und das nicht hilft. Quasi. Beispielsweise […] [bei] Probleme[n] mit dem Rücken, dann probiert man es erst mal irgendwie mit ein bisschen Sport oder mit Schmerztabletten oder so aus, dass es vielleicht selber wieder besser wird und wenn das nicht hilft, dann würde ich erst zum Arzt gehen, beispielsweise. (Nele Hoppe (24))

Auf ähnliche Art und Weise wartet Nadine Schramm (60) bei leichten Erkrankung zunächst einmal ab, denkt sich „lass mal, geht schon“, nimmt Medikamente ein „und wenn es dann gar nicht so fruchtet, dann gehe ich eben hier zur Praxis“. Während die in Kapitel 8.1 präsentierten Unbedarften betonen, ihren Hausarzt selten zu konsultieren, unterstreichen vor allem die chronischen Patienten unter den Expertenorientierten die Regelmäßigkeit der Arzt-Patient-Begegnungen. So nehmen einige Expertenorientierten an sogenannten ‚Disease-Management-Programmen‘ (DMP) der Hausarztpraxen teil, das regelmäßige Termine mitein-

320

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

schließt. Exemplarisch hält Nele Hoppe (24) fest: „Ich bin ja allgemein auch sowieso alle drei Monate hier, wegen diesem DMP-Asthma-Programm, dass ich schon sehr oft hier bin und zwischendurch ist man auch oft mal hier.“ Im Zuge ihrer chronischen oder langwierigen Erkrankungen ist der Hausarzt die zentrale Anlaufstelle der Expertenorientierten. Wichtigster Ansprechpartner ist der Hausarzt zudem, wenn die Patienten unbekannte oder schwerwiegende Symptome erleben. Ergänzt wird das über den Hausarzt erworbene Wissen durch Personen aus dem interpersonalen Kommunikationsrepertoire der Expertenorientierten. Die Expertenorientierten tauschen sich rege mit ihrem sozialen Umfeld über gesundheitliche Themen aus. Zu den Personen aus dem sozialen Umfeld gehören Bekannte, Freunde und Familienmitglieder. Die Thematisierung und Wissenskonstruktion innerhalb des sozialen Umfelds beschreibt die 48-jährige Patientin Christa Merten. Sie führt den gestiegenen Bedarf, sich über gesundheitliche Fragen im persönlichen Umfeld auszutauschen, auf die mit dem fortschreitenden Alter einhergehenden „Wehwehchen“ zurück: [I]ch sag mal, ehrlich gesagt, in meinem Alter dann, mit Kollegen und Kolleginnen, da hat ja jeder mal so ein Wehwehchen. Das ist einfach mal und ich sag mal, Thema irgendwie Gesundheit und Krankheit, das ist echt, in jungen Jahren hätte man nie gedacht, dass das mal ein Thema wird, aber man kommt da so langsam hin. (Christa Merten (48))

Bei einigen Expertenorientierten besitzen Freunde, Bekannte oder Familienmitglieder der Patienten einen medizinischen Hintergrund. Dies ist bei Adrian Capel (48), Fritz Groß (66) und Martha Kern (66) der Fall. Die Fachleute aus dem privaten Umfeld der Patienten unterstützen die Expertenorientierten mitunter therapeutisch. Martha Kern berichtet beispielsweise von ihrer Tochter, die Physiotherapeutin ist und sie gelegentlich „durchknetet“: [M]eine Tochter ist Physiotherapeutin, wenn ich dann mal irgendwas habe, das mir was weh tut, dann knetet die mich mal durch. […] Ja, aber die tut einem auch manchmal weh, dann sagt sie so „Oh Mama, ich kann das selber nicht [leiden], aber ich muss das jetzt machen“. Ich hatte oft oben so [Verspannungen im Bereich der] Brustwirbel auch so, dann geht die ja richtig an die Schmerzpunkte dran. (Martha Kern (66))

Beziehungskonstruktion der Expertenorientierten

321

Offene Kommunikation im direkten Arzt-Patient-Gespräch Bis zu diesem Punkt wurde argumentiert, dass der Hausarzt grundsätzlich der zentrale Ansprechpartner der Expertenorientierten in gesundheitlichen Fragen ist. Die Beziehungskonstruktion der Expertenorientierten vollzieht sich primär im direkten Gespräch mit dem Hausarzt, in dem die Patienten offen kommunizieren. In der direkten Begegnung überlassen die Expertenorientierten dem Hausarzt die Führungsrolle und leisten seinen Anweisungen während der körperlichen Untersuchung Folge. Zu der Führungsrolle des Hausarztes gehört es aus Sicht der Patienten, dass der Mediziner durch die Sprechstunde leitet, indem er Fragen stellt und Anweisungen gibt. Zugleich ist der Hausarzt aus der Perspektive der Patienten ein interessierter Zuhörer, der ihnen Raum und Zeit gibt und eine vertrauensvolle Atmosphäre schafft, in der sich die Patienten öffnen können. In den Sprechstunden ließ sich beobachten, dass die Expertenorientierten ihr Befinden ausführlich schildern und bereitwillig darüber berichten, was sie beschäftigt und wie sie ihre Krankheit im Alltag erleben. Sie offenbaren Gefühle und stellen bei Nichtverstehen Fragen und Rückfragen, wie etwa Laura Ott (27) und Fritz Groß (66) auch in den Interviews betonen. Zum Teil tauschen sich die Expertenorientierten über private Belange mit ihrem Hausarzt aus. Dementsprechend schildern Nele Hoppe (24), Mia Hesse (37), Laura Ott (27), Natascha Jäger (66) und Adrian Capel (48), dass sie stets mit allen Belangen zu ihrem Hausarzt kommen können, selbst wenn es nicht unmittelbar um eine Erkrankung geht. Aus Sicht der Expertenorientierten ist der Hausarzt nicht nur zu jedem Thema, sondern auch – in zeitlicher Hinsicht – in jeder Situation ihr wichtigster Ansprechpartner. Nele Hoppe (24) unterstreicht exemplarisch, dass ihre Ärztin „immer ansprechbar“ sei. Diesen Eindruck teilt auch Martha Kern (66), wenn sie feststellt, dass ihr Hausarzt „immer für einen da [ist]“. Die offene Kommunikation trägt dazu bei, dass der Arzt viel vom Patienten erfährt, worauf er in seiner Diagnose und seinen Ausführungen zur Behandlung aufbauen kann – dadurch lernt der Patient wiederum mehr über sich und seine Krankheit. Ein weiteres Charakteristikum der offenen Kommunikation der Expertenorientierten im direkten Gespräch mit ihrem Hausarzt liegt darin, dass sie sich aktiv an der Entscheidungsfindung für die geeignete Behandlung beteiligen. Die Patienten geben Einblicke in bisherige Erfahrungen mit Medikamenten oder äußern Medikations- oder Therapiewünsche. So einigen sie sich zum Beispiel gemeinsam mit ihrem Hausarzt auf die Länge der Arbeitsunfähigkeit. Schließlich

322

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

betonen die Expertenorientierten die Einzigartigkeit der Beziehung zu ihrem Hausarzt. Die enge Bindung zu ihrem Hausarzt führt mitunter dazu, dass die Expertenorientierten „zu niemand anderes [möchten], also das ist schon meine Ärztin“, wie Martha Kern (66) äußert. Auch Fritz Groß schließt: „Das ist mein DoktorTeam hier.“ Marginale Medienaneignung Die herausgehobene Bedeutung des Hausarztes in gesundheitlichen Fragen wird dadurch unterstrichen, dass Medien im Prozess der Beziehungskonstruktion keine wesentliche Rolle spielen. Demgemäß ist die Medienaneignung der Expertenorientierten marginal. Das gesundheitsbezogene Medienrepertoire der Patienten ist nicht weiter ausdifferenziert und die mediale Aneignung von beziehungsrelevantem Wissen findet nur in vereinzelten Ausnahmesituationen statt. 122 Folgende Beispiele veranschaulichen die marginale Medienaneignung der Expertenorientierten: So geben Laura Ott (27), Christa Merten (48), Natascha Jäger (66) und Frieda Pfeifer (78) an, in Ausnahmesituationen lediglich beiläufig eine Fernsehsendung, eine Zeitschrift oder eine Informations-Website mit Gesundheitsbezug rezipiert zu haben. Die mediale Aneignung gesundheitsbezogenen Wissens fand in diesen Ausnahmesituationen weder gezielt noch in einem Zusammenhang zu erlebten Symptomen oder einer diagnostizierten Erkrankung statt. Fritz Groß (66) berichtet davon, dass er sich über Medien in einzelnen Ausnahmesituationen zur menschlichen Anatomie informiert habe. Die Expertenorientierten äußern, dass sie sich, neben gesundheitsbezogenem Wissen, vereinzelt hausarztbezogenes Wissen mittels Medien angeeignet haben, um beispielsweise vor der ersten Begegnung mit ihrem Hausarzt einen ersten Eindruck ihres künftigen Arztes zu erhalten. Hierfür besuchte zum Beispiel Christa Merten (48) die Website des Hausarztes. Natascha Jäger (66) wiederum stieß einmal beiläufig auf ein Arztbewertungsportal, auf dem Informationen zu ihrem Hausarzt veröffentlicht wurden. Ferner hat die Rezeption von hausarztbezogenem Wissen über Social-Media-Plattformen für

122

Ausschließlich im Zuge einer Medienaneignung für andere geben die Expertenorientierten an, ein breiteres Spektrum an Medienangeboten zu nutzen. Dies gilt für Natascha Jäger (66), Mia Hesse (37) und Laura Ott (27). Diese Patientinnen haben die Zusatzrolle der ‚Fürsorglich Mitgestaltenden‘ inne, die in Kapitel 8.6 ausführlich beschrieben wird.

Beziehungskonstruktion der Expertenorientierten

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die Expertenorientierten Ausnahmecharakter. Das Social-Media-Profil der Hausarztpraxis wurde zwar von zwei Expertenorientierten abonniert – von Nele Hoppe (24) und Natascha Jäger (66) –, sie rezipieren die Neuigkeiten jedoch nur beiläufig. Die Expertenorientierten begründen ihre marginale Aneignung gesundheitsbezogener Medienangebote ausdrücklich mit Bezug auf ihren Hausarzt, da dieser für die Patienten die erste Adresse in gesundheitsbezogenen Fragen ist. Bei ihrem Hausarzt fühlen sich die Expertenorientierten „gut aufgehoben“ und ausreichend versorgt. Demgemäß äußert beispielsweise die 66-jährige Martha Kern, dass sie ihren Hausarzt im Zuge einer von ihr als schwer oder langwierig wahrgenommenen Erkrankung aufsucht. Der Rückgriff auf Medienangebote zur Informationsrecherche in einer solchen Situation kommt für Martha Kern nicht infrage. Ähnlich hält Christa Merten (48) fest: „Nee, das ist einfach so, ehrlich gesagt, so, was ich jetzt persönlich so an Krankheiten hab, das ist so, da fühl ich mich hier, ehrlich gesagt, gut aufgehoben.“ 123 Die Patienten ziehen ihren Hausarzt gesundheitsbezogenen Medienangeboten vor, da dieser die Patienten, ihre Lebenssituation und ihr Umfeld kennt und darauf aufbauend sein Wissen fallspezifisch anwendet. So konstatiert Mia Hesse (37): „Dann lieber meinen Hausarzt. […] Weil er die ganze Geschichte kennt.“ Adrian Capel (48) führt diesen Gedanken fort, indem er feststellt: „Also noch beherrscht ja das Internet noch nicht so individuelle […] Hilfeleistungen.“ Der Arzt ist ein Referenzpunkt für die Begründung der marginalen Medienaneignung. Dies zeigt sich auch in dem Argument der Patienten, dass in Medienangeboten kaum Experten zu Wort kommen. Dieser Begründungszusammenhang lässt sich besonders deutlich bei zwei Extremfällen beobachten: Adrian Capel (48) und Natascha Jäger (66) stellen in den Interviews ihren grundsätzlichen Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit gesundheitsbezogener Medienangebote in den Vordergrund. Die beiden Expertenorientierten kontrastieren die Vertrauenswürdig-

123

Ihre marginale Medienaneignung begründen die Expertenorientierten nicht nur damit, dass sie durch den Hausarzt ausreichend in gesundheitlichen Belangen versorgt sind, sondern auch damit, dass zu ihrem interpersonalen gesundheitsbezogenen Kommunikationsrepertoire Personen gehören, die einen medizinischen Beruf ausüben. Demgemäß betont beispielsweise Fritz Groß (66): „Ich bin ja in Fachkreisen mit Frau und Tochter [die beide als MFA arbeiten] […] da muss ich da nicht ins Netz gehen.“

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Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

keit der Medien mit der Vertrauenswürdigkeit des Hausarztes. Sie machen das Defizit der fehlenden medialen Expertenpräsenz insbesondere am Beispiel gesundheitsbezogener Online-Angebote fest. So erläutert Adrian Capel (48): Das sind ja nicht Ärzte oder so, die das reinschreiben. Grad, wenn ich google, dann geh ich in ein Forum rein oder sonst irgendwo und […] wer schreibt da rein? Patienten! Da schreibt kein Arzt irgendwas, nein, es schreiben immer nur Patienten rein und […] ein Patient ist kein Arzt. […] [I]ch bin auch kein Autoschlosser, also ich kann auch nicht irgendwie eine Ursache von einem Auto, was weiß ich, urteilen und festlegen und trallala, das geht nicht, funktioniert nicht. (Adrian Capel (48))

Natascha Jäger (66) bekräftigt in ihrer Schilderung, die Vielfalt der online verfügbaren Informationen führe zu einer großen Unübersichtlichkeit und dass es ihr schwerfalle, zwischen den zahlreichen Marketing-Informationen von Krankenhäusern und unzähligen Laien-Äußerungen verlässliche Informationen von Ärzten zu finden. Weil, ich finde es ist so vielseitig und dann weiß ich auch nie genau wo ich bin […], ob das jetzt nur so ein Forum ist, wo irgendwie andere Patienten drin sind. […] [I]ch finde das immer ganz schwierig, sehr unübersichtlich. Dass man wirklich nur reine Ärzteberichte kriegt, das meiste ist immer irgendwas über Krankenhäuser oder irgendwer, die das auch anbieten, diese OPs oder so. […] [W]enn ich jetzt zum Beispiel so eine Krankheit eingebe oder Inkontinenz und OPs oder so, dann kommen zig Krankenhäuser, die das anbieten und zig Institute oder so, so mein ich. Und bis ich dann mal das Richtige finde, ist es für mich immer recht anstrengend […] und ich finde es auch wirklich nicht immer. (Natascha Jäger (66))

Schließlich begründen die Expertenorientierten ihre marginale Medienaneignung damit, dass sie sich durch ihren Hausarzt dazu veranlasst sehen, gesundheitsbezogene Medienangebote nicht umfangreicher in ihren Alltag zu integrieren. Nele Hoppe (24) beschreibt etwa, dass sie in der Vergangenheit häufig gesundheitsbezogene Medienangebote im Zuge ihrer chronischen Erkrankung genutzt habe. Die Rechercheergebnisse habe sie ihrem Hausarzt rückgekoppelt, der diese als Fehlinformationen eingestuft habe. Ihrem Hausarzt Vertrauen und Glauben schenkend hat sie sich daraufhin entschieden, im Hinblick auf Erkrankungen keine gesundheitsbezogenen Medien mehr zum Wissenserwerb zu nutzen:

Beziehungskonstruktion der Eingeschränkt Interessierten

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Also, weiß nicht, dann sagt man der Ärztin beispielsweise „Ich habe das und das im Internet gelesen“ und dann sagen die Ärzte, das stimmt überhaupt nicht und das hatte ich wohl öfter schon mal, dass man wirklich was gelesen hat und das dann […] auch die Hausärztin gefragt habe und die [hat gesagt,] das würde so überhaupt nicht stimmen. Deshalb gucke ich jetzt nicht mehr unbedingt so im Internet. […] Und seitdem ist Google tabu. (Nele Hoppe (24))

Die Expertenorientierung der Patienten führt insgesamt dazu, dass ihnen Medien im Kontrast zum Hausarzt „unwichtig“ (z. B. Laura Ott (27)) oder „völlig nebensächlich“ (Mia Hesse (37)) erscheinen. Schwache mediale Prägung der Beziehungskonstruktion Für die Expertenorientierten, die allesamt von langwierigen oder chronischen Erkrankungen betroffen sind, lässt sich resümieren, dass Gesundheit und Krankheit durchaus Themen sind, mit denen sie sich im Alltag beschäftigen. Dies drückt sich im regen Austausch über gesundheitliche Themen mit Personen aus dem sozialen Umfeld aus. Der zentrale Ansprechpartner in Bezug auf ihre langwierigen oder chronischen Erkrankungen sowie unbekannte oder schwerwiegende Symptome stellt der Hausarzt dar. Er ist der Referenzpunkt der Expertenorientierten, wenn sie ihre marginale Medienaneignung begründen. Gesundheitsbezogene Medienangebote spielen für die Expertenorientierten eine untergeordnete Rolle, was dazu führt, dass die kommunikative Konstruktion der Beziehung zu ihrem Hausarzt vorwiegend im direkten Gespräch der Beziehungspartner erfolgt und nur geringfügig medial geprägt wird.

8.3

Beziehungskonstruktion der Eingeschränkt Interessierten

Charakteristisch für die Beziehungskonstruktion der Eingeschränkt Interessierten ist, dass sie im direkten Gespräch mit ihrem Hausarzt offen kommunizieren und dass sie gesundheitsbezogene Medienangebote zwar regelhaft, aber fokussiert auf einzelne Situationen oder den Themenkomplex ‚Sport, Bewegung und Ernährung‘ in den Prozess der Beziehungskonstruktion integrieren. Anhand ihrer Medienan-

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Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

eignung lassen sich die Eingeschränkt Interessierten in drei Subtypen unterscheiden – erstens die Vorbereitenden, zweitens die Nachbereitenden und drittens die Präventiven. Die Vorbereitenden eignen sich gesundheitsbezogene Medienangebote bei unbekannten, schwerwiegenden oder langwierig anhaltenden Symptomen im Vorfeld eines Arztbesuchs an, um sich auf die Begegnung mit ihrem Hausarzt vorzubereiten und um ihren Arzt in der Konsultation besser unterstützen zu können. Die Nachbereitenden komplettieren infolge eines Arztbesuchs das im Gespräch gewonnene Wissen zu diagnostizierten Erkrankungen. Sie tun dies, um die diagnostizierte Erkrankung besser zu verstehen und um besser damit umgehen zu können. Die Präventiven wiederum eignen sich gesundheitsbezogene Medienangebote an, um Krankheiten vorzubeugen und ihre Gesundheit zu fördern. Gesundheit und Krankheit gehören nicht zu den Themen, die Eingeschränkt Interessierte umfangreicher (medial) beschäftigen oder die sie mit ihrem sozialen Umfeld besprechen. Im Datenmaterial der Studie finden sich insgesamt 19 Patienten, die die Charakteristika der Eingeschränkt Interessierten vorweisen. Die beiden Subtypen der Vorbereitendenden und der Präventiven sind mit jeweils vier Patienten vertreten. Die größte Gruppe der Eingeschränkt Interessierten stellen im Datenmaterial – mit elf Patienten – die Nachbereitenden dar. Lebensphase, Gesundheitszustand und interpersonales Kommunikationsrepertoire Dem Typ der Eingeschränkt Interessierten gehören hauptsächlich Erwachsene mittleren Alters an (vgl. Abb. 13). In jedem der drei Subtypen der Eingeschränkt Interessierten lassen sich Patienten in dieser Lebensphase finden, also zwischen 30 und 50 Jahren. Dies sind beispielsweise die 32-jährige Lucy Jacobs, der 45-jährige Justus Breuer und der 50-jährige Alexander Fluchs. Zu den Nachbereitenden zählen zusätzlich ältere Erwachsene – die 53-jährige Fanny Bauer und die Rentnerin Lena Götz, die gerade 72 Jahre alt geworden ist. Auch bei den Vorbereitenden ist mit Anne Eilers (55) eine ältere Erwachsene vertreten, mit Joshua Adam (26) zudem ein junger Erwachsener. Bei den Präventiven finden sich ebenso junge Erwachsene – die 18-jährige Chloe Wagner und der 29-jährige Jörg Zeigler. Mit Ausnahme der Schülerin Chloe Wagner (18) und der vitalen Rentnerin Lena Götz (72) kommen die Eingeschränkt Interessierten allesamt beruflichen und zum Teil familiären Verpflichtungen nach.

Beziehungskonstruktion der Eingeschränkt Interessierten

327

Die jungen Eingeschränkt Interessierten •

Chloe Wagner (18) - Präventive



Joshua Adam (26) - Vorbereitender



Jörg Zeigler (29) - Präventiver

Die mittelalten Eingeschränkt Interessierten •

Lucy Jakobs (32) - Nachbereitende



Nora Nowak (33) - Vorbereitende



Niklas Fröhlich (36) - Präventiver



Jutta Hall (37) - Nachbereitende



Anton Achtermann (39) - Nachbereitender



Justus Breuer (45) - Vorbereitender



Nikola Nagel (47) - Nachbereitende



Frederike Neumann (47) - Nachbereitende



Frank Thiele (48) - Nachbereitender



Fabian Wolf (48) - Nachbereitender



Nico Riedel (49) - Nachbereitender



Alexander Fluchs (50) - Nachbereitender



Jonathan Reichert (50) - Präventiver

Die älteren Eingeschränkt Interessierten •

Fanny Bauer (53) - Nachbereitende



Anne Eilers (55) - Vorbereitende



Lena Götz (72) - Nachbereitende

Abb. 13:

Patienten des Typs der ‚Eingeschränkt Interessierten‘ (eigene Darstellung)

Der Gesundheitszustand der Eingeschränkt Interessierten weist eine relativ große Varianz auf. Einige Patienten sind von Akuterkrankungen betroffen. Sie konsultieren ihren Hausarzt während der Feldaufenthalte aufgrund einer starken Erkältung oder einer Grippe (zum Beispiel Chloe Wagner (18), Frederike Neumann (47), Nico Riedel (49) und Fanny Bauer (53)). Aus Sicht der Eingeschränkt Interessierte handelt es sich bei diesen Akuterkrankungen um gravierende Beschwerden, da es den Patienten „richtig schlecht“ geht, wie Frank Thiele (48) seinen aktuellen Gesundheitszustand umschreibt. Neben den Akuterkrankungen leiden andere Eingeschränkt Interessierte an langwierigen und/oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sie zum Arztbesuch veranlassen. So ist beispielsweise Nikola Nagel (47) von Rückenschmerzen betroffen, die nun „schon vierzehn Tage“ anhalten.

328

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

Joshua Adam (26) und Jonathan Reichert (50) haben zum Zeitpunkt der Feldaufenthalte seit einiger Zeit mit Knieproblemen zu kämpfen. Anton Achtermann (39) hat schon seit Längerem eine Darmerkrankung. Die 72-jährige Lena Götz leidet unter einer Blutarmut, die bei ihr seit einer Weile Kopfschmerzen und Erschöpfungszustände verursacht. Ferner gehören Patienten mit chronischen Erkrankungen zu den Eingeschränkt Interessierten. Dazu zählen die Diabetikerin Anne Eilers (55) und der 48-jährige Fabian Wolf, der an einer koronaren Herzerkrankung und einer Gallenerkrankung leidet. Schließlich sucht zumindest ein Teil der Eingeschränkt Interessierten den Hausarzt auch zu Vorsorgeuntersuchungen bzw. Check-ups auf, ohne gegenwärtig von gesundheitlichen Problemen betroffen zu sein. So ist der 29-jährige Jörg Zeigler zur Vorsorge in der Praxis. Für die Eingeschränkt Interessierten gilt insgesamt (das verbindet sie im Übrigen mit den Expertenorientierten, die in Kapitel 8.2 vorgestellt wurden): Der Hausarzt stellt beim Auftreten von Symptomen, die sie als unbekannt, schwerwiegend oder langwierig klassifizieren, ihre erste Anlaufstelle dar. Exemplarisch beschreibt Johannes Reichert (50) seinen Gesundheitszustand, der ihn zur Arztkonsultation bewegt hat, wie nachstehend: Also, wenn man das in einer Skala einteilen würde, wie Schulnoten oder sowas, dann würde ich erst bei Eins ‒ starke Schmerzen oder hoher Bedarf [‒ dann] würde ich erst bei Zwei zum Arzt gehen. […] Also es muss schon wirklich kurz vor Exitus sein. (Johannes Reichert (50))

Die Eingeschränkt Interessierten machen die Notwendigkeit des Arztbesuchs auch davon abhängig, ob sie sich in der Lage sehen, ihren beruflichen Verpflichtungen nachzugehen. Fast alle Eingeschränkt Interessierten, die zum Großteil berufstätige Erwachsene sind, artikulieren diesen Zusammenhang zwischen beruflichen Verpflichtungen und der Notwendigkeit eines Arztbesuchs – ausgenommen davon sind die Schülerin Chloe und die Rentnerin Lena Götz. So erzählt beispielsweise Frank Thiele (48), dass er einen Hexenschuss hatte und es sich als großes Problem herausstellte, seinem Beruf als Dachdecker nachzugehen. Er berichtet, „nicht irgendwie auf dem Dach rumkrebsen“ zu können und deshalb den Arzt aufsuchen zu müssen. Ähnlich erklärt Niklas Fröhlich (36), dass er stets „erst mal versuch[t], arbeiten zu gehen“. Erst wenn sich im Tagesverlauf herausstellt, dass es „nicht mehr geht“, dann verlässt er seinen Arbeitsplatz und vereinbart einen

Beziehungskonstruktion der Eingeschränkt Interessierten

329

Termin bei seinem Hausarzt. In Situationen, in denen die Eingeschränkt Interessierten ihrer Arbeit nicht mehr nachkommen können, unternehmen sie keine Versuche, sich selbst zu behandeln. Anders verhält es sich bei Erkrankungen oder Symptomen, die als bekannt oder leicht eingestuft werden. Für Nikola Nagel (47) bieten beispielsweise „kleinere Sachen“, wie Kopfschmerzen, keinen Grund für einen Arztbesuch. Frank Thiele (48) findet – ebenso wie Fabian Wolf (48) und Chloe Wagner (18) – Husten und Schnupfen nicht weiter „tragisch“, weshalb er seinen Arzt bei diesen Krankheiten nicht konsultiert und „nicht bei jedem Schnupfen gleich los[rennt]“. Auch Jörg Zeigler (29) gibt an, „nicht wegen jedem kleinen Furz zum Arzt“ zu gehen. Treten Symptome und Erkrankungen auf, die von den Eingeschränkt Interessierten als leicht und bekannt klassifiziert werden, versuchen die Patienten, diese mit Hausmitteln und Medikamenten aus der Apotheke eigenständig zu therapieren oder sie warten ab, bis eine Besserung eintritt. Dementsprechend setzt beispielsweise Jörg Zeigler (29) bei leichten oder bekannten Erkrankungen auf die „Selbstheilungskräfte des Körpers“. Auf die Strategie des Abwartens setzt auch Lena Götz (72) und erklärt: „Wenn es nicht schlimm ist, dann warte ich erst, ob es nicht besser wird. […] Ich gehe nicht sofort zum Arzt, da werde ich verrückt. […] Nee, da warte ich lieber erst ab.“ Ebenso wartet Chloe Wagner (18) „erstmal so zwei, drei Tage [ab] und guck[t], ob es dann irgendwie besser wird“. Darüber hinaus setzt Chloe auf Hausmittel und „[t]rink[t] Tee oder […] heiße Milch mit Honig oder so“. Zudem nutzen die Eingeschränkt Interessierten für eine erste Eigentherapie bekannte Medikamente aus der Hausapotheke oder der Apotheke. So erzählt Nikola Nagel exemplarisch, wie sie bei „kleineren Sachen“ Medikamente aus ihrer Hausapotheke einsetzt: Als Erstes guckt man, so „Was hat man in der Hausapotheke?“. Wir haben eine relativ kleine Hausapotheke, da ist was gegen Kopfschmerzen, also ein Schmerzmittel ist da immer drin, da kann man ja schon ziemlich viel mit abdecken und vielleicht noch ein Durchfallmittel und sonst noch irgendwie was für den Magen. (Nikola Nagel (47))

Erst wenn Maßnahmen zur Eigentherapie scheitern und sich keine Besserung durch das Abwarten abzeichnet, vereinbaren die Eingeschränkt Interessierten im Zuge von leichten und bekannten Erkrankungen einen Arzttermin. Die Eingeschränkt Interessierten nutzen Medien ausschließlich zum Thema Prävention

330

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

bzw. zur ergänzenden Vor- oder Nachbereitung eines Arztbesuchs. Zur Unterstützung der Selbstbehandlung von leichten Erkrankungen, die keinen Arztbesuch veranlassen, greifen die Eingeschränkt Interessierten nicht auf gesundheitsbezogene Medienangebote zurück. Wenngleich die Eingeschränkt Interessierten zum Teil von chronischen oder langwierigen Erkrankungen betroffen sind, spielen die Themen Gesundheit und Krankheit eine untergeordnete Rolle in alltäglichen Gesprächen mit Personen aus dem sozialen Umfeld. So gilt für die Eingeschränkt Interessierten, dass der Hausarzt die erste Adresse in gesundheitlichen Fragen ist und dass sie höchstens in vereinzelten Ausnahmesituationen gesundheitsbezogenes oder fach- und hausarztbezogenes Wissen über weitere Personen ihres interpersonalen Kommunikationsrepertoires generieren. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Eingeschränkt Interessierten von den in Kapitel 8.2 beschriebenen Expertenorientierten, bei denen die Themen Gesundheit und Krankheit fest in den Alltag und alltägliche Gespräche integriert sind. Die Aneignung von beziehungsrelevantem Wissen über das interpersonale Kommunikationsrepertoire der Eingeschränkt Interessierten geschieht höchstens punktuell. Bei einem Großteil der Nachbereitenden und Präventiven begrenzt sich das Wissen, das sie sich über Freunde, Bekannte oder Familienmitglieder aneignen, auf Empfehlungen für Fach- und Hausärzte. Bei den Präventiven trifft dies beispielsweise auf die 18-jährige Chloe Winter zu. Von einer Betreuerin in der Schule wurde ihr eine Gynäkologin empfohlen. Ebenso fand Chloe den Weg zu ihrer Hausärztin mithilfe ihres interpersonalen Kommunikationsrepertoires. Ihre Mutter sorgte dafür, dass die gesamte Familie zum Patientenstamm der Hausarztpraxis gehört. So schildert Chloe: [Meine Mutter] war als Erstes hier und die hatte halt auch von Freunden oder so die Praxis empfohlen bekommen und die meinten alle „ist super da und superfreundlich, supernett und halt auch kompetent“ und dann meinte Mama so „Ja, okay, komm“, jetzt geht die ganze Familie dahin. (Chloe Winter (18))

Neben den Präventiven bezieht ein Teil der Nachbereitenden fach- und hausarztbezogenes Wissen über ihr soziales Umfeld. Eine Aktivierung des interpersonalen Kommunikationsrepertoires findet vor allem dann statt, wenn eine ärztliche Diagnose feststeht und die weitere Behandlung von einem Facharzt vorgenommen werden soll. So wurde beispielsweise Lucy Jakobs (32) durch die Einschätzung ih-

Beziehungskonstruktion der Eingeschränkt Interessierten

331

rer Schwester dabei unterstützt, sich für einen bestimmten Facharzt zu entscheiden. Eine Empfehlung für einen Arzt hat gleichermaßen Fanny Bauer (53) von Bekannten erhalten: „Weil ich […] was Spezielles gesucht hab […]. [I]ch habe bei Bekannten gefragt und die haben gesagt ‚Geh mal zu dem‘ oder ‚Geh mal zu dem‘ und den habe ich dann auch genommen.“ Eine weitere Nachbereitende, Lena Götz (72), holt sich Empfehlungen für Ärzte im Hinblick auf schwere oder langwierige Erkrankungen aus dem Bekannten- und Freundeskreis, zu dem auch Ärzte zählen. Sie führt aus: [M]an unterhält sich ja. „Wo bist du denn hier in Stadt A, bei welchem Arzt bist du, wo gehst du hin“ oder so. [I]m Freundeskreis […] und ich spiele sonst Golf und da gibt es genug Ärzte, die Golf spielen. Und jeder weiß da was, brauchst nur fragen. Es gibt ja auch Spezialisten, so wie Orthopäden und dann ist es immer [gut, nachzufragen, denn oft ist] das so speziell […] [die Erkrankung]. (Lena Götz (72))

Über das fach- und hausarztbezogene Wissen hinaus, das im Zuge des – ohnehin auf Ausnahmesituationen beschränkten – interpersonalen Austauschs der Eingeschränkt Interessierten generiert wird, eignen sich die Präventiven und die Nachbereitenden punktuell gesundheitsbezogenes Wissen an. Bei den Präventiven werden – zusätzlich zum fach- und hausarztbezogenen Wissen – auch die Themen Bewegung, Sport und Ernährung mit dem sozialen Umfeld diskutiert. Die an Prävention interessierte Chloe Winter (18) tauscht sich beispielsweise mit ihren Freunden beim Sport nach dem Training über Erfahrungen mit Muskelkater sowie Ernährungstipps aus. Der punktuelle Austausch zeigt sich bei den Nachbereitenden am Beispiel des 50-jährigen Alexander Fluchs. Er tauscht sich infolge eines Arztbesuchs, bei dem eine schwerwiegende Erkrankung diagnostiziert wurde, ausschließlich mit Personen aus, von denen er weiß, dass diese die jeweilige Erkrankung ebenfalls haben: „[A]lso wenn man weiß ‚Ah ja, der hat etwas Ähnliches gehabt‘, dann fragst du halt mal ‚Wie sind deine Erfahrungen?‘“ (Alexander Fluchs (50)). Während sich die Präventiven und die Nachbereitenden zumindest in Ausnahmesituationen über arzt- oder gesundheitsbezogene Themen mit Personen aus ihrem interpersonalen Kommunikationsrepertoire austauschen, können die Vorbereitenden keine Situationen benennen, in denen sie sich über Personen ihres sozialen Umfelds gesundheits- oder hausarztbezogenes Wissen aneignen. Beim Subtyp der Vorbereitenden der Eingeschränkt Interessierten wird die begrenzte

332

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

Rolle des gesundheitsbezogenen interpersonalen Kommunikationsrepertoires am deutlichsten. Offene Kommunikation im direkten Arzt-Patient-Gespräch Während der Austausch über die Themen Gesundheit und Krankheit im Rahmen alltäglicher Gespräche mit Personen aus dem interpersonalen Kommunikationsrepertoire der Eingeschränkt Interessierten keine wesentliche Rolle spielt, gewinnen diese Themen situativ an Bedeutung, wenn die Patienten von unbekannten, langanhaltenden oder schwerwiegenden Symptomen betroffen sind. Dann wird der Hausarzt konsultiert – als zentrale Bezugsquelle gesundheitsbezogenen Wissens. Die Beziehungskonstruktion der Eingeschränkt Interessierten ist durch ihre offene Kommunikation im direkten Gespräch mit dem Hausarzt charakterisiert. Ihrem Hausarzt überlassen die Eingeschränkt Interessierten während des Arzt-Patient-Gesprächs die Rolle des Gesprächsleiters. Dies zeigt sich daran, dass der Arzt anhand von Fragen und Anweisungen durch das Gespräch und die körperliche Untersuchung leitet. Die Patienten schenken dem Arzt vor allem aufgrund dessen fachlicher Kompetenz Vertrauen und folgen dessen Anweisungen während der körperlichen Untersuchung, ohne dabei umfangreiche Rückfragen zu stellen. Die offene Kommunikation ist darüber hinaus dadurch charakterisiert, dass die Patienten ihr Befinden ausführlich schildern. So geben beispielsweise Joshua Adam (26) und Justus Breuer (45) ihrem Hausarzt Einblicke in die Entstehungskontexte ihrer Erkrankungen. Nikola Nagel (47) und Fabian Wolf (48) teilen mit dem Arzt die bisherigen Erfahrungen, die sie mit der Behandlung bei anderen Ärzten gemacht haben. Darüber hinaus liefern die Eingeschränkt Interessierten ergänzende Kontextinformationen. Joshua Adam (26) berichtet beispielsweise davon, wie ihn die gesundheitlichen Probleme, die ihn zum Arztbesuch veranlasst haben, im Alltag einschränken. Er erzählt, dass ihn seine langanhaltenden Kniebeschwerden sowohl in seinem handwerklichen Beruf als auch in der Ausübung seiner sportlichen Hobbys beeinträchtigen. Aktuelle Probleme aus dem familiären Umfeld bespricht Frederike Neumann (47) mit ihrer Hausärztin. Ihre Ausführungen sind tränenreich und illustrieren die Haltung der Eingeschränkt Interessierten, die keine Scheu haben, ihre Gefühle, Bedenken und Sorgen zu offenbaren. Einen besonders großen Stellenwert haben ergänzende Kontextinformationen für die Präventiven.

Beziehungskonstruktion der Eingeschränkt Interessierten

333

Die Patienten dieses Subtyps tauschen sich allesamt im Gespräch mit ihrem Hausarzt verstärkt über die Themen Bewegung, Sport und Ernährung aus – obwohl diese Themen nicht der Anlass ihres Arztbesuchs sind. Jonathan Reichert (50), der seinen Hausarzt wegen einer Knieverletzung aufgesucht hat, berichtet diesem ungefragt davon, wie wichtig ihm die sportlichen Aktivitäten sind, die er – trotz seiner Knieverletzung – ausüben kann. Niklas Fröhlich (36) konsultiert aufgrund von Rückenschmerzen seine Hausärztin und schildert ihr dennoch ausführlich die positiven Auswirkungen seiner Ernährungsumstellung. Jörg Zeigler (29) unterhält sich mit seinem Arzt über sein wöchentlich absolviertes Trainingsprogramm. Auch Chloe Wagner (18) greift ihre sportlichen Aktivitäten im Arztgespräch auf, indem sie von den jüngsten Erlebnissen mit ihrer Volleyballmannschaft berichtet. Ein weiteres Charakteristikum der offenen Kommunikation der Eingeschränkt Interessierten ist, dass die Patienten sich aktiv an der Wahl der geeigneten Behandlung, der Therapie oder Medikation, beteiligen. Beispielsweise verhandelt Niklas Fröhlich (36) die Länge seiner Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, Justus Breuer (45) diskutiert über Medikationsalternativen. Fokussierte Medienaneignung Kennzeichnend für die Beziehungskonstruktion der Eingeschränkt Interessierten ist neben der offenen Kommunikation im direkten Gespräch die fokussierte gesundheitsbezogene Medienaneignung durch die Patienten. Die Eingeschränkt Interessierten integrieren gesundheitsbezogene Medienangebote wiederkehrend, aber stets bezogen auf einzelne Situationen – im Vorfeld oder infolge eines Arztbesuchs – oder bezogen auf den Themenkomplex Bewegung, Sport und Ernährung in ihren Alltag. Die mediale Wissensaneignung trägt grundsätzlich zur Erweiterung des Wissensvorrats der Patienten bei und dient entweder der Vorbereitung auf das Arztgespräch (bei den Vorbereitenden) oder der Komplettierung des im Arztgespräch gewonnenen Wissens (bei den Nachbereitenden). Auch zur Generierung von Wissen zu den Themen Bewegung, Sport und Ernährung (bei den Präventiven) werden gesundheitsbezogene Medienangebote genutzt. Während die mediale Aneignung von hausarztbezogenem Wissen sich insbesondere auf die Recherche von Kontaktinformationen beschränkt und bei allen Eingeschränkt Interessierten ähnlich stattfindet, werden im Folgenden die wesentlichen Charakteristika

334

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

der Medienaneignung der drei Subtypen beschrieben, die sie voneinander unterscheiden. Der erste Subtyp der Eingeschränkt Interessierten ‒ die Vorbereitenden ‒ eignet sich wiederkehrend Wissen im Vorfeld eines geplanten Arztbesuchs an, um subjektiv wahrgenommene Symptome einzuordnen, die sie als unbekannt, langanhaltend oder schwerwiegend klassifizieren. Zwar legen nur manche der Vorbereitenden die Herkunft ihres medial gewonnenen Wissens dem Hausarzt in der Sprechstunde offen, aber einig sind sich die Patienten allerdings darin, dass dem Hausarzt die Aufgabe zukommt, das eingebrachte Wissen zu verifizieren und die endgültige Diagnose zu stellen. Aus Sicht der Vorbereitenden erhalten die medial angeeigneten gesundheitsbezogenen Wissensbestände erst durch die Bestätigung des Hausarztes Gültigkeit. Sie heben hervor, dass der Arzt eine auf sie persönlich zugeschnittene Diagnose von Angesicht zu Angesicht treffen kann und weisen ihm damit eine exklusive Rolle zu. Exemplarisch fast Nora Nowak (33) zusammen: Sie nimmt über Medienangebote zunächst eine vorläufige Zuordnung ihrer erlebten Symptome und eine Recherche von Behandlungsmöglichkeiten vor. Diese mediale Wissensaneignung hängt für sie jedoch stets mit einem geplanten Arztbesuch zusammen, der dazu dient, eine auf sie zugeschnittene Diagnose und entsprechende Behandlungshinweise festzulegen: [Im Vorfeld der Arztkonsultation habe ich mich] halt über das Internet über die verschiedenen [Behandlungs-]Möglichkeiten schon mal informiert. Ich habe dann geguckt, was gibt es überhaupt, was sind das für Möglichkeiten, inwieweit würde vielleicht was […] zutreffen. […] [D]as persönliche Gespräch suche ich dann immer noch. (Nora Nowak (33))

Der zweite Subtyp der Eingeschränkt Interessierten ‒ die Nachbereitenden ‒ eignet sich gesundheitsbezogene Medienangebote wiederkehrend infolge von Diagnosen an. Dies ist der Fall, wenn eine Diagnose aus der Sicht der Patienten schwerwiegend oder langwierig ist. Die Nachbereitenden verbinden mit der medienvermittelten Wissensaneignung im Nachgang einer Arztkonsultation das Ziel, die diagnostizierte Erkrankung (besser) zu verstehen oder (besser) damit umgehen zu können. Die medienvermittelte Wissensrecherche stellt damit aus Sicht der Nachbereitenden eine Ergänzung des Arztbesuchs dar, indem die zentralen Wissensbestände angelegt werden. Anton Achtermann (39) erläutert dementsprechend zum

Beziehungskonstruktion der Eingeschränkt Interessierten

335

Beispiel, dass er über Medienangebote seinen Wissensstand über die diagnostizierte Erkrankung ausbaut, indem er einzelne Begriffe nachrecherchiert, die im Gespräch gefallen sind oder auf dem Arztbrief vermerkt wurden. Nikola Nagel (47) holt sich wiederum ergänzende Tipps, die ihr dabei helfen, ihre Rückenschmerzen durch Übungen zu lindern. Medienangebote, die sie im Nachgang des Hausarztbesuchs nutzt, helfen ihr dementsprechend, mit ihrer diagnostizierten Rückenerkrankung im Alltag besser zurechtzukommen. Als Gründe dafür, dass ihre mediale Wissensaneignung ausschließlich infolge von schwerwiegenden oder langwierigen ärztlichen Diagnosen stattfindet, führen exemplarisch Anton Achtermann (39) und Nico Riedel (49) an, ihnen fehle das notwendige Wissen, um im Vorfeld oder unabhängig von einem Arztbesuch mithilfe gesundheitsbezogener Medienangebote eine Diagnose treffen zu können. Sie sehen sich nicht in der Lage, aus der Vielfalt der verfügbaren Medienangebote eine Zuordnung erlebter Symptome vorzunehmen. Dementsprechend hebt auch Frank Thiele (48) hervor, dass ihn eine Recherche im Vorfeld eines Arztbesuchs lediglich verunsichern würde. Die zentrale Instanz in medizinischen Fragen ist für die Nachbereitenden der Hausarzt. Die direkte Face-to-Face-Begegnung ist aus ihrer Sicht die zentrale Voraussetzung für eine zutreffende Diagnose und entsprechende Behandlungshinweise. Der dritte Subtyp der Eingeschränkt Interessierten ‒ die Präventiven ‒ verwendet gesundheitsbezogene Medienangebote hauptsächlich dafür, um sich Wissen zu Bewegung, Sport und Ernährung anzueignen. Die Präventiven tun dies, um ihre Gesundheit zu fördern und Krankheiten zu vermeiden. So recherchiert Jörg Zeigler (29) beispielsweise regelmäßig zu den Themen Fitness und Ernährung, um seine Gesundheit zu fördern. Die Präventiven ergänzen ihre Wissensaneignung um die Protokollierung von patientenbezogenen Daten, die sich ebenfalls auf ihre Bewegung, ihre sportlichen Aktivitäten und ihre Ernährung bezieht. Demgemäß hält etwa Jonathan Reichert (50) mittels Apps fest, wie viele Kalorien er täglich zu sich nimmt und wie viele Schritte er geht. Wie bereits gezeigt werden konnte, bringen die Präventiven das Wissen, das sie sich zu den Themen Bewegung, Sport und Ernährung aneignen, ins Gespräch mit ihrem Hausarzt ein, wenngleich dieser Themenkomplex zumeist nicht unmittelbar mit dem Anlass ihres Arztbesuchs zusammenhängt. Über die Wissensaneignung zum Themenkomplex Bewegung, Sport und Ernährung hinaus eignen sich die Präventiven mediales Wissen nicht

336

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

regelhaft an. Weder zur Vor- noch zur Nachbereitung eines Hausarztbesuchs integrieren die Präventiven gesundheitsbezogene Medienangebote in ihren Alltag. Sie greifen unter anderem auf zwei Begründungen zurück, mit denen sie die Begrenzung ihrer Medienaneignung erklären. So schildern erstens Chloe Wagner (18) und Niklas Fröhlich (36), dass sie selbst oder andere die Erfahrung gemacht haben, dass die Recherche über Medienangebote keine Orientierung gibt und zur Verunsicherung führt. Jörg Zeigler (29) und Jonathan Reichert (50) sehen zweitens keine Notwendigkeit, sich medial ergänzendes gesundheitsbezogenes Wissen anzueignen, da sie keine chronischen Erkrankungen vorweisen und nur selten von langwierigen oder schwerwiegenden Erkrankungen betroffen sind. Wie bereits für die Vor- und Nachbereitenden gilt auch für die Präventiven: Die Begrenzung der gesundheitsbezogenen Medienaneignung hängt mit der zentralen Rolle des Hausarztes in Krankheitsfragen zusammen. Der Hausarzt ist ihr Ansprechpartner, wenn sie von unbekannten, langwierigen oder schwerwiegenden Erkrankungen betroffen sind. In diesen Situationen stehen gesundheitsbezogene Medienangebote – im Vergleich zum Hausarzt – „ganz im Hintergrund“, wie Niklas Fröhlich (36) formuliert. Vergleichbar fasst Jonathan Reichert (50) zusammen: „Der Arzt [ist für mich] eigentlich der Einzige, der Rat und Auskunft gibt oder Behandlungen.“ Punktuelle mediale Prägung der Beziehungskonstruktion Die Beziehungskonstruktion der Eingeschränkt Interessierten findet primär in der direkten Kommunikation mit ihrem Hausarzt statt. Die Patienten konsultieren ihren Arzt, wenn sie Symptome oder Erkrankungen erleben, die sie als unbekannt, langwierig oder schwerwiegend klassifizieren. Punktuell ist die Beziehungskonstruktion der Eingeschränkt Interessierten durch die ergänzende Aneignung von gesundheitsbezogenen Medienangeboten geprägt. Im Vorfeld eines geplanten Arztbesuchs generieren die Vorbereitenden mittels Medien Wissen, um erlebte Symptome einzuordnen. Das medial gewonnene Wissen zu ihren Symptomen bringen sie in die Sprechstunde ein. Der Hausarzt ist für die finale Diagnose und die Behandlungshinweise zuständig. Die Nachbereitenden erweitern mithilfe von gesundheitsbezogenen Medienangeboten das vom Hausarzt vermittelte Wissen, um die diagnostizierte Erkrankung besser zu verstehen und besser damit umgehen zu können. Die Präventiven wiederum eignen sich gesundheitsbezogenes Wissen zu

Beziehungskonstruktion der Souveränen

337

den Themen Bewegung, Sport und Ernährung an. Auch dieser Themenkomplex gehört zu den Themen, die im Gespräch mit dem Hausarzt erläutert werden. Die Medienaneignung der Eingeschränkt Interessierten steht also immer in einem unmittelbaren Bezug zur direkten Kommunikation mit dem Hausarzt, bereitet diese vor oder komplettiert das dort generierte Wissen.

8.4

Beziehungskonstruktion der Souveränen

Die Beziehungskonstruktion der Souveränen ist durch eine offene Kommunikation im direkten Gespräch gekennzeichnet. Die Patienten schildern ihr Befinden umfangreich. Darin ähneln die Souveränen den Expertenorientierten und den Eingeschränkt Interessierten. Darüber hinaus ist die Beziehungskonstruktion der Patienten durch eine extensive Medienaneignung charakterisiert. Souveräne integrieren ein vergleichsweise breites Spektrum gesundheitsbezogener Medienangebote in unterschiedlichen Situationen kompetent in ihren Alltag. 124 Sie begrenzen ihre gesundheitsbezogene Medienaneignung nicht explizit und beziehen über gesundheitsbezogene Medienangebote Wissen zu erlebten Symptomen sowie zu diagnostizierten Erkrankungen. Die Souveränen tun dies sowohl im Kontext von Hausarztkontakten als auch unabhängig von einem Arztbesuch. Sie eignen sich dadurch ohne fremde bzw. ärztliche Hilfe – souverän – beziehungsrelevantes Wissen an. Dieser eigenständigen Wissensaneignung mittels Medien haben die Patienten – neben ihrer Auskunftsfähigkeit im direkten Gespräch – ihre Namensgebung zu verdanken. Insgesamt gehören vier Patienten aus dem Datenmaterial diesem Typ an.

124

Die namensgebende Souveränität der Patienten ist also in zweierlei Hinsicht feststellbar: Zum einen ist die Mediennutzung der Patienten insofern ‚souverän‘, als die Patienten ein breites Medienspektrum kompetent in ihren Alltag integrieren. Zum anderen entsteht durch diese kompetente Medienaneignung Souveränität im Sinne einer relativen Unabhängigkeit von der Wissensaneignung durch den Hausarzt bzw. durch sonstige Personen des interpersonalen Kommunikationsrepertoires.

338

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

Lebensphase, Gesundheitszustand und interpersonales Kommunikationsrepertoire Dem Typ der Souveränen gehören Patienten im jungen und im mittleren Erwachsenenalter an (vgl. Abb. 14). Mit den beiderseits 24-jährigen Filippa Seidel und Fabienne Graf sind zwei junge Souveräne vertreten. Daneben zählen zu den Souveränen zwei Patientinnen mittleren Alters, die 42-jährige Claudia Imhof und die 43-jährige Fiona Krug. Gemein ist diesen vier Patientinnen, dass sie beruflichen Verpflichtungen nachkommen. Die jungen Souveränen •

Filippa Seidel (24)



Fabienne Graf (24)

Die mittelalten Souveränen •

Claudia Imhof (42)



Fiona Krug (43)

Abb. 14:

Patienten des Typs der ‚Souveränen‘ (eigene Darstellung)

Die Souveränen sind während der Feldaufenthalte nicht von chronischen oder von langwierigen Erkrankungen betroffen. Die Beweggründe sind divers, die die Souveränen während der Feldaufenthalte zum Arztbesuch veranlassen. Neben einem Erstgespräch (Fiona Krug (43)) gehören akute Erkrankungen zu den Anlässen der Hausarztkonsultation. Filippa Seidel (24) und Fabienne Graf (24) suchen ihre Hausärztin beispielsweise wegen eines grippalen Infekts auf. Ebenfalls von einer akuten Erkrankung ist Claudia Imhof (42) betroffen. Sie hat starke Kopfschmerzen und im Zuge dessen Probleme beim Sehen. Fiona Krug (43) lernt ihre Hausärztin heute zum ersten Mal persönlich kennen. Im Gespräch erfährt die Hausärztin mehr über ihre Patientin und deren Krankengeschichte. Wenngleich die Souveränen zum Zeitpunkt der Feldaufenthalte keine langwierigen Erkrankungen erleben, so haben sie in der Vergangenheit zum Teil Erfahrungen mit solchen Erkrankungen gemacht. Beispielsweise berichtet die 24-jährige Fabienne Graf davon, dass sie bereits eine Ohrenentzündung hatte, die sich über mehrere Monate erstreckte. Gemein mit den anderen erwachsenen Patiententypen ist den Souveränen, dass sie Erkrankungen, die sie als bekannt oder leicht klassifizieren, mithilfe von Hausmit-

Beziehungskonstruktion der Souveränen

339

teln und nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten behandeln oder abwarten, bis eine Besserung eintritt. Bei leichten Erkrankungen, wie zum Beispiel Halsschmerzen, besorgt sich beispielsweise Fiona Krug (43) Medikamente aus der Apotheke: „Ich geh in die Apotheke und hol’ mir Dorithricin oder irgendwas, weil das kenn ich.“ Eine Besonderheit der Souveränen – und dies unterscheidet sie von den bisher dargestellten Patiententypen – liegt darin, dass sie sich zur Einordnung und zur Behandlung leichter Erkrankungen Wissen über gesundheitsbezogene Medienangebote aneignen. Filippa Seidel (24) berichtet beispielsweise, dass sie bei Kopfschmerzen über Suchmaschinen passende Medikamente recherchiert, die im besten Fall auch noch preisgünstig und homöopathisch sind, denn „da guckt man ja heutzutage auch mal viel drauf […] Was holt man sich da, was ist ein bisschen günstiger, aber genauso wirkungsvoll. Da ist Google einfach die erste Wahl eigentlich“. Erfolgt durch die Selbstbehandlung und das Abwarten keine Besserung oder klassifizieren die Souveränen ihre Symptome schon beim Auftreten als schwerwiegend oder langwierig, dann sehen sich die Patienten dieses Typs dazu veranlasst, ihren Hausarzt aufzusuchen. So pointiert Fabienne Graf (24), ihre Hausärztin zu konsultieren, „wenn es gar nicht mehr geht, wenn man quasi nicht mehr aus dem Bett kommt“. Gesundheit und Krankheit zählen nicht zu den Themen, die Souveräne mit Personen aus ihrem sozialen Umfeld regelmäßig diskutieren. Vielmehr beziehen sie über ihr interpersonales Kommunikationsrepertoire – wenn überhaupt – Empfehlungen für Fach- oder Hausärzte, also fach- und hausarztbezogenes Wissen. Beispielsweise wurde Fiona Krug (43) ihr neuer Hausarzt von einer Bekannten empfohlen. Über den Austausch zu Fach- und Hausärzten hinaus lassen sich auf Basis des Datenmaterials der Studie keine weiteren Themen mit Gesundheitsbezug identifizieren, die von den Souveränen innerhalb ihres privaten Umfelds mit Freunden, Bekannten oder Familienmitgliedern besprochen werden. Die jüngeren Souveränen betonen sogar ausdrücklich, dass sie über gesundheitliche Themen nicht mit Freunden diskutieren und begründen dies mit der fehlenden gesundheitsbezogenen Kenntnis der Freunde, aber auch mit der Scham, die sie ihren Freunden gegenüber empfinden. So schildert Fabienne Graf (24), „wenn man jetzt irgendwas an der Haut oder Ausschlag oder so [hat], den man vielleicht nicht zeigen mag, da weiß man, der Arzt hat das wahrscheinlich schon zehnmal gesehen in der letzten Woche, finde ich. Also da hat man nicht so eine Hemmschwelle, weil

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Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

man weiß, der sieht das öfter, dass man so denkt ‚okay‘“. Das interpersonale gesundheitsbezogene Kommunikationsrepertoire spielt für die Souveränen keine besondere Rolle im Gesamtprozess der Beziehungskonstruktion. Offene Kommunikation im direkten Arzt-Patient-Gespräch Eine offene Kommunikation im direkten Arzt-Patient-Gespräch charakterisiert die Beziehungskonstruktion der Souveränen wie bereits die Beziehungskonstruktion der Expertenorientierten und der Eingeschränkt Interessierten. Wie die Expertenorientierten und die Eingeschränkt Interessierten sehen die Souveränen ihren Hausarzt in der Rolle des medizinischen Experten, der mittels Fragen und Anweisungen durch das Gespräch der Beziehungspartner und durch die körperliche Untersuchung leitet. Dies zeigt sich vor allem darin, dass die Souveränen nur selten Fragen in das Gespräch einbringen und den Anweisungen des Arztes während der körperlichen Untersuchung Folge leisten. Aus Sicht der Souveränen schafft der Hausarzt eine Gesprächssituation, in der sich die Patienten öffnen können. Er zeigt sich als interessierter Zuhörer und gibt den Patienten Raum und Zeit für Ausführungen. So äußert exemplarisch Filippa Seidel (24), ihre Hausärztin nehme „sich auch gut Zeit für den Patienten“. Die offene Kommunikation der Souveränen ist darüber hinaus gekennzeichnet von ihrer ausgeprägten Auskunftsbereitschaft. In der Sprechstunde schildern die Souveränen ihr Befinden ausführlich und detailliert. So gibt beispielsweise Claudia Imhof (42) ihrer Hausärztin Einblicke in den Entstehungskontext ihrer Kopfschmerzen und präsentiert der Ärztin ihre Krankheitsgeschichte. Die Souveränen sind bereit, ihrem Arzt auch private Angelegenheiten zu eröffnen und ihre Gefühle zu offenbaren, was sich zum Beispiel daran zeigt, dass Fiona Krug (43) während des Gesprächs in Tränen ausbricht. Außerdem liefern sie Kontextinformationen zur familiären oder beruflichen Situation und zeigen keine Scheu, Bedenken zu artikulieren und Fragen oder Rückfragen zu stellen, wenn sie etwas nicht verstehen. Dementsprechend betonen Filippa Seidel (24) und Fabienne Graf (24) selbstbeschreibend, dass sie ihrer Ärztin bereitwillig und ohne Hemmungen alles erzählen können. Typisch für die Souveränen ist des Weiteren, dass sie nicht nur ihr medial erworbenes Wissen in das Gespräch mit ihrem Hausarzt einbringen, sondern dass sie sich auch nicht scheuen, die Herkunft ihres Wissens zu thematisieren. Schließlich kennzeichnet die offene Kommunikation der Souveränen: Die Patienten bringen sich in die Aushandlung der

Beziehungskonstruktion der Souveränen

341

Behandlung ein. Claudia Imhof (42) verhandelt zum Beispiel über die Länge der Arbeitsunfähigkeitserklärung. Extensive Medienaneignung Souveräne generieren ihr Wissen innerhalb der Arzt-Patient-Beziehung nicht nur durch die direkte Kommunikation mit ihrem Hausarzt, sondern auch über gesundheitsbezogene Medienangebote, die sie extensiv in ihren Alltag integrieren. 125 Die Souveränen nutzen gesundheitsbezogene Medienangebote in unterschiedlichen Situationen. Neben der regelhaften Aneignung von hausarztbezogenem Wissen (für Kontaktdaten und Öffnungszeiten) beziehen sie gesundheitsbezogenes Wissen über Medien. Sie verwenden ein breites Medienrepertoire, zu dem sowohl Online-Angebote als auch ‚traditionelle‘ Medienangebote zählen. Sie lesen Bücher, Tageszeitungen oder Print-Zeitschriften, schauen Fernsehsendungen mit Gesundheitsbezug oder greifen mithilfe von Suchmaschinen auf gesundheitsbezogene Websites oder Foren zu. Kennzeichnend für die mediale Wissensaneignung der Souveränen zur Einordnung subjektiv empfundener Symptome ist, dass diese – anders als bei den Eingeschränkt Interessierten – nicht gezwungenermaßen der Vorbereitung eines Arztbesuchs dient. So werden leichte gesundheitliche Beschwerden wie Erkältungen und Halsschmerzen bei Claudia Imhof (42) und Fiona Krug (43) sowie Kopfschmerzen bei Filippa Seidel (24) und kleinere Sportverletzungen bei Fabienne Graf (24) von den Souveränen über Medienangebote eingeordnet und mit deren Hilfe eigenständig behandelt. Die Souveränen eignen sich das erworbene Wissen

125

Die Souveränen heben in den Interviews ihren grundsätzlich selbstverständlichen Umgang mit Medien, insbesondere Online-Angeboten, im Alltag hervor. So führt beispielsweise Fiona Krug (43) während des Interviews unterschiedliche Alltagshandlungen auf, bei denen Medien eine Rolle spielen. Diese reichen vom Musikhören bei ‚iTunes‘ über das Kochen mithilfe von ‚chefkoch.de‘ bis hin zu Einkäufen bei ‚Ebay‘. Am deutlichsten wird die Souveränität im Umgang mit einem breiten Medienrepertoire bei den beiden 24-Jährigen, Filippa Seidel und Fabienne Graf. Beide geben im Interview an, „jeden Tag quasi“ Suchmaschinen wie Google oder andere Online-Angebote zu nutzen. Filippa Seidel (24) illustriert dies unter anderem im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit als Erzieherin: „[A]uch beruflich, also für Lieder oder für irgendwelche Mandalas für den Kindergarten, ich bin da eigentlich mehrmals die Woche drin, um irgendwie zu gucken, ob es da irgendwas Neues gibt, was man für den Kindergarten ausdrucken könnte.“

342

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

zu erlebten Symptomen zuweilen ohne größeren Aufwand an. Die Wissensaneignung äußert sich in diesen Momenten als kurze und spontane gesundheitliche Aufklärung zwischendurch. Demgemäß erzählt Fabienne Graf (24), dass sie die mediale Einordnung von Symptomen „meistens sogar schon auf dem Handy […] unterwegs“ vollzieht. Die souveräne Einordnung von Symptomen führt zu einem Arztbesuch, wenn die Patienten befürchten, dass eine schwere bzw. eine langwierige Erkrankung die Symptome verursacht haben könnte. Als Claudia Imhof (42) beispielsweise feststellte, dass ihre Kopfschmerzen mit Sehstörungen einhergingen, recherchierte sie nicht nur online, sondern vereinbarte zugleich einen Sprechstundentermin mit ihrem Hausarzt. Dennoch betont sie in diesem Zusammenhang den Stellenwert der medialen Wissensaneignung, die „schon mal so eine Richtung [angibt]“ (Claudia Imhof (42)). Wenn die Medienaneignung keine eindeutige Einordnung von Symptomen zulässt, sondern zur Verunsicherung führt, suchen die Souveränen ebenfalls ihren Hausarzt auf – obwohl die Medienaneignung in diesen Situationen ursprünglich nicht mit einer Arztvisite in Verbindung stand. So recherchiert Filippa Seidel (24) etwa im Netz nach Behandlungsmöglichkeiten ihrer Kopfschmerzen. Einen Arztbesuch hatte sie dabei nicht im Sinn. Die online verfügbaren Informationen lieferten keine eindeutigen Ergebnisse und sorgten für eine Verunsicherung, die Filippa Seidel dazu veranlasste, ihren Hausarzt zu konsultieren. In diesem Fall ist auch für die Souveränen der Arzt die Instanz, die „klipp und klar [weiß], was Sache ist“ (Filippa Seidel (24)). Neben Situationen, in denen sich die Souveränen Wissen zu erlebten Symptomen aneignen, die nur teilweise im Zusammenhang mit einem beabsichtigten Hausarztbesuch stehen, erwerben Patienten diesen Typs Wissen zu ärztlich diagnostizierten Erkrankungen über Medienangebote, um Erkrankungen (besser) zu verstehen oder (besser) damit umgehen zu können. Sie tun dies vor allem, wenn es sich um Erkrankungen handelt, die sie als schwerwiegend oder langwierig wahrnehmen. So führt exemplarisch Fiona Krug (43) aus, dass sie im Anschluss an die ärztliche Diagnose einer Meniskusverletzung Verständnisfragen mithilfe gesundheitsbezogener Medienangebote geklärt hat: Klar, ich habe dann natürlich, als ich das mit dem Meniskus hörte, habe ich mir das dann nochmal halt im Internet dann auch beguckt, weil, wie das so manchmal ist im Ärztedeutsch, dann verstehen Sie nämlich nur Bahnhof [und] an den

Beziehungskonstruktion der Wissensdurstigen

343

Bildern sehen Sie gar nichts, [der Hausarzt] sieht da voll alles, ich überhaupt nix. (Fiona Krug (43))

Starke mediale Prägung der Beziehungskonstruktion Das Medienrepertoire ist breit und die souveränen Patienten integrieren Medien in vielfältigen Situationen in ihren Alltag. Deshalb entfalten sich die Prägkräfte der Medien im Prozess der Beziehungskonstruktion bei den Souveränen vergleichsweise stark. Nehmen Souveräne Symptome etwa von vorneherein als schwerwiegend wahr, so dient ihnen die Medienaneignung als Vorbereitung des Hausarztbesuchs. Auch wenn die mediale Wissensrecherche die Souveränen verunsichert bzw. keine angemessene Einordnung ihrer Symptome zulässt, suchen die Patienten ihren Hausarzt auf. Das medial erworbene Wissen bringen sie im Gespräch mit dem Mediziner in die ausführliche Schilderung ihres Befindens im Zuge der offenen Kommunikation ein. Auch in Ergänzung zum Arzt-Patient-Gespräch eignen sich die Souveränen nach der ärztlichen Diagnose gesundheitsbezogene Medienangebote an. Hier dient die Medienaneignung dazu, offene Verständnisfragen zu klären und besser mit der Erkrankung umzugehen. Darüber hinaus bezieht sich die Medienaneignung der Souveränen jedoch nicht zwangsläufig auf einen Arztbesuch, denn über gesundheitsbezogene Medienangebote erwerben die Patienten – zumeist ohne größeren Aufwand – gesundheitsbezogenes Wissen, das sie nutzen, um Symptome einzuordnen und sich selbst zu behandeln. In solchen Situationen, in denen die Souveränen von leichten Erkrankungen betroffen sind, stellen gesundheitsbezogene Medienangebote eine Art ‚Substitution‘ für den Hausarzt dar. In diesem Aspekt unterscheiden sich die Souveränen klar von den Eingeschränkt Interessierten, deren Medienaneignung ausnahmslos auf die Kommunikation mit ihrem Hausarzt Bezug nimmt.

8.5

Beziehungskonstruktion der Wissensdurstigen

Kennzeichnend für die Beziehungskonstruktion der Wissensdurstigen ist, dass die Patienten einen ausgeprägten ‚Durst‘ zeigen, beziehungsrelevantes Wissen zu konstruieren. Dieses ausgeprägte Verlangen zeigt sich zum einen daran, dass die Patienten innerhalb des direkten Gesprächs mit ihrem Hausarzt fordernd kommunizieren. Sie schildern ihr Befinden ausführlich, stellen Fragen, setzen Themen und

344

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

geben im Zuge der körperlichen Untersuchung Anweisungen. Ebenso beteiligen sie sich an der Diagnose und der Formulierung von Behandlungshinweisen. Der ‚Durst‘, beziehungsrelevantes Wissen zu konstruieren, spiegelt sich zum anderen in der extensiven Medienaneignung der Patienten wider. Die Wissensdurstigen integrieren in mehreren unterschiedlichen Situationen gesundheitsbezogene Medienangebote in ihren Alltag. Auch der rege Austausch mit Personen des interpersonalen Kommunikationsrepertoires über die Themen Gesundheit und Krankheit im Alltag verweist auf den Wissensdurst der Patienten dieses Typs. Die Kennzeichen der Wissensdurstigen finden sich bei neun Patienten im Datenmaterial der Studie (vgl. Abb. 15). Lebensphase, Gesundheitszustand und interpersonales Kommunikationsrepertoire Die Wissensdurstigen befinden sich allesamt im Erwachsenenalter, allerdings in unterschiedlichen Lebensphasen. Unter den Wissensdurstigen sind mit der 40-jährigen Tilda Opel, den beiden 41-jährigen Frauke Engel und Louisa Kaufmann und der 46-jährigen Leonie Glee vier Erwachsene mittleren Alters zu finden. Ferner zählen vier ältere Erwachsene zu den Wissensdurstigen, und zwar die 52-jährige Marina Seifert, die beiden 63-jährigen Judith Löffler und Nicole Kruse sowie die 64-jährige Alwine Harms. Mit der 19-jährigen Alina Gramberg ist auch eine junge Erwachsene vertreten. Alina Gramberg absolviert ein Studium, die anderen Wissensdurstigen gehen entweder einem Beruf nach oder sind bereits pensioniert, Letzteres trifft für die älteren Erwachsenen zu. Die jungen Wissensdurstigen •

Alina Gramberg (19)

Die mittelalten Wissensdurstigen •

Tilda Opel (40)



Louisa Kaufmann (41)



Frauke Engel (41)



Leonie Glee (46)

Die älteren Wissensdurstigen •

Marina Seifert (52)

Beziehungskonstruktion der Wissensdurstigen



Judith Löffler (63)



Nicole Kruse (63)



Alwine Harms (64)

Abb. 15:

345

Patienten des Typs der ‚Wissensdurstigen‘ (eigene Darstellung)

Gemein ist allen Wissensdurstigen, dass sie eine chronische oder eine schwere und langwierige Erkrankung erleben. Alina Gramberg (19) hat eine chronische Stoffwechselerkrankung, Judith Löffler (63) ist Diabetikerin, Leonie Glee (46) und Louisa Kaufmann (41) sind Allergikerinnen, Marina Seifert (52) leidet an Asthma, Nicole Kruse (63) an Rheuma und Arthrose, Tilda Opel (40) hat langanhaltende Lymphprobleme und Alwine Harms (64) hat eine Herzerkrankung. Um im Alltag mit ihren Erkrankungen zurechtzukommen, nehmen die chronischen Patientinnen unter den Wissensdurstigen größtenteils an Disease-Management-Programmen (DMP) der Hausarztpraxen teil. In diesem Rahmen besuchen sie regelmäßig für Untersuchungen und Kontrollen ihre Arztpraxis. Der Anlass, der die Wissensdurstigen während der Feldaufenthalte in die Praxis führt, bezieht sich bei den meisten Wissensdurstigen auf ihre chronische oder schwere und langwierige Erkrankung. Es geht entweder um die Besprechung aktueller Laborbefunde wie bei Alina Gramberg (19) und Louisa Kaufmann (41) oder um erweiterte Check-ups oder Ultraschalluntersuchungen wie bei Tilda Opel (40), Alwine Harms (64), Judith Löffler (63) und Nicole Kruse (63). Außerdem sucht Frauke Engel (41) ihren Hausarzt auf, um eine vorläufige Diagnose ihrer Stoffwechselkrankheit endgültig bestätigen zu lassen. Marina Seifert (52) hat ihre Hausärztin wiederum konsultiert, um ihre Akuterkrankung – eine starke Erkältung – behandeln zu lassen, die im Zusammenhang mit ihrer chronischen Erkrankung (Asthma) bedenklich ist, weil sie Asthmaschübe auslösen kann. Während die Wissensdurstigen – insbesondere aufgrund ihrer chronischen oder ihrer schweren und langwierigen Erkrankungen – ihren Hausarzt regelmäßig aufsuchen, betonen sie, dass sie leichte und bekannte Erkrankungen (Erkältungen, Kopfschmerzen etc.) nicht zu einer Arztkonsultation veranlassen. In diesen Situationen nehmen sie beispielsweise Schmerzmittel ein oder warten ab, bis die Erkrankungen auskuriert sind. So schildert Tilda Opel (40) im Hinblick auf das Erleben von leichten Erkrankungen: Also ich behandle mich mit meinen Hausmittelchen. […] [D]er erste Schritt [ist] natürlich mittlerweile eher die Apotheke als der Arzt. Weil, ja, man doch im Laufe

346

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

der Jahre die Erfahrung hat und weiß was einem guttut und was einem nicht guttut. […] Also Hausmittel und Apotheke ist der erste Weg. (Tilda Opel (40))

Um Behandlungshinweise für leichte Erkrankung zu erhalten, nutzen die Wissensdurstigen – wenn nötig – gesundheitsbezogene Medienangebote. Wenn die Wissensdurstigen infolge oder im Zuge einer Eigentherapie von leichten und bekannten Erkrankungen keine Besserung des Gesundheitszustands wahrnehmen, suchen sie den Hausarzt auf. So pointiert Tilda Opel (40), dass sie ihren Hausarzt konsultiert, wenn sie eine Erkrankung als „hartnäckig und beunruhigend“ wahrnimmt. Ein Blick auf das interpersonale Kommunikationsrepertoire der Wissensdurstigen zeigt: Die Patienten tauschen in alltäglichen Gesprächen beziehungsrelevantes Wissen aus. Zu den Gesprächspartnern zählen Familienmitglieder, Freunde und Bekannte, die zum Teil im medizinischen Bereich beruflich tätig sind. Die Personen aus dem sozialen Umfeld werden von den Wissensdurstigen konsultiert, um Empfehlungen für Fachärzte oder Hausärzte einzuholen. Das heißt, die Wissensdurstigen eignen sich über ihr interpersonales Kommunikationsrepertoire fach- und hausarztbezogenes Wissen an. Diesem Charakteristikum entsprechend berichtet Judith Löffler (63), auf der Basis von Empfehlungen aus ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld den Weg in ihre aktuelle Hausarztpraxis gefunden zu haben. Sie fasst zusammen: „[I]ch habe [mich] im Freundes- und Bekanntenkreis umgehört und die meinten, es wäre hier in Ordnung.“ Neben fach- und hausarztbezogenem Wissen tauschen sich die Wissensdurstigen mit ihrem sozialen Umfeld über gesundheitsbezogenes Wissen aus. Louisa Kaufmann (41) schildert beispielsweise, dass sie sich in gesundheitsbezogenen Fragen manchmal an einen Arzt im Bekanntenkreis wendet und erzählt: „[I]ch habe mittlerweile auch einen guten Bekannten, der Arzt ist, den ich auch mal anrufen kann in der Freizeit und der beruhigt einen eigentlich.“ Leonie Glee (41) äußert, dass sie sich teilweise mit ihrem Mann über die Themen Gesundheit und Krankheit unterhält. Über diese Themen eignet sich ihr Ehepartner im Übrigen – auf ähnliche Art und Weise wie Leonie Glee selbst – ebenfalls medial Wissen an. Auch Frauke Engel (41) erwähnt, dass ein Austausch von gesundheitsbezogenem Wissen innerhalb ihres sozialen Netzwerks stattfindet. Sie macht dieses Verhalten an ihrer langwierigen Stoffwechselerkrankung fest, über die sie sich mit einer Freundin austauschte. Diese wiederum gab ihr auch Empfehlungen zur Vertiefung ihres bisherigen Wissens mittels

Beziehungskonstruktion der Wissensdurstigen

347

gesundheitsbezogener Bücher, die das Thema behandeln. Frauke Engel (41) erzählt: „Eine Freundin von mir hat es gelesen, die gesagt hatte, dass es wirklich ganz informativ von der Sache her ist.“ Die Einschätzung ihrer Freundin veranlasste sie, sich dieses Buch ebenfalls anzuschaffen. Eine eher indirekte Wissensaneignung über das soziale Umfeld findet bei der 19-jährigen Patientin Alina Gramberg statt. Alina legt dar, wie sie auf Grundlage von Beobachtungen ihres sozialen Umfelds – vor allem der Familienmitglieder – eine Zuordnung ihrer erlebten Symptome vornimmt. Sie macht dies unter anderem am Beispiel einer Laktoseintoleranz fest. Noch bevor sie ihre erlebten Symptome über Online-Angebote nachrecherchierte, ermöglichten Alina ihre Beobachtungen der Erkrankungen innerhalb der Familie eine erste Eingrenzung. Ihre Oma, so erzählt sie, gebe ihrem Kaffee keine Milch bei, da sie an einer Laktoseintoleranz leide. Diese Beobachtung habe Alina darin unterstützt, ihre erlebten Symptome einzugrenzen und führten sie zu der Schlussfolgerung, dass ihre Bauchschmerzen ebenfalls von einer Unverträglichkeit herrühren. Infolge dieser Umweltbeobachtung innerhalb ihres sozialen Umfelds recherchierte Alina Gramberg zunächst im Internet nach Krankheitsbildern und konfrontierte danach ihren Hausarzt mit den Rechercheergebnissen und dem damit verbundenen Krankheitsverdacht. Am Beispiel von Alina Gramberg zeigt sich der für diesen Patiententyp charakteristische Wissensdurst. Ihrem Bedarf, sich Wissen anzueignen, kommen die Wissensdurstigen sowohl über das interpersonale Kommunikationsrepertoire als auch über die gesundheitsbezogene Medienaneignung nach. Fordernde Kommunikation im direkten Arzt-Patient-Gespräch Der Wissensdurst der Patienten zeigt sich nicht nur im regen Austausch über die Themen Gesundheit und Krankheit im sozialen Umfeld, sondern vor allem in der Beziehungskonstruktion der Wissensdurstigen im direkten Gespräch mit ihrem Hausarzt. Die zentralen Charakteristika der fordernden Kommunikation wurden bereits ausführlich in Kapitel 6.3 beschrieben und werden im Folgenden noch einmal kurz aufgegriffen. Erstes Kennzeichen der fordernden Kommunikation ist, dass die Patienten ihr Befinden ausführlich präsentieren. In diesem Punkt gleichen sie den bereits präsentierten offen kommunizierenden Patiententypen – den Expertenorientierten,

348

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

den Eingeschränkt Interessierten und den Souveränen. Häufig liefern die Wissensdurstigen dabei Kontextinformationen, wie z. B. zum familiären oder beruflichen Umfeld, die sie größtenteils direkt mit den Beschreibungen des Befindens verbinden. Nicole Kruse (63) schildert beispielsweise nicht nur detailreich den Entdeckungskontext und den Verlauf ihrer Schlafstörungen, sondern liefert ihrer Hausärztin auch Einblicke in ihre aktuelle familiäre Situation, auf die ihrer Meinung nach die gesundheitlichen Probleme hauptsächlich zurückzuführen sind. Die ausführlichen Schilderungen der Wissensdurstigen spiegeln sich im Selbstverständnis der Patienten wider. Gemein ist allen Wissensdurstigen, dass sie sich selbst eine hohe Auskunftsbereitschaft und zudem eine große Auskunftsfähigkeit zuschreiben. Demgemäß ist Alina Gramberg (19) der Meinung, die Fähigkeit zu besitzen, ihrem Hausarzt ihr Befinden ausführlich und verständlich darzulegen. Marina Seifert (52) erklärt, dass sie sich ihrer Hausärztin bereitwillig öffnet und auch Befürchtungen, Bedenken und Sorgen mit ihr teilt. Die Auskunftsbereitschaft der Wissensdurstigen wird ihrer Meinung nach dadurch befördert, dass der Arzt sich Zeit für sie nimmt und ihr zuhört. Auch die anderen Wissensdurstigen sehen ihren Hausarzt nicht nur als kompetenten Fachmann, sondern beschreiben ihn zusätzlich als aktiven Zuhörer, der sich Zeit für ihre Anliegen nimmt und auf ihre spezifischen Bedürfnisse Rücksicht nimmt. Die fordernde Kommunikation der Wissensdurstigen umfasst neben der Vermittlung des Befindens und der Schilderung von Kontextinformationen weitere Charakteristika. Sie stellen Fragen, geben Anweisungen im Zuge der körperlichen Untersuchung oder setzen eigenständig Themen. So fordert beispielsweise Frauke Engel (41) eigeninitiativ die Besprechung eines Facharztberichts und Nicole Kruse (63) und Tilda Opel (40) bitten ihren Hausarzt, sich bestimmte Organe bei der Ultraschalluntersuchung genauer anzusehen. Judith Löffler (63) wiederum spricht von sich aus gesundheitliche Probleme im Laufe des Gesprächs an, die sie zusätzlich, neben dem eigentlichen Anliegen ‒ einer Ultraschalluntersuchung ‒ mit ihrem Arzt abklären möchte. Ein weiteres Kennzeichen der fordernden Kommunikation im direkten Gespräch stellt die Beteiligung an der Diagnose und den Behandlungshinweisen dar. Dabei lassen die Wissensdurstigen ihr (medial) gewonnenes Wissen in das Gespräch mit ihrem Hausarzt einfließen und ergänzen die ärztlichen Ausführungen und Vorschläge. Sie sehen sich durchaus in der Lage, Werte zu interpretieren und medizinische Fachbegriffe zu verwenden. Alina

Beziehungskonstruktion der Wissensdurstigen

349

Gramberg (19) kommentiert beispielsweise nicht nur ihre aktuellen Schilddrüsenwerte, sondern schlussfolgert darüber hinaus, dass die Medikamenteneinstellung nicht angepasst werden müsse. Marina Seifert (52) äußert Medikamentenwünsche und Louisa Kaufmann (41) will, dass ihre Ärztin eine Eigenbluttherapie bei ihr durchführt. Zu dieser Therapieform hatte Louisa Kaufmann sich zuvor Wissen über eine Informationsbroschüre angeeignet. Die Wissensdurstigen gestalten das Arzt-Patient-Gespräch zudem durch (teilweise kritische) Nachfragen und Einwände. Demgemäß erläutert exemplarisch Alwine Harms (64), dass sie nicht alle Anweisungen ihres Hausarztes fraglos akzeptiert, sondern – etwa bei der Medikamentenverordnung – nachhakt, um zu verstehen, warum der Hausarzt ein Medikament verschreibt. Extensive Medienaneignung Zu guter Letzt ist die Beziehungskonstruktion der Wissensdurstigen – zusätzlich zur fordernden Kommunikation im Arzt-Patient-Gespräch und zum regen Austausch über Gesundheit und Krankheit im sozialen Umfeld – durch eine extensive Medienaneignung gekennzeichnet, die bereits detailliert in Kapitel 7.4 erläutert wurde. Die extensive Medienaneignung umfasst eine regelmäßige mediale Wissensaneignung zu erlebten Symptomen, diagnostizierten Erkrankungen und zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen. Die Wissensdurstigen verfügen über ein diversifiziertes gesundheitsbezogenes Medienrepertoire, das sogar auf bestimmte Erkrankungen spezialisierte Medienangebote (wie spezifische Informations-Websites oder Bücher zu speziellen chronischen Erkrankungen) umfasst. Bei den Wissensdurstigen stehen im Kern ihres gesundheitsbezogenen Medienrepertoires – wie bei den anderen Patiententypen – online-basierte Angebote. Darüber hinaus greifen etwa Frauke Engel (41), Nicole Kruse (63) und Marina Seifert (52) gezielt auf Bücher, Nicole Kruse (63) auf Tageszeitungen sowie Alwine Harms (63), Judith Löffler (63) und Louisa Kaufmann (41) auf Magazine und Print-Zeitschriften mit Gesundheitsbezug zurück. Zudem werden Fernsehsendungen zur Aneignung von gesundheitsbezogenem Wissen rezipiert. Die mediale Wissensaneignung zu erlebten Symptomen, zu diagnostizierten Erkrankungen und zu Krankheit und Gesundheit im Allgemeinen findet in unterschiedlichen Situationen statt, die nicht zwangsläufig mit einem geplanten oder

350

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

erfolgten Arztbesuch unmittelbar zusammenhängen. Werden die subjektiv wahrgenommenen Symptome von den Wissensdurstigen als leicht eingestuft, dient die mediale Einordnung der Symptome häufig zugleich der Recherche nach entsprechenden Behandlungshinweisen, die von den Wissensdurstigen eigenständig umgesetzt werden und keinen Arztbesuch zur Folge haben. Nicole Kruse (63) gibt exemplarisch an, dass sie bei leichtem Unwohlsein, wie im Falle von Blähungen, Tipps im Internet recherchiert und diese befolgt. Eine zusätzliche ärztliche Einschätzung oder Behandlungshinweise holt sie sich in diesen Situationen nicht. Wenn die Wissensdurstigen Symptome hingegen als schwerwiegend oder langwierig klassifizieren, findet die Medienaneignung der Patienten in Vorbereitung auf ein Arzt-Patient-Gespräch statt, denn erst durch die Diagnose des Arztes wird eine Krankheit für die Wissensdurstigen eindeutig kommunikativ definiert, wie etwa Alina Gramberg (19) artikuliert: Also Dr. Google, das kann ja alles sein und bei Dr. Lorien, der kann sich das, sag ich mal, ja genauer angucken. Wenn man jetzt irgendwas am Arm hat, dass er sich das anguckt und dann noch die Erfahrung dazu und man kann ja auch genauer sagen „Du hast genau das“ und nicht irgendwie im Internet bei Dr. Google, sagst du „Ja, das sind die Symptome“, der sagt dir dann vielleicht „Ja, du hast das oder das“, dabei haben alle anderen oder hat jemand anderes das und ich habe was ganz anderes. Also, da vertrau ich schon lieber auf einen richtigen Arzt. (Alina Gramberg (19))

Die Wissensdurstigen informieren sich medial zusätzlich über diagnostizierte chronische und langwierige Erkrankungen. Diese Wissensaneignung kann unmittelbar mit der Kommunikation mit ihrem Hausarzt zusammenhängen. Nicht nur infolge der Erstdiagnose, sondern auch im Anschluss weiterer Routinesitzungen integrieren die Wissensdurstigen Medien mit Bezug zu chronischen oder langwierigen Erkrankungen in ihren Alltag. Motiviert wird die Medienaneignung durch den Wunsch, die Erkrankungen (besser) zu verstehen und (besser) damit umgehen zu können. So recherchiert beispielsweise Tilda Opel (40) infolge eines Arztbesuchs, „wenn irgendwie [ein] medizinisches Fremdwort oder eine Diagnose […] fällt“. Neben solchen Situationen, die in einem unmittelbaren Zusammenhang zu einem Arztbesuch stehen, eignen sich die Wissensdurstigen unabhängig von einem erfolgten Arztbesuch im weiteren Krankheitsverlauf medial Wissen zu ihrer diagnostizierten Erkrankung an. Sie wollen dadurch ihr Wissen aktuell halten –

Beziehungskonstruktion der Wissensdurstigen

351

auf dem neuesten Stand der Erkenntnis sein. So informiert sich beispielsweise Marina Seifert über aktuelle Diskussionen in Bezug auf ihre Asthmaerkrankung. Für Judith Löffler (63) ist es bereits zur Routine geworden, sich über ihre Pollenallergie zu belesen. Charakteristisch für die Wissensdurstigen ist ferner, dass sie sich nicht nur im Hinblick auf eine persönliche Erkrankung medial Wissen aneignen, sondern Medien regelmäßig für die Wissensaneignung zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen einsetzen. Diese mediale Wissensaneignung verbinden die Patienten primär mit ihrem Wunsch, die eigene Gesundheit zu fördern bzw. Krankheiten zu vermeiden. So informiert sich beispielsweise Louisa Kaufmann (41) über das Thema Ernährung. Sie interessiert sich außerdem für homöopathische Mittel zur Vorbeugung von Erkrankungen. Während die mediale Aneignung von gesundheitsbezogenem Wissen eine große Rolle im Alltag der Wissensdurstigen spielt, eignen sich die Patienten kaum hausarztbezogenes Wissen an. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass sie in regelmäßigem direkten Kontakt mit ihrem Hausarzt stehen, die nötigen Informationen zu Kontaktmöglichkeiten bereits besitzen und auch über aktuelle Entwicklungen in der Hausarztpraxis laufend informiert sind. Sehr starke mediale Prägung der Beziehungskonstruktion Für die Wissensdurstigen lässt sich an dieser Stelle verdichtend resümieren, dass ihre Beziehungskonstruktion durch eine fordernde Kommunikation im direkten Gespräch und eine extensive Medienaneignung charakterisiert ist. Angesichts des breiten Medienrepertoires, das sich die Patienten in vielfältigen Situationen ihres Alltags zu eigen machen, entfalten sich die Prägkräfte der Medien in der Beziehungskonstruktion der Wissensdurstigen – im Vergleich zu den übrigen Patiententypen – am stärksten. Die Wissensdurstigen eignen sich kontinuierlich Medienangebote zur Generierung gesundheitsbezogenen Wissens an. Dazu zählt erstens die mediale Wissensaneignung zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen, die der Förderung der eigenen Gesundheit bzw. der Vermeidung von Krankheiten dient. Die mediale Wissensaneignung umfasst zweitens die Recherche nach Informationen zu diagnostizierten Erkrankungen. Die Wissensdurstigen verbinden damit den Wunsch, über ihre chronischen und langwierigen Erkrankungen auf dem Laufenden zu bleiben und sie besser zu verstehen. Drittens eignen sich

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Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

die Wissensdurstigen darüber hinaus Medienangebote mit dem Ziel an, subjektiv wahrgenommene Symptome einzuordnen. Handelt es sich dabei um Symptome, die von den Patienten als leicht klassifiziert werden, so nutzen die Wissensdurstigen die Medienangebote, um sich Wissen anzueignen, mit dessen Hilfe sie sich wiederum selbst behandeln. Werden die Symptome als schwerwiegend wahrgenommen, dient die Medienaneignung der Vorbereitung auf ein ohnehin geplantes Arzt-Patient-Gespräch, in dem die Wissensdurstigen Beschwerden vom Hausarzt abschließend einordnen lassen. Die Aneignung der Medienangebote und die damit verbundene Generierung gesundheitsbezogenen Wissens prägen die Beziehungskonstruktion der Patienten. Den medial generierten Wissensvorrat bringen die Patienten in das Arzt-Patient-Gespräch ein, indem sie Fragen stellen, Themen setzen, Untersuchungen vorschlagen, Ergebnisse interpretieren und Behandlungswünsche äußern. Zugleich fordern sie dadurch weiteres Wissen von ihrem Hausarzt ein. Der durch das direkte Arzt-Patient-Gespräch aktualisierte Wissensbestand wird dann infolge von Arztbesuchen durch erneute mediale Wissensaneignung ergänzt, die wiederum in weitere Arzt-Patient-Gespräche Eingang findet etc. Die Medienaneignung ergänzt also zum einen die Wissenskonstruktion im ArztPatient-Gespräch. Zum anderen komplettiert die direkte Kommunikation die mediale Wissensaneignung. Während die Medienaneignung mit dem Zweck der Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen die Beziehung stark prägt, prägen Medien kaum die Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich die Beziehungspartner häufig sehen und die Patienten so über den Hausarzt und die Hausarztpraxis (ihr Leistungsspektrum, Veränderungen der Praxisorganisation etc.) regelmäßig vor Ort informiert werden.

8.6

Ko-Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung durch die Fürsorglich Mitgestaltenden

Zum Alltag einiger Expertenorientierten, Eingeschränkt Interessierten, Souveränen und Wissensdurstigen gehört, dass sie ihr soziales Umfeld regelhaft mit hausarzt-, gesundheits- und patientenbezogenen Informationen versorgen. Die Patienten, die sich so an der Beziehungskonstruktion anderer beteiligen, werden hier als Fürsorglich Mitgestaltende bezeichnet. Die Fürsorglich Mitgestaltenden sind Teil

Ko-Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung durch die Fürsorglich Mitgestaltenden

353

der Beziehungskonstruktion von denjenigen Personen, die sich von ihnen unterstützen lassen. Die Rolle der Fürsorglich Mitgestaltenden nehmen erstens Eltern ein, die ihre Kinder mit beziehungsrelevanten Informationen versorgen – zumeist, wenn ihre Kinder noch minderjährig sind. Hinzu gesellen sich Fürsorglich Mitgestaltende, die die Wissensaneignung für ihre Eltern oder Ehepartner übernehmen. Neben den Familienmitgliedern (Kinder, Eltern, Ehepartner) gehören zudem Bekannte und Freunde zu den Personen aus dem sozialen Umfeld, die von Fürsorglich Mitgestaltenden mit Informationen versorgt werden. Die Patienten, die als Fürsorglich Mitgestaltende ihrer (minderjährigen) Kinder fungieren, unterstützen diese nicht nur durch die Vermittlung von hausarzt- und gesundheitsbezogenem Wissen, sondern übernehmen für ihre Schützlinge ferner die Einordnung erlebter Symptome sowie die Entscheidung darüber, ob ein Arztbesuch nötig ist oder nicht. Ferner managen die Eltern den Arztbesuch ihrer Kinder. Sie übernehmen dabei die Mikro-Koordination, indem sie Termine vereinbaren oder Rezepte bestellen. Stellvertretend für ihre Kinder halten sie sich außerdem über die Hausarztpraxis auf dem Laufenden. Zumeist begleiten die elterlichen Fürsorglich Mitgestaltenden ihre minderjährigen Kinder beim Hausarztbesuch. Dort bringen sie sich zum Teil aktiv in die Sprechstunde ein und fungieren als Sprachrohr ihrer Kinder im ArztPatient-Gespräch. Insgesamt üben 13 Patienten der vorliegenden Studie die Zusatzrolle der Fürsorglich Mitgestaltenden aus (vgl. Abb. 16). Lebensphase und Bezugspersonen Die Fürsorglich Mitgestaltenden befinden sich zum einen in der Lebensphase der jungen und mittelalten Erwachsenen. In die Altersspanne fallen die 27-jährige Laura Ott, die 32-jährige Lucy Jakobs, die 33-jährige Nora Nowak, die beiden 37jährigen Jutta Hall und Mia Hesse, die 40-jährige Tilda Opel, die 42-jährige Claudia Imhof, die 46-jährige Leonie Glee und die 47-jährige Frederike Neumann. Die Fürsorglich Mitgestaltenden in dieser Lebensphase kommen sowohl beruflichen als auch familiären Verpflichtungen nach und dienen vor allem ihren (minderjährigen) Kindern als Fürsorglich Mitgestaltende. Daneben fungiert ein weiterer junger Erwachsener, Jörg Zeigler (29), als Fürsorglich Mitgestaltender für seine Eltern. In der Lebensphase der älteren Erwachsenen finden sich zum anderen Judith

354

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

Löffler (63) und Natascha Jäger (66), die ihre Ehepartner mit Informationen versorgen. Marta Kern (66) wiederum unterstützt Bekannte und Freunde in gesundheitsbezogenen Fragen. Fürsorglich Mitgestaltende für Kinder •

Laura Ott (27)



Lucy Jakobs (32)



Nora Nowak (33)



Jutta Hall (37)



Mia Hesse (37)



Tilda Opel (40)



Claudia Imhof (42)



Leonie Glee (46)



Frederike Neumann (47)

Fürsorglich Mitgestaltender für Eltern •

Jörg Zeigler (29)

Fürsorglich Mitgestaltende für Ehemann •

Judith Löffler (63)



Natascha Jäger (66)

Fürsorglich Mitgestaltende für Nachbar • Abb. 16:

Martha Kern (66) Patienten des Typs der ‚Fürsorglich Mitgestaltenden‘ (eigene Darstellung)

Ko-Konstruktion innerhalb des Kind-Eltern-Arzt-Gesprächs Fürsorglich Mitgestaltende, die ihre minderjährigen Schützlinge in die Sprechstunde begleiten, beteiligen sich aktiv an der Beziehungskonstruktion im direkten Gespräch ihres Kindes mit dem Hausarzt und werden somit Teil der kommunikativ konstruierten triadischen Beziehung ‚Kind-Elternteil-Hausarzt‘. Innerhalb dieser triadischen Beziehung weisen die Fürsorglich Mitgestaltenden insgesamt eine offene bis fordernde Kommunikation auf. Sie klinken sich immer wieder in das Gespräch zwischen Arzt und Kind ein, indem sie auf Fragen des Arztes – anstelle des Kindes – antworten oder die Ausführungen des Kindes um weitere Details ergänzen. Die 46-jährige Leonie Glee führt exemplarisch die Erläuterungen ihres 15-

Ko-Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung durch die Fürsorglich Mitgestaltenden

355

jährigen Sohnes Norman im Hinblick auf sein Befinden weiter aus und liefert außerdem Kontextinformationen zu sportlichen Aktivitäten ihres Schützlings. Auf ähnliche Art und Weise übernimmt Mia Hesse (37) für ihren 10-jährigen Sohn von Beginn der Sprechstunde an die Schilderung des Befindens. Unmittelbar nach der Begrüßung startet sie damit, den Entstehungskontext der Sportverletzung ihres Sohnes zu erläutern. Zum Teil richtet der Arzt auch von Beginn an die Fragen direkt an die Erziehungsberechtigten. Dies ließ sich im Rahmen dieser Studie vor allem bei Kleinkindern beobachten. Dementsprechend fragt die Hausärztin der fünfjährigen Nina Jakobs direkt deren Mutter Lucy Jakobs (32), welche Medikamente Nina bislang gut verträgt. Bei Nora Nowak (33), die ihren dreijährigen Sohn begleitet, zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Nachdem der Dreijährige seiner Hausärztin mit den Worten „Husten hab“ über seinen Gesundheitszustand informiert, fragt die Ärztin seine Mutter im Zuge der körperlichen Untersuchung nach weiteren Details zum Verlauf und dem Entstehungskontext der Erkrankung. Die Fürsorglich Mitgestaltenden ergänzen nicht nur die Schilderungen des Befindens oder übernehmen die Vermittlung von Kontextinformationen. Zusätzlich stellen sie dem Arzt Fragen und geben Anweisungen während der körperlichen Untersuchung. Beispielsweise weist Tilda Opel (40) die Ärztin ihres erkälteten Sohnes darauf hin, dass dieser Asthmatiker ist und fragt, ob die Erkältung größere gesundheitliche Probleme verursachen könnte. 126 Ko-Konstruktion innerhalb des Arzt-Patient-Gesprächs Fürsorglich Mitgestaltende führen ihre Zusatzrolle auch dann aus, wenn sie aufgrund einer eigenen Erkrankung den Hausarzt aufsuchen. In diesen Situationen

126

Die elterlichen Fürsorglich Mitgestaltenden sind nicht nur das Sprachrohr ihrer Kinder gegenüber dem Hausarzt. Zugleich unterstützen sie den Hausarzt bei der Untersuchung. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass Mia Hesse (37) ihr Kind in der Sprechstunde auffordert, sich vor der körperlichen Untersuchung auf die Liege zu legen – noch bevor die Ärztin dies tun kann. Weitere Fürsorglich Mitgestaltende wie Lucy Jakobs (32) oder Tilda Opel (40) leisten während des Gesprächs emotionale Unterstützung für ihre Begleitpersonen. Anstelle des Arztes beruhigen sie ihre Kinder – beispielsweise mit den Worten „Das ist nicht so schlimm!“. Die vorliegende Studie kann auf die doppelte Richtung der Vermittlungsleistungen der elterlichen Fürsorglich Mitgestaltenden nicht weiter eingehen. Stattdessen konzentriert sie sich auf die Versorgungsleistungen, die Personen aus dem privaten Umfeld der Patienten adressieren und sich nicht auf den Hausarzt beziehen.

356

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

werden Familienangehörige oder Bekannte bzw. Freunde im Arzt-Patient-Gespräch thematisiert, wenngleich diese nicht anwesend sind. Beispielsweise stellt Tilda Opel (40) während ihrer eigenen Ultraschalluntersuchung stellvertretend Fragen für ihre Söhne und äußert sogar Rezeptwünsche für diese. Bei der Patientin Frederike Neumann (47) bildet das Gespräch rund um die Probleme ihres Sohnes sogar den Hauptanteil der persönlichen Begegnung mit ihrer Hausärztin, obwohl das Thema nicht Anlass der Begegnung ist. Auf ähnliche Weise sprechen Jörg Zeigler (29) und sein Hausarzt sehr lange über die Krebserkrankung des Vaters. Der Patient lässt dabei seine medial erworbenen Kenntnisse einfließen, inklusive deren Ursprung. So erzählt er seinem Arzt offen: „Ich habe viel im Internet darüber gelesen.“ Der Hausarzt kommentiert und ergänzt die Ausführungen von Jörg Zeigler. Bei den Fürsorglich Mitgestaltenden spielt das soziale Umfeld eine große Rolle für die direkte Kommunikation mit ihrem Hausarzt. Dies manifestiert sich in den Bildern, die die Patienten von sich und dem Arzt haben. So betonen beispielsweise Mia Hesse (37) und Laura Ott (27), dass sie ihren Arzt zu allen Themen und allen Personen befragen können. Die Fürsorglich Mitgestaltenden charakterisieren den Arzt wiederum dadurch, dass er auf ihre Fragen zum sozialen Umfeld eingeht und verständliche Informationen liefert – „das ist gerade mit den Kindern halt wichtig“ (Mia Hesse (37)). Dadurch, dass der Hausarzt nicht nur der Ansprechpartner für die Fürsorglich Mitgestaltenden selbst ist, sondern ebenso im Hinblick auf ihr soziales Umfeld ansprechbar ist, kennt er das „Drumherum“, wie Nora Nowak (33) und Tilda Opel (40) artikulieren. Ko-Konstruktion durch gesundheitsbezogene Medienaneignung Allen Fürsorglich Mitgestaltenden ist gemein, dass sie sich stellvertretend Wissen für Personen aus ihrem sozialen Umfeld innerhalb des direkten Arzt-Patient-Gesprächs und darüber hinaus über gesundheitsbezogene Medienangebote aneignen. Durch diese ‚Medienaneignung für andere‘ erweitert sich das gesundheitsbe-

Ko-Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung durch die Fürsorglich Mitgestaltenden

357

zogene Medienrepertoire einiger Patienten. Zudem differenzieren sich ihre gesundheitsbezogenen kommunikativen Handlungen weiter aus. 127 Für die Fürsorglich Mitgestaltenden gilt insgesamt, dass sie ein breites Spektrum an Medienangeboten in unterschiedlichen Situationen zur Wissensaneignung für andere einsetzen. Zu diesen gesundheitsbezogenen Medienangeboten, die sie in ihren Alltag integrieren, zählen vor allem die großen Suchmaschinen, Informations-Websites wie Wikipedia sowie Print-Zeitschriften. Zunächst einmal ist für die Fürsorglich Mitgestaltenden typisch, dass sie sich gesundheitsbezogenes Wissen für ihre Bezugspersonen aneignen. So übernehmen sie die Vorbereitung auf einen Arztbesuch ihrer Bezugspersonen, indem sie als Erste erlebte Symptome grob einordnen. Dementsprechend recherchiert beispielsweise Tilda Opel (40) über die Google-Bildersuche, welche Erkrankung zum Ausschlag ihres Kindes passen könnte, um ein „besseres Gefühl“ für die Beschwerden zu erhalten. Ebenso eignet sich Natascha Jäger (66) Wissen für ihren kranken Ehemann an, dem eine Operation bevorsteht. Sie tut dies, um sich und ihren Mann auf den Eingriff vorzubereiten. Eine weitere Situation, in der sich Fürsorglich Mitgestaltende medial Wissen zu erlebten Symptomen ihrer Bezugspersonen aneignen, ist in Zeiten, in denen kein Hausarztbesuch möglich ist. Mia Hesse (37) erläutert, dass sie – vor allem an den Wochenenden oder in anderen Situationen, in denen der Hausarzt nicht verfügbar ist – Medienangebote nutzt, um Krankheiten einzuordnen und eventuell Lösungen zu finden. Sofern eine zufriedenstellende Einordnung und Behandlung nicht funktioniert, konsultiert sie schnellstmöglich den Hausarzt. Daneben eignen sich Fürsorglich Mitgestaltende auch Wissen zu diagnostizierten Erkrankungen infolge eines Arztbesuchs an. Sie übernehmen dabei das Klären von Verständnisfragen zu Begriffen. Exemplarisch ‚entschlüsselt‘ Laura Ott (27) den Arztbrief ihres Sohnes mithilfe von Online-Angeboten. Claudia Imhof (42) wiederum recherchiert nach dem Arztbesuch ihres Kindes, wie die 127

Eine solche Ausdifferenzierung der gesundheitsbezogenen Kommunikation, durch die medienvermittelte Aneignung von Wissen, lässt sich am deutlichsten bei den Fürsorglich Mitgestaltenden Laura Ott (27), Mia Hesse (37), Martha Kern (37) und Natascha Jäger (66) beobachten. Die Patientinnen sind – so lange es lediglich um ihr eigenes Befinden geht – allesamt Expertenorientierte, die durch eine marginale Medienaneignung charakterisiert sind. ‚Für sich selbst‘ integrieren sie höchstens in vereinzelten Ausnahmefällen gesundheitsbezogene Medienangebote in ihren Alltag. Werden die medienvermittelten kommunikativen Handlungen, die für andere vollzogen werden, in die Betrachtung inkludiert, erweitert sich das Medienrepertoire der Expertenorientierten deutlich.

358

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

Krankheit genau definiert ist und Lucy Jakobs (32) eignet sich vor allem Wissen zu den Auswirkungen der Erkrankung ihres Kindes auf dessen Alltag und Sportaktivitäten an. Auf ähnliche Weise erklärt Judith Löffler (63), dass sie nach den Konsequenzen recherchierte, die eine Leistenbruchoperation ihres Mannes mit sich bringen könnte. Insbesondere wenn bei ihren Bezugspersonen Erkrankungen diagnostiziert werden, die die Fürsorglich Mitgestaltenden als ‚sehr schwer‘ einstufen, agieren die Patienten aktiv und sondieren kontinuierlich gesundheitsbezogene Medienangebote. Sie sammeln gesundheitsbezogenes Wissen zu Heilungschancen, Therapieansätzen und zu behandelnden Experten. Dies ist zum Beispiel bei krebskranken Familienmitgliedern oder Freunden von Frederike Neumann (47), Jörg Zeigler (29), Martha Kern (66) und Laura Ott (27) der Fall. Auch sammelt Frederike Neumann (47), deren Tochter an einer chronischen Erkrankung leidet, kontinuierlich Wissen zu aktuellen Therapieansätzen. Ferner eignen sich Fürsorglich Mitgestaltenden auch ohne direkten Bezug zu einer akuten Erkrankung oder einem anstehenden oder erfolgten Arztbesuch ihrer Bezugspersonen Wissen zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen für andere an. Dementsprechend schildert Tilda Opel (40), dass sie für ihre Kinder nach Möglichkeiten zur Stressminimierung recherchiert. Zu guter Letzt gilt vor allem für die elterlichen Fürsorglich Mitgestaltenden, dass sie häufig die Mikro-Koordination ihrer Bezugspersonen übernehmen, indem sie Termine vereinbaren, Rezepte bestellen etc. Sie übernehmen zudem stellvertretend für ihre Schützlinge die Aneignung hausarztbezogenen Wissens. Sie halten sich über die Arzt-Website oder das Social-Media-Profil der Hausarztpraxis auf dem Laufenden. Mediale Prägung der kommunikativen Konstruktion von ‚anderen‘ Beziehungen Zusammenfassend lässt sich für die Fürsorglich Mitgestaltenden resümieren, dass deren ‚Medienaneignung für andere‘ nicht in erster Linie die ‚eigene‘ Beziehungskonstruktion der Patienten zu ihrem Hausarzt prägt. Zwar generiert bzw. erweitert die Medienaneignung grundsätzlich den Wissensvorrat der Fürsorglich Mitgestaltenden, darüber hinaus kommt die mediale Wissensaneignung der Patienten jedoch vor allem im Hinblick auf die kommunikative Konstruktion der Beziehung

Die Beziehungskonstruktion der Patiententypen im Vergleich

359

‚anderer‘ zu deren Hausarzt zum Tragen. So übernehmen die Fürsorglich Mitgestaltenden die Medienaneignung für ihre Bezugspersonen und machen dadurch deren eigene mediale Wissensaneignung mitunter obsolet. Dies zeigt sich an den Unbedarften (vgl. Kapitel 8.1). Deren Bedarf, sich beziehungsrelevantes Wissen anzueignen, wird stark über ihr soziales Umfeld reguliert. Sowohl die Medienaneignung als auch die Kommunikation innerhalb der Arzt-Patient-Beziehung werden durch die Versorgung der Fürsorglich Mitgestaltenden mitbestimmt. Die Unbedarften integrieren gesundheitsbezogene Medienangebote nur marginal in ihren Alltag und kommunizieren zurückhaltend in den Begegnungen mit ihrem Hausarzt.

8.7

Die Beziehungskonstruktion der Patiententypen im Vergleich

Ausgehend von aktuellen Forschungsbefunden geht es in dieser Studie um die Frage, wie die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung – in einer zunehmend digitalisierten Welt – durch die Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote geprägt wird. Um die Prägung durch Online-Angebote angemessen analysieren zu können, wurde der Blick auf das gesamte Spektrum beziehungsrelevanter kommunikativer Handlungen von Ärzten und Patienten gerichtet, unabhängig davon, ob sie direkt, über Online-Medien oder über ‚traditionelle‘ Medien vollzogen werden. Denn gesundheitsbezogene Online-Angebote entfalten ihre Prägkräfte in Bezug auf das gesamte Medienrepertoire und die Gesamtheit kommunikativer Handlungen. In diesem Kapitel wurden fünf Patiententypen beschrieben, deren Beziehungen zu ihrem Hausarzt auf unterschiedliche Weise durch Medien bzw. deren Aneignung geprägt sind. Die Typen machen deutlich, dass der aktuelle Mediatisierungsschub der Digitalisierung nicht zu einer uniformen Prägung der Arzt-Patient-Beziehung führt. An dieser Stelle wird die mediale Prägung der unterschiedlichen Typen noch einmal zusammenfassend erläutert. Eine Übersicht wichtiger Charakteristika der einzelnen Patiententypen findet sich überblicksartig in Tabelle 24.

360

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

Typ

Eingeschränkt Interessierte

Unbedarfte

Expertenorientierte

Beschreibende Attribute

umsorgt und unbekümmert

versorgt und erfahren

fokussiert und abgestimmt

autark und gekonnt

kompetent und begierig

Lebensphase

Minderjährige und junge Erwachsene

Erwachsene – Tendenz ältere Erwachsene

Erwachsene – Tendenz mittelalte Erwachsene

Junge und mittelalte Erwachsene

Erwachsene – Tendenz mittelalte und ältere Erwachsene

Gesundheitszustand

nicht von chronischen oder schweren und langwierigen Erkrankungen betroffen

von chronischen oder schweren und langwierigen Erkrankungen betroffen

teilweise von chronischen oder schweren und langwierigen Erkrankungen betroffen

nicht von chronischen oder schweren und langwierigen Erkrankungen betroffen

von chronischen oder schweren und langwierigen Erkrankungen betroffen

Interpersonales Kommunikationsrepertoire

Versorgung mit beziehungsrelevantem Wissen durch Familie

reger Wissenstransfer mit Familie, Freunden und Bekannten (Expertenfokus)

sporadischer Wissenstransfer zu fach- und hausarztbezogenem Wissen

sporadischer Wissenstransfer zu fach- und hausarztbezogenem Wissen

reger Wissenstransfer mit Familie, Freunden und Bekannten

Kommunikationsstil im Arzt-PatientGespräch

zurückhaltende Kommunikation

offene Kommunikation

offene Kommunikation

offene Kommunikation

fordernde Kommunikation

Form der gesundheitsbezogenen Medienaneignung

marginale Medienaneignung

marginale Medienaneignung

fokussierte Medienaneignung

extensive Medienaneignung

extensive Medienaneignung

stark

sehr stark

Merkmal

sehr schwach punktuell Mediale Präschwach gung der Beziehungskonstruktion Tab. 24: Patiententypen im Vergleich (eigene Darstellung)

Souveräne

Wissensdurstige

Die Beziehungskonstruktion der Patiententypen im Vergleich

361

Wie sich die Beziehungskonstruktionen der einzelnen Patiententypen im Hinblick auf ihre mediale Prägung unterscheiden und an welchen Punkten sie Gemeinsamkeiten aufweisen, wird im Folgenden dargestellt. Die Typen lassen sich auf einem Kontinuum anordnen. Während die Beziehungskonstruktion der Unbedarften und der Expertenorientierten am wenigsten stark von Medien geprägt wird, entfalten sich die Prägkräfte der Medien bei den Souveränen und den Wissensdurstigen am stärksten. ‚Dazwischen‘ sind die Eingeschränkt Interessierten verortet. 128 Die vergleichsweise schwächste mediale Prägung der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung lässt sich bei den Unbedarften feststellen. Höchstens in vereinzelten Ausnahmefällen werden Medien von den Unbedarften zur Aneignung gesundheitsbezogenen Wissens oder zur Recherche nach Kontaktinformationen genutzt. Da die Patienten kaum gesundheitsbezogene Medienangebote in ihren Alltag integrieren, entfalten sich in der Beziehungskonstruktion

128 Die Tabelle 24 verdeutlicht, dass eine eindeutige Zuordnung einer Lebensphase zu einem Patiententyp nur bei den Minderjährigen möglich ist. Sie gehören ausnahmslos den Unbedarften an. Die jungen, mittelalten und älteren Erwachsenen finden sich in jedem Patiententyp wieder. Es kann also nicht von einem einfachen Zusammenhang von Lebensphase und Beziehungskonstruktion ausgegangen werden. Ähnlich gilt für den Gesundheitszustand der Patienten, dass dieser allein die spezifische Beziehungskonstruktion der Patiententypen nicht erklärt. Dies zeigt sich beispielsweise am Zusammenhang von Gesundheitszustand und Medienaneignung der Patiententypen. So sind sowohl die Expertenorientierten wie auch die Wissensdurstigen ausnahmslos von chronischen oder langwierigen Erkrankungen betroffen. Auch unter den Eingeschränkt Interessierten sind vereinzelt Patienten, die chronisch und langandauernd krank sind, während dies auf die Unbedarften und die Souveränen nicht zutrifft. Im Hinblick auf die Medienaneignung zeigt sich nun, dass die drei Patiententypen der Eingeschränkt Interessierten, der Expertenorientierten und der Wissensdurstigen jeweils unterschiedliche Formen der gesundheitsbezogenen Medienaneignung aufweisen (marginal, fokussiert, extensiv), obwohl sie von ähnlichen Erkrankungen betroffen sind. Auch bei den Unbedarften und den Souveränen unterscheiden sich die Formen der Medienaneignung (marginal, extensiv) trotz eines ähnlichen Gesundheitszustands. Gleichermaßen variiert die direkte Kommunikation der Patiententypen mit ihrem Hausarzt trotz eines ähnlichen Gesundheitszustands. Wird das interpersonale Kommunikationsrepertoire der Patiententypen in den Blick genommen, so zeigt sich, dass auch hier kein einfacher Wirkungszusammenhang zur Beziehungskonstruktion der Patienten herzustellen ist. Die Expertenorientierten und die Wissensdurstigen tauschen sich rege im persönlichen Umfeld über Fragen der Gesundheit aus, Eingeschränkt Interessierte und Souveräne pflegen einen sporadischen Austausch, die Unbedarften wiederum werden von ihrem unmittelbaren Umfeld versorgt. Die Beziehungskonstruktion resultiert folglich aus dem komplexen Zusammenspiel mehrerer Faktoren, die nicht in einem eindimensionalen, sondern vielmehr in einem mehrdimensionalen Verhältnis zueinander stehen.

362

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

keine nennenswerten medialen Prägkräfte. Die spezifische Form der Medienaneignung der Unbedarften erklärt sich durch den Gesundheitszustand der Patienten – sie sind nicht von langwierigen oder chronischen Erkrankungen betroffen. Hinzu kommt, dass das soziale Umfeld die Unbedarften umfassend mit beziehungsrelevantem Wissen versorgt. Auch für die Expertenorientierten spielen gesundheitsbezogene Medienangebote eine untergeordnete Rolle. Dies ist der Fall, obwohl es sich bei Gesundheit und Krankheit durchaus um Themen handelt, die die Patienten im Alltag beschäftigen. Die Expertenorientierten sind von langwierigen oder chronischen Erkrankungen betroffen und diskutieren gesundheitsbezogene Themen innerhalb ihres persönlichen Umfelds. Die untergeordnete Rolle, die Medien für die Expertenorientierten spielen, führt dazu, dass die kommunikative Konstruktion der Beziehung zu ihrem Hausarzt nur geringfügig medial geprägt ist. Der zentrale Ansprechpartner in Bezug auf ihre chronischen oder langwierigen Erkrankungen sowie unbekannte oder schwerwiegende Symptome stellt der Hausarzt dar. Die Beziehungskonstruktion findet bei den Expertenorientierten hauptsächlich in der direkten Kommunikation mit dem Hausarzt statt. Die gesundheitsbezogene Medienaneignung durch die Eingeschränkt Interessierten findet regelhaft in einzelnen, wiederkehrenden Situationen statt oder fokussiert auf das Thema ‚Prävention‘. Der Subtyp der Vorbereitenden generiert gesundheitsbezogenes Wissen mittels Medien in Vorbereitung auf den Arztbesuch, der Subtyp der Nachbereitenden ergänzt sein gesundheitsbezogenes Wissen als Folge eines Arztbesuchs. Die Präventiven, die den dritten Subtyp der Eingeschränkt Interessierten bilden, eignen sich wiederum fortlaufend Wissen zur Gesundheitsförderung und Krankheitsvermeidung medial an. Sie protokollieren zudem patientenbezogene Daten mithilfe von Medien. Die Beziehungskonstruktion der Vorbereitenden und der Präventiven ist dementsprechend dadurch geprägt, dass die Patienten über Medien gesundheitsbezogenes Wissen generieren, das sie in die Beziehung mit ihrem Hausarzt einbringen und diskutieren. Bei den Nachbereitenden ergänzt das medial gewonnene Wissen die in der Kommunikation mit dem Hausarzt konstruierte Wissensbasis der Patienten. Die Medienaneignung der Eingeschränkt Interessierten steht insofern immer in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Beziehungskonstruktion im direkten Arzt-Patient-Gespräch. Das gegenseitige Kennenlernen und die Konstruktion eines gemeinsamen

Die Beziehungskonstruktion der Patiententypen im Vergleich

363

Verständnisses von dem Gesundheitszustand des Patienten findet folglich – wie bei den Expertenorientierten – wesentlich in der direkten, offen gestalteten Kommunikation der Beziehungspartner statt, die von der medialen Wissenskonstruktion ‚umgeben‘ ist. Medien prägen die kommunikative Konstruktion der Beziehung von Souveränen zu ihrem Hausarzt vergleichsweise stark. Souveräne eignen sich gesundheitsbezogene Medienangebote regelhaft in zahlreichen unterschiedlichen Situationen an. Die Souveränen generieren erstens mithilfe von Medien gesundheitsbezogenes Wissen, das sie – wie schon die Eingeschränkt Interessierten – in die Begegnung mit ihrem Hausarzt einbringen. Zweitens eignen sich die Souveränen mithilfe von Medien gesundheitsbezogenes Wissen an, das die Wissensbasis ergänzt, die sie im Gespräch mit dem Hausarzt generieren. Drittens eignen sich die Souveränen auch gesundheitsbezogenes Wissen an, das sie zur Selbstbehandlung einsetzen. Diese Form der medialen Wissensaneignung hängt nicht mit der Kommunikation mit dem Hausarzt unmittelbar zusammen, sondern findet relativ unabhängig von ihr statt. Die Beziehungskonstruktion im direkten Gespräch und die Aneignung von Medien sind bei den Souveränen zum einen aufeinander bezogen, können zum anderen aber auch eigenständig nebeneinander stehen. Die kommunikative Beziehungskonstruktion der Wissensdurstigen weist die stärkste Prägung innerhalb der Patiententypologie auf. Die Wissensdurstigen eignen sich – wie schon die Souveränen – gesundheitsbezogene Medienangebote regelhaft in zahlreichen unterschiedlichen Situationen an. Während die Medienaneignung bei den Souveränen primär in Situationen stattfindet, in denen sie selbst – mehr oder weniger – akut von Symptomen oder Erkrankungen betroffen sind, eignen sich die Wissensdurstigen zusätzlich fortlaufend Wissen über das Thema Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen an. Die Beziehung der Wissensdurstigen zu ihrem Hausarzt ist nicht nur dadurch gekennzeichnet, dass die Patienten ihrem Hausarzt mit Wissen begegnen, das situativ relevant ist, sondern dass sie darüber hinaus auch Wissen zu Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen in die Beziehungskonstruktion im direkten Gespräch einbringen. Zudem komplettieren sie das Wissen, das sie gemeinsam mit ihrem Hausarzt konstruiert haben mithilfe von Medien. Die insgesamt intensive mediale und nichtmediale Wissenskonstruktion der Patienten zeigt sich auch im regen Austausch zu den Themen Gesundheit

364

Beziehungskonstruktionen unterschiedlicher Patiententypen

und Krankheit im sozialen Umfeld. Sie hängt mit den chronischen und langwierigen Erkrankungen zusammen, von denen die Wissensdurstigen betroffen sind. Tabelle 25 veranschaulicht für die einzelnen Patiententypen den Stellenwert der unterschiedlichen ‚kommunikativen Gegenüber‘ im Prozess der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung. Typ Unbedarfte

Expertenorientierte

Eingeschränkt Interessierte

Souveräne

Wissensdurstige

Hausarzt

+

+++

++

++

+++

Medien

+

+

++

+++

+++

Interpersonales Kommunikationsrep.

++

+++ (insb. Experten)

+

+

+++

‚Gegenüber‘

Tab. 25:

Stellenwert der unterschiedlichen ‚kommunikativen Gegenüber‘ im Prozess der Beziehungskonstruktion bei den einzelnen Patiententypen (eigene Darstellung)

Die empirisch fundierte Patiententypologie trägt zum besseren Verstehen der Prägung unterschiedlicher Arzt-Patient-Beziehungen durch die Aneignung gesundheitsbezogener Medienangebote bei. Dies geschieht, indem die Patiententypologie Zusammenhänge zwischen der Medienaneignung und der direkten Kommunikation der Beziehungspartner darstellt. Dabei erhellt sie die relevanten Kontextbedingungen der Lebensphase, des Gesundheitszustands sowie des interpersonalen gesundheitsbezogenen Kommunikationsrepertoires der Patienten. Abschließend soll darauf hingewiesen werden: Die Beziehungskonstruktion der Patienten ist Dynamiken unterworfen. Dies deutet sich bereits in der vorliegenden Studie an, die eher Momentaufnahmen der kommunikativen Konstruktion konkreter Arzt-Patient-Beziehungen liefert. Beispielsweise konnte gezeigt werden, dass sich die gesundheitsbezogene Medienaneignung durch die Patienten – und ihre damit verbundene Beziehungskonstruktion – verändern kann. So verzichtet

Die Beziehungskonstruktion der Patiententypen im Vergleich

365

die Patientin Nele Hoppe (24) mittlerweile darauf, gesundheitsbezogene Medienangebote zu nutzen, weil sie die Erfahrung gemacht hat, dass die verfügbaren Informationen für sie nicht hilfreich sind. Sie begründet dies damit, dass sich im Zuge der direkten Arzt-Patient-Kommunikation herausgestellt habe, dass die Informationen falsch waren bzw. im Widerspruch zu hausärztlicher Diagnose und Behandlungshinweisen standen. Weitere Beispiele für den Wandel der Beziehungskonstruktion sind die beiden Mütter Laura Ott (27) und Mia Hesse (37). Sie haben sich während der Schwangerschaft, die bei beiden bereits einige Zeit zurückliegt, verstärkt Informationen über unterschiedliche gesundheitsbezogene Online-Angebote angeeignet. Die mediale Informationsaneignung in diesem Lebensabschnitt weist allerdings keine Gemeinsamkeiten mehr mit der Medienaneignung zum Zeitpunkt der Interview-Führung auf. Aktuell sehen sie keinen Anlass, sich intensiver gesundheitsbezogene Medienangebote zu eigen zu machen. 129

129

Die Frage, wie sich die Dynamik der Beziehungskonstruktion im Lebenslauf von Patienten gestaltet und erklärt, kann im Rahmen dieser Studie nicht beantwortet werden. Die Fragestellung bietet einen Ansatzpunkt für eine weiterführende biografische Erforschung.

9

Die kommunikative Konstruktion der ArztPatient-Beziehung in einer digitalisierten Welt

Ausgangspunkt der vorliegenden Studie war die gegenwärtig beobachtbare Ausdifferenzierung der gesundheitsbezogenen Medienumgebung. Im Zuge des jüngsten Mediatisierungsschubes, der Digitalisierung, sind vielfältige gesundheitsbezogene Online-Angebote entstanden, die neue Kommunikationspotenziale für Ärzte und Patienten eröffnen. Ausgehend von dieser Beobachtung stand die Frage im Fokus der Arbeit, wie die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung durch die Aneignung gesundheitsbezogener Online-Angebote geprägt wird. Aus einer kommunikationskonstruktivistischen Perspektive (vgl. Keller et al. 2013) wurde argumentiert, dass Arzt und Patient in situationsübergreifenden Prozessen der kommunikativen Beziehungskonstruktion eine gemeinsame Wirklichkeit schaffen und dass Medien dabei immer wichtiger werden: Communication as a meaning-making practice is the core of how the social world gets constructed as meaningful, while media and their infrastructures have become increasingly crucial for everyday communicative practices. (Couldry/Hepp 2016: 31 Kurs. i. O.)

In Prozessen der Beziehungskonstruktion präsentieren sich Arzt und Patient einander und entwickeln ein Bild von ihrem Gegenüber. Patienten kommunizieren in diesem Zuge ihr Befinden, Ärzte wiederum ordnen die Informationen, die sie von den Patienten erhalten und gelangen zu Diagnosen und Therapievorschlägen, die sie ihrerseits vermitteln. Die Beziehungspartner schaffen so ein gemeinsames Verständnis vom Gesundheitszustand des Patienten. Wie der Prozess der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung durch gesundheitsbezogene Medien im Allgemeinen und Online-Angebote im Speziellen geprägt wird, wurde am Beispiel der Hausarzt-Patient-Beziehung qualitativ untersucht. Die Datenbasis wurde im Zuge von jeweils mehrtägigen Feldaufenthalten in fünf allgemeinmedizinischen Praxen generiert. Dabei wurden kommunikative Vorgänge am Empfang, in den Wartezimmern und in 160 Sprechstunden beobachtet sowie qualitative Interviews mit fünf Ärzten und 56 Patienten geführt.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. C. Meinzer, Die Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt, Medien • Kultur • Kommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26007-1_9

368

Die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt

Die Untersuchung der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung ist anschlussfähig an Studien aus dem interdisziplinären Forschungsfeld der Gesundheitskommunikation. Darüber hinaus ist sie ein weiterer Stein im Mosaik der Mediatisierungsforschung und trägt zum besseren Verständnis von dem Metaprozess der Mediatisierung bei. Die Prägkräfte von Medien entfalten sich spezifisch in konkreten sozialen Konstellationen als Folge von „sozialweltinternen oder sozialweltübergreifenden Aushandlungsprozessen“ (Krotz 2017: 352). Dementsprechend kann die Mediatisierung nur über ihre Subprozesse erforscht werden (vgl. Ekström et al. 2016: 1090). Gemeinsam ergeben diese Subprozesse „a complex picture of how culture and everyday life evolve in times of media saturation“ (ebd.). Im Feld der Mediatisierungsforschung fügt sich die Studie in eine Reihe von Arbeiten, die den gesellschaftlichen und kulturellen Wandel ausgehend von verschiedenen sozialen Beziehungen untersuchen. Dazu gehören Studien zur Mediatisierung von Paarbeziehungen (z. B. Linke 2010), von Migrationsgemeinschaften (z. B. Hepp et al. 2011), von Gemeinschaften unterschiedlicher Mediengenerationen (z. B. Hepp et al. 2014) oder von Eltern-Kind-Beziehungen (z. B. Greschke et al. 2017). Auf Basis der Befunde, die in den vorherigen Kapiteln präsentiert wurden, wird in diesem Schlusskapitel nun bilanziert, welche übergreifende Antwort die Studie auf die Forschungsfrage liefert und wie sich die Forschungsergebnisse in den wissenschaftlichen Diskurs um die Mediatisierung einordnen lassen. Dabei wird erläutert, welche Hinweise es auf einen Wandel der Arzt-Patient-Beziehung im Zuge des gegenwärtigen Mediatisierungsschubes der Digitalisierung gibt und welche Momente der Diskontinuität und Beharrung auszumachen sind. Es wird hervorgehoben, dass die Mediatisierung der Arzt-Patient-Beziehung aufgrund der eigensinnigen Gestaltung der Beziehungskonstruktion, die sich in den unterschiedlichen Patiententypen manifestiert, nicht gleichförmig verläuft. Die spezifischen Beziehungskonstruktionen werden abschließend mit dem Konzept der handlungsleitenden Themen erklärt. Es wird argumentiert, dass die mediale Prägung der Beziehungskonstruktion ursächlich davon abhängt, wie sehr Patienten Gesundheit und Krankheit zu handlungsleitenden Themen machen. Davon ausgehend werden Perspektiven für die zukünftige Mediatisierungsforschung skizziert.

Die Arzt-Patient-Beziehung als mediatisierte Beziehung

9.1

369

Die Arzt-Patient-Beziehung als mediatisierte Beziehung

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die Arzt-Patient-Beziehung als mediatisierte Beziehung begriffen werden kann – als eine Beziehung, deren kommunikative Konstruktion wesentlich durch Medien geprägt wird (vgl. Krotz 2012: 45). Gesundheitsbezogene Medienangebote werden von Ärzten und Patienten zum integralen Bestandteil der Arzt-Patient-Beziehung gemacht. „[Media] must be given full and serious consideration in conceptualizing [the] […] patient-physician relationship“ (Roter/Hall 2011: 64ff.), denn Ärzte und Patienten integrieren gesundheitsbezogene Medienangebote in die beziehungsrelevanten Prozesse der MikroKoordination sowie der Konstruktion von hausarzt-, patienten- und gesundheitsbezogenem Wissen. In den koordinativen Routinen der Hausarztpraxen sind Medien fest verankert. Sie sorgen dafür, dass die Mikro-Koordination zwischen Hausarzt und Patient beschleunigt und flexibilisiert wird. Eine herausgehobene Rolle kommt dabei dem Praxis-Management-System zu. Es ermöglicht dem Hausarzt – direkt im Anschluss an die Beschwerdeschilderung, Beschwerdeexploration, Diagnose, Therapieentwicklung und Therapieentscheidung – Termine, Rezepte, Überweisungen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen elektronisch zu erfassen und die notwendigen Dokumente für die Patienten zu erstellen. Das Praxis-Management-System reduziert damit den Koordinationsaufwand zwischen dem Arzt und dem Praxispersonal und beschleunigt den Prozess der Mikro-Koordination zwischen Hausarzt(-praxis) und Patienten. Neben dem Praxis-Management-System gehören Telefon und Anrufbeantworter – also etablierte Formen medienvermittelter Kommunikation – zum festen Bestandteil der Mikro-Koordination zwischen Hausarztpraxis und Patienten. Zusätzlich zum Telefonat bieten einige Praxen ihren Patienten Möglichkeiten zur E-Mail-Kommunikation. Während die telefonische Kommunikation schwerpunktmäßig über das Praxispersonal abgewickelt wird, das als Schaltstelle zwischen Patient und Hausarzt fungiert, eröffnet die E-Mail-Kommunikation den Patienten einen direkten Zugang zum Arzt. Bislang wird sie zum Zwecke der Mikro-Koordination – im Vergleich zur Telefon-Kommunikation – von den Patienten allerdings verhältnismäßig selten genutzt.

370

Die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt

Die Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen ergänzen Medien, indem sie vertiefendes Wissen über den Hausarzt und seine Hausarztpraxis auch außerhalb des direkten Gesprächs zugänglich machen. Dies kann vor Ort, in den Praxisräumen, über Praxis-Monitore, Broschüren oder Aushänge geschehen. Jenseits der räumlichen Grenzen der Hausarztpraxis kommen Medien zumeist dann zum Einsatz, wenn Kontaktinformationen angeeignet werden. Für die Aneignung von Kontaktdaten (Praxisanschrift, E-Mail-Adressen, Telefonnummern etc.) und Kontaktzeiten (Öffnungszeiten, Urlaubszeiten) haben sich Websites der Hausarztpraxen sowie Suchmaschinen als zuverlässige Quellen etabliert. Zugleich haben sie ‚traditionelle‘ Medienangebote, wie das gedruckte Telefonbuch oder die Gelben Seiten, abgelöst. Über die mediale Konstruktion von Kontaktdaten und -zeiten hinaus findet eine medienvermittelte Aneignung von hausarztbezogenem Wissen aufseiten der Patienten nicht regelhaft statt. Dies gilt für Informationen, die sich auf den Hausarzt persönlich beziehen ebenso wie für Informationen zum Praxisteam, zum Leistungsspektrum, zu besonderen Aktionen und zum Leitbild der Hausarztpraxis. Solche Informationen stellen Hausarztpraxen vor Ort oder über die Hausarzt-Website sowie über Social-Media-Plattformen zur Verfügung. Eine medienvermittelte Rezeption dieser Informationen gewinnt für die Patienten dann an Relevanz, wenn sie einen neuen Hausarzt suchen oder wenn ein Personalwechsel in größeren Hausarztpraxen stattfindet. Von den fünf untersuchten Hausarztpraxen stellt bislang lediglich die große Gemeinschaftspraxis in Weisenlingen ihren Patienten Informationen über eine Social-Media-Plattform zur Verfügung. Social-Media-Dienste eröffnen Hausarztpraxen die Möglichkeit, Inhalte quasi automatisch an Patienten zu adressieren, wenn diese das Profil der Praxis abonniert haben. Dieses Angebot wird von den Patienten der Praxis angeeignet, um über Aktuelles in der Hausarztpraxis auf dem Laufenden zu bleiben. Auffällig ist, dass sogar die Expertenorientierten (der Praxis in Weisenlingen), die insgesamt wenig Interesse an der Aneignung gesundheitsbezogener Medienangebote zeigen, auf Social-Media-Angebote zur Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen zurückgreifen. Social-Media-Angebote bergen, den Erkenntnissen dieser Studie folgend, das Potenzial für Hausarztpraxen, die Arzt-Patient-Beziehung auch außerhalb der direkten Begegnung zu aktualisieren. Darüber hinaus nehmen Medien bei der Konstruktion von patientenbezogenem Wissen – das sich auf die Person des Patienten und dessen Befinden bezieht – und

Die Arzt-Patient-Beziehung als mediatisierte Beziehung

371

bei der Konstruktion von gesundheitsbezogenem Wissen – also Wissen über die Diagnose und entsprechende Behandlungsmaßnahmen – eine ergänzende und unterstützende Rolle ein. Patienten vermitteln im Vorfeld eines Arztbesuchs – im Zuge der Terminvereinbarung – erste Informationen zu ihrem Befinden telefonisch. Auch im Nachgang zu einer Arztkonsultation konstruieren die Beziehungspartner gesundheitsbezogenes Wissen per Telefon (und vereinzelt per E-Mail), sofern eine abschließende Diagnose im direkten Gespräch nicht vorgenommen werden kann, Korrekturen nötig sind oder sich Rückfragen ergeben. Im direkten ArztPatient-Gespräch unterstützten handschriftlich oder digital vom Patienten erstellte und mitgebrachte Dokumente (wie papierbasierte Diabetestagebücher oder Ernährungstabellen) sowie Smartphone-Anwendungen (wie BluthochdruckApps) die Patienten bei der Präsentation ihres Befindens, indem sie das selbstbezogene Wissen der Patienten während der Sprechstunde aktivieren. Analoge oder (im Praxis-Management-System hinterlegte) digitale Patientenakten ermöglichen dem Hausarzt, sein patientenbezogenes Wissen zu speichern und im direkten Arzt-Patient-Gespräch darauf zurückzugreifen, was wiederum sein patientenbezogenes Wissen aktiviert. Außerdem veranschaulichen materielle Modelle, Zeichnungen, Ergebnisse von Online-Bildersuchen, Laborberichte und von den Patienten mitgebrachte Dokumente sowie Smartphone-Anwendungen die Erläuterungen zur Diagnose und zu den entsprechenden Behandlungshinweisen. Medien stützen nicht nur die Beziehungskonstruktion in der Face-to-Face-Begegnung. Vielmehr wird die (mitunter mediengestützte) Konstruktion von patienten- und gesundheitsbezogenem Wissen im direkten Arzt-Patient-Gespräch durch medienvermittelte Kommunikation (primär wechselseitige Medienkommunikation und produzierte Medienkommunikation) komplementiert. Dabei verläuft die wechselseitige Medienkommunikation hauptsächlich über das Telefon und vereinzelt via E-Mail. Mittels produzierter Medienkommunikation (sowohl über ‚traditionelle‘ Medienangebote wie Fernsehsendungen oder Print-Zeitschriften, als auch über Online-Angebote wie Informations-Websites oder Patientenforen) generieren die Patienten schließlich den Vorrat an gesundheitsbezogenem Wissen, mit dem sie ihrem Hausarzt im direkten Gespräch begegnen. Es ergänzt das vom Hausarzt in der Sprechstunde vermittelte Wissen zu Diagnose und Behandlungshinweisen.

372

9.2

Die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt

Die Arzt-Patient-Beziehung als stabile Beziehung

Mediatisierung ist ein entwicklungsoffener Metaprozess: Weder ist seine Geschwindigkeit monoton noch ist seine Richtung vorbestimmt oder eindeutig. So veranschaulicht die vorliegende Studie, dass die Mediatisierung der Arzt-PatientBeziehung nicht alleine durch Momente des Wandels, sondern zugleich durch Momente der Beharrung und der Diskontinuität gekennzeichnet ist (vgl. z. B. Hepp/Röser 2014; Krotz 2015: 440; Pfadenhauer/Grenz 2016). Momente der Beharrung zeigen sich darin, dass ‚traditionelle‘ Medienangebote nach wie vor wichtig für den Prozess der Beziehungskonstruktion sind. Durch die nichtmedienzentrierte Perspektive, die hier eingenommen wurde, und die das gesamte Medienrepertoire in die Betrachtung einbezogen hat, konnte gezeigt werden, dass ‚alte‘ bzw. ‚traditionelle‘ Medienangebote nicht von ‚neuen‘ Online-Angeboten verdrängt oder durch sie ersetzt werden – vielmehr ergänzen sie einander. ‚Traditionelle‘ Medienangebote spielen weiterhin eine zentrale Rolle bei der Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung. Insbesondere das Telefon ist als Beziehungsmedium, trotz der ‚neuen‘ Möglichkeiten der wechselseitigen Online-Kommunikation via E-Mail, übergreifend innerhalb von Prozessen der kommunikativen Beziehungskonstruktion institutionalisiert. Es ist nicht nur fester Bestandteil von Prozessen der Mikro-Koordination, sondern zudem in die Konstruktion von patienten- sowie gesundheitsbezogenem Wissen standardmäßig integriert. Ähnlich sind auch gesundheitsbezogene Print-Medien und Fernsehsendungen bei einem Großteil der Patienten nach wie vor bei der Aneignung von gesundheitsbezogenem Wissen relevant und Hausärzte informieren ihre Patienten mit Hilfe von gedruckten Broschüren oder Aushängen. Was Riepl vor mehr als einhundert Jahren festgestellt hat – dass Medien „niemals wieder gänzlich und dauernd verdrängt und außer Gebrauch gesetzt werden können, sondern sich neben diesen erhalten, nur daß sie genötigt werden können, andere Aufgaben und Verwertungsgebiete aufzusuchen“ (Riepl 1913: 5) – hat folglich auch für die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung Bestand. Ebenso wenig wie ‚traditionelle‘ Medienangebote einfach aus den Prozessen der Beziehungskonstruktion verschwinden, wird die Relevanz der Face-to-Face-Kommunikation – trotz des Bedeutungszuwachses von gesundheitsbezogenen Medienangeboten im Zuge der Digitalisierung – aus Perspektive der Beziehungspartner

Die Arzt-Patient-Beziehung als stabile Beziehung

373

infrage gestellt. Die vorliegende Studie zeigt, dass das, was Schütz und Luckmann als ‚Wir-Beziehung‘ bezeichnet haben – die persönliche Begegnung zwischen Hausarzt und Patient –, den Kern der Arzt-Patient-Beziehung bildet. Das direkte Gespräch ist der ‚Ort‘, an dem die Beziehung von Arzt und Patient hauptsächlich gegründet, aktualisiert und modifiziert wird. Medien sind eng in die Beziehungskonstruktion im direkten Gespräch eingewoben, sie unterstützen und ergänzen das direkte Gespräch, machen es jedoch nicht obsolet. Ganz im Gegenteil – das direkte Gespräch und die gestische Kommunikation stellen nicht nur die „Basisformen von Kommunikation“ (Krotz 2007a: 86) dar, sondern die direkte Kommunikation ist aus Sicht von Ärzten und Patienten die Basis der Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung. Das ‚Einander-Sehen‘ und die körperliche Untersuchung sind aus Sicht der Beziehungspartner essenziell zur Konstruktion von patientenund gesundheitsbezogenem Wissen. Die persönliche Begegnung gehört in den langfristig angelegten Prozessen, in denen Hausarzt und Patient einander über ihre sozialen Rollen hinausgehend kennenlernen, ‚selbstverständlich‘ dazu, hilft sie doch dem Arzt dabei, ‚auf einen Blick‘ eine zutreffende Diagnose zu stellen sowie Therapiehinweise zu formulieren. Die Robustheit der Institution der Sprechstunde ist nicht nur in der Zweckmäßigkeit des umfassenden sinnlichen Wahrgenommenwerdens des Patienten aus Sicht der Beziehungspartner begründet. Vielmehr gewinnt die direkte Begegnung – als Bestandteil der Institution ‚Arzt-Patient-Beziehung‘ bzw. ihrer kommunikativen Konstruktion – ihre Stabilität auch dadurch, dass sie rechtlich durch das Fernbehandlungsverbot abgesichert ist. Eine ausschließlich medienvermittelte Behandlung ist demzufolge in Deutschland bislang nicht erlaubt (vgl. Bundesärztekammer 2015). Die direkte Begegnung – als wesentlicher ‚Beziehungsgenerator‘ – wird von der wechselseitigen Medienkommunikation punktuell komplementiert, aber nicht ersetzt. Ebenso wenig ersetzen allgemein adressierte, standardisierte Medienangebote, die von den Patienten zur Aneignung gesundheitsbezogenen Wissens genutzt werden, die direkte Kommunikation zwischen Hausarzt und Patient. Die Rezeption solcher Medienangebote dient zumeist der Vor- oder der Nachbereitung eines direkten Arzt-Patient-Gesprächs. Lediglich bei den Souveränen und den Wissensdurstigen gibt es Situationen, in denen sie Medien nutzen, um ihren Gesundheitszustand selbst zu diagnostizieren und zu behandeln. Dies ist bei Erkrankungen der Fall, die Patienten als

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Die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt

leicht wahrnehmen. Sofern keine Besserung eintritt oder Beschwerden als schwerwiegend eingestuft werden, suchen auch diese Patienten ihren Hausarzt auf. Angebote zur virtualisierten Medienkommunikation bergen – technisch gesehen – ein großes Potenzial zum Prägen der Arzt-Patient-Beziehung. Durch Personalisierungsfunktionen sind sie in der Lage, die wesentliche ‚Schwäche‘ allgemein adressierter, standardisierter gesundheitsbezogener Medienangebote auszuräumen. Diese liegt aus Sicht der Patienten darin, dass solcherlei Angebote keine individuell zugeschnittenen Diagnosen und Behandlungshinweise liefern. Bislang finden Angebote zur virtualisierten Medienkommunikation in der Breite noch keine Anwendung. In dieser Studie spielen sie gegenwärtig hauptsächlich für den Subtyp der Präventiven eine Rolle. Bei den Präventiven realisieren sich die Potenziale von Angeboten zur virtualisierten Medienkommunikation auf verschiedene Weisen. Sie nutzen Tracking-Apps, um ihr alltägliches Bewegungspensum, ihre sportlichen Aktivitäten oder ihre Ernährung zu protokollieren. Die Apps liefern auf Basis der (automatisch) gespeicherten Körper- und Bewegungsdaten Analyse- und Visualisierungsmöglichkeiten und geben Hinweise zu einer Verbesserung des Gesundheitsverhaltens. Zum einen generieren und dokumentieren sie also patientenbezogenes Wissen, das Patienten in die Hausarztkonsultation einbringen können. Zum anderen tragen sie dazu bei, dass weiteres gesundheitsbezogenes Wissen zum Themenkomplex ‚Bewegung, Sport und Ernährung‘ entsteht. An dieser Stelle kann noch einmal hervorgehoben werden, dass das medial gewonnene Wissen den Wissensvorrat der Patienten grundlegend erweitert. Dennoch sehen sich die Patienten nicht selber in der Rolle des medizinischen Experten. Diese Expertenrolle bleibt aus Sicht der Patienten typübergreifend dem Hausarzt vorbehalten. Dass die Profession des Hausarztes nicht ins Wanken gerät, äußerte sich in dieser Studie zunächst in den Selbstbeschreibungen und den Arztbildern der Patienten und ließ sich darüber hinaus in den Sprechstunden beobachten. Wenngleich einige Patiententypen (die Expertenorientierten, die Eingeschränkt Interessierten und die Souveränen) sich durch eine offene Kommunikation im Gespräch auszeichnen und die Wissensdurstigen sich darüber hinaus durch Impulse an der Untersuchung, der Diagnose und der Behandlung beteiligen, bleibt die Formulierung der abschließenden Diagnose bzw. Behandlungshinweise ausnahmslos dem Arzt überlassen. Hausärzte sind in diesem Sinne „ein-

Die Arzt-Patient-Beziehung als ungleichförmige Beziehung

375

schlägig legitimierte Experten“ (Hitzler/Honer 1994: 310), von denen die langfristigen Prozesse der Beziehungskonstruktion „vorangetrieben, gesteuert, aufrechterhalten oder zumindest maßgeblich beeinflußt werden“ (ebd.). Für die Kernprozesse des untersuchten Phänomenbereichs (die Konstruktion von hausarzt-, patienten- und gesundheitsbezogenem Wissen) lässt sich resümieren, dass diese mediatisiert sind. Die Mediatisierung der Arzt-Patient-Beziehung ist durch Momente des Wandels und zugleich durch Momente der Beharrung gekennzeichnet. Die Momente der Beharrung lassen sich zurückführen auf die starke Position des Hausarztes als medizinische Instanz und der Bedeutung des direkten Arzt-Patient-Gesprächs, in dem das intersubjektive Wissen zum Gesundheitszustand des Patienten maßgeblich konstruiert wird. Mit der direkten Arzt-PatientKommunikation sind Medien zwar eng verwoben, der Hausarzt und das Arzt-Patient-Gespräch sind jedoch stabile, in gesellschaftlichen Debatten und rechtlichen Setzungen legitimierte Institutionen, die dazu beitragen, dass der medienbezogene Wandel der Beziehung von Hausärzten und Patienten im Zuge der Digitalisierung eher schleichend verläuft. So belegen die Ergebnisse dieser Arbeit, was Hart und Kollegen (2004) vor mehr als zehn Jahren konstatierten: „[The] use of the Internet is contributing to subtle changes in the relationship between health-care practitioners and their patients, rather than effecting the dramatic transformation some people envisage for it“ (ebd.: 5). Die Annahme einer revolutionären Verdrängung des Hausarztes durch das Internet, die unter anderem im öffentlichen Diskurs diskutiert wird, wie auch die Vermutung eines rasanten fundamentalen Wandels, werden von den Ergebnissen dieser Studie widerlegt.

9.3

Die Arzt-Patient-Beziehung als ungleichförmige Beziehung

Die in der Studie entwickelte Typen zeigen, dass Momente des Wandels und der Beharrung weder gleichzeitig noch gleichmäßig für alle Patienten gelten. Die Prägkräfte der Medien entfalten sich in den Prozessen der kommunikativen Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung ungleichförmig. Die Beziehungskonstruktion ist durch ihre „[eigensinnige] Gestaltung“ (Röser et al. 2017: 145) gekennzeichnet. Patienten integrieren gesundheitsbezogene Medienangebote in unterschiedlichen Si-

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Die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt

tuationen mit unterschiedlicher Regelmäßigkeit und im Hinblick auf unterschiedliche Zwecke in ihren Alltag bzw. sehen von einer Integration ab. Im Zuge des jüngsten Mediatisierungsschubes der Digitalisierung kann also nicht pauschal von einer „zunehmenden Prägung“ (Krotz et al. 2017: 2) der Arzt-Patient-Beziehung durch Online-Angebote ausgegangen werden. Vielmehr existieren die uneinheitlichen und subjektiv sinnvollen Beziehungskonstruktionen der Unbedarften, der Expertenorientierten, der Eingeschränkt Interessierten, der Souveränen und der Wissensdurstigen nebeneinander. Die Beziehungskonstruktion der Unbedarften ist dadurch gekennzeichnet, dass die Patienten im direkten Arzt-Patient-Gespräch zurückhaltend kommunizieren und Medien eine – im Vergleich zu den anderen Patiententypen – geringe Rolle spielen. Die Unbedarften integrieren gesundheitsbezogene Medienangebote höchstens in Ausnahmesituationen in ihren Alltag, so zum Beispiel zur vereinzelten Recherche von Fachbegriffen oder Kontaktdaten. Die marginale Medienaneignung lässt sich u. a. darauf zurückführen, dass die Unbedarften nicht von chronischen oder langwierigen Erkrankungen betroffen sind und bereits von ihrem sozialen Umfeld – vor allem von Familienmitgliedern – mit beziehungsrelevantem Wissen versorgt werden. Prägkräfte der Medien kommen bei den Unbedarften folglich hauptsächlich bei der Mikro-Koordination bzw. bei der Konstruktion von hausarztbezogenem Wissen zum Tragen (in Form der Recherche von Kontaktinformationen, die wiederum die Mikro-Koordination vorbereiten). Für die minderjährigen Unbedarften, die Extremfälle innerhalb der Typologie darstellen, gilt dies nur bedingt. Bei diesen Patienten übernehmen die Erziehungsberechtigten selbst die medienvermittelte Mikro-Koordination und die mediale Aneignung von hausarztbezogenem Wissen zu großen Teilen und fungieren als Kommunikationsknoten innerhalb der triadischen Hausarzt-Eltern-Unbedarften-Beziehung. Anders als bei den jungen und gesunden Unbedarften sind Gesundheit und Krankheit im Alltag der Expertenorientierten durchaus relevante Themen. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass die von langwierigen oder chronischen Erkrankungen betroffenen Patienten sich mit Personen aus ihrem sozialen Umfeld rege über gesundheitsbezogene Themen austauschen. Gemein ist den Expertenorientierten jedoch mit den Unbedarften, dass auch ihre Beziehungskonstruktion dadurch charakterisiert ist, dass Medien eine geringe Rolle spielen. Die Expertenorientierten integrieren Medien nur in Ausnahmesituationen in ihren Alltag,

Die Arzt-Patient-Beziehung als ungleichförmige Beziehung

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wenn sie beispielsweise beiläufig Fernsehsendungen oder Informations-Websites mit Gesundheitsbezug rezipieren. Die marginale Medienaneignung lässt sich primär auf die Expertenorientierung der Patienten dieses Typs zurückführen. Sie begrenzen bewusst ihre Medienaneignung, da sie bereits umfassende und aus ihrer Sicht ausreichende gesundheitsbezogene Informationen von ihrem Hausarzt erhalten, der für sie der zentrale Ansprechpartner in gesundheitlichen Fragen ist. Darüber hinaus begründen sie ihre marginale Medienaneignung damit, dass insbesondere im Internet nicht Experten zu Wort kämen und keine individuelle Hilfestellung geleistet werde. Die Beziehungskonstruktion der Expertenorientierten ist folglich nur geringfügig medial geprägt und vollzieht sich primär im direkten Arzt-Patient-Gespräch, das durch die Offenheit der Patienten gekennzeichnet ist. Die offene Kommunikation innerhalb der Beziehungskonstruktion im direkten Arzt-Patient-Gespräch verbindet die Expertenorientierten mit dem Typ der Eingeschränkt Interessierten. Gleichermaßen haben die beiden Typen gemein, dass der Hausarzt der zentrale Ansprechpartner in gesundheitsbezogenen Fragen ist. Für die Eingeschränkt Interessierten gilt dies vor allem, wenn sie Symptome oder Erkrankungen als unbekannt, langwierig oder schwerwiegend wahrnehmen. Die Eingeschränkt Interessierten grenzen sich jedoch im Hinblick auf ihre fokussierte Medienaneignung deutlich von den Expertenorientierten ab. Sie eignen sich gesundheitsbezogene Medienangebote regelhaft in bestimmten Situationen (in Vorbereitung oder infolge eines Arztbesuchs) oder fokussiert auf die Themen Bewegung, Sport und Ernährung an. Es lassen sich drei Subtypen der Eingeschränkt Interessierten unterscheiden, deren Beziehungskonstruktion punktuell durch die Aneignung von gesundheitsbezogenen Medienangeboten geprägt wird. Die Medienaneignung dieser drei Subtypen steht stets in einem direkten Zusammenhang mit der Beziehungskonstruktion im direkten Arzt-Patient-Gespräch. So eignen sich Patienten des Subtyps der Präventiven medial Wissen zur Gesundheitsförderung und Krankheitsvermeidung an. Dieses Wissen bringen sie in das Arzt-Patient-Gespräch ein, das dort wiederum durch die ärztlichen Ausführungen erweitert wird. Patienten des Subtyps der Vorbereitenden eignen sich im Vorfeld eines geplanten Arztbesuchs gesundheitsbezogenes Wissen an, um erlebte Symptome einzuordnen. Ihr medial erworbenes Wissen wird durch eine finale Diagnose und Behandlungshinweise des Arztes komplementiert. Patienten des Subtyps der Nachbereitenden wiederum ergänzen das vom Hausarzt vermittelte Wissen durch die

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Die kommunikative Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt

Medienaneignung nach einer erfolgten Arztkonsultation, um die ärztliche Diagnose und die Behandlungshinweise (besser) zu verstehen und infolgedessen (besser) mit ihrer Erkrankung umgehen zu können. Wie schon die Beziehungskonstruktion der Expertenorientierten und der Eingeschränkt Interessierten ist auch diejenige der Souveränen durch eine offene Kommunikation im direkten Arzt-Patient-Gespräch gekennzeichnet. Die Souveränen sind nicht von chronischen oder schweren und langwierigen Erkrankungen betroffen. Sie unterscheiden sich von den Expertenorientierten und den Eingeschränkt Interessierten insofern, als ihre Beziehungskonstruktion durch eine extensive Medienaneignung charakterisiert ist. Diese Patienten integrieren Medien – im Falle einer Erkrankung – in einer Vielzahl unterschiedlicher Situationen in ihren Alltag. Die kommunikative Konstruktion der Beziehung der Souveränen zu ihrem Hausarzt ist im Vergleich zu den bisher präsentierten Patiententypen stark durch Medien geprägt. Sie eignen sich sowohl im Vorfeld eines geplanten ArztPatient-Gesprächs als auch im Nachgang hierzu Medien an. Die Medienaneignung der Souveränen steht jedoch nicht immer in einem unmittelbaren Zusammenhang zu einer Begegnung mit ihrem Hausarzt. Vielmehr verschaffen sie sich gesundheitsbezogenes Wissen über Medienangebote auch zu dem Zweck, sich selbst zu diagnostizieren oder zu behandeln. Wie bereits die Souveränen weisen auch die Wissensdurstigen eine extensive Medienaneignung auf. Sie integrieren gesundheitsbezogene Medienangebote regelhaft in einer Vielzahl von unterschiedlichen Situationen in ihren Alltag. Die Beziehungskonstruktion der Wissensdurstigen, die von chronischen oder schweren und langwierigen Erkrankungen betroffen sind, weist die stärkste mediale Prägung der empirisch fundierten Patiententypen auf. Denn im Gegensatz zu den Souveränen, deren Medienaneignung stets in einem Zusammenhang mit einer aktuellen Erkrankung steht, eignen sich die Wissensdurstigen über Medien zusätzlich fortlaufend Wissen über das Thema Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen an. Die Wissensdurstigen bringen das vielfältig medial gewonnene Wissen in das Arzt-Patient-Gespräch ein, das durch ihre fordernde Kommunikation gekennzeichnet ist. Zudem ergänzen sie durch ihre Medienaneignung das gesundheitsbezogene Wissen, das sie von ihrem Hausarzt im Gespräch einfordern.

Die Arzt-Patient-Beziehung als thematisch geleitete Beziehung

9.4

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Die Arzt-Patient-Beziehung als thematisch geleitete Beziehung

Wie lässt sich die eigensinnige Konstruktion der Arzt-Patient-Beziehung, die sich in den unterschiedlichen Patiententypen manifestiert, erklären? Im Zuge der Analysen kristallisierte sich heraus, dass das Maß, in dem Patienten Gesundheit und Krankheit zu „handlungsleitenden Themen“ (Bachmair 1994) machen, ursächlich für die verschiedenen Weisen ist, in denen Medien die Beziehungskonstruktion zu ihrem Hausarzt prägen. Darüber hinaus wird die Mediatisierung der Arzt-PatientBeziehung durch den Grad an Exklusivität bedingt, den Patienten ihrem Hausarzt in gesundheitlichen Fragen einräumen. Dieser erklärende Zusammenhang lässt sich folgendermaßen pointieren: Je eher Patienten Gesundheit und Krankheit zu handlungsleitenden Themen machen und je weniger sie dem Arzt einen exklusiven Status in gesundheitlichen Fragen einräumen, desto stärker ist ihre Beziehungskonstruktion durch gesundheitsbezogene Medienangebote bzw. deren Aneignung geprägt. Handlungsleitende Themen beschreiben als Erklärungsansatz für die Mediatisierung der Arzt-Patient-Beziehung die subjektiven „Sinnperspektiven der Menschen als Baumeister ihrer eigenen Lebenswelt“ (Bachmair 1996: 197). Dementsprechend hilft das Konzept dabei, Mediatisierung von der Handlungsebene her zu erklären. Wenngleich Themen Bestandteile gesellschaftlicher Diskurse sind, ist ihre subjektive Bedeutung nicht vorbestimmt. Vielmehr erhalten gesellschaftliche Themen erst durch die aktive Aneignung der Patienten ihre handlungsleitende Funktion – sie werden ‚wirksam‘, indem sie von den Patienten auf ihre konkrete Lebenswelt angewendet werden (vgl. Bachmair 1994: 172). Durch die kommunikative Aneignung fließt gesellschaftliches Wissen in den persönlichen ‚Themenhaushalt‘ der Patienten ein. Der so formierte „subjektive Sinn ordnet die Erlebnisse und leitet das Handeln“ (ebd.) der Patienten. In weiteren medialen und nichtmedialen Kommunikationssituationen verändern und erweitern Patienten, durch den Einbezug neuer Perspektiven und Erfahrungen, ihre handlungsleitenden Themen (vgl. Krotz 2007a: 228 ff.). Wichtig ist an dieser Stelle festzuhalten, dass es nicht die ‚objektiven‘ biomedizinischen Krankheitsbilder oder gesundheit-

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lichen Zustände sind, die das Handeln der Patienten orientieren. Es sind die subjektiven, kommunikativ konstruierten Themen Gesundheit und Krankheit, die die kommunikative Beziehungskonstruktion der Patienten leiten. Gesundheit und Krankheit sind für alle in der vorliegenden Studie identifizierten Patiententypen handlungsleitend. Die Themen besitzen allerdings für die verschiedenen Typen einen unterschiedlichen Stellenwert – Gesundheit und Krankheit werden von Patienten in unterschiedlichem Maße zu alltäglichen Themen gemacht. Für die Unbedarften sind Gesundheit und Krankheit kaum Themen, die sie im Alltag bewegen. Für die Expertenorientierten, die Eingeschränkt Interessierten und die Souveränen sind es Themen von (situativer) Relevanz. Die Wissensdurstigen schließlich haben Gesundheit und Krankheit zu konstanten Lebensthemen gemacht, die Teil ihrer Persönlichkeit geworden sind (vgl. Charlton/Borcsa 1997: 254). Die jeweils spezifische handlungsleitende Relevanz der Themen Gesundheit und Krankheit spiegelt sich im kommunikativen Handeln der Patienten – in der Gestaltung ihrer Beziehungskonstruktion – wider: Sie zeigt sich in ihrem Kommunikationsstil und in ihrer gesundheitsbezogenen Medienaneignung. Im Kommunikationsstil der Patienten drückt sich die handlungsleitende Relevanz der Themen Gesundheit und Krankheit folgendermaßen aus: Je aktiver sich Patienten am Gespräch beteiligen, umso mehr sind Gesundheit und Krankheit handlungsleitende Themen für sie. Für die zurückhaltenden Patiententypen – die Unbedarften – spielen die Themen Gesundheit und Krankheit keine große Rolle im Alltag. Sie begründen dies insbesondere mit ihrem guten Gesundheitszustand und der Versorgung durch den Hausarzt und ihr Umfeld. Dementsprechend beteiligen sie sich am Arzt-Patient-Gespräch, indem sie den Anweisungen des Arztes Folge leisten und darüber hinaus ihr Befinden lediglich knapp schildern und auf Nachfragen verzichten. Die (situative) Relevanz der Themen Gesundheit und Krankheit zeigt sich bei den offen kommunizierenden Patienten – den Expertenorientierten, den Eingeschränkt Interessierten und den Souveränen – daran, dass sie sich proaktiv in das Gespräch mit ihrem Hausarzt einbringen, indem sie ihr Befinden ausführlich schildern, punktuell Nachfragen stellen und Behandlungshinweise diskutieren. Die herausgehobene alltägliche Relevanz der Themen Gesundheit und Krankheit drückt sich beim Patiententyp der Wissensdurstigen in einem fordernden Kommunikationsstil aus. Sie bestimmen den Inhalt und den

Die Arzt-Patient-Beziehung als thematisch geleitete Beziehung

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Fluss des Arzt-Patient-Gesprächs durch ihre Fragen, Anmerkungen und Anweisungen am stärksten mit. Der alltägliche Stellenwert der Themen Gesundheit und Krankheit spiegelt sich nicht nur im Kommunikationsstil, sondern auch in den Medienaneignungsformen der Patienten wider. Während die geringe thematische Relevanz von Gesundheit und Krankheit sich bei den Unbedarften auch in ihrer (marginalen) Medienaneignung manifestiert und sich die aktive Gesundheitsorientierung der Wissensdurstigen nicht nur im fordernden Kommunikationsstil, sondern auch in ihrer extensiven Medienaneignung widerspiegelt, variiert die Form der gesundheitsbezogenen Medienaneignung bei den offen kommunizierenden Expertenorientierten, Eingeschränkt Interessierten und Souveränen. Die drei Patiententypen machen deutlich, dass Gesundheit und Krankheit als Themen mit einer ähnlichen handlungsleitenden Relevanz (die sich in ihrem Kommunikationsstil zeigt) nicht ‚automatisch‘ zu einer gleichförmigen Aneignung gesundheitsbezogener Medienangebote führen. Für die Expertenorientierten sind Gesundheit und Krankheit Themen, die sie durchaus im Alltag beschäftigen. Die handlungsleitenden Themen spiegeln sich bei den Expertenorientierten jedoch nicht in der Integration von gesundheitsbezogenen Medien in den Alltag wider, sondern in der aktiven Begrenzung der Medienintegration. Prozesse der Aneignung sind an dieser Stelle also nicht alleine als Prozesse der Integration von Medien zu begreifen, sondern auch als Prozesse des sinnhaften Begrenzens (vgl. Roitsch 2017). In ihrer aktiven Begrenzung unterscheiden sich die Expertenorientierten von den Unbedarften, die ebenfalls kaum gesundheitsbezogene Medienangebote nutzen, ihre Medienaneignung aber nicht aktiv begrenzen, sondern den Themen Gesundheit und Krankheit schlicht gleichgültig gegenüberstehen. Die Expertenorientierten bemängeln, dass gesundheitsbezogene Medien Informationen bieten, die nicht auf ihren konkreten Fall zugeschnitten sind und begründen ihre Begrenzung zudem mit der fehlenden eigenen Kompetenz, mediale Gesundheitsinformationen sinnvoll einordnen zu können. Für die Expertenorientierten haben medizinische Experten dadurch einen exklusiven Stellenwert. Etwas weniger exklusiv ist der Stellenwert medizinischer Experten für die Eingeschränkt Interessierten. Sie informieren sich medial, beziehen ihre Medienaneignung allerdings strikt auf das Arzt-Patient-Gespräch (in Vor- oder Nachbereitung), um Symptome vorläufig einzuordnen oder diagnostizierte Er-

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krankungen besser zu verstehen bzw. um ihre Gesundheit zu fördern und Krankheiten zu vermeiden. Bei den Souveränen nimmt die Exklusivität der ärztlichen Stellung in gesundheitlichen Fragen noch weiter ab. Sie eignen sich Medien extensiv in vielfältigen Situationen an – mitunter auch ohne Bezug zum Arzt-PatientGespräch (zum Einordnen von Symptomen, zur Selbstdiagnose und -therapie). Insgesamt steht die gesundheitsbezogene Medienaneignung somit auch mit dem unterschiedlichen Grad der Autonomie in Verbindung, die Patienten innerhalb der Beziehung zu ihrem Hausarzt ‚ausagieren‘ bzw. mit dem Exklusivitätsstatus, den sie ihrem Hausarzt zuschreiben. Ausgehend von diesen Überlegungen lassen sich abschließend übergreifende Hinweise für die zukünftige Mediatisierungsforschung festhalten: Um der Eigensinnigkeit der Mediatisierung bzw. der mediatisierten Wirklichkeitskonstruktion gerecht zu werden, ist es sinnvoll, eine integrative Perspektive einzunehmen. Nur aus einer integrativen Perspektive, die sowohl den Stil der direkten Kommunikation als auch sämtliche Formen der medienvermittelten Kommunikation – also das gesamte Medien- und Kommunikationsrepertoire – einbezieht, konnten in vorliegender Studie die kommunikativ konstruierten Patiententypen in ihrer Differenziertheit erfasst und beschrieben werden. Eine isolierte Betrachtung der Mediennutzung wäre der Komplexität der kommunikativen Beziehungs- bzw. Wirklichkeitskonstruktion nicht gerecht geworden. Außerdem ist das Konzept der handlungsleitenden Themen ein Ansatzpunkt zur Erklärung der diversen Entwicklungspfade der Mediatisierung. Es geht nicht alleinig darum, dass sich Menschen Medien als technologische Objekte zu Eigen machen, sondern es geht zumindest gleichberechtigt darum, dass sie sich Themen zuwenden, die ihre Technologieadaption ursächlich bedingen. Um Mediatisierung zu verstehen, gilt es also die Themen der Menschen zu beschreiben, die ihre Medienaneignung und ihr kommunikatives Handeln im Ganzen leiten. Durch die Beschreibung von handlungsleitenden Themen der Menschen ist es möglich, den Sinn zu verstehen, den Menschen ihrem kommunikativen (Medien-)Handeln geben und „das komplexe Gefüge von Alltag, sozialen Beziehungen, Lebenserfahrungen, Medieninhalten sowie Wünschen und Zielen von den Inhalten her in seiner jeweils subjektiven Bedeutung und Funktion [zu] erschließen“ (Bachmair 1994: 174). Auch, wenn der Fokus von Forschung auf der Aneignung neuer Tech-

Die Arzt-Patient-Beziehung als thematisch geleitete Beziehung

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nologien liegt, seien es Social-Networking-Sites, das Mobiltelefon oder kommunikationsrelevante Algorithmen, kann der Metaprozess der Mediatisierung nur dann angemessen verstanden werden, wenn auch die handlungsleitenden Themen berücksichtigt werden, die über Medien verarbeitet und verhandelt werden.

Anhang Kommunikationsstil Medienaneignung

Extensive Medienaneignung

Zurückhaltende Kommunikation

-

Offene Kommunikation Souveräne Filippa Seidel (24) Fabienne Graf (24) Claudia Imhof (42) Fiona Krug (43)

Fordernde Kommunikation Wissensdurstige Alina Gramberg (19) Tilda Opel (40) Louisa Kaufmann (41) Frauke Engel (41) Leonie Glee (46) Marina Seifert (52) Judith Löffler (63) Nicole Kruse (63) Alwine Harms (64)

Eingeschränkt Interessierte Präventive Chloe Wagner (18) Jörg Zeigler (29) Niklas Fröhlich (36) Jonathan Reichert (50)

Fokussierte Medienaneignung

-

Vorbereitende Joshua Adam (26) Nora Nowak (33) Justus Breuer (45) Anne Eilers (55) Nachbereitende Lucy Jakobs (32) Jutta Hall (37) Anton Achtermann (39) Nikola Nagel (47) Frederike Neumann (47) Frank Thiele (48) Fabian Wolf (48) Nico Riedel (49) Alexander Fluchs (50) Fanny Bauer (53) Lena Götz (72)

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. C. Meinzer, Die Arzt-Patient-Beziehung in einer digitalisierten Welt, Medien • Kultur • Kommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26007-1

-

386

Anhang

Unbedarfte Expertenorientierte Nina Jakobs (5) Nele Hoppe (24) Laura Ott (27) Nathanael Flemming (11) Mia Hesse (37) Josie Hall (13) Adrian Capel (48) Marginale Norman Glee (15) Christa Merten (48) MedienNevio Eberle (16) Nadine Schramm (60) aneignung Noah Stil (17) Fritz Groß (66) Jasmin Winter (18) Natascha Jäger (66) Jonte Fink (20) Martha Kern (66) Christopher Luchs (25) Frieda Pfeifer (78) Jana Kurz (27) Tab. 26: Übersicht über die Verteilung der Patienten innerhalb des Merkmalsraums der Typologie

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